Steuerliche Aspekte der GmbH-Sanierung 9783814557410

Dr. Günter Kahlert, Rechtsanwalt Steuerberater, Hamburg

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German Pages 180 [210] Year 2015

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Steuerliche Aspekte der GmbH-Sanierung
 9783814557410

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Günter Kahlert Steuerliche Aspekte der GmbH-Sanierung Steuerfolgen von Sanierungsmaßnahmen vor und nach Insolvenzeröffnung

RWS-Skript 384

Steuerliche Aspekte der GmbHSanierung Steuerfolgen von Sanierungsmaßnahmen vor und nach Insolvenzeröffnung

2015

von Dr. Günter Kahlert, Rechtsanwalt Steuerberater, Hamburg

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH ˜ Köln

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2015 RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH Postfach 27 01 25, 50508 Köln E-Mail: [email protected], Internet: http://www.rws-verlag.de Alle Rechte vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, das Werk oder Teile daraus in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) zu vervielfältigen. Satz und Datenverarbeitung: SEUME Publishing Services GmbH, Erfurt Druck und Verarbeitung: Hundt Druck GmbH, Köln

Vorwort Wer sich aus steuerrechtlicher Sicht mit der Sanierung eines Unternehmens befassen möchte, muss sich verstärkt mit dem Insolvenzrecht auseinandersetzen. Dies beruht darauf, dass das Steuerrecht an zivilrechtliche Sachverhalte anknüpft und der Gesetzgeber diese Anknüpfungspunkte zunehmend in die Insolvenzordnung verlagert hat. So hat der Gesetzgeber das vor allem in außergerichtlichen Sanierungen wichtige Sanierungsinstrument Rangrücktritt mit dem MoMiG aus 2008 erstmals gesetzlich verankert, und zwar in § 19 Abs. 2 Satz 2 InsO. Danach ist Ausgangspunkt der steuerlichen Rechtsfolgen eines Rangrücktritts eine insolvenzrechtliche Norm. Weiter hat der Gesetzgeber mit dem MoMiG das sog. Eigenkapitalersatzrecht, das der BFH zur Grundlage der Entstehung von nachträglichen Anschaffungskosten im Sinne des § 17 EStG gemacht hat, abgeschafft und durch Regelungen in der Insolvenzordnung und im Anfechtungsgesetz ersetzt. Seitdem sind Finanzverwaltung und steuerrechtliche Literatur bemüht, neue Lösungsansätze unter Anknüpfung an die Insolvenzordnung zu entwickeln. Schließlich hat der Gesetzgeber mit dem ESUG aus 2011 den Versuch unternommen, die Sanierung von Unternehmen im Insolvenzverfahren zu fördern, insbesondere durch die Stärkung der Eigenverwaltung und die Möglichkeit, im Insolvenzplan in die Gesellschafterrechte einzugreifen. Bei der Sanierung eines Unternehmens im Insolvenzverfahren ist somit zu prüfen, welchen Einfluss das Insolvenzverfahren auf die Besteuerung, insbesondere auf die Steuerfolgen von Sanierungsmaßnahmen hat. Der steuerliche Berater muss allerdings nicht nur – wie vorstehend dargestellt – den Einfluss des Insolvenzrechts auf die Steueransprüche im Blick haben, um bestmöglich zu beraten. Vielmehr ist auch der Einfluss des Insolvenzrechts auf die Steuerhaftungsansprüche sowie die Aufrechnungsmöglichkeiten des Fiskus in die Überlegungen einzubeziehen. Denn sie flankieren in der Praxis regelmäßig die Durchsetzung der Steueransprüche durch den Fiskus. Das vorliegende Werk nimmt die vorstehend beschriebenen Entwicklungen zum Anlass, die Steuerfolgen von Sanierungsmaßnahmen sowie die Aufrechnungsmöglichkeiten und die Steuerhaftungsansprüche des Fiskus unter besonderer Berücksichtigung des Einflusses des Insolvenzrechts darzustellen. Es ist aus der Seminarreihe „Steuerliche Aspekte der GmbH-Sanierung“ hervorgegangen und soll ein Werk aus der Praxis für die Praxis sein. Literatur und Rechtsprechung sind bis Mitte Mai 2015 berücksichtigt. Anregungen sind jederzeit willkommen.

Hamburg, im Mai 2015

Dr. Günter Kahlert

V

Inhaltsverzeichnis Rn.

Seite

Vorwort ............................................................................................................ V Literaturverzeichnis ..................................................................................... XV A. Grundlagen .................................................................................. 1 ........ 1 I.

Zivilrechtlicher Rahmen ............................................................... 1 ........ 1

II. Steuerrechtlicher Rahmen ............................................................ 6 1. Besteuerung im Insolvenzverfahren ..................................... 6 2. Besteuerung von Sanierungsmaßnahmen ............................ 9 3. Einheit von Sanierungs- und Insolvenzsteuerrecht .......... 12

........ ........ ........ ........

2 2 4 5

III. Die steuerlichen Interessen von GmbH und GmbH-Gesellschafter ................................................................ 15 ........ 6 IV. Gang der Darstellung ................................................................. 18 ........ 7 B. Überblick über die Besteuerung der GmbH und ihrer Gesellschafter ................................................................... 19 ........ 9 I.

Besteuerung der GmbH ............................................................. 1. Allgemeines ......................................................................... 2. Umsatzsteuerliche Organschaft ......................................... 3. Ertragsteuerliche Organschaft ...........................................

19 19 21 25

........ 9 ........ 9 ...... 10 ...... 11

II. Besteuerung der GmbH-Gesellschafter .................................... 1. Gesellschafter ist eine natürliche Person ........................... a) Anteile werden im Privatvermögen gehalten ............. b) Anteile werden im Betriebsvermögen gehalten ......... c) Übersicht ...................................................................... d) Kapitalertragsteuer und Veranlagungswahl ................ 2. Gesellschafter ist eine GmbH ............................................

31 32 33 36 40 41 42

...... ...... ...... ...... ...... ...... ......

12 13 13 14 15 17 17

C. Forderungsverzicht: Ertragsteuerliche Folgen auf Ebene der GmbH .................................................................................. 48 ...... 21 I.

Einlage und/oder Gewinnerhöhung .......................................... 49 ...... 21

II. (Nicht-) Abziehbarkeit von Verlusten gemäß § 10d EStG und § 10a GewStG ...................................................................... 57 ...... 23 III. Nichtabziehbarkeit von Verlusten gemäß § 8c KStG .............. 62 ...... 25 1. Rechtsentwicklung .............................................................. 63 ...... 25 2. Verfassungswidrigkeit des § 8c KStG? .............................. 80 ...... 29 VII

Inhaltsverzeichnis

3. 4.

5. 6.

Rn.

Seite

a) Vorlagebeschluss des FG Hamburg zu § 8c KStG .... 80 b) Vorlagebeschluss des BFH zu § 10d EStG i. V. m. § 8c KStG ........................................................ 83 Persönlicher und sachlicher Anwendungsbereich ............. 86 Schädlicher Beteiligungserwerb .......................................... 88 a) Allgemeines .................................................................. 88 b) Gegenstände des schädlichen Beteiligungserwerbs und vergleichbare Sachverhalte ................................... 91 c) Kapitalerhöhung .......................................................... 94 d) Mittelbarer oder unmittelbarer schädlicher Beteiligungserwerb ...................................................... 95 e) Zeitpunkt des schädlichen Beteiligungserwerbs ...... 101 f) Fünf-Jahres-Zeitraum ................................................ 102 Erwerber ............................................................................ 107 Rechtsfolgen ...................................................................... 111 a) Zeitpunkt und Umfang der Nichtabziehbarkeit von nicht genutzten Verlusten .................................. 111 b) Unterjähriger schädlicher Beteiligungserwerb ......... 112 c) Körperschaftliche Organschaft (§ 14 KStG) ........... 114 d) Unternehmenssanierungen ....................................... 116 e) Vermeidungsstrategien .............................................. 117

...... 29

IV. Sanierungserlass ........................................................................ 1. Rechtsentwicklung ............................................................ 2. Rechtmäßigkeit ................................................................. a) Verstoß gegen die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung? ......................................................... b) Verstoß gegen EU-Beihilfe-Verbot? ........................ 3. Voraussetzungen des Sanierungserlasses ......................... a) Unternehmer- und unternehmensbezogene Sanierung .................................................................... b) Sanierungsgewinn aufgrund Schuldenerlass ............. c) Sanierungsbedürftigkeit ............................................ d) Sanierungsfähigkeit .................................................... e) Sanierungseignung ..................................................... f) Sanierungsabsicht ...................................................... g) Sanierungsplan ........................................................... h) Beurteilungszeitpunkt ............................................... i) Sanierungskosten ....................................................... j) Schuldenerlass durch Gesellschafter ......................... k) Zurechnung des Sanierungsgewinns ......................... 4. Rechtsfolgen des Sanierungserlasses ................................ 5. Gewerbesteuer ................................................................... 6. Nicht vom Sanierungserlass erfasste Steuern ..................

VIII

...... ...... ...... ......

30 32 32 32

...... 33 ...... 34 ...... ...... ...... ...... ......

34 35 36 37 39

...... ...... ...... ...... ......

39 39 40 40 40

121 ...... 41 122 ...... 41 125 ...... 42 125 ...... 42 126 ...... 43 128 ...... 44 128 131 136 142 143 144 145 147 148 149 150 151 162 167

...... ...... ...... ...... ...... ...... ...... ...... ...... ...... ...... ...... ...... ......

44 45 47 50 50 50 51 52 52 52 53 53 56 58

Inhaltsverzeichnis Rn.

Seite

D. Forderungsverzicht: Ertragsteuerliche Folgen auf Ebene des Gesellschafters ................................................................... 170 ...... 61 I.

Allgemeines ............................................................................... 171 ...... 61

II. Gesellschafter ist eine GmbH .................................................. 1. Gewinnminderung ............................................................ a) Rechtslage bis zum 31. Dezember 2007 (§ 8b Abs. 3 Satz 3 KStG) ......................................... b) Rechtslage ab dem 1. Januar 2008 (§ 8b Abs. 3 Satz 4 ff. KStG) .................................... 2. Darlehenszinsen ................................................................ III. Gesellschafter ist eine natürliche Person – Anteile an der GmbH und Forderung gegen die GmbH im Privatvermögen ......................................................................... 1. Zufluss ............................................................................... 2. Zuordnung von Aufwendungen ....................................... 3. § 20 EStG oder § 17 EStG? .............................................. 4. Exkurs: Nachträgliche Anschaffungskosten bei § 17 EStG ........................................................................... a) Geltungsgrund für nachträgliche Anschaffungskosten bei § 17 EStG .......................... b) Gesetzesänderungen .................................................. aa) Reaktion der Finanzverwaltung ....................... bb) Überblick über die Meinungen in der Literatur ............................................................. 5. Darlehenszinsen ................................................................

172 ...... 61 172 ...... 61 173 ...... 61 175 ...... 62 180 ...... 64

184 184 188 190

...... ...... ...... ......

66 66 67 67

198 ...... 70 199 ...... 70 207 ...... 73 208 ...... 75 209 ...... 76 210 ...... 79

IV. Gesellschafter ist eine natürliche Person – Anteile an der GmbH und Darlehen im Betriebsvermögen .................... 213 ...... 80 1. Gewinnminderung ............................................................ 213 ...... 80 2. Darlehenszinsen ................................................................ 220 ...... 82 E.

Forderungsverzicht: Schenkungsteuerliche Folgen ........... 222 ...... 83

I.

Einleitung .................................................................................. 222 ...... 83

II. Leistung ..................................................................................... 227 ...... 85 III. Vermögensverschiebung – Vermögensumschichtung ............ 228 ...... 85 IV. Bereicherungsabsicht ................................................................ 233 ...... 87 V. Widersprüchliches Verhalten ................................................... 239 ...... 89 VI. Insolvenzplan ............................................................................ 240 ...... 89 VII. § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG ........................................................... 241 ...... 90 VIII. Fazit ......................................................................................... 242 ...... 90 IX

Inhaltsverzeichnis Rn.

Seite

F.

Forderungsverzicht: Besonderheiten im Insolvenzplanverfahren ........................................................................... 243 ...... 91

I.

Zustimmung des Finanzamts ................................................... 243 ...... 91

II. Wesen der Forderungen nach Verzicht ................................... 247 ...... 92 III. Masseverbindlichkeiten ............................................................ 249 ...... 92 G. Rangrücktritt ........................................................................... 253 ...... 95 I.

Einleitung .................................................................................. 253 ...... 95

II. Rechtslage vor MoMiG ............................................................ 255 ...... 95 III. Rechtslage nach MoMiG .......................................................... 259 ...... 97 IV. Das dogmatische Konzept des IX. Senats des BFH für Rangrücktritte vor und nach MoMiG ..................................... 1. Zivilrechtliche Aspekte ..................................................... 2. Steuerliche Aspekte ........................................................... a) Kein Forderungsverzicht .......................................... b) Wirtschaftliche Belastung ......................................... aa) Allgemeine Grundsätze .................................... bb) § 5 Abs. 2a EStG ............................................... c) Fazit ............................................................................ 3. § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG ....................................................... 4. Formulierungsvorschlag ...................................................

261 262 267 269 270 270 277 285 287 288

...... 99 ...... 99 .... 101 .... 101 .... 102 .... 102 .... 104 .... 106 .... 107 .... 107

H. Rangrücktritt und Amtslöschung ......................................... 289 .... 109 I.

Schuldübernahme .................................................................... 293 .... 111

J.

Einlage und Tilgung der Gesellschafterforderung .............. 299 .... 113

K. Debt Mezzanine Swap ............................................................. 303 .... 115 L.

Umwandlung ........................................................................... 304 .... 117

I.

Einleitung .................................................................................. 304 .... 117

II. Umwandlung vor Insolvenzeröffnung .................................... 1. Verschmelzung .................................................................. a) Verschmelzung überschuldete Gesellschaft auf gesunde Gesellschaft ................................................. aa) Zulässigkeit ....................................................... bb) Sacheinlage ........................................................ cc) Schutz der Minderheitsgesellschafter und der Gläubiger des übernehmenden Rechtsträgers ..................................................... X

306 .... 118 306 .... 118 306 .... 118 306 .... 118 312 .... 119

316 .... 121

Inhaltsverzeichnis Rn.

2.

3. 4. 5.

b) Verschmelzung gesunde Gesellschaft auf überschuldete Gesellschaft ........................................ aa) Zulässigkeit ....................................................... bb) Sacheinlage ........................................................ cc) Schutz der Minderheitsgesellschafter und der Gläubiger des (gesunden) übertragenden Rechtsträgers ..................................................... Formwechsel ..................................................................... a) Personengesellschaft in Kapitalgesellschaft ............. b) Kapitalgesellschaft in Personengesellschaft ............. c) Kapitalgesellschaft in Kapitalgesellschaft ................. Spaltung ............................................................................. Insolvenzanfechtung ......................................................... Strafrechtliche Aspekte .....................................................

III. Umwandlung nach Insolvenzeröffnung – Schwerpunkt Ausgliederung ........................................................................... 1. Rechtslage nach ESUG ..................................................... 2. Ausgliederung statt Asset Deal ........................................ a) Allgemeines ................................................................ b) Voraussetzungen und Rechtsfolgen der Ausgliederung ............................................................ aa) Gesamtrechtsnachfolge .................................... bb) Keine Anwendung des § 133 UmwG .............. (1) Vorrang des Insolvenzrechts .................... (2) Gesamtwirkung des Erlasses ..................... (3) Erlass nach allgemeinen Regeln ................ c) Reichweite des Insolvenzplans ................................. aa) Ausgliederungsbeschluss .................................. bb) Handelsregisteranmeldung ............................... d) Steuerrechtliche Aspekte ........................................... aa) Keine Gesamtrechtsnachfolge im steuerlichen Sinne ............................................. bb) Ertragsteuern ..................................................... (1) Aufdeckung stiller Reserven ..................... (2) Weder Untergang noch Übergang von Verlustvorträgen ................................ cc) Sanierungserlass ................................................ dd) Umsatzsteuer .................................................... ee) Grunderwerbsteuer ........................................... ff) Steuerhaftung ....................................................

Seite

318 .... 121 318 .... 121 319 .... 121

320 322 322 323 324 325 326 327

.... .... .... .... .... .... .... ....

122 122 122 122 122 123 123 123

328 328 339 339

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124 124 129 129

342 342 349 350 354 357 359 359 360 361

.... .... .... .... .... .... .... .... .... ....

130 130 132 132 134 135 135 135 136 136

361 .... 136 362 .... 137 362 .... 137 365 369 370 372 373

.... .... .... .... ....

139 140 140 140 141

M. Aufrechnung ............................................................................ 374 .... 143 I.

Wesen der Aufrechnung ........................................................... 374 .... 143

II. Rechtsgrundlagen ..................................................................... 379 .... 144 XI

Inhaltsverzeichnis Rn.

1. 2. 3. 4.

Seite

Gegenseitigkeit von Haupt- und Gegenforderung ......... Gleichartigkeit von Haupt- und Gegenforderung .......... Erfüllbarkeit der Hauptforderung ................................... Fälligkeit der Gegenforderung .........................................

382 384 385 386

.... .... .... ....

145 145 145 145

III. Insolvenzrechtliche Aufrechnungsverbote ............................. 1. §§ 94, 95 InsO ................................................................... 2. § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO ..................................................... 3. § 96 Abs. 1 Nr. 2 InsO ..................................................... 4. § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO ..................................................... 5. § 96 Abs. 1 Nr. 4 InsO ..................................................... 6. Wegfall der Aufrechnungsverbote ...................................

387 387 390 392 393 395 396

.... .... .... .... .... .... ....

146 146 147 147 148 148 148

N. Steuerhaftung gemäß § 69 AO .............................................. 399 .... 151 I.

Einleitung .................................................................................. 399 .... 151

II. Überblick .................................................................................. 400 .... 151 III. Kreis der Vertreter .................................................................... 1. Vertreter einer GmbH ...................................................... 2. Insolvenzverwalter ............................................................ 3. (Vorläufiger) Sachwalter ...................................................

403 404 406 409

.... .... .... ....

152 153 153 155

IV. Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ............................ 416 .... 157 V. Abgrenzung zu §§ 60, 61 InsO ................................................ 419 .... 158 VI. Pflichtenprogramm und Pflichtverletzung ............................. 1. Steuererklärungspflicht ..................................................... 2. Steuerentrichtungspflicht ................................................. a) Allgemeines – Mittelvorsorgepflicht ........................ b) Insolvenzeröffnungsverfahren, insbesondere Eigenverwaltung ........................................................ aa) Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des eigenverwaltenden Schuldners ................... bb) Pflichtenkollision: Steuerzahlungspflicht versus Massesicherungspflicht ......................... cc) Auflösung der Pflichtenkollision: Vorrang der Massesicherungspflicht .............................. (1) Rechtsprechung zu § 64 GmbH a. F. (heute § 15a InsO) .................................... (2) Schaffung § 270 Abs. 3 InsO und Nichtanwendbarkeit § 55 Abs. 4 InsO .... (3) Vergleich mit der Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters mit Zustimmungsvorbehalt ............................. (4) Insolvenzanfechtung ................................. dd) Fazit ................................................................... XII

421 422 423 423

.... .... .... ....

158 159 159 159

425 .... 161 426 .... 161 427 .... 162 431 .... 163 432 .... 163 437 .... 165

438 .... 166 441 .... 167 445 .... 168

Inhaltsverzeichnis Rn.

3. 4. 5. 6. 7.

Pflicht zur anteiligen Tilgung ........................................... Beratungspflicht ................................................................ Mitwirkungs- und Auskunftspflicht ................................ Pflichten (-modifikation) bei Gesamtverantwortung ..... Ende der Pflichten .............................................................

449 454 455 457 459

Seite

.... .... .... .... ....

169 171 172 173 174

VII. Verschulden .............................................................................. 461 .... 174 VIII. Kausalität und Zurechnungszusammenhang zwischen Pflichtverletzung und Schaden ................................................ 466 .... 177 IX. Inanspruchnahme durch Haftungsbescheid ........................... 470 .... 179 X. Verjährung und Erlass .............................................................. 474 .... 181 XI. Beweisergebnisse anderer Gerichtsverfahren .......................... 477 .... 182 XII. Auskunft und Akteneinsicht ................................................... 478 .... 182 O. Steuerhaftung gemäß § 73 AO .............................................. 480 .... 185 P.

Steuerhaftung gemäß § 74 AO .............................................. 482 .... 187

Stichwortverzeichnis .................................................................................... 189

XIII

Literaturverzeichnis Kommentare, Handbücher, Monographien Baumbach/Hopt Handelsgesetzbuch, 36. Aufl., 2014 (zit.: Bearbeiter, in: Baumbach/Hopt, HGB) Beck’scher Bilanzkommentar herausgegeben von Förschle/Grottel/Schmidt et al., 9. Aufl., 2014 (zit.: Bearbeiter, in: Beck’scher Bilanzkommentar) Blümich EStG, KStG, GewStG, Kommentar, Loseblatt, Stand: November 2014 (zit.: Blümich-Bearbeiter, EStG/KStG/GewStG) Boruttau GrEStG, 17. Aufl., 2011 (zit.: Bearbeiter, in: Boruttau, GrEStG) Budde/Förschle/Winkeljohann (Hrsg.) Sonderbilanzen, 4. Aufl., 2008 (zit.: Budde/Förschle/Winkeljohann-Bearbeiter, Sonderbilanzen) Bunjes (Hrsg.) UStG, Kommentar, 14. Aufl., 2015 (zit.: Bearbeiter, in: Bunjes, UStG) Dötsch/Pung/Möhlenbrock KStG, Kommentar, Loseblatt, Stand: Dezember 2014 (zit.: Dötsch/Pung/Möhlenbrock-Bearbeiter, KStG) Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn (Hrsg.) HGB, Kommentar, 2. Aufl. 2008 f. (zit.: Bearbeiter, in: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB) Flöther (Hrsg.) Handbuch zum Konzerninsolvenzrecht, 2015 (zit.: Bearbeiter, in: Flöther, Handbuch zum Konzerninsolvenzrecht) Frotscher Besteuerung bei Insolvenz, 8. Aufl., 2014 Frotscher/Geurts EStG, Kommentar, Loseblatt, Stand: Februar 2015 (zit.: Frotscher/Geurts-Bearbeiter, EStG) Frotscher/Maas KStG, Kommentar, Loseblatt, Stand: Dezember 2014 (zit.: Frotscher/Maas-Bearbeiter, KStG)

XV

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Goette/Kleindiek Gesellschafterfremdfinanzierung nach MoMiG und das Eigenkapitalersatzrecht in der Praxis, 6. Aufl., 2010 Gosch (Hrsg.) KStG, Kommentar, 2. Aufl., 2009 (zit.: Gosch-Bearbeiter, KStG) Heckschen Umwandlungsrecht und Insolvenz, in: Festschrift Widmann, 2000, S. 31 Herrmann/Heuer/Raupach EStG, KStG, Kommentar, Loseblatt, Stand: Januar 2015 (zit.: Herrmann/Heuer/Raupach-Bearbeiter, EStG) Hirte/Knof/Mock Das neue Insolvenzrecht nach dem ESUG, 2012 Hübschmann/Hepp/Spitaler AO, FGO, Kommentar, Loseblatt, Stand: März 2015 (zit.: Hübschmann/Hepp/Spitaler-Bearbeiter, AO) Jacobs Unternehmensbesteuerung und Rechtsform, 4. Aufl., 2009 Kahlert/Rühland Sanierungs- und Insolvenzsteuerrecht, 1. Aufl., 2007; 2. Aufl., 2011 (zit.: Kahlert/Rühland-Bearbeiter, Sanierungs- und Insolvenzsteuerrecht) Klein (Hrsg.) AO, Kommentar, 12. Aufl., 2014 (zit.: Klein-Bearbeiter, AO) Koenig (Hrsg.) AO, Kommentar, 3. Aufl., 2014 (zit.: Koenig-Bearbeiter, AO) Kölner Schrift zur Insolvenzordnung hrsg. v. Arbeitskreis für Insolvenz- und Schiedsgerichtswesen, 3. Aufl., 2009 (zit.: Bearbeiter, in: Kölner Schrift zur Insolvenzordnung) Kübler (Hrsg.) HRI – Handbuch Restrukturierung in der Insolvenz, 1. Aufl., 2012 und 2. Aufl., 2015 (zit.: Bearbeiter, in: Kübler, HRI) Kübler/Prütting/Bork (Hrsg.) InsO, Kommentar, Loseblatt, 59. EL, 2014, Stand: Juni 2014 (zit.: Kübler/Prütting/Bork-Bearbeiter, InsO) Limmer Handbuch der Unternehmensumwandlung, 4. Aufl., 2012 (zit.: Bearbeiter, in: Handbuch der Unternehmensumwandlung)

XVI

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Littmann/Bitz/Pust EStG, Kommentar, Loseblatt, Stand: Februar 2015 (zit.: Littmann/Bitz/Pust-Bearbeiter, EStG) Maus Steuern im Insolvenzverfahren, 2004 Münchner Kommentar zur Insolvenzordnung Bd. 1 bis Bd. 3, hrsg. v. Kirchhof/Eidenmüller/Stürner, 3. Aufl., 2013 (zit.: Bearbeiter, in: MünchKomm-InsO) Nacke Die Haftung für Steuerschulden, 3. Aufl., 2012 Nerlich/Römermann (Hrsg.) InsO, Kommentar, Loseblatt, Stand: Juni 2014 (zit.: Bearbeiter, in: Nerlich/Römermann, InsO) Noack/Bunke Zur Stellung gesamtschuldnerisch oder akzessorisch Mithaftender im Insolvenzverfahren, in: Festschrift Uhlenbruck, 2000, S. 335 Olbing Sanierung durch Steuergestaltung, 3. Aufl., 2003 Koenig AO, Kommentar, 3. Aufl., 2014 (zit.: Koenig-Bearbeiter, AO) Palandt BGB, Kommentar, 74. Aufl., 2015 (zit.: Palandt-Bearbeiter, BGB) Pannen/Deuchler/Kahlert/Undritz Sanierungsberatung, 2004 (zit.: Pannen/Deuchler/Kahlert/Undritz-Bearbeiter, Sanierungsberatung) Reul/Heckschen/Wienberg Insolvenzrecht in der Gestaltungspraxis, 2012 (zit.: Bearbeiter, in: Reul/Heckschen/Wienberg, Insolvenzrecht in der Gestaltungspraxis) Rödder/Herlinghaus/van Lishaut UmwStG, 2. Aufl., 2013 (zit.: Bearbeiter, in: Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG) Schmidt (Hrsg.) EStG, Kommentar, 34. Aufl., 2015 (zit.: Schmidt-Bearbeiter, EStG) Schmidt, K. InsO, Kommentar, 18. Aufl., 2013 (zit.: Bearbeiter, in: K. Schmidt, InsO)

XVII

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Schmidt/Uhlenbruck Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, 4. Aufl., 2009 (zit.: Schmidt/Uhlenbruck-Bearbeiter, Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz) Schmitt/Hörtnagl/Stratz UmwG, UmwStG, Kommentar, 6. Aufl., 2013 (zit.: Bearbeiter, in: Schmitt/Hörtnagl/Stratz, UmwG) Smid/Rattunde/Martini Der Insolvenzplan, 3. Aufl., 2012 Thole Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen in der Insolvenz, 2. Aufl., 2015 Tipke/Kruse (Hrsg.) AO/FGO, Kommentar, Loseblatt, Stand: März 2015 (zit.: Tipke/Kruse-Bearbeiter, AO/FGO) Tipke/Lang Steuerrecht, 21. Aufl., 2013 Troll/Gebel/Jülicher ErbStG, Kommentar, Loseblatt, Stand: Oktober 2014 (zit.: Troll/Gebel/Jülicher-Bearbeiter, ErbStG) Uhlenbruck (Hrsg.) InsO, Kommentar, 13. Aufl., 2010 (zit.: Bearbeiter, in: Uhlenbruck, InsO) Undritz VorläufigeEigenverwltung? Der Weg des Schuldners zur Eigenverwaltung zwischen Skylla und Charybdis, in: Festschrift Wehr, 2012, S. 1 Widmann/Mayer UmwG, UmwStG, Kommentar, Loseblatt, Stand: September 2013 (zit.: Bearbeiter, in: Widmann/Mayer, UmwG)

XVIII

A. Grundlagen I. Zivilrechtlicher Rahmen Ein wesentlicher Vorteil außergerichtlicher Sanierungen von Unternehmen 1 wird darin erblickt, dass in diesem Fall noch (finanzielle) Spielräume für eine Sanierung bestünden. Demgegenüber gleiche die Sanierung eines Unternehmens im Insolvenzverfahren angesichts massenhafter Insolvenzverschleppungen der „Wiederbelebung eines Toten“.1) Es sollen an dieser Stelle nicht das Für und Wider einer außergerichtlichen Sanierung von Unternehmen diskutiert werden. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass bei außergerichtlichen Sanierungen die allgemeinen Regeln, insbesondere die allgemeinen Vorschriften des Gesellschaftsrechts, des Insolvenzrechts und des Strafrechts zu beachten sind. So scheiden Gesellschafter, die ohne Sanierungsbeitrag Gesellschafter bleiben wollen und damit ein „Blockadepotential“ bilden können, nur nach den Regeln der Rechtsprechung des BGH (Sanieren oder Ausscheiden) aus der Gesellschaft aus.2) Ebenso ist ein Eingriff in Gläubigerrechte nicht möglich. Weiter haben die Beteiligten an einer außergerichtlichen Sanierung zivilrechtliche Schadensersatzpflichten und Strafbarkeiten zu beachten.3) Mit dem Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen 2 vom 7. Dezember 2011 („ESUG“)4) verfolgt der Gesetzgeber das Ziel, die bereits in der Insolvenzordnung mit dem Insolvenzplan angelegte Sanierung von Unternehmen im Insolvenzverfahren (§§ 1 Abs. 1 Satz 1, 217 ff. InsO) weiter zu fördern. Die Unternehmen sollen einen Insolvenzantrag bereits zu einem Zeitpunkt stellen, in dem noch (finanzielle) Spielräume für eine Sanierung bestehen. Dies geschieht im Einzelnen durch die Stärkung des Einflusses der Gläubiger auf das Insolvenzverfahren, durch eine Vereinfachung des Zugangs des Unternehmens zur Eigenverwaltung und durch eine attraktivere Gestaltung des Insolvenzplanverfahrens.5) Letzteres ist insbesondere durch die Einbeziehung der Anteils- und Mitgliedschaftsrechte (§§ 217 Satz 2, 225a InsO) in den Insolvenzplan erfolgt. Danach können im Insolvenzplan nunmehr sämtliche Sanierungsmaßnahmen geregelt werden, die in Anteils- und Mitgliedschaftsrechte eingreifen. So können im Insolvenzplan vorgesehen werden die Umwandlung von Forderungen der Gläubiger in Anteils- und Mitgliedschaftsrechte (Debt Equity Swap), das Ausscheiden von Gesellschaftern und die Umwandlung des Unternehmens.6) ___________ 1) 2) 3) 4) 5) 6)

Vgl. dazu Undritz, in: Kübler, HRI, 1. Aufl. 2012, § 2 Rn. 34. Vgl. dazu Schöne, ZIP 2015, 501 m. w. N. Vgl. dazu Undritz/Knof, in: Kübler, HRI, § 3. BGBl. I 2011 S. 2582. Gemäß Art. 10 ESUG ist das Gesetz zum 1.3.2012 in Kraft getreten. Vgl. dazu Flöther, ZIP 2012, 1833, 1836 ff. und Kübler, in: Kübler, HRI, § 1 Rn. 32 ff. Vgl. zur Umwandlung in der Insolvenz Rn. 328 ff.

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A. Grundlagen

3 Ebenso zielt der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen vom 30. Januar 2014 durch die geplante bessere Abstimmung der Einzelinsolvenzverfahren auf eine verbesserte Sanierung von Unternehmen im Insolvenzverfahren ab. Denn der Gesetzentwurf geht in zutreffender Weise davon aus, dass durch die bessere Abstimmung die wirtschaftliche Einheit des Konzerns und der daraus folgende Mehrwert im Interesse der Gläubiger genutzt werden kann.7) Insbesondere erfolgt dies durch eine Erhöhung der Sanierungschancen der betroffenen Unternehmen.8) 4 Die Europäische Kommission hat am 12. März 2014 eine Empfehlung für einen neuen Ansatz im Umgang mit unternehmerischem Scheitern und Unternehmensinsolvenzen vorgelegt.9) Die Empfehlung sieht insbesondere einen präventiven Restrukturierungsrahmen vor. Der zur Verfügung stehende Rahmen (III. A.) soll es dem Schuldner ermöglichen, eine Restrukturierung in einer frühen Phase vornehmen, die Kontrolle über sein Unternehmen zu behalten und die Aussetzung einzelner Durchsetzungsmaßnahmen beantragen zu können. Weiter soll ein von der Mehrheit angenommener Restrukturierungsplan für alle Gläubiger verbindlich sein, vorausgesetzt, der Plan wird gerichtlich bestätigt. Schließlich sollen neue Finanzierungsmöglichkeiten, die für die Umsetzung des Restrukturierungsplans erforderlich sind, rechtswirksam sein. Sodann werden diese Kriterien im Rahmen von Regelungen zur Erleichterung der Verhandlungen über Restrukturierungspläne (III. B.) und zu Restrukturierungsplänen (III. C.) im Einzelnen konkretisiert. 5 Die Bundesregierung vertritt die Meinung, die Empfehlung mit dem ESUG bereits umgesetzt zu haben und sieht keinen Handlungsbedarf.10) In der Literatur wird das teils anders beurteilt. Aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber die Maßnahmen des ESUG in das „normale Insolvenzverfahren“ integriert habe, ergäben sich erhebliche Nachteile.11) II. Steuerrechtlicher Rahmen 1. Besteuerung im Insolvenzverfahren 6 Aus § 1 Abs. 1 Satz 1 InsO ergibt sich, dass die vormals in § 61 Abs. 1 Nr. 2 KO geregelten Fiskusvorrechte mit der am 1. Januar 1999 in Kraft getretenen Insolvenzordnung abgeschafft worden sind. Denn nach dieser Vorschrift dient die Insolvenzordnung dazu, die Gläubiger eines Schuldners gemeinschaft___________ 7) BT-Drucks. 18/407, S. 1 (unter A.). 8) BT-Drucks. 18/407, S. 24 (unter A.V.2); siehe zu den steuerlichen Aspekten der Konzerninsolvenz Kahlert, in: Flöther, Handbuch zum Konzerninsolvenzrecht, § 6. 9) Empfehlung 2014/135/EU v. 12.3.2014, ABl. L 74/65. 10) Vorträge des Bundesministers der Justiz und für Verbraucherschutz Heiko Maas auf dem 11. und 12. Deutschen Insolvenzrechtstag am 3.4.2014 und 19.3.2015 in Berlin, ZInsO 2014, 819, 821 (betreffend Vortrag am 3.4.2014). 11) So Lürken, NZI 2015, 3, 7 f.; vgl. Degenhardt, NZI 2014, 433, zur Rechtslage in Frankreich nach der Reform des französischen Insolvenzrechts vom 13.3.2014.

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II. Steuerrechtlicher Rahmen

lich zu befriedigen, indem das Vermögen des Schuldners verwertet und der Erlös verteilt oder in einem Insolvenzplan eine abweichende Regelung insbesondere zum Erhalt des Unternehmens getroffen wird. Danach genießen Steuerforderungen im Insolvenzverfahren keine Vorrechte mehr, der Fiskus ist wie jeder andere Insolvenzgläubiger zu behandeln.12) Deshalb hat der Fiskus Steuerforderungen, die gemäß § 38 InsO vor Insolvenzeröffnung begründet worden sind (Insolvenzforderungen), zur Insolvenztabelle anzumelden und ist insoweit auf die (in der Regel wertlose) Insolvenzquote verwiesen. Allerdings regeln weder Steuerrecht noch Insolvenzrecht, wie das Steuer- 7 recht mit dem Insolvenzrecht zu verzahnen ist, um den in § 1 Abs. 1 Satz 1 InsO niedergelegten Gläubigergleichbehandlungsgrundsatz zu verwirklichen. Nur einzelne Vorschriften nehmen sich der Schnittstelle Steuerrecht/Insolvenzrecht an.13) Es existiert kein kodifiziertes Insolvenzsteuerrecht. Vielmehr ist entscheidend, ob und wie die allgemeinen steuerlichen Regelungen – insbesondere auf Grundlage der Rechtsprechung des BFH und den Erlassen der Finanzverwaltung – auf Insolvenzsachverhalte anzuwenden sind. Daran hat auch das ESUG nichts geändert, das keine einzige steuerliche Vorschrift enthält. Seit Inkrafttreten der Insolvenzordnung am 1. Januar 1999 haben der Ge- 8 setzgeber – durch Schaffung von gesetzlichen Vorschriften – und die Finanzgerichte – durch Auslegung von gesetzlichen Vorschriften – wieder Fiskusvorrechte eingeführt. Hierbei kommt es in zwei bedeutsamen Fallgruppen zu einer Schmälerung der Insolvenzmasse, wodurch sich die Aussichten auf eine erfolgreiche Sanierung verschlechtern. Erstens geht es um die Aufwertung von Insolvenzforderungen des Fiskus zu Masseverbindlichkeiten im Insolvenzeröffnungsverfahren und um die Ausweitung von Masseverbindlichkeiten zugunsten des Fiskus im eröffneten Insolvenzverfahren,14) die nach § 53 InsO vorrangig aus der Insolvenzmasse zu berichtigen sind. Im Vergleich zum vormaligen § 61 Abs. 1 Nr. 2 KO wirkt diese Technik sanierungsfeindlich, weil anders als bei § 61 Abs. 1 Nr. 2 KO keine vorrangige Verteilung der Masse am Ende des Verfahrens erfolgt, sondern ein vorrangiger Zugriff im laufenden Insolvenzverfahren, wodurch der Masse für die Sanierung erforderliche Liquidität entzogen wird. Zweitens geht es um die Befugnis des Fiskus, Steuererstattungsansprüche mit Insolvenzforderungen aufzurechnen.15) Auch hierdurch geht dem Insolvenzschuldner für die Sanierung erforderliche Liquidität verloren. Darüber hinaus versucht der Fiskus sein Ausfallrisiko im Insolvenzverfahren auf zwei weiteren bedeutsamen Wegen zu vermindern, auch wenn diese nicht unmittelbar zu einer Schmälerung der ___________ 12) Vgl. Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, S. 61. 13) Vgl. im Einzelnen Kahlert/Rühland-Kahlert, Sanierungs- und Insolvenzsteuerrecht, Rn. 7.102 ff. 14) Vgl. dazu Kahlert, ZIP 2010, 1274, ders., FR 2014, 731, ders., ZIP 2014, 1101. 15) Vgl. dazu im Einzelnen unter Rn. 374 ff.

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A. Grundlagen

Masse führen. Zum einen sind hier Vorschriften zu nennen, mit denen die Steuerschuldnerschaft auf den nach Ansicht des Gesetzgebers weniger insolvenzanfälligen Leistungsempfänger verlagert wird. Hierzu gehören insbesondere § 13b UStG und §§ 48 ff. EStG. Zum anderen handelt es sich um Vorschriften betreffend die Steuerhaftung, mit denen der Fiskus versucht, sich schadlos zu halten. Hier ist nicht nur § 69 AO zu berücksichtigen, den der VII. Senat des BFH mit Blick auf die Rechtsfolgen einer Insolvenzanfechtung zugunsten des Fiskus auf eine neue dogmatische Grundlage gestellt hat.16) In diesem Zusammenhang sind auch zu nennen § 73 AO (Haftung der Organgesellschaft), § 74 AO (Sachhaftung)17) sowie § 13c UStG (Haftung des Abtretungsempfängers). 2. Besteuerung von Sanierungsmaßnahmen 9 Bei Sanierungsmaßnahmen im Rahmen einer außergerichtlichen Sanierung ist zu berücksichtigen, dass eine Vielzahl von Vorschriften eine die Krise verschärfende Wirkung hat. Beispielhaft sollen hier nur genannt werden die Mindestbesteuerung gemäß § 10d EStG,18) der Verlust der Verlustvorträge nach § 8c KStG19) sowie die Zinsschranke nach §§ 4h EStG, 8a KStG20). Zudem ist nach Aufhebung des § 3 Nr. 66 EStG 1977 der auf einem Schuldenerlass beruhende Gewinn steuerpflichtig und eine entsprechende Steuer kann nur noch auf Grundlage des sog. Sanierungserlasses des BMF aus 200321) abgewendet werden. 10 Im Rahmen der Sanierung eines Unternehmens im Insolvenzverfahren kann die Sanierung nicht nur – wie vorstehend dargestellt – durch die Schmälerung der Insolvenzmasse auf Grundlage von Vorschriften, welche die Krise verschärfen und Fiskusvorrechten gefährdet werden, sondern auch durch Steuern,

___________ 16) 17) 18) 19) 20)

Vgl. dazu im Einzelnen unter Rn. 399 ff. Vgl. dazu im Einzelnen unter Rn. 480 f und Rn. 482. Vgl. dazu im Einzelnen unter Rn. 57 ff. Vgl. dazu im Einzelnen unter Rn. 62 ff. Der BFH hat mit Beschl. v. 18.12.2013 – I B 85/13, BStBl II 2014, 947, in einem Verfahren zum vorläufigen Rechtsschutz Zweifel an der Vereinbarkeit des § 4h EStG geäußert und deshalb die Aussetzung der Vollziehung gewährt. Nach dem BMF-Schreiben v. 13.11.2014 – IV C 2-S 2742-a/07/10001:009, BStBl I 2014, 1516, ist der Beschluss im Einvernehmen mit den obersten Finanzbehörden der Länder über den entschiedenen Einzelfall nicht anzuwenden. 21) BMF-Schreiben v. 27.3.2003, IV A 6 – S 2140 – 8/03, BStBl I 2003, 240; vgl. dazu im Einzelnen unter Rn. 121 ff.

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II. Steuerrechtlicher Rahmen

die durch Sanierungsmaßnahmen im Insolvenzverfahren ausgelöst werden.22) In diesem Fall stellt sich die Frage, ob und wenn ja welchen Einfluss das Insolvenzverfahren auf die steuerliche Beurteilung der Sanierungsmaßnahme hat. Im Kern geht es um die Frage, ob solche Steuern als Masseverbindlichkeiten zu beurteilen und somit vorrangig aus der Masse zu bezahlen sind.23) Ebenso wie das Insolvenzsteuerrecht hat auch das Sanierungssteuerrecht bis- 11 lang keine Kodifizierung erfahren. Vergleichbar mit dem Insolvenzsteuerrecht ist somit bei der steuerlichen Beurteilung von Sanierungsmaßnahmen vor dem und im Insolvenzverfahren entscheidend, ob und wie die allgemeinen steuerlichen Regelungen auf Sanierungsmaßnahmen anzuwenden sind. 3. Einheit von Sanierungs- und Insolvenzsteuerrecht Aus dem Gesagten wird deutlich, dass Sanierungs- und Insolvenzsteuerrecht 12 bei der Sanierung von Unternehmen im Insolvenzverfahren zwei Seiten einer Medaille sind. Sie können nicht unabhängig voneinander betrachtet werden.24) Da das ESUG das Ziel hat, die Sanierung im Insolvenzverfahren durch vermehrte Anwendung des Insolvenzplans zu stärken,25) hat das Sanierungssteuerrecht für die Insolvenzpraxis erheblich an Bedeutung gewonnen. Die Entscheidung des Gesetzgebers, mit dem ESUG die Sanierung von Unternehmen im Insolvenzverfahren zu fördern, steht im Widerspruch zu den vorstehend dargestellten sanierungsfeindlichen Tendenzen im Sanierungsund Insolvenzsteuerrecht. Angesichts der sanierungsfeindlichen Entwicklungen im Steuerrecht haben 13 maßgebliche Verbände in der Berliner Erklärung zu Sanierung und Insolvenz ___________ 22) Vor diesem Hintergrund hat auch der Bundesrat in seiner Stellungnahme zum Regierungsentwurf des ESUG (BR-Drucks. 127/11, S. 43 f.) erklärt, er würde steuerliche Regelungen begrüßen, welche den Beteiligten eine gesicherte Planung über die ertragsteuerliche Behandlung von Sanierungsgewinnen innerhalb eines Insolvenzplanverfahrens ermöglichen. Die Bundesregierung hat in ihrer Gegenäußerung erwidert, im Gesetzgebungsverfahren prüfen zu wollen, ob zur Erleichterung von Sanierungen weitere Maßnahmen im Steuerrecht geboten sind (BT-Drucks. 17/5712, S. 129). Angesichts dieser inhaltsleeren Ankündigung war nicht zu erwarten, dass im Gesetzgebungsverfahren noch flankierende steuerliche Regelungen in das ESUG Einzug halten würden, vgl. dazu Pape, ZInsO 2011, 1033, 1035 und Kahlert, INDat-Report 2011, 20; vgl. auch Stellungnahme des IDW vom 1.6.2011 zum Regierungsentwurf; Herzig/Liekenbrock, Ubg 2011, 313, Boochs, BB 2011, 857. 23) Vgl. dazu Rn. 249. 24) Das hat der Bundesrat in seiner Stellungnahme zum Regierungsentwurf des ESUG (BR-Drucks. 127/11, S. 43 f.) verkannt. Es war widersprüchlich, dass er zwar einerseits verlässliche Regelungen für die steuerliche Behandlung von Sanierungsgewinnen angeregt, andererseits jedoch Fiskusvorrechte in Form des Erhalts bzw. der Rückgabe von Aufrechnungsmöglichkeiten sowie eine Einbeziehung der Eigenverwaltung in § 55 Abs. 4 InsO gefordert hat (BR-Drucks. 127/11, S. 6 f. und S. 36 f.). Deshalb war es zu begrüßen, dass die Bundesregierung in ihrer Gegenäußerung beiden Vorschlägen eine klare Absage erteilt hat (BT-Drucks. 17/5712, S. 111 und S. 112 f.). Beide Vorschläge sind nicht Gesetz geworden. 25) Vgl. dazu Rn. 2 f.

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A. Grundlagen

im Oktober 2011, der sich das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz angeschlossen hat, auf die dringende Notwendigkeit der Harmonisierung von Sanierungsrecht und Steuerrecht hingewiesen und zu diesem Zweck eine Gesetzgebungskommission angeregt.26) Die angeregte Kommission zur Harmonisierung des Steuer- und Insolvenzrechts hat unter Leitung von Prof. Dr. Roman Seer, Ruhr-Universität Bochum, im Oktober 2012 ihre Arbeit aufgenommen und hat inzwischen im Herbst 2014 einen Abschlussbericht vorlegen können.27) 14 Der Bundestagabgeordnete Prof. Dr. Hirte hat in seiner Rede im Rahmen der 1. Lesung zu dem Regierungsentwurf zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen vom 30. Januar 2014 im Deutschen Bundestag am 14. Februar 2014 zu Recht die Meinung vertreten, im Schnittbereich zum Insolvenzrecht gebe es reihenweise Unklarheiten, die wie Blei über dem Erfolg einer Sanierung lasteten. Vor diesem Hintergrund hat er weiter zu Recht für eine Verzahnung des Insolvenzrechts mit dem Steuerrecht plädiert.28) Im Rahmen der Anhörung zu diesem Entwurf am 2. April 2014 haben auch die Sachverständigen eine bessere Verzahnung des Insolvenzrechts mit dem Steuerrecht gefordert.29) III. Die steuerlichen Interessen von GmbH und GmbH-Gesellschafter 15 Bei der Sanierung eines Unternehmens spielen – wie vorstehend dargestellt – Steuerlasten eine bedeutende Rolle, da sie den Erfolg der Sanierung vereiteln können. 16 Für die GmbH sind mit Blick auf derartige Steuerlasten zwei Fragenkreise zu unterscheiden: Erstens ist die Frage zu beantworten, ob Sanierungsmaßnahmen der Gesellschafter oder der Drittgläubiger, beispielsweise ein Forderungsverzicht oder ein Rangrücktritt, auf Ebene der GmbH Ertragsteuern – im Falle einer Gewinnerhöhung – oder andere Steuern – insbesondere Umsatzsteuern – auslösen könnten. In diesem Zusammenhang ist auch von Bedeutung, ob die GmbH berechtigt ist, Verluste im Wege des unterjährigen Verlustausgleichs oder im Wege des Veranlagungszeitraum übergreifenden Verlustabzuges geltend zu machen, um eine etwaige Gewinnerhöhung zu vermeiden oder zu vermindern. Zweitens ist die Frage zu beantworten, ob und unter welchen Voraussetzungen eine auf einer Sanierungsmaßnahme beruhende Steuer durch den Fiskus zu erlassen ist. ___________ 26) Vgl. ZInsO 2011, 2077 (Verbände) und INDat-Report 02/2012, 8, 9 (BMJV). 27) Der Abschlussbericht ist veröffentlicht als Beilage 2 zu ZIP-Heft 42/2014; vgl. dazu die (größtenteils unsachliche) Stellungnahme von Schmittmann, INDat-Report 08/2014, 34. 28) Hirte hat in einem anschließenden Interview gemeint, man müsse sicherlich zunächst die Ergebnisse der sog. Seer-Kommission abwarten, INDat-Report 01/2014, 18, 21 f. 29) Vgl. dazu ZIP 2014, A 30 Nr. 110; dazu auch das Gutachten des Verfassers für den Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestages, ZIP 2014, 1101.

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IV. Gang der Darstellung

Für den GmbH-Gesellschafter sind ebenfalls zwei Fragenkreise von Bedeu- 17 tung: Zum einen stellt sich die Frage, ob der Gesellschafter Verluste aus Sanierungsmaßnahmen steuerlich geltend machen kann. Die Beantwortung dieser Frage ist davon abhängig, ob der Anteil des Gesellschafters an der GmbH und die von ihm eingesetzten Finanzierungsmittel seinem Privatvermögen oder seinem Betriebsvermögen zuzuordnen sind. Zum anderen ist zu beurteilen, ob eine Sanierungsmaßnahme auf Ebene des Gesellschafters Steuerlasten auslösen könnte. Das kommt beispielsweise dann in Betracht, wenn der Forderungsverzicht beim Gesellschafter einen Einkunftstatbestand verwirklichen oder andere Steuern – beispielsweise Umsatzsteuern – auslösen würde. IV. Gang der Darstellung Nach dem Gesagten ergibt sich eine Vielzahl möglicher Kombinationen 18 steuerlicher Faktoren, die auf die steuerliche Beurteilung einer Sanierungsmaßnahme Einfluss haben. Somit entziehen sich die steuerlichen Folgen einer Sanierungsmaßnahme einer einheitlichen Antwort. Aus diesem Grunde ist Ausgangspunkt der nachfolgenden Ausführungen grundsätzlich die konkrete Sanierungsmaßnahme. Hieran anknüpfend werden die Steuerfolgen erörtert. Zudem sollen mit Blick auf die Sanierung eines Unternehmens die Grundzüge der Aufrechnung und der Steuerhaftung dargestellt werden. Da die steuerlichen Folgen einer Sanierungsmaßnahme von der Besteuerung der GmbH und ihrer Gesellschafters geprägt werden, soll zunächst ein diesbezüglicher Überblick gegeben werden.

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B. Überblick über die Besteuerung der GmbH und ihrer Gesellschafter I. Besteuerung der GmbH 1. Allgemeines Bei Personengesellschaften gilt das sog. Transparenzprinzip.30) Danach wird 19 eine Personengesellschaft für ertragsteuerliche Zwecke grundsätzlich als transparent behandelt, also nicht als ein eigenständiges Steuersubjekt betrachtet. Die ertragsteuerlichen Folgen treffen daher nicht die Personengesellschaft, sondern direkt ihre Gesellschafter. Die Personengesellschaft ist lediglich Steuerermittlungsobjekt. Dies bedeutet, dass auf Ebene der Personengesellschaft der maßgebliche zu versteuernde Gewinn im Wege einer einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellung nach §§ 179 ff. AO ermittelt wird. Die auf Ebene einer Personengesellschaft ermittelten Einkünfte werden den Gesellschaftern der Personengesellschaft entsprechend dem gesellschaftsvertraglichen Gewinnverteilungsschlüssel mit Ablauf des Wirtschaftsjahres automatisch zugerechnet.31) Für die beim einzelnen Gesellschafter sich hieraus tatsächlich ergebende Steuer sind sodann grundsätzlich allein dessen persönliche Verhältnisse maßgeblich. Dieses Transparenzprinzip gilt jedoch nicht für die Gewerbesteuer (§ 5 GewStG) und auch nicht für die Umsatzsteuer (§§ 13a, 13b UStG). Diese Steuern entstehen auf Ebene der Personengesellschaft und sind auch unmittelbar von dieser zu entrichten. Die Gewerbesteuer kann allerdings vom Gesellschafter, wenn es sich um eine natürliche Person handelt, nach § 35 EStG auf seine Einkommensteuer angerechnet werden. Demgegenüber gilt bei Kapitalgesellschaften wie der GmbH das sog. Tren- 20 nungsprinzip.32) Danach ist eine GmbH entsprechend ihrer zivilrechtlichen Eigenschaft als Körperschaft stets als eigenständiges Steuersubjekt für Ertragsteuerzwecke anzusehen, § 1 Abs. 1 KStG, § 5 GewStG. Dies gilt auch für die Umsatzsteuer, §§ 13a, 13b UStG. Dementsprechend entstehen die Steuern auf Ebene der GmbH und sind auch von dieser zu begleichen. Die persönlichen Verhältnisse der Gesellschafter sind für die Besteuerung der GmbH grundsätzlich unerheblich, die GmbH schafft somit wie auf zivilrechtlicher Ebene auch eine Abschottungswirkung aus steuerlicher Sicht. Die Gewinne der GmbH verbleiben in dieser und werden dort zunächst thesauriert. Erst dann, wenn die Gesellschafter einen Ausschüttungsbeschluss fassen, werden

___________ 30) Jacobs, Unternehmensbesteuerung und Rechtsform, S. 94 ff.; Hey, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 18 Rn. 9 ff. m. w. N. 31) Vgl. Schmidt-Wacker, EStG, § 15 Rn. 441. 32) Jacobs, Unternehmensbesteuerung und Rechtsform, S. 94 ff.; Gosch-Lambrecht, KStG, § 1 Rn. 20 ff.; Blümich-Rengers, KStG, § 1 Rn. 10.

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B. Überblick über die Besteuerung der GmbH und ihrer Gesellschafter

Gewinnanteile (Dividenden) ausgeschüttet. Erst durch diese Ausschüttung entstehen bei den Gesellschaftern steuerbare Einkünfte.33) 2. Umsatzsteuerliche Organschaft 21 Die in § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG geregelte umsatzsteuerliche Organschaft durchbricht das Trennungsprinzip. Sie liegt vor, wenn eine juristische Person (hier GmbH) nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert ist. Rechtsfolge der umsatzsteuerlichen Organschaft ist, dass die durch und die an die Organgesellschaft ausgeführten Lieferungen und sonstigen Leistungen dem Organträger zugerechnet werden. Kraft dieser Zurechnung verwirklicht der Organträger die Umsatzsteuertatbestände und hat die Berechtigung zum Vorsteuerabzug. Die Organgesellschaft ist mangels Selbstständigkeit keine Unternehmerin. Vielmehr ist sie Teil des Unternehmens des Organträgers. Der Leistungsaustausch zwischen Organgesellschaft und Organträger ist aus umsatzsteuerrechtlicher Sicht als unbeachtlicher Innenumsatz zu beurteilen.34) 22 Nach § 73 AO haftet eine Organgesellschaft für solche Steuern des Organträgers, für welche die Organschaft zwischen ihnen von Bedeutung ist.35) Organträger als Steuerschuldner und Organgesellschaft als Haftungsschuldner sind nach § 44 Abs. 1 AO Gesamtschuldner. Auf dieser Grundlage hat der Organträger nach § 426 Abs. 1 BGB gegen die Organgesellschaft einen Anspruch auf Zahlung eines Betrages in Höhe der durch die Organgesellschaft verursachten Umsatzsteuer.36) Umgekehrt hat die Organgesellschaft einen Anspruch gegen den Organträger auf Zahlung eines Betrages in Höhe eines ihm zugerechneten Vorsteuerüberhangs.37) 23 Nach dem BFH ist die Voraussetzung der finanziellen Eingliederung gegeben, wenn der Organträger seinen Willen durch Mehrheitsbeschluss durchsetzen könnte. Die organisatorische Eingliederung erfordert nach dem BFH die Wahrnehmung dieser Mehrheitsmacht in der laufenden Geschäftsführung, und zwar in einer Art Weise, dass die Geschäftsführung beherrscht werde. Hiervon sei grundsätzlich bei einer Personenidentität in den Geschäftsführungsorganen auszugehen. Für die wirtschaftliche Eingliederung stellt der

___________ 33) Schmidt-Weber-Grellet, EStG, § 20 Rn. 31 ff.; Jacobs, Unternehmensbesteuerung und Rechtsform, S. 171 ff. 34) Vgl. dazu Korn, in: Bunjes, UStG, § 2 Rn. 138. 35) Vgl. dazu näher Rn. 480 ff. 36) BGH Urt. v. 19.1.2012 – IX R 2/11, ZIP 2012, 280 Rn. 28. 37) BGH Urt. v. 29.1.2013 – II ZR 91/11, ZIP 2013, 409 Rn. 10, dazu EWiR 2013, 187 (Schmittmann).

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I. Besteuerung der GmbH

BFH darauf ab, dass die Organgesellschaft im Gefüge des übergeordneten Rechtsträgers als dessen Bestandteil erscheint.38) Für die organisatorische Eingliederung war nach dem BFH bislang ausreichend, 24 wenn zumindest durch die Gestaltung der Beziehungen zwischen Organträger und Organgesellschaft sichergestellt war, dass eine vom Willen des Organträgers abweichende Willensbildung bei der Organgesellschaft nicht möglich sei.39) Insoweit hat der BFH seine Rechtsprechung mit Urteil vom 8. August 2013 geändert. Nunmehr setzt die organisatorische Eingliederung nach dem BFH voraus, dass der Organträger seinen Willen in der Organgesellschaft positiv – insbesondere auch in rechtlicher Hinsicht – durchsetzen kann. Denn nur in diesem Fall könne die umsatzsteuerliche Organschaft durchgeführt werden und der Organträger seine Rolle als „Steuereinnehmer“ wahrnehmen.40) 3. Ertragsteuerliche Organschaft Das Trennungsprinzip wird auch durch die ertragsteuerliche Organschaft 25 durchbrochen. Verpflichtet sich eine Europäische Gesellschaft, Aktiengesellschaft oder Kommanditgesellschaft auf Aktien mit Geschäftsleitung im Inland und Sitz in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem Vertragsstaat des EWR-Abkommens (Organgesellschaft) durch einen Gewinnabführungsvertrag i. S. d. § 291 Abs. 1 AktG ihren ganzen Gewinn an ein einziges gewerbliches Unternehmen abzuführen, so ist das Einkommen der Organgesellschaft dem Träger des Unternehmens (Organträger) zuzurechnen, soweit sich aus § 16 KStG nichts anderes ergibt, wenn die weiteren in § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis Nr. 5 KStG geregelten Voraussetzungen erfüllt sind. Nach § 17 KStG gelten die §§ 14 und 16 KStG entsprechend, wenn eine an- 26 dere als die in § 14 Absatz 1 Satz 1 KStG bezeichnete Kapitalgesellschaft ___________ 38) BFH, Urt. v. 8.8.2013 – V R 18/13, ZIP 2013, 1773 Rn. 25 f., dazu EWiR 2013, 619 (Onusseit). Zwei EuGH-Vorlagen des XI. Senats des BFH Ende 2013 (BFH, Urt. v. 11.12.2013 – XI R 17/11, BStBl II 2014, 41 [EuGH – C-108/14] und BFH, Urt. v. 11.12.2013 – XI R 38/12, BStBl II 2014, 428 ([EuGH – C-109/14]) stellen die vom V. Senat des BFH angenommene Erforderlichkeit der Über- und Unterordnung im Organkreis mit Blick auf die Wortlautunterschiede zwischen § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG und Art. 11 Abs. 1 MwStSystRL infrage, vgl. dazu Wäger, DB 2014, 915. Nach den Schlussanträgen des Generalanwalts vom 26. März 2015 (abrufbar unter: http://curia.europa.eu/juris/ document/document.jsf?text=&docid=163263&pageIndex=0&doclang=de&mode= req&dir=&occ=first&part=1&cid=440986, dort Rn. 85 ff.) hat das vorlegende Gericht zu prüfen, ob das Erfordernis der Über- und Unterordnung zur Vermeidung von Missbräuchen erforderlich und sachgerecht ist. Es bleibt abzuwarten, ob der EuGH dem folgen wird. 39) Vgl. BFH, Urt. v. 28.10.2010 – V R 7/10, BStBl II 2011, 391 Rn. 22. Der V. Senat des BFH hatte allerdings bereits mit Urt. v. 7.7.2011 – V R 53/10, BFH/NV 2011, 2195 = ZIP 2011, 2196 Rn. 32, dazu EWiR 2012, 365 (Tepfer), offen gelassen, ob er hieran festhalten werde. 40) BFH, Urt. v. 8.8.2013 – V R 18/13, ZIP 2013, 1773 Rn. 28 und 30; zum Einfluss des (vorläufigen) Insolvenzverfahrens auf die umsatzsteuerliche Organschaft siehe im Einzelnen Kahlert, in: Flöther, Handbuch zum Konzerninsolvenzrecht, § 6 Rn. 9 ff.

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B. Überblick über die Besteuerung der GmbH und ihrer Gesellschafter

(hier GmbH) mit Geschäftsleitung im Inland und Sitz in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem Vertragsstaat des EWR-Abkommens sich wirksam verpflichtet, ihren ganzen Gewinn an ein anderes Unternehmen i. S. d. § 14 KStG abzuführen. Voraussetzung ist nach § 17 KStG, dass eine Gewinnabführung den in § 301 des Aktiengesetzes genannten Betrag nicht überschreitet und eine Verlustübernahme durch Verweis auf die Vorschriften des § 302 AktG in seiner jeweils gültigen Fassung vereinbart wird. 27 Da die ertragsteuerliche Organschaft im Gegensatz zur umsatzsteuerlichen Organschaft einen Gewinnabführungsvertrag voraussetzt, handelt es sich um eine sog. vertragliche Organschaft. Mit Abschluss des Gewinnabführungsvertrages hat der Organträger nicht nur einen Anspruch gegen die Organgesellschaft auf Gewinnabführung, sondern ist nach § 302 (analog) AktG auch zum Verlustausgleich gegenüber der Organgesellschaft verpflichtet. 28 Anders als die umsatzsteuerliche Organschaft setzt die ertragsteuerliche Organschaft weder eine organisatorische noch eine wirtschaftliche Eingliederung voraus. Nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 KStG ist nur eine finanzielle Eingliederung erforderlich. Danach muss der Organträger an der Organgesellschaft vom Beginn ihres Wirtschaftsjahrs an ununterbrochen in einem solchen Maße beteiligt sein, dass ihm die Mehrheit der Stimmrechte aus den Anteilen an der Organgesellschaft zusteht (finanzielle Eingliederung, Satz 1), wobei mittelbare Beteiligungen zu berücksichtigen sind, wenn die Beteiligung an jeder vermittelnden Gesellschaft die Mehrheit der Stimmrechte gewährt (Satz 2). 29 Für Konzerninsolvenzrechtsfälle ist auch § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 KStG von Bedeutung. Danach muss der Gewinnabführungsvertrag auf mindestens fünf Jahre abgeschlossen und während seiner gesamten Dauer durchgeführt werden (Satz 1). Weiter ist eine vorzeitige Beendigung des Vertrages unschädlich, wenn ein wichtiger Grund die Kündigung rechtfertigt (Satz 2). Schließlich wirkt die Kündigung oder Aufhebung des Gewinnabführungsvertrages auf einen Zeitpunkt während des Wirtschaftsjahres der Organgesellschaft auf den Beginn dieses Wirtschaftsjahres zurück (Satz 3). 30 Nach § 2 Abs. 2 Satz 2 GewStG gilt: „Ist eine Kapitalgesellschaft Organgesellschaft i. S. d. § 14 oder § 17 des Körperschaftsteuergesetzes, so gilt sie als Betriebsstätte des Organträgers.“ Damit sind die Voraussetzungen und die Rechtsfolgen der gewerbesteuerlichen Organschaft an diejenigen der körperschaftsteuerlichen Organschaft angepasst.41) II. Besteuerung der GmbH-Gesellschafter 31 Nach dem Gesagten erfolgt die Besteuerung der Gewinne grundsätzlich auf Ebene der GmbH, das bloße Halten der Anteile an einer GmbH löst auf Ebene ___________ 41) Vgl. dazu Blümich-Drüen, GewStG, § 2 Rn. 129; zum Einfluss des (vorläufigen) Insolvenzverfahrens auf die ertragsteuerliche Organschaft siehe im Einzelnen Kahlert, in: Flöther, Handbuch zum Konzerninsolvenzrecht, § 6 Rn. 43 ff.

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II. Besteuerung der GmbH-Gesellschafter

der Gesellschafter keine Steuern aus. Erst dann, wenn die GmbH Gewinne an ihre Anteilseigner ausschüttet, stellen diese auf Ebene der Gesellschafter steuerpflichtige Einnahmen dar. Für die genauere Betrachtung der steuerlichen Folgen auf Ebene des Gesellschafters ist wiederum danach zu unterscheiden, ob es sich bei dem Gesellschafter um eine natürliche Person oder um eine weitere GmbH handelt. 1. Gesellschafter ist eine natürliche Person Ist der Gesellschafter einer GmbH eine natürliche Person, richtet sich die 32 Besteuerung der von der GmbH ausgeschütteten Gewinne (Dividenden) und sonstigen mit der Beteiligung im Zusammenhang stehenden Einkünften nach dem Einkommensteuergesetz. Im Einzelnen: a) Anteile werden im Privatvermögen gehalten Ausschüttungen aus einer GmbH, deren Anteile eine natürliche Person im 33 Privatvermögen hält, fallen zunächst unabhängig von der Höhe der Beteiligung als Einkünfte aus Kapitalvermögen unter § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG. Aufgrund der Änderung des § 3 Nr. 40 Satz 2 i. V. m. § 20 Abs. 8 EStG gilt für diese Einkünfte nicht das Teileinkünfteverfahren, sondern die ab dem Veranlagungszeitraum 2009 mit dem Unternehmensteuerreformgesetz 2008 vom 14. August 200742) neu eingeführte, sog. Abgeltungsteuer nach § 32d Abs. 1 Satz 1 EStG. Danach gilt ein einheitlicher Einkommensteuersatz in Höhe von 25 % zuzüglich Solidaritätszuschlag von 5,5 % hierauf, insgesamt also 26,375 %. Nach § 20 Abs. 9 EStG ist ein Abzug der mit den Dividendenzahlungen im Zusammenhang stehenden Werbungskosten nicht mehr möglich, allein der Sparer-Pauschbetrag in Höhe von 801,–/1.602,– € ist als Werbungskostenpauschbetrag abzuziehen.43) Allerdings kann der Steuerpflichtige unter bestimmten Voraussetzungen die Nichtanwendung der Abgeltungsteuer des § 32d Abs. 1 EStG für Einkünfte aus Dividenden i. S. d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG sowie für Einkünfte i. S. d. § 20 Abs. 1 Nr. 2 EStG beantragen: Nach dem durch das Jahressteuergesetz 2008 (JStG 2008) vom 20. Dezember 200744) ab dem Veranlagungszeitraum 2009 neu eingeführten § 32d Abs. 2 Nr. 3 EStG gilt § 32d Abs. 1 EStG nicht, wenn der Steuerpflichtige zu mindestens 25 % an der Kapitalgesellschaft beteiligt ist oder zu mindestens 1 % an ihr beteiligt und zugleich beruflich für sie tätig ist. Liegen diese Voraussetzungen sowie ein Antrag des Steuerpflichtigen vor, findet das Teileinkünfteverfahren des § 3 Nr. 40 EStG Anwendung. Danach unterliegen 60 % dieser Einkünfte dem progressiven Einkommensteuertarif des Steuerpflichtigen. Er unterliegt dann auch nicht dem pauschalierten Werbungskostenabzug des § 20 Abs. 9 ___________ 42) BGBl. I 2007 S. 1912. 43) Nach dem BFH, Urt. v. 1.7.2014 – VII R 53/12, BStBl II 2014, 975 ist § 20 Abs. 9 EStG verfassungsgemäß. 44) BGBl. I 2007 S. 3150.

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B. Überblick über die Besteuerung der GmbH und ihrer Gesellschafter

EStG, sondern kann 60 % der mit den Einkünften zusammenhängenden Aufwendungen nach § 3c Abs. 2 EStG als Werbungskosten geltend machen.45) 34 Zinsen für ein Gesellschafterdarlehen eines Gesellschafters, der mit weniger als 10 % an der GmbH beteiligt ist und seine Beteiligung im Privatvermögen hält, unterliegen nach §§ 20 Abs. 1 Nr. 7, 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 lit. b) EStG ebenfalls der Abgeltungsteuer. Dies hat nach § 20 Abs. 9 EStG wiederum zur Folge, dass ein Abzug der tatsächlichen Werbungskosten nicht möglich ist. Hat der Gesellschafter die Darlehenssumme nicht aus eigenem Vermögen geleistet, sondern selbst Fremdkapital aufgenommen, so kann er daher die Zinszahlungen, die er seinerseits an einen Dritten leistet, nicht mit den Zinserträgen, die er von der Gesellschaft erhält, steuerlich verrechnen. Ist der Gesellschafter hingegen zu mindestens 10 % an der GmbH beteiligt, findet weder die Abgeltungsteuer nach § 32d Abs. 1 EStG noch der beschränkte Werbungskostenabzug des § 20 Abs. 9 EStG Anwendung, § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 EStG. Die Zinserträge des Gesellschafters aus dem Gesellschafterdarlehen unterliegen im Rahmen der regulären Einkommensbesteuerung seinem allgemeinen Einkommensteuertarif und auch den allgemeinen Werbungskostenabzugsregelungen. 35 Für Veräußerungsgewinne aus wesentlichen Beteiligungen (mindestens 1 %) im Privatvermögen, die keine Einkünfte aus Kapitalvermögen, sondern nach § 17 EStG Einkünfte aus Gewerbebetrieb sind, gilt das Teileinkünfteverfahren des § 3 Nr. 40 EStG. Danach sind 60 % des Veräußerungspreises steuerpflichtig. Nach § 3c Abs. 2 Satz 1 EStG sind entsprechend nur 60 % der Anschaffungskosten und der Veräußerungskosten abzugsfähig. Veräußerungsgewinne aus nicht wesentlichen Beteiligungen (unter 1 %) im Privatvermögen zählen unabhängig von der Haltedauer – § 23 Abs. 1 Nr. 2 EStG ist nach § 23 Abs. 2 i. V. m. § 20 Abs. 2 Nr. 1 EStG nicht anzuwenden – nach dem Unternehmensteuerreformgesetz 2008 vom 14. August 200746) ab dem Veranlagungszeitraum 2009 zu den Einkünften aus Kapitalvermögen, § 20 Abs. 2 Nr. 1 EStG. Für sie gilt daher die Abgeltungsteuer nach § 32d Abs. 1 Satz 1 EStG sowie das Verbot des Werbungskostenabzugs nach § 20 Abs. 9 EStG. b) Anteile werden im Betriebsvermögen gehalten 36 Werden die Anteile an der GmbH von einer Personengesellschaft oder einer natürlichen Person im Betriebsvermögen gehalten, stellen die Gewinnausschüttungen zwar auch Einkünfte aus Kapitalvermögen i. S. d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG dar, werden aber nach § 20 Abs. 8 EStG den Einkünften aus Gewerbebetrieb zugerechnet. Unabhängig von der Höhe der Beteiligung unterliegen diese Einkünfte daher nicht der Abgeltungsteuer, sondern der Besteuerung nach dem Teileinkünfteverfahren gemäß § 3 Nr. 40 Satz 1 lit. d), Satz 2 ___________ 45) Nach BFH, Urt. v. 21.10.2014 – VIII R 48/12, juris, setzt der Antrag nach § 32d Abs. 2 Nr. 3 EStG voraus, dass Kapitalerträge erzielbar sind. 46) BGBl. I 2007 S. 1912.

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II. Besteuerung der GmbH-Gesellschafter

i. V. m. § 20 Abs. 8 EStG. Sie wurden bisher nach dem sog. Halbeinkünfteverfahren nach § 3 Nr. 40 EStG a. F. nur zur Hälfte zu den steuerpflichtigen Einkünften gezählt. Hierdurch sollte ein Ausgleich dafür geschaffen werden, dass der laufende Gewinn der Kapitalgesellschaft, aus dem die Dividende letztlich geleistet wurde, bereits auf Ebene der Gesellschaft mit Körperschaftsteuer belastet wurde. In typisierender Weise sollte durch das Halbeinkünfteverfahren eine Doppelbesteuerung der wirtschaftlich identischen Mittel vermieden werden. Mit dem Unternehmensteuerreformgesetz 2008 vom 14. August 200747) wurde aus diesem Halbeinkünfteverfahren ab dem Veranlagungszeitraum 2009 ein Teileinkünfteverfahren, da anstatt der bisher 50 % nur noch 40 % dieser Einkünfte steuerfrei sind. Im Gegenzug sind allerdings nach § 3c Abs. 2 EStG n. F. auch 60 % anstatt bisher 50 % der mit den begünstigten Einkünften im Zusammenhang stehenden Aufwendungen als Betriebsausgaben oder Werbungskosten abziehbar. Zinsen für ein Gesellschafterdarlehen sind dem Grunde nach Einkünfte aus 37 Kapitalvermögen nach § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG, die aber wiederum nach § 20 Abs. 8 EStG den Einkünften aus Gewerbebetrieb zugerechnet werden, wenn die Beteiligung im Betriebsvermögen gehalten wird. Die Zinseinkünfte unterliegen daher der regulären Besteuerung des Gesellschafters, der Anwendungsbereich der Abgeltungsteuer ist nach dem Wortlaut des § 32d Abs. 1 EStG schon gar nicht eröffnet. Veräußerungsgewinne sind nach § 20 Abs. 2 Nr. 1 EStG ebenfalls Einkünfte 38 aus Kapitalvermögen, die allerdings nach § 20 Abs. 8 EStG den Einkünften aus Gewerbebetrieb zugerechnet werden. Daher unterliegen sie unabhängig von der Höhe der Beteiligung nicht der Abgeltungsteuer, sondern nach § 3 Nr. 40 Satz 1 lit. a) EStG dem Teileinkünfteverfahren. Sie sind daher nur zu 60 % steuerpflichtig, wenn die veräußerte Beteiligung im Betriebsvermögen gehalten wurde. Mit dem Gesetz zur Anpassung der Abgabenordnung an den Zollkodex der 39 Union und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom 22. Dezember 201448) ist § 3c Abs. 2 EStG um die Sätze 2 bis 6 ergänzt und damit verschärft worden. Die Änderungen sind auf Wirtschaftsjahre anwendbar, die nach dem 31. Dezember 2014 beginnen.49) Inhaltlich werden mit § 3c Abs. 2 Sätze 2 bis 5 EStG im Kern die Regelungen des § 8b Abs. 3 Abs. 3 Satz 4 ff. KStG eingefügt, ausgenommen sind allerdings die Einbeziehung nahestehender Personen und der Rückgriff auf Dritte.50) c) Übersicht Die vorstehenden Ausführungen zur Rechtslage ab dem Veranlagungszeit- 40 raum 2009 lassen sich im Überblick wie folgt darstellen: ___________ 47) 48) 49) 50)

BGBl. I 2007 S. 1912. BGBl. I 2014 S. 2417. § 52 Abs. 5 Satz 2 EStG. Vgl. dazu im Einzelnen unter Rn. 213 ff.

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1 % + berufl. Tätigkeit

keine Abgeltungsteuer, Teileinkünfteverfahren, 60 % WKAbzug

§§ 20 Abs. 1 Nr. 1, 2; 32d Abs. 2 Nr. 3; 3 Nr. 40 S. 1 lit. d, e; 3c Abs. 2 EStG

Abgeltungsteuer 25 %, Sparerpauschbetrag EUR 801/ 1.602, kein WKAbzug

§§ 20 Abs. 1 Nr. 1; 3 Nr. 40 S. 2; 20 Abs. 8, 9; 32d Abs. 1 EStG

+ Antrag

25 %

§§ 20 Abs. 1 Nr. 7, Abs. 9; 32d Abs. 1 S. 1 EStG

Abgeltung-steuer 25 %, Sparerpauschbetrag, kein WK-Abzug §§ 20 Abs. 1 Nr. 7; 32d Abs. 2 Nr. 1 S. 1 lit. b, S. 2

voller WK-Abzug

keine Abgeltungsteuer, allgemeiner ESt-Tarif,

Beteiligung mind. 10 %

§§ 20 Abs. 2 Nr. 1; 32d Abs. 1 S. 1 EStG

Abgeltungsteuer 25 %, Sparerpauschbetrag, kein WK-Abzug

Beteiligung nicht mind. 1 %

Beteiligung mind. 1 %

§§ 17 Abs. 1; 3 Nr. 40 S. 1 lit. c; 3c Abs. 2 EStG

60 % WK-Abzug

keine Abgeltungsteuer, Teileinkünfteverfahren,

§§ 20 Abs. 8; 3 Nr. 40 S. 1 lit. a, d, S. 2 EStG

60 % WK-Abzug

Teileinkünfteverfahren,

keine Abgeltungsteuer,

Unabh. v. Beteiligungshöhe

Beteiligung nicht mind. 10 %

Unabh. v. Beteiligungshöhe

Beteiligung mindestens

Ausschüttung/ Anteilsverkauf

Gesellschafterdarlehenzinsen

Ausschüttung

Anteilsverkauf

Anteile im Betriebsvermögen

Anteile im Privatvermögen

B. Überblick über die Besteuerung der GmbH und ihrer Gesellschafter

II. Besteuerung der GmbH-Gesellschafter

d) Kapitalertragsteuer und Veranlagungswahl Die in §§ 43 ff. EStG geregelte Kapitalertragsteuer ist keine Steuer eigener 41 Art, sondern eine besondere Erhebungsform der auf bestimmte Kapitalerträge i. S. d. § 20 EStG erhobenen Steuer.51) Nach § 43 Abs. 5 Satz 1 EStG ist die Einkommensteuer für Kapitalerträge, die der Kapitalertragsteuer unterlegen haben, mit dem Steuerabzug grundsätzlich abgegolten. Dies gilt nach § 43 Abs. 5 Satz 2 EStG nicht in den Fällen des § 32d Abs. 2 EStG und für Kapitalerträge, die zu den Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft, aus Gewerbebetrieb, aus selbstständiger Arbeit oder aus Vermietung und Verpachtung gehören. Nach § 43 Abs. 5 Satz 3 EStG werden die Kapitalerträge i. S. d. § 43 Abs. 1 Satz 1 EStG auf Antrag des Gläubigers in die besondere Besteuerung von Kapitalerträgen nach § 32d EStG einbezogen. Danach kann in Fällen, in denen der Einkommensteuersatz des Steuerpflichtigen niedriger ist als der Tarif des § 32d Abs. 1 EStG oder bestimmte steuermindernde Umstände geltend gemacht werden sollen, eine Veranlagung der der Abgeltungsteuer unterliegenden Einkünfte beantragt werden, § 32d Abs. 4, 6 EStG. In diesem Fall findet nach der Rechtsprechung des BFH § 20 Abs. 9 EStG (weiter) Anwendung. Ein Abzug der tatsächlich entstandenen Werbungskosten komme nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift nicht in Betracht.52) 2. Gesellschafter ist eine GmbH Gemäß § 8b Abs. 1 und 2 KStG sind bei der Ermittlung des Einkommens einer 42 Kapitalgesellschaft Gewinnausschüttungen einer (anderen) Kapitalgesellschaft (hier GmbH) sowie Gewinne aus der Veräußerung von Kapitalgesellschaftsanteilen (hier Anteile an einer GmbH) außer Ansatz zu lassen. Für die Veräußerung von einbringungsgeborenen Anteilen an Kapitalgesellschaften (hier GmbH) gelten besondere Vorschriften (vgl. § 34a Abs. 7a, § 8b Abs. 4 KStG a. F.; § 22 UmwStG, § 24 Abs. 5 UmwStG). Gemäß § 8b Abs. 2 Satz 4 und 5 KStG bleiben bestimmte Gewinnminderungen bei der Gewinnermittlung unberücksichtigt. Nach §§ 8b Abs. 3 Satz 1, 8b Abs. 5 Satz 1 KStG gelten 5 % der Gewinnaus- 43 schüttungen und 5 % des Veräußerungsgewinns als Ausgaben, die nicht als Betriebsausgaben abgezogen werden dürfen. Dementsprechend hat eine außerbilanzielle Hinzurechnung zu dem Gewinn zu erfolgen. Ob und in welcher Höhe tatsächlich Betriebsausgaben im Zusammenhang mit der Gewinnausschüttung oder dem Veräußerungsgewinn angefallen sind, ist für diese Hinzurechnung unerheblich. Die Hinzurechnung erfolgt auch dann, wenn niedrigere oder überhaupt keine Betriebsausgaben angefallen sind.53) Wirtschaft___________ 51) Schmidt-Weber-Grellet, EStG, § 43 Rn. 1 ff. 52) BFH, Urt. v. 28.1.2015 – VIII R 13/13, BFH/NV 2015, 582. 53) Vgl. ausführlich zur Funktionsweise des § 8b Abs. 5 KStG Blümich-Rengers, KStG, § 8b Rn. 160 ff.

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B. Überblick über die Besteuerung der GmbH und ihrer Gesellschafter

lich betrachtet sind die Gewinnausschüttung und der Veräußerungsgewinn somit bei der Anteilseigner-GmbH zu 95 % körperschaftsteuerfrei. Nach § 7 GewStG gilt dies auch für Gewerbesteuerzwecke, weil sich die sachliche Steuerfreistellung auch auf die Ermittlung des Gewerbeertrages auswirkt. 44 Die GmbH kann ungeachtet der vorstehend beschriebenen sachlichen Steuerfreistellung Betriebsausgaben im Zusammenhang mit Gewinnausschüttungen oder Veräußerungsgewinnen, etwa Finanzierungskosten in Form von Zinszahlungen auf ein Darlehen, das zum Erwerb der Anteile aufgenommen wurde, geltend machen. Denn nach §§ 8b Abs. 3 Satz 2 KStG, 8b Abs. 5 Satz 2 KStG findet § 3c Abs. 1 EStG, der einen Abzug von Ausgaben, die mit steuerfreien Einnahmen in einem unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang stehen, nicht zulässt, keine Anwendung. 45 Nach § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG bleiben Gewinnminderungen, die durch den Ansatz des niedrigen Teilwertes der Anteile oder deren Veräußerung oder durch Auflösung der Kapitalgesellschaft (hier GmbH) entstehen, bei der Gewinnermittlung unberücksichtigt. Nach den mit dem Jahressteuergesetz 2008 (JStG 2008) vom 20. Dezember 200754) dem § 8b Abs. 3 KStG angefügten Sätzen 4 bis 8 sind nunmehr auch Gewinnminderungen im Zusammenhang mit einer Darlehensgewährung oder aus der Inanspruchnahme von Sicherheiten, die für ein Darlehen gewährt wurden, oder einer Darlehensgewährung wirtschaftlich vergleichbaren Rechtshandlungen, nicht mehr zu berücksichtigen. Voraussetzung ist, dass solche Handlungen von einem Gesellschafter, der zu mehr als 25 % beteiligt ist, vorgenommen worden sind. Gleichgestellt sind nahestehende Personen eines solchen Gesellschafters i. S. d. § 1 Abs. 2 AStG oder Dritte, die auf einen solchen Gesellschafter oder eine solche nahestehende Person Rückgriff nehmen können. Diese Regelungen gelten nicht, wenn nachgewiesen wird, dass auch ein fremder Dritter sich so verhalten hätte. 46 Nach § 8b Abs. 6 KStG gelten die vorgenannten Vorschriften auch, soweit einer Kapitalgesellschaft (hier GmbH) Bezüge, Gewinne und Gewinnminderungen (beispielsweise aus Teilwertabschreibungen) im Rahmen eines Gewinnanteils aus einer Mitunternehmerschaft zugerechnet werden, sowie für Gewinne (Verluste), soweit diese bei der Veräußerung (Aufgabe) eines Mitunternehmeranteils auf entsprechende Kapitalgesellschaftsanteile entfallen. § 8b Abs. 6 KStG ist auch bei mehrstöckigen Personengesellschaften anwendbar.55) 47 Nach § 8b Abs. 7 Satz 1 KStG sind die Absätze 1 bis 6 des § 8b KStG nicht auf Anteile anzuwenden, die bei Kreditinstituten und Finanzdienstleistungsinstituten nach § 1a des Kreditwesengesetzes dem Handelsbuch zuzurechnen sind. Gleiches gilt nach Satz 2 des § 8b Abs. 7 KStG für Anteile, die von Fi___________ 54) BGBl. I 2007 S. 3150. 55) Vgl. Tz. 54 – 58 des BMF-Schreibens v. 28.04.2003, IV A 2-S 2750a-7/03, BStBl I 2003, 292.

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II. Besteuerung der GmbH-Gesellschafter

nanzunternehmen i. S. d. Gesetzes über das Kreditwesen mit dem Ziel der kurzfristigen Erzielung eines Eigenhandelserfolges erworben werden. In diesem Falle gilt weder die 95 %ige Steuerfreiheit der Veräußerung des Anteils einer GmbH an einer anderen GmbH noch die 95 %ige Steuerfreiheit der Gewinnausschüttung einer GmbH an eine andere GmbH.56) Der I. Senat des BFH hat sich inzwischen in einer Reihe von Entscheidungen zu der Frage geäußert, unter welchen Voraussetzungen Holding- und Beteiligungsgesellschaften Finanzunternehmen i. S. d. § 8b Abs. 7 Satz 2 KStG sind, mit der Folge, dass die Steuerfreiheit gemäß § 8b KStG keine Anwendung findet.57)

___________ 56) Vgl. BMF-Schreiben v. 25.7.2002, IV A 2 – S 2750 a – 6/02, BStBl I 2002, 712; GoschGosch, KStG, § 8b Rn. 563 ff. 57) Vgl. BFH, Urt. v. 26.10.2011 – I R 17/11, BFH/NV 2012, 613; BFH, Urt. v. 12.10.2010 – I B 82/10, BFH/NV 2011, 3; BFH, Urt. v. 14.1.2009 – I R 36/08, BStBl II 2009, 671, dazu EWiR 2009, 517 (Rode); siehe dazu auch FG Köln, Urt. v. 1.10.2014 – 10 K 3593/12, EFG 2015, 151 (Revision beim BFH – I R 64/14).

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C. Forderungsverzicht: Ertragsteuerliche Folgen auf Ebene der GmbH Eine GmbH hat gemäß § 8 Abs. 1 KStG, §§ 5 Abs. 1, 4 EStG ihren Gewinn 48 grundsätzlich durch einen Vergleich des Betriebsvermögens zum Anfang des Wirtschaftsjahres mit dem Betriebsvermögen zum Schluss des Wirtschaftsjahres nach handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung zu ermitteln. Etwas anderes gilt dann, wenn steuerliche Vorschriften etwas anderes regeln. In diesem Fall ist die Handelsbilanz für die Zwecke der Ertragsbesteuerung zu korrigieren, § 60 Abs. 2 EStDV. I. Einlage und/oder Gewinnerhöhung Verzichtet ein Gläubiger (Gesellschafter oder Dritter) gegenüber einer GmbH 49 auf seine Forderung, so führt dies auf Ebene der GmbH zum Erlöschen der Verbindlichkeit und damit zu einer Gewinnerhöhung. Nach § 8 Abs. 3 Satz 3 KStG erhöhen verdeckte Einlagen das Einkommen 50 nicht, wobei dies nach § 8 Abs. 3 Satz 4 KStG nicht gilt, soweit eine verdeckte Einlage das Einkommen des Gesellschafters gemindert hat. Liegen diese Voraussetzungen (nicht) vor, so ist die Gewinnerhöhung außerhalb der Bilanz zu neutralisieren. Eine (offene oder verdeckte) Einlage ist nach einer Entscheidung des Großen Senats des BFH aus 1997 gegeben, wenn x

der Forderungsverzicht gesellschaftsrechtlich veranlasst ist und

x

soweit die Forderung werthaltig ist.58)

Bei dem Forderungsverzicht eines Gesellschafters gegenüber einer sanierungs- 51 bedürftigen Gesellschaft ist nach der Rechtsprechung zu vermuten, dass der Verzicht gesellschaftsrechtlich und nicht betrieblich veranlasst ist, wenn sich fremde Gläubiger nicht an der Sanierung beteiligen.59) Liegt nach diesen Grundsätzen ein betrieblich veranlasster Forderungsverzicht 52 vor, so verbleibt es bei der Gewinnerhöhung auf Ebene der GmbH. Ist der Forderungsverzicht danach gesellschaftsrechtlich veranlasst, so ist die Einlage zu bewerten, um die Höhe des Abzugs von der Gewinnerhöhung zu ermitteln. Der Große Senat des BFH hatte in seiner vorzitierten Entscheidung aus 1997 53 die Streitfrage zu entscheiden, ob die Einlage bei einem Forderungsverzicht mit dem Nennwert oder mit dem tatsächlichen Wert im Zeitpunkt des Forderungsverzichts zu bewerten ist. Er hat zum Ausgangspunkt seiner Überlegungen § 6 Abs. 1 Nr. 5 EStG gemacht. Danach ist eine Einlage grundsätzlich ___________ 58) BFH, Urt. v. 9.6.1997 – GrS 1/94, BStBl II 1998, 307 = ZIP 1998, 471, dazu EWiR 1997, 1027 (Wilken). 59) BFH, Urt. v. 29.07.1997 – VIII R 57/94, BStBl II 1998, 652; so auch FG Hamburg, Urt. v. 12.2.2014 – 6 K 203/11, juris.

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C. Forderungsverzicht: Ertragsteuerliche Folgen auf Ebene der GmbH

mit dem Teilwert der zugeführten Wirtschaftsgüter anzusetzen. Das gilt nach dem Großen Senat des BFH auch dann, wenn der Gesellschafter eine gegen die Gesellschaft gerichtete Forderung an die Gesellschaft abtritt oder ihr die entsprechende Schuld erlässt. Beide Vorgänge könnten nicht unterschiedlich bewertet werden, weil die abgetretene Forderung durch die Vereinigung mit der Verbindlichkeit untergeht, das Ergebnis also demjenigen eines Forderungsverzichts entspreche. Der Wert des Vermögenszugangs sei in beiden Fällen mit dem Betrag zu bemessen, den der Betriebsinhaber für den Erwerb der Forderung oder die Herbeiführung des Verzichts hätte aufwenden müssen. Denn der Teilwert ist gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG der Betrag, den ein Erwerber des Betriebs für das einzelne Wirtschaftsgut ansetzen würde; dabei ist davon auszugehen, dass der Erwerber den Betrieb fortführt. Der Teilwert entspreche dem noch werthaltigen Teil der Forderung. Für die Bewertung der Forderung seien allein die Wertverhältnisse zum Zeitpunkt des Forderungsverzichts maßgeblich. 54 Der Teilwert einer Forderung ist im Wege der Schätzung aufgrund der objektiven Verhältnisse zu ermitteln und wird insbesondere durch die Zahlungsfähigkeit und Zahlungswilligkeit der GmbH beeinflusst. Entscheidend ist, ob nach der allgemeinen Lebenserfahrung aufgrund der Zahlungsfähigkeit und Zahlungswilligkeit des Schuldners mit einem (teilweisen) Forderungsausfall zu rechnen ist.60) 55 Ausgangspunkt der Ermittlung des Teilwerts einer gegen eine GmbH gerichteten Forderung ist die Handelsbilanz der GmbH. Ist die GmbH überschuldet, so beträgt der Teilwert einer gegen sie gerichteten Forderung in der Regel 0,00 €.61) Maßgebend ist allerdings nicht die bilanzielle Überschuldung, die nur als Indiz herangezogen werden kann. Vielmehr ist entscheidend, ob eine wirtschaftliche Überschuldung gegeben ist, die zur Insolvenzantragstellung verpflichtet und deren Vorliegen sich nach dem Überschuldungsstatus bestimmt, bei dem die tatsächlichen (Verkehrs-)Werte anzusetzen sind. Die GmbH ist daher wirtschaftlich nicht überschuldet, wenn stille Reserven in Höhe des bilanziellen Überschuldungsbetrages vorhanden sind.62) 56 Im Rahmen von Konzernsachverhalten sollen weiter zu berücksichtigen sein (1) bei positiver Fortführungsprognose die Ertragserwartungen, (2) die konkreten Konditionen der Gesellschafterforderung und (3) die funktionale Bedeutung der GmbH im Konzern.63) ___________ 60) BFH, Urt. v. 20.08.2003 – I R 49/02, BStBl II 2003, 941; FG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 30.01.2013 – 12 K 12056/12, EFG 2013, 1560 (Revision anhängig – I R 23/13). 61) BFH, Urt. v. 31.5.2005 – I R 35/04, BStBl II 2006, 132 = ZIP 2005, 2214 (LS), dazu EWiR 2006, 19 (Beck); BFH, Urt. v. 15.10.1997 – I R 103/93, BFH/NV 1998, 572. 62) BFH, Urt. v. 31.5.2005 – I R 35/04, BStBl II 2006, 132 = ZIP 2005, 2214 (LS); FG BadenWürttemberg, Urt. v. 4.10.2010 – 10 K 1724/08, BB 2011, 1263. 63) So FG Hamburg, Urt. v. 12.02.2014 6 K 203/11, juris, unter Bezugnahme auf Benz/ Böing, Ubg 2012, 440.

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II. (Nicht-) Abziehbarkeit von Verlusten gemäß § 10d EStG und § 10a GewStG

II. (Nicht-) Abziehbarkeit von Verlusten gemäß § 10d EStG und § 10a GewStG Die Gewinnerhöhung aus einem Forderungsverzicht führt nicht zwingend 57 zu einer ertragsteuerlichen Belastung mit Körperschaftsteuer oder Gewerbesteuer. Es kann im selben Veranlagungszeitraum oder Veranlagungszeitraum übergreifend zu einer Verrechnung mit Verlusten kommen. Im Einzelnen: Nach § 7 Abs. 1 und 2 KStG bemisst sich die Körperschaftsteuer nach dem 58 zu versteuernden Einkommen i. S. d. § 8 Abs. 1 KStG, wonach sich das Einkommen und die Ermittlung des Einkommens nach den Vorschriften des Einkommensteuergesetzes und des Körperschaftsteuergesetzes richtet. Der danach anwendbare § 2 Abs. 2 und 3 EStG sieht zunächst eine Saldierung der positiven und negativen Einkünfte innerhalb derselben Einkunftsart vor (z. B. bei Einkünften aus Gewerbebetrieb bei Vorliegen mehrerer Betriebe, sog. horizontaler Verlustausgleich). Sodann werden verbliebende positive und negative Einkünfte verschiedener Einkunftsarten saldiert (z. B. bei Einkünften aus Gewerbebetrieb und Einkünften aus selbstständiger Arbeit, sog. vertikaler Verlustausgleich).64) Da die GmbH als Körperschaft nur gewerbliche Einkünfte hat (§ 8 Abs. 2 KStG), findet keine Saldierung zwischen den Einkunftsarten (sog. vertikaler Verlustausgleich), sondern allein eine Saldierung innerhalb der Einkunftsart Einkünfte aus Gewerbebetrieb (sog. horizontaler Verlustausgleich) statt. Auf dieser Grundlage knüpft die Finanzverwaltung an den Gewinn bzw. den Verlust aus der Handelsbilanz an.65) Verbleibt ein negatives zu versteuerndes Einkommen, so ist dieser Verlust 59 ohne weitere Regelungen nicht nutzbar. Dies deshalb, weil die Körperschaftsteuer nach § 7 Abs. 3 Satz 1 KStG eine Jahressteuer ist (sog. Abschnittsbesteuerung). § 10d EStG – der nach § 8 Abs. 1 KStG auch im Körperschaftsteuerrecht gilt – regelt aus Gründen der Steuergerechtigkeit eine die Abschnittsbesteuerung übergreifende Nutzung von Verlusten. In § 10d EStG werden der zeitlich begrenzte Verlustrücktrag (§ 10d Abs. 1 EStG) und der zeitlich unbegrenzte Verlustvortrag (§ 10d Abs. 2 EStG) unterschieden. Im Einzelnen: x

Nach § 10d Abs. 1 Satz 1 EStG sind negative Einkünfte, die bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte nicht ausgeglichen werden, bis zu einem Betrag von 1 Million €, bei Ehegatten, die nach den §§ 26, 26b zusammenveranlagt werden, bis zu einem Betrag von 2 Millionen € vom Gesamtbetrag der Einkünfte des unmittelbar vorangegangenen Veranlagungszeitraums vorrangig vor Sonderausgaben, außergewöhnlichen Belastungen und sonstigen Abzugsbeträgen abzuziehen (Verlustrücktrag). Auf Antrag des Steuerpflichtigen ist ganz oder teilweise von dem Verlustrücktrag abzusehen, § 10d Abs. 1 Satz 4 EStG.

___________ 64) Vgl. dazu Schmidt-Weber-Grellet, EStG, § 2 Rn. 57. 65) R 29 KStR 2004.

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C. Forderungsverzicht: Ertragsteuerliche Folgen auf Ebene der GmbH

x

Nach § 10d Abs. 2 Satz 1 EStG sind nicht ausgeglichene negative Einkünfte, die nicht nach Absatz 1 abgezogen worden sind, in den folgenden Veranlagungszeiträumen bis zu einem Gesamtbetrag der Einkünfte von 1 Million € unbeschränkt, darüber hinaus bis zu 60 Prozent des 1 Million € übersteigenden Gesamtbetrags der Einkünfte vorrangig vor Sonderausgaben, außergewöhnlichen Belastungen und sonstigen Abzugsbeträgen abzuziehen (Verlustvortrag). Bei Ehegatten, die nach den §§ 26, 26b EStG zusammenveranlagt werden, tritt an die Stelle des Betrags von 1 Million € ein Betrag von 2 Millionen €, § 10d Abs. 2 Satz 2 EStG. Der Abzug ist nach § 10d Abs. 1 Satz 3 EStG nur insoweit zulässig, als die Verluste nicht nach Absatz 1 abgezogen worden sind und in den vorangegangenen Veranlagungszeiträumen nicht nach Satz 1 und 2 abgezogen werden konnten.

x

§ 10d Abs. 1 Sätze 3 und 4 EStG sowie § 10d Abs. 4 EStG regeln Verfahrensfragen zum Verlustabzug.

60 Nach § 6 GewStG ist Bemessungsgrundlage für die Gewerbesteuer der Gewerbeertrag. Ausgangspunkt des Gewerbeertrages ist nach § 7 GewStG der nach den Vorschriften des Einkommensteuergesetzes und des Körperschaftsteuergesetzes zu ermittelnde Gewinn aus Gewerbebetrieb. Da die Gewerbesteuer wie die Körperschaftsteuer eine Jahressteuer ist (§ 14 Satz 2 GewStG), können wegen dieser Abschnittsbesteuerung wie im Körperschaftsteuerrecht Verluste nicht ohne Weiteres genutzt werden. § 10a Sätze 1 und 2 GewStG regelt vergleichbar mit § 10d Abs. 2 EStG einen Verlustvortrag in Form der Mindestbesteuerung. Einen Verlustrücktrag vergleichbar mit § 10d Abs. 1 EStG regelt das Gewerbesteuerrecht nicht. Danach gilt: x

Der maßgebende Gewerbeertrag wird bis zu einem Betrag in Höhe von 1 Million € um die Fehlbeträge gekürzt, die sich bei der Ermittlung des maßgebenden Gewerbeertrags für die vorangegangenen Erhebungszeiträume nach den Vorschriften der §§ 7 bis 10 ergeben haben, soweit die Fehlbeträge nicht bei der Ermittlung des Gewerbeertrags für die vorangegangenen Erhebungszeiträume berücksichtigt worden sind.

x

Der 1 Million € übersteigende maßgebende Gewerbeertrag ist bis zu 60 Prozent um nach Satz 1 nicht berücksichtigte Fehlbeträge der vorangegangenen Erhebungszeiträume zu kürzen.

61 Die in § 10d Abs. 2 Satz 1 EStG und § 10a Sätze 1 und 2 GewStG geregelte Mindestbesteuerung verstößt nach dem BFH in ihrer Grundkonzeption nicht gegen Verfassungsrecht. Etwas anderes kann nach dem BFH allerdings in Fällen gelten, in denen eine Verlustverrechnung in späteren Veranlagungszeiträumen ausgeschlossen ist (sog. Definitiveffekt).66) ___________ 66) BFH, Urt. v. 22.8.2012 – I R 9/11, BStBl II 2013, 512 – BVerfG 2 BvR 2998/12; vgl. dazu die Ausführungen unter Rn. 83, insbesondere den Vorlagebeschluss BFH, Beschl. v. 26.2.2014 – I R 59/12, BStBl II 2014, 1016 – BVerfG 2 BvL 19/14.

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III. Nichtabziehbarkeit von Verlusten gemäß § 8c KStG

III. Nichtabziehbarkeit von Verlusten gemäß § 8c KStG Die Verrechnung einer Gewinnerhöhung aus einem Forderungsverzicht mit 62 Verlusten kann nach § 8c KStG ausgeschlossen sein. Dazu der folgende Überblick über den wesentlichen Regelungsinhalt dieser Vorschrift. 1. Rechtsentwicklung § 8c KStG soll den Handel mit sog. „GmbH-Verlustmänteln“ unterbinden. 63 Nachdem der Gesetzgeber die entsprechende Rechtsprechung des BFH67) als nicht mehr ausreichend beurteilt hatte (Fortentwicklung der Anknüpfung des Verlustabzugs an die rechtliche Identität der Gesellschaft statt an die wirtschaftliche Identität der Gesellschaft), führte er mit dem Steuerreformgesetz 1990 vom 25. Juli 198868) § 8 Abs. 4 KStG ein, den er mit dem Gesetz zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform vom 29. Oktober199769) verschärfte. § 8 Abs. 4 KStG betrachtete die aus steuerlicher Sicht grundsätzlich zu trennenden Ebenen der GmbH und ihrer Gesellschafter (sog. Trennungsprinzip) einheitlich, indem er den Verlustabzug einer Körperschaft davon abhängig machte, dass sie nicht nur rechtlich, sondern auch wirtschaftlich mit der Körperschaft identisch ist, die den Verlust erlitten hat. Denn nach dem Regelbeispiel in der Fassung des Gesetzes zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform vom 29. Oktober 199770) lag die wirtschaftliche Identität insbesondere dann nicht mehr vor, wenn mehr als die Hälfte der Anteile übertragen werden und die Körperschaft ihren Geschäftsbetrieb mit überwiegend neuem Betriebsvermögen fortführt oder wiederaufnimmt. Unschädlich war die Zuführung überwiegend neuen Betriebsvermögens unter bestimmten weiteren Voraussetzungen nur dann, wenn sie der Sanierung diente.71) Der durch das Unternehmenssteuerreformgesetz 2008 vom 14. August 200772) 64 eingeführte § 8c KStG ersetzt § 8 Abs. 4 KStG.73) Nach § 8c KStG ist die Versagung des Verlustabzugs nur noch an einen schädlichen Beteiligungserwerb durch einen Erwerber geknüpft. § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG lautet wie folgt: „Werden innerhalb von fünf Jahren mittelbar oder unmittelbar mehr als 25 Prozent des gezeichneten Kapitals, der Mitgliedschaftsrechte, Beteiligungsrechte oder der Stimmrechte an einer Körperschaft an einen Erwerber oder diesem nahestehende Personen übertragen oder liegt ein vergleichbarer Sachverhalt vor (schädlicher Beteiligungserwerb), sind insoweit die bis zum schädlichen Beteiligungserwerb nicht ausgeglichenen oder abgezogenen negativen Einkünfte (nicht genutzte Verluste) nicht mehr abziehbar.“

___________ 67) 68) 69) 70) 71)

Vgl. dazu Frotscher/Maas-Frotscher, KStG, § 8c Rn. 8 f. BGBl. I 1988 S. 1093. BGBl. I 1997 S. 2590. BGBl. I 1997 S. 2590. Vgl. dazu Kahlert/Rühland, Sanierungs- und Insolvenzsteuerrecht, 1. Aufl. 2007, Rn. 841 ff. 72) BGBl. I 2007 S. 1912. 73) Zur Auslegung vgl. BMF-Schreiben v. 4.7.2008, IV C 7 – S 2745 a/08/10001, BStBl I 2008, 736.

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C. Forderungsverzicht: Ertragsteuerliche Folgen auf Ebene der GmbH

65 Danach führt ein schädlicher Beteiligungserwerb innerhalb von fünf Jahren von mehr als 25 % bis einschließlich 50 % zu einem quotalen Untergang der nicht genutzten Verluste der Körperschaft in Höhe der Quote des schädlichen Beteiligungserwerbs. 66 Unabhängig davon führt ein schädlicher Beteiligungserwerb von mehr als 50 % nach § 8c Abs. 1 Satz 2 KStG zum vollständigen Untergang der nicht genutzten Verluste. Diese Vorschrift lautet wie folgt: „Unabhängig von Satz 1 sind bis zum schädlichen Beteiligungserwerb nicht genutzte Verluste vollständig nicht mehr abziehbar, wenn innerhalb von fünf Jahren mittelbar oder unmittelbar mehr als 50 Prozent des gezeichneten Kapitals, der Mitgliedschaftsrechte, Beteiligungsrechte oder der Stimmrechte an einer Körperschaft an einen Erwerber oder diesem nahestehende Personen übertragen werden oder ein vergleichbarer Sachverhalt vorliegt.“

67 Zu beachten ist, dass von den nicht genutzten Verlusten nicht nur Verluste aus vorangegangen Veranlagungszeiträumen („nicht abgezogenen negativen Einkünften“) erfasst sind, sondern auch Verluste des Veranlagungszeitraumes, in den der schädliche Beteiligungserwerb fällt („nicht ausgeglichenen negativen Einkünften). 68 Nach § 8c Abs. 1 Satz 3 KStG gilt als ein Erwerber i. S. d. Sätze 1 und 2 auch eine Gruppe von Erwerbern mit gleich gerichteten Interessen. Gemäß § 8c Abs. 1 Satz 4 KStG steht eine Kapitalerhöhung der Übertragung des gezeichneten Kapitals gleich, soweit sie zu einer Veränderung der Beteiligungsquoten am Kapital der Körperschaft führt. Der Gesetzgeber hat zunächst bewusst auf die Regelung einer Sanierungsklausel verzichtet.74) 69 § 8c KStG gilt auch für die Gewerbesteuer. Denn nach § 10a Satz 8 GewStG in der Fassung des Unternehmenssteuerreformgesetz 2008 vom 14. August 200775) (heute § 10a Satz 10 GewStG) ist § 8c KStG auf Fehlbeträge entsprechend anzuwenden. § 8c KStG ist nach § 8a Abs. 1 Satz 3 KStG in der Fassung des Unternehmenssteuerreformgesetzes 2008 vom 14. August 200776) auch entsprechend auf den Zinsvortrag gemäß § 4h Abs. 1 Satz 5 EStG anzuwenden. 70 Die Anknüpfung des § 8c KStG an einen schädlichen Beteiligungserwerb stellt (erneut) eine Reaktion des Gesetzgebers auf die Rechtsprechung des BFH dar. Der BFH hat die Schlagkraft des § 8 Abs. 4 KStG aus Sicht des Fiskus zunehmend geschwächt. So hat er entgegen der Auffassung des BMF entschieden, dass mittelbare Anteilsübertragungen nicht von § 8 Abs. 4 KStG erfasst sind77) und ein bloßer zeitlicher Zusammenhang von fünf Jahren zwi___________ 74) BT-Drucks. 16/4841, 35 unter Bezugnahme auf den Sanierungserlass, BMF-Schreiben v. 27.3.2003 – IV A 6-S 2140-8/03, BStBl I 2003, 240. 75) BGBl. I 2007 S. 1912. 76) BGBl. I 2007 S. 1912. 77) BFH, Urt. v. 20.8.2003 – I R 61/01, BStBl II 2004, 616 = ZIP 2003, 2358.

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III. Nichtabziehbarkeit von Verlusten gemäß § 8c KStG

schen Anteilsübertragung und Zuführung des überwiegend neuen Betriebsvermögens für die Anwendung des § 8 Abs. 4 KStG nicht ausreichend sei.78) Das hat den Handel mit Verlustmänteln erleichtert. Vor diesem Hintergrund ist die Gesetzesbegründung zu lesen, wonach § 8 Abs. 4 KStG „kompliziert und gestaltungsanfällig“ sei79) und durch § 8c KStG „die Rechtsanwendung vereinfacht“ werde.80) Nach der Gesetzesbegründung liegt § 8c KStG der Gedanke zugrunde, dass sich die wirtschaftliche Identität einer Gesellschaft durch das wirtschaftliche Engagement eines anderen Anteilseigners (oder Anteilseignerkreises) ändert.81) Durch das Gesetz zur Modernisierung der Rahmenbedingungen für Kapital- 71 gesellschaften (MoRaKG) vom 12. August 200882) sollte § 8c KStG um einen Absatz 2 erweitert werden. Es war beabsichtigt, die Verlustabzugsbeschränkung für Beteiligungserwerbe durch sog. Wagniskapitalgesellschaften abzumildern. Der Verlustabzug sollte für die Körperschaft insoweit bestehen bleiben, als stille Reserven im Zeitpunkt des Erwerbs in der Körperschaft vorhanden sind. Nach der sog. Suspensivklausel in Art. 8 Abs. 2 MoRaKG sollte diese Vorschrift erst nach Abschluss eines inzwischen abgeschlossenen Notifizierungsverfahrens bei der Europäischen Kommission in Kraft treten. Die Europäische Kommission ist allerdings zu dem Ergebnis gekommen, dass die Vorschrift nicht mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar ist und deshalb nicht umgesetzt werden darf.83) § 8c Abs. 2 KStG ist somit nicht in Kraft getreten. Nach dem Gesetz zur Umsetzung eines Maßnahmenpakets zur Stabilisie- 72 rung des Finanzmarktes (Finanzmarktstabilisierungsgesetz – FMStG) vom 17. Oktober 200884) ergibt sich für den Finanzmarktstabilisierungsfonds eine Ausnahme von der Anwendung des § 8c KStG. § 14 Abs. 3 FMStG suspendiert die Anwendung des § 8c KStG, wenn der mit dem FMStG geschaffene Finanzmarktstabilisierungsfonds Stabilisierungselemente (insbesondere Anteile und stille Beteiligungen an Unternehmen des Finanzsektors) erwirbt oder zurücküberträgt.

___________ 78) Nach BFH, Urt. v. 14.3.2006 – I R 8/05, BStBl II 2007 ist ein sachlicher und zeitlicher Zusammenhang zwischen Anteilsübertragung und Zuführung des überwiegend neuen Betriebsvermögens erforderlich, wobei sich der sachliche Zusammenhang bei Vorliegen eines zeitlichen Zusammenhangs „vermuten“ lasse. Der BFH hat die Auffassung des BMF (Schreiben vom 16.4.1999, Tz. 28, BStBl I 1999, 455, Tz. 12 Satz 2), wonach ein Zeitraum von fünf Jahren ausreiche, abgelehnt, ebenso Auffassungen in der Literatur, wonach ein Zeitraum von einem Jahr ausreiche. 79) BT-Drucks. 16/4841, 34 f. 80) BT-Drucks. 16/4841, 75. 81) BT-Drucks. 16/4841, 76. 82) BR-Drucks. 567/07. 83) Pressemitteilung der EU-Kommission v. 1.10.2009; Ref. IP/09/1449. 84) BGBl. I 2008 S. 1982.

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C. Forderungsverzicht: Ertragsteuerliche Folgen auf Ebene der GmbH

73 Mit dem Jahressteuergesetz 2009 (JStG 2009) vom 19. Dezember 200885) ist der sachliche Anwendungsbereich des § 8c KStG für gewerbesteuerliche Zwecke und für Zwecke der Zinsschranke erweitert worden. Danach ist § 8c KStG auch auf die gewerbesteuerlichen Fehlbeträge (Neufassung des § 10a Satz 10 GewStG) sowie die Zinsvorträge (§ 4h Abs. 5 Satz 2 EStG) einer Personengesellschaft anzuwenden, soweit an dieser unmittelbar oder mittelbar eine Körperschaft beteiligt ist.86) 74 Nach dem ebenfalls mit dem Jahressteuergesetz 2009 (JStG 2009) vom 19. Dezember 200887) eingeführten § 2 Abs. 4 UmwStG bleiben die Verluste bei einer rückwirkenden Umwandlung nur dann weiter nutzbar, wenn die Verlustnutzung auch ohne Rückwirkung möglich gewesen wäre.88) 75 Für Sanierungen ist mit dem Bürgerentlastungsgesetz Krankenversicherung vom 16. Juli 200989) rückwirkend zum 1. Januar 2008 eine (zunächst bis zum 31. Dezember 2009) zeitlich befristete Sanierungsklausel in § 8c Abs. 1a KStG eingeführt worden. Durch das Gesetz zur Beschleunigung des Wirtschaftswachstums (Wachstumsbeschleunigungsgesetz) vom 22. Dezember 200990) ist die zeitliche Beschränkung der Anwendbarkeit des § 8c Abs. 1a KStG aufgehoben worden. Bis zur Klärung der Rechtslage, ob § 8c Abs. 1a KStG eine unzulässige Beihilfe darstellt, ist die Anwendung dieser Vorschrift in der Folgezeit ausgesetzt worden.91) Das EuG92) hat die Klage der Bundesrepublik Deutschland allerdings als unzulässig abgewiesen, da die Klage erst einen Tag nach Ablauf der Klagefrist eingereicht worden ist. Der EuGH hat diese Entscheidung bestätigt93) Deshalb ist eine inhaltliche Stellungnahme des EuG zur Sanierungsklausel nicht erfolgt. In der Literatur94) wird allerdings von anhängigen Privatklagen einiger Unternehmer berichtet, denen die Bundesregierung beigetreten sei. 76 Mit dem Gesetz zur Beschleunigung des Wirtschaftswachstums (Wachstumsbeschleunigungsgesetz) vom 22. Dezember 200995) sind § 8c KStG zwei weitere Ausnahmeregelungen hinzugefügt worden, nämlich zum einen eine Konzernklausel in § 8c Abs. 1 Satz 5 KStG und zum anderen eine StilleReserven-Klausel in § 8c Abs. 1 Satz 6 bis 8 KStG. ___________ 85) 86) 87) 88) 89) 90) 91) 92) 93) 94) 95)

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BGBl. I 2008 S. 2794. Dazu ausführlich Dörfler/Rautenstrauch/Adrian, BB 2009, 580. BGBl. I 2009 S. 2794. Vgl. dazu Dörfler/Rautenstrauch/Adrian, BB 2009, 580. BGBl. I 2009 S. 1968. BGBl. I 2009 S. 3950. Vgl. im Einzelnen § 34 Abs. 7c Satz 3 bis 5 KStG. EuG, Beschl. v. 18.12.2012 – T-205/11, DStR 2013, 132. Der EuGH, Beschl. v. 3.7.2104 – C 102/13 P, BB 2014, 1878. Kippenberg, IStR 2013, 106. BGBl. I 2009 S. 3950.

III. Nichtabziehbarkeit von Verlusten gemäß § 8c KStG

Das BMF hat sich in einem Schreiben vom 4. Juli 200896) zeitnah zu Ausle- 77 gungs- und Zweifelsfragen im Zusammenhang mit der Anwendung des § 8c KStG geäußert. Dieses Schreiben enthält allerdings noch keine Aussagen zu den späteren Ergänzungen der Vorschrift, nämlich zur Konzernklausel und zur Stille-Reserven-Klausel. Unter dem 15. April 2014 hat das BMF den Entwurf eines neuen Schreibens zu § 8c KStG veröffentlicht, der auch zu diesen Vorschriften Aussagen enthält. Es enthält auch Aussagen zur Anwendung des § 8c KStG bei einem unterjährigen Beteiligungserwerb auf Grundlage einer diesbezüglichen BFH-Entscheidung,97) die gegenüber dem BFHUrteil allerdings verschärfend wirken.98) Mit Datum vom 19. Februar 2015 hat das BMF einen Referentenentwurf 78 (Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Protokollerklärung zum Gesetz zur Anpassung der Abgabenordnung an den Zollkodex oder Union und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften) veröffentlicht. Dieser sieht eine Neufassung der in § 8c Abs. 1 Satz 5 KStG geregelten Konzernklausel vor. Danach soll die Konzernklausel auch dann Anwendung finden, wenn die Konzernspitze selbst Übertragungen vornimmt und wenn es sich bei der Konzernspitze um eine Personenhandelsgesellschaft handelt.99) § 8c KStG findet nach § 34 Abs. 7b KStG in der Fassung des Unternehmens- 79 steuerreformgesetz 2008 vom 14. August 2007100) erstmals für den Veranlagungszeitraum 2008 und auf Beteiligungserwerbe Anwendung, bei denen das wirtschaftliche Eigentum nach dem 31. Dezember 2007 übergeht. § 8 Abs. 4 KStG kann neben § 8c KStG anwendbar sein, § 34 Abs. 6 letzter Satz KStG in der Fassung des Unternehmenssteuerreformgesetz 2008 vom 14. August 2007.101) 2. Verfassungswidrigkeit des § 8c KStG? a) Vorlagebeschluss des FG Hamburg zu § 8c KStG Das FG Hamburg hat mit Beschluss vom 4. April 2011 eine Entscheidung 80 des Bundesverfassungsgerichts darüber eingeholt, ob § 8c Satz 1 KStG i. d. F. des Unternehmenssteuerreformgesetz 2008 mit Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes insoweit vereinbar ist, als bei der unmittelbaren Übertragung innerhalb von fünf Jahren von mehr als 25 % (im Streitfall 48 %) des gezeichneten Kapitals an einer Körperschaft an einen Erwerber (schädlicher Beteiligungserwerb) insoweit die bis zum schädlichen Beteiligungserwerb nicht ausge___________ 96) 97) 98) 99)

BMF-Schreiben v. 4.7.2008, IV C 7 – S 2745 a/08/10001, BStBl I 2008, 736. BFH, Urt. v. 30.11.2011 – I R 14/11, BStBl II 2012, 360, dazu EWiR 2012, 431 (Roth). Vgl. dazu Breuninger, GmbHR 2014, R 161 und Förster, DB 2015, 331, 337 ff. Vgl. dazu die IDW-Stellungnahme, Ubg 2015, 252 und Geberth, DB 2015, 774 sowie Gläser/Zöller, BB 2015, 1117. 100) BGBl. I 2007 S. 1912. Vgl. dazu BMF-Schreiben v. 4.7.2008, IV C 7 – S 2745 a/08/ 10001, BStBl I 2008, 736, Rn. 35 ff. 101) BGBl. I 2007 S. 1912; vgl. dazu BMF-Schreiben v. 4.7.2008, IV C 7 – S 2745 a/08/ 10001, BStBl I 2008, 736, Rn. 35 ff.

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C. Forderungsverzicht: Ertragsteuerliche Folgen auf Ebene der GmbH

glichenen oder abgezogenen negativen Einkünfte (nicht genutzte Verluste) nicht mehr abziehbar sind.102) Das FG Hamburg hat die Verfassungswidrigkeit im Kern damit begründet, dass § 8c KStG weder mit dem sog. objektiven Nettoprinzip noch mit dem sog. Trennungsprinzip vereinbar sei. 81 Die Vorlagefrage betrifft zwar unmittelbar § 8c Satz 1 KStG i. d. F. des Unternehmenssteuerreformgesetz 2008 bzw. den heutigen § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG (schädlicher Beteiligungserwerb von mehr als 25 % und bis zu 50 % des gezeichneten Kapitals). Zur Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 8c Abs. 1 Satz 2 KStG (schädlicher Beteiligungserwerb von mehr als 50 % des gezeichneten Kapitals; im Streitfall 67 %) ist unter dem Aktenzeichen I R 31/11 allerdings beim BFH ein Revisionsverfahren gegen das Urteil des Sächsischen Finanzgerichts vom 16. März 2011103) anhängig. Das Revisionsverfahren hat der BFH mit Beschluss vom 28. Oktober 2011 bis zur Entscheidung des BVerfG in dem Verfahren 2 BvL 6/11 ausgesetzt. Nach Ansicht des BFH sind die vom Finanzgericht Hamburg im Beschluss vom 4. April 2011 in Bezug auf § 8c Satz 1 KStG dem BVerfG gestellten Vorlagefragen zur Vereinbarkeit der Norm mit dem sog. objektiven Nettoprinzip und dem sog. Trennungsprinzip in Bezug auf § 8c Abs. 1 Satz 2 KStG in gleicher Weise relevant. 82 Die Finanzverwaltung gewährt Aussetzung der Vollziehung in Fällen des § 8c Satz 1 bzw. § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG (schädlicher Beteiligungserwerb bis zu 50 %), wenn der Antragsteller ein berechtigtes Interesse i. S. d. BFH-Beschlüsse vom 6. November 1987104) und vom 1. April 2010105) darlegt und glaubhaft macht. Ein berechtigtes Interesse liegt insbesondere vor, soweit die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts zu irreparablen Nachteilen für den Antragsteller führt, z. B. zu einem unmittelbaren Insolvenzrisiko. In Fällen des § 8c Satz 2 bzw. § 8c Abs. 1 Satz 2 KStG (schädlicher Beteiligungserwerb von mehr als 50 %) lehnt die Finanzverwaltung Anträge auf Aussetzung der Vollziehung hingegen ab.106) Demgegenüber hat das FG Münster in einem Beschluss vom 1. August 2011 auch in diesem Fall eine Aussetzung der Vollziehung bewilligt.107) b) Vorlagebeschluss des BFH zu § 10d EStG i. V. m. § 8c KStG 83 Der I. Senat des BFH hat mit Beschluss vom 26. August 2010108) entschieden, dass es ernstlich zweifelhaft sei, ob die Mindestbesteuerung verfassungsrecht___________ 102) FG Hamburg, Beschl. v. 4.4.2011 – 2 K 33/10, ZIP 2011, 1713 = EFG 2011, 1460 – BVerfG 2 BvL 6/11. 103) FG Sachsen, Urt. v. 16.3.2011 – 2 K 1869/10, EFG 2011, 1457. 104) BFH, Beschl. v. 6.11.1987 – III B 101/86, BStBl II 1988, 134. 105) BFH, Beschl. v. 4.1.2010 – II B 168/09, BStBl II 2010, 558. 106) Finanzministerium Schleswig-Holstein, Körperschaftsteuer-Kurzinformation 2011 Nr. 5, aktualisiert am 28.6.2012, VI 3011-S 2745-075, DStR 2012, 1607. 107) FG Münster, Beschl. v. 1.8.2011 – 9 V 357/11 K, G, EFG 2012, 165. 108) BFH, Urt. v. 26.8.2010 – I B 49/10, BStBl. II 2011, 826; dazu das BMF-Schreiben v. 19.10.2011 – IV C 2 – S 2741/10/10002, BStBl. I 2011, 974 und OFD Magdeburg v. 18.6.2012 – S 2225 – 28 – St 214, DB 2012, 1539.

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III. Nichtabziehbarkeit von Verlusten gemäß § 8c KStG

lichen Anforderungen auch dann standhält, wenn eine Verlustverrechnung in späteren Veranlagungszeiträumen aus rechtlichen Gründen, im Urteilsfall durch § 8c KStG, endgültig ausgeschlossen ist. Denn in diesem Falle komme es zu einem verfassungswidrigen Definitiveffekt. In drei anschließenden Urteilen haben der I. und IV. Senat des BFH die Mindestbesteuerung allerdings als verfassungsgemäß beurteilt.109) In Reaktion auf den vorzitieren Beschluss des BFH vom 26. August 2010 hat 84 das BMF verfügt,110) dass zunächst in definierten Einzelfällen eine Aussetzung der Vollziehung gewährt wird. So ist nach dem BMF die Verfassungsmäßigkeit zweifelhaft bei einem Definitiveffekt bei x

schädlichem Beteiligungserwerb nach § 8c KStG,

x

Umwandlung beim übertragenen Rechtsträger (§ 12 Abs. 3 i. V. m. § 4 Abs. 2 S. 2 UmwStG),

x

Liquidation einer Körperschaft sowie

x

der Beendigung der persönlichen Steuerpflicht ohne Möglichkeit der Vererbung von Verlusten.

Der I. Senat des BFH hat mit seinem Urteil vom 23. Januar 2013111) sodann 85 zunächst entschieden, dass die Mindestbesteuerung gemäß § 10d EStG in Insolvenz- und sonstigen Krisenfällen jedenfalls dann verfassungsgemäß sei, wenn die Abwicklung der Kapitalgesellschaft noch nicht abgeschlossen ist. Er hatte über einen Fall zu befinden, in dem der Insolvenzverwalter geltend machte, die Mindestbesteuerung führe im laufenden Insolvenzverfahren zu einem Definitiveffekt. Der I. Senat des BFH hat die Meinung vertreten, ein Definitiveffekt scheide aus, weil das Insolvenzverfahren noch nicht abgeschlossen sei und somit die Möglichkeit bestehe, die Verluste in der Folgezeit im laufenden Insolvenzverfahren nutzen zu können. Weiter hat der BFH entschieden, dass der Sockelbetrag von 1 Million € gemäß § 10d EStG der insolventen Kapitalgesellschaft in einem mehrjährigen Besteuerungszeitraum nach § 11 Abs. 1 KStG nur einmal zustehe. Der I. Senat des BFH hat inzwischen – zu Recht – Zweifel daran, ob seine bisherige Rechtsauffassung mit der Verfassung vereinbar ist und hat dem BVerfG die Rechtsfrage zur Entscheidung vorgelegt. Es geht wieder um einen Fall, in dem es im laufenden Insolvenzverfahren zur Anwendung der Mindestbesteuerung gekommen ist.112) ___________ 109) BFH, Urt. v. 22.8.2012 – I R 9/11, BStBl. II 2013, 512 – BVerfG 2 BvR 2998/12; BFH, Urt. v. 20.9.2012 – IV R 29/10, BStBl. II 2013, 505; BFH, Urt. v. 20.9.2012 – IV R 36/10, BStBl. II 2013, 498. 110) BMF-Schreiben v. 19.10.2011, IV C 2 – S 2741/10/10002, BStBl I 2011, 974; vgl. dazu auch OFD Magdeburg, Verf. v. 18.6.2012 – S 2225 – 28 – St 214, DB 2012, 1539. 111) BFH, Urt. v. 23.1.2013 – I R 35/12, BStBl II 2013, 508. 112) BFH, Beschl. v. 26.2.2014 – I R 59/12, BStBl II 2014, 1016 – BVerfG 2 BvL 19/14. Vorinstanz ist das FG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 18.4.2012 – 12 K 12179/09, 12 K 12177/10, DStRE 2013, 413 = Ubg 2013, 260.

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C. Forderungsverzicht: Ertragsteuerliche Folgen auf Ebene der GmbH

3. Persönlicher und sachlicher Anwendungsbereich 86 Der persönliche Anwendungsbereich des § 8c KStG erstreckt sich auf unbeschränkt und beschränkt steuerpflichtige Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen i. S. d. § 1 Abs. 1 KStG. Auch die dort aufgeführten Anstalten oder Stiftungen sollen nach Auffassung der Finanzverwaltung in den Anwendungsbereich des § 8c KStG fallen, obwohl sie keine Anteilseigner haben.113) 87 Sachlich findet die Abzugsbeschränkung nach § 8c KStG auf alle nicht ausgeglichenen und nicht abgezogenen negativen Einkünfte (nicht genutzte Verluste) Anwendung und umfasst insbesondere die Verluste nach § 2a EStG, § 10d EStG, § 15 Abs. 4 EStG, § 15a EStG und § 15b EStG. § 8c KStG ist auf die gewerbesteuerlichen Fehlbeträge gemäß § 10a Satz 10 GewStG entsprechend anzuwenden. Auch für einen Zinsvortrag nach § 4h Abs. 1 Satz 2 EStG gilt § 8c KStG entsprechend (§ 8a Abs. 1 Satz 3 KStG).114) 4. Schädlicher Beteiligungserwerb a) Allgemeines 88 Der in § 8c KStG definierte schädliche Beteiligungserwerb bezieht sich zwar auf einen Erwerber. Dieser eine Erwerber kann sich allerdings aus mehreren Personen zusammensetzen. Denn zum Erwerber gehören die ihm nahestehenden Personen (§ 8c Abs. 1 Satz 1 KStG) und Personen mit gleich gerichteten Interessen (§ 8c Abs. 1 Satz 3 KStG). Die Finanzverwaltung bezeichnet diese Zusammenfassung als „Erwerberkreis“.115) 89 Der schädliche Beteiligungserwerb kann auf entgeltlicher oder unentgeltlicher (z. B. im Wege der Schenkung) Grundlage erfolgen. Nach Auffassung der Finanzverwaltung wird ein Erwerb seitens einer natürlichen Person durch Erbfall einschließlich der unentgeltlichen Erbauseinandersetzung und der unentgeltlichen vorweggenommenen Erbfolge jedoch nicht von § 8c KStG erfasst. Dies soll allerdings dann nicht mehr gelten, wenn der Erwerb entgeltlich erfolgt, sei es auch nur in einem geringen Umfang.116) 90 Eine sog. Börsenklausel enthält § 8c KStG nicht. Da § 8c KStG auf einen schädlichen Beteiligungserwerb durch einen Erwerber abstellt, kann diese Vorschrift bei einem Erwerb über die Börse auf einen einzelnen Investor oder eine Erwerbergruppe mit gleich gerichteten Interessen Anwendung finden. ___________ 113) BMF-Schreiben v. 4.7.2008, IV C 7 – S 2745 a/08/10001, BStBl I 2008, 736, Rn. 1; kritisch dazu Suchanek, GmbHR 2008, 292. 114) Vgl. dazu BMF-Schreiben v. 4.7.2008, IV C 7 – S 2745 a/08/10001, BStBl I 2008, 736, Rn. 2 Kritisch zur Einbeziehung des § 15a EStG Mühlhausen, Ubg 2015, 207. 115) Vgl. dazu BMF-Schreiben v. 4.7.2008, IV C 7 – S 2745 a/08/10001, BStBl I 2008, 736, Rn. 3. 116) BMF-Schreiben v. 4.7.2008, IV C 7 – S 2745 a/08/10001, BStBl I 2008, 736, Rn. 4.

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III. Nichtabziehbarkeit von Verlusten gemäß § 8c KStG

b) Gegenstände des schädlichen Beteiligungserwerbs und vergleichbare Sachverhalte Nach § 8c Abs. 1 KStG sind Gegenstände der Übertragung das gezeichnete 91 Kapital, die Mitgliedschaftsrechte, die Beteiligungsrechte oder die Stimmrechte an einer Körperschaft.117) Nach Meinung der Finanzverwaltung ist bei einer gleichzeitigen Übertragung mehrerer Rechte diejenige Übertragung maßgeblich, die die größtmögliche Anwendung des § 8c KStG erlaubt.118) Soweit es für den schädlichen Beteiligungserwerb auf den Übergang einer Ei- 92 gentumsposition ankommt, soll nach der Finanzverwaltung auf den Übergang des wirtschaftlichen Eigentums abgestellt werden. So soll z. B. ein Zwischenerwerb durch eine Emissionsbank im Rahmen eines Börsengangs i. S. d. § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 10 KWG unbeachtlich und damit unschädlich sein.119) Nach § 8c Abs. 1 Satz 2 KStG sind auch Sachverhalte erfasst, die einem schäd- 93 lichen Beteiligungserwerb vergleichbar sind, ohne dies weiter zu konkretisieren. Im BMF-Schreiben zu § 8c KStG120) werden in diesem Zusammenhang genannt: x

der Erwerb von Genussscheinen i. S. d. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG;

x

Stimmrechtsvereinbarungen, Stimmrechtsbindungen, Stimmrechtsverzicht;

x

die Umwandlung auf eine Verlustgesellschaft, wenn durch die Umwandlung ein Beteiligungserwerb durch einen Erwerberkreis stattfindet;

x

die Einbringung eines Betriebs, Teilbetriebs oder Mitunternehmeranteils, wenn durch die Einbringung ein Beteiligungserwerb am übernehmenden Rechtsträger durch einen Erwerberkreis stattfindet;

x

die Fusion von Anstalten des öffentlichen Rechts, wenn hierdurch bei der aufnehmenden Anstalt des öffentlichen Rechts mit nicht genutzten Verlusten ein Träger Beteiligungsrechte an der Anstalt (hinzu)erwirbt;

x

der Erwerb eigener Anteile, wenn sich hierdurch die Beteiligungsquoten ändern;

x

die Kapitalherabsetzung, mit der eine Änderung der Beteiligungsquoten einhergeht. Auch die Kombination verschiedener Sachverhalte kann nach Meinung der Finanzverwaltung zu einem schädlichen Beteiligungserwerb führen.

___________ 117) Das Gesetz ist unscharf formuliert. Insbesondere ist es nicht möglich, das gezeichnete Kapital zu übertragen. Vielmehr können nur Gesellschaftsanteile übertragen werden. Vgl. dazu Frotscher/Maas-Frotscher, KStG, § 8c Rn. 20. 118) BMF-Schreiben v. 4.7.2008, IV C 7 – S 2745 a/08/10001, BStBl I 2008, 736, Rn. 5. 119) BMF-Schreiben v. 4.7.2008, IV C 7 – S 2745 a/08/10001, BStBl I 2008, 736, Rn. 6. 120) BMF-Schreiben v. 4.7.2008, IV C 7 – S 2745 a/08/10001, BStBl I 2008, 736, Rn. 7.

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C. Forderungsverzicht: Ertragsteuerliche Folgen auf Ebene der GmbH

c) Kapitalerhöhung 94 Nach § 8c Abs. 1 Satz 4 KStG steht eine Kapitalerhöhung der Übertragung des gezeichneten Kapitals gleich, soweit sie zu einer Veränderung der Beteiligungsquoten am Kapital der Körperschaft führt. Eine solche disquotale Kapitalerhöhung, die einen schädlichen Beteiligungserwerb zur Folge hat, kann sich durch eine Bareinlage oder durch eine Sacheinlage gegen Gewährung neuer Anteile ergeben. Nehmen alle (Alt-) Gesellschafter entsprechend ihrer bisherigen Beteiligungsquoten an der Kapitalerhöhung teil, liegt kein schädlicher Beteiligungserwerb i. S. d. § 8c KStG vor. Da Kapitalerhöhungen zivilrechtlich erst mit ihrer Eintragung in das Handelsregister wirksam werden, ist für die Anwendung des § 8c KStG auf den Tag der Eintragung in das Register abzustellen.121) Auch die Kapitalerhöhung bei einer Gesellschaft, die ihrerseits unmittelbar oder mittelbar an einer Verlustgesellschaft beteiligt ist, löst nach Auffassung der Finanzverwaltung unter den genannten Voraussetzungen die Rechtsfolgen des § 8c KStG aus, wenn sich dadurch die mittelbare Beteiligungsquote eines Erwerberkreises an der Verlustgesellschaft in schädlichem Umfang ändert.122) d) Mittelbarer oder unmittelbarer schädlicher Beteiligungserwerb 95 Ein schädlicher Beteiligungserwerb kann nach § 8c Abs. 1 Satz 1 und 2 KStG mittelbar oder unmittelbar erfolgen. Durch die Einbeziehung mittelbarer Beteiligungserwerbe ist eine steuerliche Planung der Verlustnutzung, insbesondere bei tiefer gestaffelten internationalen Konzernen, in der Praxis schwer möglich.123) 96 Bei mittelbaren Beteiligungserwerben ist für die Berechnung des schädlichen Beteiligungserwerbs die auf die Verlustgesellschaft mittels multiplikativer Verknüpfung durchgerechnete Beteiligungsquote zugrunde zu legen. Dabei sind mittelbare und unmittelbare Beteiligungserwerbe durch denselben Erwerber wiederum zusammenzufassen.124) 97 Auch der unmittelbare Beteiligungserwerb ist schädlich, wenn er mittelbar zu keiner Änderung der Beteiligungsquote führt, denn eine Konzernbetrachtung sieht § 8c KStG nicht vor. Damit führt auch die Übernahme von mehr als 25 % der Anteile an einer GmbH durch eine Mitunternehmerschaft, an der die bisherigen Gesellschafter der GmbH beteiligt sind, zur Anwendung des § 8c KStG.125) ___________ 121) BMF-Schreiben v. 4.7.2008, IV C 7 – S 2745 a/08/10001, BStBl I 2008, 736, Rn. 14. 122) BMF-Schreiben v. 4.7.2008, IV C 7 – S 2745 a/08/10001, BStBl I, 736, Rn. 10. 123) Siehe dazu Dötsch/Pung/Möhlenbrock-Dötsch, KStG, § 8c Rn. 53; Sedemund/Fischenich, BB 2008, 535. 124) Frotscher/Maas-Frotscher, KStG, § 8c Rn. 40; Dötsch/Pung/Möhlenbrock-Dötsch, KStG, § 8c Rn. 52 ff.; Neumann/Stimpel, GmbHR 2007, 1194, 1198. 125) BMF-Schreiben v. 4.7.2008, IV C 7 – S 2745 a/08/10001, BStBl I 2008, 736, Rn. 11.

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III. Nichtabziehbarkeit von Verlusten gemäß § 8c KStG

Eine Konzernklausel ist zunächst bewusst nicht in § 8c KStG aufgenommen 98 worden.126) Sie wurde für Erwerbe nach dem 31. Dezember 2009 erst durch das Gesetz zur Beschleunigung des Wirtschaftswachstums (Wachstumsbeschleunigungsgesetz) vom 22. Dezember 2009127) mit § 8c Abs. 1 Satz 5 KStG eingeführt.128) Der Referentenentwurf des BMF vom 19. Februar 2015 (Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Protokollerklärung zum Gesetz zur Anpassung der Abgabenordnung an den Zollkodex oder Union und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften) sieht eine Neufassung der in § 8c Abs. 1 Satz 5 KStG geregelten Konzernklausel vor. Danach soll die Konzernklausel auch dann Anwendung finden, wenn die Konzernspitze selbst Übertragungen vornimmt und wenn es sich bei der Konzernspitze um eine Personenhandelsgesellschaft handelt.129) Umwandlungen nach dem Umwandlungsgesetz, auch wenn sie nach dem 99 Umwandlungssteuergesetz steuerneutral durchgeführt werden, können einen schädlichen Beteiligungserwerb i. S. d. § 8c KStG auslösen. Dabei spielt es nach Ansicht der Finanzverwaltung keine Rolle, ob es infolge der Umwandlung zu einer Verlängerung (etwa durch die Zwischenschaltung von Gesellschaften) oder einer Verkürzung (etwa durch Verschmelzungen)130) der Beteiligungskette gekommen ist. Der Formwechsel einer Verlustkörperschaft in eine andere Körperschaft führt nicht zur Anwendung des § 8c KStG, weil es nicht zu einem Wechsel der Anteilseigner kommt.131) Bei einem Formwechsel einer Verlustkörperschaft in eine Personengesellschaft ist die Nutzung der Verluste bereits durch § 4 Abs. 2 Satz 2 UmwStG ausgeschlossen. Die Berechnung des Umfangs eines mittelbaren Beteiligungserwerbes muss 100 auf Grundlage der veränderten Beteiligungsverhältnisse aus der Sicht des mittelbar wechselnden Anteilseigners beurteilt werden.132) e) Zeitpunkt des schädlichen Beteiligungserwerbs Der Zeitpunkt des schädlichen Beteiligungserwerbs oder des vergleichbaren 101 Sachverhalts bestimmt sich nach dem Zeitpunkt des Übergangs des wirtschaftlichen Eigentums gemäß § 39 AO.133) Danach liegt bei Kapitalerhöhungen ___________ 126) 127) 128) 129) 130)

BR-Drucks. 220/07, 108. BGBl. I 2009 S. 3950. Vgl. dazu den Entwurf eines Schreibens des BMF zu § 8c KStG vom 15.4.2014. Vgl. dazu die IDW-Stellungnahme, Ubg 2015, 252, und Geberth, DB 2015, 774. A. A. FG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 18.10.2011 – 8 K 8311/10, BB 2012, 1327 (Revision beim BFH – I R 79/11) und FG Düsseldorf, Urt. v. 9.2.2015 – 6 K 3339/12 K F, DStR 2015, 744 (Revision beim BFH – I R 16/15) mit Anm. Lüdicke. Danach ist § 8c KStG bei einer Abwärtsverschmelzung, die allein der Verkürzung der Beteiligungskette dient, im Sinne einer teleologischen Reduktion nicht anwendbar. 131) BMF-Schreiben v. 4.7.2008, IV C 7 – S 2745 a/08/10001, BStBl I 2008, 736, Rn. 11. 132) Dötsch/Pung/Möhlenbrock-Dötsch, KStG, § 8c Rn. 55; Suchanek/Herbst, FR 2007, 863, 864. 133) BMF-Schreiben v. 4.7.2008, IV C 7 – S 2745 a/08/10001, BStBl I 2008, 736, Rn. 13.

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C. Forderungsverzicht: Ertragsteuerliche Folgen auf Ebene der GmbH

ein schädlicher Beteiligungserwerb erst im Zeitpunkt der Eintragung in das Handelsregister vor.134) Im Falle einer steuerrechtlich zulässigen rückwirkenden Umwandlung ist die Verlustnutzung des übertragenden Rechtsträgers nach § 2 Abs. 4 UmwStG nur zulässig, wenn ihm diese auch ohne die rückwirkende Umwandlung möglich gewesen wäre.135) Das ist nach § 4 Abs. 2 Satz 2 UmwStG in der Fassung des Gesetzes über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Gesellschaft und zur Änderung weiterer steuerrechtlicher Vorschriften (SEStEG) vom 7. Dezember 2006136) nicht mehr der Fall. Nach dieser Vorschrift gehen verrechenbare Verluste, verbleibende Verlustvorträge oder nicht ausgeglichene negative Einkünfte eines übertragenden Rechtsträgers nicht auf den übernehmenden Rechtsträger über. f) Fünf-Jahres-Zeitraum 102 Ein Fünf-Jahres-Zeitraum gemäß § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG beginnt mit jedem mittelbaren oder unmittelbaren Beteiligungserwerb durch einen Erwerberkreis. Zu diesem Zeitpunkt muss noch kein Verlustvortrag der Körperschaft vorhanden sein.137) Danach löst – unabhängig von der Addition der Erwerbe innerhalb von fünf Jahren – jeder Beteiligungserwerb einen neuen Fünf-Jahres-Zeitraum aus, sodass sich mehrere Fünf-Jahres-Zeiträume überlappen können.138) Sobald innerhalb eines Fünf-Jahres-Zeitraums die Schwelle von 25 % überschritten wird, werden die Rechtsfolgen des § 8c KStG ausgelöst. In diesem Fall beginnt mit dem nächsten Beteiligungserwerb ein neuer Fünf-Jahres-Zeitraum.139) 103 Nach dem Überschreiten der 25 %- und vor dem Überschreiten der 50 %Grenze können weitere Beteiligungserwerbe zwar eine weitere anteilige Kürzung der nicht genutzten Verluste nach § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG nicht mehr bewirken. Allerdings sind die nicht genutzten Verluste nach § 8c Abs. 1 Satz 2 KStG vollständig nicht mehr abziehbar, wenn danach die Grenze von 50 % überschritten wird.140) Dies deshalb, weil § 8c Satz 2 KStG ein eigener Fünf-Jahres-Zeitraum zugrunde zu legen ist, der ebenfalls mit einem mittelbaren oder unmittelbaren Beteiligungserwerb beginnt. Eine quotale Kürzung des nicht genutzten Verlustes nach § 8c Satz 1 KStG löst deshalb keinen neuen Fünf-Jahres-Zeitraum für Zwecke des § 8c Satz 2 KStG aus. Vielmehr sind im Rahmen des § 8c Satz 1 KStG berücksichtigte Beteiligungserwerbe, die eine quotale Kürzung des nicht genutzten Verlustes ausgelöst haben, im Rahmen des § 8c Satz 2 KStG nochmals zu berücksichtigen. Wird die 50 %___________ 134) 135) 136) 137)

BMF-Schreiben v. 4.7.2008, IV C 7 – S 2745 a/08/10001, BStBl I 2008, 736, Rn. 14. Vgl. dazu Dörfler/Rautenstrauch/Adrian, BB 2009, 580. BGBl. I 2006 S. 2782. BMF-Schreiben v. 4.7.2008, IV C 7 – S 2745 a/08/10001, BStBl I 2008, 736, Rn. 16 f.; vgl. zu abweichenden Auffassungen Dötsch/Pung/Möhlenbrock-Dötsch, KStG, § 8c Rn. 26 m. w. N. 138) Vgl. Dötsch/Pung/Möhlenbrock-Dötsch, KStG, § 8c Rn. 26 m. w. N. 139) BMF-Schreiben v. 4.7.2008, IV C 7 – S 2745 a/08/10001, BStBl I 2008, 736, Rn. 18. 140) BMF-Schreiben v. 4.7.2008, IV C 7 – S 2745 a/08/10001, BStBl I 2008, 736, Rn. 20.

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III. Nichtabziehbarkeit von Verlusten gemäß § 8c KStG

Grenze überschritten, beginnt – unabhängig davon, ob zu diesem Zeitpunkt ein nicht genutzter Verlust vorhanden ist – ein neuer Fünf-Jahres-Zeitraum i. S. d. § 8c Satz 2 KStG mit dem nächsten Beteiligungserwerb. Bei einem unterjährigen Erwerb bezieht sich die Fünf-Jahres-Frist auf Zeit- 104 jahre, nicht auf die Veranlagungszeiträume. Sie ist deshalb Tag genau zu berechnen.141) Aufgrund der zeitraumbezogenen Betrachtung sollten die Steuerpflichtigen den Zeitpunkt eines Beteiligungserwerbs kritisch prüfen. Zum einen kann der Ablauf des Fünf-Jahres-Zeitraums abgewartet werden. Zum anderen können Beteiligungserwerbe in zeitversetzte Tranchen aufgeteilt werden.142) Die Finanzverwaltung begegnet solchen Gestaltungen allerdings mit der An- 105 wendung der Gesamtplanrechtsprechung des BFH und hat dies auch in das BMF-Schreiben zu § 8c KStG aufgenommen. Danach soll eine Mehrzahl von Beteiligungserwerben durch einen Erwerberkreis als ein Erwerb gelten, wenn ihnen ein Gesamtplan zugrunde liegt. In diesem Sinne soll ein schädlicher Gesamtplan jedenfalls dann widerleglich vermutet werden, wenn die Beteiligungserwerbe innerhalb eines Jahres erfolgen.143) Die mehrfache Übertragung der nämlichen Anteile ist schädlich, soweit sie je 106 Erwerberkreis die Beteiligungsgrenzen des § 8c KStG übersteigt. Wird mit einem unmittelbaren Beteiligungserwerb gleichzeitig auch ein mittelbarer Beteiligungsererb verwirklicht, so wird bei der Ermittlung der übertragenen Quote nur der unmittelbare Beteiligungserwerb berücksichtigt.144) 5. Erwerber Erwerber i. S. d. § 8c KStG können natürliche und juristische Personen sein. 107 Treten Personengesellschaften als Erwerber auf, sind nach Auffassung der Finanzverwaltung nur gewerbliche Personengesellschaften als „ein Erwerber“ i. S. d. § 8c KStG zu betrachten. Für vermögensverwaltende Personengesellschaften gilt die transparente Betrachtungsweise und deshalb eine anteilige Zurechnung nach § 39 Abs. 2 Nr. 2 AO.145) Wie bereits gesagt, kann sich der eine Erwerber i. S. d. § 8c KStG aus mehreren 108 Personen zusammensetzen, weil zum Erwerber auch die ihm nahestehenden Personen (§ 8c Abs. 1 Satz 1 KStG) und Personen mit gleich gerichteten Interessen (§ 8c Abs. 1 Satz 3 KStG) gehören. Die Finanzverwaltung bezeichnet diese Zusammenfassung als „Erwerberkreis“.146) ___________ 141) Frotscher/Maas-Frotscher, KStG, § 8c Rn. 72; Dötsch/Pung/Möhlenbrock-Dötsch, KStG, § 8c Rn. 26. 142) Rödder/Möhlenbrock, Ubg 2008, 595, 604. 143) BMF-Schreiben v. 4.7.2008, IV C 7 – S 2745 a/08/10001, BStBl I 2008, 736, Rn. 19. 144) BMF-Schreiben v. 4.7.2008, IV C 7 – S 2745 a/08/10001, BStBl I 2008, 736, Rn. 22. 145) BMF-Schreiben v. 4.7.2008, IV C 7 – S 2745 a/08/10001, BStBl I 2008, 736, Rn. 24. 146) BMF-Schreiben v. 4.7.2008, IV C 7 – S 2745 a/08/10001, BStBl I 2008, 736, Rn. 3; vgl. im Einzelnen zum Erwerberkreis Hinder/Hentschel, GmbHR 2015, 16.

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C. Forderungsverzicht: Ertragsteuerliche Folgen auf Ebene der GmbH

109 Das Gesetz definiert die nahestehenden Personen i. S. d. § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG nicht. In der Literatur ist umstritten, ob die allgemeinen Kriterien zur Annahme von verdeckten Gewinnausschüttungen i. S. d. § 8 Abs. 3 KStG oder die in § 1 Abs. 2 AStG niedergelegten Kriterien anzuwenden sind.147) Die das Nahestehen begründende Tatsache muss dabei bereits vor oder unabhängig von dem Beteiligungserwerb bestehen.148) Nach den allgemeinen Kriterien zur verdeckten Gewinnausschüttung reicht zur Begründung des “Nahestehens” jede rechtliche oder tatsächliche Beziehung zu einer anderen Person aus.149) 110 Personen mit gleich gerichteten Interessen gehören nach § 8c Abs. 1 Satz 3 KStG ebenfalls zum Erwerberkreis. Ausweislich der Gesetzesbegründung soll die Zusammenfassung von Beteiligungserwerben durch einen Erwerberkreis mit gleich gerichteten Interessen Gestaltungen begegnen – insbesondere der „Quartettstruktur“ – bei der vier einander nicht nahestehende Personen jeweils punktgenau nur 25 % (keine Person mehr als 25 %) der Anteile an der Verlustgesellschaft erwerben. Damit ist in der Praxis der Streit darüber, unter welchen Voraussetzungen von gleich gerichteten Interessen unter Fremden auszugehen ist, vorprogrammiert. Die Finanzverwaltung geht bereits dann von gleich gerichteten Interessen aus, wenn eine Abstimmung zwischen den Erwerbern stattgefunden hat, wobei kein Vertrag vorliegen müsse. Auch reiche die Verfolgung eines gemeinsamen Zwecks i. S. d. § 705 BGB zur Begründung gleich gerichteter Interessen aus, sei aber nicht Voraussetzung. Die gleich gerichteten Interessen müssten sich auch nicht auf den Erhalt des Verlustvortrags der Körperschaft richten. Gleich gerichtete Interessen sollen danach z. B. vorliegen, wenn mehrere Erwerber einer Körperschaft zur einheitlichen Willensbildung zusammenwirken. Ein Indiz gleich gerichteter Interessen sei auch die gemeinsame Beherrschung der Körperschaft.150) Ein „allgemeines“ gemeinsames Interesse an der wirtschaftlichen Entwicklung der Gesellschaft dürfte wohl noch nicht ausreichen, um eine schädliche Gruppenbildung anzunehmen, denn ein solches Interesse, das auf eine gemeinsame Gewinnerzielungsabsicht ausgerichtet ist, liegt jeder Investition zugrunde. Für das Vorliegen einer Erwerbergruppe i. S. d. § 8c Abs. 1 Satz 3 KStG muss vielmehr auf einen sachlichen Zusammenhang zwischen den einzelnen Erwerben in Form eines auf die Einflussnahme auf die betroffene Verlustgesellschaft gerichteten gemeinsamen Willens der einzelnen Personen abgestellt werden.151) Folgt man dieser Auffassung, dann würde ein zeitlicher Zusammenhang zwischen den Erwerben durch einander ___________ 147) Vgl. Frotscher/Maas-Frotscher, KStG, § 8c Rn. 45 ff. und Hinder/Hentschel, GmbHR 2015, 16 jew. m. w. N. 148) Rödder/Möhlenbrock, Ubg 2008, 595, 601; BMF-Schreiben v. 4.7.2008, IV C 7 – S 2745 a/08/10001, BStBl I 2008, 736, Rn. 25. 149) H 36 KStH 2008, Nahestehende Person – Kreis der nahestehenden Personen. 150) BMF-Schreiben v. 4.7.2008, IV C 7 – S 2745 a/08/10001, BStBl I 2008, 736, Rn. 27; vgl. dazu H 36 KStH 2008, Beherrschender Gesellschafter – Gleich gerichtete Interessen; dazu kritisch Hinder/Hentschel, GmbHR 2015, 16 m. w. N. 151) Neumann, GmbH-StB 2007, 249, 252; Dötsch/Pung, DB 2008, 1708; Rödder/Möhlenbrock, Ubg 2008, 595, 601; weitergehend van Lishaut, FR 2008, 798 ff.

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III. Nichtabziehbarkeit von Verlusten gemäß § 8c KStG

fremde Personen, selbst an einem Tag, möglicherweise auch in einer einzigen notariellen Erwerbsurkunde schuldrechtlich vereinbart, nicht ausreichen können, um einen schädlichen Erwerberkreis i. S. d. § 8c KStG zu begründen. 6. Rechtsfolgen a) Zeitpunkt und Umfang der Nichtabziehbarkeit von nicht genutzten Verlusten Bei einem schädlichen Beteiligungserwerb von mehr als 25 % bis 50 % ist der 111 nicht genutzte Verlust gemäß § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG in entsprechender Höhe nicht mehr abziehbar. Bei einem schädlichen Beteiligungserwerb von mehr als 50 % innerhalb eines Zeitraums von fünf Jahren ist der nicht genutzte Verlust gemäß § 8c Abs. 1 Satz 2 KStG vollständig nicht mehr abziehbar. Die Rechtsfolge tritt in dem Wirtschaftsjahr ein, in dem die 25 %Grenze bzw. die 50 %-Grenze überschritten wird. Verluste, die bis zum Zeitpunkt des schädlichen Beteiligungserwerbs entstanden sind, dürfen mit danach entstandenen Gewinnen weder ausgeglichen noch von ihnen abgezogen werden. Die Rechtsfolge erfasst damit den betroffenen Verlustausgleich und Verlustvortrag von Körperschaften. Entgegen der Auffassung der Finanzverwaltung152) ist zweifelhaft, ob die Wirkungen mit Blick auf den Wortlaut des Gesetzes auch für den Verlustrücktrag gelten.153) b) Unterjähriger schädlicher Beteiligungserwerb Tritt der schädliche Beteiligungserwerb während des laufenden Wirtschafts- 112 jahrs ein, unterliegt auch ein bis zu diesem Zeitpunkt erzielter Verlust der Verlustabzugsbeschränkung nach § 8c KStG. Ergibt sich in dem laufenden Wirtschaftsjahr insgesamt ein Verlust, so ist dieser zeitanteilig aufzuteilen, wobei die Körperschaft auch eine andere, wirtschaftlich begründete Aufteilung darlegen kann. Der anteilige unterjährige Verlust fällt zum Zeitpunkt des schädlichen Erwerbs weg und kann auch nicht mehr rückgetragen werden.154) Nach Auffassung der Finanzverwaltung soll ein innerhalb des laufenden 113 Wirtschaftsjahres bis zum Beteiligungserwerb erzielter Gewinn allerdings nicht mit noch nicht genutzten Verlustvorträgen verrechnet werden können.155) Dieser Verwaltungsauffassung ist in der Literatur widersprochen worden.156) Der BFH hat sich in seinem Urteil vom 30. November 2011157) dieser Kritik angeschlossen und entschieden, dass bei unterjährigem Beteiligungserwerb der unterjährige anteilige Gewinn bis zum Beteiligungserwerb mit Verlusten ___________ 152) 153) 154) 155) 156) 157)

BMF-Schreiben v. 4.7.2008, IV C 7 – S 2745 a/08/10001, BStBl I 2008, 736, Rn. 2. Vgl. Rödder/Möhlenbrock, Ubg 2008, 595, 604. A. A. Lang, DStZ 2008, 550, 559. BMF-Schreiben v. 4.7.2008, IV C 7 – S 2745 a/08/10001, BStBl I 2008, 736, Rn. 31 f. Siehe nur Rödder/Möhlenbrock, Ubg 2008, 595, 605. BFH, Urt. v. 30.11.2011 – I R 14/11, BStBl II 2012, 360.

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C. Forderungsverzicht: Ertragsteuerliche Folgen auf Ebene der GmbH

aus Vorjahren verrechnet werden kann. Die Entscheidung erging zwar nur zu einem schädlichen Beteiligungserwerb von 25-50 %, dürfte aber auf Beteiligungserwerbe über 50 % (dann vollständiger und nicht nur quotaler Untergang der Verlustvorträge, § 8c Abs. 1 S. 2 KStG) uneingeschränkt übertragbar sein. Das BFH-Urteil ist zwischenzeitlich im Bundessteuerblatt veröffentlicht worden und ist damit in allen offenen vergleichbaren Fällen anzuwenden.158) c) Körperschaftliche Organschaft (§ 14 KStG) 114 § 8c KStG erfasst auch das noch nicht zugerechnete anteilige negative Einkommen einer Organgesellschaft. Es ist vor der Einkommenszurechnung bereits auf der Ebene der Organgesellschaft zu kürzen.159) 115 Für die Beurteilung, inwieweit nicht genutzte Verluste nach § 8c KStG innerhalb einer Organgesellschaft nicht abziehbar sind, wenn ein mittelbarer und unmittelbarer Beteiligungserwerb erfolgen, müssen der Organträger und die Organgesellschaft getrennt betrachtet werden.160) d) Unternehmenssanierungen 116 Diesbezüglich verweist die Finanzverwaltung161) auf das BMF-Schreiben vom 27. März 2003 (sog. Sanierungserlass).162) e) Vermeidungsstrategien 117 Eine GmbH kann durch einen Verzicht auf eine Teilwertabschreibung in der Steuerbilanz die Entstehung oder die Erhöhung eines Verlustvortrages vermeiden. Nimmt die GmbH die Teilwertabschreibung in der Steuerbilanz nach dem Gesellschafterwechsel vor, so unterliegt ein daraus folgender Verlust nicht den Beschränkungen des § 8c KStG. Dazu das Folgende: 118 Mit dem Gesetz zur Modernisierung des Bilanzrechts (Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz – BilMoG) vom 25. Mai 2009163) ist § 5 Abs. 1 EStG geändert worden. Danach ist für die steuerliche Gewinnermittlung zwar weiterhin das nach handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung ermittelte Betriebsvermögen maßgeblich, § 5 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 EStG. Nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 EStG gilt allerdings: „es sei denn, im Rahmen der Ausübung eines ___________ 158) Finanzministerium des Landes Schleswig-Holstein, Körperschaftsteuer-Kurzinformation 2011 Nr. 10, aktualisiert am 16.7.2012, VI 3011-S 2745-069, juris. Diesbezüglich sieht der Entwurf eines BMF-Schreibens vom 15.4.2014 eine Verschärfung vor, vgl. Breuninger, GmbHR 2014, R 161 und Förster, DB 2015, 331, 337 ff. 159) BMF-Schreiben v. 4.7.2008, IV C 7 – S 2745 a/08/10001, BStBl I 2008, 736, Rn. 33. 160) BMF-Schreiben v. 4.7.2008, IV C 7 – S 2745 a/08/10001, BStBl I 2008, 736, Rn. 33, 32. 161) BMF-Schreiben v. 4.7.2008, IV C 7 – S 2745 a/08/10001, BStBl I 2008, 736, Rn. 34. 162) BMF-Schreiben v. 27.3.2003 – IV A 6-S 2140-8/03, BStBl I 2003, 240; siehe dazu im Einzelnen unter Rn. 121 ff. 163) BGBl. I 2009 S. 1102.

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IV. Sanierungserlass

steuerlichen Wahlrechts wird oder wurde ein anderer Ansatz gewählt.“ § 5 Absatz 1 EStG i. d. F. des BilMoG ist nach § 52 Absatz 1 Satz 1 EStG i. V. m. Artikel 15 des BilMoG erstmals für den Veranlagungszeitraum 2009, d. h. für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31. Dezember 2008 enden, anzuwenden. Nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 EStG können nunmehr unter anderem Wahl- 119 rechte, die nur steuerrechtlich bestehen, unabhängig vom handelsrechtlichen Wertansatz ausgeübt werden Die Ausübung des steuerlichen Wahlrechtes wird insoweit nicht nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 EStG durch die Maßgeblichkeit der handelsrechtlichen Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung beschränkt. Nach § 253 Abs. 3 Satz 3, Abs. 4 HGB sind Vermögensgegenstände des Anlage- und Umlaufvermögens bei voraussichtlich dauernder Wertminderung außerplanmäßig abzuschreiben. Gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 und Nr. 2 Satz 2 EStG kann bei einer voraussichtlich dauernden Wertminderung der Teilwert angesetzt werden. Die Vornahme einer außerplanmäßigen Abschreibung in der Handelsbilanz ist nach § 5 Abs. 1 EStG nicht zwingend in der Steuerbilanz durch eine Teilwertabschreibung nachzuvollziehen; der Steuerpflichtige kann darauf auch verzichten.164) In der Literatur werden weitere Gestaltungen zur Vermeidung des § 8c KStG 120 vorgeschlagen, die an dieser Stelle nicht weiter vertieft werden sollen.165) IV. Sanierungserlass Kann der auf einem Forderungsverzicht beruhende Gewinn nicht mit Ver- 121 lusten verrechnet werden, so ist die Frage zu beantworten, ob ein Erlass der auf einem solchen Gewinn beruhenden Ertragsteuern in Betracht kommt. In Sanierungsfällen spielt der Erlass von Ertragsteuern nach dem sog. Sanierungserlass des BMF eine bedeutende Rolle. 1. Rechtsentwicklung Nachdem der Gesetzgeber mit Wirkung zum Veranlagungszeitraum 1998 § 3 122 Nr. 66 EStG 1977 abgeschafft hatte, wonach Erhöhungen des Betriebsvermögens, die dadurch entstehen, dass Schulden zum Zweck der Sanierung ganz oder teilweise erlassen werden, steuerfrei waren, ergab sich ein Zielkonflikt mit dem Sanierungsgedanken der Insolvenzordnung.166) Die Aufhebung des § 3 Nr. 66 EStG 1977 wurde im Gesetzgebungsverfahren damit begründet, dass die Freistellung von Sanierungsgewinnen im Ergebnis eine doppelte Begünstigung des durch den Verzicht begünstigten Schuldners darstelle. Neben dem Sanierungsgewinn würden auch spätere „echte“ Gewinne steuerfrei ge___________ 164) BMF-Schreiben v. 12.3.2010 – IV C 6-S 2133/09/10001, BStBl I 2010, 239 Rn. 13. 165) Vgl. dazu den Überblick bei Dötsch/Pung/Möhlenbrock-Dötsch, KStG, § 8c Rn. 105 ff. und Frotscher/Maas-Frotscher, KStG, § 8c Rn. 160. 166) Zur Rechtsentwicklung der Steuerfreiheit des Sanierungsgewinns siehe Kahlert/RühlandKahlert, Sanierungs- und Insolvenzsteuerrecht, Rn. 2.2 f. und Seer, FR 2014, 721.

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C. Forderungsverzicht: Ertragsteuerliche Folgen auf Ebene der GmbH

stellt, da der Sanierungsgewinn nicht zu einem Verbrauch von Verlustvorträgen führe und daher faktisch eine zweifache Nutzung der Verluste ermögliche. Dies bewirke einen ungerechtfertigten Steuervorteil.167) 123 Hinsichtlich eines Sanierungsgewinns regelt das BMF mit dem Sanierungserlass vom 27.3.2003168) den Erlass von Steuerschulden aus sachlichen Billigkeitsgründen. Das BMF anerkennt ausdrücklich den Zielkonflikt zwischen der Insolvenzordnung (Ermöglichung von Sanierungen) und der Besteuerung von Sanierungsgewinnen (Vereitelung von Sanierungen). Der Sanierungserlass knüpft an die durch die Rechtsprechung des BFH vor und zu § 3 Nr. 66 EStG 1977 entwickelten Tatbestandsmerkmale an, nach denen die Besteuerung von Sanierungsgewinnen und die damit verbundenen Schwierigkeiten bei einer Unternehmenssanierung vermieden werden können, nämlich an die x

Sanierungsbedürftigkeit des Unternehmens,

x

Sanierungseignung des Schuldenerlasses und

x

Sanierungsabsicht der Gläubiger,169)

124 auch wenn er zusätzlich noch die Sanierungsfähigkeit des Unternehmens voraussetzt. Deshalb kann die Rechtsprechung des BFH zur Definition der durch den Sanierungserlass aufgestellten Voraussetzungen herangezogen werden.170) 2. Rechtmäßigkeit a) Verstoß gegen die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung? 125 Der X. und der VIII. Senat des BFH171) sowie der IX. Senat des BGH172) haben die in Literatur und von Finanzgerichten diskutierte Frage, ob der Sanierungserlass gegen die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung verstößt, zwar bislang offengelassen. Allerdings haben der X. Senat des BFH und der IX. Senat des BGH die Rechtmäßigkeit des Sanierungserlasses – wenn auch in nicht entscheidungserheblicher Weise – in ihren vorzitierten Entscheidungen be-

___________ 167) So die Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 13/7480; dazu auch Maus, ZIP 2002, 589 und ders., Steuern im Insolvenzverfahren, Rn. 409 ff. 168) BMF-Schreiben v. 27.3.2003 – IV A 6-S 2140-8/03, BStBl I 2003, 240. 169) Vgl. BFH, Urt. v. 7.11.1963 – I 359/60 S, BStBl III 1964, 122 m. N. aus der Rspr. 170) Vgl. dazu OFD Niedersachsen, Verfügung v. 19.6.2013 – S 2140 – 8 – St 244, (VD), BeckVerw 273825. 171) BFH, Urt. v. 14.07.2010 – X R 34/08, BStBl II 2010, 916 = ZIP 2010, 1807, dazu EWiR 2010, 807 (Lohmann); BFH, Urt. v. 28.2.2012 – VIII R 2/08, ZIP 2012, 989 = DStR 2012, 943, dazu EWiR 2012, 335 (Krumm) mit Anm. Kahlert. 172) BGH, Urt. v. 13.3.2014 – IX ZR 23/10, ZIP 2014, 882 = DStR 2014, 895, dazu EWiR 2014, 323 (Anzinger) mit Anm. Kahlert.

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IV. Sanierungserlass

jaht.173) Im Kern geht es um die Frage, ob der Sanierungserlass der Entscheidung des Gesetzgebers, § 3 Nr. 66 EStG 1977 aufzuheben, widerspricht. Hierüber hat der X. Senat des BFH174) in einem Revisionsverfahren erneut zu befinden. Das BMF hält an der Rechtmäßigkeit des Sanierungserlasses – zu Recht – fest; er ist weiter in Kraft.175) b) Verstoß gegen EU-Beihilfe-Verbot? In der Literatur wird die Frage diskutiert, ob eine rechtswidrige staatliche 126 Beihilfe i. S. d. Art. 107 Abs. 1 AEUV vorliegt, wenn der Fiskus auf Grundlage des Sanierungserlasses durch Sanierungsgewinne ausgelöste Steuern erlässt.176) Die Finanzverwaltung ist der Meinung, dass der Sanierungserlass nicht als unzulässige Beihilfe zu beurteilen ist.177) Nach Gragert178) hat die Europäische Kommission im Rahmen einer Einzelfallprüfung mitgeteilt, der Sanierungserlass sei beihilferechtlich nicht zu bestanden. Im Insolvenzverfahren über das Vermögen der IVG AG hat die Stadt Bonn Gewerbesteuer in Höhe von 102 Millionen € auf einen Sanierungsgewinn erlassen. Die Piratenpartei hat dies zum Anlass genommen, am 20. Mai 2014 bei der EU-Kommission eine Beschwerde einzureichen, weil es sich hierbei um eine unzulässige EUBeihilfe handele.179) Seer ist unter ausführlicher Darstellung des Streitstandes mit überzeugenden 127 Argumenten zu dem Ergebnis gelangt, der Sanierungserlass stelle keine rechtswidrige staatliche Beihilfe dar, weil es an einer Selektivität fehle. Im Übrigen legt Seer in zutreffender Weise dar, dass es sich um eine zulässige Alt-Beihilfe handeln würde.180) Wäre Art. 107 Abs. 1 AEUV anwendbar, so müsste die ___________ 173) BGH, Urt. v. 13.3.2014 – IX ZR 23/10, ZIP 2014, 882 = DStR 2014, 895 mit Anm. Kahlert; BFH, Urt. v. 14.07.2010 – X R 34/08, BStBl II 2010, 916 = ZIP 2010, 1807. Nach VII. Senat des BFH, BFH, Urt. v. 28.2.2012 – VIII R 2/08, ZIP 2012, 989 = DStR 2012, 943 kann bei der im Rahmen der Kostenentscheidung vorzunehmenden summarischen Prüfung (nach Erledigung der Hauptsache) nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass dem Sanierungserlass ein gesetzgeberische Wille entgegenstehe. Deshalb sei der Ausgang des Verfahrens offen und die Verfahrenskosten seien hälftig zu teilen. 174) BFH – X R 23/13, Vorinstanz FG Leipzig, Urt. v. 4.4.2013 – 1 K 759/12, ZIP 2013, 2274. 175) So ausdrücklich OFD Frankfurt v. 23.12.2014 – S 2140 A – 4 – St 213, juris. 176) Vgl. dazu Wehner, NZI 2012, 537; Blumenberg, DB 2011, 21; Herzig/Liekenbrock, Ubg 2011, 313; Fest, NZI 2011, 345; Frey/Mückl, GmbHR 2010, 1193; Khan/Adam, ZInsO 2008, 899; Herrmann, ZInsO 2003, 1069; Strüber/v. Donat, BB 2003, 2036. 177) BMF-Schreiben vom 10.8.2012 – IV C 6 – S 2140/11/10001 (n. v.) an die obersten Finanzbehörden der Länder und OFD Magdeburg, Verfügung v. 14.10.2005, G 1498 3 St 213, GewStK § 16 GewStG Karte 1 Blatt 1. 178) Gragert, NWB 2012, 2141. Frau Gragert ist als Sachbearbeiterin im BMF tätig und dort für den Bereich Gewinneinkünfte zuständig. 179) Beschwerde der Piratenpartei vom 20.5.2014 an die EU-Kommission, abrufbar unter: http://blog.piratenpartei-nrw.de/kvbonn/files/2014/05/Beschwerde_IVG.pdf. 180) Seer, FR 2014, 721. So auch im Ergebnis Blumenberg, IFSt-Schrift Nr. 473, 2011, dort IV. 3.; Herzig/Liekenbrock, Ubg 2011, 313, 326 f.

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C. Forderungsverzicht: Ertragsteuerliche Folgen auf Ebene der GmbH

Beihilfe zurückgewährt werden.181) Die Sanierung von Unternehmen wäre damit erheblich gefährdet, wenn nicht gar unmöglich. 3. Voraussetzungen des Sanierungserlasses a) Unternehmer- und unternehmensbezogene Sanierung 128 Eine Sanierung i. S. d. Sanierungserlasses ist eine Maßnahme, die darauf gerichtet ist, ein Unternehmen oder einen Unternehmensträger (juristische oder natürliche Person) vor dem finanziellen Zusammenbruch zu bewahren und wieder ertragsfähig zu machen. Umfasst sind damit, wie der Sanierungserlass in einem Klammerzusatz ausdrücklich verdeutlicht, lediglich unternehmensbezogene Sanierungen.182) Wird das Unternehmen nicht fortgeführt oder trotz der Sanierungsmaßnahmen eingestellt, so liegt eine Sanierung i. S. d. Sanierungserlasses nur vor, wenn Schulden aus betrieblichen Gründen erlassen werden. Der Sanierungserlass führt beispielhaft den Erlass von Schulden zur Ermöglichung eines Sozialplans zugunsten von Arbeitnehmern auf. Im Fall einer übertragenden Sanierung ist nach dem Sanierungserlass von einem betrieblichen Interesse auszugehen, soweit der Schuldenerlass erforderlich ist, um das Nachfolgeunternehmen von der Inanspruchnahme von Schulden des Vorgängerunternehmens (der Sanierungserlass erwähnt beispielhaft § 25 Abs. 1 HGB) freizustellen.183) 129 Das BMF hat mit Schreiben vom 22.12.2009 anerkannt, dass auch die Besteuerung von Sanierungsgewinnen im Rahmen der Durchführung des Restschuldbefreiungsverfahrens (§§ 286 ff. InsO), des Verbraucherinsolvenzverfahrens (§§ 304 ff. InsO) oder des Planinsolvenzverfahrens (§§ 217 ff. InsO) im Widerspruch zu den Zielen des Insolvenzverfahrens stehen würde. Auf dieser Grundlage erklärt das BMF den Sanierungserlass für auf diese Fälle anwendbar, wobei dessen Rn. 2 (keine Begünstigung einer unternehmerbezogenen Sanierung) nicht anzuwenden sei. Das BMF stellt zudem klar, dass die Fälle der Planinsolvenz (§§ 217 ff. InsO) originär in den Anwendungsbereich des Sanierungserlasses fallen. Das BMF-Schreiben vom 22. Dezember 2009 ist auf alle offenen Fälle anzuwenden.184) 130 Nach Auffassung des X. Senats des BFH ist die Nichterfassung von Sanierungsgewinnen, die auf außergerichtlich erreichten, unternehmerbezogenen Sanierungen beruhen, gerechtfertigt, weil in dem Sanierungserlass und in dem BMF-Schreiben vom 22. Dezember 2009 unternehmensbezogene Sanierungen ___________ 181) Pannen/Deuchler/Kahlert/Undritz-Arhold, Sanierungsberatung, Rn. 382 zu Art. 87 EG-Vertrag m. w. N.; zu Art. 107 AEUV Blumenberg, DB 2011, 21, 22 f. 182) BMF-Schreiben v. 27.3.2003, IV A 6-S 2140-8/03, BStBl I 2003, 240, Rn. 1; vgl. BFH, Urt. v. 10.4.2003 – IV R 63/01, BStBl II 2004, 9 = ZIP 2003, 1949 = ZVI 2003, 515, dazu EWiR 2003, 1137 (Hölzle), zu § 3 Nr. 66 EStG 1977. 183) BMF-Schreiben v. 27.3.2003, IV A 6-S 2140-8/03, BStBl I 2003, 240, Rn. 2. 184) BMF-Schreiben v. 22.12.2009, IV C 6-S 2140/07/10001-01, BStBl I 2010, 18.

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IV. Sanierungserlass

geregelt seien, es also darum gehe, das betroffene Unternehmen wieder ertragsfähig werden zu lassen. Ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 GG) ist nach dem X. Senat des BFH nicht gegeben, weil der Schuldner im Insolvenzverfahren die Schuldbefreiung nur nach besonderen insolvenzrechtlichen Regeln erlange.185) b) Sanierungsgewinn aufgrund Schuldenerlass Ein Sanierungsgewinn ist nach dem Sanierungserlass die Erhöhung des Be- 131 triebsvermögens, die dadurch entsteht, dass Schulden zum Zwecke der Sanierung ganz oder teilweise erlassen werden. Als Schuldenerlass ist nach dem Sanierungserlass eine zwischen Schuldner und Gläubiger abgeschlossene vertragliche Vereinbarung anzusehen, durch die der Gläubiger auf seine Forderung verzichtet. Ein Schuldenerlass liegt nach dem Sanierungserlass zudem im Fall eines negativen Schuldanerkenntnisses vor.186) Des Weiteren werden durch die Finanzverwaltung als Schuldenerlass beurteilt ein außergerichtlicher Vergleich (§ 779 BGB), ein gerichtlicher Vergleich, ein Anwaltsvergleich (§§ 796a ff. ZPO) und ein Insolvenzplan (§§ 217 ff. InsO).187) In der Praxis beurteilt die Finanzverwaltung einen Gewinn, der durch die 132 Vereinigung von Forderung und Schuld (Konfusion) – beispielsweise durch Abtretung der Forderung an das notleidende Unternehmen – entsteht, nicht als Sanierungsgewinn. Sie bezieht sich dabei auf die Rechtsprechung des BFH zu § 3 Nr. 66 EStG 1977.188) Der BFH hat zwar eingeräumt, dass die Konfusion wirtschaftlich dasselbe Ergebnis erreiche wie der Erlass von Schulden. Er hat allerdings den Wortlaut des § 3 Nr. 66 EStG 1977 für maßgeblich gehalten, wonach nur der Erlass von bestehenden Ansprüchen begünstigt sei. Da es in den hier zu beurteilenden Fällen nicht um die Anwendung eines Gesetzes geht, das ausdrücklich einen Schuldenerlass fordert, sondern um die Anwendung sachlicher Billigkeitsregeln, muss m. E. auch ein Konfusionsgewinn als Sanierungsgewinn beurteilt werden können. So hat auch der Große Senat des BFH in 1997 im Zusammenhang mit der verdeckten Einlage in Form eines Forderungsverzichts zu Recht entschieden, es sei gleichgültig, ob der Gesellschafter eine gegen die Gesellschaft gerichtete Forderung an die Gesellschaft abtritt oder ihr die entsprechende Schuld erlässt. Beide Vorgänge könnten nicht unterschiedlich bewertet werden, weil die abgetretene For-

___________ 185) BFH, Urt. v. 14.7.2010 – X R 34/08, BStBl II 2010, 916 = ZIP 2010, 1807; vgl. dazu die kritische Anm. von Kahlert, DStR 2010, VI. Das BVerfG hat die gegen das Urteil des BFH v. 14.7.2010 eingelegte Verfassungsbeschwerde – 2 BvR 2583/10 mit Beschl. v. 14.7.2011 nicht zur Entscheidung angenommen. 186) BMF-Schreiben v. 27.3.2003 – IV A 6-S 2140-8/03, BStBl I 2003, 240, Rn. 3. 187) OFD Niedersachsen, Verfügung v. 29.6.2012, S 2140 – 8 – St 244, BeckVerw 262719. 188) BFH, Urt. v. 14.10.1987 – I R 381/83, BFH/NV 1989, 141.

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C. Forderungsverzicht: Ertragsteuerliche Folgen auf Ebene der GmbH

derung durch die Vereinigung mit der Verbindlichkeit untergeht, das Ergebnis also demjenigen eines Forderungsverzichts entspreche.189) 133 Da eine GmbH ihren Gewinn nach § 8 Abs. 1 KStG, §§ 5 Abs. 1, 4 EStG durch einen Vergleich des Betriebsvermögens zum Anfang des Wirtschaftsjahres mit dem Betriebsvermögen zum Schluss des Wirtschaftsjahres nach den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung zu ermitteln hat (Betriebsvermögensvergleich), kann ein Schuldenerlass zu der vom Sanierungserlass vorausgesetzten Erhöhung des Betriebsvermögens führen. Liegen die im Sanierungserlass beschriebenen Voraussetzungen vor, so ist diese Erhöhung des Betriebsvermögens als Sanierungsgewinn zu qualifizieren. 134 Im Vergleich dazu bewirkt ein Schuldenerlass bei einer Ermittlung des Gewinns nach § 4 Abs. 3 EStG (Überschussrechnung) grundsätzlich keinen Gewinn. Die Wirtschaftsgüter des Unternehmens – und somit auch die Schuld – stellen zwar Betriebsvermögen dar, dieses hat jedoch auf den Gewinn grundsätzlich keinen Einfluss. Denn bei einer Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG werden nicht Betriebsvermögen verglichen. Vielmehr wird der Gewinn durch eine Gegenüberstellung der Einnahmen und der Ausgaben im Sinne einer Zufluss- und Abflussrechnung (vgl. § 11 EStG) ermittelt. Deshalb wirkt sich auch ein Schuldenerlass grundsätzlich nicht gewinnerhöhend aus; er stellt weder eine Einnahme noch eine Ausgabe dar. Etwas anderes gilt allerdings dann, wenn die Verbindlichkeit der Anschaffung eines Wirtschaftsgutes dient. Handelt es sich um ein Wirtschaftsgut des Umlaufvermögens, so führt die Veräußerung nach dem Schuldenerlass zu einer Gewinnerhöhung, weil den Einnahmen aus der Veräußerung keine korrespondierende Ausgabe (Begleichung der Schuld) gegenübersteht.190) Handelt es sich um ein abnutzbares Wirtschaftsgut des Anlagevermögens, so beurteilt der BFH den Schuldenerlass als Einnahme. Der BFH hat dies mit dem Grundsatz der Gesamtgewinngleicheit von Betriebsvermögensvergleich und Überschussrechnung begründet. Da der Wertverzehr der Anschaffungskosten durch die AfA-Beträge bei der Überschussrechnung vergleichbar mit der Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich zu erfassen sei, müsse dies auch für den Wegfall der Verbindlichkeit gelten, die der Anschaffung des entsprechenden Wirtschaftsguts dient.191) Da der Sanierungserlass dem Wortlaut nach voraussetzt, dass der Schuldenerlass eine Betriebsvermögensmehrung bewirkt, sollte im Einzelfall mit dem Finanzamt abgestimmt werden, ob und in welchem Umfang die vorstehend beschriebenen Gewinnerhöhungen bei einer Überschussrechnung in den Anwendungsbereich des Sanierungser___________ 189) BFH, Urt. v. 9.6.1997 – GrS 1/94, BStBl II 1998, 307 = ZIP 1998, 471 Rn. 46. 190) Vgl. dazu Blümich Wied, EStG, § 4 Rn. 184. 191) BFH, Urt. v. 31.8.1972 – IV R 93/67, BStBl II 1973, 51 betreffend den Wegfall einer Leibrentenverpflichtung. Diese Grundsätze gelten auch bei Verzicht auf ein Darlehen, das der Anschaffung eines abnutzbaren Wirtschaftsguts des Anlagevermögens dient, vgl. Blümich-Wied, EStG, § 4 Rn. 187; vgl. zum Ganzen auch Littmann/Bitz/PustNacke, EStG, §§ 4,5 Rn. 1538 m. w. N.

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IV. Sanierungserlass

lasses fallen. Im Einzelfall ist auch zu prüfen, ob ein vorheriger Wechsel zum Betriebsvermögensvergleich vorteilhaft sein könnte.192) Soll auf die Forderung nicht endgültig verzichtet werden, so kann der Forde- 135 rungsverzicht unter der auflösenden Bedingung vereinbart werden, dass die Forderung im Fall der Besserung der wirtschaftlichen Lage wiederaufleben soll.193) Es ist aber auch möglich, zu vereinbaren, dass im Besserungsfall eine neue Forderung entsteht.194) Unabhängig von der rechtlichen Gestaltung bewirkt ein Forderungsverzicht gegen Besserungsschein zunächst einen echten Verzicht im Wege eines Erlasses.195) Die so erlassene Verbindlichkeit ist nicht mehr in der Handelsbilanz zu passivieren.196) c) Sanierungsbedürftigkeit Das von dem Schuldenerlass begünstigte Unternehmen muss sanierungsbe- 136 dürftig sein. Es geht um die Beantwortung der Frage, ob die Existenz des Unternehmens derart bedroht ist, dass es ohne den Schuldenerlass nicht ertragbringend weitergeführt werden kann.197) Hierbei kommt es entscheidend darauf an, wie sich das Unternehmen ohne den Schuldenerlass weiter entwickeln würde. Diesbezüglich ist die Gesamtleistungsfähigkeit des Unternehmens maßgeblich.198) Es sind die Verhältnisse im Zeitpunkt des Schuldenerlasses maßgebend. Es ist auf Ertragslage und Höhe des Betriebsvermögens vor und nach Sanierung abzustellen, auf die Kapitalverzinsung durch die Erträge des Unternehmens und das Verhältnis der flüssigen Mittel zur Gesamtschuldenlast des Unternehmens.199) Werden von einer Person mehrere getrennte Unternehmen betrieben, von denen nur ein einzelnes oder einzelne sanierungsbedürftig sind, so ist die Gesamtheit der Unternehmen zu betrachten.200) ___________ 192) Vgl. R 4.6 EStR zu den Voraussetzungen und Rechtsfolgen eines Wechsels der Gewinnermittlungsart, insbesondere auch zu einem dadurch ausgelösten Übergangsgewinn. 193) BFH, Urt. v. 30.5.1990 – I R 41/87, BStBl II 1991, 588, der den Fall eines auflösend bedingten Verzichts zu beurteilen hatte. 194) Budde/Förschle/Winkeljohann-Förschle/Heinz, Sonderbilanzen, Abschnitt Q Rn. 44. 195) Vgl. BMF-Schreiben v. 2.12.2003, IV A 2-S-2743-5/03, BStBl I 2003, 448 (unter 1., Absatz 2); BFH, Urt. v. 30.5.1990 – I R 41/87, BStBl II 1991, 588. 196) BMF-Schreiben v. 27.3.2003, IV A 6-S 2140-8/03, BStBl I 2003, 240, Rn. 5; BFH, Urt. v. 30.5.1990 – I R 41/87, BStBl II 1991, 588; Schmidt/Uhlenbruck-Wittig, Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, Rn. 515. 197) BFH, Urt. v. 12.12.2013 – X R 39/10, ZIP 2014, 638, dazu EWiR 2014, 255 (Schmittmann). 198) BFH, Urt. v. 27.1.1998 – VIII R 64/96, BStBl. II 1998, 537 (unter 3. c.) – zu § 3 Nr. 66 EStG 1977. 199) BFH, Urt. v. 27.1.1998 – VIII R 64/96, BStBl. II 1998, 537 – zu § 3 Nr. 66 EStG 1977, und BFH, Urt. v. 25.10.1963 – I 359/60 S, BStBl. III 1964, 122 – zu der Rechtslage vor § 3 Nr. 66 EStG 1977; vgl. dazu OFD Niedersachsen v. 19.6.2013 – S 2140 – 8 – St 248 (VD), BeckVerw 273825. 200) BFH, Urt. v. 25.10.1963 – I 359/60 S, BStBl III 1964, 122. Vgl. dazu auch OFD Niedersachsen v. 19.6.2013 – S 2140 – 8 – St 248 (VD), BeckVerw 273825.

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C. Forderungsverzicht: Ertragsteuerliche Folgen auf Ebene der GmbH

137 Im Rahmen der Beurteilung des Gewinns eines Einzelunternehmers aus einem Schuldenerlass als Sanierungsgewinn hat bereits der Reichsfinanzhof in seinem Urteil vom 23. März 1938201) ausgeführt: „Eine Sanierungsbedürftigkeit würde im Übrigen auch dann zu verneinen sein, wenn der Schuldner bei der Sanierung noch sonstiges Vermögen besessen hätte, dessen Einlage die Illiquidität des Betriebes beseitigt haben würde.“ (Hervorhebung durch den Verfasser). Der I. Senat des BFH und der XI. Senat des BFH haben an diese Rechtsprechung angeknüpft und beziehen in die Beurteilung der Sanierungsbedürftigkeit des Unternehmens die Höhe des Privatvermögens des Einzelunternehmers ein.202) 138 Der BFH hatte sich im Rahmen des § 3 Nr. 66 EStG 1977 mit der Frage zu befassen, welchen Einfluss der Erlass von Schulden, die dem Sonderbetriebsvermögen eines Gesellschafters zuzuordnen sind, auf die Sanierungsbedürftigkeit der Gesellschaft hat. Der IV. Senat des BFH hatte in seinem Urteil vom 3. Juli 1997203) über einen Fall zu befinden, in dem ein Kommanditist seiner Kommanditgesellschaft Hotels zur Nutzung auf Grundlage eines Mietvertrages zur Verfügung stellte, wobei er die Hotels fremdfinanzierte. Der IV. Senat des BFH hat neben der unternehmerbezogenen Sanierung auch die unternehmensbezogene Sanierung geprüft. Hinsichtlich der unternehmensbezogen Sanierung hat der IV. Senat des BFH die Sanierungsbedürftigkeit der Kommanditgesellschaft problematisiert. Er hat festgestellt, dass eine solche nur dann gegeben sei, wenn die Kommanditgesellschaft durch das Sonderbetriebsvermögen als solche in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten wäre. Es reiche nicht aus, wenn ein Mitunternehmer (Inhaber des Sonderbetriebsvermögens) nicht mehr in der Lage sei, seinen finanziellen Verpflichtungen nachzukommen. Im Streitfall hat der IV. Senat des BFH festgestellt, dass die Kommanditgesellschaft zu keinem Zeitpunkt in ihrer Existenz bedroht und damit nicht sanierungsbedürftig gewesen sei. 139 Der VIII. Senat des BFH hatte in seinem Urteil vom 27. Januar 1998204) über einen Sachverhalt zu befinden, in dem der Gesellschafter einer OHG aufgrund eines Forderungsverzichts betreffend eine Leibrente in seinem Sonderbetriebsvermögen einen Gewinn erzielte. Der VIII. Senat des BFH hat an die vorstehend dargestellte Rechtsprechung des IV. Senats des BFH angeknüpft und entschieden, dass bei einer Überschuldung des Sonderbetriebsvermögens eines Gesellschafters das Merkmal der Sanierungsbedürftigkeit nur dann gegeben ist, wenn die Gesellschaft als solche ohne den Schuldenerlass in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten wäre. Dies könne zum einen ___________ 201) RFH v. 23.3.1939 – VI 95/38, RStBl. 1938, 566. 202) BFH, Urt. v. 25.10.1963 – I 359/60 S, BStBl. III 1964, 122; BFH, Urt. v. 3.12.1963 – I 375/60 U, BStBl. III 1964, 128; BFH, Urt. v. 14.3.1990 – I R 129/85, BStBl. II 1990, 955 = ZIP 1991, 1083, dazu EWiR 1990, 1203, dazu EWiR 1990, 1203 (Onusseit); BFH, Urt. v. 22.4.1998 – XI R 48/95, BFH/NV 1998, 1214; so auch BFH, Urt. v. 12.12.2013 – X R 39/10, ZIP 2014, 638. 203) BFH, Urt. v. 3.7.1997 – IV R 31/96, BStBl. II 1997, 609. 204) BFH, Urt. v. 27.1.1998 – VIII R 64/96, BStBl. II 1998, 537.

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IV. Sanierungserlass

dadurch geschehen, dass das Unternehmen infolge wirtschaftlicher Verhältnisse des persönlich haftenden Gesellschafters nicht mehr kreditwürdig sei. Zum anderen sei dies der Fall, wenn es zur Zerschlagung des Unternehmens kommen könne, weil Gläubiger in den Gesellschaftsanteil oder das Gesellschaftsvermögen vollstrecken könnten. Dies hätte im Streitfall auch deshalb nahegelegen, so der VIII. Senat des BFH, weil die Kapitalausstattung der Gesellschaft im Wesentlichen durch den klagenden Gesellschafter und seiner persönlichen Mitarbeit bestimmt war. Der VIII. Senat des BFH hat hinsichtlich der Sanierungsbedürftigkeit weiter festgestellt: „Haften natürliche Personen für die Unternehmensverbindlichkeiten, so ist die Höhe ihres Privatvermögens in die Betrachtung einzubeziehen. Ein Unternehmen ist nicht sanierungsbedürftig, wenn durch Heranziehen des Privatvermögens die Verpflichtungen erfüllt werden können (es folgen Nachweise aus der Rechtsprechung).“ (Hervorhebungen durch den Verfasser). Deshalb, so der VIII. Senat des BFH „… wird [das FG] also auch die Vermögenssituation des zweiten Gesellschafters prüfen und unter Berücksichtigung des Ergebnisses der Prüfung feststellen müssen, ob die Klägerin durch den hohen Verlust des Kapitals und der Mitarbeit des B sanierungsbedürftig war.“ Nach den beiden vorstehend dargestellten Urteilen des BFH setzt die Sanie- 140 rungsbedürftigkeit einer Gesellschaft, wenn der Gesellschafter als Sonderbetriebsvermögen zu beurteilende Schulden besitzt, voraus, dass (1) die Gesellschaft durch die Schulden des Gesellschafters selbst in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten würde, was eine Haftung der Gesellschaft für die Schulden des Gesellschafters voraussetzen dürfte, und (2) der Gesellschafter kein sonstiges Privatvermögen besitzt, mit dem er die Schulden begleichen könnte. Hierbei kommt es dann, wenn die Gesellschafter für die Schulden gesamtschuldnerisch haften, auf die Vermögensverhältnisse aller Gesamtschuldner an. Nach Rn. 4 des Sanierungserlasses ist davon auszugehen, dass die Vorausset- 141 zungen für die Anwendung der im Sanierungserlass vorgesehenen Billigkeitsmaßnahmen – also auch die Sanierungsbedürftigkeit – erfüllt sind, wenn ein Sanierungsplan vorliegt.205) Dem liegt m. E. die zutreffende Erwägung zugrunde, dass das Steuerrecht an ein durch Interessengegensätze geprägtes Sanierungskonzept anzuknüpfen hat. Mit dem Sanierungsplan ist m. E. deshalb die objektive Sanierungsbedürftigkeit i. S. d. Rechtsprechung des BFH durch den Schuldner nachgewiesen.206)

___________ 205) Vgl. dazu Rn. 121 ff. 206) BFH, Urt. v. 3.12.1963 – I 375/60 U, BStBl. III 1964, 128. Vgl. dazu auch BFH, Urt. v. 12.12.2013 – X R 39/10, ZIP 2014, 638, Rn. 28.

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C. Forderungsverzicht: Ertragsteuerliche Folgen auf Ebene der GmbH

d) Sanierungsfähigkeit 142 Nach der Rechtsprechung der FG war bis zur Aufhebung des § 3 Nr. 66 EStG 1977 eine Sanierungsfähigkeit nicht Voraussetzung für einen Sanierungserlass. Diese Voraussetzung wurde erstmals durch den Sanierungserlass eingeführt.207) Es ist fraglich, ob diese Voraussetzung steuerlich eine eigenständige Bedeutung hat. Die Finanzverwaltung prüft Sanierungsfähigkeit und Sanierungseignung jedenfalls in einem Schritt.208) Nach dem IDW S 6 ist ein erwerbswirtschaftliches Unternehmen nur dann sanierungsfähig, wenn zunächst die Annahme der Unternehmensfortführung i. S. d. § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB bejaht werden kann und somit keine rechtlichen oder tatsächlichen Gegebenheiten der Fortführung der Unternehmenstätigkeit entgegenstehen. Darüber hinaus sind durch geeignete Maßnahmen – in einem ggf. entsprechend verlängerten Prognosezeitraum – auch nachhaltig sowohl die Wettbewerbsfähigkeit als auch die Renditefähigkeit wiederzuerlangen (nachhaltige Fortführungsfähigkeit).209) e) Sanierungseignung 143 Ein Unternehmen ist sanierungsgeeignet, wenn es im Zeitpunkt des Erlasses als lebensfähig angesehen werden kann. Die Sanierungsmaßnahme muss – allein oder im Zusammenspiel mit weiteren Maßnahmen – geeignet sein, das Überleben des Unternehmens zu sichern.210) Es ist dabei nicht erforderlich, dass die verschiedenen für den Sanierungserfolg notwendigen Maßnahmen zeitlich unmittelbar aufeinanderfolgen.211) f) Sanierungsabsicht 144 Eine Schuld wird in der Regel in Sanierungsabsicht erlassen, wenn der Schuldner sanierungsbedürftig und der Erlass geeignet ist, die Sanierung herbeizuführen. Eigennützige Motive des Gläubigers, wie etwa die Rettung eines Teils der Restforderung, sind unschädlich, sofern nur die Sanierungsabsicht mitentscheidend war.212) Eine Sanierungsabsicht kann unterstellt werden, wenn sich mehrere Gläubiger an einem Schuldenerlass beteiligen. Dies deshalb, da angenommen werden kann, dass das gleich gerichtete Vorgehen ___________ 207) Irreführend Frey/Mückl, GmbHR 2010, 1193, die in Fn. 18 zu Unrecht BFH, Urt. v. 16.5.2002 – IV R 11/01, BStBl. II 2002, 854 heranziehen. Auch in diesem Urteil stellt der BFH nicht die Voraussetzung der Sanierungsfähigkeit auf. 208) OFD Niedersachsen v. 19.6.2013 – S 2140 – 8 – St 244 (VD), BeckVerw 273825. 209) IDW Standard: Anforderungen an die Erstellung von Sanierungskonzepten (IDW S 6), FN-IDW 2012, 719, Rn. 11; vgl. zur vorherigen Fassung Eisolt, BB 2010, 427; vgl. auch Maus, Steuern im Insolvenzverfahren, Rn. 417. 210) BFH, Urt. v. 16.5.2002 – IV R 11/01, BStBl II 2002, 854, zu § 3 Nr. 66 EStG 1977. 211) BFH, Urt. v. 17.11.2004 – I R 11/04, BFH/NV 2005, 1027, zu § 3 Nr. 66 EStG 1977. 212) BFH, Urt. v. 17.11.2004 – I R 11/04, BFH/NV 2005, 1027 und BFH. Urt. v. 8.9.2010 – IV B 109/09, BFH/NV 2011, 30 – jew. zu § 3 Nr. 66 EStG 1977.

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IV. Sanierungserlass

mehrerer nicht allein von deren jeweiligen Interessen geleitet wird.213) Im Fall des Erlasses durch nur einen Gläubiger ist anhand von Indizien zu prüfen, ob dem Schuldenerlass die Absicht zugrunde gelegen hat, den Schuldner vor dem Zusammenbruch zu bewahren.214) Eine Sanierungsabsicht scheitert nicht generell daran, dass der Forderungsverzicht durch einen Insolvenzverwalter erklärt wird. Nach Auffassung des BFH ist nicht auszuschließen, dass auch die Willensrichtung eines Insolvenzverwalters dahin geht, den vom Forderungsverzicht begünstigten Schuldner zu sanieren. Dies könne etwa – wie bei jedem anderen Gläubiger auch – dann der Fall sein, wenn der Insolvenzverwalter auf einen Teil der Forderungen verzichtet, um wenigstens den verbleibenden Teil der Forderungen realisieren zu können.215) g) Sanierungsplan Liegt ein Sanierungsplan vor, so kann nach dem Sanierungserlass davon aus- 145 gegangen werden, dass die Voraussetzungen Sanierungsbedürftigkeit, Sanierungsfähigkeit, Sanierungseignung und Sanierungsabsicht erfüllt sind.216) Der Sanierungserlass definiert dabei die Anforderungen, die an einen Sanierungsplan zu stellen sind, nicht. Es ist daher unklar, was unter einem Sanierungsplan zu verstehen ist.217) Die Finanzverwaltung sollte den Begriff nicht zu eng auslegen. In der Literatur wird gefordert, jeden Gläubigerplan als ausreichend anzusehen, wenn in diesem dargestellt ist, wie durch den vereinbarten Erlass die Ertragsfähigkeit des begünstigten Unternehmens wieder hergestellt werden kann.218) Hierbei empfiehlt es sich, dass die vier dargestellten Voraussetzungen des Sanierungserlasses für die Annahme eines steuerbegünstigten Sanierungsgewinns in dem Sanierungsplan einzeln abgehandelt werden. Ein Sanierungsplan gewinnt zudem an Bedeutung und Überzeugungskraft, wenn er von einem außenstehenden Fachmann aufgestellt wird.219) Ein Plan, der den Anforderungen des IDW S 6220) genügt, sollte in jedem Fall den Begriff des Sanierungsplans ausfüllen.221) Liegt ein Sanierungsplan nicht vor, so kann allerdings allein hieraus nicht im Umkehrschluss gefolgert werden, dass keine begünstigte ___________ 213) Jeweils zu § 3 Nr. 66 EStG 1977: BFH, Urt. v. 17.11.2004 – I R 11/04, BFH/NV 2005, 1027; BFH, Urt. v. 10.4.2003 – IV R 63/01, ZIP 2003, 1949 = ZVI 2003, 515 = BStBl. II 2004, 9, BFH, Urt. v. 14.3.1990 – I R 64/85, ZIP 1991, 948. 214) BFH, Urt. v. 10.4.2003 – IV R 63/01, ZIP 2003, 1949 = ZVI 2003, 515 = BStBl. II 2004, 9 = BFH, Urt. v. 16.5.2002 – IV R 11/01, BStBl. II 2002, 854 – zu § 3 Nr. 66 EStG 1977. 215) BFH, Beschl. v. 26.6.2003 – X B 42/03, BFH/NV 2003, 1183 und BFH, Urt. v. 12.10.2005 – X R 20/03, BFH/NV 2006, 713 – jew. zu § 3 Nr. 66 EStG 1977. 216) BMF-Schreiben v. 27.3.2003, IV A 6-S 2140-8/03, BStBl I 2003, 240, Rn. 4. 217) Strüber/v. Donat, BB 2003, 2036. 218) Janssen, DStR 2003, 1055; in diesem Sinne BFH, Beschl. v. 24.3.2015 – X B 127/14, juris. 219) Maus, Steuern im Insolvenzverfahren, Rn. 419; so auch Blöse, GmbHR 2003, 579. 220) IDW Standard: Anforderungen an die Erstellung von Sanierungskonzepten (IDW S 6), FN-IDW 2012, 719. 221) So im Ergebnis auch Blöse, GmbHR 2003, 579.

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C. Forderungsverzicht: Ertragsteuerliche Folgen auf Ebene der GmbH

Sanierung gegeben ist.222) In diesem Fall hat der Steuerpflichtige das Vorliegen der Voraussetzungen des Sanierungserlasses darzulegen.223) 146 Nach dem BMF-Schreiben vom 22. Dezember 2009 fällt die Planinsolvenz (§§ 217 ff. InsO) originär in den Anwendungsbereich des Sanierungserlasses.224) Danach liegen die Voraussetzungen des Sanierungserlasses bei einem Insolvenzplan stets vor. h) Beurteilungszeitpunkt 147 Für die Prüfung, ob die Voraussetzungen des Sanierungserlasses vorliegen, sind nach zutreffender Ansicht des BFH und der Finanzverwaltung die Verhältnisse im Zeitpunkt des Schuldenerlasses maßgebend. Es handelt sich um eine Prognoseentscheidung.225) Die Ansicht von VG, wonach es für die Beurteilung der Voraussetzungen eines Sanierungsgewinns auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung – also den Zeitpunkt des späteren Steuererlasses – ankomme, ist unzutreffend.226) i) Sanierungskosten 148 Nach Auffassung der Finanzverwaltung ist § 3c Abs. 1 EStG entsprechend anzuwenden mit der Folge, dass Sanierungskosten nicht als Betriebsausgaben abgezogen werden können. Allerdings sollen sie den Sanierungsgewinn (auch Veranlagungszeitraum übergreifend) mindern.227) j) Schuldenerlass durch Gesellschafter 149 Nach Ansicht der Finanzverwaltung liegt bei einem Darlehensverzicht durch einen Gesellschafter ein begünstigter Sanierungsgewinn nur dann vor, wenn der Verzicht eigenbetrieblich – und nicht gesellschaftsrechtlich – veranlasst ist und wenn neben dem Gesellschafter auch unbeteiligte Dritte Darlehensverzichte aussprechen oder anderweitige Sanierungsmaßnahmen leisten. Von einer gesellschaftsrechtlichen Veranlassung sei auch dann auszugehen, wenn ___________ 222) 223) 224) 225)

BFH, Urt. v. 17.11.2004 – I R 11/04, BFH/NV 2005, 1027, zu § 3 Nr. 66 EStG 1977. OFD Niedersachsen, Verfügung v. 29.6.2012 – S 2140 – 8 – St 244, BeckVerw 262719. BMF-Schreiben v. 22.12.2009 – IV C 6-S 2140/07/10001-01, BStBl I 2010, 18, Rn. 3. BFH, Urt. v. 27.1.1998 – VIII R 64/96, BStBl II 1998 537, dort II. 3. c; OFD Niedersachsen v. 19.6.2013 – S 2140 – 8 – St 248 (VD), BeckVerw 273825. So BGH, Urt. v. 13.3.2014 – IX ZR 23/10, ZIP 2014, 882, Rn. 18 ff. und auch OLG Dresden v. 13.1.2010 – 13 U 1493/09, BeckRS 2013, 13007 (unter II. 1. b, aa, (3)). 226) So VG München v. 2.4.2009 – M 10 K 08.214, juris; vgl. dazu Braun/Geist, BB 2010, 747 und Krüger, ZInsO 2011, 593, 600; so auch VG Gelsenkirchen v. 2.5.2013 – 5 K 5900/12, ZIP 2013, 1876 (OVG Münster – 14 A 1479/13). 227) OFD Niedersachsen v. 19.6.2013 – S 2140 – 8 – St 248 (VD), BeckVerw 273825; OFD Frankfurt v. 23.12.2014 – S 2140 A – 4 – St 213, juris; Gragert, NWB 2013, 2141, weist unter III. zu Recht darauf hin, dass § 3c Abs. 1 EStG keine Rechtsgrundlage bietet, weil der Sanierungsgewinn nach dem Sanierungserlass – anders als nach § 3 Nr. 66 EStG 1977 – nicht steuerfrei ist.

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IV. Sanierungserlass

das Darlehen von vornherein als sog. Finanzplandarlehen ausgereicht wurde. Eine Aufteilung des Darlehens in einen gesellschaftsrechtlichen (für den werthaltigen Teil der Forderung) und in einen eigenbetrieblichen Teil (für den nicht werthaltigen Teil der Forderung) sei nicht möglich. Vielmehr sei der Verzicht als Ganzes zu beurteilen.228) k) Zurechnung des Sanierungsgewinns Der IV. Senat des BFH hatte in 2015 die Frage zu beantworten, ob ein Sanie- 150 rungsgewinn, den eine GmbH & Co. KG durch einen Forderungsverzicht ihrer Gläubiger erzielt hat, den im Zeitpunkt des Verzichts beteiligten (Alt-) Gesellschaftern oder den neu eingetretenen Gesellschaftern zuzurechnen ist, wenn eine Kapitalzuführung durch die Neugesellschafter zur teilweisen Tilgung der Forderung Bedingung für den Forderungsverzicht gewesen ist. In Fortentwicklung seiner Rechtsprechung hat der IV. Senat des BFH entschieden, der Ertrag aus dem Forderungsverzicht sei den Neugesellschaftern nur dann zuzurechnen, wenn diese mit dem Altgesellschafter vereinbart haben, dass die Neugesellschafter anstelle des Altgesellschafters die Verbindlichkeiten der Gesellschaft wirtschaftlich tragen sollen. Zur Prüfung dieser Frage hat der IV. Senat des BFH die Sache an das Finanzgericht zurückverwiesen.229) 4. Rechtsfolgen des Sanierungserlasses Die Erhebung der Steuer auf einen nach Ausschöpfung aller ertragsteuer- 151 lichen Verlustverrechnungsmöglichkeiten verbleibenden Sanierungsgewinn bedeutet für den Steuerpflichtigen nach dem Sanierungserlass eine erhebliche Härte. Aus diesem Grund ist die Steuer auf Antrag des Steuerpflichtigen nach § 163 AO abweichend festzusetzen und nach § 222 AO mit dem Ziel eines späteren Erlasses (§ 227 AO) zunächst unter Widerrufsvorbehalt ab Fälligkeit (AEAO zu § 240 Nr. 6a) zu stunden.230) Die abweichende Steuerfestsetzung ist erforderlich, weil die anteilig auf den 152 Sanierungsgewinn entfallende Steuer zu ermitteln ist und zu diesem Zweck Verluste/negative Einkünfte unbeschadet von Ausgleichs- und Verlustverrechnungsbeschränkungen (insbesondere nach § 2 Abs. 3, §§ 2a, 2b, 10d, 14 Abs. 4. §§ 15a, 23 Abs. 3 EStG) bis zur Höhe des Sanierungsgewinns vorrangig mit dem Sanierungsgewinn zu verrechnen sind.231) Nach Auffassung der Finanzverwaltung ergibt sich die auf den Sanierungs- 153 gewinn entfallende Steuer aus der Differenz von zwei Steuerberechnungen. ___________ 228) OFD Frankfurt v. 24.7.2013 – S 2140 A – 4 – St 213, juris; FM Schleswig-Holstein v. 25.1.2013 – VI 3011 – S 2741 – 108, juris. 229) BFH, Urt. v. 22.1.2015 – IV R 38/10, ZIP 2015, 631; Vorinstanz FG Münster v. 14.7.2010 – 7 K 2168/07 F, EFG 2010, 1984. 230) BMF-Schreiben v. 27.3.2003 – IV A 6-S 2140-8/03, ZIP 2003, 690, Rn. 8. 231) BMF-Schreiben v. 27.3.2003 – IV A 6-S 2140-8/03, ZIP 2003, 690, Rn. 8.

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C. Forderungsverzicht: Ertragsteuerliche Folgen auf Ebene der GmbH

Gegenüberzustellen sei einer Steuerberechnung unter Einbeziehung des nach Abzug von sämtlichen Verlusten und negativen Einkünften verbleibenden Sanierungsgewinns eine Steuerberechnung ohne Einbeziehung eines solchen Sanierungsgewinns.232) 154 Im Fall der Vereinbarung eines Forderungsverzichts gegen Besserungsschein ist der Abzug von Zahlungen auf den Besserungsschein als Aufwand entsprechend den Rechtsgrundsätzen des § 3c Abs. 1 EStG ausgeschlossen und der Sanierungsgewinn vermindert sich entsprechend.233) 155 Die Stundung der auf den Sanierungsgewinn entfallenden Steuer ist notwendig, um die Verlustverrechnungsmöglichkeiten, die Ausnutzung des Verlustrücktrags, die Berücksichtigung von Zahlungen aufgrund eines Besserungsscheines oder die Änderung der Steuerermäßigung nach § 35 EStG aufgrund von Billigkeitsmaßnahmen der jeweiligen Gemeinde bis zur Durchführung der nächsten noch ausstehenden Veranlagung zu überwachen.234) 156 Nach abschließender Prüfung und nach Feststellung der endgültigen auf den verbleibenden zu versteuernden Sanierungsgewinn anfallenden Steuer ist diese nach § 227 AO zu erlassen. Dies ist erst dann der Fall, wenn die Veranlagung des folgenden Veranlagungszeitraums bestandskräftig ist, keine Betriebsprüfung mehr erfolgt, laufende Betriebsprüfungen oder Rechtsbehelfsverfahren abgeschlossen sind und somit keine Änderung des von der Billigkeitsmaßnahme betroffenen Veranlagungszeitraums mehr möglich ist. Der Erlass erfolgt von Amts wegen. Er umfasst auch Stundungszinsen, die auf die erlassenden Steuerbeträge entfallen.235) 157 Wendet sich der Steuerpflichtige gegen die Verlustverrechnung im Festsetzungsverfahren und die Verrechnung mit anderen Einkünften oder begehrt er die Feststellung eines verbleibenden Verlustvortrags, so sieht die Finanzverwaltung hierin die Rücknahme des Erlassantrags. Dies hat zur Folge, dass die Billigkeitsmaßnahmen keine Anwendung finden.236) Während der Steuerstundung – also vor dem endgültigen Steuererlass – soll es allerdings erforderlich sein, die Steuerschuld in der Handels- sowie in der Überschuldungsbilanz zu passivieren.237) 158 Der Sanierungserlass räumt der Finanzverwaltung kein Ermessen ein, so dass der Steuerpflichtige bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen grundsätzlich einen Anspruch auf Erlass hat. Allerdings hat die Finanzver___________ 232) OFD Frankfurt v. 24.7.2013 – S 2140 A – 4 – St 213 – BeckVerw 274410; OFD Niedersachsen v. 19.6.2013 – S 2140 – 8 – St 248 (VD), BeckVerw 273825. 233) BMF-Schreiben v. 27.3.2003 – IV A 6-S 2140-8/03, ZIP 2003, 690, Rn. 5. 234) Vgl. OFD Oldenburg v. 27.6.2011 – S 2140 – 8 – St 244, BeckVerw 252497. 235) BMF-Schreiben v. 27.3.2003 – IV A 6-S 2140-8/03, ZIP 2003, 690, Rn. 12. 236) BMF-Schreiben v. 27.3.2003 – IV A 6-S 2140-8/03, ZIP 2003, 690, Rn. 8; krit. zu diesem Ansatz der Finanzverwaltung Becker, DStR 2003, 1602; Janssen, DStR 2003, 1055. 237) Vgl. dazu Maus, Steuern im Insolvenzverfahren, Rn. 425.

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IV. Sanierungserlass

waltung hinsichtlich der Frage, ob die Voraussetzungen für die Annahme eines begünstigten Sanierungsgewinns vorliegen, einen Beurteilungsspielraum.238) Nach Auffassung des FG Köln ist über die sachliche Unbilligkeit bei der Be- 159 steuerung einer Personengesellschaft – im Urteilsfall eine GbR – auf Ebene der Einkommensbesteuerung der Gesellschafter und nicht im Feststellungsverfahren der Gesellschaft zu entscheiden, weil mit der Aufhebung des § 3 Nr. 66 EStG 1977 die formelle Verbindung zur Feststellung der einkommensteuerpflichtigen Einkünfte entfallen sei und seit 1998 der engere Bezug zur Einkommensteuer der Gesellschafter bestehe. Soweit es um Tatsachen zum Vorliegen eines Schuldenerlasses und ggf. weitere Punkte zur Sanierung auf Ebene der Gesellschaft gehe, könne das Wohnsitzfinanzamt das Betriebsstättenfinanzamt um entsprechende Mitteilung bitten.239) Der BFH teilt im Ergebnis die vorstehende Auffassung des FG Köln. Er hat mit seinem Urteil vom 14.7.2010240) entschieden, dass über den Antrag der Kläger auf Erlass der Einkommensteuer auf Ebene der Einkommensbesteuerung zu entscheiden sei und nicht im Feststellungsverfahren auf Ebene der betroffenen GbR. Denn nach der Gesetzesbegründung241) könnten Steuern auf einen Sanierungsgewinn nur noch aus persönlichen oder sachlichen Härtefällen im Stundungs- oder Erlasswege begegnet werden. Die entsprechenden Vorschriften (§§ 222, 227 AO) könnten jedoch nur im Rahmen der Einkommensbesteuerung geprüft werden. Auf dieser Grundlage ist ein Antrag eines Gesellschafters auf Aussetzung der 160 Vollziehung im Gewinnfeststellungsverfahren wegen der Beurteilung eines Gewinns als Sanierungsgewinns nach einer Entscheidung des FG BerlinBrandenburg aus 2010 mangels Rechtsschutzbedürfnisses nicht zulässig; antragsberechtigt ist danach allein die Personengesellschaft selbst.242) Demgegenüber hat das FG Berlin-Brandenburg in 2014 offengelassen, ob die Entscheidung über die Qualifikation als Sanierungsgewinn eine in einem Bescheid nach § 180 Abs. 2 Nr. 1 lit. a) AO aufzunehmende Feststellung ist243) Unklar erscheint, wie sich § 8c KStG (§ 8 Abs. 4 KStG a. F. – Mantel- 161 kauf)244) zum Sanierungserlass verhält. Erfolgt der Forderungsverzicht nach einem schädlichen Erwerb i. S. d. § 8c KStG, so könnte diese Vorschrift Anwendung finden und ein Sanierungsgewinn höher ausfallen. Deshalb sollte ___________ 238) BMF-Schreiben v. 27.3.2003 – IV A 6-S 2140-8/03, ZIP 2003, 690, Rn. 12; Herrmann, ZInsO 2003, 1069. 239) FG Köln v. 24.4.2008 – 6 K 2488/06, BB 2008, 2666 unter Hinweis auf BMF-Schreiben v. 27.3.2003 – IV A 6-S 2140-8/03, ZIP 2003, 690, Rn. 6 und 8. 240) BFH , Urt. v. 14.7.2010 – X R 34/08, ZIP 2010, 1807. 241) BT-Drucks. 13/7480, S. 192. 242) FG Berlin-Brandenburg v. 20.9.2010 – 6 V 6140/10, EFG 2011, 453. 243) FG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 7.1.2014 – 6 K 6209/11, EFG 2014, 975 – BFH IV B 14/14. 244) Vgl. dazu Rn. 62 ff.

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C. Forderungsverzicht: Ertragsteuerliche Folgen auf Ebene der GmbH

der Forderungsverzicht vor einem schädlichen Erwerb i. S. d. § 8c KStG erfolgen.245) Unabhängig davon könnte argumentiert werden, dass § 8c KStG (§ 8 Abs. 4 KStG a. F.) im Rahmen des Sanierungserlasses nicht anwendbar ist. Hierfür spricht, dass es im Sanierungserlass heißt, dass die Besteuerungsgrundlagen „… unbeschadet … insbesondere … von § 10d EStG“ vorrangig mit den Verlustvorträgen zu verrechnen sind und im Rahmen der Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs gemäß § 10d EStG auch über die Anwendung von § 8c KStG (§ 8 Abs. 4 KStG a. F.) entschieden werden muss.246) 5. Gewerbesteuer 162 Der Sanierungserlass regelt ausdrücklich nur den Erlass der Einkommensteuer, der Körperschaftsteuer und des Solidaritätszuschlags. Nach dem Sanierungserlass teilt das Betriebsfinanzamt im Rahmen der Erteilung des Gewerbesteuermessbescheids im Verfahren nach § 184 Abs. 3 AO der Gemeinde x

die Grundlagen einer möglicherweise abweichenden Festsetzung des Gewerbeertrags,

x

die Höhe des Sanierungsgewinns und

x

in Zerlegungsfällen zusätzlich die anteilige Verteilung auf die einzelnen zerlegungsberechtigten Gemeinden mit.247)

163 Für den Erlass der Gewerbesteuer soll nach dem Sanierungserlass die jeweilige Gemeinde zuständig sein.248) Die durch das Betriebsfinanzamt getroffene Qualifikation als Sanierungsgewinn hat nach Auffassung der Finanzverwaltung keine bindende Wirkung im Hinblick auf mögliche Billigkeitsmaßnahmen durch die Gemeinde. Feststellung und Erhebung der Gewerbesteuer einschließlich Stundung, Niederschlagung und Erlass obliegen danach allein der hebeberechtigten Gemeinde.249) Diese Grundsätze werden durch den Sanierungserlass nach Auffassung der Finanzverwaltung nicht beeinträchtigt. Das bedeutet, dass jede Gemeinde in eigener Zuständigkeit gehalten ist, für Zwecke der Festsetzung und Erhebung der Gewerbesteuer zu prüfen, ob ein Sanierungsgewinn vorliegt und inwieweit eine sachliche oder persönliche Unbilligkeit für den Gewerbetreibenden anzunehmen ist.250) 164 Allerdings bestimmt § 184 Abs. 2 AO, dass die Befugnis der Finanzverwaltung, Realsteuermessbeträge festzusetzen, auch die Befugnis zu Maßnahmen ___________ 245) So auch Frotscher/Maas-Frotscher, KStG, § 8c Rn. 160 a. E. 246) Vgl. BFH, Urt. v. 22.10.2003 – I R 18/02, BStBl. II 2004, 468; dazu auch Littmann/ Bitz/Pust-Schneider/Krammer, EStG, § 10d Rn. 31 (Stand: 2/2006). 247) OFD Magdeburg v. 14.10.2005 – G 1498 3 St 213, GewStK § 16 GewStG Karte 1 Blatt 1. 248) BMF-Schreiben v. 27.3.2003 – IV A 6-S 2140-8/03, ZIP 2003, 690, Rn. 15. 249) Abschnitt 3 Abs. 1 GewStR; OFD Magdeburg v. 14.10.2005 – G 1498 3 St 213, GewStK § 16 GewStG Karte 1 Blatt 1. 250) OFD Magdeburg v. 14.10.2005 – G 1498 3 St 213, GewStK § 16 GewStG Karte 1 Blatt 1.

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IV. Sanierungserlass

nach § 163 Satz 1 AO einschließt, soweit für solche Maßnahmen in einer allgemeinen Verwaltungsvorschrift der Bundesregierung oder einer obersten Landesbehörde Richtlinien aufgestellt worden sind. Eine solche Befugnis soll der Sanierungserlass nach Auffassung des BMF nicht enthalten.251) Das FG Düsseldorf252) hat in seinem Urteil vom 16. März 2011 jedoch die gegenteilige Auffassung vertreten. In der gegen dieses Urteil eingelegten Revision hat I. Senat des BFH die Auffassung des FG Düsseldorf nicht geteilt und entschieden, dass das Finanzamt nicht die Rechtsmacht habe, den Gewerbesteuermessbescheid aus sachlichen Billigkeitsgründen abweichend festzusetzen.253) Mit dem Gesetz zur Anpassung der Abgabenordnung an den Zollkodex der 165 Union und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom 22. Dezember 2014254) ist § 184 Abs. 2 Satz 1 AO um Maßnahmen „der obersten Bundesfinanzbehörde“ ergänzt worden. Danach gilt nunmehr: „Die Befugnis, Realsteuermessbeträge festzusetzen, schließt auch die Befugnis zu Maßnahmen nach § 163 Satz 1 ein, soweit für solche Maßnahmen in einer allgemeinen Verwaltungsvorschrift der Bundesregierung, der obersten Bundesfinanzbehörde oder einer obersten Landesfinanzbehörde Richtlinien aufgestellt worden sind.“ (Hervorhebung durch den Verfasser). Danach könnte auch der Sanierungserlass des BMF – einer obersten Bundesfinanzbehörde – erfasst sein. Nach § 163 Satz 1 AO gilt: „Steuern können niedriger festgesetzt werden, und einzelne Besteuerungsgrundlagen, die die Steuern erhöhen, können bei der Festsetzung der Steuer unberücksichtigt bleiben, wenn die Erhebung der Steuer nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre.“ Die OFD NRW hat mit einer Kurzinformation aus Februar 2015255) die Meinung vertreten, die Änderung des § 184 Abs. 2 Satz 1 AO befuge die Finanzverwaltung nicht, den Gewerbesteuermessbescheid im Zusammenhang mit der Anwendung des Sanierungserlasses abweichend festzusetzen. Es hat seine Entscheidung damit begründet, dass der Sanierungserlass nur Billigkeitsmaßnahmen nach § 163 Satz 2 AO ermöglicht. Nach dieser Vorschrift gilt: „Mit Zustimmung des Steuerpflichtigen kann bei Steuern vom Einkommen zugelassen werden, dass einzelne Besteuerungsgrundlagen, soweit sie die Steuer erhöhen, bei der Steuerfestsetzung erst zu einer späteren Zeit und, soweit sie die Steuer mindern, schon zu einer früheren Zeit berücksichtigt werden.“ Nach Auffassung der OFD NRW erfolgt die in Rn. 8 des Sanierungserlasses geregelte vorrangige Verrechnung der Verluste mit dem Sanierungsgewinn gemäß § 163 Satz 2 AO. Hierfür gelte weiterhin § 184 Abs. 2 Satz 2 AO. Danach gilt: „Eine Maßnahme nach § 163 Satz 2 wirkt, soweit sie die gewerblichen Einkünfte als Grundlage für die Festsetzung der Steuer vom ___________ 251) BMF-Schreiben v. 27.3.2003 – IV A 6-S 2140-8/03, ZIP 2003, 690, Rn. 15 i. V. m. OFD Magdeburg v. 14.10.2005 – G 1498 3 St 213, GewStK § 16 GewStG Karte 1 Blatt 1. 252) FG Düsseldorf v. 16.3.2011 – 7 K 3831/10, EFG 2011, 1685. 253) BFH, Urt. v. 25.4.2012 – I R 24/11, BFH/NV 2012, 1516 = ZIP 2012, 1571; a. A. Seer, FR 2010, 306 und Stangl/Hageböke, Ubg 2013, 299. 254) BGBl. I 2014 S. 2417. 255) OFD NRW, Kurzmitteilung v. 6.2.2015 – GewSt Nr. 02/2015, DB 2015, 345.

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C. Forderungsverzicht: Ertragsteuerliche Folgen auf Ebene der GmbH

Einkommen beeinflusst, auch für den Gewerbeertrag als Grundlage für die Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrags.“ Dies sei bei einer Verlustverrechnung nach § 10a GewStG nicht der Fall. Darüber hinaus weist die OFD NRW darauf hin, dass der Sanierungserlass auch Billigkeitsmaßnahmen im Erhebungsverfahren vorsehe, nämlich die Stundung und den Erlass einer auf den Sanierungsgewinn (nach Verlustverrechnung) entfallenden Steuer. Da es sich um Billigkeitsmaßnahmen im Erhebungsverfahren handele, sei der Anwendungsbereich des § 182 Abs. 2 Satz 1 AO, der das Festsetzungsverfahren regelt, nicht eröffnet.256) 166 Unabhängig davon ist zu berücksichtigen, dass die §§ 163, 227 AO gemäß § 1 Abs. 2 AO auch für die Gewerbesteuer gelten. Dies bedeutet, dass Finanzverwaltung und Gemeinden dieselben Rechtsvorschriften für die Beurteilung des Erlasses der auf einen Sanierungsgewinn entfallenden Steuern anzuwenden haben. Entscheidet das Finanzamt als Fachbehörde, dass die Voraussetzungen eines Sanierungsgewinns und somit die Voraussetzungen für Steuerstundung und Steuererlass nach dem Sanierungserlass gemäß §§ 163, 227 AO gegeben sind, so ist die Gemeinde an diese Entscheidungen zwar nicht gebunden und hat eine eigene Ermessensentscheidung zu treffen. Allerdings dürfte sie bei Beurteilung der Rechtslage auf Grundlage derselben Rechtsvorschriften eigentlich zu keinem anderen Ergebnis gelangen können.257) Verwaltungsgerichte beurteilen es jedoch nicht als ermessensfehlerhaft, wenn die Gemeinden die rechtlichen Unsicherheiten im Zusammenhang mit einem Sanierungserlass zum Anlass nehmen, den Erlass von Gewerbesteuern abzulehnen.258) Unter Umständen ist die Gemeinde nach den Grundsätzen der Selbstbindung der Verwaltung verpflichtet, den Erlass von Gewerbesteuer auszusprechen, wenn sie dies in früheren Fällen getan hat.259) Der Erlass von Gewerbesteuer kann auch dann in Betracht kommen, wenn die Verrechnung des Sanierungsgewinns mit Verlustvorträgen an der Mindestbesteuerung scheitert.260) 6. Nicht vom Sanierungserlass erfasste Steuern 167 Von dem Sanierungserlass wird nicht die Umsatzsteuer erfasst, welche durch einen Schuldenerlass ausgelöst wird. Sie beruht nicht auf einer Erhöhung des Betriebsvermögens durch Schuldenerlass. Hierbei handelt es sich insbesondere ___________ 256) A. A. Vogel/Schlüter, DB 2015, 344; Loose/Stehling, ZInsO 2015, 439 befassen sich mit der von der OFD NRW aufgeworfenen Problematik nicht. Siehe dazu auch Hageböke, FR 2015 (im Erscheinen). 257) Vgl. OVG Berlin-Brandenburg v. 11.2.2008 – 9 S 38/07, BeckRS 2008, 36001 und OVG Niedersachsen v. 1.4.2011 – 9 ME 216/10, KKZ 2013, 36. 258) Vgl. den Überblick über die aktuelle Rechtsprechung der VG von Kamps/Weil, FR 2014, 913. 259) Vgl. OVG Bautzen, Beschl. v. 12.4.2013 – 5 A 142/10, juris Rn. 16. 260) Vgl. VG Magdeburg, Urt. v. 25.2.2014 – 2 A 193/12, juris.

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IV. Sanierungserlass

um die Berichtigung der Vorsteuer nach § 17 Abs. 1 Satz 2 UStG.261) Diese Problematik besteht allerdings nur bei außergerichtlichen Sanierungen, nicht jedoch bei Sanierungen im Insolvenzverfahren. Dies beruht darauf, dass nach der Rechtsprechung des BFH der Insolvenzschuldner bereits mit dem vorläufigen Insolvenzverfahren sowohl die Umsatzsteuer als auch die Vorsteuer zu berichtigen hat.262) Ebenso fallen Ertragsteuern, die durch die Veräußerung von Wirtschaftsgütern 168 ausgelöst werden, nicht in den Anwendungsbereich des Sanierungserlasses. Denn auch solche Steuern beruhen nicht auf einer Gewinnerhöhung durch einen Schuldenerlass. In der Literatur263) wird weiter die Meinung vertreten, Gewerbesteuern, so- 169 weit sie auf der Erhöhung des Gewinns wegen Hinzurechnungen nach § 8 Nr. 1 GewStG beruhen (insbesondere Entgelte für Schulden), seien nicht zu erlassen, weil sie nicht auf einer Gewinnerhöhung durch den Schuldenerlass beruhten.

___________ 261) Ebbinghaus/Hinz, BB 2013, 479 meinen, auf einen Erlassantrag nach den allgemeinen Regeln (§§ 163, 227 AO) würden die Kriterien des Sanierungserlasses Anwendung finden. Siehe dazu auch Ebbinghaus/Hinz, UR 2014, 249, 252 ff. 262) Vgl. nur BFH, Urt. v. 24.9.2014 – V R 48/13, ZIP 2014, 2451 (m. Bespr. Kahlert, ZIP 2015, 11), dazu EWiR 2015, 19 (Schmittmann) m. w. N. 263) Meier/Olbrück, FR 2013, 367.

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D. Forderungsverzicht: Ertragsteuerliche Folgen auf Ebene des Gesellschafters Die nachfolgenden Ausführungen befassen sich mit der Frage, welche ertrag- 170 steuerlichen Folgen sich für den Gesellschafter aus seinem Forderungsverzicht gegenüber seiner GmbH ergeben. I. Allgemeines Es ist zu unterscheiden, ob es sich bei dem Gesellschafter um eine GmbH 171 oder um eine natürliche Person handelt. Handelt es sich um eine natürliche Person, so ist weiter danach zu unterscheiden, ob die Anteile bzw. die Forderung im Betriebsvermögen oder im Privatvermögen gehalten werden.264) II. Gesellschafter ist eine GmbH 1. Gewinnminderung Der Wegfall der Forderung infolge des Forderungsverzichts bewirkt auf Ebene 172 der Mutter-GmbH eine Gewinnminderung. Ist der Forderungsverzicht gesellschaftsrechtlich veranlasst, so handelt es sich um eine Einlage in Höhe des werthaltigen Teils der Forderung in die Tochter-GmbH.265) In dieser Höhe ist die Gewinnminderung außerhalb der Bilanz rückgängig zu machen, weil es sich auf Ebene der Mutter-GmbH korrespondierend um eine Erhöhung der Anschaffungskosten auf die Beteiligung handelt.266) Die nachfolgenden Ausführungen befassen sich mit der ertragsteuerlichen Behandlung der (verbleibenden) Gewinnminderung auf Ebene der Mutter-GmbH. a) Rechtslage bis zum 31. Dezember 2007 (§ 8b Abs. 3 Satz 3 KStG) Nach § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG sind Gewinnminderungen, die einer Körper- 173 schaft im Zusammenhang mit ihrem Anteil an einer anderen Körperschaft entstehen, bei der Ermittlung des Einkommens nicht zu berücksichtigen. Auf Gewinnminderungen aus der Abschreibung eigenkapitalersetzender Gesellschafterdarlehen wollte die Finanzverwaltung ebenfalls § 8 Abs. 3 Satz 3 KStG anwenden.267) Die herrschende Meinung in der Literatur lehnte diese

___________ 264) 265) 266) 267)

Vgl. dazu den Überblick über die Besteuerung unter Rn. 31 ff. Vgl. dazu Rn. 49 ff. BFH, Urt. v. 25.1.1984 – I R 183/81, BStBl II 1984, 422. Vgl. auch Buchna/Sombrowski, DB 2005, 1539; dies., DB 2004, 1956; dies., DB 2004, 2718.

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D. Forderungsverzicht: Ertragsteuerliche Folgen auf Ebene des Gesellschafters

Sichtweise jedoch unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BFH ab, weil die Wirtschaftsgüter Anteil und Gesellschafterdarlehen zu unterscheiden seien.268) 174 In 2009 hat der BFH der Ansicht der Finanzverwaltung eine klare Absage erteilt und entschieden, dass Teilwertabschreibungen auf eigenkapitalersetzende Gesellschafterdarlehen nicht als Gewinnminderungen i. S. d. § 8 Abs. 3 Satz 3 KStG beurteilt werden können und damit bei der Einkommensermittlung steuermindernd zu berücksichtigen seien.269) Ein für eine Anwendung des § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG ausreichender Zusammenhang zwischen einem Gesellschafterdarlehen und dem in § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG genannten Anteil bestehe nicht. § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG beziehe sich ausschließlich auf substanzbezogene Wertminderungen des Anteils und nicht auf jegliche mit dem Anteil wirtschaftlich zusammenhängende Aufwendungen.270) Danach handelt es sich bei einem eigenkapitalersetzenden Gesellschafterdarlehen um ein eigenständiges Schuldverhältnis und Wirtschaftsgut, welches von den vom Gesellschafter gehaltenen Anteilen zu unterscheiden ist. Der BFH hat in seinem Urteil auch klargestellt, dass es sich bei der mit Wirkung zum Veranlagungszeitraum 2008 erstmals anzuwendenden Sätzen 4 bis 8 des § 8 Abs. 3 KStG entgegen der Gesetzesbegründung nicht um eine Klarstellung handelt,271) sondern um eine Neuregelung mit rechtsbegründendem Charakter. b) Rechtslage ab dem 1. Januar 2008 (§ 8b Abs. 3 Satz 4 ff. KStG) 175 Die durch das Jahressteuergesetz 2008 vom 20. Dezember 2007272) dem § 8b Abs. 3 KStG angefügten Sätze 4 bis 8 können im Überblick wie folgt dargestellt werden: x

Zu den Gewinnminderungen i. S. d. Satz 3 gehören auch Gewinnminderungen im Zusammenhang mit einer Darlehensforderung oder aus der Inanspruchnahme von Sicherheiten, die für ein Darlehen hingegeben wurden, wenn

das Darlehen oder die Sicherheit von einem Gesellschafter gewährt wird, der zu mehr als 25 % unmittelbar oder mittelbar am Grundoder Stammkapital der Körperschaft, der das Darlehen gewährt wurde, beteiligt ist oder war. ___________ –

268) Helm/Krinninger, DB 2005, 1989, 1992, m. w. N. auf die umfangreiche Literatur zu diesem Thema und auf BFH, Urt. v. 10.11.2005 – IV R 13/04, BStBl II 2006, 618 = ZIP 2006, 249 (m. Anm. Kahlert, S. 254); BFH, Urt. v. 20.4.2005 – X R 2/03, BStBl II 2005, 694; BFH, Urt. v. 18.12.2001 – VIII R 27/00, BStBl II 2002, 733, dazu EWiR 2002, 479 (Korn). 269) BFH, Urt. v. 14.1.2009 – I R 52/08, BStBl II 2009, 674; vgl. hierzu Rolf/Pankoke, BB 2009, 1844; Schmidt, NWB 2009, 1985; Becker, DStR 2009, 1796; Kleinert/Podewils, GmbHR 2009, 849; Eberhard, DStR 2009, 2226. 270) BFH, Urt. v. 14.1.2009 – I R 52/08, BStBl II 2009, 674 m. w. N. auf die umfassende Literatur zu diesem Thema. 271) Vgl. hierzu Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 16/6290, 73. 272) BGBl. I 2007 S. 3150; hierzu Neumann/Stimpel, GmbHR 2008, 57.

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II. Gesellschafter ist eine GmbH

x

Das Vorstehende gilt auch für –

diesem Gesellschafter nahestehende Personen i. S. d. § 1 Abs. 2 AStG oder



Gewinnminderungen aus dem Rückgriff eines Dritten –

auf den zu mehr als 25 % beteiligten Gesellschafter oder



auf eine diesem nahestehende Person auf Grund eines der Gesellschaft gewährten Darlehens.

x

Das Vorstehende gilt nicht, wenn nachgewiesen wird, dass auch ein fremder Dritter das Darlehen bei sonst gleichen Umständen gewährt oder noch nicht zurückgefordert hätte, dabei sind nur die eigenen Sicherungsmittel der Gesellschaft zu berücksichtigen.

x

Das Vorstehende gilt auch für Forderungen aus Rechtshandlungen, die einer Darlehensgewährung wirtschaftlich entsprechen.

x

Ist nach den vorstehenden Regelungen eine Gewinnminderung nicht zu berücksichtigen, so ist eine spätere Gewinnerhöhung gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 3 EStG bei der Gewinnermittlung ebenso nicht zu berücksichtigen.

Der I. Senat des BFH hat in 2014 entschieden, dass das in § 8b Abs. 3 Satz 4 176 KStG enthaltene Abzugsverbot verfassungsgemäß ist. Soweit es durch die Vorschrift zu überschießenden Wirkungen kommen könne, dass ein Gesellschafter den Verlust aus dem Darlehensverzicht nicht abziehen könne und bei der Gesellschaft infolge dieses Darlehensverzichts ein steuerwirksamer Ertrag entstehe, wäre dem unter Umständen durch Billigkeitsmaßnahmen im Einzelfall abzuhelfen.273) Der BFH hat in seiner vorzitierten Entscheidung auch über die Reichweite 177 der Formulierung „beteiligt ist oder war“ entschieden. Angesichts des klaren Wortlauts hat er es für ausreichend erachtet, dass eine Beteiligung des Gesellschafters zu irgendeinem Zeitpunkt genügt.274) Das Abzugsverbot des § 8b Abs. 3 Satz 4 KStG gilt nicht, wenn der Gesell- 178 schafter nachweisen kann, dass unter den gleichen Umständen auch ein fremder Dritter das Darlehen ausgereicht bzw. im Krisenfall stehengelassen hätte, § 8b Abs. 3 Satz 6 KStG. In der Literatur wird zum Teil die Auffassung vertreten, der Nachweis der Fremdüblichkeit sei nur bei Darlehen möglich, nicht jedoch bei der Inanspruchnahme aus Sicherheiten.275) Nach zutreffender Ansicht ist der Nachweis jedoch auch in den Fällen der Inanspruch___________ 273) BFH, Urt. v. 12.3.2014 – I R 87/12, BStBl II 2014, 859. 274) BFH, Urt. v. 12.3.2014 – I R 87/12, BStBl II 2014, 859. 275) Fuhrmann/Strahl, DStR 2008, 125.

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D. Forderungsverzicht: Ertragsteuerliche Folgen auf Ebene des Gesellschafters

nahme aus Sicherheiten möglich.276) Nach der Gesetzesbegründung277) ist eine Darlehensüberlassung insbesondere dann nicht als fremdüblich anzusehen, wenn x

das Darlehen unverzinslich gewährt wird,

x

für das Darlehen keine Sicherheiten bestellt wurden,

x

zwar eine Verzinsung vereinbart und Sicherheiten bestellt wurden, jedoch keine Rückforderung des Darlehens im Krisenfall erfolgte.278) Eine unterlassene Rückforderung eines Darlehens kann den Fremdvergleich aber natürlich nur dann scheitern lassen, wenn zivilrechtlich tatsächlich auch eine Rückforderungsmöglichkeit bestanden hat.279) Entsprechendes gilt für eine unterlassene Besicherung des Darlehens. Im Ergebnis fordert diese Regelung eine fortwährende Überwachung der wirtschaftlichen Entwicklung der GmbH, um das Gesellschafterdarlehen „rechtzeitig“ abziehen zu können. Die Bestimmung dieses Zeitpunktes ist auch deshalb schwierig, weil durch das MoMiG das Eigenkapitalersatzrecht und damit die in der Gesetzesbegründung bezuggenommene „Krise“ keine gesetzliche Grundlage mehr hat.

179 Hinsichtlich der Regelung in § 8b Abs. 3 Satz 7 KStG, wonach auch Gewinnminderungen für Forderungen aus Rechtshandlungen, die einer Darlehensgewährung vergleichbar sind, in den Anwendungsbereich des § 8b Abs. 3 KStG fallen, nennt die Gesetzbegründung Forderungen aus Mietverträgen oder Forderungen aus Lieferung und Leistung.280) Ob in diesen Fällen aber tatsächlich eine „Vergleichbarkeit“ i. S. d. § 8b Abs. 3 Satz 7 KStG besteht, wird aber auf Basis des Wortlautes des § 8b Abs. 3 Satz 7 KStG in der Literatur bezweifelt.281) 2. Darlehenszinsen 180 Die GmbH kann Betriebsausgaben im Zusammenhang mit Gewinnausschüttungen oder Veräußerungsgewinnen geltend machen. Denn nach §§ 8b Abs. 3 Satz 2 KStG, 8b Abs. 5 Satz 2 KStG findet § 3c Abs. 1 EStG, der einen Abzug von Ausgaben, die mit steuerfreien Einnahmen in einem unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang stehen, nicht zulässt, keine Anwendung. 181 Darlehenszinsen, die ein Gesellschafter seinerseits für eine Verbindlichkeit aufwendet, sind dann Betriebsausgaben i. S. d. § 4 Abs. 4 EStG, wenn die ___________ 276) Dötsch/Pung, DB 2007, 2669. 277) Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 16/6290, 74. 278) BT-Drucks. 16/6290, 73; vgl. dazu Kleinert/Podewils, GmbHR 2009, 849; Rolf/Pankoke, BB 2009, 1844. 279) Gosch-Gosch, KStG, § 8b Rn. 279e. 280) BT-Drucks. 16/6290, S 73. 281) Vgl. dazu Kleinert/Podewils, GmbHR 2009, 849; Rolf/Pankoke, BB 2009, 1844.

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II. Gesellschafter ist eine GmbH

Verbindlichkeit „durch den Betrieb veranlasst“ ist und somit Betriebsvermögen des Gesellschafters darstellt. Ob eine Verbindlichkeit Betriebsvermögen darstellt, ist wiederum vom objektiven Anlass ihrer Entstehung abhängig. Eine Betriebsschuld liegt vor, soweit der die Schuld auslösende Vorgang einen tatsächlichen oder wirtschaftlichen Zusammenhang mit dem Betrieb aufweist. Dies ist der Fall, wenn die Darlehensmittel verwendet wurden, um Wirtschaftsgüter des Betriebsvermögens anzuschaffen. Das ist unter anderem der Fall, wenn die Darlehensmittel verwendet werden, um der GmbH ein Darlehen zu gewähren. Die durch eine solche Betriebsschuld (Darlehen) verursachten Zinsaufwendungen sind also betrieblich veranlasst und können grundsätzlich als Betriebsausgaben i. S. d. § 4 Abs. 4 EStG steuerlich in Abzug gebracht werden.282) Die Darlehenszinsen sind solange als Betriebsausgaben abziehbar, wie der 182 Betrieb, in dem die Anteile an der GmbH gehalten werden, fortgeführt wird. Die Abziehbarkeit der Darlehenszinsen bleibt auch dann erhalten, wenn die Anteile veräußert werden oder untergehen. Eine Abziehbarkeit der Darlehenszinsen als Betriebsausgaben ist des Weiteren auch dann noch möglich, wenn der Betrieb, in dem die Anteile gehalten werden, veräußert oder aufgegeben wird. Die Darlehenszinsen bleiben auch nach der Betriebsaufgabe oder Veräußerung des Betriebs betrieblich veranlasst und damit abziehbar. Allerdings gilt das in diesen Fällen nur insoweit, als der Erlös aus der Aufgabe oder der Veräußerung des Betriebs nicht ausgereicht hat, um das vom Gesellschafter aufgenommene Darlehen zu tilgen. Im Übrigen sind die Darlehenszinsen nicht mehr betrieblich veranlasst, weil das vom Gesellschafter aufgenommene Darlehen im Zuge der Betriebsveräußerung oder Betriebsaufgabe in das Privatvermögen des Gesellschafters übergegangen ist, soweit der Gesellschafter die verwertbaren Aktivwerte nicht zur Tilgung des von ihm aufgenommenen Darlehens eingesetzt hat.283) Danach verliert das vom Gesellschafter aufgenommene Darlehen, das er zur 183 Darlehensgewährung an die GmbH weitergereicht hat, allein mit der gesellschaftsrechtlich veranlassten verdeckten Einlage (Forderungsverzicht) nicht die Betriebsvermögenseigenschaft. Denn es dient ab diesem Zeitpunkt der Stärkung der Beteiligung und ist somit durch den Betrieb veranlasst. Somit können auch die Darlehenszinsen als Betriebsausgaben geltend gemacht werden.

___________ 282) Vgl. Schmidt-Heinicke, EStG, § 4 Rn. 28 ff und Rn. 226 ff. 283) BFH, Urt. v. 31.5.2005 – X R 36/02, BStBl II 2005, 707 = ZIP 2006, 85 (LS) (unter 5.), m. w. N. aus der Rechtsprechung; Schmidt-Wacker, EStG, § 16 Rn. 371.

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D. Forderungsverzicht: Ertragsteuerliche Folgen auf Ebene des Gesellschafters

III. Gesellschafter ist eine natürliche Person – Anteile an der GmbH und Forderung gegen die GmbH im Privatvermögen 1. Zufluss 184 Der Große Senat des BFH hat in seinem Beschluss aus 1997284) entschieden, dass der Verzicht des Gesellschafters auf seine Forderung zum Zufluss des Forderungswerts führen kann. 185 Der Zufluss sei offenkundig, wenn der Gesellschafter auf die Forderung verzichtet, um eine Sacheinlage (§ 5 GmbHG) im Rahmen einer Kapitalerhöhung zu erbringen und dadurch zusätzliche Gesellschafterrechte zu erlangen. Denn darin werde ein Tausch von Wirtschaftsgütern gesehen, durch den der Wert der erlassenen Forderung realisiert werde.285) Daraus folge bei den Überschusseinkünften der Zufluss von Einnahmen i. S. d. § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG. 186 Ebenso führe ein Forderungsverzicht, soweit mit ihm eine verdeckte Einlage erbracht wird, zum Zufluss des Forderungswerts. Zwar erlange der Gesellschafter in diesem Fall keine zusätzlichen Gesellschafterrechte. Er erreiche durch die verdeckte Einlage aber ebenfalls eine Stärkung seiner Gesellschafterrechte. Denn der Forderungsverzicht führe zu einer Vermehrung des Vermögens und der Ertragsfähigkeit der Gesellschaft und damit zur Erhöhung der Ausschüttungsansprüche des Gesellschafters sowie des auf ihn entfallenden Liquidationserlöses. Hierdurch bewirke der verzichtende Gesellschafter eine Umschichtung seines Vermögens. 187 Auf dieser Grundlage hat der Große Senat des BFH in seinem vorzitierten Beschluss entschieden, dass es dann, wenn der Gesellschafter auf einen Pensionsanspruch verzichtet, zu einem Zufluss beim Gesellschafter in Höhe des werthaltigen Teils des Pensionsanspruchs komme. Nach dem I. Senat des BFH286) ist hierbei der wirtschaftliche Wert des konkreten Versorgungsanspruchs nicht nur aus der Sicht des Versorgungsbegünstigten zu ermitteln. Dies gelte jedenfalls dann, wenn der Anspruch noch verfallbar ist und der Verzicht im Zusammenhang mit der Veräußerung von Geschäftsanteilen und einer damit einhergehenden Auflösung der für die Pensionszusagen maßgeblichen Anstellungsverträge stehe. Denn ohne eine Fortsetzung der dem Versorgungsversprechen zugrunde liegenden Tätigkeit der Altgesellschafter bei dem Versprechenden – die wiederum durch die Aufhebung der Anstellungsverträge ausgeschlossen ist – entfällt in diesem Fall ein Versorgungsanspruch; er ist auch nicht zeitanteilig bezogen auf die bisherige Tätigkeitszeit entstanden. Das rechtfertige die Annahme, dass ein fremder Dritter ihn weder entgeltlich

___________ 284) BFH, Beschl. v. 9.6.1997 – Grs 1/94, BStBl II 1998, 307 = ZIP 1998, 471.; vgl. dazu Rn. 53 ff. 285) BFH, Urt. v. 25.1.1984 – I R 183/81, BStBl II 1984, 422. 286) BFH, Urt. v. 8.6.2011 – I R 62/10, BFH/NV 2011, 1171.

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III. Anteile an der GmbH und Forderung gegen die GmbH im Privatvermögen

erwerben noch ihm im Rahmen eines Erwerbs der Beteiligung einen eigenständigen Wert zumessen würde.287) 2. Zuordnung von Aufwendungen Verzichtet der Gesellschafter auf seine Forderung und ist er bei der GmbH 188 angestellt, so können die Aufwendungen bei den Einkünften aus Gewerbebetrieb (§ 17 EStG), den Einkünften aus Kapitalvermögen (§ 20 EStG) oder den Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit (§ 19 EStG) zu erfassen sein. Das Einkommensteuergesetz enthält keine ausdrückliche Zuordnungsregel. Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH entscheidet in diesem Fall der engere und wirtschaftlich vorrangige Veranlassungszusammenhang. Bei einer solchen Beurteilung seien zu berücksichtigen die Höhe der Beteiligung des Arbeitnehmers, das Verhältnis der Höhe der Lohneinkünfte im Vergleich zu den möglichen Beteiligungserträgen (Renditeentwicklungen und -erwartungen) sowie die Frage, welche Konsequenzen sich für den Arbeitnehmer hätten ergeben können, wenn er seinem Arbeitgeber die entsprechende Finanzierungsmaßnahme nicht gewährt hätte. Hierbei handele es sich um eine in erster Linie der Tatsacheninstanz obliegende tatsächliche Würdigung. Diese sei revisionsrechtlich bindend, wenn die Tatsachenwürdigung verfahrensrechtlich ordnungsgemäß durchgeführt wurde und die Würdigung nicht gegen Denkgesetze verstößt oder Erfahrungssätze verletzt.288) Die nachfolgenden Ausführungen beruhen auf der Grundlage, dass eine Zu- 189 ordnung der Aufwendungen zu den Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit (§ 19 EStG) nicht in Betracht kommt. 3. § 20 EStG oder § 17 EStG? Nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG gehören zu den Einkünften aus Kapital- 190 vermögen auch der Gewinn aus der Veräußerung von sonstigen Kapitalforderungen jeder Art i. S. d. § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG. Nach § 20 Abs. 2 Satz 2 EStG289) gilt als Veräußerung unter anderem auch die verdeckte Einlage in eine Kapitalgesellschaft. Gemäß § 20 Abs. 4 Satz 1 EStG ist Gewinn i. S. d. § 20 Abs. 2 EStG der Unterschied zwischen den Einnahmen aus der Veräußerung nach Abzug der Aufwendungen, die im unmittelbaren sachlichen Zusammenhang mit dem Veräußerungsgeschäft stehen, und der Anschaffungskosten. Nach § 20 Abs. 4 Satz 2 EStG tritt in den Fällen der verdeckten Ein___________ 287) Vgl. im Einzelnen zum Forderungsverzicht auf Pensionsansprüche BMF–Scheiben v. 14.8.2012 – IV C 2 – S 2743/10/10001 :001, DStR 2012, 1706; OFD Frankfurt, Vfg. v. 10.9.2010, S 2742 A – 10 – St 510, DStR 2010, 2249. 288) Vgl. BFH, Urt. v. 25.11.2010 – VI R 34/08, BStBl II 2012, 24 (Abgrenzung § 17 EStG – § 19 EStG); BFH, Urt. v. 10.4.2014 – VI R 57/13, BStBl II 2014, 850 (Abgrenzung § 19 EStG – § 20 EStG). 289) Nach § 52a Abs. 10 Satz 9 EStG findet diese Vorschrift bei verdeckten Einlagen nach dem 31.12.2008 Anwendung. Danach kann der Erwerb der Forderung davor erfolgt sein.

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D. Forderungsverzicht: Ertragsteuerliche Folgen auf Ebene des Gesellschafters

lage an die Stelle der Einnahmen aus der Veräußerung der Wirtschaftsgüter ihr gemeiner Wert. 191 Mit dem mit Unternehmenssteuerreformgesetz 2008 vom 14. August 2007290) eingeführten § 20 Abs. 2 EStG ist die bisherige Unterscheidung zwischen (steuerbaren) laufenden Erträgen und dem (nicht steuerbaren) Vermögensstamm aufgegeben worden. Ziel der Vorschrift ist es, möglichst alle Wertzuwächse bei privaten Kapitalforderungen zu erfassen.291) Dazu ist die vorzitierte Gleichstellung der verdeckten Einlage mit der Veräußerung erforderlich, weil die verdeckte Einlage nach der Rechtsprechung des BFH292) keine Veräußerung darstellt. Die vorzitierte Regelung, wonach in den Fällen der verdeckten Einlage an die Stelle der Einnahmen aus der Veräußerung der Wirtschaftsgüter ihr gemeiner Wert ist, ist notwendig, weil eine verdeckte Einlage nach der Rechtsprechung des BFH293) ein unentgeltlicher Vorgang ist und dem Steuerpflichtigen danach keine Einnahmen zufließen. 192 Die Finanzverwaltung vertritt in ihrem Schreiben vom 9. Oktober 2012294) die Meinung, der Forderungsverzicht des Gesellschafters führe nach der Rechtsprechung des BFH295) zu einer verdeckten Einlage nur für den im Zeitpunkt des Verzichts noch werthaltigen Teils der Forderung. Deshalb werde nur der werthaltige Teil der Forderung zurückgezahlt und gelte gemäß § 20 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. Satz 1 Nr. 7 EStG als Veräußerung. Somit entstehe kein Verlust. So ergebe sich beispielsweise bei einem Nennwert der Forderung von 100 bei einem Wert der Forderung von 10 eine verdeckte Einlage von 10 abzüglich Anschaffungskosten der Forderung von 10, woraus ein Gewinn i. S. d. § 20 Absatz 4 EStG in Höhe von 0 folge. In Höhe des nicht werthaltigen Teils von 90 sei von einem schlichten Forderungsausfall auszugehen, der außerhalb des Anwendungsbereichs von § 17 EStG keine steuerliche Berücksichtigung finde. Die Beteiligungsanschaffungskosten des Gesellschafters erhöhten sich deshalb nur um die verdeckte Einlage von 10. 193 Die Finanzverwaltung geht nach der Rechtsprechung des Großen Senats des BFH zwar zu Recht davon aus, dass die verdeckte Einlage auf Ebene der GmbH eine Einlage in Höhe des werthaltigen Teils der Forderung bewirkt und der Gesellschafter auch nur in dieser Höhe Anschaffungskosten hat.296) ___________ 290) BGBl. I 2007 S. 1912. 291) Der Gesetzgeber hat dazu ausgeführt: „Zu Satz 2 … Mit dieser Regelung wird eine vollständige steuerliche Erfassung aller Wertzuwächse im Zusammenhang mit Kapitalanlagen erreicht. …“, BT-Drucks. 16/48/41, 56; vgl. dazu auch Frotscher/GeurtsMoritz, EStG, § 20 Rn. 3. 292) BFH, Urt. v. 27.7.1988 – I R 147/83, BStBl II 1989, 271. 293) BFH, Urt. v. 27.7.1988 – I R 147/83, BStBl II 1989, 271. 294) BMF-Schreiben v. 9.12.2012 –IV C 1-S 2252/10/10013, BStBl I 2012, 953. 295) BFH, Beschl. v. 9.6.1997 – GrS 1/94, ZIP 1998, 471 = BStl II 1998, 307; vgl. dazu Rn. 53 ff. 296) Vgl. dazu Rn. 53 ff.

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III. Anteile an der GmbH und Forderung gegen die GmbH im Privatvermögen

Sie vermeidet allerdings stets einen Verlust auf Ebene des Gesellschafters. Dies geschieht dadurch, dass sie den Einnahmen (gemeiner Wert der Forderung) den „zurückgezahlten“ (identischen) gemeinen Wert der Forderung als Anschaffungskosten gegenüberstellt. Richtig ist, als Anschaffungskosten die ursprünglichen Anschaffungskosten für die Forderung anzusetzen. Denn der Gesetzgeber bezweckt mit § 20 Abs. 2 EStG, möglichst alle Wertzuwächse bei Kapitalforderungen zu erfassen. Danach ist (auch) der private Vermögensstamm steuerlich verstrickt mit der Folge, dass auch Wertminderungen zu berücksichtigen sind.297) Das FG Rheinland-Pfalz hat dies zutreffend mit dem Prinzip der Folgerichtigkeit und der Leistungsfähigkeit begründet. Dementsprechend hat es die Zwangseinziehung von Aktien im Rahmen eines Insolvenzverfahrens zu Recht als Veräußerung i. S. d. § 20 Abs. 2 Nr. 1 EStG beurteilt.298) Der von der Finanzverwaltung erwähnte Anwendungsbereich des § 17 EStG 194 (Forderungsausfall als nachträgliche Anschaffungskosten) ist bereits dann nicht eröffnet, wenn die Anteile (Beteiligung von mindestens 1 %) an der GmbH im Zusammenhang mit dem Forderungsverzicht nicht i. S. d. § 17 EStG veräußert werden. Dazu gehören die Veräußerung und die verdeckte Einlage von Anteilen (§ 17 Abs. 1 EStG), die Auflösung der GmbH (auch infolge Insolvenzeröffnung, § 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG) und die Kapitalherabsetzung (§ 17 Abs. 4 EStG) sowie die Beschränkung oder der Ausschluss des Besteuerungsrechts der Bundesrepublik Deutschland (§ 17 Abs. 5 EStG). In diesen Fällen kann sich auch nicht die Frage nach einer Zuordnung des Verlustes aus dem Forderungsausfall zu der Einkunftsart nach § 20 ESG oder zu der Einkunftsart § 17 EStG gemäß § 20 Abs. 8 EStG stellen, weil § 17 EStG nicht anwendbar ist.299) Hält der Gesellschafter nicht mindestens 1 % der Anteile, so kann § 17 EStG selbst bei einer Veräußerung der Anteile keine Anwendung finden. Nach § 20 Abs. 6 Satz 1 EStG dürfen Verluste aus Kapitalvermögen nicht 195 mit Einkünften aus anderen Einkunftsarten ausgeglichen werden; sie dürfen auch nicht nach § 10d EStG abgezogen werden. Sie können danach von Einkünften aus Kapitalvermögen in den Folgejahren abgezogen werden. Diese Beschränkung gilt dann nicht, wenn der Gesellschafter zu mindestens 10 % an der GmbH beteiligt ist, § 32d Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 lit. b) i. V. m. Satz 2 EStG. In diesem Fall kann der Verlust in voller Höhe mit tarifbesteuerten Einkünften verrechnet werden.

___________ 297) So auch Ott, StuB 2015, 43; 47; Bayer, DStR 2009, 2397, 280; Förster, Ubg 2010, 759, 762; Blümich-Ratschow, § 20 EStG Rn. 392. 298) FG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 23.10.2013 – 2 K 2096/11, EFG 2014, 136 (Revision beim BFH – IX R 57/13). 299) Vgl. den Überblick zum Streitstand bei Ott, StuB 2015, 43, 47 f.

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D. Forderungsverzicht: Ertragsteuerliche Folgen auf Ebene des Gesellschafters

196 In der Literatur wird als Alternative zur verdeckten Einlage die Veräußerung der Forderung zum gemeinen Wert erörtert.300) Allerdings dürfte diese Alternative in Sanierungsfällen, in denen die Gläubiger auch einen Sanierungsbeitrag vom Gesellschafter in Form eines Forderungsverzichts verlangen, ausscheiden. 197 Aus dem Gesagten wird deutlich, dass es bei der steuerlichen Beurteilung des Forderungsverzichts nicht um die in der Literatur ausführlich diskutierte Frage geht, ob der Forderungsausfall eines Gesellschafterdarlehens infolge der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bei § 20 EStG oder bei § 17 EStG zu erfassen ist. Denn die Realisation des Verlustes ist nicht nur unabhängig von der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens. Sie wird zudem durch ein Rechtsgeschäft zwischen Gesellschafter und GmbH (Erlassvertrag, § 397 Abs. 1 BGB) ausgelöst.301) 4. Exkurs: Nachträgliche Anschaffungskosten bei § 17 EStG 198 Das Einkommensteuergesetz ist vom sog. Dualismus der Einkunftsarten geprägt. Danach ist gemäß § 2 Abs. 2 EStG zwischen Gewinneinkünften und Überschusseinkünften zu unterscheiden. Wesen der Überschusseinkünfte ist, dass grundsätzlich nur die Früchte (Beispiel: Zinsen) eines Vermögensstamms (Beispiel: Darlehen) steuerpflichtig sind, nicht jedoch Wertveränderungen des Vermögensstamms selbst. Dementsprechend sind Wertveränderungen und die Realisierung von Wertveränderungen (Beispiel: Veräußerung) des Vermögensstamms einkommensteuerlich grundsätzlich unbeachtlich.302) Dieser Grundsatz wurde bereits vor Inkrafttreten des Unternehmenssteuerreformgesetz 2008 vom 14. August 2007303) – dazu sogleich mehr – für Anteile an Kapitalgesellschaften in zweifacher Hinsicht durchbrochen, nämlich durch § 17 EStG (Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften und vergleichbare Fälle) und durch § 23 EStG (private Veräußerungsgeschäfte, worunter auch die Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften fällt). a) Geltungsgrund für nachträgliche Anschaffungskosten bei § 17 EStG 199 Demgegenüber gab es bis dahin keine gesetzliche Regelung, wonach Wertveränderungen des Vermögensstamms von Darlehen steuerlich zu berücksichtigen waren. Mit Blick auf GmbH-Gesellschafter i. S. d. § 17 EStG hat dies nachteilige steuerliche Auswirkungen. Stellt der Gesellschafter seiner GmbH ein Gesellschafterdarlehen zur Verfügung, so ist er steuerrechtlich zunächst genauso zu behandeln wie jeder andere Darlehensgeber. Dement___________ 300) Vgl. Ott, StuB 2015, 43, 48 f. 301) Vgl. dazu den Überblick unter Rn. 198 ff. sowie die Überblicke von Ott, StuB 2015, 43; Mortiz, DStR 2014, 1636 und DStR 2014, 1703 sowie Kahlert/Rühland-Kahlert/ Rühland, Sanierungs- und Insolvenzsteuerrecht, Rn. 4.291 ff. jew. m. w. N. 302) Vgl. zur historischen Entwicklung Kellersmann, FR 2012, 57, 60 f. 303) BGBl. I 2007 S. 1912.

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III. Anteile an der GmbH und Forderung gegen die GmbH im Privatvermögen

sprechend droht ihm bei einem Ausfall seines Gesellschafterdarlehens ein steuerlich nicht berücksichtigungsfähiger Verlust im Privatvermögen. Die Entscheidung eines Gesellschafters, seine GmbH mit Fremdkapital zu finanzieren, würde sich somit – anders als die Gewährung von Eigenkapital – steuerlich nachteilig für den Gesellschafter auswirken.304) Dem ist der BFH in ständiger Rechtsprechung entgegengetreten. Nach dem BFH ist der Anschaffungskostenbegriff i. S. d. § 17 EStG weit aus- 200 zulegen, damit das verfassungsrechtlich anerkannte steuerliche Nettoprinzip verwirklicht werden kann. Danach ist dem durch die Beteiligung veranlassten Ertrag der durch sie veranlasste Aufwand gegenüber zu stellen. Deshalb sind nach dem BFH auch durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasste Aufwendungen des Gesellschafters zu berücksichtigen, sofern diese nicht Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen oder Veräußerungskosten i. S. d. § 17 Abs. 2 EStG sind.305) Hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals „durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst“ knüpft der BFH an das Eigenkapitalersatzrecht an. Der IX. Senat des BFH, auf den die Zuständigkeit für § 17 EStG vom VIII. 201 Senat des BFH übergegangen ist, hat in seinem Urteil vom 2. April 2008 hinsichtlich der gesellschaftsrechtlichen Veranlassung ausgeführt:306) „Finanzierungsmaßnahmen eines Gesellschafters sind durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst und damit nachträgliche Anschaffungskosten, wenn der Gesellschafter der Gesellschaft durch seine Finanzierungsmaßnahme funktionales Eigenkapital zugewandt hat. Dies setzt grundsätzlich voraus, dass die Finanzierungsmaßnahme zivilrechtlich eigenkapitalersetzend ist. Eigenkapitalersetzende Finanzierungsmaßnahmen führen – wie Einlagen – zu nachträglichen Anschaffungskosten, da sie als Ersatz für Eigenkapital zu betrachten und deshalb ebenso wie dieses gesetzlich gebunden sind.“ (Hervorhebungen durch den Verfasser)

In dieser Weise hatte sich vorher auch der VIII. Senat des BFH geäußert:307)

202

„Finanzierungsmaßnahmen des Gesellschafters sind nur dann durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst, wenn und soweit sie eigenkapitalersetzenden Charakter haben; denn nur das mit einer solchen Finanzierungsmaßnahme verbundene Haftungsrisiko rechtfertigt es, sie den gesellschaftsrechtlichen Einlagen gleichzustellen (…).“ (Hervorhebung durch den Verfasser)

Danach ist für die Beurteilung des Ausfalls eines Gesellschafterdarlehens als 203 Anschaffungskosten entscheidend, ob das Darlehen zivilrechtlich wie Eigenkapital gebunden ist. Der IX. Senat des BFH leitet diese Voraussetzung inzwischen aus dem Anschaffungskostenbegriff gemäß § 255 Abs. 1 Satz 1 HGB ___________ 304) BFH, Urt. v. 7.7.1992 – VIII R 24/90, BStBl II 1993, 333; BFH, Urt. v. 10.11.1998 – VIII R 6/96, BStBl II 1999, 348; Förster/Wendland, GmbHR 2006, 169; Herrmann/ Heuer/Raupach-Eilers/Schmidt, EStG, § 17 Rn. 201. 305) BFH, Urt. v. 10.11.1998 – VII R 6/96, BStBl II 1999, 348. 306) BFH, Urt. v. 2.4.2008 – IX R 76/06, BStBl II 2008, 706 = ZIP 2008, 1587. 307) BFH, Urt. v. 5.10.2004 – VIII R 64/02, BFH/NV 2005, 54, 55, re. Sp.

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D. Forderungsverzicht: Ertragsteuerliche Folgen auf Ebene des Gesellschafters

ab.308) Heuermann309) hat dies damit begründet, dass Anschaffungskosten gemäß § 255 Abs. 1 Satz 1 HGB vorliegen, wenn der Wertetransfer des Gesellschafters an seine Gesellschaft die Funktion hat, Eigenkapital zuzuführen, und er habe diese Funktion, wenn er – vergleichbar mit hingegebenen (Eigen-) Mitteln – wie Eigenkapital gesetzlich gebunden sei. 204 Von einer zivilrechtlichen Bindung wie Eigenkapital gehen der VIII. und der IX. Senat des BFH wie dargestellt aus, wenn das Darlehen eigenkapitalersetzenden Charakter hat (§ 32a Abs. 1 GmbHG a. F.). Allerdings hat der IX. Senat des BFH in seinem Urteil vom 19. August 2008 nachträgliche Anschaffungskosten bejaht, obwohl das Darlehen wegen des Sanierungsprivilegs gemäß § 32a Abs. 3 Satz 3 GmbHG a. F. nicht als eigenkapitalersetzend zu beurteilen war. Er hat seine Entscheidung damit begründet, dass der Zweck dieser Sanierungsnorm nicht konterkariert werden dürfe.310) Vergleichbar hat der IX. Senat des BFH in seiner Entscheidung vom 6. Mai 2014 nachträgliche Anschaffungskosten angenommen, obwohl das Darlehen wegen des Kleinanlegerprivilegs nach§ 32a Abs. 3 Satz 2 GmbHG a. F. nicht als eigenkapitalersetzend zu beurteilen war. Er hat dies damit begründet, dass der Gesellschafter von vornherein erklärt habe, sein Darlehen sei wie Eigenkapital und im Insolvenzfall nur nachrangig zu behandeln. In diesem Fall, so der IX. Senat des BFH, übernehme das Darlehen die Funktion von Eigenkapital und werde im Insolvenzfall nicht anders behandelt als die Darlehen der unternehmerisch beteiligten Gesellschafter. Dies gelte nach § 41 Abs. 1 Satz 1 AO auch dann, wenn das Kleinanlegerprivileg nicht abdingbar sein sollte.311) 205 Mit Blick auf die Höhe der nachträglichen Anschaffungskosten unterscheidet der BFH folgende Fallgruppen:312) x

Hingabe des Darlehens in der Krise –

x

Darlehen vor der Krise gewährt und in Kenntnis der Krise stehen gelassen –

x

Wert des Rückzahlungsanspruchs im Zeitpunkt des Nichtabzugs

Einräumung eines krisenbestimmten Darlehens –

x

Nennwert des Rückzahlungsanspruchs

Nennwert des Rückzahlungsanspruchs

Finanzplandarlehen

– Nennwert des Rückzahlungsanspruchs ___________ 308) Vgl. BFH, Urt. v. 6.5.2014 – IX R 44/13, BStBl II 2014, 781 = ZIP 2014, 1587, dazu EWiR 2014, 769 (Naujok). 309) Heuermann, DB 2009, 2173, 2174, li. Sp. unten. 310) BFH, Urt. v. 19.8.2008 – IX R 63/05, BStBl II 2009, 5 = ZIP 2009, 268. 311) BFH, Urt. v. 6.5.2014 – IX R 44/13, BStBl II 2014, 781 = ZIP 2014, 1587. 312) BFH, Urt. v. 13.7.1999 – VIII R 31/98, BStBl II 1999, 724; dazu auch Gschwendtner, NJW 1999, 2165 und DStR Beihefter 32/1999.

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III. Anteile an der GmbH und Forderung gegen die GmbH im Privatvermögen

Der BFH berücksichtigt das Darlehen somit mit dem Wert als nachträgliche 206 Anschaffungskosten in Form der Einlage, den das Darlehen in dem Zeitpunkt hatte, in dem es wie Eigenkapital zu beurteilen ist. Dieser Wert entspricht nach Einlagegrundsätzen (§ 6 Abs. 6 Satz 2 EStG) dem Teilwert der Forderung und kann in der vorstehenden Fallgruppe des Stehenlassens des Darlehens in Kenntnis der Krise auch 0 € betragen.313) Die Finanzverwaltung hat sich der vorstehend dargestellten Rechtsprechung des BFH angeschlossen.314) Nach dem FG Münster sind als nachträgliche Anschaffungskosten nicht nur Ausfälle von Gesellschafterforderungen wegen endgültiger Uneinbringlichkeit zu beurteilen, sondern auch Wertverluste, die im Rahmen der verdeckten Einlage einer Gesellschafterforderung in Form eines Forderungsverzichts im Zusammenhang mit der Veräußerung des Anteils entstehen.315) b) Gesetzesänderungen Mit dem Unternehmenssteuerreformgesetz 2008 vom 14. August 2007316) hat 207 der Gesetzgeber die Einkünfte aus Kapitalvermögen (§ 20 EStG) ab dem Veranlagungszeitraum 2009 in zweifacher Hinsicht wesentlich verändert. Zum einen hat er Wertveränderungen von im Privatvermögen gehaltenen Anteilen an Kapitalgesellschaften (§ 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG) und von im Privatvermögen gehaltenen sonstigen Kapitalforderungen jeder Art (§ 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG), wenn die Anteile nach dem 31.12.2008 erworben werden, den Einkünften aus Kapitalvermögen gemäß § 20 EStG unterworfen. Zum anderen gilt für Einkünfte aus Kapitalvermögen ab dem Veranlagungszeitraum 2009 grundsätzlich die Abgeltungsteuer. Zudem hat der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) vom 23. Oktober 2008317) das Eigenkapitalersatzrecht und damit den Anknüpfungspunkt des BFH für nachträgliche Anschaffungskosten bei § 17 EStG abgeschafft.318) Die Abschaffung des Eigenkapitalersatzrechts ist durch das MoMiG wie folgt umgesetzt worden: x

Mit § 30 Satz 3 GmbHG, wonach § 30 Satz 1 GmbHG nicht anzuwenden ist auf die Rückgewähr eines Gesellschafterdarlehens und Leistungen auf Forderungen aus Rechtshandlungen, die einem Gesellschafterdarlehen wirtschaftlich entsprechen, werden die sog. Rechtsprechungsregeln des Eigenkapitalersatzrechts abgeschafft. Danach waren die §§ 30, 31 GmbHG a. F. in der Krise – also vor der Insolvenz – analog anwendbar, wenn der Gesell-

___________ 313) 314) 315) 316) 317)

BFH, Urt. v. 31.10.2000 – VIII R 47/98, BFH/NV 2001, 589. BMF-Schreiben v. 8.6.1999, IV C 2 – S 2244 – 12/99, BStBl I 1999, 545. FG Münster, Urt. v. 20.7.2011 – 7 K 3666/08 E, EFG 2011, 1864. BGBl. I 2007 S. 1912. BGBl. I 2008 S. 2026. Auf Insolvenzverfahren, die vor dem Inkrafttreten des MoMiG eröffnet worden sind, findet das bisherige Recht Anwendung, Art. 103 d EGInsO. 318) Siehe zu den Lösungsansätzen nach Abschaffung des Eigenkapitalersatzes Rn. 208 ff.

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D. Forderungsverzicht: Ertragsteuerliche Folgen auf Ebene des Gesellschafters

schafter in der Krise ein Gesellschafterdarlehen oder wirtschaftlich entsprechende Leistungen gewährt oder in der Krise stehen gelassen hat.319) x

Mit der ersatzlosen Streichung der §§ 32a, 32b GmbHG a. F. werden die sog. Novellenregelungen des Eigenkapitalersatzrechts abgeschafft, wonach vor der Insolvenz – also in der Krise – gewährte Gesellschafterdarlehen oder wirtschaftlich entsprechende Leistungen in der Insolvenz unter bestimmten Voraussetzungen nicht zurückgefordert werden konnten.320)

x

Mit § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO, wonach eine Forderung auf Rückgewähr von Gesellschafterdarlehen oder Forderungen aus Rechtshandlungen, die einem solchen Darlehen wirtschaftlich entsprechen, im Rang nach den übrigen Forderungen der Insolvenzgläubiger zu berichtigen ist, erfolgt eine grundlegende Neuregelung der Forderungen auf Rückgewähr von Gesellschafterdarlehen und wirtschaftlich entsprechender Leistungen im Falle der Insolvenzeröffnung. Entgegen der bisherigen Rechtslage führt nicht die Verstrickung als Eigenkapitalersatz zum Nachrang in der Insolvenz. Vielmehr knüpft der Nachrang in der Insolvenz allein daran an, dass ein Gesellschafter der Gesellschaft eine entsprechende Leistung gewährt hat.321)

x

Die Neuregelung des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO gilt gemäß § 39 Abs. 4 Satz 2 InsO nicht für bestehende oder neu gewährte Darlehen oder für wirtschaftlich entsprechende Forderungen bis zur nachhaltigen Sanierung, wenn die Anteile bei Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung der Gesellschaft zum Zwecke der Sanierung erworben werden (entspricht § 32a Abs. 3 Satz 3 GmbHG a. F., sog. Sanierungsprivileg). Die Regelung gilt gemäß § 39 Abs. 5 InsO ebenfalls nicht für Gesellschafterdarlehen von einem nicht geschäftsführenden Gesellschafter, der mit 10 % oder weniger am Haftkapital beteiligt ist (entspricht § 32a Abs. 3 Satz 2 GmbHG a. F., sog. Kleinbeteiligungsprivileg).

x

§ 135 Abs. 1 InsO regelt die Anfechtbarkeit von Rechtshandlungen betreffend die Forderung eines Gesellschafters auf Rückgewähr eines Darlehens i. S. d. § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO oder gleichgestellten Forderungen. Insbesondere ist nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO anfechtbar die Rückzah-

___________ 319) Zur Rechtfertigung dieser Rechtsprechung vgl. Pannen/Deuchler/Kahlert/Undritz, Sanierungsberatung, Rn. 562 ff. 320) Vgl. dazu Pannen/Deuchler/Kahlert/Undritz, Sanierungsberatung, Rn. 571 ff. 321) Welches dogmatische Konzept dieser Neuregelung zugrunde liegt, ist in der Literatur umstritten, vgl. die Darstellung bei Kübler/Prütting/Bork-Preuß, InsO, § 39 Rn. 26 ff. und Bitter, ZIP 2010, 1, 4 ff. jew. m. N.: Zum einen wird die Auffassung vertreten, der Normzweck der neuen Regelung entspreche dem des alten Eigenkapitalersatzrechts, wonach die Krise und die in der Krise getroffene Finanzierungsentscheidung maßgeblich sei, welche jetzt vom Gesetz aus Vereinfachungsgründen lediglich vermutet würde. Zum anderen wird die Verstrickung der Gesellschafterdarlehen und wirtschaftlich entsprechender Leistungen als Eigenkapital mittels gesetzlichem Nachrang in der Insolvenz als Gegenstück zur Haftungsbeschränkung gesehen, um eine missbräuchliche Ausnutzung des Haftungsprivilegs zu verhindern.

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III. Anteile an der GmbH und Forderung gegen die GmbH im Privatvermögen

lung einer Gesellschafterforderung im letzten Jahr vor oder nach dem Antrag auf Insolvenzeröffnung. Das gilt nach § 135 Abs. 2 InsO auch in Fällen, in denen ein Dritter eine Befriedigung erhält und der Gesellschaft für die Forderung Sicherheit geleistet hat. x

Außerhalb des Anwendungsbereiches der Insolvenzordnung ist das Anfechtungsgesetz betreffend Gesellschafterdarlehen (§ 6 AnfG) und die Besicherung eines Darlehens durch den Gesellschafter (§ 6a AnfG) neu gefasst worden.

aa) Reaktion der Finanzverwaltung Nach Meinung der Finanzverwaltung ist auf Grundlage der Gesetzesände- 208 rungen durch das MoMiG grundsätzlich weiter die Rechtsprechung des BFH zu den nachträglichen Anschaffungskosten bei § 17 EStG anzuwenden.322) Sie begründet dies damit, dass sich die Frage nachträglicher Anschaffungskosten bei § 17 EStG nach der Rechtsprechung des BFH nach der gesellschaftsrechtlichen Veranlassung richte. Diese sei auch nach Abschaffung des Eigenkapitalersatzrechts weiterhin nach der vom BFH bei uneinbringlichen Gesellschafterforderungen herangezogenen Figur des ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsführers zu bestimmen. Danach sei ein Darlehen durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst, wenn im Zeitpunkt seiner Gewährung oder Weitergewährung die Rückzahlung des Darlehens angesichts der finanziellen Situation der Gesellschaft in dem Maße gefährdet sei, dass ein ordentlicher Geschäftsführer das Risiko einer Kreditgewährung zu denselben Bedingungen wie der Gesellschafter nicht mehr eingegangen wäre (sog. Krise). Nach Meinung der Finanzverwaltung könnten der Begriff der Krise und die steuerliche Anknüpfung an die Krise auch im zeitlichen Geltungsbereich des MoMiG beibehalten werden. Auf dieser Grundlage knüpft die Finanzverwaltung an die vom BFH entwickelten Fallgruppen an, und zwar wie folgt: x

Hingabe des Darlehens in der Krise –

x

Hier soll für die Anschaffungskosten der Nennwert maßgeblich sein.

Stehen gelassene Darlehen –

Dieser Fall soll auf Grundlage des MoMiG nur vorliegen, wenn die Krise zeitlich vor dem Beginn des Anfechtungszeitraumes entstanden ist. Dann soll der gemeine Wert des Darlehns im Zeitpunkt entscheidend sein, in dem der Gesellschafter das Darlehen mit Rücksicht auf das Gesellschaftsverhältnis nicht abzieht.



Andernfalls soll die Fallgruppe „krisenbestimmtes“ Darlehen anzuwenden sein.

___________ 322) BMF-Schreiben v. 21.10.2010, IV C 6 – S 2244/08/10001, BStBl I 2010, 832.

75

D. Forderungsverzicht: Ertragsteuerliche Folgen auf Ebene des Gesellschafters

x

Finanzplandarlehen –

x

Krisenbestimmtes Darlehen –

x

Auf Grundlage des MoMiG sei zu differenzieren: –

Im Falle der insolvenzrechtlichen Nachrangigkeit sollen sich die nachträglichen Anschaffungskosten nach dem gemeinen Wert des Darlehens im Zeitpunkt des Beginns des Anfechtungszeitraumes ergeben.



Für den Fall, dass der Gesellschafter bereits zuvor mit bindender Wirkung gegenüber der Gesellschaft oder den Gesellschaftsgläubigern erklärt hat, er werde das Darlehen auch in der Krise stehen lassen, führe der Ausfall des Darlehens zu nachträglichen Anschaffungskosten in Höhe des Nennwerts.

Sanierungsprivileg –

x

In diesem Fall soll der Nennwert des Darlehens als Anschaffungskoten gelten.

Ungeachtet des Umstandes, dass im Fall des § 39 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 4 InsO kein insolvenzrechtlicher Nachrang bestehe, ergebe sich nach dem Sinn und Zweck dieser Vorschrift eine Berücksichtigung der Darlehensverluste zum Nennwert. Die Rechtsprechung des BFH zum bisherigen Sanierungsprivileg könne sinngemäß auf die neue Rechtslage übertragen werden.

Kleinanlegerprivileg –

Nach Sinn und Zweck des § 39 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 5 InsO könne ein Ausfall des Darlehens nicht als nachträgliche Anschaffungskosten berücksichtigt werden. Die Rechtsprechung des BFH zum bisherigen Kleinanlegerprivileg könne sinngemäß auf die neue Rechtslage übertragen werden.

bb) Überblick über die Meinungen in der Literatur 209 Der BFH hatte bislang – soweit ersichtlich – noch keine Gelegenheit, sich mit der Frage zu befassen, welche Rechtsfolgen sich aus den vorstehend dargestellten Gesetzesänderungen für seine Rechtsprechung zu nachträglichen Anschaffungskosten bei § 17 EStG ergeben. In der Literatur wird eine Vielzahl von Meinungen vertreten, die nachfolgend im Überblick dargestellt wird. x

Nach Hölzle, Groh und Bode323) ist ein Gesellschafterdarlehen, das gemäß § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO in der Insolvenz ausfällt, mit dem Nennwert als

___________ 323) Hölzle, DStR 2007, 1191; Groh, FR 2008, 264; Bode, DStR 2009, 1781; so auch Hoffmann, GmbH-StB 2007, 257.

76

III. Anteile an der GmbH und Forderung gegen die GmbH im Privatvermögen

nachträgliche Anschaffungskosten bei § 17 EStG zu berücksichtigen, weil diese Regelung an die Gesellschafterstellung anknüpft. Für nach § 39 Abs. 4 Satz 2, Abs. 5 InsO privilegierte Darlehen soll dies nach Bode auch dann gelten, wenn eine Rangrücktrittserklärung vorliegt. x

Nach Weber-Grellet324) und Moritz325) ist § 17 EStG im Lichte der Wertungen des § 20 EStG (so Moritz) und der Wertungen des MoMiG (so Weber-Grellet) auszulegen mit der Folge, dass der Nennwert der ausgefallenen Forderung anzusetzen ist.

x

Waclawik326) ist der Meinung, dass die Fallgruppen des BFH für die Beurteilung von Anschaffungskosten bei § 17 EStG beibehalten werden können, allerdings mit der Ausnahme, dass auch in den Fällen des Kleinbeteiligungs- und Sanierungsprivilegs nachträgliche Anschaffungskosten vorliegen.327)

x

Heuermann328) hat zunächst die Auffassung vertreten, Kriterium für eine Berücksichtigung des Nennwertes des Darlehens als nachträgliche Anschaffungskosten könnte sein, dass bei Hingabe die Voraussetzungen für eine Insolvenzeröffnung vorliegen. Denn in diesem Fall müsse der Gesellschafter damit rechnen, dass er das Darlehen wegen des gesetzlichen Rangrücktritts gemäß § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO nicht zurückerhalte oder eine erhaltene Rückzahlung aufgrund einer Anfechtung nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO erstatten müsse. In diesem Fall habe der Gesellschafter funktionales Eigenkapital zugeführt. Andernfalls komme nur die Berücksichtigung des gemeinen Wertes in Betracht.

x

In einem späteren Aufsatz vertritt Heuermann329) die Meinung, dass Darlehensverluste bei § 17 EStG als Anschaffungskosten zum Nennwert zu berücksichtigen seien, wenn das Darlehen innerhalb eines Jahres vor dem Eröffnungsantrag gewährt wurde und der Gesellschafter somit mit einer Anfechtung von geleisteten Tilgungen nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO rechnen musste. In diesem Fall sei eine gesetzliche Bindung des Darlehens wie funktionales Eigenkapital gegeben.330) Nach wie vor anwendbar sollen jedoch die Regeln über das Finanzplandarlehen und das „krisenbestimmte Darlehen“ sein, da auch das neue Recht das Sanierungsprivileg (§ 39 Abs. 4 Satz 2 InsO) kenne. Aus § 20 Abs. 8 EStG folge, dass die Beurteilung eines Gesellschafterdarlehens als Anschaffungskosten bei § 17 EStG

___________ 324) 325) 326) 327)

Siehe Schmidt-Weber-Grellet, EStG, § 17 Rn. 174. Moritz, DStR 2014, 1636, 1645. Waclawik, ZIP 2007, 1838. So auch Wiese/Möller, GmbHR 2010, 462, 466 hinsichtlich der Fallgruppen „Finanzplandarlehen“ und „krisenbestimmte Darlehen“. 328) Heuermann, DStR 2008, 2089. 329) Heuermann, DB 2009, 2173. 330) So auch Wiese/Möller, GmbHR 2010, 462, 466.

77

D. Forderungsverzicht: Ertragsteuerliche Folgen auf Ebene des Gesellschafters

Vorrang vor einer Berücksichtigung des Ausfalls des Gesellschafterdarlehens bei § 20 Abs. 2 EStG habe.331) Im Übrigen weist Heuermann darauf hin, dass bei Anwendung des § 20 Abs. 2 Nr. 1 EStG die Vorschriften über die Gewinnermittlung anzuwenden wären mit der Folge, dass der Wert des Gesellschafterdarlehens im Veräußerungszeitpunkt maßgeblich sei und zu diesem Zeitpunkt im Regelfall eine Wertlosigkeit gegeben sein dürfte. Eine Berücksichtigung des Ausfalls des Gesellschafterdarlehens bei § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG komme nur als AfaA in Betracht, und das auch nur dann, wenn die Rechtsprechung ihre Grundsätze erweitere. Zudem gelte in einem solchen Fall der beschränkte Werbungskostenabzug nach § 20 Abs. 9 EStG, es sei denn, die Voraussetzungen nach § 32d Abs. 2 Nr. 3 EStG würden vorliegen mit der Folge, dass das Teileinkünfteverfahren Anwendung finden würde. Der Ausfall eines Gesellschafterdarlehens führe bei einem zu mindestens zu 10 % beteiligten Gesellschafter wegen der als Anschaffungskosten anzusetzenden Rückzahlungsforderung zu einem Verlust nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG, allerdings nur im Falle der Veräußerung. Zu demselben Ergebnis gelange man bei einem zu mindestens 10 % beteiligten Gesellschafter über eine AfaA des Darlehens bei § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG, weil nach § 32d Abs. 2 Satz 2 EStG die Werbungskostenpauschalierung gemäß § 20 Abs. 9 EStG keine Anwendung finde. x

Nach Hein/Suchan/Geeb332) ist Kriterium für eine Berücksichtigung des Nennwertes des Darlehens als Anschaffungskosten bei § 17 EStG, ob ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsführer das Darlehen gewährt hätte.

x

Nach Doege333) werden Wertminderungen ab der gesellschaftsrechtlichen Veranlassung nach § 17 EStG erfasst. Auf vorherige Wertminderungen sei § 20 Abs. 2 EStG anwendbar.

x

Für Neumann334) ist entscheidend, ob der Gesellschafter faktisch nicht mehr in der Lage ist, sein Darlehen in oder vor der Krise zu kündigen. In diesem Fall komme eine gesellschaftsrechtliche Veranlassung in Betracht mit der Folge der Berücksichtigung des Ausfalls des Darlehens als nachträgliche Anschaffungskosten bei § 17 EStG.

___________ 331) Auch Schulz/Vogt, DStR 2008, 2189, 2190, re. Sp. und Bode, DStR 2009, 1781, 1783 leiten aus § 20 Abs. 8 EStG einen Vorrang von § 17 EStG gegenüber § 20 Abs. 2 EStG ab. 332) Hein/Suchan/Geeb, DStR 2008, 2289. 333) Doege, Stbg 2008, 440. 334) Neumann, GmbH-StB 2008, 366.

78

III. Anteile an der GmbH und Forderung gegen die GmbH im Privatvermögen

x

Bayer335) vertritt die Auffassung, der Ausfall von Neu-Gesellschafterdarlehen sei als Wertverlust bei § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG zu erfassen.336) Der Ausfall von Alt-Gesellschafterdarlehen (Beteiligung mindestens 1 %) sei bei § 17 EStG zu berücksichtigen, wobei der Nachrang gemäß § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO maßgeblich sei. Für andere Alt-Gesellschafterdarlehen (Beteiligung kleiner als 1 %) soll § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG Anwendung finden. Hinsichtlich der Höhe des Wertansatzes bei § 17 EStG seien die Fallgruppen der BFH-Rechtsprechung maßgeblich.

5. Darlehenszinsen Nach § 20 Abs. 9 EStG können die Darlehenszinsen grundsätzlich nicht ab- 210 gezogen werden. Etwas anderes gilt nur im Falle des Übergangs zur Regelbesteuerung nach § 32d EStG. Der BFH hatte in 2014 über einen Fall zu befinden, in dem der Gesellschafter 211 im Zusammenhang mit der Veräußerung seines Anteils auf sein Gesellschafterdarlehen verzichtete und die Refinanzierungszinsen für das Darlehen als Werbungskosten gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG (Dividenden) abziehen wollte. Der BFH hat den Werbungskostenabzug gemäß § 20 Abs. 9 EStG nicht zugelassen, weil ein Antrag auf Übergang zur Regelbesteuerung nach § 32d Abs. 2 Nr. 3 EStG nicht zulässig sei. Dies deshalb, weil diese Vorschrift bei Antrag die Existenz einer Beteiligung voraussetze.337) Einen Abzug der Refinanzierungszinsen als Werbungskosten bei § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG (Kapitalforderungen) und damit einen Übergang zur Regelbesteuerung nach § 32d Abs. 2 Nr. 1 EStG hat der BFH nicht in Erwägung gezogen. Dies zu Recht deshalb, weil der Forderungsverzicht als verdeckte Einlage zu beurteilen war und die Darlehenszinsen der Beteiligung dienten.338) In einem weiteren Urteil aus 2014 hat der BFH diese Rechtsprechung er- 212 gänzt. Er hat entschieden, dass der Antrag nach § 32d Abs. 2 Nr. 3 EStG zur ___________ 335) Bayer, DStR 2009, 2397; so auch Fischer, Ubg 2008, 684, 690, Hahne, BB 2008, 1943 und Frotscher/Geurts-Moritz/Strohm, EStG, § 20 Rn. 269 f. 336) Nach Wiese/Möller, GmbHR 2010, 462, 466, soll § 20 Abs. 2 Nr. 7 EStG nur dann anwendbar sein, wenn § 17 EStG keine Anwendung findet, also bei Beteiligungen von weniger als 1 %. Nach Kahlert/Rühland-Kahlert/Rühland, Sanierungs- und Insolvenzsteuerrecht, Rn. 4.312 ff., ist § 17 EStG nicht anwendbar und der Ausfall von Gesellschafterdarlehen stets gemäß § 20 Abs. 2 Nr. 7 EStG (entgeltlich gewährtes Darlehen) oder § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG (unentgeltlich gewährtes Darlehen) zu erfassen. 337) BFH, Urt. v. 1.7.2014 – VII R 53/12, BStBl II 2014, 975. 338) Vgl. dazu BFH, Urt. v. 28.2.2013 – IV R 49/11, BStBl II 2013, 802 = ZfIR 2013, 827 (LS). Danach ist nach dem Grundsatz der Abschnittsbesteuerung für jeden Veranlagungszeitraum zu prüfen, ob und ggf. durch welche Einkunftsart bzw. Einnahmen die geltend gemachten Aufwendungen (vorrangig) veranlasst sind. Insoweit könne es zu einem steuerrechtlich zu berücksichtigenden Wechsel des Veranlassungszusammenhangs kommen. Entscheidend sei, ob ein Verzicht durch das zwischen Gesellschafter und Gesellschaft bestehendem Schuldverhältnis veranlasst ist oder auf dem Gesellschaftsverhältnis beruht.

79

D. Forderungsverzicht: Ertragsteuerliche Folgen auf Ebene des Gesellschafters

Regelbesteuerung neben einer Kapitalbeteiligung auch voraussetze, dass Kapitalerträge erzielbar seien. Der BFH hat zwar nach Auflösung der GmbH durch Insolvenzeröffnung (§ 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG) die erste Voraussetzung bejaht, aber – da feststand, dass keine Kapitalerträge mehr erzielt würden – die zweite Voraussetzung verneint. Er hat deshalb die Darlehenszinsen für den Erwerb der Beteiligung nach § 20 Abs. 9 EStG nicht als Werbungskosten bei § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG zum Abzug zugelassen.339) IV. Gesellschafter ist eine natürliche Person – Anteile an der GmbH und Darlehen im Betriebsvermögen 1. Gewinnminderung 213 Fraglich ist, ob der Gesellschafter die Gewinnminderung aus dem Forderungsverzicht (Verlust in Höhe des nicht werthaltigen Teils der Forderung) geltend machen kann. 214 Nach § 3c Abs. 2 Satz 1 EStG dürfen unter anderem Betriebsvermögensminderungen, die mit den dem § 3 Nr. 40 EStG zugrunde liegenden Betriebsvermögensmehrungen in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen, unabhängig davon, in welchem Veranlagungszeitraum die Betriebsvermögensmehrungen oder Einnahmen anfallen, bei der Ermittlung der Einkünfte nur zu 60 % abgezogen werden. 215 Der BFH hat mit zwei Urteilen vom 18. April 2012340) hinsichtlich Betriebsaufspaltungen entschieden, dass Wertminderungen (Substanzverluste) eines (eigenkapitalersetzenden) Gesellschafterdarlehens, wie sie durch Teilwertabschreibungen abgebildet werden, unabhängig von der Frage der Fremdüblichkeit der Darlehensüberlassung und einer etwaigen gesellschaftsrechtlichen Veranlassung mangels wirtschaftlichen Zusammenhangs mit nach § 3 Nr. 40 EStG (hälftig) steuerbefreiten Beteiligungserträgen nicht dem Abzugsverbot des § 3c Abs. 2 Satz 1 EStG unterliegen. Der BFH hat dieses Ergebnis im Kern damit begründet, dass wegen der Selbstständigkeit von Darlehensforderung und Beteiligung die Steuerfolgen getrennt nach den für das jeweilige Wirtschaftsgut geltenden Vorschriften zu beurteilen seien und ein wirtschaftlicher Zusammenhang i. S. d. § 3c Abs. 2 Satz 1 EStG bei Substanzverlusten nicht in Betracht komme, weil diese Vorschrift nur den Kapitalanteil erfasse, nicht jedoch Darlehensforderungen des Gesellschafters. Dies gilt nach dem BFH auch für Rückstellungen für die drohende Inanspruchnahme eines Gesellschafters aus übernommen Bürgschaften, weil es auch insoweit an dem notwendigen wirtschaftlichen Zusammenhang fehle. Die Finanzver___________ 339) BFH, Urt. v. 21.10.2014 – VIII R 48/12, DStR 2015, 350 = GmbHR 2015, 323 mit kritischer Anm. Podewils. 340) BFH, Urt. v. 18.4.2012 – X R 5/10, BStBl II 2013, 785; BFH, Urt. v. 18.4.2012 – X R 7/10, BStBl II 2013, 791; vgl. dazu Binnewies, GmbHR 2012, 870 und Otto, StuB 2012, 624.

80

IV. Anteile an der GmbH und Darlehen im Betriebsvermögen

waltung ist dieser Rechtsprechung schließlich mit BMF-Schreiben vom 23. Oktober 2013 gefolgt.341) Zu beachten ist, dass das BMF-Schreiben vom 23. Oktober 2013 auch Rege- 216 lungen hinsichtlich der Abziehbarkeit von Betriebsausgaben oder Veräußerungskosten eines Gesellschafters im Zusammenhang mit einer im Gesellschaftsverhältnis veranlassten unentgeltlichen oder teilentgeltlichen Überlassung von Wirtschaftsgütern enthält.342) Mit dem Gesetz zur Anpassung der Abgabenordnung an den Zollkodex der 217 Union und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom 22. Dezember 2014343) ist § 3c Abs. 2 EStG um die Sätze 2 bis 6 ergänzt worden. Die Änderungen sind auf Wirtschaftsjahre anwendbar, die nach dem 31. Dezember 2014 beginnen.344) § 3c Abs. 2 Sätze 2 – 5 EStG enthalten inhaltlich im Kern die Regelungen des § 8b Abs. 3 Abs. 3 Satz 4 ff. KStG,345) ausgenommen sind allerdings die Einbeziehung nahestehender Personen und der Rückgriff auf Dritte. Mit § 3c Abs. 2 Satz 6 EStG werden die Regelungen aus dem BMF-Schreiben vom 23. Oktober 2013 hinsichtlich Abziehbarkeit von Betriebsausgaben oder Veräußerungskosten eines Gesellschafters im Zusammenhang mit einer im Gesellschaftsverhältnis veranlassten unentgeltlichen oder teilentgeltlichen Überlassung von Wirtschaftsgütern übernommen, allerdings insbesondere unter der Voraussetzung einer Beteiligungsgrenze von mehr als 25 %. Soweit die Neuregelungen in § 3c Abs. 2 Sätze 2 – 6 EStG keine Anwendung finden, gilt weiterhin das BMF-Schreiben vom 23. Oktober 2013 sowie die zugrunde liegende Rechtsprechung des BFH. Die nach § 3c Abs. 2 Satz 1 EStG angefügten Sätze 2 – 6 lauten wie folgt:

218

„2Satz 1 ist auch für Betriebsvermögensminderungen oder Betriebsausgaben im Zusammenhang mit einer Darlehensforderung oder aus der Inanspruchnahme von Sicherheiten anzuwenden, die für ein Darlehen hingegeben wurden, wenn das Darlehen oder die Sicherheit von einem Steuerpflichtigen gewährt wird, der zu mehr als einem Viertel unmittelbar oder mittelbar am Grund- oder Stammkapital der Körperschaft, der das Darlehen gewährt wurde, beteiligt ist oder war. 3Satz 2 ist insoweit nicht anzuwenden, als nachgewiesen wird, dass auch ein fremder Dritter das Darlehen bei sonst gleichen Umständen gewährt oder noch nicht zurückgefordert hätte; dabei sind nur die eigenen Sicherungsmittel der Körperschaft zu berücksichtigen. 4Die Sätze 2 und 3 gelten entsprechend für Forderungen aus Rechtshandlungen, die einer Darlehensgewährung wirtschaftlich vergleichbar sind. 5Gewinne aus dem Ansatz des nach § 6 Absatz 1 Nummer 2 Satz 3 maßgeblichen Werts bleiben bei der Ermittlung der Einkünfte außer Ansatz, soweit auf die vorangegangene Teilwertab-

___________ 341) BMF-Schreiben v. 23.10.2013 – IV C 6 – S 2128/07/10001, BStBl I 2013, 1269. Zunächst hatte die Finanzverwaltung die Nichtanwendung verfügt, BMF-Schreiben vom 8.11.2010 – IV C 6 – S 2128/07/10001, BStBl I 2010, 1292. 342) BMF-Schreiben v. 23.10.2013 – IV C 6 – S 2128/07/10001, BStBl I 2013, 1269. 343) BGBl. I 2014 S. 2417. 344) § 52 Abs. 5 Satz 2 EStG. 345) Vgl. dazu Rn. 175 ff.

81

D. Forderungsverzicht: Ertragsteuerliche Folgen auf Ebene des Gesellschafters schreibung Satz 2 angewendet worden ist. 6Satz 1 ist außerdem ungeachtet eines wirtschaftlichen Zusammenhangs mit den dem § 3 Nummer 40 zugrunde liegenden Betriebsvermögensmehrungen oder Einnahmen oder mit Vergütungen nach § 3 Nummer 40a auch auf Betriebsvermögensminderungen, Betriebsausgaben oder Veräußerungskosten eines Gesellschafters einer Körperschaft anzuwenden, soweit diese mit einer im Gesellschaftsverhältnis veranlassten unentgeltlichen Überlassung von Wirtschaftsgütern an diese Körperschaft oder bei einer teilentgeltlichen Überlassung von Wirtschaftsgütern mit dem unentgeltlichen Teil in Zusammenhang stehen und der Steuerpflichtige zu mehr als einem Viertel unmittelbar oder mittelbar am Grund-oder Stammkapital dieser Körperschaft beteiligt ist oder war“

219 Danach sind Gewinnminderungen aus Forderungsverzichten in Wirtschaftsjahren, die nach dem 31. Dezember 2014 beginnen und von der Neuregelung in § 3c Abs. 2 Sätze 2 – 5 EStG erfasst sind, nur noch zu 60 % abzugsfähig. 2. Darlehenszinsen 220 Da der Gesellschafter auf den Darlehensrückzahlungsanspruch gegenüber seiner GmbH verzichtet hat, dient das von ihm aufgenommene Darlehen (nunmehr) seiner Beteiligung.346) Die Einkünfte aus der Beteiligung werden nach § 20 Abs. 8 EStG den Einkünften aus Gewerbebetrieb zugerechnet, weil diese zum Betriebsvermögen gehört. Die Darlehenszinsen sind somit als Betriebsausgaben bei § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG zu berücksichtigen.347) § 20 Abs. 9 EStG, wonach die tatsächlichen Werbungskosten nicht abgezogen werden können, findet bei einer Beteiligung im Betriebsvermögen keine Anwendung. 221 Nach § 3c Abs. 2 Satz 1 EStG können die Darlehenszinsen nur zu 60 % abgezogen werden, da sie mit den Einkünften aus den Anteilen (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG) im Zusammenhang stehen, für die nach § 3 Nr. 40 EStG das Teileinkünfteverfahren gilt.

___________ 346) Vgl. dazu Rn. 180 ff. 347) Vgl. zum Betriebsausgabenabzug im Einzelnen unter Rn. 180 ff.

82

E. Forderungsverzicht: Schenkungsteuerliche Folgen I. Einleitung Mit dem Gesetz zur Umsetzung der Beitreibungsrichtlinie sowie zur Ände- 222 rung steuerlicher Vorschriften (Beitreibungsrichtlinie-Umsetzungsgesetz – BeitrRLUmsG) vom 7. Dezember 2011348) ist § 7 Abs. 8 ErbStG eingeführt worden. Nach § 37 Abs. 7 ErbStG findet diese Vorschrift auf Erwerbe Anwendung, für die die Steuer nach dem 13. Dezember 2011 entsteht. Nach dem Wortlaut des § 7 Abs. 8 ErbStG könnte ein Forderungsverzicht, der zum Zwecke der Sanierung einer Kapitalgesellschaft vereinbart wird, Schenkungsteuer auslösen. In diesem Fall wäre die in der Praxis bedeutsame Sanierungsmaßnahme des Forderungsverzichts und damit die Sanierung von Kapitalgesellschaften in Gefahr. Aus den nachfolgenden Ausführungen wird sich ergeben, dass dies nach der Gesetzesbegründung nicht dem Zweck des § 7 Abs. 8 ErbStG entsprechen würde und dementsprechend eine teleologische Reduktion zu erfolgen hat. Leistete ein Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft freigebig eine disquotale 223 Einlage und erhöhte sich dadurch der Wert der Anteile der anderen Gesellschafter, so lag nach der ständigen Rechtsprechung des BFH weder eine freigebige Zuwendung i. S. d. § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG an die Kapitalgesellschaft noch an die anderen Gesellschafter vor.349) Der BFH begründete dies im Kern mit der Maßgeblichkeit der Zivilrechtslage. Bei der Kapitalgesellschaft hatte die Einlage auf Grundlage des Gesellschaftsverhältnisses Vorrang und die Bereicherung der Mitgesellschafter war ein unbeachtlicher Reflex dieses gesellschaftsrechtlichen Vorgangs.350) Die Finanzverwaltung hatte sich dieser Ansicht zuletzt angeschlossen.351) Auf diese Weise war es in der Praxis möglich, vermögenschenkungsteuerfrei auf die nächste Generation zu übertragen. Der Gesetzgeber hat diese Praxis in der Gesetzesbegründung zu § 7 Abs. 8 ErbStG als missbräuchlich beurteilt und eine Besteuerungslücke ausgemacht. Mit § 7 Abs. 8 ErbStG, der erstmalig auf Erwerbe Anwendung findet, für die die

___________ 348) BGBl. I 2011 S. 2592. 349) Siehe nur BFH, Urt. v. 9.12.2009 – II R 28/08, BStBl II 2010, 566 m. w. N. Vgl. auch FG Baden-Württemberg, Urt. v. 25.5.2011 – 7 K 1475/09, EFG 2011, 1116. Das Gericht hat zu Recht angenommen, der Verzicht auf ein Mehrfachstimmrecht stelle keine endgültige Vermögensverschiebung dar (Revision – II R 38/11). 350) Für Forderungsverzichte gegenüber Personengesellschaften, auf die hier nicht eingegangen wird, gilt die bisherige Rechtsprechung des BFH fort, vgl. Ländererlass v. 14.3.2012 (Fn. 357) Rn. 3.2. Danach erfolgt – anders als bei Kapitalgesellschaften – eine Zurechnung zu den dahinterstehenden Gesellschaftern, vgl. BFH, Urt. v. 15.7.1998 – II R 82/96, BStBl II 1998, 630 = ZfIR 1998, 623. 351) Gleichlautender Erlass der obersten Finanzbehörden der Länder vom 20.10.2010, BStBl I 2010, 1207, aufgehoben durch den Ländererlass v. 14.3.2012 (Fn. 357).

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E. Forderungsverzicht: Schenkungsteuerliche Folgen

Steuer nach dem 13. Dezember 2011 entsteht,352) soll diese Besteuerungslücke zur Missbrauchsvermeidung geschlossen werden.353) 224 Im Wege einer Fiktion regelt § 7 Abs. 8 Satz 1 ErbStG, dass die Werterhöhung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft, die eine an der Gesellschaft unmittelbar oder mittelbar beteiligte natürliche Person (oder Stiftung) durch die Leistung einer anderen Person an die Gesellschaft erlangt, als Schenkung gilt. § 7 Abs. 8 Satz 2 ErbStG definiert als freigebig auch Zuwendungen zwischen Kapitalgesellschaften, an denen nicht unmittelbar oder mittelbar dieselben Gesellschafter zu gleichen Anteilen beteiligt sind, soweit sie in der Absicht getätigt werden, Gesellschafter zu bereichern. Satz 3 der Vorschrift ordnet schließlich an, dass die Sätze 1 und 2 auch für Genossenschaften gelten. 225 Der Anwendungsbereich des § 7 Abs. 8 ErbStG reicht nach dem Wortlaut weit über die vom Gesetzgeber bezweckte Missbrauchsbekämpfung bei disquotalen Einlagen hinaus. Denn nach dem Wortlaut („durch Leistung einer anderen Person“) kommt es weder darauf an, ob ein Gesellschafter eine Leistung an die Kapitalgesellschaft ausführt, noch muss es sich hierbei um eine Einlage handeln. Deshalb könnte § 7 Abs. 8 ErbStG auch Sanierungsfälle erfassen, insbesondere auch Forderungsverzichte – sei es durch Gesellschafter oder durch Dritte – zu Sanierungszwecken. Obwohl in den Beratungen des Finanzausschusses die „Gefahr der Erfassung von Sanierungsfällen“ erkannt wurde, erfolgte keine Anpassung des Wortlauts.354) In der Begründung des Finanzausschusses heißt es lediglich, dass diese Gefahr „beobachtet werden“ solle.355) Mit diesem „Beobachtungsmodus“ ist der Sanierungspraxis nicht geholfen. 226 Hat eine steuerliche Vorschrift den Zweck, missbräuchliche Gestaltungen zu verhindern, so ist nach der Rechtsprechung des BFH bei einem überschießenden Wortlaut Wirksamkeitsvoraussetzung, dass ausgehend vom Gesetzeszweck eine sachliche Rechtfertigung besteht. Prüfungsmaßstab ist der allgemeine Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die Vorschrift muss zur Verhinderung der missbräuchlichen Gestaltung erforderlich sein. Hierbei ist nach dem BFH insbesondere auch zu berücksichtigen, ob die Vorschrift in Krisensituationen eine unverhältnismäßige Belastungswirkung entfaltet.356) Auf dieser Grundlage ist § 7 Abs. 8 ErbStG auf Forderungsverzichte zu Sanierungszwecken nicht anwendbar. Der gleichlautende Erlass der obersten Finanzbehörden der Länder vom 14. März 2012 zu Schenkungen unter Beteiligung ___________ 352) Vgl. § 37 Abs. 7 ErbStG. 353) Vgl. Stellungnahme des Bundesrats, BR-Drucks. 253/11 (B), S. 34; Bericht des Finanzausschusses, BT-Drucks. 17/7524, S. 6, 20 f. 354) Dies wurde in der Literatur bereits im Vorfeld gefordert, vgl. Riedel, NZI 2011, 577; ders., DB 2011, 1888; Schulte/Sedemund, BB 2011, 2080. 355) Vgl. Begründung des Finanzausschusses, BT-Drucks. 17/7524, S. 6. 356) BFH, Beschl. v. 13.3.2012 – I B 111/11, BFH/NV 2012, 1073 Rn. 32 ff., 36 zu § 8a Abs. 2 Alternative 3 KStG.

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II. Leistung

von Kapitalgesellschaften oder Genossenschaften357) regelt das leider nicht in dieser Deutlichkeit. Im Einzelnen: II. Leistung Aus § 7 Abs. 8 ErbStG ergibt sich nicht, was unter einer „Leistung“ zu ver- 227 stehen ist. Ein Rückgriff auf den zivilrechtlichen Leistungsbegriff (§ 812 BGB) der zweckgerichteten Mehrung fremden Vermögens dürfte aufgrund der in § 7 Abs. 8 ErbStG eingeführten wirtschaftlichen Betrachtung nicht ohne Weiteres in Betracht kommen.358) So sieht auch der Ländererlass vom 14. März 2012359) unter Tz. 3.3.3 vor, dass anhand einer Gesamtbetrachtung der im „sachlichen und zeitlichen Zusammenhang“ von den anderen Gesellschaftern erbrachten Leistungen an die Gesellschaft und untereinander zu ermitteln ist, ob eine Leistung i. S. d. § 7 Abs. 8 Satz 1 ErbStG vorliegt.360) Beispielhaft werden unter Tz. 3.3.1 Sacheinlagen und Nutzungseinlagen genannt. Aus Tz. 3.3.6 und 3.3.7 ergibt sich, dass nach Auffassung der Finanzverwaltung grundsätzlich auch ein Forderungsverzicht – auch gegen Besserungsschein – als eine mögliche steuerbare Leistung angesehen wird. Die Vereinbarung eines Forderungsverzichts hat auf Ebene der Kapitalgesellschaft das Erlöschen der Verbindlichkeit zur Folge. Deshalb dürfte in einem Forderungsverzicht die Leistung einer anderen Person (des verzichtenden Gläubigers) i. S. d. § 7 Abs. 8 Satz 1 ErbStG zu erblicken sein. III. Vermögensverschiebung – Vermögensumschichtung In der Gesetzesbegründung findet sich im Zusammenhang mit Ausführungen 228 zu der Leistung einer überproportionalen Einlage der Hinweis, dass solche Einlagen unter fremden Dritten allenfalls mit gesellschaftsvertraglichen Zusatzabreden vorgenommen würden, durch die gewährleistet sei, dass es nicht zu einer „endgültigen Vermögensverschiebung zugunsten der Mitgesellschafter“ komme. Als Beispiel werden allgemein Sanierungsfälle genannt, ohne dass auf einzelne Sanierungsmaßnahmen Bezug genommen wird.361) Insbesondere hat die Gesetzesbegründung als Sanierungsmaßnahme nicht den Forderungsverzicht vor Augen, sondern allein die disquotale Einlage. Daraus, dass auf eine „endgültige Vermögensverschiebung“ abgestellt wird, 229 lässt sich ableiten, dass nach dem Willen des Gesetzgebers eine Steuerpflicht nach § 7 Abs. 8 ErbStG – ebenso wie bei § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG – nur dann ausgelöst werden soll, wenn eine objektive Zuwendung an einen Gesellschafter ___________ 357) BStBl I 2012, 331, im Folgenden auch „Ländererlass“. 358) Vgl. Viskorf/Haag/Kerstan, NWB 2012, 927, 933; Korezkij, DStR 2012, 163, 164; Maile, DB 2012, 1952. 359) BStBl I 2012, 331. 360) Ebenso van Lishaut/Ebber/Schmitz, Ubg 2012, 1, 4. 361) BT-Drucks. 17/7524, S. 21.

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E. Forderungsverzicht: Schenkungsteuerliche Folgen

vorliegt, es also bei dem Zuwendenden zu einem Vermögensabfluss (Entreicherung) und bei dem bedachten Gesellschafter zu einer Vermögensmehrung (Bereicherung) kommt.362) 230 Die Finanzverwaltung hat sich in dem Ländererlass vom 14. März 2012 dieser Gesetzesbegründung angeschlossen. Im Zusammenhang mit den Ausführungen zum Forderungsverzicht unter Besserungsvorbehalt wird zwar zunächst eine zumindest vorübergehende Werterhöhung der Anteile durch einen solchen Forderungsverzicht bejaht. Im Anschluss heißt es jedoch weiter, dass es grundsätzlich an einem steuerbaren Vorgang fehle, weil lediglich eine Vermögensumschichtung auf Ebene des verzichtenden Gläubigers und keine Vermögensverschiebung von ihm an die Mitgesellschafter vorliege.363) Ein Forderungsverzicht unter Besserungsvorbehalt löst deshalb nach Ansicht der Finanzverwaltung keine Schenkungsteuer nach § 7 Abs. 8 ErbStG aus. 231 Die Finanzverwaltung kommt allerdings nur im Zusammenhang mit der Vereinbarung eines Forderungsverzichtes unter Besserungsvorbehalt zu diesem Ergebnis und erweitert es nicht ausdrücklich auf unbedingte Forderungsverzichte zu Sanierungszwecken. Dies geschieht möglicherweise, weil sich die Vermögensumschichtung bei einem Forderungsverzicht unter Besserungsvorbehalt in einen vertraglichen Besserungsanspruch manifestiert und somit unmittelbar greifbar erscheint. So finden sich in Tz. 3.3.6 des Ländererlasses vom 14. März 2012 zu einem unbedingten Forderungsverzicht lediglich Ausführungen zur Zulässigkeit eines vor den Forderungsverzicht geschalteten Forderungsverkaufs. Damit soll offenbar eine durch den Verzicht ausgelöste, endgültige Vermögensverschiebung dadurch vermieden werden können, dass allen Gesellschaftern die Möglichkeit eines gleichmäßigen Forderungsverzichts eröffnet wird.364) 232 Erfolgt der Forderungsverzicht in unbedingter Weise zu Sanierungszwecken – diesen Fall regelt der Ländererlass vom 14. März 2012 nicht ausdrücklich –, so ist ebenfalls von einer unbeachtlichen Vermögensumschichtung und nicht von einer endgültigen Vermögensverschiebung auszugehen. Bereits der RFH hat zutreffend entschieden, dass ein Gläubiger, der einem notleidenden Unternehmen eine Schuld erlässt, um das Unternehmen wieder lebensfähig zu machen, im Ergebnis kein Vermögensopfer tätigt, da seine Forderung in aller Regel nichts mehr wert ist.365) Wirtschaftlich betrachtet bedeutet der Ver___________ 362) Ebenso van Lishaut/Ebber/Schmitz, Ubg 2012, 1, 5. 363) Ländererlass v. 14.3.2012, BStBl I 2012, 331, Tz. 3.3.7 Satz 2, 3. 364) Zu weiteren Gestaltungen, durch die ein disquotaler Forderungsverzicht vermieden werden kann vgl. van Lishaut/Ebber/Schmitz, Ubg 2012, 1, 5. 365) Für Gesellschafterdarlehen ergibt sich dies bereits aus § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO. Auch der V. Senat des BFH sieht eine Forderung spätestens mit Insolvenzeröffnung als uneinbringlich und damit wertlos an, vgl. BFH, Urt. v. 9.12.2010 – V R 22/10, BStBl II 2011, 996 = ZIP 2011, 782 (m. Bespr. Schmittmann, S. 1125 u. Welte/Friedrich-Vache, S. 1595), dazu EWiR 2011, 323 (Mitlehner); Urt. v. 22.10.2009 – V R 14/08, BStBl II 2011, 988 = ZIP 2010, 383, dazu EWiR 2010, 227 (Kahlert).

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IV. Bereicherungsabsicht

zicht nach richtiger Ansicht des RFH für den Gläubiger keine Vermögensaufgabe, sondern nur eine Umschichtung in seinem Vermögen. An die Stelle einer wirtschaftlich wertlosen Forderung trete die Wahrscheinlichkeit eines zukünftigen Erwerbs durch eine fortbestehende Geschäftsbeziehung oder die Erwartung einer Wiederherstellung der Werthaltigkeit des Unternehmens und damit der Beteiligung.366) Diese Erwerbsaussichten – auch wenn sie anders als im Fall des Forderungsverzichts unter Besserungsvorbehalt nicht vertraglich festgehalten sind – rechtfertigen im Falle eines unbedingten Forderungsverzichts zu Sanierungszwecken die Annahme einer unbeachtlichen Vermögensumschichtung.367) IV. Bereicherungsabsicht Gegen die Anwendung des § 7 Abs. 8 ErbStG in Sanierungsfällen spricht 233 weiter, dass der Forderungsverzicht gerade und ausschließlich mit Blick auf den Erhalt der Kapitalgesellschaft und nicht ihrer Gesellschafter ausgesprochen wird. Eine Bereicherungsabsicht des Verzichtenden hinsichtlich der Gesellschafter liegt bei Forderungsverzichten zu Sanierungszwecken nicht vor. Auf den ersten Blick ist die Annahme einer Schenkung nach § 7 Abs. 8 Satz 1 ErbStG allerdings scheinbar unabhängig von dem Vorliegen oder Nichtvorliegen einer Bereicherungsabsicht.368) Aus der Gesetzesbegründung, der Systematik sowie dem Wortlaut der Norm lässt sich jedoch entnehmen, dass § 7 Abs. 8 Satz 1 ErbStG auch einen subjektiven Tatbestand hat. So heißt es in der Gesetzesbegründung im Zusammenhang mit Zuwendungen 234 von Nicht-Gesellschaftern, dass von § 7 Abs. 8 Satz 1 ErbStG Fälle erfasst werden, in denen der Dritte mit seiner Zuwendung nicht auf eine originäre Bereicherung der Kapitalgesellschaft, sondern auf eine mittelbare Bereicherung der Gesellschafter „abzielt“. Es liege „dann“ eine Zuwendung an die Gesellschafter vor.369) Nach der Vorstellung des Gesetzgebers ist also jedenfalls in Fällen, in denen Dritte der Gesellschaft etwas zuwenden, maßgeblich, welche Zielrichtung mit der Zuwendung verfolgt wird. Nur wenn mittelbar die Gesellschafter bereichert werden sollen, liege auch eine Zuwendung an die Gesellschafter i. S. d. § 7 Abs. 8 Satz 1 ErbStG vor. Dafür, dass diese subjektive Voraussetzung auch in Fällen der Zuwendung durch Gesellschafter gilt, spricht die weitere, bereits zitierte Passage der Gesetzesbegründung, wonach erforderlich ist, dass die Einlage zu einer endgültigen Vermögensverschiebung „zugunsten der Mitgesellschafter führt“.370) Ausgehend von dem Ge___________ 366) RFH, Urt. v. 26.2.1942 – III e 15/41, RStBl 1942, 803. 367) Ebenso Maile, DB 2012, 1952, 1953 f. (unter IV.), allerdings mit der Begründung, es mangele an der „Leistung“ wegen des fehlenden subjektiven Bereicherungszwecks. 368) Crezelius, ZEV 2011, 393, 395; Burwitz, NZG 2012, 90, 92; Bisle, SteuK 2012, 95; dagegen gehen Binnewies, GmbHR 2011, 1022, 1027 und im Ergebnis auch Fischer, ZEV 2012, 77, 82 f. von einem subjektiven Tatbestand aus. 369) BT-Drucks. 17/7524, S. 21, li. Sp. 370) BT-Drucks. 17/7524, S. 21, li. Sp.

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E. Forderungsverzicht: Schenkungsteuerliche Folgen

danken der Missbrauchsbekämpfung wollte der Gesetzgeber offenbar nur dann eine Schenkungsteuerpflicht nach § 7 Abs. 8 Satz 1 ErbStG auslösen, wenn auch nach der subjektiven Vorstellung des Zuwendenden eine Bereicherung der Gesellschafter bezweckt wird. 235 § 7 Abs. 8 Satz 1 ErbStG knüpft durch die Verwendung der Worte „Bedachte“ und „Zuwendender“ in Klammerzusätzen an die Terminologie des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG an. Durch diese Anknüpfung wird deutlich, dass auch § 7 Abs. 8 Satz 1 ErbStG nur solche Konstellationen erfassen soll, die mit einer freigebigen Zuwendung vergleichbar sind.371) Im Rahmen des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG ist anerkannt, dass sich aus dem Merkmal der Freigebigkeit ein subjektiver Tatbestand ergibt. Bereits der RFH hat entschieden, dass die Person des Bedachten nach dem Willen des Leistenden bestimmt wird.372) Weiter geht sogar § 7 Abs. 8 Satz 2 ErbStG. Danach ist ausdrücklich eine Bereicherungsabsicht für die Annahme einer freigebigen Zuwendung erforderlich. Schließlich spricht die Formulierung in § 7 Abs. 8 Satz 2 ErbStG „freigebig sind auch“ dafür, dass eine Bereicherungsabsicht nicht nur in den Fällen des Satzes 2, sondern auch in den Fällen des § 7 Abs. 8 Satz 1 ErbStG Voraussetzung für die Annahme einer Schenkung an die Gesellschafter ist.373) Anders als teilweise in der Literatur vertreten wird,374) wollte der Gesetzgeber mit der Nennung der Bereicherungsabsicht nur in § 7 Abs. 8 Satz 2 ErbStG sicherlich nicht das Erfordernis eines Bereicherungswillens von der Rechtsform des Zuwendenden abhängig machen. 236 Danach ist für die Annahme einer Schenkung nach § 7 Abs. 8 Satz 1 ErbStG eine Bereicherungsabsicht in dem Sinne erforderlich, dass der Zuwendende mit seiner Leistung eine (mittelbare) Bereicherung der Gesellschafter der Kapitalgesellschaft bezwecken will. 237 Jedenfalls für den Fall von Leistungen gesellschaftsfremder Dritter an eine Kapitalgesellschaft geht auch die Finanzverwaltung von dem Erfordernis einer solchen, auf die Bereicherung der Gesellschafter gerichteten Absicht, aus. In Anlehnung an den Wortlaut der Gesetzesbegründung wird in Tz. 3.2 des Ländererlasses klargestellt, dass kein Fall des § 7 Abs. 8 Satz 1, sondern des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG vorliegt, „sofern die Leistung auf eine unmittelbare Bereicherung der Kapitalgesellschaft abzielt“.375) ___________ 371) Potsch/Urbach, KÖSDI 2012, 17747 Tz.19 leiten hieraus ab, dass § 7 Abs. 8 Satz 1 nur eine Annexvorschrift zu Abs. 1 Nr. 1 sei. 372) RFH, Urt. v. 29.10.1937 – III e 37/37, RStBl 1937, 1303; Troll/Gebel/Jülicher-Gebel, ErbStG, § 7 Rn. 71. 373) A. A. wohl Ländererlass v. 14.3.2012, BStBl I 2012, 331, Tz. 4.2; Viskorf/Haag/Kerstan, NWB 2012, 927, 930; Viskorf/Haag, DStR 2012, 1166, Tz. 3.1. 374) Viskorf/Haag, DStR 2012, 1166, Tz. 3.2; Viskorf/Haag/Kerstan, NWB 2012, 927, 931. 375) BStBl I 2012, 331, Tz. 3.2 a. E.; ebenso im Ergebnis Fischer, ZEV 2012, 77, 79 ff. und Maile, DB 2012, 1952, 1953 f.

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V. Widersprüchliches Verhalten

Bei einem Forderungsverzicht zum Zweck der Sanierung der Kapitalgesell- 238 schaft fehlt ein solcher. auf eine mittelbare Bereicherung der Gesellschafter gerichteter. Wille des Verzichtenden. In Fällen, in denen der sog. Sanierungserlass376) Anwendung findet, manifestiert sich diese allein auf eine Begünstigung der Kapitalgesellschaft gerichtete Zielrichtung auch steuerlich. Denn Voraussetzung für die Anwendung des Sanierungserlasses ist gerade das Vorliegen einer unternehmensbezogenen Sanierung.377) Der Verzichtende nimmt eine etwaige Werterhöhung der Anteile der Gesellschafter somit allenfalls reflexartig hin.378) Eine Schenkungsteuerpflicht eines Forderungsverzichts zu Sanierungszwecken nach § 7 Abs. 8 Satz 1 ErbStG kommt somit auch mangels Vorliegens des subjektiven Tatbestands der Norm nicht in Betracht. V. Widersprüchliches Verhalten Die vorstehenden Überlegungen werden dadurch gestützt, dass in den Fällen 239 einer unternehmensbezogenen Sanierung, in denen der sog. Sanierungserlass379) zur Anwendung kommt, eine Anwendung des § 7 Abs. 8 ErbStG den gesetzgeberischen Wertungen widersprechen würde. Es wäre widersprüchlich, die Sanierung auf der einen Seite durch die Billigkeitsmaßnahmen der Steuerstundung und des Steuererlasses zu fördern und auf der anderen Seite durch eine Steuerbelastung mit Schenkungsteuer nach § 7 Abs. 8 ErbStG zu vereiteln oder jedenfalls zu gefährden. Dies gilt auch deshalb, weil als Steuerschuldner nach § 20 Abs. 1 Satz 1 ErbStG nicht nur die Gesellschafter gelten, sondern gesamtschuldnerisch auch der verzichtende Gläubiger.380) VI. Insolvenzplan Ist ein Forderungsverzicht zu Sanierungszwecken in einem Insolvenzplan 240 vorgesehen, spricht weiter gegen die Annahme einer Schenkung nach § 7 Abs. 8 Satz 1 ErbStG, dass die materiellen Wirkungen eines in dem gestaltenden Teil eines Insolvenzplans (§ 221 InsO) festgelegten Forderungsverzichts gemäß § 254 Abs. 1 Satz 1 InsO erst mit der formellen Rechtskraft der Bestätigung des Insolvenzplans durch das Insolvenzgericht eintreten.381) Der Forderungsverzicht und dessen Wirkungen werden in diesem Fall nicht durch eine eigene Handlung des Verzichtenden ausgelöst, sondern treten kraft Gesetzes ein. Neben den vorgenannten Gründen spricht auch dieser ___________ 376) BMF-Schreiben v. 27.3.2003, IV A 6 – S 2140 – 8/03, BStBl I 2003, 240. 377) BMF-Schreiben v. 27.3.2003, IV A 6 – S 2140 – 8/03, BStBl I 2003, 240 Rn. 1, Rn. 2 Satz 2. 378) In diese Richtung auch Schulte/Sedemund, BB 2011, 2080, 2082; Sell, DB 2012, 426, 427. 379) BMF-Schreiben v. 27.3.2003, IV A 6 – S 2140 – 8/03, BStBl I 2003, 240; vgl. dazu Rn. 121 ff. 380) In diesem Sinne auch RFH, Urt. v. 26.2.1942 – III e 15/41, RFHE 51, 288, 295. 381) Vgl. BGH, Urt. v. 19.5.2011 – IX ZR 222/08, ZIP 2011, 1271 Rn. 8.

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E. Forderungsverzicht: Schenkungsteuerliche Folgen

Umstand dagegen, eine „Leistung“ des Verzichtenden i. S. d. § 7 Abs. 8 Satz 1 ErbStG im Falle eines Insolvenzplans anzunehmen. VII. § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG 241 Da nach den vorstehenden Ausführungen bei einem Forderungsverzicht zu Sanierungszwecken die Voraussetzungen des § 7 Abs. 8 ErbStG nicht vorliegen, ist der Anwendungsbereich des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG nicht gesperrt.382) Ein zu Sanierungszwecken vereinbarter Forderungsverzicht stellt aber auch keine nach Tz. 3.2 des Ländererlasses vom 14. März 2012 in Betracht kommende Schenkung an die Kapitalgesellschaft nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG dar. Denn soweit der Verzichtende Gesellschafter ist, liegt die Grundlage für den Forderungsverzicht in der Förderung des Gesellschaftszwecks, was nach der ständigen Rechtsprechung des BFH einer Unentgeltlichkeit entgegensteht.383) Ist der Verzichtende kein Gesellschafter, scheidet eine Vermögenshingabe nach der Rechtsprechung des RFH aus, da ein Verzicht zu Sanierungszwecken aus eigennützigen und damit betrieblichen Gründen erfolgt.384) VIII. Fazit 242 Vereinbart ein Gläubiger (Verzichtender) mit einer Kapitalgesellschaft (Verzichtsempfänger) zum Zwecke der Sanierung der Kapitalgesellschaft einen Forderungsverzicht, so ist § 7 Abs. 8 Satz 1 ErbStG nicht anwendbar. Denn nach der Gesetzesbegründung mangelt es in diesem Fall nicht nur an einer endgültigen Vermögensverschiebung an die Gesellschafter der Kapitalgesellschaft, sondern auch an einer Bereicherungsabsicht des Gläubigers. Da dieser gesetzgeberische Wille in dem Wortlaut des § 7 Abs. 8 ErbStG keinen ausreichenden Niederschlag gefunden hat und auch der Ländererlass vom 14. März 2012 in dieser Frage keine eindeutige Stellung bezieht, sollten der verzichtende Gläubiger und die Gesellschafter im Einzelfall vor der Vereinbarung des Forderungsverzichts die Einholung einer (kostenpflichtigen) verbindlichen Auskunft gemäß § 89 AO bei ihrem jeweils zuständigen Finanzamt erwägen.

___________ 382) Vgl. Ländererlass v. 14.3.2012, BStBl I 2012, 331, Rn. 1.4. 383) Vgl. nur BFH, Urt. v. 17.10.2007 – II R 63/05, BStBl II 2008, 381 = ZfIR 2008, 582 (m. Anm. J. Wagner, S. 583) m. w. N. 384) RFH, Urt. v. 26.2.1942 – III e 15/41, RFHE 51, 288, 294; Troll/Gebel/Jülicher-Gebel, ErbStG, § 7 Rn. 23; Sell, DB 2012, 426, 427.

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F. Forderungsverzicht: Besonderheiten im Insolvenzplanverfahren I. Zustimmung des Finanzamts Nach dem BMF-Schreiben vom 17. Dezember 1998385) ist die Frage, ob das 243 Finanzamt einem Insolvenzplan zustimmen soll, grundsätzlich nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu entscheiden. Es soll allerdings darauf hinwirken, dass Steuerabzugsbeträge und Haftungsansprüche nicht beeinträchtigt werden. Im Übrigen soll die Überlegung maßgeblich sein, dass der Gesetzgeber mit der Vorschrift des § 245 InsO (Obstruktionsverbot) entsprechende Verfahrensregeln vorgegeben habe. Deshalb, so das BMF,386) seien die Ermessensentscheidungen nach den §§ 163, 244 227 AO unter Berücksichtigung der Zielsetzung der InsO zu treffen. Hierbei verkennt das BMF, dass die Änderungen der Rechtsstellungen der Beteiligten im gestaltenden Teil des Insolvenzplans (§ 221 InsO) mit der Rechtskraft der Bestätigung des Insolvenzplans eintreten, § 254 Abs. 1 InsO.387) Bei der Entscheidung des Finanzamts geht es somit um die Zustimmung gemäß § 244 InsO zum Insolvenzplan, nicht jedoch um eine Entscheidung nach §§ 163, 227 AO. Das BMF erkennt an, dass die Bestätigung eines Insolvenzplans auch im In- 245 teresse des Finanzamts liegen kann. Das sei dann der Fall, wenn bei Fortführung des Insolvenzverfahrens mit einer geringeren Quote als bei Durchführung eines Insolvenzplans zu rechnen ist. Eine solche Prüfung hat das Finanzamt nach dem BMF vor einer Entscheidung stets vorzunehmen. Wird das Finanzamt durch den Insolvenzplan schlechter gestellt, so habe es spätestens im Abstimmungstermin die Versagung der Bestätigung des Insolvenzplans zu beantragen (§ 251 InsO).388) Bei der Zustimmung des Finanzamts gemäß § 244 InsO handelt es sich um 246 ein schlichtes Verwaltungshandeln. Deshalb kann die Zustimmung bei Verweigerung des Finanzamts im Wege einer Leistungsklage gemäß § 40 FGO verfolgt werden und als einstweiliger Rechtsschutz kommt ein Antrag auf einstweilige Anordnung gemäß § 114 FGO in Betracht.389)

___________ 385) BMF-Schreiben v. 17.12.1998, IV A 4 – S 0550 – 28/98, BStBl I 1998, 1500, Rn. 9.2; siehe dazu auch §§ 57 ff. VollStrA. 386) BMF-Schreiben v. 17.12.1998, IV A 4 – S 0550 – 28/98, BStBl I 1998, 1500, Rn. 9.2. 387) So auch Kling/Schüppen/Ruh, in: MünchKomm-InsO, Anhang: Insolvenzsteuerrecht, Rn. 240. 388) BMF-Schreiben v. 17.12.1998, IV A 4 – S 0550 – 28/98, BStBl I 1998, 1500, Rn. 9.2. 389) So auch Kling/Schüppen/Ruh, in: MünchKomm-InsO, Anhang: Insolvenzsteuerrecht, Rn. 241.

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F. Forderungsverzicht: Besonderheiten im Insolvenzplanverfahren

II. Wesen der Forderungen nach Verzicht 247 Der BGH hatte in seinem Urteil vom 19. Mai 2011390) über einen Sachverhalt zu befinden, in dem der Schuldner nach formeller Rechtskraft des gerichtlich bestätigten Insolvenzplans und nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens einen Werklohnanspruch für vor Insolvenzeröffnung ausgeführte Bauleistungen gegen den Fiskus geltend machte. Der Fiskus rechnete daraufhin mit Steuerforderungen auf, die nach dem Insolvenzplan als erlassen galten. Der BGH hatte über die Rechtmäßigkeit der Aufrechnung zu befinden. 248 Der BGH hat entschieden, dass Verbindlichkeiten, soweit sie nach dem Insolvenzplan als erlassen gelten, zwar nicht erloschen sind, jedoch als natürliche Verbindlichkeiten fortbestehen, deren Erfüllung möglich ist, aber nicht erzwungen werden kann. Mit solchen nicht durchsetzbaren Forderungen kann nach dem BGH grundsätzlich nicht aufgerechnet werden. Etwas anders gelte allerdings dann, wenn die Aufrechnungslage bereits zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bestand. Deshalb hat der BGH die Aufrechnung des Fiskus als zulässig beurteilt. Im Übrigen hat es der BGH für zulässig gehalten, dass der betreffende Gläubiger einen Verzicht auf sein Aufrechnungsrecht erklärt oder – falls das nicht gelingt – die fortbestehende Aufrechnungsmöglichkeit bei der Gestaltung des Insolvenzplans einbezogen wird.391) III. Masseverbindlichkeiten 249 In der Literatur ist streitig, in welchem Zeitpunkt der Sanierungsgewinn entsteht, wenn er auf einem Forderungsverzicht im Insolvenzplan beruht. Diskutiert werden die gerichtliche Bestätigung des Plans gemäß § 248 InsO,392) die Rechtskraft der gerichtlichen Bestätigung gemäß § 254 Abs. 1 Satz 1 InsO393) und die Planerfüllung.394) Der BGH hat in seinem Urteil vom 19.5.2011 entschieden, dass die materiellen Wirkungen des Insolvenzplans mit der formellen Rechtskraft des gerichtlich bestätigten Insolvenzplans gemäß § 254 Abs. 1 Satz 1 InsO eintreten.395) Danach entsteht der Sanierungsgewinn im Zeitpunkt der formellen Rechtskraft des Insolvenzplans gemäß § 254 Abs. 1 Satz 1 InsO. Denn in diesem Zeitpunkt wird der Forderungsverzicht wirksam, der den Sanierungsgewinn auslöst.396)

___________ 390) 391) 392) 393)

BGH, Urt. v. 19.5.2011 – IX ZR 222/08, ZIP 2011, 1271, Rn. 10. BGH, Urt. v. 19.5.2011 – IX ZR 222/08, ZIP 2011, 1271, Rn. 14. Maus, Steuern im Insolvenzverfahren, Rn. 430. Kübler/Prütting/Bork-Olbing, InsO, InsSteuerR II. A. Rn. 22; Olbing, Sanierung durch Steuergestaltung, Rn. 186. 394) Georg, ZInsO 2000, 93, 95. 395) BGH, Urt. v. 19.5.2011 – IX ZR 222/08, ZIP 2011, 1271, Rn. 8. 396) So auch Bremen, NZI 2014, 137, 143; Blümich-Krumm, EStG, § 5 Rn. 959 (Stand: 10/ 2013); OFD Oldenburg v. 19.6.2013 – S 2140 – 8 – St 248 (VD), BeckVerw 273825.

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III. Masseverbindlichkeiten

Danach sind die auf den Sanierungsgewinn entfallenden Ertragsteuern als 250 Masseverbindlichkeiten i. S. d. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO zu beurteilen. Denn der unselbstständige Besteuerungstatbestand wird nach der Rechtsprechung des IV. Senats des BFH397) nach Insolvenzeröffnung vollständig verwirklicht.398) Problematisch ist, dass die auf einem Sanierungsgewinn beruhenden Er- 251 tragsteuerforderungen (Einkommensteuer, Körperschaftsteuer, Gewerbesteuer und Solidaritätszuschlag) gemäß §§ 38 AO, 36 Abs. 1 EStG, 30 Nr. 3 KStG, 18 GewStG, 1 Abs. 2 SolzG erst mit Ablauf des Veranlagungszeitraums entstehen, in den der Insolvenzplan fällt. Die Höhe der entstehenden Ertragsteuerforderungen steht zum Zeitpunkt der formellen Rechtskraft des Insolvenzplans regelmäßig auch deshalb noch nicht fest, da sie auch durch die übrigen Geschäftsvorfälle des laufenden Veranlagungszeitraums beeinflusst werden. Die auf den Sanierungsgewinn entfallenden Ertragsteuerforderungen sind somit von dem Insolvenzplanverfahren nicht betroffen. Es besteht deshalb die Gefahr, dass die Finanzverwaltung die auf einen Sanierungsgewinn entfallenden Ertragsteuerforderungen späterhin geltend macht. Dies ist aus Sicht der weiteren Insolvenzgläubiger mehr als unbefriedigend, da sie im Rahmen des Insolvenzplanverfahrens ihre Forderungen gemäß dem Insolvenzplan in jedem Fall verlieren. Die Insolvenzgläubiger treten gewissermaßen in „Vorleistung“. Diese Problematik kann dadurch gelöst werden, den Insolvenzplan unter die aufschiebende Bedingung zu stellen, dass Finanzverwaltung und Gemeinde(n) eine verbindliche Auskunft dergestalt erteilen, dass der Insolvenzplan die Voraussetzungen des Sanierungserlasses erfüllt.399) Eine verbindliche Auskunft ist auch deshalb erforderlich, weil nach § 231 252 Abs. 1 Nr. 3 InsO das Insolvenzgericht den Insolvenzplan von Amts wegen zurückzuweisen hat, wenn die Ansprüche, die den Beteiligten nach dem gestaltenden Teil eines vom Schuldner vorgelegten Plans zustehen, offensichtlich nicht erfüllt werden können. Es ist streitig, ob die auf den Sanierungsgewinn entfallende Steuer deshalb gemäß § 258 Abs. 2 InsO abzusichern

___________ 397) BFH, Urt. v. 16.5.2013 – IV R 23/11, BStBl II 2013, 759 = ZIP 2013, 1481 = ZVI 2013, 436 (m. Anm. Büchler/Jarchow, S. 439), dazu EWiR 2013, 621 (Schmittmann) = DStR 2013 mit Anm. Kahlert. Der X. Senat des BFH folgt dem IV. Senat des BGH, siehe BFH, Urt. v. 9.12.2014 – X R 12/12, juris. 398) So auch Blümich-Krumm, EStG, § 5 Rn. 958. 399) Problematisch erscheint der Vorschlag von Smid/Rattunde/Martini, Der Insolvenzplan, S. 410 (unter e). Danach erklärt das Finanzamt im Insolvenzplan, Körperschaftsteuern und Gewerbesteuern, die durch einen Sanierungsgewinn ausgelöst werden, als Insolvenzforderungen zu behandeln und auf solche Steuern in entsprechender Anwendung des Sanierungserlasses zu verzichten. Zum einen stellt sich die Frage, ob das Finanzamt in einer zulässigen Form handelt. Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass für den Erlass von Gewerbesteuern nicht das Finanzamt, sondern die Gemeinde zuständig ist, vgl. Rn. 141 ff.

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F. Forderungsverzicht: Besonderheiten im Insolvenzplanverfahren

ist.400) Jedenfalls dürfte eine Absicherung gemäß § 231 Abs. 1 Nr. 3 InsO nicht erforderlich sein, wenn die Finanzverwaltung und Gemeinde(n) eine verbindliche Auskunft dahin gehend erteilt haben, dass Steuern auf dem Sanierungsgewinn unter den Sanierungserlass fallen. Dies dient im Übrigen auch der Absicherung gegen eine etwaige Steuerhaftung nach § 69 AO.

___________ 400) So Maus, Steuern im Insolvenzverfahren, Rn. 438, und Olbing, Sanierung durch Steuergestaltung, Rn. 186. A. A. LG Bielefeld v. 30.11.2001 – 23 T 365/01, ZIP 2002, 951 = ZVI 2002, 77, dazu EWiR 2002, 1103 (Olbing), das vor Veröffentlichung des Sanierungserlasses die Ansicht vertreten hat, dass dies trotz der ungeklärten steuerlichen Behandlung von Sanierungsgewinnen nicht der Fall sei, wenn die zuständige Finanzbehörde die wohlwollende Prüfung eines Erlassantrags signalisiert habe.

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G. Rangrücktritt I. Einleitung Der Rangrücktritt spielt in der Sanierungspraxis eine bedeutende Rolle. Mit 253 der Vereinbarung eines Rangrücktritts verfolgen Gesellschafter und Gesellschaft das Ziel, die Passivierung einer Verbindlichkeit in der Überschuldungsbilanz und damit eine Insolvenzantragspflicht zu vermeiden. Die Organe der Gesellschaft können damit die schadensersatzrechtlichen und die strafrechtlichen Folgen eines Verstoßes gegen eine Insolvenzantragspflicht vermeiden. Sollte die Vereinbarung eines Rangrücktritts zusätzliche steuerliche Lasten auslösen, so wäre die mit dem Rangrücktritt verfolgte Sanierung der Gesellschaft gefährdet. Deshalb ist die Steuerneutralität des Rangrücktritts für die Gesellschaft von großer Bedeutung. Die rechtlichen Grundlagen des Rangrücktritts haben sich mit Inkrafttreten 254 des MoMiG grundlegend verändert. Auf dieser Basis sind nicht nur die Fragen zu beantworten, ob und unter welchen Voraussetzungen mit einem Rangrücktritt nunmehr eine Insolvenzantragspflicht vermieden werden kann. Ebenso steht die Steuerneutralität des Rangrücktritts auf dem Prüfstand. Die nachfolgenden Ausführungen sollen Antworten auf diese Fragen geben, wobei sie sich auf Unternehmen in der Rechtsform der GmbH beziehen. II. Rechtslage vor MoMiG Unter Geltung der Konkursordnung bestand lange Zeit weitgehend Einig- 255 keit darüber, dass ein sog. einfacher Rangrücktritt ausreichend ist, um die Passivierung eines eigenkapitalersetzenden Gesellschafterdarlehens in der Überschuldungsbilanz zu vermeiden.401) Aus dem Urteil des BFH vom 30. März 1993402) ergibt sich folgende Formulierung eines sog. einfachen Rangrücktritts, der in der Praxis so oder ähnlich formuliert war: „Der Gläubiger tritt mit seinen Forderungen in Höhe von DM 1 Million hinter die Forderungen aller anderen Gläubiger in der Weise zurück, dass seine Forderungen nur zu Lasten von Bilanzgewinnen, aus einem Liquidationsüberschuss oder aus dem die sonstigen Verbindlichkeiten der Schuldnerin übersteigenden Vermögen bedient zu werden brauchen.“

Mit seinem Grundsatzurteil vom 8. Januar 2001 hat der II. Senat des BGH 256 jedoch für die Konkursordnung und im Hinblick auf die Insolvenzordnung entschieden, dass eine eigenkapitalersetzende Gesellschafterforderung nur dann nicht in der Überschuldungsbilanz zu passivieren ist, wenn der Gesellschafter einen sog. qualifizierten Rangrücktritt erklärt, der sinngemäß lautet, „er wolle wegen der genannten Forderungen erst nach der Befriedigung sämtlicher Gesellschaftsgläubiger und – bis zur Abwendung der Krise – auch nicht

___________ 401) Fischer, GmbHR 2000, 66 m. w. N. 402) BFH, Urt. v. 30.3.1993 – IV R 57/91, BStBl II 1993, 502, 503.

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G. Rangrücktritt vor, sondern nur zugleich mit den Einlagenrückgewähransprüchen seiner Mitgesellschafter berücksichtigt, also so behandelt werden, als handele es sich bei seiner Gesellschafterleistung um statuarisches Eigenkapital.“403)

257 Das Erfordernis eines qualifizierten Rangrücktritts beruht auf dem dogmatischen Verständnis des II. Senats BGH vom Eigenkapitalersatzrecht (§§ 30, 31 GmbH a. F. analog, sog. Rechtsprechungsregeln) und den Rechtsfolgen, die er daraus ableitet. Der II. Senat des BGH versteht das Eigenkapitalersatzrecht i. S. einer „Finanzierungsfolgenverantwortung“. Die Umqualifizierung von Gesellschafterleistungen in Eigenkapital knüpft an positive Entscheidungen des Gesellschafters an. Zwar sei der Gesellschafter grundsätzlich frei in der Entscheidung, ob er die Gesellschaft über das statuarische Eigenkapital hinaus weiter finanziere. Tue er dies jedoch in der Krise oder lasse er die Gesellschafterleistung in der Krise stehen, so müsse er sich an dieser Entscheidung festhalten lassen.404) 258 Nach der Rechtsprechung des II. Senats BGH verändert der Eigenkapitalersatzcharakter einer Gesellschafterforderung allerdings nicht ihren Charakter als Verbindlichkeit – und zwar weder gegenüber der Gesellschaft noch gegenüber den Mitgesellschaftern –, sondern bewirkt lediglich eine Durchsetzungssperre, die sich in verschiedenen Situationen auswirkt, nämlich in der Krise, in der Insolvenz und in der Überschuldungsbilanz. Für die Dauer der Krise sei der Gesellschafter nicht befugt, seine Forderung geltend zu machen. Im Insolvenzverfahren dürfe der Gesellschafter erst nach Befriedigung sämtlicher anderer Gläubiger auf einen Überschuss zugreifen, bevor dieser unter den Gesellschaftern zur Befriedigung ihrer Einlageansprüche verteilt werden könne. Diese Rechtsfolge findet der II. Senat des BGH in § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO a. F. bestätigt, wonach eigenkapitalersetzende Gesellschafterforderungen nachrangig zu bedienen sind. Eine eigenkapitalersetzende Gesellschafterforderung sei in der Überschuldungsbilanz nur dann nicht zu passivieren, wenn der Gesellschafter nicht – auch nicht als nachrangiger Gesellschaftsgläubiger gemäß § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO a. F. – am Insolvenzverfahren teilnehme und den Geschäftsführer nicht die schadensersatzrechtlichen und strafrechtlichen Risiken treffen, ob eine Gesellschafterforderung als eigenkapitalersetzend zu beurteilen sei oder nicht.405) Deshalb sei ein qualifizierter ___________ 403) BGH, Urt. v. 8.1.2001 – II ZR 88/99, BGHZ 146, 264 = ZIP 2001, 235 (m. Anm. Altmeppen, S. 240), dazu EWiR 2001, 329 (Priester); dazu Priester, EWiR 2001, 329. 404) Vgl. Goette/Kleindiek, Gesellschafterfremdfinanzierung nach MoMiG und das Eigenkapitalersatzrecht in der Praxis, Rn. 8 ff. m. N. aus der Rechtsprechung. 405) Eine starke Meinung in der Literatur hatte die Auffassung vertreten, eine eigenkapitalersetzende Gesellschafterforderung sei bereits wegen ihres Eigenkapitalersatzcharakters nicht in der Überschuldungsbilanz zu passivieren. Dieser Ansicht hat sich der BGH insbesondere nicht angeschlossen, weil sie den Geschäftsführer mit schadensersatzrechtlichen und strafrechtlichen Risiken belastet hätte. Er hätte nämlich das Prognoserisiko zu tragen gehabt, ob die Gesellschafterforderung als eigenkapitalersetzend zu beurteilen ist oder nicht; vgl. dazu BGH, Urt. v. 8.1.2001 – II ZR 88/99, BGHZ 146, 264 = ZIP 2001, 235 (m. Anm. Altmeppen, S. 240).

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III. Rechtslage nach MoMiG

Rangrücktritt des Gesellschafters erforderlich. Einen Verzicht auf die Gesellschafterforderung zur Vermeidung einer Passivierung in der Überschuldungsbilanz hat der der II. Senat des BGH ausdrücklich abgelehnt.406) III. Rechtslage nach MoMiG Mit dem „Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämp- 259 fung von Missbräuchen (MoMiG)“ vom 23. Oktober 2008407) ist nunmehr gesetzlich geregelt, unter welchen Voraussetzungen Forderungen auf Rückgewähr von Gesellschafterdarlehen oder wirtschaftlich entsprechenden Leistungen in der Überschuldungsbilanz nicht zu berücksichtigen sind. An § 19 Abs. 2 InsO ist folgender Satz 2 durch das MoMiG angefügt worden:408) „Forderungen auf Rückgewähr von Gesellschafterdarlehen oder aus Rechtshandlungen, die einem solchen Darlehen wirtschaftlich entsprechen, für die gemäß § 39 Abs. 2 zwischen Gläubiger und Schuldner der Nachrang im Insolvenzverfahren hinter den in § 39 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 bezeichneten Forderungen vereinbart worden ist, sind nicht bei den Verbindlichkeiten nach Satz 1 zu berücksichtigen.“

Diese Neuregelung ist vor dem Hintergrund der Abschaffung des Eigenkapi- 260 talersatzrechts zu sehen. Im Einzelnen: x

Mit § 30 Satz 3 GmbHG, wonach § 30 Satz 1 GmbHG nicht anzuwenden ist auf die Rückgewähr eines Gesellschafterdarlehens und Leistungen auf Forderungen aus Rechtshandlungen, die einem Gesellschafterdarlehen wirtschaftlich entsprechen, werden die sog. Rechtsprechungsregeln des Eigenkapitalersatzrechts abgeschafft. Danach waren die §§ 30, 31 GmbHG a. F. in der Krise – also vor der Insolvenz – analog anwendbar, wenn der

___________ 406) BGH, Urt. v. 8.1.2001 – II ZR 88/99, BGHZ 146, 264 = ZIP 2001, 235 (m. Anm. Altmeppen, S. 240); dazu auch Goette/Kleindiek, Gesellschafterfremdfinanzierung nach MoMiG und das Eigenkapitalersatz in der Praxis, Rn. 268 ff. Im Schrifttum wurde die Frage diskutiert, welche Tiefe der qualifizierte Rangrücktritt auf Grundlage der Ausführungen des Bundesgerichthofes haben muss, damit eine Verbindlichkeit nicht in der Überschuldungsbilanz gemäß § 19 Abs. 2 InsO a. F. zu passivieren ist. Die Vereinbarung eines einfachen Rangrücktritts wurde überwiegend nicht mehr als ausreichend beurteilt. Es wurden die Rangklassen des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO a. F., des § 39 Abs. 2 InsO a. F. und schließlich des § 199 Satz 2 InsO herangezogen, vgl. Klein, GmbHR 2005, 663, 664 ff. und Knof, ZInsO 2006, 192, die jeweils einen Überblick über den Meinungsstand geben. 407) BGBl. I 2008 S. 2026. Auf Insolvenzverfahren, die vor dem Inkrafttreten des MoMiG eröffnet worden sind, findet das bisherige Recht Anwendung, Art. 103 d EGInsO. 408) Dieser durch das MoMiG vom 23.10.2008 an § 19 Abs. 2 InsO angefügte Satz ist durch das Gesetz zur Umsetzung eines Maßnahmenpakets zur Stabilisierung des Finanzmarktes (Finanzmarktstabilisierungsgesetz – FMStG) vom 17.10.2008, BGBl. I 2008 S. 1982 für den Zeitraum vom 1.11.2008 bis 31.12.2010 zu § 19 Abs. 2 Satz 2 InsO geworden. Durch das Gesetz zur Erleichterung der Sanierung von Unternehmen vom 24.9.2009, BGBl. I 2009 S. 3151 blieb es zunächst bei der Anfügung als § 19 Abs. 2 Satz 2 InsO bis zum 31.12.2013. Nach Art. 18 des Gesetzes zur Einführung einer Rechtsbehelfsbelehrung im Zivilprozessrecht und zur Änderung anderer Vorschriften vom 5.12.2012, BGBl. I 2012 S. 2418, bleibt es dauerhaft bei § 19 Abs. 2 Satz 2 InsO.

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G. Rangrücktritt

Gesellschafter in der Krise ein Gesellschafterdarlehen oder wirtschaftlich entsprechende Leistungen gewährt oder in der Krise stehengelassen hat.409) x

Mit der ersatzlosen Streichung der §§ 32a, 32b GmbHG a. F. werden die sog. Novellenregelungen des Eigenkapitalersatzrechts abgeschafft, wonach vor der Insolvenz – also in der Krise – gewährte Gesellschafterdarlehen oder wirtschaftlich entsprechende Leistungen in der Insolvenz unter bestimmten Voraussetzungen nicht zurückgefordert werden konnten.410)

x

Mit § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO, wonach eine Forderung auf Rückgewähr von Gesellschafterdarlehen oder Forderungen aus Rechtshandlungen, die einem solchen Darlehen wirtschaftlich entsprechen, im Rang nach den übrigen Forderungen der Insolvenzgläubiger zu berichtigen ist, erfolgt eine grundlegende Neuregelung der Forderungen auf Rückgewähr von Gesellschafterdarlehen und wirtschaftlich entsprechender Leistungen im Falle der Insolvenzeröffnung. Entgegen der bisherigen Rechtslage führt nicht die Verstrickung als Eigenkapitalersatz zum Nachrang in der Insolvenz. Vielmehr knüpft der Nachrang in der Insolvenz allein daran an, dass ein Gesellschafter der Gesellschaft eine entsprechende Leistung gewährt hat.411)

x

Die Neuregelung des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO gilt gemäß § 39 Abs. 4 Satz 2 InsO nicht für bestehende oder neu gewährte Darlehen oder für wirtschaftlich entsprechende Forderungen bis zur nachhaltigen Sanierung, wenn die Anteile bei Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung der Gesellschaft zum Zwecke der Sanierung erworben werden (entspricht § 32a Abs. 3 Satz 3 GmbHG a. F., sog. Sanierungsprivileg). Die Regelung gilt gemäß § 39 Abs. 5 InsO ebenfalls nicht für Gesellschafterdarlehen von einem nicht geschäftsführenden Gesellschafter, der mit 10 % oder weniger am Haftkapital beteiligt ist (entspricht § 32a Abs. 3 Satz 2 GmbHG a. F., sog. Kleinbeteiligungsprivileg).

x

§ 135 Abs. 1 InsO regelt die Anfechtbarkeit von Rechtshandlungen betreffend die Forderung eines Gesellschafters auf Rückgewähr eines Darlehens i. S. d. § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO oder gleichgestellten Forderungen.

___________ 409) Zur Rechtfertigung dieser Rechtsprechung vgl. Pannen/Deuchler/Kahlert/Undritz, Sanierungsberatung, Rn. 562 ff. 410) Vgl. dazu Pannen/Deuchler/Kahlert/Undritz, Sanierungsberatung, Rn. 571 ff. 411) Welches dogmatische Konzept dieser Neuregelung zugrunde liegt, ist in der Literatur umstritten, vgl. die Darstellung bei Kübler/Prütting/Bork-Preuß, InsO, § 39 Rn. 26 ff. und Bitter, ZIP 2010, 1, 4 ff. jew. m. N.: Zum einen wird die Auffassung vertreten, der Normzweck der neuen Regelung entspreche dem des alten Eigenkapitalersatzrechts, wonach die Krise und die in der Krise getroffene Finanzierungsentscheidung maßgeblich sei, welche jetzt vom Gesetz aus Vereinfachungsgründen lediglich vermutet würde. Zum anderen wird die Verstrickung der Gesellschafterdarlehen und wirtschaftlich entsprechender Leistungen als Eigenkapital mittels gesetzlichem Nachrang in der Insolvenz als Gegenstück zur Haftungsbeschränkung gesehen, um eine missbräuchliche Ausnutzung des Haftungsprivilegs zu verhindern.

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IV. Das dogmatische Konzept des IX. Senats des BFH für Rangrücktritte

Insbesondere ist nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO anfechtbar die Rückzahlung einer Gesellschafterforderung im letzten Jahr vor oder nach dem Antrag auf Insolvenzeröffnung. Das gilt nach § 135 Abs. 2 InsO auch in Fällen, in denen ein Dritter eine Befriedigung erhält und der Gesellschaft für die Forderung Sicherheit geleistet hat. x

Außerhalb des Anwendungsbereiches der Insolvenzordnung ist das Anfechtungsgesetz betreffend Gesellschafterdarlehen (§ 6 AnfG) und die Besicherung eines Darlehens durch den Gesellschafter (§ 6a AnfG) neu gefasst worden.

IV. Das dogmatische Konzept des IX. Senats des BFH für Rangrücktritte vor und nach MoMiG Mit Urteil vom 5. März 2015412) hat der IX. Senat des BGH eine für die Sa- 261 nierungspraxis grundlegende Entscheidung zum Rangrücktritt gefällt. Der IX. Senat des BGH hat nicht nur mehrere praktisch bedeutsame Streitfragen entschieden, sondern ein einheitliches Konzept sowohl für den vor MoMiG erforderlichen sog. qualifizierten Rangrücktritt als auch für den nach MoMiG erforderlichen Rangrücktritt gemäß §§ 19 Abs. 2 Satz 2, 39 Abs. 2 InsO entwickelt. 1. Zivilrechtliche Aspekte Wie der IX. Senat des BGH dargestellt hat, ist in der Literatur umstritten,413)

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(1) welche Rechtsnatur der Rangrücktritt hat, (2) ob nach dem sog. qualifizierten Rangrücktritt der letzte Rang im Rang des § 39 Abs. 2 InsO a. F. ausreichend ist, (3) ob der Rangrücktritt gemäß § 19 Abs. 2 Satz 2, 39 Abs. 2 InsO – wie der sog. qualifizierte Rangrücktritt – eine Auszahlungssperre vor Insolvenzeröffnung voraussetzt und (4) ob auch ein Nichtgesellschafter in den Anwendungsbereich des Rangrücktritts fällt. Der IX. Senat des BGH hat diese Streitfragen entschieden und damit für die 263 Sanierungspraxis Rechtssicherheit geschaffen. Das ist zu begrüßen. Im Überblick kann das Konzept des IX. Senats des BGH wie folgt dargestellt werden:414) ___________ 412) BGH, Urt. v. 5.3.2015 – IX ZR 133/14, ZIP 2015, 638 (m. Anm. Bitter/Heim, S. 644), dazu EWiR 2015, 219 (Bork) mit Anm. Bitter/Heim; siehe dazu auch bereits Kahlert, DStR 2015, 734. 413) Vgl. dazu auch die Darstellung und die Nachweise bei Kahlert, in: Kübler, HRI, § 57 Rn. 169 ff. 414) Siehe zum Konzept des IX. Senats des BGH aus vertiefter zivilrechtlicher Sicht die Anmerkungen von Bitter/Heim, ZIP 2015, 644; Cranshaw, juris; PR-InsR 8/2015 Anm. 1; Bork, EWiR 2015, 219; Poelzig, BB 2015, 980; Farian, GmbHR 2015, 478 und Schmidt-Hern, DB 2015, 1153; siehe dazu auch den sehr lesenswerten – und auch kritischen – Aufsatz von K. Schmidt, ZIP 2015, 901.

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G. Rangrücktritt

264 Eine Verbindlichkeit ist nur dann nicht in der Überschuldungsbilanz zu passivieren, wenn sich aus der Auslegung der zwischen Gesellschaft und Gesellschafter oder Nichtgesellschafter (Rn. 14) geschlossenen Rangrücktrittvereinbarung ergibt, dass (1) vor Insolvenzeröffnung über das Vermögen der Gesellschaft (auch auf Grundlage der durch das MoMiG eingeführten §§ 19 Abs. 2 Satz 2, 39 Abs. 2 InsO, Rn. 19) –

eine Zahlung auf die Verbindlichkeit nicht erfolgen darf, wenn die Gesellschaft zahlungsunfähig oder überschuldet ist oder wenn durch die Zahlung auf die Verbindlichkeit die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung der Gesellschaft droht (Rn. 16, 22, 25 und 32) und



eine Aufhebung der vorstehenden Vereinbarung und somit eine Zahlung auf die Verbindlichkeit als Vertrag zugunsten der Gläubiger (§ 328 BGB) nur dann ohne deren Mitwirkung zulässig ist, wenn eine Insolvenzreife der Gesellschaft nicht vorliegt oder die Insolvenzreife der Gesellschaft beseitigt worden ist (Rn. 42), und

(2) nach Insolvenzeröffnung über das Vermögen der Gesellschaft –

eine Zahlung auf die Verbindlichkeit auf die letzte Rangstelle im Rang des § 39 Abs. 2 InsO a. F. (Rn. 17, 25) oder nach § 19 Abs. 2 Satz 2 InsO auf den Rang nach § 39 Abs. 1 Nr. 1 bis Nr. 5 InsO (Rn. 18) vereinbart ist.

265 Nach dem IX. Senat des BGH sind gegen eine solche Rangrücktrittsvereinbarung verstoßende Zahlungen als Folge der Einordnung des Rangrücktritts als Schuld- oder Schuldänderungsvertrag (Rn. 32) (1) ohne Rechtsgrund i. S. d. § 812 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 BGB erfolgt (Rn. 33 ff.) und vorbehaltlich § 814 BGB (Rn. 43 ff.) zurückzugewähren und (2) als unentgeltliche Leistungen nach § 134 InsO anfechtbar und nach § 143 InsO zurückzugewähren (Rn. 46 ff.). 266 Nach diesem Konzept erfordert die Nichtberücksichtigung einer Verbindlichkeit in der Überschuldungsbilanz sowohl die Vereinbarung der vorstehend dargestellten Auszahlungssperre vor Insolvenzeröffnung als auch die Vereinbarung des vorstehend dargestellten Rangrücktritts nach Insolvenzeröffnung. Zahlungen auf die Verbindlichkeit, die danach vor Insolvenzeröffnung erfolgen dürfen, bezeichnet der IX. Senat des BGH als aus dem ungebundenen Vermögen (Rn. 16) bzw. freien Vermögen (Rn. 29) geleistet. Damit wird das Vermögen beschrieben, das die Gesellschaft zur Zahlung auf die Verbindlichkeit verwenden kann, ohne dass dadurch ihre Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung ausgelöst werden könnte (Rn. 29). Der IX. Senat des BGH hat den zwischen Gesellschaft und Nichtgesellschafter vor MoMiG auf Grundlage der Rechtsprechung des II. Senats des BGH vereinbarten sog.

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IV. Das dogmatische Konzept des IX. Senats des BFH für Rangrücktritte

qualifizierten Rangrücktritt ausgelegt und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass die Voraussetzungen des vorstehend dargestellten Konzepts erfüllt sind. 2. Steuerliche Aspekte Ausgangspunkt der Überlegungen ist § 247 Abs. 1 HGB. Danach sind Schulden 267 und damit auch Verbindlichkeiten in der Handelsbilanz zu passivieren. Das gilt nach § 8 Abs. 1 KStG, § 5 Abs. 1 EStG und § 62 Abs. 2 EStDV auch für die steuerliche Gewinnermittlung (Steuerbilanz, vgl. § 60 Abs. 2 EStDV). Etwas anderes gilt dann, wenn steuerliche Vorschriften etwas anderes regeln. In diesem Fall ist die Handelsbilanz für die Zwecke der Ertragsbesteuerung zu korrigieren. So liegt der Fall hinsichtlich § 5 Abs. 2a EStG. Nach dieser Vorschrift sind für Verpflichtungen, die nur zu erfüllen sind, soweit künftig Einnahmen oder Gewinne anfallen, Verbindlichkeiten oder Rückstellungen erst anzusetzen, wenn die Einnahmen oder Gewinne angefallen sind. Allerdings wendet der I. Senat des BFH den Rechtsgedanken des § 5 Abs. 2a EStG bereits bei der Beurteilung der wirtschaftlichen Belastung der einem sog. einfachen Rangrücktritt zugrunde liegenden Verbindlichkeit in der Handelsbilanz an.415) Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist eine Verbindlichkeit in der 268 Handelsbilanz nur zu passivieren,416) (1) wenn der Unternehmer zu einer dem Inhalt und der Höhe nach bestimmten Leistung verpflichtet ist, (2) diese vom Gläubiger erzwungen werden kann und (3) eine wirtschaftliche Belastung darstellt. a) Kein Forderungsverzicht Nach dem Konzept des IX. Senats des BGH ist der Rangrücktritt nicht als 269 Forderungsverzicht zu beurteilen (Rn. 17) und der Gläubiger kann seine Forderung auf Grundlage des Rangrücktritts durchsetzen, solange der Schuldner ohne die Gefahr einer Insolvenz über hinreichende finanzielle Mittel zur Tilgung der Verbindlichkeit verfügt (Rn. 25). Der IX. Senat des BGH stellt ausdrücklich klar, dass durch den Rangrücktritt nur die Rangfolge, nicht aber der Bestand der Forderung geändert wird (Rn. 32). Damit liegen die ersten beiden Voraussetzungen für die Passivierung der Verbindlichkeit in der Handelsbilanz, nämlich die Verpflichtung zu einer bestimmten Leistung und die Durchsetzbarkeit durch den Gläubiger, auch bei einem Rangrücktritt nach dem Konzept des IX. Senats des BGH (weiterhin) vor. Auf dieser Linie liegt es, dass der IV. Senat des BFH den sog. qualifizierten Rangrücktritt nicht als ___________ 415) BFH, Urt. v. 30.11.2011 – I R 100/10, BStBl II 2012, 332 ZIP 2012, 570, dazu EWiR 2012, 453 (Naujok). 416) Vgl. BFH, Urt. v. 30.11.2011 – I R 100/10, BStBl II 2012, 332 = ZIP 2012, 570 m. w. N.

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G. Rangrücktritt

Forderungsverzicht beurteilt hat, weil die Forderung bis zur Überwindung der Krise nur im Rang zurücktrete.417) Das BMF ist dieser Rechtsauffassung gefolgt.418) b) Wirtschaftliche Belastung aa) Allgemeine Grundsätze 270 Nach der dritten Voraussetzung für die Passivierung einer Verbindlichkeit in der Handelsbilanz muss die dem Rangrücktritt nach dem Konzept des IX. Senats des BGH zugrunde liegende Verbindlichkeit (weiterhin) eine wirtschaftliche Belastung darstellen. Auch diese Voraussetzung ist sowohl vor als auch nach Insolvenzeröffnung erfüllt. Dazu das Folgende: 271 Nach der Rechtsprechung des BFH sind in der Handelsbilanz wirtschaftliche Sachverhalte darzustellen. Das rechtliche Bestehen einer Verbindlichkeit bewirkt nach dem BFH im Regelfall eine wirtschaftliche Belastung und rechtfertigt somit eine Passivierung der Verbindlichkeit. Denn es lasse darauf schließen, dass der Gläubiger sein Forderungsrecht gelten machen werde und das Vermögen somit durch bevorstehende Zahlungen belastet ist. Stehe jedoch aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalles fest, dass mit einer Inanspruchnahme durch den Gläubiger mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht mehr zu rechnen ist, so führe dies nach den Grundsätzen der ordnungsgemäßen Buchführung zu einem Bilanzierungsverbot.419) Dieser Rechtsprechung liegt die Erwägung zugrunde, dass sich die Vermögenslage des Schuldners in diesem Fall verbessere.420) 272 Danach kommt es für die Beurteilung der wirtschaftlichen Belastung einer Verbindlichkeit nicht auf die Verhältnisse des Schuldners an, sondern auf die Verhältnisse des Gläubigers.421) Allein diese Sichtweise ist mit den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung in Einklang zu bringen. Besteht die Forderung rechtlich fort und ist der Gläubiger weiterhin zur Geltendmachung der Forderung entschlossen, so hat sich die Vermögenslage des Schuldners nicht verbessert. Das Vermögen würde andernfalls unter Verletzung des Vollständigkeitsgrundsatzes (§ 246 Abs. 1 HGB) zu hoch ausgewiesen.422) Es könnte, worauf der BFH hingewiesen hat, andernfalls praktisch nie eine bi-

___________ 417) BFH, Urt. v. 10.11.2005 – IV R 13/04, BStBl II 2006, 618 = ZIP 2006, 249 (m. Anm. Kahlert, S. 254). 418) BMF-Schreiben v. 8.9.2006, IV B 2 – S 2133 – 10/06, BStBl I 2006, 497, Tz. 3. 419) BFH, Urt. v. 10.5.1984 – IV R 219/81, juris Rn. 17; BFH, Urt. v. 22.11.1988 – VIII R 62/85, BStBl II 1989, 359 (unter II.2.b). 420) BFH, Urt. v. 9.2.1993 – VIII R 29/91, BStBl II 1993, 747, 748, re. Sp. 421) Siehe dazu auch BFH, Urt. v. 6.4.2000 – IV R 31/99, BStBl II 2001, 536 Rn. 36. 422) BFH, Urt. v. 6.4.2000 – IV R 31/99, BStBl II 2001, 536 Rn. 36.

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IV. Das dogmatische Konzept des IX. Senats des BFH für Rangrücktritte

lanzielle Überschuldung auftreten, weil die zur Überschuldung führende Verbindlichkeit sogleich wieder auszubuchen wäre.423) Nach dem Gesagten geht der BFH auch zu Recht davon aus, dass der Gläu- 273 biger allein aufgrund der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners nicht daran gehindert sei, seinen Anspruch zu verwirklichen. Denn in diesem Falle werde das Vermögen des Schuldners durch das rechtliche Bestehen der Verbindlichkeiten weiter belastet, insbesondere, weil der Anspruch nach Wegfall der Zahlungsunfähigkeit jederzeit geltend gemacht werden könne.424) Nach den vorstehend dargestellten Grundsätzen steht der BFH auch zu 274 Recht auf dem Standpunkt, dass die Verbindlichkeiten des Schuldners im Insolvenzverfahren über sein Vermögen nicht allein wegen der Insolvenzeröffnung gewinnwirksam aufzulösen sind.425) Auf dieser Linie liegt auch das BMF-Schreiben vom 22. Dezember 2009.426) Unter der Überschrift „1. Zeitpunkt der Gewinnrealisierung bei Insolvenzverfahren“ heißt es: „Der aufgrund einer erteilten Restschuldbefreiung entstandene Gewinn stellt kein rückwirkendes Ereignis i.S. von § 175 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 AO dar und ist damit erst im Zeitpunkt der Erteilung der Restschuldbefreiung realisiert.“ Mit dieser Rechtsansicht ist mittelbar ausgesprochen, dass das Insolvenzverfahren keine Auflösung der Verbindlichkeiten bewirkt. Denn andernfalls könnte nicht erst die Restschuldbefreiung (§§ 286 ff. InsO) zur Auflösung der Verbindlichkeiten führen. Die OFD Nordrhein-Westfalen teilt die vorstehend dargestellten Rechtsansichten des BFH und des BMF, wonach allein die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners nicht zu einer gewinnerhöhenden Auflösung seiner Verbindlichkeiten führt, weil die Verbindlichkeit aufgrund ihres rechtlichen Fortbestands (weiter) wirtschaftlich belastend ist.427) Die mit dem Rangrücktritt im Insolvenzverfahren verbundene Änderung der 275 Rangfolge gemäß § 19 Abs. 2 Satz 2 InsO auf den Rang nach § 39 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 InsO (bzw. auf die letzte Rangstelle im Rang des § 39 Abs. 2 InsO a. F.) ändert an dieser Beurteilung nichts. Dies deshalb, weil sie den rechtlichen Bestand der Forderung nicht berührt und nichts an der Ernsthaftigkeit des Gläubigers ändert, die Forderung geltend zu machen. Die Befriedigung der Forderung erfolgt nach der Anmeldung zur Tabelle (§§ 174 ff. InsO) – wenn ___________ 423) BFH, Urt. v. 6.11.2007 – I B 50/70, juris Rn. 12. 424) BFH, Urt. v. 9.2.1993 – VIII R 29/91, BStBl II 1993, 747, 748, re. Sp. 425) BFH, Urt. 20.9.2012 – IV R 29/10, DStR 2012, 2488 Rn. 29; so auch BFH, Urt. v. 6.11.2007 – I B 50/70, BFH/NV 2008, 616 Rn. 12; siehe dazu näher Kahlert, DStR 2014, 1906. 426) BMF-Schreiben v. 22.12.2009 – IV C 6 – S 2140/07/10001-01, BStBl I 2010, 18. 427) OFD NRW, Kurzinformation ESt Nr. 46/2014 v. 21.11.2014, DB 2014, 2741; so auch Kozikowski/Schubert, in: Beck’scher Bilanzkommentar, § 247 Rn. 235; siehe dazu auch Kahlert, DStR 2014, 1906.

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G. Rangrücktritt

auch nachrangig – im Rahmen der Verteilung der Insolvenzmasse (§§ 187 ff. InsO). 276 Danach ist festzuhalten: Da die Verbindlichkeit auch nach einem Rangrücktritt auf Grundlage des Konzepts des IX. Senats des BFH weiterhin rechtlich besteht und durchsetzbar ist, ist sie nach allgemeinen Grundsätzen wirtschaftlich belastend. Dass die Befriedigung der Forderung aus Gründen, die in den Verhältnissen des Schuldners ruhen – (drohende) Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung – erschwert ist, ändert an diesem Ergebnis nach der Rechtsprechung des BFH nichts. bb) § 5 Abs. 2a EStG 277 Unter Berücksichtigung (des Rechtsgedankens) des § 5 Abs. 2a EStG ergibt sich kein anderes Ergebnis. Dazu das Folgende: 278 Der I. Senat und der IV. Senat des BFH428) haben ihre Rechtsprechung betreffend Rangrücktritte, wonach eine Passivierung der Verbindlichkeit unter Berücksichtigung (des Rechtsgedankens) des § 5 Abs. 2a EStG nicht in Betracht kommt, wenn sie nur aus zukünftigen Gewinnen zu bedienen ist, damit begründet, dass es in diesem Fall an einer gegenwärtigen wirtschaftlichen Belastung des Vermögens zum Bilanzstichtag fehle.429) Diesen Gedanken hat das BMF nur für den sog. einfachen Rangrücktritt herangezogen.430) 279 Im Fall des sog. qualifizierten Rangrücktritts hat das BMF die Anwendung des § 5 Abs. 2a EStG verneint, weil eine Abhängigkeit zwischen Verbindlichkeit und Einnahmen oder Gewinnen nicht bestehe. Denn die Begleichung der Verbindlichkeit könne nur zeitlich aufschiebend bedingt – bis zur Abwendung der Krise – verweigert werden.431) Auch nach dem Konzept des IX. Senats des BGH kann argumentiert werden, es mangele für die Anwendung des § 5 Abs. 2a EStG an einer Abhängigkeit zwischen Verbindlichkeit und Gewinnen. Denn nach diesem Konzept darf die Verbindlichkeit, droht bei Auszahlung keine Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung, befriedigt werden. Die Befriedigung der Verbindlichkeit ist somit nicht von Gewinnen abhängig, sondern von der Insolvenzreife, die durch die Auszahlung ausgelöst werden könnte. 280 Nach der Rechtsprechung des BFH ist (der Rechtsgedanke des) § 5 Abs. 2a EStG allerdings nicht anwendbar, wenn die Verbindlichkeit nicht nur aus zu___________ 428) BFH, Urt. v. 30.11.2011 – I R 100/10, BStBl II 2012, 332, ZIP 2012, 570 betreffend einen sog. einfachen Rangrücktritt; BFH, Urt. v. 10.11.2005 – IV R 13/04, BStBl II 2006, 618 = ZIP 2006, 249 (m. Anm. Kahlert, S. 254) betreffend einen sog. qualifizierten Rangrücktritt. 429) Siehe dazu auch BFH, Urt. v. 19.2.1981 – IV R 112/78, BStBl II 1981, 654; BFH, Urt. v. 18.6.1980 – I R 72/76, BStBl II 1980, 741. 430) BMF-Schreiben v. 8.9.2006, IV B 2 – S 2133 – 10/06, BStBl I 2006, 497, Tz. 5 ff. 431) BMF-Schreiben v. 8.9.2006, IV B 2 – S 2133 – 10/06, BStBl I 2006, 497, Tz. 5 ff.

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IV. Das dogmatische Konzept des IX. Senats des BFH für Rangrücktritte

künftigen Gewinnen, sondern auch aus dem die „sonstigen Verbindlichkeiten übersteigenden Vermögens“ zu bedienen ist. Der BFH hat dies damit begründet, dass die Verbindlichkeit in diesem Fall nicht nur zukünftige Gewinne belastet, sondern auch das Vermögen des Schuldners, das nicht zur Befriedigung anderer Gläubiger eingesetzt werden muss. Deshalb bestehe in diesem Fall eine gegenwärtige Belastung des Vermögens und der Nichtausweis der Verbindlichkeit würde gegen den Vollständigkeits- und den Vorsichtsgrundsatz verstoßen.432) Der BFH bezeichnet das die „sonstigen Verbindlichkeiten übersteigende Ver- 281 mögen“ auch als „sonstiges freies Vermögen“. Dies ergibt sich aus dem Urteil des I. Senats des BFH betreffend einen sog. einfachen Rangrücktritt.433) Unter Bezugnahme auf BFH-Urteile, in denen im Rahmen der steuerlichen Beurteilung des Rangrücktritts von „sonstigen Verbindlichkeiten übersteigenden Vermögens“ die Rede ist, bezeichnet er dieses Vermögen als „sonstiges freies Vermögen“. Diese Bezeichnung verwendet auch das BMF in seinem Schreiben, das zur steuerlichen Beurteilung von sog. einfachen und sog. qualifizierten Rangrücktritten ergangen ist.434) Nach dem IV. Senat des BFH435) ist ein nicht näher präzisierter Rangrückritt 282 nicht dahingehend auszulegen, dass der Gläubiger auf eine Rückzahlung aus dem sonstigen freien Vermögen verzichtet. Danach streitet eine Auslegungsregel für die Nichtanwendung des (Rechtsgedankens) des § 5 Abs. 2a EStG. Das gilt nach dem I. Senat des BFH allerdings nicht, wenn der Rangrücktritt eine ausdrückliche Regelung enthält, aus welchem Vermögen eine Rückzahlung zu erfolgen hat und das sonstige freie Vermögen nicht aufgeführt ist.436) Nach den vorstehenden Ausführungen ist festzuhalten: Nach dem BFH ist 283 das sonstige freie Vermögen (also das die sonstigen Verbindlichkeiten übersteigende Vermögen) ein Maßstab zur Bestimmung der wirtschaftlichen Belastung der Verbindlichkeit. Ist die Verbindlichkeit jedenfalls aus dem sonstigen freien Vermögen zu befriedigen, so ist diese wirtschaftlich belastend und somit in der Handels- bzw. Steuerbilanz zu passivieren. Nach dem IX. Senat des BGH beschreibt das freie Vermögen die Mechanik der vor___________ 432) BFH, Urt. v. 30.3.1993 – IV R 57/91, BStBl II 1993, 502 (unter 1.b.dd); BFH, Urt. v. 20.10.2004 – I R 11/03, BStBl II 2005, 581 = ZIP 2005, 492 (LS) = ZfIR 2005, 299 (LS), Rn. 18, dazu EWiR 2005, 353 (Naujok). Nach dem I. Senat des BFH soll eine Tilgung aus dem Liquidationsüberschuss nicht der Tilgung aus dem sonstigen freien Vermögen gleichstehen, BFH, Urt. v. 30.11.2011 – I R 100/10, BStBl II 2012, 332 = ZIP 2012, 570 Rn. 18 ff. Ob die Zahlung aus einem Bilanzgewinn eine gegenwärtige wirtschaftliche Belastung des Vermögens darstellt, ist offen, dafür FG Niedersachen, Urt. v. 12.6.2014 – 6 K 324/12, EFG 2014, 1601 (Revision beim BFH – I R 44/14). 433) BFH, Urt. v. 30.11.2011 – I R 100/10, BStBl II 2012, 332 = ZIP 2012, 570, Rn. 20. 434) BMF-Schreiben v. 8.9.2006, IV B 2 – S 2133 – 10/06, BStBl I 2006, 497, Tz. 6. 435) BFH, Urt. v. 10.11.2005 – IV R 13/04, BStBl II 2006, 618 = ZIP 2006, 249 (m. Anm. Kahlert, S. 254). 436) BFH, Urt. v. 30.11.2011 – I R 100/10, BStBl II 2012, 332= ZIP 2012, 570 Rn. 18 ff.

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G. Rangrücktritt

insolvenzlichen Auszahlungssperre, wonach Vermögen nicht zur Tilgung der Verbindlichkeit verwendet werden darf, wenn die Auszahlung zur Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung führen könnte. In beiden Fällen geht es somit um die Antwort auf die Frage, aus welchem Vermögen die Verbindlichkeit befriedigt werden darf, auch wenn mit der Antwort unterschiedliche Zwecke verfolgt werden. Allerdings haben die Umstände, die nach dem Konzept des IX. Senats des BGH vorinsolvenzlich die Verwendung von Vermögen zur Befriedigung der Verbindlichkeit sperren (könnte die Zahlung die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung auslösen), ihre Ursache in den Verhältnissen des Schuldners. Solche Umstände ändern – wie vorstehend gezeigt – nach allgemeinen Grundsätzen nichts an einer wirtschaftlichen Belastung der Verbindlichkeit. 284 Auch nach Insolvenzeröffnung kommt es aufgrund der mit dem Rangrücktritt verbundenen Änderung der Rangfolge gemäß § 19 Abs. 2 Satz 2 InsO auf den Rang nach § 39 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 InsO (bzw. auf die letzte Rangstelle im Rang des § 39 Abs. 2 InsO a. F.) nicht zu einer ertragswirksamen Auflösung der Verbindlichkeit nach § 5 Abs. 2a EStG. Dies deshalb, weil diese Vorschrift auf diesen Fall keine Anwendung findet. Es geht nämlich im Insolvenzverfahren i. S. d. § 5 Abs. 2a EStG nicht um Verpflichtungen, die nur zu erfüllen sind, soweit künftig Einnahmen oder Gewinne anfallen. Vielmehr sind die Forderungen zur Tabelle anzumelden (§§ 174 ff. InsO) und werden im Rahmen der Verteilung aus der Insolvenzmasse (§§ 187 ff. InsO) – wenn auch nachrangig – befriedigt. Die Erfüllung der Verbindlichkeit kann somit im Insolvenzverfahren nicht von zukünftigen Gewinnen oder Einnahmen abhängig sein. Im Übrigen ist die Verbindlichkeit – wie vorstehend unter Rn. 274 a. E. dargestellt – auch nach Insolvenzeröffnung wirtschaftlich belastend. c) Fazit 285 Nach dem Gesagten kommt es auf Grundlage des Konzepts des IX. Senats des BGH bei richtiger Gestaltung des Rangrücktritts nach der Rechtsprechung des BFH nicht zu einer ertragswirksamen Auflösung der zugrunde liegenden Verbindlichkeit.437) Für die Sanierungspraxis wäre es hilfreich und gut, wenn die Finanzverwaltung dieses Ergebnis zeitnah in einem BMF-Schreiben niederlegen würde. Bis dahin sollte – auch angesichts einer noch ausstehenden Entscheidung des BFH – im Einzelfall die Einholung einer (kostenpflichtigen) verbindlichen Auskunft gemäß § 89 AO erwogen werden. 286 Bitter/Heim weisen zu Recht darauf hin, dass auf Grundlage des Konzepts des IX. Senats des BGH sehr sorgsam bei der Formulierung von Rangrücktritten vorzugehen ist, um die Voraussetzungen für die Nichtpassivierung einer Verbindlichkeit in der Überschuldungsbilanz zu erfüllen.438) Das gilt – wie gezeigt – aus steuerrechtlicher Sicht in entsprechender Weise für die Erfül___________ 437) So auch im Ergebnis Bitter/Heim, ZIP 2015, 644, 647 f. (unter V.). 438) Bitter/Heim, ZIP 2015, 644, 646 (unter III.).

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IV. Das dogmatische Konzept des IX. Senats des BFH für Rangrücktritte

lung der Voraussetzungen, nach denen die Verbindlichkeit in der Handelsbzw. Steuerbilanz zu passivieren ist. 3. § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG Nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 EStG sind Verbindlichkeiten mit einem Zins- 287 satz von 5,5 % abzuzinsen, wobei nach Satz 2 dieser Vorschrift ausgenommen sind Verbindlichkeiten, deren Laufzeit am Bilanzstichtag weniger als 12 Monate beträgt, und Verbindlichkeiten, die verzinslich sind oder auf einer Anzahlung oder Vorausleistung beruhen. Dies gilt nach einer Entscheidung des BFH vom 6. Oktober 2009 auch für unverzinsliche Gesellschafterdarlehen und zwar auch dann, wenn diese als eigenkapitalersetzend zu beurteilen sind. Der BFH weist ausdrücklich darauf hin, dass der vorzeitige Gewinnausweis durch die Vereinbarung einer Verzinsung vermieden werden kann, wobei er offen gelassen hat, ob dies von der Höhe des Zinssatzes abhängt.439) Im Rahmen eines AdV-Verfahrens hat der BFH am 29. Juni 2009 zu Recht entschieden, dass aus einer Rangrücktrittserklärung des Gesellschafters nicht auf das Fehlen einer ernsthaften Zinsvereinbarung geschlossen werden kann und zwar auch dann nicht, wenn dies in Bezug auf ein verzinsliches Darlehen von Beginn an erklärt wird, weil eine Unverzinslichkeit im Rahmen einer Rangrücktrittserklärung in der Regel nicht vereinbart wird.440) 4. Formulierungsvorschlag Auf Grundlage der vorstehend dargestellten Rechtsprechung des IX. Senats 288 des BGH und des BFH dürfte ein Rangrücktritt wie folgt formuliert können, um die Nichtpassivierung der Verbindlichkeit in der Überschuldungsbilanz und die Passivierung der Verbindlichkeit in der Handels- bzw. Steuerbilanz zu bewirken: „Rangrücktrittsvereinbarung Herr A (nachfolgend „Gläubiger“) hat der B-GmbH (nachfolgend „Gesellschaft“) mit Vertrag vom 1.1.2015 ein Darlehen i. H. v. 1 Million € gewährt. Zur Vermeidung einer Überschuldung (§ 19 InsO in der jeweils geltenden Fassung) vereinbaren Gläubiger und Gesellschaft das Folgende: 1. Vor einem etwaigen Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gesellschaft darf die Gesellschaft das Darlehen einschließlich Zinsen (nachfolgend „Forde___________ 439) BFH, Urt. v. 6.10.2009 – I R 4/08, BStBl II 2010, 177, dazu EWiR 2010, 417 (Habighorst). Der IV. Senat des BFH hat die Anwendung auf eigenkapitalersetzende Gesellschafterdarlehen in Zweifel gezogen, BFH, Urt. v. 10.11.2005 – IV R 13/04, BStBl II 2006, 618, 623 = ZIP 2006, 249 (m. Anm. Kahlert, S. 254). Nach dem BMF-Schreiben v. 26.5.2005, IV B 2 – S 2175 – 7/05, BStBl I 2005, 699, Rn. 13 ist die Höhe der Verzinsung nicht maßgeblich; erforderlich ist nach diesem Schreiben die Vereinbarung eines Zinssatzes vom mehr als 0 %. 440) BFH, Beschl. v. 29.6.2009 – I B 57/09, BFH/NV 2009, 1804 mit Anm. Ortmann-Babel, BB 2009, 2083.

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G. Rangrücktritt

rung“) nicht zurückzahlen, wenn die Gesellschaft zahlungsunfähig oder überschuldet ist oder durch die Zahlung die Zahlungsunfähigkeit oder die Überschuldung der Gesellschaft droht (nachfolgend auch „Insolvenzreife“). Gläubiger und Gesellschaft vereinbaren diese Ziffer 1 als Vertrag zugunsten der Gläubiger der Gesellschaft (§ 328 BGB) mit der Folge, dass eine Aufhebung dieser Ziffer 1 ohne deren Mitwirkung nur zulässig ist, wenn keine Insolvenzreife der Gesellschaft vorliegt oder die Insolvenzreife der Gesellschaft beseitigt worden ist. 2. In einem etwaigen Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gesellschaft tritt der Gläubiger mit seiner Forderung gemäß §§ 19 Abs. 2 Satz 2, 39 Abs. 2 InsO im Rang hinter die in § 39 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 InsO bezeichneten Forderungen zurück. [Datum und Unterschriften]“

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H. Rangrücktritt und Amtslöschung Nach dem BFH ist die Ansicht der Finanzverwaltung, die Verbindlichkeit 289 einer GmbH sei in ihrer außergerichtlichen Liquidation aufgrund ihrer anstehenden Löschung wegen Vermögenslosigkeit (§ 394 Abs. 1 Satz 1 FamG) mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht mehr zu erfüllen und deshalb ertragswirksam aufzulösen, „zumindest diskussionswürdig“. Er hat seine Entscheidung im Rahmen der Überprüfung eines Antrages auf verbindliche Auskunft nach dem Maßstab der Vertretbarkeit und ausdrücklich ohne eigene Stellungnahme getroffen. Der BFH hatte über einen Fall zu befinden, in dem eine Tochter-GmbH nach Durchführung der außergerichtlichen Liquidation nur noch eine Darlehensverbindlichkeit gegenüber ihrer Muttergesellschaft hatte, für welche ein Rangrücktritt vereinbart worden war.441) Das FG Köln als Vorinstanz hat seine gegenteilige Auffassung unter ande- 290 rem damit begründet, dass es andernfalls zu einer vom BFH abgelehnten Besteuerung von Scheingewinnen kommen würde. Es hat gemeint, dieses Problem würde sich sonst nahezu in jeder Insolvenz einer Kapitalgesellschaft stellen. Denn bei einer Schlussverteilung stehe regelmäßig fest, in welchem Umfang die Gläubiger ausfallen würden mit der Folge, dass die Verbindlichkeiten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht erfüllt werden können.442) Diesem Argument des FG Köln kann nicht gefolgt werden. Denn die Ver- 291 hältnisse des Schuldners sind für die Passivierung seiner Verbindlichkeiten im Insolvenzverfahren unbeachtlich. Entscheidend ist die Entschlossenheit des Gläubigers, seine Forderung durchzusetzen. Diese – wie auch das rechtliche Bestehen der Forderung – wird durch die Beschränkung der Geltendmachung der Forderung im Insolvenzverfahren nicht beeinflusst. Dies beruht darauf, dass der Eingriff in die Geltendmachung der Forderung von Gesetzes wegen und somit zwangsweise erfolgt. Der Gläubiger kann im Insolvenzverfahren weiterhin die Befriedigung seiner Forderung verlangen, allerdings nur nach Anmeldung zur Tabelle (§§ 174 ff. InsO) und nur im Rahmen der Verteilung der Insolvenzmasse (§§ 187 ff. InsO).443) Darin liegt auch der entscheidende Unterschied zu den Fällen der außerge- 292 richtlichen Liquidation. Denn in diesen Fällen liegt regelmäßig ein Handeln der Gesellschafter vor, jedenfalls ein Liquidationsbeschluss. Deshalb ist die Frage zu beantworten, welchen Einfluss der Liquidationsbeschluss auf die

___________ 441) BFH, Urt. v. 5.2.2014 – I R 34/12, DStR 2014, 1601 Rn. 22; vgl. dazu die Besprechungen von Mayer/Betzinger, DStR 2014, 1573; Thieme, DStR 2014, 1093; Böing, DB 2014, M 8; Hierstetter, BB 2014, 1320. 442) FG Köln, Urt. v. 6.3.2012 – 13 K 3006/11, EFG 2012, 1421 Rn. 79; vgl. dazu die Besprechungen von Rödding/Scholz, DStR 2013, 993 und Farle, DStR 2013, 1590. 443) Vgl. dazu im Einzelnen Kahlert, DStR 2014, 1906.

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H. Rangrücktritt und Amtslöschung

wirtschaftliche Belastung der Gesellschafterforderungen hat.444) Liegt – wie im Fall des FG Köln – zusätzlich ein Rangrücktritt hinsichtlich der Gesellschafterforderung vor, so ist auch dieser in die Beurteilung der wirtschaftlichen Belastung der Verbindlichkeiten einzubeziehen.445)

___________ 444) Nach Haase/Dorn, BB 2011, 2907, 2908 führt die Einleitung der Liquidation wirtschaftlich betrachtet zum (teilweisen) Verzicht auf die Rückzahlung der Forderung des Gesellschafters. A. A. Seppelt, BB 2010, 1395, 1399; Farle, BB 2012, 1507, 1509 f. sowie 1511 f.; Mayer/Betzinger, DStR 2014, 1573, 175 f. 445) Da der Rangrücktritt die Bedienung der Forderung auch aus sonstigem freien Vermögen vorgesehen und überdies ausdrücklich geregelt hat, dass kein Forderungsverzicht vereinbart ist, hat das FG Köln die Liquidation nicht als stillschweigenden Forderungsverzicht beurteilt, FG Köln, Urt. v. 6.3.2012 – 13 K 3006/11, EFG 2013, 1421 Rn. 74 ff. Dem folgend Mayer/Betzinger, DStR 2014, 1573, 1757 f. und Farle, DStR 2012, 1590, 1591 f.

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I. Schuldübernahme Die Schuldübernahme durch den Gesellschafter ist eine Gestaltung, um die 293 ertragswirksame Auflösung der Verbindlichkeit auf Ebene der GmbH zu vermeiden. Der I. Senat des BFH hatte in 2001446) über einen Sachverhalt zu befinden, in 294 dem der Gesellschafter gegenüber seiner GmbH zunächst unbedingt und unter Ausschluss jeglicher Rückgriffsansprüche die Schuldübernahme erklärt hatte und sodann auf die übernommene eigene Schuld – nicht auf die Schuld der Gesellschaft gegenüber dem Dritten – zahlte. Nach dem I. Senat des BFH ist eine solche Gestaltung nach den allgemeinen 295 Bilanzierungsregeln (§§ 4, 5 Abs. 1 EStG, § 8 Abs. 1 KStG) gewinnneutral. Denn die Verbindlichkeit der Gesellschaft gegenüber dem Dritten, die wegen der Zahlung des Gesellschafters auszubuchen sei, sei mit dem zu aktivierenden Freistellungsanspruch gegen den Gesellschafter infolge der Schuldübernahme (vgl. § 415 Abs. 3 BGB) aufzurechnen. Denn der Freistellungsanspruch sei in die GmbH eingelegt (§ 4 Abs. 1 Satz 5 EStG) worden. Einlagen mindern nach § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG das Betriebsvermögen. Nach dem I. Senat des BFH kann eine Gewinnerhöhung nicht in einem Ver- 296 zicht des Gesellschafters auf Regressforderungen erblickt werden. Dies deshalb, weil die Schuldübernahme von vornherein unbedingt und unter Ausschluss jeglicher Rückgriffsansprüche erklärt worden sei. Zudem, so der I. Senat des BFH, sei nichts dafür ersichtlich, dass der Gesellschafter statt auf die übernommene eigene Schuld (Freistellunganspruch) auf die Schuld der GmbH geleistet hätte. Zu beachten ist, dass die Finanzverwaltung die vorstehend dargestellte Ent- 297 scheidung des I. Senats des BFH nicht amtlich im Bundessteuerblatt II veröffentlicht hat. Sie ist somit aus Sicht der Finanzverwaltung nicht verbindlich. Deshalb ist im Einzelfall die Einholung einer (kostenpflichtigen) verbindlichen Auskunft gemäß § 89 AO zu erwägen. Weiter ist zu berücksichtigen, dass die vorstehend dargestellte Gestaltung 298 auch davon abhängt, dass die erklärte Schuldübernahme und damit die Einlage werthaltig sind. Der die Schuldübernahme erklärende Gesellschafter muss somit leistungsfähig sein. Schließlich ist darauf zu achten, die vorstehend beschriebenen einzelnen Schritte in der richtigen Reihenfolge mit dem vorstehend dargestellten Inhalt umzusetzen.

___________ 446) BFH, Beschl. v. 20.12.2001 – I B 74/01, BFH/NV 2002, 678; dazu Schmidt/Hageböke, DStR 2002, 2150; Hoffmann, DStR 2002, 1233; Hierstetter, DStR 2010, 882.

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J. Einlage und Tilgung der Gesellschafterforderung Ob eine Einlage des Gesellschafters in die GmbH und die anschließende Til- 299 gung der Gesellschafterforderung durch die GmbH auf Ebene der GmbH gewinnwirksam sein könnte, ist höchstrichterlich noch nicht entschieden.447) Das FG München hatte in 2009 über einen Fall zu befinden, in dem die Ge- 300 sellschafter zur Sanierung der GmbH eine Barkapitalerhöhung durchführten und die GmbH die Bareinlage verwendete, um Gesellschafterdarlehen zurückzuführen. Das FG München hat es abgelehnt, auf die Gestaltung § 42 AO (Missbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten) anzuwenden mit der Folge eines (fiktiven) Forderungsverzichts verbunden mit einer entsprechenden Gewinnerhöhung.448) Demgegenüber hat das FG Berlin-Brandenburg in einer Entscheidung aus 2010 § 42 AO angewendet. Es hatte über einen Sachverhalt zu befinden, in dem die Gesellschafter ihrer GmbH, die bereits ihren Geschäftsbetrieb eingestellt hatte, einen Anspruch auf Einlage einräumten und diesen mit ihren Gesellschafterforderungen aufrechneten. Das FG BerlinBrandenburg hat § 42 AO und damit einen steuerpflichtigen Ertrag bejaht, weil die Gestaltung nach § 42 AO wie ein Forderungsverzicht zu beurteilen sei.449) Die beiden vorstehend dargestellten Entscheidungen machen deutlich, dass 301 danach zu unterscheiden ist, ob die Gesellschafter eine Bareinlage leisten und ob die GmbH ihren Geschäftsbetrieb fortführt. Erfolgt eine Bareinlage (zu Sanierungszwecken) und führt die GmbH ihren Geschäftsbetrieb fort, so der dem Urteil des FG München zugrunde liegende Sachverhalt, dürfte für die Anwendung des § 42 AO kein Raum sein. Anders kann der Fall liegen, wenn die Einlage eines Anspruchs wegen der bereits erfolgten Einstellung des Geschäftsbetriebs, so der dem Urteil des FG Berlin-Brandenburg zugrunde liegende Sachverhalt, allein dem Zweck dienen kann, einen Forderungsverzicht auf damit eine Gewinnerhöhung auf Ebene der GmbH zu vermeiden.450) Nach dem Gesagten sollten Gestaltungen, welche die Tilgung der Gesell- 302 schafterforderungen aus Einlagen vorsehen, vorab mit der Finanzverwaltung im Rahmen einer (kostenpflichtigen) verbindlichen Auskunft gemäß § 89 AO abgestimmt werden.

___________ 447) Zur Ebene des Gesellschafters vgl. FG Niedersachsen, Urt. v. 26.9.2013 – 2 K 13510/10, GmbHR 2013, 613; dazu auch OFD Frankfurt am Main, Verf. v. 9.8.2013 – S 2244 A – 61 – St 215, juris. 448) FG München, Urt. v. 27.10.2009 – 6 K 3941, EFG 2010, 462. 449) FG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 13.4.2010 – 6 K 53/06, EFG 2010, 1671. 450) Vgl. dazu Kroppen, JbFfSt 2012/2013, 938.

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K. Debt Mezzanine Swap Hierbei geht es um die Umwandlung von Gesellschafterdarlehen in Genuss- 303 rechte, die handelsrechtlich als Eigenkapital451) und steuerlich als Fremdkapital452) ausgestaltet sind. Ziele sind die Stärkung der Eigenkapitalquote und die Vermeidung steuerlicher Nachteile wie der Untergang von Verlust- und Zinsvorträgen und die Entstehung eines steuerpflichtigen Ertrags im Falle des alternativen Forderungsverzichts.453) Fraglich ist, ob eine solche Umwandlung steuerneutral möglich ist454) oder ob in Höhe des Differenzbetrages zwischen dem Nennwert und dem tatsächlichen Wert ein steuerpflichtiger Ertrag entsteht.455) Angesichts der kontroversen Diskussion und unter Berücksichtigung des Umstands, dass eine höchstrichterliche Entscheidung – soweit ersichtlich – noch nicht vorliegt, ist im Einzelfall ein Antrag auf eine (kostenpflichtige) verbindliche Auskunft gemäß § 89 AO zu erwägen.

___________ 451) Vgl. zur handelsrechtlichen Beurteilung IDW HFA 1/1994, WPg 1994, 419. 452) Im Körperschaftsteuerrecht gilt es, die Anwendung des § 8 Abs. 3 Satz 2 Alt. 2 KStG zu vermeiden: „(…) Ausschüttungen jeder Art auf Genussrechte, mit denen das Recht auf Beteiligung am Gewinn und Liquidationserlös verbunden ist, mindern das Einkommen nicht.“ 453) Vgl. Kroener/Momen, DB 2012, 829 und Rusch/Brocker, ZIP 2012, 2193. 454) So Breuninger/Ernst, GmbHR 2012, 494; Lechner/Haisch, Ubg 2012, 116; Kroener/ Momen, DB 2012, 829, jew. m. w. N. 455) So OFD Köln, Kurzinfo Nr. 56/2011, DB 2012, 21.

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L. Umwandlung I. Einleitung Die Umwandlung eines Unternehmens kann dessen Sanierung fördern. In 304 der Vergangenheit kam die Umwandlung als Sanierungsmaßnahme ausschließlich vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens in Betracht. Das hat sich mit dem EUSG456) geändert. Nunmehr ist die Umwandlung auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens möglich, und zwar im Rahmen eines Insolvenzplans. Die im Umwandlungsgesetz geregelten Umwandlungen zeichnen sich durch eine (partielle) Gesamtrechtsnachfolge aus. Ausgenommen ist der Formwechsel, bei dem kein Vermögensübergang erfolgt. Dazu die folgende Übersicht: Umwandlung

m i t Vermögensübergang (partielle) Gesamtrechtsnachfolge

Verschmelzung §§ 2–122 UmwG

Aufspaltung

Spaltung §§ 123–173 UmwG

Abspaltung

o h n e Vermögensübergang

Vermögensübertragung §§ 174–189 UmwG

Formwechsel §§ 190–304 UmwG

Ausgliederung

Die Voraussetzungen und die Rechtsfolgen von Umwandlungen vor oder 305 nach Insolvenzeröffnung sind nicht identisch. Deshalb werden diese beiden Fälle nachfolgend unter Rn. 306 ff. (Umwandlung vor Insolvenzeröffnung) und unter Rn. 328 ff. (Umwandlung nach Insolvenzeröffnung) getrennt behandelt. Hierbei bildet unter Rn. 339 ff. die Umwandlungsmaßnahme Ausgliederung einen Schwerpunkt. Dies deshalb, weil sie im Insolvenzerfahren eine Alternative zum (bislang üblichen) Asset Deal darstellen kann. In diesem Rahmen sollen auch die Steuerfolgen behandelt werden. Bei der Vermögensübertragung (§§ 174 – 189 UmwG) handelt es sich um spezielle Regelungen unter Beteiligung von Bund, Land, Gebietskörperschaften, VersicherungsAktiengesellschaften, Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit oder öffentlich-rechtliche Versicherungsunternehmen, die wegen ihrer Spezialität nicht behandelt werden. ___________ 456) Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen vom 7.12.2011, BGBl. I 2011 S. 2582. Gemäß Art. 10 ist das Gesetz auf Insolvenzverfahren anzuwenden, die ab dem 1.3.2012 eröffnet werden. Vgl. zur Umwandlung im Insolvenzplanverfahren Spliedt, in: K. Schmidt, InsO, § 225a Rn. 45 f.

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L. Umwandlung

II. Umwandlung vor Insolvenzeröffnung 1. Verschmelzung a) Verschmelzung überschuldete Gesellschaft auf gesunde Gesellschaft aa) Zulässigkeit 306 Mit der Handelsregistereintragung der Verschmelzung der überschuldeten Gesellschaft als übertragenden Rechtsträger auf die gesunde Gesellschaft als übernehmenden Rechtsträger gehen sämtliche Aktiva und Passiva der überschuldeten Gesellschaft (und damit die überschießenden Passiva) im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf die gesunde Gesellschaft über und die überschuldete Gesellschaft erlischt ohne Abwicklung (§ 20 Abs. 1 UmwG). Deshalb kann eine solche Verschmelzung die Sanierung des Unternehmens der überschuldeten Gesellschaft bewirken, wenn die gesunde Gesellschaft die Übernahme der überschießenden Passiva „verkraften“ kann, ohne selbst in wirtschaftliche Schwierigkeiten zu geraten. 307 In der Praxis sind insbesondere Fälle zu beobachten, in denen überschuldete Gesellschaften als übertragende Gesellschaften auf Alleingesellschafter oder konzernverbundene Unternehmen als übernehmende Rechtsträger verschmolzen werden. Die dadurch auch beabsichtigte Vermeidung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen der überschuldeten Gesellschaft dürfte insbesondere zwei Gründe haben. Zum einen könnte die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der überschuldeten Gesellschaft für den Gesellschafter bzw. für die Konzernunternehmen wirtschaftliche Nachteile haben. Denn Gläubiger, die mit ihren Forderungen ausfallen würden (insbesondere Lieferanten und Banken), könnten ihre Geschäftsbeziehungen mit dem Gesellschafter bzw. mit den Konzernunternehmen beenden. Zum anderen könnte der Insolvenzverwalter verpflichtet sein, Zahlungen oder Aufrechnungen zwischen der überschuldeten Gesellschaft und dem Gesellschafter bzw. den Konzernunternehmen anzufechten bzw. deren Unwirksamkeit geltend zu machen. 308 Damit ist der rechtliche Konflikt und die entscheidende rechtliche Frage bereits beschrieben: Ist die Verschmelzung einer überschuldeten Gesellschaft als übertragender Rechtsträger nach dem Umwandlungsgesetz zulässig oder hat die Gesellschaft nach den Vorschriften der Insolvenzordnung ggf. die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zu beantragen?457) 309 Das OLG Stuttgart (Verschmelzung überschuldete GmbH auf Alleingesellschafter)458) und das LG Leipzig (Verschmelzung überschuldete GmbH & Co. KG auf konzernverbundene GmbH & Co. KG)459) haben die Verschmelzung der überschuldeten Gesellschaft als übertragenden Rechtsträger zu Recht als ___________ 457) Vgl. dazu ausführlich Mayer, in: Widmann/Mayer, UmwG, § 55 Rn. 83.12 ff. 458) OLG Stuttgart, Beschl. v. 4.10.2005 – W 426/05, DStR 2006, 338. 459) LG Leipzig, Beschl. v. 18.1.2006 – 01HK T 7414/04, DB 2006, 885.

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zulässig beurteilt. Zum einen haben die Gerichte in zutreffender Weise argumentiert, dass das Umwandlungsgesetz ein eigenständiges Sicherungssystem für die Gläubiger zur Verfügung stelle. Es handele sich um § 22 UmwG (Sicherheitsleistung), § 25 UmwG (Haftung des Geschäftsführers des übertragenden Rechtsträgers) und um § 27 UmwG (Haftung des Geschäftsführers des übernehmenden Rechtsträgers). Zum anderen haben die Gerichte zu Recht hervorgehoben, dass das Umwandlungsgesetz in § 152 Satz 2 UmwG nur im Falle der Überschuldung eines Einzelkaufmannes die Ausgliederung untersagt. Hieraus wird in zutreffender Weise im Umkehrschluss gefolgert, dass eine überschuldete Gesellschaft als übertragender Rechtsträger im Rahmen einer Verschmelzung in Betracht komme. Etwas anderes soll nach der Literatur allerdings dann gelten, wenn das Registergericht positive Kenntnis davon hat, dass die übertragende Gesellschaft insolvent ist oder die aufnehmende Gesellschaft in die Insolvenz geraten würde, wobei Nachforschungspflichten nicht bestehen sollen.460) Besonders gelagert ist der Fall, dass die übertragende Gesellschaft nicht nur 310 überschuldet, sondern auch aufgelöst ist. Dies deshalb, weil § 3 Abs. 3 UmwG regelt: „An der Verschmelzung können als übertragende Rechtsträger auch aufgelöste Rechtsträger beteiligt sein, wenn die Fortsetzung dieser Rechtsträger beschlossen werden könnte.“ Auf dieser Grundlage hat das BayObLG entschieden, eine überschuldete Gesellschaft, deren Gesellschafter die Auflösung beschlossen hätten, komme nicht als übertragender Rechtsträger im Rahmen einer Verschmelzung in Betracht. Denn ein Fortsetzungsbeschluss sei gesellschaftsrechtlich nur dann zulässig, wenn keine Überschuldung vorliege.461) Die Verschmelzung ist nach dem OLG Naumburg allerdings nicht zulässig, 311 wenn nicht der übertragende Rechtsträger überschuldet und aufgelöst ist, sondern der übernehmende Rechtsträger. Denn § 3 Abs. 3 UmwG erfasse nur den überschuldeten und aufgelösten übertragenden Rechtsträger, nicht jedoch den übernehmenden Rechtsträger.462) bb) Sacheinlage Bei der Verschmelzung handelt es sich grundsätzlich um eine Sacheinlage 312 (Aktiva und Passiva der übertragenden Gesellschaft) gegen Gewährung neuer ___________ 460) Heckschen, in: Reul/Heckschen/Wienberg, Insolvenzrecht in der Gestaltungspraxis, Rn. 337 m. w. N. Heckschen, a. a. O., Rn. 340, erwägt zudem einen vorgelagerten Gläubigerschutz in der Form (analog § 13 SEAG bzw. § 122j UmwG), dass die Sicherheit vor der Verschmelzung zu leisten ist, weil diese nach der Verschmelzung wertlos ist, wenn der aufnehmende Rechtsträger selbst insolvent werde. 461) BayObLG, Beschl. v. 4.2.1998 – 3 Z BR 462/97, NZG 1998, 465; vgl. dazu Stratz, in: Schmitt/Hörtnagl/Stratz, UmwG, § 3 Rn. 51 ff. 462) OLG Naumburg, Beschl. v. 12.2.1997 – 10 Wx 1/97, NJW-RR 1998, 178, dazu EWiR 1997, 807 (Bayer); so auch OLG Brandenburg, Beschl. v. 27.1.2015 – 7 W 118/14 (rkr.), ZIP 2015, 929; vgl. dazu Stratz, in: Schmitt/Hörtnagl/Stratz, UmwG, § 3 Rn. 47 ff.

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Anteile (an dem übernehmenden Rechtsträger) auf Grundlage einer Kapitalerhöhung. Hierbei sind die Sacheinlagevorschriften des übernehmenden Rechtsträgers zu beachten und, soweit vorgesehen, durch das Registergericht zu prüfen.463) Da bei einer Überschuldung die Passiva die Aktiva übersteigen, kann durch die Sacheinlage der überschuldeten Gesellschaft nicht die erforderliche Kapitalerhöhung bewirkt werden. 313 Nach § 54 Abs. 1 Satz 1 UmwG darf die übernehmende Gesellschaft zur Durchführung der Verschmelzung ihr Stammkapital nicht erhöhen, soweit sie Anteile eines übertragenden Rechtsträgers innehat (Nr. 1), ein übertragender Rechtsträger eigene Anteile innehat (Nr. 2) oder ein übertragender Rechtsträger Geschäftsanteile dieser Gesellschaft innehat, auf welche die Einlagen nicht in voller Höhe bewirkt sind (Nr. 3). So darf insbesondere keine Kapitalerhöhung erfolgen, wenn die Tochtergesellschaft auf ihre Muttergesellschaft verschmolzen wird (§ 54 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 Nr. 1 UmwG). Danach stellt insbesondere die Überschuldung der Tochtergesellschaft kein Hindernis dar, diese als übertragenden Rechtsträger auf ihre Muttergesellschaft als übernehmenden Rechtsträger zu verschmelzen. 314 Darüber hinaus ist in bestimmten Fällen die Kapitalerhöhung zwar nicht unzulässig, allerdings unter bestimmten Voraussetzungen nicht erforderlich. So braucht nach § 54 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 2 UmwG (GmbH), § 68 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 2 UmwG (AG), § 78 UmwG (KGaA) die übernehmende Gesellschaft ihr Kapital nicht zu erhöhen, soweit sie eigene Geschäftsanteile innehat (Nr. 1) oder ein übertragender Rechtsträger Geschäftsanteile der übernehmenden Gesellschaft innehat, auf welche die Einlagen bereits in voller Höhe bewirkt sind (Nr. 2). 315 Des Weiteren ist nach § 54 Abs. 1 Satz 3 UmwG, § 68 Abs. 1 Satz 3 UmwG und § 78 UmwG für den Fall, dass es sich bei dem übernehmenden Rechtsträger um eine GmbH, eine AG oder eine KGaA handelt, eine Kapitalerhöhung keine zwingende Voraussetzung. Denn in diesen Fällen kann die übernehmende Gesellschaft von der Gewährung von Anteilen (und damit von einer im Falle der Überschuldung des übertragenden Rechtsträgers nicht darstellbaren Kapitalerhöhung) absehen, wenn alle Anteilsinhaber des übertragenden Rechtsträgers darauf verzichten. Diese Regelungen finden allerdings keine Anwendung, wenn es sich bei dem übernehmenden Rechtsträger um eine Personengesellschaft handelt. Danach ist insbesondere bei der Verschmelzung einer überschuldeten Schwestergesellschaft als übertragender Rechtsträger auf eine andere Schwestergesellschaft als übernehmenden Rechtsträger keine Kapitalerhöhung erforderlich, wenn die Gesellschafter der übertragenden Schwestergesellschaft darauf verzichten.

___________ 463) Vgl. dazu Limmer, in: Handbuch der Unternehmensumwandlung, Teil 5 Rn. 48 ff. m. w. N.

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cc) Schutz der Minderheitsgesellschafter und der Gläubiger des übernehmenden Rechtsträgers Soll eine überschuldete Gesellschaft als übertragender Rechtsträger auf eine 316 gesunde Gesellschaft als übernehmender Rechtsträger ohne Gewährung von Anteilen verschmolzen werden, so können etwaige Minderheitsgesellschafter der übernehmenden Gesellschaft wegen der Übernahme überschießender Verbindlichkeiten Nachteile erleiden. Das gilt auch besonderes deshalb, weil mangels Kapitalerhöhung bei der übernehmenden Gesellschaft keine Kontrolle der Werthaltigkeit der übertragenden Gesellschaft erfolgt. In der Literatur wird diskutiert, die Interessen der Minderheitsgesellschafter durch eine allgemeine Missbrauchskontrolle464) oder durch eine Zustimmungspflicht der Minderheitsgesellschafter465) zu gewährleisten. So wie Minderheitsgesellschafter der übernehmenden Gesellschaft Nachteile 317 erleiden können, können auch die Gläubiger der übernehmenden Gesellschaft wegen der Übernahme überschießender Verbindlichkeiten Nachteile erleiden. Das OLG Stuttgart und das LG Leipzig haben sich zu Recht auf den Standpunkt gestellt, der Gläubigerschutz werde durch die vorrangigen Schutzvorschriften des Umwandlungsgesetzes gewährleistet.466) Demgegenüber wird in der Literatur eine Anwendung der Kapitalerhaltungsvorschriften der übernehmenden Gesellschaft befürwortet.467) b) Verschmelzung gesunde Gesellschaft auf überschuldete Gesellschaft aa) Zulässigkeit Die Zulässigkeit einer Verschmelzung der gesunden Gesellschaft als übertra- 318 genden Rechtsträger auf die überschuldete Gesellschaft als übernehmenden Rechtsträger bereitet nach § 3 Abs. 3 UmwG keine Schwierigkeiten. In diesem Fall ist die übertragende Gesellschaft weder überschuldet noch aufgelöst. bb) Sacheinlage Da es sich bei dem übertragenden Rechtsträger um eine gesunde Gesellschaft 319 handelt, bereitet die Einhaltung der Sacheinlagevorschriften keine Schwierigkeiten.

___________ 464) Vgl. Keller/Klett, DB 2010, 1220, 1223 f., die ein Recht auf Anfechtung der Verschmelzung aus der Treuepflicht ablehnen und im Einzelfall eine Korrektur über die allgemeine Missbrauchskontrolle in Betracht ziehen. 465) Limmer, in: Kölner Schrift zum Insolvenzrecht, Kapitel 27, Rn. 44 a. E. 466) OLG Stuttgart, Beschl. v. 4.10.2005 – W 426/05, DStR 2006, 338; LG Leipzig, Beschl. v. 18.1.2006 – 01HK T 7414/04, DB 2006, 885. 467) Keller/Klett, DB 2010, 1220, 1222.

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cc) Schutz der Minderheitsgesellschafter und der Gläubiger des (gesunden) übertragenden Rechtsträgers 320 Durch die Verschmelzung der gesunden Gesellschaft auf die überschuldete Gesellschaft erhalten die Gesellschafter der überschuldeten Gesellschaft einen Vorteil, weil deren Anteile reflexartig werthaltiger werden. Spiegelbildlich erleiden die Minderheitsgesellschafter der übertragenden (gesunden) Gesellschaft einen Nachteil. In der Literatur wird diskutiert, diese Nachteile durch eine Vereinbarung oder durch eine Kapitalherabsetzung auszugleichen. Zudem wird als Schranke die allgemeine Missbrauchskontrolle erwogen.468) 321 Der Schutz der Gläubiger der (gesunden) übertragenden Gesellschaft hat in diesen Fällen durch die Schutzvorschriften des Umwandlungsgesetzes zu erfolgen.469) 2. Formwechsel a) Personengesellschaft in Kapitalgesellschaft 322 Nach § 220 UmwG darf der Nennbetrag des Stammkapitals bzw. des Grundkapitals der neu entstehenden Kapitalgesellschaft das nach Abzug der Schulden verbleibende Vermögen der alten Gesellschaft nicht übersteigen. Gemäß § 197 UmwG sind die für die neue Rechtsform geltenden Gründungsvorschriften anzuwenden, insbesondere die Sachgründungsvorschriften. Die vorgenannten Vorschriften erweisen sich als Hindernis, eine überschuldete Personengesellschaft in eine Kapitalgesellschaft im Wege des Formwechsels umzuwandeln. Denn aufgrund der Überschuldung der Personengesellschaft kann kein positives Kapital zur Aufbringung des Stammkapitals oder des Grundkapitals gezeigt werden.470) b) Kapitalgesellschaft in Personengesellschaft 323 Das vorstehend zum Formwechsel einer Personengesellschaft in eine Kapitalgesellschaft Gesagte (siehe Rn. 322 ff.) gilt entsprechend. c) Kapitalgesellschaft in Kapitalgesellschaft 324 Nach § 247 UmwG wird das bisherige Stammkapital bzw. das bisherige Grundkapital zum Grundkapital bzw. zum Stammkapital. Darüber hinaus regelt § 245 Abs. 1 Satz 2 UmwG i. V. m. § 220 UmwG, dass der Formwechsel ___________ 468) Vgl. dazu Limmer, in: Handbuch der Unternehmensumwandlung, Teil 5 Rn. 54 m. w. N. Wegen des reflexartigen Vorteils der Gesellschafter der überschuldeten Gesellschaft ist zu prüfen, ob eine Schenkungsteuer nach § 7 Abs. 8 ErbStG ausgelöst werden könnte. Vgl. zu dieser Vorschrift Rn. 222 ff. 469) Vgl. dazu OLG Stuttgart, Beschl. v. 4.10.2005 – W 426/05, DStR 2006, 338; LG Leipzig, Beschl. v. 18.1.2006 – 01HK T 7414/04, DB 2006, 885. 470) Vgl. dazu Limmer, in: Handbuch der Unternehmensumwandlung, Teil 5 Rn. 94.

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einer GmbH in eine AG nur zulässig ist, wenn das Grundkapital gedeckt ist. Da auf Grundlage der Überschuldung kein positives Kapital gezeigt werden kann, kommt eine Umwandlung nur in Betracht, wenn nicht die Buchwerte maßgeblich sein sollten, sondern der Unternehmenswert, und dieser geeignet ist, ein positives Kapital darzustellen. Das ist in der Literatur umstritten. Einen Ausweg kann die sanierende Kapitalherabsetzung mit anschließender Kapitalerhöhung darstellen.471) 3. Spaltung Von den drei Formen der Spaltung (Aufspaltung, Abspaltung und Ausglie- 325 derung, § 123 UmwG)472) soll nur die Ausgliederung behandelt werden, weil diese im Insolvenzverfahren eine Alternative zum Asset Deal sein kann. Da die Ausgliederung nachfolgend unter Rn. 328 ff. ausführlich behandelt wird, wird an dieser Stelle auf weitere Ausführungen verzichtet. 4. Insolvenzanfechtung In der Literatur ist streitig, ob eine vor Insolvenzeröffnung in das Handels- 326 register eingetragene Umwandlung den Bestandsschutz nach § 20 Abs. 2 UmwG genießt mit der Folge, dass eine Insolvenzanfechtung (§§ 129 ff. InsO) ausgeschlossen ist.473) Zudem wird in der Literatur die Meinung vertreten, jedenfalls die Verzichtserklärungen der Anteilsinhaber der übertragenden Gesellschaft auf die Kapitalerhöhung im Zusammenhang mit § 54 Abs. 1 Satz 3 UmwG unterlägen der Insolvenzanfechtung.474) 5. Strafrechtliche Aspekte Bei einer Umwandlung vor Insolvenzeröffnung sind auch strafrechtliche As- 327 pekte zu beachten. Hierbei geht es insbesondere um eine etwaige Verletzung der Insolvenzantragspflicht (§ 15a Abs. 4 InsO) und um die Frage, ob durch die Umwandlung ein Straftatbestand (z. B. § 383 StGB – Bankrott) erfüllt werden könnte.475)

___________ 471) Vgl. dazu Limmer, in: Handbuch der Unternehmensumwandlung, Teil 5 Rn. 95 ff. 472) Vgl. zu diesen Umwandlungsformen Limmer, in: Handbuch der Unternehmensumwandlung, Teil 5 Rn. 77 ff. 473) Dafür Lwowski/Wunderlich, NZI 2008, 595, 597 und Heckschen, ZInsO 2008, 824, 829. Dagegen Hirte, in: Uhlenbruck, InsO, § 129 Rn. 68. Das OLG Jena, Beschl. V. 3.3.1998 – 8 U 1166/98, juris, hat einen Bestandsschutz betreffend Verhältnis § 10 Abs. 1 Nr. 3 GesO zu § 11 SpTrUG bejaht, bestätigt durch Nichtannahmebeschluss BGH, Beschl. v. 2.3.2000 – IX ZR 126/98, juris; so auch KG, Urt. v. 22.1.1998 – 12 U 3839/96, NZG 1999, 1016; vgl. dazu auch Roth, ZInsO 2013, 1597. 474) Keller/Klett, DB 2010, 1220, 1223 ff. 475) Vgl. dazu Heckschen, in: Festschrift für Widmann, 31, 41 f. und Mayer, in: Widmann/ Mayer, UmwG, § 55 Rn. 83.12 ff.

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III. Umwandlung nach Insolvenzeröffnung – Schwerpunkt Ausgliederung 1. Rechtslage nach ESUG 328 Nach § 1 Satz 1 InsO dient die Insolvenzordnung dazu, die Gläubiger eines Schuldners gemeinschaftlich zu befriedigen, indem das Vermögen des Schuldners verwertet und der Erlös verteilt oder in einem Insolvenzplan eine abweichende Regelung insbesondere zum Erhalt des Unternehmens getroffen wird. Mit dem ESUG476) ist unter anderem der Gegenstand des in § 1 Satz 1 InsO Bezug genommenen Insolvenzplans (§§ 217 ff. InsO) in für die Insolvenzpraxis bedeutsamer Weise erweitert worden. Auch mit dieser Maßnahme verfolgt der Gesetzgeber das Ziel, die Sanierung von Unternehmen im Insolvenzverfahren zu erleichtern.477) 329 Mit Blick auf die Zulässigkeit von Umwandlungen im Insolvenzverfahren kommt der Erweiterung des Plangegenstands in §§ 217 Satz 2, 225a InsO grundlegende Bedeutung zu. Nach § 217 Satz 2 InsO gilt: „Ist der Schuldner keine natürliche Person, so können auch die Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte der am Schuldner beteiligten Personen in den Plan einbezogen werden.“ § 225a Abs. 2 InsO konkretisiert dies wie folgt: “Im gestaltenden Teil des Plans kann vorgesehen werden, dass Forderungen von Gläubigern in Anteilsoder Mitgliedschaftsrechte am Schuldner umgewandelt werden. Eine Umwandlung gegen den Willen der betroffenen Gläubiger ist ausgeschlossen. Insbesondere kann der Plan eine Kapitalherabsetzung oder -erhöhung, die Leistung von Sacheinlagen, den Ausschluss von Bezugsrechten oder die Zahlung von Abfindungen an ausscheidende Anteilsinhaber vorsehen.“ § 225a Abs. 3 InsO konkretisiert weiter: „Im Plan kann jede Regelung getroffen werden, die gesellschaftsrechtlich zulässig ist, insbesondere die Fortsetzung einer aufgelösten Gesellschaft oder die Übertragung von Anteils- oder Mitgliedschaftsrechten.“ 330 Die Einbeziehung der Anteils- und Mitgliedschaftsrechte in den Insolvenzplan soll nach dem Willen des Gesetzgebers verhindern, dass ein erfolgversprechendes Sanierungskonzept von den Anteilseignern blockiert wird. Zwar könnten die Anteilseigner nicht die übertragende Sanierung im Wege der Einzelrechtsnachfolge (Asset Deal) verhindern. Allerdings könnten bestimmte Rechtspositionen wie Lizenzen, Genehmigungen und günstige langfristige Verträge nicht oder nur mit Schwierigkeiten und Kosten auf diese Weise übertragen werden. Denn zur Verwirklichung von Sanierungen unter Einbeziehung solcher rechtsträgerbezogenen Rechtspositionen sei die Mitwirkung der Anteilseigner erforderlich. In der Sanierungspraxis würden die Anteils___________ 476) Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen vom 7.12.2011, BGBl. I 2011 S. 2582. Gemäß Art. 10 ist das Gesetz auf Insolvenzverfahren anzuwenden, die ab dem 1.3.2012 eröffnet werden. 477) Vgl. dazu Flöther, ZIP 2012, S. 1833, 1836 ff. und Kübler, in: HRI, § 1 Rn. 28 ff.

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III. Umwandlung nach Insolvenzeröffnung – Schwerpunkt Ausgliederung

eigner diese Rechtsposition zur Erzielung von Sondervorteilen ausnutzen. Dies gelte insbesondere dann, wenn der Unternehmensträger selbst durch Maßnahmen wie Kapitalherabsetzung, Kapitalerhöhung, Umwandlung von Forderungen in Anteilsrechte (Debt Equity Swap) oder durch Übertragung von Anteilsrechten saniert werden soll, welche einen entsprechenden Beschluss der Gesellschafter voraussetzen.478) Das erste Beispiel des § 225a Abs. 3 InsO („die Fortsetzung einer aufgelösten 331 Gesellschaft“) ist für die Zulässigkeit von Umwandlungen im Insolvenzverfahren von entscheidender Bedeutung. Dies deshalb, weil § 3 Abs. 3 UmwG hinsichtlich der Verschmelzung regelt: „An der Verschmelzung können als übertragende Rechtsträger auch aufgelöste Rechtsträger beteiligt sein, wenn die Fortsetzung dieser Rechtsträger beschlossen werden könnte.“ Diese Regelung gilt entsprechend für die Spaltung (Abspaltung, Aufspaltung und Ausgliederung), § 124 Abs. 2 UmwG. Hinsichtlich des Formwechsels bestimmt § 191 Abs. 3 UmwG vergleichbar: „Der Formwechsel ist auch bei aufgelösten Rechtsträgern möglich, wenn ihre Fortsetzung in der bisherigen Rechtsform beschlossen werden könnte.“ Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer Gesell- 332 schaft hat ihre Auflösung zur Folge (vgl. § 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG; § 131 Abs. 1 Nr. 3 HGB; § 262 Abs. 1 Nr. 3 AktG; § 117 GenG). Eine Fortsetzung konnten die Gesellschafter vor Inkrafttreten des ESUG nur beschließen, wenn das Verfahren auf Antrag des Schuldners eingestellt oder nach der Bestätigung eines Insolvenzplans, der den Fortbestand der Gesellschaft vorsah, aufgehoben war (§ 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG; § 144 HGB; § 274 Abs. 2 Nr. 1 AktG; § 117 GenG).479) Danach kam mangels Fortsetzungsfähigkeit der Gesellschaft im Insolvenzverfahren eine Umwandlung nicht in Betracht.480) Nach dem vorzitierten § 225a Abs. 3 UmwG gilt seit Inkrafttreten des ESUG das Gegenteil. Denn nach dieser Vorschrift „kann“ im Insolvenzplan die Fortsetzung der durch Insolvenzeröffnung aufgelösten Gesellschaft beschlossen werden.481) Diese Möglichkeit der Fortsetzung ist für die Bejahung der Umwandlungsfähigkeit im Insolvenzverfahren ausreichend. Dies beruht darauf, dass die vorzitierten §§ 3 Abs. 3, 124 Abs. 2, 191 Abs. 3 UmwG keinen konkreten Beschluss über die Fortsetzung der aufgelösten Gesell___________ 478) Gesetzesbegründung zu § 217 InsO, BT-Drucks. 17/5712, S. 30. 479) Die Möglichkeit, nach § 249 InsO im Insolvenzplan dessen Bestätigung davon abhängig zu machen, dass vorher ein Fortsetzungsbeschluss durch die Gesellschafter erfolgt ist, änderte daran nichts, vgl. dazu Gesetzesbegründung zu § 217 InsO, BT-Drucks. 17/5712, S. 30. 480) Vgl. die Nachweise bei Madaus, ZIP 2012, 2133 in Fußnote 4. 481) In der Gesetzesbegründung zu § 225a Abs. 3 InsO, BT-Drucks. 17/5712, S. 32, heißt es: „Da durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine Gesellschaft aufgelöst wird, kann der Plan zum Beispiel Regelungen zur Fortsetzung der schuldnerischen Gesellschaft enthalten. Damit bedarf es keines förmlichen Fortsetzungsbeschlusses der Gesellschafter mehr, wenn die Gesellschaft fortgeführt werden soll.“

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schaft verlangen, sondern mit der Formulierung „beschlossen werden könnte“ allein die Möglichkeit der Fortsetzung voraussetzen.482) 333 Für die Insolvenzpraxis ist weiterhin die Klarstellung von Bedeutung, dass der Gegenstand des Insolvenzplans nicht auf die Aufhebung des Insolvenzverfahrens gemäß § 258 Abs. 1 InsO nach Rechtskraft der Bestätigung des Insolvenzplans beschränkt ist. Vielmehr kann der Insolvenzplan auch nur einen Teilaspekt auf dem Weg zur Sanierung oder zur Abwicklung des Schuldners regeln (sog. verfahrensleitender Insolvenzplan). Das ergibt sich aus dem mit dem EUSG um den Plangegenstand „die Verfahrensabwicklung“ ergänzten § 217 Satz 1 InsO.483) Das erweitert die Einsatzmöglichkeiten der nunmehr im Insolvenzverfahren zulässigen Umwandlung. Sie kann einen Baustein im Rahmen des einheitlichen Insolvenzplans bilden, mit dem der Schuldner saniert oder abgewickelt werden soll oder in einem verfahrensleitenden Insolvenzplan als Zwischenschritt für die nachfolgende Sanierung oder Abwicklung des Schuldners vorgesehen werden. 334 Der Suhrkamp Verlag (eine GmbH & Co. KG) ist die erste Gesellschaft, die nach Inkrafttreten des ESUG in einem Insolvenzverfahren (in Form der Eigenverwaltung) umgewandelt werden sollte. Das Verfahren hat bundesweite Aufmerksamkeit erlangt, nicht nur in der Fachpresse. Hintergrund ist ein Gesellschafterstreit, der durch die erheblichen Mitverwaltungsrechte des Minderheitsgesellschafters ausgelöst wurde. Mit der Umwandlung in eine Aktiengesellschaft soll der Gesellschafterstreit von dem operativen Geschäft ferngehalten werden. Denn nach § 76 Abs. 1 AktG leitet der Vorstand die Geschäfte der AG in eigener Verantwortung. Zudem soll durch ein im Insolvenzplan vorgesehenes genehmigtes Kapital die Beteiligung eines Investors ermöglicht und korrespondierend die Beteiligung des Minderheitsgesellschafters vermindert werden. 335 Wie durch ein Brennglas werden die grundsätzlichen Rechtsfragen im Insolvenzverfahren Suhrkamp Verlag gebündelt. Ein wesentlicher Aspekt sind die dem Minderheitsgesellschafter zustehenden Rechtsschutzmöglichkeiten. Bei den zahlreichen Verfahren, die nachfolgend in zeitlicher Reihenfolge im Überblick dargestellt werden sollen, geht es insbesondere darum, x

ob dem Minderheitsgesellschafter das Recht auf Beschwerde gegen die Eröffnung des Insolvenzverfahrens, das eigentlich nur dem Schuldner zusteht, in entsprechender Anwendung des § 34 Abs. 2 InsO einzuräumen ist;484)

___________ 482) So auch Madaus, ZIP 2012, S. 2133 ff. und Bitter/Rauhut, Unternehmenskauf in Krise und Insolvenz, aktualisierte und erweiterte Fassung des Beitrags von Bitter/Rauhut, KSI 2007, 197 ff., 258 ff. über „Insolvenzrechtliche Grundlagen der übertragenden Sanierung“, S. 8, abrufbar unter www.bankrecht.uni-mannheim.de (Stand: 10.11.2012); a. A. OLG Brandenburg, Beschl. v. 27.1.2015 – 7 W 118/14 (rkr.), ZIP 2015, 929. Danach soll die Verschmelzung auf einen insolventen Rechtsträger außerhalb eines Insolvenzplanverfahrens nicht zulässig sein. 483) Vgl. dazu im Einzelnen Hirte/Knof/Mock, Das neue Insolvenzrecht nach dem ESUG, 49 ff. 484) So Brinkmann, ZIP 2014, 197, 203 m. w. N. Im Insolvenzverfahren Suhrkamp Verlag ist ein solches Recht – soweit ersichtlich – nicht geltend gemacht worden.

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III. Umwandlung nach Insolvenzeröffnung – Schwerpunkt Ausgliederung

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ob der Minderheitsgesellschafter berechtigt ist, außerhalb des Insolvenzverfahrens auf das laufende Insolvenzverfahren bezogene Ansprüche geltend zu machen;485)

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ob der Minderheitsgesellschafter gegen den Mehrheitsgesellschafter einen Anspruch darauf hat, dass dieser gegen die Annahme des Insolvenzplans stimmt;486)

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ob die sofortige Beschwerde des Minderheitsgesellschafters gegen den Beschluss betreffend die Bestätigung des Insolvenzplans durch das Insolvenzgericht nach § 253 InsO voraussetzt, dass dieser einen Minderheitenschutzantrag nach § 251 InsO gestellt hat;487)

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nach welchen Kriterien die Voraussetzung des § 253 Abs. 1 Nr. 3 InsO zu prüfen ist, wonach der Minderheitsgesellschafter glaubhaft zu machen hat, dass er durch den Plan wesentlich schlechter gestellt wird, als er ohne den Plan stünde. Zum einen ist streitig, ob hier eine rein vermögenrechtliche Betrachtung zu erfolgen hat oder ob auch Mitverwaltungsrechte in die Betracht einzubeziehen sind. Zum anderen ist streitig, ob Vergleichsmaßstab immer die Frage sein kann, wie der Minderheitsgesellschafter bei Durchführung eines Regelinsolvenzverfahrens im Vergleich zum Insolvenzplanverfahren stünde;488)

ob das Freigabeverfahren nach § 254 Abs. 4 InsO eine Schutzlücke aufweise. Nach dieser Vorschrift kann das Landgericht auf Antrag des Insolvenzverwalters (im Falle der Eigenverwaltung der eigenverwaltende Schuldner)489) die Beschwerde des Minderheitsgesellschafters zurückweisen, wenn das alsbaldige Wirksamwerden des Insolvenzplans vorrangig erscheint, weil die Nachteile einer Verzögerung des Planvollzugs nach ___________

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485) Im Insolvenzverfahren Suhrkamp Verlag hat der Minderheitsgesellschafter einen Anspruch auf Abgabe einer Rangrücktrittserklärung gegen den Mehrheitsgesellschafter zur Vermeidung der Insolvenz geltend gemacht. Das LG Frankfurt am Main, Urt. v. 13.8.2013 – 3-09 O 78/13, ZIP 2013, 1720, dazu EWiR 2013, 581 (Frhr. von Falkenhausen) hat einen solchen Anspruch unter Bezugnahme auf die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht bejaht. A. A. OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 7.10.2013 – 5 U 135/13, ZIP 2013, 2022;. Danach ist ein solcher Antrag unzulässig, weil darüber im Insolvenzverfahren zu entscheiden sei. 486) Das BVerfG, Beschl. v. 17.10.2013 – 2 BvR 1978/13, ZIP 2013, 2163, hat einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz abgelehnt. Es hat unter anderem gemeint, die Rechte des Minderheitsgesellschafters könnten im Rahmen der Entscheidung des Insolvenzgerichts über die Bestätigung des Insolvenzplans berücksichtigt werden. 487) So LG Berlin, Urt. v. 24.2.2014 – 51 T 107/14, ZIP 2014, 839, dazu EWiR 2014, 293 (Fölsing); a. A. BGH, Beschl. v. 17.7.2014 – IX ZB 13/14, ZIP 2014, 1442 (m. Bespr. Hölzle, S. 1819), dazu EWiR 2014, 521 (Madaus). Vgl. dazu auch Brünkmans, ZInsO 2014, 993. 488) Vgl. dazu Meyer, DB 2015, 538 (unter IV.2.b) m. w. N. Das LG Berlin hat sich mit dieser Frage nicht befasst, weil es – dazu sogleich – die Freigabe nach § 253 Abs. 4 InsO beschlossen hat. 489) So LG Berlin, Beschl. v. 20.10.2014 – 51 T 696/14, ZIP 2014, 2197 (m. Bespr. Schäfer, S. 2417 und Pleister/Tholen, ZIP 2015, 414), dazu EWiR 2015, 23 (Leib/Rendels).

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freier Überzeugung des Gerichts die Nachteile für den Beschwerdeführer überwiegen.490) Eine Rechtsbeschwerde gegen die Zurückweisung der Beschwerde ist nicht statthaft, weil es sich um ein summarisches Eilverfahren handelt.491) Darin wird in der Literatur eine Verkürzung der Rechtsschutzmöglichkeiten erblickt.492) 336 Mit Beschluss vom 18. Dezember 2014493) hat das BVerfG den Antrag des Minderheitsgesellschafters auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel, die Eintragung der im Insolvenzplan vorgesehenen Umwandlung nach der Freigabe durch das LG Berlin gemäß § 253 Abs. 4 InsO494) bis zur Entscheidung über seine Verfassungsbeschwerde auszusetzen, abgelehnt. Die Entscheidung des BVerfG ist zwar im einstweiligen Rechtsschutz nach § 32 BVerfGG ergangen und hat (zunächst lediglich) das Vollzugsinteresse der Gläubigergemeinschaft über das Individualinteresse des Minderheitsgesellschafters gestellt. Das BVerfG wird in seiner Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde selbst zu entscheiden haben, ob die Umwandlung im Insolvenzplanverfahren gemäß § 225a InsO wegen des Eingriffs in die Gesellschafterrechte mit Art. 9, 14 GG vereinbar ist. 337 Für die Entscheidung des BVerfG dürfte es zum einen darauf ankommen, ob bei gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen im Insolvenzverfahren – wie bei gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen außerhalb eines Insolvenzverfahrens – die materiellen Grenzen des Gesellschaftsrechts zu beachten sind. Hierbei geht es beispielsweise um die materielle Rechtfertigung des Bezugsrechtsausschlusses oder um die Geltung von Treuepflichten der Gesellschafter. Zum anderen dürfte von Bedeutung sein, ob sich aus dem Zweck des Insolvenzverfahrens Grenzen für gesellschaftsrechtliche Maßnahmen im Insolvenzverfahren ergeben können.495) 338 Die Begründung der im einstweiligen Rechtsschutz ergangenen Entscheidung des BVerfG dürfte allerdings darauf hindeuten, dass auch die Verfassungsbeschwerde selbst keinen Erfolg haben wird. Denn das BVerfG hat dem maßgeblichen Argument des Minderheitsgesellschafters, die ihm durch den Gesellschaftsvertrag eingeräumten erheblichen Mitverwaltungsrechte müssten erhalten bleiben, kein Gewicht beigemessen. Zudem hat das BVerfG entgegen der Auffassung des Minderheitsgesellschafters hinsichtlich der nach___________ 490) Das LG Berlin hat die Voraussetzungen des § 253 Abs. 4 InsO bejaht, LG Berlin, Beschl. v. 20.10.2014 – 51 T 696/14, ZIP 2014, 2197 (m. Bespr. Schäfer, S. 2417; m. Bespr. Pleister/Tholen, ZIP 2015, 414). 491) So BGH, Beschl. v. 17.9.2014 – IX ZB 26/14, ZIP 2014, 2040, dazu EWiR 2014, 685 (Spliedt). 492) So Meyer, DB 2015, 538 (unter IV.2.c) m. w. N. 493) BVerfG, Beschl. v. 18.12.2014 – 2 BvR 1978/13, ZIP 2015, 80 (m. Anm. Hölzle, S. 83), dazu EWiR 2015, 49 (Bähr) mit Anm. Hölzle. 494) LG Berlin, Beschl. v. 20.10.2014 – 51 T 696/14, ZIP 2014, 2197 (m. Bespr. Schäfer, S. 2417; m. Bespr. Pleister/Tholen, ZIP 2015, 414) = ZIP 2014, 2197. 495) Vgl. dazu Meyer, DB 2015, 538 (unter III.) m. w. N.

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teiligen Wirkungen des Insolvenzplans nicht auf die Ertragskraft des sanierten Unternehmens, sondern auf die Ertragskraft des insolventen Unternehmens abgestellt.496) 2. Ausgliederung statt Asset Deal497) a) Allgemeines Die Rechtsträger, die an einer Spaltung und somit auch an einer Ausgliede- 339 rung als übertragende und übernehmende Rechtsträger beteiligt sein können, ergeben sich aus § 124 Abs. 1 UmwG i. V. m. § 3 Abs. 1 UmwG. Danach sind spaltungsfähig insbesondere Personenhandelsgesellschaften und Kapitalgesellschaften. Nach § 140 UmwG hat der Geschäftsführer498) bei Anmeldung der Ausglie- 340 derung zur Eintragung in das Register des Sitzes der übertragenden Gesellschaft zu erklären, dass die durch Gesetz und Gesellschaftsvertrag vorgesehenen Voraussetzungen für die Gründung dieser Gesellschaft unter Berücksichtigung der Ausgliederung im Zeitpunkt der Anmeldung vorliegen. Eine vergleichbare Regelung enthält § 146 Abs. 1 für die AG und die KGaA. Die Verletzung dieser Vorschriften ist nach § 313 Abs. 2 UmwG strafbewehrt. Im Falle der Überschuldung der übertragenden Gesellschaft – so liegt der Fall regelmäßig im Insolvenzverfahren–, stellt sich die Frage, ob ein Ausgliederungshindernis gegeben ist, weil das verbleibende Vermögen nicht zur Deckung des Stamm- oder Grundkapitals ausreicht. Diese Frage ist zu verneinen. In der Literatur wird zu Recht geltend gemacht, dass die übertragende Gesellschaft keine Nachteile erleidet, weil ihr für die übertragenden Vermögensgegenstände im Gegenzug Anteile gewährt werden, welche die Vermögensgegenstände widerspiegeln. Es handelt sich aus Sicht der übertragenden Gesellschaft um einen neutralen Aktivtausch. Deshalb wird in der Literatur zu Recht die Meinung vertreten, § 140 UmwG finde bei einer Ausgliederung keine Anwendung.499) Einem überschuldeten Einzelkaufmann ist es allerdings auch nach Inkraft- 341 treten des ESUG verwehrt, im Insolvenzverfahren auszugliedern. Denn nach § 152 Satz 2 UmwG kann eine Ausgliederung nicht erfolgen, wenn die Verbindlichkeiten des Einzelkaufmanns sein Vermögen übersteigen. Da die ___________ 496) So auch die Einschätzung in der Anmerkung von Hölzle, ZIP 2015, 80, 84 f. Vgl. zu der Entscheidung des BVerfG H. P. Westermann, NZG 2015, 134, Commandeur/Hübler, NZG 2015, 185 und Meyer, DB 2015, 538 jew. m. w. N., die auch einen Überblick über die zuvor ergangenen Entscheidungen in dieser Sache geben. 497) Vgl. dazu auch Kahlert/Gehrke, DStR 2013, 97 ff. 498) Nach § 254a Abs. 2 Satz 3 InsO ist der Insolvenzverwalter zur Handelsregisteranmeldung ermächtigt, wenn die Ausgliederung im Insolvenzplan erfolgt; vgl. dazu im Einzelnen Rn. 360 ff. 499) Vgl. Limmer, in: Handbuch der Unternehmensumwandlung, Teil 5 Rn. 85 m. w. N. und Madaus, ZIP 2012, 2133, 2136, re. Sp.

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§§ 217 ff. InsO in der Fassung des ESUG mit Blick auf § 152 Satz 2 UmwG keine Sonderregelung vergleichbar mit § 225a Abs. 3 InsO enthalten, bleibt es bei der Unzulässigkeit der Ausgliederung gemäß § 152 Satz 2 UmwG.500) b) Voraussetzungen und Rechtsfolgen der Ausgliederung aa) Gesamtrechtsnachfolge 342 Die Ausgliederung (§§ 1 Abs. 1 Nr. 2, 123 Abs. 3 UmwG) ist bereits in Stellungnahmen im Rahmen des Gesetzgebungsverfahren des ESUG als Alternative zum Asset Deal (Einzelrechtsnachfolge) diskutiert worden.501) Ihr Vorteil liegt in der (partiellen) Gesamtrechtsnachfolge. Im Einzelnen: 343 Die Ausgliederung stellt einen Unterfall der Spaltung dar. Das Umwandlungsgesetz unterscheidet die Ausgliederung zur Aufnahme (§ 123 Abs. 3 Nr. 1 UmwG) und die Ausgliederung zur Neugründung (§ 123 Abs. 3 Nr. 2 UmwG). Mit der Eintragung der Ausgliederung in das Register des Sitzes des übertragenden Rechtsträgers gehen die im Spaltungs- und Übernahmevertrag (§ 126 UmwG: Ausgliederung zur Aufnahme) bzw. im Spaltungsplan (§§ 136, 135 UmwG: Ausgliederung zur Neugründung) erfassten Vermögensgegenstände (und ggf. dort erfasste Verbindlichkeiten) auf den neu entstehenden (Ausgliederung zur Neugründung) oder auf den bereits bestehenden Rechtsträger (Ausgliederung zur Aufnahme) gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten im Wege der (partiellen) Gesamtrechtsnachfolge über, §§ 131 Abs. 1 Nr. 1, 135 Abs. 1 UmwG. 344 Bei der Ausgliederung handelt es sich nach dem Umwandlungsgesetz stets um eine Sacheinlage, wodurch der übertragende Rechtsträger Anteile an dem aufnehmenden Rechtsträger erhält. Denn nach dem Verweis in § 125 Satz 1 UmwG auf das zweite Buch des Umwandlungsgesetzes und den in dieser Vorschrift geregelten Ausnahmen kann der übernehmende Rechtsträger im Fall der Ausgliederung zur Aufnahme nicht gemäß § 54 Abs. 1 Satz 3 (für die GmbH) oder § 68 Abs. 1 Satz 3 (für die AG) oder § 78 AktG (für die KGaA) auf die Gewährung von Anteilen absehen, wenn alle Anteilsinhaber des übertragenden Rechtsträgers darauf verzichten.502) 345 Der nach §§ 125, 135 Abs. 1, 6 UmwG notariell zu beurkundende Spaltungsund Übernahmevertrag bzw. Spaltungsplan wird nur wirksam, wenn die An___________ 500) So auch Madaus, ZIP 2012, 2133, 2134. 501) Vgl. Stellungnahme des Deutschen Anwaltsvereins durch den Insolvenzrechtsausschuss zum Gesetzentwurf der Bundesregierung für ein Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) vom 4.3.2011, BR-Dr. 127/11, S. 6, abrufbar unter www.anwaltverein.de, und Stellungnahme des Zentralen Kreditausschusses zum Gesetzentwurf der Bundesregierung für ein „Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG)“ vom 23.6.2011, S. 8. 502) Limmer, in: Handbuch der Unternehmensumwandlung, Teil 5 Rn. 80 erwägt eine analoge Anwendung der §§ 54 Abs. 1 Satz 3 (für die GmbH), 68 Abs. 1 Satz 3 (für die AG) und 78 AktG (für die KGaA) auf die Ausgliederung.

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teilsinhaber der beteiligten Rechtsträger ihm durch notariell zu beurkundenden Beschluss zustimmen, §§ 125, 135 Abs. 1, 13 UmwG. Sowohl der übertragende Rechtsträger als auch der übernehmende Rechtsträger haben zwar nach § 127, 135 Abs. 1 UmwG einen Ausgliederungsbericht zu erstellen. Nach §§ 125, 135 Abs. 1, 8 Abs. 3 UmwG können der übertragende Rechtsträger und der übernehmende Rechtsträger jedoch auf die Erstellung eines Ausgliederungsberichts verzichten. Eine Prüfung i. S. d. §§ 9 bis 12 UmwG findet bei der Ausgliederung nicht statt, § 125 Satz 2, 135 Abs. 1 UmwG. Besteht beim übertragenden und/oder übernehmenden Rechtsträger ein Betriebsrat, so ist § 126 Abs. 3 i. V. m. § 135 Abs. 1 UmwG zu beachten. Danach ist der Spaltungs- und Übernahmevertrag bzw. Spaltungsplan oder sein Entwurf spätestens einen Monat vor dem Tag der Versammlung der Anteilsinhaber jedes beteiligten Rechtsträgers, die gemäß § 125 Satz 1, 135 Abs. 1 UmwG i. V. m. § 13 Abs. 1 UmwG über die Zustimmung zum Spaltungsund Übernahmevertrag bzw. Spaltungsplan beschließen soll, dem zuständigen Betriebsrat dieses Rechtsträgers zuzuleiten. Das Umwandlungsgesetz enthält keine Beschränkungen bei der Bestimmung 346 der Gegenstände, die im Rahmen einer Ausgliederung übertragen werden. Auf Grundlage dieser Vertragsfreiheit besteht die Möglichkeit, die Vermögensgegenstände von den Verbindlichkeiten zu trennen und wie bei einer Einzelrechtsnachfolge einen einzigen werthaltigen Vermögensgegenstand oder eine Zusammenfassung von werthaltigen Vermögensgegenständen zu übertragen.503) Deshalb bestehen in der Regel auch keine Schwierigkeiten, die Vorschriften über die Sacheinlage (Ausgliederung zur Aufnahme, § 125 UmwG) oder über die Sachgründung (Ausgliederung zur Neugründung, § 135 Abs. 2 UmwG) zu erfüllen.504) Die Ausgliederung und die anschließende Übertragung der gewährten Anteile 347 an einen Investor können sich gegenüber einer Einzelrechtsnachfolge als vorteilhaftes Sanierungskonzept erweisen. Denn auf Grundlage der (partiellen) Gesamtrechtsnachfolge ist es möglich, rechtsträgerbezogene Rechtspositionen, die im Wege der Einzelrechtsnachfolge nicht übertragen werden könnten, zu übertragen. Hierbei kann es sich beispielsweise um wirtschaftlich vorteilhafte Verträge, öffentlich-rechtliche Genehmigungen oder Lizenzen handeln.505) Die Ausgliederung ist somit als Sanierungsmaßnahme geeignet, den vorstehend dargestellten Willen des Gesetzgebers (vgl. Rn. 330) umzusetzen, nämlich ein Sanierungskonzept unter Einbeziehung von rechtsträgerbezogenen Rechtspositionen. Dieser Vorteil wird flankiert durch § 225a Abs. 4 InsO. Nach dieser Vor- 348 schrift berechtigen Maßnahmen nach § 225a Abs. 2 und 3 InsO – hier also ___________ 503) Limmer, in: Handbuch der Unternehmensumwandlung, Teil 5 Rn. 77 m. N. 504) Vgl. Limmer, in: Handbuch der Unternehmensumwandlung, Teil 5 Rn. 79. 505) Vgl. Madaus, ZIP 2012, 2133, Bitter/Laspeyres, ZIP 2010, 1157, 1158.

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die Ausgliederung und die Übertragung von Anteilsrechten – nicht zum Rücktritt oder zur Kündigung von Verträgen, an denen der Schuldner beteiligt ist (Satz 1), führen auch nicht zu einer anderweitigen Beendigung der Verträge (Satz 2) und entgegenstehende Vereinbarungen sind unwirksam (Satz 3). Von § 225a Abs. 4 Satz 1 und 2 InsO bleiben allerdings nach § 225a Abs. 4 Satz 4 InsO unberührt Vereinbarungen, welche an eine Pflichtverletzung des Schuldners anknüpfen, sofern sich diese nicht darin erschöpfen, dass eine Maßnahme nach § 225a Abs. 2 oder 3 InsO in Aussicht genommen oder durchgeführt wird. bb) Keine Anwendung des § 133 UmwG 349 Gemäß § 133 Abs. 1 Satz 1, 135 Abs. 1 UmwG haften für die Verbindlichkeiten des übertragenden Rechtsträgers, die vor dem Wirksamwerden der Spaltung begründet worden sind, die an der Spaltung beteiligten Rechtsträger als Gesamtschuldner. § 133 Abs. 3 und 4 UmwG regelt das Erlöschen dieser Haftung nach Ablauf von fünf Jahren seit Wirksamwerden der Ausgliederung. Danach könnte die aufnehmende Gesellschaft für die Verbindlichkeiten der (insolventen) übertragenden Gesellschaft haften. Weiter kommt nach §§ 133 Abs. 1 Satz 2, 135 Abs. 1, 125, 22 UmwG ein Recht der Gläubiger auf Sicherheitsleistung sowie nach §§ 133 Abs. 2, 135 Abs. 1, 23 UmwG ein Recht der Inhaber von Rechten ohne Stimmrecht auf Gewährung gleichwertiger Rechte in dem übernehmenden Rechtsträger in Betracht. Für das letztgenannte Recht regelt § 133 Abs. 2 UmwG eine gesamtschuldnerische Haftung, die Verjährungsfrist beträgt nach § 133 Abs. 6 UmwG fünf Jahre. In einer Stellungnahme im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens des ESUG ist deshalb vorgeschlagen worden gesetzlich zu regeln, dass § 133 UmwG beim Erwerb vom Insolvenzverwalter keine Anwendung findet.506) Der Gesetzgeber hat diesen Vorschlag zwar nicht aufgegriffen. Dennoch stellt § 133 UmwG kein Ausgliederungshindernis dar.507) Im Einzelnen: (1) Vorrang des Insolvenzrechts 350 § 133 UmwG (einschließlich der darin in Bezug genommenen §§ 22, 23 UmwG) findet keine Anwendung, weil die Wertungen des Insolvenzrechts Vorrang haben. Das folgt aus der Rechtsprechung des BGH und des BAG sowie der allgemeinen Meinung in der Literatur zur Nichtanwendung des § 25 Abs. 1 HGB bei Unternehmensveräußerungen durch den Insolvenzver___________ 506) Stellungnahme des Deutschen Anwaltsvereins durch den Insolvenzrechtsausschuss zum Gesetzentwurf der Bundesregierung für ein Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) vom 4.3.2011, BR-Drucks. 127/11, S. 6, abrufbar unter www.anwaltverein.de. 507) Nach § 8a Abs. 8 Nr. 5 FMStFG findet § 133 UmwG allerdings keine Anwendung, wenn Unternehmensteile auf eine Abwicklungsanstalt ausgegliedert werden. Madaus, ZIP 2012, 2133, 2136 und Simon/Merkelbach, NZG 2012, 121, 128, ziehen die nachfolgend vertretene teleologische Reduktion des § 133 UmwG nicht in Betracht.

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walter.508) Nach § 25 Abs. 1 Satz 1 HGB gilt: „Wer ein unter Lebenden erworbenes Handelsgeschäft unter der bisherigen Firma mit oder ohne Beifügung eines das Nachfolgeverhältnis andeutenden Zusatzes fortführt, haftet für alle im Betrieb des Geschäfts begründeten Verbindlichkeiten des früheren Inhabers.“ Zwar findet § 25 Abs. 1 HGB auf Ausgliederungen keine Anwendung, weil das Vermögen nicht – wie von der Vorschrift vorausgesetzt – infolge rechtsgeschäftlicher Übertragung übergeht, sondern im Wege der (partiellen) Gesamtrechtsnachfolge.509) Die von BGH und BAG aufgestellten allgemeinen Rechtsgrundsätze sind allerdings auf den hier zu beurteilenden Fall ohne Weiteres übertragbar. Im Einzelnen: Nach der Rechtsprechung des BGH und des BAG ist ausschlaggebend, dass 351 die Anwendung des § 25 Abs. 1 HGB im Widerspruch zu den bestimmenden Grundsätzen des Insolvenzverfahrens und der dem Insolvenzverwalter darin zugewiesenen Funktion stünde. Aufgabe des Insolvenzverwalters sei es, die Vermögensgegenstände des Schuldners zu verwerten und dabei im Interesse der Gläubiger den höchstmöglichen Erlös zwecks anschließender Verwertung zu erzielen. Mit dieser Aufgabe wäre es unvereinbar, wenn der Erwerber eines zur Masse gehörenden Unternehmens nach § 25 Abs. 1 HGB haften müsste. Denn eine Veräußerung des Unternehmens mit sämtlichen Schulden, die zum Zusammenbruch des bisherigen Trägers geführt haben, sei in der Regel nicht erreichbar, weshalb nur eine wirtschaftlich nachteilige Zerschlagung in Betracht käme. Hierdurch würde die Position der Gläubiger benachteiligt, obwohl § 25 Abs. 1 HGB diese begünstigen solle. Die vorstehend dargestellten rechtlichen Erwägungen des BGH und des BAG 352 zur Nichtanwendung des § 25 Abs. 1 HGB sind auf § 133 UmwG ohne Weiteres übertragbar. Wie bei einer Haftung des Erwerbers nach § 25 Abs. 1 HGB würde eine Anwendung des § 133 UmwG, die zur Haftung des Erwerbers und zur Pflicht vor Bestellung von Sicherheiten sowie zur Pflicht von Gewährung von gleichwertigen Rechten führen würde, die Position der Gläubiger entgegen der Zielsetzung der §§ 133, 22, 23 UmwG benachteiligen. Dies deshalb, weil für die Gläubiger wirtschaftlich vorteilhafte Abwicklungs- bzw. Sanierungsmaßnahmen unterbleiben würden, die – wie vorstehend dargestellt – auf der (partiellen) Gesamtrechtsnachfolge der Ausgliederung beruhen. Dieser teleologischen Reduktion des § 133 UmwG steht nicht entgegen, dass 353 der Gesetzgeber die Anwendung des § 133 UmwG auf Vorschlag einer Stel___________ 508) BGH, Urt. v. 11.4.1988 – II ZR 313/87, ZIP 1988, 727, dazu EWiR 1988, 811 (Joost) (zum Konkursverfahren) und BAG, Urt. v. 20.9.2006 – 6 AZR 215/06, ZIP 2007, 386, dazu EWiR 2007, 497 (Joost) (zum Insolvenzverfahren) jew. m. w. N. aus Rechtsprechung und Literatur. 509) Hopt, in: Baumbach/Hopt, HGB, § 25 Rn. 4; Zimmer, in: Ebenroth/Boujong/Joost/ Strohn, Handelsgesetzbuch, § 25 Rn. 36; Lieb, in: MünchKommHGB, 2005, § 25 Rn. 27.

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lungnahme510) nicht ausdrücklich ausgeschlossen hat. Soweit aus den Gesetzgebungsmaterialien511) ersichtlich, hat sich der Gesetzgeber mit diesem Vorschlag gar nicht befasst. Dem Schweigen des Gesetzgebers kann nicht entnommen werden, § 133 UmwG sei einer telelogischen Reduktion nicht zugänglich. Das gilt auch für den Vorschlag des ausdrücklichen Ausschlusses des § 133 UmwG. Denn auch dieser Vorschlag setzt sich nicht mit der Möglichkeit einer telelogischen Reduktion auseinander. Nichts anderes folgt schließlich aus § 8a Abs. 8 Nr. 5 FMStFG, der im Falle der Ausgliederung von Unternehmensteilen auf eine Abwicklungsanstalt als übernehmender Rechtsträger ausdrücklich die Nichtanwendung des § 133 UmwG regelt. Da § 8a Abs. 8 Nr. 5 FMStFG nicht die Ausgliederung durch ein insolventes Unternehmen als übertragenden Rechtsträger regelt, kommt ein Vorrang der insolvenzrechtlichen Wertungen und damit eine entsprechende telelogische Reduktion nicht in Betracht. Deshalb bedarf es insoweit einer ausdrücklichen Regelung der Nichtanwendung des § 133 UmwG in § 8a Abs. 8 Nr. 5 FMStFG.512) (2) Gesamtwirkung des Erlasses 354 Unabhängig von der Frage, ob § 133 UmwG wegen des Vorrangs des Insolvenzrechts keine Anwendung findet, ist das Folgende zu berücksichtigen: 355 Nach der Rechtsprechung des BGH sind Verbindlichkeiten, soweit sie nach dem Insolvenzplan als erlassen gelten, zwar nicht erloschen, bestehen jedoch nur als natürliche Verbindlichkeiten fort, deren Erfüllung möglich ist, aber nicht erzwungen werden kann.513) Allerdings führt diese Rechtsprechung nicht ohne Weiteres zur Nichtanwendung des § 133 UmwG. Denn nach § 254 Abs. 2 Satz 1 InsO werden unter anderem die Rechte der Insolvenzschuldner gegen Mitschuldner und Bürgen des Schuldners durch den Plan nicht berührt. Bei einer gesamtschuldnerischen Mithaftung hat § 254 Abs. 2 Satz 1 InsO zur Folge, dass dem im Insolvenzplan vorgesehenen Forde___________ 510) Stellungnahme des Deutschen Anwaltsvereins durch den Insolvenzrechtsausschuss zum Gesetzentwurf der Bundesregierung für ein Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) vom 4.3.2011, BR-Drucks. 127/11, S. 6, abrufbar unter www.anwaltverein.de. 511) Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 4.3.2011, BR-Drucks. 127/11; Empfehlungen der Ausschüsse des Bundesrates vom 5.4.2011, BR-Drucks.127/1/11; Stellungnahme des Bundesrates vom 15.4.2011, BR-Drucks. 127/11; Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 4.5.2011, BT-Drucks. 17/5712; Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses vom 26.10.2011, BT-Drucks. 17/7511. 512) Ebenfalls für eine teleologische Reduktion des § 133 UmwG Thole, Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen in der Insolvenz, Rn. 358, Madaus, in: Kübler, HRI, § 34 Rn. 21 ff.; Simon/Brünkmanns, ZIP 2014, 657, 664; a. A. Becker, ZInsO 2013, 1885, 1891, der allerdings eine Verzichtsklausel im Insolvenzplan vorschlägt und Simon/Merkelbach, NZG 2012, 121, 128 ohne Diskussion. 513) BGH, Urt. vom 19.5.2011, IX ZR 222/08, ZIP 2011, 1271, Rn. 10.

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rungsverzicht keine wechselseitige Gesamtwirkung zukommt, sondern nur eine Einzelwirkung.514) Allerdings ist fraglich, ob § 254 Abs. 2 Satz 1 InsO bei einer Ausgliederung 356 nach Insolvenzeröffnung im Insolvenzplan Anwendung findet. Denn § 254 Abs. 2 Satz 1 InsO, der i. S. d. § 423 BGB eine Einzelwirkung statt einer Gesamtwirkung des Erlasses regelt, findet seine Rechtfertigung in dem Umstand, dass der Dritte die gesamtschuldnerische Haftung und damit das Haftungsrisiko bereits vor Insolvenzeröffnung übernommen hatte. Dies folgt bereits aus der Formulierung des § 254 Abs. 2 Satz 1 InsO, wonach es sich um Rechte „der Insolvenzgläubiger“ handeln muss. Nach § 38 InsO ist Insolvenzgläubiger, wer einen zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten Vermögensanspruch gegen den Schuldner hat. Diese Wertungen sind hier nicht einschlägig, weil eine gesamtschuldnerische Haftung gemäß § 133 UmwG erst nach Insolvenzeröffnung durch die Ausgliederung im Insolvenzplan entstehen könnte. Deshalb kann § 254 Abs. 2 Satz 1 InsO keine Anwendung finden. Vielmehr findet § 423 BGB Anwendung, wonach eine Gesamtwirkung eintritt, wenn die Vertragsschließenden das gesamte Schuldverhältnis aufheben wollen. Danach hat der Erlass der Verbindlichkeiten im Insolvenzplan eine Gesamtwirkung gegenüber dem aufnehmenden Rechtsträger zur Folge. (3) Erlass nach allgemeinen Regeln Schließlich sind hinsichtlich § 133 UmwG die folgenden Überlegungen zu 357 berücksichtigen: Insolvenzgläubiger können mit der aufnehmenden Gesellschaft im Insol- 358 venzplan nach allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen einen Verzicht vereinbaren.515) Allerdings findet § 254b InsO, wonach § 254 InsO unter anderem auch für Insolvenzgläubiger gilt, die ihre Forderungen nicht angemeldet haben, auf solche Vereinbarungen keine Anwendung. Danach besteht dann, wenn alle bekannten Insolvenzgläubiger im Insolvenzplan einen Verzicht vereinbaren, die Gefahr, dass späterhin unbekannte Insolvenzgläubiger eine gesamtschuldnerische Haftung nach § 133 UmwG geltend machen. c) Reichweite des Insolvenzplans aa) Ausgliederungsbeschluss Der Ausgliederungsbeschluss gemäß §§ 125, 135 Abs. 1, 13 UmwG, der nach 359 § 225a Abs. 3 InsO in den Insolvenzplan aufgenommenen werden kann, gilt ___________ 514) Vgl. Noack/Bunke, in: Festschrift Uhlenbruck, 335, 551 f. und Lüer, in: Uhlenbruck, InsO, § 254 Rn. 16. 515) Vgl. dazu Braun, in: Nerlich/Römermann, Insolvenzordnung, § 254 Rn. 6 m. w. N. aus der Literatur (Stand: 3/2005).

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nach § 254 Abs. 2 Satz 1 InsO in der vorgeschriebenen Form als abgegeben. Er kommt nach § 244 Abs. 3 InsO mit der einfachen Kapitalmehrheit zustande. Gemäß § 245 Abs. 3, 246 Nr. 2 InsO (Obstruktionsverbot) ist die Zustimmung der Anteilsinhaber, die nach § 222 Abs. 1 Nr. 4 InsO eine eigene Gruppe bilden, entbehrlich. Sämtliche Maßnahmen zur Vorbereitung des Ausgliederungsbeschlusses (wie Ladungen, Bekanntmachungen) gelten nach § 254a Abs. 2 Satz 2 InsO durch die Einhaltung der insolvenzrechtlichen Verfahrensregeln als erfüllt. Der Insolvenzplan kann die Willenserklärungen nicht plangebundener Dritter nicht ersetzen. Das gilt insbesondere für die Annahme eines Ausgliederungsvertrages durch das Vertretungsorgan der aufnehmenden Gesellschaft. Etwas anderes gilt nur dann, wenn diese Willenserklärungen nach § 230 Abs. 3 InsO in den Insolvenzplan aufgenommen werden, dann gilt § 254a Abs. 3 InsO. Sollen bestimmte für die Ausgliederung erforderliche Maßnahmen nach Abstimmung über den Insolvenzplan erfolgen, so können diese Maßnahmen nach § 249 InsO in den Insolvenzplan als Bedingung aufgenommen werden.516) Mit der Rechtskraft der Bestätigung des Insolvenzplans durch das Insolvenzgericht treten nach § 254 Abs. 1 InsO die im gestaltenden Teil festgelegten Wirkungen für und alle Beteiligten ein.517) bb) Handelsregisteranmeldung 360 Zur Handelsregisteranmeldung nach §§ 125, 135 Abs. 1, 16, 129, 137 UmwG ist der Insolvenzverwalter gemäß § 254a Abs. 2 Satz 3 InsO ermächtigt. In der Literatur ist streitig, ob und unter welchen Voraussetzungen das Registergericht die Befugnis hat, die Entscheidung des Insolvenzgerichts betreffend die Rechtmäßigkeit der Beschlussfassung im Insolvenzplan zu überprüfen.518) Der Insolvenzverwalter sollte nach § 221 Satz 2 InsO zur Berichtigung des Insolvenzplans ermächtigt werden. Dies insbesondere deshalb, um etwaigen Zwischenverfügungen des Registergerichts abhelfen zu können. Die Eintragung der Ausgliederung gemäß §§ 125, 135 Abs. 1, 130, 137, 19 UmwG ist ungeachtet der Regelung im Insolvenzplan erforderlich, weil weder das Registergericht noch die Registeröffentlichkeit am Insolvenzplan beteiligt sind.519) d) Steuerrechtliche Aspekte aa) Keine Gesamtrechtsnachfolge im steuerlichen Sinne 361 Nach § 45 Abs. 1 Satz 1 AO gehen bei einer Gesamtrechtsnachfolge die Forderungen und Schulden aus dem Steuerschuldverhältnis auf den Rechtsnachfolger über. Dies bedeutet, dass der Gesamtrechtsnachfolger materiell- und ___________ 516) Vgl. Madaus, ZIP 2012, 2133, 2138. 517) Nach Madaus, ZIP 2012, 2133, 2137 ist die Beschlussfassung danach auch gesellschaftsrechtlich unanfechtbar. 518) Dagegen Madaus, ZIP 2012, 2133, 2138, in bestimmen Fällen dafür Horstkotte/Martini, ZInsO 2012, 557, 567 Fußnote 67. 519) Vgl. dazu Madaus, ZIP 2012, 2133, 2138, re. Sp.

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III. Umwandlung nach Insolvenzeröffnung – Schwerpunkt Ausgliederung

verfahrensrechtlich in die abgabenrechtliche Stellung seines Rechtsvorgängers eintritt.520) In welchen Fällen diese Rechtsfolge eintritt, regelt § 45 AO nicht, die Vorschrift setzt die Gesamtrechtsnachfolge voraus. Ein Übergang der materiell-rechtlichen und verfahrensrechtlichen abgabenrechtlichen Stellung i. S. d. § 45 Abs. 1 Satz 1 AO setzt den Tod bzw. den Untergang des Rechtsvorgängers voraus. Denn aus der Regelung eines Übergangs sämtlicher Forderungen und Schulden aus dem Steuerschuldverhältnis nur Falle der Gesamtrechtsnachfolge ergibt sich im Umkehrschluss, dass ein solcher Übergang im Wege der Einzelrechtsnachfolge und damit zu „Lebzeiten“ des Steuerpflichtigen nicht zulässig ist. Danach sind Vermögensübertragungen, die nicht auf Grundlage des Todes bzw. des Untergangs des Rechtsvorgängers stattfinden, aus steuerlicher Sicht als Einzelrechtsnachfolge zu behandeln. Deshalb beurteilt der BFH die Ausgliederung zur Aufnahme (§ 123 Abs. 3 Nr. 1 UmwG)521) und die Ausgliederung zur Neugründung (§ 123 Abs. 3 Nr. 2 UmwG)522) nicht als Gesamtrechtsnachfolge i. S. d. § 45 Abs. 1 Satz 1 AO, sondern als Einzelrechtsnachfolge. Danach können die Rechte und Pflichten aus dem Steuerschuldverhältnis ungeachtet der zivilrechtlichen partiellen Gesamtrechtsnachfolge nicht ausgegliedert werden, sie verbleiben beim ausgliedernden Rechtsträger. bb) Ertragsteuern (1) Aufdeckung stiller Reserven Die Ausgliederung von Betriebsvermögen auf eine Kapitalgesellschaft oder 362 auf eine Personengesellschaft gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten ist aus ertragsteuerlicher Sicht ein Tausch und stellt somit eine Veräußerung dar.523) Die übernehmende Kapitalgesellschaft (§ 20 Abs. 2 Satz 1 UmwStG) oder die übernehmende Personengesellschaft (§ 24 Abs. 2 Satz 1 UmwStG) hat das eingebrachte Betriebsvermögen mit dem gemeinen Wert anzusetzen. Da dieser Wert für die übertragende Gesellschaft als Veräußerungspreis und als Anschaffungskosten der erhaltenen Anteile gilt (für die Kapitalgesellschaft: § 20 Abs. 3 Satz 1 UmwStG, für die Personengesellschaft: § 24 Abs. 2 Satz 1 UmwStG), führt die Ausgliederung auf Ebene der übertragenden Gesellschaft zur Aufdeckung von stillen Reserven in Höhe des Unterschiedsbetrags zwischen steuerlichen Buchwerten und gemeinen Werten. Zwar sehen § 20 Abs. 2 Satz 2 bis 4 UmwStG (für die Kapitalgesellschaft) und § 24 Abs. 2 Satz 2 und 3 UmwStG (für die Personengesellschaft) unter bestimmten Voraussetzungen (insbesondere gilt die Voraussetzung der Einbringung eines Betriebs, Teilbetriebs oder Mitunternehmeranteils) den Ansatz von Buchwerten oder von Zwischenwerten vor. Allerdings kann die Aufdeckung der ___________ 520) 521) 522) 523)

Vgl. Klein-Rüsken, AO, § 45 Rn. 5 m. w. N. BFH, Urt. v. 7.8.2002 – I R 99/00, BStBl II 2003, 835. BFH, Urt. v. 23.3.2005 – III R 20/03, BStBl II 2006, 432. Vgl. Umwandlungssteuererlass, BStBl I 2011, 1314 Rn. 20.1 und Rn. 24.03.

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L. Umwandlung

stillen Reserven selbst bei Vorliegen dieser Voraussetzungen nicht vermieden werden, weil die übertragende Gesellschaft die an der übernehmenden Gesellschaft erhaltenen Anteile zum Zwecke der Sanierung oder Abwicklung sofort an den Investor veräußert. Ist die übernehmende Gesellschaft eine Kapitalgesellschaft, so folgt dies aus § 22 Abs. 1 UmwStG hinsichtlich der Sacheinlage; § 22 Abs. 2 UmwStG regelt eingebrachte Anteile. Danach ist ein Gewinn aus einer Veräußerung innerhalb von sieben Jahren seit dem Einbringungszeitpunkt rückwirkend im Wirtschaftsjahr der Einbringung als Gewinn des Einbringenden zu versteuern, wobei sich der Gewinn jedes Jahr um ein Siebtel vermindert. Handelt es sich bei der übernehmenden Gesellschaft um eine Personengesellschaft, so folgt die Besteuerung aus der Gewinnermittlung nach § 4 EStG; § 24 Abs. 5 UmwStG behandelt eingebrachte Anteile. Erfolgt im Rahmen der Ausgliederung sogleich ein Ansatz zu gemeinen Werten, so werden durch die Veräußerung des Mitunternehmeranteils bzw. des Anteils an der Kapitalgesellschaft an den Investor keine weiteren (steuerpflichtigen) stillen Reserven aufgedeckt. Denn der gemeine Wert gilt als Anschaffungskosten des Mitunternehmeranteils bzw. des Anteils an der Kapitalgesellschaft und wird dem mit dem Investor vereinbarten Kaufpreis entsprechen. 363 Für die Beantwortung der Frage, ob ein Gewinn aus der Aufdeckung von stillen Reserven auf Ebene der übertragenden Gesellschaft Ertragsteuern auslöst, sind die Rechtsform der übertragenden Gesellschaft (Kapitalgesellschaft oder Personengesellschaft) und deren konkrete steuerliche Situation maßgeblich. Handelt es sich bei der übertragenden Gesellschaft um eine Personengesellschaft, so ist diese aus ertragsteuerlicher Sicht transparent524) und allein Steuerschuldner der Gewerbesteuer, § 2 GewStG. Diesbezüglich ist entscheidend, ob unter Berücksichtigung der weiteren Geschäftsvorfälle des betreffenden Jahres überhaupt ein Gewinn entsteht und ob ggf. gewerbesteuerliche Verlustvorträge (unter Beachtung der Mindestbesteuerung nach §§ 10d EStG, 10a GewStG) genutzt werden können. Handelt es sich bei der übertragenden Gesellschaft um eine Kapitalgesellschaft, so stellen sich die vorstehenden Fragen auch hinsichtlich der Körperschaftsteuer. Denn die Kapitalgesellschaft ist nicht nur Steuerschuldner der Gewerbesteuer (§ 2 GewStG), sondern auch Schuldner von Körperschaftsteuer (nebst Solidaritätszuschlag, § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG, § 1 Abs. 1 SolzG). 364 Der BFH beurteilt Steuern auf Ebene des Insolvenzschuldners, die auf dem Verkauf von Wirtschaftsgütern im Insolvenzverfahren beruhen, als Masseverbindlichkeiten gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, die nach § 53 InsO vorrangig aus der Masse zu berichtigen sind.525) ___________ 524) Vgl. Schmidt-Wacker, EStG, § 15 Rn. 441. 525) BFH, Urt. v. 16.5.2013 – IV R 23/11, BStBl II 2013, 759 = ZIP 2013, 1481 = ZVI 2013, 436 (m. Anm. Büchler/Jarchow, S. 439) = DStR 2013, 1584 mit Anm. Kahlert.

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III. Umwandlung nach Insolvenzeröffnung – Schwerpunkt Ausgliederung

(2) Weder Untergang noch Übergang von Verlustvorträgen Unabhängig von der Frage, ob es sich bei dem ausgliedernden Rechtsträger 365 um eine Kapitalgesellschaft oder um eine Personengesellschaft handelt, stellt sich die Frage nach dem Schicksal vorhandener steuerlicher Verlustvorträge i. S. d. §§ 10d EStG bzw. 10a GewStG. Selbst wenn der auszugliedernde Vermögensgegenstand oder die auszuglie- 366 dernden Vermögensgegenstände steuerlich die Voraussetzungen einer begünstigten Sachgesamtheit (Betrieb, Teilbetrieb oder Mitunternehmeranteil) i. S. d. § 20 Abs. 1 UmwStG (für die Kapitalgesellschaft) bzw. § 24 Abs. 1 UmwStG (für die Personengesellschaft) erfüllen, wird – wie vorstehend dargestellt – die Aufdeckung der in den Vermögensgegenständen enthaltenen stillen Reserven bei der übertragenden Gesellschaft mit Blick auf die anschließende Veräußerung der durch die Ausgliederung erhaltenen Gegenleistung (Beteiligung) nicht verhindert. Übersteigt das (körperschaft- bzw. gewerbesteuerliche) Verlustvortragsvo- 367 lumen die in dem Ausgliederungsgegenstand oder in den Ausgliederungsgegenständen enthaltenen stillen Reserven, so entsteht – soweit § 10d EStG keine Anwendung findet, dazu sogleich – auf Ebene der ausgliedernden Gesellschaft dennoch keine zusätzliche Steuerbelastung. Das steuerliche Verlustvortragsvolumen wird in diesem Fall zum Teil mit der Gewinnerhöhung verrechnet und damit zum Teil genutzt. Der danach verbleibende steuerliche Verlustvortrag ist steuerlich weiterhin der übertragenden Gesellschaft zuzurechnen. Denn mit der Ausgliederung geht weder ein Verlustvortrag nach § 10d EStG noch der laufende Verlust des Jahres der Ausgliederung vom Ausgliedernden auf die übernehmende Gesellschaft über. Dies folgt, obwohl § 23 Abs. 1 UmwStG nicht auf § 4 Abs. 2 Satz 2 UmwStG verweist, aus allgemeinen ertragsteuerlichen Grundsätzen und gilt unabhängig davon, ob die Ausgliederung im Wege der (partiellen) Gesamtrechtsnachfolge nach dem Umwandlungsgesetz oder einer Einzelrechtsnachfolge erfolgt. Der körperschaft- oder einkommensteuerliche Verlustabzug ist persönlich auf den Einbringenden bezogen, er kann nicht Bestandteil des Ausgliederungsgegenstandes sein.526) Für die Gewerbesteuer ergibt sich diese Rechtsfolge unmittelbar aus § 23 Abs. 5 UmwStG bzw. R. 10a.3 Abs. 4 Satz 5 GewStR 2009. Übersteigen die durch die Ausgliederung aufzudeckenden stillen Reserven 368 das zuvor bestehende Verlustvortragsvolumen, dürfte die Verlustnutzung in der Regel nur im Rahmen der Mindestbesteuerungsgrenzen in §§ 10d EStG, 10a GewStG bei dem übertragenden Rechtsträger möglich sein.527)

___________ 526) Ritzer, in: Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG, § 23 Rn. 37. 527) Vgl. dazu im Einzelnen unter Rn. 59 f.

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L. Umwandlung

cc) Sanierungserlass 369 Ein Erlass von etwaig ausgelöster Gewerbesteuer oder Körperschaftsteuer nach dem sog. Sanierungserlass528) kommt nicht in Betracht. Auf die Gewerbesteuer findet der Sanierungserlass ohnehin keine Anwendung.529) Aber auch auf eine durch die Ausgliederung ausgelöste Körperschaftsteuer (nebst Solidaritätszuschlag) ist der Sanierungserlass nicht anwendbar, weil er eine Erhöhung des Gewinns durch einen Forderungsverzicht voraussetzt530) und die Aufdeckung der stillen Reserven nicht auf Forderungsverzichten beruht. Danach ist ein Antrag auf Erlass nach den allgemeinen Billigkeitsvorschriften gemäß §§ 163, 227 AO zu erwägen. dd) Umsatzsteuer 370 Aus umsatzsteuerlicher Sicht ist insbesondere die Frage zu beantworten, ob die Ausgliederung, die eine Sacheinlage oder eine Sachgründung gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten darstellt, als eine Geschäftsveräußerung i. S. d. § 1 Abs. 1a UStG zu beurteilen ist. In diesem Fall ist die Ausgliederung nach § 1 Abs. 1a Satz 1 UStG nicht umsatzsteuerbar und der erwerbende Unternehmer tritt nach § 1 Abs. 1a Satz 3 UStG an die Stelle des Veräußerers. Dementsprechend wird der nach § 15a Abs. 1 und 5 UStG maßgebliche Berichtigungszeitraum nicht unterbrochen, vgl. Abschnitt 16 Abs. 2 Satz 4 ff. UStAE. Findet § 1 Abs. 1a UStG keine Anwendung, kann eine Berichtigung nach § 15a UStG ausgelöst werden. Bei einer Grundstücksübertragung an einen anderen Unternehmer ist deshalb ein Verzicht auf die Steuerfreiheit (§ 4 Nr. 9 lit. a) UStG) gemäß § 9 UStG zu erwägen. 371 Nach der Rechtsprechung des BFH handelt es sich bei Berichtigungsansprüchen gemäß § 15a UStG, die durch den Insolvenzverwalter ausgelöst werden, um Masseverbindlichkeiten gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, die nach § 53 InsO vorrangig aus der Masse zu berichtigen sind.531) ee) Grunderwerbsteuer 372 Werden im Rahmen der Ausgliederung Grundstücke übertragen, so unterliegt dieser Vorgang nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 GrESt der Grunderwerbsteuer.532) ___________ 528) BMF-Schreiben vom 27.3.2003 – IV A 6-S 2140-8/03, BStBl I 2003, 240; vgl. ausführlich zum Sanierungserlass Rn. 121 ff. 529) BMF-Schreiben vom 27.3.2003 – IV A 6-S 2140-8/03, BStBl I 2003, S240 Rn. 15; vgl. dazu im Einzeln unter Rn. 121 ff. 530) BMF-Schreiben vom 27.3.2003 – IV A 6-S 2140-8/03, BStBl I 2003, 240 Rn. 3. 531) BFH, Urt. v. 8.3.2012 – V R 24/11, BStBl II 2012, 466 = ZIP 2012, 684, dazu EWiR 2012, 289 (Schmittmann) (betreffend Veräußerung) und BFH, Urt. v. 9.2.2011 – XI R 35/09, BStBl II 2011, 1000 = ZIP 2011, 1222 (m. Anm. Kahlert, S. 1225), dazu EWiR 2011, 471 (de Weerth) (betreffend vor Insolvenzeröffnung verwirklichte Berichtigungslage – steuerfreie Vermietung – die nach Insolvenzeröffnung fortgesetzt wird). 532) Vgl. Fischer, in: Boruttau, GrEStG, § 1 Rn. 531 m. w. N.

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III. Umwandlung nach Insolvenzeröffnung – Schwerpunkt Ausgliederung

Die Steuervergünstigung nach § 6a GrEStG (Konzernklausel) findet keine Anwendung. Denn die Nachbehaltensfrist von fünf Jahren nach § 6a Satz 4 GrEStG wird jedenfalls nicht erfüllt, weil die gewährten Anteile an dem übernehmenden Rechtsträger unmittelbar an den Investor veräußert werden. ff) Steuerhaftung Nach § 75 Abs. 1 AO haftet der Erwerber eines an ihn übereigneten Unter- 373 nehmens oder in der Gliederung eines Unternehmens gesondert geführten Betriebs für die dort bestimmten Betriebssteuern. Nach § 75 Abs. 2 AO gilt diese Haftung unter anderem nicht für Erwerbe aus einer Insolvenzmasse. Nach allgemeiner Meinung findet § 75 Abs. 1 AO bei einer Gesamtrechtsnachfolge mangels „Übereignung“ zwar keine Anwendung.533) Da die Ausgliederung aus steuerlicher Sicht jedoch als Einzelrechtsnachfolge und nicht als Gesamtrechtsnachfolge zu beurteilen ist (vgl. dazu Rn. 361), findet § 75 Abs. 1 AO auf die Ausgliederung grundsätzlich Anwendung. Allerdings ist die Anwendung des § 75 Abs. 1 AO nach § 75 Abs. 2 AO ausgeschlossen, da der Erwerb im Rahmen des Insolvenzplans aus der Insolvenzmasse erfolgt.534) Die vorstehenden Ausführungen gelten entsprechend für § 11 Abs. 2 GrStG.

___________ 533) Tipke/Kruse-Loose, AO, § 75 Rn. 30 (Stand: 5/2010) und Hübschmann/Hepp/SpitalerBoeker, AO, § 75 Rn. 56 (Stand: 08/2011) jeweils betreffend Erbfall und Anwachsung unter Bezugnahme auf BFH, Urt. v. 9.2.1961 – V 107/59 U, BStBl III 1961, 174 (betreffend Anwachsung). 534) Vgl. zu § 75 Abs. 2 AO Klein-Rüsken, AO, § 75 Rn. 45.

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M. Aufrechnung I. Wesen der Aufrechnung Gemäß § 226 Abs. 1 AO gelten für die Aufrechnung mit Ansprüchen aus 374 dem Steuerschuldverhältnis sowie für die Aufrechnung gegen diese Ansprüche die Vorschriften des bürgerlichen Rechts (§§ 387 ff. BGB) sinngemäß, soweit nicht ein anderes bestimmt ist. § 387 BGB definiert die Aufrechnung wie folgt: Schulden zwei Personen ein- 375 ander Leistungen, die ihrem Gegenstand nach gleichartig sind, so kann jeder Teil seine Forderung gegen die Forderung des anderen Teils aufrechnen, sobald er die ihm gebührende Leistung fordern und die ihm obliegende Leistung bewirken kann. Nach § 388 Satz 1 BGB erfolgt die Aufrechnung durch Erklärung gegenüber dem anderen Teil und bewirkt gemäß § 389 BGB, dass die Forderungen, soweit sie sich decken, als in dem Zeitpunkt erloschen gelten, in welchem sie einander zur Aufrechnung gegenüber standen. Die Forderung, gegen die aufgerechnet wird, wird als Hauptforderung, die Forderung, mit der aufgerechnet wird, wird als Gegenforderung bezeichnet.535) Die Aufrechnung hat zwei wesentliche Funktionen: Zum einen bewirkt sie 376 die Tilgung der Hauptforderung und ist damit ein Erfüllungssurrogat. Zum anderen gibt sie dem Schuldner die Möglichkeit, seine Gegenforderung im Wege der Selbsthilfe durchzusetzen. Das Recht zur Aufrechnung hat somit auch eine Sicherungs- und Vollstreckungsfunktion.536) Die Sicherungs- und Vollstreckungsfunktion kann sowohl für die Finanzbehörde als auch für den Insolvenzverwalter von Bedeutung sein: Für die Finanzbehörde könnte die Aufrechnung ein Mittel sein, eine (wert- 377 lose) Insolvenzforderung als Gegenforderung mit einem Steuererstattungsanspruch als Hauptforderung aufzurechnen, um auf diese Weise die Erfüllung ihrer (wertlosen) Insolvenzforderung zu erlangen. Hieran kann der Insolvenzverwalter kein Interesse haben, er möchte selbstverständlich den Steuererstattungsanspruch für die Masse einziehen und die Finanzbehörde auf die Insolvenzquote verweisen. Für den Insolvenzverwalter könnte die Aufrechnung ein Mittel darstellen, einen Steuererstattungsanspruch als Gegenforderung mit einer Steuerforderung, die als Masseverbindlichkeit zu qualifizieren ist (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 InsO) und für die er möglicherweise

___________ 535) Palandt-Grüneberg, BGB, § 387 Rn. 1. 536) Palandt-Grüneberg, BGB, § 387 Rn. 1; Koenig-Fritsch, AO, § 226 Rn. 3.

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M. Aufrechnung

persönlich haftet (§ 61 InsO), als Hauptforderung aufzurechnen, um die persönliche Haftung zu vermeiden.537) 378 Aus dem Gesagten wird deutlich, dass eine Aufrechnung durch den Insolvenzgläubiger Finanzbehörde die Befriedigung seiner steuerlichen Insolvenzforderung außerhalb des Insolvenzverfahrens bewirkt.538) II. Rechtsgrundlagen 379 Die Verweisung ins bürgerliche Recht gemäß § 226 Abs. 1 AO erfasst nicht nur die §§ 387 ff. BGB, sondern auch die §§ 406 ff. BGB (Aufrechnung gegenüber dem neuen Gläubiger) und die allgemeinen Vorschriften des bürgerlichen Rechts wie Rechts- und Geschäftsfähigkeit, Willenserklärung sowie Vertretung und Vollmacht.539) 380 Andere Bestimmungen i. S. d. § 226 Abs. 1 AO finden sich zunächst in § 226 Abs. 2 – 4 AO. § 226 Abs. 2 AO schließt die Aufrechnung mit verjährten Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis aus, weil die Verjährung von Steueransprüchen gemäß § 47 AO zum Erlöschen des Steueranspruchs führt. Demgegenüber bewirkt die Verjährung im bürgerlichen Recht nicht das Erlöschen des Anspruchs, sondern begründet gemäß § 214 BGB lediglich eine Einrede. Gemäß § 226 Abs. 3 AO kann der Steuerpflichtige nur mit unbestrittenen oder rechtskräftig festgestellten Gegenansprüchen aufrechnen. Eine solche Einschränkung kennt das bürgerliche Recht nicht. § 226 Abs. 4 AO modifiziert das in § 395 BGB geregelte Prinzip der Kassenidentität. Für die Gegenseitigkeit genügt auf Seiten des Fiskus wahlweise die Ertrags- oder Verwaltungshoheit.540) Andere Bestimmungen i. S. d. § 226 Abs. 1 AO enthält auch die Insolvenzordnung. Im Insolvenzverfahren sind die §§ 94 ff. InsO zu beachten. Es handelt sich um insolvenzrechtliche Sondervorschriften, welche die gemäß § 226 Abs. 1 AO sinngemäß anzuwendenden Vorschriften des bürgerlichen Rechts modifizieren.541) 381 Hat das Finanzamt einen Abrechnungsbescheid über die Zulässigkeit der Aufrechnung erlassen, so entfaltet dieser bis zu seiner Aufhebung eine Bin___________ 537) Vgl. BFH, Urt. v. 4.5.2004 – VII R 45/03, BStBl II 2004, 815 = ZIP 2004, 1423 = ZVI 2004, 405, dazu EWiR 2004, 1063 (App). Der BFH hatte über einen Insolvenzfall zu befinden, in dem die Finanzbehörde eine Umsatzsteuerforderung (Insolvenzforderung) als Gegenforderung mit einem Lohnsteuererstattungsanspruch als Hauptforderung und der Insolvenzverwalter seinerseits den Lohnsteuererstattungsanspruch als Gegenforderung mit einer weiteren Umsatzsteuerforderung, die auf seinem Verhalten nach Insolvenzeröffnung beruhte, aufgerechnet haben. Dieser Fall verdeutlicht die unterschiedlichen Interessenlagen von Finanzbehörde und Insolvenzverwalter; vgl. zum Ganzen auch Rüsken, ZIP 2007, 2053. 538) Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, S. 85 ff. 539) BFH, Urt. v. 4.2.1997 – VII R 50/96, BStBl II 1997, 479; Koenig-Fritsch, AO, § 226 Rn. 4. 540) BFH, Urt. v. 25.4.1989 – VII R 105/87, BFH/NV 1990, 141 = ZIP 1989, 1580; Koenig-Fritsch, AO, § 226 Rn. 20. 541) Koenig-Fritsch, AO, § 251 Rn. 82; vgl. dazu im Einzelnen unter Rn. 387 ff.

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II. Rechtsgrundlagen

dungswirkung, an die auch die Zivilgerichte gebunden sind. Statthafter Rechtsweg für eine Klage gegen den Abrechnungsbescheid ist stets der Finanzrechtsweg.542) 1. Gegenseitigkeit von Haupt- und Gegenforderung Gegenseitigkeit bedeutet, dass Schuldner und Gläubiger der jeweiligen For- 382 derungen identisch sein müssen. So besteht zwischen der Umsatzsteuerschuld einer OHG und dem Einkommensteuererstattungsanspruch ihres Gesellschafters keine Gegenseitigkeit.543) Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang § 226 Abs. 4 AO, der eine 383 Modifikation zu § 226 Abs. 1 AO enthält. Nach § 226 Abs. 1 AO kommt es für die Gegenseitigkeit darauf an, wem die Forderungen zustehen, weshalb Gläubiger der Steuerforderung grundsätzlich diejenige Körperschaft ist, der die Ertragshoheit zusteht, § 226 Abs. 1 AO, § 387 BGB.544) Gemäß § 226 Abs. 4 AO gilt für die Aufrechnung als Schuldner oder Gläubiger eines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis auch die steuerverwaltende Körperschaft.545) 2. Gleichartigkeit von Haupt- und Gegenforderung Haupt- und Gegenforderung müssen auf eine gleichartige Leistung gerichtet 384 sein. Das ist bei Steueransprüchen (§ 37 AO) stets der Fall, weil diese immer auf Geld gerichtet sind, § 3 Abs. 1 AO.546) 3. Erfüllbarkeit der Hauptforderung Die Hauptforderung muss (nur) erfüllbar sein. Im Vergleich dazu muss die 385 Gegenforderung vollwirksam und fällig sein.547) 4. Fälligkeit der Gegenforderung Die Fälligkeit einer festzusetzenden Steuerforderung als Gegenforderung 386 tritt frühestens mit der Bekanntgabe des Bescheids ein, § 220 Abs. 2 Satz 2 AO. Da die Finanzbehörde nicht berechtigt ist, Steuerforderungen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch Steuerbescheid festzusetzen,548) könnte ___________ 542) Vgl. BGH, Urt. v. 21.9.2006 – IX ZR 89/05, ZIP 2006, 2234 = ZVI 2007, 29 = DB 2006, 2682. 543) Koenig-Fritsch, AO, § 226 Rn. 11. 544) Vgl. Koenig-Fritsch, AO, § 226 Rn. 20; Hübschmann/Hepp/Spitaler-Rozek, AO, § 226 AO Rn. 16. 545) Vgl. Koenig-Fritsch, AO, § 226 Rn. 20. 546) Vgl. Koenig-Fritsch, AO, § 226 Rn. 24 f. 547) Vgl. Klein-Rüsken, AO, § 226 Rn. 8 ff. 548) Vgl. dazu Kahlert/Rühland-Kahlert, Sanierungs- und Insolvenzsteuerrecht, Rn. 8.71 m. N. aus der Rechtsprechung.

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M. Aufrechnung

diese Voraussetzung niemals erfüllt werden. § 41 Abs. 1 InsO, wonach nicht fällige Forderungen als fällig gelten, hilft nicht weiter, weil diese Vorschrift im Rahmen einer Aufrechnung gemäß § 95 Abs. 1 Satz 2 InsO keine Anwendung findet. Aus diesem Grunde wendet der BFH in diesen Fällen § 220 Abs. 2 Satz 1 AO mit der Folge an, dass dann, wenn über das Vermögen des Steuerschuldners ein Insolvenzverfahren eröffnet wird, die in diesem Zeitpunkt entstandenen Steuerforderungen der Finanzbehörde fällig werden, ohne dass es dafür ihrer Festsetzung (§ 155 AO) oder Feststellung durch Verwaltungsakt (§ 251 Abs. 3 AO) oder einer Anmeldung der Forderung zur Tabelle bedürfte (§ 174 InsO), es sei denn, es existieren spezielle steuergesetzliche Fälligkeitsbestimmungen.549) III. Insolvenzrechtliche Aufrechnungsverbote 1. §§ 94, 95 InsO 387 Nach § 94 InsO hindert die Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Aufrechnung grundsätzlich nicht. Nach dieser Vorschrift wird das Recht zur Aufrechnung nicht berührt, wenn ein Insolvenzgläubiger zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens kraft Gesetzes oder aufgrund einer Vereinbarung zur Aufrechnung befugt ist. Eine Anmeldung zur Insolvenztabelle (§ 174 InsO) ist im Falle der Aufrechnung nicht erforderlich. Vielmehr erfolgt die Erklärung der Aufrechnung gegenüber dem Insolvenzverwalter. 388 Besonderheiten gelten gemäß § 95 InsO, wenn die Aufrechnungslage nicht bereits zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorliegt, sondern erst während des Insolvenzverfahrens eintritt. Dazu Folgendes: 389 Nach § 95 Abs. 1 Satz 1 InsO kann die Aufrechnung (noch) nicht erfolgen, wenn eine der aufzurechnenden Forderungen aufschiebend bedingt oder noch nicht fällig ist oder die Forderungen nicht gleichartig sind. In diesen Fällen kann die Aufrechnung gemäß § 95 Abs. 1 Satz 1 InsO erst erfolgen, wenn ihre Voraussetzungen eingetreten sind. Nach § 95 Abs. 1 Satz 2 InsO sind die §§ 41 bis 45 InsO nicht anzuwenden. Dies bedeutet, dass für die Fälligkeit der Gegenforderung § 41 InsO nicht gilt, also die Gegenforderung nicht mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens für die Aufrechnung als fällig gilt. Gemäß § 95 Abs. 1 Satz 3 InsO ist die Aufrechnung ausgeschlossen, wenn die Forderung, gegen die aufgerechnet werden soll (Hauptforderung) unbedingt oder fällig wird, bevor die Aufrechnung erfolgen kann. Die Aufrechnung ist in diesen Fällen ausgeschlossen, nicht nur aufgeschoben. Geltungsgrund für diesen Aufrechnungsausschluss ist, dass der Insolvenzgläubiger in einer solchen Situation nicht darauf vertrauen konnte, sich von seiner Verpflichtung durch Aufrechnung befreien zu können. Dies deshalb, weil der ___________ 549) BFH, Urt. v. 4.5.2004 – VII R 45/03, BStBl II 2004, 815 = ZIP 2004, 1423 = ZVI 2004, 405; BFH, Urt. v. 10.5.2007 – VII R 18/05, BStBl II 2007, 914 = ZIP 2007, 1514, dazu EWiR 2008, 85 (Onusseit); OFD Nürnberg, Verfügung v. 25.1.2005 – S 7100 – 620 St/43, ZInsO 2005, 584.

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III. Insolvenzrechtliche Aufrechnungsverbote

Insolvenzschuldner zu einem Zeitpunkt Zahlung verlangen konnte, als der Insolvenzgläubiger noch keine Möglichkeit hatte, der Zahlung durch Aufrechnung zuvorzukommen.550) 2. § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO Nach § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist die Aufrechnung unzulässig, wenn ein In- 390 solvenzgläubiger erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden ist. Der V. Senat des BFH (zuständig für die Festsetzung der Umsatzsteuer) und 391 der VII. Senat des BFH (zuständig für die Abrechnungsbescheide, also auch für die Aufrechnung) haben die Begründetheit i. S. d. § 38 InsO (für das Festsetzungsverfahren) und das Schuldigwerden i. S. d. § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO (für das Erhebungsverfahren, also für die Aufrechnung) im Umsatzsteuerrecht lange Zeit unterschiedlich ausgelegt, obwohl die Vorschriften auf demselben Rechtsgedanken beruhen. Diese unterschiedliche Auslegung hat den Fiskus privilegiert. Für den V. Senat des BFH ist maßgeblich, ob und wann der Steuertatbestand nach steuerlichen Grundsätzen verwirklicht und damit abgeschlossen ist, wobei es auf die steuerliche Entstehung und die Fälligkeit nicht ankommt. Auf dieser Grundlage gelingt es dem V. Senat des BFH Steuerforderungen zunehmend als Masseverbindlichkeiten zu qualifizieren, indem er die Begründetheit in das Insolvenzverfahren „verlagert“.551) Demgegenüber stellte der VII. Senat des BFH unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des IX. Senats des BGH darauf ab, wann der dem Steuertatbestand zugrunde liegenden zivilrechtlichen Sachverhalts – also die Lieferung oder sonstige Leistung – im Kern verwirklicht war und gelangte damit zu einer Zulässigkeit von Aufrechnungen, indem er das Schuldigwerden von Steuererstattungen vor das Insolvenzverfahren „verlagerte“. Der VII. Senat des BFH hat seine Rechtsprechung inzwischen aus Gründen der Einheitlichkeit der Rechtsprechung i. S. d. Rechtsprechung des V. Senats des BFH geändert.552) 3. § 96 Abs. 1 Nr. 2 InsO Nach § 96 Abs. 1 Nr. 2 InsO ist eine Aufrechnung des Weiteren unzulässig, 392 wenn der Insolvenzgläubiger die Forderung (Gegenforderung) erst nach der Eröffnung des Verfahrens von einem anderen Gläubiger erworben hat. ___________ 550) Vgl. Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, S. 89. 551) Vgl. nur BFH, Urt. v. 9.12.2010 – V R 22/10, BStBl II 2011, 996 = ZIP 2011, 782 (m. Bespr. Schmittmann, S. 1125 u. Welte/Friedrich-Vache, S. 1595). Der XI. Senat des BFH, der auch für die Umsatzsteuer zuständig ist, hat sich der Rechtsprechung des V. Senats des BFH angeschlossen, vgl. nur BFH, Urt. v. 11.7.2013 – XI B 41/13, BFH/ NV 2013, 1647 = ZIP 2013, 1680; vgl. zum Ganzen Kahlert, ZIP 2013, 500. 552) BFH, Urt. v. 25.7.2012 – VII R 29/11, BStBl II 2013, 36 = ZIP 2012, 2217 = DB 2012, 2556, dazu EWiR 2013, 17 (Ries) mit Anm. Kahlert. Nach dieser Rechtsprechungsänderung gehören sämtliche Aufrechnungsfälle auf den Prüfungstand, vgl. Kahlert, ZIP 2013, 500.

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M. Aufrechnung

4. § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO 393 Nach § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO ist eine Aufrechnung unzulässig, wenn ein Insolvenzgläubiger die Möglichkeit der Aufrechnung durch eine anfechtbare Rechtshandlung erlangt hat. 394 Der VII. Senat des BFH hat in seinem Urteil vom 2.11.2010553) seine Rechtsprechung geändert und sich der Rechtsprechung des IX. Senats des BGH554) angeschlossen, wonach Lieferungen und sonstige Leistungen i. S. d. Umsatzsteuergesetzes Rechtshandlungen i. S. d. Insolvenzanfechtungsrechts darstellen und die damit verbundene Aufrechnungsmöglichkeit der Insolvenzanfechtung unterliegt. Der VII. Senat des BFH hatte über einen Fall zu befinden, in dem der Insolvenzschuldner im Insolvenzverfahren die Vorsteuer aus der Rechnung des vorläufigen Insolvenzverwalters ziehen wollte und der Fiskus den Vorsteuervergütungsanspruch (weitere Umsätze waren nicht vorhanden) mit Insolvenzforderungen aufrechnete. Der VII. Senat des BFH bejahte die Insolvenzanfechtung nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO und verneinte damit die Zulässigkeit der Aufrechnung nach § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO. 5. § 96 Abs. 1 Nr. 4 InsO 395 Nach dieser Bestimmung ist die Aufrechnung unzulässig, wenn ein Gläubiger, dessen Forderung aus dem freien Vermögen des Schuldners zu erfüllen ist, etwas zur Insolvenzmasse schuldet. Es geht um Sachverhalte, in denen der Gläubiger nach Insolvenzeröffnung eine Forderung gegen den Insolvenzschuldner erwirbt, die zum insolvenzfreien Vermögen gehört (Gegenforderung) und der Gläubiger diese Gegenforderung mit einer Forderung, die zur Insolvenzmasse gehört (Hauptforderung) aufrechnen möchte, wobei es gleichgültig ist, ob die Forderung vor oder nach Insolvenzeröffnung entstanden ist. Der Finanzbehörde ist es somit versagt, eine Steuerforderung gegen das insolvenzfreie Vermögen (Gegenforderung) mit einer Forderung der Insolvenzmasse (Hauptforderung) aufzurechnen, um auf diese Weise eine Steuerforderung gegen das insolvenzfreie Vermögen zulasten der Insolvenzmasse erfüllt zu bekommen.555) 6. Wegfall der Aufrechnungsverbote 396 Die mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens einhergehenden Beschränkungen der Aufrechnung (§§ 94 – 96 InsO) entfallen nach der Rechtsprechung des BFH bereits mit der Aufhebung des Insolvenzverfahrens gemäß

___________ 553) BFH, Urt. v. 2.11.2010 – VII R 6/10, BStBl II 2011, 374 = ZIP 2011, 181 (m. Anm. Kahlert, S. 185), dazu EWiR 2011, 87 (de Weerth). 554) BGH, Urt. v. 22.10.2009 – IX ZR 147/06, ZIP 2010, 90 = ZInsO 2009, 2334. 555) Vgl. Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, S. 90.

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III. Insolvenzrechtliche Aufrechnungsverbote

§ 200 InsO und nicht erst mit der Entscheidung des Insolvenzgerichts über die Restschuldbefreiung nach § 300 InsO.556) Der BGH hatte in seinem Urteil vom 19. Mai 2011557) über einen Sachverhalt 397 zu befinden, in dem der Schuldner nach formeller Rechtskraft des gerichtlich bestätigten Insolvenzplans und nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens einen Werklohnanspruch für vor Insolvenzeröffnung ausgeführte Bauleistungen gegen den Fiskus geltend machte. Der Fiskus rechnete daraufhin mit Steuerforderungen auf, die nach dem Insolvenzplan als erlassen galten. Der BGH hatte über die Rechtmäßigkeit der Aufrechnung zu befinden. Der BGH hat entschieden, dass Verbindlichkeiten, soweit sie nach dem In- 398 solvenzplan als erlassen gelten, zwar nicht erloschen sind, jedoch als natürliche Verbindlichkeiten fortbestehen, deren Erfüllung möglich ist, aber nicht erzwungen werden kann. Mit solchen nicht durchsetzbaren Forderungen kann nach dem BGH grundsätzlich nicht aufgerechnet werden. Etwas anders gelte allerdings dann, wenn die Aufrechnungslage bereits zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bestand. Deshalb hat der BGH die Aufrechnung des Fiskus als zulässig beurteilt. Im Übrigen hat es der BGH für zulässig gehalten, dass der betreffende Gläubiger einen Verzicht auf sein Aufrechnungsrecht erklärt oder – falls das nicht gelingt – die fortbestehende Aufrechnungsmöglichkeit bei der Gestaltung des Insolvenzplans einbezogen wird.558)

___________ 556) BFH, Beschl. v. 8.9.2008 – IV B 122/07, BFH/NV 2008, 2045. 557) BGH, Urt. v. 19.5.2011 – IX ZR 222/08, ZIP 2011, 1271, Rn. 10. 558) BGH , Urt. v. 19.5.2011 – IX ZR 222/08, ZIP 2011, 1271, Rn. 14.

149

N. Steuerhaftung gemäß § 69 AO I. Einleitung Zur Überwindung von Liquiditätsengpässen sehen Vertreter von Unterneh- 399 men oftmals von der Zahlung von Steuern ab. Die Gefahren aus einer Nichtzahlung von Steuern werden mit Blick auf die Fortführung des Unternehmens geringer eingeschätzt als die Gefahren aus einer Nichtzahlung von Löhnen oder Lieferantenforderungen. Hierbei wird häufig außer Acht gelassen, dass sich der Vertreter mit einem solchen Verhalten einem erheblichen persönlichen Haftungsrisiko aussetzt. Gelingt es dem Unternehmen nicht, die Liquiditätsengpässe zu überwinden und fällt die Finanzbehörde mit ihren Steuerforderungen aus, so prüfen die Finanzbehörden regelmäßig, ob eine Anwendung des § 69 AO und damit eine persönliche Inanspruchnahme der Vertreter in Betracht kommt. Zudem entstehen strafrechtliche Risiken gemäß § 370 AO (Steuerhinterziehung) oder gemäß § 378 AO (Leichtfertige Steuerverkürzung). § 71 AO knüpft eine zusätzliche Haftung an § 370 AO an, wonach unter anderem haftet, wer eine Steuerhinterziehung begeht oder an einer solchen Tat teilnimmt. Mit den nachfolgenden Ausführungen soll ein Überblick über die aktuelle Rechtsprechung des BFH zu § 69 AO gegeben werden. Hierbei soll ein besonderer Schwerpunkt auf die Schnittstelle mit dem Insolvenzrecht gelegt werden, weil Auslöser einer Haftungsinanspruchnahme in der Regel die Insolvenz des vertretenen Unternehmens ist. Gegenstand der Betrachtungen ist im Wesentlichen der Geschäftsführer einer GmbH. II. Überblick § 69 AO regelt das Einstehen für eine fremde Schuld (Haftung), weil Steuer- 400 schuldner nicht der Vertreter, sondern der von ihm Vertretene ist. Nach § 69 Satz 1 AO haften x

die in §§ 34, 35 AO bezeichneten Personen (vorstehend und nachstehend als „Vertreter“ bezeichnet), soweit

x

Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis

x

nicht festgesetzt werden oder

x

nicht rechtzeitig festgesetzt werden oder

x

nicht erfüllt werden oder

x

nicht rechtzeitig erfüllt werden oder

x

Steuervergütungen oder Steuererstattungen ohne rechtlichen Grund gezahlt werden und

x

dies infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung

x

der den Vertretern auferlegten Pflichten erfolgt.

151

N. Steuerhaftung gemäß § 69 AO

401 Nach § 69 Satz 2 AO erstreckt sich die Haftung auf die Steuerschuld, aber gleichermaßen auf die Säumniszuschläge (§ 240 AO), die infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Pflichtverletzung nicht erfüllt worden sind. 402 Der BFH hatte in der Vergangenheit den Schadensersatzcharakter des § 69 AO betont und aus diesem Verständnis heraus den Tatbestand und die Rechtsfolgen entwickelt. Im Zuge der Beantwortung der Fragen, ob eine erfolgreiche oder eine hypothetische Anfechtung der Steuerzahlung den Haftungsanspruch gemäß § 69 AO entfallen lassen, hat der BFH sein dogmatisches Verständnis von § 69 AO konkretisiert. Er entnimmt dem § 69 AO den Zweck, das Steueraufkommen durch Schaffung einer Rückgriffsmöglichkeit zu sichern (bisheriger Schadensersatzcharakter) und den Vertreter zur ordnungsgemäßen Erfüllung der ihm obliegenden Pflichten anzuhalten. Nach Ansicht des BFH handelt es sich bei dem Haftungsanspruch gemäß § 69 AO um eine Sonderverbindlichkeit gegenüber dem Fiskus, die mit den zivilrechtlichen Ansprüchen aus rechtsgeschäftlicher Haftung, Vertrauenshaftung und unerlaubter Handlung zwar vergleichbar sei, jedoch müssten aufgrund des besonderen Zwecks des § 69 AO Tatbestand und Rechtsfolgen eigenständig ermittelt werden. Das hat insbesondere Bedeutung für die Fragen, ob eine erfolgreiche oder eine hypothetische Anfechtung der Steuerzahlung durch den Insolvenzverwalter den Haftungsanspruch nach § 69 AO entfallen lassen. In diesem Zusammenhang erweitert der BFH den Tatbestand des § 69 AO um das aus dem Zivilrecht stammende Institut des Zurechnungszusammenhanges.559) III. Kreis der Vertreter 403 Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 AO haben die gesetzlichen Vertreter natürlicher und juristischer Personen und die Geschäftsführer von nicht rechtsfähigen Personenvereinigungen und Vermögensmassen deren steuerliche Pflichten zu erfüllen. Sie haben dabei insbesondere dafür zu sorgen, dass die Steuern aus den Mitteln entrichtet werden, die sie verwalten, § 34 Abs. 1 Satz 2 AO. Steht eine Vermögensverwaltung anderen Personen als den Eigentümern des Vermögens oder deren gesetzlichen Vertretern zu, so haben die Vermögensverwalter nach § 34 Abs. 3 AO die in § 34 Abs. 1 AO genannten Pflichten zu erfüllen, soweit ihre Verwaltung reicht. Wer als Verfügungsberechtigter im eigenen oder fremden Namen auftritt, hat nach § 35 AO die Pflichten eines gesetzlichen Vertreters nach § 34 Abs. 1 AO, soweit er sie rechtlich und tatsächlich erfüllen kann.560)

___________ 559) Vgl. dazu im Einzelnen die Ausführungen unter Rn. 466 ff. 560) Ausführlich zum Begriff des Verfügungsberechtigten Tipke/Kruse-Loose, AO, § 35 Rn. 2 ff.

152

III. Kreis der Vertreter

1. Vertreter einer GmbH § 34 Abs. 1 Satz 1 AO erfasst unter anderem die Geschäftsführer einer GmbH 404 als deren gesetzliche Vertreter.561) Bereits die formelle Bestellung zum Geschäftsführer eröffnet den Anwendungsbereich des § 34 Abs. 1 Satz 1 AO.562) Deshalb ändern auch weder Zahlungsschwierigkeiten oder Zahlungsunfähigkeit der GmbH etwas an den Pflichten des Geschäftsführers oder des Nachfolgegeschäftsführers, noch schließen sie das Verschulden des Geschäftsführers bei Nichterfüllung der Pflichten aus.563) Allerdings ist die Bestellung zum Geschäftsführer nicht zwingend erforderlich. Auch wer durch sein Handeln nach außen hin den Anschein erweckt, zur Führung der Geschäfte einer GmbH berechtigt zu sein, kann nach § 34 Abs. 1 Satz 1 AO in Anspruch genommen werden. In diesem Fall ist eine formelle Bestellung nicht erforderlich.564) Auch Liquidatoren einer GmbH fallen in den Anwendungsbereich des § 34 Abs. 1 Satz 1 AO.565) Wer die faktische Geschäftsführung einer GmbH innehat, kann nach Auffassung des BFH als Verfügungsberechtigter i. S. d. § 35 AO zur Haftung für die Steuern der GmbH herangezogen werden.566) Eine Eintragung als Geschäftsführer im Handelsregister ist in diesem Fall nicht erforderlich.567) So können auch Prokuristen als Verfügungsberechtigte i. S. d. § 35 AO beurteilt werden, wenn sie mit der Bezahlung von Steuerschulden befasst waren.568) Nach der Rechtsprechung des BFH erstreckt sich die Sperrwirkung des § 93 405 InsO nicht auf etwaig bestehende außergesellschaftsrechtliche Individualhaftungsansprüche, sodass eine haftungsrechtliche Inanspruchnahme gemäß § 69 AO auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens möglich ist.569) 2. Insolvenzverwalter Nach § 34 Abs. 3 AO haben auch Personen, denen die Vermögensverwal- 406 tung zusteht, die in § 34 Abs. 1 AO bezeichneten Pflichten zu erfüllen, so___________ 561) BFH, Urt. v. 26.2.2003 – I R 30/02, BFH/NV 2003, 1301. 562) BFH, Beschl. v. 7.3.1995 – VII B 172/94, BFH/NV 1995, 941 und BFH, Urt. v. 11.3.2004 – VII R 52/02, BStBl II 2004, 579 jew. m. w. N.; FG Köln, Urt. v. 4.9.2003 – 3 K 7676/00, EFG 2004, 154 zur Inanspruchnahme eines langfristig erkrankten Geschäftsführers. 563) BFH, Beschl. v. 16.2.2006 – VII B 122/05, BFH/NV 2006, 1051. 564) BFH, Beschl. v. 19.11.2002 – VII B 191/01, BFH/NV 2003, 442. 565) Der im Handelsregister eingetragene Liquidator ist auch dann wirksam verpflichtet, wenn seine Bestellung unwirksam ist; vgl. Klein-Rüsken, AO, § 34 Rn. 6a; ausführlich zur Anwendung der §§ 69, 34 AO auf den Liquidator Leibner/Pump, GmbHR 2003, 996. 566) BFH, Urt. v. 21.2.1989 – VII R 165/85, BStBl II 1989, 491. 567) BFH, Urt. v. 11.3.2004 – VII R 52/02, BStBl II 2004, 579. 568) Tipke/Kruse-Loose, AO, § 69 AO Rn. 11 m. w. N. 569) BFH, Beschl. v. 15.11.2012 – VII B 105/12, BFH/NV 2013, 587; BFH, Beschl. v. 11.3.2008 – VII B 214/06, BFH/NV 2008, 1291; BFH, Beschl. v. 2.11.2001 – VII B 155/01, BStBl II 2002, 73 = ZIP 2002, 179, dazu EWiR 2002, 217 (Wessel).

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N. Steuerhaftung gemäß § 69 AO

weit ihre Verwaltung reicht. Hierunter fallen nach der Rechtsprechung des BFH auch Insolvenzverwalter. Dies wird damit begründet, dass durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens das Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und über es zu verfügen, auf den Insolvenzverwalter übergeht, § 80 Abs. 1 InsO. Danach hat der Insolvenzverwalter die Pflichten zu erfüllen, die dem Schuldner ohne die Eröffnung des Verfahrens oblägen.570) Ein Insolvenzverwalter über das Vermögen des Geschäftsführers einer GmbH, welcher nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens von der GmbH geschuldete Lohnsteuer nicht abführt, haftet jedenfalls vor Ergänzung des § 35 InsO um die Absätze 2 und 3 nicht gemäß §§ 69, 34 Abs. 3 AO.571) 407 Ein (starker) vorläufiger Insolvenzverwalter erhält mit Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbotes nach § 22 Abs. 1 InsO die Verwaltungsund Verfügungsbefugnis. Er wird hierdurch zum Vermögensverwalter i. S. d. § 34 Abs. 3 AO.572) 408 Der (schwache) vorläufige Insolvenzverwalter ohne Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis ist dagegen kein Vermögensverwalter i. S. d. § 34 Abs. 3 AO. Er ist auch nicht Verfügungsberechtigter i. S. d. § 35 AO. Eine Haftung des schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters nach § 69 AO scheidet demnach regelmäßig aus.573) Dies gilt auch dann, wenn das Insolvenzgericht gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO angeordnet hat, dass Verfügungen nur mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam sind.574) Die §§ 34 Abs. 3, 35 AO sind auch dann nicht anwendbar, wenn der schwache vorläufige Insolvenzverwalter die ihm vom Insolvenzgericht übertragenen Verwaltungsbefugnisse überschreitet und tatsächlich über Gelder des verfügungsberechtigten Schuldners verfügt.575) Etwas anderes kann im Einzelfall dann gelten, wenn das Gericht den Pflichtenumfang des vorläufigen Insolvenzverwalters

___________ 570) BFH, Beschl. v. 30.12.2004 – VII B 145/04, BFH/NV 2005, 665; BFH, Urt. v. 15.3.1994 – XI R 45/93, BStBl II 1994, 600 = ZIP 1994, 1371, dazu EWiR 1994, 945 (Onusseit);, ausführlich zur steuerrechtlichen Haftung des Insolvenzverwalters Maus, ZInsO 2003, 965; Abenheimer, GmbHR 2005, 869; Koenig-Koenig, AO, § 34 Rn. 27; Klein-Rüsken, AO, § 34 Rn. 22 ff. 571) BFH, Urt. v. 21.7.2009 – VII R 49/08, BStBl II 2010, 13 = ZIP 2009, 2208 (m. Anm. Kahlert/Mordhorst, S. 2210), dazu EWiR 2010, 23 (Onusseit). 572) Koenig-Koenig, AO, § 34 Rn. 31. 573) BFH, Beschl. v. 30.12.2004 – VII B 145/04, BFH/NV 2005, 665; BFH, Beschl. v. 27.5.2009 – VII B 156/08, BFH/NV 2009, 1591 = ZIP 2009, 2255; OFD Frankfurt/ M., Vfg. v.25.5.2007, S 7340 A – 85 – St 11, Rn. 16; der schwache vorläufige Insolvenzverwalter soll insoweit nur nach § 191 Abs. 1 AO i. V. m. § 60 Abs. 1 InsO in Anspruch genommen werden können. 574) BFH, Beschl. v. 3.12.2004 – VII B 178/04, BFH/NV 2005, 661. 575) BFH, Beschl. v. 27.5.2009 – VII B 156/08, BFH/NV 2009, 1591 = ZIP 2009, 2255; bestätigt durch BFH, Beschl. v. 8.12.2010 – VII B 102/10, BFH/NV 2011, 740.

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III. Kreis der Vertreter

nach § 22 Abs. 2 InsO weiter fassen sollte,576) was in der Praxis jedoch keine große Rolle spielen dürfte. 3. (Vorläufiger) Sachwalter In der Eigenverwaltung geht die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis weder 409 auf den vorläufigen Sachwalter noch auf den Sachwalter über. Der (vorläufige) Sachwalter ist deshalb – anders als ein Insolvenzverwalter und vergleichbar einem vorläufigen Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt – nicht als Vermögensverwalter i. S. d. § 34 Abs. 3 InsO zu beurteilen.577) Deshalb scheidet insoweit eine Steuerhaftung gemäß § 69 AO aus. Sollte der (vorläufige) Sachwalter die Kassenführung gemäß § 275 Abs. 2 InsO 410 übernehmen, so ist die Frage zu beantworten, ob die Voraussetzungen des § 35 AO erfüllt sind.578) Nach dieser Vorschrift hat, wer als Verfügungsberechtigter im eigenen oder fremden Namen auftritt, die Pflichten eines gesetzlichen Vertreters (§ 34 Abs. 1 AO) zu erfüllen, soweit er sie rechtlich und tatsächlich erfüllen kann. Nach der Gesetzesbegründung ist Verfügungsberechtigter i. S. des § 35 AO 411 jeder, der wirtschaftlich über Mittel, die einem anderen gehören, verfügen kann und als Verfügungsberechtigter auftritt.579) Weder der Wortlaut der Vorschrift noch die Gesetzesbegründung setzen ein Auftreten gegenüber der Finanzbehörde voraus. In diesem Sinne legt der VII. Senat des BFH § 35 AO aus. Er hält für maßgeblich, dass nach dem im Gesetz zum Ausdruck kommenden Willen des Gesetzgebers in der Verfügung über die Mittel eines anderen eine herausragende, tatsächlich wahrgenommene Machtbefugnis zu erblicken sei, die es rechtfertige, dies als eigenständiges Kriterium für den Übergang der Verpflichtung zur Erfüllung der steuerlichen Pflichten zu wählen und einen solchermaßen Verfügenden dem gesetzlichen Vertreter unabhängig davon gleichzustellen, wem gegenüber die Verfügung vorgenommen worden ist.580) Danach ist der vorläufige Sachwalter nach Übernahme der Kassenführung als 412 Verfügungsberechtigter i. S. des § 35 AO zu beurteilen, wenn er (1) aufgrund Verfügungsmacht berechtigt ist, im Außenverhältnis wirksam zu handeln und (2) die steuerlichen Pflichten rechtlich und tatsächlich erfüllen kann. Dazu das Folgende: ___________ 576) Vgl. Koenig-Koenig, AO, § 34 Rn. 31 f. 577) Vgl. im Einzelnen unter Rn. 426 ff. und Kahlert, in: Kübler, HRI, § 57 Rn. 26; so auch Kübler/Prütting/Bork-Pape, InsO, § 274 Rn. 49 hinsichtlich des Sachwalters. 578) Vgl. zur weiten Auslegung des § 35 AO BGH, Urt. v. 9.4.2013 – 1 StR 586/12, NJW 2013, 2449, dazu EWiR 2013, 537 (Brammsen) unter Bezugnahme auf die Rspr. des BFH; siehe dazu die Besprechung von Kaiser/Grimm, DStR 2014, 179. 579) BT-Drucks. VI/1982 zu § 38, S. 111. 580) BFH, Urt. v. 27.11.1990 – VII R 20/89, BStBl. II 1991, 284, Rn. 15.

155

N. Steuerhaftung gemäß § 69 AO

413 Die Verfügungsmacht kann auf Gesetz, behördlicher oder gerichtlicher Anordnung oder Rechtsgeschäft beruhen.581) Nach der Literatur handelt der vorläufige Sachwalter dann, wenn er die Kassenführung übernimmt, insoweit als gesetzlicher Vertreter des Schuldners.582) Auf dieser Grundlage ist er aufgrund gesetzlicher Verfügungsmacht berechtigt, im Außenverhältnis wirksam für den eigenverwaltenden Schuldner zu handeln.583) 414 Fraglich ist, ob und wenn ja inwieweit der vorläufige Sachwalter die steuerlichen Pflichten des gesetzlichen Vertreters rechtlich und tatsächlich erfüllen kann. Der Umfang der zu erfüllenden Pflichten hängt im Einzelfall davon ab, inwieweit demjenigen, der als Verfügungsberechtigter auftritt, Verfügungsbefugnisse nach außen eingeräumt sind und ob er tatsächlich und rechtlich in der Lage ist, die steuerlichen Pflichten zu erfüllen.584) So kann ein Prokurist, der nach § 34 AO nicht unmittelbar für die Erfüllung der steuerlichen Pflichten verantwortlich ist, nach § 35 i. V. m. § 69 AO nur als Haftender in Anspruch genommen werden, wenn zu seinem Pflichtenkreis auch die Wahrnehmung der steuerlichen Pflichten des Geschäftsherrn gehört oder wenn er tatsächlich die steuerlichen Angelegenheiten erledigt. Die steuerrechtlichen Pflichten gemäß § 35 AO setzen danach eine interne Kompetenzzuweisung oder eine Überschreitung der internen Pflichtenbindung durch den Prokuristen voraus.585) Eine Haftung nach § 35 AO erfordert deshalb, dass gerade auch die steuerlichen Pflichten in den Aufgabenbereich des Verfügungsberechtigten fallen.586) 415 Die Kernfrage lautet somit, ob die Übernahme der Kassenführung auch die Pflicht des vorläufigen Sachwalters beinhaltet, gemäß § 35 i. V. m. § 34 Abs. 1 AO dafür zu sorgen, dass die Steuern aus den verwalteten Mitteln entrichtet werden. Hieran bestehen m. E. erhebliche Zweifel, weil der eigenverwaltende Schuldner im Eröffnungsverfahren der Eigenverwaltung der Massesicherungspflicht unterliegt und die Steuerzahlungspflicht deshalb suspendiert ist.587) Für den vorläufigen Sachwalter kann somit kein anderes Pflichtenprogramm gelten.588) Diese Rechtslage ist allerdings in doppelter Hinsicht unsicher. Zum einen geht der VII. Senat des BFH bislang nicht von einer Sus___________ 581) Tipke/Kruse-Loose, AO, § 35 Rn. 5. 582) Vgl. im Einzelnen unter Rn. 426 ff. 583) So auch Thole, DB 2015, 662 (unter V.); a. A. Hobelsberger, DStR 2013, 2545 (unter 2.3). Er ist der Meinung, der Anwendungsbereich des § 35 AO sei nicht eröffnet, weil die Kassenführung lediglich zur Entgegennahme und Ausführungen von Zahlungen befuge und somit nicht, was § 35 AO voraussetze, zu Verfügungen. 584) Hübschmann/Hepp/Spitaler-Boeker, AO, § 35 Rn. 14 (Stand: 11/2009). 585) Vgl. BFH, Urt. v. 19.7.1984 – V R 70/79, ZIP 1985, 120 = BStBl. II 1985, 147. 586) Vgl. FG Hamburg v. 13.8.2012 – 6 V 31/12, juris, und FG Köln v. 7.10.2003 – 5 V 2047/03, juris. 587) Vgl. im Einzelnen unter Rn. 427 ff. 588) So auch Thole, DB 2015, 662 (unter V.).

156

IV. Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis

pendierung der Steuerzahlungspflicht im Eröffnungsverfahren aus.589) Zum anderen hat der VII. Senat des BFH einen vom Gericht bestellten Sachwalter, dem zugleich vom Vergleichsschuldner durch Treuhandvertrag alle Verfügungsrechte über das Vermögen eingeräumt worden sind, als Verfügungsberechtigten gemäß § 35 AO beurteilt.590) Auf dieser Grundlage kann nicht ausgeschlossen werden, dass der VII. Senat des BFH den vorläufigen Sachwalter bei Übernahme der Kassenführung auch als verpflichtet ansehen wird, dafür Sorge zu tragen, dass die Steuern aus den verwalteten Mitteln bezahlt werden.591) IV. Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis Die in § 69 AO aufgeführten Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis sind 416 in § 37 Abs. 1 AO definiert. Hierunter fallen nach dieser Vorschrift der Steueranspruch, der Steuervergütungsanspruch, der Haftungsanspruch, der Anspruch auf eine steuerliche Nebenleistung, der Erstattungsanspruch gemäß § 37 Abs. 2 AO sowie die in den Einzelsteuergesetzen geregelten Steuererstattungsansprüche. Die Haftungsinanspruchnahme setzt nach der Rechtsprechung des BFH nur das materiell-rechtliche Entstehen der betreffenden Steuer, nicht deren vorherige Festsetzung voraus. Allerdings ist erforderlich, dass eine Festsetzung noch grundsätzlich möglich wäre.592) Der BFH steht auf dem Standpunkt, dass er zu einer Überprüfung der in 417 dem Haftungsbescheid festgesetzten Steuer gemäß § 166 AO nicht befugt ist, wenn der Vertreter in der Lage gewesen wäre, den Steuerbescheid anzufechten. Hierbei kommt es nach Meinung des BFH allein auf die rechtliche Befugnis zur Anfechtung an, weshalb es unerheblich sein soll, ob der Vertreter die Steueranmeldungen oder die Steuererklärungen selbst erstellt oder unterschrieben und ob er deren Inhalt gekannt hat.593) Nach einer Entscheidung des FG Rheinland-Pfalz aus 2014 muss der Ge- 418 schäftsführer eine Steuerfestsetzung auch nach einem Einspruch gemäß § 166 AO gegen sich gelten lassen, wenn er nach Insolvenzeröffnung über das Vermögen der Gesellschaft keinen Widerspruch gegen die Feststellung zur Tabelle erhebt.594) Dem ist das FG Köln mit einer Entscheidung aus demselben Jahr mit überzeugenden Gründen entgegengetreten.595) ___________ 589) 590) 591) 592)

Vgl. im Einzelnen unter Rn. 440. BFH, Urt. v. 13.9.1988 – VII R 35/85, ZIP 1989, 657. Vgl. im Einzelnen unter Rn. 425 ff. BFH, Beschl. v. 5.5.1999 – VII B 311/98, BFH/NV 1999, 1445; vgl. Koenig-Intemann, AO, § 69 Rn. 2. 593) BFH, Urt. v. 20.1.1998 – VII R 80/97, BFH/NV 1998, 814; vgl. auch FG Niedersachsen, Urt. v. 13.2.2007 – 11 V 205/06, EFG 2007, 1050. 594) FG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 25.2.2014 – 3 K 1283/12, EFG 2014, 1166 (rkr.). 595) FG Köln, Beschl. v. 24.11.2014 – 13 V 2905/14, juris.

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N. Steuerhaftung gemäß § 69 AO

V. Abgrenzung zu §§ 60, 61 InsO 419 Der BGH hat eine Ersatzpflicht des Insolvenzverwalters nach § 61 InsO hinsichtlich Steuern zu Recht verneint. Er hat dies mit der zutreffenden Erwägung begründet, dass diese Vorschrift nur dem Schutz von Gläubigern diene, die für oder im Zusammenhang mit ihrem Anspruch gegen die Masse eine Gegenleistung erbringen. Dies sei bei einem Gläubiger einer Steuerforderung jedoch nicht der Fall.596) Eine Haftung des Sachwalters nach § 61 InsO scheidet ohnehin aus, weil § 274 Abs. 1 InsO die Vorschrift des § 61 InsO nicht erwähnt.597) 420 Ebenso scheidet eine Haftung nach § 60 InsO aus. Denn der BGH hat in seiner vorzitierten Entscheidung vom 14.10.2010 zu Recht entschieden, dass ein insolvenzrechtlicher Schadensersatzanspruch gemäß § 60 InsO bei einer Steuerforderung ausscheidet, weil durch den Abschluss eines Veräußerungsgeschäfts keine insolvenzspezifischen Pflichten gegenüber dem Fiskus verletzt werden.598) VI. Pflichtenprogramm und Pflichtverletzung 421 Voraussetzung für eine Haftung nach § 69 Satz 1 AO ist, dass der Vertreter eine ihm auferlegte Pflicht verletzt hat. Bei diesen Pflichten handelt es sich, wie sich aus § 34 Abs. 1 Satz 1 AO („haben deren steuerliche Pflichten zu erfüllen“) ergibt, um die in der Abgabenordnung und in den Einzelsteuergesetzen geregelten Pflichten des Steuerschuldners.599) Eine Pflicht kann sowohl durch positives Tun (z. B. Abgabe einer inhaltlich unrichtigen Steuererklärung) als auch durch Unterlassen (z. B. Nichtabgabe einer Steuererklärung) verletzt werden. Der Bestimmung der im Einzelfall verletzten Pflichten kommt eine entscheidende Bedeutung zu. Die konkret verletzten Pflichten sind nicht nur jeweils Bezugspunkt des Verschuldens, sondern auch Ausgangspunkt für die Prüfung, welcher Steuerschaden kausal („infolge“) entstanden ist oder ob der (nach der neueren Rechtsprechung des BFH) Zurechnungszusammenhang gegeben ist. Deshalb können im konkreten Fall mehrere Pflichtverletzungen in Betracht kommen, die zu prüfen sind, und welche jeweils ein eigenes Schicksal haben können.600) Nach der Rechtsprechung des BFH gibt es für einen ehrenamtlich und unentgeltlich tätigen Vorsitzenden eines Vereins ___________ 596) BGH, Beschl. v. 14.10.2010 – IX ZB 224/08, ZIP 2010, 2252 = ZVI 2011, 226, dazu EWiR 2011, 59 (Ries). 597) Vgl. dazu Vallender, GmbHR 2012, 450, 454. 598) BGH, Beschl. v. 14.10.2010 – IX ZB 224/08, ZIP 2010, 2252 = ZVI 2011, 226. 599) Vgl. zu den Pflichten des Geschäftsführers einer GmbH Stahlschmidt, GmbHR 2005, 677; allgemein zur Pflichtverletzung Pump/Leibner, BB 2005, 2495; Mösbauer, DStZ 2006, 148. 600) Vgl. dazu FG Köln, Urt. v. 31.3.2009 – 8 K 1483/06 (rkr.), EFG 2009, 1359, 1361, li. Sp. m. w. N.

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VI. Pflichtenprogramm und Pflichtverletzung

keinerlei Haftungsprivilegien.601) Ein Haftungsprivileg kommt auch dann nicht in Betracht, wenn in der finanziellen Krise der GmbH die Geschäftsführung tatsächlich von anderen Personen, wie z. B. Sanierungsexperten, wahrgenommen wird.602) 1. Steuererklärungspflicht Der Vertreter ist verpflichtet, für den Vertretenen die Steuererklärungs- 422 pflichten zu erfüllen. Erfüllt der Vertreter diese Pflicht nicht und setzt die Finanzbehörde die Steuer deshalb nicht fest, so haftet der Vertretene. Das gilt auch dann, wenn auf Grundlage einer falschen Steuererklärung die Steuer zu niedrig festgesetzt wird.603) Nicht rechtzeitig festgesetzt wird eine Steuer, wenn die Steueranmeldung oder die Steuererklärung nicht oder nicht zu dem gesetzlich festgelegten Zeitpunkt abgegeben wird. Bei Veranlagungssteuern (z. B. Einkommensteuer, Körperschaftsteuer) stellt sich die Frage, auf welchen Zeitpunkt abzustellen ist, weil § 155 AO ohne Bestimmung eines Zeitpunktes die Festsetzung durch die Finanzbehörde regelt. Nach der Rechtsprechung des BFH ist darauf abzustellen, ob die Finanzbehörde unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles bei rechtzeitiger Abgabe der Steuererklärung die Steuerfestsetzung hätte realisieren können.604) 2. Steuerentrichtungspflicht a) Allgemeines – Mittelvorsorgepflicht Nach § 34 Abs. 1 Satz 2 AO hat der Vertreter insbesondere die Pflicht, die 423 Steuern aus den verwalteten Mitteln zu entrichten. Nach der Rechtsprechung des BFH erschöpft sich diese Pflicht nicht darin, die im Zeitpunkt der Fälligkeit der Steuern vorhandenen Mittel des Steuerschuldners zur Befriedigung des Fiskus einzusetzen. Der Vertreter ist vielmehr verpflichtet, die Mittel bereits vor Fälligkeit der Steuern so zu verwalten, dass er zur pünktlichen Tilgung auch der erst künftig fällig werdenden Steuerschulden in der Lage ist. Eine Pflichtverletzung liegt deshalb auch dann vor, wenn der Vertreter sich durch Vorwegbefriedigung anderer Gläubiger oder in sonstiger Weise schuldhaft außerstande setzt, künftig fällig werdende Steuerschulden, deren Entstehung ihm ___________ 601) BFH, Urt. v. 23.6.1998 – VII R 4/98, BStBl II 1998, 761, dazu EWiR 1998, 1063 (Kirberger); die im Entwurf eines Gesetzes zur Begrenzung der Haftung von ehrenamtlich tätigen Vereinsvorständen vorgesehen Privilegien in §§ 34, 69 AO im Falle einer Geschäftsverteilung (Drucks. 16/10120) konnten sich nicht durchsetzen (Drucks. 16/13537) und sind durch den Bundestag am 2.7.2009 nicht verabschiedet worden (Drucks. 692/09); vgl. zur Haftung von Vereinsvorständen Möllmann, DStR 2009, 2125. 602) BFH, Beschl. v. 12.5.2009 – VII B 266/08, BFH/NV 2009, 1589. 603) BFH, Urt. v. 12.4.1988 – VII R 131/85, BStBl II 1988, 742; vgl. Koenig-Intemann, AO, § 69 Rn. 44. 604) BFH, Urt. v. 29.11.2006 – I R 103/05, BFH/NV 2007, 1067.

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N. Steuerhaftung gemäß § 69 AO

bekannt ist, zu tilgen.605) In der finanziellen Krise verlangt der BFH von einem GmbH-Geschäftsführer, dass er vorausschauend plant und entsprechende Mittel zur Entrichtung von Steuern bereit hält, von denen er weiß, dass ihre Entstehung unmittelbar bevorsteht.606) Diese Pflichten beziehen sich aber allein auf die Erfüllung der Ansprüche des Fiskus, nicht auf deren Begründung. Der gesetzliche Vertreter einer GmbH ist nicht verpflichtet, allein deswegen von Geschäften Abstand zu nehmen, weil diese Steuern auslösen, die voraussichtlich nicht beglichen werden können.607) Die bloße Erwartung eines Kapitalzuflusses kann nach der Rechtsprechung des BFH den gesetzlichen Vertreter einer GmbH nur dann entlasten, wenn er aufgrund von verbindlichen und nachweisbaren Zusagen fest mit einem Zahlungseingang rechnen konnte. Allein das Vertrauen darauf, die Steuerrückstände durch Realisierung von Außenständen ausgleichen zu können, reicht für einen Haftungsausschluss nicht aus.608) 424 Eine Pflichtverletzung ist nach der Rechtsprechung des BFH auch gegeben, wenn die Nichtzahlung der fälligen Steuern in den Zeitraum fällt, in dem der Geschäftsführer wegen Eintritts der Zahlungsunfähigkeit oder Feststellung der Überschuldung einem Zahlungsverbot gemäß § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbH a. F. (heute § 64 Satz 1 GmbHG) unterliegt. Er hat seine bisherige Meinung, die Haftung entfalle jedenfalls innerhalb der dreiwöchigen Schonfrist gemäß § 64 Abs. 1 GmbHG a. F.,609) aufgegeben, nachdem der BGH entschieden hat,610) die zivilrechtliche Haftung wegen Steuerabführung nach § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG a. F. entfalle, weil dem organschaftlichen Vertreter nicht angesonnen werden könne, die fälligen Leistungen nicht zu erbringen, wenn er sich dadurch einer persönlichen deliktischen Haftung (§ 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 266a StGB oder §§ 34, 69 AO) oder der Strafbarkeit nach § 266a StGB aussetze. Der BFH hat seine Rechtsprechungsänderung damit begründet, dass die Entrichtung der fälligen Steuern auf Grundlage der neuen Rechtsprechung des ___________ 605) BFH, Urt. v. 16.12.2003 – VII R 77/00, BStBl II 2005, 249 = ZIP 2004, 1319 (LS) = ZfIR 2004, 656 (LS); BFH, Urt. v. 26.4.1984 – V R 128/79, BStBl II 1984, 776 = ZIP 1984, 1345. 606) BFH, Urt. v. 11.11.2008 – VII R 19/08, BStBl II 2009, 342 = ZIP 2009, 516, dazu EWiR 2009, 365 (Webel), zur Lohnsteuer. Nach BFH, Urt. v. 20.5.2014 – VII R 12/12, BFH/NV 3013, 1353, verletzt der Geschäftsführer seine Mittelvorsorgepflicht, wenn er vor seinem Ausscheiden ungeachtet der erkennbar entstehenden Steueransprüche für deren spätere Tilgung im Zeitpunkt der Fälligkeit keine Vorsorge trifft. 607) BFH, Urt. v. 16.12.2003 – VII R 77/00, BStBl II 2005, 249 = ZIP 2004, 1319 (LS) = ZfIR 2004, 656 (LS), zur Umsatzsteuer. 608) BFH, Beschl. v. 11.3.2008 – VII B 214/06, BFH/NV 2008, 1291. 609) BFH, Urt. v. 27.2.2007 – VII R 67/05, BStBl II 2009, 348 = ZIP 2007, 1604, dazu EWiR 2007, 523 (Beck). 610) BGH, Urt. v. 14.5.2007 – II ZR 48/06, ZIP 2007, 1265 (m. Bespr. Wilhelm, S. 1781) = DStR 2007, 1174, dazu EWiR 2007, 495 (Henkel/Mock); bestätigt durch BGH, Urt. v. 25.1.2011 – II ZR 196/09, ZIP 2011, 422 = BB 2011, 781, dazu EWiR 2011, 257 (Giedinghagen/Göb). Die Rechtsprechung des BGH betrifft die Umsatzsteuer, die Lohnsteuer und die Arbeitnehmeranteile an den Sozialversicherungsbeiträgen, die nach Insolvenzreife fällig werden oder rückständig sind.

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VI. Pflichtenprogramm und Pflichtverletzung

BGH als mit den Pflichten eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters (§ 62 Abs. 2 GmbHG a. F) vereinbar und die Nichtentrichtung als Pflichtverletzung angesehen werden muss.611) Diese Rechtsprechung des BFH missversteht den II. Zivilsenat des BGH.612) b) Insolvenzeröffnungsverfahren, insbesondere Eigenverwaltung Das ESUG gibt keine ausdrückliche Antwort auf die Frage, ob in dem mit 425 diesem Gesetz eingeführten Eröffnungsverfahren der Eigenverwaltung nach §§ 270a oder 270b InsO die Steuerzahlungspflicht oder die Massesicherungspflicht Vorrang hat. Der gesetzliche Vertreter steckt damit in einer Zwickmühle. Zahlt er die Steuern nicht, so muss er eine Haftungsinanspruchnahme gemäß §§ 69, 34 AO befürchten. Zahlt er die Steuern, so läuft er Gefahr, dass das Insolvenzgericht das Eröffnungsverfahren der Eigenverwaltung wegen eines Verstoßes gegen die Massesicherungspflicht aufhebt. Aus den nachfolgenden Ausführungen wird sich ergeben, dass die Steuerzahlungspflicht im Eröffnungsverfahren der Eigenverwaltung nach dem Prinzip der Einheit der Rechtsordnung suspendiert ist. aa) Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des eigenverwaltenden Schuldners Durch die Bestellung des vorläufigen Sachwalters gemäß § 270a Abs. 1 Satz 2 426 InsO oder § 270b Abs. 2 Satz 1 InsO i. V. m § 270a Abs. 1 Satz 2 InsO werden die dem Schuldner zustehenden Rechte nur im Innenverhältnis eingeschränkt, insbesondere verliert der Schuldner nicht die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis. Denn nach § 274 Abs. 2 InsO hat der vorläufige Sachwalter vorrangig die wirtschaftliche Lage des Schuldners zu prüfen und die Geschäftsführung sowie die Ausgaben für die Lebensführung des Schuldners zu überwachen. Auf den vorläufigen Sachwalter geht auch dann, wenn er von seinen Widerspruchs- oder Zustimmungsrechten gemäß § 275 Abs. 1 InsO oder von seinem Kassenführungsrecht gemäß § 275 Abs. 2 InsO Gebrauch macht, die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis nicht über. Denn die Widerspruchs- und Zustimmungsrechte gemäß § 275 Abs. 1 InsO wirken grundsätzlich nur im Innenverhältnis und haben auf die Wirksamkeit der Geschäfte des Schuldners im Außenverhältnis keinen Einfluss613) und im Falle der Übernahme des Kassenführungsrechts gemäß § 275 Abs. 2 InsO handelt der vorläufige Sachwalter zwar insoweit als gesetzlicher Vertreter des Schuldners, wodurch die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Schuldners jedoch

___________ 611) BFH, Urt. v. 23.9.2008 – VII R 27/07, BStBl II 2009, 129 = ZIP 2009, 122, zur Lohnsteuer. 612) Vgl. dazu im Einzelnen unter Rn. 434 ff. 613) Vgl. Tetzlaff, in: MünchKomm-InsO, § 275 Rn. 15 zum Sachwalter.

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N. Steuerhaftung gemäß § 69 AO

nicht verdrängt wird.614) Etwas anderes gilt auch dann nicht, wenn das Gericht auf Antrag des Schuldners gemäß § 270b Abs. 3 InsO anordnet, dass der Schuldner Masseverbindlichkeiten begründet. Auch in diesem Fall ist die Verfügungsbefugnis ausschließlich beim Schuldner konzentriert und der vorläufige Sachwalter ist lediglich auf eine Überwachungsfunktion begrenzt.615) bb) Pflichtenkollision: Steuerzahlungspflicht versus Massesicherungspflicht 427 Danach bleibt der Schuldner im Eröffnungsverfahren der Eigenverwaltung Inhaber seiner Rechte. Er ist weiterhin berechtigt, über seine Rechte zu verwalten und darüber zu verfügen. Der gesetzliche Vertreter hat im Eröffnungsverfahren der Eigenverwaltung somit die Rechtsmacht zur Zahlung von Steuern aus der Zeit vor oder nach Insolvenzantragstellung. Gleichwohl stellt sich die Frage, ob die Steuerzahlungspflicht zurücktritt. 428 Ausgangspunkt der Überlegungen ist, dass der Schuldner – wie vorstehend dargestellt – der Aufsicht des vorläufigen Sachwalters unterliegt. Der vorläufige Sachwalter hat insbesondere auch zu überwachen, ob die Ausgaben des Schuldners sorgfaltsgemäß sind. Hierbei hat sich der vorläufige Sachwalter maßgeblich am Zweck des Eröffnungsverfahrens zu orientieren. Dieser besteht insbesondere darin, im Interesse der Gläubiger das Vermögen des Schuldners bis zur Entscheidung über den Eröffnungsantrag zu sichern. Als Maßstab hierfür kann der Sorgfaltsmaßstab dienen, der an den vorläufigen Insolvenzverwalter anzulegen wäre.616) Nach der Rechtsprechung des IX. Senats des BGH hat der vorläufige Insolvenzverwalter die Pflicht, die künftige Masse zu sichern und zu erhalten. Daraus folgt nach dem IX. Senat des BGH die Pflicht des vorläufigen Insolvenzverwalters, Forderungen einzelner Gläubiger nur zu erfüllen – und damit das Schuldnervermögen zu vermindern –, wenn dies im Einzelfall zur Erfüllung der ihm obliegenden Aufgaben, etwa zur Fortführung des Schuldnerunternehmens, im Interesse der Gläubigergemeinschaft erforderlich oder wenigstens zweckmäßig ist.617) Danach liegt die Bezahlung von Steuern nicht im Interesse der Gläubigergemeinschaft.618) 429 Auf dieser Grundlage wird der vorläufige Sachwalter die Zahlung von Steuern durch den Schuldner als sorgfaltswidrig beurteilen und dem Insolvenzge___________ 614) Vgl. Kübler/Prütting/Bork-Pape, InsO, § 275 RN. 24 und Undritz, in: K. Schmidt, InsO, § 257 Rn. 7 zum Sachwalter. 615) So ausdrücklich Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses v. 26.10.2011, BT-Drucks. 17/7511, S. 37. 616) Vgl. dazu M. Hofmann, in: Kübler, HRI, § 7 Rn. 33 ff. 617) BGH, Urt. v. 4.11.2004 – IX ZR 22/03, ZIP 2004, 2442 (m. Anm. Bork, S. 2446 u. Bespr. Feuerborn, ZIP 2005, 604) = ZVI 2005, 33, dazu EWiR 2005, 121 (Gundlach/Frenzel) m. w. N. 618) Vgl. dazu Farr, DStR 2007, 706, 708.

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VI. Pflichtenprogramm und Pflichtverletzung

richt nach § 274 Abs. 2 InsO eine entsprechende Mitteilung machen müssen. Steht dem vorläufigen Sachwalter das Kassenführungsrecht gemäß § 275 Abs. 2 InsO zu, so wird er die Steuern nicht bezahlen dürfen. Sollte sich der vorläufige Sachwalter anders verhalten, kommt eine Haftung nach §§ 274 Abs. 1, 60 InsO sowie eine Untreuestrafbarkeit (§ 266 StGB) in Betracht.619) Aus dem Gesagten wird deutlich, dass der eigenverwaltende Schuldner und 430 damit auch sein gesetzlicher Vertreter einer Massesicherungspflicht unterliegen.620) Denn für den gesetzlichen Vertreter besteht bei einer Zahlung von Steuern die Gefahr, dass das Insolvenzgericht einen vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt und in der Folge das Insolvenzverfahren nicht in Form der Eigenverwaltung eröffnet. Die Eigenverwaltung wäre damit gescheitert. Der gesetzliche Vertreter wird deshalb im Interesse des von ihm vertretenen Schuldners erwägen müssen, Steuern nicht zu bezahlen. In diesem Fall läuft er allerdings – wie bereits gesagt – Gefahr, vom Fiskus nach §§ 69, 34 AO für die nicht abgeführten Steuern persönlich in Anspruch genommen zu werden. cc) Auflösung der Pflichtenkollision: Vorrang der Massesicherungspflicht Nach dem Gesagten stellt sich die Frage, ob die Pflicht zur Steuerzahlung 431 zurücktritt, weil sie dem Zweck des Eröffnungsverfahrens der Eigenverwaltung zuwiderlaufen würde. Diese Frage ist nach dem Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung zu bejahen.621) Das ergibt sich aus den folgenden Überlegungen: (1) Rechtsprechung zu § 64 GmbH a. F. (heute § 15a InsO) Der 5. Strafsenat des BGH hat in seinen Beschlüssen vom 30. Juli 2003622) 432 und vom 9. August 2005623) entschieden, dass der sich aus § 64 GmbHG a. F. (heute § 15a InsO) vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens ergebende Schutz___________ 619) Vgl. M. Hofmann, in: Kübler, HRI, § 7 Rn. 67 f. Dort wird allerdings zwischen Verbindlichkeiten, die vor der vorläufigen Eigenverwaltung begründet waren und Verbindlichkeiten, die während der vorläufigen Eigenverwaltung begründet werden, unterschieden. 620) Undritz, in: Festschrift Wehr, Rn. 43 sieht den eigenverwaltenden Schuldner einerseits „in der Pflicht, die künftige Insolvenzmasse zu sichern“ und meint andererseits, ihn treffe „eine verfahrensrechtliche Obliegenheit zur Sicherung der künftigen Masse.“ In der Literatur wird diskutiert, ob den gesetzlichen Vertreter die Massesicherungspflicht auf gesellschaftsrechtlicher Grundlage (so Haas, ZHR 2014, 603) oder auf insolvenzrechtlicher Grundlage (so Thole/Brünkmans, ZIP 2014, 1098) trifft. 621) Vgl. dazu auch Kahlert, ZIP 2012, 2089 und Kahlert, in: Kübler, HRI, § 57 Rn. 5 ff.; so im Anschluss auch Hobelsberger, DStR 2013, 2545 und Schmittmann/Dannemann, ZIP 2014, 1405, 1410. 622) BGH, Beschl. v. 30.7.2003 – 5 StR 221/03, ZIP 2003, 2213 = NJW 2003, 3787, dazu EWiR 2004, 453 (Berger/Herbst). 623) BGH, Beschl. v. 9.8.2005 – 5 StR 67/05, ZIP 2005, 1678 = ZVI 2005, 490 = NJW 2005, 3650.

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N. Steuerhaftung gemäß § 69 AO

zweck der Massesicherung Vorrang vor einer Strafbarkeit nach § 266a StGB wegen Nichtabführung von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung habe, soweit die Vorschrift Sanierungsbemühungen in dem dafür vorgesehenen Zeitraum gestatte. Außerhalb dieses Zeitraumes gelte allerdings ein Vorrang der Strafbarkeit bei Nichtabführung von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung. Der 5. Strafsenat des BGH hat den Vorrang der Massesicherung gegenüber der Strafbarkeit im Zeitraum der zulässigen Sanierungsbemühungen zutreffend mit dem Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung begründet. Denn andernfalls würde entgegen dem Schutzweck des § 64 GmbH a. F., im Interesse der Gesamtheit der Gläubiger die verteilungsfähige Vermögensmasse zu erhalten, eine ungerechtfertigte Befriedigung einzelner Gläubiger erfolgen. Deshalb werde die Zahlungspflicht von Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Zeitraum der zulässigen Sanierungsbemühungen suspendiert, womit eine Strafbarkeit entfalle.624) Der VII. Senat des BFH hat sich der vorstehend dargestellten Rechtsprechung des 5. Strafsenats des BGH in seinem Urteil vom 27. Februar 2007 hinsichtlich der Pflicht zur Abführung der Lohnsteuer angeschlossen.625) 433 Der II. Zivilsenat des BGH hat sich kurze Zeit später mit seinem Urteil vom 14. Mai 2007 nicht nur der vorstehend dargestellten Rechtsprechung des 5. Strafsenats des BGH (Vorrang der Massesicherungspflicht im Zeitraum der zulässigen Sanierungsbemühungen) angeschlossen, sondern darüber hinaus entschieden, dem organschaftlichen Vertreter könne nicht angesonnen werden, die fälligen Steuerzahlungen außerhalb des Zeitraumes der zulässigen Sanierungsbemühungen nicht zu erbringen, wenn er sich dadurch einer persönlichen Haftung (§ 69 AO) oder einer Ordnungswidrigkeit nach § 26b UStG (Nichtzahlung Umsatzsteuern) oder § 380 AO i. V. m. §§ 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 38 Abs. 3 Satz 1 EStG (Nichtzahlung Lohnsteuern) aussetze.626) 434 Auf dieser Grundlage hat der VII. Senat des BFH – allerdings in nicht entscheidungserheblicher Weise – gemeint, dass die Steuerzahlungspflicht innerhalb des Zeitraums der zulässigen Sanierungsbemühungen nicht suspendiert werde, weil die Entrichtung der fälligen Steuern nach der Rechtsprechung des II. Zivilsenats des BGH mit den Pflichten eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar sei und die Nichtzahlung somit als Pflichtverletzung angesehen werden müsse.627) ___________ 624) BGH, Beschl. v. 9.8.2005 – 5 StR 67/05, ZIP 2005, 1678 = ZVI 2005, 490 = NJW 2005, 3650, Rn. 18. 625) BFH, Urt. v. 27.2.2007 – VII R 67/05, BStBl II 2009, 348 = ZIP 2007, 1604. 626) BGH, Urt. v. 14.5.2007 – II ZR 48/06, ZIP 2007, 1265 (m. Bespr. Wilhelm, S. 1781) = ZInsO 2007, 660; BGH, Urt. v. 2.6.2008 – II ZR 27/07, ZIP 2008, 1275 = ZInsO 2008, 740, dazu EWiR 2008, 719 (Schreiber); BGH, Urt. v. 25.1.2011 – II ZR 196/09, ZIP 2011, 422 = ZInsO 2011, 440. 627) BFH, Urt. v. 23.9.2008 – VII R 27/07, BFH/NV 2009, 248 = ZIP 2009, 122.

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VI. Pflichtenprogramm und Pflichtverletzung

Der VII. Senat des BFH hat dabei verkannt, dass der II. Zivilsenat des BGH 435 in seinem Urteil vom 14. Mai 2007 über einen Fall zu befinden hatte, in dem es um die Nichtzahlung im Zeitraum außerhalb der zulässigen Sanierungsbemühungen ging. Der II. Zivilsenat des BGH hat deshalb allein entschieden, dass eine Steuerzahlung außerhalb der zulässigen Sanierungsbemühungen mit den Pflichten eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar sei. Alles andere ist auch nicht plausibel, weil der 5. Strafsenat des BGH, dem sich der II. Zivilsenat des BGH in seinem vorzitierten Urteil vom 14. Mai 2007 ausdrücklich angeschlossen hat, in seinen vorzitierten Beschlüssen vom 30. Mai 2003 und vom 9. August 2005 – wie vorstehend dargestellt – entschieden hat, dass innerhalb des Zeitraums der zulässigen Sanierungsbemühungen die Massesicherung Vorrang hat und eine Strafbarkeit gemäß § 266a StGB zurücktritt.628) Nach dem Gesagten suspendiert die vom Schutzweck des § 64 GmbHG a. F. 436 (heute § 15a InsO) geforderte Massesicherung im Zeitraum der zulässigen Sanierungsbemühungen eine Zahlungspflicht, weshalb eine Strafbarkeit nach § 266a StGB und eine Steuerhaftung nach § 69 AO ausscheidet. Das hier zu beurteilende Eröffnungsverfahren der Eigenverwaltung ist mit dieser Rechtsprechung ohne Weiteres vergleichbar. Denn wie vorstehend dargelegt, dient auch das Eröffnungsverfahren der Massesicherung und damit der Verwirklichung des in § 1 Satz 1 InsO niedergelegten Gläubigergleichbehandlungsgrundsatzes. Nach dem Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung folgt daraus, dass die Steuerzahlungspflicht im Eröffnungsverfahren der Eigenverwaltung suspendiert ist. (2) Schaffung § 270 Abs. 3 InsO und Nichtanwendbarkeit § 55 Abs. 4 InsO Das vorstehend gefundene Ergebnis (Vorrang der Massesicherungspflicht) 437 wird durch die Schaffung des § 270b Abs. 3 InsO sowie durch die Nichterstreckung des § 55 Abs. 4 InsO auf das Eröffnungsverfahren der Eigenverwaltung bestätigt. Wäre der Schuldner verpflichtet, im Eröffnungsverfahren der Eigenverwaltung Steuern zu zahlen, so hätte es der Regelung des § 270b Abs. 3 InsO nicht bedurft. Denn nach dieser Vorschrift ist auf Antrag des Schuldners § 55 Abs. 2 InsO entsprechend anwendbar, der nach der Gesetzesbegründung zu § 270b Abs. 3 InsO629) i. V. m. der Gesetzesbegründung zu § 55 Abs. 2 InsO630) auch dem Schutz des Fiskus dient. Auf dieser Linie liegt es, dass § 55 Abs. 4 InsO nach der Gesetzesbegründung nicht auf das Eröffnungsverfahren der Eigenverwaltung anwendbar ist. Denn § 55 Abs. 4 InsO ___________ 628) Das verkennen Tipke/Kruse-Loose, AO, § 69 Rn. 43a, und Klein-Rüsken, AO, § 69 Rn. 72 f.; wie hier auch Hübschmann/Hepp/Spitaler-Boeker, AO, § 69 Rn. 41e. 629) BT-Drucks. 17/7511, S. 37. 630) BT-Drucks. 12/2443, S. 126.

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N. Steuerhaftung gemäß § 69 AO

ist auf der Grundlage geschaffen worden, dass Steuerverbindlichkeiten im Eröffnungsverfahren im Ergebnis nicht erfüllt werden.631) (3) Vergleich mit der Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters mit Zustimmungsvorbehalt 438 Das vorstehend gefundene Ergebnis (Vorrang der Massesicherungspflicht) wird weiter dadurch bestätigt, dass dann, wenn im Eröffnungsverfahren ein vorläufiger Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt bestellt wird, nach der Rechtsprechung des VII. Senats des BFH weder der gesetzliche Vertreter noch der vorläufige Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt einer Steuerhaftung gemäß § 69 AO unterliegen, wenn der Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt seine Zustimmung zur Zahlung von Steuern nicht erteilt. Nach der Rechtsprechung des VII. Senats des BFH unterliegt der gesetzliche Vertreter in diesem Fall mangels schuldhafter Pflichtverletzung grundsätzlich keiner Steuerhaftung nach § 69 AO. Es bestehe in der Regel keine Pflicht des gesetzlichen Vertreters, auf den vorläufigen Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt einzuwirken, damit dieser die zur Steuerzahlung erforderliche Zustimmung erteile.632) Der VII. Senat des BFH verneint in diesem Fall auch eine Steuerhaftung des vorläufigen Insolvenzverwalters mit Zustimmungsvorbehalt. § 35 AO finde keine Anwendung, weil diese Vorschrift die Fähigkeit voraussetze, aufgrund bürgerlich-rechtlicher Verfügungsmacht im Außenverhältnis wirksam zu handeln und diese trotz Zustimmungsvorbehalts beim Schuldner verbleibe. Aus demselben Grunde sei der vorläufige Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt auch nicht als Vermögensverwalter i. S. d. § 34 Abs. 3 AO zu beurteilen.633) 439 Im Ergebnis kommt in dieser Rechtsprechung in zutreffender Weise der Vorrang der Massesicherungspflicht vor einer Steuerzahlungspflicht im vorläufigen Insolvenzverfahren für den Fall der Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters mit Zustimmungsvorbehalt zum Ausdruck, der auch – wie vorstehend dargestellt – im Eröffnungsverfahren der Eigenverwaltung gilt. Denn in beiden Fällen (Eröffnungsverfahren Eigenverwaltung – Eröffnungsverfahren Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt) handelt es sich um ein Insolvenzeröffnungsverfahren, in dem der Grundsatz der Massesicherungspflicht gilt. 440 Allerdings hat der VII. Senat des BFH diese Schlussfolgerung aus seiner vorstehend dargestellten Rechtsprechung noch nicht gezogen. Vielmehr steht er auf dem Standpunkt, dass die Verpflichtung zur Abführung von Steuern solange fortbestehe, bis dem gesetzlichen Vertreter durch die Bestellung eines ___________ 631) Vgl. dazu im Einzelnen Kahlert, in: Kübler, HRI, § 57 Rn. 39 ff. 632) So BFH, Beschl. v. 19.2.2010 – VII B 190/09, ZIP 2010, 1900, dazu EWiR 2011, 3 (Kahlert) betreffend den Widerruf einer Lastschrift, mit der Steuern bezahlt werden. 633) BFH, Beschl. v. 27.5.2009 – VII B 156/08, BFH/NV 2009, 1591 = ZIP 2009, 2255.

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VI. Pflichtenprogramm und Pflichtverletzung

sog. starken vorläufigen Insolvenzverwalters oder durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Verfügungsbefugnis entzogen werde.634) Zu berücksichtigen ist jedoch, dass der VII. Senat des BFH bisher noch keine Gelegenheit hatte, die mit dem ESUG verbundenen Neuerungen bei seinen Überlegungen zu berücksichtigen. Diese Neuerungen führen – wie vorstehend dargelegt – zum Vorrang der Massesicherungspflicht. (4) Insolvenzanfechtung Schließlich wird das vorstehend gefundene Ergebnis (Vorrang der Massesi- 441 cherungspflicht) auch dadurch bestätigt, dass eine Steuerzahlung durch den gesetzlichen Vertreter im Eröffnungsverfahren der Eigenverwaltung nach § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 2 InsO anfechtbar ist, wenn der gesetzliche Vertreter den Fiskus vor der Steuerzahlung von dem Eröffnungsantrag in Kenntnis setzt oder der Fiskus von den Umständen Kenntnis hat, die zwingend auf den Eröffnungsantrag schließen lassen. Denn nach § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO ist anfechtbar eine Rechtshandlung, die einem Insolvenzgläubiger eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht hat, wenn sie nach dem Eröffnungsantrag vorgenommen worden ist und wenn der Gläubiger zur Zeit der Handlung die Zahlungsunfähigkeit oder den Eröffnungsantrag kannte. Gemäß § 130 Abs. 2 InsO steht der Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit oder des Eröffnungsantrages die Kenntnis von Umständen gleich, die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit oder den Eröffnungsantrag schließen lassen. Setzt der gesetzliche Vertreter den Fiskus von dem Eröffnungsantrag in 442 Kenntnis und zahlt er sodann die Steuern, so ist die Steuerzahlung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO anfechtbar. Hat der gesetzliche Vertreter die Steuern auch bei Fälligkeit gezahlt, so scheidet eine Steuerhaftung gemäß §§ 69, 34 AO nach der erfolgreichen Insolvenzanfechtung nach der Rechtsprechung des VII. Senats des BFH aus.635) Das AG Hamburg ist der Meinung, Zahlungen an Sozialversicherungsträger 443 und Finanzkassen seien nicht zulässig, weil sie nicht der Betriebsfortführung dienten. Sie seien auch nicht deshalb zulässig, weil den Geschäftsführer andernfalls eine Steuerhaftung treffe und die Zahlung angefochten werden könnte. Der Geschäftsführer sei weder Beteiligter des Verfahrens noch sei es nach der Rechtsprechung des BGH (Vertrauensschutz) zweifelsfrei, dass eine ___________ 634) So zuletzt BFH, Urt. v. 23.5.2012 – VII R 28/10, DStR 2012, 1655 Rn. 22, dazu EWiR 2012, 745 (Schmittmann); vgl. auch BFH, Beschl. v. 15.6.2009 – VII B 196/08, BFH/ NV 2009, 1605. 635) BFH, Urt. v. 11.11.2008 – VII R 19/08, BStBl II 2009, 342 = ZIP 2009, 516 zur Lohnsteuer, bestätigt durch BFH, Beschl. v. 15.6.2009 – VII B 196/08, BFH/NV 2009, 1605 zur Stromsteuer.

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N. Steuerhaftung gemäß § 69 AO

Insolvenzanfechtung in Betracht komme.636) Diese Ansicht vermag nicht zu überzeugen. Es ist nicht ersichtlich, dass der Fiskus, der zuvor auf das vorläufige Insolvenzverfahren hingewiesen wurde, Vertrauen in Anspruch nehmen könnte.637) 444 Das BMF vertritt in seinem Schreiben zu § 55 Abs. 4 InsO die Meinung, der Fiskus dürfe eine Zahlung, die er nach Insolvenzanfechtung sofort wieder zurückfordern könne, wegen Rechtsmissbräuchlichkeit verweigern.638) So würde der Fall hier liegen, allerdings nicht zugunsten des Fiskus, sondern zugunsten des Schuldners. Danach dürfte auch nach Auffassung des BMF die Steuerzahlungspflicht im Eröffnungsverfahren der Eigenverwaltung suspendiert sein. dd) Fazit 445 Nach dem Gesagten ist die Steuerzahlungspflicht im Eröffnungsverfahren der Eigenverwaltung nach dem Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung suspendiert, weil die Massesicherungspflicht Vorrang hat. 446 Nach Thole639) führt die beschriebene Pflichtenkollision nicht zur Suspendierung der Steuerzahlungspflicht. Vielmehr habe der gesetzliche Vertreter ein Wahlrecht, die Steuern zu bezahlen oder nicht zu bezahlen, ohne dass daran nachteilige Folgen geknüpft werden dürften. Zudem habe das Insolvenzgericht die Möglichkeit, den Vorrang der Massesicherung durch ein besonderes Verfügungsverbot oder durch einen besonderen Zustimmungsvorbehalt640) anzuordnen. 447 Da es zur Nichtanwendung der §§ 69, 34 AO im Eröffnungsverfahren der Eigenverwaltung bei unterlassener Zahlung von Steuern noch keine gesicherte Rechtslage gibt, kann die Nichtzahlung von Steuern nur auf Grundlage einer vorher erteilten (kostenpflichtigen) verbindlichen Auskunft gemäß § 89 AO empfohlen werden. Eine rechtzeitige und positive Auskunft ist allerdings nach den ersten praktischen Erfahrungen nicht zu erwarten. 448 Deshalb ist bis zur Klärung der Rechtslage in Abstimmung mit dem Insolvenzgericht die fristgerechte Zahlung der Steuern zu erwägen und die Steuerzahlung anfechtbar zu gestalten, indem der Fiskus vor der (fristgerechten) Steuerzahlung von dem Eröffnungsantrag in Kenntnis gesetzt wird. Wird eine fristgerechte Steuerzahlung später erfolgreich angefochten, so scheidet eine ___________ 636) AG Hamburg, Beschl v. 14.7.2014 – 676 IN 196/14, ZIP 2014, 2101; so auch Frind GmbHR 2015, 128. 637) So auch Thole, DB 2015, 662 (unter IV. 3). 638) BMF-Schreiben v. 17.1.2012 – IV A 3 – S 0550/10/10020 – 05, BStBl I 2012, 120 Rn. 40. 639) Thole, DB 2015, 662. 640) So AG Düsseldorf, Beschl. v. 14.7.2014 – 504 IN 124/14, ZInsO 2014, 2389.

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VI. Pflichtenprogramm und Pflichtverletzung

Steuerhaftung des gesetzlichen Vertreters gemäß § 69 AO nach der Rechtsprechung des VII. Senats des BFH aus. 3. Pflicht zur anteiligen Tilgung Hat sich der Vertreter nicht schuldhaft außerstande gesetzt, künftig fällig 449 werdende Steuerschulden zu tilgen, stehen ihm jedoch zur Begleichung der Steuerschulden insgesamt ausreichende Mittel nicht zur Verfügung, so bewirkt die durch die schuldhafte Pflichtverletzung verursachte Nichterfüllung der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis die Haftung nur in dem Umfang, in dem der Vertreter den Fiskus gegenüber anderen Gläubigern benachteiligt hat. Dieses als Grundsatz der anteiligen Tilgung bezeichnete Rechtsinstitut hat der BFH aus dem Schadensersatzcharakter des § 69 AO zur Haftung nicht entrichteter Umsatzsteuer entwickelt. Ausgangspunkt dieser Rechtsprechung ist, dass sich die Haftung nach § 69 Abs. 1 AO dem Umfang nach beschränkt auf den Betrag, der infolge der vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Pflichtverletzung nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder entrichtet worden ist.641) Der Grundsatz der anteiligen Tilgung ist auch anzuwenden, wenn der Steuerausfall unabhängig davon eintritt, ob die Steueranmeldung fristgerecht eingereicht worden ist.642) Er ist auch anwendbar im Falle einer Haftung wegen Steuerhinterziehung nach § 71 AO.643) Der BFH hat zwar im Zusammenhang mit der Beurteilung von Säumniszu- 450 schlägen zur Lohnsteuer in 2000 entschieden, dass der zur Haftung nicht entrichteter Umsatzsteuer entwickelte Grundsatz der anteiligen Tilgung „auch für die übrigen Steuern – mit Ausnahme der Lohnsteuer644) und grundsätzlich auch für Nebenleistungen (gilt)“.645) Er hatte dies zuvor ausdrücklich für die Körperschaftsteuer646) und für die Gewerbesteuer647) entschieden. Er hat jedoch in 1986 auch entschieden, dass der Inhaber eines Mineralöllagers verpflichtet ist, dafür zu sorgen, dass am Fälligkeitstag auch die Mittel zur Entrichtung der Mineralölsteuer vorhanden sind.648) Vergleichbar hat er in 1989 entschieden, dass der Inhaber eines offenen Zolllagers die Pflicht hat, ___________ 641) BFH, Urt. v. 1.8.2000 – VII R 110/99, BStBl II 2001, 271, m. w. N.; BFH, Urt. v. 21.6.1994 – VII R 34/92, BStBl II 1995, 230 = ZIP 1995, 229, dazu EWiR 1995, 321 (Onusseit). Der Grundsatz der anteiligen Tilgung begründet ein Sonderrecht des Fiskus, weil der Geschäftsführer – vorbehaltlich der insolvenzrechtlichen Anfechtungsvorschriften – die Freiheit hat, die Forderungen zu bedienen, die ihm im Interesse des Fortgangs der Geschäfte wichtig erscheinen, vgl. dazu Kahlert, ZIP 2010, 1274, 1280 f. m. w. N. 642) BFH, Urt. v. 5.3.1991 – VII R 93/88, BStBl II 1991, 678 = ZIP 1991, 1008, dazu EWiR 1991, 853 (Halaczinsky). 643) BFH, Urt. v. 26.8.1992 – VII R 50/91, BStBl II 1993, 8. 644) Dazu sogleich Rn. 453 f. 645) BFH, Urt. v. 1.8.2000 – VII R 110/99, BStBl II 2001, 271. 646) BFH, Beschl. v. 11.6.1996 – I B 60/95, BFH/NV 1997, 7. 647) BFH, Urt. v. 3.5.1990 – VII R 108/88, BStBl II 1990, 767. 648) BFH, Urt. v. 4.3.1986 – VII R 38/81, BStBl II 1986, 577.

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N. Steuerhaftung gemäß § 69 AO

sicherzustellen, dass am Fälligkeitstag die Mittel zur Entrichtung der Steuern vorhanden sind.649) Diese Entscheidungen sind mit dem Grundsatz der anteiligen Tilgung nicht in Einklang zu bringen.650) 451 Nach dem Grundsatz der anteiligen Tilgung kann ein adäquat kausaler Schaden somit nur bis zur Höhe der unterlassenen anteiligen Tilgung entstehen. Mit anderen Worten: Für die Schadenshöhe ist nach der Tilgungsquote zu fragen, die der Fiskus erhalten hätte, wenn seine Steuerforderungen anteilig getilgt worden wären. Die dem Fiskus zustehende Tilgungsquote bemisst sich also nach den bei der GmbH vorhandenen Mitteln im Verhältnis zu allen Verbindlichkeiten der GmbH im Zeitpunkt der Fälligkeit der Steuerforderungen.651) Der Vertreter ist also nicht verpflichtet, den Fiskus besser zu behandeln als andere Gläubiger. Der BFH hat – soweit ersichtlich – noch nicht entschieden, ob für die Berechnung der Tilgungsquote auf die Verwaltungshoheit oder auf die Ertragshoheit abzustellen ist.652) 452 Wie bereits oben ausgeführt,653) schließt die Anwendbarkeit des Grundsatzes der anteiligen Tilgung eine Haftung des Vertreters wegen Verletzung anderer Pflichten nicht aus. Wären bei ordnungsgemäßer Erfüllung anderer steuerlicher Pflichten die Steuerforderungen des Fiskus in voller Höhe getilgt worden, so kommt es – unabhängig vom Grundsatz der anteiligen Tilgung – zu einer Haftung des Vertreters in der vollen Höhe. Dieser Fall kann eintreten, wenn der Vertreter seine Steuererklärungspflichten verletzt hat, bei ordnungsgemäßer Pflichterfüllung aber kein Schaden eingetreten wäre,654) oder der Vertreter wegen einer zu Unrecht ausgezahlten Steuervergünstigung in Anspruch genommen wird.655) Dieser Fall kann weiter eintreten, wenn der Insolvenzverwalter gemäß § 9 UStG zur Umsatzsteuer optiert, den Bruttokaufpreis jedoch an die Grundpfandgläubiger abtritt mit der Folge, dass er die Umsatzsteuer nicht bezahlen kann656) oder der Liquidator zur Umsatzsteuer gemäß § 9 UStG optiert und er nicht durch eine Nettokaufpreisvereinbarung dafür Sorge trägt, dass die Gesellschaft über den Kaufpreis i. H. d. Umsatzsteuer verfügen kann.657) Hinsichtlich des zuletzt genannten Falls ist ___________ 649) BFH, Urt. v. 21.2.1989 – VII R 165/85, BStBl II 1989, 491. 650) In diese Richtung auch Klein-Rüsken, AO, § 69 Rn. 90 f.; a. A. Koenig-Intemann, AO, § 69 Rn. 103. 651) BFH, Urt. v. 12.6.1986 – VII R 192/83, BStBl II 1986, 657; zur Berechnung s. a. OFD Magdeburg, Verfügung v. 23.11.1994, S 0190 – 14 – St 311, GmbHR 1995, 244. 652) Vgl. zur vergleichbaren Problematik im Rahmen der Aufrechnung § 226 Abs. 4 AO; dazu Koenig-Fritsch, AO, § 226 Rn. 20 ff. 653) Vgl. dazu im Einzelnen unter Rn. 421. 654) Klein-Rüsken, AO, § 69 Rn. 60 ff. 655) BFH, Urt. v. 25.4.1995 – VII R 99/94, VII R 100/94, BFH/NV 1996, 97. 656) BFH, Urt. v. 28.11.2002 – VII R 41/01, BStBl II 2003, 337 = ZIP 2003, 582 = ZfIR 2003, 400 (LS), dazu EWiR 2003, 303 (Onusseit). 657) BFH, Urt. v. 16.12.2003 – VII R 77/00, BStBl II 2005, 249 = ZIP 2004, 1319 (LS) = ZfIR 2004, 656 (LS); BFH, Urt. v. 1.8.2000 – VII R 110/99, BStBl II 2001, 271.

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VI. Pflichtenprogramm und Pflichtverletzung

darauf hinzuweisen, dass seit dem 1. April 2004 nach §§ 13b Abs. 1 Nr. 3 i. V. m. 13b Abs. 2 UStG bei Umsätzen, die unter das Grunderwerbsteuergesetz fallen, der Leistungsempfänger der Steuerschuldner ist, wenn er selbst Unternehmer oder eine juristische Person des öffentlichen Rechts ist. Insoweit kommt eine Haftung des Vertreters bei der Option zur Umsatzsteuer gemäß § 9 UStG nicht mehr in Betracht, weil der Vertretene nicht (mehr) Umsatzsteuerschuldner ist. Nach der Rechtsprechung des BFH ist die Lohnsteuer vom Grundsatz der 453 anteiligen Tilgung nicht umfasst. Ausgangspunkt der Überlegungen des BFH ist, dass es sich bei der Lohnsteuer um einen Teil des Arbeitslohnes handelt, der vom Arbeitgeber für den Arbeitnehmer einzubehalten und an das Finanzamt abzuführen ist. Hieraus folgert der BFH, dass der Arbeitgeber die Lohnsteuer für den Arbeitnehmer treuhänderisch verwaltet.658) Bei Zahlungsschwierigkeiten verlangt der BFH vom Vertreter, die Löhne zu kürzen und mit den „ersparten“ Geldern die (anteilige) Lohnsteuer zu zahlen. Die Löhne sind also so zu kürzen, dass die hierauf entfallende Lohnsteuer noch gezahlt werden kann.659) Bei der Lohnsteuer bemisst sich die Haftungsquote daher nicht nach einer gleichmäßigen Befriedigung aller Gläubiger, sondern nach der anteiligen Befriedigung der Arbeitnehmer und des Finanzamtes. Der Arbeitgeber darf – unabhängig von der Befriedigung der übrigen Gläubiger – das Finanzamt nicht schlechter stellen als die Arbeitnehmer bei Auszahlung der Nettolöhne.660) Eine Haftung tritt hinsichtlich der Lohnsteuerbeträge ein, die bei der gebotenen Kürzung der Löhne hätten abgeführt werden müssen.661) Ein Geschäftsführer soll sich nicht darauf berufen können, ihm hätten über einen längeren Zeitraum stets nur Mittel i. H. d. ausgezahlten (regelmäßig: Netto)Lohnes zur Verfügung gestanden.662) Nach der Rechtsprechung des BFH gilt der Grundsatz der anteiligen Tilgung auch dann nicht, wenn der Gesellschafter Lohnschulden der Gesellschaft gegenüber Arbeitnehmern aus seinem eigenen Vermögen tilgt.663) 4. Beratungspflicht Nach der Rechtsprechung des BFH haftet der Vertreter nur für eigenes Ver- 454 schulden, und zwar auch dann, wenn er sich zur Erfüllung der ihm als Ver___________ 658) BFH, Beschl. v. 6.7.2005 – VII B 296/04, BFH/NV 2005, 1753; Rohlfing, GmbHR 2006, 40, zur Lohnsteuerhaftung des GmbH-Geschäftsführers. 659) BFH, Beschl. v. 6.7.2005 – VII B 296/04, BFH/NV 2005, 1753; vgl. Thümmel, BB 2002, 1105 m. w. N. aus der Rspr.; krit. Müller, GmbHR 2003, 389. 660) BFH, Urt. v. 12.7.1988 – VII R 3/85, BFH/NV 1989, 7; Rohlfing, GmbHR 2006, 40. 661) Klein-Rüsken, AO, § 69 Rn. 71; nach BFH, Urt. v. 1.8.2000 – VII R 110/99, BStBl II 2001, 271, gilt der Grundsatz der anteiligen Tilgung allerdings wiederum für Verspätungszuschläge wegen verspäteter Abgabe von Lohnsteuererklärungen. 662) BFH, Urt. v. 26.7.1988 – VII R 83/87, BStBl II 1988, 859 = ZIP 1989, 519, dazu EWiR 1989, 433 (Onusseit); BFH, Urt. v. 30.8.2005 – VII R 61/04, BFH/NV 2006, 232. 663) BFH, Urt. v. 22.11.2005 – VII R 21/05, BStBl II 2006, 397 = ZIP 2006, 1203 (LS).

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treter auferlegten Pflichten fremder Hilfe bedient.664) Allerdings ist der Vertreter bei mangelnder Sachkunde verpflichtet, fremde Hilfe durch einen Angehörigen eines rechts- oder steuerberatenden Berufes in Anspruch zu nehmen. In diesem Fall hat der Vertreter die Pflichten, den Berater sorgfältig auszuwählen und ihn laufend und sorgfältig zu überwachen, wobei das Maß der Pflichten von den jeweiligen Umständen des Einzelfalles abhängt. Trifft den Vertreter kein Auswahl- oder Überwachungsverschulden und hat er keinen Anlass, die Richtigkeit der Ergebnisse des Beraters zu überprüfen, so treten die haftungsrechtlichen Folgen des § 69 AO nicht ein.665) 5. Mitwirkungs- und Auskunftspflicht 455 Nach der Rechtsprechung des BFH kann das Finanzamt von dem Geschäftsführer einer GmbH, den es als Haftungsschuldner wegen nicht entrichteter Steuern der GmbH in Anspruch nehmen will, die zur Feststellung des Haftungsumfangs notwendigen Auskünfte über die anteilige Gläubigerbefriedigung im Haftungszeitraum verlangen. Dabei sollen Angaben über Gläubiger, Schuldgrund, Fälligkeitszeitpunkt und Zahlungszeitpunkt der einzelnen Verbindlichkeiten in der Regel nicht verlangt werden können. Der Geschäftsführer soll in diesem Zusammenhang nicht als Dritter (ehemaliges Organ der GmbH) i. S. d. § 93 Abs. 1 Satz 3 AO zu beurteilen sein. Vielmehr soll § 90 Abs. 1 Satz 1 AO Anwendung finden, weil es um die Feststellung eines für die Besteuerung erheblichen Sachverhalts gehe. 456 Die Mitwirkungspflicht besteht unabhängig von den für die GmbH geltenden gesetzlichen Aufbewahrungspflichten. Sie richtet sich allein nach den tatsächlichen Kenntnissen und den Zugriffsmöglichkeiten des Haftungsschuldners auf die Geschäftsunterlagen.666) Ein GmbH-Geschäftsführer kann sich zwar grundsätzlich darauf berufen, an der Vorlage von Unterlagen, aus denen die Verbindlichkeiten der von ihm vertretenen GmbH hervorgehen, gehindert zu sein, weil sich diese beim Insolvenzverwalter befinden. Allerdings verlangt der BFH vom Haftungsschuldner in diesem Fall, dass er zumindest Angaben aus dem Gedächtnis macht, die die Existenz und den Inhalt der nicht erreichbaren Urkunden belegen.667) Nach der Rechtsprechung des BFH ist der Haftungsschuldner nicht verpflichtet, den Insolvenzverwalter aufzusuchen, um sich durch Einsicht in die dort befindlichen Buchhaltungsunterlagen die Möglichkeit zur Erteilung der geforderten Auskünfte über die finanzielle Situation der GmbH im maßgebenden Haftungszeitraum zu verschaffen. Es ist ausreichend, wenn sich der Haftungsschuldner schriftlich an das vom Insol___________ 664) BFH, Urt. v. 30.8.1994 – VII R 101/92, BStBl II 1995, 278. 665) BFH, Beschl. v. 28.8.2008 – VII B 240/07, BFH/NV 2008, 1983; BFH, Beschl. v. 20.4.2006 – VII B 163/05, BFH/NV 2006, 1439; FG Niedersachsen, Urt. v. 13.2.2007 – 11 V 205/06, EFG 2007, 1050 unter Hinweis auf BFH, Urt. v. 5.3.1985 – VII R 134/80, BFH/NV 1986, 61 und BFH, Beschl. v. 4.5.2004 – VII B 318/03, BFH/NV 2004, 1363. 666) BFH, Urt. v. 11.7.1989 – VII R 81/87, BStBl II 1990, 357. 667) BFH, Beschl. v. 11.3.2008 – VII B 214/06, BFH/NV 2008, 1291, zur Umsatzsteuer.

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VI. Pflichtenprogramm und Pflichtverletzung

venzverwalter beauftragte Steuerbüro wendet und um die entsprechenden Auskünfte bittet. Es ist nicht erforderlich, dass der Haftungsschuldner darauf hinwirkt, dass ihm die benötigten Buchhaltungsunterlagen übersendet werden. Vielmehr ist die Finanzbehörde verpflichtet, sich die Unterlagen gemäß § 97 Abs. 1 AO vorlegen zu lassen und aus ihnen die benötigten Angaben selbst zu ermitteln bzw. den Insolvenzverwalter als „andere Person“ i. S. d. § 93 Abs. 1 Satz 1 AO in Anspruch zu nehmen und um Erteilung der benötigten Auskünfte zu ersuchen.668) 6. Pflichten (-modifikation) bei Gesamtverantwortung Hat eine GmbH mehr als einen Geschäftsführer, so greift hinsichtlich der 457 steuerlichen Pflichten gemäß § 69 AO zunächst das Prinzip der Gesamtverantwortung. Eine davon abweichende Geschäftsverteilung kann dieses Prinzip nach der Rechtsprechung des BFH nur modifizieren – in keinem Fall außer Kraft setzen –, wenn diese im Gesellschaftsvertrag vorgesehen, ein förmlicher Beschluss der Gesellschafter gefasst worden oder dies kraft Zulassung in dem Gesellschaftsvertrag oder durch Beschluss der Gesellschafter in einer Geschäftsordnung der Geschäftsführer festgelegt worden ist.669) Sie ist nur wirksam, wenn sie vorweg schriftlich getroffen wurde und eindeutig ist.670) Besteht eine solche Geschäftsverteilung, so reduziert sich die Pflicht der nicht mit den steuerlichen Angelegenheiten befassten Vertreter zunächst auf eine Überwachungspflicht. Diese kann bei konkreten Anhaltspunkten allerdings wiederum zu einer inhaltlichen Überprüfungspflicht erstarken.671) Dies gilt insbesondere dann, wenn sich die Gesellschaft in einer Liquiditäts- 458 krise befindet.672) Grundsätzlich können bei Vorliegen einer steuerlich anzuerkennenden Geschäftsverteilung die nicht mit steuerlichen Angelegenheiten befassten Personen nur dann in Anspruch genommen werden, wenn sie trotz Kenntnis der Krise nichts unternommen haben.673) Gleiches gilt, wenn der Geschäftsführer aus anderen Gründen Anlass hat, an der ordnungsgemäßen Erfüllung der steuerlichen Pflichten durch den zuständigen Vertreter zu zweifeln. Er hat auch sicherzustellen, dass er von einer Krise der Gesellschaft ___________ 668) BFH, Urt. v. 4.12.2007 – VII R 18/06, BFH/NV 2008, 521. 669) BFH, Beschl. v. 9.1.1996 – VII B 189/95, BFH/NV 1996, 589; BFH, Urt. v. 26.4.1984 – V R 128/79, BStBl II 1984, 776 = ZIP 1984, 1345 = ZIP 1984, 1345; Mösbauer, DB 2005, 1816; Eich, KÖSDI 2005, 14759; Abenheimer, GmbHR 2005, 869; Müller, GmbHR 2003, 389; Tipke/Kruse-Loose, AO, § 69 Rn. 32 ff.; Klein-Rüsken, AO, § 69 Rn. 106. 670) BFH, Urt. v. 23.6.1998 – VII R 4/98, BStBl II 1998, 761; Klein-Rüsken, AO, § 69 Rn. 106. 671) BFH, Beschl. v. 31.10.2005 – VII B 57/05, BFH/NV 2006, 246. 672) BFH, Beschl. v. 31.10.2005 – VII B 57/05, BFH/NV 2006, 246. 673) BFH, Beschl. v. 6.7.2005 – VII B 296/04, BFH/NV 2005, 1753; Tipke/Kruse-Loose, AO, § 69 Rn. 32 ff.; Pelz, RNotZ 2003, 415.

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N. Steuerhaftung gemäß § 69 AO

überhaupt Kenntnis erlangt.674) Ist ein Geschäftsführer nicht in der Lage, sich innerhalb der Gesellschaft durchzusetzen und seiner Rechtsstellung gemäß zu handeln, so muss er nach Auffassung des BFH sein Amt als Geschäftsführer niederlegen, um eine Haftung nach § 69 AO zu vermeiden.675) 7. Ende der Pflichten 459 Die Pflichten des gesetzlichen Vertreters einer GmbH enden in der Regel mit dem Ausscheiden aus dem Amt. Die Rechtsscheinhaftung gemäß § 15 HGB findet insoweit keine Anwendung, auf die Eintragung der Amtsniederlegung im Handelsregister kommt es daher nicht an. Ausreichend ist vielmehr der Zugang des Widerrufes bzw. der Zugang der Erklärung über die Amtsniederlegung. Es sollte daher im Zweifel darauf geachtet werden, die Niederlegung des Amtes ausreichend (schriftlich und insbesondere unter Angabe des Zeitpunktes) zu dokumentieren. Die Beendigung des Amtes lässt eine Haftung, die vor dieser Beendigung entstanden ist, nicht entfallen.676) 460 Der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens befreit den GmbH-Geschäftsführer noch nicht von der Haftung wegen Nichtabführung der einbehaltenen Lohnsteuer. Vielmehr besteht diese Pflicht so lange, bis ihm durch Ernennung eines starken vorläufigen Insolvenzverwalters oder Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Verfügungsbefugnis entzogen wird.677) Allerdings kann dann, wenn der vorläufige schwache Insolvenzverwalter die Zustimmung zur Begleichung der Steuerschulden verweigert, unter Umständen das nach § 69 AO erforderliche Verschulden des Vertreters entfallen.678) VII. Verschulden 461 Eine Haftung nach § 69 AO setzt voraus, dass der Vertreter seine steuerlichen Pflichten vorsätzlich oder grob fahrlässig verletzt hat. Danach erfordert § 69 AO ein eigenes Verschulden des Vertreters. Dies gilt auch dann, wenn die handelnde Person sich zur Erfüllung der ihr nach §§ 34, 35 AO obliegenden Pflichten fremder Hilfe bedient. § 278 BGB findet keine Anwendung. Es besteht insoweit aber eine einzelfallabhängige Auswahl- und Überwachungs-

___________ 674) BFH, Urt. v. 26.4.1984 – V R 128/79, BStBl II 1984, 776= ZIP 1984, 1345; KleinRüsken, AO, § 69 Rn. 107b. 675) BFH, Beschl. v. 31.10.2005 – VII B 57/05, BFH/NV 2006, 246; BFH, Beschl. v. 7.3.1995 – VII B 172/94, BFH/NV 1995, 941; BFH, Beschl. v. 9.1.1996 – VII B 189/95, BFH/NV 1996, 589. 676) BFH, Beschl. v. 7.3.1995 – VII B 172/94, BFH/NV 1995, 941. 677) BFH, Urt. v. 23.9.2008 – VII R 27/07, BStBl II 2009, 129 = ZIP 2009, 122; BFH, Beschl. v. 15.6.2009 – VII B 196/08, BFH/NV 2009, 1607. 678) BFH, Beschl. v. 3.12.2004 – VII B 178/04, BFH/NV 2005, 661; dazu näher nachfolgend Rn. 463 ff. ; siehe zur Steuerzahlungspflicht im Insolvenzeröffnungsverfahren Rn. 425 ff.

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VII. Verschulden

pflicht. Ein Verstoß gegen diese Pflichten begründet wiederum ein eigenes Verschulden.679) Vorsätzlich handelt der Vertreter, wenn er die betreffende Pflicht kennt und 462 verletzen will, also bewusst nicht erfüllt.680) Der Vertreter verletzt eine Pflicht grob fahrlässig, wenn er die Sorgfalt, zu der er nach den Umständen und seinen persönlichen Kenntnissen verpflichtet und imstande ist, in ungewöhnlich hohem Maße außer Acht lässt. Nach diesem subjektiven Maßstab setzt die Haftung auch Kenntnis oder vorwerfbare Unkenntnis der betreffenden steuerrechtlichen Pflichten voraus; ein entschuldbarer, weil nicht grob fahrlässiger Rechtsirrtum lässt die Haftung folglich entfallen.681) Allein Unkenntnis oder Unfähigkeit können den Vertreter jedoch nicht entlasten. Er muss sich mit den handels- und steuerrechtlichen Pflichten seines Amtes vertraut machen. Ist er aufgrund seiner persönlichen Fähigkeiten und Kenntnisse nicht in der Lage, die steuerlichen Pflichten zu erfüllen, so darf er das Amt nicht annehmen.682) Danach handelt es sich bei der groben Fahrlässigkeit i. S. d. § 69 AO gleichsam um ein „Übernahmeverschulden“, weil der Verschuldensmaßstab objektiv ausgestaltet ist.683) So steht der BFH auf dem Standpunkt, dass die in der nicht fristgerechten Entrichtung von Steuern liegende objektive Pflichtwidrigkeit den Schuldvorwurf gegenüber dem Haftungsschuldner indiziert.684) Erteilt ein vorläufiger Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt dem 463 Geschäftsführer nicht seine Zustimmung zur Zahlung von Steuern, so unterliegt der Geschäftsführer nach der Rechtsprechung des VII. Senats des BFH mangels schuldhafter Pflichtverletzung grundsätzlich keiner Steuerhaftung nach § 69 AO. Nach der Rechtsprechung des VII. Senats des BFH ist es von den konkreten Umständen des Einzelfalles abhängig, ob und welche Maßnahmen der Geschäftsführer gegen einen vorläufigen Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt ergreifen muss, der in den Zahlungsverkehr der GmbH eingreift, insbesondere durch Widerspruch gegen Lastschriften. Die Auswahl der angemessenen und effektivsten Mittel bleibe grundsätzlich dem Geschäftsführer überlassen. Die jeweilige rechtliche Würdigung sei als Rechtsanwendung des FG einer revisionsrechtlichen Überprüfung regelmäßig entzogen.685) Auf dieser Grundlage ist der Geschäftsführer m. E. nicht verpflichtet, auf den vorläufigen Insolvenzverwalter einzuwirken, damit dieser die Steuern zahlt. Denn es kann dem Geschäftsführer nicht zugemutet ___________ 679) Vgl. dazu im Einzelnen unter Rn. 454 ff. 680) BFH, Urt. v. 20.1.1998 – VII R 80/97, BFH/NV 1998, 814; Tipke/Kruse-Loose, AO, § 69 Rn. 24. 681) BFH, Urt. v. 22.11.2005 – VII R 21/05, BStBl II 2006, 397 = ZIP 2006, 1203 (LS). 682) BFH, Beschl. v. 7.3.1995 – VII B 172/94, BFH/NV 1995, 941. 683) Klein-Rüsken, AO, § 69 Rn. 33. 684) BFH, Urt. v. 11.11.2008 – VII R 19/08, BStBl II 2009, 342 = ZIP 2009, 516 m. w. N. 685) So BFH, Beschl. v. 19.2.2010 – VII B 190/09, ZIP 2010, 1900 betreffend den Widerruf einer Lastschrift, mit der Steuern bezahlt werden; dazu Kahlert, EWiR 2011, 3.

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N. Steuerhaftung gemäß § 69 AO

werden, komplizierte Rechtsfragen zu prüfen und im Ergebnis den vorläufigen Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt zu überwachen. Dazu ist der Geschäftsführer jedoch nach der Rechtsprechung des BFH nicht verpflichtet.686) In der Praxis verlangt die Finanzverwaltung allerdings, dass der Geschäftsführer den vorläufigen Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt zur Zahlung der Steuern (erfolglos) auffordert. Deshalb sollte der Geschäftsführer den vorläufigen Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt im eigenen Interesse nachweislich zur Steuerzahlung auffordern und die entsprechenden Dokumente aufbewahren. 464 Stimmt der vorläufige Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt zwar der Lohnzahlung, nicht jedoch der Lohnsteuerzahlung zu, so haftet der Geschäftsführer nach Auffassung des FG Köln, wenn er zwar den Lohn, nicht jedoch die Lohnsteuer bezahlt. Das FG Köln argumentiert, der Geschäftsführer hätte die Lohnzahlung nicht vornehmen dürfen.687) 465 Nach der Rechtsprechung des BFH folgt aus dem Schadensersatzcharakter des § 69 AO auch die Anwendung des in § 254 BGB zum Ausdruck kommenden und auch im Steuerrecht entsprechend anzuwendenden Rechtsgrundsatzes, dass ein Schadensersatzanspruch gemindert sein oder ganz entfallen kann, wenn der Gläubiger für den Eintritt des Schadens mitverantwortlich ist. Eine im Schrifttum im Vordringen befindliche Meinung behandelt aufgrund des Schadensersatzcharakters des § 69 AO das finanzbehördliche Mitverschulden zu Recht auf der Tatbestandsebene.688) Der BFH hat in seinem Urteil vom 30. August 2005 ausdrücklich dahinstehen lassen, ob diese Auffassung im Schrifttum zutreffend ist oder die bisherige Rechtsprechung des BFH, wonach der Rechtsgedanke des § 254 BGB allein im Rahmen der Ermessensausübung nach § 191 AO bei der Bemessung der Haftungsquote Berücksichtigung findet.689) In einem weiteren Urteil vom 4. Dezember 2007 hat der BFH jedoch klargestellt, dass § 254 BGB nicht auf der Tatbestandsebene Anwendung findet, sondern bei der Ermessensausübung.690) Diese Rechtsprechung erscheint deshalb unzutreffend, weil sie den Umfang der finanzgerichtlichen Überprüfbarkeit zu Ungunsten des Steuerpflichtigen vermindert. Denn nach § 102 FGO darf das FG Ermessensentscheidungen nur daraufhin überprüfen, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder ob von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist. Dem Wesen des § 69 AO als Schadensersatznorm würde es jedoch entsprechen, die FG ___________ 686) Dazu Kahlert, EWiR 2011, 2. 687) FG Köln, Urt. v. 25.2.2014 – 10 K 295/10, NZI 2014, 627 (rkr.). 688) Tipke/Kruse-Loose, AO, § 69 Rn. 28; Nacke, Die Haftung für Steuerschulden, Rn. 736 ff.; Klein-Rüsken, AO, § 69 Rn. 43. 689) BFH, Urt. v. 30.8.2005 – VII R 61/04, BFH/NV 2006, 232. 690) BFH, Urt. v. 4.12.2007 – VII R 18/06, BFH/NV 2008, 521.

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VIII. Kausalität und Zurechnungszusammenhang zwischen Pflichtverletzung und Schaden

zu einer vollen Überprüfung zu befugen.691) Nach der Rechtsprechung des BFH ist ein Fehlverhalten der Finanzbehörde im Rahmen des § 69 AO zu berücksichtigen, wenn das Fehlverhalten ein solch erhebliches Ausmaß annimmt, dass demgegenüber das Verschulden des Haftungsschuldners nicht entscheidend ins Gewicht fällt.692) VIII. Kausalität und Zurechnungszusammenhang zwischen Pflichtverletzung und Schaden Eine Haftung nach § 69 AO kommt nach der Rechtsprechung des BFH nur 466 dann in Betracht, wenn zwischen der schuldhaften Pflichtverletzung und dem dadurch herbeigeführten Schaden ein schadensersatz- bzw. haftungsbegründender Kausalzusammenhang besteht. Dieser nach der Rechtsprechung des BFH erforderliche adäquate Kausalzusammenhang ist – wie vorstehend dargestellt – nach dem Grundsatz der anteiligen Tilgung nicht gegeben, wenn der Steuerausfall als Vermögensschaden des Fiskus mangels ausreichender Zahlungsmittel und vollstreckbaren Vermögens des Steuerpflichtigen unabhängig davon eingetreten ist, ob Steueranmeldungen fristgerecht eingereicht und die geschuldeten Steuerbeträge innerhalb der gesetzlich hierfür bestimmten Fristen entrichtet worden sind. Von diesem Fall sind nach der Rechtsprechung des BFH die Fälle der hypo- 467 thetischen Anfechtung und der erfolgreichen Anfechtung von Steuerzahlungen zu unterscheiden. Es soll sich hierbei nicht um eine Frage der Kausalität handeln, weil es sich entweder um einen gedachten Geschehensablauf (hypothetische Anfechtung) oder nicht um einen untypischen Geschehensablauf (erfolgreiche Anfechtung) handele, wodurch die Kausalität einer realen Ursache nicht beseitigt werde.693) Nach Ansicht des BFH handelt es sich – wie bereits vorstehend dargestellt694) – bei der Haftung gemäß § 69 AO um eine Sonderverbindlichkeit gegenüber dem Fiskus, die mit den zivilrechtlichen Ansprüchen aus rechtsgeschäftlicher Haftung, Vertrauenshaftung und unerlaubter Handlung zwar vergleichbar sei. Aufgrund des besonderen Zwecks des § 69 AO, nämlich den Vertreter zur ordnungsgemäßen Erfüllung der ihm obliegenden Pflichten anzuhalten und das Steueraufkommen durch Schaffung einer Rückgriffsmöglichkeit zu sichern, müssten Tatbestand und Rechtsfolgen jedoch eigenständig ermittelt werden. Deshalb sei in den Fällen der hypothetischen Anfechtung und der erfolgreichen Anfechtung zu prüfen, ob es an ___________ 691) So auch Klein-Rüsken, AO, § 69 Rn. 43. 692) BFH, Urt. v. 23.4.2014 – VII 28/13, BFH/NV 2014, 1489; BFH, Urt. v. 11.11.2008 – VII R 19/08, BStBl II 2009, 342 = ZIP 2009, 516 und BFH, Urt. v. 30.8.2005 – VII R 61/04, BFH/NV 2006, 232, 233 jew. m. w. N.; zu Einzelheiten vgl. Tipke/Kruse-Loose, AO, § 69 Rn. 28 f. m. w. N. 693) BFH, Urt. v. 4.12.2007 – VII R 18/06, BFH/NV 2008, 521; BFH, Urt. v. 11.11.2008 – VII R 19/08, BStBl II 2009, 342 = ZIP 2009, 516; einen Überblick über die Meinungen vor den beiden BFH-Urteilen gibt Kahlert, EWiR 2006, 293. 694) Vgl. dazu im Einzelnen die Ausführungen unter Rn. 402 ff.

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N. Steuerhaftung gemäß § 69 AO

dem Zurechnungszusammenhang zwischen nicht fristgerechter Zahlung und dem Steuerausfall fehle. Danach sei entscheidend, ob der geltend gemachte Schaden nach Sinn und Tragweite der verletzten Norm durch diese verhütet werden sollte.695) 468 Auf dieser Grundlage lehnt der BFH die Berücksichtigung einer hypothetischen Anfechtung von Steuerzahlungen ab. Nach seiner Ansicht würde die Berücksichtigung einer hypothetischen Anfechtung von Steuerzahlungen das Erreichen des Zwecks des § 69 AO gefährden. Zudem wäre die Berücksichtigung von insolvenzrechtlichen Anfechtungstatbeständen mit erheblichen Unsicherheiten behaftet. Der BFH ist der Meinung, sich mit seiner Rechtsprechung nicht in Widerspruch zur Rechtsprechung des BGH696) zur Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen zu setzen, wonach bei erfolgreicher Anfechtung eine Kausalität der Pflichtverletzung für den Schadenseintritt nicht gegeben ist.697) Die Sachverhalte seien nicht vergleichbar, weil der BGH einen deliktischen Schadensersatzanspruch (§ 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 266a StGB) zu beurteilen hatte, es sich bei § 69 AO jedoch um einen öffentlichrechtlichen Haftungsanspruch handele, der eine Sonderverbindlichkeit gegenüber dem Fiskus begründe. Da die Berücksichtigung einer hypothetischen Anfechtung nicht in Betracht kommt, hat es der BFH dahinstehen lassen, ob die Abführung von Lohnsteuern in den letzten drei Monaten vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine anfechtbare Rechtshandlung nach § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO darstellt oder ein Bargeschäft nach § 142 InsO, das nur unter den erschwerten Bedingungen des § 133 Abs. 1 InsO anfechtbar ist. Schließlich hat der BFH eine Haftung auch nicht wegen einer Pflichtenkollision zwischen § 69 AO (Steuerentrichtungspflicht) und § 64 Abs. 2 GmbHG a. F. (Masseerhaltungspflicht, heute § 64 Satz 1 GmbHG) verneint, weil dem Haftungsschuldner vor der in § 64 Abs. 2 GmbHG a. F. (heute § 15a Abs. 1 InsO) geregelten Drei-Wochen-Frist eine Pflichtverletzung vorzuwerfen sei. In der finanziellen Krise sei von einem GmbH-Geschäftsführer zu verlangen, dass er vorausschauend plant und entsprechende Mittel ___________ 695) BFH, Urt. v. 4.12.2007 – VII R 18/06, BFH/NV 2008, 521; BFH, Urt. v. 11.11.2008 – VII R 19/08, BStBl II 2009, 342 = ZIP 2009, 516. 696) BGH, Urt. v. 14.11.2000 – VI ZR 149/99, ZIP 2001, 80, dazu EWiR 2001, 185 (Schmidt); BGH, Urt. v. 18.4.2005 – II ZR 61/03, ZIP 2005, 1026, dazu EWiR 2005, 743 (Kuhn). 697) Nach § 28e Abs. 1 Satz 2 SGB IV n. F. gilt die Zahlung des vom Beschäftigten zu tragenden Teils des Gesamtsozialversicherungsbeitrags als aus dem Vermögen des Beschäftigten erbracht. Nach BGH, Beschl. v. 27.3.2008 – IX ZR 210/07, ZIP 2008, 747 (m. Bespr. Brinkmann/Luttmann, S. 901) = NZI 2008, 293, dazu EWiR 2008, 313 (Koza), hat diese Vorschrift keine Rückwirkung auf die Zeit vor dem 1.1.2008. Der Gesetzgeber hat mit § 28e Abs. 1 Satz 2 SGB IV n. F. sein Ziel, bei Insolvenzverfahren, die nach dem 1.1.2008 eröffnet werden, die Einziehung von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung als nicht anfechtbar zu gestalten, vgl. Stapper/Jacobi WM 2009, 1493 m. w. N., nicht erreicht. Der BGH hat mit Urt. v. 5.11.2009 – IX ZR 233/08, BGHZ 183, 86 = ZIP 2009, 2301, dazu EWiR 2010, 67 (Henkel), entschieden, dass diesbezüglich eine Anfechtbarkeit besteht.

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IX. Inanspruchnahme durch Haftungsbescheid

zur Entrichtung von Steuern bereithält, von denen er weiß, dass ihre Entstehung unmittelbar bevorsteht.698) Der BFH lehnt es auch ab, eine erfolgreiche Insolvenzanfechtung im Rahmen 469 des § 69 AO zu berücksichtigen, wenn die Steuer nicht fristgerecht abgeführt worden ist und bei fristgerechter Abführung eine Anfechtung nicht möglich gewesen wäre. Der BFH hatte über einen Fall zu befinden, in dem die Lohnsteuer am 15.7.2003 fällig war, jedoch erst am 19. September 2003 beglichen wurde, und der Drei-Monats-Zeitraum gemäß § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO am 22. Juli 2003 begann. Nach Auffassung des BFH steht die Pflicht zur Begleichung der Steuerschuld im Zeitpunkt ihrer Fälligkeit bei der gebotenen wertenden Betrachtung in einem inneren Zusammenhang mit dem Steuerausfall infolge einer späteren Insolvenzanfechtung. Dies ergebe sich aus dem Zweck des § 69 AO, den Vertreter auch zur pünktlichen Zahlung der Steuer anzuhalten.699) IX. Inanspruchnahme durch Haftungsbescheid Nach § 191 Abs. 1 AO kann durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen 470 werden, wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet. Diese Vorschrift umfasst dabei nicht nur steuerliche Haftungstatbestände. Auch zivilrechtliche Haftungsansprüche für eine Steuer fallen, wie sich aus § 191 Abs. 4 AO ergibt, in den Anwendungsbereich von § 191 Abs. 1 AO.700) Allerdings kann die Verletzung spezifisch insolvenzrechtlicher Pflichten nach § 60 InsO nur im Zivilrechtsweg geltend gemacht werden. Denn § 191 AO findet nur Anwendung, wenn der Haftende für fremde Steuerschulden eintreten muss, nicht, wenn er selbst der primär Verpflichtete ist. Letzteres ist jedoch bei § 60 InsO der Fall, weil der Insolvenzverwalter auf Grund eigenen Verhaltens verpflichtet ist, er steht nicht für fremde Verbindlichkeiten ein.701) Dies gilt auch für die Anwendung des § 61 InsO. Denn auch in diesem Fall geht es nicht um ein Einstehen für eine Steuerschuld eines anderen, sondern um einen Schadensersatzanspruch für eine eigene Pflichtverletzung.702) Danach kann der Fiskus allein etwaige Ansprüche gemäß § 69 AO mit Haftungsbescheid geltend machen.703) ___________ 698) BFH, Urt. v. 11.11.2008 – VII R 19/08, BStBl II 2009, 342 = ZIP 2009, 516. 699) BFH, Urt. v. 4.12.2007 – VII R 18/06, BFH/NV 2008, 521, zur Lohnsteuer, bestätigt durch BFH, Beschl. v. 15.6.2009 – VII B 196/08, BFH/NV 2009, 1605, zur Stromsteuer. Der BFH hat bislang nicht ausdrücklich entschieden, was im Falle der erfolgreichen Anfechtung einer fristgerechten Zahlung gilt, nach der Urteilsbegründung dürfte in diesem Fall eine Haftung jedoch ausscheiden. 700) BFH, Beschl. v. 7.10.2004 – VII B 46/04, BFH/NV 2005, 827. 701) Vgl. Klein-Rüsken, AO, § 191 Rn. 9 und Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, S. 43 jew. m. w. N; a. A. Hübschmann/Hepp/Spitaler-Boeker, AO, Vor §§ 69 – 77 Rn. 82. 702) Vgl. Nacke, Die Haftung für Steuerschulden, Rn. 430. 703) So auch Kübler/Prütting/Bork-Lüke, InsO, § 30 Rn. 52.

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N. Steuerhaftung gemäß § 69 AO

471 Die Geltendmachung der Haftung steht nach § 191 Abs. 1 Satz 1 AO („kann“) im Ermessen der Finanzbehörde. Das Ermessen bezieht sich darauf, ob (sog. Entschließungsermessen) und gegen wen (sog. Auswahlermessen) das Finanzamt einen Haftungsanspruch geltend machen darf.704) Bei mehreren in Betracht kommenden Haftungsschuldnern muss die Finanzbehörde hinsichtlich der Frage, welchen der Haftungsschuldner es in Anspruch nimmt, Ermessenserwägungen anstellen.705) Allerdings soll eine vorsätzliche Pflichtverletzung und Steuerhinterziehung des Haftungsschuldners das Ermessen nach der Rechtsprechung des BFH in der Weise vorprägen, dass eine Inanspruchnahme des betroffenen Haftungsschuldners auch ohne nähere Darlegung der Ermessenserwägungen im Haftungsbescheid erfolgen kann.706) Das Finanzamt hat Ermessensentscheidungen im Haftungsbescheid zu begründen.707) 472 Mit Urteil vom 12. Mai1976 hat der BFH entschieden, dass die Finanzbehörde ungeachtet des Umstandes, dass sie im Falle der Eröffnung eines Konkursverfahrens über das Vermögens des einen Gesamtschuldners ihre Steuerforderungen zur Tabelle anmelden und nach Maßgabe der Konkursordnung verfolgen kann, ermessensfehlerfrei berechtigt ist, einen weiteren Gesamtschuldner in Anspruch zu nehmen. Dies ergibt sich nach Meinung des BFH bereits daraus, dass die Finanzbehörde die Steuer schon deshalb festsetzen muss, um die Verjährung zu unterbrechen. Im Übrigen weist der BFH darauf hin, dass dann, wenn eine gesamtschuldnerische Schuld getilgt wird, die zur Konkurstabelle angemeldete Forderung insoweit auf den Gesamtschuldner übergeht, als er Ausgleichung verlangen kann (§ 426 Abs. 2 BGB).708) Mit seinem Urteil vom 4.5.1983 hat der BFH diese Rechtsprechung für den Fall, dass über das Vermögen einer Gesellschaft das Konkursverfahren eröffnet wird, bestätigt.709) 473 Nach der Rechtsprechung des BFH stehen Steuer- und Haftungsbescheid somit zwar nicht im Verhältnis von Grundlagen und Folgebescheid zueinander.710) Der Haftungsanspruch ist gegenüber dem Steueranspruch jedoch subsidiär. Er darf dann nicht geltend gemacht werden, wenn feststeht, dass

___________ 704) BFH, Urt. v. 11.3.2004 – VII R 52/02, BStBl II 2004, 579. 705) BFH, Urt. v. 11.3.2004 – VII R 52/02, BStBl II 2004, 579; FG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 29.10.2009 – 5 K 1776/08 (rkr.), EFG 2010, 190. 706) BFH, Beschl. v. 22.2.2005 – VII B 213/04, BFH/NV 2005, 1217; das gilt auch bei gleichrangig mithaftenden Mittätern, BFH, Urt. v. 12.2.2009 – VI R 40/07, BStBl II 2009, 478, zu § 42d Abs. 1 Nr. 3 EStG. 707) BFH, Urt. v. 11.3.2004 – VII R 52/02, BStBl II 2004, 579; BFH, Urt. v. 21.6.1994 – VII R 34/92, BStBl II 1995, 230 = ZIP 1995, 229; eine Vielzahl von Ermessensfehlern und BFH-Entscheidungen zum Ermessen und zu Ermessensfehlern ist aufgelistet bei Nacke, GmbHR 2006, 846. 708) BFH, Urt. v. 12.5.1976 – II R 187/72, BStBl II 1976, 579. 709) BFH, Urt. v. 4.5.1983 – II R 108/81, BStBl II 1983, 592 = ZIP 1983, 1124. 710) BFH, Urt. v. 5.10.2004 – VII R 7/04, BStBl II 2006, 343.

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X. Verjährung und Erlass

der Steuerschuldner zur Zahlung in der Lage ist.711) Ein solcher Fall liegt m. E. dann vor, wenn feststeht, dass der Fiskus seine Insolvenzforderungen (teils oder vollständig) im Rahmen der Verteilung erfüllt bekommt, beispielsweise auch auf Grundlage von Insolvenzanfechtungen. Fraglich ist in diesem Zusammenhang, welche Steuerschulden welcher Zeiträume im Rahmen der Verteilung durch den Insolvenzverwalter durch Zahlung erlöschen und somit eine Steuerhaftung entfallen lassen. Nach dem BGH sind gleichrangige Konkursforderungen nach dem Verhältnis ihrer Beträge zu berichtigen.712) Für die steuerliche Haftung muss die steuerliche Tilgungsbestimmung gemäß § 225 AO maßgeblich sein. X. Verjährung und Erlass § 191 Abs. 3 Satz 1 AO ordnet für den Erlass von Haftungsbescheiden aus- 474 drücklich an, dass die Vorschriften über die Festsetzung, die für Steuerbescheide gelten (§§ 169 – 171 AO), entsprechend anzuwenden sind. Die Vorschriften über die Festsetzungsverjährung werden durch die §§ 191 Abs. 3 Satz 2 bis 5 AO modifiziert.713) Die Festsetzungsfrist beträgt grundsätzlich vier Jahre, § 191 Abs. 3 Satz 2 AO. Nach § 191 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 AO kann ein Haftungsbescheid nicht mehr 475 ergehen, soweit die Steuer gegen den Steuerschuldner nicht festgesetzt worden ist und wegen des Ablaufs der Festsetzungsfrist auch nicht mehr festgesetzt werden kann. Ein Haftungsbescheid kann ebenfalls nicht mehr ergehen, soweit die gegen den Steuerschuldner festgesetzte Steuer verjährt oder die Steuer erlassen worden ist, § 191 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 AO. Etwas anderes gilt in beiden vorgenannten Fällen allerdings dann, wenn die Haftung darauf beruht, dass der Haftungsschuldner Steuerhinterziehung oder Steuerhehlerei begangen hat, § 191 Abs. 5 Satz 2 AO. Nach Auffassung der Finanzverwaltung ist § 191 Abs. 5 Nr. 2 AO hinsichtlich des Erlasses nicht anwendbar, wenn die Finanzbehörde im Rahmen eines Insolvenzplanes auf Steuerforderungen verzichtet. Dies wird damit begründet, dass sich die betreffenden Steuerforderungen zu sog. unvollkommenen Forderungen wandeln, die zwar erfüllbar sind, jedoch gegenüber dem Schuldner nicht mehr geltend gemacht werden dürfen. Dementsprechend könnten die aufgrund des Insolvenzplans nicht bedienten Abgabenforderungen etwaigen Haftungsschuldnern gegenüber geltend gemacht werden.714) Der BGH hat mit Urteil vom 19. Mai 2011715) entschieden, dass Verbindlichkeiten, soweit sie nach dem Insolvenz___________ 711) BFH, Urt. v. 23.9.2009 – VII R 43/08, BStBl II 2010, 215 = ZIP 2009, 2455, dazu EWiR 2010, 367 (Weiß). 712) BGH, Urt. v. 12.2.1985 – VI ZR 68/83, ZIP 1985, 487 = NJW 1985, 3064, dazu EWiR 1985, 267 (Hess). 713) Vgl. im Einzelnen Koenig-Intemann, AO, § 191 Rn. 95 ff. 714) BMF-Schreiben v. 17.12.1998, IV A 4 – S 0550 – 28/98, BStBl I 1998, 1500 Rn. 93. 715) BGH, Urt. v. 19.5.2011 – IX ZR 222/08, ZIP 2011, 1271, Rn. 10.

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N. Steuerhaftung gemäß § 69 AO

plan als erlassen gelten, zwar nicht erloschen sind, jedoch als natürliche Verbindlichkeiten fortbestehen, deren Erfüllung möglich ist, aber nicht erzwungen werden kann. Anknüpfend an diese BGH-Entscheidung hat der BFH in 2013 entschieden, dass dann, wenn der Fiskus im Insolvenzplan auf eine Forderung verzichtet, die Grundlage für eine Steuerhaftung nach § 69 AO nicht entfällt.716) Er hat damit die vorstehend dargestellte Sichtweise der Finanzverwaltung bestätigt. 476 Der Haftungsanspruch unterliegt als Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis gemäß § 37 Abs. 1 AO der Zahlungsverjährung nach §§ 228 ff. AO. Diese beträgt nach § 228 Satz 2 AO grundsätzlich fünf Jahre. XI. Beweisergebnisse anderer Gerichtsverfahren 477 Nach der Rechtsprechung des BFH dürfen die Beweisergebnisse anderer Gerichtsverfahren im Wege des Urkundenbeweises in den finanzgerichtlichen Prozess gemäß §§ 81, 82 FGO, §§ 415 ff. ZPO eingeführt werden. Das FG darf sich deshalb die Feststellungen aus einem in das finanzgerichtliche Verfahren eingeführten Strafurteil zu eigen machen, es sei denn, dass die Beteiligten gegen die strafrechtlichen Feststellungen substantiierte Einwendungen vortragen und entsprechende Beweisanträge stellen, die das FG nicht nach den allgemeinen für die Beweiserhebung geltenden Grundsätzen unbeachtet lassen kann.717) An die Entscheidungen in strafgerichtlichen Verfahren ist die Finanzbehörde nicht gebunden.718) XII. Auskunft und Akteneinsicht 478 Die Abgabenordnung enthält keine Regelung, nach der ein Anspruch auf Akteneinsicht im steuerlichen Verwaltungsverfahren – auch nicht im Einspruchsverfahren – besteht. Der Steuerpflichtige hat jedoch nach der Rechtsprechung des BFH ein Recht darauf, dass die Finanzbehörde über seinen Antrag auf Gewährung von Akteneinsicht nach pflichtgemäßem Ermessen entscheidet.719) Der BFH steht auf dem Standpunkt, dass sich ein Anspruch auf Akteneinsicht im steuerlichen Ermittlungsverfahren auch nicht aus der Richtlinie 95/46/EG herleiten lässt, die ihre Umsetzung in innerstaatliches Recht durch das Bundesdatenschutzgesetz und entsprechende landesrechtliche Datenschutzgesetze erfahren hat, weil sowohl die vorgenannte Richtlinie als auch die nationalen Datenschutzgesetze den Vorrang einschränkender bereichsspezifischer Regelungen in Steuerangelegenheiten anerkennen und die ___________ 716) BFH, Beschl. v. 15.5.2013 – VII R 2/12, ZIP 2013, 1732, dazu EWiR 2013, 691 (Hiebert). 717) BFH, Urt. v. 21.6.1988 – VII R 135/85, BStBl II 1988, 841; BFH, Beschl. v. 30.7.2009 – VIII B 214/07, BFH/NV 2009, 1824; BFH, Urt. v. 23.4.2014 – VII R 41/12, BStBl II 2015, 117. 718) BFH, Urt. v. 10.10.1972 – VII R 117/69, BStBl II 1973, 68. 719) BFH, Beschl. v. 4.6.2003 – VII B 138/01, BStBl II 2003, 790 m. w. N.; so auch AEAO 2008 zu § 91 Nr. 4.

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XII. Auskunft und Akteneinsicht

Abgabenordnung eine in diesem Sinne abschließende Regelung für den Umgang mit den im Besteuerungsverfahren gespeicherten Daten enthalte.720) Nach der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte ist im Einzelfall zu prüfen, ob ein Anspruch auf Akteneinsicht nach den Informationsfreiheitsgesetzen der Länder oder des Bundes721) in Betracht kommt.722) Im finanzgerichtlichen Verfahren besteht ein Recht auf Akteneinsicht nach 479 § 78 FGO.723) Im Einzelfall ist zu erwägen, zunächst die Beiziehung von Akten von anderen betroffenen Finanzbehörden (z. B. Oberbehörden) gemäß § 86 FGO724) zu beantragen, um sodann umfassend Akteneinsicht nehmen zu können.

___________ 720) BFH, Beschl. v. 4.6.2003 – VII B 138/01, BStBl II 2003, 790. 721) Gesetz zur Regelung des Zugangs zu Informationen des Bundes (Informationsfreiheitsgesetz – IFG) v. 5.9.2005, BGBl. I 2005 S. 2722. 722) Vgl. nur OVG Münster, Urt. v. 15.6.2011 – 8 A 1150/10, ZIP 2011, 1426, dazu EWiR 2011, 505 (Blank) bestätigt durch BVerwG, Beschl. v. 14.5.2012 – 7 B 53.11, ZInsO 2012, 1268 und OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 4.8.2014 – 12 N 36.14, ZInsO 2014, 2174 jeweils betreffend die Ausforschung eines Insolvenzanfechtungsanspruch gegenüber dem Finanzamt aufgrund des jeweiligen Landes-IFG. Nach dem BVerwG ist für Ansprüche nach einem IFG gegen den Fiskus der Verwaltungsrechtsweg gegeben und nicht der Finanzrechtsweg, Beschl. v. 17.4.2013 – 7 B 6/13, ZIP 2013, 1252 i. V. m. Beschl. v. 15.10.2012 – 7 B 2.12, ZIP 2012, 2417. 723) Vgl. dazu Tipke/Kruse-Brandis, FGO, § 78 Rn. 1 ff. m. w. N. 724) Vgl. dazu Tipke/Kruse-Seer, FGO, § 86 Rn. 1 ff. m. w. N.

183

O. Steuerhaftung gemäß § 73 AO Nach § 73 AO gilt:

480

„Eine Organgesellschaft haftet für solche Steuern des Organträgers, für welche die Organschaft zwischen ihnen steuerlich von Bedeutung ist. Den Steuern stehen die Ansprüche auf Erstattung von Steuervergütungen gleich.“

Nach dem Wortlaut des § 73 AO haftet die Organgesellschaft – ohne Ver- 481 schulden – nicht nur für die von ihr verursachten Steuern, für welche die Organschaft von Bedeutung ist, sondern auch, soweit die Organschaft zwischen dem Organträger und der Organgesellschaft dafür von Bedeutung ist, für (1) die von dem Organträger verursachten Steuern und (2) für Steuern, welche dem Organträger von anderen Organgesellschaften zugerechnet werden. Allein im Rahmen der Ermessensausübung sollen abweichende Entscheidungen möglich sein, wobei offen bleibt, wie diese Voraussetzungen konkret zu verstehen sind.725) Der V. Senat des BFH726) ist zwar der Meinung, über diese Frage sei bereits auf Tatbestandsebene zu entscheiden. Für die Steuerhaftung nach § 73 AO dürfte nach dem Geschäftsverteilungsplan des BFH jedoch der VII. Senat des BFH zuständig sein. Auf dieser Grundlage ist es dem insolventen Organträger in der Praxis entweder nur sehr schwer oder gar nicht möglich, die Anteile an einer „gesunden“ Organgesellschaft im Rahmen der Sanierung an einen Investor zu verkaufen.

___________ 725) Vgl. Klein-Rüsken, AO, § 73 Rn. 12 und Schimmele/Weber, BB 2013, 2263 jew. m. w. N. 726) BFH, Beschl. v. 19.3.2014 – V B 14/14, ZIP 2014, 889 Rn. 21, dazu EWiR 2014, 329 (Debus/Elpers).

185

P. Steuerhaftung gemäß § 74 AO Nach § 74 Abs. 1 AO gilt: „Gehören Gegenstände, die einem Unternehmen 482 dienen, nicht dem Unternehmer, sondern einer an dem Unternehmen wesentlich beteiligten Person, so haftet der Eigentümer der Gegenstände mit diesen für diejenigen Steuern des Unternehmens, bei denen sich die Steuerpflicht auf den Betrieb des Unternehmens gründet. Die Haftung erstreckt sich jedoch nur auf die Steuern, die während des Bestehens der wesentlichen Beteiligung entstanden sind. Den Steuern stehen die Ansprüche auf Erstattung von Steuervergütungen gleich“. § 74 Abs. 2 AO bestimmt weiter: „Eine Person ist an dem Unternehmen wesentlich beteiligt, wenn sie unmittelbar oder mittelbar zu mehr als einem Viertel am Grund- oder Stammkapital oder am Vermögen des Unternehmens beteiligt ist. Als wesentlich beteiligt gilt auch, wer auf das Unternehmen einen beherrschenden Einfluss ausübt und durch sein Verhalten dazu beiträgt, dass fällige Steuern i. S. d. Absatzes 1 Satz 1 nicht entrichtet werden.“

§ 74 AO regelt eine persönliche und verschuldensunabhängige Haftung des 483 wesentlich beteiligten Gesellschafters für Betriebssteuern, gegenständlich beschränkt auf solche dem Unternehmen dienende Gegenstände, die vom Gesellschafter zur Verfügung gestellt wurden. Der VII. Senat des BFH hat den Anwendungsbereich des § 74 AO in Fällen, in denen über das Vermögen des Unternehmens das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, zugunsten des Fiskus stetig erweitert. Der VII. Senat des BFH hat in seinem Urteil vom 22. November 2011727) 484 entschieden, dass es dem Gesellschafter nach dem Sinn und Zweck des § 74 AO nicht gestattet sein könne, eine Haftung durch Veräußerung der Haftungsgegenstände zu umgehen.728) Hieraus ergebe sich, dass das Haftungsobjekt nicht beschränkt sei auf den im Zeitpunkt der Inanspruchnahme noch im Eigentum des Beteiligten stehenden Gegenstandes, sondern jedenfalls ein dafür ggf. erhaltenes Surrogat. Der BFH hat – weil im Urteilsfall nicht entscheidungserheblich – offen gelassen, was gilt, wenn das Surrogat nicht mehr vorhanden ist oder zur Rückführung von Krediten, mit denen der Gegenstand finanziert wurde, verwendet worden ist. In seinem Urteil vom 23. Mai 2012729) hat der VII. Senat des BFH zum einen 485 entschieden, dass es sich bei einem Erbbaurecht als grundstücksgleiches Recht um einen Gegenstand i. S. d. § 74 AO handelt. Zum anderen steht nach Meinung des VII. Senats des BFH der Umstand, dass nicht der Kläger, ___________ 727) BFH, Urt. v. 22.11.2011 – VII R 63/10, BStBl II 2012, 223. 728) Haritz, DStR 2012, 883 hält diese Auslegung des § 74 AO wegen eines Verstoßes gegen Art. 20 Abs. 2 i. V. m. Abs. 3 GG (Gesetzgebungskompetenz der Legislative) für verfassungswidrig. 729) BFH, Urt. v. 23.5.2012 – VII R 28/10, BFH/NV 2012, 1509; inhaltsgleich BFH, Urt. v. 23.5.2012 – VII R 29/10, BFH/NV 2012, 1924. Bestätigt durch BVerfG, Beschl. v. 17.9.2013 – 1 BvR 1928/12, ZIP 2013, 2105 = ZfIR 2013, 826 (LS).

187

P. Steuerhaftung gemäß § 74 AO

sondern die Besitzgesellschaft (GmbH & Co. KG) Inhaberin des Erbbaurechts ist, einer Haftungsinanspruchnahme nicht entgegen. 486 Mit Urteil vom 28. Januar 2014730) hat der VII. Senat des BFH zwar entschieden, dass der Fiskus nicht berechtigt ist, Umsatzsteuererstattungsansprüche mit Haftungsansprüchen nach § 74 AO aufzurechnen, insbesondere in Fällen der verunglückten umsatzsteuerlichen Organschaft. Er hat jedoch offen gelassen, ob die Aufrechnung auch dann unzulässig ist, wenn an die Stelle des Grundstücks ein Surrogat getreten ist. 487 Nach dem FG Niedersachen kann eine wesentliche Beteiligung i. S. d. § 74 Abs. 2 Satz 1 AO nicht durch die Anwendung der Personengruppentheorie fingiert werden.731)

___________ 730) BFH, Urt. v. 28.1.2014 – VII R 34/12, DStR 2014, 1100. 731) Niedersächsisches FG, Urt. v. 30.6.2014 – 14 K 101/13, EFG 2014, 1550 (Revision anhängig beim BFH – VII R 34/14).

188

Stichwortverzeichnis

Akteneinsicht

478 f. Asset Deal 330, 339, 342 Aufrechnung – insolvenzrechtliche Aufrechnungsverbote 387 ff. – Rechtsgrundlagen 379 ff. – Wesen 374 ff. Ausgliederung 339 ff.

Bereicherungsabsicht

233 ff. Besteuerung der GmbH 19 ff. – ertragsteuerliche Organschaft 25 ff. – umsatzsteuerliche Organschaft 21 ff. Besteuerung der GmbH-Gesellschafter 31 ff. – Gesellschafter ist eine GmbH 42 ff. – Gesellschafter ist eine natürliche Person 32 ff. Besteuerung im Insolvenzverfahren 6 ff. Besteuerung von Sanierungsmaßnahmen 9 ff.

Darlehenszinsen – Gesellschafter ist eine GmbH 210 ff. – Gesellschafter ist eine natürliche Person 220 ff. Debt Mezzanine Swap 303 ff. Definitiveffekt 61, 85 Durchsetzungssperre 258

Eigenverwaltung 425 ff. Einlage des Gesellschafters 299 ff. Einlage und Gewinnerhöhung 49 ff. Ertragsteuerliche Organschaft 25 ff. Ertragsteuern 362 ff. – Gewinn 363

– Masseverbindlichkeiten 250 ff. – Sanierungsmaßnahmen 16 – Veräußerung von Wirtschaftsgütern 168 ESUG 2, 12, 328, 425

Festsetzungsverjährung 474 Finanzamt 243 ff., 453 ff. Forderungsverzicht – (Nicht-) Abziehbarkeit von Verlusten gemäß § 10d EStG und § 10a GewStG 57 ff. – § 20 EStG oder § 17 EStG 190 ff. – Bereicherungsabsicht 233 ff. – Besonderheiten im Insolvenzverfahren – ertragsteuerliche Folgen – GmbH 48 ff. – ertragsteuerliche Folgen – Gesellschafter 170 ff. – Finanzamt 243 ff. – Gesellschafter ist eine GmbH 172 ff. – Gesellschafter ist eine natürliche Person – Anteile Privatvermögen 184 ff. – Gesellschafter ist eine natürliche Person – Anteile Betriebsvermögen 213 ff. – Insolvenzplan 240 – Leistung 227 – Masseverbindlichkeiten 249 ff. – Nichtabziehbarkeit von Verlusten gemäß § 8c KStG 62 ff. – Sanierungserlass 121 ff. – schenkungsteuerliche Folgen 222 ff. – Vermögensverschiebung 228 ff. – Wesen der Forderungen nach Verzicht 247 f. 189

Stichwortverzeichnis

– widersprüchliches Verhalten 239 – Zufluss 184 ff. – Zuordnung von Aufwendungen 188 f. Formwechsel – Kapitalgesellschaft in Kapitalgesellschaft 324 – Kapitalgesellschaft in Personengesellschaft 323 – Personengesellschaft in Kapitalgesellschaft 322 Fünf-Jahres-Zeitraum 102 ff.

Gewerbesteuer – Sanierungserlass 162 ff. Gewinnausschüttungen 36, 43 – verdeckte 109 Gewinnerhöhung 49 ff., 134 – Forderungsverzicht 57, 62, 300 f. Gewinnminderung – Gesellschafter ist eine natürliche Person 213 ff. Grunderwerbsteuer 372

Haftung

s. Steuerhaftung gemäß §§ 69, 73 und 74 AO Haftungsbescheid 470 ff. Handelsbilanz 267 ff., 283

Insolvenzanfechtung

326, 441 ff. Insolvenzeröffnungsverfahren 425, 439 Insolvenzsteuerrecht 12 ff.; s. a. Sanierungssteuerrecht Insolvenzverfahren 10 ff., 129 f., 197, 274 f. Insolvenzverwalter 406 ff., 428, 438 ff.

Kapitalertragsteuer 41 Kapitalgesellschaften – Trennungsprinzip 20 190

Massesicherungspflicht

427 ff., 437 ff. Masseverbindlichkeiten 249 ff. Mittelvorsorgepflicht 423

Nachträgliche Anschaffungskosten bei § 17 EStG 198 ff. Nichtabziehbarkeit von Verlusten gemäß § 8c KStG – Anwendungsbereich 86 ff. – Erwerber 107 ff. – körperschaftliche Organschaft 114 f. – Unternehmenssanierungen 116 – Vermeidungsstrategien 117 f. – Zeitpunkt und Umfang 111 ff.

Personengesellschaften – Transparenzprinzip 19 Pflichtenkollision 427 ff., 446 – Auflösung 431 ff. Pflichtenprogramm 415, 421 ff. Pflichtverletzung 421 ff., 449, 466 Planinsolvenz – Sanierungserlass 146

Rangrücktritt

253 ff. – grundlegende Entscheidung des IX. Senats des BGH 261 ff. – Rechtslage nach MoMiG 259 ff. – Rechtslage vor MoMiG 255 ff. Rangrücktritt und Amtslöschung 289 ff.

Sachwalter 409 ff. Sanierung, unternehmer- und unternehmensbezogene – Sanierungserlass 128 ff. Sanierungsbedürftigkeit 136 ff. Sanierungserlass – Beurteilungszeitpunkt 147 – Gewerbesteuer 162 ff. – nicht erfasste Steuern 167 ff.

Stichwortverzeichnis

– – – – – – – – –

Planinsolvenz 146 Rechtmäßigkeit 125 ff. Rechtsentwicklung 122 Rechtsfolgen 151 ff. Sanierungsabsicht 144 Sanierungsbedürftigkeit 136 ff. Sanierungseignung 143 Sanierungsfähigkeit 142 Sanierungsgewinn aufgrund Schuldenerlass 131 ff. – Schuldenerlass durch Gesellschafter 149 – Unternehmenssanierung 116 – unternehmer- und unternehmensbezogene Sanierung 128 ff. – Zurechnung des Sanierungsgewinns 150 Sanierungsgewinn – Schuldenerlass 131 Sanierungskosten 148 Sanierungsmaßnahmen – Besteuerung 9 ff. – Ertragsteuern 16 – Insolvenzplan 2 – Umsatzsteuern 16 Sanierungsplan 141, 145 Sanierungssteuerrecht 12 ff.; s. a. Insolvenzsteuerrecht Schädlicher Beteiligungserwerb – Bedeutung 88 ff. – Fünf-Jahres-Zeitraum 102 ff. – Gegenstände und vergleichbare Sachverhalte 91 ff. – Kapitalerhöhung 94 – mittelbarer oder unmittelbarer 95 ff. – Zeitpunkt 101, 112 Schuldenerlass – Sanierungsgewinn 131 ff. Schuldübernahme 293 ff. Sonderbetriebsvermögen 138 ff. Spaltung 325 Steuerbilanz 267, 283 Steuerentrichtungspflicht 423 ff.

Steuererklärungspflicht 422 Steuerhaftung gemäß § 69 AO 399 ff. – Akteneinsicht 478 f. – Beratungspflicht 454 – Beweisergebnisse anderer Gerichtsverfahren 477 – Haftung 466 ff. – Haftungsbescheid, Inanspruchnahme 470 ff. – Mitwirkungspflicht des Geschäftsführers 455 f. – Pflichten bei Gesamtverantwortung 457 ff. – Verjährung und Erlass 474 ff. – Verschulden 461 ff. Steuerhaftung gemäß § 73 AO 480 Steuerhaftung gemäß § 74 AO 482 Steuerschuldverhältnis 361, 374, 400 – Ansprüche 416 ff.

Tilgung – der Gesellschafterforderung 299 ff. Teileinkünfteverfahren 33, 35 ff., 209, 221 Transparenzprinzip – Personengesellschaften 19 Trennungsprinzip – GmbH 63 – Kapitalgesellschaften 20 ff.

Umsatzsteuerliche Organschaft 21 ff. Umsatzsteuern – Sanierungsmaßnahmen 16 f. Umwandlung 304 ff. – Ertragsteuern 362 ff. – Formwechsel 322 ff. – Grunderwerbsteuer 372 – Insolvenzanfechtung 326 – nach Insolvenzeröffnung 328 ff. – Spaltung 325

191

Stichwortverzeichnis

– Steuerhaftung 373 – strafrechtliche Aspekte 372 – Umsatzsteuer 370 f. – Verschmelzung 306 ff. – vor Insolvenzeröffnung 306 ff. Unternehmenssanierung – Sanierungserlass 116

Veranlagungswahl

41 Veräußerungsgewinne – aus nicht wesentlichen Beteiligungen 35 – aus wesentlichen Beteiligungen 35 – Teileinkünfteverfahren 38 Verluste – Nichtabziehbarkeit 62 ff., 111 Verlustrücktrag 59 f., 111 Vermögensumschichtung s. Vermögensverschiebung Vermögensverschiebung 228 ff.

192

Verschmelzung 306 ff. Vertreter 399 f., 403 ff., 422 f., 459 ff. – Beratungspflicht 454 – Steuerentrichtungspflicht 423 f. Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis 407 ff. – des eigenverwaltenden Schuldners 426 Vorlagebeschluss des BFH – zu § 10d EStG 83 ff. Vorlagebeschluss des FG Hamburg – zu § 8c KStG 80 ff.

Wertminderungen Zinsen

209, 215

34, 156, 198; s. a. Darlehenszinsen Zufluss 184 ff. Zustimmungsvorbehalt 438 ff., 463 f.