Formwechsel im Binnenmarkt: Die grenzüberschreitende Umwandlung von Gesellschaften in Europa 9783161544873, 9783161543333

Bei einem Formwechsel handelt es sich um einen Vorgang, durch welchen eine Gesellschaft unter Beibehaltung ihrer rechtli

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German Pages 378 [380] Year 2016

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Vorwort
Inhaltsübersicht
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Einleitung
Kapitel 1: Gesellschaftsmobilität im europäischen Binnenmarkt
§ 1 Rechtliche Rahmenbedingungen grenzüberschreitender Mobilität
I. Einführung
II. Grundlagen des Internationalen Gesellschaftsrechts
1. Begriff und Gegenstand
2. Sitztheorie
a) Anknüpfungspunkte
b) Rechtspolitische Motive und Kritik
c) Möglichkeit eines Statutenwechsels
3. Gründungstheorie
a) Anknüpfungspunkte
b) Rechtspolitische Motive und Kritik
c) Möglichkeit eines Statutenwechsels
III. Entwicklungsstand unionsrechtlicher Harmonisierung
1. Übereinkommen auf der Basis von Art. 220 EWGV / Art. 293 EGV
2. Vorentwurf einer Sitzverlegungsrichtlinie
IV. Rechtsprechung des EuGH zur Niederlassungsfreiheit der Gesellschaften
1. Daily Mail - Bereichsausnahme für das Gesellschaftskollisionsrecht?
a) Kernaussage der Entscheidung
b) Rechtliche Einordnung
2. Centros - Niederlassungsfreiheit für Briefkastengesellschaften?
a) Kernaussage der Entscheidung
b) Rechtliche Einordnung
3. Überseering - Ende der Sitzanknüpfung im Gesellschaftskollisionsrecht?
a) Kernaussage der Entscheidung
b) Rechtliche Einordnung
4. Inspire Art - Durchbruch für die europäische Gründungstheorie?
a) Kernaussage der Entscheidung
b) Rechtliche Einordnung
5. SEVIC Systems - Grenzüberschreitende Umwandlungen qua Niederlassungsfreiheit
a) Kernaussage der Entscheidung
b) Rechtliche Einordnung
6. Cadbury Schweppes - Einschränkung der Zulässigkeit von „Briefkastengründungen“?
a) Kernaussage der Entscheidung
b) Rechtliche Einordnung
7. Cartesio - Partielle Wegzugsfreiheit von Gesellschaften
a) Kernaussage der Entscheidung
b) Rechtliche Einordnung
8. National Grid Indus - Abkehr des EuGH von Daily Mail?
a) Kernaussage der Entscheidung
b) Rechtliche Einordnung
9. VALE Építési - Niederlassungsfreiheit als Formwechselfreiheit
a) Kernaussage der Entscheidung
b) Rechtliche Einordnung
V. Judikatur deutscher Gerichte zu grenzüberschreitenden Formwechseln
1. Herausformwechsel deutscher Gesellschaften
2. Hereinformwechsel EU-ausländischer Gesellschaften
VI. Zwischenergebnis
§ 2 Motivation grenzüberschreitender Mobilität
I. Einführung
II. Standortwahl im Binnenmarkt
1. Unternehmensstrategische Erwägungen
2. Steuerrechtliche Erwägungen
3. Insolvenzrechtliche Erwägungen
III. Beweggründe grenzüberschreitender Formwechsel
1. Wechsel des Gesellschaftsstatuts
2. Identität des Rechtsträgers
3. Sonstige Erwägungen
IV. Alternative Restrukturierungsmöglichkeiten
1. Grenzüberschreitende Verschmelzung
a) Vorzüge
b) Nachteile
2. Grenzüberschreitende Neugründung
a) Vorzüge
b) Nachteile
3. Grenzüberschreitende Anwachsung
a) Vorzüge
b) Nachteile
V. Zwischenergebnis
Kapitel 2: Die Niederlassungsfreiheit der Gesellschaften
§ 3 Der Gewährleistungsgehalt der Niederlassungsfreiheit
I. Einführung
II. Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit
1. Sachlicher Anwendungsbereich
a) Ökonomische Zielsetzung
b) Begriff der Niederlassung
aa) Abgrenzungskriterien
(1) Qualitatives Element
(2) Zeitliches Element
(3) Tatsächliches Element
bb) Tatbestandsmerkmal oder Rechtfertigungskriterium?
(1) Entwicklung der Rechtsprechung
(2) Stellungnahme
2. Personeller Anwendungsbereich
a) Niederlassungsfreiheit der Gesellschaftsgründer
b) Gleichstellung der Gesellschaften
aa) Zweck und Art der Gleichstellung
bb) Voraussetzungen
(1) Gründungsverbindung
(2) Institutionelle Verbindung
III. Gewährleistungsinhalt der Niederlassungsfreiheit
1. Adressaten der Niederlassungsfreiheit
2. Diskriminierungsverbot
3. Beschränkungsverbot
4. Rechtfertigung niederlassungsbeschränkender Maßnahmen
a) Geschriebene Rechtfertigungsgründe
b) Ungeschriebene Rechtfertigungsgründe
aa) Diskriminierungsfreie Beschränkung
bb) Zwingende Gründe des Allgemeininteresses
cc) Geeignetheit
dd) Erforderlichkeit
IV. Zwischenergebnis
§ 4 Ausprägungen grenzüberschreitender Mobilität von Gesellschaften
I. Einführung
II. Grenzüberschreitende Gesellschaftsgründung
1. Perspektive des Gründungsstaates
a) Bereichsausnahme vom Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit?
b) Stellungnahme
2. Perspektive des Herkunftsstaates
a) Unionsrechtliche Verpflichtung zur Anerkennung von Briefkastengesellschaften?
b) Stellungnahme
aa) Erfordernis einer effektiven Bindung
bb) Kriterien einer effektiven Bindung
III. Grenzüberschreitende Verlegung des Verwaltungssitzes
1. Perspektive des Herkunfts Staates
a) Unionsrechtliche Zulässigkeit des Verwaltungssitzerfordernisses im Inland?
b) Stellungnahme
2. Perspektive des Aufnahmestaates
a) Kollisionsrechtlicher Gehalt der Niederlassungsfreiheit?
b) Stellungnahme
IV. Grenzüberschreitende Verlegung des Satzungssitzes
1. Rechtsformwahrende Satzungssitzverlegung
2. Grenzüberschreitender Formwechsel
a) Perspektive des Herkunftsstaates
aa) Unionsrechtlich verbürgtes Recht auf formwechselnden Wegzug?
bb) Stellungnahme
b) Perspektive des Aufnahmestaates
aa) Diskriminierungs- oder Beschränkungsverbot als Kontrollmaßstab?
bb) Stellungnahme
c) Isolierter Formwechsel?
aa) Erfordernis einer tatsächlichen Ansiedlung der Gesellschaft im Aufnahmestaat?
bb) Stellungnahme
V. Zwischenergebnis
Kapitel 3: Der grenzüberschreitende Formwechsel nach deutschem Recht
§ 5 Ermittlung des maßgeblichen materiellen Rechts
I. Einführung
II. Kollisionsrechtliche Vereinigungstheorie
1. Grundsätze
2. Normwidersprüche und Normenmangel
a) Anpassung
b) Substitution
c) Intertemporales Recht
III. Anwendungsvorbehalt des Umwandlungsgesetzes
1. Unionsrechtliche Vorgaben
2. Analoge Anwendung umwandlungsrechtlicher Vorschriften
a) Planwidrige Gesetzeslücke
b) Vergleichbare Interessenlage
IV. Zwischenergebnis
§ 6 Herausformwechsel deutscher Gesellschaften
I. Einführung
II. Risiken von Herausformwechseln
1. Risiken für Gesellschaftsgläubiger
a) Wegfall der persönlichen Gesellschafterhaftung
b) Verringerung der Kapitalziffer
c) Wegfall der Kapitalbindung
d) Lockerung der Kapitalbindung
e) Verschlechterung der zivilverfahrensrechtlichen Rechtsposition?
f) Verzögerung der Eröffnung des Insolvenz Verfahrens?
2. Risiken für Anteilsinhaber
a) Beeinträchtigung des Bestandes der Rechtsposition als Anteilsinhaber
b) Beeinträchtigung des Inhalts der Rechtsposition als Anteilsinhaber
aa) Allgemeine mitgliedschaftliche Rechtspositionen
bb) Besondere mitgliedschaftliche Rechtspositionen
III. Umwandlungsrechtliche Schutzinstrumente
1. Unionsrechtliche Vorgaben
2. Maßnahmen zum Schutz der Gesellschaftsgläubiger
a) Persönliche Gesellschafterhaftung für Altverbindlichkeiten
aa) Herausformwechsel von Personengesellschaften
bb) Herausformwechsel von Kapitalgesellschaften
b) Anspruch auf Sicherheitsleistung
aa) Anzuwendendes Regelungsregime
bb) Tatbestandliche Voraussetzungen
c) Haftung der Verwaltungsträger
d) Perpetuierung eines allgemeinen Gerichtsstands im Inland?
e) Unionsrechtliche Bedenken?
aa) Geeignetheit
bb) Erforderlichkeit
3. Maßnahmen zum Schutz der Anteilsinhaber
a) Umwandlungsrechtliche Zustimmungserfordernisse
aa) Anzuwendendes Regelungsregime
bb) Herausformwechsel von Personengesellschaften
cc) Herausform Wechsel von Kapitalgesellschaften
b) Anspruch auf Barabfindung
aa) Tatbestandliche Voraussetzungen
bb) Potentielle Konflikte mit Gläubigerschutz Vorschriften
c) Sonderrechtsschutz
d) Anspruch auf bare Zuzahlung
e) Haftung der Verwaltungsträger
f) Beschlusskontrolle und Gesellschafterklage
aa) Beschlussmängelklage
(1) Materielle Beschlusskontrolle?
(2) Individuelle Rechtsmissbrauchskontrolle
bb) Spruchverfahren
g) Unionsrechtliche Bedenken?
aa) Geeignetheit
bb) Erforderlichkeit
IV. Praktische Durchführung von Herausformwechseln
1. Zulässige Formwechselkonstellationen
a) Formwechselfähige Rechtsträger
b) Zulässige Zielrechtsformen
2. Umwandlungsverfahren
a) Vorbereitungsphase
b) Beschlussphase
aa) Vorbereitung der Beschlussfassung
bb) Umwandlungsbeschluss
(1) Niederschrift über den Umwandlungsbeschluss
(2) Unbekannte Aktionäre
c) Durchführungsphase
aa) Registerverfahren in Deutschland
(1) Anmeldung des Formwechsels
(2) Eintragung mit Wirksamkeitsvorbehalt
(3) Löschung der Eintragung der Ausgangsrechtsform
(4) Bekanntmachung des Formwechsels
bb) Registerverfahren im Aufnahmestaat
d) Sonderfall: Beteiligung nicht registerpflichtiger Rechtsformen
aa) Herausformwechsel der GbR
bb) Nicht registerpflichtige EU-ausländische Zielrechtsform
V. Zwischenergebnis
§ 7 Hereinformwechsel EU-ausländischer Gesellschaften
I. Einführung
II. Risiken von Hereinformwechseln
III. Umwandlungsrechtliche Schutzinstrumente
1. Unionsrechtliche Vorgaben
2. Maßnahmen zum Schutz des Rechtsverkehrs
a) Verweisung auf das Gründungsrecht
aa) Hereinformwechsel in die Rechtsform einer Personengesellschaft
bb) Hereinformwechsel in die Rechtsform einer Kapitalgesellschaft
(1) GmbH
(2) AG
(3) KGaA
b) Einschränkung der Kontinuität der Firma
c) Unionsrechtliche Bedenken?
3. Maßnahmen zum Schutz sonstiger Interessen?
IV. Praktische Durchführung von Hereinformwechseln
1. Zulässige Formwechselkonstellationen
a) Formwechselfähige Rechtsträger
b) Zulässige Zielrechtsformen
c) Rechtsformkongruente Formwechsel
2. Umwandlungsverfahren
a) Vorbereitungsphase
aa) Voraussetzungen des Herkunftsstaates
bb) (Sach-)Gründungsbericht
b) Beschlussphase
aa) Inhalt des Umwandlungsbeschlusses
(1) Hereinformwechsel in die Rechtsform einer Kapitalgesellschaft
(2) Hereinformwechsel in die Rechtsform einer Personengesellschaft
bb) Form des Umwandlungsbeschlusses
(1) Hereinformwechsel in die Rechtsform einer Kapitalgesellschaft
(2) Hereinformwechsel in die Rechtsform einer Personengesellschaft
c) Durchführungsphase
aa) Registerverfahren im Herkunftsstaat
bb) Registerverfahren in Deutschland
(1) Anmeldung des Formwechsels
(2) Prüfungsumfang des Registergerichts
(3) Eintragung der Zielrechtsform
(4) Bekanntmachung des Formwechsels
d) Sonderfall: Beteiligung nicht registerpflichtiger Rechtsformen
aa) Nicht registerpflichtige EU-ausländische Ausgangsrechtsform
bb) Hereinformwechsel in die Rechtsform der GbR
V. Zwischenergebnis
Kapitel 4: Rechtsvergleich und Ausblick
§ 8 Grenzüberschreitende Formwechsel nach englischem Recht
I. Einführung
II. Grundlagen des englischen Gesellschaftsrechts
1. Internationales Gesellschaftsrecht
2. Verbreitete Rechtsformen
a) Kapitalgesellschaften (companies)
b) Personengesellschaften (partnerships)
3. Umwandlungsrecht
a) Neueintragung von Kapitalgesellschaften (re-registration)
b) Grenzüberschreitende Umwandlungen
III. Herausformwechsel englischer Gesellschaften
1. Umwandlungsrechtliche Schutzinstrumente
a) Maßnahmen zum Schutz der Gesellschaftsgläubiger
b) Maßnahmen zum Schutz der Anteilsinhaber
2. Praktische Durchführung von Herausformwechseln
a) Vorbereitungsphase
b) Beschlussphase
c) Durchführungsphase
IV. Hereinformwechsel EU-ausländischer Gesellschaften
1. Umwandlungsrechtliche Schutzinstrumente
a) Hereinformwechsel in die Rechts form der Plc
b) Hereinformwechsel in die Rechtsform der Ltd.
c) Hereinformwechsel in die Rechtsform der private unlimited company
2. Praktische Durchführung von Hereinformwechseln
a) Vorbereitungsphase
b) Beschlussphase
c) Durchführungsphase
V. Zwischenergebnis
§ 9 Grenzüberschreitende Formwechsel de lege ferenda
I. Einführung
II. Rechtssetzung auf europäischer Ebene
1. Regelungsbedürfnis auf europäischer Ebene
2. Reichweite der Regelungskompetenz des Unionsgesetzgebers
III. Rechtssetzung auf nationaler Ebene?
1. Sinnhaftigkeit einer Regelung durch die Mitgliedstaaten?
2. Regelungsbedarf im deutschen Recht?
a) Reform Internationalen Gesellschaftsrechts?
b) Novelle des Umwandlungsgesetzes
IV. Zwischenergebnis
Zusammenfassung in Thesen
Literaturverzeichnis
Sachregister
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Formwechsel im Binnenmarkt: Die grenzüberschreitende Umwandlung von Gesellschaften in Europa
 9783161544873, 9783161543333

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Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht 347 Herausgegeben vom

Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht Direktoren:

Jürgen Basedow, Holger Fleischer und Reinhard Zimmermann

Ansgar Frank

Formwechsel im Binnenmarkt Die grenzüberschreitende Umwandlung von Gesellschaften in Europa

Mohr Siebeck

Ansgar Frank, geboren 1983; Studium der Politikwissenschaften und der Rechtswissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität München; 2010 Erste Juristische Prüfung; Rechtsreferendariat in Freiburg; 2012 Zweite Juristische Staatsprüfung; 2015 ­Promotion; seit 2014 Rechtsanwalt in Berlin.

e-ISBN PDF 978-3-16-154487-3 ISBN 978-3-16-154333-3 ISSN 0720-1141 (Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National­bibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb. dnb.de abrufbar. © 2016  Mohr Siebeck, Tübingen. www.mohr.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwer­ tung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elek­ tronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruck­ papier gedruckt und von der Buchbinderei Nädele in Nehren gebunden.

Meinen Eltern

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2015 von der juristischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München als Dissertation angenommen. Sie ist für die Drucklegung punktuell überarbeitet und aktualisiert worden. Rechtsprechung und Literatur sind bis zum 30. November 2014 berücksichtigt. Mein besonderer Dank gilt meinem Doktorvater Herrn Professor Dr. Peter Kindler für seinen Zuspruch, seine wertvollen Hinweise und seine stetige Unterstützung und Betreuung während aller Phasen meiner Promotionszeit. Darüber hinaus danke ich Herrn Professor Dr. Mathias Habersack für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Dem Direktorium des Hamburger Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht danke ich für die Aufnahme der Arbeit in die Schriftenreihe des Instituts. Viele Freunde und Verwandte haben mich während meiner Promotionszeit begleitet und in vielfältiger Weise zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen. Ihnen allen bin ich zu Dank verpflichtet. Mein besonderer Dank gilt meinem Bruder Benedikt für seine wertvollen Hinweise sowie die mühevolle Durchsicht und kritische Korrektur des Manuskripts. Nicht zuletzt gebührt mein Dank meinen Eltern für ihre vorbehaltlose Unterstützung und Fürsorge in jeder Hinsicht. Ihnen ist diese Arbeit gewidmet. Berlin, im November 2015

Ansgar Frank

Inhaltsübersicht Inhaltsverzeichnis ............................................................................................. XI Abkürzungsverzeichnis ................................................................................... XX Einleitung ............................................................................................................ 1 Kapitel 1: Gesellschaftsmobilität im europäischen Binnenmarkt ....................... 3 § 1 Rechtliche Rahmenbedingungen grenzüberschreitender Mobilität ............... 3 § 2 Motivation grenzüberschreitender Mobilität ............................................... 43 Kapitel 2: Die Niederlassungsfreiheit der Gesellschaften ................................. 60 § 3 Der Gewährleistungsgehalt der Niederlassungsfreiheit............................... 60 § 4 Ausprägungen grenzüberschreitender Mobilität von Gesellschaften .......... 91 Kapitel 3: Der grenzüberschreitende Formwechsel nach deutschem Recht .... 156 § 5 Ermittlung des maßgeblichen materiellen Rechts ..................................... 156 § 6 Herausformwechsel deutscher Gesellschaften .......................................... 174 § 7 Hereinformwechsel EU-ausländischer Gesellschaften .............................. 258 Kapitel 4: Rechtsvergleich und Ausblick ........................................................ 297 § 8 Grenzüberschreitende Formwechsel nach englischem Recht.................... 297 § 9 Grenzüberschreitende Formwechsel de lege ferenda ................................ 328 Zusammenfassung in Thesen .......................................................................... 340 Literaturverzeichnis......................................................................................... 343 Sachregister ..................................................................................................... 353

Inhaltsverzeichnis Vorwort ........................................................................................................... VII Inhaltsverzeichnis ............................................................................................. IX Abkürzungsverzeichnis ................................................................................... XX Einleitung ............................................................................................................ 1

Kapitel 1: Gesellschaftsmobilität im europäischen Binnenmarkt .................................................................................................... 3 § 1 Rechtliche Rahmenbedingungen grenzüberschreitender Mobilität ............... 3 I. Einführung ....................................................................................................... 3 II. Grundlagen des Internationalen Gesellschaftsrechts ...................................... 4 1. Begriff und Gegenstand .............................................................................. 5 2. Sitztheorie ................................................................................................... 5 a) Anknüpfungspunkte ............................................................................... 6 b) Rechtspolitische Motive und Kritik ....................................................... 7 c) Möglichkeit eines Statutenwechsels....................................................... 8 3. Gründungstheorie ..................................................................................... 10 a) Anknüpfungspunkte ............................................................................. 11 b) Rechtspolitische Motive und Kritik ..................................................... 11 c) Möglichkeit eines Statutenwechsels..................................................... 12 III. Entwicklungsstand unionsrechtlicher Harmonisierung ............................... 14 1. Übereinkommen auf der Basis von Art. 220 EWGV / Art. 293 EGV ...... 14 2. Vorentwurf einer Sitzverlegungsrichtlinie ................................................ 15 IV. Rechtsprechung des EuGH zur Niederlassungsfreiheit der Gesellschaften............................................................................................... 17 1. Daily Mail – Bereichsausnahme für das Gesellschaftskollisionsrecht? ................................................................... 17 a) Kernaussage der Entscheidung............................................................. 18 b) Rechtliche Einordnung......................................................................... 18

XII

Inhaltsverzeichnis

2. Centros – Niederlassungsfreiheit für Briefkastengesellschaften? ............. 19 a) Kernaussage der Entscheidung............................................................. 19 b) Rechtliche Einordnung......................................................................... 20 3. Überseering – Ende der Sitzanknüpfung im Gesellschaftskollisionsrecht? ................................................................... 20 a) Kernaussage der Entscheidung............................................................. 21 b) Rechtliche Einordnung......................................................................... 22 4. Inspire Art – Durchbruch für die europäische Gründungstheorie? ........... 22 a) Kernaussage der Entscheidung............................................................. 23 b) Rechtliche Einordnung......................................................................... 23 5. SEVIC Systems – Grenzüberschreitende Umwandlungen qua Niederlassungsfreiheit .............................................................................. 25 a) Kernaussage der Entscheidung............................................................. 25 b) Rechtliche Einordnung......................................................................... 26 6. Cadbury Schweppes – Einschränkung der Zulässigkeit von „Briefkastengründungen“? ....................................................................... 27 a) Kernaussage der Entscheidung............................................................. 28 b) Rechtliche Einordnung......................................................................... 29 7. Cartesio – Partielle Wegzugsfreiheit von Gesellschaften ......................... 30 a) Kernaussage der Entscheidung............................................................. 30 b) Rechtliche Einordnung......................................................................... 32 8. National Grid Indus – Abkehr des EuGH von Daily Mail? ...................... 32 a) Kernaussage der Entscheidung............................................................. 33 b) Rechtliche Einordnung......................................................................... 34 9. VALE Építési – Niederlassungsfreiheit als Formwechselfreiheit............. 34 a) Kernaussage der Entscheidung............................................................. 35 b) Rechtliche Einordnung......................................................................... 38 V. Judikatur deutscher Gerichte zu grenzüberschreitenden Formwechseln ...... 39 1. Herausformwechsel deutscher Gesellschaften .......................................... 40 2. Hereinformwechsel EU-ausländischer Gesellschaften ............................. 41 VI. Zwischenergebnis ....................................................................................... 42 § 2 Motivation grenzüberschreitender Mobilität ............................................... 43 I. Einführung ..................................................................................................... 43 II. Standortwahl im Binnenmarkt ...................................................................... 43 1. Unternehmensstrategische Erwägungen ................................................... 44 2. Steuerrechtliche Erwägungen ................................................................... 45 3. Insolvenzrechtliche Erwägungen .............................................................. 46 III. Beweggründe grenzüberschreitender Formwechsel .................................... 50 1. Wechsel des Gesellschaftsstatuts .............................................................. 50 2. Identität des Rechtsträgers ........................................................................ 53 3. Sonstige Erwägungen ............................................................................... 54

Inhaltsverzeichnis

XIII

IV. Alternative Restrukturierungsmöglichkeiten .............................................. 55 1. Grenzüberschreitende Verschmelzung ..................................................... 55 a) Vorzüge ................................................................................................ 55 b) Nachteile .............................................................................................. 56 2. Grenzüberschreitende Neugründung ........................................................ 56 a) Vorzüge ................................................................................................ 57 b) Nachteile .............................................................................................. 57 3. Grenzüberschreitende Anwachsung.......................................................... 58 a) Vorzüge ................................................................................................ 58 b) Nachteile .............................................................................................. 58 V. Zwischenergebnis ......................................................................................... 59

Kapitel 2: Die Niederlassungsfreiheit der Gesellschaften ............... 60 § 3 Der Gewährleistungsgehalt der Niederlassungsfreiheit............................... 60 I. Einführung ..................................................................................................... 60 II. Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit........................................... 60 1. Sachlicher Anwendungsbereich ................................................................ 61 a) Ökonomische Zielsetzung .................................................................... 62 b) Begriff der Niederlassung .................................................................... 65 aa) Abgrenzungskriterien..................................................................... 66 (1) Qualitatives Element.................................................................. 66 (2) Zeitliches Element ..................................................................... 67 (3) Tatsächliches Element ............................................................... 67 bb) Tatbestandsmerkmal oder Rechtfertigungskriterium? ................... 69 (1) Entwicklung der Rechtsprechung .............................................. 69 (2) Stellungnahme ........................................................................... 71 2. Personeller Anwendungsbereich............................................................... 73 a) Niederlassungsfreiheit der Gesellschaftsgründer ................................. 73 b) Gleichstellung der Gesellschaften ........................................................ 74 aa) Zweck und Art der Gleichstellung ................................................. 74 bb) Voraussetzungen ........................................................................... 75 (1) Gründungsverbindung ............................................................... 75 (2) Institutionelle Verbindung ......................................................... 76 III. Gewährleistungsinhalt der Niederlassungsfreiheit ...................................... 77 1. Adressaten der Niederlassungsfreiheit ...................................................... 77 2. Diskriminierungsverbot ............................................................................ 79 3. Beschränkungsverbot ................................................................................ 80 4. Rechtfertigung niederlassungsbeschränkender Maßnahmen .................... 84 a) Geschriebene Rechtfertigungsgründe .................................................. 85

XIV

Inhaltsverzeichnis

b) Ungeschriebene Rechtfertigungsgründe .............................................. 85 aa) Diskriminierungsfreie Beschränkung ............................................ 86 bb) Zwingende Gründe des Allgemeininteresses................................. 87 cc) Geeignetheit ................................................................................... 88 dd) Erforderlichkeit ............................................................................. 89 IV. Zwischenergebnis ....................................................................................... 90 § 4 Ausprägungen grenzüberschreitender Mobilität von Gesellschaften .......... 91 I. Einführung ..................................................................................................... 91 II. Grenzüberschreitende Gesellschaftsgründung .............................................. 92 1. Perspektive des Gründungsstaates ............................................................ 93 a) Bereichsausnahme vom Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit?........................................................................ 94 b) Stellungnahme ..................................................................................... 96 2. Perspektive des Herkunftsstaates .............................................................. 98 a) Unionsrechtliche Verpflichtung zur Anerkennung von Briefkastengesellschaften? .................................................................. 98 b) Stellungnahme ................................................................................... 102 aa) Erfordernis einer effektiven Bindung .......................................... 105 bb) Kriterien einer effektiven Bindung .............................................. 109 III. Grenzüberschreitende Verlegung des Verwaltungssitzes .......................... 111 1. Perspektive des Herkunftsstaates ............................................................ 112 a) Unionsrechtliche Zulässigkeit des Verwaltungssitzerfordernisses im Inland? .......................................................................................... 112 b) Stellungnahme ................................................................................... 115 2. Perspektive des Aufnahmestaates ........................................................... 118 a) Kollisionsrechtlicher Gehalt der Niederlassungsfreiheit? .................. 118 b) Stellungnahme ................................................................................... 122 IV. Grenzüberschreitende Verlegung des Satzungssitzes ............................... 127 1. Rechtsformwahrende Satzungssitzverlegung ......................................... 128 2. Grenzüberschreitender Formwechsel...................................................... 129 a) Perspektive des Herkunftsstaates ....................................................... 130 aa) Unionsrechtlich verbürgtes Recht auf formwechselnden Wegzug?........................................................................................ 130 bb) Stellungnahme ............................................................................. 134 b) Perspektive des Aufnahmestaates ...................................................... 135 aa) Diskriminierungs- oder Beschränkungsverbot als Kontrollmaßstab? .......................................................................... 136 bb) Stellungnahme ............................................................................. 140 c) Isolierter Formwechsel? ..................................................................... 143 aa) Erfordernis einer tatsächlichen Ansiedlung der Gesellschaft im Aufnahmestaat?........................................................................ 143

Inhaltsverzeichnis

XV

bb) Stellungnahme ............................................................................. 146 V. Zwischenergebnis ....................................................................................... 152

Kapitel 3: Der grenzüberschreitende Formwechsel nach deutschem Recht ........................................................................................ 156 § 5 Ermittlung des maßgeblichen materiellen Rechts ..................................... 156 I. Einführung ................................................................................................... 156 II. Kollisionsrechtliche Vereinigungstheorie................................................... 158 1. Grundsätze .............................................................................................. 160 2. Normwidersprüche und Normenmangel ................................................. 162 a) Anpassung .......................................................................................... 162 b) Substitution ........................................................................................ 164 c) Intertemporales Recht ........................................................................ 165 III. Anwendungsvorbehalt des Umwandlungsgesetzes ................................... 166 1. Unionsrechtliche Vorgaben .................................................................... 166 2. Analoge Anwendung umwandlungsrechtlicher Vorschriften ................. 168 a) Planwidrige Gesetzeslücke................................................................. 170 b) Vergleichbare Interessenlage ............................................................. 172 IV. Zwischenergebnis ..................................................................................... 173 § 6 Herausformwechsel deutscher Gesellschaften .......................................... 174 I. Einführung ................................................................................................... 174 II. Risiken von Herausformwechseln .............................................................. 176 1. Risiken für Gesellschaftsgläubiger ......................................................... 176 a) Wegfall der persönlichen Gesellschafterhaftung................................ 178 b) Verringerung der Kapitalziffer........................................................... 178 c) Wegfall der Kapitalbindung ............................................................... 179 d) Lockerung der Kapitalbindung .......................................................... 179 e) Verschlechterung der zivilverfahrensrechtlichen Rechtsposition? ..... 180 f) Verzögerung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens?....................... 181 2. Risiken für Anteilsinhaber ...................................................................... 183 a) Beeinträchtigung des Bestandes der Rechtsposition als Anteilsinhaber .................................................................................... 183 b) Beeinträchtigung des Inhalts der Rechtsposition als Anteilsinhaber .................................................................................... 184 aa) Allgemeine mitgliedschaftliche Rechtspositionen ....................... 185 bb) Besondere mitgliedschaftliche Rechtspositionen ........................ 187 III. Umwandlungsrechtliche Schutzinstrumente ............................................. 187

XVI

Inhaltsverzeichnis

1. Unionsrechtliche Vorgaben .................................................................... 188 2. Maßnahmen zum Schutz der Gesellschaftsgläubiger ............................. 192 a) Persönliche Gesellschafterhaftung für Altverbindlichkeiten.............. 192 aa) Herausformwechsel von Personengesellschaften......................... 193 bb) Herausformwechsel von Kapitalgesellschaften ........................... 194 b) Anspruch auf Sicherheitsleistung....................................................... 195 aa) Anzuwendendes Regelungsregime .............................................. 196 bb) Tatbestandliche Voraussetzungen ............................................... 198 c) Haftung der Verwaltungsträger .......................................................... 201 d) Perpetuierung eines allgemeinen Gerichtsstands im Inland? ............. 202 e) Unionsrechtliche Bedenken? .............................................................. 204 aa) Geeignetheit ................................................................................. 205 bb) Erforderlichkeit ........................................................................... 207 3. Maßnahmen zum Schutz der Anteilsinhaber .......................................... 209 a) Umwandlungsrechtliche Zustimmungserfordernisse ......................... 210 aa) Anzuwendendes Regelungsregime .............................................. 211 bb) Herausformwechsel von Personengesellschaften ........................ 212 cc) Herausformwechsel von Kapitalgesellschaften ........................... 212 b) Anspruch auf Barabfindung ............................................................... 215 aa) Tatbestandliche Voraussetzungen ................................................ 216 bb) Potentielle Konflikte mit Gläubigerschutzvorschriften ............... 218 c) Sonderrechtsschutz............................................................................. 218 d) Anspruch auf bare Zuzahlung ............................................................ 220 e) Haftung der Verwaltungsträger .......................................................... 221 f) Beschlusskontrolle und Gesellschafterklage ...................................... 223 aa) Beschlussmängelklage ................................................................. 223 (1) Materielle Beschlusskontrolle?................................................ 224 (2) Individuelle Rechtsmissbrauchskontrolle ................................ 226 bb) Spruchverfahren .......................................................................... 228 g) Unionsrechtliche Bedenken? ............................................................. 228 aa) Geeignetheit ................................................................................. 229 bb) Erforderlichkeit ........................................................................... 231 IV. Praktische Durchführung von Herausformwechseln ................................. 232 1. Zulässige Formwechselkonstellationen .................................................. 233 a) Formwechselfähige Rechtsträger ....................................................... 233 b) Zulässige Zielrechtsformen ................................................................ 235 2. Umwandlungsverfahren .......................................................................... 236 a) Vorbereitungsphase ............................................................................ 236 b) Beschlussphase .................................................................................. 239 aa) Vorbereitung der Beschlussfassung ............................................. 240 bb) Umwandlungsbeschluss .............................................................. 241 (1) Niederschrift über den Umwandlungsbeschluss ...................... 243 (2) Unbekannte Aktionäre ............................................................. 244

Inhaltsverzeichnis

XVII

c) Durchführungsphase .......................................................................... 244 aa) Registerverfahren in Deutschland ................................................ 245 (1) Anmeldung des Formwechsels ................................................ 247 (2) Eintragung mit Wirksamkeitsvorbehalt ................................... 250 (3) Löschung der Eintragung der Ausgangsrechtsform................. 251 (4) Bekanntmachung des Formwechsels ....................................... 253 bb) Registerverfahren im Aufnahmestaat .......................................... 254 d) Sonderfall: Beteiligung nicht registerpflichtiger Rechtsformen ........ 254 aa) Herausformwechsel der GbR ....................................................... 255 bb) Nicht registerpflichtige EU-ausländische Zielrechtsform ........... 256 V. Zwischenergebnis ....................................................................................... 257 § 7 Hereinformwechsel EU-ausländischer Gesellschaften .............................. 258 I. Einführung ................................................................................................... 258 II. Risiken von Hereinformwechseln............................................................... 259 III. Umwandlungsrechtliche Schutzinstrumente ............................................. 260 1. Unionsrechtliche Vorgaben .................................................................... 260 2. Maßnahmen zum Schutz des Rechtsverkehrs ......................................... 262 a) Verweisung auf das Gründungsrecht ................................................. 263 aa) Hereinformwechsel in die Rechtsform einer Personengesellschaft ..................................................................... 264 bb) Hereinformwechsel in die Rechtsform einer Kapitalgesellschaft ........................................................................ 265 (1) GmbH ...................................................................................... 266 (2) AG ........................................................................................... 268 (3) KGaA....................................................................................... 269 b) Einschränkung der Kontinuität der Firma .......................................... 270 c) Unionsrechtliche Bedenken? .............................................................. 270 3. Maßnahmen zum Schutz sonstiger Interessen? ...................................... 271 IV. Praktische Durchführung von Hereinformwechseln ................................. 273 1. Zulässige Formwechselkonstellationen .................................................. 273 a) Formwechselfähige Rechtsträger ....................................................... 274 b) Zulässige Zielrechtsformen ................................................................ 276 c) Rechtsformkongruente Formwechsel ................................................. 276 2. Umwandlungsverfahren .......................................................................... 277 a) Vorbereitungsphase ............................................................................ 277 aa) Voraussetzungen des Herkunftsstaates ........................................ 277 bb) (Sach-)Gründungsbericht ............................................................ 278 b) Beschlussphase .................................................................................. 279 aa) Inhalt des Umwandlungsbeschlusses ........................................... 280 (1) Hereinformwechsel in die Rechtsform einer Kapitalgesellschaft .................................................................... 280

XVIII

Inhaltsverzeichnis

(2) Hereinformwechsel in die Rechtsform einer Personengesellschaft ................................................................. 282 bb) Form des Umwandlungsbeschlusses ........................................... 282 (1) Hereinformwechsel in die Rechtsform einer Kapitalgesellschaft .................................................................... 283 (2) Hereinformwechsel in die Rechtsform einer Personengesellschaft ................................................................. 283 c) Durchführungsphase .......................................................................... 284 aa) Registerverfahren im Herkunftsstaat ........................................... 284 bb) Registerverfahren in Deutschland ............................................... 285 (1) Anmeldung des Formwechsels ................................................ 285 (2) Prüfungsumfang des Registergerichts ..................................... 287 (3) Eintragung der Zielrechtsform................................................. 291 (4) Bekanntmachung des Formwechsels ....................................... 293 d) Sonderfall: Beteiligung nicht registerpflichtiger Rechtsformen ........ 294 aa) Nicht registerpflichtige EU-ausländische Ausgangsrechtsform... 294 bb) Hereinformwechsel in die Rechtsform der GbR.......................... 294 V. Zwischenergebnis ....................................................................................... 295

Kapitel 4: Rechtsvergleich und Ausblick ........................................... 297 § 8 Grenzüberschreitende Formwechsel nach englischem Recht.................... 297 I. Einführung ................................................................................................... 297 II. Grundlagen des englischen Gesellschaftsrechts ......................................... 298 1. Internationales Gesellschaftsrecht .......................................................... 299 2. Verbreitete Rechtsformen ....................................................................... 302 a) Kapitalgesellschaften (companies) ..................................................... 303 b) Personengesellschaften (partnerships) .............................................. 305 3. Umwandlungsrecht ................................................................................. 306 a) Neueintragung von Kapitalgesellschaften (re-registration) ............... 307 b) Grenzüberschreitende Umwandlungen .............................................. 307 III. Herausformwechsel englischer Gesellschaften ......................................... 308 1. Umwandlungsrechtliche Schutzinstrumente ........................................... 309 a) Maßnahmen zum Schutz der Gesellschaftsgläubiger ......................... 309 b) Maßnahmen zum Schutz der Anteilsinhaber ..................................... 311 2. Praktische Durchführung von Herausformwechseln .............................. 314 a) Vorbereitungsphase ............................................................................ 315 b) Beschlussphase .................................................................................. 316 c) Durchführungsphase .......................................................................... 317 IV. Hereinformwechsel EU-ausländischer Gesellschaften.............................. 320

Inhaltsverzeichnis

XIX

1. Umwandlungsrechtliche Schutzinstrumente ........................................... 320 a) Hereinformwechsel in die Rechtsform der Plc. ................................. 320 b) Hereinformwechsel in die Rechtsform der Ltd. ................................. 321 c) Hereinformwechsel in die Rechtsform der private unlimited company............................................................................................. 322 2. Praktische Durchführung von Hereinformwechseln ............................... 322 a) Vorbereitungsphase ............................................................................ 322 b) Beschlussphase .................................................................................. 323 c) Durchführungsphase .......................................................................... 324 V. Zwischenergebnis ....................................................................................... 326 § 9 Grenzüberschreitende Formwechsel de lege ferenda ................................ 328 I. Einführung ................................................................................................... 328 II. Rechtssetzung auf europäischer Ebene ....................................................... 328 1. Regelungsbedürfnis auf europäischer Ebene .......................................... 329 2. Reichweite der Regelungskompetenz des Unionsgesetzgebers .............. 330 III. Rechtssetzung auf nationaler Ebene? ........................................................ 332 1. Sinnhaftigkeit einer Regelung durch die Mitgliedstaaten? ..................... 332 2. Regelungsbedarf im deutschen Recht? ................................................... 335 a) Reform Internationalen Gesellschaftsrechts? ..................................... 335 b) Novelle des Umwandlungsgesetzes ................................................... 336 IV. Zwischenergebnis ..................................................................................... 339 Zusammenfassung in Thesen .......................................................................... 340 Literaturverzeichnis......................................................................................... 343 Sachregister ..................................................................................................... 353

Abkürzungsverzeichnis a.A. ABl. Abs. Abschn. a.E. AEUV a.F. AG AktG Alt. Anh. Anm. Art. Az. BayObLG BB Bd. BGB BGBl. BGH BR-Drs. Bt BT-Drs. BV CA 2006 CCBMR 2007 Ch. CMLR DB ders. dies. DK DNotZ DStR DZWir EBLR ECBMR ECFR ECL

andere(r) Ansicht Amtsblatt Absatz Abschnitt am Ende Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union alte Fassung Aktiengesellschaft (auch Zeitschrift) Aktiengesetz Alternative Anhang Anmerkung Artikel(n) Aktenzeichen Bayerisches Oberstes Landesgericht Betriebs-Berater Band Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Bundesratsdrucksache Betéti társaság Bundestagsdrucksache Besloten Vennootschap Companies Act 2006 Companies (Cross-Border Mergers) Regulations 2007 Chapter; Law Reports Chancery Division Common Market Law Review Der Betrieb derselbe dieselbe(n) Der Konzern Deutsche Notar-Zeitschrift Deutsches Steuerrecht Deutsche Zeitschrift für Wirtschaftsrecht European Business Law Review European Cross-Border Mergers and Reorganizations European Company and Financial Law Review European Company Law

Abkürzungsverzeichnis EG EGBGB EGV Einf. Einl. EL ELR EPLLCR 2004 EuGH EuGVVO EuInsVO EuLF Europ. EUV EuZW EWG EWGV EWiR EWIV EWS FamFG f. ff. FGPrax Fn. FS GA GbR GesR GmbH GmbHG GmbHR GPR GroßKomm GWR Hdb. HGB Hrsg. Hs. ICLQ ICJR i.d.F. IA 1986 IGH InsO

XXI

Europäische Gemeinschaft Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Vertrag zur Gründung einer Europäischen Gemeinschaft i.d.F. vor dem 1.5.1999 Einführung Einleitung Ergänzungslieferung European Law Review European Public Limited-Liability Company Regulations 2004 Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften Verordnung über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen Verordnung (EG) Nr. 1346/ des Rates vom 29.5.2000 über Insolvenzverfahren European Legal Forum Europäisch(es) Vertrag über die Europäische Union i.d.F. nach dem 1.5.1999 Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Vertrag zur Gründung einer Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht Gesetz zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit folgende folgende (Plural) Praxis der freiwilligen Gerichtsbarkeit Fußnote Festschrift Generalanwalt Gesellschaft bürgerlichen Rechts Gesellschaftsrecht Gesellschaft mit beschränkter Haftung GmbH-Gesetz GmbH-Rundschau Zeitschrift für Gemeinschaftsprivatrecht Großkommentar Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht (Fundstelle in beck-online) Handbuch Handelsgesetzbuch Herausgeber Halbsatz International & Comparative Law Quarterly International Court of Justice Reports in der Fassung Insolvency Act 1986 Internationaler Gerichtshof Insolvenzordnung

XXII Int. IPR IPRax IPRG IStR i.V.m. JBL JuS JW JZ Kap. KB Kft KG KGaA KölnKomm KSzW KTS lit. LLP LLPA 2000 LPA 1907 LMK Ls. Ltd. MittBayNot MoMiG MünchHdb MünchKomm m.w.N. NJW NJW-RR No. notar NotBZ Nr. NZG NZI OGH OHG OLG PA 1890 Plc. Pt. RabelsZ Rn.

Abkürzungsverzeichnis International Internationales Privatrecht Praxis des internationalen Privat- und Verfahrensrechts Schweizer Bundesgesetz über das Internationale Privatrecht Internationales Steuerrecht in Verbindung mit Journal of Business Law Juristische Schulung Juristische Wochenschrift Juristenzeitung Kapitel Law Reports King’s Bench Division Korlátolt felelĘsségĦ társaság Kammergericht; Kommanditgesellschaft Kommanditgesellschaft auf Aktien Kölner Kommentar Kölner Schrift zum Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Insolvenzrecht Buchstabe Limited liability partnership Limited Liability Partnerships Act 2000 Limited Partnerships Act 1907 Kommentierte BGH-Rechtsprechung Lindenmaier-Möhring (Fundstelle in beck-online) Leitsatz Private company limited by shares (Limited) Mitteilungen des Bayerischen Notarvereins Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen Münchener Handbuch Münchener Kommentar mit weiteren Nachweisen Neue Juristische Wochenschrift NJW-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht Number Monatsschrift für die gesamte notarielle Praxis Zeitschrift für die notarielle Beratungs- und Beurkundungspraxis Nummer(n) Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht Neue Zeitschrift für das Recht der Insolvenz und Sanierung Österreichischer Oberster Gerichtshof offene Handelsgesellschaft Oberlandesgericht Partnership Act 1890 Public company limited by shares Part Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht, begründet von Ernst Rabel Randnummer(n)

Abkürzungsverzeichnis RefE reg(s). RG RGZ RIW RL Rs. S. SA S.à.r.l. SCE SE SEAG

sec(s). SE-VO Slg. sog. Srl SUP TJICL u.a. UG UmwG UmwR UmwStG WFBV WM ZfRV ZGR ZHR ZIP ZEuP ZPO ZRP ZVglRW

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Referentenentwurf regulation(s) Reichsgericht Amtliche Sammlung der Entscheidungen des RG in Zivilsachen Recht der internationalen Wirtschaft Richtlinie Rechtssache Seite(n); Satz (bei Rechtsnormen) Société anonyme Société à responsabilité limitée Societas Cooperativa Europaea, Europäische Genossenschaft Societas Europaea, Europäische Gesellschaft Gesetz zur Ausführung der Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates vom 8. Oktober 2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE) section(s) Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates vom 8. Oktober 2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE) Amtliche Sammlung der Rechtsprechung des EuGH sogenannte Società a responsabilità limitata Societas Unius Personae, Europäische Einpersonengesellschaft Tulane Journal of International & Comparative Law und andere Unternehmergesellschaft Umwandlungsgesetz Umwandlungsrecht Umwandlungssteuergesetz Wet op de formeel buitenlandse vennootschappen Wertpapier-Mitteilungen Zeitschrift für Europarecht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zeitschrift für europäisches Privatrecht Zivilprozessordnung Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für Vergleichende Rechtswissenschaft

Einleitung Gegenstand der nachfolgenden Untersuchung ist der grenzüberschreitende Formwechsel von Gesellschaften im europäischen Binnenmarkt. Bei einem Formwechsel handelt es sich um einen Vorgang, durch welchen eine Gesellschaft unter Beibehaltung ihrer rechtlichen Identität ihre Rechtsform ändert. Grenzüberschreitende Formwechsel zeichnen sich dadurch aus, dass die Umwandlung zwischen Rechtsformen unterschiedlicher Jurisdiktionen stattfindet, also mit einem Wechsel der auf den formwechselnden Rechtsträger anwendbaren Rechtsordnung verbunden ist. Solche Umwandlungen sollen nach der jüngsten Rechtsprechung des EuGH zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union durch die unionsrechtliche Niederlassungsfreiheit grundsätzlich gewährleistet sein. Eine einheitliche normative Rechtsgrundlage hierfür besteht in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten jedoch nicht. Dementsprechend sind grenzüberschreitende Formwechsel derzeit mit einem erheblichen Maß an Rechtsunsicherheit verbunden. Die vorliegende Untersuchung soll zur Linderung dieses Missstandes beitragen. Im Anschluss an die Einführung in die Thematik grenzüberschreitender Gesellschaftsmobilität im europäischen Binnenmarkt unter Darstellung ihrer rechtlichen Rahmenbedingungen und Triebfedern (Kapitel 1) wird der Gewährleistungsgehalt der Niederlassungsfreiheit für Gesellschaften analysiert und es werden die verschiedenen Ausprägungsformen grenzüberschreitender Gesellschaftsmobilität auf ihre Gewährleistung durch die Niederlassungsfreiheit hin untersucht (Kapitel 2). Anschließend wird der grenzüberschreitende Formwechsel in den Fokus genommen und der Frage nachgegangen, ob das deutsche Recht diese Umwandlung unter Rückgriff auf bestehende umwandlungsrechtliche Regelungen bewältigen kann (Kapitel 3). Fragen des Steuerrechts sowie der unternehmerischen Mitbestimmung der Arbeitnehmer werden insoweit allenfalls am Rande berührt. Eine vertiefte Auseinandersetzung mit diesen Fragen würde den Rahmen der vorliegenden Untersuchung sprengen. Das Hauptaugenmerk wird vielmehr auf die originär umwandlungsrechtlichen Fragen des Schutzes der Gesellschaftsgläubiger und Anteilsinhaber sowie des Rechtsverkehrs vor umwandlungsspezifischen Gefahren gelegt. Da der Formwechsel einen Wechsel der gesetzlichen Verbandsverfassung des formwechselnden Rechtsträgers bewirkt, besteht für Gesellschaftsgläubiger und Anteilsinhaber die Gefahr, dass sich ihre jeweili-

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Einleitung

gen Rechtspositionen durch die Umwandlung verschlechtern. Der Rechtsverkehr bedarf des Schutzes davor, dass die Gründungsvoraussetzungen der Zielrechtsform durch den Formwechsel umgangen werden. Zudem soll insbesondere der Frage nachgegangen werden, wie die Umwandlung praktisch durchzuführen ist. Abschließend wird rechtsvergleichend untersucht, ob das englische Recht die Durchführung grenzüberschreitender Formwechsel gestattet, und dargestellt, wie der Umwandlungsvorgang de lege ferenda geregelt werden sollte (Kapitel 4).

Kapitel 1

Gesellschaftsmobilität im europäischen Binnenmarkt § 1 Rechtliche Rahmenbedingungen grenzüberschreitender Mobilität § 1 Rechtliche Rahmenbedingungen grenzüberschreitender Mobilität

I. Einführung Die Mobilität von Gesellschaften im europäischen Binnenmarkt ist Gegenstand der nachfolgenden Untersuchung. Unter Mobilität ist die Fähigkeit einer Gesellschaft zu verstehen, ihre rechtlichen sowie tatsächlichen Verhältnisse frei von beschränkenden Maßnahmen seitens der Mitgliedstaaten zu organisieren. Wird ein hohes Maß an Mobilität gewährleistet, erleichtert dies einer Gesellschaft, sich an veränderte politische, wirtschaftliche oder rechtliche Rahmenbedingungen in einem Mitgliedstaat anzupassen. Das Mobilitätsniveau in der Europäischen Union stellt für international tätige Gesellschaften einen wichtigen Wettbewerbsfaktor dar. Die Mobilität von Gesellschaften entfaltet sich einerseits durch Gründung von Tochtergesellschaften oder Errichtung von Zweigniederlassungen in anderen Mitgliedstaaten sowie andererseits durch grenzüberschreitende Sitzverlegungen und Umwandlungen. Während erstgenannte Ausprägungen grenzüberschreitender Mobilität rechtlich vergleichsweise unproblematisch sind, werfen grenzüberschreitende Sitzverlegungen und Umwandlungen komplexe Rechtsfragen auf. Die rechtlichen Rahmenbedingungen dieser Vorgänge werden zum einen durch die Rechtssetzung des Unionsgesetzgebers und die Rechtsprechung des EuGH zur Niederlassungsfreiheit sowie zum anderen durch das nationale Recht der betroffenen Mitgliedstaaten bestimmt. Zwar sind weite Teile des Gesellschaftsrechts der Mitgliedstaaten in den vergangenen Jahrzehnten durch Erlass sekundärrechtlicher Rechtsakte seitens des Unionsgesetzgebers und deren Umsetzung in die nationalen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten vereinheitlicht worden. Nach wie vor bestehen jedoch bedeutende Unterschiede in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen, welche erhebliche Mobilitätshindernisse für Gesellschaften verursachen können. Bei grenzüberschreitenden Sitzverlegungen wirkt insbesondere der Umstand mobilitätshemmend, dass das Internationale Gesellschaftsrecht (Gesellschaftskollisionsrecht) der Mitgliedstaaten bislang nicht harmonisiert wurde. Die Mitgliedstaaten ermitteln das auf gesellschaftsrechtliche Fragen anwendbare Recht (Gesellschaftsstatut) traditionell nach verschiedenen Anknüp-

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Kapitel 1: Gesellschaftsmobilität im europäischen Binnenmarkt

fungspunkten (vgl. § 1 II.). Zudem wurden grenzüberschreitende Umwandlungen – mit Ausnahme der grenzüberschreitenden Verschmelzung von Kapitalgesellschaften – bislang durch den Unionsgesetzgeber nicht einheitlich geregelt (vgl. § 1 III.). Die Unterschiede in den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten werfen komplexe Rechtsfragen auf und bereiten bei der praktischen Durchführung von grenzüberschreitenden Umwandlungen erhebliche Probleme. In Abwesenheit einheitlicher Regelungen kommt der Rechtsprechung des EuGH zur Niederlassungsfreiheit entscheidende Bedeutung zu (vgl. § 1 IV.). Oftmals gerät die herkömmliche Rechtspraxis der Mitgliedstaaten mit der Judikatur des Gerichtshofs in Konflikt. Dies lässt sich anhand von Entscheidungen deutscher Gerichte zu grenzüberschreitenden Formwechseln verdeutlichen (vgl. § 1 V.). II. Grundlagen des Internationalen Gesellschaftsrechts Bei Lebenssachverhalten mit Bezug zu einem anderen Staat stellt sich stets die Frage, wessen Staates Recht zur Anwendung gelangt. Aufgrund des Auslandsbezugs konkurrieren in aller Regel mehrere Rechtsordnungen um ihre Anwendbarkeit auf den zugrundeliegenden Sachverhalt; es kommt zu einer „Kollision der Rechtsordnungen“.1 Welche Rechtsordnung zur Anwendung gelangt, ist gemäß Art. 3 EGBGB anhand der Regelungen des Internationalen Privatrechts, auch Kollisionsrecht genannt, zu beurteilen. Deren Aufgabe besteht darin, das maßgebliche Recht für den zugrundeliegenden Sachverhalt zu bestimmen.2 Ziel des IPR ist es, diejenige Rechtsordnung zu benennen, mit der der Sachverhalt die sachnächste, engste Verbindung hat.3 Ob eine solche Verbindung zur Rechtsordnung eines Staates besteht, wird im Interesse der Rechtssicherheit anhand von typisierten Kriterien bestimmt, welche als Anknüpfungspunkte oder Anknüpfungsmomente bezeichnet werden.4 Sobald ein Lebenssachverhalt im Wege der Qualifikation dem Anwendungsbereich einer bestimmten Kollisionsnorm zugeordnet wurde, bestimmt der in der Kollisionsnorm genannte Anknüpfungspunkt das zur Anwendung berufene Recht. 5 Die auf diesem Wege ermittelten, auf den Lebenssachverhalt anzuwendenden Sachnormen bezeichnet man als Sachstatut.6

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Weller, FS Goette, 2011, 583 (585). Vgl. Mansel, FS W. Lorenz, 1991, 689 (703); Trautrims, ZHR 176 (2012), 435 (436). 3 Vgl. OLG Hamm, NZG 2014, 703 (704); Thorn, in: Palandt, BGB, Einl. Art. 3 EGBGB, Rn. 1; Weller, in: MünchKomm-GmbHG, Bd. 1, IntGesR, Rn. 315. 4 Vgl. Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 1; v. Bar/Mankowski, IPR, Bd. I, § 7, Rn. 3 ff.; Weller, in: MünchKomm-GmbHG, Bd. 1, IntGesR, Rn. 316. 5 Weller, in: MünchKomm-GmbHG, Bd. 1, IntGesR, Rn. 316. 6 Vgl. Thorn, in: Palandt, BGB, Einl. Art. 3 EGBGB, Rn. 2; Weller, in: MünchKommGmbHG, Bd. 1, IntGesR, Rn. 316. 2

§ 1 Rechtliche Rahmenbedingungen grenzüberschreitender Mobilität

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1. Begriff und Gegenstand Das für die gesellschaftsrechtlichen Innen- und Außenbeziehungen eines Personenverbandes maßgebliche Sachrecht wird als Gesellschaftsstatut oder lex societatis bezeichnet.7 Bei Sachverhalten mit Auslandsbezug befasst sich das Internationale Gesellschaftsrecht als Teilbereich des IPR mit der Bestimmung des Gesellschaftsstatuts von juristischen Personen und sonstigen Personenverbänden. Ein Auslandsbezug liegt etwa vor, wenn eine ausländische Gesellschaft als Trägerin eines im Inland tätigen Unternehmens eingesetzt wird.8 Die Aufgabe des Gesellschaftskollisionsrechts besteht dann darin, die sachrechtlichen Regelungen zu bestimmen, nach denen sich die Rechtsstellung der Gesellschafter sowie die internen und externen Rechtsverhältnisse der Gesellschaft richten.9 In Deutschland ist das Internationale Gesellschaftsrecht bislang gesetzlich nicht geregelt.10 Es oblag daher Rechtsprechung und Rechtswissenschaft, geeignete Anknüpfungspunkte für die Bestimmung des sachnächsten Rechts zu definieren.11 Im Wesentlichen werden heute noch zwei Anknüpfungspunkte für das Gesellschaftsstatut diskutiert: der Ort des effektiven Verwaltungssitzes einer Gesellschaft (Sitztheorie) sowie der Ort der Gründung beziehungsweise Registereintragung einer Gesellschaft (Gründungstheorie).12 Der effektive Verwaltungssitz ist in vielen Fällen mit dem Ort der Gründung beziehungsweise Registereintragung einer Gesellschaft identisch. Bei Sachverhalten mit Auslandsbezug ist dies jedoch oftmals gerade nicht der Fall. Rechtlich problematisch sind insbesondere Fälle, in denen die Gesellschaftskollisionsrechte der betroffenen Staaten die Bestimmung des Gesellschaftsstatuts anhand unterschiedlicher Anknüpfungspunkte vornehmen. 2. Sitztheorie Die Sitztheorie ist in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Frankreich entstanden.13 Zu dieser Zeit war es dort gebräuchlich, Aktiengesellschaften nach dem vergleichsweise liberalen englischen Gesellschaftsrecht zu gründen, um das von vielen als überreguliert empfundene französische Recht zu 7

Vgl. Leible, in: Michalski, GmbHG, Bd. 1, IntGesR, Rn. 1; Weller, in: MünchKommGmbHG, Bd. 1, IntGesR, Rn. 316. 8 Vgl. Weller, FS Goette, 2011, 583 (585). 9 Vgl. Eidenmüller, ZIP 2002, 2233 (2234). 10 Vgl. Leible, in: Michalski, GmbHG, Bd. 1, IntGesR, Rn. 3; Weller, in: MünchKommGmbHG, Bd. 1, IntGesR, Rn. 319. 11 Vgl. Leible, in: Michalski, GmbHG, Bd. 1, IntGesR, Rn. 3; Weller, in: MünchKommGmbHG, Bd. 1, IntGesR, Rn. 319. 12 Vgl. Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 351; Weller, in: MünchKomm-GmbHG, Bd. 1, IntGesR, Rn. 319. 13 Vgl. Trautrims, ZHR 176 (2012), 435 (440); Wymeersch, CMLR 2003, 661 (668).

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Kapitel 1: Gesellschaftsmobilität im europäischen Binnenmarkt

umgehen.14 Durch Anknüpfung des Gesellschaftsstatuts an den Sitz der Hauptverwaltung der Gesellschaft wollten französische Gerichte dieser Entwicklung entgegenwirken.15 Heute folgen die meisten kontinentaleuropäischen Staaten der Sitztheorie.16 Hierzulande ist die Sitztheorie zwar gesetzlich nicht festgeschrieben. Die Rechtsprechung17 und der überwiegende Teil des Schrifttums18 bestimmen das Gesellschaftsstatut jedoch gewohnheitsrechtlich nach Maßgabe der Sitztheorie.19 a) Anknüpfungspunkte Der Sitztheorie zufolge ist der tatsächliche Sitz der Hauptverwaltung Anknüpfungspunkt für das Gesellschaftsstatut einer Gesellschaft.20 Demgegenüber ist der von den Gesellschaftern im Gesellschaftsvertrag oder in der Satzung festgelegte statuarische Sitz nicht von Belang.21 Die Hauptverwaltung befindet sich am Tätigkeitsort des Geschäftsführungs- und Vertretungsorgans der Gesellschaft, beziehungsweise dort, wo die grundlegenden Entscheidungen der Unternehmensleitung effektiv in laufende Geschäftsführungsakte umgesetzt werden.22 Bei grenzüberschreitend tätigen Gesellschaften, welche in zahlreichen Staaten Verwaltungszentren gebildet haben, kann die Bestimmung des effektiven Verwaltungssitzes Probleme bereiten.23 Durch die heutzutage bestehenden elektronischen Kommunikationsmöglichkeiten kann die

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Trautrims, ZHR 176 (2012), 435 (440). Vgl. Trautrims, ZHR 176 (2012), 435 (440). 16 Vgl. Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 511; Leible, in: Michalski, GmbHG, Bd. 1, IntGesR, Rn. 4. 17 Vgl. BGH, NJW 1957, 1433 (1434); BGH, NJW 1970, 998 (999); BGH, NJW 1981, 522 (525); BGH, NZG 2000, 926 (926); BGH, NJW 2002, 3539 (3539 f.); BGH, NJW 2009, 289, (290); OLG Hamburg, NZG 2007, 597 (598). 18 Vgl. Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 5 m.w.N.; Leible, in: Michalski, GmbHG, Bd. 1, IntGesR, Rn. 4 m.w.N. 19 Vgl. Trautrims, ZHR 176 (2012), 435 (437 ff.) zur historischen Entwicklung des Internationalen Gesellschaftsrechts in Deutschland. 20 Vgl. Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 420; Leible, in: Michalski, GmbHG, Bd. 1, IntGesR, Rn. 4; Thorn, in: Palandt, BGB, Anh. Art. 12 EGBGB, Rn. 10; Weller, in: MünchKomm-GmbHG, Bd. 1, IntGesR, Rn. 320; Trautrims, ZHR 176 (2012), 435 (437); v. Bar/Mankowski, IPR, Bd. I, § 3, Rn. 43. 21 Vgl. Leible, in: Michalski, GmbHG, Bd. 1, IntGesR, Rn. 4; Thorn, in: Palandt, BGB, Anh. Art. 12 EGBGB, Rn. 11; v. Bar/Mankowski, IPR, Bd. I, § 3, Rn. 43. 22 Vgl. BGH, NJW 1986, 2194 (2195); BayObLG, DNotZ 1986, 174 (175 f.); Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 456; Leible, in: Michalski, GmbHG, Bd. 1, IntGesR, Rn. 72; Thorn, in: Palandt, BGB, Anh. Art. 12 EGBGB, Rn. 11; v. Bar/Mankowski, IPR, Bd. I, § 7, Rn. 31; Weller, FS Goette, 2011, 583 (590). 23 Vgl. W.-H. Roth, IPRax 2003, 117 (123); Vermeylen/Vande Velde, ECBMR, Kap. 2, Rn. 2.26. 15

§ 1 Rechtliche Rahmenbedingungen grenzüberschreitender Mobilität

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Sitzbestimmung auf eine harte Probe gestellt werden. 24 Bisweilen hat die Rechtsprechung eine Vermutung dahingehend angenommen, dass der effektive Verwaltungssitz einer Gesellschaft mit deren statuarischem Sitz identisch ist.25 b) Rechtspolitische Motive und Kritik Rechtspolitisch lässt sich zugunsten der Sitztheorie anführen, dass sich die Hauptverwaltung in aller Regel in dem Staat befindet, in welchem eine Gesellschaft ihre wesentlichen wirtschaftlichen Aktivitäten entfaltet. Infolge der objektiven, subjektiver Parteiautonomie entzogenen Anknüpfung kommt somit die Rechtsordnung des Staates zur Anwendung, in welchem sich der Interessenmittelpunkt der Gesellschaft befindet.26 Damit unterliegt eine Gesellschaft stets dem Recht desjenigen Staates, der durch die Tätigkeit der Gesellschaft am stärksten betroffen ist. 27 Die Sitztheorie ermöglicht diesem Staat durch den kollisionsrechtlichen Verweis auf dessen sachrechtliche Bestimmungen eine wirksame Kontrolle der in seinem Hoheitsgebiet beheimateten Gesellschaften.28 Eine Umgehung der gesellschafts- und ordnungspolitischen Wertentscheidungen durch Wahl eines ausländischen Gesellschaftsstatuts wird dadurch verhindert.29 Hinzu kommt, dass im sekundärrechtlich geprägten gesellschaftsnahen Aufsichtsrecht sowie im europäischen Insolvenzund Zivilprozessrecht in aller Regel tatsächlich an den effektiven Verwaltungssitz der Gesellschaft angeknüpft wird.30 Der (Unions-)Gesetzgeber geht ersichtlich davon aus, dass eine Gesellschaft vor allem und im Regelfall am

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v. Bar/Mankowski, IPR, Bd. I, § 7, Rn. 32. Vgl. OLG München, NJW 1986, 2197 (2198); OLG Oldenburg, NJW 1990, 1422 (1422); OLG Hamm, NJW-RR 1995, 469 (471); Eidenmüller, in: Eidenmüller, Ausländische Kapitalgesellschaften, § 1, Rn. 7; Thorn, in: Palandt, BGB, Anh. Art. 12 EGBGB, Rn. 11; v. Bar/Mankowski, IPR, Bd. I, § 7, Rn. 35; zu Recht kritisch Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 471. 26 Vgl. Leible, in: Michalski, GmbHG, Bd. 1, IntGesR, Rn. 4; Thorn, in: Palandt, BGB, Anh. Art. 12 EGBGB, Rn. 1; Weller, in: MünchKomm-GmbHG, Bd. 1, IntGesR, Rn. 320; Weller, FS Goette, 2011, 583 (590). 27 Vgl. Kindler, NJW 2003, 1073 (1074); Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 421; Leible, in: Michalski, GmbHG, Bd. 1, IntGesR, Rn. 4; Leuering, ZRP 2008, 73 (74); W.-H. Roth, FS Heldrich, 2005, 973 (975); Teichmann, ZGR 2011, 639 (675). 28 Vgl. Thorn, in: Palandt, BGB, Anh. Art. 12 EGBGB, Rn. 1; Weller, FS Blaurock, 2013, 497 (501); Weller, in: MünchKomm-GmbHG, Bd. 1, IntGesR, Rn. 320. 29 Vgl. Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 423; Leible, in: Michalski, GmbHG, Bd. 1, IntGesR, Rn. 5; Leuering, ZRP 2008, 73 (74); Weller, in: MünchKomm-GmbHG, Bd. 1, IntGesR, Rn. 320. 30 Vgl. Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 422. 25

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Kapitel 1: Gesellschaftsmobilität im europäischen Binnenmarkt

Ort ihres effektiven Verwaltungssitzes tätig ist und deshalb dort die relevanten Schutzinteressen zu lokalisieren sind.31 Der Sitztheorie wird zum Teil vorgehalten, sie schieße über das Ziel des Schutzes berechtigter Interessen hinaus, indem sie sich nicht auf die Durchsetzung gesellschaftsrechtlicher Schutzanliegen im Wege der Sonderanknüpfung nationaler Schutzvorschriften beschränke.32 Bei der Sonderanknüpfung handelt es sich um ein internationalprivatrechtliches Rechtsinstitut, welches einem Staat ermöglicht, nationale Rechtsnormen unabhängig von der kollisionsrechtlichen Verweisung auf das Recht eines anderen Staates doch zur Anwendung zu bringen.33 Hierauf wird im Laufe der vorliegenden Untersuchung noch zurückzukommen sein (vgl. § 4 III. 2. b)). c) Möglichkeit eines Statutenwechsels Infolge der Anknüpfung an den effektiven Verwaltungssitz einer Gesellschaft ist das Gesellschaftsstatut nach der Sitztheorie wandelbar (Statutenwechsel). Die Verlegung des effektiven Verwaltungssitzes in einen anderen Staat führt jedenfalls dann zur Anwendung des Gesellschaftsrechts des neuen Sitzstaates und damit zu einem Statutenwechsel, wenn das Internationale Gesellschaftsrecht des neuen Sitzstaates die kollisionsrechtliche Verweisung durch die Sitztheorie annimmt und nicht auf das Recht des ursprünglichen Sitzstaates zurückverweist.34 Die Gesellschaft besteht allerdings nur dann als Rechtssubjekt fort, wenn das ursprüngliche Gesellschaftsstatut den identitätswahrenden Wegzug erlaubt und das neue Gesellschaftsstatut den identitätswahrenden Zuzug anerkennt.35 Es ist zu unterscheiden zwischen der kollisionsrechtlichen Frage, ob ein Wechsel des Gesellschaftsstatuts möglich ist, und der materiellrechtlichen Frage der Auswirkungen des Statutenwechsels auf die Wahrung der Identität und Rechtsfähigkeit der Gesellschaft.36 Verlegt eine ausländische Gesellschaft ihren effektiven Verwaltungssitz nach Deutschland, findet nach Maßgabe der Sitztheorie das materielle deutsche Gesellschaftsrecht Anwendung. Ursprünglich wurde ihr aufgrund des 31

Vgl. Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 422. Vgl. Leible, in: Michalski, GmbHG, Bd. 1, IntGesR, Rn. 10; Paefgen, DZWir 2003, 441 (446 f.); W.-H. Roth, IPRax 2003, 117 (124). 33 Vgl. Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 389; Weller, in: MünchKomm-GmbHG, Bd. 1, IntGesR, Rn. 448. 34 Vgl. Behrens/Hoffmann, in: GroßKomm-GmbHG, Bd. I, IntGesR, Rn. B147; Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 465; Leible, in: Michalski, GmbHG, Bd. 1, IntGesR, Rn. 4; W.-H. Roth, FS Heldrich, 2005, 973 (974); Thorn, in: Palandt, BGB, Anh. Art. 12 EGBGB, Rn. 13; Weller, in: MünchKomm-GmbHG, Bd. 1, IntGesR, Rn. 324. 35 Vgl. OLG Frankfurt, NJW 1990, 2204 (2206); BayObLG, NJW-RR 1992, 43 (44); Thorn, in: Palandt, BGB, Anh. Art. 12 EGBGB, Rn. 13; Weller, FS Blaurock, 2013, 497 (501); Weller, in: MünchKomm-GmbHG, Bd. 1, IntGesR, Rn. 324. 36 Vgl. Behrens/Hoffmann, in: GroßKomm-GmbHG, Bd. I, IntGesR, Rn. B146. 32

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numerus clausus der Gesellschaftsformen die rechtliche „Anerkennung“37 per se verweigert.38 Die Rechtsprechung sprach einer ausländischen Gesellschaft im Falle der Verlegung des effektiven Verwaltungssitzes ins Inland schlicht die Rechtsfähigkeit und damit die Prozessfähigkeit ab.39 Von der Gesellschaft abgeschlossene Rechtsgeschäfte waren unwirksam.40 Die Teilnahme am Rechtsverkehr war ihr faktisch verwehrt.41 Vereinzelt hat die Rechtsprechung die für die Gesellschaft Handelnden darüber hinaus einer persönlichen Haftung analog §§ 11 Abs. 2 GmbHG, 41 Abs. 2 S. 1 AktG unterworfen. 42 Vor dem Hintergrund der unionsrechtlichen Entwicklungen hat die Rechtsprechung die Rechtsfolgen der Sitztheorie zuletzt jedoch deutlich entschärft. Einer ausländischen Gesellschaft wird im Falle der Verlegung ihres effektiven Verwaltungssitzes nach Deutschland die Rechtsfähigkeit nicht länger per se versagt. Die Gesellschaft wird stattdessen als rechtsfähige Personengesellschaft anerkannt. 43 Die Gründung einer Personengesellschaft setzt im Gegensatz zu Kapitalgesellschaften weder einen formbedürftigen Gründungsakt noch eine konstitutive Registereintragung voraus. 44 Abhängig von ihrem objektiven Verbandszweck ist die Gesellschaft entweder als OHG oder als GbR zu qualifizieren.45 Als solche gilt sie in Deutschland als rechts- und parteifähig.46 Der mit der Verlegung des effektiven Verwaltungssitzes verbundene Statutenwechsel zieht nach der modifizierten Sitztheorie folglich eine „Metamorphose“ der ausländischen in eine inländische Rechtsform nach sich.47 Dementsprechend wird die modifizierte Sitztheorie auch als Wechselbalgtheorie bezeichnet.48 Die praktischen Konsequenzen der modifizierten Sitztheorie werfen jedoch Fragen auf. Die Umqualifikation der ausländischen Gesellschaft in eine deutsche Personengesellschaft hat etwa zur Folge, dass ein nach dem bisherigen 37

Vgl. Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 316 ff. zum Begriff der „Anerkennung“. 38 Vgl. Leuering, ZRP 2008, 73 (74); Weller, in: MünchKomm-GmbHG, Bd. 1, IntGesR, Rn. 325; Weller, FS Goette, 2011, 583 (591). 39 Vgl. BGH, NJW 1986, 2194 (2195); BayObLG, DNotZ 1986, 174 (176); OLG München, NJW-RR 1995, 703 (704). 40 Vgl. BGH, NJW 1970, 998 (999); Weller, in: MünchKomm-GmbHG, Bd. 1, IntGesR, Rn. 326. 41 Weller, FS Goette, 2011, 583 (591). 42 Vgl. KG, NJW 1989, 3100 (3101); OLG Düsseldorf, NJW-RR 1995, 1124 (1126). 43 Vgl. BGH, NJW 2002, 3539 (3540); BGH, NJW 2009, 289 (291). 44 Weller, FS Goette, 2011, 583 (592). 45 Vgl. Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 491 ff.; Weller, in: MünchKomm-GmbHG, Bd. 1, IntGesR, Rn. 330. 46 Vgl. BGH, NJW 2002, 3539 (3540); BGH, NJW 2009, 289 (289). 47 Weller, in: MünchKomm-GmbHG, Bd. 1, IntGesR, Rn. 328. 48 Vgl. Bartels, ZHR 176 (2012), 412 (417); Weller, in: MünchKomm-GmbHG, Bd. 1, IntGesR, Rn. 328; Weller, FS Goette, 2011, 583 (592).

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Gesellschaftsstatut bestehendes Haftungsprivileg der Gesellschafter erlischt und diese fortan persönlich und unbeschränkt für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft haften.49 Zudem bestimmt sich die organschaftliche Vertretung der Gesellschaft fortan nach den Grundsätzen des Personengesellschaftsrechts.50 Fremdgeschäftsführung ist demnach nicht möglich. Vor diesem Hintergrund erscheint insbesondere die Umqualifikation einer ausländischen Publikumsgesellschaft in eine deutsche Personengesellschaft nicht sachgerecht.51 Zudem tritt aus der Perspektive des Herkunftsstaates kein Statutenwechsel ein, falls dieser der Gründungstheorie folgt. Während die modifizierte Sitztheorie eine Umqualifikation in eine deutsche Personengesellschaft vornimmt, behandelt der Herkunftsstaat die Gesellschaft weiterhin als Gesellschaft seines Rechts.52 In der Folge kommt es zu einer Statutenverdoppelung, welche eine Vielzahl praktisch kaum zu lösender Fragen und Probleme aufwirft.53 3. Gründungstheorie Die Gründungstheorie geht auf den Vater des modernen europäischen Kollisionsrechts, Friedrich Carl von Savigny, zurück, der sich bereits Mitte des 19. Jahrhunderts mit der Frage des richtigen kollisionsrechtlichen Anknüpfungspunkts auseinandersetzte.54 Aus historischen Gründen ist die Gründungstheorie heute vor allem im angloamerikanischen Rechtskreis verbreitet.55 Um Rechtssicherheit und diplomatischen Schutz in Übersee zu gewährleisten, sollte den Gründern von Kapitalgesellschaften in den nordamerikanischen Kolonien die Wahl des englischen Rechts als Gesellschaftsstatut eröffnet werden.56 In Kontinentaleuropa werden die Schweiz, die Niederlande,

49 Vgl. BGH, NJW 2009, 289 (291); Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 494; Weller, FS Blaurock, 2013, 497 (501); Weller, in: MünchKomm-GmbHG, Bd. 1, IntGesR, Rn. 329; Wymeersch, CMLR 2003, 661 (685). 50 Vgl. BGH, NJW 2009, 289 (291). 51 Vgl. v. Bar/Mankowski, IPR, Bd. I, § 3, Rn. 44; Weller, in: MünchKomm-GmbHG, Bd. 1, IntGesR, Rn. 331. 52 Vgl. Weller, in: MünchKomm-GmbHG, Bd. 1, IntGesR, Rn. 331. 53 Vgl. Bayer/J. Schmidt, ZHR 173 (2009), 735 (741); W.-H. Roth, IPRax 2003, 117 (124); W.-H. Roth, ZGR 2014, 168 (202); Weller, in: MünchKomm-GmbHG, Bd. 1, IntGesR, Rn. 331; Weller, FS Goette, 2011, 583 (593). 54 Vgl. Trautrims, ZHR 176 (2012), 435 (437 ff.); Weller, FS Blaurock, 2013, 497 (502). 55 Vgl. Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 359 f.; Leible, in: Michalski, GmbHG, Bd. 1, IntGesR, Rn. 7; Thorn, in: Palandt, BGB, Anh. Art. 12 EGBGB, Rn. 1; Weller, in: MünchKomm-GmbHG, Bd. 1, IntGesR, Rn. 336. 56 Vgl. Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 359; Weller, in: MünchKomm-GmbHG, Bd. 1, IntGesR, Rn. 336.

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Dänemark, Liechtenstein sowie einige osteuropäische Staaten der Gründungstheorie zugeordnet.57 a) Anknüpfungspunkte Die Gründungstheorie unterstellt eine Gesellschaft derjenigen Rechtsordnung, nach welcher sie gegründet wurde.58 Um das anwendbare Recht zu ermitteln, wird eine Vielzahl verschiedener Anknüpfungspunkte diskutiert: der Ort des Gründungsgeschäfts, der Ort des statuarischen Sitzes, der Ort der Registereintragung, der von den Gesellschaftsgründern gewählte Ort, der Ort, nach dessen Recht die Gesellschaft organisiert ist, und schließlich der Ort, durch dessen Recht der Gesellschaft die Rechtsfähigkeit verliehen wurde.59 Dementsprechend existieren verschiedene Varianten der Gründungstheorie, welche unter anderem als Inkorporationstheorie, Registrierungstheorie sowie Organisationstheorie bezeichnet werden.60 Sie haben gemein, dass die Lokalisation des effektiven Verwaltungssitzes für die Bestimmung des Gesellschaftsstatuts unerheblich ist.61 b) Rechtspolitische Motive und Kritik Die Gründungstheorie stellt den Willen und die Interessen der Gesellschaftsgründer in den Mittelpunkt und eröffnet diesen bei der Bestimmung des Gesellschaftsstatuts einen weiten Spielraum. 62 Den Gesellschaftsgründern wird weitgehend Rechtswahlfreiheit eingeräumt. 63 Da die Anknüpfungspunkte der 57 Vgl. Eidenmüller, ZIP 2002, 2233 (2234); Hoffmann, ZVglRW 101 (2002), 283 (300 ff.); Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 509; Leible, in: Michalski, GmbHG, Bd. 1, IntGesR, Rn. 7; Weller, in: MünchKomm-GmbHG, Bd. 1, IntGesR, Rn. 336. 58 Vgl. Leible, in: Michalski, GmbHG, Bd. 1, IntGesR, Rn. 7; Weller, in: MünchKommGmbHG, Bd. 1, IntGesR, Rn. 333. 59 Vgl. Eidenmüller, in: Eidenmüller, Ausländische Kapitalgesellschaften, § 1, Rn. 3; Hoffmann, ZVglRW 101 (2002), 283 (283 ff.); Wasmeier, Umstrukturierung, 2014, S. 38 ff.; Weller, in: MünchKomm-GmbHG, Bd. 1, IntGesR, Rn. 333. 60 Vgl. Hoffmann, ZVglRW 101 (2002), 283 (287 ff.); Weller, FS Goette, 2011, 583 (591). 61 Vgl. Borg-Barthet, ICLQ 2013, 503 (504); Mucciarelli, TJICL 2012, 421 (427); G.H. Roth, Niederlassungsfreiheit, 2010, S. 7; Weller, in: MünchKomm-GmbHG, Bd. 1, IntGesR, Rn. 335. 62 Vgl. BGH, NZG 2000, 926 (927); Leible, in: Michalski, GmbHG, Bd. 1, IntGesR, Rn. 7; Kußmaul/Richter/Ruiner, ECL 2009, 246 (247); Leuering, ZRP 2008, 73 (74); Thorn, in: Palandt, BGB, Anh. Art. 12 EGBGB, Rn. 1; Vermeylen/Vande Velde, ECBMR, Kap. 2, Rn. 2.17; Weller, FS Blaurock, 2013, 497 (502); Weller, in: MünchKommGmbHG, Bd. 1, IntGesR, Rn. 335; Wymeersch, CMLR 2003, 661 (662). 63 Vgl. Borg-Barthet, ICLQ 2013, 503 (504); Eidenmüller, ZIP 2002, 2233 (2235); Lach/Schill, MittBayNot 2005, 243 (243); Leible, in: Michalski, GmbHG, Bd. 1, IntGesR, Rn. 7; Teichmann, ZGR 2011, 639 (675).

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Kapitel 1: Gesellschaftsmobilität im europäischen Binnenmarkt

Gründungstheorie in aller Regel leicht festzustellen sind, garantiert die Gründungstheorie eine rechtssichere Ermittlung des Gesellschaftsstatuts.64 Da es auf die mitunter schwierige Bestimmung des Orts der Hauptverwaltung nicht ankommt, wird die Rechtsanwendung erleichtert.65 Die Gründungstheorie birgt aufgrund der ihr innewohnenden Rechtswahlfreiheit allerdings die Gefahr von Manipulationen, weil sie die Gründung ausländischer Briefkastengesellschaften66 unter Umgehung inländischer Normativbestimmungen gestattet.67 Die potentielle Gefährdung schutzwürdiger Interessen Dritter ist – neben der Befürchtung, auf Dauer werde sich die Rechtsordnung mit dem schwächsten Schutz von Drittinteressen durchsetzen (race to the bottom) – der hauptsächliche Kritikpunkt an der Gründungstheorie.68 Zudem führt sie zu einer nicht unerheblichen Belastung der Prozessund Beratungspraxis, weil sie die Kenntnis und Handhabung ausländischen materiellen Gesellschaftsrecht erfordert.69 c) Möglichkeit eines Statutenwechsels Eine Verlegung des effektiven Verwaltungssitzes führt aus der Perspektive der Gründungstheorie nicht zur Änderung des auf die Gesellschaft anwendbaren Rechts und beeinträchtigt nicht den Fortbestand der Rechtspersönlichkeit der Gesellschaft.70 Ist eine Gesellschaft nach dem Recht eines Staates wirksam gegründet worden, so ist sie nach der Vorstellung der Gründungstheorie in jedem Staat bis zur Grenze des ordre public als rechtsfähig zu akzeptieren.71 Die Gründungstheorie erlaubt nicht nur, dass eine Gesellschaft nach Geschäftsaufnahme im Gründungsstaat in der Folgezeit ihren effektiven Verwaltungssitz in einen anderen Staat verlegt, sondern auch, dass die Ge64

Vgl. Heckschen, in: Widmann/Mayer, UmwR, 103. EL (2008), § 1 UmwG, Rn. 101; Leible, in: Michalski, GmbHG, Bd. 1, IntGesR, Rn. 9; Vermeylen/Vande Velde, ECBMR, Kap. 2, Rn. 2.20. 65 Vgl. Kobelt, GmbHR 2009, 808 (810). 66 Vgl. Herrler, DNotZ 2009, 484 (484); Leuering, ZRP 2008, 73 (73); Teichmann, ZGR 2011, 639 (642) zum Begriff der Briefkastengesellschaft. 67 Vgl. Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 368; Thorn, in: Palandt, BGB, Anh. Art. 12 EGBGB, Rn. 1; Weller, in: MünchKomm-GmbHG, Bd. 1, IntGesR, Rn. 337. 68 Vgl. BGH, NZG 2000, 926 (927); Gower/Davies, Company Law, Pt. 1, Rn. 6-26; Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 364; Weller, in: MünchKommGmbHG, Bd. 1, IntGesR, Rn. 337; Wymeersch, CMLR 2003, 661 (662). 69 Vgl. Kindler, IPRax 2009, 189 (190); Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 364. 70 Vgl. Behrens/Hoffmann, in: GroßKomm-GmbHG, Bd. I, IntGesR, Rn. B147; Gower/ Davies, Company Law, Pt. 1, Rn. 6-2; Leuering, ZRP 2008, 73 (74); Wymeersch, CMLR 2003, 661 (666). 71 Weller, in: MünchKomm-GmbHG, Bd. 1, IntGesR, Rn. 335.

§ 1 Rechtliche Rahmenbedingungen grenzüberschreitender Mobilität

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sellschaft von Anfang an mit divergierendem Satzungs- und Verwaltungssitz errichtet wird.72 Verlegt eine Gesellschaft ihren statuarischen Sitz ins Ausland, kommt es nur dann zu einem Statutenwechsel, wenn nach der konkreten Ausgestaltung der Gründungstheorie die Satzungssitzverlegung kollisionsrechtlich beachtlich ist. 73 Grundsätzlich ist und bleibt aus Sicht der Gründungstheorie als Gesellschaftsstatut diejenige Rechtsordnung maßgeblich, nach welcher die Gesellschaft gegründet wurde.74 Die Vorstellung eines Statutenwechsels ist der Gründungstheorie im Grunde fremd.75 Der effektive Verwaltungssitz der Gesellschaft mag ins Ausland verlegt werden, die Gesellschaft bleibt jedoch stets Rechtssubjekt derjenigen Rechtsordnung, nach welcher sie ursprünglich gegründet wurde.76 Sofern der Herkunftsstaat – wie im anglo-amerikanischen Rechtskreis üblich – an den Inkorporationsakt anknüpft, findet aus dessen Perspektive das Gründungsrecht auch dann weiterhin Anwendung, wenn die Gesellschaft ihren statuarischen Sitz ins Ausland verlegt.77 In den Vereinigten Staaten wird die reincorporation einer Gesellschaft nach dem Recht eines anderen Bundesstaates etwa durch Gründung einer Gesellschaft in besagtem Bundesstaat in Verbindung mit einer anschließenden Verschmelzung auf diese Gesellschaft durchgeführt; die Möglichkeit eines Statutenwechsels durch Verlegung des statuarischen Sitzes der Gesellschaft besteht hingegen nicht.78 Dieser Grundsatz gilt jedoch nicht gleichermaßen für sämtliche Staaten, deren Internationales Gesellschaftsrecht gemeinhin der Gründungstheorie zugeordnet wird. Das niederländische Gesellschaftskollisionsrecht eröffnet etwa in Art. 4 Wet conflictenrecht corporaties die Möglichkeit eines identitätswahrenden Statutenwechsels, sofern der andere von der Satzungssitzverlegung betroffene Staat den Fortbestand der Gesellschaft als Rechtssubjekt

72

Weller, in: MünchKomm-GmbHG, Bd. 1, IntGesR, Rn. 335. Vgl. Heckschen, in: Widmann/Mayer, UmwR, 103. EL (2008), § 1 UmwG, Rn. 203; Hoffmann, ZVglRW 101 (2002), 283 (301 und 306 f.); Leible, in: Michalski, GmbHG, Bd. 1, IntGesR, Rn. 186; Wasmeier, Umstrukturierung, 2014, S. 41 und 68 f.; unzutreffend insoweit Stiegler, Rechtsformwechsel, 2013, S. 14 und 41. 74 Vgl. Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, Einl., Rn. 62; Mucciarelli, ECFR 2005, 512 (518); Vermeylen/Vande Velde, ECBMR, Kap. 2, Rn. 2.19 und 2.104; Wasmeier, Umstrukturierung, 2014, S. 69; Wymeersch, CMLR 2003, 661 (667). 75 Vgl. Leible/Hoffmann, BB 2009, 58 (61); Wasmeier, Umstrukturierung, 2014, S. 41; Wymeersch, CMLR 2003, 661 (667); a.A. V. Braun, Wegzugsfreiheit, 2010, S. 223 f. 76 Wymeersch, CMLR 2003, 661 (678); a.A. V. Braun, Wegzugsfreiheit, 2010, S. 223 f. bei gleichzeitiger Verlegung des statuarischen Sitzes der Gesellschaft. 77 Vgl. Heckschen, in: Widmann/Mayer, UmwR, 103. EL (2008), § 1 UmwG, Rn. 203; Mucciarelli, ECFR 2005, 512 (518); Wasmeier, Umstrukturierung, 2014, S. 68. 78 Vgl. V. Braun, Wegzugsfreiheit, 2010, S. 246; Gower/Davies, Company Law, Pt. 1, Rn. 6-24; Mucciarelli, TJICL 2012, 421 (427); Wasmeier, Umstrukturierung, 2014, S. 14. 73

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ebenfalls anerkennt.79 Da die Gründungstheorie in Gestalt der Registrierungstheorie nicht an das Gründungsrecht, sondern an den wandelbaren Registrierungsort einer Gesellschaft anknüpft, zeigt sich auch das dänische Gesellschaftskollisionsrecht grundsätzlich offen für Statutenwechsel.80 III. Entwicklungsstand unionsrechtlicher Harmonisierung Gestützt auf die Ermächtigungsgrundlagen des Primärrechts81 hat der Unionsgesetzgeber in den vergangenen Jahrzehnten weite Teile des materiellen Gesellschaftsrechts der Mitgliedstaaten harmonisiert.82 Die Rechtsangleichung der für die Mobilität von Gesellschaften im Binnenmarkt bedeutsamen Regelungsmaterien ist bislang allerdings Stückwerk geblieben. Mit der grenzüberschreitenden Verschmelzung von Kapitalgesellschaften wurde lediglich ein sachlich sowie personell beschränkter Teilbereich grenzüberschreitender Umwandlungen durch die Internationale Verschmelzungsrichtlinie83 unionsrechtlich einheitlich geregelt. Zudem hat der Unionsgesetzgeber mit der EWIV, der SE sowie der SCE supranationale Rechtsformen geschaffen, welchen die Möglichkeit der Sitzverlegung in einen anderen Mitgliedstaat eingeräumt ist. Darüber hinausgehende Initiativen zur Vereinheitlichung des Gesellschaftskollisionsrechts sowie des materiellen Umwandlungsrechts der Mitgliedstaaten sind dagegen (vorerst) gescheitert. 1. Übereinkommen auf der Basis von Art. 220 EWGV / Art. 293 EGV Ursprünglich sah das Primärrecht in Art. 220 EWGV / Art. 293 EGV vor, dass die Mitgliedstaaten die gegenseitige Anerkennung von Gesellschaften durch ein völkerrechtliches Abkommen sicherstellen. 84 Bereits im Jahr 1968 wurde ein entsprechendes Übereinkommen unterzeichnet, welches im Ausgangspunkt der Gründungstheorie folgte.85 Sein Regelungsgehalt beschränkte sich jedoch auf die Anerkennung der Rechts-, Geschäfts- und Handlungsfähigkeit nach dem Gründungsrecht; im Übrigen sollte die Bestimmung des 79

Vgl. Hoffmann, ZVglRW 101 (2002), 283 (301). Vgl. Hoffmann, ZVglRW 101 (2002), 283 (306 f.). 81 Gesellschaftsrechtliche Harmonisierungsmaßnahmen lassen sich auf die Art. 50 Abs. 2 lit. g, 52 Abs. 2, 114, 115, 352 AEUV stützen. 82 Vgl. Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 28 ff. zum Stand der Rechtsangleichung. 83 RL 2005/56/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.10.2005 über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten, ABl. 2005, L 310/1. 84 Vgl. Leible, in: Michalski, GmbHG, Bd. 1, IntGesR, Rn. 51 ff.; Lutter/Bayer/J. Schmidt, Europ. Unternehmens- und Kapitalmarktrecht, § 6, Rn. 8 ff. 85 Vgl. Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 98; Leible, in: Michalski, GmbHG, Bd. 1, IntGesR, Rn. 52; Lutter/Bayer/J. Schmidt, Europ. Unternehmens- und Kapitalmarktrecht, § 6, Rn. 9. 80

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anwendbaren Rechts dem Gesellschaftskollisionsrecht der Mitgliedstaaten überlassen bleiben.86 Da die Niederlande die Ratifizierung des Abkommens verweigerten, trat es jedoch nie in Kraft.87 Einen weiteren Versuch der Vereinheitlichung der Anknüpfungspunkte des Gesellschaftskollisionsrechts der Mitgliedstaaten auf der Grundlage einer vertraglichen Vereinbarung haben die Mitgliedstaaten seither nicht unternommen. Au contraire wurde die Vorschrift des Art. 293 EGV durch den Vertrag von Lissabon aufgehoben.88 2. Vorentwurf einer Sitzverlegungsrichtlinie Im Jahr 1997 nahm sich die Europäische Kommission der Thematik der Mobilität von Gesellschaften im Binnenmarkt wieder an und präsentierte einen Vorentwurf für eine Richtlinie zur grenzüberschreitenden Sitzverlegung.89 Statt einer Harmonisierung des Gesellschaftskollisionsrechts der Mitgliedstaaten sollte eine Lösung auf sachrechtlicher Ebene gefunden werden.90 Ziel des Regelungsvorschlags war es, Gesellschaften ein Verfahren für eine identitätswahrende Sitzverlegung in einen anderen Mitgliedstaat unter Wechsel des Gesellschaftsstatuts zur Verfügung zu stellen.91 Art. 3 des Richtlinienvorentwurfs verpflichtet die Mitgliedstaaten, alle erforderlichen Maßnahmen zu treffen, damit eine Gesellschaft ihren Sitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegen kann, ohne dass damit die Auflösung der Gesellschaft oder die Gründung einer neuen juristischen Person verbunden wäre.92 Über das Entwurfsstadium ist das Rechtssetzungsvorhaben bislang jedoch nicht hinausgekommen. Nachdem das Projekt immer wieder ins Stocken geriet, wurden die Arbeiten daran im Jahr 2007 eingestellt.93 Die Europäische Kommission verlautbarte, dass das Vorhaben nicht weiter verfolgt werde, weil die Probleme der grenzüberschreitenden Sitzverlegung durch die Recht86

Vgl. Lutter/Bayer/J. Schmidt, Europ. Unternehmens- und Kapitalmarktrecht, § 6, Rn. 9. 87 Vgl. Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 98; Leible, in: Michalski, GmbHG, Bd. 1, IntGesR, Rn. 51; Lutter/Bayer/J. Schmidt, Europ. Unternehmens- und Kapitalmarktrecht, § 6, Rn. 9. 88 Vgl. Borg-Barthet, ICLQ 2013, 503 (510 f.); Lutter/Bayer/J. Schmidt, Europ. Unternehmens- und Kapitalmarktrecht, § 6, Rn. 10. 89 Vgl. Richtlinienvorentwurf zur Verlegung des Gesellschaftssitzes innerhalb der EU, ZIP 1997, 1721. 90 Vgl. Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 61; Leible, in: Michalski, GmbHG, Bd. 1, IntGesR, Rn. 55; Lutter/Bayer/J. Schmidt, Europ. Unternehmens- und Kapitalmarktrecht, § 6, Rn. 11. 91 Vgl. Leible, in: Michalski, GmbHG, Bd. 1, IntGesR, Rn. 54. 92 Vgl. Richtlinienvorentwurf zur Verlegung des Gesellschaftssitzes innerhalb der EU, ZIP 1997, 1721 (1723). 93 Vgl. Grundmann, Europ. GesR, § 24, Rn. 836; Habersack/Verse, Europ. GesR, § 3, Rn. 30; Lutter/Bayer/J. Schmidt, Europ. Unternehmens- und Kapitalmarktrecht, § 6, Rn. 11.

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sprechung des EuGH bereits hinreichend geklärt seien.94 Diese Haltung der Europäischen Kommission wurde in Fachkreisen zu Recht kritisiert.95 Im Dezember 2010 setzte die Europäische Kommission eine Reflection Group on the Future of EU Company Law (im Folgenden: Reflection Group) ein, welche die aktuellen Problemstellungen des europäischen Gesellschaftsrechts analysieren und insoweit Lösungsmöglichkeiten aufzeigen sollte. In ihrem im April 2011 vorgelegten Bericht kommt die Reflection Group zu dem Ergebnis, dass eine sekundärrechtliche Harmonisierung erforderlich sei, um Gesellschaften eine identitätswahrende Sitzverlegung unter Wechsel des anwendbaren Rechts zu ermöglichen.96 Vor dem Hintergrund der immer wieder erhobenen Forderung97 nach einer Wiederaufnahme der Arbeiten an der Richtlinie und dem Bericht der Reflection Group hat die Europäische Kommission im Dezember 2012 einen neuen gesellschaftsrechtlichen Aktionsplan vorgelegt.98 Bezüglich der Notwendigkeit einer Sitzverlegungsrichtlinie zeigt sie sich jedoch weiterhin skeptisch. Eine Initiative auf diesem Gebiet müsse zunächst durch robuste Wirtschaftsdaten und eine sorgfältige Bewertung des praktischen Nutzens einer unionsrechtlichen Regelung untermauert werden.99 Dazu hat die Europäische Kommission im Frühjahr 2013 ein Konsultationsverfahren durchgeführt, an welchem sich jedoch lediglich 86 Unternehmen und

94

Vgl. Altmeppen/Ego, in: MünchKomm-AktG, Bd. 7, Europ. Niederlassungsfreiheit, Rn. 65. 95 Vgl. Kieninger, RabelsZ 73 (2009), 607 (618); Vossestein, ECL 2009, 115 (123). 96 Vgl. Report of the Reflection Group on the Future of EU Company Law vom 5.4.2011, Abschn. 2.3.2, S. 19 ff., in englischer Sprache abrufbar unter (Stand: 22.10.2014). 97 Vgl. aus jüngerer Zeit Bayer/J. Schmidt, ZIP 2012, 1481 (1491); Benrath/König, DK 2012, 377 (381); Biermeyer, CMLR 2013, 571 (589); Böttcher/Kraft, NJW 2012, 2701 (2703 f.); Bungert/de Raet, DB 2014, 761 (762); Former Reflection Group on the Future of EU Company Law, ECFR 2013, 304 (319 f.); Frenzel, NotBZ 2012, 349 (351 f.); Hansen, ECFR 2013, 1 (16); Jaensch, EWS 2012, 353 (359); Krebs, GWR 2014, 144 (147); Mörsdorf/Jopen, ZIP 2012, 1398 (1401); Nagy, IPRax 2013, 582 (584); Neye, EWiR 2014, 45 (46); W.-H. Roth, FS Hoffmann-Becking, 2013, 965 (995); Schaper, ZIP 2014, 810 (814); Schön, ZGR 2013, 333 (336 f.); Verse, EuZW 2013, 336 (337); Verse, ZEuP 2013, 458 (477); Wachter, GmbHR 2014, 99 (100); Weller/Rentsch, IPRax 2013, 530 (536); Wicke, DStR 2012, 1756 (1759); Wöhlert/Degen, GWR 2012, 337957. 98 Aktionsplan: Europäisches Gesellschaftsrecht und Corporate Governance vom 12.12.2012, COM/2012/0740; siehe dazu Bayer/J. Schmidt, BB 2013, 3 (12 ff.); Behrens, EuZW 2013, 121 (121 f.); Former Reflection Group on the Future of EU Company Law, ECFR 2013, 304 (305 ff.); Hopt, EuZW 2013, 481 (481 f.); Roesener, NZG 2013, 241 (242). 99 Aktionsplan: Europäisches Gesellschaftsrecht und Corporate Governance vom 12.12.2012, COM/2012/0740, Abschnitt 4.1, S. 14.

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andere Institutionen beteiligt haben.100 Vor diesem Hintergrund sind die Ergebnisse des Konsultationsverfahrens wenig repräsentativ.101 Gleichwohl sollen sie in die Entscheidungsfindung der Europäischen Kommission über ihr weiteres Vorgehen einfließen.102 Aufgrund der zögerlichen Haltung der Europäischen Kommission ist eine Rechtssetzungsinitiative in naher Zukunft jedoch nicht zu erwarten. Bis zu einer sekundärrechtlichen Harmonisierung sind die rechtlichen Rahmenbedingungen der grenzüberschreitenden Mobilität von Gesellschaften zuvorderst der Rechtsprechung des EuGH zu entnehmen. IV. Rechtsprechung des EuGH zur Niederlassungsfreiheit der Gesellschaften Der EuGH hat den rechtlichen Rahmen der Mobilität von Gesellschaften im Binnenmarkt in den vergangenen Jahrzehnten entscheidend geprägt. Rechtlicher Ausgangspunkt der Judikatur ist die Niederlassungsfreiheit, welche nicht nur den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten, sondern auch Gesellschaften durch die Art. 49 ff. AEUV primärrechtlich verbürgt ist. Immer wieder hatte der Gerichtshof Mobilitätshindernisse seitens der Mitgliedstaaten am Maßstab der Niederlassungsfreiheit unionsrechtlich zu überprüfen. Die Urteile des EuGH haben gravierende Auswirkungen auf das Gesellschaftskollisionsrecht und das materielle Umwandlungsrecht der Mitgliedstaaten. 1. Daily Mail – Bereichsausnahme für das Gesellschaftskollisionsrecht? Ausgangspunkt der Rechtsprechung des EuGH ist die Entscheidung in der Rechtssache Daily Mail and General Trust103 (im Folgenden: Daily Mail) aus dem Jahr 1988. Die englische Daily Mail and General Trust Plc. beabsichtigte, den Sitz der Geschäftsleitung in die Niederlande zu verlegen. Zwar erlaubt das englische (Internationale) Gesellschaftsrecht englischen Gesellschaften, die Geschäftsleitung außerhalb Englands anzusiedeln. Dies führt weder zum Verlust der Rechtspersönlichkeit noch zum Verlust der Eigenschaft als Gesellschaft englischen Rechts (vgl. § 8 II. 1.). Allerdings wäre die Gesellschaft in England fortan nicht mehr körperschaftssteuerpflichtig gewesen. Ebendarum stand die Verlegung der Geschäftsleitung ins Ausland unter dem Vorbehalt der Zustimmung des Finanzministeriums. Nachdem die Verhandlungen 100 Vgl. Summary of the responses to the public consultation on cross-border transfers of registered offices of companies von September 2013, S. 2, in englischer Sprache abrufbar unter (Stand: 22.10.2014). 101 Bungert/de Raet, DB 2014, 761 (762 f.). 102 Vgl. Summary of the responses to the public consultation on cross-border transfers of registered offices of companies von September 2013, S. 16. 103 EuGH, Urteil vom 27.9.1988, Rs. C-81/87 – Daily Mail and General Trust, Slg. 1988, 5483.

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der Gesellschaft mit dem Finanzministerium ergebnislos blieben, erhob sie Klage zum High Court of Justice (im Folgenden: High Court) und machte geltend, die Niederlassungsfreiheit verleihe ihr das Recht, den Sitz ihrer Geschäftsleitung ohne vorherige Zustimmung in einen anderen Mitgliedstaat zu verlegen beziehungsweise die Zustimmung jedenfalls unabhängig von der Erfüllung von Bedingungen zu erhalten. Der High Court setzte das Verfahren aus und legte die Sache dem EuGH zur Vorabentscheidung vor. a) Kernaussage der Entscheidung Der EuGH erkannte in dem Zustimmungsvorbehalt keine Verletzung der Niederlassungsfreiheit. Diese gewähre beim derzeitigen Stand des Gemeinschaftsrechts einer nach dem Recht eines Mitgliedstaates gegründeten Gesellschaft nicht das Recht, den Sitz ihrer Geschäftsleitung in einen anderen Mitgliedstaat zu verlegen.104 Gesellschaften seien im Gegensatz zu natürlichen Personen Geschöpfe einer nationalen Rechtsordnung, welche ihre Gründung und Existenz regle und jenseits derer sie keine Realität hätten.105 Die Probleme, welche sich aus den Unterschieden der Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten hinsichtlich der Möglichkeit und gegebenenfalls der Modalitäten einer Verlegung des satzungsmäßigen oder wahren Sitzes einer Gesellschaft ergäben, würden durch die Bestimmungen über die Niederlassungsfreiheit nicht gelöst, sondern bedürften einer Lösung im Wege der Rechtssetzung oder des Vertragsschlusses.106 b) Rechtliche Einordnung Zwar war das englische Gesellschaftskollisionsrecht nicht Gegenstand der Entscheidung des EuGH. Gleichwohl wurde dem Urteil teils eine generelle Bereichsausnahme von der Niederlassungsfreiheit für das Gesellschaftskollisionsrecht entnommen.107 Bestünde eine solche Bereichsausnahme, stünde es den Mitgliedstaaten frei, ihr Internationales Gesellschaftsrecht autonom ohne Rücksicht auf mögliche niederlassungsbeschränkende Wirkungen auszugestalten. Überwiegend wurde die Entscheidung als höchstrichterliche Billigung der Sitztheorie interpretiert und stieß daher auf teilweise deutliche Kritik.108 104

EuGH, Urteil vom 27.9.1988, Rs. C-81/87 – Daily Mail and General Trust, Slg. 1988, 5483, Rn. 25. 105 EuGH, Urteil vom 27.9.1988, Rs. C-81/87 – Daily Mail and General Trust, Slg. 1988, 5483, Rn. 19. 106 EuGH, Urteil vom 27.9.1988, Rs. C-81/87 – Daily Mail and General Trust, Slg. 1988, 5483, Rn. 23. 107 Vgl. BayObLG, NJW-RR 1993, 43 (44); Kindler, NJW 1999, 1993 (1997); Klinke, ZGR 1993, 1 (7). 108 Vgl. Leible, in: Michalski, GmbHG, Bd. 1, IntGesR, Rn. 23 m.w.N.; Lutter/Bayer/J. Schmidt, Europ. Unternehmens- und Kapitalmarktrecht, § 6, Rn. 18 m.w.N.

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2. Centros – Niederlassungsfreiheit für Briefkastengesellschaften? Den Beginn einer Entscheidungsserie des EuGH zugunsten der Mobilität von Gesellschaften markiert das Urteil in der Rechtssache Centros109 aus dem Jahr 1999. Die englische Centros Ltd. wurde im Jahr 1992 von einem in Dänemark ansässigen dänischen Ehepaar gegründet. Das Gesellschaftskapital der private company limited by shares (Ltd.) wurde im Einklang mit den Vorschriften des englischen Gesellschaftsrechts nicht einbezahlt (vgl. § 8 II. 2. a)). Im Anschluss an ihre Gründung entfaltete die Gesellschaft in England keinerlei Geschäftstätigkeit. Vielmehr beantragte sie bei der dänischen Zentralverwaltung für Handel und Gesellschaften die Eintragung einer Zweigniederlassung in Dänemark. Diese lehnte die Eintragung jedoch mit der Begründung ab, die Gesellschaft beabsichtige unter Umgehung der dänischen Vorschriften über die Einzahlung eines Mindestgesellschaftskapitals in Dänemark nicht eine Zweigniederlassung, sondern ihre Hauptniederlassung zu errichten. Die Verweigerung der Eintragung sei erforderlich, um Gesellschaftsgläubiger und Vertragspartner zu schützen sowie den betrügerischen Bankrott zu bekämpfen. Gegen den ablehnenden Bescheid erhob die Gesellschaft Klage und machte geltend, sie erfülle die Voraussetzungen des dänischen Rechts für die Eintragung einer Zweigniederlassung. Im Übrigen gewähre ihr die Niederlassungsfreiheit das Recht, eine Zweigniederlassung in Dänemark zu errichten. Das angerufene Gericht setzte das Verfahren aus und legte die Angelegenheit dem EuGH zur Vorabentscheidung vor. a) Kernaussage der Entscheidung Der EuGH erkannte in der Verweigerung der Eintragung der Zweigniederlassung eine Verletzung der Niederlassungsfreiheit. Es sei für die Anwendung des Gemeinschaftsrechts nicht von Bedeutung, dass eine Gesellschaft in einem Mitgliedstaat nur errichtet werde, um sich anschließend in einem anderen Mitgliedstaat niederzulassen, in welchem die Geschäftstätigkeit ausgeübt werden solle.110 Dass die Gründung der Gesellschaft in England die Umgehung der dänischen Vorschriften über die Einzahlung eines Mindestgesellschaftskapitals bezweckt habe, ändere nichts daran, dass die Errichtung einer Zweigniederlassung durch die Gesellschaft in Dänemark dem Schutz der Niederlassungsfreiheit unterfalle.111 Zwar seien die Mitgliedstaaten berechtigt, Maßnahmen zu treffen, um zu verhindern, dass sich ihre Staatsangehörigen unter Missbrauch der durch das Gemeinschaftsrecht geschaffenen Möglichkeiten der Anwendung ihres nationalen Rechts entziehen. 112 Es stelle 109

EuGH, Urteil vom 9.3.1999, Rs. C-212/97 – Centros, Slg. 1999, I-1459. EuGH, Urteil vom 9.3.1999, Rs. C-212/97 – Centros, Slg. 1999, I-1459, Rn. 17. 111 EuGH, Urteil vom 9.3.1999, Rs. C-212/97 – Centros, Slg. 1999, I-1459, Rn. 18. 112 EuGH, Urteil vom 9.3.1999, Rs. C-212/97 – Centros, Slg. 1999, I-1459, Rn. 24. 110

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jedoch für sich genommen keine missbräuchliche Ausnutzung der Niederlassungsfreiheit dar, wenn ein Staatsangehöriger eine Gesellschaft in demjenigen Mitgliedstaat gründe, dessen gesellschaftsrechtliche Vorschriften ihm die größte Freiheit ließen, und anschließend in anderen Mitgliedstaaten Zweigniederlassungen errichte.113 Dies gelte auch dann, wenn die Gesellschaft im Mitgliedstaat der Gründung keine Geschäftstätigkeit entfalte und ihre Tätigkeit ausschließlich im Mitgliedstaat der Zweigniederlassung ausübe.114 Die in der Verweigerung der Eintragung der Zweigniederlassung liegende Beschränkung der Niederlassungsfreiheit sei durch die von dänischer Seite vorgebrachten Gründe auch nicht gerechtfertigt.115 b) Rechtliche Einordnung Obgleich dazu angesichts des zugrundeliegenden Sachverhalts eigentlich kein Anlass bestand, wurde das Urteil in Fachkreisen überwiegend im Hinblick auf seine Auswirkungen auf das Internationale Gesellschaftsrecht der Mitgliedstaaten diskutiert.116 Teils war man der Auffassung, dass der Entscheidung im Hinblick auf das Gesellschaftskollisionsrecht keine Aussage zu entnehmen sei.117 Teils wurde die Vereinbarkeit der Sitztheorie mit der Niederlassungsfreiheit in Zweifel gezogen.118 Überwiegend wurde die Entscheidung zumindest als deutliche Einschränkung der Sitztheorie interpretiert.119 3. Überseering – Ende der Sitzanknüpfung im Gesellschaftskollisionsrecht? Die Vertreter letztgenannter Rechtsauffassung durften sich in ihrer Einschätzung durch die nachfolgende Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Überseering120 bestätigt fühlen. Die niederländische Überseering BV erwarb im Jahr 1990 ein Grundstück in Düsseldorf, welches sie gewerblich nutzte. In der Folgezeit beauftragte sie ein deutsches Bauunternehmen mit Sanierungsarbeiten auf dem Grundstück. Im Jahr 1996 verklagte die Gesellschaft das Bauunternehmen wegen Baumängeln und nahm es auf Mängelbeseitigung 113

EuGH, Urteil vom 9.3.1999, Rs. C-212/97 – Centros, Slg. 1999, I-1459, Rn. 27. EuGH, Urteil vom 9.3.1999, Rs. C-212/97 – Centros, Slg. 1999, I-1459, Rn. 29 mit Verweis auf EuGH, Urteil vom 10.7.1986, Rs. C-79/85 – Segers, Slg. 1986, 2375. 115 EuGH, Urteil vom 9.3.1999, Rs. C-212/97 – Centros, Slg. 1999, I-1459, Rn. 31 ff. 116 Vgl. Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 119 m.w.N.; Leible, in: Michalski, GmbHG, Bd. 1, IntGesR, Rn. 25 m.w.N.; Lutter/Bayer/J. Schmidt, Europ. Unternehmens- und Kapitalmarktrecht, § 6, Rn. 22 m.w.N. 117 Vgl. OLG Hamm, NJW 2001, 2183 (2183); Kindler, NJW 1999, 1993 (1996); Kindler, NJW 2003, 1073 (1074); Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 145; v. Bar/Mankowski, IPR, Bd. I, § 3, Rn. 45. 118 Vgl. Lutter/Bayer/J. Schmidt, Europ. Unternehmens- und Kapitalmarktrecht, § 6, Rn. 22 m.w.N. 119 Leuering, ZRP 2008, 73 (74). 120 EuGH, Urteil vom 5.11.2002, Rs. C-208/00 – Überseering, Slg. 2002, I-9919. 114

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sowie Schadensersatz in Anspruch. Zwischenzeitlich hatten zwei in Düsseldorf wohnhafte deutsche Staatsangehörige sämtliche Gesellschaftsanteile an der Gesellschaft erworben. Die Klage hatte vor den deutschen Instanzgerichten keinen Erfolg. Nach den Feststellungen der Gerichte hatte die Gesellschaft ihren effektiven Verwaltungssitz nach Düsseldorf verlegt. Auf der Grundlage der Sitztheorie (in ihrer ursprünglichen Ausprägung) sprachen die Gerichte der Gesellschaft die Rechts- und Parteifähigkeit ab. Die Gesellschaft legte Revision zum BGH ein, der die Angelegenheit dem EuGH zur Vorabentscheidung vorlegte. a) Kernaussage der Entscheidung Der EuGH sah durch die Versagung der Rechts- und Parteifähigkeit durch die Instanzgerichte die Niederlassungsfreiheit der Gesellschaft verletzt. Die Gesellschaft sei in den Niederlanden wirksam gegründet worden und genieße als solche das Recht, in Deutschland von ihrer Niederlassungsfreiheit Gebrauch zu machen.121 Der Umstand, dass das gesamte Gesellschaftskapital von in Deutschland ansässigen deutschen Staatsangehörigen erworben worden sei, führe nicht zum Verlust der Rechtspersönlichkeit, welche die niederländische Rechtsordnung der Gesellschaft zuerkenne.122 Es stelle daher eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit dar, wenn ein Mitgliedstaat sich weigere, die Rechtsfähigkeit einer Gesellschaft anzuerkennen, welche nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaates gegründet worden sei und dort ihren Satzungssitz habe.123 Selbst zwingende Gründe des Allgemeininteresses könnten es nicht rechtfertigten, einer Gesellschaft, welche in einem anderen Mitgliedstaat ordnungsgemäß gegründet worden sei und dort ihren satzungsmäßigen Sitz habe, die Rechtsfähigkeit und damit die Parteifähigkeit abzusprechen.124 Dies käme geradezu einer Negierung der den Gesellschaften durch das Primärrecht zuerkannten Niederlassungsfreiheit gleich. 125 Mache eine nach dem Recht eines Mitgliedstaates ordnungsgemäß gegründete Gesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat von ihrer Niederlassungsfreiheit Gebrauch, dann sei dieser Mitgliedstaat verpflichtet, die Rechtsfähigkeit und damit die Parteifä-

121

EuGH, Rn. 80. 122 EuGH, Rn. 80. 123 EuGH, Rn. 82. 124 EuGH, Rn. 93. 125 EuGH, Rn. 93.

Urteil vom 5.11.2002, Rs. C-208/00 – Überseering, Slg. 2002, I-9919, Urteil vom 5.11.2002, Rs. C-208/00 – Überseering, Slg. 2002, I-9919, Urteil vom 5.11.2002, Rs. C-208/00 – Überseering, Slg. 2002, I-9919, Urteil vom 5.11.2002, Rs. C-208/00 – Überseering, Slg. 2002, I-9919, Urteil vom 5.11.2002, Rs. C-208/00 – Überseering, Slg. 2002, I-9919,

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higkeit zu achten, welche die Gesellschaft nach dem Recht ihres Gründungsstaates besitze.126 b) Rechtliche Einordnung Die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Überseering stellte die Vereinbarkeit der Sitztheorie mit der Niederlassungsfreiheit erstmals tatsächlich in Frage. Die Aussage des Gerichtshofs, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, die Rechts- und Parteifähigkeit zu achten, welche eine Gesellschaft nach ihrem Gründungsrecht besitzt, bildet den Kernpunkt des wissenschaftlichen Diskurses über die Bedeutung der Entscheidung für das Internationale Gesellschaftsrecht.127 Umstritten ist, ob die Rechtsfolgen der Sitztheorie in ihrer modifizierten Form, zu welcher der BGH kurz vor der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Überseering übergegangen war, mit der Niederlassungsfreiheit vereinbar sind. Hierauf wird im Laufe der vorliegenden Untersuchung noch zurückzukommen sein (vgl. § 4 III. 2.). 4. Inspire Art – Durchbruch für die europäische Gründungstheorie? Der EuGH setzte seine mobilitätsfreundliche Rechtsprechung in der Rechtssache Inspire Art128 fort. Die englische Inspire Art Ltd. unterhielt eine Zweigniederlassung in Amsterdam, von wo aus sie ihre gesamte Geschäftstätigkeit entfaltete. Die dortige Handels- und Industriekammer (Kamer von Koophandel en Fabrieken voor Amsterdam) vertrat deshalb die Auffassung, bei der Gesellschaft handele es sich um eine formal ausländische Gesellschaft im Sinne des niederländischen Gesetzes über formal ausländische Gesellschaften (Wet op de formeel buitenlandse vennootschappen, WFBV).129 Das WFBV verpflichtete formal ausländische Gesellschaften zur Aufbringung eines Gesellschaftskapitals in Höhe von mindestens 18.000 Euro. Andernfalls hafteten die Geschäftsführer neben der Gesellschaft als Gesamtschuldner für die begründeten Gesellschaftsverbindlichkeiten. Zudem waren formal ausländische Gesellschaften verpflichtet, ihre Eintragung im niederländischen Handelsregister mit einem entsprechenden Zusatz versehen zu lassen und einen entsprechenden Rechtsformzusatz im Rechtsverkehr zu führen. Die Kamer von Koophandel en Fabrieken voor Amsterdam beantragte beim Kantongerecht 126 EuGH, Urteil vom 5.11.2002, Rs. C-208/00 – Überseering, Slg. 2002, I-9919, Rn. 95. 127 Vgl. Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 122 f. m.w.N. 128 EuGH, Urteil vom 30.9.2003, Rs. C-167/01 – Inspire Art, Slg. 2003, I-10155. 129 Art. 1 WFBV definierte eine formal ausländische Gesellschaft als eine nach einem anderen als dem niederländischen Recht gegründete Kapitalgesellschaft mit eigener Rechtspersönlichkeit, die ihre Tätigkeit vollständig oder nahezu vollständig in den Niederlanden ausübt und daneben keine tatsächliche Bindung an den Staat hat, in dem das Recht gilt, nach dem sie gegründet wurde.

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Amsterdam anzuordnen, dass die Eintragung der Inspire Art Ltd. im Handelsregister durch einen entsprechenden Vermerk vervollständigt werde. Die Gesellschaft machte demgegenüber geltend, dass sie keine formal ausländische Gesellschaft sei. Hilfsweise trug sie vor, dass das WFBV gegen das Gemeinschaftsrecht verstoße. Das angerufene Gericht setzte das Verfahren aus und legte die Frage der Vereinbarkeit des WFBV mit dem Gemeinschaftsrecht dem EuGH zur Vorabentscheidung vor. a) Kernaussage der Entscheidung Der EuGH stellte in seiner Entscheidung fest, dass die Bestimmungen des WFBV mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbar seien. Die Niederlassungsfreiheit stehe Regelungen eines Mitgliedstaates entgegen, welche die Errichtung einer Zweitniederlassung durch eine nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaates gegründete Gesellschaft von der Erfüllung von Voraussetzungen abhängig mache, welche im innerstaatlichen Recht für die Gründung von Gesellschaften vorgesehen seien.130 Der Umstand, dass die Inspire Art Ltd. in England gegründet worden sei, um die Vorschriften des niederländischen Rechts über das Mindestkapital von Gesellschaften zu umgehen, schließe es nicht aus, dass die Errichtung einer Zweigniederlassung der Gesellschaft in den Niederlanden unter den Schutz der Niederlassungsfreiheit falle.131 Diese Vorgehensweise stelle auch dann keinen Missbrauch der Niederlassungsfreiheit dar, wenn die betreffende Gesellschaft ihre Tätigkeiten hauptsächlich oder ausschließlich in einem anderen Mitgliedstaat ausübe.132 Die Vorschriften des WFBV führten indessen dazu, dass die Ausübung der Niederlassungsfreiheit in Form der Errichtung von Zweigniederlassungen behindert werde.133 Die darin liegende Beschränkung der Niederlassungsfreiheit sei nicht durch zwingende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt.134 b) Rechtliche Einordnung Durch Inspire Art hat der EuGH seine Rechtsprechung in den Rechtssachen Centros und Überseering bestätigt. Das Urteil geht jedoch über die Vorgängerentscheidungen insoweit hinaus, als nicht nur die Frage der Anerkennung 130

EuGH, Urteil vom 30.9.2003, Rs. C-167/01 – Inspire Art, Slg. 2003, I-10155, Rn. 105. 131 EuGH, Urteil vom 30.9.2003, Rs. C-167/01 – Inspire Art, Slg. 2003, I-10155, Rn. 98. 132 EuGH, Urteil vom 30.9.2003, Rs. C-167/01 – Inspire Art, Slg. 2003, I-10155, Rn. 96 und 105. 133 EuGH, Urteil vom 30.9.2003, Rs. C-167/01 – Inspire Art, Slg. 2003, I-10155, Rn. 101 und 104. 134 EuGH, Urteil vom 30.9.2003, Rs. C-167/01 – Inspire Art, Slg. 2003, I-10155, Rn. 142.

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der Rechtsfähigkeit der Gesellschaft, sondern auch die Frage berührt wird, ob und inwieweit ein Mitgliedstaat berechtigt ist, sein materielles Gesellschaftsrecht auf Briefkastengesellschaften anzuwenden, welche in seinem Hoheitsgebiet tätig werden. Indem der Gerichtshof Briefkastengesellschaften weitgehend den Schutz der Niederlassungsfreiheit gewährt, postuliert er ein Verständnis der Niederlassungsfreiheit als Rechtswahlfreiheit. Ob diese Interpretation zutreffend ist, ist eine der umstrittensten Fragen des europäischen Gesellschaftsrechts, auf welche noch zurückzukommen sein wird (vgl. § 3 II. 1. a)). Die Entscheidungstrias Centros, Überseering, Inspire Art hatte gravierende rechtspraktische und rechtspolitische Auswirkungen. Vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des EuGH vollzogen die deutsche Rechtsprechung135 und der überwiegende Teil des Schrifttums136 in der Folgezeit in Bezug auf EUausländische Gesellschaften die Abkehr von der Sitztheorie. Vergleichbare Entwicklungen waren auch in anderen Sitztheoriestaaten zu beobachten.137 Die Mitgliedstaaten stehen seither in einem Wettbewerb, den Marktteilnehmern für ihre unternehmerische Tätigkeit besonders attraktive Rechtsformen anzubieten. Im Rahmen dieses Wettbewerbs bediente sich eine Vielzahl deutscher Gesellschaftsgründer EU-ausländischer Rechtsformen, insbesondere der englischen Ltd., welche aufgrund ihrer relativ einfachen Gründung sowie des fehlenden Mindestgesellschaftskapitals attraktiv erschien.138 Dieser Entwicklung versuchte der Gesetzgeber durch das MoMiG139 entgegenzuwirken. Ziel der Novelle des GmbH-Gesetzes war namentlich, die GmbH international wieder wettbewerbsfähig zu machen.140 Auch andere Mitgliedstaaten haben im Hinblick auf die wachsende Anzahl in ihrem Hoheitsgebiet tätiger Briefkastengesellschaften versucht, ihr nationales Gesellschaftsrecht wieder konkurrenzfähig zu machen.141 Neuere Untersuchungen zeigen, dass die Attrakti-

135

Vgl. BGH, NZG 2003, 431 (432 f.); BGH, NJW 2005, 1648 (1649); BGH, NZG 2005, 974 (974); BayObLG, NZG 2003, 290 (290 f.); OLG Zweibrücken, NZG 2003, 537 (538); KG, NJW-RR 2004, 331 (333). 136 Vgl. Lutter/Bayer/J. Schmidt, Europ. Unternehmens- und Kapitalmarktrecht, § 6, Rn. 30 m.w.N. 137 Vgl. Lutter/Bayer/J. Schmidt, Europ. Unternehmens- und Kapitalmarktrecht, § 6, Rn. 30. 138 Vgl. R. Braun/Eidenmüller/Engert/Hornuf, ZHR 177 (2013), 131 (134); Habersack/ Verse, Europ. GesR, § 3, Rn. 24; Lutter/Bayer/J. Schmidt, Europ. Unternehmens- und Kapitalmarktrecht, § 6, Rn. 31; Ringe, ECFR 2013, 230 (236). 139 Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen vom 23.10.2008, BGBl. I 2008, S. 2026. 140 Vgl. BR-Drs. 354/07, S. 1. 141 Vgl. R. Braun/Eidenmüller/Engert/Hornuf, ZHR 177 (2013), 131 (134); Jung, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 54 AEUV, Rn. 53; Lutter/Bayer/J. Schmidt, Europ. Unternehmens- und Kapitalmarktrecht, § 6, Rn. 31; Ringe, ECFR 2013, 230 (239 ff.).

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vität der Ltd. in Deutschland in jüngerer Zeit nachgelassen hat.142 Neben anderen Ursachen dürfte auch die Reform des GmbH-Rechts durch das MoMiG einen Anteil an dieser Entwicklung haben.143 5. SEVIC Systems – Grenzüberschreitende Umwandlungen qua Niederlassungsfreiheit In der Rechtssache SEVIC Systems144 erhielt der EuGH erstmals Gelegenheit, sich zur Zulässigkeit grenzüberschreitender Umwandlungen zu äußern. Die deutsche SEVIC Systems AG und die luxemburgische Security Vision Concept SA schlossen im Jahr 2002 einen Verschmelzungsvertrag, welcher die Auflösung der Security Vision Concept SA ohne Abwicklung und die Übertragung ihres Vermögens als Ganzes auf die SEVIC Systems AG vorsah. Das zuständige Amtsgericht wies den Antrag der SEVIC Systems AG auf Eintragung der Verschmelzung in das Handelsregister mit der Begründung zurück, dass § 1 Abs. 1 Nr. 1 UmwG nur die Verschmelzung von Rechtsträgern mit Sitz in Deutschland vorsehe. Hiergegen erhob die Gesellschaft Beschwerde. Das Beschwerdegericht setzte das Verfahren aus und legte dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vor, ob die Begrenzung der Umwandlungsmöglichkeiten auf inländische Gesellschaften durch § 1 Abs. 1 Nr. 1 UmwG mit der Niederlassungsfreiheit vereinbar sei. a) Kernaussage der Entscheidung Nach Auffassung des EuGH stellen grenzüberschreitende Umwandlungen wichtige Modalitäten der Ausübung der Niederlassungsfreiheit dar und gehören zu den wirtschaftlichen Tätigkeiten, hinsichtlich derer die Mitgliedstaaten die Niederlassungsfreiheit beachten müssen. 145 Gemeinschaftsrechtliche Harmonisierungsvorschriften seien keine Vorbedingung für die Durchführung grenzüberschreitender Verschmelzungen.146 Da nach deutschem Recht Umwandlungen nicht möglich seien, wenn eine der beteiligten Gesellschaften ihren Sitz nicht in Deutschland habe, begründe das Umwandlungsgesetz eine unterschiedliche Behandlung von Gesellschaften abhängig davon, ob es sich um eine innerstaatliche oder um eine grenzüberschreitende Verschmelzung

142 Vgl. R. Braun/Eidenmüller/Engert/Hornuf, ZHR 177 (2013), 131 (145 f.); Ringe, ECFR 2013, 230 (247 ff.); siehe auch Cools, ECFR 2013, 268 (268). 143 Vgl. R. Braun/Eidenmüller/Engert/Hornuf, ZHR 177 (2013), 131 (146 f.); Ringe, ECFR 2013, 230 (265). 144 EuGH, Urteil vom 13.12.2005, Rs. C-411/03 – SEVIC Systems, Slg. 2005, I-10805. 145 EuGH, Urteil vom 13.12.2005, Rs. C-411/03 – SEVIC Systems, Slg. 2005, I-10805, Rn. 19. 146 EuGH, Urteil vom 13.12.2005, Rs. C-411/03 – SEVIC Systems, Slg. 2005, I-10805, Rn. 26.

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handle.147 Diese unterschiedliche Behandlung sei geeignet, Gesellschaften davon abzuhalten, von ihrem Niederlassungsrecht Gebrauch zu machen und stelle daher eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit dar.148 Zwar könne nicht ausgeschlossen werden, dass zwingende Gründe des Allgemeininteresses unter bestimmten Umständen und bei Beachtung bestimmter Voraussetzungen eine die Niederlassungsfreiheit beschränkende Maßnahme rechtfertigen können.149 Durch die generelle Verweigerung der Eintragung grenzüberschreitender Verschmelzungen würden diese jedoch auch dann verhindert, wenn zwingende Allgemeininteressen nicht bedroht seien.150 Daher gehe eine solche Regelung jedenfalls über dasjenige hinaus, was zur Erreichung der verfolgten Ziele erforderlich sei.151 b) Rechtliche Einordnung Durch die Entscheidung SEVIC Systems hat sich der EuGH Kritik sowohl in rechtspolitischer als auch in dogmatischer Hinsicht zugezogen. Auf der einen Seite wurde ihm vorgehalten, er betrachte die Mitgliedstaaten nicht mehr als Herren der Europäischen Verträge.152 Tatsächlich hatten die Mitgliedstaaten wenige Wochen zuvor die Internationale Verschmelzungsrichtlinie verabschiedet, welche seit ihrer Umsetzung in das nationale Recht der Mitgliedstaaten die normative Grundlage für grenzüberschreitende Verschmelzungen von Kapitalgesellschaften bildet. Vor diesem Hintergrund habe der EuGH eine gute Gelegenheit zur richterlichen Zurückhaltung vertan.153 Die Quintessenz der Entscheidung, dass die Durchführung grenzüberschreitender Umwandlungen eine vorherige sekundärrechtliche Harmonisierung nicht voraussetze, ist allerdings bemerkenswert. Der Gerichthof nimmt insoweit Abstand von Daily Mail, wo er – wenn auch in anderem rechtlichem Zusammenhang –

147 EuGH, Urteil vom 13.12.2005, Rs. C-411/03 – SEVIC Systems, Slg. 2005, I-10805, Rn. 22. 148 EuGH, Urteil vom 13.12.2005, Rs. C-411/03 – SEVIC Systems, Slg. 2005, I-10805, Rn. 22 f. 149 EuGH, Urteil vom 13.12.2005, Rs. C-411/03 – SEVIC Systems, Slg. 2005, I-10805, Rn. 28. 150 EuGH, Urteil vom 13.12.2005, Rs. C-411/03 – SEVIC Systems, Slg. 2005, I-10805, Rn. 30. 151 EuGH, Urteil vom 13.12.2005, Rs. C-411/03 – SEVIC Systems, Slg. 2005, I-10805, Rn. 30. 152 Vgl. Kindler, DK 2006, 811 (818); Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 126. 153 Kindler, DK 2006, 811 (818); Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 126.

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eine Lösung im Wege der Rechtssetzung oder des Vertragsschlusses angemahnt hatte.154 Auf der anderen Seite bietet die Entscheidung Angriffspunkte in dogmatischer Hinsicht. Indem der EuGH grenzüberschreitende Umwandlungsvorgänge pauschal dem Schutz der Niederlassungsfreiheit unterstellt, lässt er eine Differenzierung danach vermissen, welche der beteiligten Gesellschaften als Trägerin der Niederlassungsfreiheit im Wege der grenzüberschreitenden Verschmelzung eine Niederlassung in einem anderen Mitgliedstaat begründet. Dies ist durchaus von Bedeutung, weil zumindest eine Gesellschaft im Rahmen der Verschmelzung aufgelöst wird und damit als Subjekt der Niederlassungsfreiheit ausfällt (corporate suicide).155 Die Argumentation des Gerichtshofs lässt sich zudem mit dem Verständnis der Niederlassungsfreiheit als subjektivem Recht nicht vereinbaren (vgl. § 3 II. 2.). 6. Cadbury Schweppes – Einschränkung der Zulässigkeit von „Briefkastengründungen“? Erste Anzeichen einer Trendwende in der Rechtsprechung des EuGH ließen sich dem Urteil in der Rechtssache Cadbury Schweppes und Cadbury Schweppes Overseas156 (im Folgenden: Cadbury Schweppes) entnehmen. Die englische Cadbury Schweppes Plc. war die Muttergesellschaft eines gleichnamigen Konzerns, zu welchem auch zwei irische Tochtergesellschaften gehörten.157 Deren Aufgabe war es, finanzielle Mittel zu beschaffen und den übrigen Konzerngesellschaften zur Verfügung zu stellen. Die Gründung der Tochtergesellschaften in Irland erfolgte zu dem alleinigen Zweck, die im Rahmen ihrer Tätigkeit entstehenden Gewinne nach irischem Recht versteuern zu können. Das englische Steuerrecht sah jedoch vor, dass die Gewinne einer beherrschten ausländischen Gesellschaft ausnahmsweise der in England ansässigen Muttergesellschaft zugerechnet werden, wenn die Tochtergesellschaft im Ausland einem nicht unerheblich niedrigeren Besteuerungsniveau unterliegt. Auf der Grundlage dieser Regelung verlangten die Commissioners of Inland Revenue von der Cadbury Schweppes Plc. Körperschaftssteuer für 154 Vgl. EuGH, Urteil vom 27.9.1988, Rs. C-81/87 – Daily Mail and General Trust, Slg. 1988, 5483, Rn. 23. 155 Vgl. Drygala, in: Lutter, UmwG, Bd. I, § 1, Rn. 5; Geyhalter/Weber, DStR 2006, 146 (150); Grohmann/Gruschinske, GmbHR 2008, 27 (30); Heckschen, in: Widmann/ Mayer, UmwR, 103. EL (2008), § 1 UmwG, Rn. 219; Kindler, DK 2006, 811 (818); Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 127 und 851; Krause/Kulpa, ZHR 171 (2007), 38 (46); Schön, ECFR 2006, 122 (142); Teichmann, ZIP 2006, 355 (356). 156 EuGH, Urteil vom 12.9.2006, Rs. C-196/04 – Cadbury Schweppes u.a., Slg. 2006, I-7995. 157 Der Sachverhalt wird im Folgenden vereinfacht dargestellt. Tatsächlich handelte es sich nicht um Tochtergesellschaften, sondern um Enkelgesellschaften. Eine detaillierte Darstellung wäre für das Verständnis eher abträglich als förderlich.

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bei einer irischen Tochtergesellschaft entstandene Gewinne. Die Gesellschaft erhob daraufhin Klage gegen den Steuerbescheid und trug vor, dass dieser gegen das Gemeinschaftsrecht verstoße. Das Gericht setzte das Verfahren aus und legte dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vor, ob die Besteuerung einer Muttergesellschaft in Ansehung von Gewinnen, die von einer beherrschten ausländischen Gesellschaft erzielt werden, mit der Niederlassungsfreiheit vereinbar sei. a) Kernaussage der Entscheidung Nach Auffassung des EuGH rechtfertigt die Absicht einer Gesellschaft, von der in einem anderen Mitgliedstaat geltenden, vorteilhaften Steuerrechtslage zu profitieren, nicht, ihr die Berufung auf die Niederlassungsfreiheit zu verwehren.158 Ein solches Verhalten stelle für sich genommen keinen Missbrauch der Niederlassungsfreiheit dar.159 Die Regelungen des englischen Steuerrechts seien indessen geeignet, die Ausübung der Niederlassungsfreiheit durch eine englische Gesellschaft zu behindern, weil diese davon abgebracht werde, eine Tochtergesellschaft in einem Mitgliedstaat zu gründen, in welchem Gesellschaften einem niedrigeren Besteuerungsniveau unterliegen als in England.160 Eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit lasse sich jedoch unter dem Aspekt der Bekämpfung missbräuchlicher Praktiken rechtfertigen, wenn sie sich speziell auf rein künstliche Gestaltungen beziehe, welche darauf ausgerichtet seien, der Anwendung der Rechtsvorschriften des Herkunftsstaates zu entgehen.161 Bei der Beurteilung, ob eine solche Gestaltung vorliege, sei das Ziel zu berücksichtigen, welches mit der Niederlassungsfreiheit verfolgt werde.162 Dieses Ziel bestehe darin, es den Gemeinschaftsangehörigen zu erlauben, in einem anderen Mitgliedstaat ihren Tätigkeiten nachzugehen, und dadurch die gegenseitige wirtschaftliche und soziale Durchdringung auf dem Gebiet der selbständigen Erwerbstätigkeit innerhalb der Gemeinschaft zu fördern.163 Zu diesem Zweck wolle die Niederlassungsfreiheit es diesen ermöglichen, in stabiler und kontinuierlicher Weise am Wirtschaftsleben eines 158 Vgl. EuGH, Urteil vom 12.9.2006, Rs. C-196/04 – Slg. 2006, I-7995, Rn. 36. 159 EuGH, Urteil vom 12.9.2006, Rs. C-196/04 – Cadbury I-7995, Rn. 38. 160 EuGH, Urteil vom 12.9.2006, Rs. C-196/04 – Cadbury I-7995, Rn. 45 f. 161 EuGH, Urteil vom 12.9.2006, Rs. C-196/04 – Cadbury I-7995, Rn. 51 und 55. 162 EuGH, Urteil vom 12.9.2006, Rs. C-196/04 – Cadbury I-7995, Rn. 52. 163 EuGH, Urteil vom 12.9.2006, Rs. C-196/04 – Cadbury I-7995, Rn. 53.

Cadbury Schweppes u.a., Schweppes u.a., Slg. 2006, Schweppes u.a., Slg. 2006, Schweppes u.a., Slg. 2006, Schweppes u.a., Slg. 2006, Schweppes u.a., Slg. 2006,

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anderen Mitgliedstaates teilzunehmen und daraus Nutzen zu ziehen.164 In Anbetracht des Zieles der Eingliederung in den Aufnahmestaat impliziere der Niederlassungsbegriff die tatsächliche Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mittels einer festen Einrichtung in einem Mitgliedstaat auf unbestimmte Zeit.165 Die Niederlassungsfreiheit setze daher die tatsächliche Ansiedlung im Aufnahmestaat und die Ausübung einer wirklichen wirtschaftlichen Tätigkeit in diesem Mitgliedstaat voraus.166 Eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit lasse sich aus Gründen der Bekämpfung missbräuchlicher Praktiken rechtfertigen, wenn das spezifische Ziel der Beschränkung darin liege, Verhaltensweisen zu verhindern, die darin bestehen, rein künstliche, jeder wirtschaftlichen Realität bare Gestaltungen zu dem Zweck zu errichten, einer Steuer zu entgehen, die normalerweise für im Inland erzielte Gewinne geschuldet werde.167 Es müsse aus objektiven, von Dritter Seite nachprüfbaren Anhaltspunkten, insbesondere des Vorhandenseins von Geschäftsräumen, Personal und Ausrüstungsgegenständen, hervorgehen, dass der mit der Niederlassungsfreiheit verfolgte Zweck nicht erreicht worden sei.168 Hänge eine ausländische Tochtergesellschaft nur mit einer fiktiven Ansiedlung zusammen, welche keine wirkliche wirtschaftliche Tätigkeit im Hoheitsgebiet des Aufnahmestaates entfalte, so sei deren Gründung als eine rein künstliche Gestaltung anzusehen.169 Dergleichen könne insbesondere bei einer „Briefkastenfirma“ oder einer „Strohfirma“ der Fall sein.170 b) Rechtliche Einordnung In Anbetracht der steuerrechtlichen Vorlagefrage wurde die gesellschaftsrechtliche Tragweite der Entscheidung zunächst überwiegend nicht erkannt. Lediglich vereinzelt wurde das Urteil in den Rechtssachen Centros und Inspire Art in Bezug gesetzt.171 Im Vergleich zu Centros und Inspire Art zeichnet 164

EuGH, Urteil vom 12.9.2006, Rs. C-196/04 – Cadbury Schweppes u.a., Slg. 2006, I-7995, Rn. 53. 165 EuGH, Urteil vom 12.9.2006, Rs. C-196/04 – Cadbury Schweppes u.a., Slg. 2006, I-7995, Rn. 54. 166 EuGH, Urteil vom 12.9.2006, Rs. C-196/04 – Cadbury Schweppes u.a., Slg. 2006, I-7995, Rn. 54. 167 EuGH, Urteil vom 12.9.2006, Rs. C-196/04 – Cadbury Schweppes u.a., Slg. 2006, I-7995, Rn. 55. 168 EuGH, Urteil vom 12.9.2006, Rs. C-196/04 – Cadbury Schweppes u.a., Slg. 2006, I-7995, Rn. 64 und 67. 169 EuGH, Urteil vom 12.9.2006, Rs. C-196/04 – Cadbury Schweppes u.a., Slg. 2006, I-7995, Rn. 68. 170 EuGH, Urteil vom 12.9.2006, Rs. C-196/04 – Cadbury Schweppes u.a., Slg. 2006, I-7995, Rn. 68. 171 Vgl. GA Poiares Maduro, Schlussanträge vom 22.5.2008, Rs. C-210/06 – Cartesio, Rn. 29; Kindler, IPRax 2010, 272 (273 f.); Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, Int-

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sich die Entscheidung durch einen größeren argumentativen Tiefgang aus. Während der EuGH in jenen Entscheidungen noch in teils apodiktischer Art und Weise ein Verständnis der Niederlassungsfreiheit als Rechtswahlfreiheit propagierte, setzt er sich nun differenzierter mit der Frage des potentiellen Missbrauchs der Niederlassungsfreiheit auseinander und stellt die wirtschaftliche Zielsetzung der Niederlassungsfreiheit in den Mittelpunkt seiner Argumentation. Es verwundert jedoch, dass der Gerichtshof diesen Aspekt erst auf der Rechtfertigungsebene und nicht bereits auf der dogmatisch vorrangigen Tatbestandsebene zur Sprache bringt. Hierauf wird im Laufe der vorliegenden Untersuchung noch zurückzukommen sein (vgl. § 3 II. 1. b) bb)). 7. Cartesio – Partielle Wegzugsfreiheit von Gesellschaften Zurückhaltender als in Fachkreisen überwiegend erwartet fiel auch das Urteil des EuGH in der Rechtssache Cartesio172 aus. Die ungarische Cartesio Oktató és Szolgáltató Bt hatte ihren effektiven Verwaltungssitz nach Italien verlegt. Die Gesellschaft beabsichtigte, ihre Eigenschaft als Gesellschaft ungarischen Rechts beizubehalten, und beantragte beim Bezirksgericht BácsKiskun als Handelsregistergericht, die Sitzverlegung nach Italien zu bestätigen und die Sitzangabe im Handelsregister entsprechend zu ändern. Das Gericht wies den Antrag mit der Begründung zurück, eine in Ungarn gegründete Gesellschaft könne ihren Sitz nach ungarischem Recht nicht unter Beibehaltung des ungarischen Gesellschaftsstatuts ins Ausland verlegen. Die Gesellschaft legte gegen die Entscheidung Berufung zum Regionalgericht Szeged ein und machte die Verletzung der Niederlassungsfreiheit geltend. Das Berufungsgericht setzte das Verfahren aus und legte dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vor, ob die Niederlassungsfreiheit dahingehend auszulegen sei, dass sie Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates entgegenstehe, welche es einer Gesellschaft verwehren, ihren effektiven Verwaltungssitz unter Beibehaltung ihrer Eigenschaft als Gesellschaft dieses Mitgliedstaates in einen anderen Mitgliedstaat zu verlegen. a) Kernaussage der Entscheidung Nach Auffassung des EuGH verstößt es nicht gegen die Niederlassungsfreiheit, wenn ein Mitgliedstaat einer nach seinem Recht gegründeten Gesellschaft vorschreibt, dass sich deren effektiver Verwaltungssitz in seinem Hoheitsgebiet befinden muss. Unter Bezugnahme auf Daily Mail führt er zunächst aus, dass eine aufgrund einer nationalen Rechtsordnung gegründete Gesellschaft jenseits dieser Rechtsordnung, welche ihre Gründung und ihre GesR, Rn. 128 f.; G.H. Roth, EuZW 2010, 607 (609); G.H. Roth, Niederlassungsfreiheit, 2010, S. 22. 172 EuGH, Urteil vom 16.12.2008, Rs. C-210/06 – Cartesio, Slg. 2008, I-9641.

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Existenz regelt, keine Realität habe.173 Die Frage, ob sich eine Gesellschaft auf die Niederlassungsfreiheit berufen könne, sei eine Vorfrage, welche beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts nur nach dem nationalen Recht beantwortet werden könne.174 Es bestehe insoweit eine Parallele zu der Frage, ob eine natürliche Person ein Staatsangehöriger eines Mitgliedstaates sei und sich aus diesem Grund auf die Niederlassungsfreiheit berufen könne.175 Ein Mitgliedstaat dürfe daher sowohl die Anknüpfung bestimmen, die eine Gesellschaft für die Gründung nach seinem innerstaatlichen Recht aufweisen müsse, als auch die Anknüpfung, die für den Erhalt der Eigenschaft als Gesellschaft diesen Rechts verlangt werde.176 Diese Befugnis umfasse die Möglichkeit eines Mitgliedstaates, es einer Gesellschaft seines nationalen Rechts zu verwehren, diese Eigenschaft zu behalten, wenn sie ihren effektiven Verwaltungssitz in einen anderen Mitgliedstaat verlege und damit die Anknüpfung löse, die das nationale Recht des Mitgliedstaates für seine Gesellschaften vorsehe.177 Von dem Fall der Verlegung des effektiven Verwaltungssitzes ohne Änderung des auf die Gesellschaft anwendbaren Rechts sei jedoch der Fall zu unterscheiden, dass eine Gesellschaft ihren effektiven Verwaltungssitz in einen anderen Mitgliedstaat unter Änderung des auf sie anwendbaren nationalen Rechts verlege und dabei in eine dem nationalen Recht dieses Mitgliedstaates unterliegende Gesellschaftsform umgewandelt werde.178 Die Befugnis der Mitgliedstaaten zur Bestimmung der territorialen Anknüpfung ihrer Gesellschaften – die keinesfalls irgendeine Freistellung des nationalen Rechts über die Gründung und Auflösung von Gesellschaften von der Beachtung der Vorschriften über die Niederlassungsfreiheit impliziere – könne es nicht rechtfertigen, dass ein Mitgliedstaat eine Gesellschaft dadurch, dass er ihre Auflösung und Liquidation verlange, daran hindere, sich in eine Gesellschaft nach dem nationalen Recht eines anderen Mitgliedstaates umzuwandeln, soweit dies nach diesem Recht möglich sei.179 Ein solches Hemmnis stelle eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit der Gesellschaft dar, welche der Rechtfertigung durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses bedürfe.180

173

EuGH, Urteil vom 16.12.2008, Rs. C-210/06 – Cartesio, Slg. 2008, I-9641, Rn. 104. EuGH, Urteil vom 16.12.2008, Rs. C-210/06 – Cartesio, Slg. 2008, I-9641, Rn. 109. 175 EuGH, Urteil vom 16.12.2008, Rs. C-210/06 – Cartesio, Slg. 2008, I-9641, Rn. 109. 176 EuGH, Urteil vom 16.12.2008, Rs. C-210/06 – Cartesio, Slg. 2008, I-9641, Rn. 110. 177 EuGH, Urteil vom 16.12.2008, Rs. C-210/06 – Cartesio, Slg. 2008, I-9641, Rn. 110. 178 EuGH, Urteil vom 16.12.2008, Rs. C-210/06 – Cartesio, Slg. 2008, I-9641, Rn. 111. 179 EuGH, Urteil vom 16.12.2008, Rs. C-210/06 – Cartesio, Slg. 2008, I-9641, Rn. 112. 180 EuGH, Urteil vom 16.12.2008, Rs. C-210/06 – Cartesio, Slg. 2008, I-9641, Rn. 113. 174

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Kapitel 1: Gesellschaftsmobilität im europäischen Binnenmarkt

b) Rechtliche Einordnung Der EuGH hat in der Rechtssache Cartesio sein in der Rechtssache Daily Mail entwickeltes Verständnis vom Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit entgegen vielen entgegengesetzten Erwartungen bestätigt. In Fachkreisen ging man vor der Entscheidung überwiegend davon aus, dass die Niederlassungsfreiheit nicht nur Zuzugshindernisse des Aufnahmestaates, sondern auch Wegzugshindernisse des Herkunftsstaates verbiete und die Daily Mail-Doktrin überholt sei.181 Auch Generalanwalt Poiares Maduro war für die Aufgabe der Unterscheidung von Wegzugs- und Zuzugskonstellationen eingetreten.182 Zudem hat der EuGH mit dem obiter dictum zur statutenwechselnden Verlegung des effektiven Verwaltungssitzes Aufsehen erregt.183 Der Entscheidung lässt sich entnehmen, dass Beschränkungen grenzüberschreitender Formwechsel durch den Herkunftsstaat am Maßstab der Niederlassungsfreiheit zu messen sind. Demgegenüber wurde der Vorbehalt des obiter dictum zugunsten des Aufnahmestaates in Fachkreisen intensiv diskutiert. Hierauf wird im Laufe der vorliegenden Untersuchung noch zurückzukommen sein (vgl. § 4 IV. 2. b)). 8. National Grid Indus – Abkehr des EuGH von Daily Mail? In der Rechtssache National Grid Indus184 hatte der EuGH erneut Gelegenheit, sich zur Frage der Wegzugsbesteuerung von Gesellschaften zu äußern. Die niederländische National Grid Indus BV verlegte ihren effektiven Verwaltungssitz nach England. Die Gesellschaft war Inhaberin einer Forderung gegen die englische National Grid Company Plc., bei welcher zum Zeitpunkt der Sitzverlegung ein nicht realisierter Kursgewinn entstanden war. Da die Gesellschaft nach der Sitzverlegung über keine Betriebsstätte in den Niederlanden mehr verfügte, kam die Befugnis zur Besteuerung des Unternehmensgewinns und der Vermögenserträge nunmehr ausschließlich dem Vereinigten Königreich zu. Für diesen Fall sah das niederländische Steuerrecht die Erstellung einer „Schlussrechnung“ über die latenten Wertzuwächse zum Zeitpunkt der Verlegung des Verwaltungssitzes vor. Auf dieser Grundlage verlangten 181

Vgl. Lutter/Bayer/J. Schmidt, Europ. Unternehmens- und Kapitalmarktrecht, § 6, Rn. 37 m.w.N. 182 Vgl. GA Poiares Maduro, Schlussanträge vom 22.5.2008, Rs. C-210/06 – Cartesio, Rn. 25 ff.; kritisch in dieser Hinsicht auch Bayer/J. Schmidt, ZHR 173 (2009), 735 (743 f.); Behme/Nohlen, BB 2009, 13 (13); Frobenius, DStR 2009, 487 (487); Hennrichs u.a., WM 2009, 2009 (2012 f.); Mörsdorf, EuZW 2009, 97 (99); Ringe, ZIP 2008, 1072 (1073); W.-H. Roth, IPRax 2003, 117 (121); Zimmer/Naendrup, NJW 2009, 545 (546). 183 Kritisch Kindler, NZG 2009, 130 (131); Kindler, IPRax 2009, 189 (191), der von einer „ungefragten Äußerung” des Gerichtshofs spricht. 184 EuGH, Urteil vom 29.11.2011, Rs. C-371/10 – National Grid Indus, Slg. 2011, I-12273.

§ 1 Rechtliche Rahmenbedingungen grenzüberschreitender Mobilität

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die niederländischen Finanzbehörden von der Gesellschaft die Versteuerung des zum Zeitpunkt der Sitzverlegung entstandenen Kursgewinns. Die Gesellschaft erhob gegen den Steuerbescheid Klage. Der Gerechtshof Amsterdam setzte das Verfahren aus und legte dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vor, ob sich eine nach dem Recht eines Mitgliedstaates gegründete Gesellschaft, der anlässlich der Verlegung des effektiven Verwaltungssitzes in einen anderen Mitgliedstaat eine Steuer auferlegt wird, gegenüber diesem Mitgliedstaat auf die Niederlassungsfreiheit berufen könne. a) Kernaussage der Entscheidung Der EuGH gestand der Gesellschaft das Recht zu, sich gegen die Wegzugsbesteuerung seitens der Niederlande unter Berufung auf die Niederlassungsfreiheit zur Wehr zu setzen. Es sei zwar beim gegenwärtigen Stand des Unionsrechts eine nach dem nationalen Recht zu beantwortende Vorfrage, ob sich eine Gesellschaft auf Art. 49 AEUV berufen könne. 185 Nur wenn einer Gesellschaft die Niederlassungsfreiheit tatsächlich zugutekomme, stelle sich überhaupt die Frage, ob sie sich einer Beschränkung der Niederlassungsfreiheit gegenübersehe.186 Da die Niederlande der Gründungstheorie folgten, habe die Verlegung des effektiven Verwaltungssitzes nach England die Eigenschaft der National Grid Indus BV als Gesellschaft niederländischen Rechts allerdings überhaupt nicht berührt.187 Das niederländische Steuerrecht enthalte nicht die Voraussetzungen, welche eine Gesellschaft erfüllen müsse, um ihre Eigenschaft als Gesellschaft niederländischen Rechts zu behalten.188 Dessen Regelungen beschränkten sich vielmehr darauf, für nach nationalem Recht gegründete Gesellschaften steuerliche Folgen an eine Sitzverlegung in einen anderen Mitgliedstaat zu knüpfen. 189 Da die Verlegung des effektiven Verwaltungssitzes nach England die Eigenschaft der National Grid Indus BV als Gesellschaft niederländischen Rechts nicht berührt habe, könne die Gesellschaft sich auf die Niederlassungsfreiheit berufen, insbesondere um die Rechtmäßigkeit einer anlässlich der Verlegung ihres effektiven Verwaltungssitzes in einen anderen Mitgliedstaat auferlegten Steuer in Frage zu stellen.190 185 EuGH, Urteil I-12273, Rn. 26. 186 EuGH, Urteil I-12273, Rn. 26. 187 EuGH, Urteil I-12273, Rn. 28. 188 EuGH, Urteil I-12273, Rn. 31. 189 EuGH, Urteil I-12273, Rn. 31. 190 EuGH, Urteil I-12273, Rn. 32.

vom 29.11.2011, Rs. C-371/10 – National Grid Indus, Slg. 2011, vom 29.11.2011, Rs. C-371/10 – National Grid Indus, Slg. 2011, vom 29.11.2011, Rs. C-371/10 – National Grid Indus, Slg. 2011, vom 29.11.2011, Rs. C-371/10 – National Grid Indus, Slg. 2011, vom 29.11.2011, Rs. C-371/10 – National Grid Indus, Slg. 2011, vom 29.11.2011, Rs. C-371/10 – National Grid Indus, Slg. 2011,

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Kapitel 1: Gesellschaftsmobilität im europäischen Binnenmarkt

b) Rechtliche Einordnung Anders als noch in der Rechtssache Daily Mail unterzieht der EuGH die Wegzugsbesteuerung eines Mitgliedstaates der Kontrolle anhand der Niederlassungsfreiheit. Obgleich der Gerichtshof in der Entscheidung mehrfach auf Daily Mail Bezug nimmt, sind die Entscheidungen nicht ohne Weiteres miteinander zu vereinbaren.191 Da sowohl die Niederlande als auch das Vereinigte Königreich kollisionsrechtlich der Gründungstheorie folgen, sind Daily Mail und National Grid Indus zwar tatbestandlich vergleichbar. In der Rechtssache Daily Mail hatte der EuGH eine Überprüfung des steuerrechtlichen Zustimmungsvorbehalts anhand der Niederlassungsfreiheit jedoch noch abgelehnt, obwohl es sich bei diesem ebenso wenig um eine Voraussetzung handelte, deren Erfüllung zur Beibehaltung der Eigenschaft als Gesellschaft englischen Rechts erforderlich war. Der Gerichtshof nimmt in der Rechtssache National Grid Indus insoweit Abstand von Daily Mail. Soweit ein Mitgliedstaat die statutenwahrende Verlegung des effektiven Verwaltungssitzes seiner Gesellschaften prinzipiell zulässt, sind beschränkende Maßnahmen seinerseits rechtfertigungsbedürftig. Insbesondere kann die Wegzugsbesteuerung nicht a maiore ad minus als ein im Vergleich zur generellen Versagung der Verwaltungssitzverlegung milderes Mittel angesehen werden.192 Nicht gesellschaftsrechtlich vermittelte Wegzugshindernisse sind demnach unionsrechtlich rechtfertigungsbedürftig.193 9. VALE Építési – Niederlassungsfreiheit als Formwechselfreiheit In der Rechtssache VALE Építési194 (im Folgenden: VALE) hatte der EuGH Gelegenheit, seine Rechtsprechung in Bezug auf grenzüberschreitende Umwandlungen fortzubilden und in den Rechtssachen SEVIC Systems und Cartesio offengebliebene Fragen zu klären. Die italienische VALE Costruzioni Srl beantragte im Februar 2006 unter Hinweis auf ihre Absicht, ihren Sitz und ihre Geschäftstätigkeit nach Ungarn zu verlegen, ihre Löschung im italienischen Handelsregister. Die zuständige Registerbehörde löschte die Gesellschaft wenige Tage später und vermerkte im Handelsregister unter der Überschrift „Löschung und Sitzverlegung“, dass „die Gesellschaft ihren Sitz nach Ungarn verlegt habe“. Im November 2006 schloss der Geschäftsführer der 191 Vgl. zum Verhältnis der Urteile Hahn, BB 2012, 681 (682 f.); Mörsdorf, EuZW 2012, 296 (297 f.); W.-H. Roth, FS Hoffmann-Becking, 2013, 965 (970 f.); Schön, ZGR 2013, 333 (355); Verse, ZEuP 2013, 458 (464); die Entwicklung vorausahnend bereits Campos Nave, BB 2009, 870 (872); Vossestein, ECL 2009, 115 (118 f.). 192 Vgl. Barthel, EWS 2010, 316 (329); Bayer/J. Schmidt, ZIP 2012, 1481 (1483), Fn. 33; Bron, EWS 2012, 32 (34); Verse, ZEuP 2013, 458 (463); Weller, FS Blaurock, 2013, 497 (520). 193 Vgl. Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 132 f. 194 EuGH, Urteil vom 12.7.2012, Rs. C-378/10 – VALE Építési.

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VALE Costruzioni Srl mit einer dritten Person den Gesellschaftsvertrag der ungarischen VALE Építési Kft. Das nach ungarischem Recht erforderliche Gesellschaftskapital wurde eingezahlt. Im Januar 2007 beantragte die VALE Építési Kft beim Gerichtshof Budapest als Handelsregistergericht ihre Eintragung als Gesellschaft ungarischen Rechts und gab dabei die VALE Costruzioni Srl als Rechtsvorgängerin an. Der Eintragungsantrag hatte vor den ungarischen Instanzgerichten keinen Erfolg. Zur Begründung führten die Gerichte aus, dass eine in Italien gegründete und eingetragene Gesellschaft nach ungarischem Recht nicht als Rechtsvorgängerin eingetragen werden könne. Die VALE Építési Kft legte dagegen Kassationsbeschwerde beim Obersten Gerichtshof ein und machte geltend, die Versagung der Eintragung verletze ihre Niederlassungsfreiheit. Der Oberste Gerichtshof bestätigte die Rechtsauffassung der Instanzgerichte, dass die ungarischen Umwandlungsvorschriften nur auf innerstaatliche Sachverhalte anwendbar seien. Wegen Zweifeln an der Vereinbarkeit dieser Regelungen mit dem Unionsrecht setzte er das Verfahren jedoch aus und legte die Sache dem EuGH zur Vorabentscheidung vor. a) Kernaussage der Entscheidung Der EuGH hatte sich zunächst mit der Zulässigkeit des Vorabentscheidungsverfahrens auseinanderzusetzen. Die Regierung des Vereinigten Königreichs hatte in ihrer Stellungnahme zum Verfahren eingewandt, die Vorlagefragen hätten hypothetischen Charakter. Sie seien auf eine grenzüberschreitende Umwandlung zugeschnitten, welche tatsächlich jedoch nicht vorgelegen habe.195 Der Gerichtshof sah sich gleichwohl zur Entscheidung berufen. Die Einordnung des Vorgangs als grenzüberschreitende Umwandlung durch das ungarische Gericht sei nicht völlig fernliegend, weil die italienische Registerbehörde im Handelsregister unter der Überschrift „Löschung und Sitzverlegung“ vermerkt habe, dass „die Gesellschaft ihren Sitz nach Ungarn verlegt habe“.196 Es sei ferner in Anbetracht der klaren Aufgabentrennung zwischen den nationalen Gerichten und dem EuGH nicht Sache des Gerichtshofs, darüber zu entscheiden, ob die VALE Costruzioni Srl aufgrund ihrer Löschung im italienischen Handelsregister erloschen sei.197 In der Sache stellt der EuGH unter Bezugnahme auf SEVIC Systems zunächst fest, dass Umwandlungen zu den wirtschaftlichen Tätigkeiten gehörten, hinsichtlich derer die Mitgliedstaaten die Niederlassungsfreiheit zu beachten hätten.198 Die Wendung „soweit dies nach diesem Recht möglich ist“

195

Vgl. EuGH, Urteil vom 12.7.2012, Rs. C-378/10 – VALE Építési, Rn. 17. EuGH, Urteil vom 12.7.2012, Rs. C-378/10 – VALE Építési, Rn. 19. 197 EuGH, Urteil vom 12.7.2012, Rs. C-378/10 – VALE Építési, Rn. 20. 198 EuGH, Urteil vom 12.7.2012, Rs. C-378/10 – VALE Építési, Rn. 24. 196

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Kapitel 1: Gesellschaftsmobilität im europäischen Binnenmarkt

in der Rechtssache Cartesio199 könne nicht dahingehend verstanden werden, dass die Rechtsvorschriften des Aufnahmestaates über die Umwandlung von Gesellschaften einer Kontrolle anhand der Niederlassungsfreiheit entzogen seien.200 Eine nationale Regelung, welche lediglich die Umwandlung einer Gesellschaft vorsehe, die ihren Sitz bereits im betreffenden Mitgliedstaat habe, begründe eine unterschiedliche Behandlung von Gesellschaften in Abhängigkeit davon, ob es sich um eine innerstaatliche oder um eine grenzüberschreitende Umwandlung handle, welche geeignet sei, Gesellschaften mit Sitz in anderen Mitgliedstaaten davon abzuhalten, von ihrer Niederlassungsfreiheit Gebrauch zu machen.201 Da das ungarische Recht grenzüberschreitende Umwandlungen generell ausschließe, selbst wenn zwingende Allgemeininteressen nicht bedroht seien, komme eine Rechtfertigung der darin liegenden Beschränkung der Niederlassungsfreiheit nicht in Betracht.202 Eine nationale Regelung, welche inländischen Gesellschaften eine Umwandlungsmöglichkeit gewähre, aber die Umwandlung einer dem Recht eines anderen Mitgliedstaates unterliegenden Gesellschaft in eine inländische Gesellschaft generell nicht zulasse, gehe jedenfalls über das Maß dessen hinaus, was zum Schutz zwingender Allgemeininteressen erforderlich sei.203 Ein Mitgliedstaat, der inländischen Gesellschaften die Möglichkeit eines Formwechsels gewähre, sei durch die Art. 49, 54 AEUV verpflichtet, dieselbe Möglichkeit auch einer EU-ausländischen Gesellschaft einzuräumen, welche sich in eine Gesellschaft nach dem Recht dieses Mitgliedstaates umwandeln wolle.204 Infolge der Umwandlung unterliege diese Gesellschaft allein dem innerstaatlichen Recht dieses Mitgliedstaates, welches über die erforderliche Anknüpfung entscheide sowie die Gründung und die Funktionsweise der Gesellschaft regele.205 Die Verpflichtung zur Zulassung grenzüberschreitender Umwandlungen berühre nicht dessen Befugnis, die Anknüpfung zu bestimmen, die eine Gesellschaft aufweisen müsse, um als Gesellschaft nach dem Recht dieses Mitgliedstaates zu gelten, sowie die Regeln für die Gründung und die Funktionsweise der aus der Umwandlung hervorgehenden Gesellschaft festzulegen.206 Zwar seien grenzüberschreitende Umwandlungen mit spezifischen Problemen verbunden, weil sie die sukzessive Anwendung zweier nationaler

199

EuGH, Urteil vom 16.12.2008, Rs. C-210/06 – Cartesio, Slg. 2008, I-9641, Rn. 112

a.E. 200

EuGH, Urteil vom 12.7.2012, Rs. C-378/10 – VALE Építési, Rn. 32. EuGH, Urteil vom 12.7.2012, Rs. C-378/10 – VALE Építési, Rn. 36. 202 EuGH, Urteil vom 12.7.2012, Rs. C-378/10 – VALE Építési, Rn. 40. 203 EuGH, Urteil vom 12.7.2012, Rs. C-378/10 – VALE Építési, Rn. 40 f. 204 EuGH, Urteil vom 12.7.2012, Rs. C-378/10 – VALE Építési, Rn. 46. 205 EuGH, Urteil vom 12.7.2012, Rs. C-378/10 – VALE Építési, Rn. 31 und 51. 206 EuGH, Urteil vom 12.7.2012, Rs. C-378/10 – VALE Építési, Rn. 29 f. 201

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Rechtsordnungen voraussetzten.207 Eine unterschiedliche Behandlung grenzüberschreitender und innerstaatlicher Umwandlungen könne aber nicht mit dem Fehlen unionsrechtlicher Harmonisierungsvorschriften gerechtfertigt werden.208 Deren Existenz sei keine Vorbedingung für die Ausübung der Niederlassungsfreiheit.209 Die maßgebenden Bestimmungen seien dem Recht des Herkunftsstaates, dem die Gesellschaft unterliege, die eine Umwandlung vornehmen möchte, sowie dem Recht des Aufnahmestaates zu entnehmen, dem die Gesellschaft nach der Umwandlung unterliegen werde.210 Diese Vorschriften seien unter Beachtung der Art. 49, 54 AEUV anzuwenden.211 Was die Durchführung der Umwandlung anbelange, dürften deren Modalitäten nicht ungünstiger als bei gleichartigen innerstaatlichen Umwandlungen ausgestaltet sein (Äquivalenzgrundsatz).212 Andererseits müssten grenzüberschreitende Umwandlungen allerdings auch nicht günstiger behandelt werden als innerstaatliche Vorgänge.213 Es sei daher nicht zu beanstanden, wenn der Aufnahmestaat die Bestimmungen seines nationalen Rechts über innerstaatliche Umwandlungen anwende.214 Auch bei grenzüberschreitenden Vorgängen könne eine strikte rechtliche und wirtschaftliche Kontinuität zwischen der Vorgängergesellschaft, welche die Umwandlung begehre, und der umgewandelten Nachfolgergesellschaft verlangt werden.215 Ferner dürfe die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte durch das nationale Recht nicht praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert werden (Effektivitätsgrundsatz).216 Das Eintragungsverfahren im Aufnahmestaat unterliege mangels unionsrechtlicher Vorschriften zwar dessen nationalem Recht, nach dem sich bestimme, welche Belege die Gesellschaft zum Nachweis der Erfüllung der vom Herkunftsstaat aufgestellten Voraussetzungen beizubringen habe.217 Der Effektivitätsgrundsatz verpflichte die Behörden des Aufnahmestaates allerdings, bei der Prüfung des Eintragungsantrags den von den Behörden des Herkunftsstaates ausgestellten Dokumenten, welche bestätigten, dass die Gesellschaft dessen Bedingungen tatsächlich entsprochen habe, gebührend Rechnung zu tragen, sofern die Bedingungen des Herkunftsstaates mit dem Unionsrecht vereinbar seien.218 207

EuGH, Urteil vom 12.7.2012, Rs. C-378/10 – VALE Építési, Rn. 37 und 44. EuGH, Urteil vom 12.7.2012, Rs. C-378/10 – VALE Építési, Rn. 38. 209 EuGH, Urteil vom 12.7.2012, Rs. C-378/10 – VALE Építési, Rn. 38. 210 EuGH, Urteil vom 12.7.2012, Rs. C-378/10 – VALE Építési, Rn. 43. 211 EuGH, Urteil vom 12.7.2012, Rs. C-378/10 – VALE Építési, Rn. 47. 212 EuGH, Urteil vom 12.7.2012, Rs. C-378/10 – VALE Építési, Rn. 48. 213 EuGH, Urteil vom 12.7.2012, Rs. C-378/10 – VALE Építési, Rn. 54. 214 EuGH, Urteil vom 12.7.2012, Rs. C-378/10 – VALE Építési, Rn. 52. 215 EuGH, Urteil vom 12.7.2012, Rs. C-378/10 – VALE Építési, Rn. 55. 216 EuGH, Urteil vom 12.7.2012, Rs. C-378/10 – VALE Építési, Rn. 48. 217 EuGH, Urteil vom 12.7.2012, Rs. C-378/10 – VALE Építési, Rn. 59. 218 EuGH, Urteil vom 12.7.2012, Rs. C-378/10 – VALE Építési, Rn. 61. 208

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Kapitel 1: Gesellschaftsmobilität im europäischen Binnenmarkt

b) Rechtliche Einordnung Die Wortwahl des EuGH führte in Fachkreisen zu Irritationen über den Gegenstand des Urteils.219 In der deutschen Sprachfassung der Entscheidung findet sich durchgängig der Terminus der „Umwandlung“ einer Gesellschaft.220 In den Kategorien des Umwandlungsgesetzes handelt es sich bei einer „Umwandlung“ jedoch um einen Oberbegriff, welcher sowohl Verschmelzung, Spaltung und Vermögensübertragung als auch den Formwechsel umfasst (vgl. § 1 Abs. 1 UmwG). Aus dem Kontext des Urteils sowie anderen Sprachfassungen geht allerdings hervor, dass die Entscheidung den grenzüberschreitenden Formwechsel zum Gegenstand hat.221 Angesichts der frühzeitigen Löschung der VALE Costruzioni Srl im italienischen Handelsregister ist jedoch zweifelhaft, ob ein solcher Formwechsel tatsächlich vorlag.222 Generalanwalt Jääskinen sprach in den Schlussanträgen noch von der „grenzüberschreitenden Neugründung“ einer Gesellschaft.223 Sofern die Gesellschaft infolge der Löschung im italienischen Handelsregister als Rechtsträger bereits erloschen war, konnte sie sich gegenüber dem Aufnahmestaat Ungarn nicht mehr auf ihre Niederlassungsfreiheit berufen.224 Nach Auffassung von Generalanwalt Jääskinen soll dieser Umstand für die Anwendbarkeit der Niederlassungsfreiheit nicht von Belang sein.225 Den Realitäten des praktischen Wirtschaftslebens sei mehr Gewicht beizumessen als den theoretischen Aspekten des Rechts der juristischen Personen.226 Diese 219

Vgl. Bayer/J. Schmidt, ZIP 2012, 1481 (1485); D. Braun, DZWir 2012, 411 (412); Jaensch, EWS 2012, 353 (356); Kindler, EuZW 2012, 888 (889 f.); Schön, ZGR 2013, 333 (341); Thiermann, EuZW 2012, 209 (211). 220 Vgl. exemplarisch EuGH, Urteil vom 12.7.2012, Rs. C-378/10 – VALE Építési, Ls. 1 und 2. 221 Vgl. D. Braun, DZWir 2012, 411 (412), Fn. 27; Ege/Klett, DStR 2012, 2442 (2443); van Eck/Roelofs, ECL 2012, 319 (319), Fn. 2; Thiermann, EuZW 2012, 209 (211); Wasmeier, Umstrukturierung, 2014, S. 130 f.; zurückhaltender Kindler, EuZW 2012, 888 (889). 222 Verneinend Kindler, EuZW 2012, 888 (889 f.); Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 785; Mörsdorf/Jopen, ZIP 2012, 1398 (1398); Streinz, JuS 2012, 1142 (1143); Wasmeier, Umstrukturierung, 2014, S. 120; zweifelnd auch Behrens, EuZW 2012, 625 (625); Neye, EWiR 2014, 45 (46). 223 Vgl. GA Jääskinen, Schlussanträge vom 15.12.2011, Rs. C-378/10 – VALE Építési, Rn. 34. 224 Weitergehend Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 135, dem zufolge sich lediglich „Gesellschaften“, nicht jedoch „deren Rechtsträger“ auf die Niederlassungsfreiheit berufen können. 225 Vgl. GA Jääskinen, Schlussanträge vom 15.12.2011, Rs. C-378/10 – VALE Építési, Rn. 50. 226 GA Jääskinen, Schlussanträge vom 15.12.2011, Rs. C-378/10 – VALE Építési, Rn. 46; im Ergebnis auch van Eck/Roelofs, ECL 2012, 319 (323); zu Recht kritisch Schön, ZGR 2013, 333 (339).

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vom Zivilrecht abstrahierte, rein europarechtliche beziehungsweise wirtschaftliche Betrachtungsweise ist zu Recht kritisiert worden.227 Der EuGH setzt sich mit dieser Frage unter Hinweis auf die Einschätzungsprärogative des vorlegenden Gerichts nicht weiter auseinander. Dadurch hat er sich berechtigte Kritik zugezogen.228 Lässt man die Zweifel an der Vorgehensweise des Gerichtshofs einmal beiseite, lassen sich der Entscheidung wichtige Hinweise im Hinblick auf die praktische Durchführung grenzüberschreitender Formwechsel entnehmen. Das Urteil wirft jedoch auch eine Reihe neuer Fragen auf. Bemerkenswert ist namentlich die erneute Bezugnahme auf den der Niederlassungsfreiheit immanenten Begriff der Niederlassung.229 Er setze die tatsächliche Ansiedlung der betreffenden Gesellschaft und die Ausübung einer wirklichen wirtschaftlichen Tätigkeit in diesem Mitgliedstaat voraus.230 Der zugrundeliegende Sachverhalt hatte zu dieser Feststellung eigentlich keinerlei Veranlassung gegeben. Aus einer Zusammenschau mit Cadbury Schweppes dürften sich daraus jedoch Rückschlüsse auch auf andere Formen grenzüberschreitender Mobilität ziehen lassen. Hierauf wird im Laufe der vorliegenden Untersuchung noch zurückzukommen sein (vgl. § 4). V. Judikatur deutscher Gerichte zu grenzüberschreitenden Formwechseln Die Judikatur des EuGH zur grenzüberschreitenden Mobilität von Gesellschaften steht in vielerlei Hinsicht im Konflikt mit Rechtstraditionen der Mitgliedstaaten. Dies lässt sich am Beispiel grenzüberschreitender Formwechsel plastisch verdeutlichen. Deren Durchführung ist nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs grundsätzlich durch die Niederlassungsfreiheit gewährleistet. Dieses Diktum steht in diametralem Gegensatz zur langjährigen Rechtsprechung deutscher Gerichte zum Herausformwechsel deutscher Gesellschaften sowie zum Hereinformwechsel EU-ausländischer Gesellschaften.

227

Vgl. Schön, ZGR 2013, 333 (339); Wasmeier, Umstrukturierung, 2014, S. 120. Vgl. Behme, NZG 2012, 936 (937 f.); Behrens, EuZW 2012, 625 (625); zustimmend hingegen D. Braun, DZWir 2012, 411 (412); Hansen, ECFR 2013, 1 (9); Jaensch, EWS 2012, 353 (354 ff.); Mörsdorf-Schulte, KSzW 2014, 117 (125), Fn. 118; Teichmann, DB 2012, 2085 (2087); Wasmeier, Umstrukturierung, 2014, S. 122; Weller/Rentsch, IPRax 2013, 530 (531). 229 Vgl. EuGH, Urteil vom 12.7.2012, Rs. C-378/10 – VALE Építési, Rn. 34. 230 EuGH, Urteil vom 12.7.2012, Rs. C-378/10 – VALE Építési, Rn. 34. 228

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Kapitel 1: Gesellschaftsmobilität im europäischen Binnenmarkt

1. Herausformwechsel deutscher Gesellschaften Der Herausformwechsel deutscher Gesellschaften wurde von deutschen Gerichten bislang nicht zugelassen.231 Bei gleichzeitiger Verlegung des Satzungssitzes und des effektiven Verwaltungssitzes ins Ausland verliere eine deutsche Gesellschaft auf der Grundlage ihres bisherigen Gesellschaftsstatuts ihre Rechtsfähigkeit, denn sie löse sich damit aus der Rechtsordnung, welche Grundlage ihrer Existenz sei.232 Nach deutschem Recht führe der Wechsel des Gesellschaftsstatuts zwingend zur Auflösung und Abwicklung einer Gesellschaft.233 Eine Gesellschaft könne nur dann als Rechtsträger fortbestehen, wenn dies sowohl durch die Rechtsordnung des Herkunfts- als auch des Aufnahmestaates ermöglicht werde.234 Das deutsche Recht lasse die identitätswahrende Auswanderung einer Gesellschaft jedoch auch dann nicht zu, wenn die Gesellschaft eine Rechtsform des Aufnahmestaates annehmen wolle.235 Zwinge bereits der Herkunftsstaat die Gesellschaft zur Auflösung, sei ein Statutenwechsel bei Erhaltung der Identität der Gesellschaft unmöglich, unabhängig davon, ob auch der Aufnahmestaat eine Neugründung verlange.236 Der Beschluss über die Verlegung des Satzungssitzes in einen anderen Mitgliedstaat sei als Auflösungsbeschluss zu interpretieren.237 Ein entgegenstehender Wille der Gesellschafter sei unbeachtlich.238 Auch aus dem Unionsrecht ergebe sich nichts Abweichendes.239 Die Niederlassungsfreiheit gebiete es den Mitgliedstaaten nicht, grenzüberschreitende Formwechsel unter Vorwegnahme der in Vorbereitung befindlichen Rechtssetzung durch den Gemeinschaftsgesetzgeber240 zuzulassen.241 Solange eine

231 Vgl. BayObLG, NJW-RR 1993, 43; OLG Hamm, NJW 1998, 615; OLG Hamm, NJW 2001, 2183; OLG Düsseldorf, NJW 2001, 2184; BayObLG, NJW-RR 2004, 836; OLG Brandenburg, FGPrax 2005, 78; OLG München, NZG 2007, 915. 232 Vgl. OLG Hamm, NJW 1998, 615 (615); OLG Hamm, NJW 2001, 2183 (2183); OLG Brandenburg, FGPrax 2005, 78 (79); OLG München, NZG 2007, 915 (915). 233 Vgl. BayObLG, NJW-RR 1993, 43 (44); OLG Hamm, NJW 1998, 615 (615); OLG Hamm, NJW 2001, 2183 (2183). 234 Vgl. BayObLG, NJW-RR 1993, 43 (44); OLG Hamm, NJW 1998, 615 (615); OLG Brandenburg, FGPrax 2005, 78 (79); OLG München, NZG 2007, 915 (915). 235 Vgl. OLG Brandenburg, FGPrax 2005, 78 (79); OLG München, NZG 2007, 915 (915); im Ergebnis auch OLG Hamm, NJW 1998, 615 (615). 236 BayObLG, NJW-RR 1993, 43 (44). 237 Vgl. BayObLG, NJW-RR 1993, 43 (44); OLG Hamm, NJW-RR 1998, 615 (615); OLG Hamm, NJW 2001, 2183 (2183). 238 Vgl. BayObLG, NJW-RR 1993, 43 (44); OLG Hamm, NJW 1998, 615 (615); OLG Hamm, NJW 2001, 2183 (2183). 239 Vgl. BayObLG, NJW-RR 1993, 43 (44); OLG Hamm, NJW 1998, 615 (615); OLG Brandenburg, FGPrax 2005, 78 (79); OLG München, NZG 2007, 915 (915). 240 Vgl. Richtlinienvorentwurf zur Verlegung des Gesellschaftssitzes innerhalb der EU, ZIP 1997, 1721.

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Regelung auf Gemeinschaftsebene nicht existiere, könne eine im nationalen Recht nicht vorgesehene Satzungssitzverlegung in einen anderen Mitgliedstaat auch nicht unmittelbar aus der Niederlassungsfreiheit hergeleitet werden.242 Aus der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache SEVIC Systems ergebe sich nichts anderes.243 2. Hereinformwechsel EU-ausländischer Gesellschaften Unter umgekehrten Vorzeichen wurden grenzüberschreitende Formwechsel von der deutschen Rechtsprechung bislang ebenfalls nicht zugelassen. 244 Die Zulässigkeit der gleichzeitigen Verlegung des Satzungssitzes und des effektiven Verwaltungssitzes bestimme sich nach dem Kollisions- und Sachrecht sowohl des Herkunfts- als auch des Aufnahmestaates.245 Wenn eine Gesellschaft mit dem Satzungssitz und dem effektiven Verwaltungssitz beide kollisionsrechtlich denkbaren Anknüpfungspunkte im Herkunftsstaat aufgebe, trete ein Statutenwechsel ein.246 Die Rechtspersönlichkeit der Gesellschaft bleibe jedoch nur dann bestehen, wenn dies sowohl von der Rechtsordnung des Herkunftsstaates als auch derjenigen des Aufnahmestaates vorgesehen sei.247 Da das deutsche Gesellschaftsrecht grenzüberschreitende Formwechsel nicht kenne, sei eine identitätswahrende Verlegung des Satzungssitzes und effektiven Verwaltungssitzes einer EU-ausländischen Gesellschaft nach Deutschland nicht möglich.248 Die Möglichkeit eines Formwechsel sei de lege lata nur bereits im Inland ansässigen Rechtsträgern eröffnet. 249 Eine andere rechtliche Beurteilung sei weder durch die Niederlassungsfreiheit noch durch die Rechtsprechung des EuGH geboten.250 Die Entscheidung des Gerichtshofs in der Rechtssache Cartesio eröffne einer Gesellschaft die Möglichkeit eines Hereinformwechsels nur dann, wenn dies nach dem Recht des Aufnahmestaates möglich sei.251 Eben diese Möglichkeit bestehe im deutschen Recht jedoch nicht.252 241

Vgl. BayObLG, NJW-RR 2004, 836 (837); OLG München, NZG 2007, 915 (915); im Ergebnis wohl auch OLG Düsseldorf, NJW 2001, 2184 (2185). 242 OLG München, NZG 2007, 915 (915). 243 OLG München, NZG 2007, 915 (916). 244 Vgl. OLG Zweibrücken, NJW 1990, 3092; OLG Nürnberg, NZG 2012, 468. 245 Vgl. OLG Nürnberg, NZG 2012, 468 (469). 246 Vgl. OLG Zweibrücken, NJW 1990, 3092 (3092); OLG Nürnberg, NZG 2012, 468 (469). 247 OLG Zweibrücken, NJW 1990, 3092 (3092). 248 Vgl. OLG Zweibrücken, NJW 1990, 3092 (3092); OLG Nürnberg, NZG 2012, 468 (469). 249 OLG Nürnberg, NZG 2012, 468 (469). 250 OLG Nürnberg, NZG 2012, 468 (469). 251 OLG Nürnberg, NZG 2012, 468 (470). 252 OLG Nürnberg, NZG 2012, 468 (470).

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Kapitel 1: Gesellschaftsmobilität im europäischen Binnenmarkt

Ein erstes nach der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache VALE ergangenes obergerichtliches Urteil deutet nunmehr jedoch auf einen Kurswechsel der Rechtsprechung hin.253 Das deutsche Recht müsse die grenzüberschreitende Verlegung des Sitzes einer Kapitalgesellschaft nach Deutschland unter damit einhergehendem Formwechsel in eine entsprechende Gesellschaft deutschen Rechts grundsätzlich anerkennen.254 Der Sachverhalt sei unter unionsrechtskonformer Anwendung der §§ 190 ff. UmwG zu behandeln.255 Die für den Formwechsel vorgesehenen Verfahrensschritte sowie die für eine Gründung des „neuen Rechtsträgers“256 nach deutschem Recht einzuhaltenden Regeln seien entsprechend § 197 UmwG auch bei einer grenzüberschreitenden Umwandlung zu beachten.257 VI. Zwischenergebnis Wie die vorstehend dargestellte Kehrtwende des OLG Nürnberg in Bezug auf den Hereinformwechsel EU-ausländischer Gesellschaften verdeutlicht, sind die Entscheidungen des EuGH für die grenzüberschreitende Mobilität von Gesellschaften im Binnenmarkt von zentraler Bedeutung. Sie bilden den rechtlichen Maßstab, an dem sich Mitgliedstaaten sowie Gesellschaften zu orientieren haben. Der Gerichtshof als „Motor der Integration“258 hat das Harmonisierungsdefizit bezüglich der rechtlichen Rahmenbedingungen grenzüberschreitender Mobilität von Gesellschaften unter Rückgriff auf die Niederlassungsfreiheit abgemildert und die Mobilität der Gesellschaften im Binnenmarkt zunächst entscheidend gefördert. In den vergangenen Jahren lässt sich in seinen Entscheidungen jedoch eine gegenläufige Entwicklung beobachten. Da der Gerichtshof eine stringente Argumentationslinie vermissen lässt, sind die Auswirkungen seiner Judikatur auf das Gesellschaftskollisionsrecht der Mitgliedstaaten auch mehr als ein Jahrzehnt nach Daily Mail und zahlreichen Nachfolgeentscheidungen zum Trotz nicht abschließend geklärt. Ebenso wenig können die rechtlichen Rahmenbedingungen grenzüberschreitender Umwandlungen als gesichert gelten. Grenzüberschreitende Formwechsel finden ihre rechtlichen Grundlagen (bislang) in den nicht harmonisierten nationalen Rechtsordnungen der betroffenen Mitgliedstaaten sowie den sich aus der Niederlassungsfreiheit ergebenden unionsrechtlichen Vorgaben.

253

Vgl. OLG Nürnberg, GmbHR 2014, 96. OLG Nürnberg, GmbHR 2014, 96 (97). 255 OLG Nürnberg, GmbHR 2014, 96 (97). 256 Die Wortwahl des Senats ist unglücklich: Richtigerweise besteht der Rechtsträger beim grenzüberschreitenden Formwechsel als solcher fort (vgl. § 2 III. 2.). 257 OLG Nürnberg, GmbHR 2014, 96 (98). 258 Lutter/Bayer/J. Schmidt, Europ. Unternehmens- und Kapitalmarktrecht, § 6, Rn. 2. 254

§ 2 Motivation grenzüberschreitender Mobilität

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§ 2 Motivation grenzüberschreitender Mobilität § 2 Motivation grenzüberschreitender Mobilität

I. Einführung Wirtschaftliche Erwägungen stellen die Triebfeder der grenzüberschreitenden Mobilität von Gesellschaften im Binnenmarkt dar. Hauptmotiv der Marktteilnehmer ist das Streben nach wirtschaftlichen Vorteilen. Die Kenntnis der zugrundeliegenden Motivlage ist für das Verständnis und die zutreffende rechtliche Einordnung der verschiedenen Ausprägungsformen grenzüberschreitender Mobilität unerlässlich. Die maßgeblichen Beweggründe werden im Folgenden exemplarisch anhand des grenzüberschreitenden Formwechsels dargestellt. Dieser steht nicht nur im Mittelpunkt der vorliegenden Untersuchung, sondern eignet sich zur Darstellung der Motive der Marktteilnehmer besonders gut, weil er die Entscheidung für einen tatsächlichen Standort des Unternehmens in einem Mitgliedstaat (vgl. § 2 II.) und die Wahl einer EUausländischen Rechtsform (vgl. § 2 III.) vereint. Durch die Entscheidung über den Standort des Unternehmens und die Rechtsform der Gesellschaft werden die tatsächlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen einer unternehmerischen Tätigkeit im Wesentlichen festgelegt.259 Diese Entscheidungen – so viel sei vorweggenommen – können nicht völlig losgelöst voneinander getroffen werden, sondern beeinflussen sich gegenseitig. Die Entscheidungsträger können sich demnach nicht von einzelnen Standortfaktoren oder den Vorzügen einer bestimmten Rechtsform leiten lassen, sondern müssen sämtliche Vor- und Nachteile bei der Beschlussfassung über die Durchführung der Umwandlung berücksichtigen. Im Anschluss an die Erläuterung der Motive, welche grenzüberschreitenden Formwechseln zugrundeliegen, werden alternative Restrukturierungsmöglichkeiten dargestellt, durch welche sich ein vergleichbares Ergebnis erzielen lässt (vgl. § 2 IV.). Dabei wird sich zeigen, dass der grenzüberschreitende Formwechsel für Gesellschaften ein besonders attraktives Restrukturierungsinstrument darstellt. II. Standortwahl im Binnenmarkt Gegenstand einer Standortentscheidung ist die Frage, zu welchen Orten ein Unternehmen eine tatsächliche Verbindung in Gestalt räumlich verknüpfter Unternehmensmerkmale (Hauptverwaltung, Betriebsstätte etc.) eingeht.260 Bei der Entscheidung für einen bestimmten Standort ist eine Vielzahl verschiedener Aspekte zu berücksichtigen. Ausgehend von den Zielvorstellungen der Entscheidungsträger sind sämtliche potentielle Standorte zu erfassen und im Hinblick auf ihre Konsequenzen zu beschreiben.261 Der Vergleich der 259

Vgl. Thölke/Spanger, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 2, Rn. 4. Vgl. Thölke/Spanger, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 2, Rn. 1. 261 Thölke/Spanger, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 2, Rn. 4. 260

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Kapitel 1: Gesellschaftsmobilität im europäischen Binnenmarkt

Standorte anhand zuvor festgelegter und gewichteter Entscheidungskriterien führt zu einer optimalen Standortentscheidung.262 In aller Regel stehen neben unternehmensstrategischen vor allem steuerrechtliche Erwägungen im Vordergrund. In jüngster Zeit spielen jedoch vermehrt auch insolvenzrechtliche Erwägungen eine Rolle. 1. Unternehmensstrategische Erwägungen Bei der Entscheidung einer operativ tätigen Gesellschaft für einen Standort in einem anderen Mitgliedstaat sind unternehmensstrategische Motive von wesentlicher Bedeutung.263 Die Entscheidungsträger wollen in der Regel die attraktiven örtlichen Produktionsbedingungen in einem anderen Mitgliedstaat für das Unternehmen ausnutzen. Im Zuge der im Jahr 2013 durchgeführten Konsultation der Europäischen Kommission über die grenzüberschreitende Verlegung von Firmensitzen erklärte ein Viertel der Teilnehmer ein „besseres Geschäftsklima“ im Aufnahmestaat zum Motiv einer Sitzverlegung.264 Ein bestimmter Standort kann etwa aufgrund seiner Infrastrukturbedingungen besonders interessant sein. Er kann ferner einen besseren geographischen Zugang zu den Lieferanten und Absatzmärkten des Unternehmens bieten und somit geringere Transport- und Lagerkosten versprechen. Schließlich mag der lokale Arbeitsmarkt den Bedürfnissen des Unternehmens besser entsprechen, sei es aufgrund niedrigerer Lohn- und Lohnnebenkosten, längerer Wochenarbeitszeiten oder des Vorhandenseins besonders qualifizierter potentieller Arbeitskräfte. Für die Verlagerung des Standorts eines Unternehmens in einen anderen Mitgliedstaat können ferner regulatorische Unterschiede der Mitgliedstaaten im Hinblick auf die wirtschaftliche Tätigkeit des Unternehmens sprechen.265 Im Rahmen der Konsultation der Europäischen Kommission über die Verlegung von Firmensitzen gaben bis zu fünfzehn Prozent der Teilnehmer günstigere rechtliche Rahmenbedingungen im Aufnahmestaat als Motiv für eine Sitzverlegung an.266 Eine Rechtsnorm wird zum Standortfaktor, wenn die von 262

Vgl. Thölke/Spanger, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 2, Rn. 4. Vgl. Grundmann, Europ. GesR, § 24, Rn. 837; Hirte/Bücker, Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 3, Rn. 13; Thölke/Spanger, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 2, Rn. 12 ff.; Weller, FS Blaurock, 2013, 497 (505). 264 Vgl. Summary of the responses to the public consultation on cross-border transfers of registered offices of companies von September 2013, S. 12; Kindler, in: MünchKommBGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 818, Fn. 3132. 265 Vgl. Hirte/Bücker, Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 3, Rn. 16; Thölke/ Spanger, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 2, Rn. 89 ff.; Vossius, in: Widmann/Mayer, UmwR, 134. EL (2012), § 191 UmwG, Rn. 29. 266 Vgl. Summary of the responses to the public consultation on cross-border transfers of registered offices of companies von September 2013, S. 12; Kindler, in: MünchKommBGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 818, Fn. 3132. 263

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ihr angeordneten Rechtsfolgen die betriebswirtschaftliche Kalkulation eines Unternehmens in entscheidungserheblicher Weise beeinflussen. 267 Bedeutung als mögliches Differenzierungskriterium bei der Entscheidung zwischen verschiedenen Standorten erhält eine Rechtsnorm, wenn sie nur an bestimmten, in die Entscheidung einbezogenen Standorten anwendbar ist.268 Oftmals verspricht die Rechtsordnung eines anderen Mitgliedstaates attraktivere und flexiblere gesetzliche Rahmenbedingungen für die Verfolgung bestimmter unternehmerischer Zwecke.269 Regelungsdichte und Aufsichtsintensität hängen von der jeweiligen Wirtschaftsverfassung, historisch gewachsenen Strukturen und der volkswirtschaftlichen Bedeutung des jeweiligen Wirtschaftszweiges ab.270 Eine geringe gesetzliche Regelungsdichte hinsichtlich der Geschäftstätigkeit eines Unternehmens ist häufig mit einer geringen Intensität der Aufsicht durch staatliche Behörden verbunden. Die Verlagerung des Standorts eines Unternehmens kann demnach dazu führen, dass seine geschäftlichen Aktivitäten einer weniger strengen und kostenträchtigen staatlichen Regulierung und Kontrolle unterzogen werden als dies zuvor der Fall war. Regulatorische Standorterwägungen spielen für Unternehmen eine besondere Rolle, deren Geschäftstätigkeit eine geographische Ansiedlung an einem bestimmten Ort nicht voraussetzt. 2. Steuerrechtliche Erwägungen Einen entscheidenden Faktor bei der Standortwahl im Binnenmarkt bilden steuerrechtliche Gesichtspunkte.271 Die Entscheidungsträger versuchen im Bestreben der Minimierung der Steuerbelastung der Gesellschaft, den Standort für eine unternehmerische Tätigkeit entsprechend zu wählen.272 Im Rahmen der im Jahr 2013 durchgeführten Konsultation der Europäischen Kommission über die grenzüberschreitende Verlegung von Firmensitzen erklärte knapp die Hälfte der Befragten Steuervermeidung beziehungsweise Steuerverminderung zum Hauptmotiv einer Sitzverlegung. 273 Da der Unionsgesetzgeber insoweit nicht über eine Regelungskompetenz verfügt, ist das Steuerrecht weitgehend eine Domäne der Mitgliedstaaten geblieben.274 Diese legen 267

Thölke/Spanger, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 2, Rn. 16. Thölke/Spanger, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 2, Rn. 16. 269 Vgl. Hirte/Bücker, Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 3, Rn. 16. 270 Vgl. Thölke/Spanger, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 2, Rn. 97. 271 Vgl. Bröhmer, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV, Rn. 35; Thölke/ Spanger, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 2, Rn. 67 ff.; Verse, EuZW 2013, 336 (337). 272 Vgl. Thölke/Spanger, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 2, Rn. 67. 273 Vgl. Summary of the responses to the public consultation on cross-border transfers of registered offices of companies von September 2013, S. 12; Kindler, in: MünchKommBGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 818, Fn. 3136. 274 Vgl. Bröhmer, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV, Rn. 35; MüllerGraff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV, Rn. 71. 268

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Kapitel 1: Gesellschaftsmobilität im europäischen Binnenmarkt

insbesondere die Einkunftsarten, welche sie einer Besteuerung unterwerfen, die Bemessungsgrundlage sowie die Höhe des Steuersatzes fest.275 Ist die Besteuerung in einem Mitgliedstaat höher als in einem anderen, steht es einer Gesellschaft frei, ihren steuerrechtlich maßgeblichen Sitz zu verlegen, falls ihr dies faktisch möglich ist.276 Dadurch kann sie vom Steuerwettbewerb zwischen den Mitgliedstaaten profitieren.277 Dementsprechend stellen die Unterschiede in den Besteuerungssystemen und Steuersätzen der Mitgliedstaaten einen wichtigen Faktor für Standortentscheidungen dar.278 Die Entscheidungsträger müssen bei ihren Erwägungen allerdings stets berücksichtigen, dass sich gerade die steuerrechtlichen Rahmenbedingungen kurzfristig ändern können.279 Die Änderung des Besteuerungsniveaus in einem Mitgliedstaat kann umgekehrt Ausgangspunkt von Überlegungen hinsichtlich einer Standortverlagerung sein. 3. Insolvenzrechtliche Erwägungen Bei der Standortwahl im Binnenmarkt spielen in jüngerer Zeit vermehrt auch insolvenzrechtliche Erwägungen eine Rolle. Es handelt sich dabei um ein vergleichsweise neues Phänomen, welches in Fachkreisen als Insolvenztourismus280, Insolvenzrechtsarbitrage281 oder Sanierungsmigration282 bezeichnet wird. Im Rahmen der im Jahr 2013 durchgeführten Konsultation der Europäischen Kommission über die grenzüberschreitende Verlegung von Firmensitzen erklärten immerhin gut ein Zehntel der Befragten ein günstigeres Insolvenzrecht im Aufnahmestaat zum Motiv einer Sitzverlegung.283 Der Sache nach geht es um die Herbeiführung der Anwendbarkeit des Insolvenzrechts eines anderen Mitgliedstaates durch Veränderung des maßgeblichen kollisionsrechtlichen Anknüpfungsmerkmals. Teilweise bezwecken die Schuldner durch den Wechsel des Insolvenzstatuts eine Verschleierung ihrer Vermögensverhältnisse sowie eine Erschwerung der grenzüberschreitenden Forderungsdurchsetzung („Firmenbestattung“ im Ausland).284 Teilweise möchten 275

Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV, Rn. 71. Vgl. Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV, Rn. 70. 277 Thölke/Spanger, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 2, Rn. 67. 278 Vgl. Hirte/Bücker, Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 3, Rn. 15; Thölke/ Spanger, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 2, Rn. 67; Weller, FS Goette, 2011, 583 (585). 279 Thölke/Spanger, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 2, Rn. 68. 280 Vgl. Goslar, NZI 2012, 912 (912); Kindler, KTS 2014, 25 (33); Reinhart, NZI 2012, 304 (306). 281 Vgl. Weller, FS Blaurock, 2013, 497 (506 f.). 282 Vgl. Steffek, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 37, Rn. 1 ff. 283 Vgl. Summary of the responses to the public consultation on cross-border transfers of registered offices of companies von September 2013, S. 12; Kindler, in: MünchKommBGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 818, Fn. 3132. 284 Vgl. Weller, FS Blaurock, 2013, 497 (507). 276

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sie von den für sie vorteilhaften Restrukturierungsinstrumenten anderer Mitgliedstaaten Gebrauch machen (Unternehmenssanierung im Ausland).285 Gemäß Art. 4 Abs. 1 EuInsVO gilt für das Insolvenzverfahren und seine Wirkungen grundsätzlich das Insolvenzrecht desjenigen Mitgliedstaates, in welchem das Verfahren eröffnet wird. International zuständig für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens sind nach Art. 3 Abs. 1 S. 1 EuInsVO die Gerichte desjenigen Mitgliedstaates, in dessen Gebiet der Schuldner den „Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen“ hat. Dieses faktische Kriterium – in englischer Sprache „center of main interests“ – stellt das maßgebliche Anknüpfungsmerkmal für die Bestimmung des Insolvenzstatuts des Schuldners dar.286 Ziel des Anknüpfungsmerkmals ist es, die Rechtsordnung mit der größten Sachnähe zur Anwendung zu berufen. 287 Am Ort des Interessenmittelpunkts ist erfahrungsgemäß die Mehrheit der Gläubiger ansässig und befinden sich die meisten Vermögensgegenstände des Schuldners.288 Damit ist die entscheidende Frage aufgeworfen, welche Faktoren bei der Identifizierung des Mittelpunktes der hauptsächlichen Interessen des Schuldners eine Rolle spielen. Nach der Rechtsprechung des EuGH hat der Begriff eine autonome Bedeutung und muss deshalb einheitlich und unabhängig von nationalen Rechtsvorschriften ausgelegt werden.289 Aus der 13. Begründungserwägung der EuInsVO gehe hervor, dass der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen nach objektiven und zugleich für Dritte feststellbaren Kriterien zu bestimmen sei.290 Zwar wird bei einer Gesellschaft gemäß Art. 3 Abs. 1 S. 2 EuInsVO bis zum Beweis des Gegenteils vermutet, dass der Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen der Ort des satzungsmäßigen Sitzes ist. Diese Vermutung lässt sich jedoch entkräften, wenn objektive und für Dritte feststellbare Elemente belegen, dass in Wirklichkeit die Lage nicht derjenigen entspricht, welche die Verortung der hauptsächlichen Interessen

285

Vgl. Weller, FS Blaurock, 2013, 497 (508). Vgl. EuGH, Urteil vom 2.5.2006, Rs. C-341/04 – Eurofood IFSC, Slg. 2006, I-03813, Rn. 33; EuGH, Urteil vom 15.12.2011, Rs. C-191/10 – Rastelli Davide, Slg. 2011, I-13209, Rn. 16; Mucciarelli, ECFR 2005, 512 (514); Mucciarelli, TJICL 2012, 421 (458). 287 Vgl. Mucciarelli, ECFR 2012, 571 (577); Paulus, EuInsVO, Art. 3, Rn. 20. 288 Vgl. Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, Art. 3 EuInsVO, Rn. 14. 289 Vgl. EuGH, Urteil vom 2.5.2006, Rs. C-341/04 – Eurofood IFSC, Slg. 2006, I-03813, Rn. 31; EuGH, Urteil vom 20.10.2011, Rs. C-396/09 – Interedil, Slg. 2011, I-09915, Rn. 43. 290 Vgl. EuGH, Urteil vom 2.5.2006, Rs. C-341/04 – Eurofood IFSC, Slg. 2006, I-03813, Rn. 32 f.; EuGH, Urteil vom 20.10.2011, Rs. C-396/09 – Interedil, Slg. 2011, I-09915, Rn. 47; EuGH, Urteil vom 15.12.2011, Rs. C-191/10 – Rastelli Davide, Slg. 2011, I-13209, Rn. 33; zustimmend Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, Art. 3 EuInsVO, Rn. 16; Paulus, EuInsVO, Art. 3, Rn. 21. 286

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am satzungsmäßigen Sitz der Gesellschaft widerspiegeln soll.291 Dies kann insbesondere bei einer Briefkastengesellschaft der Fall sein, welche im Gebiet des Mitgliedstaates, in welchem sich ihr satzungsmäßiger Sitz befindet, keiner Tätigkeit nachgeht. 292 Klärungsbedürftig ist demnach die Frage, ob durch Verlagerung der Hauptverwaltung oder anderer tatsächlicher Anknüpfungsmerkmale in einen anderen Mitgliedstaat die Vermutung des Art. 3 Abs. 1 S. 2 EuInsVO entkräftet werden kann. Nach Auffassung des EuGH ist dem Ort der Hauptverwaltung der Gesellschaft als Zuständigkeitskriterium der Vorzug zu geben.293 Die gesetzliche Vermutung könne widerlegt werden, wenn sich der Ort der Hauptverwaltung einer Gesellschaft nicht am Ort des satzungsmäßigen Sitzes befinde, insbesondere wenn eine Gesamtbetrachtung aller relevanten Faktoren die von Dritten überprüfbare Feststellung zulasse, dass sich der tatsächliche Mittelpunkt der Verwaltung und der Kontrolle der Gesellschaft sowie der Verwaltung ihrer Interessen in einem anderen Mitgliedstaat befinde.294 Auch im Schrifttum wird als maßgeblicher Anknüpfungspunkt primär auf den effektiven Verwaltungssitz der Gesellschaft abgestellt.295 Als reales Anknüpfungsmerkmal stehe der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen dem effektiven Verwaltungssitz und damit der Sitztheorie nahe.296 Zudem beruhe die Anknüpfung des Art. 3 Abs. 1 S. 1 EuInsVO gerade auf der – für die Mehrzahl der Fälle gültigen – Erfahrungstatsache, dass sich im Mitgliedstaat der Hauptverwaltung einer Gesellschaft der Großteil der Gläubiger und die Masse des Vermögens der Schuldnergesellschaft befinden.297 Eine Einschränkung sei jedoch für Fälle zu machen, in welchen die Gesellschaft ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit weiterhin im Mitgliedstaat des satzungsmäßigen

291 Vgl. EuGH, Urteil vom 2.5.2006, Rs. C-341/04 – Eurofood IFSC, Slg. 2006, I-03813, Rn. 34; EuGH, Urteil vom 20.10.2011, Rs. C-396/09 – Interedil, Slg. 2011, I-09915, Rn. 51. 292 Vgl. EuGH, Urteil vom 2.5.2006, Rs. C-341/04 – Eurofood IFSC, Slg. 2006, I-03813, Rn. 35; Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, Art. 3 EuInsVO, Rn. 24. 293 Vgl. EuGH, Urteil vom 20.10.2011, Rs. C-396/09 – Interedil, Slg. 2011, I-09915, Rn. 48; EuGH, Urteil vom 15.12.2011, Rs. C-191/10 – Rastelli Davide, Slg. 2011, I-13209, Rn. 32. 294 Vgl. EuGH, Urteil vom 20.10.2011, Rs. C-396/09 – Interedil, Slg. 2011, I-09915, Rn. 51 und 53; EuGH, Urteil vom 15.12.2011, Rs. C-191/10 – Rastelli Davide, Slg. 2011, I-13209, Rn. 35. 295 Vgl. Kindler, KTS 2014, 25 (31); Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, Art. 3 EuInsVO, Rn. 14 ff.; Mucciarelli, ECFR 2005, 512 (524); Weller, FS Blaurock, 2013, 497 (506); im Ergebnis offenbar auch Paulus, EuInsVO, Art. 3, Rn. 25a und 27. 296 Vgl. Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, Art. 3 EuInsVO, Rn. 14; Weller, FS Blaurock, 2013, 497 (506). 297 Kindler, KTS 2014, 25 (31).

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Sitzes nachgehe.298 Die Tatsache, dass ihre wirtschaftlichen Entscheidungen von einem anderen Mitgliedstaat aus kontrolliert werden, reiche als solche nicht aus, um die durch Art. 3 Abs. 1 S. 2 EuInsVO aufgestellte Vermutung zu entkräften.299 Weitere Anknüpfungsmerkmale wie der Belegenheitsort von Produktions- und Fabrikationsstätten oder Verkaufslokalen im Mitgliedstaat des satzungsmäßigen Sitzes könnten die gesetzliche Vermutung vielmehr bestätigen.300 Bei der Bestimmung des für die Verfahrenseröffnung zuständigen Gerichts gemäß Art. 3 Abs. 1 EuInsVO (und damit der anwendbaren Insolvenzrechtsordnung) kommt es grundsätzlich darauf an, wo sich der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners zum Zeitpunkt der Stellung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens befindet.301 Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen kurz vor der Antragstellung verlegt wurde; eine Mindestbelegenheitsdauer des Interessenmittelpunktes in einem Mitgliedstaat ist nicht erforderlich.302 In Fachkreisen wird jedoch die Verlegung des Interessenmittelpunktes durch Veränderung von Anknüpfungstatsachen unmittelbar vor und im Hinblick auf eine Insolvenzverfahrenseinleitung mitunter als Missbrauch der Niederlassungsfreiheit eingeordnet.303 Dies gelte jedenfalls dann, wenn sich der Schuldner hierdurch erkennbar lediglich die Vorteile des Insolvenzstatutes eines anderen Mitgliedstaates erschleichen wolle.304 Eine rechtsmissbräuchliche Verlagerung des Interessenmittelpunktes sei jedenfalls dann anzunehmen, wenn keine anderen Gründe als die Durchführung des Insolvenzverfahrens im Aufnahmestaat ersichtlich seien und die Masse des Vermögens und der Großteil der Gläubiger im Herkunftsstaat zurückblieben.305 Eine Verlagerung des Interessenmittelpunktes lasse sich in derartigen Fällen allenfalls dann rechtfertigen, wenn diese nicht zum Nachteil der Gesamtheit der Gläubiger vorgenommen werde, also insbesondere dann, wenn eine Sanierung angestrebt werde.306 298 Vgl. Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, Art. 3 EuInsVO, Rn. 22; Mucciarelli, ECFR 2012, 571 (577); Paulus, EuInsVO, Art. 3, Rn. 27. 299 Vgl. Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, Art. 3 EuInsVO, Rn. 22; a.A. offenbar Weller, FS Blaurock, 2013, 497 (506). 300 Vgl. Mucciarelli, ECFR 2012, 571 (576 f.); Paulus, EuInsVO, Art. 3, Rn. 25a. 301 Vgl. EuGH, Urteil vom 20.10.2011, Rs. C-396/09 – Interedil, Slg. 2011, I-09915, Rn. 55; Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, Art. 3 EuInsVO, Rn. 32; Weller, FS Blaurock, 2013, 497 (507). 302 Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, Art. 3 EuInsVO, Rn. 34. 303 Vgl. Kindler, KTS 2014, 25 (34); Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, Art. 3 EuInsVO, Rn. 34; Paulus, EuInsVO, Art. 3, Rn. 16b. 304 Vgl. Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, Art. 3 EuInsVO, Rn. 34. 305 Kindler, KTS 2014, 25 (34). 306 Paulus, EuInsVO, Art. 3, Rn. 16b.

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Vor diesem Hintergrund erscheint es zweifelhaft, ob durch eine schlichte Verlagerung des effektiven Verwaltungssitzes in einen anderen Mitgliedstaat im Vorfeld der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens tatsächlich ein Insolvenzstatutenwechsel herbeigeführt werden kann. Zwar deckt sich der Standort der Hauptverwaltung im Regelfall mit dem Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen einer Gesellschaft, sodass sich die gesetzliche Vermutung des Art. 3 Abs. 1 S. 2 EuInsVO widerlegen lässt. Sofern eine in der Krise befindliche Gesellschaft ihren effektiven Verwaltungssitz jedoch ausschließlich zum Zwecke des forum shopping307 in einen anderen Mitgliedstaat verlegt, dürfte dies indessen zumindest dann nicht der Fall sein, wenn sämtliche anderen tatsächlichen Anknüpfungsmerkmale im Herkunftsstaat verortet bleiben. In solchen Fällen liegt der Verdacht eines Missbrauchs der Niederlassungsfreiheit nahe. Hierauf wird an anderer Stelle noch zurückzukommen sein (vgl. § 3 II. 1. b)). III. Beweggründe grenzüberschreitender Formwechsel Die günstigen Produktionsbedingungen eines anderen Mitgliedstaates könnte sich eine Gesellschaft durch die herkömmlichen Instrumente der Gründung einer Tochtergesellschaft sowie der Errichtung einer Zweigniederlassung in diesem Mitgliedstaat zunutze machen. Durch Verlegung ihrer Hauptverwaltung in einen anderen Mitgliedstaat mag eine Gesellschaft steuerrechtliche Vorteile genießen. Damit ist die Frage aufgeworfen, wieso eine Gesellschaft die Ansiedlung in einem anderen Mitgliedstaat mit einem Wechsel der Rechtsform verbinden sollte. Die potentiellen Beweggründe eines grenzüberschreitenden Formwechsels sind vielfältig. Im Mittelpunkt stehen die Vorteile, welche das Gesellschaftsstatut der Zielrechtsform verspricht. Vorteilhaft ist zudem der Umstand, dass der Umwandlungsvorgang die rechtliche und wirtschaftliche Identität der Gesellschaft nicht berührt. 1. Wechsel des Gesellschaftsstatuts Hauptmotiv eines grenzüberschreitenden Formwechsels ist der Wunsch der Entscheidungsträger, die Gesellschaft durch Wechsel des Gesellschaftsstatuts einem anderen Organisationsrecht zu unterstellen. Im Zuge der im Jahr 2013 durchgeführten Konsultation der Europäischen Kommission über die grenzüberschreitende Verlegung von Firmensitzen erklärten beinahe zwanzig Prozent der Befragten attraktivere gesellschaftsrechtliche Rahmenbedingungen im Aufnahmestaat zum Motiv einer Sitzverlegung.308 Das materielle Gesell307

Weller, FS Blaurock, 2013, 497 (506). Vgl. Summary of the responses to the public consultation on cross-border transfers of registered offices of companies von September 2013, S. 12; Kindler, in: MünchKommBGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 818, Fn. 3132. 308

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schaftsrecht legt die Eigenschaften einer Rechtsform fest und begründet neben ihren steuerrechtlichen Eigenschaften die klassischen Entscheidungskriterien für oder gegen eine bestimmte Rechtsform. 309 Objektiv zeichnet sich eine Gesellschaftsrechtsordnung durch die Qualität ihrer Normen, deren rechtswissenschaftliche Durchdringung und effiziente Umsetzung in der Praxis sowie die damit einhergehende Rechtssicherheit und Berechenbarkeit aus.310 Subjektiv geht es den Entscheidungsträgern freilich darum, eine den konkreten Bedürfnissen möglichst optimal gerecht werdende Rechtsform zu ermitteln.311 Zu diesem Zweck sind auf der Grundlage der tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeiten sowie der Vorstellungen der Entscheidungsträger sämtliche potentiellen Rechtsformen – einschließlich der zulässigen Ausgestaltung im Rahmen des dispositiven Rechts – zu erfassen und im Hinblick auf ihre Konsequenzen zu beschreiben.312 Der Vergleich der Rechtsformen anhand zuvor festgelegter und gewichteter Entscheidungskriterien führt zur Wahl der optimalen Rechtsform.313 Das Gesellschaftsstatut einer EU-ausländischen Rechtsform kann in vielfältiger Hinsicht Vorteile versprechen. Andere Mitgliedstaaten sehen beispielsweise weniger einschneidende Haftungs- oder Corporate-GovernanceVorschriften vor als das deutsche Recht.314 Auch die rechtlichen Vorgaben für die Eigenkapitalausstattung der Gesellschaft sind in anderen Mitgliedstaaten weniger streng.315 Im Hinblick auf die Finanzierung kann die Wahl einer EU-ausländischen Rechtsform Unternehmen zudem Zugang zu Finanzierungsmöglichkeiten eröffnen, welche ihnen bislang aufgrund eines Konflikts mit Kapitalschutzregelungen versperrt waren. 316 Schließlich kann ein grenzüberschreitender Formwechsel eine Möglichkeit darstellen, den Beschränkungen des deutschen Konzernrechts zu entgehen. 317 In Konstellationen, in welchen die Abhängigkeit einer AG von einem Mehrheitsaktionär absehbar 309

Thölke/Spanger, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 2, Rn. 57. Vgl. Thölke/Spanger, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 2, Rn. 66. 311 Vgl. Grundmann, Europ. GesR, § 24, Rn. 837; Thölke/Spanger, in: MünchHdbGesR, Bd. 6, § 2, Rn. 3; Ebert/Levedag, in: Süß/Wachter, Hdb. Int. GmbH-Recht, Länderbericht England, Rn. 24. 312 Thölke/Spanger, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 2, Rn. 5. 313 Thölke/Spanger, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 2, Rn. 5. 314 Vgl. Benrath/König, DK 2012, 377 (378); Szydlo, ECFR 2010, 414 (416); Wasmeier, Umstrukturierung, 2014, S. 7 f.; Weller, FS Goette, 2011, 583 (584); Weller, FS Blaurock, 2013, 497 (514). 315 Vgl. Benrath/König, DK 2012, 377 (378); Hopt, in: Lutter/Wiedemann, Gestaltungsfreiheit, 1998, S. 137; Szydlo, ECFR 2010, 414 (416); Thölke/Spanger, in: MünchHdbGesR, Bd. 6, § 2, Rn. 62; Weller, FS Blaurock, 2013, 497 (514). 316 Vgl. Benrath/König, DK 2012, 377 (378); Hirte/Bücker, Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 3, Rn. 24; Hopt, in: Lutter/Wiedemann, Gestaltungsfreiheit, 1998, S. 137; Stiegler, Rechtsformwechsel, 2013, S. 8. 317 Vgl. Hirte/Bücker, Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 3, Rn. 22. 310

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ist, sich gleichzeitig jedoch intensive Austausch- und Veranlassungsverhältnisse innerhalb des Konzerns abzeichnen, kann es von Vorteil sein, das starre und mit zahlreichen Abgrenzungsschwierigkeiten behaftete System der §§ 311 ff. AktG durch die Wahl einer EU-ausländischen Rechtsform zu vermeiden.318 Die Flexibilität des Gesellschaftsstatuts einer EU-ausländischen Rechtsform kann ein weiteres Motiv eines grenzüberschreitenden Formwechsels sein.319 Obwohl auch in anderen Mitgliedstaaten fraglos zwingende Rechtsvorschriften existieren, ist das materielle Gesellschaftsrecht dort oftmals mehr oder weniger deutlich flexibler als in Deutschland.320 In einigen Mitgliedstaaten ist es beispielsweise möglich, die Vorzüge einer börsenfähigen Rechtsform mit der Sicherstellung besonderer Einflussrechte bestimmter Anteilsinhaber auf die Geschäftsführung und die Struktur der Gesellschaft zu vereinen.321 In anderen Mitgliedstaaten lässt sich die Beteiligung an einer Aktiengesellschaft durch Schaffung einer beliebigen Anzahl unterschiedlich ausgestalteter Aktiengattungen sehr differenziert ausgestalten.322 Bestimmten Aktionären oder Aktionärsgruppen können etwa bindende Vorschlagsrechte für die Besetzung von Vorstands- oder Aufsichtsratspositionen eingeräumt oder eine überproportionale Gewinnbeteiligung zugestanden werden.323 Ferner kann das erforderliche Beschlussquorum für Strukturmaßnamen für den Fall herabgesetzt werden, dass diese auf den Vorschlag der Inhaber einer bestimmten Aktiengattung zurückgehen.324 Überdies sind die Informations-, Widerspruchs- und Kontrollrechte von Minderheitsgesellschaftern in anderen Mitgliedstaaten weniger stark ausgeprägt oder können in größerem Umfang abbedungen werden als hierzulande. Schließlich kann die Gesellschaftsstruktur EU-ausländischer Rechtsformen – etwa durch die Ermöglichung des monistischen Modells eines einheitlichen Verwaltungsorgans (one-tier system) – flexibler ausgestaltet werden.325 Ein weitgehender Gestaltungsspielraum im Hinblick auf die Anzahl der Gesellschaftsorgane, deren Besetzung und deren Kompetenzen ist für viele Gesellschaften von zentraler Bedeutung. 326 318

Hirte/Bücker, Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 3, Rn. 22. Vgl. Hirte/Bücker, Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 3, Rn. 17; Hopt, in: Lutter/Wiedemann, Gestaltungsfreiheit, 1998, S. 134 ff.; Stiegler, Rechtsformwechsel, 2013, S. 8; Thölke/Spanger, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 2, Rn. 59 f.; Weller, FS Goette, 2011, 583 (585); Weller, FS Blaurock, 2013, 497 (505). 320 Vgl. Hopt, in: Lutter/Wiedemann, Gestaltungsfreiheit, 1998, S. 135 ff. 321 Vgl. Hirte/Bücker, Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 3, Rn. 20. 322 Vgl. Hirte/Bücker, Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 3, Rn. 18. 323 Vgl. Hirte/Bücker, Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 3, Rn. 18 ff. 324 Vgl. Hirte/Bücker, Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 3, Rn. 20. 325 Vgl. Hirte/Bücker, Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 3, Rn. 26; Hopt, in: Lutter/Wiedemann, Gestaltungsfreiheit, 1998, S. 137 f.; Weller, FS Goette, 2011, 583 (585). 326 Vgl. Thölke/Spanger, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 2, Rn. 60. 319

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2. Identität des Rechtsträgers Der besondere Reiz eines grenzüberschreitenden Formwechsels liegt darin, dass der Wechsel der Rechtsform die rechtliche Identität der Gesellschaft als Rechtsträger nicht berührt.327 Die Gesellschaft streift nach einer im Schrifttum verbreiteten und anschaulichen Umschreibung lediglich das „Rechtskleid“ des Herkunftsstaates ab und nimmt die Rechtsform des Aufnahmestaates an.328 Sie muss weder im Herkunftsstaat zeit- und kostenintensiv abgewickelt, liquidiert und aufgelöst noch im Aufnahmestaat neu gegründet werden.329 Vor und nach der Umwandlung handelt es sich bei der Gesellschaft um ein und dieselbe Rechtsperson.330 Sie bleibt als Zuordnungssubjekt von Rechten und Pflichten erhalten und somit Inhaberin sämtlicher Vermögensgegenstände und Forderungen sowie Schuldnerin sämtlicher Verbindlichkeiten. 331 Daher bedarf es keiner Überleitung von Vertragsverhältnissen mit Dritten im Wege von Vertragsübernahmen.332 Die Identität der Gesellschaft als Rechtsträger ist von eminenter Bedeutung, weil der Formwechsel damit ohne die Nachteile vonstattengeht, welche 327

Vgl. V. Braun, Wegzugsfreiheit, 2010, S. 228; Decher/Hoger, in: Lutter, UmwG, Bd. II, Vor § 190, Rn. 27; Grundmann, Europ. GesR, § 24, Rn. 835; Hoffmann, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 54, Rn. 10; Jaensch, EWS 2012, 353 (356); Kindler, EuZW 2012, 888 (890); Krebs, GWR 2014, 144 (146); Neye, EWiR 2014, 45 (46); Prelic/Prostor, ZfRV 2014, 27 (32 f.); Stiegler, Rechtsformwechsel, 2013, S. 7; Thiermann, EuZW 2012, 209 (211); Vossius, in: Widmann/Mayer, UmwR, 134. EL (2012), § 191 UmwG, Rn. 192; Wasmeier, Umstrukturierung, 2014, S. 15 ff.; Wicke, DStR 2012, 1756 (1757); Weller, FS Blaurock, 2013, 497 (511); Weller/Rentsch, IPRax 2013, 530 (530); a.A. GA Jääskinen, Schlussanträge vom 15.12.2011, Rs. C-378/10 – VALE Építési, Rn. 52; Barthel, EWS 2011, 131 (139), der von Gesamtrechtsnachfolge spricht, dabei jedoch das Konzept des Generalanwalts von der „grenzüberschreitenden Neugründung einer Gesellschaft“ vor Augen hat; offenbar auch Schön, ECFR 2006, 122 (144); Schön, ZGR 2013, 333 (339); Schönhaus/Müller, IStR 2013, 174 (175); siehe allgemein zum Identitätsdogma auch Zöllner, FS Claussen, 1997, 423 (424 ff.). 328 Vgl. Barthel, EWS 2011, 131 (135); Bayer/J. Schmidt, ZHR 173 (2009), 735 (756 f.); Benrath/König, DK 2012, 377 (380); V. Braun, Wegzugsfreiheit, 2010, S. 228; Herrler, DNotZ 2009, 484 (488); Jaensch, EWS 2012, 353 (357); Mörsdorf/Jopen, ZIP 2012, 1398 (1398); Neye, EWiR 2014, 45 (46); W.-H. Roth, FS Heldrich, 2005, 973 (978); Szydlo, ECFR 2010, 414 (415); Thiermann, EuZW 2012, 209 (212); Verse, ZEuP 2013, 458 (476); Weller, DStR 2004, 1218 (1219); Weller, LMK 2012, 336113; Weller, FS Blaurock, 2013, 497 (511); Zöllner, FS Claussen, 1997, 423 (427 f.). 329 Vgl. D. Braun, DZWir 2012, 411 (413); Mörsdorf, EuZW 2009, 97 (100); Mörsdorf/ Jopen, ZIP 2012, 1398 (1398); Teichmann, ZGR 2011, 639 (687). 330 Teichmann/Ptak, RIW 2010, 817 (819). 331 Vgl. Schönhaus/Müller, IStR 2013, 174 (177); Stiegler, Rechtsformwechsel, 2013, S. 4; Thiermann, EuZW 2012, 209 (211); Wasmeier, Umstrukturierung, 2014, S. 16. 332 Vgl. Schönhaus/Müller, IStR 2013, 174 (177); Weller, DStR 2004, 1218 (1218); Weller, LMK 2012, 336113; Weller, FS Blaurock, 2013, 497 (512); Zöllner, FS Claussen, 1997, 423 (427 f.).

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mit einem Rechtsübergang im Wege der Gesamtrechtsnachfolge typischerweise verbunden sind. Zum einen behalten öffentlich-rechtliche Genehmigungen ihre Wirksamkeit, deren Bestand im Falle einer Gesamtrechtsnachfolge typischerweise gefährdet ist.333 Zum anderen werden in change-ofcontrol-Klauseln vorgesehene Kündigungsrechte nicht ausgelöst.334 Schließlich fällt keine Grunderwerbssteuer an, weil sich mangels Rechtsträgerwechsels die Eigentumsverhältnisse an den im Gesellschaftsvermögen befindlichen Grundstücken nicht verändern.335 3. Sonstige Erwägungen Beabsichtigt eine Gesellschaft, ihre Geschäftstätigkeit in einen anderen Mitgliedstaat zu verlagern, sollte ein Wechsel in eine Rechtsform dieses Mitgliedstaates stets in Betracht gezogen werden. Potentielle Geschäftspartner sowie hoheitliche Stellen bringen den ihnen vertrauten einheimischen Rechtsformen regelmäßig mehr Vertrauen entgegen als EU-ausländischen Rechtsformen, welche ihnen mehr oder minder unbekannt sind.336 In Deutschland haftet etwa der englischen Ltd. noch immer ein unseriöser Ruf an, weil diese Rechtsform hierzulande in der Vergangenheit vor allem dazu genutzt wurde, die Gründungskosten einer GmbH zu sparen und gleichwohl kostengünstig in den Genuss einer Haftungsbeschränkung auf das Gesellschaftsvermögen zu kommen.337 Durch einen grenzüberschreitenden Formwechsel können sich zudem der allgemeine Gerichtsstand der Gesellschaft sowie die internationale Zuständigkeit für gesellschaftsinterne Streitigkeiten gemäß Art. 22 Nr. 2 EuGVVO

333

Vgl. Krebs, GWR 2014, 144 (146); Messenzehl/Schwarzfischer, BB 2012, 2072 (2072); Mörsdorf-Schulte, KSzW 2014, 117 (123); Stiegler, Rechtsformwechsel, 2013, S. 9; Teichmann, DB 2012, 2085 (2091); Verse, ZEuP 2013, 458 (476), Fn. 88; Weller, FS Blaurock, 2013, 497 (512); Wicke, DStR 2012, 1756 (1759). 334 Vgl. Krebs, GWR 2014, 144 (146); Mörsdorf-Schulte, KSzW 2014, 117 (123); Schönhaus/Müller, IStR 2013, 174 (176); Stiegler, Rechtsformwechsel, 2013, S. 9; Vossius, in: Widmann/Mayer, UmwR, 134. EL (2012), § 191 UmwG, Rn. 39; Wasmeier, Umstrukturierung, 2014, S. 17; Weller, FS Blaurock, 2013, 497 (512); Wicke, DStR 2012, 1756 (1759). 335 Vgl. Ege/Klett, DStR 2012, 2442 (2445 f.); Krebs, GWR 2014, 144 (146); Schönhaus/Müller, IStR 2013, 174 (176); Stiegler, Rechtsformwechsel, 2013, S. 9; Verse, ZEuP 2013, 458 (476), Fn. 88; Wasmeier, Umstrukturierung, 2014, S. 16; Weller, LMK 2012, 336113; Weller, FS Blaurock, 2013, 497 (512); Wicke, DStR 2012, 1756 (1759). 336 Vgl. Benrath/König, DK 2012, 377 (378); Kieninger, RabelsZ 73 (2009), 607 (617); Mörsdorf, CMLR 2012, 629 (632); Ringe, ECFR 2013, 230 (260 f.). 337 Vgl. Ebert/Levedag, in: Süß/Wachter, Hdb. Int. GmbH-Recht, Länderbericht England, Rn. 58; Hirte/Bücker, Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 3, Rn. 7 f.; Ringe, ECFR 2013, 230 (260).

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ändern.338 Im Zusammenspiel mit einem weniger stark ausgeprägten Minderheitenschutz nach dem Gesellschaftsstatut der Zielrechtsform kann dies Motiv eines grenzüberschreitenden Formwechsels sein, insbesondere wenn Differenzen zwischen den Gesellschaftern bereits zutage treten und eine gerichtliche Auseinandersetzung droht. IV. Alternative Restrukturierungsmöglichkeiten Ein mit einem grenzüberschreitenden Formwechsel identischer oder zumindest vergleichbarer Rechtszustand lässt sich auch auf anderem Wege herstellen. Die Restrukturierungsalternativen, welche sich den Entscheidungsträgern bieten, sind mit gewissen Vorzügen, aber auch spezifischen Nachteilen verbunden. 1. Grenzüberschreitende Verschmelzung Ein vergleichbarer Rechtszustand kann oftmals im Wege einer grenzüberschreitenden Verschmelzung herbeigeführt werden. Die formwechselwillige Gesellschaft gründet zu diesem Zweck im Aufnahmestaat eine Tochtergesellschaft der erwünschten Zielrechtsform. Anschließend wird die Gesellschaft grenzüberschreitend auf ihre Tochtergesellschaft verschmolzen. Im Zuge der Umwandlung geht das Gesellschaftsvermögen als Ganzes auf die Tochtergesellschaft über und die Gesellschaft wird aufgelöst. a) Vorzüge Für die Durchführung der Restrukturierung im Wege einer grenzüberschreitenden Verschmelzung spricht in erster Linie die Möglichkeit, den Umwandlungsvorgang rechtssicher durchführen zu können. In Umsetzung der Internationalen Verschmelzungsrichtlinie haben sämtliche Mitgliedstaaten zwischenzeitlich Regelungen geschaffen, welche eine detaillierte verfahrensrechtliche Grundlage für den Umwandlungsvorgang bieten. Demgegenüber entbehren grenzüberschreitende Formwechsel in den meisten Mitgliedstaaten einer normativen Rechtsgrundlage und sind nach wie vor mit einem erheblichen Maß an Rechtsunsicherheit behaftet. Aufgrund dessen schrecken formwechselwillige Gesellschaften vor der Inanspruchnahme dieser Umwandlungsmöglichkeit oftmals noch zurück. In der Regel setzen sie auf rechtssichere Restrukturierungsmöglichkeiten und wollen die von der Umwandlung erhofften Vorteile nicht erst unter Berufung auf das Unionsrecht erkämpfen.339 Dementsprechend wird in der Beratungspraxis von der Durchführung 338 Vgl. BGH, NJW 2011, 3372 (3374); OLG Frankfurt, NZG 2010, 582 (583); Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 600 ff.; Mucciarelli, ECFR 2005, 512 (519 f.); Ringe, ECFR 2013, 230 (259); Szydlo, ECFR 2010, 414 (416). 339 Vgl. Thölke/Spanger, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 2, Rn. 30.

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grenzüberschreitender Formwechsel noch verbreitet abgeraten.340 Die Umwandlung einer Gesellschaft auf dem Wege einer grenzüberschreitenden Verschmelzung wird als attraktiveres Restrukturierungsinstrument angesehen.341 b) Nachteile Im Vergleich zu einem grenzüberschreitenden Formwechsel dürfte die Umwandlung im Wege einer grenzüberschreitenden Verschmelzung die zeit- und kostenintensivere Alternative darstellen.342 Dies gilt jedenfalls dann, wenn zunächst eine Tochtergesellschaft im Aufnahmestaat gegründet werden muss, auf welche die formwechselwillige Gesellschaft im Anschluss verschmolzen wird. Zudem steht die Möglichkeit, eine grenzüberschreitende Verschmelzung rechtssicher durchzuführen, aufgrund des eingeschränkten Anwendungsbereichs der Internationalen Verschmelzungsrichtlinie lediglich Kapitalgesellschaften offen. Da der Rechtsübergang bei einer Verschmelzung rechtstechnisch im Wege der Gesamtrechtsnachfolge erfolgt, entbehrt der Vorgang ferner der Vorzüge, welche mit der Identität des Rechtsträgers beim Formwechsel verbunden sind. Dies kann insbesondere dann einen wirtschaftlich bedeutenden Unterschied machen, wenn die Gesellschaft über nennenswerten Grundbesitz verfügt.343 Anders als beim Formwechsel kommt es bei der Verschmelzung infolge der Gesamtrechtsnachfolge zu einem Eigentümerwechsel.344 Daher ist die Verschmelzung im Gegensatz zum Formwechsel grundsätzlich auch grunderwerbssteuerpflichtig.345 2. Grenzüberschreitende Neugründung Alternativ zum grenzüberschreitenden Formwechsel haben die Entscheidungsträger die Möglichkeit, die Gesellschaft im Herkunftsstaat aufzulösen 340

Vgl. Herrler, DNotZ 2009, 484 (491); Krebs, GWR 2014, 144 (147); Messenzehl/ Schwarzfischer, BB 2012, 2072 (2073); Otte/Rietschel, GmbHR 2009, 983 (988); van Eck/Roelofs, ECL 2012, 319 (323). 341 Vgl. Habersack/Verse, Europ. GesR, § 3, Rn. 21; Heckschen, in: Widmann/Mayer, UmwR, 103. EL (2008), § 1 UmwG, Rn. 203; van Eck/Roelofs, ECL 2012, 319 (323); Vermeylen/Vande Velde, ECBMR, Kap. 2, Rn. 2.03. 342 Vgl. Benrath/König, DK 2012, 377 (378); D. Braun, DZWir 2012, 411 (413); Hansen, ECFR 2013, 1 (15); Mörsdorf, CMLR 2012, 629 (630); Mucciarelli, ECFR 2012, 571 (572); Stiegler, Rechtsformwechsel, 2013, S. 10; Wasmeier, Umstrukturierung, 2014, S. 15. 343 Vgl. Weller, LMK 2012, 336113; Wicke, DStR 2012, 1756 (1759). 344 Vgl. Ege/Klett, DStR 2012, 2442 (2445); Weller, LMK 2012, 336113. 345 Vgl. Drygala, in: Lutter, UmwG, Bd. I, § 1, Rn. 19, Fn. 5; Ege/Klett, DStR 2012, 2442 (2445 f.); Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 787; Krebs, GWR 2014, 144 (146); Mörsdorf-Schulte, KSzW 2014, 117 (123); Teichmann, DB 2012, 2085 (2091); Weller, LMK 2012, 336113.

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und zu liquidieren, eine Gesellschaft der erwünschten Rechtsform im Aufnahmestaat unter Einbringung der Vermögensgegenstände der aufgelösten Gesellschaft originär zu gründen und die beabsichtigte Geschäftstätigkeit sodann in dieser Rechtsform auszuüben. a) Vorzüge Im Gegensatz zu einem grenzüberschreitenden Formwechsel ist eine Restrukturierung im Wege einer grenzüberschreitenden Neugründung ohne Weiteres auf einer rechtssicheren Grundlage durchführbar. Bei dieser Gestaltung besteht zwischen der Gesellschaft im Herkunftsstaat und der Gesellschaft im Aufnahmestaat allerdings keine Identität. Der Vorgang geht mit der Gründung eines neuen Rechtsträgers einher. Anders als bei der grenzüberschreitenden Verschmelzung erfolgt zudem kein Rechtsübergang kraft Gesetzes, auch nicht im Wege der Gesamtrechtsnachfolge. Dies mag in spezifischen Situationen erstrebenswert sein; in aller Regel möchten die Entscheidungsträger den Übergang des Gesellschaftsvermögens auf die EU-ausländische Zielrechtsform jedoch sichergestellt wissen. b) Nachteile Die Diskontinuität des Rechtsträgers bei einer Restrukturierung im Wege einer grenzüberschreitenden Neugründung ist mit beträchtlichen tatsächlichen und rechtlichen Nachteilen verbunden. Auflösung und Liquidation im Herkunftsstaat sowie Neugründung unter Einzeleinbringung aller Vermögensgegenstände im Aufnahmestaat dürften im Vergleich zu einem grenzüberschreitenden Formwechsel mehr Zeit zur Durchführung in Anspruch nehmen und zudem höhere Kosten verursachen.346 Die Überführung des Gesellschaftsvermögens auf die neu gegründete Gesellschaft kann sich zudem mangels Gesamtrechtsnachfolge als problematisch erweisen. 347 Jedenfalls wäre diese Vorgehensweise steuerrechtlich problematisch, weil sie zur Aufdeckung der stillen Reserven der Gesellschaft führt.348 Schließlich vermag der Vorgang auch nicht den Fortbestand der Vertragsbeziehungen mit Dritten zu gewährleisten.349 Aufgrund dessen dürfte eine Restrukturierung auf diesem Wege

346 Vgl. D. Braun, DZWir 2012, 411 (413); Geyhalter/Weber, DStR 2006, 146 (150); Jaensch, EWS 2012, 353 (354); Schön, ECFR 2006, 122 (144); siehe auch EuGH, Urteil vom 13.12.2005, Rs. C-411/03 – SEVIC Systems, Slg. 2005, I-10805, Rn. 21 in Bezug auf die grenzüberschreitende Verschmelzung. 347 Vgl. Benrath/König, DK 2012, 377 (378). 348 Vgl. Gower/Davies, Company Law, Pt. 1, Rn. 6-19; Just, Limited, Kap. XIII, Rn. 380. 349 Vgl. Benrath/König, DK 2012, 377 (377); Jaensch, EWS 2012, 353 (354); Just, Limited, Kap. XIII, Rn. 380.

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Kapitel 1: Gesellschaftsmobilität im europäischen Binnenmarkt

eher ein Mittel zu einem wirtschaftlichen Neuanfang als zur Fortführung einer wirtschaftlichen Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat darstellen. 3. Grenzüberschreitende Anwachsung Eine Alternative zu einem grenzüberschreitenden Formwechsel besteht ferner in der Möglichkeit einer Restrukturierung im Wege der grenzüberschreitenden Anwachsung. Auf diesem Wege kann sich eine deutsche Personengesellschaft in eine EU-ausländische Rechtsform umwandeln.350 Nach den Grundsätzen des Personengesellschaftsrechts hat der Austritt des vorletzten Gesellschafters aus einer Personengesellschaft zur Folge, dass das Gesellschaftsvermögen ohne Liquidation im Wege der Gesamtrechtsnachfolge beim letzten Gesellschafter anwächst.351 Handelt es sich bei dem letzten Gesellschafter um eine EU-ausländische Gesellschaft wächst dieser zum Zeitpunkt des Austritts des vorletzten Gesellschafters das gesamte Vermögen der Personengesellschaft an. Als Zielrechtsformen kommen sowohl Personen- als auch Kapitalgesellschaften in Betracht.352 a) Vorzüge Da Personengesellschaften die Möglichkeit einer grenzüberschreitenden Verschmelzung – zumindest auf Basis der Internationalen Verschmelzungsrichtlinie – nicht offensteht, kann eine Restrukturierung im Wege der Anwachsung für diese eine sinnvolle Alternative zu einem grenzüberschreitenden Formwechsel darstellen.353 Sie bedarf nicht der Durchführung eines komplexen und zeitintensiven Umwandlungsverfahrens. Die Anwachsung des Vermögens der Personengesellschaft beim letzten Gesellschafter erfolgt vielmehr kraft Gesetzes zum Zeitpunkt des Austritts des vorletzten Gesellschafters. b) Nachteile Eine Restrukturierung im Wege einer grenzüberschreitenden Anwachsung kommt allerdings lediglich zum Zwecke der Umwandlung von Personengesellschaften in Betracht. Die Zulässigkeit von Ein-Personen-Kapitalgesell350

Vgl. Drygala, in: Lutter, UmwG, Bd. I, § 1, Rn. 49; Ege/Klett, DStR 2012, 2442 (2446); Hirte/Bücker, Grenzüberschreitende Gesellschaften, § 3, Rn. 67 ff.; Lutter/Drygala, JZ 2006, 770 (772); Mayer, in: Widmann/Mayer, UmwR, 98. EL (2007), Einf. UmwG, Rn. 230; Wasmeier, Umstrukturierung, 2014, S. 7; Wicke, DStR 2012, 1756 (1759). 351 Vgl. Drygala, in: Lutter, UmwG, Bd. I, § 1, Rn. 51; Ege/Klett, DStR 2012, 2442 (2446); Lutter/Drygala, JZ 2006, 770 (772); Vossius, in: Widmann/Mayer, UmwR, 134. EL (2012), § 191 UmwG, Rn. 41. 352 Ege/Klett, DStR 2012, 2442 (2446). 353 Vgl. Drygala, in: Lutter, UmwG, Bd. I, § 1, Rn. 51; Vossius, in: Widmann/Mayer, UmwR, 134. EL (2012), § 191 UmwG, Rn. 43.

§ 2 Motivation grenzüberschreitender Mobilität

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schaften ist mittlerweile gesetzlich anerkannt. Der Austritt des vorletzten Gesellschafters einer Kapitalgesellschaft führt daher nicht zur Anwachsung des Gesellschaftsvermögens beim letzten Gesellschafter. Voraussetzung der Durchführung dieser Restrukturierung ist ferner ein überschaubarer beziehungsweise einträchtiger Gesellschafterkreis. Für Publikums-Personengesellschaften dürfte es sich um eine Gestaltungsalternative theoretischer Natur handeln. Zudem setzt die Restrukturierung die vorherige Existenz der EUausländischen Gesellschaft als Zielrechtsform und deren Beteiligung an der deutschen Personengesellschaft voraus. Sofern die Gesellschaft im Aufnahmestaat zu diesem Zwecke erst gegründet werden muss, verspricht der Vorgang unter Zeit- und Kostengesichtspunkten gegenüber einem grenzüberschreitenden Formwechsel keine Vorteile. Zudem führt er zu einem Vermögensübergang im Wege der Gesamtrechtsnachfolge mit dessen spezifischen Nachteilen. V. Zwischenergebnis Bei der Entscheidung einer Gesellschaft über den Standort des Unternehmens kommen neben unternehmensstrategischen vor allem steuer- und insolvenzrechtliche Erwägungen zum Tragen. Eine Gesellschaft kann sich die Standortvorteile eines anderen Mitgliedstaates auf unterschiedliche Art und Weise zunutze machen. Der grenzüberschreitende Formwechsel stellt ein mögliches Restrukturierungsinstrument dar, um den Standort eines Unternehmens im Fall der Veränderung ökonomischer oder politischer Rahmenbedingungen in einem Mitgliedstaat zu verlagern. Er bietet einer Gesellschaft die Möglichkeit, die Wahl eines tatsächlichen Standorts in einem anderen Mitgliedstaat mit dem Wechsel der lex societatis zu verbinden. Das Restrukturierungsinstrument ist besonders attraktiv, weil die Identität der Gesellschaft als Rechtsträger von der Umwandlung nicht berührt wird. Die Nachteile, welche mit einem Rechtsübergang im Wege der Gesamtrechtsnachfolge verbunden sind, spielen bei der Durchführung grenzüberschreitender Formwechsel keine Rolle. Ein Wechsel der Organisationsverfassung der Gesellschaft kann vielfältige Vorteile mit sich bringen. Sobald die in Bezug auf die Durchführung grenzüberschreitender Formwechsel derzeit bestehende Rechtsunsicherheit ausgeräumt ist, verspricht er ein interessantes Restrukturierungsinstrument zu werden.

Kapitel 2

Die Niederlassungsfreiheit der Gesellschaften § 3 Der Gewährleistungsgehalt der Niederlassungsfreiheit § 3 Der Gewährleistungsgehalt der Niederlassungsfreiheit

I. Einführung Normativer Ausgangspunkt aller Überlegungen zur Niederlassungsfreiheit der Gesellschaften im Binnenmarkt sind die Art. 49 ff. AEUV. Beschränkungen der freien Niederlassung der Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates sind gemäß Art. 49 Abs. 1 AEUV grundsätzlich verboten. Die Niederlassungsfreiheit umfasst die Aufnahme und Ausübung selbstständiger Erwerbstätigkeiten sowie die Gründung und Leitung von Unternehmen, insbesondere von Gesellschaften, nach den Bestimmungen des Aufnahmestaates für seine eigenen Angehörigen (Art. 49 Abs. 2 AEUV). Träger der Niederlassungsfreiheit sind zunächst die Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten. Diesen stehen jedoch gemäß Art. 54 Abs. 1 AEUV die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates gegründeten Gesellschaften gleich, welche ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der Europäischen Union haben. In diesen Regelungen erschöpft sich im Wesentlichen das kodifizierte Recht. Als Grundlage der nachfolgenden Untersuchung der Ausprägungsformen grenzüberschreitender Mobilität von Gesellschaften ist ein zutreffendes Verständnis hinsichtlich des Anwendungsbereichs (vgl. § 3 II.) und Gewährleistungsinhalts der Niederlassungsfreiheit (vgl. § 3 III.) unerlässlich. II. Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit In Abwesenheit sekundärrechtlicher Harmonisierungsvorschriften sind die Mitgliedstaaten zur rechtlichen Ausgestaltung der Niederlassungsbedingungen in ihrem jeweiligen Hoheitsgebiet befugt.1 Die unmittelbare Anwendbarkeit der Niederlassungsfreiheit wird durch die Regelungszuständigkeit der Mitgliedstaaten jedoch nicht berührt.2 Art. 49 AEUV gewährt den Trägern 1

Vgl. Altmeppen/Ego, in: MünchKomm-AktG, Bd. 7, Europ. Niederlassungsfreiheit, Rn. 159; Bröhmer, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV, Rn. 22; Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV, Rn. 2. 2 Vgl. Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV, Rn. 2; G.H. Roth, Niederlassungsfreiheit, 2010, S. 52.

§ 3 Der Gewährleistungsgehalt der Niederlassungsfreiheit

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der Niederlassungsfreiheit ein unmittelbar anwendbares, subjektives Recht, das von den Mitgliedstaaten ex officio zu beachten ist, ohne dass es dafür weiterer Rechtssetzungsakte bedarf.3 Das Instrument der Rechtsangleichung durch Sekundärrechtsakte wird systematisch durch die Niederlassungsfreiheit ergänzt.4 Niederlassungsfreiheit und Rechtsangleichungskompetenz bilden komplementäre Instrumente, die gemeinsam der Herstellung des Binnenmarktes dienen.5 Durch die Gewährleistung eines unmittelbar anwendbaren subjektiven Rechts entfaltet die Niederlassungsfreiheit ihre Wirkung insbesondere dort, wo es an einer sekundärrechtlichen Harmonisierung fehlt. 6 Die Mitgliedstaaten erleiden insoweit eine Einschränkung ihrer Regelungskompetenz ausgerechnet in den Rechtsbereichen, die im Grunde noch ihrer Zuständigkeit unterliegen.7 Sie sind verpflichtet, das Niederlassungsrecht der Unionsangehörigen bei der Regelung niederlassungsrelevanter Rechtsbereiche zu achten. 1. Sachlicher Anwendungsbereich Beschränkungen der Niederlassung in einem anderen Mitgliedstaat sind gemäß Art. 49 AEUV verboten. In Anlehnung an die Normstruktur des Art. 49 Abs. 1 AEUV wird herkömmlich zwischen der primären und der sekundären Niederlassungsfreiheit unterschieden.8 Dieser Unterscheidung bedarf es jedoch in aller Regel nicht. Das Beschränkungsverbot gilt für beide Niederlassungsformen gleichermaßen.9 Ob ein tatsächlicher Vorgang in den sachlichen Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit fällt, entscheidet sich eben3

Vgl. EuGH, Urteil vom 24.6.1974, Rs. 2/74 – Reyners, Slg. 1974, 631, Rn. 29/31; EuGH, Urteil vom 13.12.2005, Rs. C-411/03 – SEVIC Systems, Slg. 2005, I-10805, Rn. 26; EuGH, Urteil vom 12.7.2012, Rs. C-378/10 – VALE Építési, Rn. 38; Altmeppen/Ego, in: MünchKomm-AktG, Bd. 7, Europ. Niederlassungsfreiheit, Rn. 6; Forsthoff, in: Grabitz/ Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 49. EL (2012), Art. 49 AEUV, Rn. 69; Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV, Rn. 2 und 9; Schlag, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 49 AEUV, Rn. 3. 4 Vgl. Teichmann, ZIP 2006, 335 (359 f.); Teichmann, ZGR 2011, 639 (655). 5 Teichmann, ZGR 2011, 639 (646). 6 Vgl. EuGH, Urteil vom 9.3.1999, Rs. C-212/97 – Centros, Slg. 1999, I-1459, Rn. 28; EuGH, Urteil vom 13.12.2005, Rs. C-411/03 – SEVIC Systems, Slg. 2005, I-10805, Rn. 26; EuGH, Urteil vom 12.7.2012, Rs. C-378/10 – VALE Építési, Rn. 38. 7 Teichmann, ZGR 2011, 639 (650). 8 Vgl. Bröhmer, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV, Rn. 17 f.; Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 49. EL (2012), Art. 49 AEUV, Rn. 52 ff.; Habersack/Verse, Europ. GesR, § 3, Rn. 2; Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV, Rn. 21 ff.; Schlag, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 49 AEUV, Rn. 19 f. 9 Vgl. Bröhmer, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV, Rn. 18; Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 49. EL (2012), Art. 49 AEUV, Rn. 53.

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Kapitel 2: Die Niederlassungsfreiheit der Gesellschaften

falls nicht anhand der Kriterien der primären und sekundären Niederlassungsfreiheit. Entscheidend ist vielmehr, dass der jeweilige Vorgang als tatbestandsmäßige Niederlassung in einem anderen Mitgliedstaat einzuordnen ist. Der Begriff der „Niederlassung“ wird durch die Bestimmungen der Art. 49 ff. AEUV nicht definiert. Um zu einer zutreffenden Auslegung zu gelangen, muss man zunächst die wirtschaftliche Zielsetzung der Niederlassungsfreiheit verinnerlichen. a) Ökonomische Zielsetzung Die Errichtung eines Binnenmarktes ist gemäß Art. 3 Abs. 3 S. 1 EUV Ziel der Europäischen Union. Darunter versteht man einen Wirtschaftsraum, in dem einzelstaatliche Grenzen keine Bedeutung haben.10 Im europäischen Binnenmarkt wird der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gewährleistet (Art. 26 Abs. 1 und 2 AEUV). Hinter dem Konzept des Binnenmarktes steht die Erwägung, dass die Mobilität von Produktionsfaktoren zwischen den Mitgliedstaaten zu einer Steigerung des öffentlichen Wohlstands führt.11 In einem funktionierenden Binnenmarkt lenken die Marktkräfte die Produktionsfaktoren dorthin, wo sie am effizientesten eingesetzt werden können.12 Dies führt im Ergebnis dazu, dass die Produktionsfaktoren dort alloziert werden, wo sie den größten volkswirtschaftlichen Nutzen erwirtschaften.13 Letztlich fördert dies die Wohlfahrt im gemeinsamen Wirtschaftsraum und trägt zur Verwirklichung der wirtschaftlichen und wohlfahrtsbezogenen Ziele des Art. 3 Abs. 3 EUV bei.14 Die Marktteilnehmer sollen die Entscheidung über die Allokation ihrer Ressourcen ungehindert von den Rechtswirkungen der Binnengrenzen treffen können.15 Um dieses Ziel zu erreichen, müssen alle nationalen Maßnahmen abgebaut werden, welche der grenzüberschreitenden Faktorallokation entgegenstehen.16 An diesem Punkt kommt die Niederlassungsfreiheit ins Spiel. Sie ist für die Verwirklichung des Binnenmarktes von grundlegender Bedeutung.17 Als normativer Baustein des Binnenmarktes sorgt sie dafür, dass

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Teichmann, ZIP 2009, 393 (397). Vgl. Schön, FS Wiedemann, 2002, 1271 (1280); Schön, ECFR 2006, 122 (125); Teichmann, ZIP 2009, 393 (397). 12 Teichmann, ZIP 2009, 393 (397). 13 Vgl. Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV, Rn. 5; Schön, ZGR 2013, 333 (353 f.). 14 Vgl. zu den ökonomischen Grundlagen Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV, Rn. 5 m.w.N. sowie Teichmann, ZGR 2011, 639 (647) m.w.N. 15 Schön, FS Wiedemann, 2002, 1271 (1290). 16 Teichmann, ZIP 2009, 393 (397). 17 Vgl. EuGH, Urteil vom 24.6.1974, Rs. 2/74 – Reyners, Slg. 1974, 631, Rn. 42/43; EuGH, Urteil vom 7.7.1976, Rs. 118/75 – Watson u.a., Slg. 1976, 1185, Rn. 16; EuGH, 11

§ 3 Der Gewährleistungsgehalt der Niederlassungsfreiheit

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grenzüberschreitende Niederlassungsvorgänge gegenüber vergleichbaren innerstaatlichen Sachverhalten nicht benachteiligt werden.18 Sie versetzt die Marktteilnehmer in die Lage, ihren Standort im Binnenmarkt frei und nach rein ökonomischen Gesichtspunkten zu wählen.19 Dadurch können Marktteilnehmer grenzüberschreitende Standortstrategien entwickeln, was mittelbar zu einem Wettbewerb der Standorte im Binnenmarkt führt. 20 Ein Teil des Schrifttums geht unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des EuGH in den Rechtssachen Centros und Inspire Art davon aus, dass die Niederlassungsfreiheit den Marktteilnehmern zudem die Freiheit verbürge, für eine wirtschaftliche Unternehmung die erwünschte rechtliche Organisationsform in Anspruch zu nehmen (Rechtswahlfreiheit).21 Die optimale Allokation von Ressourcen im Binnenmarkt setze voraus, dass die Organisation unternehmerischer Mittel in Form einer Gesellschaft möglichst frei gestaltet werden könne.22 Daher gewährleiste die Niederlassungsfreiheit den Markteilnehmern die Freiheit, diejenige rechtliche Struktur zu wählen, welche den bestmöglichen Einsatz betrieblicher Produktionsfaktoren ermögliche.23 Diese Rechtswahlfreiheit sei integraler Bestandteil der Niederlassungsfreiheit der Gründer einer Gesellschaft.24 Die Logik grenzüberschreitender Gesellschaftsmobilität bestehe darin, von einem effizienten Gesellschaftsrecht eines anderen Mitgliedstaates unabhängig von der tatsächlichen Integration in dessen Wirtschaft Gebrauch machen zu können.25 Die Rechtswahlfreiheit fördere einen grundsätzlich zu begrüßenden Wettbewerb der Gesellschaftsrechte unter den Mitgliedstaaten.26 Urteil vom 7.7.1992, Rs. C-370/90 – Singh, Slg. 1992, I-4265, Rn. 15; EuGH, Urteil vom 31.3.1993, Rs. C-19/92 – Kraus, Slg. 1993, I-1663, Rn. 29. 18 Vgl. Teichmann, ZGR 2011, 639 (648). 19 Vgl. Altmeppen/Ego, in: MünchKomm-AktG, Bd. 7, Europ. Niederlassungsfreiheit, Rn. 2; Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 49. EL (2012), Art. 49 AEUV, Rn. 112; Kieninger, ZGR 1999, 724 (730); Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV, Rn. 5; Schlag, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 49 AEUV, Rn. 4. 20 Vgl. Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV, Rn. 5. 21 Vgl. Borg-Barthet, ICLQ 2013, 503 (508); V. Braun, Wegzugsfreiheit, 2010, S. 247; Drygala, EuZW 2013, 569 (572); Eidenmüller, ZIP 2002, 2233 (2244); Eidenmüller, JZ 2004, 24 (24); Gower/Davies, Company Law, Pt. 1, Rn. 6-17; Jung, in: Schwarze, EUKommentar, Art. 54 AEUV, Rn. 27 f.; Schön, ECFR 2006, 122 (135); Schön, ZGR 2013, 333 (354); Szydlo, ECFR 2010, 414 (438); offenbar auch Biermeyer, CMLR 2013, 571 (588); Grohmann, DZWir 2009, 322 (327); Thölke/Spanger, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 2, Rn. 43. 22 Schön, FS Priester, 2007, 737 (742 f.). 23 Schön, ZGR 2013, 333 (354). 24 Schön, ECFR 2006, 122 (135). 25 Vgl. Biermeyer, CMLR 2013, 571 (588). 26 Eidenmüller, JZ 2004, 24 (33).

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Kapitel 2: Die Niederlassungsfreiheit der Gesellschaften

Richtigerweise wird eine Rechtswahlfreiheit in diesem Sinne nicht durch die Art. 49 ff. AEUV gewährleistet.27 Die Niederlassungsfreiheit schützt ausschließlich die Niederlassung als faktische Ansiedlung in einem anderen Mitgliedstaat.28 Nicht die rechtliche, sondern die physische Mobilität von Gesellschaften im Binnenmarkt wird durch die Niederlassungsfreiheit gewährleistet.29 Sie verbürgt den Marktteilnehmern die freie Entscheidung für einen bestimmten Standort, nicht hingegen die Entscheidung für das Recht eines Mitgliedstaates, zu dem keinerlei wirtschaftliche Beziehungen bestehen.30 An einer Rechtswahl ohne realen Bezug zum Mitgliedstaat der Wahl ist kein schutzwürdiges Interesse ersichtlich.31 Im Gegensatz zur tatsächlichen Ansiedlung in einem anderen Mitgliedstaat ist die Entscheidung für eine bestimmte Rechtsform nicht mit der Allokation von Produktionsfaktoren verbunden. Ziel der Niederlassungsfreiheit ist es jedoch gerade, eine volkswirtschaftlich sinnvolle Allokation von Ressourcen im Binnenmarkt zu ermöglichen. Die Inanspruchnahme der Rechtsform eines bestimmten Mitgliedstaates kann vor dem Hintergrund dieser Zielsetzung nicht Selbstzweck, sondern allenfalls Mittel zum Zweck sein.32 Die Niederlassungsfreiheit soll lediglich einen Standortwettbewerb zwischen den Mitgliedstaaten, nicht hingegen einen Wettbewerb der Gesellschaftsrechte ermöglichen.33 Zwar mag es im Hinblick auf die freiheitliche Wettbewerbsordnung des Binnenmarktes naheliegend erscheinen, die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten unter marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten als konkurrierende Rechtsangebote an die Marktteilnehmer zu begreifen.34 Es ist jedoch zweifelhaft, ob der Markt auch in der Hinsicht funktioniert, dass bei freier Wahl der Marktteilnehmer der objektiv besten Rechtsordnung zur Durchsetzung verholfen würde.35 Vielmehr ist zu befürchten, dass sich nach dem Muster des US-

27 Vgl. Bollacher, RIW 2012, 717 (718); Däubler/Heuschmid, NZG 2009, 493 (494); Kieninger, ZGR 1999, 724 (730 ff.); Kindler, NJW 2003, 1073 (1078); Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 364; Klinke, ECFR 2005, 270 (289); Mörsdorf, CMLR 2012, 629 (649); Mörsdorf/Jopen, ZIP 2012, 1398 (1399); Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 54 AEUV, Rn. 8; Rehberg, EuLF 2004, 1 (8); G.H. Roth, Niederlassungsfreiheit, 2010, S. 51; W.-H. Roth, FS Hoffmann-Becking, 2013, 965 (992); Teichmann, ZIP 2009, 393 (400 f.); Teichmann, ZGR 2011, 639 (669); Teichmann, DB 2012, 2085 (2087). 28 Vgl. Kieninger, ZGR 1999, 724 (730); Kindler, NJW 2003, 1073 (1078); Teichmann, DB 2012, 2085 (2087). 29 Vgl. Bollacher, RIW 2012, 717 (718); Mörsdorf/Jopen, ZIP 2012, 1398 (1399). 30 Vgl. Teichmann, ZGR 2011, 639 (669). 31 G.H. Roth, EuZW 2010, 607 (610). 32 Vgl. Kieninger, ZGR 1999, 724 (732). 33 Vgl. Kindler, NJW 1999, 1993 (2000). 34 Vgl. G.H. Roth, Niederlassungsfreiheit, 2010, S. 33. 35 G.H. Roth, Niederlassungsfreiheit, 2010, S. 33.

§ 3 Der Gewährleistungsgehalt der Niederlassungsfreiheit

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amerikanischen Delaware effect36 im Zuge eines race to the bottom dasjenige Gesellschaftsrecht durchsetzen würde, dass den Schutz berechtigter Drittinteressen größtmöglicher Gestaltungsfreiheit der Gesellschaftsgründer unterordnet.37 Zudem sollen Regelungsgefälle zwischen den Mitgliedstaaten nach der Konzeption des Primärrechts durch Rechtsangleichung ausgeglichen werden.38 Es ist nicht das Anliegen der Niederlassungsfreiheit die gezielte Ausnutzung solcher Regelungsunterschiede zu ermöglichen.39 Der Fortbestand der einzelnen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gehört ebenso wie die Niederlassungsfreiheit zum Wesen des Binnenmarktes.40 Sie schützt nicht allgemein gegen Unterschiede der Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten, welche von den Marktteilnehmern als belastend empfunden werden.41 b) Begriff der Niederlassung Das unionsrechtliche Binnenmarktkonzept und die wirtschaftliche Zielsetzung der Niederlassungsfreiheit bilden die wesentlichen Grundlagen für die Auslegung des Begriffs der Niederlassung. Der EuGH definiert die „Niederlassung“ in ständiger Rechtsprechung als tatsächliche Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mittels einer festen Einrichtung in einem anderen Mitgliedstaat auf unbestimmte Zeit.42 Der Begriff sei weit gefasst und impliziere die Möglichkeit eines Unionsangehörigen, in stabiler und kontinuierlicher Weise am Wirtschaftsleben eines anderen Mitgliedstaates als seines Herkunftsstaates teilzunehmen und daraus Nutzen zu ziehen.43 Dadurch werde die wirtschaftliche und soziale Verflechtung innerhalb der Gemeinschaft im

36 Vgl. Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 370, Fn. 475; Mucciarelli, TJICL 2012, 421 (423 f.). 37 Vgl. G.H. Roth, Niederlassungsfreiheit, 2010, S. 33; Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 370 ff. 38 Kindler, NJW 1999, 1993 (2000). 39 Kindler, NJW 1999, 1993 (2000). 40 Teichmann, ZGR 2011, 639 (653). 41 Teichmann, ZGR 2011, 639 (653). 42 Vgl. EuGH, Urteil vom 25.7.1991, Rs. C-221/89 – Factortame II, Slg. 1991, I-3905, Rn. 20; EuGH, Urteil vom 4.10.1991, Rs. C-246/89 – Kommission/Vereinigtes Königreich, Slg. 1991, 4585, Rn. 21; EuGH, Urteil vom 12.9.2006, Rs. C-196/04 – Cadbury Schweppes u.a., Slg. 2006, I-7995, Rn. 54; EuGH, Urteil vom 12.7.2012, Rs. C-378/10 – VALE Építési, Rn. 34. 43 Vgl. EuGH, Urteil vom 30.11.1995, Rs. C-55/94 – Gebhard, Slg. 1995, I-4165, Rn. 25; EuGH, Urteil vom 29.4.2004, Rs. C-171/02 – Kommission/Portugal, Slg. 2004, I-5645, Rn. 25; EuGH, Urteil vom 12.9.2006, Rs. C-196/04 – Cadbury Schweppes u.a., Slg. 2006, I-7995, Rn. 53; EuGH, Urteil vom 11.10.2007, Rs. C-451/05 – ELISA, Slg. 2007, I-8251, Rn. 63; EuGH, Urteil vom 11.3.2010, Rs. C-384/08 – Attanasio Group, Slg. 2010, I-2055, Rn. 36; EuGH, Urteil vom 26.10.2010, Rs. C-97/09 – Schmelz, Slg. 2010, I-10465, Rn. 37.

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Kapitel 2: Die Niederlassungsfreiheit der Gesellschaften

Bereich der selbstständigen Tätigkeiten gefördert.44 Im Schrifttum wird der spezifische Inhalt des Niederlassungsbegriffs ausgehend von der Definition des Gerichtshofs aus dem systematischen Kontext zu den anderen Grundfreiheiten bestimmt. 45 aa) Abgrenzungskriterien Die Begriffsbestimmung des EuGH entspricht der Zielsetzung der Niederlassungsfreiheit, den Unionsangehörigen die tatsächliche Ansiedlung in einem anderen Mitgliedstaat zum Zwecke der Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit zu ermöglichen (vgl. § 3 II. 1. a)). Sie enthält ein qualitatives Element (wirtschaftliche Tätigkeit), ein zeitliches Element (auf unbestimmte Zeit) sowie ein tatsächliches Element (tatsächliche Ausübung mittels einer festen Einrichtung).46 (1) Qualitatives Element Die Niederlassungsfreiheit gewährleistet die Aufnahme und Ausübung wirtschaftlicher Tätigkeiten, sofern sie nicht außerhalb der Sozialordnung liegen.47 Angesichts der ökonomischen Zielsetzung der Niederlassungsfreiheit und des wirtschaftlich ausgerichteten Binnenmarktkonzepts wird die Ausübung von Tätigkeiten ohne wirtschaftlichen Charakter von Art. 49 AEUV hingegen nicht gewährleistet.48 Ebenfalls nicht erfasst wird die nichtunternehmerische Kapitalbeteiligung an Gesellschaften durch Erwerb von Gesellschaftsanteilen.49 Diese wird grundsätzlich durch die Kapitalverkehrsfreiheit gewährleistet. Eine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne des Art. 49 AEUV

44 Vgl. EuGH, Urteil vom 30.11.1995, Rs. C-55/94 – Gebhard, Slg. 1995, I-4165, Rn. 25; EuGH, Urteil vom 12.9.2006, Rs. C-196/04 – Cadbury Schweppes u.a., Slg. 2006, I-7995, Rn. 53; EuGH, Urteil vom 11.10.2007, Rs. C-451/05 – ELISA, Slg. 2007, I-8251, Rn. 63; EuGH, Urteil vom 26.10.2010, Rs. C-97/09 – Schmelz, Slg. 2010, I-10465, Rn. 37. 45 Vgl. Altmeppen/Ego, in: MünchKomm-AktG, Bd. 7, Europ. Niederlassungsfreiheit, Rn. 27 ff.; Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 49. EL (2012), Art. 49 AEUV, Rn. 16 ff.; Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV, Rn. 11 ff.; Schlag, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 49 AEUV, Rn. 15 ff.; Teichmann, ZGR 2011, 639 (663). 46 Ähnlich Schlag, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 49 AEUV, Rn. 15. 47 Vgl. Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 49. EL (2012), Art. 49 AEUV, Rn. 20; Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV, Rn. 12. 48 Vgl. OLG Zweibrücken, NZG 2005, 1019 (1019); Leuering, ZRP 2008, 73 (74 f.); Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV, Rn. 13; Schlag, in: Schwarze, EUKommentar, Art. 49 AEUV, Rn. 18. 49 Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV, Rn. 15.

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liegt nur bei einer unternehmerischen Kapitalbeteiligung vor, welche die Kontrolle über die Geschäftstätigkeit der Gesellschaft ermöglicht.50 (2) Zeitliches Element Der Begriff der Niederlassung setzt ferner eine stetige und dauerhafte beziehungsweise stabile und kontinuierliche Teilnahme am Wirtschaftsleben in einem anderen Mitgliedstaat voraus.51 Die Niederlassungsfreiheit ist tatbestandlich nur einschlägig, wenn sich der betreffende Marktteilnehmer in einem anderen Mitgliedstaat niederlässt, um sich auf Dauer in dessen Wirtschaft zu integrieren.52 Die lediglich vorübergehende oder gelegentliche, nicht auf Dauer angelegte Erwerbstätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat unterfällt hingegen den Regeln über die Dienstleistungsfreiheit.53 (3) Tatsächliches Element Eine Niederlassung im Sinne des Art. 49 AEUV liegt nur vor, wenn eine wirtschaftliche Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat tatsächlich mittels einer festen Einrichtung ausgeübt wird.54 Erforderlich ist demnach zweierlei: Der Marktteilnehmer muss eine organisatorische Infrastruktur im Aufnahmestaat begründen und unterhalten sowie dort tatsächlich wirtschaftliche Aktivitäten entfalten. Eine tatsächliche Verwurzelung im Aufnahmestaat manifestiert sich üblicherweise in baulichen Einrichtungen wie Produktionsstätten, Lager- oder Büroräumen.55 Die Form der Einrichtung spielt allerdings keine Rolle, sofern sie dauerhaft besteht.56 Entscheidend ist, dass die Einrichtung den Marktteilnehmer in die Lage versetzt, eine echte und tatsächliche wirt-

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Vgl. Bröhmer, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV, Rn. 9; Habersack/ Verse, Europ. GesR, § 3, Rn. 2; Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV, Rn. 15; Schlag, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 49 AEUV, Rn. 11. 51 Vgl. EuGH, Urteil vom 30.11.1995, Rs. C-55/94 – Gebhard, Slg. 1995, I-4165, Rn. 25; EuGH, Urteil vom 17.6.1997, Rs. C-70/95 – Sodemare, Slg. 1997, I-3395, Rn. 24; EuGH, Urteil vom 29.4.2004, Rs. C-171/02 – Kommission/Portugal, Slg. 2004, I-5645, Rn. 25; Bröhmer, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV, Rn. 13 f.; MüllerGraff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV, Rn. 16; Schlag, in: Schwarze, EUKommentar, Art. 49 AEUV, Rn. 16. 52 Schlag, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 49 AEUV, Rn. 2 und 16. 53 Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV, Rn. 16. 54 Vgl. Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 49. EL (2012), Art. 49 AEUV, Rn. 36; Schlag, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 49 AEUV, Rn. 17. 55 Vgl. EuGH, Urteil vom 26.10.2010, Rs. C-97/09 – Schmelz, Slg. 2010, I-10465, Rn. 38; Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV, Rn. 18. 56 Vgl. Bröhmer, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV, Rn. 12; MüllerGraff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV, Rn. 18.

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schaftliche Tätigkeit auszuüben.57 Der erforderliche Organisationsgrad hängt von den Anforderungen der jeweils ausgeübten Tätigkeit ab.58 Insoweit dürfen die Anforderungen jedoch nicht überspannt werden.59 Strebt ein Marktteilnehmer die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat erst an, kann nicht vorausgesetzt werden, dass er bereits über eine entsprechende Einrichtung verfügt, sondern es ist auf seine konkreten Planungen abzustellen.60 Zudem muss eine wirtschaftliche Tätigkeit im Aufnahmestaat tatsächlich ausgeübt werden. Durch dieses Kriterium wird sichergestellt, dass der Schutz der Niederlassungsfreiheit nicht durch eine nur zum Schein bestehende Niederlassung erschlichen wird.61 Es soll verhindert werden, dass Marktteilnehmer einen nicht niederlassungsrelevanten Sachverhalt in einer Art und Weise gestalten, welche ihnen die Berufung auf die Niederlassungsfreiheit ermöglicht.62 In der Phänomenologie des Rechtsmissbrauchs lassen sich Fälle der Normumgehung und der Normerschleichung unterscheiden.63 In den Fällen der Normumgehung begibt sich ein Inländer in einen anderen Mitgliedstaat, um in einem zweiten Schritt unter Ausnutzung der Niederlassungsfreiheit wirtschaftliche Tätigkeiten im Inland zu entfalten, ohne sich den vollen rechtlichen Rahmenbedingungen des Herkunftsstaates unterwerfen zu müssen. 64 Es wird ein grenzüberschreitender Sachverhalt künstlich geschaffen, um in den Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit zu gelangen.65 Kennzeichnend für diese Fälle ist, dass der betreffende Marktteilnehmer nach der Auslandsberührung in einer Kehrtwende sogleich auf den heimischen Markt zurückstrebt (u-turn construction).66 Dieses Vorgehen zielt typischerweise darauf

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Vgl. EuGH, Urteil vom 12.9.2006, Rs. C-196/04 – Cadbury Schweppes u.a., Slg. 2006, I-7995, Rn. 65 ff.; Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 49. EL (2012), Art. 49 AEUV, Rn. 37. 58 Vgl. Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 49. EL (2012), Art. 49 AEUV, Rn. 37; Schlag, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 49 AEUV, Rn. 17. 59 Vgl. Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 49. EL (2012), Art. 49 AEUV, Rn. 38; Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV, Rn. 18. 60 Vgl. EuGH, Urteil vom 22.12.2010, Rs. C-338/09 – Yellow Cab, Slg. 2010, I-13927, Rn. 35 ff.; Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 49. EL (2012), Art. 49 AEUV, Rn. 36. 61 Vgl. Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 49. EL (2012), Art. 49 AEUV, Rn. 24. 62 Vgl. Schön, FS Wiedemann, 2002, 1271 (1278). 63 Vgl. Fleischer, JZ 2003, 865 (869); Schön, FS Wiedemann, 2002, 1271 (1275). 64 Schön, FS Wiedemann, 2002, 1271 (1274). 65 Vgl. Rehberg, EuLF 2004, 1 (2); Schön, FS Wiedemann, 2002, 1271 (1275). 66 Fleischer, JZ 2003, 865 (869).

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ab, eine Regelungsdifferenz zwischen den Mitgliedstaaten auszunutzen.67 Demgegenüber zeichnen sich Fälle der Normerschleichung dadurch aus, dass ein EU-Ausländer sich unter Inanspruchnahme von Grundfreiheiten in das Inland begibt, um auf diese Weise Vorteile zu erlangen, welche ihm sonst nicht zustehen würden.68 Auf die Frage rechtsmissbräuchlicher Verhaltensweisen wird im Zusammenhang mit einzelnen Ausprägungsformen grenzüberschreitender Mobilität von Gesellschaften noch zurückzukommen sein. bb) Tatbestandsmerkmal oder Rechtfertigungskriterium? Die Rechtsprechung des EuGH zum Niederlassungsbegriff ist jenseits der herkömmlichen Definition uneinheitlich. Es ist unklar, auf welcher Prüfungsebene die Frage zu klären ist, ob ein tatsächlicher Vorgang eine Niederlassung in einem anderen Mitgliedstaat darstellt. (1) Entwicklung der Rechtsprechung Ausgangspunkt der Rechtsprechung des EuGH ist die Entscheidung in der Rechtssache Factortame II69, in welcher der Gerichtshof spanischen Fischern das Recht absprach, sich durch bloße Registrierung ihrer Schiffe im Vereinigten Königreich die dortigen Fangquoten zu sichern. In den Kategorien des Rechtsmissbrauchs handelte es sich um einen Fall der Normerschleichung. Der Gerichtshof erkannte, dass die bloße Eintragung in das Schiffsregister keine Niederlassung begründe, weil der Niederlassungsbegriff eine feste Einrichtung im Aufnahmestaat voraussetze.70 Das Vereinigte Königreich durfte die Registrierung der Schiffe davon abhängig machen, dass diese von seinem Territorium aus operieren und deren Einsatz von dort geleitet und überwacht wird.71 Der Entscheidung lässt sich entnehmen, dass ein bloßer Rechtsakt wie die Registrierung eines Schiffes keine Niederlassung im Sinne des Art. 49 AEUV begründen vermag und daher bereits den Tatbestand der Niederlassungsfreiheit nicht erfüllt.72 In den Rechtssachen Stauffer73 und Schmelz74 stellte der Gerichtshof ebenfalls auf Tatbestandsebene klar, dass 67 Vgl. Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 382; Schön, FS Wiedemann, 2002, 1271 (1274). 68 Vgl. Fleischer, JZ 2003, 865 (869); Schön, FS Wiedemann, 2002, 1271 (1274 f.). 69 EuGH, Urteil vom 25.7.1991, Rs. C-221/89 – Factortame II, Slg. 1991, I-3905. 70 Vgl. EuGH, Urteil vom 25.7.1991, Rs. C-221/89 – Factortame II, Slg. 1991, I-3905, Rn. 34. 71 Vgl. EuGH, Urteil vom 25.7.1991, Rs. C-221/89 – Factortame II, Slg. 1991, I-3905, Rn. 36. 72 Vgl. Bröhmer, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV, Rn. 12; MüllerGraff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV, Rn. 18. 73 EuGH, Urteil vom 14.9.2006, Rs. C-386/04 – Stauffer, Slg. 2006, I-8203. 74 EuGH, Urteil vom 26.10.2010, Rs. C-97/09 – Schmelz, Slg. 2010, I-10465.

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Kapitel 2: Die Niederlassungsfreiheit der Gesellschaften

der bloße Erwerb und Besitz von Grundeigentum in einem anderen Mitgliedstaat dort keine Niederlassung begründet. Voraussetzung der Anwendbarkeit der Niederlassungsfreiheit sei vielmehr, dass eine dauerhafte Präsenz im Aufnahmestaat sichergestellt sei und dort eine aktive Verwaltung erfolge.75 Diese Präsenz müsse sich auf der Grundlage objektiver und nachprüfbarer Anhaltspunkte feststellen lassen, insbesondere das greifbare Vorhandensein von Geschäftsräumen, Personal und Ausrüstungsgegenständen berücksichtigen.76 Der EuGH bezog sich in den Rechtssachen Stauffer und Schmelz auf seine Ausführungen in der Rechtssache Cadbury Schweppes. Dort nahm er die Prüfung des Vorliegens einer Niederlassung in einem anderen Mitgliedstaat jedoch erst auf der Rechtfertigungsebene vor. Der Gerichtshof hielt zwar ausdrücklich an seiner Definition des Niederlassungsbegriffs fest, unterlies es jedoch, die Tatbestandsmäßigkeit des Sachverhalts anhand der entwickelten Kriterien zu untersuchen. Stattdessen prüfte er auf der Rechtfertigungsebene, ob die postulierte Beschränkung der Niederlassungsfreiheit aufgrund des zwingenden Allgemeininteresses der „Bekämpfung missbräuchlicher Praktiken“ gerechtfertigt war.77 Die Gründung einer Tochtergesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat sei als rein künstliche Gestaltung anzusehen, wenn sie mit einer fiktiven Ansiedlung zusammenhänge, welche keine wirkliche wirtschaftliche Tätigkeit im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaates entfalte.78 Nationale Maßnahmen, welche solche Gestaltungen beschränkten, könnten daher gerechtfertigt sein.79 Die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache VALE deutet nicht darauf hin, dass der Gerichtshof von dem eingeschlagenen Weg abzuweichen gedenkt.80 Die Ausführungen zum Niederlassungsbegriff befinden sich systematisch unter dem Prüfungspunkt „Zum Vorliegen einer Beschränkung der Niederlassungsfreiheit und ihrer etwaigen Rechtfertigung“, nicht etwa unter dem vorausgehenden Prüfungspunkt „Zum Anwendungsbereich der Art. 49 AEUV und 54 AEUV“.81

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Vgl. EuGH, Urteil vom 14.9.2006, Rs. C-386/04 – Stauffer, Slg. 2006, I-8203, Rn. 19; EuGH, Urteil vom 26.10.2010, Rs. C-97/09 – Schmelz, Slg. 2010, I-10465, Rn. 38. 76 EuGH, Urteil vom 26.10.2010, Rs. C-97/09 – Schmelz, Slg. 2010, I-10465, Rn. 38. 77 Vgl. EuGH, Urteil vom 12.9.2006, Rs. C-196/04 – Cadbury Schweppes u.a., Slg. 2006, I-7995, Rn. 55 ff. 78 EuGH, Urteil vom 12.9.2006, Rs. C-196/04 – Cadbury Schweppes u.a., Slg. 2006, I-7995, Rn. 68. 79 EuGH, Urteil vom 12.9.2006, Rs. C-196/04 – Cadbury Schweppes u.a., Slg. 2006, I-7995, Rn. 51. 80 Anders König/Bormann, NZG 2012, 1241 (1242); Verse, ZEuP 2013, 458 (479); Wasmeier, Umstrukturierung, 2014, S. 141. 81 Vgl. EuGH, Urteil vom 12.7.2012, Rs. C-378/10 – VALE Építési, Rn. 34 f.; unzutreffend insoweit Verse, ZEuP 2013, 458 (479).

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(2) Stellungnahme Ob ein tatsächlicher Vorgang eine Niederlassung in einem anderen Mitgliedstaat darstellt, ist bereits auf der Tatbestandsebene zu prüfen. Rechtsmissbräuchlichen Praktiken ist nicht erst auf der Rechtfertigungsebene Einhalt zu gebieten. Die jüngere Rechtsprechung des EuGH überzeugt nicht. Der Gerichtshof bleibt eine Antwort auf die Frage schuldig, wie eine „rein künstliche Gestaltung“ im Zusammenhang mit einer „fiktiven Ansiedlung“ überhaupt den Tatbestand der Niederlassungsfreiheit erfüllen soll. Seine Vorgehensweise wird allerdings verständlich, wenn man sich auf Centros und Inspire Art zurückbesinnt. Dort war der Gerichtshof zu der Erkenntnis gelangt, dass die Gründung von Briefkastengesellschaften im Ergebnis durch die Art. 49 ff. AEUV gewährleistet werde und für sich genommen keine missbräuchliche Ausnutzung der Niederlassungsfreiheit darstelle.82 Dadurch war ihm in der Rechtssache Cadbury Schweppes eine Prüfung auf Tatbestandsebene verschlossen, wenn er sich nicht zugleich in Widerspruch zu diesen grundlegenden Entscheidungen setzen wollte. Andererseits konnte sich der EuGH den berechtigten Schutzanliegen der Mitgliedstaaten nicht vollends verschließen. Bereits in den Rechtssachen Centros und Inspire Art hatte er diesen die Befugnis zugestanden, Maßnahmen zu treffen, um zu verhindern, dass sich Staatsangehörige unter Missbrauch der durch das Unionsrecht geschaffenen Möglichkeiten der Anwendung des nationalen Rechts entziehen.83 Die Begrenzung der Niederlassungsfreiheit auf der Rechtfertigungsebene erweist sich letztlich als Korrelat, das infolge des extensiven Verständnisses des Gewährleistungsinhalts der Niederlassungsfreiheit in den Rechtssachen Centros und Inspire Art erforderlich wurde. Damit drängt sich jedoch die Frage auf, ob nicht bereits der Schutzbereich des Art. 49 AEUV in diesen Entscheidungen zu weit ausgedehnt wurde. Die Tatsache, dass der Gerichtshof diesen Gesichtspunkt als mögliche Rechtfertigung einer Beschränkung und nicht als tatbestandliche Begrenzung der Niederlassungsfreiheit einordnet, beinhaltet nicht nur eine gewisse Abschwächung und Relativierung.84 Der Gerichtshof eröffnet sich dadurch auch Spielraum für eine differenzierte und einzelfallbezogene Interessenabwägung.85 Durch die Verlagerung des Prüfungsstandorts auf die Rechtfertigungsebene verkürzt er jedoch in unzulässiger Weise den Regelungsspielraum der Mitgliedstaaten. Selbst wenn bei Lichte betrachtet überhaupt kein tatbestandsmäßiger Niederlassungsvorgang vorliegt, behält er sich eine Ent82 Vgl. EuGH, Urteil vom 9.3.1999, Rs. C-212/97 – Centros, Slg. 1999, I-1459, Rn. 27; EuGH, Urteil vom 30.9.2003, Rs. C-167/01 – Inspire Art, Slg. 2003, I-10155, Rn. 96. 83 Vgl. EuGH, Urteil vom 9.3.1999, Rs. C-212/97 – Centros, Slg. 1999, I-1459, Rn. 24; EuGH, Urteil vom 30.9.2003, Rs. C-167/01 – Inspire Art, Slg. 2003, I-10155, Rn. 136. 84 Vgl. G.H. Roth, Niederlassungsfreiheit, 2010, S. 22. 85 G.H. Roth, EuZW 2010, 607 (610).

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Kapitel 2: Die Niederlassungsfreiheit der Gesellschaften

scheidung über die Rechtmäßigkeit von Maßnahmen vor, welche ein Mitgliedstaat zur Verhinderung rechtsmissbräuchlichen Verhaltens ergreift. Erfüllt ein Vorgang jedoch bereits nicht den Tatbestand der Niederlassungsfreiheit, sind die Mitgliedstaaten unionsrechtlich nicht verpflichtet, nationale Maßnahmen zu rechtfertigen.86 Dementsprechend ist der EuGH nicht zur Entscheidung über die Rechtmäßigkeit dieser Maßnahmen berufen. Soweit ein Sachverhalt Anlass für den Verdacht einer rechtsmissbräuchlichen Berufung auf die Niederlassungsfreiheit bietet, ist richtigerweise eine zweistufige Prüfung vorzunehmen. Zunächst ist unter Berücksichtigung der ökonomischen Zielsetzung der Niederlassungsfreiheit danach zu fragen, ob der in Rede stehende Vorgang überhaupt den Tatbestand der Niederlassungsfreiheit erfüllt. Lässt sich eine wirtschaftliche Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat nicht anhand tatsächlicher und objektiv nachprüfbarer Anhaltspunkte feststellen, ist bereits der Tatbestand der Niederlassungsfreiheit nicht erfüllt und der Vorgang fällt nicht unter den Schutz der Art. 49 ff. AEUV. Liegt eine grenzüberschreitende Niederlassung im Sinne des Niederlassungsbegriffs nicht vor, ist der Vorgang vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Zielsetzung der Niederlassungsfreiheit nicht schutzbedürftig. Erst in einem zweiten Schritt ist auf der Rechtfertigungsebene danach zu fragen, ob der Vorwurf des Missbrauchs der Niederlassungsfreiheit Ausdruck eines zwingenden Allgemeininteresses ist, welches eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit durch den betroffenen Mitgliedstaat zu rechtfertigen vermag. Auf die Frage der Rechtfertigung einer mitgliedstaatlichen Maßnahme kommt es allerdings lediglich dann an, wenn bereits der Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit eröffnet ist, also das Verhalten des betroffenen Marktteilnehmers bei Zugrundelegung der Kriterien des Niederlassungsbegriffs den Tatbestand der Niederlassung erfüllt. Nur in diesem Fall sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, das Beschränkungsverbot des Art. 49 AEUV zu beachten. Da die Prüfung der Tatbestandsmäßigkeit eines Verhaltens der Prüfung der Rechtfertigung von Beschränkungen dogmatisch vorausgeht, ist die Tatbestandsebene der vorrangige Ort, missbräuchlichen Praktiken den Schutz des Art. 49 AEUV zu versagen.87 Es bleibt zu hoffen, dass der Gerichtshof in Zukunft zu seinem klaren und überzeugenden Standpunkt in der Rechtssache Factortame II zurückfindet.

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Vgl. BGH, NJW 2007, 2328 (2329 f.); Eidenmüller/Rehberg, NJW 2008, 28 (30), Fn. 31; Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 431; Rehberg, EuLF 2004, 1 (2 f.). 87 Im Ergebnis auch Kindler, IPRax 2010, 272 (274); Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 431; König/Bormann, NZG 2012, 1241 (1242); Stiegler, Rechtsformwechsel, 2013, S. 18; Wasmeier, Umstrukturierung, 2014, S. 140 f.; a.A. Biermeyer, CMLR 2013, 571 (588).

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2. Personeller Anwendungsbereich Bei der Beurteilung eines Niederlassungsvorgangs unter Beteiligung einer Gesellschaft ist zwischen der Niederlassungsfreiheit der Gesellschaft einerseits und der Niederlassungsfreiheit der Gesellschaftsgründer beziehungsweise Anteilsinhaber andererseits zu unterscheiden.88 Da die Niederlassungsfreiheit ihren Trägern ein subjektives Recht verbürgt, kommt eine Gesamtschau der an einem Niederlassungsvorgang beteiligten Gesellschaften und Gesellschafter dogmatisch nicht in Betracht.89 Soweit der EuGH in einzelnen Entscheidungen eine abstrakte, von ihrem Träger losgelöste Niederlassungsfreiheit postuliert90, zieht er sich argumentativ auf eine rechtspolitische Ebene zurück.91 De lege lata existiert eine abstrakte, trägerlose Niederlassungsfreiheit nicht.92 Daher muss ein Niederlassungsvorgang stets einem Rechtssubjekt als Ausprägung seiner Niederlassungsfreiheit zugeordnet werden. Ist ein niederlassungsrelevantes Verhalten einer Gesellschaft zu beurteilen, kann nicht alternativ auf die Niederlassungsfreiheit der hinter der Gesellschaft stehenden Anteilsinhaber abgestellt werden.93 Sofern der jeweilige Vorgang nicht durch die Niederlassungsfreiheit der Gesellschaft selbst gewährleistet wird, kann die Berufung auf die Niederlassungsfreiheit der Anteilsinhaber nicht zum Erfolg führen. Diese sind zwar mittelbar und wirtschaftlich betroffen. Der Niederlassungsvorgang stellt sich jedoch nicht als Ausprägung ihrer Niederlassungsfreiheit, sondern derjenigen der Gesellschaft dar. Sofern sich Staatsangehörige eines Mitgliedstaates dazu entschließen, eine wirtschaftliche Unternehmung in Form einer als Rechtssubjekt verselbstständigten Gesellschaft durchzuführen, bestehen keine rechtlichen Bedenken, sie an dieser Entscheidung festzuhalten. Ihnen bleibt es freilich unbenommen, ihre wirtschaftlichen Interessen im Rahmen der gesellschaftsinternen Willensbildung zu artikulieren und durchzusetzen. a) Niederlassungsfreiheit der Gesellschaftsgründer Die Niederlassungsfreiheit kommt zuvorderst den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten zugute. Gemäß Art. 49 Abs. 2 AEUV berechtigt sie insbe88

Vgl. G.H. Roth, Niederlassungsfreiheit, 2010, S. 3; Schön, ECFR 2006, 122 (135); Schön, FS Priester, 2007, 737 (747). 89 Anders Schön, ZGR 2013, 333 (342). 90 Vgl. EuGH, Urteil vom 13.12.2005, Rs. C-411/03 – SEVIC Systems, Slg. 2005, I-10805, Rn. 19; EuGH, Urteil vom 12.7.2012, Rs. C-378/10 – VALE Építési, Rn. 24. 91 Kindler, DK 2006, 811 (818 f.); Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 127. 92 Vgl. Kindler, EuZW 2012, 888 (890); Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 127. 93 Anders GA Jääskinen, Schlussanträge vom 15.12.2011, Rs. C-378/10 – VALE Építési, Rn. 49.

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Kapitel 2: Die Niederlassungsfreiheit der Gesellschaften

sondere zur Gründung von Gesellschaften. Da einer Gesellschaft erst durch die wirksame Gründung in einem Mitgliedstaat der Schutz der Niederlassungsfreiheit zuteilwird, können sich lediglich die Gesellschaftsgründer zum Zwecke der Entstehung der Gesellschaft auf ihre Niederlassungsfreiheit berufen.94 Im Gründungsstadium existiert die zu gründende Gesellschaft als Trägerin der Niederlassungsfreiheit noch gar nicht.95 Ob die Gründung einer Gesellschaft nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaates mit einem tatsächlichen Niederlassungsvorgang in diesem Mitgliedstaat verbunden sein muss, wird noch zu klären sein. b) Gleichstellung der Gesellschaften Gemäß Art. 54 Abs. 1 AEUV stehen den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten die nach den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten gegründeten Gesellschaften gleich, die ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der Union haben. Der Begriff der Gesellschaft im Sinne der Vorschrift ist autonom entsprechend der ökonomischen Zielsetzung der Niederlassungsfreiheit auszulegen.96 Erfasst werden alle rechtlich konfigurierten Marktakteure, die als solche im Rechtsverkehr auftreten, sofern sie einen Erwerbszweck verfolgen und keine Hoheitsrechte ausüben.97 Eine Gesellschaft kann sich unabhängig von ihrer konkreten Rechtsform auf die Niederlassungsfreiheit berufen, sofern sie diese Kriterien erfüllt.98 Die Vorschrift des Art. 54 Abs. 2 AEUV dient lediglich dazu, den Begriff der Gesellschaft näher zu konturieren.99 aa) Zweck und Art der Gleichstellung Die Erweiterung des personellen Anwendungsbereichs der Niederlassungsfreiheit auf Gesellschaften trägt dem Umstand Rechnung, dass eine Vielzahl von Marktteilnehmern in Form von Gesellschaften organisiert ist. Zur Verwirklichung des Binnenmarktziels des Art. 26 Abs. 2 AEUV ist es daher erforderlich, Gesellschaften in den Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit einzubeziehen.100 Die Art. 49 und 54 AEUV sollen in ihrem Zusam94

Vgl. Habersack/Verse, Europ. GesR, § 3, Rn. 12; Schön, ECFR 2006, 122 (134); Schön, FS Priester, 2007, 737 (747). 95 Teichmann, ZGR 2011, 639 (661). 96 Vgl. Teichmann, ZGR 2011, 639 (659); Teichmann, ZIP 2009, 393 (399). 97 Vgl. Bröhmer, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 54 AEUV, Rn. 2; Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 54 AEUV, Rn. 2; Teichmann, ZGR 2011, 639 (660). 98 Vgl. Drinhausen, in: Semler/Stengel, UmwG, Einl. C, Rn. 23; W.-H. Roth, ZGR 2014, 168 (176 f.); Thümmel, Formwechsel, 2013, S. 269 und 275 f. 99 Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 49. EL (2012), Art. 49 AEUV, Rn. 1. 100 Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 54 AEUV, Rn. 1.

§ 3 Der Gewährleistungsgehalt der Niederlassungsfreiheit

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menspiel die selbstständige Erwerbstätigkeit im Binnenmarkt umfassend und lückenlos schützen.101 Bei der Anwendung der Art. 49 ff. AEUV ist allerdings stets zu berücksichtigen, dass Gesellschaften und natürliche Personen nicht gleich, sondern lediglich gleich zu behandeln sind.102 Als Geschöpfe des Rechts sind Gesellschaften in ihrer Existenz von der Rechtsordnung abhängig, nach welcher sie gegründet wurden.103 Bei der Gleichstellung mit natürlichen Personen ist daher den Besonderheiten Rechnung zu tragen, welche sich aus der Natur juristischer Personen und rechtsfähiger Personengesellschaften als Rechtsgebilden mit normativ determinierter Verfassung ergeben.104 Sowohl bei der Bestimmung niederlassungsrelevanter Vorgänge als auch bei der Feststellung von Beschränkungen und deren Rechtfertigung muss der Rechtsnatur von Gesellschaften hinreichend Rechnung getragen werden.105 bb) Voraussetzungen Art. 54 Abs. 1 AEUV begrenzt die niederlassungsrechtliche Gleichstellung von Gesellschaften und Unionsbürgern anhand zweier Kriterien: Zum einen muss die Gesellschaft nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates gegründet worden sein (Gründungsverbindung). Zum anderen muss sie ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der Europäischen Union haben (institutionelle Verbindung). Nur wenn beide Kriterien kumulativ erfüllt sind, kann sich eine Gesellschaft auf die Niederlassungsfreiheit berufen. (1) Gründungsverbindung Die Gleichstellung einer Gesellschaft setzt gemäß Art. 54 Abs. 1 AEUV zunächst voraus, dass diese nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates gegründet worden ist. Die Frage der wirksamen Gründung einer Gesellschaft stellt eine Vorfrage der Anwendbarkeit der Niederlassungsfreiheit dar.106 Eine 101

Teichmann, ZGR 2011, 639 (660). Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 49. EL (2012), Art. 54 AEUV, Rn. 22. 103 Vgl. EuGH, Urteil vom 27.9.1988, Rs. C-81/87 – Daily Mail and General Trust, Slg. 1988, 5483, Rn. 19; EuGH, Urteil vom 16.12.2008, Rs. C-210/06 – Cartesio, Slg. 2008, I-9641, Rn. 104. 104 Vgl. Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 49. EL (2012), Art. 54 AEUV, Rn. 22; Jung, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 54 AEUV, Rn. 1; Krause/Kulpa, ZHR 171 (2007), 38 (42); Teichmann, ZIP 2006, 355 (358). 105 Vgl. Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 49. EL (2012), Art. 54 AEUV, Rn. 22; Jung, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 54 AEUV, Rn. 19. 106 Vgl. Altmeppen/Ego, in: MünchKomm-AktG, Bd. 7, Europ. Niederlassungsfreiheit, Rn. 18; Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 49. EL 102

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Gesellschaft vermag beim gegenwärtigen Stand des Unionsrechts nicht ohne Rückbindung an eine bestimmte nationale Rechtsordnung zu existieren.107 Der Anwendung der Niederlassungsfreiheit ist daher zwangsläufig das nationale Recht eines Mitgliedstaates vorgelagert.108 Erst wenn sich bei Zugrundelegung der nationalen Rechtsvorschriften ergibt, dass eine Gesellschaft wirksam gegründet wurde, steht fest, dass sie als Personenverband Trägerin der Niederlassungsfreiheit sein kann.109 Die Wirksamkeit der Gründung ist anhand des Gesellschaftsrechts desjenigen Mitgliedstaates zu beurteilen, in welchem die Gesellschaft gegründet werden sollte.110 Art. 54 Abs. 1 AEUV enthält eine Sachnormverweisung auf die materiellen Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaates.111 (2) Institutionelle Verbindung Eine nach dem Recht eines Mitgliedstaates gegründete Gesellschaft kann sich allerdings nur dann auf die Niederlassungsfreiheit berufen, wenn sie eine spezifische Verbindung mit der Europäischen Union aufweist. Erforderlich ist nach Art. 54 Abs. 1 AEUV die Erfüllung zumindest eines von drei Zugehörigkeitskriterien, welche alternativ nebeneinander stehen.112 Entweder der satzungsmäßige Sitz, die Hauptverwaltung oder die Hauptniederlassung der Gesellschaft muss sich im Unionsgebiet befinden. Gesellschaften, denen eine derartige Verknüpfung fehlt, können sich nicht auf die Niederlassungsfreiheit berufen. Art. 54 Abs. 1 AEUV erfordert jedoch nicht, dass eines dieser Kriterien gerade in dem Mitgliedstaat verwirklicht ist, in welchem die Gesellschaft gegründet wurde.113 Es soll lediglich gewährleistet werden, dass die Gesell(2012), Art. 54 AEUV, Rn. 10; Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 54 AEUV, Rn. 8. 107 Teichmann, ZIP 2009, 393 (397). 108 Teichmann, ZGR 2011, 639 (661). 109 Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 49. EL (2012), Art. 54 AEUV, Rn. 10. 110 Vgl. Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 49. EL (2012), Art. 54 AEUV, Rn. 14; Jung, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 54 AEUV, Rn. 11; Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 54 AEUV, Rn. 8 f. 111 Vgl. Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 49. EL (2012), Art. 54 AEUV, Rn. 2 und 12; Jung, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 54 AEUV, Rn. 1; a.A. Kindler, NJW 1999, 1993 (1996 f.), der eine Gesamtverweisung auf die Rechtsordnung des mit der Prüfung der wirksamen Gründung befassten Gerichts annimmt. 112 Vgl. Altmeppen/Ego, in: MünchKomm-AktG, Bd. 7, Europ. Niederlassungsfreiheit, Rn. 23; Bröhmer, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 54 AEUV, Rn. 5; Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 49. EL (2012), Art. 54 AEUV, Rn. 15; Jung, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 54 AEUV, Rn. 14; Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 54 AEUV, Rn. 10. 113 Vgl. Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 54 AEUV, Rn. 10; Teichmann, ZGR 2011, 639 (665).

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schaft eine qualifizierte Verknüpfung mit dem Unionsgebiet als Ganzem aufweist.114 III. Gewährleistungsinhalt der Niederlassungsfreiheit Entstehungsgeschichtlich besteht kein Zweifel daran, dass die Niederlassungsfreiheit ursprünglich lediglich als Diskriminierungsverbot gemeint war.115 In Anbetracht des Zieles der Errichtung eines Binnenmarktes bedeutet dies jedoch nicht, dass damit zwingend andersartige Beschränkungen aus dem Verbotsbereich der Niederlassungsfreiheit ausgenommen sind.116 Nach heutigem Verständnis verbietet die Niederlassungsfreiheit nicht nur die Diskriminierung der Angehörigen anderer Mitgliedstaaten, sondern allgemein ungerechtfertigte Beschränkungen grenzüberschreitender Niederlassungsvorgänge.117 Sie verbürgt ihren Trägern die Freiheit von niederlassungsbeschränkenden Maßnahmen seitens der Mitgliedstaaten, sofern diese nicht ausnahmsweise gerechtfertigt sind. 1. Adressaten der Niederlassungsfreiheit Das Beschränkungsverbot des Art. 49 AEUV verpflichtet zunächst die Mitgliedstaaten der Europäischen Union.118 Beschränkungen grenzüberschreitender Niederlassungsvorgänge können sowohl vom Herkunftsstaat in Form von Wegzugsbeschränkungen als auch vom Aufnahmestaat in Form von Zuzugsbeschränkungen ausgehen.119 Das Beschränkungsverbot ist an sämtliche staatliche Stellen gerichtet, deren Maßnahmen geeignet sind, grenzüberschreitende Niederlassungsvorgänge zu behindern.120 Es ist unerheblich, ob sich eine Beschränkung direkt aus einem Gesetz oder einer anderen Rechtsnorm ergibt. Auch Beschränkungen der Niederlassung durch Verwaltungsakte, gerichtli-

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Altmeppen/Ego, in: MünchKomm-AktG, Bd. 7, Europ. Niederlassungsfreiheit, Rn. 22. 115 Teichmann, ZGR 2011, 639 (651). 116 Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV, Rn. 8. 117 Vgl. EuGH, Urteil vom 31.3.1993, Rs. C-19/92 – Kraus, Slg. 1993, I-1663, Rn. 32; EuGH, Urteil vom 30.11.1995, Rs. C-55/94 – Gebhard, Slg. 1995, I-4165, Rn. 37; Altmeppen/Ego, in: MünchKomm-AktG, Bd. 7, Europ. Niederlassungsfreiheit, Rn. 7; Bröhmer, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV, Rn. 30; Müller-Graff, in: Streinz, EUV/ AEUV, Art. 49 AEUV, Rn. 39; Schlag, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 49 AEUV, Rn. 3. 118 Vgl. Altmeppen/Ego, in: MünchKomm-AktG, Bd. 7, Europ. Niederlassungsfreiheit, Rn. 97; Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV, Rn. 33. 119 Vgl. Jung, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 54 AEUV, Rn. 22; Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV, Rn. 34 und 59. 120 Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV, Rn. 34 f.

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che Entscheidungen oder faktische Maßnahmen werden vom Beschränkungsverbot des Art. 49 AEUV erfasst.121 Fraglich ist hingegen, ob auch der Unionsgesetzgeber an die Grundfreiheiten gebunden ist. Wäre dies der Fall könnten sekundärrechtliche Regelungen beziehungsweise auf Sekundärrecht beruhende Vorschriften der Mitgliedstaaten einer Kontrolle am Maßstab der Niederlassungsfreiheit unterzogen werden. Der Unionsgesetzgeber soll zumindest an die Zielsetzungen der Grundfreiheiten gebunden sein. 122 Die Reichweite dieser Bindung ist allerdings bis heute weitgehend unklar. Die Rechtsprechung des EuGH ist diesbezüglich uneinheitlich. Einerseits sollen die Mitgliedstaaten von einer sekundärrechtlichen Ermächtigung nur unter Beachtung der grundlegenden Bestimmungen des Primärrechts Gebrauch machen können. 123 Andererseits hat der Gerichthof wiederholt entschieden, dass nationale Maßnahmen, welche den Mitgliedstaaten durch einen Sekundärrechtsakt erlaubt sind, keine Beschränkungen der Grundfreiheiten darstellen.124 Insgesamt lässt sich in der Rechtsprechung des Gerichtshofs die Tendenz erkennen, bei mitgliedstaatlichen Maßnahmen, welche mit Sekundärrecht im Einklang stehen, einen weniger strengen Maßstab anzulegen.125 Die Zurückhaltung des EuGH ist zu begrüßen. Eine Kontrolle von Sekundärrechtsakten beziehungsweise von auf Sekundärrecht beruhender Vorschriften der Mitgliedstaaten am Maßstab der Grundfreiheiten ist abzulehnen.126 Die Grundfreiheiten sollen die Einheit des Binnenmarktes gegen einseitige Maßnahmen der Mitgliedstaaten verteidigen, nicht hingegen die einheitliche Ausgestaltung des Binnenmarktes durch den Unionsgesetzgeber selbst verhindern.127 Es ist qualitativ etwas anderes, ob die Rechtsakte der Gesamtheit der Staatengemeinschaft am Maßstab der Grundfreiheiten kontrolliert werden oder ob ein einzelner Mitgliedstaat auf die europäische Gene-

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Vgl. Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV, Rn. 35. Vgl. EuGH, Urteil vom 9.8.1994, Rs. C-51/93 – Meyhui, Slg. 1994, I-3879, Rn. 11; EuGH, Urteil vom 13.9.2001, Rs. C-169/99 – Schwarzkopf, Slg. 2001, I-5901, Rn. 37 jeweils zur Warenverkehrsfreiheit; Altmeppen/Ego, in: MünchKomm-AktG, Bd. 7, Europ. Niederlassungsfreiheit, Rn. 97; G.H. Roth, Niederlassungsfreiheit, 2010, S. 52 f.; Teichmann, ZGR 2011, 639 (656 ff.). 123 Vgl. EuGH, Urteil vom 18.09.2003, Rs. C-168/01 – Bosal, Slg. 2003, I-9409, Rn. 26; EuGH, Urteil vom 23.2.2006, Rs. C-471/04 – Keller Holding, Slg. 2006, I-2107, Rn. 45. 124 Vgl. EuGH, Urteil vom 26.5.2005, Rs. C-249/04 – Allard, Slg. 2005, I-4535, Rn. 32; EuGH, Urteil vom 1.6.2006, Rs. C-453/04 – Innoventif, Slg. 2006, I-4929, Rn. 38. 125 Vgl. Altmeppen/Ego, in: MünchKomm-AktG, Bd. 7, Europ. Niederlassungsfreiheit, Rn. 124; G.H. Roth, Niederlassungsfreiheit, 2010, S. 53; Teichmann, ZIP 2009, 393 (404). 126 Anders Drygala, EuZW 2013, 569 (571); Hoger, Kontinuität, 2008, S. 308; MüllerGraff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV, Rn. 37. 127 Vgl. König/Bormann, NZG 2012, 1241 (1243). 122

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rallinie gebracht wird.128 Da gesetzgeberische Grundwertungen auf mitgliedstaatlicher Ebene nicht mehr in vollem Umfang zur Geltung gebracht werden können, muss der verloren gegangene gesetzgeberische Gestaltungsfreiraum wenigstens dem Unionsgesetzgeber zugestanden werden.129 Schließlich konkretisiert dieser im Wege des Konsenses und Kompromisses den rechtsschaffenden Willen der Staatengemeinschaft. 130 2. Diskriminierungsverbot Die Niederlassungsfreiheit stellt eine spezielle Ausprägung des allgemeinen Diskriminierungsverbots des Art. 18 AEUV dar.131 Eine Diskriminierung liegt nach der Rechtsprechung des EuGH vor, wenn vergleichbare Sachverhalte rechtlich unterschiedlich oder unterschiedliche Sachverhalte rechtlich gleichbehandelt werden, ohne dass hierfür ein objektiver Rechtfertigungsgrund vorliegt.132 Da die Niederlassungsfreiheit einen grenzüberschreitenden Sachverhalt voraussetzt, liegt eine Diskriminierung vor, wenn ein Sachverhalt mit Gemeinschaftsbezug gegenüber einem reinen Inlandssachverhalt schlechter behandelt wird.133 Eine unterschiedliche Behandlung kann entweder offen (direkt, unmittelbar) oder verdeckt (indirekt, mittelbar) erfolgen.134 Die auffälligste Form der Diskriminierung liegt in der offenen Benachteiligung eines Unionsbürgers aufgrund seiner Staatsangehörigkeit.135 Während bei natürlichen Personen die Staatsangehörigkeit das maßgebliche Differenzierungskriterium darstellt, liegt eine offene Diskriminierung einer Gesellschaft vor, wenn diese aufgrund ihrer Gründung in einem anderen Mitgliedstaat oder ihres statuarischen Sitzes im Ausland schlechter behandelt wird.136 Nach der Rechtsprechung des EuGH setzt die Feststellung einer Diskriminierung allerdings nicht voraus, 128

G.H. Roth, Niederlassungsfreiheit, 2010, S. 53. Teichmann, ZGR 2011, 639 (657 f.). 130 G.H. Roth, Niederlassungsfreiheit, 2010, S. 53. 131 Vgl. Altmeppen/Ego, in: MünchKomm-AktG, Bd. 7, Europ. Niederlassungsfreiheit, Rn. 99; Schlag, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 49 AEUV, Rn. 33. 132 Vgl. EuGH, Urteil vom 8.10.1980, Rs. C-810/79 – Überschär, Slg. 1980, 2747, Rn. 16; EuGH, Urteil vom 16.10.1980, Rs. C-147/79 – Hochstrass, Slg. 1980, 3005, Rn. 7; EuGH, Urteil vom 13.11.1984, Rs. C-283/83 – Racke, Slg. 1984, 3791, Rn. 7; EuGH, Urteil vom 7.11.2000, Rs. C-168/98 – Luxemburg/Parlament und Rat, Slg. 2000, I-9131, Rn. 23. 133 Vgl. Altmeppen/Ego, in: MünchKomm-AktG, Bd. 7, Europ. Niederlassungsfreiheit, Rn. 98; Bröhmer, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV, Rn. 19; Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV, Rn. 42. 134 Vgl. Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV, Rn. 43; Schlag, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 49 AEUV, Rn. 34 f. 135 Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV, Rn. 44. 136 Vgl. Altmeppen/Ego, in: MünchKomm-AktG, Bd. 7, Europ. Niederlassungsfreiheit, Rn. 103; Frowein, Sitzverlegung, 2001, S. 167 f. 129

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dass eine mitgliedstaatliche Regelung tatbestandlich am Kriterium der Staatszugehörigkeit anknüpft.137 Erfasst werden sämtliche Regelungen, welche sich besonders zum Nachteil der Angehörigen eines anderen Mitgliedstaates auswirken.138 Verdeckte Diskriminierungsformen knüpfen nicht offen an die Staatszugehörigkeit einer natürlichen Person oder Gesellschaft an, sondern verwenden andere, vordergründig unverdächtige Differenzierungskriterien.139 Sie stellen allerdings Anforderungen, die inländische Marktteilnehmer vielfach bereits automatisch erfüllen, während sie Unionsbürgern anderer Staatsangehörigkeit oder Gesellschaften anderer Rechtsordnungszugehörigkeit erhebliche Schwierigkeiten bereiten und daher typischerweise faktisch mit deren Schlechterstellung einhergehen.140 3. Beschränkungsverbot Bis in die achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts hat der EuGH die Niederlassungsfreiheit als reines Diskriminierungsverbot ausgelegt und Diskriminierungen von nichtdiskriminierenden Niederlassungshindernissen abgegrenzt.141 Unter Bezugnahme auf das Allgemeine Programm zur Aufhebung der Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit142 hat der Gerichtshof die Niederlassungsfreiheit seither jedoch zu einem allgemeinen Beschränkungsverbot ausgebaut. Ausgangspunkt dieser Entwicklung war die Entscheidung in der Rechtssache Klopp143, in welcher er das gleichermaßen auf In- und Ausländer anwendbare Verbot, zwei Rechtsanwaltskanzleien zur gleichen Zeit zu unterhalten, als unzulässige Beschränkung der Niederlassungsfreiheit qualifizierte.144 Spätestens seit den Urteilen Kraus145 und Geb-

137 Vgl. EuGH, Urteil vom 12.2.1974, Rs. C-152/73 – Sotgiu, Slg. 1974, 153, Rn. 11; EuGH, Urteil vom 8.5.1990, Rs. C-175/88 – Biehl, Slg. 1990, I-1779, Rn. 13; EuGH, Urteil vom 10.3.1993, Rs. C-111/91 – Kommission/Luxemburg, Slg. 1993, I-817, Rn. 17. 138 EuGH, Urteil vom 8.5.1990, Rs. C-175/88 – Biehl, Slg. 1990, I-1779, Rn. 14. 139 Vgl. Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV, Rn. 48; Schlag, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 49 AEUV, Rn. 37. 140 Vgl. Bröhmer, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV, Rn. 20; MüllerGraff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV, Rn. 48; Schlag, in: Schwarze, EUKommentar, Art. 49 AEUV, Rn. 37. 141 Vgl. Bröhmer, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV, Rn. 23; Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 49. EL (2012), Art. 49 AEUV, Rn. 88; Schlag, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 49 AEUV, Rn. 38. 142 Allgemeines Programm zur Aufhebung der Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit vom 18.12.1961, ABl. 1962, Nr. 2, S. 36. 143 EuGH, Urteil vom 12.7.1984, Rs. C-107/83 – Klopp, Slg. 1984, 2971. 144 Vgl. EuGH, Urteil vom 12.7.1984, Rs. C-107/83 – Klopp, Slg. 1984, 2971, Rn. 22. 145 EuGH, Urteil vom 31.3.1993, Rs. C-19/92 – Kraus, Slg. 1993, I-1663.

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hard146 steht außer Frage, dass der Gerichtshof die Niederlassungsfreiheit wie die übrigen Grundfreiheiten als Beschränkungsverbot versteht.147 Demnach verstoßen auch nichtdiskriminierende Maßnahmen der Mitgliedstaaten gegen die Niederlassungsfreiheit, falls sie eine – auch aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses nicht gerechtfertigte – Beschränkung grenzüberschreitender Niederlassungsvorgänge bewirken. Sämtliche mitgliedstaatlichen Maßnahmen, welche geeignet sind, die Wahrnehmung der Niederlassungsfreiheit zu behindern oder weniger attraktiv zu machen, bedürfen somit einer unionsrechtlichen Rechtfertigung. Diese extensive Auslegung des Gewährleistungsinhalts der Niederlassungsfreiheit ist seither ständige Rechtsprechung148 und wird im Schrifttum überwiegend anerkannt.149 Die wirtschaftliche Zielsetzung der Niederlassungsfreiheit spricht tatsächlich gegen die Beschränkung ihres Gewährleistungsinhalts auf ein Diskriminierungsverbot. Dem Zweck der freien Allokation von Produktionsfaktoren im Binnenmarkt widersprechen diskriminierende und unterschiedslos anwendbare Beschränkungen der freien Niederlassung gleichermaßen.150 Der ungehinderte Marktzugang lässt sich durch das Diskriminierungsverbot alleine nicht herstellen, weil auch die diskriminierungsfreie Anwendung nationaler Vorschriften den Marktzugang faktisch versperren oder spürbar erschweren kann.151 Nach der Formel des EuGH ist der Tatbestand der Beschränkung allerdings bereits dann erfüllt, wenn eine mitgliedstaatliche Maßnahme die Ausübung der Niederlassungsfreiheit weniger attraktiv macht.152 Der Gerichtshof lehnt die Annahme einer Beschränkung lediglich dann ab, wenn die beschränkende Wirkung, die eine Maßnahme für die Niederlassungsfreiheit haben könnte, zu ungewiss und mittelbar ist, als dass die Maßnahme als ge146

EuGH, Urteil vom 30.11.1995, Rs. C-55/94 – Gebhard, Slg. 1995, I-4165. Vgl. Altmeppen/Ego, in: MünchKomm-AktG, Bd. 7, Europ. Niederlassungsfreiheit, Rn. 108; Bröhmer, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV, Rn. 28; Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 49. EL (2012), Art. 49 AEUV, Rn. 88. 148 Vgl. EuGH, Urteil vom 15.5.1997, Rs. C-250/95 – Futura Participations u.a., Slg. 1997, I-2471, Rn. 26; EuGH, Urteil vom 9.3.1999, Rs. C-212/97 – Centros, Slg. 1999, I-1459, Rn. 34; EuGH, Urteil vom 11.5.1999, Rs. C-255/97 – Pfeiffer, Slg. 1999, I-2835, Rn. 19; EuGH, Urteil vom 30.9.2003, Rs. C-167/01 – Inspire Art, Slg. 2003, I-10155, Rn. 133. 149 Vgl. Bröhmer, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV, Rn. 30 m.w.N.; Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV, Rn. 57 m.w.N.; Schlag, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 49 AEUV, Rn. 45 m.w.N. 150 Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV, Rn. 59. 151 Teichmann, ZGR 2011, 639 (647 f.). 152 Vgl. EuGH, Urteil vom 31.3.1993, Rs. C-19/92 – Kraus, Slg. 1993, I-1663, Rn. 32; EuGH, Urteil vom 30.11.1995, Rs. C-55/94 – Gebhard, Slg. 1995, I-4165, Rn. 37; EuGH, Urteil vom 5.10.2004, Rs. C-442/02 – CaixaBank France, Slg. 2004, I-8961, Rn. 11. 147

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eignet angesehen werden könnte, die Niederlassungsfreiheit zu behindern.153 Aufgrund der potentiellen Reichweite des Beschränkungsverbots und des Normzwecks des Art. 49 AEUV wird in Fachkreisen verbreitet eine Begrenzung für erforderlich gehalten.154 Da es nicht das Ziel des Art. 49 AEUV sei, jedwedes rechtliches Erfordernis für eine Niederlassung in einem anderen Mitgliedstaat zu verbieten oder einer unionsrechtlichen Prüfung zu unterziehen, sei das Beschränkungsverbot tatbestandlich zu begrenzen.155 Das Beschränkungsverbot dürfe nicht dazu führen, dass sämtliche nationale Vorschriften der Mitgliedstaaten einem unionsrechtlichen Rechtfertigungszwang unterworfen werden.156 Hinsichtlich der Warenverkehrsfreiheit hat der EuGH in der Rechtssache Keck und Mithouard157 (im Folgenden: Keck) die Reichweite des Beschränkungsverbots eingegrenzt, indem er zwischen produktbezogenen und vertriebsbezogenen Maßnahmen der Mitgliedstaaten differenzierte. Bestimmungen, welche lediglich Verkaufsmodalitäten beschränkten oder verböten, seien nicht geeignet den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu behindern, sofern sie unterschiedslos auf alle Wirtschaftsteilnehmer und Erzeugnisse angewendet würden.158 Diese Erwägung hat der Gerichtshof bislang allerdings nicht sinngemäß auf die Niederlassungsfreiheit übertragen.159 Zwar hat er in zahlreichen Entscheidungen betont, dass die Niederlassungsfreiheit den ungehinderten Marktzugang sicherstellen soll.160 In der Rechtssache Centros differenzierte er zudem zwischen „Vorschriften über die Errichtung von Gesell153 Vgl. EuGH, Urteil vom 20.6.1996, Rs. C-418/93 u.a. – Semeraro Casa Uno u.a., Slg. 1996, I-2975, Rn. 32. 154 Vgl. Habersack/Verse, Europ. GesR, § 3, Rn. 7; Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 439 ff.; Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 49. EL (2012), Art. 49 AEUV, Rn. 113 f.; Müller-Graff, in: Streinz, EUV/ AEUV, Art. 49 AEUV, Rn. 60; Teichmann, ZGR 2011, 639 (653). 155 Vgl. Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 49. EL (2012), Art. 49 AEUV, Rn. 112; Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV, Rn. 60. 156 Teichmann, ZGR 2011, 639 (653). 157 EuGH, Urteil vom 24.11.1993, Rs. C-267/91 u. C-268/91 – Keck u.a., Slg. 1993, 6097. 158 Vgl. EuGH, Urteil vom 24.11.1993, Rs. C-267/91 u. C-268/91 – Keck u.a., Slg. 1993, 6097, Rn. 16 f. 159 Vgl. Altmeppen/Ego, in: MünchKomm-AktG, Bd. 7, Europ. Niederlassungsfreiheit, Rn. 120; Schlag, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 49 AEUV, Rn. 56. 160 Vgl. EuGH, Urteil vom 11.5.1999, Rs. C-255/97 – Pfeiffer, Slg. 1999, I-2835, Rn. 19; EuGH, Urteil vom 25.10.2001, Rs. C-493/99 – Kommission/Deutschland, Slg. 2001, I-8163, Rn. 32; EuGH, Urteil vom 5.10.2004, Rs. C-442/02 – CaixaBank France, Slg. 2004, I-8961, Rn. 13 f.; EuGH, Urteil vom 28.4.2009, Rs. C-518/06 – Kommission/Italien, Slg. 2009, I-3491, Rn. 64; EuGH, Urteil vom 21.10.2010, Rs. C-81/09 – Idryma Typou, Slg. 2010, I-10161, Rn. 55 f.

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schaften“ sowie „Vorschriften über die Ausübung beruflicher Tätigkeiten“.161 Dort erfolgt diese Unterscheidung jedoch nicht im Hinblick auf die Reichweite des Beschränkungsverbots, sondern im Kontext der Rechtfertigungsmöglichkeiten niederlassungsbeschränkender Maßnahmen der Mitgliedstaaten.162 Ausgehend von der ökonomischen Zielsetzung der Niederlassungsfreiheit spricht indessen vieles dafür, die Keck-Formel des EuGH sinngemäß auf die Niederlassungsfreiheit zu übertragen und zwischen marktzugangsbehindernden Regelungen sowie tätigkeitsbezogenen Regelungen zu unterscheiden, welche spezifische Vorgaben für die Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit im Aufnahmestaat enthalten.163 Der Binnenmarkt, welcher durch die Niederlassungsfreiheit gewährleistet werden soll, lässt sich als Zustand der Marktfreiheit und Marktgleichheit beschreiben.164 Unter Marktfreiheit versteht man den freien grenzüberschreitenden Marktzugang, unter Marktgleichheit eine Gleichheit der Wettbewerbsbedingungen. 165 Da die Niederlassungsfreiheit lediglich eine freie Standortwahl im Binnenmarkt ermöglichen soll, hat sie nicht den Zweck, die Wettbewerbsbedingungen des Aufnahmestaates, welche der Standortentscheidung zugrundenlagen, nachträglich zu modifizieren.166 Durch die Standortentscheidung unterwirft sich der Träger der Niederlassungsfreiheit freiwillig der inländischen Rechts- und Sozialordnung als Teil der Standortbedingungen des Aufnahmestaates.167 Wenn sich ein Marktteilnehmer im Wege einer Niederlassung dauerhaft in die Volkswirtschaft des Aufnahmestaates integrieren möchte, ist es ihm im Interesse der Geltung einheitlicher Standards in diesem Mitgliedstaat zuzumuten, dessen tätigkeitsbezogene Vorschriften als allgemeines Verkehrsrecht zu erfüllen und damit seine Integrationslast zu erbringen.168 Im Falle eines dauerhaften Aufenthalts in einem anderen Mitgliedstaat sind einem Marktteilnehmer Anpassungsan161

Vgl. EuGH, Urteil vom 9.3.1999, Rs. C-212/97 – Centros, Slg. 1999, I-1459, Rn. 26. Vgl. Kieninger, ZGR 1999, 724 (743). 163 Vgl. Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 49. EL (2012), Art. 49 AEUV, Rn. 112 f.; Rehberg, EuLF 2004, 1 (7); Teichmann, ZGR 2011, 639 (654 f.); offenbar auch OLG Jena, ZIP 2013, 1820 (1821); Biermeyer, CMLR 2013, 571 (585); Bröhmer, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV, Rn. 31 ff.; a.A. Kieninger, ZGR 1999, 724 (743 f.); Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV, Rn. 62; Schlag, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 49 AEUV, Rn. 56; zweifelnd auch Altmeppen/Ego, in: MünchKomm-AktG, Bd. 7, Europ. Niederlassungsfreiheit, Rn. 120. 164 Vgl. Teichmann, ZGR 2011, 639 (647); Wasmeier, Umstrukturierung, 2014, S. 145. 165 Teichmann, ZGR 2011, 639 (647). 166 Vgl. Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 49. EL (2012), Art. 49 AEUV, Rn. 112. 167 Vgl. Bröhmer, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV, Rn. 31; MüllerGraff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV, Rn. 5. 168 Vgl. Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 49. EL (2012), Art. 49 AEUV, Rn. 112; Teichmann, ZGR 2011, 639 (666). 162

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Kapitel 2: Die Niederlassungsfreiheit der Gesellschaften

strengungen eher zumutbar als bei einer nur kurzzeitigen Auslandsberührung.169 Es wäre widersprüchlich, einen bestimmten Mitgliedstaat aufgrund seiner günstigen Standortfaktoren auszusuchen, sich aber wegen dessen nachteiliger Wettbewerbsbedingungen auf die Rechtsordnung des Herkunftsstaates berufen zu wollen.170 Die Niederlassungsfreiheit hat nicht den Zweck, regulatorische Freiräume zu schaffen, sondern gewährt lediglich das Recht, an den bestehenden Märkten anderer Mitgliedstaaten zu den dortigen Bedingungen teilzunehmen.171 Reine Unterschiede in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten begründen keine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit.172 Die Gewährleistung des ungehinderten Marktzugangs bildet den gemeinsamen Kern, aber auch die immanente Grenze aller Grundfreiheiten.173 Die entscheidende Frage lautet, ob der Marktzugang in einem anderen Mitgliedstaat verhindert oder jedenfalls weniger attraktiv gemacht wird. Dementsprechend unterliegen marktzugangsrelevante Regelungen einem Beschränkungsverbot, während tätigkeitsbezogene Regelungen als allgemeine rechtliche Standortbedingungen lediglich am Diskriminierungsverbot zu messen sind. 174 4. Rechtfertigung niederlassungsbeschränkender Maßnahmen Das Beschränkungsverbot des Art. 49 Abs. 1 AEUV unterliegt ausdrücklichen sowie textlich ungeschriebenen, normimmanenten Rechtfertigungsvorbehalten.175 Eine mitgliedstaatliche Maßnahme, welche eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit bewirkt, verstößt nicht per se gegen Art. 49 AEUV, sondern nur dann, wenn für die jeweilige Maßnahme kein sachlicher Grund besteht, der die von ihr ausgehende Beschränkung der Niederlassungsfreiheit zu rechtfertigen vermag. Art. 52 AEUV erlaubt eine Sonderbehandlung von Ausländern aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit. Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit sind nach der Recht-

169

Vgl. Rehberg, EuLF 2004, 1 (8). Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV, Rn. 5. 171 Altmeppen/Ego, in: MünchKomm-AktG, Bd. 7, Europ. Niederlassungsfreiheit, Rn. 134. 172 Vgl. Bröhmer, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV, Rn. 33. 173 Teichmann, ZGR 2011, 639 (649 und 668). 174 Vgl. Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 49. EL (2012), Art. 49 AEUV, Rn. 112; Habersack/Verse, Europ. GesR, § 3, Rn. 7; Teichmann, ZGR 2011, 639 (655); offenbar auch Bröhmer, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV, Rn. 31. 175 Vgl. Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 49. EL (2012), Art. 49 AEUV, Rn. 122; Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV, Rn. 6 und 81. 170

§ 3 Der Gewährleistungsgehalt der Niederlassungsfreiheit

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sprechung des EuGH zudem gerechtfertigt, wenn sie zwingenden Gründen des Allgemeininteresses dienen und verhältnismäßig sind.176 a) Geschriebene Rechtfertigungsgründe Die Niederlassungsfreiheit findet gemäß Art. 52 AEUV zunächst dort ihre Grenze, wo eine Sonderregelung für Ausländer aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt ist. Die Rechtfertigungsgründe der Vorschrift gelten für Diskriminierungen und Beschränkungen sonstiger Art gleichermaßen.177 Da Art. 52 AEUV den Mitgliedstaaten die Möglichkeit eröffnet, vom Grundprinzip des Verbots offener Diskriminierungen abzuweichen, sind die Rechtfertigungsgründe eng auszulegen.178 Ungleichbehandlungen aus wirtschaftspolitischen, protektionistischen Zielsetzungen laufen der Zielsetzung der Niederlassungsfreiheit grundsätzlich zuwider und können deshalb nicht nach Art. 52 AEUV gerechtfertigt werden.179 b) Ungeschriebene Rechtfertigungsgründe Die Ausweitung des Gewährleistungsinhalts der Grundfreiheiten durch Anerkennung des allgemeinen Beschränkungsverbots erforderte angesichts der engen Auslegung der Rechtfertigungsgründe des Art. 52 AEUV spiegelbildlich eine Erweiterung der Rechtfertigungsmöglichkeiten.180 Die Niederlassungsfreiheit soll unterschiedslos anwendbaren mitgliedstaatlichen Regelungen nicht entgegenstehen, welche die Verwirklichung zwingender Allgemeininteressen bezwecken und in Relation zu ihrer freiheitsbeschränkenden Wirkung verhältnismäßig sind. 181 Derartige Behinderungen des Freiverkehrs sind auch im Hinblick auf die binnenmarktbezogene Zielsetzung der Niederlassungsfreiheit hinzunehmen. 182 176 Vgl. EuGH, Urteil vom 30.11.1995, Rs. C-55/94 – Gebhard, Slg. 1995, I-4165, Rn. 37; EuGH, Urteil vom 15.5.1997, Rs. C-250/95 – Futura Participations u.a., Slg. 1997, I-2471, Rn. 26; EuGH, Urteil vom 9.3.1999, Rs. C-212/97 – Centros, Slg. 1999, I-1459, Rn. 34; EuGH, Urteil vom 11.5.1999, Rs. C-255/97 – Pfeiffer, Slg. 1999, I-2835, Rn. 19; EuGH, Urteil vom 5.10.2004, Rs. C-442/02 – CaixaBank France, Slg. 2004, I-8961, Rn. 17. 177 Schlag, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 49 AEUV, Rn. 53. 178 Vgl. Altmeppen/Ego, in: MünchKomm-AktG, Bd. 7, Europ. Niederlassungsfreiheit, Rn. 148; Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 49. EL (2012), Art. 52 AEUV, Rn. 21; Teichmann, ZGR 2011, 639 (667). 179 Altmeppen/Ego, in: MünchKomm-AktG, Bd. 7, Europ. Niederlassungsfreiheit, Rn. 148. 180 Vgl. Altmeppen/Ego, in: MünchKomm-AktG, Bd. 7, Europ. Niederlassungsfreiheit, Rn. 152; Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV, Rn. 82; Teichmann, ZGR 2011, 639 (667). 181 Vgl. Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV, Rn. 82. 182 Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV, Rn. 82.

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Kapitel 2: Die Niederlassungsfreiheit der Gesellschaften

Die Rechtfertigung einer beschränkenden mitgliedstaatlichen Maßnahme setzt nach der Rechtsprechung des EuGH die Erfüllung von vier Kriterien voraus: Die Maßnahme muss in nichtdiskriminierender Weise angewandt werden, ein zwingendes Allgemeininteresse verfolgen, geeignet sein, die Verwirklichung des mit ihr verfolgten Ziels zu gewährleisten, und nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Zieles erforderlich ist.183 Dieser ungeschriebene Rechtfertigungstatbestand, welcher für sämtliche Grundfreiheiten gleichermaßen gilt, wird als Gebhard-Formel bezeichnet.184 aa) Diskriminierungsfreie Beschränkung Obgleich der EuGH eine Rechtfertigung anhand der Gebhard-Formel davon abhängig macht, dass eine Beschränkung „in nichtdiskriminierender Weise“ erfolgt, sind lediglich offene Diskriminierungen vom Anwendungsbereich der ungeschriebenen Rechtfertigungsgründe auszugrenzen. 185 Formal unterschiedslos anwendbare Regelungen können hingegen gerechtfertigt werden, unabhängig davon, ob sie eine verdeckte Diskriminierung oder eine sonstige Beschränkung beinhalten.186 Schon wegen der engen Auslegung des Art. 52 AEUV besteht hierfür ein unabweisbares rechtliches Bedürfnis.187 Bei näherer Betrachtung steht die Rechtsprechung des Gerichtshofs einer Einbeziehung verdeckter Diskriminierungen in den Anwendungsbereich der Gebhard-Formel auch nicht entgegen. Danach sind verdeckte Diskriminierungen gerechtfertigt, wenn sie auf objektiven, von der Staatsangehörigkeit unabhängigen Erwägungen beruhen und in einem angemessenen Verhältnis zu dem Zweck stehen, der mit der Maßnahme zulässigerweise verfolgt

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Vgl. EuGH, Urteil vom 30.11.1995, Rs. C-55/94 – Gebhard, Slg. 1995, I-4165, Rn. 37; EuGH, Urteil vom 15.5.1997, Rs. C-250/95 – Futura Participations u.a., Slg. 1997, I-2471, Rn. 26; EuGH, Urteil vom 9.3.1999, Rs. C-212/97 – Centros, Slg. 1999, I-1459, Rn. 34; EuGH, Urteil vom 11.5.1999, Rs. C-255/97 – Pfeiffer, Slg. 1999, I-2835, Rn. 19; EuGH, Urteil vom 5.10.2004, Rs. C-442/02 – CaixaBank France, Slg. 2004, I-8961, Rn. 17. 184 Altmeppen/Ego, in: MünchKomm-AktG, Bd. 7, Europ. Niederlassungsfreiheit, Rn. 152. 185 Vgl. Altmeppen/Ego, in: MünchKomm-AktG, Bd. 7, Europ. Niederlassungsfreiheit, Rn. 154; Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 49. EL (2012), Art. 49 AEUV, Rn. 123; Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV, Rn. 84. 186 Vgl. Altmeppen/Ego, in: MünchKomm-AktG, Bd. 7, Europ. Niederlassungsfreiheit, Rn. 155; Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 49. EL (2012), Art. 49 AEUV, Rn. 123; Jung, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 54 AEUV, Rn. 25; Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV, Rn. 84; Schlag, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 49 AEUV, Rn. 53. 187 Vgl. Altmeppen/Ego, in: MünchKomm-AktG, Bd. 7, Europ. Niederlassungsfreiheit, Rn. 155; Teichmann, ZIP 2006, 355 (356 f.).

§ 3 Der Gewährleistungsgehalt der Niederlassungsfreiheit

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wird.188 Ein unauflösbarer Widerspruch zur Gebhard-Formel ergibt sich daraus nicht. In einer Reihe von Entscheidungen konstatiert der Gerichtshof ferner eine „unterschiedliche Behandlung“, zieht jedoch gleichwohl eine Rechtfertigung anhand der Gebhard-Formel in Erwägung.189 Der Gerichtshof betrachtet die Diskriminierung offenbar als Unterfall der Beschränkung einer Grundfreiheit. Für diese Sichtweise spricht der Umstand, dass die Art. 49 Abs. 1, 56 Abs. 1 und 63 Abs. 1 AEUV nicht den Terminus der Diskriminierung, sondern der Beschränkung als Oberbegriff verbotener Maßnahmen verwenden. Die Begrenzung der Gebhard-Formel auf nichtdiskriminierende Maßnahmen ist daher lediglich als Ausgrenzung offen diskriminierender Beschränkungen aus deren Anwendungsbereich zu verstehen. Verdeckte Diskriminierungen sind hingegen mit Art. 49 AEUV vereinbar, wenn sie zur Verwirklichung eines unionsrechtlich anerkannten zwingenden Allgemeininteresses hinzunehmen sind.190 bb) Zwingende Gründe des Allgemeininteresses Als immanente Schranken der Grundfreiheiten sind die zwingenden Gründe des Allgemeininteresses weder primärrechtlich geregelt noch begrenzt.191 Die Bestimmung der Schutzgüter bleibt vielmehr den Mitgliedstaaten überlassen.192 Diesen steht ein gewisser Spielraum bei der Definition schützenswerter Belange zu.193 Es ist nicht erforderlich, dass das jeweilige Schutzanliegen auf Unionsebene anerkannt oder von anderen Mitgliedstaaten gleichermaßen verfolgt wird.194 Das Schutzanliegen muss lediglich mit den Zielen des Binnenmarktes als wettbewerbsorientiertem Wirtschaftsraum vereinbar sein.195 Die Rechtfertigung von Beschränkungen aufgrund zwingender Allgemeininteressen kommt daher ausnahmslos bei nichtwirtschaftlichen Zielsetzungen in 188 Vgl. EuGH, Urteil vom 24.11.1998, Rs. C-274/96 – Bickel und Franz, Slg. 1998, I-7637, Rn. 26 f.; EuGH, Urteil vom 15.3.2005, Rs. C-209/03 – Bidar, Slg. 2005, I-2119, Rn. 53 f. 189 Vgl. EuGH, Urteil vom 13.12.2005, Rs. C-411/03 – SEVIC Systems, Slg. 2005, I-10805, Rn. 23; EuGH, Urteil vom 18.7.2007, Rs. C-231/05 – Oy AA, Slg. 2007, I-6373, Rn. 43 f.; EuGH, Urteil vom 29.11.2011, Rs. C-371/10 – National Grid Indus, Slg. 2011, I-12273, Rn. 41 f. 190 Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV, Rn. 48. 191 Vgl. BGH, NJW 2007, 2328 (2330); Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV, Rn. 85. 192 Vgl. Altmeppen/Ego, in: MünchKomm-AktG, Bd. 7, Europ. Niederlassungsfreiheit, Rn. 153; Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 445. 193 Vgl. BGH, NJW 2007, 2328 (2330); Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 49. EL (2012), Art. 49 AEUV, Rn. 122. 194 Vgl. Altmeppen/Ego, in: MünchKomm-AktG, Bd. 7, Europ. Niederlassungsfreiheit, Rn. 153; Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 445. 195 Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV, Rn. 85.

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Kapitel 2: Die Niederlassungsfreiheit der Gesellschaften

Betracht.196 Wettbewerbsverfälschende oder protektionistische Maßnahmen mit wirtschaftspolitischem Hintergrund sind hingegen nicht zu rechtfertigen.197 Der EuGH hat als zwingende Gründe des Allgemeininteresses namentlich den Schutz der Interessen von Gesellschaftsgläubigern, Minderheitsgesellschaftern sowie Arbeitnehmern anerkannt.198 cc) Geeignetheit Die Eignung einer Maßnahme ist im Hinblick auf das zu verwirklichende zwingende Allgemeininteresse zu beurteilen.199 Anhand von Erfahrungswerten und Prognosen ist zu ermitteln, ob die jeweilige Maßnahme den angestrebten Zweck zumindest fördert.200 Nicht erforderlich ist hingegen, dass die Maßnahme den Zweck bestmöglich erreicht.201 Den Mitgliedstaaten ist insoweit ein gewisser Beurteilungsspielraum zuzugestehen.202 Ob eine mitgliedstaatliche Maßnahme geeignet ist, das mit ihr verfolgte Ziel zu erreichen, wird seitens des EuGH nicht stets mit derselben Intensität geprüft.203 Zuweilen wird die Geeignetheit einer Maßnahme ohne weitere Ausführungen lediglich festgestellt. 204 Insgesamt ist in der Rechtsprechung des Gerichtshofs insoweit eine großzügige Auslegung des Rechtfertigungskriteriums zu erkennen. Lediglich bei völlig untauglichen Maßnahmen oder einem inkonsequenten Vorgehen des jeweiligen Mitgliedstaates schließt er eine unionsrechtliche

196 Vgl. Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 446; Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV, Rn. 85. 197 Vgl. Bröhmer, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 54 AEUV, Rn. 18; MüllerGraff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV, Rn. 85; Szydlo, ECFR 2010, 414 (439); Vermeylen/Vande Velde, ECBMR, Kap. 2, Rn. 2.264. 198 Vgl. EuGH, Urteil vom 5.11.2002, Rs. C-208/00 – Überseering, Slg. 2002, I-9919, Rn. 92; EuGH, Urteil vom 30.9.2003, Rs. C-167/01 – Inspire Art, Slg. 2003, I-10155, Rn. 142; EuGH, Urteil vom 13.12.2005, Rs. C-411/03 – SEVIC Systems, Slg. 2005, I-10805, Rn. 28; EuGH, Urteil vom 12.7.2012, Rs. C-378/10 – VALE Építési, Rn. 34. 199 Vgl. EuGH, Urteil vom 17.10.2002, Rs. C-79/01 – Payroll u.a., Slg. 2002, I-8923, Rn. 34; Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV, Rn. 94. 200 Vgl. Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 447; Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV, Rn. 94. 201 Vgl. EuGH, Urteil vom 18.3.1980, Rs. C-52/79 – Debauve, Slg. 1980, 833, Rn. 18 f.; Altmeppen/Ego, in: MünchKomm-AktG, Bd. 7, Europ. Niederlassungsfreiheit, Rn. 160. 202 Vgl. Altmeppen/Ego, in: MünchKomm-AktG, Bd. 7, Europ. Niederlassungsfreiheit, Rn. 160; Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV, Rn. 94. 203 Altmeppen/Ego, in: MünchKomm-AktG, Bd. 7, Europ. Niederlassungsfreiheit, Rn. 160. 204 Vgl. EuGH, Urteil vom 1.2.2001, Rs. C-108/96 – Mac Quen u.a., Slg. 2001, I-837, Rn. 30; EuGH, Urteil vom 11.7.2002, Rs. C-294/00 – Gräbner, Slg. 2002, I-6515, Rn. 43.

§ 3 Der Gewährleistungsgehalt der Niederlassungsfreiheit

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Rechtfertigung aus.205 Die Berufung auf zwingende Gründe des Allgemeininteresses setzt mithin eine konsequente Zielverfolgung des jeweiligen Mitgliedstaates voraus.206 dd) Erforderlichkeit Eine mitgliedstaatliche Maßnahme muss nicht nur geeignet sein, das mit ihr verfolgte Ziel zu fördern. Die Maßnahme muss zudem das mildeste, die Niederlassungsfreiheit am wenigsten tangierende Mittel zur Erreichung dieses Ziels sein. Eine Rechtfertigung der Maßnahme scheidet damit aus, wenn das zwingende Allgemeininteresse genauso wirksam durch eine Maßnahme verwirklicht werden kann, welche die Niederlassungsfreiheit weniger stark beeinträchtigt.207 Der EuGH weist den Mitgliedstaaten insoweit einen Beurteilungs- und Wertungsspielraum zu.208 In Abwesenheit sekundärrechtlicher Regelungen ist es nicht nur Sache der Mitgliedstaaten, Schutzziele und Schutzgüter zu definieren, sondern grundsätzlich auch zu bestimmen, auf welchem Niveau der Schutz gewährt und wie das Schutzniveau erreicht werden soll.209 Die Tatsache, dass ein anderer Mitgliedstaat andersartige Schutzregelungen erlassen hat, ist für die Beurteilung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit einer Maßnahme nicht von Belang.210 Der Gerichtshof überprüft die Verhältnismäßigkeit der Niederlassungsbedingungen eines Mitgliedstaates nicht anhand der Regelungen anderer Mitgliedstaaten.211 Allein der Umstand, dass ein Mitgliedstaat weniger strenge Vorschriften erlässt als ein anderer, bedeutet demnach nicht, dass die Maßnahmen des letztgenannten 205

Vgl. EuGH, Urteil vom 25.7.1991, Rs. C-76/90 – Sägner, Slg. 1991, I-4221, Rn. 18; EuGH, Urteil vom 17.10.2002, Rs. C-79/01 – Payroll u.a., Slg. 2002, I-8923, Rn. 34; Altmeppen/Ego, in: MünchKomm-AktG, Bd. 7, Europ. Niederlassungsfreiheit, Rn. 161; Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 447; Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV, Rn. 94. 206 W.-H. Roth, IPRax 2003, 117 (126). 207 Vgl. Altmeppen/Ego, in: MünchKomm-AktG, Bd. 7, Europ. Niederlassungsfreiheit, Rn. 163; Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV, Rn. 95. 208 Vgl. EuGH, Urteil vom 11.7.2002, Rs. C-294/00 – Gräbner, Slg. 2002, I-6515, Rn. 48; EuGH, Urteil vom 10.3.2009, Rs. C-169/07 – Hartlauer, Slg. 2009, I-1721, Rn. 30; EuGH, Urteil vom 19.5.2009, Rs. C-171/07 u.a. – Apothekerkammer des Saarlandes u.a., Slg. 2009, I-4171, Rn. 19, 35 und 40. 209 Vgl. Altmeppen/Ego, in: MünchKomm-AktG, Bd. 7, Europ. Niederlassungsfreiheit, Rn. 166; Schlag, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 49 AEUV, Rn. 57; a.A. offenbar Eidenmüller, JZ 2004, 24 (28). 210 Vgl. EuGH, Urteil vom 1.2.2001, Rs. C-108/96 – Mac Quen u.a., Slg. 2001, I-837, Rn. 34; EuGH, Urteil vom 11.7.2002, Rs. C-294/00 – Gräbner, Slg. 2002, I-6515, Rn. 47. 211 Vgl. EuGH, Urteil vom 1.2.2001, Rs. C-108/96 – Mac Quen u.a., Slg. 2001, I-837, Rn. 33 f.; EuGH, Urteil vom 11.7.2002, Rs. C-294/00 – Gräbner, Slg. 2002, I-6515, Rn. 46 f.; EuGH, Urteil vom 1.6.2010, Rs. C-570/07 u.a. – Blanco Perez u.a., Slg. 2010, I-4629, Rn. 68 f.

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Kapitel 2: Die Niederlassungsfreiheit der Gesellschaften

Mitgliedstaates nicht erforderlich sind.212 Bei der Beurteilung der Erforderlichkeit einer Maßnahme ist allein auf das mit ihr verfolgte Ziel und das angestrebte Schutzniveau abzustellen.213 Die Rechtsprechung des EuGH zeichnet sich auch in dieser Hinsicht nicht durch eine klare Linie aus; die Prüfungsintensität des Gerichtshofs schwankt. In einigen Entscheidungen gewährt er den Mitgliedstaaten einen weitgehenden Einschätzungsspielraum. 214 In anderen Urteilen lehnt er die Rechtfertigung unter Hinweis auf weniger belastende Maßnahmen ab.215 Die Mitgliedstaaten genießen bei Regelungen mit marktabschottender Wirkung jedenfalls ein geringeres gesetzgeberisches Ermessen als bei zugangsneutralen Regelungen.216 IV. Zwischenergebnis Als wesentliche Erkenntnis ist festzuhalten, dass die Niederlassungsfreiheit ihren Trägern das Recht gewährleistet, sich tatsächlich in einem anderen Mitgliedstaat niederzulassen. Sie verbürgt den Marktteilnehmern die Freiheit, sich ungehindert faktisch an einem beliebigen Standort innerhalb des Binnenmarktes anzusiedeln, nicht hingegen die Freiheit, für eine wirtschaftliche Unternehmung unabhängig von einer tatsächlichen Standortwahl eine bestimmte rechtliche Organisationsform in Anspruch zu nehmen. Die Niederlassungsfreiheit ist nicht als Rechtswahlfreiheit zu verstehen. Die Existenz einer tatsächlichen Niederlassung in einem anderen Mitgliedstaat ist vielmehr bereits notwendige Voraussetzung des Tatbestands und damit des sachlichen Anwendungsbereichs der Niederlassungsfreiheit. Lässt sich ein grenzüberschreitender Niederlassungsvorgang nicht anhand tatsächlicher Anhaltspunkte feststellen, kommt eine Überprüfung entgegenstehender mitgliedstaatlicher Maßnahmen anhand der Niederlassungsfreiheit a priori nicht in Betracht. Die Niederlassungsfreiheit gewährleistet ihren Trägern grundsätzlich die Freiheit von Beschränkungen grenzüberschreitender Niederlassungsvorgänge jedweder Art. Das Beschränkungsverbot ist jedoch in seiner Reichweite begrenzt. Während mitgliedstaatliche Regelungen, welche den Marktzugang eines Marktteilnehmers in einem anderen Mitgliedstaat betreffen, einer Kontrolle anhand des Beschränkungsverbots zu unterziehen sind, werden Rege212

Vgl. Altmeppen/Ego, in: MünchKomm-AktG, Bd. 7, Europ. Niederlassungsfreiheit, Rn. 167; Schlag, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 49 AEUV, Rn. 57. 213 Altmeppen/Ego, in: MünchKomm-AktG, Bd. 7, Europ. Niederlassungsfreiheit, Rn. 167. 214 Vgl. EuGH, Urteil vom 1.2.2001, Rs. C-108/96 – Mac Quen u.a., Slg. 2001, I-837, Rn. 33 ff.; EuGH, Urteil vom 11.7.2002, Rs. C-294/00 – Gräbner, Slg. 2002, I-6515, Rn. 46 ff. 215 Vgl. EuGH, Urteil vom 17.10.2002, Rs. C-79/01 – Payroll u.a., Slg. 2002, I-8923, Rn. 36 ff.; EuGH, Urteil vom 5.10.2004, Rs. C-442/02 – CaixaBank France, Slg. 2004, I-8961, Rn. 21 ff. 216 Teichmann, ZGR 2011, 639 (655).

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lungen des Aufnahmestaates, welche spezifische Vorgaben für die Ausübung wirtschaftlicher Tätigkeiten in dessen Hoheitsgebiet beinhalten, als allgemeine Standortbedingungen lediglich einer unionsrechtlichen Überprüfung am Maßstab des Diskriminierungsverbots unterzogen.

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I. Einführung Die rechtlichen Rahmenbedingungen grenzüberschreitender Gesellschaftsmobilität im Binnenmarkt haben sich infolge der Rechtsprechung des EuGH in den vergangenen Jahren wesentlich geändert (vgl. § 1 IV.). Die Urteile des Gerichtshofs haben prägenden Einfluss auf das (Internationale) Gesellschaftsrecht der Mitgliedstaaten. Leitlinie der Rechtspraxis ist das Verständnis des EuGH vom Gewährleistungsgehalt der Niederlassungsfreiheit auf der einen Seite sowie vom Umfang der gesellschaftsrechtlichen Regelungsautonomie der Mitgliedstaaten auf der anderen Seite. Die wesentlichen Rechtsfragen schienen Mitte des vergangenen Jahrzehnts durch die Rechtsprechung geklärt. Bei genauerem Hinsehen blieben jedoch viele praxisrelevante Fragen offen. Weitere Zweifel wurden durch jüngere Urteile des Gerichtshofs genährt. Während dieser zunächst eine ausgesprochen liberale Rechtsprechungslinie verfolgte, deutet sich in den letzten Jahren eine Trendwende an.217 Den Beginn dieser Entwicklung markiert das Urteil in der Rechtssache Cadbury Schweppes, in welchem der Gerichtshof der Gründung einer Briefkastengesellschaft zum Zwecke der Steuervermeidung den Schutz der Niederlassungsfreiheit versagte. Auch das Urteil in der Rechtssache Cartesio fiel zurückhaltender aus als von vielen Autoren erwartet. Das Verständnis der Niederlassungsfreiheit als Wegzugsfreiheit, welches in Fachkreisen viele Anhänger gefunden hatte, teilte der Gerichtshof nicht. Zuletzt hat der EuGH in der Rechtssache VALE in einem obiter dictum sein in der Rechtssache Factortame II entwickeltes tatsächliches Verständnis des Begriffs der Niederlassung bekräftigt. Die zuvor gefestigt erschienene Interpretation des Gewährleistungsgehalts der Niederlassungsfreiheit durch den Gerichtshof wird durch die jüngeren Entscheidungen in Frage gestellt. Es ist zweifelhaft, ob der EuGH seine liberale Rechtsprechungslinie revidiert hat.218 Der Gewähr-

217

Vgl. Kindler, IPRax 2009, 189 (190); Kindler, EuZW 2012, 888 (891 f.); Korom/Metzinger, ECFR 2009, 125 (125); G.H. Roth, ZIP 2012, 1744 (1745); Teichmann, ZGR 2011, 639 (641); offenbar auch Herrler, DNotZ 2009, 484 (492). 218 Dafür Herrler, DNotZ 2009, 484 (492); Kindler, NZG 2009, 130 (130); Kindler, IPRax 2010, 272 (273 f.); Kindler, EuZW 2012, 888 (891 f.); G.H. Roth, ZIP 2012, 1744

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leistungsgehalt der Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften ist daher einer erneuten Prüfung zu unterziehen.219 Klärungsbedürftig ist, ob typische Ausprägungen grenzüberschreitender Gesellschaftsmobilität wie die Gründung einer Gesellschaft nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaates (vgl. § 4 II.) sowie die Verlegung des Verwaltungssitzes (vgl. § 4 III.) beziehungsweise des Satzungssitzes (vgl. § 4 IV.) in einen anderen Mitgliedstaat durch die Niederlassungsfreiheit gewährleistet werden. II. Grenzüberschreitende Gesellschaftsgründung Sofern ein Unionsangehöriger eine wirtschaftliche Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat ausüben möchte und zu diesem Zweck in diesem Mitgliedstaat eine Gesellschaft gründet, ist dieser Vorgang aus unionsrechtlicher Perspektive unproblematisch. Der Gründungsvorgang wird durch die Niederlassungsfreiheit der Gesellschaftsgründer gewährleistet (vgl. § 3 II. 2. a)). Zweifelhaft ist hingegen die unionsrechtliche Gewährleistung der Gründung einer Briefkastengesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat. Dem Wunsch der Gesellschaftsgründer, anstelle einer Gesellschaft ihres Herkunftsstaates eine EUausländische Rechtsform als Rechtsträger eines im Inland agierenden Unternehmens einzusetzen, können unterschiedliche Erwägungen zugrundeliegen.220 Neben den Vorzügen des Gesellschaftsstatuts der EU-ausländischen Rechtsform (vgl. § 2 III. 1.) spielen oftmals steuerrechtliche Gründe eine Rolle.221 Internationalen Konzernen eröffnet die Gründung von Briefkastengesellschaften ferner die Möglichkeit, eine vertraute Rechtsform für Auslandsaktivitäten verwenden zu können.222 Durch die Organisation ausländischer Tochterunternehmen nach dem Recht der inländischen Muttergesellschaft lassen sich zusätzliche Rechtsberatungskosten vermeiden.223 Ob die Niederlassungsfreiheit den Unionsangehörigen das Recht verbürgt, in einem Mitgliedstaat eine Gesellschaft zu gründen, welche in diesem Mitgliedstaat keine reale Tätigkeit entfaltet, sondern ihre Geschäfte ausschließlich in einem anderen Mitgliedstaat betreibt, ist indessen fraglich. Einerseits stellt sich die Frage, ob die Mitgliedstaaten unionsrechtlich verpflichtet sind, die Gründung von Briefkastengesellschaften durch entsprechende kollisionsund sachrechtliche Regelungen zu ermöglichen. Andererseits ist die Frage aufgeworfen, ob ein Mitgliedstaat die Gründung einer Gesellschaft nach dem (1745); erwägend auch Wicke, DStR 2012, 1756 (1758); a.A. Campos Nave, BB 2009, 870 (872); W.-H. Roth, FS Hoffmann-Becking, 2013, 965 (968). 219 Teichmann, ZGR 2011, 639 (687). 220 Vgl. Weller, FS Goette, 2011, 583 (584). 221 Vgl. Weller, FS Goette, 2011, 583 (585). 222 Vgl. Wasmeier, Umstrukturierung, 2014, S. 6; Weller, FS Blaurock, 2013, 497 (505 f.); Zimmer/Naendrup, NJW 2009, 545 (548). 223 Vgl. Franz, BB 2009, 1250 (1250); Wasmeier, Umstrukturierung, 2014, S. 6.

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Recht eines anderen Mitgliedstaates akzeptieren muss, wenn die Gesellschaft von Anfang an ausschließlich in seinem Hoheitsgebiet tätig und von dort aus geleitet wird. Dass ein Mitgliedstaat nicht die Möglichkeit besitzen soll, sein zwingendes Recht auf eine Gesellschaft anzuwenden, die ausschließlich im eigenen Territorium tätig wird und keinerlei tatsächliche Beziehungen zum Gründungsstaat aufweist, ist schon bemerkenswert. 224 Ermöglicht es die Niederlassungsfreiheit den Gesellschaftsgründern tatsächlich, durch die Wahl eines EU-ausländischen Gesellschaftsstatuts das Recht ihres Herkunftsstaates zu umgehen? Diese Fragen müssen unter Zugrundelegung des Begriffs der Niederlassung und der wirtschaftlichen Zielsetzung der Niederlassungsfreiheit beantwortet werden. Die rechtswissenschaftliche Debatte hat vor dem Hintergrund des Urteils des EuGH in der Rechtssache VALE erneut Fahrt aufgenommen. 1. Perspektive des Gründungsstaates Der Gründung einer Briefkastengesellschaft kann aus der Perspektive des Mitgliedstaates, in welchem die Gesellschaft gegründet werden soll, zum einen die kollisionsrechtliche Anknüpfung des Gesellschaftsstatuts nach Maßgabe der Sitztheorie entgegenstehen.225 Zum anderen kann das materielle Gesellschaftsrecht die Gründung einer Briefkastengesellschaft verhindern, wenn es der Gesellschaft vorschreibt, dass sich der effektive Verwaltungssitz im Inland befinden muss. Demnach ist die Frage zu klären, ob die kollisionsund sachrechtlichen Vorschriften der Mitgliedstaaten insoweit einer Kontrolle anhand der Niederlassungsfreiheit zu unterziehen sind und gegebenenfalls einer unionsrechtlichen Rechtfertigung bedürfen. Normativer Ausgangspunkt der Überlegungen ist Art. 54 Abs. 1 AEUV. Nach dieser Vorschrift kommt eine Gleichstellung mit Unionsbürgern lediglich für die „nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates gegründeten“ Gesellschaften in Betracht. Unklar ist, ob sich der Norm lediglich eine Einschränkung des personellen Anwendungsbereichs der Niederlassungsfreiheit oder eine generelle Bereichsausnahme des Gründungsrechts von der Niederlassungsfreiheit entnehmen lässt. Der EuGH hat zwar stets betont, dass es den Mitgliedstaaten frei stehe, die Anknüpfung zu bestimmen, welche eine Gesellschaft aufweisen müsse, um als nach ihrem innerstaatlichen Recht gegründet angesehen zu werden.226 Andererseits hat er allerdings festgestellt, dass diese Befugnis keinesfalls eine Freistellung des nationalen Rechts über die Gründung von Gesellschaften von der Beachtung der Niederlassungsfrei224

Kieninger, ZGR 1999, 724 (745 f.). Vgl. Kindler, IPRax 2009, 189 (196). 226 Vgl. EuGH, Urteil vom 16.12.2008, Rs. C-210/06 – Cartesio, Slg. 2008, I-9641, Rn. 110; EuGH, Urteil vom 29.11.2011, Rs. C-371/10 – National Grid Indus, Slg. 2011, I-12273, Rn. 27; EuGH, Urteil vom 12.7.2012, Rs. C-378/10 – VALE Építési, Rn. 29. 225

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heit impliziere.227 Vor diesem Hintergrund ist die Existenz beziehungsweise die Reichweite einer Bereichsausnahme vom Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit ungeklärt. a) Bereichsausnahme vom Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit? Im Hinblick auf das Gründungsrecht wird in Fachkreisen überwiegend eine Bereichsausnahme vom Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit angenommen.228 Die Mitgliedstaaten könnten frei entscheiden, welche Erfordernisse für die Gründung einer Gesellschaft nach ihrer Rechtsordnung erfüllt sein müssten.229 Allein sie entschieden über die rechtliche Existenz und Ausgestaltung ihrer Gesellschaften.230 Der EuGH habe unmissverständlich klargestellt, dass die Mitgliedstaaten nicht verpflichtet seien, die Gründung von Briefkastengesellschaften durch entsprechende kollisions- und sachrechtliche Regelungen zu ermöglichen.231 Das Unionsrecht mache den Mitgliedstaaten keine Vorgaben im Hinblick darauf, welche Verknüpfung mit ihrem Hoheitsgebiet für die Anwendung ihres Gesellschaftsrechts erforderlich sei.232 Sie seien daher durch das Unionsrecht nicht daran gehindert, für die ihrem Recht unterliegenden Gesellschaften festzulegen, dass sich der satzungsmäßige Sitz, der effektive Verwaltungssitz und/oder die Hauptniederlassung in ihrem jeweiligen Hoheitsgebiet befinden müssten.233 Den Mitgliedstaaten stehe es 227

Vgl. EuGH, Urteil vom 16.12.2008, Rs. C-210/06 – Cartesio, Slg. 2008, I-9641, Rn. 112. 228 Vgl. Barthel, EWS 2010, 316 (320 f.); Gower/Davies, Company Law, Pt. 1, Rn. 624; Kindler, DK 2006, 811 (815); Kindler, NZG 2009, 130 (131); Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 140; G.H. Roth, EuZW 2010, 607 (607); G.H. Roth, Niederlassungsfreiheit, 2010, S. 16 f.; Teichmann, ZGR 2011, 639 (661); Teichmann, DB 2012, 2085 (2086); offenbar auch Altmeppen/Ego, in: MünchKomm-AktG, Bd. 7, Europ. Niederlassungsfreiheit, Rn. 19; Bayer/J. Schmidt, ZHR 173 (2009), 735 (742); Frobenius, DStR 2009, 487 (488); Herrler, DNotZ 2009, 484 (492); Klinke, ECFR 2005, 270 (290); W.-H. Roth, IPRax 2003, 117 (126); Weller, FS Blaurock, 2013, 497 (504 f.); Wicke, DStR 2012, 1756 (1757). 229 Vgl. Barthel, EWS 2010, 316 (321); Drygala, in: Lutter, UmwG, Bd. I, § 1, Rn. 17; Former Reflection Group on the Future of EU Company Law, ECFR 2013, 304 (318); Gower/Davies, Company Law, Pt. 1, Rn. 6-24; G.H. Roth, Niederlassungsfreiheit, 2010, S. 17; Teichmann, DB 2012, 2085 (2086); Wicke, DStR 2012, 1756 (1757). 230 Vgl. Barthel, EWS 2010, 316 (320). 231 Vgl. Altmeppen/Ego, in: MünchKomm-AktG, Bd. 7, Europ. Niederlassungsfreiheit, Rn. 19; G.H. Roth, EuZW 2010, 607 (607); G.H. Roth, Niederlassungsfreiheit, 2010, S. 20 und 46. 232 Vgl. Barthel, EWS 2010, 316 (320); Frobenius, DStR 2009, 487 (488); Herrler, DNotZ 2009, 484 (492); Kindler, NZG 2009, 130 (131); Klinke, ECFR 2005, 270 (290). 233 Vgl. Arbeitskreis Europäisches Unternehmensrecht, NZG 2011, 98 (98); Bayer/J. Schmidt, ZHR 173 (2009), 735 (742); Kindler, DK 2006, 811 (815); Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 140; W.-H. Roth, IPRax 2003, 117 (126); W.-

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vielmehr frei, zu entscheiden, ob sie ihre Rechtsformen mobil ausgestalten oder aber von ihnen Standorttreue verlangen. 234 Wenn ein Mitgliedstaat von einer Gesellschaft einen effektiven Verwaltungssitz im Inland verlange, dann hätten die Gesellschaftsgründer diesen Umstand zu akzeptieren und die Niederlassungsfreiheit helfe darüber nicht hinweg.235 Die Gesellschaftsgründer besäßen keinen aus der Niederlassungsfreiheit ableitbaren Anspruch, dass sich ein Mitgliedstaat mit der Ansiedlung eines inländischen Satzungssitzes zufrieden geben müsse.236 Sie hätten vielmehr die Gründungsvoraussetzungen desjenigen Mitgliedstaates einzuhalten, nach dessen Recht sie eine Gesellschaft gründen möchten.237 Nach anderer Auffassung sind die Vorschriften der Mitgliedstaaten hinsichtlich der Gründung von Gesellschaften hingegen an den allgemeinen Vorgaben der Niederlassungsfreiheit zu messen. 238 Die Regelungsautonomie des Gründungsstaates finde ihre Grenze in der Niederlassungsfreiheit der Gesellschaftsgründer.239 Das Ermessen der Mitgliedstaaten bei der Ausgestaltung ihres nationalen Gesellschaftsrechts müsse daher in Übereinstimmung mit dem Unionsrecht ausgeübt werden.240 Sämtliche Erfordernisse des nationalen Gesellschaftsrechts für die Gründung von Gesellschaften müssten mit der Niederlassungsfreiheit vereinbar sein.241 Soweit die Anwendung der Gründungsvorschriften den Zugang zum jeweiligen Mitgliedstaat beschränke, müssten diese Regelungen den Anforderungen der Gebhard-Formel standhalten.242 Das Erfordernis eines effektiven Verwaltungssitzes im Inland bedürfe etwa als Beschränkung der Niederlassungsfreiheit der Gesellschaftsgründer in Gestalt der Gründungsfreiheit einer unionsrechtlichen Rechtfertigung.243 Stelle der Gründungsstaat eine Rechtsform nur für Unternehmen zur Verfügung, deren tatsächliche Geschäftsleitung im Inland vollzogen werde, sei hiermit eine Benachteiligung grenzüberschreitender wirtschaftlicher AktivitäH. Roth, ZGR 2014, 168 (181); Teichmann, ZGR 2011, 639 (669); Weller, FS Blaurock, 2013, 497 (519). 234 Zimmer/Naendrup, NJW 2009, 545 (547). 235 G.H. Roth, Niederlassungsfreiheit, 2010, S. 25. 236 Teichmann, ZGR 2011, 639 (669). 237 Teichmann, ZGR 2011, 639 (662). 238 Vgl. Hansen, ECFR 2013, 1 (9 ff.); Jung, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 54 AEUV, Rn. 28; Schön, ECFR 2006, 122 (136 f.); Schön, FS Priester, 2007, 737 (744 f.); Thiermann, EuZW 2012, 209 (213). 239 Vgl. Schön, ECFR 2006, 122 (136 f.); Schön, FS Priester, 2007, 737 (744 f.). 240 Hansen, ECFR 2013, 1 (9). 241 Hansen, ECFR 2013, 1 (11 f.). 242 Vgl. Thiermann, EuZW 2012, 209 (213) bezüglich der vergleichbaren Fragestellung der Regelungsautonomie des Aufnahmestaates im Falle eines grenzüberschreitenden Formwechsels. 243 Vgl. Schön, ECFR 2006, 122 (136 f.); Schön, FS Priester, 2007, 737 (744 f.); erwägend auch Teichmann, ZIP 2009, 393 (399 f.).

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ten gegenüber inländischen Aktivitäten verbunden. 244 Beschränkungen einer „gesplitteten Sitzwahl“ seien nicht rechtfertigungsfähig. 245 Eine unionsrechtliche Rechtfertigung nicht diskriminierender Gründungsvorschriften aus Gründen des Gläubiger-, Minderheitsgesellschafter- und Arbeitnehmerschutzes sei hingegen vorstellbar.246 b) Stellungnahme Die kollisions- und sachrechtlichen Vorschriften der Mitgliedstaaten unterliegen einer unionsrechtlichen Kontrolle am Maßstab der Art. 49 ff. AEUV lediglich dann, wenn die Niederlassungsfreiheit tatbestandlich anwendbar ist. Im Gründungsstadium einer Gesellschaft kommen lediglich die Gesellschaftsgründer als Träger der Niederlassungsfreiheit in Betracht (vgl. § 3 II. 2. a)). In sachlicher Hinsicht setzt der Tatbestand der Niederlassungsfreiheit voraus, dass die Gründung der Gesellschaft mit einem grenzüberschreitenden Niederlassungsvorgang im Gründungsstaat einhergeht (vgl. § 3 II. 1. b)). Eine Briefkastengesellschaft kennzeichnet jedoch, dass diese im Gründungsstaat keinerlei Geschäftstätigkeit entfaltet. Als niederlassungsrelevanter Vorgang kommt daher allein die Gründung der Gesellschaft als solche in Betracht. Als reiner Rechtsakt erfüllt der Gründungsvorgang jedoch den Niederlassungsbegriff des Art. 49 AEUV nicht. Wie der EuGH in der Rechtssache VALE bekräftigt hat, impliziert der Niederlassungsbegriff die tatsächliche Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mittels einer festen Einrichtung in einem anderen Mitgliedstaat.247 Dieses Erfordernis wird weder durch den Gründungsakt als solchen noch durch die Eintragung der Gesellschaft in das Gesellschaftsregister des Gründungsstaates erfüllt.248 Die schlichte Wahl einer EU-ausländischen Rechtsform ist kein niederlassungsrechtlich relevanter Vorgang.249 Da bereits kein tatbestandsmäßiger Niederlassungsvorgang im Gründungsstaat vorliegt, können die Gesellschaftsgründer die kollisions- und sachrechtlichen Regelungen des Gründungsstaates nicht unter Berufung auf die Niederlassungsfreiheit in Frage stellen. Diese Erkenntnis wird durch teleologische Erwägungen erhärtet. Die Niederlassungsfreiheit soll lediglich eine freie Standortwahl im Binnenmarkt 244

Vgl. Schön, FS Priester, 2007, 737 (745). Jung, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 54 AEUV, Rn. 28. 246 Thiermann, EuZW 2012, 209 (213) bezüglich der vergleichbaren Fragestellung der Regelungsautonomie des Aufnahmestaates im Falle eines grenzüberschreitenden Formwechsels. 247 Vgl. EuGH, Urteil vom 12.7.2012, Rs. C-378/10 – VALE Építési, Rn. 34. 248 Vgl. G.H. Roth, Niederlassungsfreiheit, 2010, S. 48; G.H. Roth, ZIP 2012, 1744 (1745); Teichmann, ZGR 2011, 639 (669). 249 Vgl. Franz, BB 2009, 1250 (1251); Leible/Hoffmann, BB 2009, 58 (62); Ringe, ZIP 2008, 1072 (1074); G.H. Roth, Niederlassungsfreiheit, 2010, S. 29; Teichmann, ZGR 2011, 639 (669); Teichmann, DB 2012, 2085 (2087). 245

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gewährleisten (vgl. § 3 II. 1. a)). Da die Gesellschaftsgründer eine tatsächliche Ansiedlung im Gründungsstaat bei der „Briefkastengründung“ gerade nicht beabsichtigen, ist der Vorgang nicht mit einer grenzüberschreitenden Allokation von Produktionsfaktoren verbunden. Die Zielsetzung der Niederlassungsfreiheit besteht jedoch gerade darin, den Marktteilnehmern eine ungehinderte Faktorallokation im Binnenmarkt allein aufgrund von wirtschaftlichen Erwägungen zu ermöglichen. Wenn die Gesellschaftsgründer eine wirtschaftliche Tätigkeit im Gründungsstaat aufnehmen möchten, können sie die Regelungen des Gründungsrechts gleichwohl nicht unter Berufung auf die Niederlassungsfreiheit in Frage stellen. Diese Vorschriften sind einer Überprüfung am Maßstab der Niederlassungsfreiheit gänzlich entzogen. Die Marktteilnehmer können nicht allgemein sämtliche mitgliedstaatliche Regelungen, welche sie als belastend empfinden, unter Berufung auf die Niederlassungsfreiheit in Frage stellen (vgl. § 3 III. 3.). Eine unionsrechtliche Generalüberprüfung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten findet nicht statt. Die Regelungen hinsichtlich der Gründung von Gesellschaften sind Teil der rechtlichen Standortbedingungen der Mitgliedstaaten. Insoweit besteht ein Bereich mitgliedstaatlicher Regelungsautonomie, der einer Überprüfung am Maßstab des Unionsrechts entzogen ist.250 Diese Regelungsbefugnis ist im Wortlaut des Art. 54 AEUV verankert und entspricht der Erkenntnis, dass es Aufgabe der Mitgliedstaaten ist, über die rechtliche Ausgestaltung ihrer Rechtsformen zu entscheiden.251 Der seitens des EuGH in der Rechtssache Cartesio formulierte Kontrollvorbehalt muss in den Kontext dieser Entscheidung eingeordnet werden. Der Gerichtshof wollte damit lediglich zum Ausdruck bringen, dass die Regelungsautonomie der Mitgliedstaaten endet, wenn eine Gesellschaft ihre Verbindung zu der jeweiligen Rechtsordnung im Wege eines grenzüberschreitenden Formwechsels lösen möchte (vgl. § 1 IV. 7. a)). Das bis zur Neuregelung durch das MoMiG geltende materielle Kapitalgesellschaftsrecht, welches die „Briefkastengründung“ einer AG und GmbH sachrechtlich ausschloss, stand daher mit dem Unionsrecht im Einklang.252 Gleiches gilt für das deutsche Personengesellschaftsrecht, welches einen vom effektiven Verwaltungssitz zu unterscheidenden statuarischen Gesellschaftssitz nicht kennt und Personengesellschaften vorschreibt, dass sich deren ef250

Barthel, EWS 2010, 316 (321). Vgl. Schön, ECFR 2006, 122 (133); Schön, FS Priester, 2007, 737 (738 f.); Schön, ZGR 2013, 333 (351); Teichmann, DB 2012, 2085 (2086). 252 Vgl. Altmeppen/Ego, in: MünchKomm-AktG, Bd. 7, Europ. Niederlassungsfreiheit, Rn. 19; Frobenius, DStR 2009, 487 (491); Kindler, DK 2006, 811 (815); Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 825; Knof/Mock, ZIP 2009, 30 (32); Kobelt, GmbHR 2009, 808 (809); Kußmaul/Richter/Ruiner, ECL 2009, 246 (254); G.H. Roth, Niederlassungsfreiheit, 2010, S. 46; Wicke, DStR 2012, 1756 (1756); Zimmer/Naendrup, NJW 2009, 545 (548); a.A. Jung, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 54 AEUV, Rn. 28. 251

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fektiver Verwaltungssitz im Inland befinden muss. 253 Ob die Gründung deutscher Kapitalgesellschaften mit effektivem Verwaltungssitz im Ausland infolge der Neuregelung durch das MoMiG nunmehr zulässig ist oder ob es hierzu des Übergangs zur Gründungstheorie bedarf, ist bislang nicht abschließend geklärt.254 2. Perspektive des Herkunftsstaates Die Tatsache, dass der Gründungsvorgang für sich genommen den Tatbestand der Niederlassungsfreiheit nicht erfüllt (vgl. § 4 II. 1. b)), wirft aus der Perspektive des Herkunftsstaates der Gesellschaftsgründer die Frage auf, ob dieser unionsrechtlich verpflichtet ist, eine EU-ausländische Gesellschaft als solche zu akzeptieren, wenn diese im Einklang mit den kollisions- und sachrechtlichen Regelungen des Gründungsstaates von Anfang an ausschließlich in seinem Hoheitsgebiet tätig wird. Sofern das Unionsrecht den Herkunftsstaat nicht zur Anerkennung der „Briefkastengründung“ verpflichtet, könnte er die Gesellschaft derjenigen Rechtsordnung unterstellen, welche nach den Regelungen seines autonomen Gesellschaftskollisionsrechts zur Anwendung berufen ist. Mitgliedstaaten, welche kollisionsrechtlich der Sitztheorie folgen, wären nicht gehindert, auf die Gesellschaft ihr materielles Gesellschaftsrecht anzuwenden. a) Unionsrechtliche Verpflichtung zur Anerkennung von Briefkastengesellschaften? Ein Teil des Schrifttums geht davon aus, dass der Herkunftsstaat der Gesellschaftsgründer unionsrechtlich nicht verpflichtet ist, die Gründung einer Gesellschaft nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaates anzuerkennen, wenn diese ihre Geschäftstätigkeit ausschließlich in seinem Hoheitsgebiet ausübt.255 Die Feststellung des EuGH in der Rechtssache VALE, dass der Begriff der Niederlassung die Ausübung einer tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit im 253 Vgl. Ege/Klett, DStR 2012, 2442 (2447); Frobenius, DStR 2009, 487 (492); Neye, EWiR 2006, 459 (460); Teichmann, ZIP 2009, 393 (402); Zimmer/Naendrup, NJW 2009, 545 (548). 254 Vgl. zum Streitstand Altmeppen/Ego, in: MünchKomm-AktG, Bd. 7, Europ. Niederlassungsfreiheit, Rn. 190 ff.; Heckschen, in: Widmann/Mayer, UmwR, 118. EL (2010), § 1 UmwG, Rn. 106; Bayer/J. Schmidt, ZHR 173 (2009), 735 (746 ff.); Kindler, IPRax 2009, 189 (197 ff.); Paefgen, WM 2009, 529 (530 f.); W.-H. Roth, ZGR 2014, 168 (186 ff.); Verse, ZEuP 2013, 458 (466 f.); Wasmeier, Umstrukturierung, 2014, S. 51 ff. 255 Vgl. Böttcher/Kraft, NJW 2012, 2701 (2703); Franz, BB 2009, 1250 (1252); Kindler, NJW 2003, 1073 (1078); Kindler, EuZW 2012, 888 (892); Kindler, in: MünchKommBGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 428; König/Bormann, NZG 2012, 1241 (1242 ff.); MörsdorfSchulte, KSzW 2014, 117 (127); G.H. Roth, Niederlassungsfreiheit, 2010, S. 32 f.; G.H. Roth, ZIP 2012, 1744 (1744); Stiegler, Rechtsformwechsel, 2013, S. 28; offenbar auch Bröhmer, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 54 AEUV, Rn. 18.

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Aufnahmestaat voraussetze, sei als Abkehr von seiner Rechtsprechung in den Rechtssachen Centros und Inspire Art zu werten.256 Diese Aussage lasse sich nicht mit der Quintessenz dieser Urteile vereinbaren, der zufolge die Gründung einer Briefkastengesellschaft durch die Niederlassungsfreiheit gewährleistet werde.257 Vielmehr habe der Gerichtshof nun auch in gesellschaftsrechtlichem Zusammenhang klargestellt, dass die Niederlassungsfreiheit insoweit bereits tatbestandlich eingeschränkt sei. 258 Der Herkunftsstaat habe die Wahl eines fremden Gesellschaftsstatuts durch seine Angehörigen nur dann hinzunehmen, wenn die Gesellschaft im Gründungsstaat den Niederlassungsbegriff erfülle.259 Die Anerkennung der Entscheidung der Gesellschaftsgründer für das Gesellschaftsstatut eines anderen Mitgliedstaates könne von der Errichtung einer Niederlassung und der Entfaltung einer nicht völlig unerheblichen wirtschaftlichen Aktivität im Gründungsstaat abhängig gemacht werden.260 Briefkastengesellschaften, welche im Gründungsstaat lediglich registriert seien, dort aber keine nennenswerten geschäftlichen Aktivitäten entfalten und damit keinen realwirtschaftlichen Bezug (genuine link) zum Registrierungsort aufwiesen, stünden von Anfang an nicht unter dem Schutz der Niederlassungsfreiheit.261 Die Gerichte und Behörden des Herkunftsstaates seien daher befugt, die Anerkennung der Gründung einer Briefkastengesellschaft im Ausland zu verweigern.262 Nur bei einer realwirtschaftlichen Verbindung zum Gründungsstaat bestehe eine gewisse Aussicht, dass dessen Regelungs- und Kontrollmechanismen in Bezug auf die Gesellschaft eingriffen, wodurch dem Kontrollverlust der Gerichte und Behörden des Herkunftsstaates entgegengewirkt werde.263 Die Überwachungs- und Eingriffsmechanismen des Gründungsstaates drohten gegenüber einer Briefkastengesellschaft mangels eines realen Ansatzpunktes im Gründungsstaat ins Leere zu laufen oder seien überhaupt nicht auf die Gesellschaft anwendbar, weil die Instrumente nicht gesellschaftsrechtlich, sondern beispielsweise deliktsrechtlich oder insolvenzrechtlich zu qualifizie256 Vgl. Böttcher/Kraft, NJW 2012, 2701 (2703); Kindler, EuZW 2012, 888 (892); Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 136; G.H. Roth, ZIP 2012, 1744 (1744). 257 Vgl. Böttcher/Kraft, NJW 2012, 2701 (2703); Kindler, EuZW 2012, 888 (892). 258 Vgl. Böttcher/Kraft, NJW 2012, 2701 (2703); Kindler, EuZW 2012, 888 (892); G.H. Roth, ZIP 2012, 1744 (1744). 259 Vgl. Kindler, EuZW 2012, 888 (892); Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 136; Mörsdorf-Schulte, KSzW 2014, 117 (127); G.H. Roth, ZIP 2012, 1744 (1745). 260 Vgl. König/Bormann, NZG 2012, 1241 (1244). 261 Vgl. König/Bormann, NZG 2012, 1241 (1242); G.H. Roth, ZIP 2012, 1744 (1745). 262 Vgl. Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 139; König/Bormann, NZG 2012, 1241 (1243). 263 Vgl. Kieninger, ZGR 1999, 724 (742); Kindler, IPRax 2010, 272 (277 f.).

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ren seien.264 Aufgrund dessen drohe eine Rechtsschutzlücke zu entstehen. 265 Darüber hinaus spreche ein wertender Vergleich mit der Freizügigkeit natürlicher Personen gegen eine unionsrechtliche Verpflichtung zur Anerkennung von Briefkastengesellschaften. Das Unionsrecht gewährleiste den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten nicht, ihren Wohnsitz – etwa aus steuerrechtlichen Erwägungen – formal in einen anderen Mitgliedstaat zu verlegen.266 Von Unionsbürgern dürfe man verlangen, dass sie sich auch tatsächlich in nennenswertem Umfang dort aufhalten.267 Da Art. 54 AEUV lediglich die Gleichbehandlung, nicht jedoch die Privilegierung von Gesellschaften verlange, verpflichte das Unionsrecht auch nicht zur Anerkennung von Briefkastengesellschaften. 268 Die überwiegende Rechtsauffassung geht hingegen davon aus, dass Gesellschaften, die sich im Einklang mit dem Kollisions- und Sachrecht des Gründungsstaates von Anfang an ausschließlich in einem anderen Mitgliedstaat tatsächlich niederlassen, unter dem Schutz der Niederlassungsfreiheit stehen und daher von anderen Mitgliedstaaten anerkannt werden müssen.269 Eine tatsächliche Ansässigkeit im Gründungsstaat oder einen wie auch immer gearteten genuine link der Gesellschaft zum Gründungsstaat setze der Schutz des Unionsrechts nicht voraus.270 Dieser Rechtsstandpunkt wird auf unterschiedliche Art und Weise begründet: Einige Autoren halten den Herkunftsstaat der Gesellschaftsgründer für verpflichtet, EU-ausländische Briefkastengesellschaften anzuerkennen, weil die Niederlassungsfreiheit ihren Trägern

264

Vgl. G.H. Roth, Niederlassungsfreiheit, 2010, S. 32. G.H. Roth, Niederlassungsfreiheit, 2010, S. 32. 266 Bröhmer, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 54 AEUV, Rn. 18. 267 Bröhmer, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 54 AEUV, Rn. 18. 268 Vgl. Bröhmer, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 54 AEUV, Rn. 18. 269 Vgl. Altmeppen/Ego, in: MünchKomm-AktG, Bd. 7, Europ. Niederlassungsfreiheit, Rn. 20 und 57; Bayer/J. Schmidt, ZHR 173 (2009), 735 (738); Bayer/J. Schmidt, ZIP 2012, 1481 (1482); Drygala, in: Lutter, UmwG, Bd. I, § 1, Rn. 17; Ege/Klett, DStR 2012, 2442 (2447); Eidenmüller, ZIP 2002, 2233 (2244); Eidenmüller, JZ 2004, 24 (25); Grohmann, DZWir 2009, 322 (327); Habersack/Verse, Europ. GesR, § 3, Rn. 22; Heckschen, in: Widmann/Mayer, UmwR, 103. EL (2008), § 1 UmwG, Rn. 183 f.; Jung, in: Schwarze, EUKommentar, Art. 54 AEUV, Rn. 27 f.; Klinke, ECFR 2005, 270 (289); Kußmaul/Richter/ Ruiner, ECL 2009, 246 (250); Mucciarelli, ECFR 2012, 571 (572); Mucciarelli, TJICL 2012, 421 (431); Rehberg, EuLF 2004, 1 (4); Ringe, ECFR 2013, 230 (232 ff.); W.H. Roth, IPRax 2003, 117 (126); W.-H. Roth, FS Hoffmann-Becking, 2013, 965 (993 f.); Schaper, ZIP 2014, 810 (814); Schön, FS Wiedemann, 2002, 1271 (1293); Teichmann, DB 2012, 2085 (2085); Thorn, in: Palandt, BGB, Anh. Art. 12 EGBGB, Rn. 5; Verse, ZEuP 2013, 458 (472 f.). 270 Vgl. Altmeppen/Ego, in: MünchKomm-AktG, Bd. 7, Europ. Niederlassungsfreiheit, Rn. 206; Heckschen, in: Widmann/Mayer, UmwR, 103. EL (2008), § 1 UmwG, Rn. 186; Klinke, ECFR 2005, 270 (289); Schaper, ZIP 2014, 810 (814). 265

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eine Rechtswahlfreiheit verbürge.271 Diese Wahlfreiheit ermögliche es den Gesellschaftsgründern, den statuarischen Sitz einer Gesellschaft unabhängig vom effektiven Verwaltungssitz festzulegen. 272 Beschränkungen dieser Freiheit in Form eines Verbotes oder Genehmigungserfordernisses seitens des Herkunftsstaates könnten unionsrechtlich nicht gerechtfertigt werden.273 Soweit nationale Regelungen zur Bekämpfung von Missbräuchen – etwa auf dem Gebiet des Steuerrechts – erforderlich seien, könnten diese allerdings zulässige Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit darstellen.274 Andere Befürworter der Gewährleistung der „Briefkastengründung“ durch die Niederlassungsfreiheit halten den Gründungsvorgang selbst zwar nicht für eine niederlassungsrelevante Handlung.275 Art. 54 AEUV gehe allerdings davon aus, dass eine wirksame Gründung einer Gesellschaft auch in Form der Begründung des Satzungssitzes ohne gleichzeitige Errichtung einer Niederlassung in einem Mitgliedstaat erfolgen könne.276 Wenn das nationale Recht eines Mitgliedstaates die Gründung von Briefkastengesellschaften zulasse, dann sei mit der wirksamen Gründung der Gesellschaft der personelle Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit eröffnet.277 Sobald diese Gesellschaft anschließend in einem anderen Mitgliedstaat eine Erwerbstätigkeit ausübe, erfülle sie dadurch den Tatbestand der Niederlassungsfreiheit.278 Der Herkunftsstaat dürfe die Errichtung einer Zweigniederlassung durch diese Gesellschaft in seinem Hoheitsgebiet nicht verhindern.279 Die Bezugnahme des EuGH auf den Niederlassungsbegriff des Art. 49 AEUV in der Rechtssache VALE sei auch nicht als Aufgabe seiner durch Centros und Inspire Art geprägten Rechtsprechungslinie und damit nicht als Absage an die Gründung von Briefkastengesellschaften zu verstehen.280 Zum

271

Vgl. Biermeyer, CMLR 2013, 571 (588); Grohmann, DZWir 2009, 322 (327); Jung, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 54 AEUV, Rn. 27 f.; Schön, FS Priester, 2007, 737 (747). 272 Jung, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 54 AEUV, Rn. 28. 273 Vgl. Jung, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 54 AEUV, Rn. 27. 274 Biermeyer, CMLR 2013, 571 (588). 275 Vgl. Drygala, in: Lutter, UmwG, Bd. I, § 1, Rn. 17; W.-H. Roth, FS HoffmannBecking, 2013, 965 (993 f.); Schön, ZGR 2013, 333 (352 f.); Teichmann, ZGR 2011, 639 (669); Verse, ZEuP 2013, 458 (473); Wasmeier, Umstrukturierung, 2014, S. 139. 276 W.-H. Roth, FS Hoffmann-Becking, 2013, 965 (994). 277 Vgl. Drygala, in: Lutter, UmwG, Bd. I, § 1, Rn. 17; W.-H. Roth, FS HoffmannBecking, 2013, 965 (993); Verse, ZEuP 2013, 458 (473). 278 Vgl. Schön, ZGR 2013, 333 (352 f.); Teichmann, ZGR 2011, 639 (670); Verse, ZEuP 2013, 458 (473); Wasmeier, Umstrukturierung, 2014, S. 139. 279 Vgl. W.-H. Roth, FS Hoffmann-Becking, 2013, 965 (977); Schön, ECFR 2006, 122 (130 f.); Teichmann, ZGR 2011, 639 (670 f.). 280 Vgl. Bayer/J. Schmidt, ZIP 2012, 1481 (1486 f.); Drygala, EuZW 2013, 569 (572 f.); Drygala, in: Lutter, UmwG, Bd. I, § 1, Rn. 7; Jaensch, EWS 2012, 353 (356); Schön,

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Teil wird die Ansicht vertreten, die Aussage des Gerichtshofs sei allein auf den Gründungsstaat bezogen, welcher nicht zur Registrierung von Gesellschaften verpflichtet sei, wenn dort keinerlei Geschäftstätigkeit aufgenommen werden solle.281 Der Herkunftsstaat könne aus der in der Rechtssache VALE formulierten Einschränkung hingegen nichts für sich herleiten.282 Zum Teil wird die Bezugnahme des Gerichtshofs auf den Niederlassungsbegriff auf der Rechtfertigungsebene verortet und nicht als Begrenzung des sachlichen Anwendungsbereichs der Niederlassungsfreiheit verstanden.283 Falls es nicht zur tatsächlichen Ansiedlung und Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit im Gründungsstaat komme, solle lediglich ein „besonderer Maßstab“ hinsichtlich der Rechtfertigung beschränkender Maßnahmen seitens des Herkunftsstaates gelten.284 Die Rechtsprechung sei keinesfalls dahingehend zu verstehen, dass sich die Gesellschaft von vornherein nicht auf die Niederlassungsfreiheit berufen könne. 285 b) Stellungnahme Der Herkunftsstaat der Gesellschaftsgründer ist unionsrechtlich nicht verpflichtet, die Gründung einer Gesellschaft nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaates zu akzeptieren, wenn die Gesellschaft dort keinerlei wirtschaftliche Aktivitäten entfaltet, sondern von Anfang an ausschließlich in seinem Hoheitsgebiet tätig wird. Da die Niederlassungsfreiheit aufgrund ihrer wirtschaftlichen Zielsetzung den Gesellschaftsgründern keine Rechtswahlfreiheit verbürgt (vgl. § 3 II. 1. a)), wird die Gründung einer Briefkastengesellschaft nicht a priori durch die Niederlassungsfreiheit gewährleistet. Wie der EuGH in der Rechtssache VALE bekräftigt hat, setzt der Schutz der Niederlassungsfreiheit vielmehr eine tatsächliche Ansiedlung eines Marktteilnehmers in einem anderen Mitgliedstaat voraus. Der Rechtsstandpunkt einiger Autoren, dass die Ausführungen des EuGH zum Niederlassungsbegriff ausschließlich auf den Gründungsstaat bezogen seien, findet im Urteil des Gerichtshofs selbst keine Grundlage.286 Freilich war die Frage der Anerkennung einer Briefkastengesellschaft durch den Herkunftsstaat explizit nicht Gegenstand der Entscheidung. Bereits aus Cadbury Schweppes ergibt sich jedoch, dass der Herkunftsstaat die Gründung einer Gesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat rechtlich nicht anerkennen muss, wenn ein realwirtZGR 2013, 333 (353); Schönhaus/Müller, IStR 2013, 174 (176); Wasmeier, Umstrukturierung, 2014, S. 138. 281 Vgl. Drygala, EuZW 2013, 569 (572); König/Bormann, NZG 2012, 1241 (1242). 282 Drygala, EuZW 2013, 569 (573). 283 Vgl. Bayer/J. Schmidt, ZIP 2012, 1481 (1486); Drygala, EuZW 2013, 569 (570). 284 Bayer/J. Schmidt, ZIP 2012, 1481 (1486 f.). 285 Vgl. Drygala, EuZW 2013, 569 (570). 286 Vgl. EuGH, Urteil vom 12.7.2012, Rs. C-378/10 – VALE Építési, Rn. 34 f.

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schaftlicher Bezug der Gesellschaft zum Gründungsstaat fehlt.287 Im Übrigen ist der Begriff der Niederlassung einheitlich auszulegen: Ob ein tatsächlicher Vorgang als tatbestandsmäßige Niederlassung zu qualifizieren ist, lässt sich nur anhand der zur Auslegung des Niederlassungsbegriffs entwickelten Kriterien bestimmen (vgl. § 3 II. 1. b)). Die Perspektive der Betrachtung ist dabei unerheblich.288 Lediglich die Regelungsautonomie der Mitgliedstaaten im Hinblick auf die ihrem Recht unterliegenden Gesellschaften gebietet eine differenzierte Betrachtung (vgl. § 4 II. 1.). Dabei geht es jedoch nicht um die Frage, ob ein Niederlassungsvorgang tatsächlich vorliegt, sondern darum, ob einer Gesellschaft als Rechtssubjekt das Niederlassungsrecht überhaupt zusteht. Dass die rechtliche Einordnung des Niederlassungsbegriffs als Rechtfertigungskriterium nicht zu überzeugen vermag, wurde bereits dargelegt (vgl. § 3 II. 1. b) bb)). Soweit im Schrifttum juristisch feinsinnig zwischen der Errichtung der Gesellschaft im Gründungsstaat als Ausprägung der Niederlassungsfreiheit der Gesellschaftsgründer und der wirtschaftlichen Betätigung im Herkunftsstaat als Ausprägung der Niederlassungsfreiheit der Gesellschaft differenziert wird, wird dies dem tatsächlichen Vorgang nicht gerecht. Gewiss kann das Niederlassungsrecht sowohl den Gründern einer Gesellschaft als auch einer wirksam gegründeten Gesellschaft zustehen (vgl. § 3 II. 2.). Allerdings stellt der Gründungsvorgang in einem anderen Mitgliedstaat bereits keine tatbestandsmäßige Ausprägung der Niederlassungsfreiheit der Gesellschaftsgründer dar, wenn damit nicht die Aufnahme einer auf Dauer angelegten wirtschaftlichen Tätigkeit mittels einer festen Einrichtung in diesem Mitgliedstaat verbunden ist (vgl. § 4 II. 1. b)). Spiegelbildlich ist der Herkunftsstaat dann aber durch die Niederlassungsfreiheit auch nicht verpflichtet, die Gesellschaft als Rechtssubjekt anzuerkennen, welches sich ihm gegenüber gemäß Art. 49 AEUV i.V.m. Art. 54 AEUV auf die Niederlassungsfreiheit berufen könnte. Ferner kann man vor dem tatsächlichen Hintergrund der Gründung einer Briefkastengesellschaft nicht davon sprechen, die Gesellschaft habe einen Standort in einem anderen Mitgliedstaat gewählt. Vielmehr haben die Gesellschaftsgründer für eine unternehmerische Tätigkeit in ihrem Herkunftsstaat die Rechtsform des Gründungsstaates gewählt. Unter Berücksichtigung der Motivlage, welche der Gründung einer Briefkastengesellschaft zugrunde liegt, muss der Gesamtvorgang rechtlich gewürdigt werden. Die formale Aufspaltung der Gründung einer Briefkastengesellschaft in zwei Teilakte verstellt den Blick. Die Gründung der Gesellschaft ist Teil eines einheitlichen 287 Vgl. EuGH, Urteil vom 12.9.2006, Rs. C-196/04 – Cadbury Schweppes u.a., Slg. 2006, I-7995, Rn. 55 ff. und 66 ff.; König/Bormann, NZG 2012, 1241 (1243); Mörsdorf-Schulte, KSzW 2014, 117 (126); G.H. Roth, Niederlassungsfreiheit, 2010, S. 20; Stiegler, Rechtsformwechsel, 2013, S. 19; a.A. offenbar BGH, NJW 2011, 3372 (3374). 288 Vgl. Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 129; Stiegler, Rechtsformwechsel, 2013, S. 17 ff.; a.A. Drygala, EuZW 2013, 569 (573).

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Umgehungsmanövers seitens der Gesellschaftsgründer.289 Deren Motivation, gesellschaftsrechtliche Regelungsunterschiede zwischen den Mitgliedstaaten auszunutzen, ist entgegen der Auffassung des EuGH, welche seinen Entscheidungen in den Rechtssachen Centros und Inspire Art zugrunde lag, als rechtsmissbräuchlich anzusehen. Bei der Gründung einer Briefkastengesellschaft handelt es sich um einen Vorgang der Normumgehung. Die Gesellschaftsgründer bedienen sich für ihre wirtschaftlichen Aktivitäten in ihrem Herkunftsstaat nicht einer von diesem zur Verfügung gestellten Rechtsform, sondern gründen eine Gesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat, welche unmittelbar im Anschluss an die Gründung auf den Markt des Herkunftsstaates der Gesellschaftsgründer zurückstrebt. Damit liegt der klassische Fall einer rechtsmissbräuchlichen u-turn construction vor (vgl. § 3 II. 1. b) aa)). Da es originäre Aufgabe des Unionsgesetzgebers ist, Regelungsunterschiede zwischen den Mitgliedstaaten im Wege sekundärrechtlicher Harmonisierung auszugleichen, ist es nicht das Anliegen der Niederlassungsfreiheit die gezielte Ausnutzung dieser Regelungsunterschiede zu ermöglichen.290 Es ist daher unzulässig, die Gründung einer Briefkastengesellschaft als einheitlichen wirtschaftlichen Vorgang künstlich in einzelne Niederlassungsvorgänge aufzuspalten und diese isoliert voneinander darauf zu untersuchen, ob sie durch die Niederlassungsfreiheit gewährleistet werden.291 Ebenso wenig kann die Gründung einer Briefkastengesellschaft als reine Angelegenheit des nationalen Rechts des Gründungstaates abgetan werden.292 Unterzieht man den Gesamtvorgang einer einheitlichen rechtlichen Würdigung, ist die Gründung einer Briefkastengesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat nicht als grenzüberschreitender Niederlassungsvorgang einzuordnen und die Niederlassungsfreiheit demnach bereits tatbestandlich nicht anwendbar. Beantragt eine EU-ausländische Gesellschaft, welche im Mitgliedstaat ihrer Gründung keinerlei Geschäftstätigkeit entfaltet, in einem anderen Mitgliedstaat die Eintragung einer Zweigniederlassung ins Handelsregister, dürfen dessen Behörden und Gerichte der Gesellschaft die Eintragung der Zweigniederlassung verweigern. Da der Tatbestand einer grenzüberschreitenden Niederlassung mangels einer wirtschaftlichen Tätigkeit im Gründungsstaat nicht erfüllt ist, verpflichtet die Niederlassungsfreiheit den Herkunftsstaat nicht, die Gesellschaft als Rechtssubjekt und Trägerin der Niederlassungsfreiheit anzuerkennen. Wird die Gesellschaft gleichwohl im Hoheitsgebiet des Herkunftsstaates der Gesellschaftsgründer wirtschaftlich tätig, ist 289

Vgl. GA Lenz, Schlussanträge vom 16.6.1994, Rs. C-23/93 – TV10, Rn. 64. Kindler, NJW 1999, 1993 (2000). 291 Vgl. Schön, ZGR 2013, 333 (354), der ebenfalls das Endergebnis für entscheidend hält, die „Briefkastengründung“ allerdings als Ausprägung einer der Niederlassungsfreiheit immanenten Rechtswahlfreiheit als schutzwürdig ansieht. 292 So aber W.-H. Roth, ZGR 2014, 168 (181); Schaper, ZIP 2014, 810 (814); Teichmann, ZGR 2011, 639 (669). 290

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dieser berechtigt, die Gesellschaft entsprechend der Regelungen seines autonomen Gesellschaftskollisionsrechts zu behandeln. Ein Mitgliedstaat, welcher kollisionsrechtlich der Sitztheorie folgt, darf demnach sein materielles Gesellschaftsrecht auf die Gesellschaft anwenden, wenn sich deren effektiver Verwaltungssitz in seinem Hoheitsgebiet befindet. Nach Maßgabe der modifizierten Sitztheorie ist die Gesellschaft als rechtsfähige Personengesellschaft deutschen Rechts zu behandeln, sofern sich ihr effektiver Verwaltungssitz in Deutschland befindet (vgl. § 1 II. 2. c)). Angesichts der Rechtsfolgen der modifizierten Sitztheorie ist die Verfolgung wirtschaftlicher Tätigkeiten in Deutschland unter Verwendung von Briefkastengesellschaften mit erheblichen Risiken verbunden. Vor dem Hintergrund der jüngeren Entscheidungen des EuGH ist dies nur scheinbar auf rechtssicherer Grundlage möglich. Insbesondere die zahlreichen in England registrierten, aber dort nicht geschäftstätigen Ltd. mit effektivem Verwaltungssitz in Deutschland bewegen sich rechtlich auf dünnem Eis. Für diese könnte ein grenzüberschreitender Formwechsel in eine deutsche Rechtsform eine Möglichkeit darstellen, dem Damoklesschwert der Wechselbalgtheorie zu entkommen. aa) Erfordernis einer effektiven Bindung Damit ist allerdings die schwierige Folgefrage aufgeworfen, welchen Umfang und welche Dauer die wirtschaftliche Tätigkeit einer Gesellschaft im Gründungsstaat aufweisen muss, damit der Tatbestand der Niederlassungsfreiheit erfüllt ist und der Herkunftsstaat der Gesellschaftsgründer infolge dessen unionsrechtlich verpflichtet ist, die Gründung der Gesellschaft als Ausprägung der Niederlassungsfreiheit der Gesellschaftsgründer anzuerkennen. Richtigerweise ist dazu ein realwirtschaftlicher Bezug der Gesellschaft zum Gründungsstaat erforderlich, welcher inhaltlich mit dem aus dem Völkerrecht bekannten Erfordernis eines genuine link vergleichbar ist.293 Dieses Kriterium wurde im Jahr 1955 vom Internationalen Gerichtshof in der Entscheidung Nottebohm294 entwickelt.295 Nach dem Konzept des genuine link kann die Anerkennung der Zugehörigkeit einer Person zu einem bestimmten Staat oder seiner Rechtsordnung davon abhängig gemacht werden, dass dieser Anbindung eine gewisse „Effektivität“ zukommt.296 Unter Effektivität wird das Erfordernis einer tatsächlichen, realen und nicht nur formel-

293 Im Ergebnis auch G.H. Roth, Niederlassungsfreiheit, 2010, S. 48; a.A. BGH, NJW 2011, 3372 (3373). 294 Vgl. IGH, Urteil vom 6.4.1995 – Nottebohm Case (Liechtenstein v. Guatemala), ICJR 1955, 4 (23). 295 Vgl. hierzu Ebenroth/Bippus, DB 1988, 842 (844 f.). 296 Vgl. G.H. Roth, Niederlassungsfreiheit, 2010, S. 48.

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len, fiktiven Bindung verstanden.297 Das Erfordernis des genuine link ist Ausdruck einer allgemeinen Überzeugung der Staatengemeinschaft, wonach die völkerrechtlich anzuerkennende Zugehörigkeit einer Person zu einem Staat die Existenz realer Beziehungen zwischen beiden Rechtssubjekten voraussetzt.298 Da die Theorie des genuine link seither zur Beantwortung zahlreicher anderer völkerrechtlicher Fragen herangezogen wurde, kann man von einem allgemeinen Rechtsgrundsatz und Völkergewohnheitsrecht sprechen.299 Der Grundsatz des genuine link gilt nicht nur für natürliche Personen, sondern auch für die völkerrechtliche Anerkennung der Zugehörigkeit einer Gesellschaft zum Gründungsstaat.300 Zwischen der Gesellschaft und dem Gründungsstaat muss eine tatsächliche, effektive Bindung bestehen. 301 Die Grenze der Anerkennungspflicht ist dort zu ziehen, wo der Gründungsakt nur noch ein rein formelles Band zwischen Gründungsstaat und Gesellschaft bildet, weil sich alle geschäftlichen und gesellschaftlichen Aktivitäten in einem anderen Staat abspielen.302 Auch Staaten, welche der Gründungstheorie folgen, müssen dem völkerrechtlichen Effektivitätserfordernis Rechnung tragen.303 Dementsprechend hat das Erfordernis des genuine link Einzug in das Kollisionsrecht von Staaten gehalten, welche der Gründungstheorie zugeordnet werden. Die Gründungstheorie US-amerikanischer Prägung setzt etwa einen genuine link zwischen einer Gesellschaft und dem Gründungsstaat voraus und verweigert pseudoforeign corporations bei Fehlen eines realen Bezugs die Berufung auf fremdes Gründungsrecht.304 In den Vereinigten Staaten ist anerkannt, dass zumindest auf das Innenverhältnis einer pseudo-foreign corporation das Recht des Staates angewendet werden kann, in welchem die Gesellschaft ihre wesentlichen Aktivitäten entfaltet, während das Gründungsrecht insoweit zurückstehen muss.305 Das Erfordernis eines tatsächlichen Bezugs zum Gründungsstaat findet sich ferner in Rechtsordnungen verschiedener kontinentaleuropäischer

297

Vgl. Ebenroth/Bippus, DB 1988, 842 (844); Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 343; Lach/Schill, MittBayNot 2005, 243 (244); G.H. Roth, Niederlassungsfreiheit, 2010, S. 48. 298 Vgl. Ebenroth/Bippus, DB 1988, 842 (845). 299 Vgl. Ebenroth/Bippus, DB 1988, 842 (845); Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 344; Rehm, in: Eidenmüller, Ausländische Kapitalgesellschaften, § 2, Rn. 33. 300 Vgl. Ebenroth/Bippus, DB 1988, 842 (845); Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 343; a.A. Paal, RIW 2005, 735 (739). 301 Vgl. OLG Düsseldorf, NJW-RR 1995, 1124 (1125); OLG Naumburg, Urteil vom 19.12.1995 – 7 U 146/95, Rn. 47 (juris). 302 Vgl. Ebenroth/Bippus, DB 1988, 842 (845). 303 Ebenroth/Bippus, DB 1988, 842 (845). 304 G.H. Roth, Niederlassungsfreiheit, 2010, S. 48 f. 305 Vgl. OLG Düsseldorf, NJW-RR 1995, 1124 (1125); OLG Naumburg, Urteil vom 19.12.1995 – 7 U 146/95, Rn. 60 (juris); Ebenroth/Bippus, DB 1988, 842 (846).

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Staaten, welche der Gründungstheorie zugerechnet werden.306 Es entsprach etwa der früheren – mit der Kodifizierung des schweizerischen Gesellschaftskollisionsrechts durch die Art. 154 ff. IPRG jedoch aufgegebenen – Rechtsprechung des Schweizerischen Bundesgerichts, Gesellschaften die Anerkennung zu versagen, soweit es sich bei dem Satzungssitz lediglich um einen fiktiven Sitz (siége fictif) handelte.307 Zudem war es gerade der Gründungstheoriestaat Dänemark, welcher der Centros Ltd. die rechtliche Anerkennung verweigerte, weil diese allein zu dem Zweck gegründet worden war, die Vorschriften des dänischen Gesellschaftsrechts zu umgehen. 308 Auch in der deutschen Rechtsprechung finden sich vergleichbare Ansätze. Bis zur Machtergreifung der Nationalsozialisten erachtete das Reichsgericht den Satzungssitz einer Gesellschaft als das für die Anknüpfung im Internationalen Gesellschaftsrecht maßgebliche Kriterium. 309 Im Allgemeinen gelte derjenige Ort als Sitz einer Gesellschaft, der in der Satzung als Sitz bestimmt sei, und zwar auch dann, wenn es sich um die Wahl eines nur formellen Sitzes handele.310 Dies sei der eigentliche Sitz einer Gesellschaft, nach welchem sich die Staatszugehörigkeit und damit das bürgerliche Recht bestimme, welchem die Gesellschaft unterworfen sei.311 Der Ort, wo die Verwaltung geführt werde, gelte hiernach nur dann als „Sitz“ der Gesellschaft, wenn in der Satzung nichts anderes bestimmt sei.312 Es stehe allerdings in Frage, ob jene Regel auch dann gelte, wenn die Bestimmung eines anderweitigen Sitzes nur zu dem Zweck getroffen sei, um gesetzliche Beschränkungen desjenigen Staates, in welchem der Mittelpunkt der wirtschaftlichen Betätigung der Vereinigung liege, zu umgehen. 313 Wenn eine Gesellschaft ihren Sitz nur dem Namen nach im Ausland, in der Tat jedoch nach allen in Betracht kommenden Umständen ihren Verwaltungssitz und Geschäftsbetrieb im Inland habe, komme dem nominellen Sitz keine Bedeutung zu. 314 Zur Bestimmung des auf eine Gesellschaft anwendbaren Rechts hielt das Reichsgericht demnach grundsätzlich den Satzungssitz der Gesellschaft für das maßgebliche Anknüpfungskriterium. Eine Anknüpfung des Gesellschaftsstatuts nach Maßgabe der Gründungstheorie kam nach Auffassung des Gerichts jedoch nicht in Betracht, wenn der Satzungssitz rein fiktiv war und nur der Umgehung gesetzli-

306

G.H. Roth, Niederlassungsfreiheit, 2010, S. 49. Vgl. Trautrims, ZHR 176 (2012), 435 (444). 308 Trautrims, ZHR 176 (2012), 435 (444). 309 Vgl. RGZ 83, 367 (369); RG, JW 1918, 305 (305); RGZ 99, 217 (218 f.); Trautrims, ZHR 176 (2012), 435 (448 f.). 310 RGZ 99, 217 (219). 311 RG, JW 1918, 305 (305). 312 RG, JW 1918, 305 (305). 313 RGZ 99, 217 (219). 314 Vgl. RG, JW 1904, 231 (231); RGZ 83, 367 (369 f.). 307

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Kapitel 2: Die Niederlassungsfreiheit der Gesellschaften

cher Beschränkungen in einem anderen Staat diente.315 In diesem Fall konnte subsidiär auf den effektiven Verwaltungssitz abgestellt werden.316 Sachlich ist die Einschränkung der Gründungstheorie durch das Reichsgericht mit dem Erfordernis eines genuine link vergleichbar. Die jüngere Rechtsprechung hat dieses Erfordernis ferner dem deutschamerikanischen Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrag317 entnommen und amerikanischen Gesellschaften ohne eine tatsächliche und effektive Bindung an den jeweiligen Gründungsstaat die rechtliche Anerkennung versagt.318 In seinem Anwendungsbereich verdrängt dieser völkerrechtliche Vertrag gemäß Art. 3 Nr. 2 EGBGB das autonome deutsche Gesellschaftskollisionsrecht in Form der Sitztheorie.319 Art. XXV Abs. 5 des Vertrages lautet: „Gesellschaften, die gemäß den Gesetzen und sonstigen Vorschriften des einen Vertragsteils in dessen Gebiet errichtet sind, gelten als Gesellschaften dieses Vertragsteils; ihr rechtlicher Status wird von dem anderen Vertragsteil anerkannt.“ Für das Verhältnis der Vereinigten Staaten und Deutschland ist damit die Gründungstheorie festgeschrieben.320 Zwar ist nach dem Vertragswortlaut allein der Gründungsakt das maßgebliche kollisionsrechtliche Anknüpfungsmerkmal.321 Das Erfordernis realer Bindungen zwischen Gründungsstaat und Gesellschaft ist jedoch auch bei der Anwendung und Auslegung des Vertrages zu beachten und bildet eine Grenze der vertraglichen Anerkennungspflicht amerikanischer Gesellschaften durch die Bundesrepublik Deutschland.322 315

Vgl. RGZ 83, 367 (369 f.); RGZ 99, 217 (219); Trautrims, ZHR 176 (2012), 435

(449). 316

Vgl. Trautrims, ZHR 176 (2012), 435 (451). Vgl. Gesetz zu dem Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrag vom 29.10.1954 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika vom 7.5.1956, BGBl. II, S. 487. 318 Vgl. OLG Düsseldorf, NJW-RR 1995, 1124 (1125); OLG Naumburg, Urteil vom 19.12.1995 – 7 U 146/95, Rn. 46 ff. (juris); offen gelassen BGH, NJW-RR 2004, 1618 (1618); BGH, NZG 2005, 44 (44). 319 Vgl. Ebenroth/Bippus, DB 1988, 842 (844); Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 337; Kußmaul/Richter/Ruiner, EWS 2009, 1 (3); Lach/Schill, MittBayNot 2005, 243 (243); Paefgen, DZWir 2003, 441 (443 f.); zweifelnd hingegen Paal, RIW 2005, 735 (736 ff.). 320 Vgl. BGH, NZG 2003, 531 (531); BGH, NJW-RR 2004, 1618 (1618); BGH, NZG 2005, 44 (44); OLG Düsseldorf, NJW-RR 1995, 1124 (1125); OLG Naumburg, Urteil vom 19.12.1995 – 7 U 146/95, Rn. 31 (juris); Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 334; Paefgen, DZWir 2003, 441 (443 f.); Thorn, in: Palandt, BGB, Anh. Art. 12 EGBGB, Rn. 3; Trautrims, ZHR 176 (2012), 435 (444 f.); v. Bar/Mankowski, IPR, Bd. I, § 7, Rn. 35. 321 Vgl. Ebenroth/Bippus, DB 1988, 842 (843); Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 334. 322 Vgl. OLG Düsseldorf, NJW-RR 1995, 1124 (1125); OLG Naumburg, Urteil vom 19.12.1995 – 7 U 146/95, Rn. 46 ff. (juris); Bausback, DNotZ 1996, 254 (258); Eben317

§ 4 Ausprägungen grenzüberschreitender Mobilität von Gesellschaften

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bb) Kriterien einer effektiven Bindung Bei dem Versuch, taugliche Kriterien zur Bestimmung einer effektiven Bindung einer Gesellschaft an den Gründungsstaat zu entwickeln, muss berücksichtigt werden, dass das Erfordernis des genuine link aufgrund des die Niederlassungsfreiheit prägenden Begriffs der Niederlassung eine eigene, unionsrechtliche Ausprägung erfährt. Die Kriterien, welche in Rechtsprechung und Schrifttum im Hinblick auf das völkerrechtliche Erfordernis eines genuine link in Betracht gezogen werden, können daher nicht ohne Weiteres zur Bestimmung einer effektiven Bindung im niederlassungsrechtlichen Sinn herangezogen werden. Reine Rechtsakte wie die Gründung der Gesellschaft oder Formalitäten wie die Eintragung in ein Gesellschaftsregister können eine effektive Bindung an den Gründungsstaat weder nach den Maßstäben des Völkerrechts noch der Niederlassungsfreiheit begründen. Während es im Hinblick auf das völkerrechtliche Erfordernis des genuine link als ausreichend angesehen wird, dass die Gesellschaft irgendwelche geschäftlichen Aktivitäten im Gründungsstaat entfaltet,323 kann dies für das niederlassungsrechtliche Erfordernis des genuine link nicht gelten. Zum einen müssen solche Geschäftsaktivitäten mit Blick auf den Begriff der Niederlassung auf Dauer angelegt sein. Zum anderen müssen sie mit einer festen Einrichtung im Gründungsstaat einhergehen. Dementsprechend ist auch das schlichte Unterhalten eines Bankdepots324 sowie die Ansässigkeit eines Gesellschafters325 im Gründungsstaat keinesfalls ausreichend. Ob es bei der Gründung einer Tochtergesellschaft genügt, dass die Muttergesellschaft im Gründungsstaat ansässig ist und von dort aus eine einheitliche Konzernleitung vorgenommen wird, erscheint ebenfalls zweifelhaft.326 Aus der Perspektive der Niederlassungsfreiheit macht es keinen Unterschied, ob es sich bei dem Gesellschafter, welcher Einfluss auf die Geschäftstätigkeit der Gesellschaft nimmt, um eine natürliche oder eine juristische Person handelt.

roth/Bippus, DB 1988, 842 (845); Ebenroth/Bippus, NJW 1988, 2137 (2137 f.); Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 342; a.A. Heckschen, in: Widmann/Mayer, UmwR, 103. EL (2008), § 1 UmwG, Rn. 140; Lach/Schill, MittBayNot 2005, 243 (244); Paal, RIW 2005, 735 (739 f.); Paefgen, DZWir 2003, 441 (443); Rehm, in: Eidenmüller, Ausländische Kapitalgesellschaften, § 2, Rn. 34; Thorn, in: Palandt, BGB, Anh. Art. 12 EGBGB, Rn. 3. 323 Vgl. BGH, NJW-RR 2004, 1618 (1618); BGH, NZG 2005, 44 (45); Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 345; Paefgen, DZWir 2003, 441 (443). 324 Vgl. BGH, NJW-RR 2004, 1618 (1618), wonach dies zur Erfüllung des völkerrechtlichen genuine link-Erfordernisses ausreichen soll. 325 Vgl. OLG Naumburg, Urteil vom 19.12.1995 – 7 U 146/95, Rn. 59 (juris); Ebenroth/Bippus, DB 1988, 842 (846); Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 345 zum völkerrechtlichen genuine link-Erfordernis. 326 Anders G.H. Roth, Niederlassungsfreiheit, 2010, S. 49.

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Kapitel 2: Die Niederlassungsfreiheit der Gesellschaften

In die richtige Richtung weist hingegen das Kriterium, dass die Gesellschaft tatsächlich in die soziale Struktur des Gründungsstaates eingebettet sein muss.327 Die Niederlassungsfreiheit soll die gegenseitige wirtschaftliche und soziale Durchdringung auf dem Gebiet der selbständigen Erwerbstätigkeit innerhalb der Gemeinschaft fördern.328 Entscheidend ist daher, dass die tatsächlichen Einrichtungen im Gründungsstaat es der Gesellschaft ermöglichen, in stabiler und kontinuierlicher Weise an dessen Wirtschaftsleben teilzunehmen und daraus Nutzen zu ziehen.329 Wann die wirtschaftlichen Aktivitäten im Gründungsstaat derart unbedeutend sind, dass schon keine Niederlassung im Sinne des Art. 49 AEUV vorliegt, lässt sich anhand von abstrakten Kriterien nicht beschreiben. Vielmehr ist stets im Einzelfall zu prüfen, ob die tatsächlich entfalteten Aktivitäten in ihrem Ausmaß völlig hinter dem Aufwand zurückbleiben, welcher bei der vermeintlich ausgeübten Tätigkeit zu erwarten wäre.330 Nur wenn die Gesellschaft im Gründungsstaat tatsächlich wirtschaftliche Aktivitäten entfaltet, welche die Bagatellgrenze überschreiten, besteht für die Aufsichtsbehörden des Gründungsstaates Anlass sowie ein realer Ansatzpunkt für die Ausübung ihrer Kontrollrechte.331 In diesem Fall sind die Gefahren, welche sich aus der Tätigkeit von Briefkastengesellschaften typischerweise ergeben, größtenteils gebannt. Ein Schutzdefizit besteht schließlich gerade deshalb, weil die Anforderungen des Gründungsrechts nicht oder nur eingeschränkt kontrolliert werden.332 Beantragt eine EU-ausländische Gesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat die Eintragung einer Zweigniederlassung, dürfen dessen Behörden und Gerichte von der Gesellschaft Nachweise über deren wirtschaftliche Tätigkeit im Gründungsstaat verlangen. In aller Regel dürfte sich der Nachweis der Geschäftstätigkeit durch Vorlage des letzten Jahresabschlusses der Gesellschaft unproblematisch führen lassen. Besondere Vorsicht sollten die Behörden und Gerichte hingegen walten lassen, wenn die Gründung der Gesellschaft und der Antrag auf Eintragung einer Zweigniederlassung in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang erfolgen. In diesem Fall drängt sich der Verdacht einer „Briefkastengründung“ geradezu auf. Entfaltet die Gesellschaft im Gründungsstaat bislang überhaupt keine wirtschaftlichen Aktivitäten, kann hilfsweise auf konkrete Planungen zur Aufnahme der Geschäftstä327

Vgl. Ebenroth/Bippus, DB 1988, 842 (846) hinsichtlich des völkerrechtlichen genuine link-Erfordernisses. 328 Vgl. EuGH, Urteil vom 12.9.2006, Rs. C-196/04 – Cadbury Schweppes u.a., Slg. 2006, I-7995, Rn. 53. 329 Vgl. EuGH, Urteil vom 12.9.2006, Rs. C-196/04 – Cadbury Schweppes u.a., Slg. 2006, I-7995, Rn. 53. 330 Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 49. EL (2012), Art. 49 AEUV, Rn. 24. 331 Vgl. G.H. Roth, Niederlassungsfreiheit, 2010, S. 33; Wicke, ZIP 2014, 1414 (1417). 332 Vgl. G.H. Roth, Niederlassungsfreiheit, 2010, S. 51; Wicke, ZIP 2014, 1414 (1417).

§ 4 Ausprägungen grenzüberschreitender Mobilität von Gesellschaften

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tigkeit verwiesen werden. Die Gesellschaft muss dann aber freilich substantiiert darlegen, wieso es bereits einer Eintragung einer Zweigniederlassung in einem anderen Mitgliedstaat bedarf, solange die Geschäftstätigkeit im Gründungsstaat noch nicht aufgekommen wurde. Kann die Gesellschaft den Verdacht der „Briefkastengründung“ nicht entkräften, kann ihr die Eintragung einer Zweigniederlassung aufgrund rechtsmissbräuchlicher Berufung auf die Niederlassungsfreiheit versagt werden. Dies sollten die Gesellschaftsgründer als Warnung verstehen. Werden sie gleichwohl in diesem Mitgliedstaat geschäftlich tätig oder verzichten sie von Anfang an auf die Stellung eines Eintragungsantrags, müssen sie damit rechnen, dass dieser Mitgliedstaat die Gesellschaft auf der Basis der Sitztheorie seinem materiellen Gesellschaftsrecht unterwirft. In Deutschland würde die EU-ausländische Gesellschaft entsprechend der Wechselbalgtheorie als deutsche Personengesellschaft behandelt. Werden die Gesellschafter auf dieser Grundlage persönlich für Gesellschaftsverbindlichkeiten gerichtlich in Anspruch genommen, können sie im Prozess freilich einwenden, dass ein genuine link zwischen der Gesellschaft und dem Gründungstaat tatsächlich besteht. III. Grenzüberschreitende Verlegung des Verwaltungssitzes Die Mitgliedstaaten sind im Rahmen ihrer unionsrechtlich nicht überprüfbaren gesellschaftsrechtlichen Regelungsautonomie berechtigt, die Gründung einer Gesellschaft nach ihrem Recht davon abhängig zu machen, dass sich der effektiven Verwaltungssitz der Gesellschaft in ihrem Hoheitsgebiet befindet (vgl. § 4 II. 1. b)). Diese Befugnis ist im Wortlaut des Art. 54 Abs. 1 AEUV angelegt. Über den Gründungsvorgang hinaus enthält die Vorschrift jedoch keine Aussage. Damit ist die Frage aufgeworfen, ob die Mitgliedstaaten ihren Gesellschaften über den Zeitpunkt der Gründung hinaus vorschreiben dürfen, dass sich deren Hauptverwaltung in ihrem Hoheitsgebiet befinden muss. In diesem Fall wären die Mitgliedstaaten berechtigt, eine Gesellschaft anlässlich der Verlegung ihres effektiven Verwaltungssitzes in einen anderen Mitgliedstaat aufzulösen und zu liquidieren. Falls die Mitgliedstaaten demgegenüber unionsrechtlich verpflichtet sind, den statutenwahrenden Wegzug ihrer Gesellschaften zu akzeptieren, oder ihren Gesellschaften diese Möglichkeit sua sponte einräumen, stellt sich die Frage, ob der Aufnahmestaat unionsrechtlich verpflichtet ist, eine zugezogene EU-ausländische Gesellschaft als Rechtssubjekt des Herkunftsstaates anzuerkennen. In diesem Fall wären Mitgliedstaaten, welche kollisionsrechtlich der Sitztheorie folgen, daran gehindert, das Gesellschaftsstatut der zugezogenen Gesellschaft anhand ihres effektiven Verwaltungssitzes anzuknüpfen. Mit anderen Worten: Kommt der Niederlassungsfreiheit ein kollisionsrechtlicher Gehalt zu, welcher die Mitgliedstaaten zwingt, in Bezug auf EU-ausländische Gesellschaften die Gründungstheorie anzuwenden?

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Kapitel 2: Die Niederlassungsfreiheit der Gesellschaften

1. Perspektive des Herkunftsstaates In der Rechtssache Überseering hat der EuGH die Verlegung des effektiven Verwaltungssitzes einer niederländischen Gesellschaft in einen anderen Mitgliedstaat dem Schutz der Niederlassungsfreiheit unterstellt (vgl. § 1 IV. 3.). In der Rechtssache Cartesio hat er den identischen Vorgang als nicht durch die Niederlassungsfreiheit gewährleistet angesehen (vgl. § 1 IV. 7.). Hintergrund der unterschiedlichen Beurteilung waren die divergierenden nationalen Regelungen beider Mitgliedstaaten in Bezug auf die Fähigkeit ihrer Gesellschaften, die Hauptverwaltung im Ausland anzusiedeln. Nach Auffassung des EuGH kann ein Mitgliedstaat sowohl die Anknüpfung bestimmen, die eine Gesellschaft für die Gründung nach seinem innerstaatlichen Recht aufweisen muss, als auch die Anknüpfung, die für den Erhalt der Eigenschaft als Gesellschaft diesen Rechts verlangt wird.333 Im Schrifttum ist die Rechtsprechung des Gerichtshofs auf ein geteiltes Echo gestoßen. a) Unionsrechtliche Zulässigkeit des Verwaltungssitzerfordernisses im Inland? Ein Teil des Schrifttums geht in Übereinstimmung mit dem EuGH davon aus, dass die Fähigkeit einer Gesellschaft, im Falle der Verlegung ihres effektiven Verwaltungssitzes in einen anderen Mitgliedstaat als Gesellschaft des Herkunftsstaates fort zu existieren, nach dessen nationalen Rechtsvorschriften zu beurteilen ist.334 Wenn dieser Mitgliedstaat die Auflösung der Gesellschaft für den Fall der Verlegung des effektiven Verwaltungssitzes ins Ausland vorsehe, sei diese Regelung bereits seit der Gründung der Gesellschaft Bestandteil des auf die Gesellschaft anwendbaren Rechts.335 Die Unterwerfung unter eben dieses Recht sei Voraussetzung für die Gleichstellung der Gesell333 Vgl. EuGH, Urteil vom 16.12.2008, Rs. C-210/06 – Cartesio, Slg. 2008, I-9641, Rn. 110; EuGH, Urteil vom 29.11.2011, Rs. C-371/10 – National Grid Indus, Slg. 2011, I-12273, Rn. 27; EuGH, Urteil vom 12.7.2012, Rs. C-378/10 – VALE Építési, Rn. 29. 334 Vgl. Altmeppen/Ego, in: MünchKomm-AktG, Bd. 7, Europ. Niederlassungsfreiheit, Rn. 53; Barthel, EWS 2010, 316 (319); Behrens/Hoffmann, in: GroßKomm-GmbHG, Bd. I, IntGesR, Rn. B158; Bollacher, RIW 2009, 150 (153); Ege/Klett, DStR 2012, 2442 (2450) ; Frobenius, DStR 2009, 487 (492); Gower/Davies, Company Law, Pt. 1, Rn. 6-23; Grohmann/Gruschinske, GmbHR 2008, 27 (30); Habersack/Verse, Europ. GesR, § 3, Rn. 20; Hoffmann, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 54, Rn. 4; Kindler, DK 2006, 811 (813); Kindler, IPRax 2009, 189 (191); Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 140 und 820; G.H. Roth, Niederlassungsfreiheit, 2010, S. 17; W.-H. Roth, FS Hoffmann-Becking, 2013, 965 (974); Schlag, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 49 AEUV, Rn. 44; Teichmann/Ptak, RIW 2010, 817 (818); Verse, ZEuP 2013, 458 (461 f.); Wasmeier, Umstrukturierung, 2014, S. 146; Weller, DStR 2004, 1218 (1220); Weller, LMK 2012, 336113; Wicke, DStR 2012, 1756 (1757); offenbar auch Bayer/J. Schmidt, ZHR 173 (2009), 735 (742 ff.); Schön, ZGR 2013, 333 (355). 335 Vgl. Barthel, EWS 2010, 316 (322).

§ 4 Ausprägungen grenzüberschreitender Mobilität von Gesellschaften

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schaft mit den Staatsangehörigen des Herkunftsstaates und damit für die Eröffnung des personellen Anwendungsbereichs der Niederlassungsfreiheit.336 Knüpfe der Herkunftsstaat an die Sitzverlegung den Verlust der Rechtsfähigkeit, so falle die Gesellschaft als Trägerin der Niederlassungsfreiheit weg.337 Demnach bestimme das nationale Recht des Herkunftsstaates, ob überhaupt ein Rechtssubjekt bestehe, welches sich auf die Niederlassungsfreiheit berufen könne.338 Was durch diese Rechtsordnung nicht gewährt werde, könne durch sie auch nicht beschränkt werden.339 Die Niederlassungsfreiheit stehe daher einer Regelung eines Mitgliedstaates nicht entgegen, welche es einer nach dessen Recht gegründeten Gesellschaft verwehre, ihren effektiven Verwaltungssitz in einen anderen Mitgliedstaat zu verlegen und dabei ihre Eigenschaft als Gesellschaft des Herkunftsstaates zu behalten.340 Die Mitgliedstaaten seien weder verpflichtet, ihren Gesellschaften den statutenwahrenden Wegzug kollisionsrechtlich durch Annahme einer Rückverweisung durch das Kollisionsrecht des Aufnahmestaates zu ermöglichen, noch diesen sachrechtlich die Wahl eines effektiven Verwaltungssitzes im Ausland zu gestatten.341 Wenn eine Gesellschaft die nach der Rechtsordnung des Herkunftsstaates notwendige Verknüpfung mit dessen Hoheitsgebiet durch die Verlegung des effektiven Verwaltungssitzes löse, könne der Herkunftsstaat darauf mit Auflösung und Liquidation reagieren.342 Nach anderer Auffassung sind die Mitgliedstaaten hingegen nicht berechtigt, autonom darüber zu bestimmen, welche Anknüpfung sie von einer Gesellschaft für den Erhalt der Eigenschaft als Gesellschaft ihres Rechts verlangen.343 Die Befugnis der Mitgliedstaaten zur Festlegung der für die Gründung

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Barthel, EWS 2010, 316 (322). Vgl. Habersack/Verse, Europ. GesR, § 3, Rn. 20; Kindler, DK 2006, 811 (813). 338 Kindler, IPRax 2009, 189 (191). 339 Bollacher, RIW 2009, 150 (153). 340 Vgl. Habersack/Verse, Europ. GesR, § 3, Rn. 20; Schlag, in: Schwarze, EUKommentar, Art. 49 AEUV, Rn. 44. 341 Vgl. Altmeppen/Ego, in: MünchKomm-AktG, Bd. 7, Europ. Niederlassungsfreiheit, Rn. 53; a.A. insoweit W.-H. Roth, FS Hoffmann-Becking, 2013, 965 (974), Fn. 57, dem zufolge der Herkunftsstaat eine Rückverweisung im Falle der Verlegung des effektiven Verwaltungssitzes in einen Gründungstheoriestaat anzunehmen hat. 342 Vgl. Kindler, DK 2006, 811 (814). 343 Vgl. Behme/Nohlen, BB 2009, 13 (13); V. Braun, Wegzugsfreiheit, 2010, S. 227; Eidenmüller, ZIP 2002, 2233 (2243); Eidenmüller, JZ 2004, 24 (29); Forsthoff, in: Grabitz/ Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 49. EL (2012), Art. 54 AEUV, Rn. 11; Frenzel, EWS 2009, 158 (160); Hennrichs u.a., WM 2009, 2009 (2013 f.); Hoger, Kontinuität, 2008, S. 307; Jung, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 54 AEUV, Rn. 37; Klinke, ECFR 2005, 270 (296); Korom/Metzinger, ECFR 2009, 125 (150); Knof/Mock, ZIP 2009, 30 (31 f.); Kußmaul/Richter/Ruiner, ECL 2009, 246 (251); Mörsdorf, EuZW 2009, 97 (98 f.); Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 54 AEUV, Rn. 8; 337

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Kapitel 2: Die Niederlassungsfreiheit der Gesellschaften

einer Gesellschaft erforderlichen Anknüpfungsmerkmale gelte nicht in gleicher Weise für den Fortbestand einer Gesellschaft.344 Art. 54 Abs. 1 AEUV gewähre einer Gesellschaft die Niederlassungsfreiheit, wenn diese nach dem Recht eines Mitgliedstaates gegründet worden sei und einen fortbestehenden Bezug zur Europäischen Union aufweise.345 Die Tatsache, dass Gesellschaften Geschöpfe des nationalen Rechts seien, rechtfertige es nicht, diesen die Berufung auf die Niederlassungsfreiheit gegenüber dem Herkunftsstaat zu verwehren.346 Eine einmal wirksam gegründete Gesellschaft könne sich auch diesem gegenüber auf die Niederlassungsfreiheit berufen. 347 Gegen die Lesart des EuGH spreche bereits der Wortlaut des Art. 54 Abs. 1 AEUV, der lediglich für die Gründung der Gesellschaft an die mitgliedstaatlichen Vorschriften anknüpfe.348 Das Diktum des Gerichtshofs, der Herkunftsstaat könne im Falle des Wegzugs der Gesellschaft frei über deren Fortbestand entscheiden, sei vom Wortlaut der Vorschrift nicht gedeckt.349 Mit wirksamer Entstehung der Gesellschaft stehe das Subjekt der Niederlassungsfreiheit fest, weshalb es einer weiteren Anknüpfung an das Recht des Herkunftsstaates nicht bedürfe.350 Wenn diese Vorfrage einmal positiv beantwortet worden sei, sei der Spielraum des nationalen Gesetzgebers erschöpft.351 Lege man das Verständnis des EuGH zugrunde, liege es in der Hand der Mitgliedstaaten, darüber zu entscheiden, ob eine bereits existierende Gesellschaft in den Genuss der Niederlassungsfreiheit komme.352 Die Mitgliedstaaten wären berechtigt, tatbestandsmäßige Niederlassungsvorgänge dem Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit zu entziehen.353 Ihnen würde Tür und Tor geöffnet, nach ihrem Recht gegründeten Gesellschaften bei unliebsamen Betätigungen die Berufung auf die Niederlassungsfreiheit zu verwehren, ohne dass es auf die

Paefgen, WM 2009, 529 (533 f.); W.-H. Roth, FS Heldrich, 2005, 973 (986 f.); Szydlo, ECFR 2010, 414 (428 ff.); Wymeersch, CMLR 2003, 661 (677). 344 Vgl. Frenzel, EWS 2009, 158 (160); Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 54 AEUV, Rn. 8; Szydlo, ECFR 2010, 414 (429). 345 Hennrichs u.a., WM 2009, 2009 (2014). 346 W.-H. Roth, IPRax 2003, 117 (121); W.-H. Roth, FS Heldrich, 2005, 973 (987). 347 Eidenmüller, ZIP 2002, 2233 (2243); Eidenmüller, JZ 2004, 24 (29). 348 Vgl. Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 49. EL (2012), Art. 54 AEUV, Rn. 11; Frenzel, EWS 2009, 158 (160); Hennrichs u.a., WM 2009, 2009 (2013); Mörsdorf, EuZW 2009, 97 (99). 349 Vgl. Hennrichs u.a., WM 2009, 2009 (2013). 350 Vgl. Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 49. EL (2012), Art. 54 AEUV, Rn. 11; Hennrichs u.a., WM 2009, 2009 (2014); Szydlo, ECFR 2010, 414 (429). 351 Hennrichs u.a., WM 2009, 2009 (2014). 352 Vgl. Hoger, Kontinuität, 2008, S. 308; Knof/Mock, ZIP 2009, 30 (32). 353 Vgl. Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 49. EL (2012), Art. 54 AEUV, Rn. 11.

§ 4 Ausprägungen grenzüberschreitender Mobilität von Gesellschaften

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Frage der Rechtfertigung des Eingriffs ankomme.354 Es sei mit der unionsrechtlichen Normenhierarchie jedoch nicht zu vereinbaren, dass das nationale Recht über den Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit disponiere.355 Dies widerspreche ferner dem Zweck der Niederlassungsfreiheit, grenzüberschreitende wirtschaftliche Aktivitäten zu ermöglichen und zu fördern.356 Zwar entfalle mit der Auflösung der Gesellschaft das Subjekt der Niederlassungsfreiheit.357 Der Grund für die Auflösung sei jedoch gerade deren Wahrnehmung durch die Gesellschaft.358 Die Ausübung der Niederlassungsfreiheit in Form der Auswanderungsfreiheit dürfe jedoch nicht der Grund sein, eine Gesellschaft zu liquidieren.359 Soweit das Recht des Herkunftsstaates einer Gesellschaft im Falle der Verlegung des effektiven Verwaltungssitzes in einen anderen Mitgliedstaat die Rechtsfähigkeit aberkenne, sei dies nach allgemeinen Grundsätzen mit Art. 49 AEUV nur vereinbar, falls die Beschränkung aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses zu rechtfertigen sei.360 Die Auflösung einer Gesellschaft erweise sich als denkbar schwerwiegendste Beeinträchtigung der Niederlassungsfreiheit in Gestalt der Auswanderungsfreiheit.361 Da sie faktisch ein Verbot der Wahrnehmung der Niederlassungsfreiheit darstelle, sei sie einer besonders sorgfältigen Prüfung des verfolgten Allgemeininteresses und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu unterwerfen.362 b) Stellungnahme Bei Lichte betrachtet sind die in Fachkreisen vorgebrachten Vorbehalte gegen den rechtlichen Standpunkt des EuGH nicht stichhaltig. Die Befugnis der Mitgliedstaaten, über den personellen Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit zu disponieren, ist bereits im Wortlaut des Art. 54 Abs. 1 AEUV angelegt (vgl. § 3 II. 2. b)). Ein Verstoß gegen die unionsrechtliche Normenhierarchie ist ausgeschlossen, wenn das Primärrecht selbst einen Vorbehalt zugunsten der Mitgliedstaaten formuliert. Zwar ist den Kritikern des EuGH beizupflichten, dass der Wortlaut der Vorschrift lediglich für die 354

Frenzel, EWS 2009, 158 (160). Vgl. Hennrichs u.a., WM 2009, 2009 (2014). 356 Szydlo, ECFR 2010, 414 (430). 357 Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 49. EL (2012), Art. 54 AEUV, Rn. 11. 358 Vgl. Frenzel, EWS 2009, 158 (160); Knof/Mock, ZIP 2009, 30 (32); W.-H. Roth, IPRax 2003, 117 (121). 359 W.-H. Roth, IPRax 2003, 117 (121); W.-H. Roth, FS Heldrich, 2005, 973 (987). 360 Vgl. Eidenmüller, ZIP 2002, 2233 (2243); Eidenmüller, JZ 2004, 24 (29); MüllerGraff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 54 AEUV, Rn. 19; W.-H. Roth, FS Heldrich, 2005, 973 (990); Wymeersch, CMLR 2003, 661 (677). 361 W.-H. Roth, FS Heldrich, 2005, 973 (990). 362 W.-H. Roth, FS Heldrich, 2005, 973 (990). 355

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Kapitel 2: Die Niederlassungsfreiheit der Gesellschaften

Gründung der Gesellschaft Bezug auf das nationale Recht der Mitgliedstaaten nimmt. Im Gegensatz zu natürlichen Personen existieren Gesellschaften jedoch nur vermöge der Rechtsordnung, welche ihrer Gründung zugrunde liegt. Die Niederlassungsfreiheit einer Gesellschaft ist daher vom Zeitpunkt ihres Entstehens an durch die gesellschaftsrechtlichen Regelungen des jeweiligen Mitgliedstaates bedingt.363 Sieht dessen Rechtsordnung für den Fall der Verlegung des effektiven Verwaltungssitzes ins Ausland die Auflösung der Gesellschaft vor, so bewegt sich dieser Mitgliedstaat im Rahmen seines autonomen Regelungsspielraums in Bezug auf die seinem Recht unterliegenden Gesellschaften (vgl. § 4 II. 1.). Der Kernbereich mitgliedstaatlicher Regelungsautonomie im Bereich des materiellen Gesellschaftsrechts umfasst die Befugnis, den eigenen Gesellschaften den statutenwahrenden Wegzug in einen anderen Mitgliedstaat zu verweigern.364 Hält man den Herkunftsstaat dagegen für unionsrechtlich verpflichtet, die Verlegung des effektiven Verwaltungssitzes in einen anderen Mitgliedstaat zuzulassen, wäre die in Art. 54 Abs. 1 AEUV normierte Befugnis, einen effektiven Verwaltungssitz im Inland als Erfordernis für eine wirksame Gründung festzulegen, in Frage gestellt. Eine Gesellschaft könnte im unmittelbaren Anschluss an ihre Gründung in einem Mitgliedstaat ihren effektiven Verwaltungssitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegen und gleichwohl als Gesellschaft des Herkunftsstaates fortbestehen. Die für die Gründung vorgeschriebene Verbindung zum Hoheitsgebiet des Herkunftsstaates stünde letztlich nur auf dem Papier und wäre tatsächlich nicht von Belang.365 Im Ergebnis wäre damit eine Rechtswahlfreiheit der Gesellschaftsgründer verbunden, welche die Niederlassungsfreiheit jedoch gerade nicht verbürgt (vgl. § 3 II. 1. a)). Soweit einige Autoren einen Vergleich zur Niederlassungsfreiheit der Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten bemühen und geltend machen, dass die Befugnis der Mitgliedstaaten, ihr Staatsangehörigkeitsrecht autonom auszugestalten, diesen auch nicht erlaube, einer natürlichen Person anlässlich des Umzuges in einen anderen Mitgliedstaat die Staatsangehörigkeit zu entziehen366, ist damit kein Erkenntnisgewinn verbunden. Die Gleichsetzung führt vielmehr in die Irre. Natürliche Personen und Gesellschaften sind nicht gleich, sondern lediglich gleich zu behandeln (vgl. § 3 II. 2. b) aa)). Dabei sind jedoch stets die Unterschiede zwischen natürlichen Personen und Gesellschaften zu berücksichtigen, welche sich aus der Rechtsnatur einer Gesellschaft als rechtlich determinierter Personenvereinigung ergeben. Diese Unter363

Barthel, EWS 2010, 316 (322). Vgl. Barthel, EWS 2010, 316 (318); Schön, ZGR 2013, 333 (343). 365 Vgl. Teichmann, ZIP 2009, 393 (400); Verse, ZEuP 2013, 458 (462). 366 Vgl. Eidenmüller, JZ 2004, 24 (29); Knof/Mock, ZIP 2009, 30 (32); Leible/ Hoffmann, BB 2009, 58 (59 f.); Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 54 AEUV, Rn. 19; Wymeersch, CMLR 2003, 661 (677). 364

§ 4 Ausprägungen grenzüberschreitender Mobilität von Gesellschaften

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schiede vermögen eine unterschiedliche Behandlung zu erklären. Anders als bei natürlichen Personen lässt sich bei Gesellschaften die Frage ihrer Existenz nicht von der Frage der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Rechtsordnung trennen.367 Da bereits die Existenz einer Gesellschaft im Falle der Verlegung des effektiven Verwaltungssitzes in Frage steht, hilft ein Vergleich mit der Staatsangehörigkeit natürlicher Personen nicht weiter.368 Bei der Beurteilung niederlassungsrelevanter Vorgänge von Gesellschaften ist stets die Regelungsautonomie der Mitgliedstaaten im Bereich des materiellen Gesellschaftsrechts zu berücksichtigen. Im Falle des statutenwahrenden Wegzugs einer Gesellschaft ist die Regelungsautonomie des Herkunftsstaates, im Falle des statutenwechselnden Wegzugs die Regelungsautonomie des Aufnahmestaates berührt. Diese Regelungsautonomie berechtigt die Mitgliedstaaten keineswegs, tatbestandsmäßige Niederlassungsvorgänge dem Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit vollständig zu entziehen. Wer dies behauptet, lässt außer Acht, dass einer Gesellschaft, welche ihren effektiven Verwaltungssitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegen möchte, nach der Rechtsprechung des EuGH in der Rechtssache VALE grundsätzlich die Möglichkeit offensteht, einen grenzüberschreitenden Formwechsel in eine Rechtsform dieses Mitgliedstaates vorzunehmen (vgl. § 1 IV. 9.). Dadurch wird die ökonomisch erwünschte Mobilität von Gesellschaften im Binnenmarkt letztlich gewährleistet.369 Zwar werden schutzwürdige Belange des Herkunftsstaates durch einen grenzüberschreitenden Formwechsel in weitaus höherem Maße beeinträchtigt als durch die schlichte Verlegung des effektiven Verwaltungssitzes der Gesellschaft in einen anderen Mitgliedstaat (vgl. § 6 II.). Dem Herkunftsstaat mag es vor diesem Hintergrund rechtspolitisch vorzugswürdig erscheinen, seinen Gesellschaften den statutenwahrenden Wegzug zu gestatten. Unionsrechtlich verpflichtet ist er hierzu jedoch nicht. Eine nach dem Recht eines Mitgliedstaates gegründete Gesellschaft, welche ihren rechtlichen Status als Gesellschaft dieses Mitgliedstaates beibehalten möchte, muss demnach die hierfür von dem jeweiligen Mitgliedstaat festgesetzten Voraussetzungen einhalten. Dies gilt insbesondere für das Erfordernis, dass der effektive Verwaltungssitz der Gesellschaft in dessen Hoheitsgebiet liegen muss. Sofern die Gesellschaft in Zusammenhang mit der Verlegung ihres effektiven Verwaltungssitzes in einen anderen Mitgliedstaat nicht zugleich einen Formwechsel in eine Rechtsform dieses Mitgliedstaates vornimmt, darf der Herkunftsstaat den Vorgang als Auflösungstatbestand werten. Dadurch beeinträchtigt der Herkunftsstaat auch nicht die Niederlas-

367

Vgl. Barthel, EWS 2010, 316 (323). Vgl. Paefgen, WM 2009, 529 (533 f.); Zimmer/Naendrup, NJW 2009, 545 (546). 369 Verse, ZEuP 2013, 458 (462). 368

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Kapitel 2: Die Niederlassungsfreiheit der Gesellschaften

sungsfreiheit der hinter der Gesellschaft stehenden Anteilsinhaber.370 Bei der niederlassungsrechtlichen Einordnung tatsächlicher Vorgänge ist klar zwischen Niederlassungsvorgängen der Gesellschaft und der hinter der Gesellschaft stehenden Anteilsinhaber zu unterscheiden (vgl. § 3 II. 2.). Durch die Verlegung ihres effektiven Verwaltungssitzes in einen anderen Mitgliedstaat begründet eine Gesellschaft als Rechtssubjekt eine Niederlassung im Aufnahmestaat. Die Gesellschafter sind durch den Vorgang allenfalls mittelbar betroffen. Es steht ihnen frei, im Aufnahmestaat eine Gesellschaft zum Zwecke der Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit zu gründen oder ihren rechtlichen Einfluss auf die Gesellschaft dazu zu nutzen, diese zu einem grenzüberschreitenden Formwechsel zu veranlassen. 2. Perspektive des Aufnahmestaates Soweit der Herkunftsstaat einer Gesellschaft das Recht zugesteht, durch Verlegung des effektiven Verwaltungssitzes statutenwahrend in einen anderen Mitgliedstaat wegzuziehen, stellt sich aus der Perspektive des Aufnahmestaates die Frage, ob dieser unionsrechtlich verpflichtet ist, die Gesellschaft (entgegen den Regelungen seines autonomen Gesellschaftskollisionsrechts) als Gesellschaft des Herkunftsstaates anzuerkennen. Es geht dabei nicht nur um die Frage der Anerkennung der Rechtsfähigkeit, welche die Gesellschaft durch die Gründung nach dem Recht des Herkunftsstaates erworben hat, sondern um die grundsätzliche Frage, ob der Aufnahmestaat das Recht des Herkunftsstaates auf sämtliche gesellschaftsrechtlichen Rechtsbeziehungen der zugezogenen Gesellschaft anzuwenden hat. Mit anderen Worten: Beinhalten die Art. 49 ff. EUV eine unionsrechtliche Kollisionsnorm in Gestalt der Gründungstheorie, welche sämtliche Mitgliedstaaten verpflichtet, das Gesellschaftsstatut einer EU-ausländischen Gesellschaft einheitlich am Gründungsort der Gesellschaft anzuknüpfen? a) Kollisionsrechtlicher Gehalt der Niederlassungsfreiheit? Macht eine Gesellschaft durch Verlegung ihres effektiven Verwaltungssitzes in einen anderen Mitgliedstaat von ihrer Niederlassungsfreiheit Gebrauch, hat der Aufnahmestaat der Rechtsprechung des EuGH zufolge die Rechtsfähigkeit zu achten, welche die Gesellschaft nach dem Recht des Herkunftsstaates besitzt.371 Diese Aussage bildet den Kern des rechtswissenschaftlichen Diskurses über die kollisionsrechtliche Aussagekraft der Entscheidung. Der Pflicht, die Rechtsfähigkeit der zuziehenden Gesellschaft zu achten, kann der Aufnahmestaat bei unbefangener Betrachtungsweise nämlich entweder durch 370

Anders Schön, ECFR 2006, 122 (138); Schön, ZGR 2013, 333 (355), Fn. 108. Vgl. EuGH, Urteil vom 5.11.2002, Rs. C-208/00 – Überseering, Slg. 2002, I-9919, Rn. 95. 371

§ 4 Ausprägungen grenzüberschreitender Mobilität von Gesellschaften

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einen kollisionsrechtlichen Verweis auf das Recht des Herkunftsstaates oder aber durch entsprechende sachrechtliche Vorschriften Genüge tun. Bei Lichte betrachtet hat sich der EuGH im Streit zwischen Sitztheorie und Gründungstheorie nie festgelegt.372 Er hat sich insoweit stets neutral verhalten.373 Ob eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit ihren Ursprung im Kollisionsoder im Sachrecht eines Mitgliedstaates hat, ist für die Beurteilung ihrer unionsrechtlichen Zulässigkeit unerheblich und wird daher vom Gerichtshof zu Recht nicht thematisiert.374 Nicht die Frage der abstrakten Vereinbarkeit einer bestimmten gesellschaftskollisionsrechtlichen Theorie mit der Niederlassungsfreiheit ist Gegenstand seiner Entscheidungen, sondern die Auswirkungen der Anwendung nationalen Rechts auf das Niederlassungsrecht der Angehörigen der Mitgliedstaaten.375 Nach der überwiegenden Auffassung im Schrifttum hat der Aufnahmestaat eine EU-ausländische Gesellschaft im Falle der Verlegung ihres effektiven Verwaltungssitzes in sein Hoheitsgebiet nach Maßgabe des Rechts des Herkunftsstaates anzuerkennen.376 Lasse das Recht des Herkunftsstaates es zu, dass eine Gesellschaft ihren effektiven Verwaltungssitz unter Beibehaltung ihres Gesellschaftsstatuts in einem anderen Mitgliedstaat verlege, genieße die Gesellschaft im Aufnahmestaat den Schutz der Niederlassungsfreiheit.377 372

Vgl. Heckschen, in: Widmann/Mayer, UmwR, 103. EL (2008), § 1 UmwG, Rn. 200; Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 143; Schaper, ZIP 2014, 810 (813), Fn. 23; Teichmann, ZGR 2011, 639 (643); Vermeylen/Vande Velde, ECBMR, Kap. 2, Rn. 2.34; Wymeersch, CMLR 2003, 661 (689). 373 Vgl. Drygala, EuZW 2013, 569 (573). 374 Vgl. Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 49. EL (2012), Art. 54 AEUV, Rn. 40; Teichmann, ZGR 2011, 639 (678). 375 Vgl. GA Poiares Maduro, Schlussanträge vom 22.5.2008, Rs. C-210/06 – Cartesio, Rn. 30; Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 144; Rehm, in: Eidenmüller, Ausländische Kapitalgesellschaften, § 2, Rn. 71 f.; Ringe, ZIP 2008, 1072 (1073); Wymeersch, CMLR 2003, 661 (680). 376 Vgl. Bayer/J. Schmidt, ZHR 173 (2009), 735 (739); Behrens/Hoffmann, in: GroßKomm-GmbHG, Bd. I, IntGesR, Rn. B158; Ege/Klett, DStR 2012, 2442 (2447); Eidenmüller, ZIP 2002, 2233 (2240 f.); Eidenmüller, JZ 2004, 24 (24); Former Reflection Group on the Future of EU Company Law, ECFR 2013, 304 (318); Franz, BB 2009, 1250 (1252); Frobenius, DStR 2009, 487 (487); Gower/Davies, Company Law, Pt. 1, Rn. 6-22; Grohmann, DZWir 2009, 322 (326); Habersack/Verse, Europ. GesR, § 3, Rn. 22 und 24; Hansen, ECFR 2013, 1 (11); Jaensch, EWS 2007, 97 (106); Jung, in: Schwarze, EUKommentar, Art. 54 AEUV, Rn. 34; Kußmaul/Richter/Ruiner, ECL 2009, 246 (250); Mörsdorf, EuZW 2009, 97 (97); W.-H. Roth, FS Heldrich, 2005, 973 (992); W.-H. Roth, FS Hoffmann-Becking, 2013, 965 (975); Thorn, in: Palandt, BGB, Anh. Art. 12 EGBGB, Rn. 5; Verse, ZEuP 2013, 458 (469); offenbar auch Klinke, ECFR 2005, 270 (290); Kieninger, ZGR 1999, 724 (746). 377 Vgl. Altmeppen/Ego, in: MünchKomm-AktG, Bd. 7, Europ. Niederlassungsfreiheit, Rn. 57; Gower/Davies, Company Law, Pt. 1, Rn. 6-22; Leible, in: Michalski, GmbHG, Bd. 1, IntGesR, Rn. 37; Schön, ZGR 2013, 333 (355); Wicke, DStR 2012, 1756 (1756).

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Genauso wenig wie der Aufnahmestaat von einer natürlichen Person beim Grenzübertritt verlangen könne, dass diese ihre Staatsangehörigkeit aufgebe, dürfe er einer Gesellschaft ihre rechtliche Identität nehmen, welche untrennbar mit dem Recht des Herkunftsstaates verknüpft sei.378 Dies führe im Ergebnis zu einem kollisionsrechtlichen Herkunftslandprinzip und verpflichte die Mitgliedstaaten, auf EU-ausländische Gesellschaften mit effektivem Verwaltungssitz im Inland das Recht des Herkunftsstaates anzuwenden. 379 Es seien keine legitimen Interessen des Aufnahmestaates ersichtlich, welche es rechtfertigen könnten, der Gesellschaft eine andere Rechtsform aufzuzwingen.380 Die Niederlassungsfreiheit enthalte in Bezug auf EU-ausländische Gesellschaften zwar nicht für Wegzugskonstellationen, sehr wohl aber für Zuzugskonstellationen eine versteckte Kollisionsregel in Gestalt der Gründungstheorie.381 Zum einen sei die Rechtsprechung des EuGH in den Rechtssachen Centros, Überseering und Inspire Art so zu verstehen, dass das ursprünglich für die Warenverkehrsfreiheit entwickelte Herkunftslandprinzip über die Niederlassungsfreiheit auch auf Gesellschaften zu erstrecken sei.382 Aus den Urteilen ergebe sich zudem, dass eine kollisionsrechtliche Aufspaltung des Gesellschaftsstatuts nicht mit der Niederlassungsfreiheit vereinbar sei.383 Kombiniere man das Herkunftslandprinzip mit dem gesellschaftsrechtlichen Einheitsstatut könne die Anerkennung einer EU-ausländischen Gesellschaft im Inland rechtskonstruktiv nur auf der Ebene des Kollisionsrechts über die Gründungstheorie erfolgen.384 Den Art. 49 ff. AUEV sei – nicht unbedingt dogmatisch, jedenfalls aber faktisch – eine Kollisionsnorm zu entnehmen, welche es den Mitgliedstaaten im Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit verwehre, die Sitztheorie anzuwenden, und daher am besten als europäische Gründungstheorie zu bezeichnen sei.385 378

Eidenmüller, JZ 2004, 24 (25). Vgl. Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 54 AEUV, Rn. 15. 380 Vgl. Eidenmüller, ZIP 2002, 2233 (2241). 381 Vgl. Bartels, ZHR 176 (2012), 412 (415); Behrens/Hoffmann, in: GroßKommGmbHG, Bd. I, IntGesR, Rn. B154; Grohmann, DZWir 2009, 322 (326 f.); Jaensch, EWS 2012, 353 (353); Kieninger, ZGR 1999, 724 (732); Kußmaul/Richter/Ruiner, ECL 2009, 246 (248); Mörsdorf, EuZW 2009, 97 (101); W.-H. Roth, FS Heldrich, 2005, 973 (976 f.); Weller, DStR 2004, 1218 (1218); Weller, ZGR 2006, 748 (750); Weller, FS Goette, 2011, 583 (586 f.); Weller, LMK 2012, 336113; Weller, FS Blaurock, 2013, 497 (518); Weller/Rentsch, IPRax 2013, 530 (533); offenbar auch Barthel, EWS 2010, 316 (326); Eidenmüller, ZIP 2002, 2233 (2242); Frobenius, DStR 2009, 487 (489); Leuering, ZRP 2008, 73 (74). 382 Weller, FS Goette, 2011, 583 (587). 383 Vgl. Weller, FS Goette, 2011, 583 (587 f.). 384 Weller, FS Goette, 2011, 583 (588). 385 Vgl. Leible, in: Michalski, GmbHG, Bd. 1, IntGesR, Rn. 28; diese Terminologie findet sich auch bei Bayer/J. Schmidt, ZHR 173 (2009), 735 (739); Jaensch, EWS 2007, 97 (97); Teichmann, ZGR 2011, 639 (680). 379

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Nach anderer Auffassung hat der Aufnahmestaat die vom Herkunftsstaat zuerkannte Rechts- und Parteifähigkeit einer Gesellschaft zwar zu achten, muss diese jedoch nicht notwendigerweise nach dem Recht dieses Mitgliedstaates beurteilen.386 Die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Überseering erlaube es dem Aufnahmestaat, die zuziehende EU-Auslandsgesellschaft nach seinem Recht als rechts- und parteifähig zu behandeln.387 Die vom Herkunftsstaat verliehene Rechts- und Parteifähigkeit werde auch dann geachtet, wenn bei Annahme eines Statutenwechsels der Gesellschaft die Rechts- und Parteifähigkeit durch das Sachrecht des Aufnahmestaates im selben Umfang zugesprochen werde wie durch das Gründungsrecht.388 Es sei unerheblich, ob der Aufnahmestaat die Anerkennung der Gesellschaft auf der Ebene des Kollisionsrechts oder des Sachrechts sicherstelle.389 Den Mitgliedstaaten steht es grundsätzlich frei, ob sie den Vorgaben der Niederlassungsfreiheit durch die Anwendung ausländischen Rechts (kollisionsrechtliche Lösung) oder durch Anpassung ihres Sachrechts (sachrechtliche Lösung) entsprechen wollen.390 Trete aus Sicht des Aufnahmestaates infolge der Verlegung des effektiven Verwaltungssitzes ein Statutenwechsel ein, könne dieser die Rechts- und Parteifähigkeit der zuziehenden Gesellschaft durch entsprechende sachrechtliche Regelungen sicherstellen.391 Dementsprechend träfen die Bestimmungen der Art. 49 ff. AEUV über die Niederlassungsfreiheit der Gesellschaften keine Entscheidung über die Zulässigkeit einer bestimmten, im nationalen Recht verankerten Lehre des Gesellschaftskollisionsrechts im Allgemeinen.392 Die Niederlassungsfreiheit mache den Mitgliedstaaten insoweit keine Vorgaben und schreibe nicht die Anknüpfung des Gesellschaftsstatuts am Gründungsort vor.393 Aufgrund der kollisi386

Vgl. Kindler, NJW 2003, 1073 (1076); Kindler, DK 2006, 811 (814); Kindler, IPRax 2009, 189 (192); Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 123; Rehm, in: Eidenmüller, Ausländische Kapitalgesellschaften, § 2, Rn. 70; W.-H. Roth, IPRax 2003, 117 (120 f.); offenbar auch G.H. Roth, Niederlassungsfreiheit, 2010, S. 28. 387 Vgl. Kindler, NJW 2003, 1073 (1076); Kindler, DK 2006, 811 (814). 388 Vgl. Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 123; W.-H. Roth, IPRax 2003, 117 (120). 389 W.-H. Roth, IPRax 2003, 117 (121). 390 Vgl. Kindler, NJW 2003, 1073 (1076); Kindler, IPRax 2009, 189 (191). 391 Vgl. W.-H. Roth, IPRax 2003, 117 (120 f.). 392 Vgl. BayObLG, NJW-RR 1993, 43 (44); OLG Hamm, NJW 2001, 2183 (2183); Bartels, IPRax 2013, 153 (156); Kindler, NJW 2003, 1073 (1079); Kindler, NZG 2009, 130 (131); Kindler, IPRax 2009, 189 (191); Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 143; Klinke, ZGR 1993, 1 (7); Leible/Hoffmann, BB 2009, 58 (62); Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 54 AEUV, Rn. 15; Jung, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 54 AEUV, Rn. 20; Ringe, ZIP 2008, 1072 (1073); G.H. Roth, Niederlassungsfreiheit, 2010, S. 16 f., 51. 393 Vgl. Altmeppen/Ego, in: MünchKomm-AktG, Bd. 7, Europ. Niederlassungsfreiheit, Rn. 58; Bollacher, RIW 2009, 150 (154); Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das

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Kapitel 2: Die Niederlassungsfreiheit der Gesellschaften

onsrechtlichen Neutralität der Niederlassungsfreiheit dürfe eine nach Deutschland zuziehende Gesellschaft entsprechend der Sitztheorie dem materiellen deutschen Gesellschaftsrecht unterstellt werden.394 Auf der Grundlage der modifizierten Sitztheorie würde einer nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaates gegründeten Gesellschaft im Falle der Verlegung ihres effektiven Verwaltungssitzes nach Deutschland die Rechtsfähigkeit nicht abgesprochen. Die Gesellschaft würde vielmehr als rechtsfähige Personengesellschaft deutschen Rechts behandelt (vgl. § 1 II. 2. c)). b) Stellungnahme Die Verlegung des effektiven Verwaltungssitzes in einen anderen Mitgliedstaat stellt einen tatbestandsmäßigen Niederlassungsvorgang einer Gesellschaft dar. Durch die Verlagerung der Geschäftsleitung in den Aufnahmestaat siedelt sich die Gesellschaft dort tatsächlich mittels einer festen Einrichtung auf Dauer an. Zur Teilhabe am Wirtschaftsleben des Aufnahmestaates ist die Verlegung des effektiven Verwaltungssitzes angesichts der Möglichkeit der Gesellschaft, dort sekundäre Niederlassungen zu gründen, zwar nicht zwingend erforderlich. Der Gesellschaft steht jedoch die Wahl zwischen den unterschiedlichen Niederlassungsformen frei. Da die Verlegung der Geschäftsleitung eine Integration der Gesellschaft in die Wirtschaft des Aufnahmestaates zumindest erleichtert, wird der Vorgang durch die Niederlassungsfreiheit gewährleistet, sofern die Gesellschaft sich überhaupt auf die Niederlassungsfreiheit berufen kann (vgl. § 4 III. 1.). Lässt der Herkunftsstaat eine statutenwahrende Sitzverlegung der Gesellschaft hingegen nicht zu, ergeben sich aus den Art. 49 ff. AEUV keine unionsrechtliche Vorgaben für den Aufnahmestaat. Dieser kann die Gesellschaft der Rechtsordnung unterwerfen, welche aufgrund der Regelungen seines autonomen Gesellschaftskollisionsrechts Anwendung findet. Die Rechtslage ist in dieser Konstellation mit Drittstaatenfällen vergleichbar, sodass in Deutschland die modifizierte Sitztheorie Anwendung findet (vgl. § 1 II. 2. c)). Ob eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit vorliegt, richtet sich allein nach den tatsächlichen Auswirkungen einer mitgliedstaatlichen Regelung auf den Träger der Niederlassungsfreiheit.395 Die Niederlassungsfreiheit richtet sich gegen sämtliche Beschränkungen des Standortwettbewerbs im Binnenmarkt.396 Es nicht von Belang, ob eine Beschränkung vom KollisionsRecht der Europäischen Union, 49. EL (2012), Art. 54 AEUV, Rn. 2; Jung, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 54 AEUV, Rn. 20; Kindler, IPRax 2009, 189 (191 f.); Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 143; König/Bormann, NZG 2012, 1241 (1244); Teichmann, DB 2012, 2085 (2086). 394 Vgl. Kindler, IPRax 2009, 189 (192). 395 Vgl. Barthel, EWS 2010, 316 (319). 396 Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 54 AEUV, Rn. 15.

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oder Sachrecht eines Mitgliedstaates ausgeht.397 Mangels sekundärrechtlicher Vorgaben steht es den Mitgliedstaaten grundsätzlich frei, das kollisionsrechtliche Anknüpfungsmerkmal zu wählen, anhand dessen das auf eine Gesellschaft anwendbare Recht bestimmt wird. Die Art. 49 ff. AEUV verbieten jedoch ungerechtfertigte Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit, welche sich aus dem jeweiligen kollisionsrechtlichen Ansatz ergeben, und können es den Mitgliedstaaten verwehren, den gewählten Ansatz in allen Fällen bis in die letzte Konsequenz zu verfolgen.398 Die Ausgestaltung des Gesellschaftskollisionsrechts durch die Mitgliedstaaten muss sich daher im Ergebnis am Maßstab der Niederlassungsfreiheit messen lassen. 399 Da die Gesellschaft selbst gemäß den Art. 49, 54 AEUV Trägerin der Niederlassungsfreiheit ist, würde ein Statutenwechsel nach Maßgabe der Sitztheorie im Falle der Verlegung des effektiven Verwaltungssitzes in einen anderen Mitgliedstaat eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit der Gesellschaft darstellen, welche sich nicht durch zwingende Allgemeininteressen des Aufnahmestaates rechtfertigen ließe.400 Die Niederlassungsfreiheit gewährleistet die Wahrung der rechtlichen Identität der zuziehenden Gesellschaft als Trägerin des Niederlassungsrechts. Die Identität einer Gesellschaft verändert sich grundlegend, sofern ihre gesellschaftsrechtlichen Rechtsbeziehungen anhand einer anderen Rechtsordnung beurteilt werden. Der sich aus der Niederlassungsfreiheit ergebenden Pflicht, die Identität einer Gesellschaft als Trägerin der Niederlassungsfreiheit zu achten, genügt der Aufnahmestaat indessen nicht, wenn er die zuziehende Gesellschaft lediglich als Rechtsform seines nationalen Rechts anerkennt. Die Umqualifikation einer nach Deutschland zuziehenden EU-ausländischen Gesellschaft als rechtsfähige Personengesellschaft deutschen Rechts nach Maßgabe der Wechselbalgtheorie ist mit der Niederlassungsfreiheit der Gesellschaft nicht zu vereinbaren. Die damit verbundenen Rechtsfolgen sind geeignet, die Gesellschaft von der Inanspruchnahme ihres Niederlassungsrechts abzuhalten. 401 Zwingende Allgemeininteressen des Aufnahmestaates, welche eine derart intensive Beschränkung der Niederlassungsfreiheit zu rechtfertigen vermögen, sind nicht ersicht397 Vgl. Barthel, EWS 2010, 316 (327); Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 54 AEUV, Rn. 15. 398 Vgl. Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 54 AEUV, Rn. 15; Ringe, ZIP 2008, 1072 (1073). 399 Vgl. Eidenmüller, ZIP 2002, 2233 (2240); Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 49. EL (2012), Art. 54 AEUV, Rn. 2 und 13; Jung, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 54 AEUV, Rn. 20; Klinke, ECFR 2005, 270 (285); Leuering, ZRP 2008, 73 (74); Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 54 AEUV, Rn. 15; W.-H. Roth, FS Hoffmann-Becking, 2013, 965 (973 f.); v. Bar/Mankowski, IPR, Bd. I, § 3, Rn. 41; Wymeersch, CMLR 2003, 661 (680). 400 Anders Kindler, DK 2006, 811 (814). 401 Anders Kindler, NJW 2003, 1073 (1078).

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lich. Selbst die Tatsache, dass ein Statutenwechsel auf Grundlage der modifizierten Sitztheorie die Identität der Gesellschaft als Rechtsträger unberührt lässt, vermag daran nichts zu ändern. Soweit der identitätsstiftende Kernbereich typus- und mitgliedschaftsprägender Regelungsmaterien betroffen ist, ist auf eine zuziehende Gesellschaft EU-ausländischen Rechts das Recht des Herkunftsstaates anzuwenden. Damit ist jedoch die schwierige Folgefrage aufgeworfen, welche Regelungsmaterien die rechtliche Identität einer Gesellschaft prägen. Vor dem niederlassungsrechtlichen Hintergrund muss der Kernbereich dieser Regelungsmaterien nicht zwingend der kollisionsrechtlichen Vorstellung von der Reichweite des Gesellschaftsstatuts entsprechen. Nach der Lehre vom kollisionsrechtlichen Einheitsstatut bemessen sich grundsätzlich alle Rechtsverhältnisse nach dem Gesellschaftsstatut, welche gesellschaftsrechtlich zu qualifizieren sind.402 Dazu gehören insbesondere die Grundregeln betreffend den Gründungsakt, die Rechtsnatur, die Rechts- und Handlungsfähigkeit, die Organisations- und Finanzverfassung sowie die gesellschaftsrechtliche Haftungsordnung.403 Nicht jede gesellschaftsrechtliche Regelung hat auf eine Gesellschaft gleichermaßen identitätsprägenden Einfluss und ist dem Kernbereich typus- und mitgliedschaftsprägender Regelungsmaterien zuzuordnen, welche zwingend anhand des Rechts des Herkunftsstaates zu beurteilen sind. Dementsprechend zwingt die Niederlassungsfreiheit die Mitgliedstaaten nicht zur allseitigen Anknüpfung des Gesellschaftsstatuts an den Herkunftsstaat. Eine Aufspaltung des Gesellschaftsstatuts erschwert jedoch die Rechtsanwendung. Rechtsunsicherheit im Hinblick darauf, welche gesellschaftsrechtlichen Regelungsmaterien anhand der Rechtsordnung des Herkunftsstaates und welche anhand der Bestimmungen des Aufnahmestaates zu beurteilen sind, wären vorprogrammiert. Vor diesem Hintergrund ist es nachvollziehbar, dass der BGH nach anfänglicher Zurückhaltung404 inzwischen dazu übergegangen ist, das Gesellschaftsstatut zugezogener EU-ausländischer Gesellschaften einheitlich nach Maßgabe der Gründungstheorie anhand des Gründungsortes der jeweiligen

402

Vgl. BGH, NJW 1981, 522 (525); BGH, NZG 2000, 926 (927); OLG Hamm, NZG 2014, 703 (704); Bayer/J. Schmidt, ZHR 173 (2009), 735 (739 f.); Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 521; Kußmaul/Richter/Ruiner, ECL 2009, 246 (246 f.); Leible, in: Michalski, GmbHG, Bd. 1, IntGesR, Rn. 16; Leuering, ZRP 2008, 73 (75); G.H. Roth, Niederlassungsfreiheit, 2010, S. 6; Teichmann, ZIP 2006, 335 (361); Weller, ZGR 2006, 748 (751). 403 Vgl. Bayer/J. Schmidt, ZHR 173 (2009), 735 (739 f.); Kindler, in: MünchKommBGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 522; G.H. Roth, Niederlassungsfreiheit, 2010, S. 40; W.H. Roth, ZGR 2014, 168 (198 f.). 404 Vgl. BGH, NZG 2003, 431 (432 f.); BGH, NZG 2005, 974 (974) zur Frage der Rechtsfähigkeit sowie BGH, NJW 2005, 1648 (1649) zur Frage der Haftungsverfassung.

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Gesellschaft anzuknüpfen. 405 Eine unionsrechtliche Verpflichtung dazu besteht jedoch nicht. Ebenso wenig ist es dem Aufnahmestaat generell verwehrt, sein nationales Recht auf eine zugezogene EU-ausländische Gesellschaft anzuwenden.406 Zum einen sind mitgliedstaatliche Regelungen, welche beispielsweise deliktsoder insolvenzrechtlich zu qualifizieren sind, ohnehin selbstständig nach Maßgabe der einschlägigen kollisionsrechtlichen Regelungen (lex loci delicti beziehungsweise center of main interests) anzuknüpfen. Zum anderen ist das gesellschaftsrechtliche Einheitsstatut kein absolutes Dogma.407 Auch im Bereich des Gesellschaftsstatuts ist die Anwendung von Rechtsvorschriften des Aufnahmestaates daher nicht ausgeschlossen.408 Rechtstechnisch lässt sich dies durch eine kollisionsrechtliche Sonderanknüpfung an den effektiven Verwaltungssitz in Kombination mit einer Substitution der inländischen durch die EU-ausländische Rechtsform im Tatbestand der jeweiligen Sachnorm verwirklichen.409 Die Kategorisierung einer Regelungsmaterie nach internationalprivatrechtlichen Kriterien ist aus unionsrechtlicher Sicht allerdings nicht von Belang. Die unionsrechtliche Würdigung wird nicht dadurch beeinflusst, wie das nationale Kollisionsrecht eines Mitgliedstaates ein Rechtsinstitut internationalprivatrechtlich qualifiziert.410 Aus der Perspektive der Niederlassungsfreiheit sind vielmehr der Charakter der jeweiligen Regelung des Aufnahmestaates sowie die von ihr ausgehende niederlassungsbe405

Vgl. BGH, NZG 2009, 68 (69); BGH, NJW 2011, 844 (845 f.); BGH, NJW 2011, 3372 (3373). 406 Vgl. BGH, NJW 2007, 2328 (2329 ff.); OLG Jena, NZG 2006, 434 (435) zur Verweigerung der Eintragung einer Zweigniederlassung einer Ltd. wegen eines gegen den Geschäftsführer verhängten Gewerbeverbotes sowie OLG Jena, ZIP 2013, 1820 (1821) zur Haftung des Geschäftsführers einer Ltd. wegen Zahlungen nach Insolvenzreife. 407 Verse, ZEuP 2013, 458 (475). 408 Vgl. Altmeppen/Ego, in: MünchKomm-AktG, Bd. 7, Europ. Niederlassungsfreiheit, Rn. 137 ff.; Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 49. EL (2012), Art. 54 AEUV, Rn. 43 ff.; Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 141; Teichmann, ZGR 2011, 639 (680 ff.); Verse, ZEuP 2013, 458 (475); Weller, ZGR 2006, 748 (752 f.); zurückhaltender dagegen Eidenmüller, ZIP 2002, 2233 (2242); Eidenmüller, JZ 2004, 24 (28); Franz, BB 2009, 1250 (1252); Habersack/Verse, Europ. GesR, § 3, Rn. 26; Jung, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 54 AEUV, Rn. 31; Klinke, ECFR 2005, 270 (295); Leible, in: Michalski, GmbHG, Bd. 1, IntGesR, Rn. 32; Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 54 AEUV, Rn. 25; Paal, RIW 2005, 735 (740); W.-H. Roth, IPRax 2003, 117 (125); Wymeersch, CMLR 2003, 661 (686). 409 Vgl. Eidenmüller, ZIP 2002, 2233 (2242); Teichmann, ZGR 2011, 639 (684). 410 Vgl. Bayer/J. Schmidt, ZHR 173 (2009), 735 (740); Eidenmüller, JZ 2004, 24 (25); Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 49. EL (2012), Art. 54 AEUV, Rn. 40; Habersack/Verse, Europ. GesR, § 3, Rn. 25 und 28; Paal, RIW 2005, 735 (740); Teichmann, ZGR 2011, 639 (681); Teichmann, DB 2012, 2085 (2086); a.A. offenbar OLG Jena, ZIP 2013, 1820 (1821); Kindler, IPRax 2009, 189 (192); Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 390; Weller, ZGR 2006, 748 (752).

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schränkende Wirkung in Relation zu ihrer Zielsetzung entscheidend.411 Die Prüfungsintensität hängt davon ab, ob die Anwendung der Vorschrift auf die zugezogene Gesellschaft eine Marktzugangsbeschränkung oder eine tätigkeitsbezogene rechtliche Standortbedingung des Aufnahmestaates darstellt (vgl. § 3 III. 3.). Marktzugangsbeschränkende Regelungen des Aufnahmestaates sind am Maßstab des Beschränkungsverbots zu messen und unterliegen angesichts der Zielsetzung der Niederlassungsfreiheit, eine freie Standortwahl im Binnenmarkt sicherzustellen, hohen Rechtfertigungsanforderungen.412 Demgegenüber sind tätigkeitsbezogene Vorschriften des Aufnahmestaates sowie Vorschriften, welche den Marktrückzug einer Gesellschaft betreffen, lediglich am Diskriminierungsverbot zu messen.413 Die entscheidende Weichenstellung erfolgt somit bei der Einordnung einer Regelung als Marktzugangshindernis oder tätigkeitsregulierende Vorschrift. Im Hinblick auf die kategoriale Zuordnung gesellschaftsspezifischer Rechtsinstrumente kann auf die bereits gewonnenen Erkenntnisse rekurriert werden. Wie vorstehend dargelegt ist der Aufnahmestaat unionsrechtlich verpflichtet, das Recht des Herkunftsstaates auf eine zugezogene EUausländische Gesellschaft anzuwenden, soweit identitätsstiftende, typus- und mitgliedschaftsprägende Regelungsmaterien betroffen sind. Umgekehrt ist es dem Aufnahmestaat mithin versagt, Regelungen seines nationalen Rechts auf die Gesellschaft anwenden, welche die rechtliche Identität der Gesellschaft als Trägerin der Niederlassungsfreiheit verändern würde. Solche Regelungen sind geeignet, bereits den Grenzübertritt einer Gesellschaft zu vereiteln, und daher als Marktzugangshindernis anzusehen.414 Eine unionsrechtliche Rechtfertigung einer derartigen Beschränkung des Marktzugangs kommt nicht in Betracht. Tätigkeitsregulierende Rechtsvorschriften des Aufnahmestaates berühren die Identität einer Gesellschaft als Rechtssubjekt des Herkunftsstaates hingegen nicht. Sie sind lediglich am Diskriminierungsverbot der Niederlassungsfreiheit zu messen. Wenn eine solche Rechtsnorm tatbestandlich am effektiven Verwaltungssitz einer Gesellschaft anknüpft, gilt sie gleichermaßen für inländische und EU-ausländische Gesellschaften, welche ihre Hauptverwaltung im jeweiligen Mitgliedstaat ansiedeln. Ihre Anwendung auf eine zugezogene Gesellschaft ist demnach nicht mit einer Diskriminie411

Vgl. Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 49. EL (2012), Art. 54 AEUV, Rn. 40 und 47; Verse, ZEuP 2013, 458 (470). 412 Vgl. Eidenmüller, JZ 2004, 24 (27); Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 391; Teichmann, DB 2012, 2085 (2086); Weller, ZGR 2006, 748 (752 f.). 413 Vgl. Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 439; Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 49. EL (2012), Art. 54 AEUV, Rn. 48; Teichmann, ZGR 2011, 639 (666 f.); offenbar auch OLG Jena, ZIP 2013, 1820 (1821); Eidenmüller, JZ 2004, 24 (27). 414 Vgl. Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 49. EL (2012), Art. 54 AEUV, Rn. 45.

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rung verbunden und daher unionsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Grenze des Regelungsspielraums des Aufnahmestaates ist demnach erreicht, wenn die Anwendung eines Rechtsinstituts die Identität der Gesellschaft als Rechtssubjekt des Herkunftsstaates verändert. IV. Grenzüberschreitende Verlegung des Satzungssitzes Die Begriffe der grenzüberschreitenden Verlegung des Satzungssitzes und des grenzüberschreitenden Formwechsels werden zum Teil bedeutungsgleich verwendet.415 Dies ist dem Umstand geschuldet, dass die Mitgliedstaaten den ihrem Recht unterliegenden Kapitalgesellschaften jeweils einen inländischen Satzungssitz vorschreiben.416 Möchte eine Gesellschaft einen grenzüberschreitenden Formwechsel in eine Kapitalgesellschaft eines anderen Mitgliedstaates vollziehen, ist die Verlegung des statuarischen Sitzes in dessen Hoheitsgebiet demnach obligatorisch. Da Personengesellschaften jedoch nicht über einen vom effektiven Verwaltungssitz zu unterscheidenden statuarischen Sitz verfügen, ist die Gleichsetzung der Satzungssitzverlegung und des Formwechsels zumindest ungenau. Zudem ist es vorstellbar, dass eine Gesellschaft ihren Satzungssitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegt, gleichzeitig aber die Rechtsform des Herkunftsstaates beibehält. Aufgrund dessen ist zwischen der rechtsformwahrenden Verlegung des Satzungssitzes und dem grenzüberschreitenden Formwechsel zu unterscheiden.417

415

Vgl. V. Braun, Wegzugsfreiheit, 2010, S. 222; Campos Nave, BB 2009, 870 (871); Drygala, in: Lutter, UmwG, Bd. I, § 1, Rn. 21; Grundmann, Europ. GesR, § 24, Rn. 845; Heckschen, in: Widmann/Mayer, UmwR, 103. EL (2008), § 1 UmwG, Rn. 263; Hoffmann, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 54, Rn. 1; Jaensch, EWS 2007, 97 (97); Jung, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 54 AEUV, Rn. 39; Knof/Mock, ZIP 2009, 30 (32 f.); Kobelt, GmbHR 2009, 808 (812); Krebs, GWR 2014, 144 (144); Mörsdorf-Schulte, KSzW 2014, 117 (120); G.H. Roth, Niederlassungsfreiheit, 2010, S. 18, Fn. 30; W.-H. Roth, FS Heldrich, 2005, 973 (988 f.); Rubner/Leuering, NJW-Spezial 2012, 527 (527); Stiegler, Rechtsformwechsel, 2013, S. 14; Stiegler, KSzW 2014, 107 (107); Weller, LMK 2012, 336113; Weller, FS Blaurock, 2013, 497 (509); Wasmeier, Umstrukturierung, 2014, S. 68. 416 Vgl. Altmeppen/Ego, in: MünchKomm-AktG, Bd. 7, Europ. Niederlassungsfreiheit, Rn. 61; V. Braun, Wegzugsfreiheit, 2010, S. 222; Hoffmann, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 54, Rn. 1; Mörsdorf, EuZW 2009, 97 (101 f.); G.H. Roth, Niederlassungsfreiheit, 2010, S. 5; Stiegler, Rechtsformwechsel, 2013, S. 6 und 39; Teichmann, in: Süß/Wachter, Hdb. Int. GmbH-Recht, § 4, Rn. 49; Weller, LMK 2012, 336113; Weller, FS Blaurock, 2013, 497 (510). 417 Vgl. Teichmann, in: Süß/Wachter, Hdb. Int. GmbH-Recht, § 4, Rn. 52 ff.; a.A. G.H. Roth, Niederlassungsfreiheit, 2010, S. 18, Fn. 30, der dieser Unterscheidung einen Erkenntnisgewinn abspricht.

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1. Rechtsformwahrende Satzungssitzverlegung In Fachkreisen wird vereinzelt die Auffassung vertreten, die Niederlassungsfreiheit gewährleiste es einer Gesellschaft, ihren statuarischen Sitz ohne Wechsel des auf sie anwendbaren Rechts in einen anderen Mitgliedstaat zu verlegen.418 Da die Zuständigkeit des Registergerichts gemäß §§ 7 Abs. 1 GmbHG, 14 AktG anhand des Satzungssitzes einer GmbH beziehungsweise AG bestimmt wird, wäre der Aufnahmestaat im Falle der Verlegung des statuarischen Sitzes in sein Hoheitsgebiet für die Registerangelegenheiten der jeweiligen Gesellschaft zuständig.419 Dadurch würden jedoch die mit der Registereintragung und Registerführung bezweckten gesetzgeberischen Regelungsziele in Frage gestellt.420 Das deutsche Normativsystem setzt voraus, dass das materielle Gesellschaftsrecht auch prozessual abgesichert und durch Behörden und Gerichte durchgesetzt wird.421 Eine Rechtskontrolle der zur Eintragung in das Handelsregister angemeldeten Vorgänge kann effektiv nur durch ein Registergericht gewährleistet werden, welches mit der gesetzlichen Verbandsverfassung der Rechtsform sowie der einschlägigen Rechtsprechung vertraut ist.422 Durch das Erfordernis eines inländischen Satzungssitzes wird sichergestellt, dass die Einhaltung des materiellen Gesellschaftsrechts effektiv kontrolliert wird.423 Dahinter verbirgt sich das gesetzgeberische Anliegen, den mit einer Verlegung des statuarischen Sitzes ins Ausland einhergehenden Verlust der Kontrolle der Registergerichte über deutsche Gesellschaften zu verhindern.424 Der Satzungssitz ist die Brücke zwischen dem materiellen Gesellschaftsrecht und seiner registerrechtlichen und prozessualen Realisierung durch Gerichte derselben Jurisdiktion.425 Die rechtsformwahrende Verlegung des Satzungssitzes in einen anderen Mitgliedstaat wird nicht durch die Niederlassungsfreiheit gewährleistet.426 418

Vgl. Rehm, in: Eidenmüller, Ausländische Kapitalgesellschaften, § 2, Rn. 76; de lege ferenda Eidenmüller, JZ 2004, 24 (32); offenbar auch Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 4a, Rn. 9; siehe auch Schön, FS Priester, 2007, 737 (746), der das Erfordernis eines inländischen Satzungssitzes als Beschränkung der Niederlassungsfreiheit für rechtfertigungsbedürftig hält. 419 Vgl. BayObLG, NJW-RR 2004, 836 (837); W.-H. Roth, FS Heldrich, 2005, 973 (982); Schön, ZGR 2013, 333 (356). 420 W.-H. Roth, FS Heldrich, 2005, 973 (982). 421 Weller, DStR 2004, 1218 (1219). 422 Vgl. W.-H. Roth, FS Heldrich, 2005, 973 (988). 423 Vgl. BayObLG, NJW-RR 2004, 836 (837); Altmeppen/Ego, in: MünchKomm-AktG, Bd. 7, Europ. Niederlassungsfreiheit, Rn. 61; Kindler, IPRax 2009, 189 (194). 424 Mörsdorf, EuZW 2009, 97 (102). 425 Weller, FS Blaurock, 2013, 497 (510 f.). 426 Vgl. BayObLG, NJW-RR 2004, 836 (838); OLG Zweibrücken, NZG 2005, 1019 (1020); OLG München, NZG 2007, 915 (915); Altmeppen/Ego, in: MünchKomm-AktG, Bd. 7, Europ. Niederlassungsfreiheit, Rn. 62; Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 49. EL (2012), Art. 54 AEUV, Rn. 37; Kindler, DK 2006,

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Dies ergibt sich bereits aus der Befugnis der Mitgliedstaaten, die inländischen Anknüpfungsmerkmale zu bestimmen, welche für den Erhalt der Eigenschaft als Gesellschaft ihren Rechts erforderlich sind (vgl. § 4 III. 1. b)). Der statuarische Sitz einer Gesellschaft ist ein Anknüpfungsmerkmal im Sinne des Art. 54 Abs. 1 AEUV, sodass der Mitgliedstaat, dessen Recht die Gesellschaft unterliegt, von dieser die Beibehaltung eines inländischen Satzungssitzes verlangen darf. Aufgrund der Regelungsautonomie der Mitgliedstaten im Hinblick auf die ihrem Recht unterliegenden Gesellschaften müssen diese eine rechtsformwahrende Satzungssitzverlegung in einen anderen Mitgliedstaat auch dann nicht zulassen, wenn diese mit der Verlegung des effektiven Verwaltungssitzes der Gesellschaft einhergeht und daher ein tatbestandsmäßiger Niederlassungsvorgang vorliegen würde (vgl. § 4 III. 2. b)). Aus der Publizitätsrichtlinie427 ergibt sich zudem, dass der Unionsgesetzgeber davon ausgeht, dass der Mitgliedstaat, dessen Rechtsordnung eine Gesellschaft unterliegt, deren rechtliche Angelegenheiten mit Hilfe eines eigenen öffentlichen Registers verwaltet.428 Die Rechtsprechung geht daher zutreffend und unionsrechtlich unbedenklich davon aus, dass die statutenwahrende Verlegung des Satzungssitzes einer deutschen Gesellschaft ins Ausland nicht möglich ist.429 Ein entsprechender Beschluss wäre gemäß § 241 Nr. 3 AktG (analog) wegen Verstoßes gegen § 5 AktG beziehungsweise § 4a GmbHG nichtig.430 2. Grenzüberschreitender Formwechsel Vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Zielsetzung der Niederlassungsfreiheit und des tatsächlichen Verständnisses des Niederlassungsbegriffs drängt sich dem unbefangenen Betrachter die Gewährleistung grenzüberschreitender Formwechsel durch die Niederlassungsfreiheit nicht von selbst auf. Schließlich handelt es sich bei einem Formwechsel um eine rechtliche Umstrukturierung, welcher ein Niederlassungsvorgang nicht immanent ist. 811 (816); Leible, in: Michalski, GmbHG, Bd. 1, IntGesR, Rn. 44; Szydlo, ECFR 2010, 414 (425); Teichmann, in: Süß/Wachter, Hdb. Int. GmbH-Recht, § 4, Rn. 54; im Ergebnis auch Behme/Nohlen, BB 2009, 13 (14). 427 RL 68/151/EWG des Rates vom 19.3.1968 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten, ABl. 1968, L 65. 428 Vgl. Schön, ECFR 2006, 122 (140); Schön, FS Priester, 2007, 737 (746); Schön, ZGR 2013, 333 (356). 429 Vgl. BayObLG, NJW-RR 2004, 836 (837); OLG Brandenburg, FGPrax 2005, 78 (79); OLG München, NZG 2007, 915 (915). 430 Vgl. Kindler, DK 2006, 811 (817); Kindler, IPRax 2009, 189 (194); Knof/Mock, ZIP 2009, 30 (33); W.-H. Roth, FS Heldrich, 2005, 973 (982); Stiegler, Rechtsformwechsel, 2013, S. 40 f.; Weller, DStR 2004, 1218 (1219).

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Kapitel 2: Die Niederlassungsfreiheit der Gesellschaften

Dies könnte zu der Annahme verleiten, dass grenzüberschreitende Formwechsel als rein rechtlich relevante Vorgänge nicht als Ausprägung der Niederlassungsfreiheit anzusehen sind. Lange Zeit hielt ein beachtenswerter Teil des Schrifttums den Umwandlungsvorgang nicht für durch das Unionsrecht gewährleistet.431 Bis heute wird unterschiedlich beurteilt, ob die Umwandlung prinzipiell durch die Niederlassungsfreiheit geschützt oder nur dann gewährleistet wird, wenn die betroffenen Mitgliedstaaten in ihrem nationalen Recht ein entsprechendes Umwandlungsrecht vorsehen. Nach wie vor nicht geklärt ist zudem die Frage, ob der Vorgang lediglich dann den Schutz der Art. 49 ff. AEUV erfährt, wenn die formwechselnde Gesellschaft zugleich ihren effektiven Verwaltungssitz in den Aufnahmestaat verlegt oder in anderer Form dort eine Niederlassung begründet. a) Perspektive des Herkunftsstaates Verlegt eine Gesellschaft ihren effektiven Verwaltungssitz in den Aufnahmestaat oder begründet dort in anderer Form eine tatbestandsmäßige Niederlassung, liegt ein niederlassungsrelevanter Vorgang vor und der Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit ist eröffnet (vgl. § 3 II. 1.). Sofern eine Gesellschaft einen Formwechsel in die Rechtsform eines anderen Mitgliedstaates vornehmen möchte, könnte es dem Herkunftsstaat durch das Unionsrecht verwehrt sein, auf die Verlegung des effektiven Verwaltungssitz in diesen Mitgliedstaat mit Auflösung und Liquidation zu reagieren, wozu er im Falle einer rechtsformwahrenden Verwaltungssitzverlegung unionsrechtlich berechtigt wäre (vgl. § 4 III. 1. b)). Rechtlicher Ausgangspunkt der Überlegungen ist die Regelungsautonomie der Mitgliedstaaten im Hinblick auf die ihrem Recht unterliegenden Gesellschaften. Wenn eine Gesellschaft sich durch einen grenzüberschreitenden Formwechsel einer anderen Rechtsordnung unterstellen möchte, könnten die Grenzen dieser Regelungsautonomie erreicht sein. Möglichweise verpflichtet die Niederlassungsfreiheit die Mitgliedstaaten sogar, entsprechende sachrechtliche Regelungen bereitzuhalten, um die Durchführung des Umwandlungsvorgangs zu ermöglichen. aa) Unionsrechtlich verbürgtes Recht auf formwechselnden Wegzug? Der überwiegende Teil des Schrifttums hält den Herkunftsstaat im Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH für unionsrechtlich verpflichtet, den grenzüberschreitenden Formwechsel seinem Recht unterstehender Gesell431 Vgl. Heckschen, in: Widmann/Mayer, UmwR, 103. EL (2008), § 1 UmwG, Rn. 192 ff.; Kindler, NZG 2009, 130 (131 f.); Kindler, IPRax 2009, 189 (192); Krause/Kulpa, ZHR 171 (2007), 38 (47); Kuntz, IStR 2006, 224 (226); Mucciarelli, ECFR 2005, 512 (517); Weller, DStR 2004, 1218 (1219); offenbar auch Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 49. EL (2012), Art. 54 AEUV, Rn. 32.

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schaften zuzulassen, wenn der beabsichtigte Formwechsel nach dem Recht des Aufnahmestaates möglich ist.432 Dem Herkunftsstaat sei es verwehrt, den Wegzug seiner Gesellschaften per se auszuschließen.433 Beabsichtige eine Gesellschaft, sich im Wege des grenzüberschreitenden Formwechsels der Rechtsordnung eines anderen Mitgliedstaates zu unterstellen, dürfe der Herkunftsstaat hierauf nicht mit Auflösung und Liquidation der Gesellschaft reagieren.434 Er dürfe den Statutenwechsel ferner nicht durch eine starre kollisionsrechtliche Anknüpfung des Gesellschaftsstatuts verhindern.435 Über den Entzug des Gesellschaftsstatuts hinaus könne er nicht verhindern, dass eine Gesellschaft eine wirtschaftliche Unternehmung in einem anderen Mitgliedstaat unter Wechsel der Rechtsform fortsetze.436 Die Mitgliedstaaten hätten die Hoheit über die Anerkennung als eigene Gesellschaft, nicht aber die Befugnis, eine Gesellschaft als tatsächliches Substrat im eigenen Land zu hal-

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Vgl. Barthel, EWS 2010, 316 (325); Behrens/Hoffmann, in: GroßKomm-GmbHG, Bd. I, IntGesR, Rn. B159; Frobenius, DStR 2009, 487 (488); Drinhausen, in: Semler/ Stengel, UmwG, Einl. C, Rn. 29; Grohmann/Gruschinske, GmbHR 2008, 27 (30 f.); Habersack/Verse, Europ. GesR, § 3, Rn. 21; Hoffmann, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 54, Rn. 4; Leible/Hoffmann, BB 2009, 58 (60); Lutter/Bayer, in: Lutter, UmwG, Bd. I, Einl. I, Rn. 47; Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 835; Korom/Metzinger, ECFR 2009, 125 (155); Krebs, GWR 2014, 144 (146); Mörsdorf, CMLR 2012, 629 (649); Otte/Rietschel, GmbHR 2009, 983 (985); G.H. Roth, Niederlassungsfreiheit, 2010, S. 47; W.-H. Roth, FS Hoffmann-Becking, 2013, 965 (970); Schön, ECFR 2006, 122 (145); Schön, ZGR 2013, 333 (357); Stiegler, KSzW 2014, 107 (107 f.); Vossestein, ECL 2009, 115 (121); Weller, FS Blaurock, 2013, 497 (522); im Ergebnis offenbar auch Ege/Klett, DStR 2012, 2442 (2444); Teichmann, ZGR 2011, 639 (686); Thümmel, Formwechsel, 2013, S. 273. 433 Vgl. Barthel, EWS 2010, 316 (325); Bungert/de Raet, DB 2014, 761 (764); Engert, in: Eidenmüller, Ausländische Kapitalgesellschaften, § 4, Rn. 127; Frobenius, DStR 2009, 487 (488); Grohmann/Gruschinske, GmbHR 2008, 27 (30 f.); Hoffmann, in: MünchHdbGesR, Bd. 6, § 54, Rn. 4; Leible/Hoffmann, BB 2009, 58 (60); Korom/Metzinger, ECFR 2009, 125 (155); Krebs, GWR 2014, 144 (146); Otte/Rietschel, GmbHR 2009, 983 (985); G.H. Roth, Niederlassungsfreiheit, 2010, S. 47; W.-H. Roth, IPRax 2003, 117 (122), Fn. 60; W.-H. Roth, FS Hoffmann-Becking, 2013, 965 (976); Schön, ECFR 2006, 122 (145); Schön, ZGR 2013, 333 (357); Vermeylen/Vande Velde, ECBMR, Kap. 2, Rn. 2.106; Vossestein, ECL 2009, 115 (121). 434 Vgl. Bayer/J. Schmidt, ZHR 173 (2009), 735 (762); Drinhausen, in: Semler/Stengel, UmwG, Einl. C, Rn. 29; Grohmann, DZWir 2009, 322 (328); Hennrichs u.a., WM 2009, 2009 (2015); Johnston/Syrpis, ELR 2009, 378 (388); W.-H. Roth, FS Heldrich, 2005, 973 (991); Stiegler, KSzW 2014, 107 (107 f.); Teichmann, in: Süß/Wachter, Hdb. Int. GmbHRecht, § 4, Rn. 56; Teichmann/Ptak, RIW 2010, 817 (819). 435 Vgl. Mörsdorf, EuZW 2009, 97 (100). 436 Vgl. Barthel, EWS 2010, 316 (324); Frobenius, DStR 2009, 487 (488); Grohmann, DZWir 2009, 322 (328); Hoffmann, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 54, Rn. 4; Leible, in: Michalski, GmbHG, Bd. 1, IntGesR, Rn. 35; Leible/Hoffmann, BB 2009, 58 (60); zurückhaltender Kindler, NZG 2009, 130 (131); Kindler, IPRax 2009, 189 (191 f.).

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Kapitel 2: Die Niederlassungsfreiheit der Gesellschaften

ten.437 Die Niederlassungsfreiheit schaffe ein Recht auf identitätswahrenden, rechtsformwechselnden Wegzug auch dann, wenn das Recht des Herkunftsstaates innerstaatliche Formwechsel nicht kenne.438 Die Anwendung beschränkender Regelungen durch den Herkunftsstaat setze eine Rechtfertigung durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses und die Wahrung der Verhältnismäßigkeit voraus. 439 Vereinzelt wird der Herkunftsstaat im Rahmen seiner Förderpflicht gemäß Art. 4 Abs. 3 EUV i.V.m. Art. 49, 54 AEUV gar für verpflichtet gehalten, ein entsprechendes Umwandlungsregime vorzusehen.440 Diese Förderpflicht gebiete den Mitgliedstaaten, bei der Ausgestaltung ihrer Rechtsordnung die Zielvorgaben des Unionsrechts zu berücksichtigen.441 Sehe der Herkunftsstaat keine Umwandlungsmöglichkeit vor, stelle dies eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit in ihrer Ausprägung als Auswanderungsfreiheit dar, da auswanderungswillige Gesellschaften und Gesellschafter an der Auswanderung gehindert würden.442 Nach anderer Auffassung ist einer Gesellschaft der identitätswahrende Wegzug auch dann gestattet, wenn der Aufnahmestaat zwar kein innerstaatliches Umwandlungsrecht bereitstellt, die Gesellschaft sich aber vollumfänglich den Gründungsvorschriften des Aufnahmestaates unterwirft.443 Dem Herkunftsstaat sei bereits dann die Auflösung und Liquidation einer wegziehenden Gesellschaft versagt, wenn diese im Aufnahmestaat in irgendeiner Form als rechtlich selbstständiger Träger von Rechten und Pflichten fortbestehen könne.444 Die zuziehende Gesellschaft erhalte im Aufnahmestaat die Rechtsform, deren rechtliche Voraussetzungen objektiv erfüllt seien. 445 Sofern die Gesellschaft nicht die Voraussetzungen einer Kapitalgesellschaft des Aufnahmestaates erfülle, könne sie als Personengesellschaft dessen Rechts fortbestehen, sofern es für diese Rechtsform keines formalen Gründungsaktes bedürfe.446 Der primärrechtliche Anspruch einer Gesellschaft auf einen identitätswahrenden Wegzug bestehe unabhängig davon, ob im Aufnahmestaat hierfür entsprechende Vorschriften bestehen, wenn die Gesellschaft bereit sei, 437

Vgl. Barthel, EWS 2010, 316 (325); Frobenius, DStR 2009, 487 (488). Vgl. W.-H. Roth, FS Hoffmann-Becking, 2013, 965 (970); W.-H. Roth, ZGR 2014, 168 (204). 439 Vgl. Behrens/Hoffmann, in: GroßKomm-GmbHG, Bd. I, IntGesR, Rn. B163; W.H. Roth, FS Heldrich, 2005, 973 (989). 440 Vgl. W.-H. Roth, FS Heldrich, 2005, 973 (988 f.). 441 Vgl. W.-H. Roth, FS Heldrich, 2005, 973 (994). 442 W.-H. Roth, FS Heldrich, 2005, 973 (992 f.). 443 Vgl. Biermeyer, CMLR 2013, 571 (578); Leible/Hoffmann, BB 2009, 58 (60 f.); Otte/Rietschel, GmbHR 2009, 983 (985); Paefgen, WM 2009, 529 (532); Teichmann/Ptak, RIW 2010, 817 (819), Fn. 33; Zimmer/Naendrup, NJW 2009, 545 (548); a.A. Altmeppen/ Ego, in: MünchKomm-AktG, Bd. 7, Europ. Niederlassungsfreiheit, Rn. 78. 444 Vgl. Paefgen, WM 2009, 529 (532); Zimmer/Naendrup, NJW 2009, 545 (548). 445 Leible/Hoffmann, BB 2009, 58 (60 f.). 446 Vgl. Leible/Hoffmann, BB 2009, 58 (60); Otte/Rietschel, GmbHR 2009, 983 (985). 438

§ 4 Ausprägungen grenzüberschreitender Mobilität von Gesellschaften

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sich in eine Personengesellschaft des Aufnahmestaates umzuwandeln.447 Gewährleiste das Recht des Aufnahmestaates den Fortbestand der Gesellschaft als Rechtsträger, stelle jede Erschwerung des Wegzugs seitens des Herkunftsstaates einen rechtfertigungsbedürftigen Eingriff in die Niederlassungsfreiheit der Gesellschaft dar.448 Vereinzelt wird der Herkunftsstaat hingegen lediglich dann für verpflichtet gehalten, seinen Gesellschaften einen grenzüberschreitenden Formwechsel zu ermöglichen, wenn er diesen die Möglichkeit versage, ihren effektiven Verwaltungssitz rechtsformwahrend in einen anderen Mitgliedstaat zu verlegen.449 Der grenzüberschreitende Formwechsel stelle lediglich eine Auffanglösung dar, welche hilfsweise für den Fall eingreife, dass der Herkunftsstaat seinen Gesellschaften das Recht einer statutenwahrenden Verwaltungssitzverlegung verwehre.450 Die Mitgliedstaaten seien nicht befugt, über die personelle Reichweite der Niederlassungsfreiheit zu entscheiden und nach ihrem Recht gegründete Gesellschaften von dieser auszuschließen.451 Um dies zu vermeiden habe der EuGH ein Recht auf Verlegung des effektiven Verwaltungssitzes mit Statutenwechsel vorgesehen.452 Die Annahme eines in beliebigen Situationen eingreifenden Rechts auf grenzüberschreitenden Formwechsel konterkariere hingegen die Entscheidungsautonomie der Mitgliedstaaten hinsichtlich der Anknüpfungsmerkmale ihrer Gesellschaften.453 Die Gegenauffassung hält den grenzüberschreitenden Formwechsel lediglich dann durch die Niederlassungsfreiheit gewährleistet, wenn neben dem Aufnahmestaat auch der Herkunftsstaat zumindest einen entsprechenden innerstaatlichen Formwechsel zulässt.454 Eine Gesellschaft könne nur dann ihre Rechtsform ändern, wenn dies sowohl vom Herkunfts- als auch vom Aufnahmestaat akzeptiert werde.455 Bestehe ein bestimmtes Umwandlungsinstrument im nationalen Recht nicht, stelle dies keine Beschränkung der

447

Zimmer/Naendrup, NJW 2009, 545 (548). Paefgen, WM 2009, 529 (532). 449 Vgl. Däubler/Heuschmid, NZG 2009, 493 (495); Marsch-Barner, in: Kallmeyer, UmwG, Vor §§ 122a-122l, Rn. 14. 450 Vgl. Däubler/Heuschmid, NZG 2009, 493 (495); Marsch-Barner, in: Kallmeyer, UmwG, Vor §§ 122a-122l, Rn. 14. 451 Däubler/Heuschmid, NZG 2009, 493 (495). 452 Däubler/Heuschmid, NZG 2009, 493 (495). 453 Däubler/Heuschmid, NZG 2009, 493 (495). 454 Vgl. Altmeppen/Ego, in: MünchKomm-AktG, Bd. 7, Europ. Niederlassungsfreiheit, Rn. 74; Former Reflection Group on the Future of EU Company Law, ECFR 2013, 304 (318); Jaensch, EWS 2007, 97 (102); Jaensch, EWS 2012, 353 (359); Hansen, ECFR 2013, 1 (16); Krafka/Kühn, Registerrecht, Rn. 1211e; Kußmaul/Richter/Ruiner, EWS 2009, 1 (9); Stiegler, Rechtsformwechsel, 2013, S. 22; Wasmeier, Umstrukturierung, 2014, S. 133; offenbar auch OLG Nürnberg, GmbHR 2014, 96 (97). 455 Vgl. Hansen, ECFR 2013, 1 (5). 448

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Kapitel 2: Die Niederlassungsfreiheit der Gesellschaften

Niederlassungsfreiheit dar.456 Zwar habe der EuGH dies nicht ausdrücklich zur Voraussetzung erklärt; dazu habe jedoch in den vom Gerichtshof entschiedenen Konstellationen auch keine Veranlassung bestanden.457 Letztlich sei lediglich die Benachteiligung grenzüberschreitender Umwandlungen unionsrechtlich untersagt.458 bb) Stellungnahme Geht ein grenzüberschreitender Formwechsel mit einer tatsächlichen Ansiedlung der Gesellschaft im Aufnahmestaat einher, liegt ein tatbestandsmäßiger grenzüberschreitender Niederlassungsvorgang vor (vgl. § 3 II. 1. a)). Der Herkunftsstaat ist demnach unionsrechtlich verpflichtet, die Niederlassungsfreiheit der Gesellschaft zu achten. Zwar besteht aufgrund der Regelungsautonomie der Mitgliedstaaten im Bereich des Gesellschaftsrechts eine Bereichsausnahme von der Niederlassungsfreiheit, welche die Mitgliedstaaten berechtigt, die isolierte Verlegung des effektiven Verwaltungssitzes in einen anderen Mitgliedstaat zu verhindern (vgl. § 4 III. 1. b)). Diese Regelungsautonomie findet jedoch dort ihre Grenze, wo die Gesellschaft ihre rechtliche Verknüpfung zu diesem Mitgliedstaat lösen möchte. In diesem Fall ist kein rechtliches Interesse des Herkunftsstaates anzuerkennen, den Wegzug der Gesellschaft als Unternehmensträger per se zu verhindern. Dies wäre mit dem Ziel der Art. 49 ff. AEUV, den Trägern der Niederlassungsfreiheit eine freie Standortwahl im Binnenmarkt zu ermöglichen (vgl. § 3 II. 1. a)), nicht zu vereinbaren. Zwar muss eine Gesellschaft als Rechtssubjekt aufgrund der Regelungsautonomie des Herkunftsstaates eine Einschränkung der Möglichkeit des statutenwahrenden Wegzugs in einen anderen Mitgliedstaat hinnehmen. Durch die Möglichkeit des grenzüberschreitenden Formwechsels wird der Wegzug der Gesellschaft letztlich jedoch durch die Niederlassungsfreiheit gewährleistet. Die Mitgliedstaaten sind nicht berechtigt, über den personellen Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit frei zu verfügen, sobald eine Gesellschaft einmal wirksam gegründet wurde. Ihre Regelungsautonomie beschränkt sich auf die rechtliche Ausgestaltung der eigenen Rechtsformen. Löst eine Gesellschaft durch einen grenzüberschreitenden Formwechsel ihre rechtliche Verbindung zum Herkunftsstaat, kann dieser sich zur Verteidigung niederlassungsbeschränkender Maßnahmen nicht darauf berufen, der Gesellschaft stehe das Niederlassungsrecht überhaupt nicht zu. Die der Anwendbarkeit der Niederlassungsfreiheit vorgelagerte Definitionsautonomie der Mit456

Vgl. Wasmeier, Umstrukturierung, 2014, S. 133. Altmeppen/Ego, in: MünchKomm-AktG, Bd. 7, Europ. Niederlassungsfreiheit, Rn. 74. 458 Vgl. Altmeppen/Ego, in: MünchKomm-AktG, Bd. 7, Europ. Niederlassungsfreiheit, Rn. 74; Stiegler, Rechtsformwechsel, 2013, S. 20; Wasmeier, Umstrukturierung, 2014, S. 132 f. 457

§ 4 Ausprägungen grenzüberschreitender Mobilität von Gesellschaften

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gliedstaaten im Hinblick auf ihre eigenen Gesellschaften endet, wenn die betreffende Gesellschaft ihre rechtliche Verbindung zum Herkunftsstaat löst. Ist der rechtsformwechselnde Zuzug nach dem Recht des Aufnahmestaates möglich, ist es unerheblich, ob der Herkunftsstaat seinen Gesellschaften innerstaatlich ein entsprechendes Umwandlungsrecht zur Verfügung stellt. Andernfalls könnte der Herkunftsstaat seinen Gesellschaften den grenzüberschreitenden Formwechsel schlicht dadurch verwehren, dass er innerstaatlich kein Umwandlungsrecht vorsieht. Es ist jedoch kein plausibler Grund ersichtlich, wieso die Regelungsautonomie in Bezug auf die eigenen Gesellschaften es dem Herkunftsstaat erlauben sollte, einen niederlassungsrelevanten Vorgang zu verhindern, obwohl sie angesichts der Tatsache, dass die Gesellschaft im Begriff ist, sich einer anderen Rechtsordnung zu unterstellen, überhaupt nicht berührt ist. Davon zu unterscheiden ist jedoch die Frage, ob der Herkunftsstaat den formwechselnden Wegzug seiner Gesellschaften aus zwingenden Gründen des Allgemeinwohls Beschränkungen unterwerfen darf (vgl. § 6 III. 1.). Ungeachtet der Tatsache, dass der Herkunftsstaat sich nicht auf eine Bereichsausnahme der Niederlassungsfreiheit berufen kann, bleibt dessen Befugnis unberührt, Vorkehrungen zum Schutz berechtigter Interessen zu treffen. Solche Maßnahmen müssen sich jedoch am Beschränkungsverbot der Niederlassungsfreiheit und damit an der Gebhard-Formel messen lassen (vgl. § 3 III. 3.). Da der Herkunftsstaat berechtigt ist, grenzüberschreitende Herausformwechsel in den durch die Niederlassungsfreiheit vorgegebenen Grenzen zu reglementieren, ist er nicht verpflichtet, einen statutenwechselnden Wegzug einer Gesellschaft zu akzeptieren, welcher sich außerhalb eines geordneten umwandlungsrechtlichen Verfahrens vollzieht. Die Niederlassungsfreiheit gebietet diesem Mitgliedstaat nicht, auf die Auflösung und Liquidation einer Gesellschaft im Falle der Verlegung des effektiven Verwaltungssitzes in einen anderen Mitgliedstaat zu verzichten, nur weil der Aufnahmestaat bereit ist, die Gesellschaft – etwa auf Basis der modifizierten Sitztheorie – als eigene Personengesellschaft anzuerkennen. Andernfalls stünde einer wegziehenden Gesellschaft die Möglichkeit offen, die umwandlungsrechtlichen Vorschriften des Herkunftsstaates zu umgehen, welche dieser aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses für grenzüberschreitende Formwechsel vorgesehen hat. b) Perspektive des Aufnahmestaates Aus umgekehrter Perspektive wird kontrovers diskutiert, ob die Mitgliedstaaten unionsrechtlich verpflichtet sind, den formwechselnden Zuzug EUausländischer Gesellschaften prinzipiell zuzulassen, oder ob die Umwandlung voraussetzt, dass der betroffene Aufnahmestaat zumindest im innerstaatlichen Kontext ein entsprechendes Umwandlungsrecht bereithält. Mit anderen Wor-

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Kapitel 2: Die Niederlassungsfreiheit der Gesellschaften

ten: Berechtigt die gesellschaftsrechtliche Regelungsautonomie der Mitgliedstaaten diese, frei über die Möglichkeit grenzüberschreitender Hereinformwechsel EU-ausländischer Gesellschaften zu befinden? Weitgehend anerkannt ist der Regelungsvorbehalt der nationalen Gesetzgeber im Hinblick auf die wirksame Gründung der ihrem Recht unterstehenden Gesellschaften sowie die Einzelheiten deren gesetzlicher Verbandsverfassung.459 Diese Vorschriften sind dem Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit entzogen und bedürfen infolgedessen auch keiner Rechtfertigung durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses.460 Im Übrigen sind die Grenzen der Regelungsautonomie des Aufnahmestaates hingegen ungeklärt. aa) Diskriminierungs- oder Beschränkungsverbot als Kontrollmaßstab? Nach überwiegend vertretener Auffassung findet die Regelungsautonomie des Aufnahmestaates ihre Grenze, wenn grenzüberschreitende Formwechsel gegenüber innerstaatlichen Formwechseln diskriminiert werden.461 Grenzüber459 Vgl. Benrath/König, DK 2012, 377 (377); Johnston/Syrpis, ELR 2009, 378 (387); Kindler, EuZW 2012, 888 (891); Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 840; Mörsdorf, CMLR 2012, 629 (654); Mörsdorf/Jopen, ZIP 2012, 1398 (1400); Mucciarelli, TJICL 2012, 421 (431); W.-H. Roth, FS Hoffmann-Becking, 2013, 965 (981 ff.); W.-H. Roth, ZGR 2014, 168 (211); Schön, ZGR 2013, 333 (343); Szydlo, ECFR 2010, 414 (435); Teichmann, DB 2012, 2085 (2088); van Eck/Roelofs, ECL 2012, 319 (321 f.); Verse, ZEuP 2013, 458 (488 f.); zurückhaltender Hansen, ECFR 2013, 1 (9 f.). 460 Vgl. Johnston/Syrpis, ELR 2009, 378 (387); Kindler, EuZW 2012, 888 (891); Mörsdorf/Jopen, ZIP 2012, 1398 (1400); W.-H. Roth, FS Hoffmann-Becking, 2013, 965 (981); Verse, ZEuP 2013, 458 (489); a.A. offenbar Hansen, ECFR 2013, 1 (11 f.). 461 Vgl. Altmeppen/Ego, in: MünchKomm-AktG, Bd. 7, Europ. Niederlassungsfreiheit, Rn. 74; Barthel, EWS 2010, 316 (325); Barthel, EWS 2011, 131 (139); Bayer/J. Schmidt, ZHR 173 (2009), 735 (759 f.); Bayer/J. Schmidt, ZIP 2012, 1481 (1488 f.); Behme, NZG 2012, 936 (938); Behme/Nohlen, BB 2009, 13 (14); Behrens/Hoffmann, in: GroßKomm-GmbHG, Bd. I, IntGesR, Rn. B160; Borg-Barthet, ICLQ 2013, 503 (507 f.); Böttcher/Kraft, NJW 2012, 2701 (2702); Drinhausen, in: Semler/Stengel, UmwG, Einl. C, Rn. 28; Eidenmüller, JZ 2004, 24 (30); Frobenius, DStR 2009, 487 (490 f.); Hoffmann, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 54, Rn. 5; Kindler, EuZW 2012, 888 (892); Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 839; Lutter/Bayer, in: Lutter, UmwG, Bd. I, Einl. I, Rn. 47; Mörsdorf, CMLR 2012, 629 (636); Mörsdorf/Jopen, ZIP 2012, 1398 (1400); Mörsdorf-Schulte, KSzW 2014, 117 (124); Otte/Rietschel, GmbHR 2009, 983 (984 f.); Prelic/Prostor, ZfRV 2014, 27 (33); Stiegler, Rechtsformwechsel, 2013, S. 21 f.; Stiegler, KSzW 2014, 107 (108); Szydlo, ECFR 2010, 414 (436 f.); van Eck/Roelofs, ECL 2012, 319 (322 f.); Vossius, in: Widmann/Mayer, UmwR, 134. EL (2012), § 191 UmwG, Rn. 50; Weller, FS Blaurock, 2013, 497 (521); Weller/Rentsch, IPRax 2013, 530 (534); offenbar auch Frenzel, NotBZ 2012, 349 (350); Hansen, ECFR 2013, 1 (10); Hennrichs u.a., WM 2009, 2009 (2012); Jaensch, EWS 2012, 353 (357); W.-H. Roth, FS Heldrich, 2005, 973 (992); Teichmann, ZIP 2009, 393 (402); Teichmann, ZGR 2011, 639 (686); Teichmann, DB 2012, 2085 (2088); Teichmann/Ptak, RIW 2010, 817 (819);

§ 4 Ausprägungen grenzüberschreitender Mobilität von Gesellschaften

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schreitende Umwandlungen würden nicht allgemein durch die Niederlassungsfreiheit gewährleistet.462 Die Niederlassungsfreiheit gebiete den Mitgliedstaaten insbesondere nicht, Gesellschaften das Recht einer formwechselnden Umwandlung zur Verfügung zu stellen.463 Sehe ein Mitgliedstaat in seinem nationalen Recht die Möglichkeit eines Formwechsels nicht vor, könne ihm dies nicht als Beschränkung der Niederlassungsfreiheit EUausländischer Gesellschaften angelastet werden.464 Aufgrund ihrer kassatorischen Wirkung könne die Niederlassungsfreiheit ein entsprechendes Umwandlungsrecht nicht begründen.465 Eine Kontrolle der Umwandlungsregelungen des Aufnahmestaates nach Maßgabe des Beschränkungsverbotes verschöbe im Übrigen den Ausgleich zwischen dem gemeinschaftlichen Anliegen eines homogenen Binnenmarktes und der Regelungsautonomie der Mitgliedstaaten im Bereich des Gesellschaftsrechts zu Lasten des mitgliedstaatlichen Rechtssetzungsspielraums.466 Während es der Regelungsautonomie des Herkunftsstaates unterfalle, ob ein statutenwahrender Wegzug einer nach seinem Recht gegründeten Gesellschaft möglich sei, bestimme der Aufnahmestaat, ob ein statutenwechselnder Zuzug möglich sei.467 Der Aufnahmestaat müsse grenzüberschreitende Hereinformwechsel EU-ausländischer Gesellschaften demnach nur zulassen, wenn er seinen eigenen Gesellschaften entsprechende innerstaatliche Formwechsel gestatte.468 Aus Gründen der Gleichbehandlung müsse eine für innerThümmel, Formwechsel, 2013, S. 273; Wasmeier, Umstrukturierung, 2014, S. 132 f.; Wicke, DStR 2012, 1756 (1759). 462 Vgl. Altmeppen/Ego, in: MünchKomm-AktG, Bd. 7, Europ. Niederlassungsfreiheit, Rn. 74; a.A. EuGH, Urteil vom 13.12.2005, Rs. C-411/03 – SEVIC Systems, Slg. 2005, I-10805, Rn. 19; EuGH, Urteil vom 12.7.2012, Rs. C-378/10 – VALE Építési, Rn. 24; Schön, ZGR 2013, 333 (345 f.). 463 Vgl. Behrens/Hoffmann, in: GroßKomm-GmbHG, Bd. I, IntGesR, Rn. B165; D. Braun, DZWir 2012, 411 (414); Ege/Klett, DStR 2012, 2442 (2442); Eidenmüller, JZ 2004, 24 (30); Hoffmann, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 54, Rn. 7; Weller/Rentsch, IPRax 2013, 530 (534); offenbar auch Frobenius, DStR 2009, 487 (491); siehe bezüglich der grenzüberschreitenden Verschmelzung auch Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 54 AEUV, Rn. 21; Teichmann, ZIP 2006, 335 (358 ff.). 464 Vgl. van Eck/Roelofs, ECL 2012, 319 (323); Wasmeier, Umstrukturierung, 2014, S. 133; siehe bezüglich der grenzüberschreitenden Verschmelzung auch Krause/Kulpa, ZHR 171 (2007), 38 (42); Teichmann, ZIP 2006, 335 (358 ff.). 465 Vgl. Krause/Kulpa, ZHR 171 (2007), 38 (43); Teichmann, ZIP 2006, 335 (359); van Eck/Roelofs, ECL 2012, 319 (323); Wasmeier, Umstrukturierung, 2014, S. 133. 466 Vgl. Barthel, EWS 2011, 131 (139). 467 Barthel, EWS 2010, 316 (320). 468 Vgl. Barthel, EWS 2010, 316 (318); Barthel, EWS 2011, 131 (134); Bayer/J. Schmidt, ZHR 173 (2009), 735 (760); Bayer/J. Schmidt, ZIP 2012, 1481 (1488 f.); Behme, NZG 2012, 936 (938); Borg-Barthet, ICLQ 2013, 503 (508); Drinhausen, in: Semler/Stengel, UmwG, Einl. C, Rn. 28; Ege/Klett, DStR 2012, 2442 (2442); Hoffmann, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 54, Rn. 7; Mörsdorf/Jopen, ZIP 2012, 1398 (1400); Otte/

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Kapitel 2: Die Niederlassungsfreiheit der Gesellschaften

staatliche Formwechsel vorhandene Verfahrensregelung auf ausländische Gesellschaften erstreckt werden.469 Die Niederlassungsfreiheit verpflichte den Aufnahmestaat jedoch lediglich zur Gleichbehandlung EU-ausländischer Gesellschaften, nicht hingegen zu deren Besserstellung gegenüber inländischen Gesellschaften.470 Ein Mitgliedstaat, welcher innerstaatlich etwa keinen Formwechsel von einer Kapital- in eine Personengesellschaft vorsehe, müsse dies daher auch im grenzüberschreitenden Kontext nicht tun.471 Demgegenüber vertreten eine Reihe von Autoren unter Bezugnahme auf das obiter dictum des Cartesio-Urteils die Auffassung, der Aufnahmestaat sei befugt, autonom darüber zu befinden, ob er den Zuzug EU-ausländischer Gesellschaften im Wege grenzüberschreitender Formwechsel zulasse.472 Auch die obergerichtliche Rechtsprechung hat dem Gesetzgeber einen entsprechenden Regelungsspielraum zuerkannt.473 Demnach steht es im freien Ermessen des Aufnahmestaates, ob und unter welchen Voraussetzungen er den formwechselnden Zuzug EU-ausländischer Gesellschaften ermöglicht. Der Aufnahmestaat sei durch die Niederlassungsfreiheit nicht verpflichtet, Regelungen für einen identitätswahrenden Formwechsel bereitzustellen.474 Die formwechselwillige Gesellschaft sei von der Gunst des Aufnahmestaates abhängig.475 Die insoweit bestehende Regelungsautonomie des Aufnahmestaates sei das Gegenstück zur Freiheit des Herkunftsstaates, den Wegzug einer Gesellschaft im Wege der statutenwahrenden Verlegung des effektiven Verwaltungssitzes zu beschränken. 476 Eine Gesellschaft möge zwar ein Interesse daran haben, sich im Aufnahmestaat so weit zu assimilieren, dass UnterschieRietschel, GmbHR 2009, 983 (984 f.); Prelic/Prostor, ZfRV 2014, 27 (33); Schaper, ZIP 2014, 810 (811); Stiegler, Rechtsformwechsel, 2013, S. 31; Teichmann, ZGR 2011, 639 (686); Teichmann, DB 2012, 2085 (2088); Teichmann, in: Süß/Wachter, Hdb. Int. GmbH-Recht, § 4, Rn. 59; Teichmann/Ptak, RIW 2010, 817 (819); Zimmer/Naendrup, NJW 2009, 545 (546); offenbar auch Behrens, EuZW 2012, 625 (625); Hennrichs u.a., WM 2009, 2009 (2014); Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 54 AEUV, Rn. 19. 469 Vgl. Hoffmann, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 54, Rn. 7; Teichmann/Ptak, RIW 2010, 817 (819). 470 Frenzel, NotBZ 2012, 349 (351). 471 Vgl. Bayer/J. Schmidt, ZIP 2012, 1481 (1489); Drygala, in: Lutter, UmwG, Bd. I, § 1, Rn. 23; im Ansatzpunkt bereits Bayer/J. Schmidt, ZHR 173 (2009), 735 (760). 472 Vgl. Frenzel, EWS 2009, 158 (164); Gower/Davies, Company Law, Pt. 1, Rn. 6-23; Korom/Metzinger, ECFR 2009, 125 (156 f.); Kußmaul/Richter/Ruiner, EWS 2009, 1 (10); offenbar auch Däubler/Heuschmid, NZG 2009, 493 (495); Grohmann, DZWir 2009, 322 (328); Johnston/Syrpis, ELR 2009, 378 (387); Kobelt, GmbHR 2009, 808 (812); Kußmaul/ Richter/Ruiner, ECL 2009, 246 (253); Leible/Hoffmann, BB 2009, 58 (62 f.); Paefgen, WM 2009, 529 (532); G.H. Roth, Niederlassungsfreiheit, 2010, S. 18. 473 Vgl. OLG Nürnberg, NZG 2012, 468 (470). 474 Grohmann, DZWir 2009, 322 (328). 475 Kobelt, GmbHR 2009, 808 (812). 476 G.H. Roth, Niederlassungsfreiheit, 2010, S. 18.

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de zu den heimischen Wirtschaftsteilnehmern nicht mehr wahrnehmbar seien.477 Der Umstand, dass den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten kein Recht auf Einbürgerung in einem anderen Mitgliedstaat zustehe, offenbare jedoch, dass diesem Anliegen durch das Unionsrecht nicht Rechnung getragen werde.478 Daher könnten auch zugezogene Gesellschaften nicht verlangen, dass der Aufnahmestaat sie wie eine nach seinem Recht gegründete Gesellschaft behandle.479 Im Gegensatz dazu steht die Rechtsauffassung, der zufolge die (Nichtexistenz von) Umwandlungsregelungen des Aufnahmestaates anhand des Beschränkungsverbots auf ihre niederlassungsbeschränkende Wirkung zu kontrollieren ist.480 Der grenzüberschreitende Formwechsel sei von zentraler Bedeutung für den Zutritt einer Gesellschaft zum Markt eines anderen Mitgliedstaates.481 Der Marktzugang werde in der Dogmatik der Grundfreiheiten mit Hilfe des allgemeinen Beschränkungsverbots durchgesetzt.482 Eine autonome Ausgestaltung des Formwechsels durch das nationale Recht der Mitgliedstaaten stehe nicht mit dem Ziel des Binnenmarktes im Einklang, die grenzüberschreitende Neuorganisation von Unternehmen zu ermöglichen.483 Die Tatsache, dass der EuGH in der Rechtssache VALE lediglich die Autonomie der Mitgliedstaaten anerkannt habe, die Regeln für die Gründung und die Funktionsweise ihrer Gesellschaften festzulegen, deute darauf hin, dass sich die Gestaltungsfreiheit der Mitgliedstaaten nur auf das „Wie“, nicht aber auf das „Ob“ des Formwechsels beziehe.484 Andernfalls könnte der Aufnahmestaat selbst bestimmen, ob er den Zuzug ausländischer Gesellschaften zulasse.485 Der Ausschluss grenzüberschreitender Formwechsel durch den Aufnahmestaat könne somit in jedem Fall als allgemeine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit angegriffen werden.486 Die Anforderungen des Effektivitätsgrundsatzes, auf den der Gerichtshof in der Rechtssache VALE Bezug 477

Däubler/Heuschmid, NZG 2009, 493 (495). Vgl. Däubler/Heuschmid, NZG 2009, 493 (495). 479 Däubler/Heuschmid, NZG 2009, 493 (495). 480 Vgl. Biermeyer, CMLR 2013, 571 (578 ff.); Campos Nave, BB 2009, 870 (872); W.H. Roth, FS Hoffmann-Becking, 2013, 965 (982 f.); W.-H. Roth, ZGR 2014, 168 (211); Schön, ZGR 2013, 333 (345 f.); Thiermann, EuZW 2012, 209 (209 f.); Verse, ZEuP 2013, 458 (487 f.); offenbar auch Ege/Klett, DStR 2012, 2442 (2443), die danach fragen, ob Sinn und Zweck des Ausschlusses bestimmter Rechtsträger von der Beteiligung an einem Formwechsel eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit rechtfertige; erwägend auch Mörsdorf, CMLR 2012, 629 (636). 481 Vgl. Schön, ZGR 2013, 333 (345 f.). 482 Schön, ZGR 2013, 333 (346). 483 Schön, ZGR 2013, 333 (346). 484 Vgl. W.-H. Roth, FS Hoffmann-Becking, 2013, 965 (983); Verse, ZEuP 2013, 458 (487 f.). 485 Campos Nave, BB 2009, 870 (872). 486 Schön, ZGR 2013, 333 (346). 478

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genommen habe, würden nicht nur bei einer besonders belastenden Ausgestaltung des Umwandlungsverfahrens verfehlt, sondern erst recht auch dann, wenn überhaupt kein Verfahren bereitgestellt werde.487 Die Niederlassungsfreiheit begründe eine generelle Pflicht der Mitgliedstaaten, den Hereinformwechsel in die nationalen Rechtsformen des Aufnahmestaates zu ermöglichen.488 Demgegenüber könne das Diskriminierungsverbot den Marktzugang einer Gesellschaft nicht vollständig gewährleisten.489 Eine Diskriminierung setze voraus, dass das nationale Recht eines Mitgliedstaates eine innerstaatliche Umwandlungsmöglichkeit bereitstelle, welche im grenzüberschreitenden Kontext nicht gewährt werde.490 Bei grenzüberschreitenden Sachverhalten seien jedoch auch rechtsformkongruente Formwechsel vorstellbar.491 Weil solche Formwechsel innerstaatlich keinen Sinn ergäben und folglich in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten nicht vorgesehen seien, würden diese bei Zugrundelegung des Diskriminierungsverbots nicht durch die Niederlassungsfreiheit gewährleistet.492 Spiegelbildlich zum Verbot des Herkunftsstaates, Gesellschaften durch Auflösung und Liquidation den formwechselnden Wegzug zu verwehren, sei es dem Aufnahmestaat unionsrechtlich untersagt, den Zuzug solcher Gesellschaften zu verhindern oder zu beschränken.493 bb) Stellungnahme Die umwandlungsrechtlichen Regelungen des Aufnahmestaates sind lediglich anhand des Diskriminierungsverbots auf ihre niederlassungsbeschränkende Wirkung zu überprüfen. Die Mitgliedstaaten sind unionsrechtlich nicht verpflichtet, Gesellschaften überhaupt die Umwandlungsmöglichkeit des Formwechsels zu eröffnen. Im Gegensatz zur grenzüberschreitenden Verschmelzung besteht bislang keine sekundärrechtliche Verpflichtung der Mitgliedstaaten, grenzüberschreitende Formwechsel zuzulassen (vgl. § 1 III. 2.). Legt man das Beschränkungsverbot zugrunde, wären die Mitgliedstaaten durch die Niederlassungsfreiheit verpflichtet, diese Umwandlungsmöglichkeit im grenzüberschreitenden Kontext zu eröffnen, selbst wenn sie innerstaatlich kein entsprechendes Umwandlungsrecht vorgesehen haben. Die Niederlassungsfreiheit entfaltet jedoch lediglich kassatorische Wirkung und enthält keine Institutsgarantie, welche die Mitgliedstaaten unionsrechtlich verpflich487

Vgl. Verse, ZEuP 2013, 458 (488). Vgl. W.-H. Roth, FS Hoffmann-Becking, 2013, 965 (983); W.-H. Roth, ZGR 2014, 168 (211). 489 Vgl. Biermeyer, CMLR 2013, 571 (585). 490 Biermeyer, CMLR 2013, 571 (579); im Ansatzpunkt ähnlich G.H. Roth, Niederlassungsfreiheit, 2010, S. 19. 491 Vgl. Lutter/Bayer, in: Lutter, UmwG, Bd. I, Einl. I, Rn. 48; Schön, ZGR 2013, 333 (345); Vossius, in: Widmann/Mayer, UmwR, 134. EL (2012), § 191 UmwG, Rn. 58. 492 Vgl. Biermeyer, CMLR 2013, 571 (579 f.); W.-H. Roth, ZGR 2014, 168 (211). 493 Vgl. Biermeyer, CMLR 2013, 571 (580); Campos Nave, BB 2009, 870 (872). 488

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tet, Gesellschaften die Möglichkeit eines Formwechsels einzuräumen. Lediglich der Unionsgesetzgeber ist im Rahmen seiner Regelungsbefugnisse berechtigt, die Mitgliedstaaten zu verpflichten, Gesellschaften das Rechtsinstitut des grenzüberschreitenden Formwechsels zur Verfügung zu stellen. Vor dem Hintergrund der unionsrechtlichen Kontrolle der Regelungen des Herkunftsstaates am Maßstab des Beschränkungsverbots (vgl. § 4 IV. 2. a) bb)) mag die Beschränkung der Überprüfbarkeit der Regelungen des Aufnahmestaates auf den ersten Blick verwundern. Der Einwand, dass der Marktzugang nach der niederlassungsrechtlichen Dogmatik grundsätzlich durch das Beschränkungsverbot durchgesetzt wird, trifft zu (vgl. § 3 III. 3.). Ein Blick auf das Verhältnis der Niederlassungsfreiheit zur Regelungsautonomie der Mitgliedstaaten in Bezug auf die ihrem Recht unterliegenden Gesellschaften verschafft jedoch Klarheit. Die Niederlassungsfreiheit ermöglicht es den Angehörigen der Mitgliedstaaten gemäß Art. 49 Abs. 2 AEUV lediglich, sich im Aufnahmestaat zu den dort geltenden Bestimmungen niederzulassen. Der Marktzugang einer Gesellschaft in Form eines grenzüberschreitenden Formwechsels kann sich daher nur im Rahmen der Bedingungen vollziehen, welche der Aufnahmestaat in Wahrnehmung seiner gesellschaftsrechtlichen Regelungsautonomie festgesetzt hat. Mangels sekundärrechtlicher Harmonisierung entscheiden die Mitgliedstaaten selbst über die Voraussetzungen der wirksamen Entstehung der ihrem Recht unterliegenden Gesellschaften (vgl. § 4 II. 1. b)). Da die Mitgliedstaaten unionsrechtlich befugt sind, die Bedingungen für die Gründung einer Gesellschaft autonom festzulegen, kann für den Wechsel der Rechtsform einer Gesellschaft nichts anderes gelten. Der Formwechsel ist aus der Sicht des Aufnahmestaates mit der Gründung einer Gesellschaft nach seinem nationalen Recht vergleichbar.494 Diesen Aspekt hatte offenbar auch der EuGH im Sinne, als er in der Rechtssache VALE die Befugnis des Aufnahmestaates bekräftigte, die Regeln für die Gründung und Funktionsweise der aus einer grenzüberschreitenden Umwandlung hervorgehenden Gesellschaft festzulegen.495 Diese Regelungsautonomie berechtigt den Aufnahmestaat jedoch nicht, speziell grenzüberschreitende Formwechsel von vornherein auszuschließen. Sofern ein Mitgliedstaat innerstaatlich das Rechtsinstitut des Formwechsels vorsieht, ist sein unionsrechtlich nicht überprüfbarer Rechtssetzungsspielraum erschöpft. Die autonome Entscheidung, welche der jeweilige Mitgliedstaat insoweit trifft, erfasst gleichermaßen die Entscheidung über die Zulässigkeit grenzüberschreitender Formwechsel. Die Befugnis des Auf494 Vgl. OLG Nürnberg, GmbHR 2014, 96 (97); V. Braun, Wegzugsfreiheit, 2010, S. 247; Geyhalter/Weber, DStR 2006, 146 (150); Hoger, Kontinuität, 2008, S. 159; Hushahn, notar 2014, 176 (176); Krause/Kulpa, ZHR 171 (2007), 38 (47); MörsdorfSchulte, KSzW 2014, 117 (124); Schaper, ZIP 2014, 810 (813); Teichmann, DB 2012, 2085 (2086); Teichmann/Ptak, RIW 2010, 817 (823). 495 Vgl. EuGH, Urteil vom 12.7.2012, Rs. C-378/10 – VALE Építési, Rn. 30.

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nahmestaates, frei zu entscheiden, ob er Formwechsel generell und welche Umwandlungskonstellationen er konkret zulässt, wird nämlich nicht dadurch in Frage gestellt, dass auch EU-ausländische Gesellschaften die seitens des Aufnahmestaates geschaffenen Umwandlungsmöglichkeiten in Anspruch nehmen, solange diese die für die jeweilige Umwandlung vorgesehenen Voraussetzungen erfüllen. Die Kontrolle der Regelungen des Aufnahmestaates am Maßstab des Diskriminierungsverbots bedeutet somit nicht, dass der Aufnahmestaat frei über den Zuzug EU-ausländischer Gesellschaften bestimmen darf. Im Hinblick auf den rechtsformkongruenten Formwechsel scheint das Diskriminierungsverbot an seine Grenzen zu stoßen. Da ein solcher Formwechsel innerstaatlich nicht vorstellbar ist, haben die Mitgliedstaaten keine Veranlassung, für diesen Fall Regelungen zu treffen, welche auf den Zuzug EUausländischer Gesellschaften übertragen werden könnten. Auf den ersten Blick scheinen rechtsformkongruente Formwechsel daher nicht durch die Niederlassungsfreiheit gewährleistet. Im Ergebnis werden rechtsformkongruente Formwechsel jedoch durch die Niederlassungsfreiheit geschützt, sofern der Aufnahmestaat seinen Gesellschaften innerstaatlich den Formwechsel in die jeweilige Zielrechtsform gestattet.496 Man mag die Verweigerung eines solchen Formwechsels mit Blick auf das Telos der Niederlassungsfreiheit und den effet utile des Unionsrechts bereits als unzulässige Diskriminierung ansehen.497 Es wäre jedenfalls unstimmig, rechtsformkongruenten Formwechseln den unionsrechtlichen Schutz zu versagen, weil sie im nationalen Recht des Aufnahmestaates nicht geregelt sind, es einer solchen Regelung im innerstaatlichen Kontext jedoch gar nicht bedarf. Die gesellschaftsrechtliche Regelungsautonomie des Aufnahmestaates wäre durch die Zulassung solcher Formwechsel ebenfalls nicht tangiert. Sofern dieser innerstaatlich einen Formwechsel in die jeweilige Zielrechtsform zulässt, besteht kein unionsrechtlich anerkennenswerter Grund, einen rechtsformkongruenten Formwechsel prinzipiell auszuschließen. Obwohl rechtsdogmatisch kein Fall der Diskriminierung vorliegt, würde die Verweigerung solcher Formwechsel die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte praktisch unmöglich machen und daher gegen den Effektivitätsgrundsatz verstoßen. Der Effektivitätsgrundsatz gebietet es dem Aufnahmestaat vielmehr, zur 496 Vgl. OLG Nürnberg, GmbHR 2014, 96 zum Hereinformwechsel einer luxemburgischen S.à.r.l. in eine GmbH; Bayer/J. Schmidt, ZHR 173 (2009), 735 (760); Bayer/J. Schmidt, ZIP 2012, 1481 (1489); Kindler, EuZW 2012, 888 (890); Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 782; Mörsdorf-Schulte, KSzW 2014, 117 (123 f.); Stiegler, Rechtsformwechsel, 2013, S. 31; Vossius, in: Widmann/Mayer, UmwR, 134. EL (2012), § 191 UmwG, Rn. 58; Wöhlert/Degen, GWR 2012, 337957; offenbar auch Schmidt-Kessel, GPR 2009, 26 (29); Szydlo, ECFR 2010, 414 (437 f.). 497 Vgl. Bayer/J. Schmidt, ZHR 173 (2009), 735 (760); Mörsdorf-Schulte, KSzW 2014, 117 (124).

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Durchführung des Formwechsels diejenigen innerstaatlichen Umwandlungsregelungen heranzuziehen, welche der Situation eines rechtsformkongruenten Formwechsels am ehesten entsprechen. c) Isolierter Formwechsel? Eine lebhafte Diskussion findet derzeit über der Frage statt, ob grenzüberschreitende Formwechsel auch dann durch die Niederlassungsfreiheit gewährleistet werden, wenn die formwechselwillige Gesellschaft ihren effektiven Verwaltungssitz im Herkunftsstaat beibehalten möchte und im Aufnahmestaat auch nicht in anderer Form eine Niederlassung begründet (isolierter Formwechsel). Diese Umwandlung zielt ausschließlich darauf ab, ein Gesellschaftsstatut zu wählen, welches den Bedürfnissen der Beteiligten besser Rechnung trägt als die Rechtsordnung, nach welchem die Gesellschaft ursprünglich gegründet wurde.498 Wie bei der Gründung einer Briefkastengesellschaft (vgl. § 4 II. 2.) ist jedoch klärungsbedürftig, ob der Vorgang durch die Niederlassungsfreiheit geschützt wird. aa) Erfordernis einer tatsächlichen Ansiedlung der Gesellschaft im Aufnahmestaat? Sofern ein grenzüberschreitender Formwechsel nicht mit einer tatsächlichen Ansiedlung der Gesellschaft im Aufnahmestaat einhergeht, hält ein Teil des Schrifttums den Umwandlungsvorgang nicht für einen tatbestandsmäßigen Niederlassungsvorgang im Sinne der Art. 49 ff. AEUV.499 Durch die Niederlassungsfreiheit werde lediglich die faktische Ansiedlung im Aufnahmestaat

498

Mörsdorf, CMLR 2012, 629 (637). Vgl. Bollacher, RIW 2012, 717 (718); Böttcher/Kraft, NJW 2012, 2701 (2701); Däubler/Heuschmid, NZG 2009, 493 (494); Hoffmann, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 54, Rn. 8; Hushahn, DNotZ 2014, 154 (156); Hushahn, notar 2014, 176 (176); Kindler, EuZW 2012, 888 (891); Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 136 und 831 f.; König/Bormann, NZG 2012, 1241 (1243); Krafka/Kühn, Registerrecht, Rn. 1211f; Krebs, GWR 2014, 144 (146); Leible, in: Michalski, GmbHG, Bd. 1, IntGesR, Rn. 35; Mörsdorf, CMLR 2012, 629 (643); Mörsdorf/Jopen, ZIP 2012, 1398 (1399); Mutter/Kruchen, EWiR 2012, 541 (542); Ringe, ZIP 2008, 1072 (1074); G.H. Roth, Niederlassungsfreiheit, 2010, S. 15, 47; G.H. Roth, ZIP 2012, 1744 (1745); W.-H. Roth, FS Hoffmann-Becking, 2013, 965 (989 f.); W.-H. Roth, ZGR 2014, 168 (208 f.); Schönhaus/Müller, IStR 2013, 174 (176); Stiegler, Rechtsformwechsel, 2013, S. 18; Stiegler, KSzW 2014, 107 (108); Verse, ZEuP 2013, 458 (478); Vossius, in: Widmann/Mayer, UmwR, 134. EL (2012), § 191 UmwG, Rn. 50; Wasmeier, Umstrukturierung, 2014, S. 141; Wicke, DStR 2012, 1756 (1758); Wöhlert/Degen, GWR 2012, 337957; siehe auch Jaensch, EWS 2012, 353 (357) und Teichmann, DB 2012, 2085 (2088), denen zufolge die Zulässigkeit isolierter Formwechsel im Ergebnis allerdings vom Gesellschaftsstatut der konkreten Zielrechtsform abhängt. 499

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geschützt.500 Eine grenzüberschreitende Standortwahl finde bei einem isolierten Formwechsel jedoch nicht statt.501 Soweit die formwechselwillige Gesellschaft keine wirtschaftlichen Aktivitäten in den Aufnahmestaat verlagere, liege kein niederlassungsrelevanter Vorgang vor.502 Die schlichte Registereintragung einer Gesellschaft begründe keine Niederlassung im Aufnahmestaat.503 Der Wechsel der Rechtsform sei nicht unmittelbar für die Lokalisation des Unternehmensstandorts relevant.504 Die Gesellschaft lasse sich nicht im Aufnahmestaat nieder, sondern mache lediglich von dessen Rechtsordnung Gebrauch.505 Eine von wirtschaftlichen Aktivitäten losgelöste Freiheit der Rechtswahl gebe es im Unionsrecht jedoch nicht.506 Soweit keinerlei Absicht bestehe, im Aufnahmestaat einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, sei der Gesellschaft der Schutz der Niederlassungsfreiheit zu versagen. 507 Wer sich allein deshalb über die Grenze begebe, um in den Genuss des Gesellschaftsrechts des Aufnahmestaates zu gelangen, unterliege nicht dem Schutz der Niederlassungsfreiheit.508 Der Herkunftsstaat sei nicht gehindert, einer Gesellschaft einen grenzüberschreitenden Formwechsel zu verwehren, wenn diese sich lediglich in eine Briefkastengesellschaft des Aufnahmestaates umwandeln wolle. 509 Ohne genuine link der Gesellschaft zum Aufnahmestaat als neuem Registrierungsort werde der Formwechsel nicht durch die Niederlassungsfreiheit geschützt.510 Die Gegenauffassung hält den grenzüberschreitenden Formwechsel auch dann durch die Niederlassungsfreiheit gewährleistet, wenn er nicht mit einer tatsächlichen Ansiedlung im Aufnahmestaat einhergeht.511 Da die Niederlas500

Teichmann, DB 2012, 2085 (2087). W.-H. Roth, FS Hoffmann-Becking, 2013, 965 (992), a.A. V. Braun, Wegzugsfreiheit, 2010, S. 247, die darin eine „tatsächlich-wirtschaftliche Standortentscheidung“ erblickt. 502 Däubler/Heuschmid, NZG 2009, 493 (494). 503 Vgl. Biermeyer, CMLR 2013, 571 (587); Däubler/Heuschmid, NZG 2009, 493 (494). 504 Vgl. Leible, in: Michalski, GmbHG, Bd. 1, IntGesR, Rn. 35; Leible/Hoffmann, BB 2009, 58 (62). 505 Däubler/Heuschmid, NZG 2009, 493 (494). 506 Vgl. Däubler/Heuschmid, NZG 2009, 493 (494); W.-H. Roth, FS HoffmannBecking, 2013, 965 (992); Stiegler, Rechtsformwechsel, 2013, S. 30. 507 Teichmann, DB 2012, 2085 (2088). 508 Teichmann, DB 2012, 2085 (2087). 509 Verse, ZEuP 2013, 458 (478). 510 König/Bormann, NZG 2012, 1241 (1243). 511 Vgl. Grohmann, DZWir 2009, 322 (328); Grohmann/Gruschinske, GmbHR 2008, 27 (30); Grundmann, Europ. GesR, § 24, Rn. 846; Jung, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 54 AEUV, Rn. 39; Mörsdorf-Schulte, KSzW 2014, 117 (127); Schön, ZGR 2013, 333 (360); Szydlo, ECFR 2010, 414 (423 f.); offenbar auch Behrens/Hoffmann, in: GroßKommGmbHG, Bd. I, IntGesR, Rn. B160; Prelic/Prostor, ZfRV 2014, 27 (32); Schmidt-Kessel, GPR 2009, 26 (29). 501

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sungsfreiheit ihren Trägern eine Rechtswahlfreiheit verbürge, werde die freie Rechtswahl auch im Rahmen einer Umwandlung gewährleistet.512 Zwar werde mit dem Formwechsel lediglich der Wechsel des Gesellschaftsstatuts, nicht aber die tatsächliche Teilnahme am Wirtschaftsleben des Aufnahmestaates bezweckt.513 Gleichwohl stelle der Formwechsel eine legitime Ausübungsform der Niederlassungsfreiheit dar.514 Wenn eine in einem Mitgliedstaat gegründete Gesellschaft aufgrund der Niederlassungsfreiheit ihre gesamte Geschäftstätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat entfalten dürfe, könne dieser Zustand auch durch einen grenzüberschreitenden Formwechsel herbeigeführt werden.515 Die Schutzwirkung des Binnenmarktes gegenüber der nationalen Gesetzgebung der Mitgliedstaaten hänge von der Schutzwürdigkeit des herbeigeführten wirtschaftlichen Zustandes ab und nicht von der Bewertung des zufällig gewählten rechtlichen Weges.516 Der Endzustand – Auslandsgesellschaft mit Geschäftstätigkeit im Inland – sei als solcher durch die Niederlassungsfreiheit geschützt. 517 Nach Auffassung anderer Autoren hängt die Zulässigkeit isolierter Formwechsel demgegenüber davon ab, ob der Aufnahmestaat den Formwechsel in die gewünschte Zielrechtsform seines nationalen Rechts generell zulässt und es dieser Gesellschaft zudem gestattet, ihren effektiven Verwaltungssitz im Ausland anzusiedeln.518 Mache der Aufnahmestaat von der Befugnis Gebrauch, seinen Gesellschaften vorzuschreiben, dass sich neben deren Satzungssitz auch der effektive Verwaltungssitz in seinem Hoheitsgebiet befinden muss (vgl. § 4 II. 1.), müsse er nicht akzeptieren, dass ein dem nationalen Recht widersprechender Zustand durch einen isolierten Formwechsel herbeigeführt werde.519 Aufgrund des unionsrechtlichen Gleichbehandlungsgebots könne ein Mitgliedstaat, welcher für die Gründung der jeweiligen Zielrechtsform keine tatsächliche Ansiedlung im Inland verlange, dies jedoch ebenso wenig von einer formwechselnd zuziehenden EU-Auslandsgesellschaft for-

512 Vgl. Grohmann, DZWir 2009, 322 (328); Jung, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 54 AEUV, Rn. 39; Schön, ZGR 2013, 333 (359); Szydlo, ECFR 2010, 414 (424). 513 Grohmann, DZWir 2009, 322 (328). 514 Grohmann, DZWir 2009, 322 (328). 515 Vgl. Szydlo, ECFR 2010, 414 (424). 516 Vgl. Schön, ZGR 2013, 333 (359); Szydlo, ECFR 2010, 414 (424). 517 Schön, ZGR 2013, 333 (359). 518 Vgl. Altmeppen/Ego, in: MünchKomm-AktG, Bd. 7, Europ. Niederlassungsfreiheit, Rn. 76; Barthel, EWS 2010, 316 (326); Barthel, EWS 2011, 131 (134); Bayer/J. Schmidt, ZIP 2012, 1481 (1486); V. Braun, Wegzugsfreiheit, 2010, S. 247; Drygala, EuZW 2013, 569 (571); Drygala, in: Lutter, UmwG, Bd. I, § 1, Rn. 14; Teichmann, DB 2012, 2085 (2088); im Ergebnis offenbar auch Behme, NZG 2012, 936 (939); Jaensch, EWS 2012, 353 (358); Schaper, ZIP 2014, 810 (813 f.); van Eck/Roelofs, ECL 2012, 319 (321). 519 Vgl. Mörsdorf, EuZW 2009, 97 (102); Mörsdorf, CMLR 2012, 629 (640).

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dern.520 Grenzüberschreitende Umstrukturierungen seien unabhängig von einer Ausdehnung der Geschäftstätigkeit in einen anderen Mitgliedstaat gegen ungerechtfertigte Diskriminierungen geschützt. 521 Es erschieße sich nicht, wieso die statutenwahrende Verlegung des effektiven Verwaltungssitzes in einen anderen Mitgliedstaat möglich sein solle, der isolierte Formwechsel hingegen nicht.522 Weder entstehe ein erhöhter Prüfungs- und Verwaltungsaufwand des Registergerichts des Aufnahmestaates, noch seien dessen fiskalische Interessen in stärkerem Maße berührt als bei einer Verlegung des effektiven Verwaltungssitzes in einen anderen Mitgliedstaat.523 Zudem mache eine andere Betrachtungsweise schon deshalb keinen Sinn, weil derselbe rechtliche Zustand zu erreichen sei, indem zunächst eine unternehmenslose Gesellschaft im Aufnahmestaat gegründet und die formwechselwillige Gesellschaft sodann auf diese verschmolzen werde.524 Nach der Verschmelzung könne die aufnehmende Gesellschaft im Herkunftsstaat die rechtliche Anerkennung als Gesellschaft des Aufnahmestaates verlangen. 525 Grenzüberschreitende Verschmelzung und grenzüberschreitender Formwechsel seien bei wirtschaftlicher Betrachtung austauschbar und könnten daher im Ergebnis nicht unterschiedlich behandelt werden.526 bb) Stellungnahme Isolierte Formwechsel werden nicht durch die Niederlassungsfreiheit gewährleistet. Sofern eine Gesellschaft im Aufnahmestaat keine tatbestandsmäßige Niederlassung begründet und der Vorgang daher den Kriterien des Niederlassungsbegriffs nicht genügt, ist der sachliche Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit nicht eröffnet (vgl. § 3 II. 1.). Entsprechend ihrer wirtschaftlichen Zielsatzung soll die Niederlassungsfreiheit nämlich lediglich die freie Standortwahl im Binnenmarkt gewährleisten und ist nicht als Freiheit der Rechtswahl zu verstehen. Nur soweit mit einem grenzüberschreitenden Formwechsel ein tatsächlicher Niederlassungsvorgang verbunden ist, dient die Umwandlung der optimalen Allokation wirtschaftlicher Ressourcen im 520

Vgl. Drygala, EuZW 2013, 569 (571); Drygala, in: Lutter, UmwG, Bd. I, § 1, Rn. 24; Schaper, ZIP 2014, 810 (814); Teichmann, DB 2012, 2085 (2088). 521 Altmeppen/Ego, in: MünchKomm-AktG, Bd. 7, Europ. Niederlassungsfreiheit, Rn. 76. 522 Drygala, EuZW 2013, 569 (571). 523 Vgl. Drygala, EuZW 2013, 569 (571). 524 Altmeppen/Ego, in: MünchKomm-AktG, Bd. 7, Europ. Niederlassungsfreiheit, Rn. 76. 525 Altmeppen/Ego, in: MünchKomm-AktG, Bd. 7, Europ. Niederlassungsfreiheit, Rn. 76. 526 Vgl. V. Braun, Wegzugsfreiheit, 2010, S. 241; Drygala, in: Lutter, UmwG, Bd. I, § 1, Rn. 13; Hennrichs u.a., WM 2009, 2009 (2012 f.); Prelic/Prostor, ZfRV 2014, 27 (32).

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Binnenmarkt. Der Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit ist nur dann eröffnet, wenn die Funktionsfähigkeit des Binnenmarktes durch einseitige Maßnahmen der Mitgliedstaaten gefährdet wird. Der Zustand einer dem Recht eines Mitgliedstaates unterliegenden Gesellschaft mit ausschließlicher Geschäftstätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat wird nicht per se durch die Niederlassungsfreiheit geschützt. Die Argumentation der Verfechter einer Rechtswahlfreiheit im Binnenmarkt basiert zum einen auf einem unzutreffenden Verständnis der ökonomischen Zielsetzung der Niederlassungsfreiheit. Sie geht zum anderen am Begriff der Niederlassung als rechtlichem Kern der Art. 49 ff. AEUV vorbei und begibt sich damit auf eine rechtspolitische Argumentationsebene. De lege ferenda mag man eine einheitliche rechtliche Handhabung sämtlicher Ausprägungsformen grenzüberschreitender Mobilität von Gesellschaften für wünschenswert erachten. Auf dem Boden der derzeitigen Rechtslage zwingt die Dogmatik der Niederlassungsfreiheit jedoch dazu, jede grenzüberschreitende Umstrukturierungsmaßnahme eigenständig daraufhin zu untersuchen, ob sie als tatbestandsmäßige Ausprägung des Niederlassungsrechts eines Trägers der Niederlassungsfreiheit anzusehen ist. Nicht der Endzustand einer grenzüberschreitenden Umstrukturierung, sondern ein tatsächliches Verhalten eines Marktteilnehmers wird durch die Art. 49 ff. AEUV gewährleistet, sofern dieses den Tatbestand der Niederlassung in einem anderen Mitgliedstaat erfüllt. Es ist nicht die Umstrukturierung als solche, welche durch das Unionsrecht geschützt wird, sondern der einer Umstrukturierung innewohnende Niederlassungsvorgang in einem anderen Mitgliedstaat. Daher verfängt auch die Argumentation nicht, dass derselbe Endzustand durch eine alternative rechtliche Vorgehensweise erreicht werden kann. Im Hinblick auf die SE geht diese Auffassung bereits von der falschen Grundannahme aus, dass die SE-Verordnung dieser Gesellschaft ein Recht auf isolierten Formwechsel verbürge.527 Art. 7 SE-VO sieht ausdrücklich vor, dass der satzungsmäßige Sitz und die Hauptverwaltung der Gesellschaft sich in demselben Mitgliedstaat befinden müssen. Im Hinblick auf die Möglichkeit, denselben Endzustand durch eine grenzüberschreitende Verschmelzung herbeizuführen, gilt es zu bedenken, dass diese Möglichkeit erst durch den Erlass der Internationalen Verschmelzungsrichtlinie geschaffen wurde. Der Unionsgesetzgeber kann im Rahmen seiner Rechtssetzungsbefugnisse durch Erlass sekundärrechtlicher Rechtsakte Gesellschaften zweifellos rechtliche Möglichkeiten eröffnen, welche nicht bereits durch die Niederlassungsfreiheit gewährleistet werden. Daraus den Rückschluss zu ziehen, dass auch andere grenzüberschreitende Umstrukturierungsmaßnahmen zuzulassen sind, welche der Unionsgesetzgeber bislang nicht eigens geregelt hat, verbietet sich jedoch. Sicherlich stellt es in einer auf Stimmigkeit und praxistaugliche Rechts527

So aber Biermeyer, CMLR 2013, 571 (588).

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folgen angelegten Rechtsordnung einen Mangel dar, wenn das Recht wirtschaftlich ähnlich gelagerte Sachverhalte ungleich behandelt und zu unnötigen Umwegkonstruktionen zwingt.528 Dieser Missstand ist allerdings durch den Unionsgesetzgeber und nicht auf Kosten der Dogmatik der Niederlassungsfreiheit zu lösen. Die Europäische Kommission geht in der Begründung des Vorentwurfs für eine Richtlinie zur grenzüberschreitenden Sitzverlegung jedoch davon aus, dass einer Gesellschaft ein Recht zum Formwechsel dann zustehen muss, wenn sich ihre Aktivitäten im Laufe der Zeit aus dem Herkunftsstaat in einen anderen Mitgliedstaat verlagern.529 Von der Zulässigkeit isolierter Formwechsel ist hingegen nicht die Rede. Die Kommission hat in dieser Haltung Unterstützung seitens des Europäischen Parlaments erfahren, welches in einer Entschließung gefordert hat, dass der grenzüberschreitende Formwechsel nicht zur Umgehung rechtlicher, sozialer und steuerlicher Bedingungen führen dürfe.530 Die Zulässigkeit isolierter Formwechsel hängt auch nicht davon ab, ob der Aufnahmestaat es der potentiellen Zielrechtsform der Umwandlung gestattet, ihren effektiven Verwaltungssitz im Ausland anzusiedeln. Aus der Perspektive des Aufnahmestaates erscheint diese Argumentation mit Blick auf das unionsrechtliche Gleichbehandlungsverbot zwar stimmig. Da der grenzüberschreitende Formwechsel das Zusammenwirken beider betroffener Mitgliedstaaten voraussetzt, kommt es jedoch entscheidend darauf an, ob auch der Herkunftsstaat den isolierten Formwechsel seiner Gesellschaft akzeptieren muss, falls der Aufnahmestaat bereit ist, die Gesellschaft auch ohne tatsächliche Ansiedlung in seinem Hoheitsgebiet seinem Recht zu unterstellen.531 Eine unionsrechtliche Verpflichtung des Herkunftsstaates dazu besteht indessen nicht, weil der isolierte Formwechsel nicht als tatbestandsmäßiger Niederlassungsvorgang anzusehen ist. Die Frage der Anwendbarkeit der Niederlassungsfreiheit ist notwendigerweise der Frage vorgelagert, ob eine Beschränkung derselben durch den Aufnahmestaat vorliegt. Damit ist jedoch die Frage aufgeworfen, welches Maß an wirtschaftlicher Geschäftstätigkeit eine Gesellschaft im Aufnahmestaat entfalten muss, um den Schutz der Niederlassungsfreiheit zu erlangen. Darf der Herkunftsstaat von der Gesellschaft die Verlegung des effektiven Verwaltungssitzes oder der Hauptniederlassung in den Aufnahmestaat verlangen oder reicht die Verlagerung einer einzelnen wirtschaftlichen Aktivität hierfür bereits aus? Die Verle528

Vgl. Hennrichs u.a., WM 2009, 2009 (2013). Vgl. Richtlinienvorentwurf zur Verlegung des Gesellschaftssitzes innerhalb der EU, ZIP 1997, 1721 (1722). 530 Vgl. Entschließung des Europäischen Parlaments vom 2.2.2012 mit Empfehlungen an die Kommission zu einer 14. gesellschaftsrechtlichen Richtlinie zur grenzüberschreitenden Verlegung von Unternehmenssitzen, P7_TA(2012)0019. 531 Vgl. Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 832; G.H. Roth, ZIP 2012, 1744 (1744 f.). 529

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gung der Hauptverwaltung der Gesellschaft in den Aufnahmestaat genügt für eine Berufung auf die Niederlassungsfreiheit in jedem Fall.532 Zwar deckt sich der Niederlassungsbegriff inhaltlich nicht weitgehend mit dem Begriff des effektiven Verwaltungssitzes.533 Durch die Verlegung des effektiven Verwaltungssitzes in einen anderen Mitgliedstaat begründet eine Gesellschaft dort jedoch eine tatbestandsmäßige Niederlassung (vgl. § 4 III. 2. b)). Gleiches gilt im Falle der Verlegung der Hauptniederlassung.534 Zweifelhaft ist hingegen, ob die Verlagerung einer einzelnen wirtschaftlichen Aktivität in den Aufnahmestaat einer Gesellschaft die Möglichkeit eröffnet, einen grenzüberschreitenden Formwechsel in eine Rechtsform dieses Mitgliedstaates zu vollziehen. Von einer Integration der Gesellschaft in die Volkswirtschaft des Aufnahmestaates im Sinne der Rechtsprechung des EuGH kann man in diesem Fall kaum sprechen.535 Die Schweiz lässt etwa einen identitätswahrenden, statutenwechselnden Zuzug ausländischer Gesellschaften nur dann zu, wenn zugleich der „Mittelpunkt der Geschäftstätigkeit“ der Gesellschaft in deren Hoheitsgebiet verlagert wird.536 Ob die Verlagerung einer einzelnen wirtschaftlichen Aktivität in einen anderen Mitgliedstaat für die Berufung auf die Niederlassungsfreiheit ausreicht, wird dementsprechend vereinzelt bezweifelt.537 Mit einer tatsächlichen wirtschaftlichen Integration einer solchen Gesellschaft im Aufnahmestaat habe dieser Vorgang nichts zu tun.538 Die Gegenauffassung hält demgegenüber die Verlegung eines Teils der Geschäftstätigkeit einer Gesellschaft, etwa in Form der Errichtung einer Zweigniederlassung für ausreichend.539 Es genüge, dass die Gesellschaft sowohl im Herkunftsstaat als auch im Aufnahmestaat wirtschaftliche Aktivitäten ausübe.540 Die Verlagerung des Schwerpunkts der wirtschaftlichen Interessenverfolgung in den Aufnahmestaat könne von einer Gesellschaft ebenso

532 Vgl. Biermeyer, CMLR 2013, 571 (587); Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 842; Jaensch, EWS 2012, 353 (357); Stiegler, Rechtsformwechsel, 2013, S. 20. 533 So aber Jaensch, EWS 2012, 353 (357); Stiegler, Rechtsformwechsel, 2013, S. 18. 534 Vgl. Mörsdorf/Jopen, ZIP 2012, 1398 (1399); Wicke, DStR 2012, 1756 (1758). 535 Vgl. EuGH, Urteil vom 12.9.2006, Rs. C-196/04 – Cadbury Schweppes u.a., Slg. 2006, I-7995, Rn. 53 f. 536 Vgl. Hoffmann, ZVglRW 101 (2002), 283 (304); Prelic/Prostor, ZfRV 2014, 27 (28). 537 Vgl. Biermeyer, CMLR 2013, 571 (588); Stiegler, Rechtsformwechsel, 2013, S. 18 und 27. 538 Biermeyer, CMLR 2013, 571 (588). 539 Vgl. Drygala, EuZW 2013, 569 (570); Krebs, GWR 2014, 144 (146); Mörsdorf/ Jopen, ZIP 2012, 1398 (1399); W.-H. Roth, FS Hoffmann-Becking, 2013, 965 (990); W.H. Roth, ZGR 2014, 168 (208); Verse, ZEuP 2013, 458 (479 f.); Vossius, in: Widmann/ Mayer, UmwR, 134. EL (2012), § 191 UmwG, Rn. 50; Wicke, DStR 2012, 1756 (1758). 540 Wicke, DStR 2012, 1756 (1758).

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wenig verlangt werden wie die Verlegung der Hauptverwaltung.541 Sofern der Aufnahmestaat der jeweiligen Zielrechtsform keinen inländischen effektiven Verwaltungssitz vorschreibe, sei die Niederlassungsfreiheit vielmehr auch dann berührt, wenn die Hauptverwaltung im Herkunftsstaat verbleibe und im Aufnahmestaat lediglich eine weitere feste Einrichtung begründet werde.542 In diesem Fall dürfe der Herkunftsstaat den grenzüberschreitenden Herausformwechsel einer Gesellschaft nicht von einer Verlegung des effektiven Verwaltungssitzes abhängig machen.543 Nach anderer Auffassung ist der Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit zwar auch dann eröffnet, wenn damit nicht die Verlegung des effektiven Verwaltungssitzes, sondern nur die Errichtung einer weiteren Niederlassung im Aufnahmestaat verbunden ist.544 Der grenzüberschreitende Formwechsel könne jedoch vom Herkunftsstaat von der Verlegung des Verwaltungssitzes abhängig gemacht werden, wenn nach dessen Internationalen Gesellschaftsrecht der tatsächliche Sitz der Hauptverwaltung den maßgebenden Anknüpfungspunkt für die Anwendung des eigenen Gesellschaftsrechts bilde.545 Ein solches Erfordernis falle nicht in den Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit.546 Schwierigkeiten bei der Bestimmung des Ausmaßes wirtschaftlicher Aktivität im Aufnahmestaat, welches zur Annahme einer tatbestandsmäßigen Niederlassung erforderlich ist, können nicht den Anlass darstellen, auf das Erfordernis einer tatsächlichen Ansiedlung gänzlich zu verzichten.547 Die tatsächliche Ansiedlung in einem anderen Mitgliedstaat bildet den rechtlichen Kern der Niederlassungsfreiheit. Im Ergebnis ist auch im Rahmen des grenzüberschreitenden Formwechsels ein niederlassungsrechtlicher geprägter genuine link zwischen der Gesellschaft und dem Aufnahmestaat erforderlich (vgl. § 4 II. 2. b)). Demnach reicht es nicht aus, dass die Gesellschaft irgendwelche geschäftlichen Aktivitäten im Aufnahmestaat entfaltet. Die Geschäftsaktivitäten müssen mit Blick auf den Begriff der Niederlassung tatsächlich ausgeübt werden, auf Dauer angelegt sein und mit einer festen Einrichtung im Aufnahmestaat einhergehen. Sofern keine auf Dauer angelegten, festen Strukturen im Aufnahmestaat begründet werden, besteht kein rechtlich anerkennenswertes Bedürfnis einer Gesellschaft, einen Formwechsel in eine Rechtsform dieses Mitgliedstaates zu vollziehen.548 Auch in Zeiten des elekt541

Drygala, EuZW 2013, 569 (570). Vgl. Krebs, GWR 2014, 144 (146); Verse, ZEuP 2013, 458 (479). 543 Verse, ZEuP 2013, 458 (480). 544 Vgl. W.-H. Roth, FS Hoffmann-Becking, 2013, 965 (977). 545 Vgl. Mucciarelli, TJICL 2012, 421 (436); W.-H. Roth, FS Hoffmann-Becking, 2013, 965 (977). 546 W.-H. Roth, FS Hoffmann-Becking, 2013, 965 (977). 547 Erwägend jedoch Biermeyer, CMLR 2013, 571 (588). 548 Anders Drygala, EuZW 2013, 569 (570). 542

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ronischen Geschäftsverkehrs gebietet es die Niederlassungsfreiheit, auf das Vorhandensein einer faktischen Infrastruktur im Aufnahmestaat abzustellen.549 Geschäftliche Aktivitäten, welche nicht mit einer tatsächlichen Verwurzelung der Gesellschaft in dem Mitgliedstaat verbunden sind, in dem die Geschäftstätigkeit entfaltet wird, werden durch andere Grundfreiheiten, namentlich die Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit, gewährleistet (vgl. § 3 II. 1. b) aa)). Von der Verlegung des effektiven Verwaltungssitzes in den Aufnahmestaat kann der Herkunftsstaat den Formwechsel hingegen nicht abhängig machen, selbst wenn er kollisionsrechtlich der Sitztheorie folgt. Ein solches Erfordernis des Kollisionsrechts des Herkunftsstaates fällt nicht in dessen unionsrechtlich nicht überprüfbaren Regelungsspielraum, weil die Grenzen der Regelungsautonomie überschritten werden, wenn die Gesellschaft ihre Verbindung zum Herkunftsstaat im Wege des grenzüberschreitenden Formwechsels lösen möchte. Die tatsächliche Ansiedlung im Aufnahmestaat muss nicht notwendig zeitgleich mit dem Formwechsel erfolgen, damit der Anwendungsbereich der Art. 49 ff. AEUV eröffnet ist.550 Die formwechselwillige Gesellschaft kann sich vielmehr auch dann auf die Niederlassungsfreiheit berufen, wenn sie sich schon in der Vergangenheit im Aufnahmestaat niedergelassen hat und erst nachträglich den Formwechsel anstrebt.551 Umgekehrt kann der Formwechsel jedoch nicht antizipatorisch zur Begründung einer Niederlassung im Aufnahmestaat durchgeführt werden.552 Gewiss umfasst die Niederlassungsfreiheit auch das erstmalige Begründen einer Niederlassung in einem anderen Mitgliedstaat.553 Es reicht gleichwohl nicht aus, dass die Gesellschaft die beabsichtigte Aufnahme einer wirtschaftlichen Tätigkeit im Umwandlungsverfahren lediglich behauptet.554 Mit Abschluss des Umwandlungsverfahrens im Aufnahmestaat – so viel sei vorweggenommen – wird ein Formwechsel rechtswirksam und die Gesellschaft existiert fortan in der Rechtsform des Aufnahmestaates fort. Wenn die beabsichtigte oder lediglich behauptete Ansiedlung im Aufnahmestaat im Nachhinein doch unterbleibt, würde die Regelungsbefugnis des Herkunftsstaates in Bezug auf die seinem Recht unterliegenden Gesellschaften faktisch entwertet. Eine Gesellschaft kann sich der Regelungshoheit des Herkunftsstaates nur im Wege eines tatbestandsmäßigen Niederlassungsvorgangs in einem anderen Mitgliedstaat entziehen.

549

Vgl. EuGH, Urteil vom 12.9.2006, Rs. C-196/04 – Cadbury Schweppes u.a., Slg. 2006, I-7995, Rn. 64 und 67; a.A. Drygala, EuZW 2013, 569 (570). 550 Vgl. W.-H. Roth, FS Hoffmann-Becking, 2013, 965 (977); Verse, ZEuP 2013, 458 (480). 551 Verse, ZEuP 2013, 458 (480). 552 Anders Drygala, EuZW 2013, 569 (570). 553 Drygala, EuZW 2013, 569 (570). 554 Anders Drygala, EuZW 2013, 569 (570).

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Kapitel 2: Die Niederlassungsfreiheit der Gesellschaften

Die Interessen des Herkunftsstaates würden auch nicht dadurch gewahrt, dass der Aufnahmestaat überwacht, ob die Absicht tatsächlich umgesetzt wird, und letztlich die Abwicklung der Gesellschaft verlangt, falls nicht binnen einer angemessenen Frist dort eine Tätigkeit aufgenommen wird.555 Eine Liquidation der Gesellschaft im Falle der Trennung von Hauptverwaltung und statuarischem Sitz sieht etwa Art. 64 Abs. 2 SE-VO für die SE vor. Im Allgemeinen dürfte der Herkunftsstaat jedoch nicht daran interessiert sein, dass eine in seinem Hoheitsgebiet wirtschaftlich tätige Gesellschaft lediglich deshalb abgewickelt und liquidiert wird, weil eine Umwandlung vollzogen wurde, zu deren Vornahme die Gesellschaft eigentlich nicht berechtigt war. Die volkswirtschaftlich erwünschte Geschäftstätigkeit der Gesellschaft im Herkunftsstaat käme damit zu ihrem Ende. Im Übrigen besteht für die Gerichte und Behörden des Aufnahmestaates, welcher der jeweiligen Zielrechtsform bereits keinen effektiven Verwaltungssitz in seinem Hoheitsgebiet vorschreibt, mangels einer Art. 64 Abs. 2 SE-VO vergleichbaren gesetzlichen Verpflichtung keinerlei Veranlassung zu überwachen, ob diese Gesellschaft dort wirtschaftliche Aktivitäten aufnimmt. V. Zwischenergebnis Grenzüberschreitende Mobilität von Gesellschaften findet im Spannungsverhältnis zwischen der Zielsetzung der Niederlassungsfreiheit, eine freie Standortwahl im Binnenmarkt zu gewährleisten, und der Regelungsautonomie der Mitgliedstaaten in Bezug auf ihr nationales Gesellschaftsrecht statt. Auf der einen Seite soll die Niederlassungsfreiheit die freie grenzüberschreitende Allokation von Produktionsfaktoren im Binnenmarkt gewährleisten. Auf der anderen Seite ist die inhaltliche Ausgestaltung des Gesellschaftsrechts originäre Aufgabe der Mitgliedstaaten. Im Rahmen ihres Rechtssetzungsspielraums findet keine Überprüfung nationalen Rechts am Maßstab der Niederlassungsfreiheit statt. Die Gründung von Briefkastengesellschaften wird nicht durch die Niederlassungsfreiheit gewährleistet. Auf der einen Seite zwingt die Niederlassungsfreiheit die Mitgliedstaaten nicht dazu, die Gründung von Briefkastengesellschaften ihres jeweiligen nationalen Rechts durch entsprechende kollisionsund sachrechtlichen Regelungen zuzulassen. Andererseits sind die Mitgliedstaaten unionsrechtlich nicht verpflichtet, die Gründung EU-ausländischer Briefkastengesellschaften anzuerkennen, sofern ein Mitgliedstaat durch sein nationales Recht die Möglichkeit der „Briefkastengründung“ eröffnet. Entfaltet eine Gesellschaft im Mitgliedstaat ihrer Gründung keinerlei Geschäftstätigkeit, ist die Gesellschaftsgründung nicht als grenzüberschreitender Niederlassungsvorgang einzuordnen und der sachliche Anwendungsbereich der 555

Anders Drygala, EuZW 2013, 569 (570).

§ 4 Ausprägungen grenzüberschreitender Mobilität von Gesellschaften

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Art. 49 ff. AEUV nicht eröffnet. Der Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit ist nur dann eröffnet, wenn zwischen der Gesellschaft und dem Gründungsstaat eine tatsächliche, effektive Bindung im Sinne eines genuine link niederlassungsrechtlicher Ausprägung besteht. Dazu muss die Gesellschaft in diesem Mitgliedstaat eine tatsächliche Infrastruktur unterhalten, welche ihr die Ausübung von wirtschaftlichen Aktivitäten ermöglicht. Besteht hingegen kein genuine link zwischen der Gesellschaft und dem Gründungsstaat, darf sie derjenigen Rechtsordnung unterworfen werden, welche nach den Regelungen des autonomen Gesellschaftskollisionsrechts des betroffenen Mitgliedstaates Anwendung findet. Der gesellschaftsrechtliche Rechtssetzungsspielraum der Mitgliedstaaten umfasst deren Befugnis, ihren Gesellschaften die Möglichkeit der statutenwahrenden Verlegung des effektiven Verwaltungssitzes in einen anderen Mitgliedstaat zu verwehren. Andernfalls wäre die aus Art. 54 Abs. 1 AEUV abzuleitende Ermächtigung, dieses Anknüpfungsmerkmal an das eigene Hoheitsgebiet für eine wirksame Gesellschaftsgründung zu verlangen, im Ergebnis reine Makulatur. Sofern die Gesellschaft keinen grenzüberschreitenden Formwechsel anstrebt, kann der Herkunftsstaat die Verwaltungssitzverlegung zum Anlass nehmen, die Gesellschaft aufzulösen und zu liquidieren. Falls ein Mitgliedstaat den statutenwahrenden Wegzug seiner Gesellschaften hingegen zulässt, ist die Verlegung des effektiven Verwaltungssitzes als tatbestandsmäßiger Niederlassungsvorgang der Gesellschaft anzusehen. Die Niederlassungsfreiheit verpflichtet in diesem Fall die übrigen Mitgliedstaaten dazu, die rechtliche Identität der Gesellschaft zu wahren und das Recht des Herkunftsstaates zumindest insoweit auf die Gesellschaft anzuwenden, als der identitätsstiftende Kernbereich typus- und mitgliedschaftsprägender Regelungsmaterien betroffen ist. Eine Umqualifikation der zuziehenden Gesellschaft nach Maßgabe der modifizierten Sitztheorie wäre demgegenüber als nicht zu rechtfertigende Beschränkung der Niederlassungsfreiheit der Gesellschaft anzusehen. Dies gilt jedoch nur solange, als ein genuine link im niederlassungsrechtlichen Sinne zwischen der Gesellschaft und dem Herkunftsstaat fortbesteht. Das Erfordernis des genuine link zwischen einer Gesellschaft und dem Mitgliedstaat, dessen Rechtsordnung sie unterliegt, ist verallgemeinerungsfähig und bildet die Grenze der Anerkennungspflicht EU-ausländischer Gesellschaften durch die Mitgliedstaaten. Zwar zwingt die Niederlassungsfreiheit nicht zur allseitigen Anknüpfung des Gesellschaftsstatuts anhand des Gründungsortes der Gesellschaft. Im Hinblick auf eine rechtssichere Rechtsanwendung ist es gleichwohl zu begrüßen, dass die Rechtsprechung die Rechtsverhältnisse zugezogener EUausländischer Gesellschaften einheitlich nach Maßgabe der kollisionsrechtlichen Einheitstheorie dem Recht des Gründungsstaates unterstellt. Dessen ungeachtet besteht ein nicht unerheblicher Regelungsspielraum der Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Geschäftstätigkeit zugezogener EU-ausländischer

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Kapitel 2: Die Niederlassungsfreiheit der Gesellschaften

Gesellschaften in ihrem jeweiligen Hoheitsgebiet. Soweit die Anwendung eines Rechtsinstituts auf eine zuziehende Gesellschaft deren Marktzugang berührt, ist allerdings das Beschränkungsverbot nach Maßgabe der GebhardFormel zu beachten. Tätigkeitsbezogene Regelungen sind hingegen lediglich am Diskriminierungsverbot zu messen. Sofern durch die Anwendung nationaler Regelungen der Mitgliedstaaten die rechtliche Identität der zuziehenden Gesellschaft tangiert wird, ist die Grenze des Regelungsspielraums jedoch erreicht. Sofern ein grenzüberschreitender Formwechsel mit einem tatbestandsmäßigen Niederlassungsvorgang im Aufnahmestaat einhergeht, wird der Umwandlungsvorgang durch die Niederlassungsfreiheit gewährleistet. Der Herkunftsstaat hat den Formwechsel grundsätzlich zuzulassen, sofern der Aufnahmestaat einen entsprechenden Formwechsel zumindest innerstaatlich zulässt. Die Grenze der gesellschaftsrechtlichen Regelungsautonomie des Herkunftsstaates ist erreicht, wenn die Gesellschaft ihre durch die Rechtsordnungszugehörigkeit vermittelte Verknüpfung mit diesem Mitgliedstaat lösen möchte. Dessen Verpflichtung, seinen Gesellschaften die Vornahme grenzüberschreitender Formwechsel zu ermöglichen, bedeutet jedoch nicht, dass die Umwandlung stets zulässig ist. Beschränkungen seitens des Herkunftsstaates müssen sich jedoch am Maßstab der Gebhard-Formel messen lassen. Demgegenüber sind die Rechtsvorschriften des Aufnahmestaates unionsrechtlich lediglich am Diskriminierungsverbot zu überprüfen. Die Niederlassungsfreiheit entfaltet ausschließlich kassatorische Wirkung und enthält keine Institutsgarantie, welche die Mitgliedstaaten verpflichten würde, Gesellschaften ein Umwandlungsrecht zur Verfügung zu stellen. Der Marktzugang im Wege eines grenzüberschreitenden Formwechsels wird lediglich im Rahmen der Bedingungen gewährleistet, welche der Aufnahmestaat in Konkretisierung seiner gesellschaftsrechtlichen Regelungsautonomie festgesetzt hat. Sieht ein Mitgliedstaat für seine eigenen Gesellschaften kein Umwandlungsrecht vor, oder begrenzt er die Formwechselmöglichkeiten etwa im Hinblick auf bestimmte Ausgangs- oder Zielrechtsformen, gilt dies gleichermaßen auch für grenzüberschreitende Sachverhalte. Die autonome Entscheidung, welche der jeweilige Mitgliedstaat insoweit trifft, gilt jedoch stets auch im grenzüberschreitenden Kontext. Wenn der nationale Gesetzgeber eines Mitgliedstaates sich dafür entscheidet, seinen Gesellschaften entsprechende Umwandlungsmöglichkeiten zu eröffnen, ist die Grenze des unionsrechtlich nicht überprüfbaren Regelungsspielraums erreicht. Isolierte Formwechsel werden demgegenüber nicht durch die Niederlassungsfreiheit gewährleistet. Sofern die Umwandlung nicht mit einem tatbestandsmäßigen Niederlassungsvorgang im Aufnahmestaat verbunden ist, ist der sachliche Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit nicht eröffnet. Da kein grenzüberschreitender Niederlassungsvorgang vorliegt, ist der Herkunftsstaat nicht verpflichtet, einen isolierten Formwechsel seiner Gesell-

§ 4 Ausprägungen grenzüberschreitender Mobilität von Gesellschaften

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schaft zuzulassen. Die Art. 49 ff. AEUV sollen ausschließlich die freie Standortwahl im Binnenmarkt gewährleisten und verbürgen einer Gesellschaft als Trägerin des Niederlassungsrechts nicht die Freiheit, unabhängig von einer tatsächlichen Niederlassung das Gesellschaftsstatut eines anderen Mitgliedstaates zu wählen. Die Vornahme eines grenzüberschreitenden Formwechsels setzt einen niederlassungsrechtlichen genuine link zwischen der Gesellschaft und dem Aufnahmestaat voraus.

Kapitel 3

Der grenzüberschreitende Formwechsel nach deutschem Recht § 5 Ermittlung des maßgeblichen materiellen Rechts § 5 Ermittlung des maßgeblichen materiellen Rechts

I. Einführung Da das Unionsrecht derzeit keine speziellen Vorschriften bereithält, sind grenzüberschreitende Formwechsel nach der Rechtsprechung des EuGH anhand der nationalen Rechtsordnungen der betroffenen Mitgliedstaaten zu beurteilen.1 Das Recht des Herkunftsstaates und das Recht des Aufnahmestaates seien sukzessiv auf den Umwandlungsvorgang anzuwenden.2 Die Identität des formwechselnden Rechtsträgers wird lediglich dann gewahrt, wenn beide betroffenen Rechtsordnungen den Fortbestand der Gesellschaft als Rechtssubjekt anerkennen. Dabei handelt es sich um eine materiellrechtliche Frage, über die das bisherige und das neue Gesellschaftsstatut der Gesellschaft zu entscheiden haben.3 Der Rechtsträger bleibt nur dann Zuordnungsobjekt aller Rechte und Pflichten, wenn die Gesellschaft die Voraussetzungen sowohl des Herkunfts- als auch des Aufnahmestaates für den beabsichtigten Formwechsel erfüllt.4 Die Umwandlung erweist sich als rechtstechnisch problematisch, weil sie nicht nur die Akzeptanz des Vorgangs durch die betroffenen Rechtsordnungen, sondern auch deren Zusammenwirken voraussetzt.5 Das materielle Umwandlungsrecht der Mitgliedstaaten enthält allerdings jeweils geschlossene Regelungssysteme, welches die Tatbestandsvoraussetzungen und Rechtsfolgen einer Umwandlung einseitig festlegen. Spezielle gesetzliche Regelungen 1

Vgl. EuGH, Urteil vom 12.7.2012, Rs. C-378/10 – VALE Építési, Rn. 43. EuGH, Urteil vom 12.7.2012, Rs. C-378/10 – VALE Építési, Rn. 43 f. 3 Vgl. Behrens/Hoffmann, in: GroßKomm-GmbHG, Bd. I, IntGesR, Rn. B149; Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 819. 4 Vgl. Schönhaus/Müller, IStR 2013, 174 (176). 5 Vgl. Bayer/J. Schmidt, ZIP 2012, 1481 (1487); Behme, NZG 2012, 936 (939); V. Braun, Wegzugsfreiheit, 2010, S. 256; Bungert/de Raet, DB 2014, 761 (763); Decher/Hoger, in: Lutter, UmwG, Bd. II, Vor § 190, Rn. 33; Schaper, ZIP 2014, 810 (812); Stiegler, Rechtsformwechsel, 2013, S. 49 f.; Teichmann, ZGR 2011, 639 (685); van Eck/Roelofs, ECL 2012, 319 (323); Verse, ZEuP 2013, 458 (477); Vossestein, ECL 2009, 115 (123); Wasmeier, Umstrukturierung, 2014, S. 142. 2

§ 5 Ermittlung des maßgeblichen materiellen Rechts

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grenzüberschreitender Formwechsel finden sich derzeit lediglich in den Rechtsordnungen einzelner Mitgliedstaaten.6 Die Verfahrensvorschriften der Mitgliedstaaten über innerstaatliche Umwandlungen sind naturgemäß auf den nationalen Geltungsbereich der jeweiligen Rechtsordnung beschränkt und nicht aufeinander abgestimmt.7 Zur Gewährleistung der Kontinuität des Rechtsträgers bedarf es daher der Koordinierung des Umwandlungsverfahrens. Insbesondere die Eintragung der Gesellschaft im Register des Aufnahmestaates und die Löschung der Gesellschaft im Register des Herkunftsstaates müssen aufeinander abgestimmt werden.8 Andernfalls besteht die Gefahr, dass die Umwandlung an der Diskontinuität des Rechtsträgers scheitert. Ebenso schädlich wie die frühzeitige Löschung der Gesellschaft im Register des Herkunftsstaates wäre die unkoordinierte Eintragung der Gesellschaft im Register des Aufnahmestaates.9 Für die Dauer der Eintragung der Gesellschaft sowohl im Register des Herkunfts- als auch des Aufnahmestaates wäre für den Rechtsverkehr nicht ersichtlich, wessen Mitgliedstaates Rechtsordnung die Gesellschaft unterliegt. Sofern die Regelungen der betroffenen Mitgliedstaaten hinsichtlich des Wirksamkeitszeitpunkts der Umwandlung divergieren, besteht zudem die Gefahr einer Statutenverdoppelung. Dies wäre sowohl im Hinblick auf die Haftungsverhältnisse der Gesellschaft als auch die gesellschaftsinternen Rechtsbeziehungen ein unhaltbarer Zustand. Da die formwechselnde Gesellschaft den konkreten Zeitpunkt einer Registereintragung in aller Regel nicht beeinflussen kann, ist sie nicht in der Lage, diese Koordinierungsaufgabe zu leisten.10 Das Unionsrecht gebietet den betroffenen Mitgliedstaaten jedoch, den Fortbestand des formwechselnden Rechtsträgers während des Umwandlungsvorgangs zu gewährleisten und eine vorübergehende Statutenverdoppelung zu verhindern. 11 Zum Zwecke der Koordinierung der Rechtsvorschriften des Herkunftsund des Aufnahmestaates könnte auf die kollisionsrechtliche Vereinigungstheorie – auch Kombinationslehre genannt – zurückgegriffen werden (vgl. § 5 II.). Anhand dieser auf Beitzke12 zurückgehenden Lehre lassen sich 6

Vgl. etwa Art. 8 des spanischen Ley de Sociedades de Capital, Art. 3 des portugiesischen Código das Sociedades comerciais sowie Art. 159 des luxemburgischen Loi concernant les sociétés commerciales. 7 Vgl. Bollacher, RIW 2012, 717 (718); Mörsdorf/Jopen, ZIP 2012, 1398 (1401). 8 Anders Drygala, in: Lutter, UmwG, Bd. I, § 1, Rn. 43; Hushahn, DNotZ 2014, 154 (155); Krebs, GWR 2014, 144 (145 f.), denen zufolge die vorzeitige Löschung der Gesellschaft im Register des Herkunftsstaates unschädlich ist. 9 Vgl. Barthel, EWS 2011, 131 (139); Benrath/König, DK 2012, 377 (380); W.-H. Roth, FS Hoffmann-Becking, 2013, 965 (987); Stiegler, Rechtsformwechsel, 2013, S. 49. 10 Vgl. Benrath/König, DK 2012, 377 (380). 11 Vgl. Benrath/König, DK 2012, 377 (380); Gillessen, Sitzverlegung, 2000, S. 245; W.H. Roth, FS Hoffmann-Becking, 2013, 965 (979). 12 Vgl. Beitzke, FS Hallstein, 1966, 14.

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nicht nur Konflikte zwischen den Verfahrensvorschriften der betroffenen Mitgliedstaaten bewältigen. Die kollisionsrechtliche Vereinigungstheorie bestimmt zudem, wessen Mitgliedstaates Rechtsordnung im Einzelnen zur Anwendung gelangt, und entscheidet damit über die konkreten sachrechtlichen Voraussetzungen, welche der formwechselnde Rechtsträger zu erfüllen hat. Sofern das deutsche materielle Umwandlungsrecht zur Anwendung berufen wird, ist die Frage aufgeworfen, welche Vorschriften im Einzelnen anzuwenden sind (vgl. § 5 III.). Spezielle auf grenzüberschreitende Formwechsel zugeschnittene Rechtsnormen enthält das Umwandlungsgesetz bislang nicht. II. Kollisionsrechtliche Vereinigungstheorie Nach der kollisionsrechtlichen Vereinigungstheorie sind die Rechtsordnungen beider von einem grenzüberschreitenden Formwechsel betroffener Mitgliedstaaten zu berücksichtigen.13 Sie liegt nicht nur der Internationalen Verschmelzungsrichtlinie zugrunde, sondern liefert auch das normative Gerüst für die grenzüberschreitende Sitzverlegung der SE.14 Demgegenüber ist nach den Einheitstheorien ein grenzüberschreitender Umwandlungsvorgang einheitlich anhand der Rechtsordnung eines Mitgliedstaates zu beurteilen.15 Einem Rückgriff auf Einheitstheorien steht jedoch zum einen die Rechtsprechung des EuGH entgegen, dem zufolge die Umwandlung anhand der Rechtsordnungen beider betroffener Mitgliedstaaten zu beurteilen ist.16 Zum 13

Vgl. Bayer/J. Schmidt, ZIP 2012, 1481 (1490); Behrens/Hoffmann, in: GroßKommGmbHG, Bd. I, IntGesR, Rn. B153; Beitzke, FS Hallstein, 1966, 14 (20); Drinhausen, in: Semler/Stengel, UmwG, Einl. C, Rn. 16; Hoffmann, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 54, Rn. 10; Hörtnagl, in: Schmitt/Hörtnagl/Stratz, UmwG/UmwStG, § 1 UmwG, Rn. 58; Jaensch, EWS 2007, 97 (98 und 100); Jaensch, EWS 2012, 353 (357); Schön, ZGR 2013, 333 (361); Stiegler, Rechtsformwechsel, 2013, S. 47; Weller, LMK 2012, 336113; Weller, FS Blaurock, 2013, 497 (516); Weller/Rentsch, IPRax 2013, 530 (532); siehe zur grenzüberschreitenden Verschmelzung auch Doralt, IPRax 2006, 572 (576); Heckschen, in: Widmann/Mayer, UmwR, 103. EL (2008), § 1 UmwG, Rn. 270 ff.; Kallmeyer, ZIP 1996, 535 (536); Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 799 ff.; Krause/Kulpa, ZHR 171 (2007), 38 (49 f.); Kuntz, IStR 2006, 224 (230); Leible, in: Michalski, GmbHG, Bd. 1, IntGesR, Rn. 204; Lutter/Bayer, in: Lutter, UmwG, Bd. I, Einl. I, Rn. 45; MarschBarner, in: Kallmeyer, UmwG, Vor §§ 122a-122l, Rn. 12; Mayer, in: Widmann/Mayer, UmwR, 98. EL (2007), Einf. UmwG, Rn. 266; Siems, EuZW 2006, 135 (137); Simon/Rubner, in: KölnKomm-UmwG, Vor §§ 122a ff., Rn. 22; Teichmann, ZIP 2006, 335 (361). 14 Weller/Rentsch, IPRax 2013, 530 (533). 15 Vgl. OGH, IPRax 2004, 128 (130) zur grenzüberschreitenden Verschmelzung einer österreichischen GmbH auf ihre deutsche Muttergesellschaft, welche anhand des Gesellschaftsstatuts des übertragenden Rechtsträgers zu beurteilen sei; siehe dazu auch Doralt, IPRax 2006, 572 (577) sowie Heckschen, in: Widmann/Mayer, UmwR, 103. EL (2008), § 1 UmwG, Rn. 267 ff.; Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 794 ff. 16 Vgl. EuGH, Urteil vom 12.7.2012, Rs. C-378/10 – VALE Építési, Rn. 37 und 44.

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anderen haben sie sich auch in den meisten anderen Mitgliedstaaten nicht durchgesetzt.17 Bereits die Bestimmung der von einem grenzüberschreitenden Formwechsel betroffenen Mitgliedstaaten vermag Probleme bereiten. Möchte eine deutsche GmbH mit effektivem Verwaltungssitz in Deutschland einen Formwechsel in eine englische Ltd. vornehmen, gelangt nach der kollisionsrechtlichen Vereinigungstheorie zweifellos deutsches sowie englisches Umwandlungsrecht zur Anwendung. Wie verhält es sich jedoch, wenn besagte Gesellschaft ihren effektiven Verwaltungssitz zum Zeitpunkt des Formwechsels im Einklang mit dem deutschen (materiellen) Recht in Frankreich unterhält? Ist in diesem Fall französisches Umwandlungsrecht dazu berufen, über die Zulässigkeit des Formwechsels zu entscheiden? Was ergibt sich gar, wenn eine englische Ltd. mit effektivem Verwaltungssitz in Deutschland einen Formwechsel in eine deutsche GmbH vollziehen möchte? Beurteilt sich die Rechtslage dann ausschließlich anhand des deutschen Umwandlungsrechts? Teils wird ein effektiver Verwaltungssitz im Inland als kollisionsrechtliche Voraussetzung für die Anwendung deutschen materiellen Gesellschaftsrechts und damit der Vorschriften des Umwandlungsgesetzes angesehen. 18 Genauso wenig wie die Gründungsvorschriften des deutschen Gesellschaftsrechts auf einen Personenverband mit effektivem Verwaltungssitz im Ausland Anwendung fänden, komme dies bei den §§ 190 ff. UmwG in Betracht.19 Zuzugeben ist, dass das Gesellschaftsstatut das auf die Umwandlungsvorgänge einer Gesellschaft anwendbare materielle Recht umfasst.20 Das Umwandlungsgesetz als Teil des Gesellschaftsstatuts einer deutschen Gesellschaft findet daher solange Anwendung, als die Gesellschaft deutschem Recht unterliegt.21 Sofern man der Neuregelung der §§ 4a GmbHG, 5 AktG durch das MoMiG im Einklang mit der Gesetzesbegründung22 sowie der im Schrifttum überwiegend vertretenen Rechtsauffassung auch eine kollisionsrechtliche Implikation 17

Vgl. Drygala, in: Lutter, UmwG, Bd. I, § 1, Rn. 44; Vermeylen/Vande Velde, ECBMR, Kap. 2, Rn. 2.227; Weller, FS Blaurock, 2013, 497 (516 f.). 18 Vgl. Kallmeyer, ZIP 1996, 535 (535); Kindler, EuZW 2012, 888 (891); Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 840 und 864; Wasmeier, Umstrukturierung, 2014, S. 254; siehe bezüglich Drittstaatenkonstellationen auch Jaensch, EWS 2007, 97 (98). 19 Kindler, EuZW 2012, 888 (891); Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 840. 20 Vgl. Altmeppen/Ego, in: MünchKomm-AktG, Bd. 7, Europ. Niederlassungsfreiheit, Rn. 80; Behrens/Hoffmann, in: GroßKomm-GmbHG, Bd. I, IntGesR, Rn. B153; Drygala, in: Lutter, UmwG, Bd. I, § 1, Rn. 31; Jaensch, EWS 2012, 353 (357); Kindler, EuZW 2012, 888 (891). 21 Vgl. Behrens/Hoffmann, in: GroßKomm-GmbHG, Bd. I, IntGesR, Rn. B153; Drinhausen, in: Semler/Stengel, UmwG, Einl. C, Rn. 16; Drygala, in: Lutter, UmwG, Bd. I, § 1, Rn. 31. 22 Vgl. BT-Drs. 16/6140, S. 29.

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beimisst (vgl. § 4 II. 1. b)), gilt das Umwandlungsgesetz auch für Umwandlungen deutscher Gesellschaften mit effektivem Verwaltungssitz im Ausland. Als Teil des Gesellschaftsstatuts findet das materielle deutsche Umwandlungsrecht auf Gesellschaften aus einem fremden Rechtskreis hingegen keine Anwendung.23 Da die Rechtsprechung in Bezug auf EU-ausländische Gesellschaften mit effektivem Verwaltungssitz in Deutschland nunmehr zur Gründungstheorie übergegangen ist (vgl. § 4 III. 2.), gilt spiegelbildlich für Umwandlungen einer solchen Gesellschaft auch das Umwandlungsrecht des Mitgliedstaates, nach dessen Rechtsordnung sie bislang organisiert ist, unabhängig davon, ob sie ihren effektiven Verwaltungssitz bereits im Inland unterhält oder nicht. 1. Grundsätze Gemäß der kollisionsrechtlichen Vereinigungstheorie sind die Rechtsordnungen der betroffenen Mitgliedstaaten grundsätzlich kumulativ bezüglich der Zulässigkeit und der Voraussetzungen einer grenzüberschreitenden Umwandlung sowie des dabei einzuhaltenden Verfahrens zu befragen. Die Vereinigungstheorie führt jedoch nicht zur uneingeschränkten Kumulierung der Rechtsvorschriften dieser Mitgliedsstaaten.24 Ausgangspunkt ist die Überlegung, dass mit der Umwandlung zusammenhängende Vorgänge, welche einen Mitgliedstaat alleine betreffen, ausschließlich nach dessen Rechtsordnung zu beurteilen sind.25 Da die Interessen des Aufnahmestaates insoweit nicht berührt werden, sind Fragen des Schutzes der Gesellschaftsgläubiger und Anteilsinhaber beim grenzüberschreitenden Formwechsel ausschließlich anhand des Umwandlungsrechts des Herkunftsstaates zu beantworten.26 Der Auf23

Vgl. Drinhausen, in: Semler/Stengel, UmwG, Einl. C, Rn. 16; Drygala, in: Lutter, UmwG, Bd. I, § 1, Rn. 31; Hörtnagl, in: Schmitt/Hörtnagl/Stratz, UmwG/UmwStG, § 1 UmwG, Rn. 25; Jaensch, EWS 2007, 97 (101); Just, Limited, Kap. XIII, Rn. 381; Kallmeyer, ZIP 1996, 535 (535); Kallmeyer, in: Kallmeyer, UmwG, § 1, Rn. 2; Mayer, in: Widmann/Mayer, UmwR, 98. EL (2007), Einf. UmwG, Rn. 271; a.A. Kuntz, IStR 2006, 224 (226 ff.), der die Anwendung des Umwandlungsgesetzes auf Auslandsgesellschaften bei der grenzüberschreitenden Verschmelzung in Erwägung zieht. 24 Vgl. Beitzke, FS Hallstein, 1966, 14 (20); Drygala, in: Lutter, UmwG, Bd. I, § 1, Rn. 44; Heckschen, in: Widmann/Mayer, UmwR, 103. EL (2008), § 1 UmwG, Rn. 272 f.; Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 799. 25 Vgl. Drygala, in: Lutter, UmwG, Bd. I, § 1, Rn. 33 und 44; siehe zur grenzüberschreitenden Verschmelzung auch Beitzke, FS Hallstein, 1966, 14 (21 und 29); Mayer, in: Widmann/Mayer, UmwR, 98. EL (2007), Einf. UmwG, Rn. 266. 26 Vgl. Borg-Barthet, ICLQ 2013, 503 (508); Drygala, in: Lutter, UmwG, Bd. I, § 1, Rn. 33; Hoffmann, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 54, Rn. 9; Kindler, in: MünchKommBGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 835; Krebs, GWR 2014, 144 (146); Mörsdorf-Schulte, KSzW 2014, 117 (125); Prelic/Prostor, ZfRV 2014, 27 (30 und 33); W.-H. Roth, FS Hoffmann-Becking, 2013, 965 (986); Stiegler, Rechtsformwechsel, 2013, S. 48; Stiegler, NZG 2014, 351 (352); Verse, ZEuP 2013, 458 (483); Vossius, in: Widmann/Mayer,

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nahmestaat ist demzufolge nicht berechtigt, die Vornahme des Formwechsels von der Einhaltung seiner (gegebenenfalls strengeren) Vorschriften abhängig zu machen.27 Wieso sollte der Schutz von Gesellschaftsgläubigern und Anteilsinhabern im Herkunftsstaat auch davon abhängig sein, welches Schutzniveau der Aufnahmestaat für den Formwechsel seiner Gesellschaften vorsieht. Da Gesellschaftsgläubiger sowie Anteilsinhaber lediglich auf die Geltung der Rechtsordnung des Herkunftsstaates vertrauen durften, wäre ein darüber hinausgehender Schutz durch Rechtsvorschriften des Aufnahmestaates eine ungerechtfertigte Besserstellung im Vergleich zu einem innerstaatlichen Formwechsel.28 Zu einer Vereinigung der Rechtsordnungen der betroffenen Mitgliedstaaten kommt es lediglich dort, wo eine Regelungsmaterie beide Mitgliedstaaten gleichermaßen betrifft und die Regelung nur einheitlich erfolgen kann.29 Im diesem Bereich greifen die Rechtsordnungen dergestalt ineinander, dass sich im Falle konfligierender Regelungen grundsätzlich die strengere Vorschrift durchsetzt.30 Auf dieser Weise lässt sich namentlich die Kollision unterschiedlicher Formerfordernisse der jeweiligen Rechtsordnungen bewältigen.31 Konflikte können ferner zwischen den Verfahrensvorschriften der betroffenen UmwR, 134. EL (2012), § 191 UmwG, Rn. 108, 144,148 und 198 ff.; Wasmeier, Umstrukturierung, 2014, S. 67; Weller, FS Blaurock, 2013, 497 (523); siehe zur grenzüberschreitenden Verschmelzung auch Geyhalter/Weber, DStR 2006, 146 (149); Lutter/Drygala, JZ 2006, 770 (772); uneindeutig insoweit Frowein, Sitzverlegung, 2001, S. 141 und 169, demzufolge das Recht des Herkunftsstaates einen Mindeststandard vorgibt, welcher sich kollisionsrechtlich durchsetzt, sofern die Rechtsordnung des Aufnahmestaates keinen entsprechenden Schutzmechanismus vorsieht; a.A. Gillessen, Sitzverlegung, 2000, S. 314 f. sowie Jaensch, EWS 2007, 97 (100 ff.), der lediglich die kumulative Anwendung der Rechtsvorschriften beider Rechtsordnungen für geeignet hält, Schutzlücken zu vermeiden, und Normwidersprüchen im Wege der kollisionsrechtlichen Anpassung begegnen will. 27 Vgl. Krebs, GWR 2014, 144 (146); a.A. offenbar Frowein, Sitzverlegung, 2001, S. 141. 28 Vgl. Vossius, in: Widmann/Mayer, UmwR, 134. EL (2012), § 191 UmwG, Rn. 108; siehe zur grenzüberschreitenden Verschmelzung auch Beitzke, FS Hallstein, 1966, 14 (32) sowie Geyhalter/Weber, DStR 2006, 146 (149). 29 Vgl. Drygala, in: Lutter, UmwG, Bd. I, § 1, Rn. 45; Mayer, in: Widmann/Mayer, UmwR, 98. EL (2007), Einf. UmwG, Rn. 266. 30 Vgl. Drinhausen, in: Semler/Stengel, UmwG, Einl. C, Rn. 16; Drygala, in: Lutter, UmwG, Bd. I, § 1, Rn. 44; Heckschen, in: Widmann/Mayer, UmwR, 103. EL (2008), § 1 UmwG, Rn. 270; Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 799; Krause/Kulpa, ZHR 171 (2007), 38 (50); Marsch-Barner, in: Kallmeyer, UmwG, Vor §§ 122a122l, Rn. 12; Simon/Rubner, in: KölnKomm-UmwG, Vor §§ 122a ff., Rn. 25. 31 Drygala, in: Lutter, UmwG, Bd. I, § 1, Rn. 45; siehe zur grenzüberschreitenden Verschmelzung auch Beitzke, FS Hallstein, 1966, 14 (23); Geyhalter/Weber, DStR 2006, 146 (148) sowie Heckschen, in: Widmann/Mayer, UmwR, 103. EL (2008), § 1 UmwG, Rn. 286.

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Mitgliedstaaten entstehen.32 Dazu kommt es etwa, wenn die Regelungen der Mitgliedstaaten die Wirksamkeit des Formwechsels an den Eintritt unterschiedlicher Ereignisse anknüpfen. Stellt der eine Mitgliedstaat für die Wirksamkeit des Formwechsels auf den Zeitpunkt der Eintragung der Umwandlung im Register des Herkunftsstaates ab, während der andere Mitgliedstaat den Zeitpunkt der Eintragung im Register des Aufnahmestaates für maßgebend hält, lässt sich eine strengere Regelung nicht ermitteln.33 Haben die Mitgliedstaaten eine Frage auf Grundlage von Zweckmäßigkeitserwägungen unterschiedlich geregelt, reicht der Vorrang des strengeren Rechts nicht aus, um den Konflikt der Rechtsordnungen zu lösen.34 Das Unionsrecht gebietet den Mitgliedstaaten allerdings, die Rechtsfolgen, welche sich aus der Anwendung ihrer jeweiligen nationalen Rechtsvorschriften ergeben, aufeinander abzustimmen.35 Das auf innerstaatliche Fälle zugeschnittene Umwandlungsrecht muss erforderlichenfalls im Hinblick auf den grenzüberschreitenden Sachverhalt modifiziert werden.36 2. Normwidersprüche und Normenmangel Der Umstand, dass die sich aus den jeweiligen nationalen Rechtsordnungen ergebenen Anforderungen nicht in Einklang zu bringen sind, kann auf einander widersprechende Rechtsvorschriften oder auf umwandlungsrechtliche Regelungslücken zurückzuführen sein. Methodisch kann dieser Misere durch die internationalprivatrechtlichen Grundsätze der Anpassung und der Substitution Rechnung getragen werden.37 Erforderlichenfalls kann zudem auf Prinzipien des Intertemporalen Rechts zurückgegriffen werden. a) Anpassung Normwidersprüche entstehen typischerweise, wenn das Kollisionsrecht auf einen Lebenssachverhalt für einzelne Teilaspekte mehrere Rechtsordnungen nebeneinander zur Anwendung beruft. 38 Keine der zur Anwendung berufenen Rechtsordnungen würde einen Normwiderspruch hervorrufen, wenn sie allei-

32

Vgl. Drygala, in: Lutter, UmwG, Bd. I, § 1, Rn. 45; siehe zur grenzüberschreitenden Verschmelzung auch Heckschen, in: Widmann/Mayer, UmwR, 103. EL (2008), § 1 UmwG, Rn. 289 ff. 33 Vgl. Drygala, in: Lutter, UmwG, Bd. I, § 1, Rn. 46; a.A. offenbar Jaensch, EWS 2007, 97 (104). 34 Vgl. Drygala, in: Lutter, UmwG, Bd. I, § 1, Rn. 46. 35 Vgl. Benrath/König, DK 2012, 377 (380). 36 Weller, LMK 2012, 336113. 37 Vgl. Schönhaus/Müller, IStR 2013, 174 (177); Weller, LMK 2012, 336113. 38 Vgl. Mansel, FS W. Lorenz, 1991, 689 (700); v. Bar/Mankowski, IPR, Bd. I, § 7, Rn. 251.

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ne über den gesamten Sachverhalt befinden dürfte.39 Erst das schematische Zusammenfügen der Teilregelungen aus den verschiedenen Rechtsordnungen infolge der Teilfragenanknüpfung führt zu dem widersprüchlichen und unbefriedigenden Ergebnis.40 Da die kollisionsrechtliche Vereinigungstheorie eine Teilfragenanknüpfung vorsieht, können Normwidersprüche auftreten, welche einer Lösung zugeführt werden müssen. Normwidersprüchen, welche aufgrund konkurrierender kollisionsrechtlicher Verweisungen entstehen, begegnet man im Kollisionsrecht üblicherweise mit dem Rechtsinstitut der Anpassung.41 Der Konflikt der Rechtsordnungen wird auf der Ebene des materiellen Rechts durch Angleichung der konfligierenden sachrechtlichen Vorschriften gelöst.42 Die Anpassung bewirkt eine materielle Korrektur jener Verwerfungen, welche durch die formale, analytische, zergliedernde Methode des Kollisionsrechts hervorgerufen werden.43 So soll ein harmonisches Ergebnis hergestellt und den Rechtsvorschriften beider Rechtsordnungen zu möglichst weitgehender Durchsetzung verholfen werden.44 Unter Angleichung der sich widersprechenden nationalen Rechtsvorschriften lassen sich im Wege der Anpassung spezielle, auf eine grenzüberschreitende Umwandlung zugeschnittene Sachnormen formulieren.45 Im Hinblick auf den Gewährleistungsgehalt der Niederlassungsfreiheit muss dabei die Ermöglichung des Umwandlungsvorgangs die oberste Leitlinie darstellen.46 Sachgerechte Lösungen könnten insbesondere in Anlehnung an die Regelungen des sekundären Unionsrechts entwickelt werden, welche grenzüberschrei39

v. Bar/Mankowski, IPR, Bd. I, § 7, Rn. 251. Vgl. v. Bar/Mankowski, IPR, Bd. I, § 7, Rn. 251. 41 Vgl. Beitzke, FS Hallstein, 1966, 14 (24); Drinhausen, in: Semler/Stengel, UmwG, Einl. C, Rn. 16 und 36; Drygala, in: Lutter, UmwG, Bd. I, § 1, Rn. 47; Heckschen, in: Widmann/Mayer, UmwR, 103. EL (2008), § 1 UmwG, Rn. 271; Jaensch, EWS 2012, 353 (358); Kindler, EuZW 2012, 888 (890); Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 817; Krause/Kulpa, ZHR 171 (2007), 38 (51); Marsch-Barner, in: Kallmeyer, UmwG, Vor §§ 122a-122l, Rn. 12. 42 Vgl. Bartels, ZHR 176 (2012), 412 (422 f.); Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 817; Mansel, FS W. Lorenz, 1991, 689 (700); v. Bar/Mankowski, IPR, Bd. I, § 7, Rn. 250 f. 43 v. Bar/Mankowski, IPR, Bd. I, § 7, Rn. 251. 44 Vgl. v. Bar/Mankowski, IPR, Bd. I, § 7, Rn. 251; Drygala, in: Lutter, UmwG, Bd. I, § 1, Rn. 47. 45 Vgl. Drinhausen, in: Semler/Stengel, UmwG, Einl. C, Rn. 16; Kindler, EuZW 2012, 888 (890); Weller, LMK 2012, 336113; siehe zur grenzüberschreitenden Verschmelzung auch Kallmeyer, ZIP 1996, 535 (536); Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 817; Krause/Kulpa, ZHR 171 (2007), 38 (51); Kuntz, IStR 2006, 224 (230 f.); Mayer, in: Widmann/Mayer, UmwR, 98. EL (2007), Einf. UmwG, Rn. 266 sowie Siems, EuZW 2006, 135 (137). 46 Vgl. Drygala, in: Lutter, UmwG, Bd. I, § 1, Rn. 47; W.-H. Roth, ZGR 2014, 168 (214). 40

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tende Umwandlungen betreffen.47 Sofern eine Anpassung aufgrund unüberbrückbarer Differenzen der Regelungen der betroffenen Rechtsordnungen nicht möglich ist, droht die grenzüberschreitende Umwandlung hingegen zu scheitern.48 b) Substitution Durch die kollisionsrechtliche Figur der Substitution kann umwandlungsrechtlichen Regelungslücken begegnet werden. Im Zuge der Anwendung materiellen Rechts wird ein von einer Sachnorm (Ausgangsnorm) vorausgesetztes normatives Tatbestandsmerkmal (Systembegriff) durch eine sachrechtliche Erscheinung eines fremden Rechts (Substitutionsbegriff) als erfüllt angesehen, indem die Tatbestandserfüllung im Ausland jener im Inland gleichgestellt wird.49 Im Wege der Substitution kann etwa eine inländische Rechtsform im Tatbestand einer Umwandlungsnorm durch eine funktional vergleichbare EU-ausländische Rechtsform ersetzt werden.50 Die Statthaftigkeit der Substitution und die an sie anzulegenden Maßstäbe richten sich nach der lex causae, also jener Rechtsordnung, welcher die Ausgangsnorm entstammt.51 Ob ein in einer Sachnorm enthaltener Systembegriff einen bestimmten Substitutionsbegriff erfasst, entscheidet sich anhand der ratio legis der Ausgangsnorm.52 Der Auslandsvorgang muss dem Inlandsvorgang funktional gleichwertig sein.53 Ein Systembegriff kann durch eine fremde Rechtserscheinung substituiert werden, wenn diese jenem entspricht, ihm ähnlich beziehungsweise gleichwertig ist.54 Da der Gesetzgeber der Ausgangsnorm bei dem Systembegriff spezifische rechtliche Vorstellungen im Hinblick auf die notwendigen Voraussetzungen und die auszulösenden Rechtsfolgen hatte, ist eine konkretfunktionale Äquivalenz von System- und Substitutionsbegriff erforderlich.55 47

Vgl. Altmeppen/Ego, in: MünchKomm-AktG, Bd. 7, Europ. Niederlassungsfreiheit, Rn. 80; Thümmel, Formwechsel, 2013, S. 280 f. 48 Vgl. Drinhausen, in: Semler/Stengel, UmwG, Einl. C, Rn. 16. 49 Vgl. Mansel, FS W. Lorenz, 1991, 689 (689); v. Bar/Mankowski, IPR, Bd. I, § 7, Rn. 240. 50 Vgl. Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 782; Kuntz, IStR 2006, 224 (227); Weller, LMK 2012, 336113; Weller/Rentsch, IPRax 2013, 530 (534). 51 Vgl. v. Bar/Mankowski, IPR, Bd. I, § 7, Rn. 240. 52 Vgl. Bartels, ZHR 176 (2012), 412 (423); Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 767; Mansel, FS W. Lorenz, 1991, 689 (689 f.); v. Bar/Mankowski, IPR, Bd. I, § 7, Rn. 240. 53 Vgl. Bartels, ZHR 176 (2012), 412 (423); Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 766 f.; v. Bar/Mankowski, IPR, Bd. I, § 7, Rn. 243. 54 Mansel, FS W. Lorenz, 1991, 689 (697). 55 Vgl. BGH, NJW 1990, 634 (635); Mansel, FS W. Lorenz, 1991, 689 (697 f.); v. Bar/Mankowski, IPR, Bd. I, § 7, Rn. 243.

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Eine Substitution erfolgt niemals abstrakt, sondern stets konkret normbezogen.56 Wird derselbe Systembegriff in unterschiedlichen Normen des Ausgangsrechts verwandt, so kann die Gleichwertigkeit eines bestimmten Substitutionsbegriffs dennoch nicht generell für alle Ausgangsnormen festgestellt werden.57 Ein Systembegriff kann nur dann durch den Substitutionsbegriff ersetzt werden, soweit sich in Voraussetzungen und Rechtsfolgen einer konkreten Norm Entsprechungen ergeben.58 Maßstab der Vergleichbarkeit ist allein die Funktion von System- und Substitutionsbegriff in ihrem jeweiligen Recht.59 c) Intertemporales Recht Das Intertemporale Recht löst Konflikte, welche aus dem zeitlichen Nacheinander von Rechtsnormen resultieren, wie sie im Falle eines Statutenwechsels auftreten können.60 Nach den Regeln des Intertemporalen Rechts bestehen Gesellschaften bei einem Statutenwechsel als Personenverbände nach dem neuen Gesellschaftsstatut fort.61 Es kommt zu einem Statutenwechsel in der Zeit, welcher bei Dauerschuldverhältnissen nicht unüblich ist.62 Im Intertemporalen Recht gilt grundsätzlich die lex temporis actus, welche die Gleichzeitigkeit von zu beurteilendem Vorgang und rechtlichem Bewertungsmaßstab fordert.63 Rechtlich relevantes Handeln wird jeweils anhand der Rechtsordnung bewertet, welche zum Zeitpunkt der Handlung Anwendung fand beziehungsweise findet.64 Dadurch wird die zeitliche Dimension eines Statutenwechsels erfasst.65 Bei einem grenzüberschreitenden Formwechsel findet der Wechsel der lex societatis zum Zeitpunkt der Wirksamkeit der Umwandlung statt. 66 Die aufeinander folgende intertemporale Geltung der Rechtsordnungen des Herkunfts- und des Aufnahmestaates schließt allerdings nicht aus, dass auf Sachrechtsebene die umwandlungsrechtlichen Vorschriften beider Rechtsordnungen tatbestandlich auf Vorgänge rekurrieren, die zeitlich vor beziehungsweise 56 Vgl. Mansel, FS W. Lorenz, 1991, 689 (700); v. Bar/Mankowski, IPR, Bd. I, § 7, Rn. 240. 57 Mansel, FS W. Lorenz, 1991, 689 (699). 58 Mansel, FS W. Lorenz, 1991, 689 (697). 59 Mansel, FS W. Lorenz, 1991, 689 (698). 60 Vgl. v. Bar/Mankowski, IPR, Bd. I, § 4, Rn. 171 f.; Weller, FS Blaurock, 2013, 497 (517). 61 Vgl. Bartels, IPRax 2013, 153 (156). 62 Vgl. Bartels, ZHR 176 (2012), 412 (425); Weller, FS Blaurock, 2013, 497 (517). 63 Vgl. Bartels, ZHR 176 (2012), 412 (425); Weller, FS Blaurock, 2013, 497 (517); Weller/Rentsch, IPRax 2013, 530 (532). 64 Bartels, IPRax 2013, 153 (156). 65 Vgl. Bartels, ZHR 176 (2012), 412 (425). 66 Vgl. Bartels, ZHR 176 (2012), 412 (425).

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nach dem Statutenwechsel liegen.67 Im Intertemporalen Recht gilt der Grundsatz, dass nach dem alten Gesellschaftsstatut erworbene Rechte durch die Auswechslung des anwendbaren Rechts in ihrem Bestand nicht tangiert werden.68 Daher sind einzelne Rechtsverhältnisse der Gesellschaft auch nach Vollzug des Formwechsels noch anhand der Rechtsordnung des Herkunftsstaates zu beurteilen (vgl. § 6 III. 3. b) bb)) und dessen Gerichte zur Entscheidung bestimmter Rechtsstreitigkeiten weiterhin zuständig (vgl. § 6 III. 3. f) bb)). III. Anwendungsvorbehalt des Umwandlungsgesetzes Die Umwandlungsmöglichkeiten des Umwandlungsgesetzes stehen laut § 1 Abs. 1 UmwG lediglich „Rechtsträgern mit Sitz im Inland“ offen. Unter „Sitz“ im Sinne der Vorschrift ist der statuarische Sitz einer Gesellschaft zu verstehen.69 Dies folgt aus der Systematik des Umwandlungsgesetzes, weil andere Vorschriften, welche auf den „Sitz“ der Gesellschaft Bezug nehmen, ebenfalls den Satzungssitz bezeichnen.70 Nimmt man das Gesetz beim Wort, ist de lege lata lediglich die Beteiligung nationaler Rechtsträger an einer Umwandlung möglich. Diese Begrenzung der Umwandlungsmöglichkeiten auf innerstaatliche Vorgänge muss sich jedoch an den unionsrechtlichen Vorgaben messen lassen. 1. Unionsrechtliche Vorgaben Die wortlautgetreue Anwendung des § 1 Abs. 1 UmwG würde zur Unzulässigkeit (jedenfalls) der Hereinumwandlung EU-ausländischer Gesellschaften führen.71 Der generelle Ausschluss EU-ausländischer Gesellschaften von Umwandlungsmaßnahmen, welche ein Mitgliedstaat seinen eigenen Gesellschaften zur Verfügung stellt, ist jedoch als diskriminierende Beschränkung

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Weller/Rentsch, IPRax 2013, 530 (532). Vgl. v. Bar/Mankowski, IPR, Bd. I, § 4, Rn. 175; Weller, FS Blaurock, 2013, 497 (517 f.). 69 Vgl. Drinhausen, in: Semler/Stengel, UmwG, Einl. C, Rn. 20; Drygala, in: Lutter, UmwG, Bd. I, § 1, Rn. 28; Heckschen, in: Widmann/Mayer, UmwR, 118. EL (2010), § 1 UmwG, Rn. 104; Hörtnagl, in: Schmitt/Hörtnagl/Stratz, UmwG/UmwStG, § 1 UmwG, Rn. 43; Jaensch, EWS 2007, 97 (98); Kallmeyer, in: Kallmeyer, UmwG, § 1, Rn. 2; Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 863. 70 Vgl. Drinhausen, in: Semler/Stengel, UmwG, Einl. C, Rn. 20; Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 863. 71 Vgl. Kallmeyer, ZIP 1996, 535 (535); Schönhaus/Müller, IStR 2013, 174 (176); siehe auch Frowein, Sitzverlegung, 2001, S. 139; Kindler, DK 2006, 811 (818); Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 862, die zudem die Herausumwandlung für unzulässig halten. 68

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der Niederlassungsfreiheit dieser Gesellschaften anzusehen.72 Der prinzipielle Ausschluss EU-ausländischer Gesellschaften von innerstaatlich vorgesehenen Umwandlungsmaßnahmen geht jedenfalls über das zum Schutz berechtigter Interessen erforderliche Maß hinaus. 73 Die gesetzliche Beschränkung der Umwandlungsmöglichkeiten auf Rechtsträger mit Sitz im Inland durch § 1 Abs. 1 UmwG ist demnach mit der Niederlassungsfreiheit nicht zu vereinbaren.74 Der Niederlassungsfreiheit entgegenstehendes mitgliedstaatliches Recht hat aufgrund des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts unangewendet zu bleiben.75 Die Bundesrepublik Deutschland ist ferner unionsrechtlich verpflichtet, die Vorschrift anzupassen, weil die Regelung eine vermeintliche Rechtslage postuliert und dadurch von der Inanspruchnahme der Niederlassungsfreiheit abzuschrecken vermag.76 Bis zu einer Anpassung durch den Gesetzgeber ist § 1 Abs. 1 UmwG zur Vermeidung einer Vertragsverletzung einstweilen unionsrechtskonform auszulegen.77 Zwar bildet der Wortsinn 72

Vgl. Altmeppen/Ego, in: MünchKomm-AktG, Bd. 7, Europ. Niederlassungsfreiheit, Rn. 105; Barthel, EWS 2011, 131 (136); Bayer/J. Schmidt, ZIP 2012, 1481 (1487); Behme, NZG 2012, 936 (938); Biermeyer, CMLR 2013, 571 (579); D. Braun, DZWir 2012, 411 (414); Drinhausen, in: Semler/Stengel, UmwG, Einl. C, Rn. 26; Frowein, Sitzverlegung, 2001, S. 168; Jung, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 54 AEUV, Rn. 48; Kloster, GmbHR 2003, 1413 (1414); Kuntz, IStR 2006, 224 (225); Siems, EuZW 2006, 135 (136); Stiegler, Rechtsformwechsel, 2013, S. 34 f.; Teichmann, DB 2012, 2085 (2089); offenbar auch Streinz, JuS 2012, 1142 (1144); a.A. Wasmeier, Umstrukturierung, 2014, S. 132. 73 Vgl. EuGH, Urteil vom 13.12.2005, Rs. C-411/03 – SEVIC Systems, Slg. 2005, I-10805, Rn. 30; EuGH, Urteil vom 12.7.2012, Rs. C-378/10 – VALE Építési, Rn. 40. 74 Vgl. V. Braun, Wegzugsfreiheit, 2010, S. 248; Drygala, in: Lutter, UmwG, Bd. I, § 1, Rn. 5; Eidenmüller, JZ 2004, 24 (30 f.); Hennrichs u.a., WM 2009, 2009 (2015); Hörtnagl, in: Schmitt/Hörtnagl/Stratz, UmwG/UmwStG, § 1 UmwG, Rn. 24; Jaensch, EWS 2007, 97 (102); Kallmeyer, in: Kallmeyer, UmwG, § 1, Rn. 4; Marsch-Barner, in: Kallmeyer, UmwG, Vor §§ 122a-122l, Rn. 8; Mörsdorf, EuZW 2009, 97 (100); Otte/Rietschel, GmbHR 2009, 983 (986); W.-H. Roth, ZGR 2014, 168 (213); Schönhaus/Müller, IStR 2013, 174 (176). 75 Vgl. Drinhausen, in: Semler/Stengel, UmwG, Einl. C, Rn. 24; Heckschen, in: Widmann/Mayer, UmwR, 118. EL (2010), § 1 UmwG, Rn. 123; Kuntz, IStR 2006, 224 (227); Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV, Rn. 105. 76 Vgl. EuGH, Urteil vom 15.10.1986, Rs. C-168/85 – Kommission/Italien, Slg. 1986, 2945, Rn. 11; EuGH, Urteil vom 26.4.1988, Rs. C-74/86 – Kommission/Deutschland, Slg. 1988, 2139, Rn. 10; Kloster, GmbHR 2003, 1413 (1416); Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV, Rn. 105. 77 Vgl. OLG Nürnberg, GmbHR 2014, 96 (97); Bartels, IPRax 2013, 153 (155); Bayer/J. Schmidt, ZHR 173 (2009), 735 (763 f.); Bayer/J. Schmidt, ZIP 2012, 1481 (1491); Decher/Hoger, in: Lutter, UmwG, Bd. II, Vor § 190, Rn. 39; Drinhausen, in: Semler/ Stengel, UmwG, Einl. C, Rn. 23; Hörtnagl, in: Schmitt/Hörtnagl/Stratz, UmwG/UmwStG, § 1 UmwG, Rn. 24; Jaensch, EWS 2012, 353 (358); Lutter/Bayer, in: Lutter, UmwG, Bd. I, Einl. I, Rn. 43; Stiegler, Rechtsformwechsel, 2013, S. 35 f.; Stiegler, NZG 2014, 351 (351);Stöber, ZIP 2012, 1273 (1275) Verse, ZEuP 2013, 458 (484); siehe zur grenzüber-

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eines normativen Tatbestandsmerkmals gewöhnlich die rechtliche Grenze der Auslegung.78 Die Beschränkung auf Rechtsträger mit Sitz im Inland kann jedoch dahingehend verstanden werden, dass die Anwendbarkeit des Umwandlungsgesetzes sich bei grenzüberschreitenden Umwandlungen auf den inländischen Rechtsträger beschränkt.79 Zur Gewährleistung der durch die Niederlassungsfreiheit eröffneten Umwandlungsmöglichkeit bedarf es jedoch einstweilen einer Rechtsfortbildung, welche die Durchführung grenzüberschreitender Formwechsel ermöglicht.80 2. Analoge Anwendung umwandlungsrechtlicher Vorschriften Die Notwendigkeit der Ausfüllung von Gesetzeslücken durch die Gerichte unter dem Gesichtspunkt des „Rechtsverweigerungsverbotes“ ist im Grundsatz seit dem 19. Jahrhundert anerkannt.81 Um zu einer dem „Recht“ genügenden Entscheidung zu gelangen, ist der Richter genötigt, die Lücke einer gesetzlichen Regelung in Übereinstimmung mit der zugrundeliegenden Regelungsabsicht des Gesetzgebers und der Teleologie des Gesetzes auszufüllen (gesetzesimmanente Rechtsfortbildung).82 Die Ausfüllung offener Gesetzeslücken erfolgt rechtstechnisch zumeist im Wege der Analogie oder des Rückgriffs auf ein im Gesetz angelegtes allgemeines Prinzip.83 Unter einer Analogie versteht man die Übertragung der für einen Tatbestand (A) oder für mehrere, untereinander ähnliche Tatbestände im Gesetz gegebenen Regel auf einen vom Gesetz nicht geregelten, ihm „ähnlichen“ Tatbestand (B).84 Die Übertragung der für einen Tatbestand geltenden Regel auf einen anderen wertungsmäßig gleich zu erachtenden, „ähnlichen“ Tatbestand bezeichnet man als „Gesetzesanalogie“ oder „Einzelanalogie“.85 Demgegenüber wird bei der „Rechtsanalogie“ oder „Gesamtanalogie“ mehreren gesetzlichen Bestimmungen, die an verschiedene Tatbestände die gleiche Rechtsfolge anknüpfen, ein allgemeiner Rechtsgrundsatz entnommen, der auf einen im Gesetz nicht schreitenden Verschmelzung auch Kallmeyer, ZIP 1996, 535 (537); Kloster, GmbHR 2003, 1413 (1416); Krause/Kulpa, ZHR 171 (2007), 38 (44); Lutter/Drygala, JZ 2006, 770 (771). 78 Vgl. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, Kap. 5, S. 366. 79 Vgl. Drinhausen, in: Semler/Stengel, UmwG, Einl. C, Rn. 23 und 33; Kallmeyer, ZIP 1996, 535 (537); Teichmann, ZIP 2006, 355 (355 f.); a.A. Heckschen, in: Widmann/ Mayer, UmwR, 103. EL (2008), § 1 UmwG, Rn. 135 unter Berufung auf die Wortlautgrenze des § 1 Abs. 1 UmwG. 80 Vgl. Drygala, in: Lutter, UmwG, Bd. I, § 1, Rn. 26; Hoffmann, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 54, Rn. 10; Stiegler, Rechtsformwechsel, 2013, S. 69. 81 Vgl. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, Kap. 5, S. 368 m.w.N. 82 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, Kap. 5, S. 369. 83 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, Kap. 5, S. 381. 84 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, Kap. 5, S. 381. 85 Vgl. Bydlinski, Juristische Methodenlehre, S. 477; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, Kap. 5, S. 383.

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geregelten Tatbestand wertungsmäßig ebenso zutrifft wie auf die geregelten Tatbestände.86 Die Rückbesinnung auf die ratio legis aller Einzelbestimmungen ermöglicht die Formulierung eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes, der durch den ihm innewohnenden materiellen Gerechtigkeitsgehalt einleuchtet und durch die im Gesetz in Übereinstimmung mit ihm geregelten Fälle seine positiv-rechtliche Bestätigung erfährt.87 Gemäß § 1 Abs. 2 UmwG ist eine Umwandlung außer in den im Umwandlungsgesetz geregelten Fällen allerdings nur möglich, wenn sie durch ein anderes Bundesgesetz oder ein Landesgesetz ausdrücklich vorgesehen ist. Der Vorschrift wird herkömmlich ein „umwandlungsrechtliches Analogieverbot“ entnommen. 88 Bei unbefangener Betrachtung könnte dieses der analogen Anwendung der Vorschriften des Umwandlungsgesetzes auf grenzüberschreitende Formwechsel entgegenstehen. Soweit die Umwandlung dem Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit unterfällt (vgl. § 4 IV. 2.), müssen die Mitgliedstaaten ihre rechtspraktische Durchführung jedoch gewährleisten. Das deutsche Recht kann spätestens seit dem Urteil des EuGH in der Rechtssache VALE nicht länger an der generellen Verweigerung grenzüberschreitender Formwechsel festhalten.89 Ein primärrechtlich garantiertes Recht darf praktisch nicht dadurch unterlaufen werden, dass ein verfahrensrechtlicher Rahmen im nationalen Recht nicht vorgesehen ist. 90 Aus Art. 4 Abs. 3 EUV folgt eine Verpflichtung der Behörden und Gerichte der Mitgliedstaaten, unionsrechtlich begründete Rechte des Einzelnen effektiv zu schützen.91 Normenmangel auf sachrechtlicher Ebene entschuldigt nicht.92 Daher sind die Behörden und Gerichte der Mitgliedstaaten verpflichtet, ihre nationalen Rechtsvorschriften in einer Art und Weise anzuwenden, welche das Recht von Gesellschaften auf Durchführung grenzüberschreitender Formwechsel nicht beeinträchtigt.93 Die aufgrund der unionsrechtlichen Vorgaben entstan86 Vgl. Bydlinski, Juristische Methodenlehre, S. 478; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, Kap. 5, S. 383 f.; Stiegler, Rechtsformwechsel, 2013, S. 62. 87 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, Kap. 5, S. 384 f. 88 Vgl. Altmeppen/Ego, in: MünchKomm-AktG, Bd. 7, Europ. Niederlassungsfreiheit, Rn. 80; V. Braun, Wegzugsfreiheit, 2010, S. 224; Drygala, in: Lutter, UmwG, Bd. I, § 1, Rn. 58; Kallmeyer, in: Kallmeyer, UmwG, § 1, Rn. 19; Kindler, DK 2006, 811 (818); Semler, in: Semler/Stengel, UmwG, § 1, Rn. 61; Thümmel, Formwechsel, 2013, S. 22. 89 Vgl. Benrath/König, DK 2012, 377 (381); Jaensch, EWS 2012, 353 (359); Stiegler, KSzW 2014, 107 (109). 90 Vgl. Barthel, EWS 2010, 316 (325); Doralt, IPRax 2006, 572 (577 f.); Frenzel, NotBZ 2012, 349 (350); Frobenius, DStR 2009, 487 (489); Otte/Rietschel, GmbHR 2009, 983 (984); Schön, ZGR 2013, 333 (348). 91 Vgl. Frowein, Sitzverlegung, 2001, S. 136. 92 Vgl. Drygala, in: Lutter, UmwG, Bd. I, § 1, Rn. 21 und 34. 93 Vgl. Frowein, Sitzverlegung, 2001, S. 168; Hansen, ECFR 2013, 1 (10); Hoffmann, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 54, Rn. 17; W.-H. Roth, FS Hoffmann-Becking, 2013, 965 (984).

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dene Regelungslücke im deutschen Umwandlungsrecht ist sachgerecht zu füllen. 94 Da eine unionsrechtskonforme Rechtsfortbildung zur Gewährleistung der Niederlassungsfreiheit geboten ist, steht das „umwandlungsrechtliche Analogieverbot“ einer analogen Anwendung des Umwandlungsgesetzes nicht entgegen.95 Voraussetzung der analogen Anwendung einer Rechtsvorschrift auf einen gesetzlich nicht geregelten Sachverhalt ist jedoch, dass die gesetzliche Regelungslücke planwidrig ist und die Interessenlage bei dem gesetzlich geregelten und dem ungeregelten Sachverhalt vergleichbar ist. a) Planwidrige Gesetzeslücke Auch ein noch so sorgsam bedachtes Gesetz kann nicht für jeden einer Regelung bedürftigen Fall eine Lösung enthalten, der dem Regelungsbereich des Gesetzes zuzurechnen ist; jedes Gesetz ist unvermeidbar lückenhaft.96 Allerdings gibt es auch ein „beredtes Schweigen“ des Gesetzes.97 Damit ist der Fall gemeint, dass der Gesetzgeber einen von der gesetzlichen Regelung nicht erfassten Sachverhalt bewusst nicht geregelt hat. Von einer Gesetzeslücke kann man daher nur dann sprechen, wenn das Gesetz für einen bestimmten Bereich überhaupt eine einigermaßen vollständige Regelung anstrebt.98 Eine Gesetzeslücke ist nur eine „planwidrige Unvollständigkeit“ des Gesetzes.99 Der Begriff bezeichnet die Grenze der gesetzesimmanenten Rechtsfortbildung, welche sich an die Regelungsabsicht des Gesetzgebers und die immanente Teleologie des Gesetzes gebunden hält.100 Die Existenz einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes ist demnach vom Standpunkt des Gesetzes selbst zu ermitteln, namentlich anhand der ihm zugrundeliegenden Regelungsabsicht, des mit ihm verfolgten Zwecks sowie des gesetzgeberi94

Vgl. Drygala, in: Lutter, UmwG, Bd. I, § 1, Rn. 21; Stiegler, Rechtsformwechsel, 2013, S. 65. 95 Vgl. Behrens/Hoffmann, in: GroßKomm-GmbHG, Bd. I, IntGesR, Rn. B152; Drinhausen, in: Semler/Stengel, UmwG, Einl. C, Rn. 34; Hennrichs u.a., WM 2009, 2009 (2015); Hoffmann, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 54, Rn. 11; Hörtnagl, in: Schmitt/ Hörtnagl/Stratz, UmwG/UmwStG, § 1 UmwG, Rn. 58; Jaensch, EWS 2007, 97 (102); Stiegler, Rechtsformwechsel, 2013, S. 62; im Ergebnis auch Altmeppen/Ego, in: MünchKomm-AktG, Bd. 7, Europ. Niederlassungsfreiheit, Rn. 80; Drygala, in: Lutter, UmwG, Bd. I, § 1, Rn. 37; Kallmeyer, in: Kallmeyer, UmwG, § 1, Rn. 19; a.A. V. Braun, Wegzugsfreiheit, 2010, S. 224; Kuntz, IStR 2006, 224 (226); Thümmel, Formwechsel, 2013, S. 279; Wasmeier, Umstrukturierung, 2014, S. 67. 96 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, Kap. 5, S. 366. 97 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, Kap. 5, S. 370. 98 Vgl. Bydlinski, Juristische Methodenlehre, S. 475; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, Kap. 5, S. 371. 99 Vgl. Bydlinski, Juristische Methodenlehre, S. 473; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, Kap. 5, S. 373. 100 Vgl. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, Kap. 5, S. 370.

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schen Plans.101 Der dem Gesetz zugrundeliegende Regelungsplan ist im Wege der historischen und teleologischen Auslegung zu erschließen.102 In den meisten Fällen, in denen eine Gesetzeslücke konstatiert wird, ist nicht ein einzelner Rechtssatz, sondern eine bestimmte Regelung im Ganzen unvollständig, weil sie keine Regelung für einen Sachverhalt enthält, der nach der zugrundeliegenden Regelungsabsicht einer Regelung bedarf.103 Der historische Gesetzgeber ist beim Erlass des Umwandlungsgesetzes davon ausgegangen, autonom entscheiden zu können, welchen Rechtsträgern er welche Umwandlungsmöglichkeit gewährt.104 Der Beschränkung der Umwandlungsmöglichkeiten auf inländische Gesellschaften lag ersichtlich die Vorstellung zugrunde, dass Umwandlungen unter Beteiligung von EUAuslandsgesellschaften nicht von der Niederlassungsfreiheit geschützt seien.105 Zwar hat der Gesetzgeber im Jahr 2007 in Umsetzung der Internationalen Verschmelzungsrichtlinie die Vorschriften über die grenzüberschreitende Verschmelzung von Kapitalgesellschaften in das Umwandlungsgesetz eingefügt.106 An der Beschränkung der Umwandlungsmöglichkeiten auf Rechtsträger „mit Sitz im Inland“ durch § 1 Abs. 1 UmwG hat er jedoch zumindest buchstäblich festgehalten. Demensprechend könnte man die Rechtsauffassung vertreten, der Gesetzgeber habe grenzüberschreitende Umwandlungen – von der grenzüberschreitenden Verschmelzung von Kapitalgesellschaften einmal abgesehen – bewusst nicht geregelt. Insofern liege keine planwidrige Gesetzeslücke vor.107 Dem lässt sich jedoch entgegnen, dass der Gesetzgeber durch die Einführung der grenzüberschreitenden Verschmelzung die bisherige Auslegung des § 1 Abs. 1 UmwG in Bezug auf die Formulierung „mit Sitz im Inland“ obsolet gemacht hat.108 Eine Aufhebung der Beschränkung ist lediglich deshalb nicht erfolgt, weil der Gesetzgeber diese Frage in Zusammenhang mit der geplanten Reform des Gesellschaftskollisionsrechts lösen wollte.109 Angesichts der seinerzeit herrschenden Rechtsauffassung durfte der Gesetzgeber jedenfalls davon ausgehen, dass grenzüberschreitende Form101 Vgl. Bydlinski, Juristische Methodenlehre, S. 473; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, Kap. 5, S. 373; Thümmel, Formwechsel, 2013, S. 281. 102 Vgl. Bydlinski, Juristische Methodenlehre, S. 475; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, Kap. 5, S. 373. 103 Vgl. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, Kap. 5, S. 372. 104 Vgl. BT-Drs. 12/6699, S. 80; Heckschen, in: Widmann/Mayer, UmwR, 103. EL (2008), § 1 UmwG, Rn. 96 f.; Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 856; Lutter/Bayer, in: Lutter, UmwG, Bd. I, Einl. I, Rn. 43. 105 Vgl. Hennrichs u.a., WM 2009, 2009 (2015). 106 Vgl. Zweites Gesetz zur Änderung des Umwandlungsgesetzes vom 19.4.2007, BGBl. I, S. 542. 107 Vgl. Wasmeier, Umstrukturierung, 2014, S. 67. 108 Vgl. Drygala, in: Lutter, UmwG, Bd. I, § 1, Rn. 4. 109 Vgl. BT-Drs. 16/2919, S. 11; Drygala, in: Lutter, UmwG, Bd. I, § 1, Rn. 4.

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wechsel de lege lata nicht zulässig sind.110 Diese Annahme hat sich vor dem Hintergrund des Gewährleistungsgehalts der Niederlassungsfreiheit als unzutreffend erwiesen (vgl. § 4 IV. 2.). Soweit grenzüberschreitende Formwechsel unter dem Schutz der Niederlassungsfreiheit stehen, liegt nunmehr eine planwidrige Regelungslücke vor, zu deren Ausfüllung das Unionsrecht den deutschen Rechtsanwender zwingt. b) Vergleichbare Interessenlage Ein Prinzip, das jedem Gesetz innewohnt, weil und soweit es beansprucht, „Recht“ zu sein, ist das der Gleichbehandlung des Gleichartigen.111 Regelt ein Gesetz einen bestimmten Sachverhalt (A) in bestimmter Weise, enthält es aber keine Regeln für den im Sinne der getroffenen Wertung gleichliegenden Sachverhalt (B), so ist das Fehlen einer solchen Regelung als eine Lücke des Gesetzes anzusehen, welche der Ausfüllung im Wege der Analogie bedarf.112 Die Übertragung der gesetzlichen Regelung gründet sich darauf, dass beide Tatbestände infolge ihrer Ähnlichkeit gleich zu bewerten sind, also auf die Forderung der Gerechtigkeit, Gleichartiges gleich zu behandeln.113 Voraussetzung der analogen Anwendung einer gesetzlichen Regelung ist, dass die Tatbestände gerade in den für die rechtliche Bewertung maßgebenden Hinsichten übereinstimmen.114 Dazu bedarf es zunächst der Offenlegung der in der gesetzlichen Regel zum Ausdruck kommenden Wertung.115 Daran hat sich die positive Feststellung zu schließen, dass der zu beurteilende Sachverhalt dem gesetzlich geregelten Sachverhalt in allen diesen Hinsichten gleicht, sowie die negative Feststellung, dass die verbleibenden Unterschiede nicht von solcher Art sind, dass sie die gesetzliche Wertung ausschließen.116 Um zu erkennen, welche Elemente des gesetzlich geregelten Tatbestandes für die gesetzliche Wertung bedeutsam sind und warum dies der Fall ist, bedarf es der Rückbesinnung auf den Zweck und den Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, die ratio legis.117 Bei den gesetzlich geregelten Umwandlungsvorgängen und grenzüberschreitenden Formwechseln müsste demnach eine vergleichbare Interessenlage bestehen. Die Sachverhalte müssten hinsichtlich der für die gesetzliche 110

Vgl. Thümmel, Formwechsel, 2013, S. 281. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, Kap. 5, S. 374 f. 112 Vgl. Bydlinski, Juristische Methodenlehre, S. 474 und 477; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, Kap. 5, S. 375. 113 Vgl. Bydlinski, Juristische Methodenlehre, S. 474; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, Kap. 5, S. 381; Stiegler, Rechtsformwechsel, 2013, S. 67. 114 Vgl. Bydlinski, Juristische Methodenlehre, S. 475; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, Kap. 5, S. 381. 115 Vgl. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, Kap. 5, S. 381. 116 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, Kap. 5, S. 381 f. 117 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, Kap. 5, S. 382. 111

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Bewertung maßgeblichen Hinsichten als gleich zu bewerten sein.118 Zur Bewältigung grenzüberschreitender Formwechsel kommt zunächst die Heranziehung der Vorschriften des Umwandlungsgesetzes über innerstaatliche Formwechsel (§§ 190 ff. UmwG) in Betracht. Die Problematik der analogen Anwendung dieser Vorschriften besteht jedoch darin, dass das Gesetz den Fall der grenzüberschreitenden Umwandlung nicht im Blick hat und auf die besonderen Anforderungen dieses Falles auch nicht zugeschnitten ist.119 Aufgrund des grenzüberschreitenden Sachverhalts könnte ferner eine vergleichbare Interessenlage wie bei der grenzüberschreitenden Verschmelzung beziehungsweise bei der Sitzverlegung einer SE bestehen. Demnach ist auch eine analoge Anwendung der diesbezüglichen Vorschriften des Umwandlungsgesetzes (§§ 122a ff. UmwG) sowie der SE-Verordnung einschließlich des deutschen Ausführungsgesetzes (Art. 12 SE-VO, §§ 12 ff. SEAG) in Erwägung zu ziehen. Da an einer Verschmelzung stets mehrere Rechtsträger beteiligt sind und es sich bei der SE um eine supranationale Rechtsform handelt, sind diese Regelungen im Hinblick auf grenzüberschreitende Formwechsel jedoch auf den ersten Blick unergiebig. Ob eine vergleichbare Interessenlage besteht, lässt sich indessen abstrakt nicht beantworten. Vielmehr ist für jede einzelne gesetzliche Regelung zu untersuchen, ob im Hinblick auf deren ratio legis eine analoge Anwendung in Betracht kommt. IV. Zwischenergebnis Auf grenzüberschreitende Formwechsel findet sowohl das materielle Recht des Herkunftsstaates als auch das materielle Recht des Aufnahmestaates Anwendung. Welche Rechtsordnung im Einzelnen zur Anwendung gelangt, entscheidet sich nach den Grundsätzen der kollisionsrechtlichen Vereinigungstheorie. Zu einer Kumulation der Regelungen der betroffenen Mitgliedstaaten kommt es jedoch nur ausnahmsweise, wenn die Regelungsmaterie beide Mitgliedstaaten gleichermaßen betrifft. Geraten diese Regelungen in Konflikt, setzt sich grundsätzlich die strengere Regelung durch. Lässt sich eine strengere Regelung nicht ermitteln, muss auf kollisionsrechtliche Anpassungsmethoden zurückgegriffen werden. Soweit die kollisionsrechtliche Vereinigungstheorie deutsches Recht zur Anwendung beruft, gelangt das materielle Umwandlungsrecht zur Anwendung. Da spezielle Vorschriften für grenzüberschreitende Vorschriften bislang nicht existieren, muss im Wege der Analogie auf andere Vorschriften zurückgegriffen werden. Der Anwendungsvorbehalt des Umwandlungsgesetzes steht dieser Vorgehensweise nicht entgegen. Daher kommt sowohl die Anwendung der Vorschriften über innerstaatliche Formwechsel (§§ 190 ff. UmwG) als auch über grenzüberschrei118

Vgl. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, Kap. 5, S. 375; Thümmel, Formwechsel, 2013, S. 282. 119 Vgl. Thümmel, Formwechsel, 2013, S. 279.

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Kapitel 3: Der grenzüberschreitende Formwechsel nach deutschem Recht

tende Verschmelzungen (§§ 122a ff UmwG) in Betracht. Zudem ist die Anwendung der Vorschriften über die grenzüberschreitende Sitzverlegung der SE in Erwägung zu ziehen (Art. 8 SE-VO, §§ 12 ff. SEAG).

§ 6 Herausformwechsel deutscher Gesellschaften § 6 Herausformwechsel deutscher Gesellschaften

I. Einführung Der Herausformwechsel deutscher Gesellschaften in eine Rechtsform eines anderen Mitgliedstaates wird durch die Niederlassungsfreiheit gewährleistet, sofern die beabsichtigte Umwandlung mit einem tatbestandsmäßigen Niederlassungsvorgang im Aufnahmestaat einhergeht und nach dem Recht dieses Mitgliedstaates – zumindest im innerstaatlichen Kontext – möglich ist (vgl. § 4 IV. 2.). Die Zulässigkeit des Umwandlungsvorgangs hängt somit nicht davon ab, ob das deutsche Umwandlungsrecht eine detaillierte Regelung grenzüberschreitender Formwechsel enthält. Die unmittelbare Anwendbarkeit der Niederlassungsfreiheit und der Anwendungsvorrang des Unionsrechts gebieten den Mitgliedstaaten jedoch, in ihrem nationalen Recht Verfahrensmodalitäten vorzusehen, welche aus der Niederlassungsfreiheit erwachsende Rechte gewährleisten.120 Entgegen der bisherigen Rechtspraxis darf ein Beschluss der Anteilsinhaber einer deutschen Gesellschaft, einen Formwechsel in die Rechtsform eines anderen Mitgliedstaates durchzuführen, nicht länger als nichtig angesehen beziehungsweise als Auflösungsbeschluss interpretiert werden.121 Der Wegzug einer Gesellschaft im Wege der statutenwechselnden Umwandlung darf materiellrechtlich nicht durch Auflösung und Liquidation sanktioniert werden.122 Die Vorschriften der §§ 4a GmbHG, 5 AktG sind dahingehend auszulegen, dass sie der Durchführung eines grenzüberschreitenden Herausformwechsels einer GmbH beziehungsweise AG nicht entgegenstehen.123 Grenzüberschreitende Formwechsel deutscher Gesellschaften bergen jedoch erhebliche Risiken für Gesellschaftsgläubiger und Anteilsinhaber. Es 120 Vgl. V. Braun, Wegzugsfreiheit, 2010, S. 248 f.; Krebs, GWR 2014, 144 (146); Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV, Rn. 105. 121 Vgl. Bayer/J. Schmidt, ZHR 173 (2009), 735 (756 f.); Habersack/Verse, Europ. GesR, § 3, Rn. 21; Hoffmann, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 54, Rn. 5; Leible/Hoffmann, BB 2009, 58 (62); Mörsdorf, CMLR 2012, 629 (650); Schönhaus/Müller, IStR 2013, 174 (176); W.-H. Roth, ZGR 2014, 168 (206); Szydlo, ECFR 2010, 414 (431); Teichmann/Ptak, RIW 2010, 817 (820); Thümmel, Formwechsel, 2013, S. 277. 122 Vgl. Frobenius, DStR 2009, 487 (488); Schönhaus/Müller, IStR 2013, 174 (176); Stiegler, KSzW 2014, 107 (108); a.A. offenbar Däubler/Heuschmid, NZG 2009, 493 (496). 123 Vgl. Altmeppen/Ego, in: MünchKomm-AktG, Bd. 7, Europ. Niederlassungsfreiheit, Rn. 159; Bayer/J. Schmidt, ZHR 173 (2009), 735 (762); Otte/Rietschel, GmbHR 2009, 983 (985); Stiegler, Rechtsformwechsel, 2013, S. 42; Zimmer/Naendrup, NJW 2009, 545 (549).

§ 6 Herausformwechsel deutscher Gesellschaften

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obliegt dem Herkunftsstaat der Gesellschaft dem Schutzbedürfnis dieser Personengruppen durch Heranziehung entsprechender Schutzvorschriften Rechnung zu tragen (vgl. § 5 II. 1.). Wie die durch die Rechtsprechung des EuGH entstandene Schutzlücke geschlossen werden soll, ist bislang allerdings noch weitgehend ungeklärt.124 Überwiegend wird die analoge Anwendung der Vorschriften des Umwandlungsgesetzes über innerstaatliche Formwechsel (§§ 190 ff. UmwG) vorgeschlagen.125 Ein Teil des Schrifttums will den Besonderheiten des grenzüberschreitenden Sachverhalts darüber hinaus durch eine entsprechende Anwendung der Vorschriften über die grenzüberschreitende Verschmelzung (§§ 122a ff. UmwG) beziehungsweise über die Sitzverlegung der SE (Art. 8 SE-VO, §§ 12 ff. SEAG) Rechnung tragen.126 Es erweise sich als hilfreich, dass das Sekundärrecht ein „Modell für grenzüberschreitende Strukturmaßnahmen“ bereithalte.127 Der Gegenauffassung zufolge 124

Thümmel, Formwechsel, 2013, S. 278. Vgl. Bayer/J. Schmidt, ZHR 173 (2009), 735 (763); Bayer/J. Schmidt, ZIP 2012, 1481 (1491); Decher/Hoger, in: Lutter, UmwG, Bd. II, Vor § 190, Rn. 39; Drinhausen, in: Semler/Stengel, UmwG, Einl. C, Rn. 34; Drygala, in: Lutter, UmwG, Bd. I, § 1, Rn. 37; Frenzel, NotBZ 2012, 349 (351); Hoffmann, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 54, Rn. 6; Hörtnagl, in: Schmitt/Hörtnagl/Stratz, UmwG/UmwStG, § 1 UmwG, Rn. 60; Jaensch, EWS 2007, 97 (103); Jaensch, EWS 2012, 353 (358); Kindler, EuZW 2012, 888 (890); Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 136; Krafka/Kühn, Registerrecht, Rn. 1211b; Messenzehl/Schwarzfischer, BB 2012, 2072 (2073); Mörsdorf-Schulte, KSzW 2014, 117 (123); Otte/Rietschel, GmbHR 2009, 983 (986); W.-H. Roth, FS Hoffmann-Becking, 2013, 965 (978); Rubner/Leuering, NJW-Spezial 2012, 527 (528); Stiegler, Rechtsformwechsel, 2013, S. 72; Stiegler, KSzW 2014, 107 (110); Stöber, ZIP 2012, 1273 (1277); Teichmann, DB 2012, 2085 (2091); Verse, EuZW 2013, 336 (337), Fn. 9; Weller, FS Blaurock, 2013, 497 (523); Wicke, DStR 2012, 1756 (1758 f.); ablehnend hingegen V. Braun, Wegzugsfreiheit, 2010, S. 250; Krause/Kulpa, ZHR 171 (2007), 38 (48); Thümmel, Formwechsel, 2013, S. 280; Wachter, GmbHR 2014, 99 (100). 126 Vgl. Benrath/König, DK 2012, 377 (380); Drinhausen, in: Semler/Stengel, UmwG, Einl. C, Rn. 34; Hoffmann, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 54, Rn. 6; Jaensch, EWS 2012, 353 (358); Kindler, EuZW 2012, 888 (890); Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 136; Mörsdorf-Schulte, KSzW 2014, 117 (123); G.H. Roth, Niederlassungsfreiheit, 2010, S. 47; W.-H. Roth, FS Hoffmann-Becking, 2013, 965 (978); Stiegler, Rechtsformwechsel, 2013, S. 72 f.; Stiegler, KSzW 2014, 107 (110); Verse, EuZW 2013, 336 (337), Fn. 9; offenbar auch Bayer/J. Schmidt, ZHR 173 (2009), 735 (763); Bayer/J. Schmidt, ZIP 2012, 1481 (1491); Kieninger, RabelsZ 73 (2009), 607 (618); Teichmann, DB 2012, 2085 (2091); Wicke, DStR 2012, 1756 (1758 f.); für eine ausschließliche Anwendung offenbar V. Braun, Wegzugsfreiheit, 2010, S. 251; Herrler, DNotZ 2009, 484 (491); Krebs, GWR 2014, 144 (147); Paefgen, WM 2009, 529 (533); Prelic/Prostor, ZfRV 2014, 27 (29); Teichmann, ZIP 2009, 393 (403); Teichmann/Ptak, RIW 2010, 817 (820); Thümmel, Formwechsel, 2013, S. 280; Vossius, in: Widmann/Mayer, UmwR, 134. EL (2012), § 191 UmwG, Rn. 52; Wachter, GmbHR 2014, 99 (100). 127 Vgl. Bayer/J. Schmidt, ZHR 173 (2009), 735 (757 f.); Schön, ZGR 2013, 333 (361); siehe zur Sitzverlegung im europäischen Sekundärrecht umfassend Wasmeier, Umstrukturierung, 2014, S. 147 ff. sowie 249 ff. 125

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Kapitel 3: Der grenzüberschreitende Formwechsel nach deutschem Recht

können diese Regelungen angesichts der Unterschiede zwischen einem Formwechsel und einer Verschmelzung einerseits sowie der Beschränkung der sekundärrechtlichen Regelungen auf Kapitalgesellschaften andererseits nicht ohne Weiteres auf sämtliche Konstellationen des Herausformwechsels übertragen werden.128 Die Vorschriften über die Sitzverlegung der SE seien zudem auf deren spezifische Situation zugeschnitten und gingen von einer weitgehenden Vergleichbarkeit der Gesellschaft vor und nach dem Wechsel des ergänzenden nationalen Rechts aus, welche bei grenzüberschreitenden Formwechseln nicht stets gegeben sei.129 Zugunsten der Rechtssicherheit müsse es bei der entsprechenden Anwendung der Vorschriften des Umwandlungsgesetzes über innerstaatliche Formwechsel bleiben.130 Im Folgenden wird zunächst dargelegt, welche umwandlungsspezifischen Nachteile Gesellschaftsgläubigern und Anteilsinhabern einer deutschen Gesellschaft durch einen grenzüberschreitenden Formwechsel entstehen können (vgl. § 6 II.). Im Anschluss wird aufgezeigt, welche Schutzinstrumente das deutsche Recht insoweit bereithält und ob diese Regelungen dem Schutzbedürfnis der genannten Personengruppen gerecht werden (vgl. § 6 III.). In diesem Zusammenhang wird zudem untersucht, ob diese Schutzinstrumente einer unionsrechtlichen Überprüfung anhand des Beschränkungsverbots der Niederlassungsfreiheit standhalten. Schließlich wird dargelegt, welche Verfahrensschritte eine formwechselwillige deutsche Gesellschaft zu beachten hat und wie sich das Registerverfahren vollzieht (vgl. § 6 IV.). II. Risiken von Herausformwechseln Die gesetzliche Verbandsverfassung einer Gesellschaft hat bedeutenden Einfluss auf die Rechtspositionen von Gesellschaftsgläubigern und Anteilsinhabern. Diese können sich somit verschlechtern, wenn die Gesellschaft einen grenzüberschreitenden Formwechsel vornimmt. Nachfolgend werden die typischerweise auftretenden Risiken für Gesellschaftsgläubiger und Anteilsinhaber skizziert. 1. Risiken für Gesellschaftsgläubiger Die Stellung der Gläubiger einer Gesellschaft kann sich empfindlich verschlechtern, wenn die Gesellschaft einen grenzüberschreitenden Formwechsel

128

Vgl. V. Braun, Wegzugsfreiheit, 2010, S. 224; Decher/Hoger, in: Lutter, UmwG, Bd. II, Vor § 190, Rn. 40; Otte/Rietschel, GmbHR 2009, 983 (986); Stöber, ZIP 2012, 1273 (1277); siehe bezüglich der Anwendung der Vorschriften auf die Verschmelzung von Personengesellschaften Bayer/J. Schmidt, ZHR 173 (2009), 735 (767). 129 Hoffmann, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 54, Rn. 11. 130 Stöber, ZIP 2012, 1273 (1277); offenbar auch Hoffmann, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 54, Rn. 11; Otte/Rietschel, GmbHR 2009, 983 (986).

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in eine Rechtsform eines anderen Mitgliedstaates vollzieht.131 Zwar werden Gläubigerforderungen in ihrem Bestand durch den Formwechsel nur in Ausnahmefällen gefährdet, weil der formwechselnde Rechtsträger als Schuldner bestehen bleibt.132 Lediglich wenn die Zielrechtsform an einem Gründungsmangel leidet und nicht wirksam zum Entstehen gelangt, ist bereits der Bestand der Forderungen der Gesellschaftsgläubiger gefährdet.133 Da Gläubigerbeziehungen mit einer Gesellschaft – also Rechtsverhältnisse vertraglicher oder gesetzlicher Natur mit Außenwirkung, welche nicht aus der Stellung als Anteilsinhaber erwachsen – maßgeblich von der gesetzlichen Verbandsverfassung beeinflusst werden134, können sich allerdings die Erfüllungsaussichten bestehender Forderungen infolge des Wechsels des Gesellschaftsstatuts verschlechtern. Die Regelungen der Organisationsverfassung einer Gesellschaft determinieren insbesondere, wie groß das Haftungssubstrat der Gesellschaft ist, das dem Zugriff der Gläubiger offensteht, und welche Rechtssubjekte für die Schuld der Gesellschaft einstehen müssen.135 Soweit die Regelungen des Herkunfts- und des Aufnahmestaates insoweit divergieren, kann der Statutenwechsel die Erfüllungsaussichten von Ansprüchen gegen den formwechselnden Rechtsträger sowohl in rechtlicher als auch faktischer Hinsicht verschlechtern.136 Sofern der formwechselnde Rechtsträger im Zuge der Umwandlung seinen effektiven Verwaltungssitz in den Aufnahmestaat verlegt, sind die Gesellschaftsgläubiger in besonderem Maße gefährdet. Andernfalls vermag der Herkunftsstaat grundsätzlich, gläubigerschützende Rechtsinstitute im Wege einer kollisionsrechtlichen Sonderanknüpfung an den effektiven Verwaltungssitz weiterhin zur Anwendung bringen (vgl. § 4 III. 2. b)). Ein konkreter Vermögensnachteil entsteht Gesellschaftsgläubigern immer dann, wenn sich das erhöhte Ausfallrisiko verwirklicht, die Gläubiger mit ihren Forderungen gegen den Rechtsträger also gerade deshalb ausfallen, weil sich ihre Erfüllungsaussichten infolge der Umwandlung verschlechtert haben.137

131 Vgl. Mucciarelli, TJICL 2012, 421 (456); Thümmel, Formwechsel, 2013, S. 31; Weller, FS Blaurock, 2013, 497 (514). 132 Vgl. Gillessen, Sitzverlegung, 2000, S. 253 f.; Thümmel, Formwechsel, 2013, S. 31. 133 Vgl. Thümmel, Formwechsel, 2013, S. 31; Ringe, Sitzverlegung, 2006, S. 122. 134 Vgl. Böttcher, Formwechsel, 2006, S. 61; Hoger, Kontinuität, 2008, S. 8; Thümmel, Formwechsel, 2013, S. 31. 135 Vgl. Hoger, Kontinuität, 2008, S. 14; siehe allgemein zur Qualifikation der Haftung der Gesellschafter für Verbindlichkeiten der Gesellschaft Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 611. 136 Vgl. Hoger, Kontinuität, 2008, S. 14; Mucciarelli, TJICL 2012, 421 (456 und 463); Thümmel, Formwechsel, 2013, S. 31. 137 Vgl. Hoger, Kontinuität, 2008, S. 14; Thümmel, Formwechsel, 2013, S. 32.

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Kapitel 3: Der grenzüberschreitende Formwechsel nach deutschem Recht

a) Wegfall der persönlichen Gesellschafterhaftung Nimmt eine deutsche Personengesellschaft einen Formwechsel in eine EUausländische Rechtsform vor, nach deren gesetzlicher Verbandsverfassung vormals persönlich haftende Gesellschafter nur noch beschränkt oder überhaupt nicht mehr persönlich haften, können sich die Erfüllungsaussichten der Gesellschaftsgläubiger verschlechtern. In diesem Fall verringert sich das Haftungssubstrat der Gesellschaft (Aktiva der Gesellschaft zuzüglich Privatvermögen persönlich haftender Gesellschafter), welches den Gesellschaftsgläubigern in Ansehung ihrer Forderungen als Zugriffsmasse zur Verfügung steht.138 Mit der Wirksamkeit des Formwechsels geht den Gesellschaftsgläubigern kraft Gesetzes der Zugriff auf das Privatvermögen der Gesellschafter verloren, sofern sie davor nicht durch umwandlungsrechtliche Schutzinstrumente bewahrt werden.139 Es besteht ein Zielkonflikt zwischen dem Forthaftungsinteresse der Gesellschaftsgläubiger und dem Enthaftungsinteresse der Gesellschafter.140 b) Verringerung der Kapitalziffer Die Erfüllungsaussichten der Gesellschaftsgläubiger können sich ferner verschlechtern, wenn im Zuge des Herausformwechsels einer KG oder Kapitalgesellschaft deutschen Rechts die auf die Kommanditisten entfallende Haftsumme beziehungsweise der auf die Anteilsinhaber entfallende Eigenkapitalanteil herabgesetzt wird.141 Dies eröffnet Gesellschaftern die Möglichkeit, frei werdendes Kapital in ihr – dem Zugriff der Gesellschaftsgläubiger verschlossenes – Privatvermögen zu überführen und damit bisheriges Haftungssubstrat dem Zugriff der Gesellschaftsgläubiger dauerhaft zu entziehen.142 Dadurch erhöht sich das Nichterfüllungsrisiko der Gesellschaftsgläubiger.143 Gleiches gilt, wenn die neue Verbandsverfassung es den Gesellschaftern erlaubt, über zum Zeitpunkt des Formwechsels noch offene Einlageverpflichtungen zum Nachteil der Vermögensausstattung der Gesellschaft zu disponieren.144 Haben Gesellschafter die für sie vereinbarte Einlage im Einklang mit den Vorschriften des deutschen Rechts bislang noch nicht geleistet, verringert sich das Haftungssubstrat der Gesellschaft, wenn das neue Gesellschaftsstatut es der Gesellschaft in weitergehendem Umfang als bisher ermöglicht, auf offene Einlageforderungen gegenüber Gesellschaftern zu verzichten.

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Vgl. Hoger, Kontinuität, 2008, S. 15; Thümmel, Formwechsel, 2013, S. 31 f. Hoger, Kontinuität, 2008, S. 15. 140 Vgl. K. Schmidt, ZGR 1993, 366 (378). 141 Vgl. Böttcher, Formwechsel, 2006, S. 68; Hoger, Kontinuität, 2008, S. 15 ff. 142 Vgl. Böttcher, Formwechsel, 2006, S. 68 f.; Hoger, Kontinuität, 2008, S. 15. 143 Vgl. Hoger, Kontinuität, 2008, S. 19 f. 144 Vgl. Hoger, Kontinuität, 2008, S. 20. 139

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c) Wegfall der Kapitalbindung Die Erfüllungsaussichten der Gläubiger deutscher Kapitalgesellschaften können sich verschlechtern, wenn die Gesellschaft einen grenzüberschreitenden Formwechsel in eine Rechtsform vornimmt, deren Gesellschaftsstatut kein System der gesetzlichen Kapitalbindung kennt. Voraussetzung ist zunächst, dass sich die Vermögensausstattung der Gesellschaft dadurch verschlechtert, dass vormals gebundene Vermögenswerte in das Privatvermögen der Gesellschafter transferiert werden (Abfluss von Vermögenswerten) oder über noch offene Einlageansprüche zum Nachteil der Gesellschaft disponiert wird (fehlender Zufluss von Vermögenswerten).145 Zwar stehen die Vermögenswerte im Falle der persönlichen Haftung der Gesellschafter weiterhin dem Zugriff der Gesellschaftsgläubiger offen; diese konkurrieren jedoch fortan mit den Privatgläubigern der Anteilsinhaber.146 Letztendlich verschlechtern sich die Erfüllungsaussichten der Gesellschaftsgläubiger, falls die Privatverbindlichkeiten der Gesellschafter deren Privatvermögen übersteigen.147 Dann erhöht sich der Nominalwert aller Verbindlichkeiten, welche gegen das Haftungssubstrat der Gesellschaft geltend gemacht werden können (Verbindlichkeiten der Gesellschaft zuzüglich Privatverbindlichkeiten persönlich haftender Gesellschafter).148 In diesem Fall überwiegt der formwechselbedingte Nachteil, dass Privatgläubiger nach der Umwandlung auf das verschobene und vormals allein den Gesellschaftsgläubigern vorbehaltene Haftungssubstrat zugreifen können, den Vorteil, dass das dem Zugriff der Gesellschaftsgläubiger offenstehende Haftungssubstrat infolge der neu entstehenden persönlichen Haftung der Anteilsinhaber größer wird.149 d) Lockerung der Kapitalbindung Die Rechtsposition der Gläubiger deutscher Kapitalgesellschaften kann sich durch einen grenzüberschreitenden Formwechsel verschlechtern, wenn die EU-ausländische Zielrechtsform einer weniger strengen Kapitalbindung unterliegt. Nicht in allen Mitgliedstaaten hat das gesellschaftsrechtliche Schutzinstrumentarium zugunsten von Gesellschaftsgläubigern einen so hohen Stellenwert wie hierzulande.150 Einige Mitgliedstaaten verfolgen den Schutz von Gläubigerinteressen vielmehr primär auf insolvenzrechtlicher Ebene.151 Existenz und Wirksamkeit gesetzlicher Kapitalbindungsvorschriften hängen von 145

Vgl. Hoger, Kontinuität, 2008, S. 17 und 146 f. Hoger, Kontinuität, 2008, S. 15. 147 Vgl. Hoger, Kontinuität, 2008, S. 18. 148 Vgl. Hoger, Kontinuität, 2008, S. 14. 149 Hoger, Kontinuität, 2008, S. 18. 150 Vgl. Borg-Barthet, ICLQ 2013, 503 (506); Doralt, IPRax 2006, 572 (574); G.H. Roth, Niederlassungsfreiheit, 2010, S. 32; Stiegler, KSzW 2014, 107 (113). 151 Vgl. Mucciarelli, TJICL 2012, 421 (425 und 456). 146

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der Rechtsordnung des jeweiligen Aufnahmestaates und der konkreten Zielrechtsform ab. Eine rechtsvergleichende Analyse würde den Rahmen dieser Untersuchung angesichts der schier unüberschaubaren Anzahl potentieller Zielrechtsformen sprengen. 152 Hoger hat jedoch gezeigt, dass selbst im durch die Kapitalrichtlinie153 harmonisierten Aktienrecht der Mitgliedstaaten signifikante Unterschiede hinsichtlich der Regelungen der Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung bestehen.154 Sieht die Organisationsverfassung der Zielrechtsform eine weniger strenge gesetzliche Vermögensbindung vor, versetzt dies die Gesellschafter in die Lage, Vermögenswerte, die bislang dem Zugriff der Gesellschaftsgläubiger offenstanden, in ihr Privatvermögen zu verschieben, ohne dass dem eine (angemessene) Gegenleistung gegenüberstünde.155 Sofern die Gesellschafter nach der Umwandlung persönlich für Gesellschaftsverbindlichkeiten haften, werden die Vermögenswerte dem Zugriff der Privatgläubiger der Gesellschafter ausgesetzt; andernfalls werden die Vermögenswerte sogar vollständig aus dem Haftungssubstrat der Gesellschaft abgezogen.156 In beiden Fällen erhöht die Auskehrung des Haftungssubstrats in das Privatvermögen der Gesellschafter die Gefahr der Gläubiger, mit ihren Forderungen gegen die Gesellschaft auszufallen, weil sich die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass die Gesellschaft nicht dazu in der Lage sein wird, ihre Verbindlichkeiten zu bedienen.157 e) Verschlechterung der zivilverfahrensrechtlichen Rechtsposition? Im Anwendungsbereich der EuGVVO bestimmt sich der allgemeine Gerichtsstand einer Gesellschaft gemäß den Art. 2 Abs. 1, 60 Abs. 1 EuGVVO alternativ nach dem statuarischen Sitz, dem Sitz der Hauptverwaltung oder der Hauptniederlassung der Gesellschaft. Der formwechselnde Rechtsträger ist gezwungen, seinen statuarischen Sitz im Zuge der Umwandlung in den Aufnahmestaat zu verlegen (vgl. § 4 IV.). Sofern er auch die übrigen Anknüpfungspunkte im Sinne des Art. 60 Abs. 1 EuGVVO im Herkunftsstaat löst, können Klagen gegen die Gesellschaft dort fortan nicht mehr anhängig 152

Vgl. Frowein, Sitzverlegung, 2001, S. 142 ff. bezüglich des Standes der Harmonisierung der Gläubigerschutzvorschriften von Kapitalgesellschaften. 153 RL 77/91/EWG des Rates vom 13.12.1976 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Art. 58 Abs. 2 des Vertrages im Sinne der Gesellschafter sowie Dritter für die Gründung der Aktiengesellschaft sowie für die Erhaltung und Änderung ihres Kapitals vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten, ABl. 1977, L 26/1. 154 Vgl. Hoger, Kontinuität, 2008, S. 25 ff.; siehe auch Mucciarelli, TJICL 2012, 421 (456). 155 Vgl. Frowein, Sitzverlegung, 2001, S. 142; Hoger, Kontinuität, 2008, S. 15; K. Schmidt, ZGR 1993, 366 (381); Thümmel, Formwechsel, 2013, S. 32. 156 Vgl. Hoger, Kontinuität, 2008, S. 15. 157 Vgl. Hoger, Kontinuität, 2008, S. 16 und 23; Thümmel, Formwechsel, 2013, S. 32.

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gemacht werden, es sei denn, dass dort ein besonderer oder ausschließlicher Gerichtsstand begründet ist. Die im Herkunftsstaat zurückbleibenden Gesellschaftsgläubiger verlieren in diesem Fall die Möglichkeit, die Gesellschaft beziehungsweise deren organschaftliche Vertreter oder Anteilsinhaber vor den Gerichten des Herkunftsstaates zu verklagen.158 Infolge dessen vergrößert sich regelmäßig der zur gerichtlichen Durchsetzung von Gläubigerforderungen erforderliche organisatorische und finanzielle Aufwand. Da jedoch nicht der Wechsel der gesetzlichen Verbandsverfassung alleine den Verlust des allgemeinen Gerichtsstands im Herkunftsstaat herbeiführt, handelt es sich nicht um ein formwechselspezifisches Risiko. f) Verzögerung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens? Die Erfüllungsaussichten der Gläubiger einer deutschen Gesellschaft könnten sich verschlechtern, sofern infolge des Formwechsels in eine EUausländische Rechtsform das Insolvenzrecht des Aufnahmestaates Anwendung fände und dieses keine dem deutschen Recht entsprechenden gläubigerschützenden Vorschriften bereithielte. Hoger hat anhand einer rechtsvergleichenden Untersuchung dargelegt, dass die insolvenzrechtlichen Schutzmechanismen der Mitgliedstaaten zugunsten der Gesellschaftsgläubiger zum Teil erheblich variieren.159 Ist es der Gesellschaft nach dem Recht des Aufnahmestaates etwa gestattet, mit dem Haftungssubstrat weiterhin zu wirtschaften, obwohl vor der Umwandlung ein Insolvenzantrag hätte gestellt werden müssen, droht mittelbar ein Verlust an Haftungssubstrat, falls die Gesellschaft weiterhin Verlustgeschäfte tätigt.160 Durch die Insolvenzantragspflicht des § 15a InsO soll dem Risiko begegnet werden, dass fortdauernde rechtsgeschäftliche Aktivitäten die wirtschaftliche Schieflage der Gesellschaft verschärfen und die vorhandene Vermögensmasse zulasten der Gläubiger weiter schmälern.161 Sie gibt den Gläubigern die Gewähr, dass entweder die noch vorhandene Haftungsmasse im Rahmen eines geordneten Verfahrens allein zur Erfüllung ihrer Ansprüche zur Verfügung steht oder ihnen jedenfalls pflichtwidrig handelnde Antragspflichtige auf Ersatz des Schadens haften, der durch die verspätete Insolvenzantragstellung verursacht wird.162 Voraussetzung der Anwendung des Insolvenzrechts des Aufnahmestaates ist gemäß Art. 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 EuInsVO indessen, dass die Gesellschaft 158

Vgl. Gillessen, Sitzverlegung, 2000, S. 255 ff.; Hoger, Kontinuität, 2008, S. 291; Kindler, DK 2006, 811 (811 f.); Ringe, Sitzverlegung, 2006, S. 122. 159 Vgl. Hoger, Kontinuität, 2008, S. 48 ff.; siehe auch Mucciarelli, TJICL 2012, 421 (458). 160 Vgl. Hoger, Kontinuität, 2008, S. 16. 161 Vgl. Haas, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 64, Rn. 1; Hoger, Kontinuität, 2008, S. 46; Klöhn, in: MünchKomm-InsO, Bd. 1, § 15a, Rn. 7 f. 162 Vgl. Hoger, Kontinuität, 2008, S. 46.

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den Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen in den Aufnahmestaat verlagert (vgl. § 2 II. 3.). Bis zum Beweis des Gegenteils wird gesetzlich vermutet, dass der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen der Gesellschaft der Ort ihres satzungsmäßigen Sitzes ist. Da im Zuge eines grenzüberschreitenden Formwechsels der Satzungssitz der Gesellschaft in den Aufnahmestaat verlegt werden muss (vgl. § 4 IV.), werden grundsätzlich dessen Gerichte für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zuständig, sofern die Vermutung nicht durch den Nachweis widerlegt wird, dass die Verlegung des satzungsmäßigen Sitzes nicht zu einem Wechsel des Mittelpunktes der hauptsächlichen Interessen geführt hat.163 Dementsprechend kann sich im Zuge der Umwandlung das Insolvenzstatut der formwechselnden Gesellschaft verändern.164 Art. 3 Abs. 1 S. 2 EuInsVO ist allerdings lediglich eine Zweifelsfallregelung zugunsten des Satzungssitzes, die eingreift, wenn ein Interessenmittelpunkt nicht feststellbar ist.165 Sie darf nicht in dem Sinne verstanden werden, dass das Insolvenzgericht von seiner amtswegigen Ermittlungspflicht gemäß § 5 Abs. 1 InsO entbunden wäre.166 Eine Erleichterung gegenüber der amtswegigen Ermittlungspflicht gibt Art. 3 Abs. 1 S. 2 EuInsVO nur dergestalt, dass als Ausgangspunkt der weiteren Untersuchung davon auszugehen ist, dass Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen der Ort des satzungsmäßigen Sitzes ist, wenn sich letzte Zweifel nicht anderweitig aus dem Wege räumen lassen.167 Tatsächlich dürfte ein Rückgriff auf die Regelung aufgrund tatsächlicher Ermittlungskriterien kaum erforderlich sein.168 Eine Satzungssitzanknüpfung der internationalen Insolvenzeröffnungszuständigkeit würde es Gesellschaften ermöglichen, gezielt die Zuständigkeit der Gerichte von Mitgliedstaaten mit notorisch ineffizienter Justiz herbeizuführen und so den Gläubigerschutz im Herkunftsstaat zu unterlaufen.169 Dies kann in Anbetracht der 13. Begründungserwägung der EuInsVO nicht das Anliegen der Verordnung sein. Folgerichtig wird das Insolvenzstatut nicht anhand der Rechtsordnungszugehörigkeit einer Gesellschaft angeknüpft.170 Daher ist die potentielle Verzögerung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens infolge einer Verlagerung des Mittelpunktes der hauptsächlichen Interessen der Gesellschaft kein formwechselspezifisches Risiko.

163 Vgl. EuGH, Urteil vom 20.10.2011, Rs. C-396/09 – Interedil, Slg. 2011, I-09915, Rn. 56. 164 Vgl. Mucciarelli, TJICL 2012, 421 (458). 165 Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, Art. 3 EuInsVO, Rn. 27. 166 Paulus, EuInsVO, Art. 3, Rn. 26. 167 Paulus, EuInsVO, Art. 3, Rn. 26. 168 Vgl. Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, Art. 3 EuInsVO, Rn. 27. 169 Kindler, KTS 2014, 25 (33). 170 Vgl. Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 663.

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2. Risiken für Anteilsinhaber Welche Rechte und Pflichten den Anteilsinhabern einer Gesellschaft aus ihrer Rechtsstellung erwachsen, ist rechtsformspezifisch geregelt.171 Sowohl zwischen den Rechtsformen des deutschen Gesellschaftsrechts als auch im europäischen Vergleich sind insoweit erhebliche Divergenzen zu verzeichnen. 172 Ein Formwechsel kann die mitgliedschaftliche Rechtsstellung der Anteilsinhaber angesichts deren rechtsformspezifischen Ausgestaltung in mannigfaltiger Weise tangieren und signifikant verändern.173 Die innergesellschaftlichen Rechtsverhältnisse sind mit Vollzug des Formwechsels anhand der rechtsformspezifischen gesellschaftsrechtlichen Vorschriften des Aufnahmestaates zu beurteilen. Ab dem Zeitpunkt der Wirksamkeit der Umwandlung richten sich die Rechte und Pflichten der Anteilsinhaber des formwechselnden Rechtsträgers nach dem Gesellschaftsstatut der Zielrechtsform. Dementsprechend kann sowohl der Bestand als auch der Inhalt der Rechtsposition als Anteilsinhaber durch die Umwandlung beeinträchtigt werden. Das Risiko für die Anteilsinhaber, durch die Umwandlung Rechtseinbußen zu erleiden, ist erheblich. Minderheitsgesellschafter sind aufgrund ihrer strukturell schwächeren Rechtsposition in aller Regel besonders gefährdet. a) Beeinträchtigung des Bestandes der Rechtsposition als Anteilsinhaber Ein grenzüberschreitender Formwechsel in eine EU-ausländische Rechtsform gefährdet den Bestand der mitgliedschaftlichen Rechtsposition der Anteilsinhaber, sofern das Gesellschaftsstatut der Zielrechtsform einen zwangsweisen Ausschluss von Gesellschaftern unter geringeren Voraussetzungen ermöglicht als die gesetzliche Verbandsverfassung des formwechselnden Rechtsträgers. Das deutsche Gesellschaftsrecht stellt an den Ausschluss eines Gesellschafters aus einer Personengesellschaft oder GmbH aufgrund der Intensität des Eingriffs in dessen Rechtsposition hohe Anforderungen.174 Lediglich das Aktienrecht eröffnet in den §§ 327a ff. AktG die Möglichkeit, Minderheitsgesellschafter ohne sachliche Rechtfertigung aus der Gesellschaft auszuschließen, sofern deren Beteiligung fünf Prozent des Grundkapitals nicht übersteigt (squeeze out). Ein innerstaatlicher Formwechsel in die Rechtsform der Akti171

Vgl. Hoger, Kontinuität, 2008, S. 52; Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 588. 172 Vgl. Hoger, Kontinuität, 2008, S. 52; Hopt, in: Lutter/Wiedemann, Gestaltungsfreiheit, 1998, S. 127 ff. 173 Vgl. Böttcher, Formwechsel, 2006, S. 115; Frowein, Sitzverlegung, 2001, S. 150; Hoger, Kontinuität, 2008, S. 52; Mucciarelli, TJICL 2012, 421 (460); Ringe, Sitzverlegung, 2006, S. 107. 174 Vgl. Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, Anh. § 34, Rn. 2 ff.; M. Roth, in: Baumbach/Hopt, HGB, § 140, Rn. 5 ff.; Schäfer, in: MünchKomm-BGB, Bd. 5, § 737, Rn. 8 ff.

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engesellschaft ermöglicht folglich einen Zwangsausschluss von Minderheitsgesellschaftern, welcher bei der Gesellschaft in ihrer Ausgangsrechtsform, der die Gesellschafter ursprünglich beigetreten sind, nicht möglich gewesen wäre.175 Bei entsprechenden Beteiligungsverhältnissen kann der Formwechsel in die Rechtsform einer Aktiengesellschaft somit den Bestand der mitgliedschaftlichen Rechtsposition gefährden.176 Die identische Gefahr besteht auch beim grenzüberschreitenden Formwechsel in eine EU-ausländische Rechtsform, wenn deren Gesellschaftsstatut den zwangsweisen Ausschluss von Minderheitsgesellschaftern von geringeren Voraussetzungen abhängig macht als das Recht der deutschen Ausgangsrechtsform. Hoger hat gezeigt, dass ein aktienrechtlicher Zwangsausschluss von Minderheitsgesellschaftern in anderen Mitgliedstaaten in weitergehendem Maße zulässig ist als hierzulande.177 Sogar der rechtsformkongruente Formwechsel einer AG in ein EU-ausländisches Pendant kann den Bestand der mitgliedschaftlichen Rechtsposition beeinträchtigen. b) Beeinträchtigung des Inhalts der Rechtsposition als Anteilsinhaber Infolge eines grenzüberschreitenden Formwechsels kann sich die mitgliedschaftliche Rechtsposition der Anteilsinhaber inhaltlich verändern. Zum einen besteht die Gefahr, dass sich die gesetzliche Binnenorganisation der Gesellschaft grundlegend zu ihrem Nachteil verändert.178 Zum anderen können einzelne mitgliedschaftliche Rechte und Pflichten zum Nachteil der Anteilsinhaber entfallen, verkürzt werden oder neu entstehen.179 Die Umwandlung kann zunächst allgemeine mitgliedschaftliche Rechtspositionen beeinträchtigen. Darunter sind Rechte und Pflichten zu verstehen, die als Ausfluss der Mitgliedschaft unmittelbar aus der gesetzlichen Verbandsverfassung folgen, ohne dass es hierzu einer besonderen individualvertraglichen Vereinbarung der Gesellschafter bedürfte.180 Da diese Rechtspositionen durch den dynamischen Verweis auf die jeweils geltenden Regelungen der gesetzlichen Verbandsverfassung näher ausgestaltet werden181, können die Gesellschafter unmittelbar infolge des Statutenwechsels Nachteile erleiden. Darüber hinaus kann ein Formwechsel besondere mitgliedschaftliche Rechtspositionen ver-

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Vgl. Thümmel, Formwechsel, 2013, S. 27. Vgl. Hoger, Kontinuität, 2008, S. 52; Thümmel, Formwechsel, 2013, S. 26. 177 Vgl. Hoger, Kontinuität, 2008, S. 53 ff. 178 Vgl. W.-H. Roth, FS Heldrich, 2005, 973 (989). 179 Vgl. Frowein, Sitzverlegung, 2001, S. 152; Hoger, Kontinuität, 2008, S. 56; Thümmel, Formwechsel, 2013, S. 28. 180 Vgl. Hoger, Kontinuität, 2008, S. 56; Thümmel, Formwechsel, 2013, S. 28. 181 Hoger, Kontinuität, 2008, S. 56. 176

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kürzen. Darunter sind Rechte und Pflichten zu verstehen, welche durch eine besondere individualvertragliche Abrede begründet werden.182 Über die allgemeinen mitgliedschaftlichen Rechtspositionen hinaus sind den Anteilsinhabern einer Gesellschaft vielfach gesellschaftsvertraglich beziehungsweise satzungsmäßig zusätzliche Rechte und Pflichten zugewiesen.183 Anders als allgemeine mitgliedschaftliche Rechtspositionen folgen sie nicht schlicht aus der gesetzlichen Verbandsverfassung, sondern bedürfen stets einer organisationsrechtlichen Sondervereinbarung der Gesellschafter.184 Typischerweise gewähren solche Vereinbarungen einzelnen Gesellschaftern oder Gesellschaftergruppen eine mitgliedschaftliche Vorzugsstellung, welche nicht durch Mehrheitsbeschluss entziehbar ist.185 Solche individualvertraglich vereinbarten Sonderpositionen werden durch einen grenzüberschreitenden Formwechsel beeinträchtigt, wenn das Gesellschaftsstatut der Zielrechtsform entsprechende Vereinbarungen nicht gestattet. Sofern nach deutschem Gesellschaftsrecht statthafte Gestaltungen nach der Rechtsordnung des Aufnahmestaates nicht möglich sind, drohen die jeweiligen Rechte zum Nachteil der Anteilsinhaber im Zuge der Umwandlung zu entfallen.186 aa) Allgemeine mitgliedschaftliche Rechtspositionen Durch einen Formwechsel können sich die Zuständigkeiten der Gesellschaftergesamtheit verändern und damit die innergesellschaftlichen Einflussmöglichkeiten der Anteilsinhaber verringern. Welche Maßnahmen der Entscheidungsbefugnis der Anteilsinhaber zugewiesen sind, bestimmt sich nach der Binnenorganisationsverfassung einer Gesellschaft. 187 Das jeweilige Gesellschaftsstatut gibt Auskunft darüber, bei welchem Gesellschaftsorgan (Geschäftsleitung, Aufsichtsorgan oder Gesellschaftergesamtheit) die Entscheidungszuständigkeit in internen und externen Angelegenheiten der Gesellschaft liegt.188 Durch einen Formwechsel wird der Kompetenzbereich der Anteilsinhaber neu definiert.189 Bleiben die Entscheidungsbefugnisse der Gesellschafter in der Zielrechtsform hinter den durch die bisherige Verbandsverfassung gewährten Kompetenzen zurück, verkürzt der Statutenwechsel die mitgliedschaftliche Rechtsposition der Anteilsinhaber.190 Während zur Durchführung einer Maßnahme zuvor die Gesellschaftergesamtheit konsultiert 182

Vgl. Hoger, Kontinuität, 2008, S. 66; Thümmel, Formwechsel, 2013, S. 30. Hoger, Kontinuität, 2008, S. 66. 184 Vgl. Hoger, Kontinuität, 2008, S. 66. 185 Vgl. Hoger, Kontinuität, 2008, S. 66; Zöllner, FS Claussen, 1997, 423 (435). 186 Vgl. Thümmel, Formwechsel, 2013, S. 30. 187 Vgl. Hoger, Kontinuität, 2008, S. 57. 188 Hoger, Kontinuität, 2008, S. 57. 189 Vgl. Hoger, Kontinuität, 2008, S. 57; Thümmel, Formwechsel, 2013, S. 28. 190 Vgl. Hoger, Kontinuität, 2008, S. 57. 183

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werden müsste, kann das nunmehr zuständige Gesellschaftsorgan diese eigenverantwortlich vollziehen.191 Der Formwechsel einer vom Grundsatz der Selbstorganschaft geprägten Personengesellschaft deutschen Rechts in eine EU-ausländische Rechtsform, nach deren Organisationsverfassung die Geschäftsführung zwingend einem Geschäftsführungsorgan zugewiesen ist, führt etwa zum Verlust der Geschäftsführungsbefugnisse der Anteilsinhaber. Vollzieht eine GmbH einen grenzüberschreitenden Formwechsel, können Kompetenzen, welche § 46 GmbHG der Gesellschafterversammlung zuweist, nunmehr in den Verantwortungsbereich des Geschäftsführungsorgans fallen. Die mitgliedschaftliche Rechtsposition der Anteilsinhaber kann ferner dadurch beeinträchtigt werden, dass ihnen bislang zugewiesene Rechte nach der neuen Verbandsverfassung entfallen oder weniger stark ausgeprägt sind.192 Das Gesellschaftsstatut der Zielrechtsform kann etwa weniger strenge Mehrheitserfordernisse für Änderungen des Gesellschaftsvertrages beziehungsweise der Satzung, Kapitalmaßnahmen oder den Abschluss von Unternehmensverträgen vorsehen. Auskunfts- und Kontrollrechte der Anteilsinhaber können weniger weit reichen als nach der bisherigen Verbandsverfassung. Das Gesellschaftsstatut der Zielrechtsform mag ferner eine vorherige Beschlussfassung der Gesellschafter über bestimmte Maßnahmen der Geschäftsführung im Gegensatz zur bisherigen Verbandsverfassung nicht vorsehen. Ein Formwechsel kann sich zudem auf die Wettbewerbsverhältnisse zwischen dem formwechselnden Rechtsträger und den Anteilsinhabern auswirken.193 Die gesetzliche Verbandsverfassung bestimmt darüber, ob es den Gesellschaftern erlaubt ist, auf dem Geschäftsfeld der Gesellschaft eine konkurrierende wirtschaftliche Tätigkeit aufzunehmen und auszuüben.194 Durch einen Formwechsel wird die mitgliedschaftliche Rechtsposition zum Nachteil der Gesellschafter modifiziert, wenn die neue gesetzliche Verbandsverfassung strengere Wettbewerbsregelungen als die frühere bereithält und den Gesellschaftern fortan verbietet, eine begonnene konkurrierende Tätigkeit fortzusetzen.195 Ab dem Zeitpunkt der Wirksamkeit der Umwandlung finden zudem die Regelungen des Gesellschaftsstatuts der Zielrechtsform über Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung Anwendung. Da sich mit dem Wechsel der gesetzlichen Verbandsverfassung die Leistungsmodalitäten für offene Einlageansprüche und einlageähnliche Ansprüche sowie die Rechtsfolgen bei Leistungsstörungen ändern, besteht die Gefahr, dass nachträglich der Pflichtenkreis der schuldnerischen Gesellschafter und ihrer Mitgesellschafter erweitert wird.196 Sofern die gesetzliche Verbandsverfassung der Zielrechtsform eine 191

Vgl. Hoger, Kontinuität, 2008, S. 57. Vgl. Frowein, Sitzverlegung, 2001, S. 150. 193 Vgl. Thümmel, Formwechsel, 2013, S. 29. 194 Hoger, Kontinuität, 2008, S. 62; Thümmel, Formwechsel, 2013, S. 29. 195 Vgl. Hoger, Kontinuität, 2008, S. 62; Thümmel, Formwechsel, 2013, S. 29. 196 Vgl. Hoger, Kontinuität, 2008, S. 64. 192

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(strengere) Ausfallhaftung vorsieht, entsteht beziehungsweise erhöht sich für die Anteilsinhaber das Risiko, für offene Einlageansprüche ihrer Mitgesellschafter einstehen zu müssen.197 bb) Besondere mitgliedschaftliche Rechtspositionen Wie groß der rechtliche Gestaltungsspielraum ist, welcher den Anteilsinhabern im Hinblick auf die Organisationsverfassung der Gesellschaft eingeräumt wird, entscheidet das jeweilige Gesellschaftsstatut.198 Erlaubt es die neue gesetzliche Verbandsverfassung nicht, eine besondere mitgliedschaftliche Rechtsposition zu perpetuieren, droht diese Rechtsposition zum Nachteil der Rechtsinhaber mit Wirksamkeit des Formwechsels zu erlöschen.199 Für die Inhaber besonderer mitgliedschaftlicher Rechte besteht somit stets die Gefahr, ihre herausgehobene Gesellschafterstellung durch die Umwandlung zu verlieren.200 Verdeutlichen lässt sich dieses Risiko anhand eines innerstaatlichen Formwechsels in die Rechtsform einer AG. Der Grundsatz der Satzungsstrenge gemäß § 23 Abs. 5 AktG setzt individualvertraglichen Abreden der Anteilsinhaber enge Grenzen.201 Zwar handelt es sich dabei um ein Unikum im europäischen Gesellschaftsrecht; andere Mitgliedstaaten kennen – wenn überhaupt – nur weit flexiblere Schranken.202 Regelmäßig eröffnen deren gesellschaftsrechtliche Vorschriften den Anteilsinhabern bei der individualvertraglichen Ausgestaltung ihrer Rechtsformen einen größeren Spielraum als das deutsche Gesellschaftsrecht.203 Gleichwohl besteht stets die Gefahr, dass nach der bisherigen gesetzlichen Verbandsverfassung zulässige individualvertragliche Gestaltungen nach dem neuen Gesellschaftsstatut nicht statthaft sind, etwa weil sie den gesetzlich zwingenden Kompetenzbereich eines Organs der Zielrechtsform beschneiden würden. In derartigen Fällen bedarf es umwandlungsrechtlicher Schutzinstrumente, um die Anteilsinhaber vor dem unfreiwilligen Verlust ihrer Rechtsposition zu bewahren. III. Umwandlungsrechtliche Schutzinstrumente Wie vorstehend dargelegt birgt ein Herausformwechsel einer deutschen Gesellschaft erhebliche Risiken für Gesellschaftsgläubiger und Anteilsinhaber. 197

Vgl. Hoger, Kontinuität, 2008, S. 65. Vgl. Hoger, Kontinuität, 2008, S. 67. 199 Vgl. Hoger, Kontinuität, 2008, S. 67; v. Bar/Mankowski, IPR, Bd. I, § 4, Rn. 186; siehe zur grenzüberschreitenden Verschmelzung auch Beitzke, FS Hallstein, 1966, 14 (26). 200 Thümmel, Formwechsel, 2013, S. 30. 201 Vgl. Böttcher, Formwechsel, 2006, S. 117; Hoger, Kontinuität, 2008, S. 68; Thümmel, Formwechsel, 2013, S. 30. 202 Vgl. Hoger, Kontinuität, 2008, S. 68 f.; Hopt, in: Lutter/Wiedemann, Gestaltungsfreiheit, 1998, S. 126. 203 Vgl. Hopt, in: Lutter/Wiedemann, Gestaltungsfreiheit, 1998, S. 126. 198

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Nachfolgend wird untersucht, welche Schutzinstrumente das deutsche Umwandlungsrecht bereithält, um den drohenden Gefahren zu begegnen. Dazu werden die Regelungen über innerstaatliche Formwechsel, die grenzüberschreitende Verschmelzung von Kapitalgesellschaften sowie die Verlegung des Sitzes der SE dargestellt und auf ihre Tauglichkeit zur Bewältigung grenzüberschreitender Formwechsel hin untersucht. Anschließend wird analysiert, ob die Anwendung dieser Vorschriften vor dem Hintergrund des Beschränkungsverbots des Art. 49 AEUV unionsrechtlichen Bedenken begegnet. Dazu müssen jedoch zunächst die Vorgaben herausgearbeitet werden, welche das Unionsrecht dem Herkunftsstaat bei der Regelung grenzüberschreitender Formwechsel macht. 1. Unionsrechtliche Vorgaben Der Herkunftsstaat darf den Wegzug seiner Gesellschaften im Wege grenzüberschreitender Formwechsel nicht mehr pauschal verhindern, etwa mit Auflösung und Liquidation des formwechselnden Rechtsträgers sanktionieren (vgl. § 4 IV. 2. a)). Der formwechselnde Wegzug berührt jedoch berechtigte Interessen von Gesellschaftsgläubigern und Anteilsinhabern, welche den Herkunftsstaat grundsätzlich zu Beschränkungen der Umwandlungsmöglichkeiten berechtigen.204 Unionsrechtlich rechtfertigungsfähig sind jedoch lediglich einzelne Schutzmaßnahmen und kein generelles Verbot grenzüberschreitender Formwechsel.205 Da sich im Gegensatz zur isolierten Verlegung des effektiven Verwaltungssitzes in einen anderen Mitgliedstaat das auf die innergesellschaftlichen Rechtsbeziehungen anwendbare Recht sowie das Kapitalschutz- und Haftungsregime der Gesellschaft ändert, sind die Interessen von Gesellschaftsgläubigern und Anteilsinhabern von einem grenzüberschreitenden Formwechsel weit stärker betroffen als bei einer statutenwahrenden

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Vgl. Arbeitskreis Europäisches Unternehmensrecht, NZG 2011, 98 (98); Drinhausen, in: Semler/Stengel, UmwG, Einl. C, Rn. 34; Frowein, Sitzverlegung, 2001, S. 135; Hoffmann, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 54, Rn. 4; Johnston/Syrpis, ELR 2009, 378 (387 f.); Knof/Mock, ZIP 2009, 30 (33); Korom/Metzinger, ECFR 2009, 125 (155); Krause/Kulpa, ZHR 171 (2007), 38 (47 f.); Lutter/Bayer, in: Lutter, UmwG, Bd. I, Einl. I, Rn. 47; Mörsdorf, CMLR 2012, 629 (650); Mörsdorf/Jopen, ZIP 2012, 1398 (1400); Morse, Palmer’s Company Law, 137. EL (2013), Pt. 16, Rn. 16.453; Otte/Rietschel, GmbHR 2009, 983 (984); Ringe, ZIP 2008, 1072 (1074); G.H. Roth, Niederlassungsfreiheit, 2010, S. 47; Stöber, ZIP 2012, 1273 (1277); Stiegler, Rechtsformwechsel, 2013, S. 23; Szydlo, ECFR 2010, 414 (433 f.); Teichmann, ZIP 2009, 393 (402 f.); Teichmann, DB 2012, 2085 (2089); Thümmel, Formwechsel, 2013, S. 278; Vossestein, ECL 2009, 115 (122); Wasmeier, Umstrukturierung, 2014, S. 143; Zimmer/Naendrup, NJW 2009, 545 (547). 205 Vgl. Jung, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 54 AEUV, Rn. 50; Mörsdorf, CMLR 2012, 629 (650); Wasmeier, Umstrukturierung, 2014, S. 142.

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Sitzverlegung.206 Der Gedanke des Bestandsschutzes rechtfertigt Schutzvorkehrungen seitens des Herkunftsstaates. Es ist zu begrüßen, dass der EuGH den Schutz der Gesellschaftsgläubiger und Anteilsinhaber als zwingende Erfordernisse des Allgemeinwohls anerkannt hat.207 Angesichts der Risiken des Formwechsels für diese Personengruppen wird man den strengen Kontrollmaßstab, den der Gerichtshof in der Vergangenheit bei Beschränkungen des Zuzugs EU-ausländischer Gesellschaften durch den Aufnahmestaat angelegt hat, nicht auf Beschränkungen des Wegzugs durch den Herkunftsstaat übertragen können.208 Vielmehr lässt sich der Rechtsprechung allgemein die Tendenz entnehmen, insoweit einen weniger strengen Maßstab anzulegen.209 Die Schutzvorkehrungen des Herkunftsstaates zugunsten von Gesellschaftsgläubigern und Anteilsinhabern müssen jedoch in einem angemessenen Verhältnis zum Niederlassungsrecht der Gesellschaft stehen. Das Beschränkungsverbot des Art. 49 AEUV bildet insoweit den Prüfungsmaßstab (vgl. § 4 IV. 2. a)). Ob die Schutzinstrumente des deutschen Umwandlungsrechts einer Überprüfung am Maßstab der Niederlassungsfreiheit standhalten, wurde bislang kaum erörtert. Da diese Regelungen Formwechsel nicht generell verhindern, sondern lediglich von der Erfüllung gewisser Voraussetzungen abhängig machen, sind sie einer Rechtfertigung aufgrund zwingender Allgemeininteressen grundsätzlich zugänglich. Vereinzelt wird indessen in Frage gestellt, ob Regelungen des Herkunftsstaates, welche grenzüberschreitende und innerstaatliche Formwechsel identischen rechtlichen Anforderungen unterwerfen, unter den Beschränkungsbegriff fallen. 210 Es bleibe abzuwarten, ob der EuGH den Prüfungsmaßstab des Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatzes spiegelbildlich auf die Umwandlungsvorschriften des Herkunftsstaates übertrage.211 In der Rechtssache VALE hatte der EuGH eine Zuzugskonstellation zu beurteilen. Unmittelbar enthält das Urteil daher rechtliche Vorgaben lediglich für den Aufnahmestaat. Die Ausführungen des Gerichtshofs enthalten keinerlei Hinweise darauf, ob auch der Herkunftsstaat durch den Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz gebun206 Vgl. OLG München, NZG 2007, 915 (915); V. Braun, Wegzugsfreiheit, 2010, S. 248; Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 49. EL (2012), Art. 54 AEUV, Rn. 11 und 28; Knof/Mock, ZIP 2009, 30 (33); Leible/Hoffmann, BB 2009, 58 (62); Mörsdorf, EuZW 2009, 97 (99 f.); Otte/Rietschel, GmbHR 2009, 983 (984); W.-H. Roth, FS Heldrich, 2005, 973 (987); Teichmann, ZIP 2009, 393 (403); Zimmer/Naendrup, NJW 2009, 545 (547). 207 Vgl. EuGH, Urteil vom 5.11.2002, Rs. C-208/00 – Überseering, Slg. 2002, I-9919, Rn. 92; EuGH, Urteil vom 30.9.2003, Rs. C-167/01 – Inspire Art, Slg. 2003, I-10155, Rn. 142; EuGH, Urteil vom 13.12.2005, Rs. C-411/03 – SEVIC Systems, Slg. 2005, I-10805, Rn. 28; EuGH, Urteil vom 12.7.2012, Rs. C-378/10 – VALE Építési, Rn. 34. 208 Vgl. Herrler, DNotZ 2009, 484 (488 f.); Stiegler, Rechtsformwechsel, 2013, S. 24. 209 Vgl. Teichmann, ZIP 2009, 393 (396). 210 Vgl. Verse, ZEuP 2013, 458 (481). 211 Verse, ZEuP 2013, 458 (481).

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den ist.212 Wie bereits dargelegt, unterscheiden sich die Regelungsbefugnisse des Herkunfts- und des Aufnahmestaates in Bezug auf grenzüberschreitende Formwechsel grundlegend (vgl. § 4 IV. 2.). Aufgrund seiner gesellschaftsrechtlichen Regelungsautonomie ist der Aufnahmestaat lediglich an das Diskriminierungsverbot gebunden. Die Ausgestaltung des Umwandlungsverfahrens und die praktische Handhabung der Umwandlung durch seine Gerichte und Behörden muss sich dementsprechend ausschließlich an den Grundsätzen der Äquivalenz und Effektivität messen lassen. Demgegenüber kann sich der Herkunftsstaat nicht auf seinen gesellschaftsrechtlichen Rechtssetzungsspielraum berufen. Beschränkende Schutzvorkehrungen seitens des Herkunftsstaates sind daher – über den Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz hinausgehend – umfassend anhand des Beschränkungsverbots unionsrechtlich überprüfbar. Die Umwandlungsvorschriften des Herkunftsstaates können demnach selbst dann mit dem Unionsrecht in Konflikt geraten, wenn sie innerstaatliche und grenzüberschreitende Formwechsel identischen rechtlichen Anforderungen unterwerfen. Umgekehrt ist die Frage aufgeworfen, ob der Herkunftsstaat grenzüberschreitende Formwechsel von höheren rechtlichen Anforderungen abhängig machen darf als innerstaatliche Formwechsel. Dem Erlass strengerer Regelungen könnte der Äquivalenzgrundsatz entgegenstehen. Voraussetzung wäre jedoch, dass der Herkunftsstaat überhaupt an den Äquivalenzgrundsatz gebunden ist und dieser die unterschiedliche Behandlung innerstaatlicher und grenzüberschreitender Formwechsel per se verbietet. Der Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz entstammt dem Verfahrensrecht.213 Die Bezugnahme des EuGH auf die Prinzipien der Äquivalenz und Effektivität in der Rechtssache VALE verwundert. Der Gerichtshof hätte die Verweigerung der Eintragung der Umwandlung durch den Aufnahmestaat auch direkt am Maßstab des Diskriminierungsverbots überprüfen können. Im Schrifttum herrscht Uneinigkeit bezüglich der Tragweite des Rückgriffs auf den Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz. Teils wird dies als Zeichen der Anerkennung seitens des Gerichtshofs gewertet, dass das Gesellschaftsrecht und damit die verfahrensrechtliche Ausgestaltung grenzüberschreitender Formwechsel in die Regelungshoheit der Mitgliedstaaten fallen.214 Gleichzeitig habe der Gerichtshof die Mitgliedstaaten erinnern wollen, dass diese Regelungskompetenz sie nicht von der Beachtung des Unionsrechts entbinde.215 Teils wird argumentiert, dass neben dem Aufnahmestaat auch der Herkunftsstaat durch den Äquiva212

Vgl. EuGH, Urteil vom 12.7.2012, Rs. C-378/10 – VALE Építési, Rn. 48 ff. Vgl. EuGH, Urteil vom 10.7.1997, Rs. C-261/95 – Palmisani, Slg. 1997, I-4025, Rn. 32 f.; EuGH, Urteil vom 15.9.1998, Rs. C-231/96 – Edis, Slg. 1998, I-4951, Rn. 34 ff.; EuGH, Urteil vom 19.6.2003, Rs. C-34/02 – Pasquini, Slg. 2003, I-6515, Rn. 56 ff. 214 Vgl. Biermeyer, CMLR 2013, 571 (582); Teichmann, DB 2012, 2085 (2090). 215 Biermeyer, CMLR 2013, 571 (582). 213

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lenz- und Effektivitätsgrundsatz gebunden sein soll.216 Sofern dieser grenzüberschreitende Formwechsel von der Erfüllung höherer Voraussetzungen abhängig mache als innerstaatliche Formwechsel, handele es sich tatbestandlich nicht um eine Diskriminierung, sondern um eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit, weil keine Ungleichbehandlung aufgrund der Staatsangehörigkeit stattfinde.217 Über das Diskriminierungsverbot hinausgehend werde durch den Äquivalenzgrundsatz auch die Schlechterstellung von Sachverhalten mit Auslandsbezug erfasst.218 Exakt in dieser Konstellation ist jedoch richtigerweise der Tatbestand der Diskriminierung erfüllt (vgl. § 3 III. 2.). Der Äquivalenzgrundsatz hat keinen über das Diskriminierungsverbot hinausgehenden Inhalt.219 Die Bezugnahme auf den Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz seitens des EuGH ist dem Umstand geschuldet, dass in dem von ihm entschiedenen Fall keine speziellen Regelungen grenzüberschreitender Formwechsel bestanden. In dieser Situation dürfen die Modalitäten einer grenzüberschreitenden Umwandlung nicht ungünstiger ausgestaltet werden als für entsprechende Sachverhalte innerstaatlicher Art.220 Insoweit besteht eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten, über das auf nationale Sachverhalte bezogene Umwandlungsrecht hinausgehend auf die Besonderheiten der grenzüberschreitenden Umwandlung Rücksicht zu nehmen und das Umwandlungsrecht so zu handhaben beziehungsweise zu modifizieren, dass der Formwechsel nicht übermäßig erschwert wird.221 Eine Sonderbehandlung grenzüberschreitender Formwechsel durch die nationalen Gesetzgeber der Mitgliedstaaten ist demgegenüber nicht per se unzulässig.222 Der Äquivalenzgrundsatz steht nicht entgegen. Da dieser keinen über das Diskriminierungsverbot hinausgehenden Gehalt hat, dürfen grenzüberschreitende Formwechsel allerdings nicht ohne sachlichen Grund gegenüber innerstaatlichen Umwandlungen schlechter behandelt werden.223 Die Regelungen des Herkunftsstaates müssen sich dementsprechend an den Kriterien der Gebhard-Formel messen lassen. Soweit grenzüberschreitende Formwechsel strengeren Voraussetzungen unterworfen werden als innerstaatliche, müssen die Vorschriften insbesondere erforderlich sein, also nicht über das Maß dessen hinausgehen, was zur Erreichung des verfolgten Ziels notwendig ist (vgl. § 3 III. 4. b) dd)). Der Herkunftsstaat muss daher darlegen, dass im 216

Vgl. Verse, ZEuP 2013, 458 (481). Vgl. Verse, ZEuP 2013, 458 (481); Wasmeier, Umstrukturierung, 2014, S. 132. 218 Vgl. Wasmeier, Umstrukturierung, 2014, S. 132. 219 Vgl. Behme, NZG 2012, 936 (938); D. Braun, DZWir 2012, 411 (415); W.-H. Roth, FS Hoffmann-Becking, 2013, 965 (988). 220 Vgl. EuGH, Urteil vom 12.7.2012, Rs. C-378/10 – VALE Építési, Rn. 48. 221 W.-H. Roth, FS Hoffmann-Becking, 2013, 965 (988). 222 Vgl. Lutter/Bayer, in: Lutter, UmwG, Bd. I, Einl. I, Rn. 47; Wasmeier, Umstrukturierung, 2014, S. 142 ff. 223 Vgl. W.-H. Roth, FS Hoffmann-Becking, 2013, 965 (988). 217

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grenzüberschreitenden Kontext eine Gefahrenlage besteht, welche durch die für innerstaatliche Formwechsel vorgesehenen Schutzmechanismen nicht bewältigt werden kann. Andernfalls stellen die Regelungen nicht das mildeste Mittel zur Erreichung des vom Gesetzgeber verfolgten Ziels dar und sind als Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit unionsrechtswidrig. 2. Maßnahmen zum Schutz der Gesellschaftsgläubiger Der Schutz der Gesellschaftsgläubiger vor formwechselbedingten Risiken obliegt nach den Grundsätzen der kollisionsrechtlichen Vereinigungstheorie dem Herkunftsstaat (vgl. § 5 II. 1.). Da die Gläubiger auf die Haftungsvorschriften des Gesellschaftsstatuts des formwechselnden Rechtsträgers vertraut haben und in aller Regel mehrheitlich dort ansässig sind, obliegt es diesem Mitgliedstaat, das berechtigte Vertrauen der Gläubiger durch umwandlungsrechtliche Schutzvorkehrungen zu schützen. Im Falle des Herausformwechsels deutscher Gesellschaften sind die Instrumente zum Schutz der Gesellschaftsgläubiger somit dem deutschen Umwandlungsrecht zu entnehmen. Sowohl die Regelungen über innerstaatliche Formwechsel als auch die Vorschriften über die grenzüberschreitende Verschmelzung von Kapitalgesellschaften sowie die Sitzverlegung der SE enthalten entsprechende Schutzmechanismen. Der Gläubigerschutz war jeweils ein zentrales Regelungsziel des Gesetzgebers.224 Das Interesse der Gesellschaftsgläubiger ist darauf gerichtet, jedwede formwechselbedingte Verschlechterung ihrer Rechtsstellung zu verhindern.225 Ihre Forderungen sollen bei mindestens gleichbleibenden Erfüllungsaussichten fortexistieren.226 a) Persönliche Gesellschafterhaftung für Altverbindlichkeiten Der persönlichen Gesellschafterhaftung für Altverbindlichkeiten kommt eine zentrale Rolle im Gefüge der umwandlungsrechtlichen Gläubigerschutzinstrumente zu.227 Dieses Schutzinstrument soll verhindern, dass sich persönlich akzessorisch haftende Personengesellschafter ihrer Einstandspflicht schlicht durch einen Formwechsel in eine Kapitalgesellschaft entziehen können.228 Umgekehrt dient die persönliche Gesellschafterhaftung auch dazu, den Wegfall der Kapitalbindung, welcher mit dem Formwechsel einer Kapitalgesellschaft in eine Personengesellschaft regelmäßig einhergeht, zugunsten der

224 Vgl. BT-Drs. 12/6699, S. 92; BT-Drs. 15/3405, S. 35; BT-Drs. 16/2919, S. 17; Hoger, Kontinuität, 2008, S. 133. 225 Vgl. Hoger, Kontinuität, 2008, S. 132. 226 Hoger, Kontinuität, 2008, S. 132. 227 Hoger, Kontinuität, 2008, S. 134. 228 Vgl. Hoger, Kontinuität, 2008, S. 134.

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Gläubiger durch die Zugriffsmöglichkeit auf das Privatvermögen der Anteilsinhaber zu kompensieren.229 aa) Herausformwechsel von Personengesellschaften Ein innerstaatlicher Formwechsel einer Personengesellschaft in eine Kapitalgesellschaft berührt gemäß § 224 Abs. 1 UmwG nicht die Haftung persönlich einstandspflichtiger Gesellschafter für Gesellschaftsverbindlichkeiten, welche zum Zeitpunkt der Umwandlung begründet waren. Die Nachhaftung dieser Gesellschafter ist allerdings auf Verbindlichkeiten beschränkt, welche binnen fünf Jahren ab Bekanntmachung der Eintragung des Formwechsels in das Register der Zielrechtsform fällig werden (§ 224 Abs. 2 und 3 UmwG). Eine vergleichbare Nachhaftungsregelung findet sich weder in den Vorschriften der §§ 122a ff. UmwG über die grenzüberschreitende Verschmelzung noch in Art. 8 SE-VO, §§ 12 ff. SEAG für die grenzüberschreitende Sitzverlegung der SE. Führt man sich vor Augen, dass diese Vorschriften lediglich auf Kapitalgesellschaften Anwendung finden, leuchtet dies unmittelbar ein. Von der KGaA einmal abgesehen haben Kapitalgesellschaften keine persönlich haftenden Gesellschafter, deren Haftung durch die jeweilige Umwandlung zu entfallen droht. Eine Nachhaftung persönlich haftender Gesellschafter lässt sich bei grenzüberschreitenden Herausformwechseln damit lediglich durch analoge Heranziehung des § 224 UmwG begründen. Zwar erfasst diese Regelung ausdrücklich lediglich die Einstandspflicht persönlich haftender Gesellschafter gemäß § 128 HGB. Im Schrifttum besteht jedoch Einigkeit, dass auch die – lediglich in Ausnahmekonstellationen bestehende – persönliche Haftung von Kommanditisten gemäß den §§ 171 ff. HGB von der Norm erfasst wird.230 Sinn und Zweck des § 224 UmwG ist es nämlich, die Gläubiger in ihrem Vertrauen auf eine im Zeitpunkt der Umwandlung bestehende persönliche Gesellschafterhaftung für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft zu schützen.231 Bei grenzüberschreitenden Fallkonstellationen erfasst die Regelung daher auch die persönliche Haftung der Gesellschafter einer GbR analog § 128 HGB. Im grenzüberschreitenden Kontext – so viel sei vorweggenommen – gebietet die Niederlassungsfreiheit dem deutschen Recht, den formwechselnden Wegzug einer GbR grundsätzlich zuzulassen (vgl. § 6 IV. 1. a)). Im Gegenzug darf die Umwandlung zum Schutz der Gesellschaftsgläubiger freilich Beschränkungen unterworfen werden. Da die GbR gemäß § 191 Abs. 1 UmwG nicht Ausgangsrechtsform eines innerstaatlichen Formwechsels sein kann, muss im grenzüberschreitenden Kontext auf die für die übrigen Perso229

Vgl. Hoger, Kontinuität, 2008, S. 134. Vgl. Dirksen/Blasche, in: Kallmeyer, UmwG, § 224, Rn. 7; Hoger, Kontinuität, 2008, S. 136; Schlitt, in: Semler/Stengel, UmwG, § 224, Rn. 8 f. 231 Vgl. BT-Drs. 12/6699, S. 151; Hoger, Kontinuität, 2008, S. 136. 230

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nengesellschaften geltende Vorschrift des § 224 UmwG zurückgegriffen werden. Tatbestandlich erfasst die Regelung im grenzüberschreitenden Zusammenhang sämtliche Umwandlungskonstellationen, in welchen eine von der bisherigen gesetzlichen Verbandsverfassung vorgesehene persönliche Einstandspflicht der Anteilsinhaber für Gesellschaftsverbindlichkeiten infolge des Statutenwechsels einfällt. Dies kann sowohl die akzessorische Haftung der Gesellschafter einer GbR oder OHG gemäß § 128 HGB (analog) als auch die persönliche Haftung der Kommanditisten einer KG gemäß §§ 171 ff. HGB sein. Die persönliche Einstandspflicht entfällt einerseits, wenn es sich bei der Zielrechtsform um eine EU-ausländische Kapitalgesellschaft handelt, nach deren Verbandsverfassung die Gesellschafter grundsätzlich nicht persönlich für Gesellschaftsverbindlichkeiten einzustehen haben. Sie entfällt andererseits, wenn die Gesellschaft einen Formwechsel in eine Kommanditgesellschaft EU-ausländischen Rechts vollzieht, der jeweilige Gesellschafter in die Kommanditistenstellung wechselt und die nach dem neuen Gesellschaftsstatut für die Haftungsprivilegierung erforderliche Rechtshandlung vornimmt. Die Fünf-Jahres-Frist des § 224 Abs. 2 UmwG beginnt gemäß § 224 Abs. 3 UmwG an dem Tag, an dem die Eintragung der Zielrechtsform in das Register bekannt gemacht wird. Bei innerstaatlichen Formwechseln erfolgt die Bekanntmachung gemäß § 201 UmwG durch das für die Anmeldung der Zielrechtsform zuständige Gericht. Da das Registerverfahren im Aufnahmestaat sich nach den Rechtsvorschriften des jeweiligen Mitgliedstaates richtet, welche nicht zwingend eine Bekanntmachung der Umwandlung vorsehen müssen, gebietet es die Rechtssicherheit für den Fristbeginn auf die Bekanntmachung des Formwechsels durch das deutsche Registergericht gemäß §§ 198 Abs. 2 S. 3, 201 UmwG abzustellen. Die Interessen der Gesellschaftsgläubiger werden bei grenzüberschreitenden Formwechseln durch den Herkunftsstaat geschützt (vgl. § 5 II. 1.). Da es sich bei der Nachhaftung für Altverbindlichkeiten um ein Instrument des Gläubigerschutzes handelt und im Regelfall die Mehrheit der Gesellschaftsgläubiger im Herkunftsstaat ansässig ist, ist es stimmig, für den Fristbeginn auf die Bekanntmachung durch den Herkunftsstaat abzustellen. Fristauslösend ist die Bekanntmachung der Wirksamkeit des Formwechsels, nicht bereits die Bekanntmachung der Umwandlung mit Wirksamkeitsvorbehalt (vgl. § 6 IV. 2. c) aa)). bb) Herausformwechsel von Kapitalgesellschaften Für den Fall des Formwechsels einer Kapitalgesellschaft in eine Personengesellschaft enthält das Umwandlungsgesetz hingegen keine Regelung der persönlichen Haftung der Gesellschafter der Zielrechtsform für Altverbindlichkeiten. Auf welcher dogmatischen Grundlage diese Haftung fußt, wird unein-

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heitlich beurteilt.232 Da der formwechselnde Rechtsträger durch den Umwandlungsvorgang hindurch Träger von Rechten und Pflichten bleibt (vgl. § 2 III. 2.), ergibt sich die persönliche Gesellschafterhaftung richtigerweise unmittelbar aus der gesetzlichen Verbandsverfassung der Zielrechtsform. Sofern deren Gesellschaftsstatut eine akzessorische Haftung der Anteilsinhaber für Verbindlichkeiten der Gesellschaft statuiert, erstreckt sich diese Einstandspflicht auf Altverbindlichkeiten der Gesellschaft. Die Haftung der betroffenen Gesellschafter tritt zum Zeitpunkt der Wirksamkeit des Formwechsels von Gesetzes wegen ein. Ob eine persönliche Gesellschafterhaftung für Altverbindlichkeiten beim Herausformwechsel einer deutschen Kapitalgesellschaft in eine EU-ausländische Personengesellschaft besteht, ist nach dem Gesellschaftsstatut der Zielrechtsform zu beantworten. Die Verschlechterung der Erfüllungsaussichten der Gesellschaftsgläubiger infolge des Wegfalls der Kapitalbindungsvorschriften des deutschen Kapitalgesellschaftsrechts muss durch eine persönliche Einstandspflicht derjenigen Gesellschafter der Zielrechtsform kompensiert werden, denen infolge der Umwandlung Zugriff auf das Haftungssubstrat der Gesellschaft eröffnet wird. Anderenfalls droht eine Schutzlücke zu entstehen. b) Anspruch auf Sicherheitsleistung Zentrales Gläubigerschutzinstrument des deutschen Umwandlungsrechts ist der Anspruch der Gesellschaftsgläubiger auf Sicherheitsleistung. Dieser Anspruch soll Gesellschaftsgläubiger vor Gefahren schützen, welche diesen infolge des Wechsels der gesetzlichen Verbandsverfassung des schuldnerischen Rechtsträgers erwachsen.233 Der Anspruch auf Sicherheitsleistung soll eine Balance herstellen zwischen dem Interesse der Gesellschaft und ihrer Anteilsinhaber an einer zügigen Durchführung der Umwandlung und dem Interesse der Gesellschaftsgläubiger an einer Sicherung ihrer Ansprüche.234 Bei innerstaatlichen Formwechseln ist den Gesellschaftsgläubigern gemäß §§ 204, 22 Abs. 1 UmwG Sicherheit zu leisten, wenn sie glaubhaft machen, dass durch den Formwechsel die Erfüllung ihrer Forderungen gefährdet wird. Der Anspruch kann binnen sechs Monaten ab Bekanntmachung der Eintragung des Formwechsels in das Register gegen den formwechselnden Rechtsträger geltend gemacht werden. Im Falle der grenzüberschreitenden Verschmelzung einer deutschen Kapitalgesellschaft steht den Gesellschaftsgläubigern gemäß § 122j Abs. 1 UmwG 232 Vgl. Dirksen/Blasche, in: Kallmeyer, UmwG, § 228, Rn. 14; Hoger, Kontinuität, 2008, S. 134 f.; Ihrig, in: Semler/Stengel, UmwG, § 228, Rn. 40 ff.; Vossius, in: Widmann/ Mayer, UmwR, 133. EL (2012), § 228 UmwG, Rn. 30. 233 Vgl. Böttcher, Formwechsel, 2006, S. 61; Frowein, Sitzverlegung, 2001, S. 141; Hoger, Kontinuität, 2008, S. 143. 234 Vgl. BT-Drs. 16/2919, S. 17; Hoger, Kontinuität, 2008, S. 143.

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ein Anspruch auf Sicherheitsleistung zu, sofern die übernehmende Gesellschaft nicht dem deutschen Recht unterliegt. Voraussetzung ist, dass die Gläubiger ihre Ansprüche binnen zwei Monaten nach dem Tag, an dem der Verschmelzungsplan oder sein Entwurf bekannt gemacht wurde, bei der Gesellschaft anmelden und glaubhaft machen, dass durch die Verschmelzung die Erfüllung ihrer Forderungen gefährdet wird. Die Verschmelzungsbescheinigung darf nach § 122k Abs. 1 S. 3, Abs. 2 S. 4 UmwG erst ausgestellt werden, wenn versichert wurde, dass allen anspruchsberechtigten Gläubigern eine angemessene Sicherheit geleitet wurde. Auch für den Fall der Sitzverlegung einer SE statuieren Art. 8 Abs. 7 SEVO, § 13 SEAG einen Anspruch der Gesellschaftsgläubiger auf Sicherheitsleistung. Dieser unterliegt identischen Voraussetzungen und Fristen wie der Anspruch bei der grenzüberschreitenden Verschmelzung, wobei die Offenlegung des Verlegungsplans fristauslösendes Ereignis ist. Wie im Falle der grenzüberschreitenden Verschmelzung darf die Bescheinigung gemäß Art. 8 Abs. 8 SE-VO erst ausgestellt werden, wenn gegenüber dem Registergericht versichert wurde, dass den Gesellschaftsgläubigern eine angemessene Sicherheit geleistet worden ist (§ 13 Abs. 3 SEAG). Der maßgebende Unterschied zwischen der Regelung der §§ 204, 22 UmwG einerseits und den Regelungen der §§ 122j UmwG, 13 SEAG andererseits besteht darin, dass der Schutz der Gesellschaftsgläubiger bei grenzüberschreitenden Fallgestaltungen ex ante erfolgt. Während die Sicherstellung der Gesellschaftsgläubiger bei innerstaatlichen Formwechseln nicht Voraussetzung der Durchführung der Umwandlung ist, muss die Sicherheitsleistung im grenzüberschreitenden Kontext vor Vollzug der Umwandlung erfolgen.235 Es gilt daher zu klären, welches Regelungsregime bei grenzüberschreitenden Formwechseln Anwendung findet. aa) Anzuwendendes Regelungsregime Müsste Gesellschaftsgläubigern analog §§ 122j UmwG, 13 SEAG ex ante Sicherheit geleistet werden, wären grenzüberschreitende Formwechsel im Vergleich zu innerstaatlichen Formwechseln höheren rechtlichen Anforderungen unterworfen. Gläubigerschützende Regelungen, welche spezifisch grenzüberschreitende Fallgestaltungen in den Blick nehmen, bedürfen allerdings einer besonderen unionsrechtlichen Legitimation.236 Sofern man den Herkunftsstaat an den Äquivalenzgrundsatz gebunden sieht (vgl. § 6 III. 1.), ergibt sich bereits daraus ein besonderes Rechtfertigungsbedürfnis restriktiverer Regelungen. Da die Verpflichtung, Gläubigern ex ante Sicherheit zu leisten, die Gesellschaft im Vergleich zur Sicherheitsleistung nach Vollzug des Formwechsels ungleich stärker belastet, ist jedenfalls die Frage der Erforder235

Vgl. BT-Drs. 15/3405, S. 35 zur grenzüberschreitenden Sitzverlegung der SE sowie BT-Drs. 16/2919, S. 17 zur grenzüberschreitenden Verschmelzung. 236 Vgl. Schön, ZGR 2013, 333 (363); Wasmeier, Umstrukturierung, 2014, S. 144.

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lichkeit der Heranziehung der strengeren Regelungen der §§ 122j UmwG, 13 SEAG aufgeworfen. Das Erfordernis einer Sicherheitsleistung ex ante wäre unionsrechtlich lediglich dann zulässig, wenn eine Sicherheitsleistung ex post zum Schutz der Gesellschaftsgläubiger nicht ausreicht. Die Erforderlichkeit einer Sicherheitsleistung ex ante bei grenzüberschreitenden Formwechseln wird in Fachkreisen unterschiedlich beurteilt. Ein Teil des Schrifttums sieht Gesellschaften verpflichtet, ihren Gläubigern analog §§ 122j UmwG, 13 SEAG vor Vollzug des Formwechsels Sicherheit zu leisten.237 Zwar entfalte die Verpflichtung zur Sicherheitsleistung ex ante eine nachhaltig abschreckende Wirkung.238 Die Sicherheitsleistung sei aber erforderlich, wenn ein Gläubiger glaubhaft machen könne, durch den Formwechsel in der Erfüllung seiner Forderung gefährdet zu werden.239 Teils wird der Zweck der Sonderregelungen der §§ 122j UmwG, 13 SEAG gerade darin gesehen, Gesellschaftsgläubiger davor zu schützen, ihre Rechte im Ausland verfolgen zu müssen.240 Die ratio legis dieser Vorschriften erfasse auch andere Fälle grenzüberschreitender Umwandlungen und könne für diese Konstellationen verallgemeinert werden.241 Andere Autoren lehnen eine analoge Anwendung der §§ 122j UmwG, 13 SEAG auf grenzüberschreitende Formwechsel dagegen ab und halten den Anspruch auf Sicherheitsleistung ex post gemäß §§ 204, 22 UmwG für ausreichend.242 Da die formwechselbedingte Gefährdungslage für Gesellschaftsgläubiger identisch sei, bestehe keine Veranlassung im grenzüberschreitenden Kontext einen von §§ 204, 22 UmwG abweichenden Gläubigerschutz einzufordern.243 Zwar lasse sich Art. 8 Abs. 16 SE-VO die Wertung entnehmen, dass Gesellschaftsgläubiger davor geschützt werden dürfen, ihre Ansprüche in einem anderen Mitgliedstaat geltend machen zu müssen.244 Eine Gerichtsstandfiktion analog dieser Vor-

237

Vgl. Bungert/de Raet, DB 2014, 761 (764); Hoffmann, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 54, Rn. 16; Stiegler, Rechtsformwechsel, 2013, S. 77; Thümmel, Formwechsel, 2013, S. 283 f.; Vossius, in: Widmann/Mayer, UmwR, 134. EL (2012), § 191 UmwG, Rn. 53 und 142; im Ergebnis offenbar auch Frobenius, DStR 2009, 487 (489); Otte/Rietschel, GmbHR 2009, 983 (986); Wasmeier, Umstrukturierung, 2014, S. 144. 238 Frobenius, DStR 2009, 487 (489). 239 Frobenius, DStR 2009, 487 (489). 240 Vgl. Hoffmann, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 54, Rn. 16; Stiegler, Rechtsformwechsel, 2013, S. 76. 241 Vgl. Hoffmann, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 54, Rn. 16; Stiegler, Rechtsformwechsel, 2013, S. 76. 242 Vgl. Drygala, in: Lutter, UmwG, Bd. I, § 1, Rn. 38; Frowein, Sitzverlegung, 2001, S. 141; Stiegler, KSzW 2014, 107 (114); offenbar auch Jaensch, EWS 2007, 97 (105); Verse, ZEuP 2013, 458 (485). 243 Vgl. Frowein, Sitzverlegung, 2001, S. 141. 244 Verse, ZEuP 2013, 458 (485).

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schrift sei jedoch der zeitlichen Vorverlagerung des Gläubigerschutzes als milderes Mittel vorzuziehen.245 Letztgenannte Rechtsauffassung verdient im Ergebnis Zustimmung. Bei grenzüberschreitenden Formwechseln besteht für Gesellschaftsgläubiger eine vergleichbare Gefährdungslage wie bei innerstaatlichen Umwandlungen (vgl. § 6 II. 1.). Der Standpunkt des Gesetzgebers, Gesellschaftsgläubiger bedürften eines besonderen Schutzes, weil Vermögensverlagerungen in den Aufnahmestaat die spätere Durchsetzung von Gläubigerforderungen faktisch erschweren könnten246, überzeugt nicht. Richtigerweise handelt es sich bei grenzüberschreitenden Vermögensverlagerungen nicht um ein formwechselbedingtes Risiko.247 Zwar unterstehen grenzüberschreitende Formwechsel nur dann dem Schutz der Niederlassungsfreiheit, wenn die Gesellschaft im Aufnahmestaat den Tatbestand der Niederlassung erfüllt (vgl. § 4 IV. 2. c)). Die Umwandlung setzt dementsprechend in gewissem Maße eine Allokation von Vermögensgegenständen im Aufnahmestaat voraus. Gesellschaften können Vermögensgegenstände im Binnenmarkt jedoch unabhängig von einer Umwandlung überwiegend restriktionsfrei verlagern. Durch solche Vorgänge hervorgerufene Risiken für Gesellschaftsgläubiger werden durch die Vornahme eines grenzüberschreitenden Formwechsels nicht vergrößert. Allein die Tatsache, dass Gläubigeransprüche möglicherweise im Aufnahmestaat durchgesetzt werden müssen, begründet angesichts des Entwicklungsstandes des europäischen Zivilprozessrechts ebenfalls kein Erfordernis einer Sicherheitsleistung ex ante.248 Die Gesellschaftsgläubiger bedürfen demnach keines über die §§ 204, 22 UmwG hinausgehenden Schutzes. Die analoge Anwendung der §§ 122j UmwG, 13 SEAG ist nicht erforderlich und daher unionsrechtlich nicht zu rechtfertigen. bb) Tatbestandliche Voraussetzungen Unabhängig davon, zu welchem Zeitpunkt die Gesellschaft einen Anspruch auf Sicherheitsleistung zu befriedigen hat, stellt sich vorrangig die Frage, unter welchen Voraussetzungen einem Gesellschaftsgläubiger ein solcher Anspruch überhaupt zusteht. Die §§ 204, 22 Abs. 1 S. 2 UmwG, § 122j Abs. 1 S. 2 UmwG sowie § 13 Abs. 1 S. 2 SEAG setzen übereinstimmend voraus, dass ein Gläubiger glaubhaft machen kann, dass die Erfüllung seiner Forderung durch die Umwandlung gefährdet wird. Fraglich ist daher, ob die

245

Vgl. Verse, ZEuP 2013, 458 (485). Vgl. BT-Drs. 15/3405, S. 35 zur grenzüberschreitenden Sitzverlegung der SE. 247 Vgl. Hoger, Kontinuität, 2008, S. 281; Ringe, Sitzverlegung, 2006, S. 130; Wasmeier, Umstrukturierung, 2014, S. 202. 248 Im Ergebnis auch Stiegler, KSzW 2014, 107 (114). 246

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Tatsache der Vornahme eines grenzüberschreitenden Formwechsels als solche für eine Glaubhaftmachung ausreicht.249 Wie bereits dargelegt entsteht eine Gefährdung der Gesellschaftsgläubiger beim Formwechsel in der Regel nicht durch den Wechsel der gesetzlichen Verbandsverfassung als solche, sondern durch ein Verhalten der Anteilsinhaber, welches das neue Gesellschaftsstatut ermöglicht (vgl. § 6 II. 1.). Die Erfüllungsaussichten der Gesellschaftsgläubiger verschlechtern sich oftmals erst dann, wenn die Anteilsinhaber vormals gebundenes Gesellschaftsvermögen in ihr Privatvermögen überführen oder sonstige weitere Umstände hinzukommen. Sofern Unterschiede der gesetzlichen Verbandsverfassung der Ausgangs- und Zielrechtsform im Hinblick auf Gesellschafterhaftung sowie Kapitalbindung als solche nicht bereits die Gefährdung von Gläubigerforderungen indizieren, dürfte es Gesellschaftsgläubigern regelmäßig schwerfallen, ein formwechselbedingtes Ausfallrisiko glaubhaft zu machen. Ohne weitere Substantiierung hätte die Behauptung, ein das Haftungssubstrat der Gesellschaft schmälernder Eingriff seitens der Anteilsinhaber stünde bevor, spekulativen Charakter und würde eine Forderungsgefährdung nicht wahrscheinlich erscheinen lassen.250 Für eine Gleichstellung der Gefährdung der Forderungserfüllung und der Absenkung des Niveaus des institutionellen Gläubigerschutzes nach dem Gesellschaftsstatut der Zielrechtsform lässt sich anführen, dass der Gesetzgeber beides in anderem Zusammenhang wertungsmäßig auf eine Stufe stellt.251 Die §§ 58 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG, 225 Abs. 1 AktG räumen Gesellschaftsgläubigern im Falle der Kapitalherabsetzung einer GmbH oder AG einen Anspruch auf Sicherheitsleistung ein, obgleich die Kapitalherabsetzung als solche ebenso wenig wie ein Formwechsel eine konkrete Gefahr des Forderungsausfalls begründet.252 Nach einhellig vertretener Auffassung setzt der Anspruch auf Sicherheitsleistung gemäß §§ 204, 22 UmwG jedoch eine durch den Formwechsel verursachte konkrete Gefahr für die Erfüllung von Gesellschaftsverbindlichkeiten voraus.253 Gleiches gilt bei der grenzüberschreitenden Verschmelzung254

249 Dafür Engert, in: Eidenmüller, Ausländische Kapitalgesellschaften, § 4, Rn. 131; offenbar auch Stiegler, Rechtsformwechsel, 2013, S. 77. 250 Vgl. Frowein, Sitzverlegung, 2001, S. 142. 251 Vgl. Frowein, Sitzverlegung, 2001, S. 142. 252 Vgl. Frowein, Sitzverlegung, 2001, S. 142. 253 Vgl. BGH, NJW 2002, 2168 (2169); Decher/Hoger, in: Lutter, UmwG, Bd. II, § 204, Rn. 13; Grunewald, in: Lutter, UmwG, Bd. I, § 22, Rn. 12; Hoger, Kontinuität, 2008, S. 145; Maier-Reimer/Seulen, in: Semler/Stengel, UmwG, § 22, Rn. 32; Marsch-Barner, in: Kallmeyer, UmwG, § 22, Rn. 7. 254 Vgl. Bayer, in: Lutter, UmwG, Bd. I, § 122j, Rn. 14; Drinhausen, in: Semler/ Stengel, UmwG, § 122j, Rn. 9; Hörtnagl, in: Schmitt/Hörtnagl/Stratz, UmwG/UmwStG, § 122j UmwG, Rn. 8; Marsch-Barner, in: Kallmeyer, UmwG, § 122j, Rn. 7.

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sowie der grenzüberschreitenden Sitzverlegung einer SE255. Für diese Auslegung lässt sich ein gesetzesübergreifender Vergleich gesetzlicher Regelungen von Ansprüchen auf Sicherheitsleistung ins Feld führen. Wo der Gesetzgeber eine abstrakte Gefahr ausreichen lassen will, stellt er die Gesellschaftsgläubiger von vornherein von jeglicher Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der Gefährdung ihrer Ansprüche frei (vgl. §§ 58 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG, 225 Abs. 1 AktG).256 Eine konkrete Gefahr setzt voraus, dass die Gesellschaft infolge des Formwechsels in absehbarer Zeit mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zumindest teilweise nicht dazu imstande sein wird, die Ansprüche einzelner Gläubiger zu befriedigen.257 Ein Formwechsel gefährdet die Erfüllung von Gesellschaftsverbindlichkeiten jedoch in der Regel nur abstrakt, d.h. er begründet lediglich die Gefahr, dass sich das Nichterfüllungsrisiko erhöht.258 Zu einer konkreten Gefahr für die Erfüllungsaussichten, d.h. zu einem spürbar erhöhten Nichterfüllungsrisiko, verdichtet sich dieser Zustand erst, wenn das Haftungssubstrat der Gesellschaft tatsächlich – und nicht bloß bilanziell – geschmälert wird oder sich der Nominalwert offener Verbindlichkeiten erhöht.259 Allein der Umstand, dass ein Formwechsel eine Verringerung der Kapitalziffer beziehungsweise eine Lockerung oder einen Wegfall der Kapitalbindung bewirkt, reicht für die Glaubhaftmachung einer konkreten Gefahr daher nicht aus.260 Der Verweis auf die Umwandlung als solche begründet daher nach überwiegender Auffassung keinen Anspruch der Gesellschaftsgläubiger auf Sicherheitsleistung.261 Vereinzelt wird zumindest eine nicht bloß unbedeutende Vermögensverschiebung in den Aufnahmestaat verlangt, welche die Durchsetzung des Anspruchs tatsächlich erschwert.262 255 Vgl. BT-Drs. 15/3405, S. 35; Hoger, Kontinuität, 2008, S. 280; Hunger, in: Jannott/ Frodermann, Hdb. SE, Kap. 9, Rn. 120 ff.; Schröder, in: Manz/Mayer/Schröder, Europäische Aktiengesellschaft, Art. 8 SE-VO, Rn. 152; Wasmeier, Umstrukturierung, 2014, S. 204 f. 256 Hoger, Kontinuität, 2008, S. 145. 257 Hoger, Kontinuität, 2008, S. 146. 258 Vgl. Hoger, Kontinuität, 2008, S. 146. 259 Hoger, Kontinuität, 2008, S. 146. 260 Vgl. Frowein, Sitzverlegung, 2001, S. 146; Hoger, Kontinuität, 2008, S. 147; siehe zur grenzüberschreitenden Verschmelzung auch Drinhausen, in: Semler/Stengel, UmwG, § 122j, Rn. 9; Hörtnagl, in: Schmitt/Hörtnagl/Stratz, UmwG/UmwStG, § 122j UmwG, Rn. 8; a.A. offenbar Stiegler, KSzW 2014, 107 (114), dem zufolge eine konkrete Gefährdung in der Konstellation des Herausformwechsels tendenziell eher glaubhaft gemacht werden kann. 261 Vgl. Drygala, in: Lutter, UmwG, Bd. I, § 1, Rn. 38; Frobenius, DStR 2009, 487 (489); Hoger, Kontinuität, 2008, S. 148 und 280; Otte/Rietschel, GmbHR 2009, 983 (986); siehe zur grenzüberschreitenden Verschmelzung auch Drinhausen, in: Semler/Stengel, UmwG, § 122j, Rn. 9; Hörtnagl, in: Schmitt/Hörtnagl/Stratz, UmwG/UmwStG, § 122j UmwG, Rn. 8. 262 Vgl. Frobenius, DStR 2009, 487 (489); Otte/Rietschel, GmbHR 2009, 983 (986).

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Aufgrund dessen wird es den Gesellschaftsgläubigern in aller Regel nicht gelingen, glaubhaft zu machen, dass die Erfüllung ihrer Forderungen durch die Umwandlung konkret gefährdet wird.263 Das Schutzinstrument des Anspruchs auf Sicherheitsleistung droht somit zum Nachteil der Gesellschaftsgläubiger faktisch leerzulaufen. c) Haftung der Verwaltungsträger Beim innerstaatlichen Formwechsel sind die Verwaltungsträger des formwechselnden Rechtsträgers gemäß §§ 205 f. UmwG als Gesamtschuldner verpflichtet, den Gesellschaftsgläubigern den Schaden zu ersetzen, welche diese durch die Durchführung des Formwechsels erleiden. Eine vergleichbare Regelung findet sich weder in den §§ 122a ff. UmwG für die grenzüberschreitende Verschmelzung noch in Art. 8 SE-VO, §§ 12 ff. SEAG für die Sitzverlegung einer SE. Das Gesetz sieht als Korrektiv für die in § 202 Abs. 3 UmwG bestimmte Irreversibilität des Formwechsels nach der Registereintragung einen Ersatzanspruch für etwaige Rechtseinbußen der Gesellschaftsgläubiger vor.264 Ersatzfähig sind allerdings nur Schäden, die durch die Umwandlung aufgrund eines tatbestandlichen Organhandelns im Sinne des § 205 UmwG entstanden sind.265 Mindestvoraussetzung hierfür ist, dass die Einzelschäden der Gesellschaftsgläubiger auf einer Pflichtverletzung der Verwaltungsträger beruhen.266 Zudem ist die Verwaltungsträgerhaftung gemäß §§ 206 S. 3, 26 Abs. 1 S. 3 UmwG gegenüber dem Recht auf Sicherheitsleistung subsidiär.267 Dementsprechend ist zweifelhaft, ob überhaupt Anwendungsfälle existieren, in denen die §§ 205 f. UmwG Gesellschaftsgläubiger schützen könnten.268 Im grenzüberschreitenden Kontext gilt es Folgendes zu beachten. Die Verjährung von Ersatzansprüchen im Sinne des § 205 Abs. 1 UmwG beginnt gemäß § 205 Abs. 2 UmwG mit dem Tag, an dem die Eintragung der Zielrechtsform in das Register bekannt gemacht worden ist. Fristauslösendes Ereignis ist – wie bei der Begrenzung der Nachhaftung von Gesellschaftern gemäß § 224 Abs. 3 UmwG – die Bekanntmachung der Wirksamkeit des Formwechsel durch das deutsche Registergericht gemäß den §§ 198 Abs. 2 S. 3, 201 UmwG (vgl. § 6 III. 2. a) aa)). Die Bestellung des zur Geltendma263

Vgl. Hoger, Kontinuität, 2008, S. 147. Vgl. BT-Drs. 12/6699, S. 145; Hoger, Kontinuität, 2008, S. 154. 265 Hoger, Kontinuität, 2008, S. 154. 266 Vgl. Hoger, Kontinuität, 2008, S. 155; Kübler, in: Semler/Stengel, UmwG, § 205, Rn. 18; Meister/Klöcker, in: Kallmeyer, UmwG, § 205, Rn. 13. 267 Vgl. Hoger, Kontinuität, 2008, S. 154 f.; Kübler, in: Semler/Stengel, UmwG, § 206, Rn. 6. 268 Vgl. Hoger, Kontinuität, 2008, S. 155; Kübler, in: Semler/Stengel, UmwG, § 205, Rn. 16 f.; Meister/Klöcker, in: Kallmeyer, UmwG, § 205, Rn. 11 f. 264

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chung von Schadensersatzansprüchen befugten besonderen Vertreters gemäß § 206 S. 2 UmwG hat – entgegen der für innerstaatliche Formwechsel geltenden gesetzlichen Regelung – durch das für den formwechselnden Rechtsträger zuständige deutsche Registergericht zu erfolgen. 269 Im grenzüberschreitenden Kontext ergibt sich dies daraus, dass der Schutz von Gesellschaftsgläubigern bei grenzüberschreitenden Formwechseln dem Herkunftsstaat obliegt (vgl. § 5 II. 1.). Zudem müsste die zuständige Stelle des Aufnahmestaates andernfalls deutsches Verfahrensrecht anwenden, was zum einen dem internationalprivatrechtlichen Grundsatz der lex fori widerspräche und zum anderen nicht praxisgerecht wäre, weil die Stelle mit den materiellen Regelungen des Umwandlungsgesetzes nicht vertraut seien dürfte. d) Perpetuierung eines allgemeinen Gerichtsstands im Inland? Die Rechtsposition von Gesellschaftsgläubigern droht sich zu verschlechtern, sofern der allgemeine Gerichtsstand der Gesellschaft im Inland infolge eines grenzüberschreitenden Formwechsels entfällt. Sofern kein ausschließlicher oder besonderer Gerichtsstand im Inland begründet ist, kann die Gesellschaft fortan nicht mehr vor deutschen Gerichten verklagt werden (vgl. § 6 II 1. e)). In einer vergleichbaren Situation befinden sich die Gesellschaftsgläubiger bei der grenzüberschreitenden Sitzverlegung einer SE. Gemäß Art. 8 Abs. 16 SEVO gilt eine SE in Bezug auf alle Forderungen, welche vor der Sitzverlegung entstanden sind, als SE mit Sitz im Herkunftsstaat, auch wenn die Gesellschaft erst nach der Sitzverlegung verklagt wird. Die Regelung soll verhindern, dass die Gesellschaftsgläubiger durch die Sitzverlegung benachteiligt werden.270 Sie sorgt für eine Kontinuität des Prozessrechtsregimes und gewährleistet, dass Gesellschaftsgläubiger ihre Forderungen auch nach der Sitzverlegung wie zuvor gerichtlich verfolgen können.271 Aufgrund der Fiktion des Art. 8 Abs. 16 SE-VO, dass der statuarische Sitz der SE weiterhin im Herkunftsstaat liegt, können Gesellschaftsgläubiger die Gesellschaft weiterhin gemäß den Art. 2 Abs. 1, 60 Abs. 1 lit. a) EuGVVO im Herkunftsstaat verklagen.272 Im Schrifttum wird bei grenzüberschreitenden Formwechseln eine fortdauernde Gerichtspflichtigkeit des formwechselnden Rechtsträgers im Herkunfts269

Anders Jaensch, EWS 2007, 97 (105) bezüglich der Konstellation des Hereinformwechsels. 270 Vgl. Ringe, Sitzverlegung, 2006, S. 183; Schröder, in: Manz/Mayer/Schröder, Europäische Aktiengesellschaft, Art. 8 SE-VO, Rn. 131; Wasmeier, Umstrukturierung, 2014, S. 202. 271 Vgl. Hoger, Kontinuität, 2008, S. 292; Ringe, Sitzverlegung, 2006, S. 187; Wasmeier, Umstrukturierung, 2014, S. 202. 272 Vgl. Ringe, Sitzverlegung, 2006, S. 187; Schröder, in: Manz/Mayer/Schröder, Europäische Aktiengesellschaft, Art. 8 SE-VO, Rn. 134; Zimmer/Ringe, in: Lutter/Hommelhoff, SE-Kommentar, Art. 8 SE-VO, Rn. 97.

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staat teils befürwortet.273 Im Hinblick auf die drohende Änderung der internationalen Zuständigkeit der Gerichte dürfe man zum Schutze der Gesellschaftsgläubiger besondere Vorkehrungen treffen.274 Im Vergleich zur Sitzverlegung der SE komme der Perpetuierung des Gerichtsstands bei grenzüberschreitenden Formwechseln eine größere Bedeutung zu, weil mit der Umwandlung regelmäßig eine Änderung der Gesellschaftsstruktur und Haftung einhergehe, während die Struktur der SE bei der Sitzverlegung grundsätzlich unangetastet bleibe.275 Da für innerstaatliche Formwechsel eine Gerichtsstandsfiktion am Sitz des formwechselnden Rechtsträgers in Fällen einer mit der Umwandlung verbundenen Sitzverlegung (vgl. § 198 Abs. 2 S. 2 Hs. 2 UmwG) gesetzlich nicht vorgesehen ist, ist die Frage aufgeworfen, ob die analoge Anwendung des Art. 8 Abs. 16 SE-VO auf Herausformwechsel deutscher Gesellschaften unionsrechtlich zulässig ist. Sofern der formwechselnde Rechtsträger seine Geschäftstätigkeit vollständig in den Aufnahmestaat verlagert, ist eine Gerichtsstandsperpetuierung im Herkunftsstaat aus dessen Perspektive nachteilig. Rechtsstreitigkeiten könnten weiterhin vor den Gerichten des Herkunftsstaates ausgetragen werden, ohne dass die Gesellschaft dort noch strukturell verankert wäre. Die Aussicht, im Herkunftsstaat weiterhin verklagt werden zu können, macht den Wegzug im Wege eines grenzüberschreitenden Formwechsels freilich weniger attraktiv und stellt daher eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit der Gesellschaft dar. Zwar dürfte die Gerichtsstandsperpetuierung zum Schutz der Gesellschaftsgläubiger geeignet sein, weil sie es im Herkunftsstaat zurückbleibenden Gläubigern erleichtert, ihre Forderungen gegen die Gesellschaft gerichtlich geltend zu machen. Es erscheint jedoch zweifelhaft, ob eine Gerichtsstandsfiktion in Analogie zu Art. 8 Abs. 16 SE-VO auch erforderlich ist. Sofern man den Herkunftsstaat an den Äquivalenzgrundsatz gebunden sieht (vgl. § 6 III. 1.), ist die analoge Anwendung von Art. 8 Abs. 16 SE-VO unionsrechtlich ebenfalls erhöhten Rechtfertigungsanforderungen unterworfen. Da der Gesetzgeber bei innerstaatlichen Formwechseln ein solches Schutzinstrument – auch im Falle einer mit der Umwandlung einhergehenden Sitzverlegung – nicht für notwendig hält, müssten zwischen innerstaatlichen und grenzüberschreitenden Formwechseln gewichtige Unterschiede bestehen, um eine analoge Anwendung von Art. 8 Abs. 16 SE-VO rechtfertigen zu können. Grundsätzliche Vorbehalte gegen das qualitative Niveau der Rechtsprechung sowie die Effektivität der Arbeitsweise der Gerichte und Justizverwaltungen anderer Mitgliedstaaten dürften angesichts des Entwicklungsstandes des europäischen 273 Vgl. V. Braun, Wegzugsfreiheit, 2010, S. 252 f.; Weller, FS Blaurock, 2013, 497 (514); erwägend auch W.-H. Roth, FS Heldrich, 2005, 973 (989). 274 Vgl. W.-H. Roth, FS Heldrich, 2005, 973 (989). 275 Vgl. V. Braun, Wegzugsfreiheit, 2010, S. 253.

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Zivilverfahrensrechts vor dem EuGH kein Gehör mehr finden. Unterschiede zu innerstaatlichen Formwechseln könnten sich aus der potentiell größeren räumlichen Distanz zwischen dem Sitz der Ausgangs- und der Zielrechtsform ergeben. Der finanzielle und zeitliche Aufwand der gerichtlichen Geltendmachung von Ansprüchen in einem anderen Mitgliedstaat müsste größer sein. Angesichts der Entwicklung der Verkehrsinfrastruktur im Binnenmarkt und der sprunghaft gewachsenen Möglichkeiten elektronischer Kommunikation dürfte dieser Einwand jedoch ebenfalls nicht mehr verfangen. Dies gilt gleichermaßen für den Verweis auf unterschiedliche Gerichtssprachen im Herkunfts- und Aufnahmestaat. In aller Regel müssen sich Gesellschaftsgläubiger in Rechtstreitigkeiten vor deutschen Zivilgerichten anwaltlich vertreten lassen (vgl. § 78 Abs. 1 ZPO). Ihnen entsteht daher kein formwechselbedingter Nachteil, wenn sie sich aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse vor den Gerichten des Aufnahmestaates durch einen dort zugelassenen und der Sprache mächtigen Rechtsanwalt vertreten lassen müssen. Zwischen innerstaatlichen und grenzüberschreitenden Formwechseln bestehen demnach keine derart gravierenden Unterschiede, welche eine analoge Anwendung von Art. 8 Abs. 16 SE-VO rechtfertigen könnte. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Formwechsel zu einem vollständigen Wegfall der Gerichtspflichtigkeit im Herkunftsstaat führt, sollte ohnehin nicht überschätzt werden.276 Zum einen muss die Umwandlung nicht dazu führen, dass sämtliche Anknüpfungspunkte der Gesellschaft im Sinne der Art. 2 Abs. 1, 60 Abs. 1 EuGVVO im Herkunftsstaat gelöst werden (vgl. § 4 IV. 2. c)). Ist dies nicht der Fall, bleibt ohnehin ein allgemeiner Gerichtsstand im Herkunftsstaat zurück. Zum anderen wird für viele Gläubigerbeziehungen zur Gesellschaft vertraglich ein besonderer Gerichtsstand für die aus dem jeweiligen Rechtsverhältnis entstehen Streitigkeiten vereinbart sein (vgl. § 38 ZPO). Ausschließliche Gerichtsstände haben ohnehin Vorrang. e) Unionsrechtliche Bedenken? Da der EuGH in der Rechtssache VALE die Schutzwürdigkeit der Interessen der Gesellschaftsgläubiger bekräftigt hat277, liegt es nahe, die auf innerstaatliche Formwechsel zugeschnittenen Regelungen des Umwandlungsgesetzes zum Schutz der Gesellschaftsgläubiger auch auf grenzüberschreitende Herausformwechsel deutscher Gesellschaften anzuwenden. Im grenzüberschreitenden Kontext besteht ein vergleichbares Schutzbedürfnis (vgl. § 6 II. 1.). Da das Schutzkonzept des Umwandlungsgesetzes – persönliche Gesellschafterhaftung für Altverbindlichkeiten, Anspruch der Gesellschaftsgläubiger auf Sicherheitsleistung sowie Haftung der Verwaltungsträger für pflichtwidrige Schädigung der Gesellschaftsgläubiger –grenzüberschreitende Formwechsel 276 277

Im Ergebnis auch Gillessen, Sitzverlegung, 2000, S. 256 ff. Vgl EuGH, Urteil vom 12.7.2012, Rs. C-378/10 – VALE Építési, Rn. 39.

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aus Gesellschaftssicht weniger attraktiv macht und daher die Niederlassungsfreiheit der Gesellschaft beschränkt, muss es sich an den Kriterien der Gebhard-Formel messen lassen (vgl. § 3 III. 4. b)). Die Vorgaben, welche das nationale Gesellschaftsrecht für innerstaatliche Formwechsel aus Gründen des Gläubigerschutzes vorsieht, sollen nach verbreiteter Auffassung mit der Niederlassungsfreiheit vereinbar sein.278 Nachfolgend wird untersucht, ob diese – oftmals pauschal vorgebrachte – Behauptung zutreffend ist. Die Schutzinstrumente des deutschen Rechts sollen den verschiedenen formwechselbedingten Gefährdungslagen der Gesellschaftsgläubiger begegnen und ergänzen sich gegenseitig zu einem Gesamtschutzkonzept. Die Geeignetheit und Erforderlichkeit der Regelungen ist daher einheitlich zu beurteilen. Die konkrete Gefährdungslage der Gesellschaftsgläubiger ist freilich von der individuellen Formwechselkonstellation abhängig. Ob die gesetzliche Verbandsverfassung der konkreten Zielrechtsform einen dem deutschen Recht äquivalenten Gläubigerschutz bereithält, kann für die Frage der unionsrechtlichen Zulässigkeit abstrakt-genereller Schutzvorschriften jedoch keine Rolle spielen. Gesetzliche Regelungen müssen sich an typischerweise vorkommenden Gefährdungslagen orientieren. Ein gewisser Grad an Abstraktion von der spezifischen Umwandlungssituation ist erforderlich, um der schieren Fülle potentieller Formwechselmöglichkeiten zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten Herr zu werden. Eine detaillierte gesetzliche Regelung sämtlicher potentieller Umwandlungsmöglichkeiten kann vom Gesetzgeber nicht erwartet werden. Sofern im Einzelfall kein Schutzdefizit besteht, muss eine Korrektur durch eine restriktive Anwendung der gesetzlichen Regelungen seitens der Gerichte stattfinden. Solche Umstände muss der formwechselnde Rechtsträger im Streitfall etwa durch Vorlage eines rechtsvergleichenden Gutachtens darlegen. aa) Geeignetheit Hoger hat gezeigt, dass die Schutzinstrumente des Umwandlungsgesetzes nur bedingt geeignet sind, Gesellschaftsgläubiger vor formwechselbedingten Risiken zu schützen. 279 Es ist sein Verdienst, die zahlreichen Inkongruenzen zwischen den Gläubigerrisiken und Gläubigerinteressen einerseits und dem durch die umwandlungsrechtlichen Instrumente vermittelten Schutz anderer-

278 Vgl. Behrens/Hoffmann, in: GroßKomm-GmbHG, Bd. I, IntGesR, Rn. B163; Frobenius, DStR 2009, 487 (489); Wicke, DStR 2012, 1756 (1758); der Sache nach auch Hennrichs u.a., WM 2009, 2009 (2015); Hoffmann, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 54, Rn. 4; W.-H. Roth, FS Hoffmann-Becking, 2013, 965 (978); Verse, ZEuP 2013, 458 (482); Weller, FS Blaurock, 2013, 497 (523). 279 Vgl. Hoger, Kontinuität, 2008, S. 133 ff.

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seits aufgedeckt zu haben.280 Zunächst ist der durch die persönliche Gesellschafterhaftung für Altverbindlichkeiten vermittelte Gläubigerschutz unzureichend.281 Im Falle des Formwechsels einer Kapital- in eine Personengesellschaft genügt die persönliche Gesellschafterhaftung für Altverbindlichkeiten nicht, um den durch den Entfall der Kapitalbindung ermöglichten Transfer von Haftungssubstrat in die Privatvermögensphäre der Gesellschafter in allen denkbaren Konstellationen auszugleichen.282 Auch der Anspruch auf Sicherheitsleistung wird seinem Zweck, als zentrales Gläubigerschutzinstrument zu fungieren, bereits auf Tatbestandsebene nicht gerecht.283 Das Erfordernis der Glaubhaftmachung einer konkreten Gefahr erweist sich als große Schwäche des Schutzinstruments und führt letztlich dazu, dass der Anspruch auf Sicherheitsleistung seinen Schutzzweck verfehlt.284 Da die Informationsbasis der Gesellschaftsgläubiger in aller Regel denkbar schlecht ist, ist es so gut wie ausgeschlossen, dass sie eine konkrete Gefährdung glaubhaft machen können, bevor sich das Ausfallrisiko bereits realisiert hat.285 Allenfalls in Einzelfällen ist der Anspruch auf Sicherheitsleistung in der Lage, bei der Umwandlung zwischen Kapital- und Personengesellschaften einen über die persönliche Haftung hinausgehenden Gläubigerschutz zu gewährleisten; den Gläubigerinteressen beim Formwechsel zwischen Kapitalgesellschaften genügt er nicht.286 Auch die Schadensersatzpflicht der Verwaltungsträger ist nur ein begrenzt effektives Schutzinstrument, weil das Umwandlungsgesetz diesen keine über die Anforderungen des Gesetzes an einen ordnungsgemäßen Formwechsel hinausgehenden Pflichten zugunsten der Gesellschaftsgläubiger auferlegt.287 Vor diesem Hintergrund ist zweifelhaft, ob das Schutzinstrumentarium des Umwandlungsgesetzes zur Erfüllung des zwingenden Allgemeininteresses des Gläubigerschutzes überhaupt geeignet ist. Angesichts der zahlreichen Schwächen der gesetzlichen Regelungen werden die Gesellschaftsgläubiger durch das Umwandlungsrecht nicht hinreichend vor formwechselbedingten Gefahren geschützt. Das Unionsrecht verlangt jedoch nicht, dass das verfolgte zwingende Allgemeininteresse durch das mitgliedstaatliche Schutzkonzept optimal verwirklicht wird (vgl. § 3 III. 4. b) cc)). Es genügt, dass das Allgemeinwohlinteresse zumindest gefördert wird. Allenfalls wenn die seitens 280

Vgl. zum Ergebnis der Analyse Hoger, Kontinuität, 2008, S. 167. Vgl. Hoger, Kontinuität, 2008, S. 135 ff. 282 Hoger, Kontinuität, 2008, S. 142 f. 283 Vgl. Böttcher, Formwechsel, 2006, S. 70 f.; Hoger, Kontinuität, 2008, S. 144 ff. 284 Vgl. Hoger, Kontinuität, 2008, S. 149; kritisch bereits K. Schmidt, ZGR 1993, 366 (382), der das Erfordernis der Glaubhaftmachung etwa beim Formwechsel einer Kapitalgesellschaft in eine Personengesellschaft ablehnt. 285 Vgl. Hoger, Kontinuität, 2008, S. 153. 286 Hoger, Kontinuität, 2008, S. 153 f. 287 Vgl. Hoger, Kontinuität, 2008, S. 156. 281

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eines Mitgliedstaates ergriffenen Maßnahmen völlig untauglich sind oder ein Mitgliedstaat das zwingende Allgemeininteresse nicht konsequent verfolgt, ist die Geeignetheit der Maßnahmen zu verneinen. Trotz der dargelegten Schwächen der umwandlungsrechtlichen Regelungen dürfte das Gläubigerschutzkonzept des Umwandlungsgesetzes diesem Maßstab standhalten. Der Schutz der Gläubiger wird zumindest gefördert. Zudem muss berücksichtigt werden, dass sämtliche Gläubigerschutzinstrumente aufgrund ihres begrenzten tatbestandlichen Anwendungsbereichs auch nur eine begrenzte niederlassungsbeschränkende Wirkung entfalten. Da etwa der Anspruch auf Sicherheitsleistung die Glaubhaftmachung einer konkreten Gefährdung voraussetzt, ist die Gesellschaft in aller Regel nicht verpflichtet, den Gesellschafsgläubigern Sicherheit zu leisten. Dementsprechend gering ist dann jedoch auf der anderen Seite die niederlassungsbeschränkende Wirkung des Schutzinstruments. Paradoxerweise führen die Schwächen des gesetzlichen Schutzkonzepts dazu, dass die unionsrechtlichen Rechtfertigungsanforderungen weniger hoch anzusetzen sind. Im Ergebnis sind die gesetzlichen Schutzinstrumente zur Förderung des Gläubigerschutzes jedenfalls geeignet. bb) Erforderlichkeit Die umwandlungsrechtlichen Schutzinstrumente müssen nicht nur geeignet sein, den Schutz der Gesellschaftsgläubiger zumindest zu fördern, sondern zudem das Mittel darstellen, welches die Niederlassungsfreiheit der Gesellschaft am wenigsten beeinträchtigt (vgl. § 3 III. 4. b) dd)). Dies bedeutet jedoch nicht, dass die im Umwandlungsgesetz vorgesehenen Schutzinstrumente unionsrechtlich unzulässig wären, weil andere Mitgliedstaaten andersartige, die Gesellschaft möglicherweise weniger belastende Schutzkonzepte vorsehen.288 Jedem Mitgliedstaat bleibt es im Ausgangspunkt selbst überlassen, das erwünschte Schutzniveau zu definieren. Es gilt eine Balance herzustellen zwischen den Interessen der Gesellschaftsgläubiger an der Bewahrung ihrer Rechtsposition und dem Interesse der Gesellschaft, die Umwandlung möglichst frei von rechtlichen und finanziellen Belastungen vornehmen zu können. Der Schutz der Gesellschaftsgläubiger nach dem Gesellschaftsstatut der Zielrechtsform kann weniger stark ausgeprägt sein oder zumindest durch andersartige Schutzmechanismen verwirklicht werden (vgl. § 6 II. 1.). Die Vorschriften des Umwandlungsgesetzes verfolgen das Ziel, ein insoweit bestehendes Schutzgefälle zu kompensieren. Die Gesellschaftsgläubiger haben mit einer bestimmten Rechtsform deutschen Rechts kontrahiert und schutzwürdiges Vertrauen in die Anwendbarkeit der Schutzvorschriften des deutschen Gesellschaftsrechts gesetzt. Wie vorstehend dargelegt reichen die um288

Anders offenbar Ege/Klett, DStR 2012, 2442 (2445).

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wandlungsrechtlichen Schutzinstrumente nicht aus, um die Gesellschaftsgläubiger vor sämtlichen formwechselbedingten Risiken zu schützen (vgl. § 6 III. 2. e) aa)). Strengere Gläubigerschutzmaßnahmen könnten vor diesem Hintergrund durchaus unionsrechtlich gerechtfertigt werden. Notwendig wäre etwa ein gesetzlicher Anspruch der Gesellschaftsgläubiger auf Sicherheitsleistung, welcher tatbestandlich bereits eingreift, wenn sich durch den Formwechsel das Risiko der Gesellschaftsgläubiger, mit ihren Forderungen gegen den formwechselnden Rechtsträger auszufallen, lediglich abstrakt erhöht. Der Ausgleich der gegenläufigen Interessen von Gesellschaftsgläubigern und Gesellschaft durch das derzeitige Gläubigerschutzkonzept des Umwandlungsgesetzes ist jedenfalls unionsrechtlich nicht zu beanstanden.289 Es sind keine Gläubigerschutzinstrumente ersichtlich, welche den (ohnehin verbesserungswürdigen) Schutz gleichermaßen effektiv aber für die Gesellschaft weniger belastend herstellen würden. Eine restriktive Anwendung der deutschen Schutzvorschriften auf grenzüberschreitende Herausformwechsel deutscher Gesellschaften wird von der Niederlassungsfreiheit allenfalls dann gefordert, wenn eine Gefährdung der Gesellschaftsgläubiger durch die Umwandlung gänzlich ausgeschlossen ist. Dies könnte etwa bei einem rechtsformkongruenten Formwechsel zwischen Aktiengesellschaften der Fall sein. Die Gläubigerschutzvorschriften des Aktienrechts der Mitgliedstaaten sind weitgehend harmonisiert.290 Das Aktiengesetz enthält jedoch über das unionsrechtlich gebotene Schutzniveau hinausgehende Gläubigerschutzvorschriften, welche anderen Mitgliedstaaten fremd sind (vgl. § 6 II. 1. d)). Fraglich ist allerdings, ob die Existenz aktienrechtlicher Gläubigerschutzbestimmungen im Herkunftsstaat, welche über das sekundärrechtlich gebotene Maß hinausgehen, es rechtfertigen kann, zugunsten der Gesellschaftsgläubiger umwandlungsrechtliche Schutzinstrumente mit niederlassungsbeschränkender Wirkung anzuwenden. Vereinzelt wird unter Bezugnahme auf den Wortlaut des Art. 50 Abs. 2 lit. g) AEUV die Auffassung vertreten, eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit zur Sicherung des „überschießenden“ Regelungsgehalts eines Mitgliedstaates sei unionsrechtlich nicht zu rechtfertigen, weil die Schutzbestimmungen der Mitgliedstaaten infolge der sekundärrechtlichen Harmonisierung einander „gleichwertig“ seien.291 Dieser Rechtsauffassung kann jedoch nicht gefolgt werden. Da das Unionsrecht den Mitgliedstaaten gestattet, über die sekundärrechtlich vorgeschriebenen Schutzinstrumente hinausgehend einen intensiveren Gläubigerschutz vorzusehen, ist diesen auch gestattet, die Gesellschaftsgläubiger in ihrem Vertrauen auf den Bestand dieser Regelungen zu schützen. Da die 289 Anders Ringe, Sitzverlegung, 2006, S. 129 ff. bezüglich der grenzüberschreitenden Sitzverlegung der SE. 290 Vgl. Frowein, Sitzverlegung, 2001, S. 142 ff. 291 Vgl. Frowein, Sitzverlegung, 2001, S. 145 f.

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gesellschaftsrechtlichen Richtlinien nicht abschließend sind, können von einem rechtsformkongruenten Formwechsel zwischen Aktiengesellschaften Gefahren für Gesellschaftsgläubiger ausgehen (vgl. § 6 II. 1. d)). Dementsprechend sind auch in diesem Fall die umwandlungsrechtlichen Schutzinstrumente zur Anwendung zu bringen. Das Instrumentarium des Umwandlungsgesetzes ist mit der Niederlassungsfreiheit vereinbar und verstößt nicht gegen das Unionsrecht. 3. Maßnahmen zum Schutz der Anteilsinhaber Die Anteilsinhaber einer Gesellschaft haben ein berechtigtes Interesse daran, dass ihre Rechtspositionen durch einen Formwechsel möglichst nicht berührt und etwaige Rechtseinbußen zumindest durch effektive Schutzinstrumente kompensiert werden.292 Zum einen bedarf die Gesellschaftergesamtheit Schutz davor, dass die Verbandsmacht der Gesellschaft durch die zur Geschäftsführung berufenen Personen zu ihrem Nachteil ausgeübt wird.293 Zum anderen sind die Minderheitsgesellschafter dem Risiko ausgesetzt, dass die Gesellschaftermehrheit ihre Einflussnahmemöglichkeit auf die Gesellschaft zu deren Nachteil ausübt.294 Sofern die Entscheidung zugunsten der Umwandlung im Wege eines Mehrheitsbeschlusses getroffen werden kann, besteht stets ein Konfliktpotential zwischen Mehrheits- und Minderheitsgesellschaftern.295 Zum Schutz dissentierender Minderheitsgesellschafter bedarf es umwandlungsrechtlicher Schutzinstrumente, welche die Mehrheitsmacht einschränken. Typischerweise wird widersprechenden Minderheitsgesellschaftern ein Austrittsrecht aus dem formwechselnden Rechtsträger eingeräumt.296 Im grenzüberschreitenden Kontext obliegt der Schutz der Gesellschafter vor formwechselspezifischen Gefahren dem Herkunftsstaat, sodass nach den Grundsätzen der kollisionsrechtlichen Vereinigungstheorie dessen Schutzinstrumente maßgeblich sind (vgl. § 5 II. 1.). Das deutsche Umwandlungsrecht entscheidet beim Herausformwechsel deutscher Gesellschaften namentlich darüber, welcher Mehrheit der Umwandlungsbeschluss der Anteilsinhaber bedarf, durch welche Instrumente der Schutz der Gesellschafterminderheit verwirklicht wird und welche Rechtschutzmöglichkeiten den Anteilsinhabern im Falle der Beeinträchtigung ihrer mitgliedschaftlichen Rechtsposition zustehen.297 292

Vgl. Hoger, Kontinuität, 2008, S. 219. Vgl. Hoger, Kontinuität, 2008, S. 220. 294 Vgl. Hoger, Kontinuität, 2008, S. 220; Mucciarelli, ECFR 2012, 571 (572); Mucciarelli, TJICL 2012, 421 (445 f.). 295 Vgl. Hoger, Kontinuität, 2008, S. 220. 296 Vgl. Mucciarelli, ECFR 2012, 571 (575). 297 Anders Jaensch, EWS 2007, 97 (104), demzufolge beide Rechtsordnungen kumulativ zur Anwendung berufen sind. 293

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a) Umwandlungsrechtliche Zustimmungserfordernisse Umwandlungsrechtliche Zustimmungserfordernisse schützen Gesellschafter in zweierlei Hinsicht: Einerseits begrenzen sie die Handlungsmacht des geschäftsführenden Gesellschaftsorgans, weil der Formwechsel nicht ohne Zustimmung der Gesellschaftergesamtheit vollzogen werden kann.298 Andererseits verleihen sie der Stimme einzelner Gesellschafter vielfach besonderes Gewicht. Besteht ein individueller Zustimmungsvorbehalt zugunsten eines Anteilsinhabers, hat dessen Stimme konstitutiven Charakter für die Wirksamkeit des Umwandlungsbeschlusses.299 Begünstigte Gesellschafter sind vor jedweder nachteiligen Veränderung ihrer mitgliedschaftlichen Rechtsposition geschützt, weil es in ihrer Macht liegt, die Umwandlung gänzlich zu verhindern.300 Für innerstaatliche Formwechsel enthalten die §§ 193, 217, 233, 240, 241, 242 UmwG ein differenziert ausgestaltetes Regelungssystem der Zustimmungserfordernisse: Der Formwechsel einer Personenhandelsgesellschaft bedarf gemäß § 217 Abs. 1 S. 1 UmwG der Zustimmung sämtlicher Gesellschafter. Der Gesellschaftsvertrag kann jedoch gemäß § 217 Abs. 1 S. 2 und 3 UmwG eine qualifizierte Mehrheitsentscheidung ermöglichen. Der Formwechsel einer Kapitalgesellschaft in die Rechtsform einer GbR oder OHG bedarf gemäß § 233 Abs. 1 UmwG ebenfalls der Zustimmung aller Anteilsinhaber. Handelt es sich bei der Zielrechtsform um eine KG, genügt gemäß § 233 Abs. 2 S. 1 UmwG hingegen eine Mehrheit von drei Vierteln der abgegebenen Stimmen beziehungsweise des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals. Zudem ist nach § 233 Abs. 2 S. 3 UmwG die individuelle Zustimmung sämtlicher Gesellschafter erforderlich, welche in der KG die Stellung eines persönlich haftenden Gesellschafters haben sollen. Beim Formwechsel zwischen Kapitalgesellschaften bedarf der Umwandlungsbeschluss gemäß § 240 Abs. 1 S. 1 UmwG ebenfalls einer Mehrheit von drei Vierteln der abgegebenen Stimmen beziehungsweise des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals. Sofern es sich bei der Zielrechtsform um eine KGaA handelt, müssen der Umwandlung nach § 240 Abs. 2 S. 1 UmwG zudem alle Anteilsinhaber zustimmen, welche in der Zielrechtsform die Stellung eines persönlich haftenden Gesellschafters haben sollen. Im Falle einer nicht verhältniswahrenden Umwandlung sowie bei der Beeinträchtigung von Sonderrechten statuieren die §§ 241 f. UmwG ferner individuelle Zustimmungserfordernisse zugunsten betroffener Gesellschafter. Sind die Gesellschaftsanteile des formwechselnden Rechtsträgers vinkuliert, bedarf der Umwandlungsbeschluss gemäß § 193 Abs. 2 UmwG gleichfalls der Zustimmung

298

Vgl. Hoger, Kontinuität, 2008, S. 221; Ringe, Sitzverlegung, 2006, S. 107 f. Vgl. Hoger, Kontinuität, 2008, S. 221. 300 Vgl. Hoger, Kontinuität, 2008, S. 221. 299

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derjenigen Anteilsinhaber, welche einer Anteilsübertragung zustimmen müssten. Die §§ 122a ff. UmwG sehen für die grenzüberschreitende Verschmelzung von Kapitalgesellschaften keine besonderen Zustimmungserfordernisse vor. Gemäß den allgemeinen Vorschriften der §§ 13 Abs. 1, 50 Abs. 1 S. 1, 65 Abs. 1 S. 1 UmwG bedarf der Umwandlungsbeschluss grundsätzlich einer Mehrheit von drei Vierteln der abgegebenen Stimmen beziehungsweise des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals. Individuelle Zustimmungsvorbehalte sieht das Umwandlungsrecht in den §§ 13 Abs. 2, 50 Abs. 2 UmwG bei vinkulierten Gesellschaftsanteilen sowie zugunsten von Sonderrechtsinhabern vor. Der Sitzverlegungsbeschluss einer SE bedarf gemäß den Art. 8 Abs. 6 S. 2, 59 Abs. 1 SE-VO i.V.m. § 179 Abs. 2 AktG ebenfalls einer Mehrheit von drei Vierteln des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals. Zudem ist gegebenenfalls gemäß Art. 60 Abs. 2 SE-VO ein Sonderbeschluss der Inhaber spezifischer Sonderrechte erforderlich, welcher ebenfalls mit einer qualifizierten Drei-Viertel-Mehrheit gefasst werden muss. aa) Anzuwendendes Regelungsregime Vor dem Hintergrund der unterschiedlichen rechtlichen Anforderungen muss zunächst geklärt werden, ob die Zustimmungserfordernisse beim Herausformwechsel deutscher Gesellschaften nach dem differenzierten Regelungsregime der §§ 190 ff. UmwG zu bestimmen sind oder wie bei der grenzüberschreitende Verschmelzung und der Sitzverlegung der SE stets eine DreiViertel-Mehrheit für den Umwandlungsbeschluss ausreicht. Vereinzelt wird behauptet, grenzüberschreitende Formwechsel unterlägen identischen Mehrheitserfordernissen wie die grenzüberschreitende Verschmelzung von Kapitalgesellschaften und die grenzüberschreitende Sitzverlegung der SE.301 Beiden Regelungsregimen sei zu entnehmen, dass bei transnationalen Strukturmaßnahmen eine Drei-Viertel-Mehrheit der Gesellschafter ausreiche.302 Dieser Standpunkt ist unzutreffend. Der Schutz der Anteilsinhaber vor formwechselbedingten Risiken bliebe lückenhaft, wenn der Umwandlungsbeschluss stets mit einer Drei-Viertel-Mehrheit gefasst werden könnte. Wieso sollte bei einem innerstaatlichen Formwechsel einer Personengesellschaft ein einstimmiger Beschluss der Anteilsinhaber erforderlich sein, bei grenzüberschreitenden Fallkonstellationen hingegen eine qualifizierte Mehrheit für den Umwandlungsbeschluss ausreichen? Dies wäre lediglich dann sachgerecht, wenn sich die Gefährdungslage für Anteilsinhaber bei grenzüberschreitenden Formwechseln anders darstellen würde als im innerstaatlichen Kontext. Dies ist jedoch nicht der Fall (vgl. § 6 II. 1. f)). Ließe man eine Mehrheitsentschei301

Vgl. Thümmel, Formwechsel, 2013, S. 283; Vossius, in: Widmann/Mayer, UmwR, 134. EL (2012), § 191 UmwG, Rn. 53. 302 Thümmel, Formwechsel, 2013, S. 283.

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dung bei Personengesellschaften zu, widerspräche dies zudem dem Grundsatz des Personengesellschaftsrechts, nach welchem Grundlagengeschäfte von den Gesellschaftern stets einstimmig getroffen werden müssen (sog. Kernbereichslehre).303 Die Frage, welchen Mehrheitserfordernissen der Umwandlungsbeschluss genügen muss, verdeutlicht in plastischer Art und Weise, dass die Regelungen über die grenzüberschreitende Verschmelzung und die Sitzverlegung der SE auf Kapitalgesellschaften zugeschnitten sind und der Vielgestaltigkeit grenzüberschreitender Formwechsel nicht gerecht werden können. Dementsprechend sind die umwandlungsrechtlichen Zustimmungserfordernisse beim grenzüberschreitenden Herausformwechsel den §§ 193, 217, 233, 240, 241, 242 UmwG zu entnehmen.304 Deren Aussagegehalt lässt sich für grenzüberschreitende Fallkonstellationen wie folgt zusammenfassen. bb) Herausformwechsel von Personengesellschaften Der Umwandlungsbeschluss einer deutschen Personengesellschaft muss grundsätzlich einstimmig gefasst werden (§ 217 Abs. 1 S. 1 UmwG). Dies gilt unabhängig davon, ob es sich bei der Zielrechtsform des Aufnahmestaates ebenfalls um eine Personengesellschaft oder um eine Kapitalgesellschaft handelt. Eröffnet der Gesellschaftsvertrag gemäß § 217 Abs. 1 S. 2 und 3 UmwG die Möglichkeit, den Umwandlungsbeschluss mit qualifizierter Mehrheit zu fassen, gilt dies nur dann gleichermaßen für grenzüberschreitende Fallkonstellationen, wenn diese ausdrücklich von der Vertragsklausel erfasst werden oder sonst eindeutige Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Gesellschafter grenzüberschreitende Umwandlungen von der Bestimmung erfasst sahen. Ist dies nicht der Fall, lässt sich die gesellschaftsvertragliche Regelung nicht dahingehend auslegen, dass der Beschluss der Gesellschafter über eine grenzüberschreitende Umwandlung gleichfalls mit qualifizierter Mehrheit gefasst werden kann. Schließlich wurde die Zulässigkeit dieser Umwandlungsmodalität durch die Rechtsprechung erst kürzlich anerkannt. cc) Herausformwechsel von Kapitalgesellschaften Die Zustimmungserfordernisse beim Herausformwechsel deutscher Kapitalgesellschaften bedürfen hingegen einer differenzierten Betrachtung: Hinter der Vorschrift des § 233 Abs. 1 UmwG steht die gesetzgeberische Erwägung, dass keinem Anteilsinhaber eine persönliche Einstandspflicht für Gesell-

303 Vgl. K. Schmidt, GesR, § 16 III, S. 472 f.; Wiedemann, GesR, Bd. II, § 2 III 2, S. 219 ff. 304 Im Ergebnis auch Hoffmann, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 54, Rn. 12; Stiegler, KSzW 2014, 107 (112).

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schaftsverbindlichkeiten ohne seine Zustimmung auferlegt werden soll.305 Die identische ratio legis verbirgt sich hinter den Regelungen der §§ 217 Abs. 3, 233 Abs. 2 S. 3, 240 Abs. 2 S. 1 UmwG, welche beim Formwechsel in eine KG(aA) die individuelle Zustimmung sämtlicher zukünftig persönlich haftender Gesellschafter verlangen.306 Im Wege der Gesamtanalogie dieser Normen lässt sich für den Herausformwechsel deutscher Kapitalgesellschaften Folgendes festhalten: Sofern sämtliche Anteilsinhaber nach der gesetzlichen Verbandsverfassung der Zielrechtsform persönlich für Gesellschaftsverbindlichkeiten haften, bedarf der Umwandlungsbeschluss eines einstimmigen Votums der Gesellschafter. Andernfalls ist jedenfalls die individuelle Zustimmung derjenigen Anteilsinhaber erforderlich, welche nach der Umwandlung persönlich für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft einzustehen haben. Fraglich ist indessen, ob der Umwandlungsbeschluss einer deutschen Kapitalgesellschaft in eine EU-ausländische Rechtsform, welche rechtstypologisch einer deutschen Kommandit- oder Kapitalgesellschaft entspricht, im Übrigen entsprechend §§ 233 Abs. 2 S. 1, 240 Abs. 1 S. 1 UmwG mit einer qualifizierten Drei-Viertel-Mehrheit gefasst werden kann. Das Mehrheitsprinzip bei der Beschlussfassung von Kapitalgesellschaften beruht auf der für alle Grundsatzentscheidungen der Anteilsinhaber gleichermaßen zutreffenden Erkenntnis, dass bei den heteronomen Gesellschafterkreisen typischer Kapitalgesellschaften mit der Zustimmung sämtlicher Anteilsinhaber selbst dann nicht zu rechnen ist, wenn der Beschlussvorschlag im objektiven Interesse der Gesellschaft liegt und die Beschlussfassung dringend geboten ist.307 Praktische Folge eines Einstimmigkeitserfordernisses wäre somit, dass ein grenzüberschreitender Formwechsel von Publikumsgesellschaften in aller Regel faktisch ausgeschlossen wäre.308 Aufgrund der schwerwiegenden niederlassungsbeschränkenden Auswirkungen eines Einstimmigkeitserfordernisses bedürfte dieses freilich einer besonderen unionsrechtlichen Rechtfertigung. Das Erfordernis einer qualifizierten Beschlussmehrheit dürfte selbst im Zusammenspiel mit den übrigen umwandlungsrechtlichen Schutzinstrumenten Minderheitsgesellschafter nicht hinreichend vor formwechselbedingten Gefahren schützen. Teilweise wird erwogen, im grenzüberschreitenden Kontext zum Schutz der Minderheitsgesellschafter besondere Anforderungen für den Umwandlungsbeschluss festzulegen.309 Der Beschluss der Anteilsinhaber müsse einstimmig gefasst werden, wenn durch den Formwechsel Mitglied-

305

Vgl. BT-Drs. 12/6699, S. 154. Vgl. BT-Drs. 12/6699, S. 149, 154 und 156. 307 Vgl. Frowein, Sitzverlegung, 2001, S. 152. 308 Frowein, Sitzverlegung, 2001, S. 152. 309 Vgl. Frowein, Sitzverlegung, 2001, S. 152 f.; W.-H. Roth, FS Heldrich, 2005, 973 (989). 306

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schaftsrechte beeinträchtigt würden, welche bei einer innerstaatlichen Umwandlung nicht durch Mehrheitsbeschluss entzogen werden könnten.310 Richtigerweise besteht selbst in diesem Fall kein Einstimmigkeitserfordernis sämtlicher Anteilsinhaber. Das Postulat eines solchen wäre mit Rücksicht auf die Niederlassungsfreiheit der Kapitalgesellschaft unionsrechtlich nicht zu rechtfertigen. Der Verlust allgemeiner mitgliedschaftlicher Rechtspositionen ist typisches Risiko eines jeden Formwechsels. Einen individuellen Zustimmungsvorbehalt zugunsten betroffener Gesellschafter anzunehmen, würde bedeuten, das qualifizierte Zustimmungsquorum stets auf das Niveau eines einstimmigen Beschlusses anzuheben und den Formwechsel dadurch deutlich zu erschweren.311 Die Gesellschaftermehrheit wäre stets Einwänden dissentierender Minderheitsgesellschafter ausgesetzt, welche ihre allgemeinen Rechtspositionen in der Zielrechtsform nicht gewahrt sehen. Beschlussmängelklagen und eine damit einhergehende Verzögerung des Umwandlungsverfahrens wären die absehbaren Folgen. Dies widerspräche zum einen dem Willen des historischen Gesetzgebers und entbehrte zum anderen einer normativen Rechtsgrundlage.312 Den Interessen dissentierender Minderheitsgesellschafter wird durch die übrigen umwandlungsrechtlichen Schutzinstrumente Rechnung getragen. Wurden einzelnen Anteilsinhabern des formwechselnden Rechtsträgers individualvertraglich Sonderrechte eingeräumt, besteht ebenfalls kein Einstimmigkeitserfordernis. Der Umwandlungsbeschluss bedarf lediglich der individuellen Zustimmung der betroffenen Sonderrechtsinhaber. Das Umwandlungsrecht enthält in § 193 Abs. 2 UmwG sowie in den §§ 233 Abs. 2 S. 1 Hs. 2, 240 Abs. 2 jeweils i.V.m. § 50 Abs. 2 UmwG individuelle Zustimmungsvorbehalte zugunsten von Sonderrechtsinhabern, welche im Wege der Gesamtanalogie auch für grenzüberschreitende Fallgestaltungen heranzuziehen sind. Über diese gesetzlich statuierten Zustimmungsvorbehalte hinaus begründet ferner § 35 BGB für sämtliche Umwandlungskonstellationen einen Zustimmungsvorbehalt zugunsten stimmberechtigter Sonderrechtsinhaber.313 Das allgemeine verbandsrechtliche Prinzip, dass solche Beeinträchtigungen nur mit der Einwilligung des Rechtsinhabers möglich sind, gilt auch für den Formwechsel.314 Der Umwandlungsbeschluss ist daher schwebend unwirksam, solange ihm nicht sämtliche Anteilsinhaber zugestimmt haben, denen gesellschaftsvertraglich individuelle Sonderrechte eingeräumt wurden. Gleiches gilt gemäß §§ 241 Abs. 1, 242 UmwG bei nicht verhältniswahrenden Formwechseln, welche zur Veränderung der Beteiligungsquoten der Anteilsinhaber führen. Zum Schutz der betroffenen Gesellschafter ist es 310

Vgl. Frowein, Sitzverlegung, 2001, S. 152. Vgl. Hoger, Kontinuität, 2008, S. 223; Zöllner, FS Claussen, 1997, 423 (437). 312 Vgl. BT-Drs. 12/6699, S. 154 und 156; Hoger, Kontinuität, 2008, S. 223. 313 Vgl. Arnold, in: Semler/Stengel, UmwG, § 240, Rn. 29; Dirksen/Blasche, in: Kallmeyer, UmwG, § 240, Rn. 3; Hoger, Kontinuität, 2008, S. 222. 314 Hoger, Kontinuität, 2008, S. 222. 311

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indessen nicht erforderlich, dass der Umwandlungsbeschluss einstimmig gefasst wird. Dies würde selbst in ihrer mitgliedschaftlichen Rechtsposition nicht betroffenen Anteilsinhabern ein Vetorecht einräumen, welches unionsrechtlich nicht zu rechtfertigen wäre. Dem Herausformwechsel einer KGaA müssen entsprechend den §§ 233 Abs. 3 S. 1, 240 Abs. 3 S. 1 UmwG schließlich alle Komplementäre der Gesellschaft zustimmen. Hintergrund der Regelungen ist, dass diese Gefahr laufen, durch den Formwechsel die ihnen durch § 278 Abs. 2 AktG i.V.m. § 164 HGB eingeräumte Geschäftsführungsbefugnis zu verlieren. Sofern die Satzung der KGaA insoweit gemäß §§ 233 Abs. 3 S. 2, 240 Abs. 3 S. 2 UmwG eine Mehrheitsentscheidung der Komplementäre ermöglicht, gilt dies nur dann gleichermaßen für grenzüberschreitende Formwechsel, wenn sich aus dem Wortlaut der Vertragsklausel oder den konkreten Umständen zweifelsfrei ergibt, dass die vertragliche Regelung auch grenzüberschreitende Fallkonstellationen erfassen soll (vgl. § 6 III. 3. a) bb)). Zusammenfassend ist beim grenzüberschreitenden Herausformwechsel von Kapitalgesellschaften demnach Folgendes festzuhalten: Der Umwandlungsbeschluss bedarf grundsätzlich einer qualifizierten Drei-Viertel-Mehrheit der abgegebenen Stimmen beziehungsweise des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals. Sofern sämtliche Gesellschafter in der Zielrechtsform persönlich für Gesellschaftsverbindlichkeiten haften, muss der Umwandlungsbeschluss hingegen einstimmig gefasst werden. Haben lediglich einzelne Gesellschafter persönlich für Verbindlichkeiten der Gesellschaft einzustehen, bedarf der Umwandlungsbeschluss zu seiner Wirksamkeit der individuellen Zustimmung dieser Anteilsinhaber. Gleiches gilt, wenn durch die Umwandlung individuelle Sonderrechte einzelner Gesellschafter beeinträchtigt werden oder der Formwechsel nicht verhältniswahrend durchgeführt werden soll. Der Umwandlungsbeschluss einer KGaA ist ferner solange schwebend unwirksam, als nicht die Komplementäre der Gesellschaft dem Formwechsel zugestimmt haben. b) Anspruch auf Barabfindung Der Anspruch auf Barabfindung ist bei innerstaatlichen wie bei grenzüberschreitenden Umwandlungen ein zentrales Schutzinstrument zugunsten der Anteilsinhaber. Der formwechselnde Rechtsträger hat bei innerstaatlichen Formwechseln gemäß § 207 Abs. 1 S. 1 UmwG jedem Anteilsinhaber, welcher gegen den Umwandlungsbeschluss Widerspruch zur Niederschrift erklärt, den Erwerb seiner Gesellschaftsanteile gegen eine angemessene Barabfindung anzubieten. Sofern die gesetzliche Verbandsverfassung der Zielrechtsform den Erwerb eigener Anteile nicht gestattet, ist die Abfindung für den Fall anzubieten, dass der Gesellschafter sein Ausscheiden aus dem formwechselnden Rechtsträger erklärt (§ 207 Abs. 1 S. 2 UmwG). Das Angebot

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kann gemäß § 209 S. 1 UmwG grundsätzlich nur binnen zwei Monaten nach dem Tage angenommen werden, an welchem die Registereintragung der Zielrechtsform bekannt gemacht worden ist. Im Falle einer grenzüberschreitenden Verschmelzung hat die übertragende Gesellschaft gemäß § 122i Abs. 1 S. 1 UmwG jedem Anteilsinhaber, welcher gegen den Verschmelzungsbeschluss Widerspruch zur Niederschrift erklärt, den Erwerb seiner Gesellschaftsanteile gegen eine angemessene Barabfindung anzubieten, sofern die übernehmende Gesellschaft nicht dem deutschen Recht unterliegt. Das Angebot kann gemäß den §§ 122i Abs. 1 S. 3, 31 S. 1 UmwG grundsätzlich binnen zwei Monaten nach dem Tage angenommen werden, an welchem die Eintragung der Verschmelzung in das Register der übernehmenden Gesellschaft gemäß § 19 Abs. 3 UmwG bekannt gemacht worden ist. Für den Fall der grenzüberschreitenden Sitzverlegung einer SE ermächtigt Art. 8 Abs. 5 SE-VO die Mitgliedstaaten, Vorschriften zu erlassen, um einen angemessenen Schutz der Minderheitsaktionäre zu gewährleisten, welche sich gegen die Sitzverlegung ausgesprochen haben. Der deutsche Gesetzgeber hat von dieser Möglichkeit durch den Erlass des § 12 SEAG Gebrauch gemacht. Danach hat die SE jedem Aktionär, welcher gegen den Verlegungsbeschluss Widerspruch zur Niederschrift erklärt, den Erwerb seiner Aktien gegen eine angemessene Barabfindung anzubieten. Das Angebot kann gemäß §§ 12 Abs. 2, 7 Abs. 4 S. 1 SEAG grundsätzlich binnen zwei Monaten nach dem Tage angenommen werden, an welchem die Sitzverlegung der SE im Aufnahmestaat eingetragen und bekannt gemacht worden ist. Der Gesetzgeber hat sich beim Erlass von § 122i UmwG sowie § 12 SEAG ersichtlich an der Regelung des Umwandlungsgesetzes für innerstaatliche Formwechsel orientiert. Deren Regelungsinhalt ist mit den §§ 207 ff. UmwG identisch. Vor diesem Hintergrund bedarf es keiner Entscheidung, welches Regelungsregime beim grenzüberschreitenden Formwechsel konkret anzuwenden ist. Wenn im Folgenden auf die Regelungen der §§ 207 ff. UmwG verwiesen wird, so ist dies dem Umstand geschuldet, ein möglichst geschlossenes, in sich stimmiges Regelungssystem für grenzüberschreitende Formwechsel zu entwerfen.315 aa) Tatbestandliche Voraussetzungen Der Anspruch auf Barabfindung setzt voraus, dass der jeweilige Anteilsinhaber gegen den Umwandlungsbeschluss Widerspruch zur Niederschrift erklärt 315 Für die Anwendung der §§ 207 ff. UmwG auch Bungert/de Raet, DB 2014, 761 (764); Decher/Hoger, in: Lutter, UmwG, Bd. II, Vor § 190, Rn. 39; Drygala, in: Lutter, UmwG, Bd. I, § 1, Rn. 38; Frowein, Sitzverlegung, 2001, S. 154; Hoffmann, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 54, Rn. 10 ff.; Stiegler, Rechtsformwechsel, 2013, S. 75; für die Anwendung der §§ 122i UmwG, 12 SEAG dagegen Thümmel, Formwechsel, 2013, S. 283; Vossius, in: Widmann/Mayer, UmwR, 134. EL (2012), § 191 UmwG, Rn. 53 und 103 f.

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(§ 207 Abs. 1 S. 1 UmwG) oder aufgrund eines Organisationsverschuldens der Gesellschaft unverschuldet daran gehindert war (§§ 207 Abs. 2, 29 Abs. 2 UmwG). Gesellschaftern, welche dem Umwandlungsbeschluss zugestimmt haben, ist es grundsätzlich verwehrt, unter Hinweis auf ihren anschließend erklärten Widerspruch eine Barabfindung zu verlangen. 316 Wer Schmälerungen seiner gesicherten Rechtspositionen sehend zustimmt, verdient keinen gesetzlichen Schutz (volenti non fit iniuria).317 Vereinzelt wird erwogen, einen Abfindungsanspruch im grenzüberschreitenden Kontext lediglich dann zu gewähren, wenn durch den Statutenwechsel tatsächlich Rechte der Anteilsinhaber verkürzt werden und die Beeinträchtigung der mitgliedschaftlichen Rechtsposition so einschneidend ist, dass den Anteilsinhabern die weitere Verfolgung des Gesellschaftszwecks unzumutbar ist.318 Bei innerstaatlichen Formwechseln gewährt das Umwandlungsgesetz einen Abfindungsanspruch jedoch unabhängig von der Intensität der Beeinträchtigung der Mitgliedschaftsrechte der Anteilsinhaber. Dahinter verbirgt sich die gesetzgeberische Wertungsentscheidung, dass bei einem Wechsel der gesetzlichen Verbandsverfassung einer Gesellschaft dem einzelnen Anteilsinhaber eine weitere Förderung des Gesellschaftszwecks gegen seinen Willen nicht abverlangt werden kann.319 Die Gefahr der Beeinträchtigung mitgliedschaftlicher Rechtspositionen durch einen Formwechsel besteht bei innerstaatlichen und grenzüberschreitenden Umwandlungen gleichermaßen. Es leuchtet daher nicht ein, wieso der Gesellschafterschutz im letztgenannten Fall schwächer ausgestaltet sein sollte.320 Droht die mitgliedschaftliche Rechtsposition eines Anteilsinhabers durch einen Formwechsel über das mit einer Umwandlung typischerweise verbundene Maß hinaus schwerwiegend beeinträchtigt zu werden, vermag dies für den betroffenen Gesellschafter vielmehr einen wichtigen Grund begründen, bereits im Vorfeld des Formwechsels aus dem formwechselnden Rechtsträger nach den allgemeinen Regeln des Gesellschaftsrechts gegen eine Abfindung auszuscheiden.321 Das Barabfindungsangebot kann gemäß § 209 S. 1 UmwG nur binnen zwei Monaten nach dem Tage angenommen werden, an welchem die Registerein316 Vgl. Decher/Hoger, in: Lutter, UmwG, Bd. II, § 207, Rn. 8; Hoger, Kontinuität, 2008, S. 236; a.A. Meister/Klöcker, in: Kallmeyer, UmwG, § 207, Rn. 15. 317 Vgl. Hoger, Kontinuität, 2008, S. 225; Ohly, Einwilligung im Privatrecht, 2002, S. 63 ff. 318 Vgl. Frowein, Sitzverlegung, 2001, S. 154. 319 Vgl. BT-Drs. 12/6699, S. 145 f.; Böttcher, Formwechsel, 2006, S. 137 f. 320 Im Ergebnis auch Drygala, in: Lutter, UmwG, Bd. I, § 1, Rn. 38; Frowein, Sitzverlegung, 2001, S. 154. 321 Vgl. Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, Anh. zu § 34, Rn. 20; Hoger, Kontinuität, 2008, S. 237 f.; Lutter, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 34, Rn. 73; Ringe, Sitzverlegung, 2006, S. 118 f.; Ulmer/Habersack, in: GroßKomm-GmbHG, Bd. II, Anh. § 34, Rn. 53.

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tragung der Zielrechtsform bekannt gemacht worden ist. Zugunsten der Rechtssicherheit ist im grenzüberschreitenden Kontext auf die Bekanntmachung des Formwechsels durch das deutsche Registergericht gemäß §§ 198 Abs. 2 S. 3, 201 UmwG abzustellen (vgl. § 6 III. 2. a) aa)). Fristauslösend ist die Bekanntmachung der Wirksamkeit des Formwechsels, nicht bereits die Bekanntmachung der Umwandlung mit Wirksamkeitsvorbehalt (vgl. § 6 IV. 2. c) aa)). bb) Potentielle Konflikte mit Gläubigerschutzvorschriften Die Abfindungsansprüche ausscheidungswilliger Gesellschafter können in Konflikt mit Gläubigerschutzvorschriften der gesetzlichen Verbandsverfassung der Zielrechtsform geraten.322 Als Schutzinstrument zugunsten der Anteilsinhaber unterliegt der Abfindungsanspruch beim Herausformwechsel deutscher Gesellschaften zwar deutschem Recht. Das Abfindungsangebot der Gesellschaft ist jedoch aufschiebend durch die Wirksamkeit des Formwechsels bedingt. Selbst wenn die Anteilsinhaber das Angebot antizipativ bereits vor dem Eintritt der Bedingung annehmen, entstehen deren Abfindungsansprüche erst zu einem Zeitpunkt, in welchem die Gesellschaft bereits dem Recht des Aufnahmestaates unterliegt. Daher bemisst sich etwa die Frage, ob die Zielrechtsform gemäß § 207 Abs. 1 S. 2 UmwG eigene Anteile erwerben kann, nach dem Gesellschaftsstatut des Aufnahmestaates.323 Zudem vermögen Kapitalerhaltungsvorschriften der gesetzlichen Verbandsverfassung der Zielrechtsform der Erfüllung von Abfindungsansprüchen durch die Gesellschaft entgegenzustehen.324 In diesen Fällen droht der Barabfindungsanspruch als zentrales Gesellschafterschutzinstrument leerzulaufen. Sofern der formwechselnde Rechtsträger aufgrund von Vorschriften der gesetzlichen Verbandsverfassung der Zielrechtsform nicht in der Lage sein wird, die Ansprüche ausscheidungswilliger Gesellschafter zu befriedigen, darf die Umwandlung nicht durchgeführt werden (vgl. § 6 III. 3. f) aa) sowie § 6 IV. 2. c) aa)). c) Sonderrechtsschutz Die Inhaber spezifischer Sonderrechte werden bei innerstaatlichen Formwechseln durch die §§ 204, 23 UmwG vor umwandlungsbedingten Nachteilen geschützt. Vergleichbare Regelungen enthalten weder die §§ 122a ff. UmwG noch Art. 8 SE-VO, §§ 12 ff. SEAG. Der Schutz der Sonderrechtsinhaber richtet sich bei grenzüberschreitenden Formwechseln somit nach den

322

Vgl. Böttcher, Formwechsel, 2006, S. 139; Hoger, Kontinuität, 2008, S. 244. Vgl. Böttcher, Formwechsel, 2006, S. 139; Hoger, Kontinuität, 2008, S. 43 f. 324 Vgl. Hoger, Kontinuität, 2008, S. 244. 323

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§§ 204, 23 UmwG.325 Der Anwendungsbereich dieser Regelungen ist indes gering. Erfasst werden lediglich stimmrechtslose Sonderrechte, namentlich Anteile ohne Stimmrecht, Wandelschuldverschreibungen, Gewinnschuldverschreibungen und Genussrechte. Inhaber rein schuldrechtlich begründeter Rechtspositionen werden ebenso wenig erfasst wie Anteilsinhaber mit besonderen individualvertraglich vereinbarten Rechtspositionen. Da ein Formwechsel identitätswahrend erfolgt, werden die Rechte Erstgenannter durch die Umwandlung ohnehin nicht berührt. Der Schutz Letztgenannter vor umwandlungsspezifischen Gefahren erfolgt durch die besonderen individuellen Zustimmungsvorbehalte des Umwandlungsrechts sowie den allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Zustimmungsvorbehalt im Falle der Beeinträchtigung derartiger Rechtspositionen gemäß § 35 BGB (vgl. § 6 III. 3. a) cc)). Da die tatbestandlich erfassten Sonderrechte nicht nur Anteilsinhabern, sondern auch gesellschaftsexternen Dritten zustehen können, dienen die Regelungen der §§ 204, 23 UmwG neben dem Schutz der Anteilsinhaber auch dem Schutz der Gesellschaftsgläubiger. Die Vorschriften begründen eine Verpflichtung des formwechselnden Rechtsträgers, in der Zielrechtsform primär gleichartige Rechte zu gewähren.326 Dies kann insbesondere im Hinblick auf die in § 221 AktG geregelten Wandel- und Gewinnschuldverschreibungen Probleme bereiten, wenn die gesetzliche Verbandsverfassung der Zielrechtsform derartige Rechte nicht kennt.327 Sofern die Regelungen des Aufnahmestaates der Gewährung gleichartiger Rechte entgegenstehen, sind den Sonderrechtsinhabern subsidiär wirtschaftlich gleichwertige Rechte einzuräumen.328 Im Vorfeld eines grenzüberschreitenden Formwechsels muss daher geprüft werden, ob nach der gesetzlichen Verbandsverfassung der Zielrechtsform ein vergleichbares Sonderrecht begründet werden kann.329 Ist dies nicht der Fall, muss ein Recht eingeräumt werden, welches dem nach der ursprünglichen Verbandsverfassung gewährten Sonderrecht rechtlich und wirtschaftlich am ehesten entspricht.330 Stehen die rechtlichen Unterschiede der Ausgangs- und Zielrechtsform der Gewährung eines wirtschaftlich gleichwertigen Sonderrechts entgegen, ist den Sonderrechtsinhabern äußers325 Vgl. Frowein, Sitzverlegung, 2001, S. 155; Hoffmann, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 54, Rn. 17. 326 Vgl. Decher/Hoger, in: Lutter, UmwG, Bd. II, § 204, Rn. 26; Grunewald, in: Lutter, UmwG, Bd. I, § 23, Rn. 5; Hoger, Kontinuität, 2008, S. 165; Stratz, in: Schmitt/Hörtnagl/ Stratz, UmwG/UmwStG, § 23 UmwG, Rn. 9; Vossius, in: Widmann/Mayer, UmwR, 121. EL (2011), § 23 UmwG, Rn. 27. 327 Vgl. Hoffmann, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 54, Rn. 17. 328 Vgl. Frowein, Sitzverlegung, 2001, S. 155; Hoffmann, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 54, Rn. 17; Hoger, Kontinuität, 2008, S. 165 und 233; Stratz, in: Schmitt/Hörtnagl/Stratz, UmwG/UmwStG, § 23 UmwG, Rn. 9. 329 Vgl. Frowein, Sitzverlegung, 2001, S. 155. 330 Frowein, Sitzverlegung, 2001, S. 155.

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tenfalls analog § 207 UmwG eine angemessene Barabfindung anzubieten.331 Da die Einräumung gleichwertiger Rechte vorrangig ist, können Sonderrechtsinhaber jedoch solange keine Abfindung verlangen, als ihre Rechtsposition durch die Gewährung vergleichbarer Rechte gewahrt werden kann. Im äußersten Fall muss das Sonderrecht jedoch durch einen Ausgleichsanspruch abgegolten werden, weil andernfalls die Durchführung des Formwechsels entgegen den unionsrechtlichen Vorgaben unmöglich wäre. In solchen Fällen kann der Abfindungsanspruch allerdings in Konflikt mit den Kapitalerhaltungsvorschriften der gesetzlichen Verbandsverfassung der Zielrechtsform geraten (vgl. § 6 III. 3. b) bb)). d) Anspruch auf bare Zuzahlung Anteilsinhaber können bei innerstaatlichen Formwechseln gemäß § 196 S. 1 UmwG von dem formwechselnden Rechtsträger einen Ausgleich durch bare Zuzahlung verlangen, sofern ihre Anteile an der Zielrechtsform zu niedrig bemessen sind oder die Mitgliedschaft in der Zielrechtsform keinen ausreichenden Gegenwert für die Mitgliedschaft im formwechselnden Rechtsträger darstellt. Die Regelung bildet das notwendige Korrelat dafür, dass eine Klage gegen den Umwandlungsbeschluss gemäß § 195 Abs. 2 UmwG nicht auf diese Umstände gestützt werden kann. Auch bei der grenzüberschreitenden Verschmelzung besteht gemäß §§ 122h Abs. 1, 15 Abs. 1 S. 1 UmwG ein Anspruch der Anteilsinhaber auf bare Zuzahlung. Er steht allerdings unter dem Vorbehalt der Zustimmung der Anteilsinhaber beteiligter ausländischer Rechtsträger, sofern deren Gesellschaftsstatut ein Verfahren zur Kontrolle und Änderung des Umtauschverhältnisses von Gesellschaftsanteilen nicht vorsieht. Im Gegensatz zur Verschmelzung ist an einem Formwechsel jedoch lediglich ein Rechtsträger beteiligt. Der Vorbehalt des § 122h Abs. 1 UmwG passt auf die Konstellation eines Formwechsels nicht. Der Anspruch der Anteilsinhaber des formwechselnden Rechtsträgers auf bare Zuzahlung richtet sich daher auch im grenzüberschreitenden Kontext nach § 196 UmwG. 332 Die Tatbestandsvariante der zu niedrigen Bemessung der Anteile an der Zielrechtsform kann etwa erfüllt sein, wenn die gesetzliche Verbandsverfassung der Zielrechtsform einem verhältniswahrenden Formwechsel entgegensteht.333 Die Mitgliedschaft in der Zielrechtsform stellt keinen ausreichenden Gegenwert für die Mitgliedschaft im formwechselnden Rechtsträger dar, wenn aufgrund des Formwechsels individuelle Mitgliedschaftsrechte einzel-

331 Vgl. Hoffmann, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 54, Rn. 17; Hoger, Kontinuität, 2008, S. 165 und 233. 332 Im Ergebnis auch Hoffmann, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 54, Rn. 10. 333 Vgl. Hoffmann, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 54, Rn. 11.

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ner Anteilsinhaber entfallen oder in ihrer Substanz beeinträchtigt werden.334 Sind derartige Rechtseinbußen unvermeidbar, wird eine Kompensation bei fortdauernder Mitgliedschaft in Form einer Ausgleichszahlung dem Interesse der Anteilsinhaber eher gerecht als ein gänzlicher Verlust ihrer mitgliedschaftlichen Rechtsposition.335 Zwar besteht in derartigen Fällen ein individueller Zustimmungsvorbehalt zugunsten benachteiligter Anteilsinhaber (vgl. § 6 III. 3. a) cc)). Diese können sich jedoch auch dafür entscheiden, dem Formwechsel zuzustimmen und einen Anspruch auf bare Zuzahlung geltend zu machen.336 Sofern sich infolge des Formwechsels die mitgliedschaftliche Rechtsposition aller Anteilsinhaber gleichermaßen verändert, besteht hingegen kein Anspruch auf bare Zuzahlung.337 Das Umwandlungsgesetz stellt Anteilsinhaber, welche den Umwandlungsbeschluss nicht verhindern können, vor die Wahl, Einbußen in ihren allgemeinen mitgliedschaftlichen Rechtspositionen entweder hinzunehmen oder entsprechend § 207 Abs. 1 UmwG auf ihren Anteil gegen eine Barabfindung zu verzichten.338 Gemäß §§ 196 S. 3, 15 Abs. 2 S. 1 UmwG ist die bare Zuzahlung vom formwechselnden Rechtsträger zu verzinsen. Die Verzinsung beginnt nach diesen Vorschriften mit Ablauf des Tages, an welchem die Eintragung des Formwechsels in das Register der Zielrechtsform nach § 19 Abs. 3 UmwG bekannt gemacht worden ist. Für den Fristbeginn ist auf die Bekanntmachung der Wirksamkeit des Formwechsels durch das deutsche Registergericht gemäß §§ 198 Abs. 2 S. 3, 201 UmwG abzustellen (vgl. § 6 III. 2. a) aa)). Wie der Anspruch auf Barabfindung kann der Anspruch auf bare Zuzahlung mit den Kapitalerhaltungsvorschriften der gesetzlichen Verbandsverfassung der Zielrechtsform in Konflikt geraten (vgl. § 6 III. 3. b) bb)). Im Vergleich zum Anspruch auf Barabfindung dürften die Anzahl anspruchsberechtigter Gesellschafter und die Ausgleichsbeträge indes geringer ausfallen. Das Konfliktpotential ist daher weniger stark ausgeprägt. e) Haftung der Verwaltungsträger Bei innerstaatlichen Formwechseln sind die Verwaltungsträger des formwechselnden Rechtsträgers gemäß §§ 205 f. UmwG als Gesamtschuldner 334

Vgl. Hoger, Kontinuität, 2008, S. 234; Meister/Klöcker, in: Kallmeyer, UmwG, § 196, Rn. 9. 335 Vgl. Hoger, Kontinuität, 2008, S. 219. 336 Vgl. Decher/Hoger, in: Lutter, UmwG, Bd. II, § 196, Rn. 9; Fronhöfer, in: Widmann/Mayer, UmwR, 86. EL (2006), § 196 UmwG, Rn. 11; Meister/Klöcker, in: Kallmeyer, UmwG, § 196, Rn. 8. 337 Vgl. Hoger, Kontinuität, 2008, S. 234; Meister/Klöcker, in: Kallmeyer, UmwG, § 196, Rn. 9. 338 Vgl. OLG Düsseldorf, NZG 2005, 280 (281 f .); Decher/Hoger, in: Lutter, UmwG, Bd. II, § 196, Rn. 11; Fronhöfer, in: Widmann/Mayer, UmwR, 86. EL (2006), § 196 UmwG, Rn. 5; Hoger, Kontinuität, 2008, S. 234 f.; Zöllner, FS Claussen, 1997, 423 (436).

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verpflichtet, den Anteilsinhabern einen Schaden zu ersetzen, welchen diese durch die Umwandlung erleiden. Eine vergleichbare Regelung findet sich weder in den §§ 122a ff. UmwG für die grenzüberschreitende Verschmelzung noch in Art. 8 SE-VO, §§ 12 ff. SEAG für die Sitzverlegung einer SE. Tatbestandlich setzt der Anspruch voraus, dass den Anteilsinhabern durch ein pflichtwidriges Verhalten eines Organmitgliedes ein Schaden entsteht.339 Die Pflichten der Verwaltungsträger gegenüber den Anteilsinhabern sind jedoch begrenzt.340 Die Mitglieder des Geschäftsführungs- und Vertretungsorgans haben gemäß § 192 Abs. 1 UmwG einen Umwandlungsbericht zu erstatten, in welchem der Formwechsel und die künftige Beteiligung der Anteilsinhaber an dem Rechtsträger rechtlich und wirtschaftlich erläutert und begründet werden (vgl. § 6 IV. 2. a)). Die im Umwandlungsbericht enthaltenen Informationen müssen sachlich zutreffend und vollständig sein. Gemäß §§ 205 Abs. 1 S. 2, 25 Abs. 1 S. 2 UmwG sind die Verwaltungsträger zudem verpflichtet, die Vermögenslage des formwechselnden Rechtsträgers zu prüfen. Den Anteilsinhabern kann etwa ein Schaden entstehen, wenn ein grenzüberschreitender Formwechsel vollzogen wird, obwohl das Vermögen des formwechselnden Rechtsträgers das nach dem Gesellschaftsstatut der Zielrechtsform erforderliche Gesellschaftskapital nicht deckt. Haben die Gesellschafter nach der gesetzlichen Verbandsverfassung der Zielrechtsform für den Differenzbetrag persönlich einzustehen, können sie die Verwaltungsträger insoweit in Regress nehmen. Das Umwandlungsrecht kennt hingegen keine Pflicht der Verwaltungsträger, die Anteilsinhaber vor dem Verlust allgemeiner mitgliedschaftlicher Rechtspositionen zu bewahren.341 Ein Schaden eines Anteilsinhabers ist zudem nur dann ersatzfähig, wenn er nicht nur einen Reflex der Schädigung des formwechselnden Rechtsträgers darstellt.342 Da die Pflichten der Verwaltungsträger gegenüber den Anteilsinhabern sowie die ersatzfähigen Schäden begrenzt sind, ist die praktische Bedeutung der Ersatzpflicht gering. Im Hinblick auf die Verjährung des Schadensersatzanspruchs gemäß § 205 Abs. 2 UmwG und der Bestellung des zur Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs befugten besonderen Vertreters gemäß § 206 S. 2 UmwG kann auf die Ausführungen bezüglich des gleichlaufenden Anspruchs der Gesellschaftsgläubiger Bezug genommen werden (vgl. § 6 III. 2. c)).

339 Vgl. Hoger, Kontinuität, 2008, S. 245; Meister/Klöcker, in: Kallmeyer, UmwG, § 205, Rn. 9. 340 Vgl. Hoger, Kontinuität, 2008, S. 245. 341 Vgl. Hoger, Kontinuität, 2008, S. 245. 342 Vgl. Decher/Hoger, in: Lutter, UmwG, Bd. II, § 205, Rn. 8; Meister/Klöcker, in: Kallmeyer, UmwG, § 205, Rn. 12.

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f) Beschlusskontrolle und Gesellschafterklage Der Schutz der Anteilsinhaber vor umwandlungsspezifischen Gefahren wird auf prozessualer Ebene durch die Beschlussmängelklage und das Spruchverfahren verwirklicht. Sowohl bei innerstaatlichen Formwechseln als auch bei der grenzüberschreitenden Verschmelzung und der Sitzverlegung der SE können sich die Anteilsinhaber gegen Beeinträchtigungen ihrer mitgliedschaftlichen Rechtsposition gerichtlich zur Wehr setzen. aa) Beschlussmängelklage Wie jeder rechtsfehlerhafte Gesellschafterbeschluss berechtigt auch der mangelbehaftete Beschluss, die Gesellschaft verbandsrechtlich umzustrukturieren, die Anteilsinhaber zur Klage. Ein Beschlussmangel kann sich sowohl aus einem Fehler im Rahmen des Beschlussverfahrens als auch aus dem Inhalt des jeweiligen Beschlusses ergeben. Dies gilt für die Beschlüsse eines innerstaatlichen Formwechsels343, einer grenzüberschreitenden Verschmelzung344 sowie der Verlegung des Sitzes einer SE345 gleichermaßen. Die Beschlussmängelklagen sind allerdings zeitlichen sowie inhaltlichen Beschränkungen unterworfen. Die Regelungen, welches das deutsche Recht insoweit in Bezug auf die Beschlüsse über innerstaatliche Formwechsel, grenzüberschreitende Verschmelzungen sowie die Sitzverlegung der SE bereithält, sind nicht vollständig deckungsgleich. Die ratio legis all dieser Regelungen liegt darin, Rechtsstreitigkeiten in Bezug auf die Höhe monetärer Ausgleichsansprüche der Anteilsinhaber für umwandlungsbedingte Beeinträchtigungen ihrer mitgliedschaftlichen Rechtspositionen ins Spruchverfahren zu verweisen. 346 Kompensationsbezogenen Beschlussmängelklagen soll der rechtliche Boden entzogen werden. Daher muss bei grenzüberschreitenden Formwechseln dasjenige Regelungsregime Anwendung finden, welches sämtliche Ausgleichsansprüche erfasst, welche den Anteilsinhabern zustehen. Wie bereits dargelegt handelt es sich dabei um die Ansprüche auf Barabfindung gemäß § 207 Abs. 1 UmwG (vgl. § 6 III. 3. b)), auf bare Zuzahlung gemäß § 196 S. 1 UmwG (vgl. § 6 III. 3. d)) sowie – subsidiär – auf monetären Ausgleich für die Beeinträchtigung von spezifischen Sonderrechten (vgl. § 6 III. 3. c)). Dementsprechend richten sich die Beschränkungen von Beschlussmängelklagen der 343

Vgl. Bärwaldt, in: Semler/Stengel, UmwG, § 193, Rn. 30 ff.; Hoger, Kontinuität, 2008, S. 246; Meister/Klöcker, in: Kallmeyer, UmwG, § 193, Rn. 36. 344 Vgl. Gehrling, in: Semler/Stengel, UmwG, § 14, Rn. 5 ff.; Marsch-Barner, in: Kallmeyer, UmwG, § 14, Rn. 6 ff. 345 Vgl. Schröder, in: Manz/Mayer/Schröder, Europäische Aktiengesellschaft, Art. 8 SE-VO, Rn. 146; Zimmer/Ringe, in: Lutter/Hommelhoff, SE Kommentar, Art. 8 SE-VO, Rn. 44. 346 Vgl. BT-Drs. 12/6699, S. 87, BT-Drs. 16/2919, S. 16 sowie BT-Drs. 15/3405, S. 32.

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Anteilsinhaber nach den Vorschriften des Umwandlungsgesetzes für innerstaatliche Formwechsel.347 Danach muss eine Klage gegen die Wirksamkeit des Umwandlungsbeschlusses zunächst gemäß § 195 Abs. 1 UmwG binnen eines Monats nach der Beschlussfassung der Anteilsinhaber erhoben werden. Ferner kann die Klage nach § 195 Abs. 2 UmwG weder darauf gestützt werden, dass die gewährten Anteile an der Zielrechtsform zu niedrig bemessen sind, noch darauf, dass die Mitgliedschaft in der Zielrechtsform keinen ausreichenden Gegenwert für die Mitgliedschaft im formwechselnden Rechtsträger darstellt. Die Anteilsinhaber können sich auch nicht darauf stützen, dass das Barabfindungsangebot zu niedrig bemessen oder die Barabfindung nicht oder nicht ordnungsgemäß angeboten worden ist (§ 210 UmwG). Die Angemessenheit monetärer Ausgleichsansprüche ist gemäß den §§ 196 S. 2, 212 UmwG lediglich im Rahmen des Spruchverfahrens gerichtlich überprüfbar (vgl. § 6 III. 3. f) bb)). Gemäß § 202 Abs. 1 Nr. 3 UmwG wird zudem der Mangel der notariellen Beurkundung des Umwandlungsbeschlusses sowie von Zustimmungs- oder Verzichtserklärungen einzelner Anteilsinhaber durch die Eintragung des Formwechsels geheilt. Schließlich lassen Mängel des Formwechsels gemäß § 202 Abs. 3 UmwG die Wirkungen der Registereintragung der Zielrechtsform unberührt. (1) Materielle Beschlusskontrolle? Der Umwandlungsbeschluss bedarf bei innerstaatlichen Formwechseln keiner sachlichen Rechtfertigung.348 Nach Dafürhalten des Gesetzgebers ist es zum Schutz der Minderheitsgesellschafter nicht erforderlich, dass der Formwechsel im Interesse der Gesellschaft liegt und zur Erreichung des beabsichtigten Zwecks verhältnismäßig ist.349 Das Umwandlungsgesetz enthält ein breit angelegtes Instrumentarium zum Schutz der Minderheitsgesellschafter, sodass es grundsätzlich keiner weitergehenden gerichtlichen Zweckmäßigkeitskontrolle des Umwandlungsbeschlusses bedarf.350 Da der Beschluss seine Rechtfertigung somit bereits „in sich“ trägt, ist die Mehrheitsmacht prinzipiell unbeschränkt und unterliegt im Ausgangspunkt weder einer allgemeinen materiellen Beschlusskontrolle noch eine institutionellen Rechtsmissbrauchskontrolle.351 Dies gilt für grenzüberschreitende Fallkonstellationen gleicher347

Im Ergebnis auch Stiegler, Rechtsformwechsel, 2013, S. 74 f.; Stiegler, KSzW 2014, 107 (114). 348 Vgl. Bärwaldt, in: Semler/Stengel, UmwG, § 193, Rn. 17; Hoger, Kontinuität, 2008, S. 247 f.; Ihrig, in: Semler/Stengel, UmwG, § 233, Rn. 28; Zimmermann, in: Kallmeyer, UmwG, § 193, Rn. 10. 349 Vgl. BT-Drs. 12/6699, S. 86. 350 Vgl. Bärwaldt, in: Semler/Stengel, UmwG, § 193, Rn. 17; Decher/Hoger, in: Lutter, UmwG, Bd. II, § 193, Rn. 9; Hoger, Kontinuität, 2008, S. 248; Ihrig, in: Semler/Stengel, UmwG, § 233, Rn. 28; Zimmermann, in: Kallmeyer, UmwG, § 193, Rn. 10. 351 Vgl. Hoger, Kontinuität, 2008, S. 247.

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maßen. Wie vorstehend dargelegt finden beim Herausformwechsel einer deutschen Gesellschaft die für innerstaatliche Formwechsel vorgesehenen Schutzinstrumente zugunsten der Anteilsinhaber Anwendung. Da die Gefahrenlage für Anteilsinhaber bei innerstaatlichen und grenzüberschreitenden Formwechseln vergleichbar ist (vgl. § 6 II. 1. f)), bedarf es auch im grenzüberschreitenden Kontext keiner materiellen Kontrolle des Umwandlungsbeschlusses durch die Gerichte. Aufgrund der nicht unerheblichen abschreckenden Wirkung einer gerichtlichen Zweckmäßigkeitskontrolle des Umwandlungsbeschlusses wäre diese unionsrechtlich auch nicht zu rechtfertigen. Bei innerstaatlichen Formwechseln hat der BGH der Mehrheitsmacht bei der vertraglichen Ausgestaltung der Verbandsverfassung der Zielrechtsform jedoch Grenzen gesetzt (sog. Freudenberg-Rechtsprechung).352 Aus der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht der Gesellschaftermehrheit gegenüber der Gesellschafterminderheit folge, dass die aus betriebswirtschaftlichen, rechtlichen oder sonstigen Gründen beschlossene Umwandlung von der Mehrheit nicht dazu ausgenutzt werden dürfe, weitere, nicht durch die Umwandlung selbst oder ihre Gründe notwendig veranlasste Veränderungen der bestehenden Gesellschaftsstruktur zu beschließen.353 Die Grundzüge der Gesellschaftsorganisation, die Kompetenzen der Gesellschaftsorgane und die Rechtspositionen der einzelnen Gesellschafter seien im Rahmen des rechtlich und tatsächlich Möglichen zu erhalten oder anzupassen und notwendige Veränderungen nur nach den Grundsätzen des geringstmöglichen Eingriffs vorzunehmen.354 Dies gelte jedoch nur für Veränderungen der Gesellschaftsstruktur, welche anlässlich des Formwechsels beschlossen werden, nicht hingegen für rechtsformbedingte Änderungen, welche durch den Wechsel der gesetzlichen Verbandsverfassung notwendigerweise veranlasst seien.355 Es erscheint jedoch zweifelhaft, ob eine inhaltliche Kontrolle der individualvertraglich vereinbarten Organisationsverfassung der Zielrechtsform durch deutsche Gerichte bei grenzüberschreitenden Formwechseln unionsrechtlich zulässig ist. Wesentliche Triebfeder grenzüberschreitender Umwandlungen sind die Vorteile, welche die gesetzliche Verbandsverfassung der Zielrechtsform den Anteilsinhabern im Hinblick auf die individuelle Ausgestaltung der Organisationsstruktur der Gesellschaft bietet (vgl. § 2 III. 1.). Eine Übertragung der Freudenberg-Rechtsprechung auf grenzüberschreitende Fallkonstellationen würde den Gestaltungsspielraum der Mehrheitsmacht deutlich einengen. Eine aus der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht hergeleitete Verpflichtung, die Rechtspositionen der Anteilsinhaber möglichst zu erhalten und Veränderungen nur nach den Grundsätzen des geringstmöglichen Eingriffs vor352

Vgl. BGH, NJW 1983, 1056 (1058 f.); BGH, NZG 2005, 722 (723). BGH, NJW 1983, 1056 (1058 f.); BGH, NZG 2005, 722 (723). 354 BGH, NJW 1983, 1056 (1059); BGH, NZG 2005, 722 (723). 355 Vgl. BGH, NZG 2005, 722 (723); Hoger, Kontinuität, 2008, S. 251. 353

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zunehmen, ließe die Vornahme grenzüberschreitender Formwechsel wesentlich weniger attraktiv erscheinen. Nach dem Schutzkonzept des Umwandlungsgesetzes bestehen zugunsten der Inhaber besonderer mitgliedschaftlicher Rechtspositionen individuelle Zustimmungsvorbehalte, sodass der Umwandlungsbeschluss bis zur Zustimmung der betroffenen Anteilsinhaber ohnehin schwebend unwirksam ist (vgl. § 6 III. 3. a) cc)). Eine darüber hinausgehende Überprüfung des Gestaltungsspielraums der Mehrheitsmacht anhand vermeintlicher gesellschaftsrechtlicher Treuebindungen widerspricht zum einen der gesetzgeberischen Grundkonzeption, nach welcher der Verlust allgemeiner mitgliedschaftlicher Rechtspositionen dem Wechsel der Rechtsform einer Gesellschaft wesensimmanent ist. Die Beschlussfassung der Gesellschaftermehrheit, durch welche derartige Rechte der Minderheitsgesellschafter berührt werden, ist bereits aus diesem Grund nicht als treuwidrig anzusehen. Zum anderen wäre eine Inhaltskontrolle des Umwandlungsbeschlusses vor dem Hintergrund der übrigen umwandlungsrechtlichen Schutzinstrumente auch nicht erforderlich. Angesichts des damit verbundenen erheblichen Abschreckungspotentials mit Blick auf die Ausübung der Niederlassungsfreiheit ginge eine Kontrolle des Umwandlungsbeschlusses nach Maßgabe der Freudenberg-Rechtsprechung über das zum Schutz der Minderheitsgesellschafter erforderliche Maß hinaus. Eine über eine individuelle Rechtsmissbrauchskontrolle hinausgehende Beschränkung des Gestaltungsspielraums der Mehrheitsmacht ist unionsrechtlich nicht zu rechtfertigen. (2) Individuelle Rechtsmissbrauchskontrolle Zwar unterliegt der Umwandlungsbeschluss auch im grenzüberschreitenden Kontext keiner materiellen Beschlusskontrolle. Die Anteilsinhaber werden jedoch durch eine individuelle gerichtliche Rechtsmissbrauchskontrolle vor dem Verlust beziehungsweise der Schmälerung ihrer mitgliedschaftlichen Rechtsposition geschützt. Der Umwandlungsbeschluss muss sich an der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht sowie dem allgemeinen Rechtsmissbrauchsverbot messen lassen.356 Der Umwandlungsbeschluss wird zum Teil als treuwidrig erachtet, wenn der Formwechsel einzig dem Zweck dient, Minderheitsgesellschafter im Anschluss an die Umwandlung im Wege eines squeeze out aus der Gesellschaft auszuschließen.357 In aller Regel dürfte die Kombination eines Formwechsels und eines squeeze out allerdings eine legitime Ausnutzung gesellschaftsrechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten darstellen, selbst wenn der Formwechsel einzig von der Motivation getragen wird, 356

Vgl. BGH, NJW 1983, 1056 (1059); Göthel, in: Lutter, UmwG, Bd. II, § 233, Rn. 55; Hoger, Kontinuität, 2008, S. 252; Ihrig, in: Semler/Stengel, UmwG, § 233, Rn. 29; siehe bezüglich der Verschmelzung auch Zimmermann, in: Kallmeyer, UmwG, § 13, Rn. 12. 357 Vgl. zum Streitstand Hoger, Kontinuität, 2008, S. 253 f. m.w.N.

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Minderheitsgesellschafter in der Zielrechtsform zwangsweise ausschließen zu können.358 Zwar ist der zwangsweise Ausschluss von Minderheitsgesellschaftern in anderen Mitgliedstaaten in weitergehendem Maße zulässig als hierzulande (vgl. § 6 II. 2. a)). Diese Tatsache alleine rechtfertigt jedoch keinesfalls, den Beschluss über die Umwandlung in eine EU-ausländische Rechtsform, deren gesetzliche Verbandsverfassung ein solches Vorgehen unter geringeren Voraussetzungen ermöglicht, mit dem Verdikt des Rechtsmissbrauchs zu versehen. Der Umwandlungsbeschluss ist demgegenüber rechtswidrig und anfechtbar, wenn er mehrheitlich in Kenntnis der Tatsache gefasst wird, dass die Anteilsinhaber entgegen dem Schutzkonzept des Umwandlungsgesetzes keinen vollständigen monetären Ausgleich für umwandlungsbedingte Beeinträchtigungen ihrer mitgliedschaftlichen Rechtspositionen erhalten werden.359 Wie bereits dargelegt können die Ausgleichsansprüche der Gesellschafter gemäß §§ 196 S. 1, 207 Abs. 1 UmwG sowie – subsidiär – gemäß §§ 204, 23 UmwG in Konflikt zu Kapitalerhaltungsvorschriften des Aufnahmestaates geraten (vgl. § 6 III. 3. b) bb)). Es ist etwa treuwidrig und unter dem Aspekt widersprüchlichen Verhaltens zugleich rechtsmissbräuchlich, im Umwandlungsbeschluss gemäß § 194 Abs. 1 Nr. 5 und 6 UmwG Ausgleichsmaßnahmen für potentiell benachteiligte Anteilsinhaber vorzusehen, denen jedoch zwingende Kapitalschutzvorschriften der neuen gesetzlichen Verbandsverfassung entgegenstehen.360 Soweit bereits zum Zeitpunkt der Beschlussfassung über den Formwechsel hinreichend sicher ist, dass die Gesellschaft Ausgleichsansprüche der Anteilsinhaber nicht wird erfüllen können, bildet dieser Umstand eine hinreichende Rechtsgrundlage für eine Beschlussmängelklage betroffener Gesellschafter. Der Klage steht auch nicht entgegen, dass die Angemessenheit dieser Abfindungsansprüche gemäß §§ 195 Abs. 2, 210 UmwG lediglich im Spruchverfahren gerichtlich überprüfbar ist. Kompensationsbezogene Rügen sollen angesichts der weitreichenden Bestandskraft einer einmal eingetragenen Umwandlung nur insoweit in das Spruchverfahren verwiesen werden, als die Angemessenheit einer zulässigerweise leistbaren Ausgleichszahlung in Frage steht.361 Ist hingegen von vornherein absehbar, dass es benachteiligten Anteilsinhabern im Anschluss an den Formwechsel verwehrt sein wird, Einbußen im Hinblick auf ihre mitgliedschaftliche Rechtsposition zu liquidieren, entfällt die Rechtfertigung dafür, die Wirksamkeitsprüfung des Umwandlungsbeschlusses von der Angemessenheitsprüfung einer etwaigen Ausgleichszahlung abzukoppeln.362 358

Vgl. Hoger, Kontinuität, 2008, S. 257 f. Vgl. Hoger, Kontinuität, 2008, S. 258. 360 Hoger, Kontinuität, 2008, S. 258. 361 Hoger, Kontinuität, 2008, S. 259. 362 Hoger, Kontinuität, 2008, S. 259. 359

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Kapitel 3: Der grenzüberschreitende Formwechsel nach deutschem Recht

bb) Spruchverfahren Die Angemessenheit der Ausgleichsansprüche ausscheidender beziehungsweise in ihrer mitgliedschaftlichen Rechtsposition beeinträchtigter Anteilsinhaber gemäß den §§ 196 S. 1, 207 Abs. 1 UmwG sowie – subsidiär – gemäß §§ 204, 23 UmwG wird analog den für innerstaatliche Formwechsel geltenden Vorschriften der §§ 196 S. 2, 212 UmwG im Spruchverfahren überprüft. Zur Durchführung des Spruchverfahrens ist entsprechend § 2 Abs. 1 S. 1 SpruchG das Landgericht zuständig, in dessen Bezirk der formwechselnde Rechtsträger vor der Umwandlung seinen Sitz hatte. Die Vorschrift meint den in der Satzung beziehungsweise im Gesellschaftsvertrag festgelegten statuarischen Sitz der Gesellschaft.363 Subsidiär ist auf den effektiven Verwaltungssitz des formwechselnden Rechtsträgers vor Durchführung des Formwechsels abzustellen. Diese Gerichtszuständigkeit bleibt auch nach Vollzug des Formwechsels bestehen.364 Man mag die internationale Zuständigkeit wie im Fall der grenzüberschreitenden Verschmelzung aus Art. 5 Abs. 1 lit. a EuGVVO365 beziehungsweise Art. 22 Nr. 2 EuGVVO366 herleiten oder analog Art. 8 Abs. 16 SE-VO eine Gerichtsstandsfiktion am bisherigen Sitz der Gesellschaft vornehmen367 Unabhängig von der Frage, welche dieser Vorschriften man konkret zur Zuständigkeitsbegründung heranzieht, ergibt sich die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte der Sache nach bereits daraus, dass das Spruchverfahren ein Instrument des Gesellschafterschutzes darstellt. Nach den Grundsätzen der kollisionsrechtlichen Vereinigungstheorie obliegt der Schutz der Anteilsinhaber bei grenzüberschreitenden Formwechseln dem Herkunftsstaat (vgl. § 5 II. 1.). Dementsprechend sind beim Herausformwechsel deutscher Gesellschaften deutsche Gerichte berufen, die Angemessenheit der Ausgleichsansprüche der Anteilsinhaber sicherzustellen. Hinzu kommt die praktische Erwägung, dass die Gerichte des Aufnahmestaates mit den umwandlungsrechtlichen Schutzvorkehrungen des deutschen Rechts in aller Regel nicht vertraut seien dürften und der Gesellschafterschutz daher durch deutsche Gerichte schneller und effektiver verwirklicht werden kann. g) Unionsrechtliche Bedenken? Ein Formwechsel birgt für die Anteilsinhaber einer Gesellschaft stets die Gefahr der Beeinträchtigung ihrer mitgliedschaftlichen Rechtspositionen, 363

Wasmann, in: KölnKomm-AktG, Bd. 9, § 2, Rn. 3. Vgl. Jaensch, EWS 2007, 97 (105); Hoffmann, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 54, Rn. 14. 365 Vgl. Marsch-Barner, in: Kallmeyer, UmwG, § 122i, Rn. 8. 366 Vgl. Bayer, in: Lutter, UmwG, Bd. I, § 122i, Rn. 27; Wasmann, in: KölnKommAktG, Bd. 9, § 2, Rn. 15. 367 Vgl. Verse, ZEuP 2013, 458 (484). 364

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unabhängig davon ob es sich um eine innerstaatliche oder eine grenzüberschreitende Umwandlung handelt (vgl. § 6 II. 1. f)). Dementsprechend hat der EuGH hat in der Rechtssache VALE den Schutz der Minderheitsgesellschafter als zwingendes Allgemeininteresse anerkannt.368 Das Schutzkonzept der §§ 190 ff. UmwG – Zustimmungserfordernisse, monetäre Ausgleichsansprüche für Rechtseinbußen, Perpetuierung spezifischer Sonderrechte sowie Haftung der Verwaltungsträger – ist indes geeignet, grenzüberschreitende Formwechsel zu verhindern oder aus Sicht der Gesellschaftermehrheit zumindest weniger attraktiv zu machen. Sofern der Umwandlungsbeschluss nur einstimmig gefasst werden kann oder zugunsten einzelner Gesellschafter individuelle Zustimmungserfordernisse bestehen, ist die Gesellschaftermehrheit nicht in der Lage, ihre Interessen gegen dissentierende Minderheitsgesellschafter durchzusetzen. Ausgleichsansprüche austretender oder für Einbußen ihrer mitgliedschaftlichen Rechtsposition zu entschädigender Gesellschafter können zudem einen Liquiditätsverlust herbeiführen. Das Schutzkonzept des Umwandlungsgesetzes zugunsten der Anteilsinhaber stellt somit eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit der Gesellschaft dar und muss sich daher an den Kriterien der Gebhard-Formel messen lassen (vgl. § 3 III. 4. b)). Da die Schutzinstrumente der §§ 190 ff. UmwG unterschiedlichen Gefährdungslagen der Anteilsinhaber begegnen und sich gegenseitig zu einem Gesamtschutzkonzept ergänzen, lässt sich die Geeignetheit und Erforderlichkeit der Regelungen nur einheitlich beurteilen. Die Vorschriften des Umwandlungsgesetzes zum Schutz der Anteilsinhaber werden verbreitet für unionsrechtskonform gehalten.369 Angesichts der zahlreichen Schwächen der gesetzlichen Regelungen bedarf es jedoch einer eingehenden Untersuchung, ob diese – überwiegend pauschal vorgebrachte – Behauptung zutrifft. aa) Geeignetheit Hoger hat aufgezeigt, dass das Schutzinstrumentarium des Umwandlungsgesetzes nur bedingt geeignet ist, die Anteilsinhaber vor formwechselbedingten Gefahren zu schützen.370 Er hat dargelegt, dass die umwandlungsrechtlichen Regelungen formwechselbedingte Rechtseinbußen der Anteilsinhaber nur teilweise zu verhindern beziehungsweise zu kompensieren vermögen. 371 Le368

Vgl EuGH, Urteil vom 12.7.2012, Rs. C-378/10 – VALE Építési, Rn. 39. Vgl. Behrens/Hoffmann, in: GroßKomm-GmbHG, Bd. I, IntGesR, Rn. B163; Wicke, DStR 2012, 1756 (1758); der Sache nach auch Hennrichs u.a., WM 2009, 2009 (2015); Hoffmann, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 54, Rn. 4; W.-H. Roth, FS Hoffmann-Becking, 2013, 965 (978); Verse, ZEuP 2013, 458 (482); Vossius, in: Widmann/Mayer, UmwR, 134. EL (2012), § 191 UmwG, Rn. 104; Weller, FS Blaurock, 2013, 497 (523). 370 Vgl. Hoger, Kontinuität, 2008, S. 224 ff. 371 Vgl. zum Ergebnis der Analyse Hoger, Kontinuität, 2008, S. 260. 369

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diglich sofern der Umwandlungsbeschluss einstimmig gefasst werden muss oder einem individuellen Zustimmungsvorbehalt einzelner Gesellschafter unterliegt, sind die (jeweiligen) Gesellschafter umfassend vor einer ungewünschten Verkürzung ihrer mitgliedschaftlichen Rechtsposition geschützt.372 Andernfalls bieten die umwandlungsrechtlichen Zustimmungserfordernisse keinen ausreichenden Schutz gegen formwechselbedingte Beeinträchtigungen der mitgliedschaftlichen Rechtsposition dissentierender Anteilsinhaber. Deren Schutz wird auch durch die übrigen umwandlungsrechtlichen Schutzinstrumente nicht hinreichend gewährleistet. Der Sonderrechtsschutz der §§ 204, 23 UmwG ist unzureichend, weil die Beeinträchtigung der Gesellschafterstellung vielfach auf dem Wegfall allgemeiner mitgliedschaftlicher Rechtspositionen beruht, welcher von diesen Vorschriften nicht erfasst wird.373 Auch die monetären Ausgleichsansprüche der §§ 196 S. 1, 207 Abs. 1 UmwG gewährleisten nicht stets einen angemessenen Schutz der Anteilsinhaber. Sofern diese Ansprüche in Konflikt zu Kapitalerhaltungsvorschriften der gesetzlichen Verbandsverfassung der Zielrechtsform geraten, versagt der durch die Gewährung dieser Ansprüche bezweckte Gesellschafterschutz gänzlich (vgl. § 6 III. 3. b) bb)). Letztlich vermögen die Ausgleichsansprüche es nicht, sämtliche potentiellen Beeinträchtigungen der mitgliedschaftlichen Rechtspositionen der Anteilsinhaber stets und in vollem Umfang zu kompensieren.374 Aufgrund seines begrenzten Anwendungsbereichs gilt dies gleichermaßen für den Ersatzanspruch der Gesellschafter gegen die Verwaltungsträger gemäß §§ 205 f. UmwG. Da der Rechtsschutz bezüglich kompensationsbezogener Rügen eingeschränkt ist und der Umwandlungsbeschluss lediglich einer individuellen Rechtsmissbrauchskontrolle unterliegt, dürften schließlich Klagen der Anteilsinhaber gegen den Umwandlungsbeschluss nur selten erfolgreich sein.375 Zwar werden die Anteilsinhaber durch das Schutzinstrumentarium des Umwandlungsgesetzes nicht hinreichend vor formwechselbedingten Gefahren geschützt. Das Unionsrecht verlangt jedoch nicht, dass das verfolgte zwingende Allgemeininteresse durch das mitgliedstaatliche Schutzkonzept stets optimal verwirklicht wird (vgl. § 3 III. 4. b) cc)). Sofern das Allgemeinwohlinteresse zumindest gefördert wird, ist den unionsrechtlichen Anforderungen genüge getan. Dies ist zweifellos der Fall. Der Schutz der Anteilsinhaber würde lediglich dann optimal verwirklicht, wenn der Umwandlungsbeschluss stets einstimmig gefasst werden müsste. Insbesondere bei Gesell372

Vgl. Frowein, Sitzverlegung, 2001, S. 152; Hoger, Kontinuität, 2008, S. 225; Paefgen, WM 2009, 529 (533). 373 Vgl. Hoger, Kontinuität, 2008, S. 232. 374 Vgl. Hoger, Kontinuität, 2008, S. 244. 375 Vgl. Hoger, Kontinuität, 2008, S. 249 und 261.

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schaftsformen, welche typischerweise dem Publikum offenstehen, kann die Umwandlung jedoch nicht von der Zustimmung jedes einzelnen Anteilsinhabers abhängig gemacht werden. Wird dem Einzelnen eine Blockademöglichkeit eingeräumt, führt dies bei solchen Gesellschaften erfahrungsgemäß dazu, dass die Durchführung der Umwandlung tatsächlich ausgeschlossen ist. Vor diesem Hintergrund lässt sich nichts dagegen einwenden, dass das Umwandlungsgesetz im Falle von Mehrheitsentscheidungen ein alternatives Schutzkonzept zugunsten der Gesellschafterminderheit vorsieht. Trotz der dargelegten Schwächen dient das umwandlungsrechtliche Instrumentarium dem Schutz der Anteilsinhaber vor formwechselbedingten Gefahren und ist daher geeignet, dieses Allgemeininteresse zu fördern. bb) Erforderlichkeit Die gesellschafterschützenden Regelungen der §§ 190 ff. UmwG müssen zudem erforderlich sein, also diejenigen Schutzinstrumente enthalten, welche die Niederlassungsfreiheit der Gesellschaft am wenigsten stark beeinträchtigen (vgl. § 3 III. 4. b) dd)). Es gilt eine Balance zwischen den Interessen der Minderheitsgesellschafter an der Bewahrung ihrer mitgliedschaftlichen Rechtsposition und dem Interesse der Gesellschaftermehrheit am Vollzug des Formwechsels herzustellen. Zunächst kann man danach fragen, ob es zum Schutz der Gesellschafterminderheit erforderlich ist, dass der Umwandlungsbeschluss einer Personengesellschaft (grundsätzlich) einstimmig gefasst werden muss. Man könnte den Standpunkt vertreten, dass es ausreichend ist, ein qualifiziertes Mehrheitsquorum vorzusehen und den Schutz der Minderheitsgesellschafter durch andere Schutzinstrumente zu gewährleisten. Dadurch würde dem Vertrauen der Anteilsinhaber einer Personengesellschaft in die Beständigkeit ihrer mitgliedschaftlichen Rechtsposition jedoch nicht ausreichend Rechnung getragen. Das Personengesellschaftsrecht geht davon aus, dass Grundlagenentscheidungen grundsätzlich einstimmig getroffen werden müssen (vgl. § 6 III. 3. a) aa)). Sofern die Anteilsinhaber gesellschaftsvertraglich keine abweichende Regelung getroffen haben, ist das Vertrauen des Einzelnen schutzwürdig, dass eine derart weitreichende Entscheidung wie ein Formwechsel nicht gegen seinen Willen getroffen werden kann. Es ist auch bei grenzüberschreitenden Fallkonstellationen unionsrechtlich nichts dagegen einzuwenden, die Gesellschaftermehrheit an der ursprünglich getroffenen Entscheidung zugunsten des Einstimmigkeitsprinzips festzuhalten. In Ausnahmefällen können die Minderheitsgesellschafter freilich aufgrund gesellschaftsrechtlicher Treuebindungen verpflichtet sein, dem Umwandlungsbeschluss zuzustimmen. Kann der Umwandlungsbeschluss demgegenüber mit qualifizierter Mehrheit getroffen werden, muss dissentierenden Minderheitsgesellschaftern das

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Recht gewährt werden, gegen eine Barabfindung aus dem formwechselnden Rechtsträger auszuscheiden. Vereinzelt wird die Barabfindungsregelung des § 12 SEAG bei der grenzüberschreitenden Sitzverlegung der SE zwar für zu weitgehend gehalten. 376 Richtigerweise ist die Regelung angesichts der starken Prägung der Binnenverfassung der SE durch das nationale Recht des jeweiligen Sitzstaates jedoch erforderlich.377 Da die gesetzliche Verbandsverfassung des formwechselnden Rechtsträgers bei grenzüberschreitenden Formwechseln angesichts der Vielzahl potentieller Zielrechtsformen im Vergleich zur Sitzverlegung der SE wesentlich größeren Veränderungen unterliegen kann, ist unionsrechtlich nichts dagegen einzuwenden, den Anteilsinhabern des formwechselnden Rechtsträgers ein Austrittsrecht zuzugestehen. Im Ergebnis hält das Schutzinstrumentarium des Umwandlungsgesetzes zugunsten der Anteilsinhaber einer unionsrechtlichen Überprüfung am Maßstab der Niederlassungsfreiheit stand. Zwar sind das Einstimmigkeitserfordernis beim Herausformwechsel von Personengesellschaften sowie die individuellen Zustimmungsvorbehalte zugunsten einzelner Gesellschafter geeignet, Herausformwechsel deutscher Gesellschaften gänzlich zu verhindern. Ferner machen Ausgleichszahlungen an ausscheidende sowie in ihrer Rechtsposition beeinträchtigte Gesellschafter infolge des damit verbundenen Liquiditätsabflusses die Vornahme grenzüberschreitender Formwechsel weniger attraktiv. Diese Schutzinstrumente sind jedoch zum Schutz der Anteilsinhaber geboten. Das Schutzinstrumentarium des Umwandlungsgesetzes zugunsten der Minderheitsgesellschafter stellt einen angemessenen Ausgleich her zwischen dem Interesse der Gesellschaftermehrheit, den beabsichtigten Formwechsel durchzuführen, und dem Interesse dissentierender Minderheitsgesellschafter an der Perpetuierung ihrer mitgliedschaftlichen Rechtspositionen. IV. Praktische Durchführung von Herausformwechseln Im Folgenden wird untersucht, welche konkreten Schritte eine formwechselwillige Gesellschaft unternehmen muss, um einen Herausformwechsel in eine EU-ausländische Rechtsform zu vollziehen. Zunächst wird dargestellt, welche spezifischen Formwechselkonstellationen unionsrechtlich gewährleistet sind. Anschließend wird der Ablauf des Umwandlungsverfahrens unter besonderer Beachtung des Registerverfahrens in Deutschland und im jeweiligen Aufnahmestaat beschrieben.

376 Vgl. Hunger, in: Jannott/Frodermann, Hdb. SE, Kap. 9, Rn. 93; Ringe, Sitzverlegung, 2006, S. 119 f. 377 Vgl. BT-Drs. 15/3405, S. 35; Hoger, Kontinuität, 2008, S. 324; Kalss, in: Kalss/ Hügel, Europäische Aktiengesellschaft, § 12 SEG, Rn. 3; Schwarz, SE-VO, Art. 8, Rn. 30.

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1. Zulässige Formwechselkonstellationen Die Niederlassungsfreiheit gewährleistet Gesellschaften das Recht, aus dem Herkunftsstaat rechtsformwechselnd wegzuziehen, sofern der Aufnahmestaat die beabsichtigte Umwandlung zumindest innerstaatlich gestattet und diese mit einem tatbestandsmäßigen Niederlassungsvorgang im Aufnahmestaat einhergeht (vgl. § 4 IV. 2.). Damit steht genau genommen fest, welche konkreten Formwechselkonstellationen durch das Unionsrecht gewährleistet werden. a) Formwechselfähige Rechtsträger Das Recht einer Gesellschaft, einen Formwechsel in eine EU-ausländische Rechtsform vorzunehmen, setzt im Ausgangspunkt lediglich voraus, dass die Gesellschaft vom personellen Anwendungsbereich der Art. 49 ff. AEUV erfasst wird (vgl. § 3 II. 2.). Unter dieser Prämisse ist der Herkunftsstaat nicht berechtigt, der Gesellschaft die Umwandlung per se zu verwehren, etwa indem er den Umwandlungsbeschluss zum Anlass nimmt, die Gesellschaft aufzulösen und zu liquidieren. Jede Gesellschaft, welche sich auf die Niederlassungsfreiheit berufen kann, hat grundsätzlich das Recht, den Herkunftsstaat formwechselnd zu verlassen.378 Personenverbände können sich unabhängig von ihrer konkreten Rechtsform auf die Niederlassungsfreiheit berufen, sofern sie die unionsrechtlichen Kriterien des Art. 54 Abs. 1 AEUV erfüllen (vgl. § 3 II. 2. b)). Dementsprechend hat der EuGH das Recht auf formwechselnden Wegzug nicht etwa auf Kapitalgesellschaften beschränkt. 379 Sofern Personengesellschaften vom personellen Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit erfasst werden, steht auch ihnen das Recht auf grenzüberschreitenden Formwechsel zu. Dieses Recht setzt nicht voraus, dass der Herkunftsstaat in seinem nationalen Recht ein entsprechendes Umwandlungsrecht bereithält (vgl. § 4 IV. 2. a)). Vielmehr gebietet die Niederlassungsfreiheit dem Herkunftsstaat, Trägern der Niederlassungsfreiheit einen formwechselnden Wegzug grundsätzlich zu ermöglichen. Die Regelung des § 191 Abs. 1 UmwG vermag den Kreis formwechselfähiger Ausgangsrechtsformen daher nicht einzuschränken.380 Ein Rechtsträger einer in dieser Vorschrift 378

Vgl. Barthel, EWS 2011, 131 (133); Frobenius, DStR 2009, 487 (49); Hoffmann, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 54, Rn. 12; W.-H. Roth, ZGR 2014, 168 (212); Vossestein, ECL 2009, 115 (120); a.A. offenbar Wöhlert/Degen, GWR 2012, 337957, die den Herausformwechsel lediglich für „formwechselfähige Gesellschaften“ eröffnet sehen. 379 Vgl. EuGH, Urteil vom 16.12.2008, Rs. C-210/06 – Cartesio, Slg. 2008, I-9641, Rn. 113 sowie EuGH, Urteil vom 12.7.2012, Rs. C-378/10 – VALE Építési, Rn. 46, wo der Gerichtshof allgemein von „Gesellschaften“ spricht. 380 Vgl. Hoffmann, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 54, Rn. 12; a.A. Krafka/Kühn, Registerrecht, Rn. 1211b, denen zufolge lediglich die in § 191 Abs. 1 UmwG genannten Ausgangsrechtsformen einen grenzüberschreitenden Formwechsel vornehmen können.

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nicht aufgeführten Rechtsform ist berechtigt, einen grenzüberschreitenden Formwechsel vorzunehmen, sofern der Aufnahmestaat den Formwechsel in die gewünschte Zielrechtsform aus einer der deutschen Gesellschaft rechtstypologisch vergleichbaren Ausgangsrechtsform jedenfalls innerstaatlich zulässt.381 Die GbR kann gemäß § 191 Abs. 1 UmwG nicht Ausgangsrechtsform eines innerstaatlichen Formwechsels sein. Sofern sie – als Außengesellschaft – einen Erwerbszweck verfolgt und infolgedessen Trägerin der Niederlassungsfreiheit ist (vgl. § 3 II. 2. b)), steht ihr jedoch grundsätzlich das unionsrechtlich verbürgte Recht zu, einen Formwechsel in eine EU-ausländische Rechtsform vorzunehmen. Die Vorschrift des § 191 Abs. 1 UmwG ist daher unionsrechtskonform dahingehend auszulegen, dass sie im grenzüberschreitenden Kontext einem Formwechsel der GbR nicht entgegensteht.382 In sachrechtlicher Hinsicht wirft der Herausformwechsel der GbR jedoch besondere Fragen auf, weil das Umwandlungsgesetz keine Vorschriften für Umwandlungen unter Beteiligung der GbR als Ausgangsrechtsform bereithält, welche auf grenzüberschreitende Fallkonstellationen übertragen werden könnten. Ungeklärt ist daher, wie die Interessen der Gesellschaftsgläubiger und Anteilsinhaber im Falle des Herausformwechsels einer GbR geschützt werden. Naheliegend ist es, insoweit auf diejenigen Regelungen zurückzugreifen, welche beim Herausformwechsel von Personenhandelsgesellschaften Anwendung finden (vgl. § 6 III.). Als problematisch erweist sich jedoch der Umstand, dass die GbR weder registerpflichtig noch registerfähig ist. Trotz der Anerkennung der Teilrechtsfähigkeit der GbR und der starken Annäherung ihrer gesetzlichen Verbandsverfassung an die OHG wirft die fehlende Registerpublizität zahlreiche Probleme auf.383 Fraglich ist, ob dieser Umstand einen generellen Ausschluss der GbR als formwechselfähiger Rechtsträger zu rechtfertigen vermag. Da dies faktisch einer Negation der Niederlassungsfreiheit der GbR gleichkäme, ist dies richtigerweise nicht der Fall.384 Die Rechtspraxis wird sich einstweilen mit Hilfskonstruktionen behelfen müssen (vgl. § 6 IV. 2. d) aa)).

381

Vgl. Ege/Klett, DStR 2012, 2442 (2444). Anders Vossius, in: Widmann/Mayer, UmwR, 134. EL (2012), § 191 UmwG, Rn. 67; siehe bezüglich der Verschmelzungsfähigkeit der GbR auch Geyhalter/Weber, DStR 2006, 146 (151). 383 Vgl. Geyhalter/Weber, DStR 2006, 146 (151) in Bezug auf die grenzüberschreitende Verschmelzung. 384 Anders Geyhalter/Weber, DStR 2006, 146 (151) in Bezug auf die grenzüberschreitende Verschmelzung. 382

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b) Zulässige Zielrechtsformen Die potentiellen Zielrechtsformen innerstaatlicher Formwechsel werden durch die Regelung des § 191 Abs. 2 UmwG festgelegt. In Fachkreisen wird die Auffassung vertreten, dass Formwechsel im grenzüberschreitenden Kontext nur dann zulässig seien, wenn die EU-ausländische Zielrechtsform rechtstypologisch einer in § 191 Abs. 2 UmwG genannten deutschen Rechtsform entspricht.385 Es könnten nur solche Unterschiede zwischen der Ausgangs- und der Zielrechtsform ausgeglichen werden, für welche das Umwandlungsgesetz bei innerstaatlichen Formwechseln Vorkehrungen getroffen habe.386 Ansonsten drohten die Schutzmechanismen des Umwandungsgesetzes von vornherein zu versagen.387 Diese Aussage ist – zumindest in ihrem allgemeinen Geltungsanspruch – nicht zutreffend. Zunächst dürfte die jeweilige EU-ausländische Zielrechtsform in aller Regel mit einer in § 191 Abs. 2 UmwG genannten deutschen Rechtsform rechtstypologisch vergleichbar sein. Die praktische Relevanz der aufgeworfenen Frage dürfte somit gering sein. Es würde indessen eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit der formwechselwilligen Gesellschaft darstellen, dieser die beabsichtigte Umwandlung unter Verweis auf § 191 Abs. 2 UmwG zu verwehren. Umwandlungskonstellationen, in welchen eine prinzipielle Versagung des Formwechsels unionsrechtlich zu rechtfertigen wäre, sind nicht ersichtlich. Das Umwandlungsgesetz enthält eine Vielzahl von Schutzinstrumenten, um umwandlungsspezifischen Gefahren für Gesellschaftsgläubiger und Anteilsinhaber zu begegnen (vgl. § 6 III.). Die Anwendung dieser Schutzinstrumente stellt im Verhältnis zu einer auf § 191 Abs. 2 UmwG gestützten Versagung des Formwechsels ein milderes Mittel zur Durchsetzung der zwingenden Allgemeininteressen des Gesellschafter- und Gläubigerschutzes dar. Sofern die EUausländische Zielrechtsform keiner der in § 191 Abs. 2 UmwG genannten deutschen Gesellschaftsformen rechtstypologisch entspricht, gilt es zunächst zu untersuchen, welche Rechtsbeeinträchtigungen den Gesellschaftsgläubigern und Anteilsinhabern durch den konkreten Formwechsel drohen. Abhängig von der spezifischen Gefährdungslage sind diejenigen Schutzinstrumente zur Anwendung zu bringen, welche den Interessen der Gesellschaftsgläubiger und Anteilsinhaber Rechnung tragen. Eine prinzipielle Versagung des Formwechsels dürfte demgegenüber kaum jemals erforderlich sein. 385

Vgl. Frowein, Sitzverlegung, 2001, S. 140; Jaensch, EWS 2007, 97 (103); Jaensch, EWS 2012, 353 (358); Krafka/Kühn, Registerrecht, Rn. 1211b; offenbar auch Stiegler, Rechtsformwechsel, 2013, S. 38; Wachter, GmbHR 2014, 99 (100); weitergehend Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 784, der offenbar lediglich Herausformwechsel in die jeweils rechtstypologisch vergleichbare EU-ausländische Zielrechtsform für zulässig hält. 386 Vgl. Frowein, Sitzverlegung, 2001, S. 140. 387 Frowein, Sitzverlegung, 2001, S. 140.

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Eine generelle Beschränkung einzelner Umwandlungskonstellationen durch besondere Vorschriften des Umwandlungsgesetzes kommt ebenfalls nicht in Betracht. § 214 Abs. 1 UmwG sieht etwa vor, dass Personenhandelsgesellschaften durch einen Formwechsel nur die Rechtsform einer Kapitalgesellschaft oder eingetragenen Genossenschaft erlangen können. Die Vorschrift findet beim Herausformwechsel einer OHG oder KG indessen keine Anwendung. In der Konstellation des Herausformwechsels einer Kapitalgesellschaft gilt Entsprechendes für die Regelung des § 226 UmwG, welche die Umwandlungsmöglichkeiten von Kapitalgesellschaften eingrenzt. Diese Beschränkungen wären unionsrechtlich nicht zu rechtfertigen. Ob die beabsichtigte Umwandlung durchgeführt werden kann, hängt vielmehr von den umwandlungsrechtlichen Regelungen des jeweiligen Aufnahmestaates ab.388. Sofern das Umwandlungsrecht des Aufnahmestaates etwa Formwechsel zwischen Personenhandelsgesellschaften zulässt, kann eine OHG oder KG entgegen § 214 Abs. 1 UmwG einen grenzüberschreitenden Formwechsel in die Zielrechtsform einer Personenhandelsgesellschaft des Aufnahmestaates vornehmen. 2. Umwandlungsverfahren Eine deutsche Gesellschaft, welche einen Formwechsel in eine EUausländische Rechtsform vornehmen möchte, muss die im Umwandlungsgesetz zum Schutz der Gesellschaftsgläubiger und Anteilsinhaber vorgesehenen Verfahrensschritte einhalten. Zudem muss sie die Anforderungen erfüllen, welche ihr der jeweilige Aufnahmestaat abverlangt. Dieser ist namentlich berechtigt, zum Schutz des Rechtsverkehrs die Einhaltung der Gründungsvorschriften der jeweiligen Zielrechtsform zu verlangen (vgl. § 4 IV. 2. b)). Das Umwandlungsverfahren lässt sich in drei Phasen einteilen: die Vorbereitungsphase, die Beschlussphase und die Durchführungsphase. a) Vorbereitungsphase Im Zentrum der Vorbereitungsphase steht die Information der von der Umwandlung betroffenen Personengruppen. Ein Formwechsel kann insbesondere die Rechtspositionen von Gesellschaftsgläubigern und Anteilsinhabern beeinträchtigen (vgl. § 6 II.). Diese können die ihnen zustehenden Rechte nur dann sachgerecht ausüben, wenn sie Kenntnis von den Details der beabsichtigten Umwandlung erhalten. Die Instrumente, welche das deutsche Recht insoweit vorsieht, sind bei innerstaatlichen Formwechseln, der grenzüberschreitenden Verschmelzung sowie der Sitzverlegung der SE ähnlich; es bestehen jedoch auch nicht unerhebliche Unterschiede. Bei innerstaatlichen Formwechseln hat das Vertretungsorgan des formwechselnden Rechtsträgers gemäß § 192 388

Vgl. Behrens/Hoffmann, in: GroßKomm-GmbHG, Bd. I, IntGesR, Rn. B163.

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Abs. 1 S. 1 UmwG einen ausführlichen schriftlichen Bericht zu erstatten, in welchem der Formwechsel rechtlich und wirtschaftlich erläutert und begründet sowie die künftige Beteiligung der Anteilsinhaber an der Zielrechtsform in rechtlicher und wirtschaftlicher Hinsicht dargestellt wird. Da der Entwurf des Umwandlungsbeschlusses dem Umwandlungsbericht beizufügen ist (§ 192 Abs. 1 S. 3 UmwG), werden die Anteilsinhaber frühzeitig über vorgesehene Ausgleichsmaßnahmen wegen der Beeinträchtigung mitgliedschaftlicher Rechtspositionen sowie die Höhe des Barabfindungsangebots informiert (vgl. § 194 Abs. 1 Nr. 5 und 6 UmwG). Der Umwandlungsbericht dient ausschließlich der Information der Anteilsinhaber, nicht hingegen der Information der Gesellschaftsgläubiger und Arbeitnehmer.389 Bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen ist gemäß den §§ 122e S. 1, 8 Abs. 1 S. 1 UmwG ein Verschmelzungsbericht zu erstatten. Dieser soll nicht nur die Auswirkungen der Verschmelzung auf die Anteilsinhaber, sondern auch auf Gesellschaftsgläubiger und Arbeitnehmer erläutern. Dem Anspruch der Information der Gesellschaftsgläubiger wird der Verschmelzungsbericht indes nicht gerecht, weil er diesen nicht zugänglich ist. 390 Im Vorfeld der Sitzverlegung einer SE hat das Leitungs- oder Verwaltungsorgan der Gesellschaft gemäß Art. 8 Abs. 3 SE-VO einen Verlegungsbericht zu erstellen, in welchem die rechtlichen und wirtschaftlichen Aspekte der Verlegung erläutert und begründet sowie die Auswirkungen der Verlegung für die Anteilsinhaber, Gesellschaftsgläubiger und Arbeitnehmer im Einzelnen dargelegt werden. Die Anteilsinhaber und Gesellschaftsgläubiger haben gemäß Art. 8 Abs. 4 SE-VO das Recht, den Bericht einzusehen und eine unentgeltliche Abschrift zu erhalten. Anders als beim Formwechsel und der grenzüberschreitenden Verschmelzung ist der Verlegungsbericht ausdrücklich auch an die Gesellschaftsgläubiger adressiert und bezweckt deren Schutz.391 Im Verlegungsbericht sind daher die für die Gesellschaftsgläubiger bedeutsamen rechtlichen Aspekte der Sitzverlegung zu erläutern, wozu auch abweichende Kapitalschutzvorschriften im Aufnahmestaat zählen dürften.392 389 Vgl. Bärwaldt, in: Semler/Stengel, UmwG, § 192, Rn. 23; Mayer, in: Widmann/ Mayer, UmwR, 134. EL (2012), § 192 UmwG, Rn. 6; Meister/Klöcker, in: Kallmeyer, UmwG, § 192, Rn. 1; siehe zum Verschmelzungsrecht auch BT-Drs. 12/6699, S. 84. 390 Vgl. Bayer, in: Lutter, UmwG, Bd. I, § 122e, Rn. 1; Drinhausen, in: Semler/Stengel, UmwG, § 122e, Rn. 2; Hörtnagl, in: Schmitt/Hörtnagl/Stratz, UmwG/UmwStG, § 122e UmwG, Rn. 2; Marsch-Barner, in: Kallmeyer, UmwG, § 122e, Rn. 1. 391 Vgl. Hoger, Kontinuität, 2008, S. 277 f.; Hunger, in: Jannott/Frodermann, Hdb. SE, Kap. 9, Rn. 59; Hushahn, DNotZ 2014, 154 (155); Ringe, Sitzverlegung, 2006, S. 123; Schröder, in: Manz/Mayer/Schröder, Europäische Aktiengesellschaft, Art. 8 SE-VO, Rn. 41; Schwarz, SE-VO, Art. 8, Rn. 19; Zimmer/Ringe, in: Lutter/Hommelhoff, SE Kommentar, Art. 8 SE-VO, Rn. 28. 392 Vgl. Hoger, Kontinuität, 2008, S. 278; Schröder, in: Manz/Mayer/Schröder, Europäische Aktiengesellschaft, Art. 8 SE-VO, Rn. 43; Wasmeier, Umstrukturierung, 2014, S. 197; zurückhaltender Ringe, Sitzverlegung, 2006, S. 117.

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Kapitel 3: Der grenzüberschreitende Formwechsel nach deutschem Recht

Vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Regelungen bedarf es der Klärung, welchen konkreten Inhalt der Umwandlungsbericht bei grenzüberschreitenden Herausformwechseln deutscher Gesellschaften haben muss. Zweifellos muss der Bericht die zur Information der Anteilsinhaber erforderlichen Angaben enthalten. Diese können ihr Stimmrecht nur in Kenntnis aller für den Formwechsel relevanter Umstände sachgerecht ausüben. 393 Die Entscheidung, aus dem formwechselnden Rechtsträger gegen eine Barabfindung auszuscheiden oder Ausgleichsansprüche geltend zu machen, lässt sich nur in Kenntnis aller nachteiligen Auswirkungen des Formwechsels eigenverantwortlich treffen. 394 Eine umfassende rechtsvergleichende Darstellung aller Einzelaspekte der gesetzlichen Verbandsverfassung der Zielrechtsform kann freilich nicht verlangt werden.395 Fraglich ist indes, ob der Umwandlungsbericht zudem spezielle Angaben zur Informationen der Gesellschaftsgläubiger und Arbeitnehmer zu enthalten hat.396 Muss etwa das Kapitalschutzkonzept der Zielrechtsform im Einzelnen erläutert werden, um den Gesellschaftsgläubigern formwechselbedingte Risiken für die Erfüllung ihrer Forderungen zu verdeutlichen? Bei Lichte betrachtet würde die Einbeziehung solcher Angaben in den Umwandlungsbericht Gesellschaftsgläubigern nur bedingt weiterhelfen. Diese sind nämlich nicht berechtigt, aufgrund abstrakter Gefahren, welche ihnen aufgrund des Wechsels der gesetzlichen Verbandsverfassung drohen, vom formwechselnden Rechtsträger Sicherheitsleistung zu verlangen (vgl. § 6 III. 2. b) bb)). Die Einbeziehung gläubigerspezifischer Angaben in den Umwandlungsbericht mag Gesellschaftsgläubigern zwar die abstrakten Risiken des konkreten Formwechsels vor Augen führen. Im Gegensatz zu den Anteilsinhabern sind sie jedoch nicht in der Lage, unmittelbar umwandlungsrechtliche Schutzinstrumente in Anspruch zu nehmen, um der potentiellen Verschlechterung der Erfüllungsaussichten ihrer Forderungen zu begegnen. Vor diesem Hintergrund sind die Gesellschaftsgläubiger auf spezifische Informationen im Umwandlungsbericht nicht angewiesen. Entgegen Art. 8 Abs. 3 SE-VO muss der Bericht im Falle eines grenzüberschreitenden Herausformwechsels ebenso wenig gläubigerspezifische Angaben enthalten wie spezielle Angaben zur Information der Arbeitnehmer. Da dem Umwandlungsbericht weder eine Schutzfunktion zugunsten der Gesellschaftsgläubiger noch zugunsten der

393 Vgl. Bärwaldt, in: Semler/Stengel, UmwG, § 192, Rn. 2; Hoger, Kontinuität, 2008, S. 245; siehe zur grenzüberschreitenden Sitzverlegung der SE auch Wasmeier, Umstrukturierung, 2014, S. 196. 394 Vgl. Hoger, Kontinuität, 2008, S. 245; Wasmeier, Umstrukturierung, 2014, S. 196 f. 395 Vgl. Wasmeier, Umstrukturierung, 2014, S. 195. 396 Dafür Stiegler, Rechtsformwechsel, 2013, S. 73 f.; Stiegler, KSzW 2014, 107 (111).

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Arbeitnehmer zukommt, können die Anteilsinhaber gemäß § 192 Abs. 2 UmwG auf die Erstattung des Berichts verzichten.397 Mängel des Umwandlungsberichts bieten eine Angriffsfläche für Anfechtungsklagen gegen den Umwandlungsbeschluss.398 Voraussetzung einer Anfechtung des Beschlusses ist jedoch, dass ein objektiv urteilender Anteilsinhaber anders abgestimmt hätte, wenn ihm ein mangelfreier Umwandlungsbericht vorgelegen hätte.399 Selbst wenn man entsprechend Art. 8 Abs. 3 SE-VO davon ausginge, dass der Umwandlungsbericht gläubigerspezifische Angaben zu enthalten hat, dürfte dieser Kausalitätszusammenhang im Falle des Fehlens solcher Angaben kaum jemals erfüllt sein. Einem Anteilsinhaber dürfte es schwer fallen darzulegen, dass er anders abgestimmt hätte, wenn der Bericht Informationen enthalten hätte, welche nicht ihm, sondern einem gesellschaftsexternen Dritten zur Verfügung gestellt hätten werden müssen. Allerdings geht die Rechtsprechung bei einem offensichtlich mangelhaften Umwandlungsbericht davon aus, dass ein objektiv urteilender Anteilsinhaber dem Umwandlungsbeschluss wegen der Bedeutung, welche der rechtlichen und wirtschaftlichen Erläuterung für die Anteilsinhaber zukommt, nicht zugestimmt hätte.400 Zur Vermeidung des Vorwurfs, der Umwandlungsbericht sei offensichtlich mangelhaft, weil er überhaupt keine gläubigerspezifischen Angaben enthält, mag es in der Praxis einstweilen ratsam erscheinen, solche Angaben in den Umwandlungsbericht aufzunehmen. Die Grundlagen der Haftungsverfassung und des Kapitalschutzkonzepts der Zielrechtsform müssen freilich bereits zur Information der Anteilsinhaber erläutert werden. Darüber hinausgehend sollte auf das Recht der Gesellschaftsgläubiger, Sicherheit für offene Forderungen zu verlangen, hingewiesen werden. Verlangt ein Gesellschaftsgläubiger im Vorfeld der Umwandlung Einsicht in den Umwandlungsbericht, erscheint es ratsam, dem Verlangen nach Maßgabe von Art. 8 Abs. 4 SE-VO stattzugeben. b) Beschlussphase Im Falle des Herausformwechsels deutscher Gesellschaften unterliegen die Beschlussfassung der Anteilsinhaber über die Umwandlung und das zu ihrer 397

Anders Vossius, in: Widmann/Mayer, UmwR, 134. EL (2012), § 191 UmwG, Rn. 114; siehe zur grenzüberschreitenden Sitzverlegung der SE auch Ringe, Sitzverlegung, 2006, S. 117. 398 Vgl. Bärwaldt, in: Semler/Stengel, UmwG, § 192, Rn. 33; Meister/Klöcker, in: Kallmeyer, UmwG, § 192, Rn. 61. 399 Vgl. BGH, NJW 1962, 104 (108); BGH, NJW 1989, 2689 (2691); BGH, NJWRR 1991, 358 (360); BGH, NJW 2005, 828 (830); Bärwaldt, in: Semler/Stengel, UmwG, § 192, Rn. 35; Meister/Klöcker, in: Kallmeyer, UmwG, § 192, Rn. 62. 400 Vgl. BGH, NJW 1989, 2689 (2691); BGH, NJW-RR 1991, 358 (360); Bärwaldt, in: Semler/Stengel, UmwG, § 192, Rn. 35.

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Vorbereitung einzuhaltende Verfahren dem deutschen Umwandlungsrecht. 401 Welcher Mehrheit der Umwandlungsbeschluss bedarf und in welchen Konstellationen individuelle Zustimmungsvorbehalte zugunsten einzelner Gesellschafter bestehen, wurde bereits dargelegt (vgl. § 6 III. 3. a)). Die Gesellschaft muss ferner die umwandlungsrechtlichen Vorschriften über die Vorbereitung, Einberufung und Durchführung der Gesellschafterversammlung beachten, welche über die Umwandlung befindet. Die für innerstaatliche Formwechsel, grenzüberschreitende Verschmelzungen und die Sitzverlegung der SE geltenden Regelungen divergieren im Einzelnen nicht unerheblich voneinander. aa) Vorbereitung der Beschlussfassung Bei innerstaatlichen Formwechseln ist den Anteilsinhabern des formwechselnden Rechtsträgers gemäß §§ 216, 230, 231, 238 UmwG spätestens mit der Einberufung der Gesellschafterversammlung, in welcher über die Umwandlung Beschluss gefasst werden soll, der Umwandlungsbericht sowie ein Abfindungsangebot gemäß § 207 UmwG zu übersenden. Handelt es sich bei dem formwechselnden Rechtsträger um eine Kapitalgesellschaft, steht es der Übersendung des Abfindungsangebots gleich, wenn das Abfindungsangebot im elektronischen Bundesanzeiger oder den Gesellschaftsblättern bekannt gemacht wird (§§ 231 S. 2, 238 UmwG). Für die AG und die KGaA sehen die §§ 230 Abs. 2, 238 UmwG zudem Erleichterungen im Hinblick auf die Art und Weise vor, wie der Umwandlungsbericht den Anteilsinhabern zugänglich gemacht werden kann. Bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung ist der Verschmelzungsbericht den Anteilsinhabern gemäß §§ 122e S. 2, 63 Abs. 1 Nr. 4 UmwG ab dem Zeitpunkt der Einberufung der Gesellschafterversammlung, welche über die Umwandlung Beschluss fassen soll, spätestens jedoch einen Monat vor der Beschlussfassung durch Auslegung in den Geschäftsräumen der Gesellschaft zugänglich zu machen. Der Wortlaut des Barabfindungsangebots ist gemäß §§ 122i Abs. 1 S. 3, 29 Abs. 1 S. 4 UmwG lediglich bekannt zu machen, wenn der Verschmelzungsvertrag als Gegenstand der Beschlussfassung bekannt gemacht werden muss. Dies ist außer bei der AG und KGaA nur im Falle einer speziellen gesellschaftsvertraglichen Verpflichtung der Fall.402 Bei der Sitzverlegung der SE steht den Anteilsinhabern gemäß Art. 8 Abs. 4 SEVO ebenfalls lediglich ein Einsichtsrecht in den Verlegungsbericht zu. Sie

401

Vgl. Behrens/Hoffmann, in: GroßKomm-GmbHG, Bd. I, IntGesR, Rn. B163; Vermeylen/Vande Velde, ECBMR, Kap. 2, Rn. 2.119; Vossius, in: Widmann/Mayer, UmwR, 134. EL (2012), § 191 UmwG, Rn. 146. 402 Vgl. Kalss, in: Semler/Stengel, UmwG, § 29, Rn. 23; Marsch-Barner, in: Kallmeyer, UmwG, § 29, Rn. 15.

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können die Unterlagen am Sitz der Gesellschaft sichten und die unentgeltliche Aushändigung von Abschriften verlangen. Mit Blick auf die divergierenden Regelungen sollte sich die Praxis bei grenzüberschreitenden Formwechseln einstweilen an der strengsten Regelung orientieren. Die Beschlussfassung der Anteilsinhaber ist somit wie folgt vorzubereiten: Handelt es sich beim formwechselnden Rechtsträger um eine Personengesellschaft, ist den nicht geschäftsführenden Gesellschaftern entsprechend § 216 UmwG der Umwandlungsbericht und das Abfindungsangebot zu übersenden. Mit Blick auf die Regelung des § 122e S. 2 UmwG sollte zumindest der Umwandlungsbericht den Anteilsinhabern ab dem Zeitpunkt der Einberufung der Gesellschafterversammlung, spätestens jedoch einen Monat vor der Beschlussfassung über den Formwechsel zur Verfügung stehen. Da der Entwurf des Umwandlungsbeschlusses gemäß § 192 Abs. 1 S. 3 UmwG Teil des Umwandlungsberichts ist, kann für das Abfindungsangebot gemäß § 207 UmwG nichts anderes gelten (§ 194 Abs. 1 Nr. 6 UmwG). Die Beschlussfassung der Anteilsinhaber einer GmbH ist im Grundsatz ebenso vorzubereiten. Hier besteht allerdings die Möglichkeit, das Abfindungsangebot gemäß §§ 231 S. 2, 238 UmwG bekannt zu machen. Da diese Vorgehensweise für den Umwandlungsbericht nicht gleichermaßen gilt, bringt die Vorschrift jedoch für die Praxis kaum Erleichterungen. Handelt es sich bei dem formwechselnden Rechtsträger hingegen um eine AG oder KGaA, bestehen die in §§ 230 Abs. 2, 238 UmwG genannten Erleichterungen hinsichtlich der Publizität des Umwandlungsberichts. Diese Gesellschaften können insbesondere den Umwandlungsbericht gemäß §§ 230 Abs. 2 S. 4, 238 UmwG auf der Internetseite der Gesellschaft zugänglich machen sowie das Abfindungsangebot gemäß §§ 231 S. 2, 238 UmwG im elektronischen Bundesanzeiger oder den Gesellschaftsblättern veröffentlichen. Mit Blick auf die Regelung des Art. 8 Abs. 4 SE-VO sollte den Anteilsinhabern zusätzlich die Möglichkeit eröffnet werden, am Sitz der Gesellschaft Einsicht in den Umwandlungsbericht zu nehmen und unentgeltlich Abschriften zu erhalten. bb) Umwandlungsbeschluss Der Umwandlungsbeschluss muss bei innerstaatlichen Formwechseln in einer Versammlung der Anteilsinhaber gefasst werden und bedarf der notariellen Beurkundung (§ 193 Abs. 1 und 3 UmwG). Der notwendige Inhalt des Beschlusses wird durch § 194 Abs. 1 UmwG festgelegt. Die §§ 232, 239 UmwG enthalten für den Formwechsel von Kapitalgesellschaften zudem Regelungen hinsichtlich der Durchführung der Versammlung der Anteilsinhaber, welche über den Formwechsel Beschluss fasst. Vergleichbare Vorschriften enthält das Umwandlungsrecht in §§ 122g, 13 UmwG für die Beschlussfassung der Anteilsinhaber über eine grenzüberschreitende Verschmelzung. Der Beschluss muss ebenfalls in einer Versammlung der Anteilsinhaber gefasst wer-

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den und bedarf der notariellen Beurkundung (§ 13 Abs. 1 und 3 UmwG). Gemäß § 122g Abs. 1 UmwG können sich die Anteilsinhaber zudem das Recht vorbehalten, das Mitbestimmungsregime des übernehmenden Rechtsträgers zu bestätigen, sofern dieses zum Zeitpunkt der Beschlussfassung über die Verschmelzung noch nicht feststeht. Ferner ist in der Fallkonstellation einer Verschmelzung auf die Muttergesellschaft der Verschmelzungsbeschluss der Tochtergesellschaft gemäß § 122g Abs. 2 UmwG entbehrlich, falls sich sämtliche Gesellschaftsanteile der Tochtergesellschaft in der Hand der Muttergesellschaft befinden. Der Beschluss über die Sitzverlegung der SE stellt eine Änderung der Satzung der Gesellschaft dar. Dementsprechend muss er gemäß Art. 8 Abs. 6 S. 2 SE-VO unter den in Art. 59 SE-VO vorgesehenen Bedingungen gefasst werden. Der Verlegungsbeschluss bedarf daher gemäß Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SE-VO i.V.m. § 130 Abs. 1 S. 1 AktG ebenfalls der notariellen Beurkundung. Für Herausformwechsel deutscher Gesellschaften lässt sich Folgendes festhalten: Der Umwandlungsbeschluss muss in einer Versammlung der Anteilsinhaber gefasst werden und bedarf der notariellen Beurkundung. Dies ergibt sich rechtstechnisch aus einer Gesamtanalogie der Vorschriften über innerstaatliche Formwechsel, grenzüberschreitende Verschmelzungen sowie die Verlegung des Sitzes einer SE. Sofern das Recht des Aufnahmestaates geringere Formanforderungen an den Umwandlungsbeschluss anlegt, setzt sich das deutsche Recht nach den Grundsätzen der kollisionsrechtlichen Vereinigungstheorie durch (vgl. § 5 II. 1.). Die für den Umwandlungsbeschluss erforderlichen Mehrheiten und individuellen Zustimmungsvorbehalte wurden bereits an anderer Stelle erörtert (vgl. § 6 III. 3. a)). § 122g UmwG findet indessen keine Anwendung, weil die Vorschrift aufgrund ihres verschmelzungsspezifischen Hintergrunds auf den identitätswahrenden Formwechsel eines Rechtsträgers nicht passt.403 Die Anforderungen, welche die §§ 232, 239 UmwG für die Durchführung der Versammlung der Anteilsinhaber von Kapitalgesellschaften aufstellen, gelten dagegen auch im grenzüberschreitenden Kontext. Was den notwendigen Inhalt des Umwandlungsbeschlusses anbelangt, bietet sich eine Orientierung an den Regelungen des § 194 Abs. 1 UmwG sowie des Art. 8 Abs. 2 S. 2 SE-VO an. Freilich muss bezüglich der in § 194 Abs. 1 Nr. 3 bis 5 UmwG, Art. 8 Abs. 2 S. 2 lit. b) SE-VO genannten Angaben auf die gesetzliche Verbandsverfassung der Zielrechtsform Bezug genommen werden. Insbesondere die Gestaltung des Gesellschaftsvertrages beziehungsweise der Satzung der Zielrechtsform muss den Anforderungen der Rechts-

403

Differenzierend Vossius, in: Widmann/Mayer, UmwR, 134. EL (2012), § 191 UmwG, Rn. 149 ff.

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ordnung des Aufnahmestaates genügen.404 Die Regelungen der §§ 218, 234, 243 UmwG finden in der Konstellation des Herausformwechsels deutscher Gesellschaften dementsprechend keine Anwendung. Das Recht des Aufnahmestaates mag allerdings diesen Vorschriften entsprechende Regelungen bereithalten, welche zusätzliche inhaltliche Anforderungen an den Umwandlungsbeschluss enthalten.405 Vor diesem Hintergrund kann der schlichte Beschluss der Anteilsinhaber, den statuarischen Sitz der Gesellschaft in einen anderen Mitgliedstaat zu verlegen, nicht als Beschluss eines grenzüberschreitenden Formwechsels ausgelegt beziehungsweise in einen solchen umgedeutet werden.406 Sofern die Gesellschafter die für einen solchen Umwandlungsvorgang notwendigen Formalitäten in keiner Weise beachtet haben, kann ihnen bei objektiver Auslegung des Beschlusses nicht der (mutmaßliche) Wille unterstellt werden, sie hätten die deutsche Ausgangsrechtsform unter identitätswahrender Annahme einer Rechtsform des Aufnahmestaates aufgeben wollen.407 (1) Niederschrift über den Umwandlungsbeschluss Ermöglicht der Gesellschaftsvertrag einer Personengesellschaft eine Mehrheitsentscheidung über den Formwechsel, sind bei innerstaatlichen Umwandlungskonstellationen die Gesellschafter, welche für die Umwandlung gestimmt haben, in der Niederschrift über den Umwandlungsbeschluss namentlich aufzuführen (§ 217 Abs. 2 UmwG). Hintergrund dieser Regelung ist, dass lediglich diese Anteilsinhaber gemäß § 219 S. 2 UmwG bei der Anwendung der Gründungsvorschriften der Zielrechtsform den Gesellschaftsgründern gleichstehen. Auch bei innerstaatlichen Formwechseln zwischen Kapitalgesellschaften sind die Anteilsinhaber namentlich aufzuführen, welche gemäß § 245 Abs. 1 bis 3 UmwG den Gründern der Gesellschaft gleichstehen (§ 244 Abs. 1 UmwG). Diese Vorschriften finden bei grenzüberschreitenden Herausformwechseln deutscher Gesellschaften allerdings keine Anwendung. Ob beziehungsweise welche Anteilsinhaber einer Gründerhaftung ausgesetzt sind, bestimmt sich nach der gesetzlichen Verbandsverfassung der EU-ausländischen Zielrechtsform. Die Rechtsvorschriften des Aufnahmestaates entscheiden dementsprechend darüber, ob diejenigen Anteilsinhaber, welche Gründungsverantwortung tragen, in der Niederschrift über den Umwandlungsbeschluss namentlich aufzuführen sind. Sieht die gesetzliche Verbandsverfassung der Zielrechts404 Vgl. Hoffmann, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 54, Rn. 12; Vossius, in: Widmann/ Mayer, UmwR, 134. EL (2012), § 191 UmwG, Rn. 95. 405 Im Ergebnis auch Jaensch, EWS 2007, 97 (104), der jedoch von einer uneingeschränkten Kumulierung der Vorschriften beider Rechtsordnungen ausgeht. 406 Vgl. Herrler, DNotZ 2009, 484 (489 f.). 407 Vgl. Herrler, DNotZ 2009, 484 (490).

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form eine den §§ 219, 245 UmwG vergleichbare Gründerverantwortlichkeit vor, müssen die Anteilsinhaber im Umwandlungsbericht freilich auf diesen Umstand hingewiesen werden. Möchte ein Gesellschafter diese Verantwortung nicht übernehmen, kann er sein Stimmrecht entsprechend ausüben oder im Falle einer Mehrheitsentscheidung gemäß § 207 UmwG gegen eine Barabfindung aus dem formwechselnden Rechtsträger ausscheiden. (2) Unbekannte Aktionäre Beim innerstaatlichen Formwechsel einer AG oder KGaA können unbekannte Aktionäre, deren Anteile zusammen den 20. Teil des Grundkapitals nicht überschreiten, gemäß §§ 213, 35 UmwG im Umwandlungsverfahren durch die Angabe des insgesamt auf sie entfallenden Teils des Grundkapitals des formwechselnden Rechtsträgers und der auf sie entfallenden Anteile der Zielrechtsform bezeichnet werden. Dadurch wird dem Umstand Rechnung getragen, dass die Aktionäre von Publikumsgesellschaften häufig nicht namentlich bekannt, die Anteilsinhaber der Zielrechtsform jedoch namentlich zu bezeichnen sind.408 Eine vergleichbare Interessenlage kann auch im grenzüberschreitenden Kontext bestehen, wenn die Anteilsinhaber der Zielrechtsform nach den Rechtsvorschriften des Aufnahmestaates namentlich benannt werden müssen. Allerdings kann die in den §§ 213, 35 UmwG vorgesehene Erleichterung an die Grenzen des nach dem Recht des Aufnahmestaates Zulässigen stoßen.409 Lässt die gesetzliche Verbandsverfassung der Zielrechtsform keine Ausnahmen von der Verpflichtung zu, die Anteilsinhaber namentlich zu bezeichnen, kann auf die durch die §§ 213, 35 UmwG eröffnete Vorgehensweise nicht zurückgegriffen werden. Der EuGH hat wiederholt die Regelungsautonomie der Mitgliedstaaten in Bezug auf die Ausgestaltung der gesetzlichen Verbandsverfassung der ihrem Recht unterstehenden Gesellschaften betont.410 Dementsprechend dürften auch eine enge Abstimmung mit den beteiligten Registergerichten und eine Argumentation nach Sinn und Zweck der deutschen Regelung kaum weiterhelfen.411 c) Durchführungsphase Die Durchführung eines grenzüberschreitenden Formwechsels stellt die umwandlungswillige Gesellschaft und die registerführenden Stellen der betroffenen Mitgliedstaaten gleichermaßen vor nicht unerhebliche Herausforde408

Vgl. Meister/Klöcker, in: Kallmeyer, UmwG, § 213, Rn. 1; Schwanna, in: Semler/ Stengel, UmwG, § 213, Rn. 1. 409 Ege/Klett, DStR 2012, 2442 (2444). 410 Vgl. EuGH, Urteil vom 27.9.1988, Rs. C-81/87 – Daily Mail and General Trust, Slg. 1988, 5483, Rn. 8; EuGH, Urteil vom 16.12.2008, Rs. C-210/06 – Cartesio, Slg. 2008, I-9641, Rn. 104; EuGH, Urteil vom 12.7.2012, Rs. C-378/10 – VALE Építési, Rn. 31. 411 Anders Ege/Klett, DStR 2012, 2442 (2444).

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rungen.412 Insbesondere die Formalität des Registerrechts kann in Konflikt zu gesetzlich nicht ausdrücklich geregelten Eintragungserfordernissen geraten.413 Wie die Umwandlung in registerverfahrensrechtlicher Hinsicht bewältigt werden kann, ist bislang noch weitestgehend ungeklärt. Im Regelfall bedarf es zur Durchführung des Formwechsels sowohl einer Eintragung im Register der Ausgangsrechtsform als auch im Register der Zielrechtsform. Die Registervorgänge müssen koordiniert werden, wenn der Formwechsel nicht an der Diskontinuität des formwechselnden Rechtsträgers scheitern soll. Eine vorherige informelle Abstimmung der zur Durchführung der Umwandlung erforderlichen Registeranmeldungen, Eintragungen, Bekanntmachungen sowie deren zeitlicher Abfolge mit den registerführenden Stellen der betroffenen Mitgliedstaaten ist dringend anzuraten.414 Nachfolgend wird der Verfahrensablauf im Falle des Herausformwechsels einer deutschen Gesellschaft dargestellt. aa) Registerverfahren in Deutschland Vereinzelt wird erwogen, das Registerverfahren im Falle grenzüberschreitender Formwechsel grundsätzlich einheitlich nach Maßgabe der einschlägigen Vorschriften des Aufnahmestaates durchzuführen.415 Sofern der formwechselnde Rechtsträger in Deutschland registerpflichtig ist, unterliegt das Registerverfahren hierzulande nach den Grundsätzen der kollisionsrechtlichen Vereinigungstheorie richtigerweise jedoch dem deutschen Registerrecht.416 Es besteht weder die Notwendigkeit, das Registerverfahren einheitlich anhand der Rechtsvorschriften des Aufnahmestaates zu beurteilen, noch wäre eine solche Vorgehensweise zweckdienlich. Auf den ersten Blick mögen dadurch Konflikte zwischen den Rechtsordnungen der betroffenen Mitgliedstaaten vermieden werden. Im Ergebnis müsste jedoch die Einhaltung der materiellrechtlichen Voraussetzungen des Herkunftsstaates nach Maßgabe der verfahrensrechtlichen Vorschriften des Aufnahmestaates überprüft werden. Dem Bestreben, beiden von der Umwandlung betroffenen Rechtsordnungen zu möglichst weitgehender Durchsetzung zu verhelfen, entspricht es indessen vielmehr, das Registerverfahren nach dem Recht desjenigen Mitgliedstaates durchzuführen, in welchem die jeweilige Eintragung vorgenommen wird. Lediglich diese Rechtsordnung kann sinnvoll entscheiden, welchen Inhalt etwa eine Registeranmeldung zu enthalten hat und welche Anlagen dieser 412

Vgl. Benrath/König, DK 2012, 377 (381). Vgl. Bayer/J. Schmidt, ZIP 2012, 1481 (1489); Benrath/König, DK 2012, 377 (381). 414 Vgl. Bungert/de Raet, DB 2014, 761 (763); Ege/Klett, DStR 2012, 2442 (2443). 415 Vgl. Ege/Klett, DStR 2012, 2442 (2445). 416 Vgl. Stiegler, KSzW 2014, 107 (115); Vossius, in: Widmann/Mayer, UmwR, 134. EL (2012), § 191 UmwG, Rn. 180; siehe zur grenzüberschreitenden Verschmelzung auch Heckschen, in: Widmann/Mayer, UmwR, 103. EL (2008), § 1 UmwG, Rn. 280. 413

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beizufügen sind. Materiellrechtliche und verfahrensrechtliche Regelungen stellen unterschiedliche Seiten derselben Medaille dar. Sie sind aufeinander bezogen und dürfen nicht willkürlich auseinander gerissen werden. Dadurch würden etwaige Konflikte zwischen den betroffenen Rechtsordnungen lediglich verlagert und letztlich verschärft. Es ergibt keinen Sinn, den Schutz der Interessen von Gesellschaftsgläubigern und Anteilsinhabern vor umwandlungsspezifischen Gefahren dem Recht des Herkunftsstaates zu überantworten (vgl. § 5 II. 1.), die verfahrensrechtliche Kontrolle der jeweiligen Schutzmechanismen dagegen anhand der Rechtsvorschriften des Aufnahmestaates vorzunehmen. Umgekehrt kann die Einhaltung der Gründungsvorschriften der Zielrechtsform nur bei Anwendung der verfahrensrechtlichen Vorschriften des Aufnahmestaates sinnvoll überprüft werden. Das deutsche Recht hält unterschiedliche Regelungen bereit, welche zur praktischen Durchführung grenzüberschreitender Formwechsel nutzbar gemacht werden könnten. Sofern ein innerstaatlicher Formwechsel mit einer Sitzverlegung verbunden ist, enthält § 198 Abs. 2 S. 2 bis 5 UmwG Regelungen über den Ablauf des Registerverfahrens. In diesen Konstellationen ist die Umwandlung sowohl zur Eintragung in das Register der Ausgangsrechtsform als auch in das Register der Zielrechtsform anzumelden (§ 198 Abs. 2 S. 2 und 3 UmwG). Die Eintragung im Register der Ausgangsrechtsform ist gemäß § 198 Abs. 2 S. 4 UmwG mit dem Vermerk zu versehen, dass die Umwandlung erst mit der Eintragung der Zielrechtsform wirksam wird. Letztgenannte Eintragung darf erst erfolgen, wenn die Eintragung des Formwechsels mit Wirksamkeitsvorbehalt im Register der Ausgangsrechtsform erfolgt ist (§ 198 Abs. 2 S. 5 UmwG). Eine grenzüberschreitende Verschmelzung ist gemäß § 122k Abs. 1 S. 1 UmwG zunächst beim Register der übertragenden Gesellschaft anzumelden. Das Registergericht prüft, ob für diese Gesellschaft die Voraussetzungen für die Teilnahme der Gesellschaft an der grenzüberschreitenden Verschmelzung vorliegen, und stellt hierüber eine Verschmelzungsbescheinigung aus (§ 122k Abs. 2 S. 1 und 2 UmwG). Die Eintragung der Umwandlung im Register dieser Gesellschaft ist gemäß § 122k Abs. 2 S. 3 UmwG mit dem Vermerk zu versehen, dass die grenzüberschreitende Verschmelzung unter den Voraussetzungen der Rechtsordnung der übernehmenden Gesellschaft wirksam wird. Anschließend ist die Umwandlung beim Register der übernehmenden Gesellschaft unter Vorlage der Verschmelzungsbescheinigung anzumelden und einzutragen (§ 122l Abs. 1 und 2 UmwG). Das Register der übernehmenden Gesellschaft hat dem Register der übertragenden Gesellschaft das Wirksamwerden der Umwandlung unter Angabe des Tages der Eintragung mitzuteilen (§§ 122k Abs. 4, 122l Abs. 3 UmwG). Dies hat das Register der übertragenden Gesellschaft zu vermerken und die bei ihm aufbewahrten elektronischen Dokumente dem Register der übernehmenden Gesellschaft zu übermitteln.

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Die grenzüberschreitende Sitzverlegung einer SE muss zunächst bei dem für die Gesellschaft zuständigen Registergericht angemeldet werden.417 Dieses hat gemäß Art. 8 Abs. 7 und 8 SE-VO eine Bescheinigung auszustellen, aus welcher hervorgeht, dass die hierzulande zum Schutz der Gesellschaftsgläubiger vorgesehenen Rechtshandlungen und Formalitäten durchgeführt wurden. Die Eintragung der Gesellschaft im Register des Aufnahmestaates kann gemäß Art. 8 Abs. 9 SE-VO erst erfolgen, wenn diese Bescheinigung vorliegt und die Erfüllung der für die Eintragung im Aufnahmestaat erforderlichen Formalitäten dem Register gegenüber nachgewiesen wurde. Die Sitzverlegung wird zu dem Zeitpunkt wirksam, in welchem die SE im Register des Aufnahmestaates eingetragen wird (Art. 8 Abs. 10 SE-VO). Das Registergericht wird gemäß Art. 8 Abs. 11 SE-VO über diese Eintragung in Kenntnis gesetzt und löscht anschließend die Eintragung der Gesellschaft aus dem Handelsregister. Eintragung und Löschung der früheren Eintragung sind gemäß Art. 8 Abs. 12 SE-VO im jeweiligen Mitgliedstaat bekannt zu machen. Im Wege einer Gesamtschau der vorstehend dargestellten Bestimmungen ergibt sich für grenzüberschreitende Herausformwechsel deutscher Gesellschaften nachfolgend skizzierter Verfahrensablauf. (1) Anmeldung des Formwechsels Zunächst ist der Formwechsel bei dem für die Ausgangsrechtsform zuständigen Registergericht anzumelden.418 Die Anmeldung ist von den Mitgliedern des Vertretungsorgans des formwechselnden Rechtsträgers in vertretungsberechtigter Anzahl und öffentlich beglaubigter Form vorzunehmen.419 Die rechtlichen Anforderungen an die Registeranmeldung korrespondieren mit dem Prüfungsumfang des Registergerichts. Dessen Prüfungskatalog bestimmt, welchen Inhalt die Anmeldung aufzuweisen hat und welche Anlagen ihr beizufügen sind. Das Registergericht prüft, ob die formellen und materiellen Voraussetzungen des deutschen Umwandlungsrechts für die beabsichtigte Umwandlung erfüllt sind. Es kontrolliert namentlich, ob die Versammlung der Anteilsinhaber ordnungsgemäß vorbereitet und einberufen wurde, der Umwandlungsbeschluss mit der erforderlichen Mehrheit gefasst wurde, alle erforderlichen Zustimmungserklärungen einzelner Anteilsinhaber vorliegen und ob die Gesellschaft sämtliche ihr auferlegten Publizitätspflichten erfüllt hat. Um dem Registergericht diese Prüfung zu ermöglichen, sind der Regis417

Vgl. Schröder, in: Manz/Mayer/Schröder, Europäische Aktiengesellschaft, Art. 8 SE-VO, Rn. 160; Zimmer/Ringe, in: Lutter/Hommelhoff, SE Kommentar, Art. 8 SE-VO, Rn. 57. 418 Vgl. Ege/Klett, DStR 2012, 2442 (2445); Hoffmann, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 54, Rn. 20; Krafka/Kühn, Registerrecht, Rn. 1211c ; Verse, ZEuP 2013, 458 (486); Vossius, in: Widmann/Mayer, UmwR, 134. EL (2012), § 191 UmwG, Rn. 155 ff. 419 Vgl. Vossius, in: Widmann/Mayer, UmwR, 134. EL (2012), § 191 UmwG, Rn. 165.

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teranmeldung entsprechend den §§ 199, 122k Abs. 1 S. 3, 17 Abs. 1 UmwG der Umwandlungsbeschluss, gegebenenfalls erforderliche Zustimmungserklärungen einzelner Anteilinhaber, der Umwandlungsbericht sowie (erforderlichenfalls) der Nachweis über die Zuleitung des Entwurfs des Umwandlungsbeschlusses an den Betriebsrat beizufügen. Ob die Gründungsvoraussetzungen der EU-ausländischen Zielrechtsform vorliegen, wird seitens des deutschen Registergerichts hingegen nicht überprüft.420 Diese Aufgabe obliegt der zuständigen Stelle des Aufnahmestaates (vgl. § 6 IV. 2. c) bb)). Dementsprechend passen die Vorschriften der §§ 222, 223, 225c, 246, 254 UmwG auf die Konstellation des Herausformwechsels einer deutschen Gesellschaft nicht und finden daher keine Anwendung. Ferner überprüft das Registergericht, ob der formwechselnde Rechtsträger den Anteilsinhabern ein ordnungsgemäßes Barabfindungsangebot unterbreitet hat. Da die Angemessenheit der Barabfindung nur auf Rüge eines Anteilsinhabers im Spruchverfahren überprüft wird, kontrolliert das Gericht zwar nicht, ob das Angebot seiner Höhe nach angemessen ist (vgl. § 6 III. 3. f) bb)). Der Beschluss des Formwechsel ist jedoch rechtsmissbräuchlich, wenn der formwechselnde Rechtsträger aufgrund einer Kollision mit Kapitalerhaltungsvorschriften der gesetzlichen Verbandsverfassung der Zielrechtsform nicht in der Lage sein wird, die Ansprüche austrittswilliger Anteilsinhaber zu befriedigen (vgl. § 6 III. 3. f) aa)). Daher muss das Registergericht zum Schutz widersprechender Gesellschafter überprüfen, ob das ungebundene Gesellschaftsvermögen zur Befriedigung der Ansprüche dieser Anteilsinhaber ausreicht. Infolge dessen hat die Gesellschaft gegenüber dem Registergericht den Nachweis zu führen, dass die gesetzliche Verbandsverfassung der Zielrechtsform der Befriedigung der Barabfindungsansprüche nicht entgegensteht. Zu diesem Zweck bietet es sich an, der Registeranmeldung die Schlussbilanz des formwechselnden Rechtsträgers beizufügen. Die Erstellung einer solchen Bilanz mag aus steuerrechtlichen Gründen ohnehin erforderlich sein.421 Da das Unionsrecht formwechselwilligen Gesellschaften nicht das Recht gewährt, einen isolierten Formwechsel in eine EU-ausländische Rechtsform vorzunehmen (vgl. § 4 IV. 2. c) bb)), ist dem Registergericht zudem ein Nachweis der wirtschaftlichen Aktivitäten der Gesellschaft im Aufnahmestaat vorzulegen.422 Die bloße Glaubhaftmachung dieser Tatsache genügt als

420

Vgl. Krafka/Kühn, Registerrecht, Rn. 1211c. Vgl. Schönhaus/Müller, IStR 2013, 174 (177 ff.) m.w.N. zu steuerrechtlichen Fragen der Umwandlung. 422 Vgl. Vossius, in: Widmann/Mayer, UmwR, 134. EL (2012), § 191 UmwG, Rn. 160; Wicke, DStR 2012, 1756 (1758); Wöhlert/Degen, GWR 2012, 337957; siehe aus der Perspektive des Aufnahmestaates auch Hushahn, DNotZ 2014, 154 (156); Hushahn, notar 2014, 176 (176); Krebs, GWR 2014, 144 (146). 421

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Nachweis im Registerverfahren grundsätzlich nicht. 423 Die Gesellschaft kann den Nachweis beispielsweise durch Gewerbeerlaubnisse oder Steuererklärungen für Betriebsstätten im Aufnahmestaat führen. 424 Sofern konkrete Anhaltspunkte Anlass dazu bieten, kann das Registergericht gemäß § 26 FamFG eigene Nachforschungen anstellen.425 In diesem Fall entscheidet das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen, ob es den Sachverhalt durch formlose Ermittlungen oder durch eine förmliche Beweisaufnahme feststellen will.426 Die Mitglieder des Vertretungsorgans der formwechselnden Gesellschaft haben entsprechend den §§ 198 Abs. 3, 122k Abs. 1 S. 2, 16 Abs. 2 UmwG, § 14 SEAG zu erklären, dass eine Klage gegen die Wirksamkeit des Umwandlungsbeschlusses nicht oder nicht fristgemäß erhoben oder eine solche Klage rechtskräftig abgewiesen oder zurückgenommen worden ist.427 Ungeklärt ist indessen, ob die Gesellschaft im Falle einer Klage ein gerichtliches Freigabeverfahren anzustrengen vermag. Im Falle der grenzüberschreitenden Sitzverlegung der SE besteht keine Möglichkeit, eine gerichtliche Freigabe der Umstrukturierung zu erwirken, wenn einer erhobenen Klage gegen die Wirksamkeit des Verlegungsbeschlusses eine negative Erfolgsprognose zu attestieren ist.428 Rechtspolitisch ist die Einschränkung der Rechtsschutzmöglichkeiten der Gesellschaft durch § 14 SEAG jedoch umstritten, weil sie es „räuberischen Aktionären“ erleichtert, sich den „Lästigkeitswert“ ihrer Klagen gegen den Verlegungsbeschluss abkaufen zu lassen.429 Da die Gesetzesmaterialien zudem nicht erkennen lassen, was den Gesetzgeber dazu bewogen hat, auf ein Freigabeverfahren bei Klagen gegen den Verlegungsbeschluss einer SE zu verzichten430, besteht kein Anlass die Regelung des § 14 SEAG auf grenzüberschreitende Formwechsel zu übertragen. Sofern ein gerichtliches Freigabeverfahren erfolgreich durchlaufen wurde, steht dies analog §§ 198 Abs. 3, 122k Abs. 1 S. 2, 16 Abs. 3 UmwG einer Negativerklärung gleich. Die Mitglieder des Vertretungsorgans des formwechselnden Rechtsträgers können die Negativerklärung während des Laufs der Klagefrist des § 195 Abs. 1 UmwG freilich nicht abgeben. Daher kann die Anmeldung des 423

Vgl. OLG Schleswig, NJW-RR 2012, 1063 (1064); Krafka/Kühn, Registerrecht, Rn. 151; erwägend hingegen Wöhlert/Degen, GWR 2012, 337957. 424 Vgl. Hushahn, DNotZ 2014, 154 (156); Hushahn, notar 2014, 176 (176); Krebs, GWR 2014, 144 (146). 425 Vgl. OLG Hamm, FGPrax 2011, 32 (33); Krafka/Kühn, Registerrecht, Rn. 151b. 426 Vgl. Krafka/Kühn, Registerrecht, Rn. 151b. 427 Vgl. Stiegler, Rechtsformwechsel, 2013, S. 79; Stiegler, KSzW 2014, 107 (116); Vossius, in: Widmann/Mayer, UmwR, 134. EL (2012), § 191 UmwG, Rn. 158 f. 428 Vgl. Hoger, Kontinuität, 2008, S. 331; Hunger, in: Jannott/Frodermann, Hdb. SE, Kap. 9, Rn. 137; Ringe, Sitzverlegung, 2006, S. 121 f. 429 Vgl. Hunger, in: Jannott/Frodermann, Hdb. SE, Kap. 9, Rn. 137; Ringe, Sitzverlegung, 2006, S. 121 f.; Wasmeier, Umstrukturierung, 2014, S. 205 f. 430 Vgl. BT-Drs. 15/3405 S. 35.

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Formwechsels frühestens einen Monat nach der Beschlussfassung der Anteilsinhaber erfolgen. Eine Erklärung des Vertretungsorgans der formwechselnden Gesellschaft entsprechend §§ 122k Abs. 1 S. 3 UmwG, 13 Abs. 3 SEAG braucht die Registeranmeldung demgegenüber nicht zu enthalten, weil den Gesellschaftsgläubigern bei grenzüberschreitenden Formwechseln nicht bereits im Vorfeld der Umwandlung Sicherheit geleistet werden muss (vgl. § 6 III. 2. b) aa)). (2) Eintragung mit Wirksamkeitsvorbehalt Kommt das Registergericht bei der Prüfung der mit der Anmeldung des Formwechsels eingereichten Unterlagen zu dem Ergebnis, dass die formellen und materiellen Voraussetzungen des deutschen Umwandlungsrechts vorliegen, hat es den Formwechsel in das Register der Ausgangsrechtsform einzutragen. Vereinzelt wird vorgeschlagen, die Eintragung der Gesellschaft bereits zu diesem Zeitpunkt unter Hinweis auf die formwechselnde Sitzverlegung im Register zu löschen.431 Richtigerweise ist die Eintragung des Formwechsels in das Register jedoch analog §§ 198 Abs. 2 S. 4, 122k Abs. 2 S. 3 UmwG zunächst mit dem Vorbehalt zu versehen, dass der Formwechsel erst bei Erfüllung der rechtlichen Voraussetzungen des Aufnahmestaates wirksam wird.432 Das Recht des Aufnahmestaates befindet nämlich darüber, wann ein grenzüberschreitender Formwechsel wirksam wird.433 Gemäß Art. 12 der Internationalen Verschmelzungsrichtlinie bestimmt sich der Wirksamkeitszeitpunkt einer grenzüberschreitenden Verschmelzung nach dem Recht desjenigen Mitgliedstaates, welchem die aus der Verschmelzung hervorgehende Gesellschaft unterliegt.434 Gemäß Art. 8 Abs. 10 SE-VO wird die grenzüberschreitende Sitzverlegung einer SE zu dem Zeitpunkt wirksam, zu welchem die Gesellschaft in das Register des Aufnahmestaates eingetragen wird.435 Diese Vorschriften regeln für sämtliche Mitgliedstaaten unionsweit einheit431

Vgl. Frowein, Sitzverlegung, 2001, S. 165 f.; Krafka/Kühn, Registerrecht, Rn. 1211d. 432 Vgl. Hoffmann, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 54, Rn. 20; Schaper, ZIP 2014, 810 (815); Stiegler, Rechtsformwechsel, 2013, S. 49 und 78; Stiegler, KSzW 2014, 107 (116); Vossius, in: Widmann/Mayer, UmwR, 134. EL (2012), § 191 UmwG, Rn. 183 f. 433 Vgl. Behrens/Hoffmann, in: GroßKomm-GmbHG, Bd. I, IntGesR, Rn. B163; Ege/Klett, DStR 2012, 2442 (2445); Frowein, Sitzverlegung, 2001, S. 166; Krafka/Kühn, Registerrecht, Rn. 1211d; Prelic/Prostor, ZfRV 2014, 27 (29); Stiegler, KSzW 2014, 107 (116); a.A. Engert, in: Eidenmüller, Ausländische Kapitalgesellschaften, § 4, Rn. 130; Hoffmann, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 54, Rn. 18 ff.; Vossius, in: Widmann/Mayer, UmwR, 134. EL (2012), § 191 UmwG, Rn. 192. 434 Vgl. RL 2005/56/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.10.2005 über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten, ABl. 2005, L 310/1. 435 Vgl. dazu Ringe, Sitzverlegung, 2006, S. 143 ff.

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lich, dass bei der Frage des Wirksamkeitszeitpunkts einer grenzüberschreitenden Umwandlung auf das Recht des Aufnahmestaates abzustellen ist. Diese sekundärrechtlichen Regelungen lassen sich für die Bewältigung grenzüberschreitender Formwechsel fruchtbar machen. Widersprechen sich die Vorschriften des Herkunfts- und des Aufnahmestaates im Hinblick auf den maßgeblichen Wirksamkeitszeitpunkt, bilden sie die Grundlage der Angleichung dieser Regelungen im Wege einer kollisionsrechtlichen Anpassung (vgl. § 5 II. 2. a)). Sofern die Zielrechtsform im Aufnahmestaat registerpflichtig ist, dürfte in aller Regel deren Eintragung in das jeweilige Register des Aufnahmestaates das für die Wirksamkeit des Formwechsels entscheidende Ereignis darstellen.436 Zwingend ist dies jedoch nicht (vgl. § 8 IV. 2. c)). Das deutsche Registergericht hat ferner analog § 122k Abs. 2 S. 1 UmwG, Art. 8 Abs. 8 SE-VO eine Bescheinigung auszustellen, aus welcher hervorgeht, dass der formwechselnde Rechtsträger die Voraussetzungen des deutschen Rechts für die beabsichtigte Umwandlung erfüllt hat.437 Die Bescheinigung hat eine doppelte Funktion: Zum einen wird das Registergericht angehalten, die bisher erfolgten Schritte des Formwechsels auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen (Rechtmäßigkeitsgewähr); zum anderen dokumentiert die Bescheinigung den ordnungsgemäßen Abschluss des Umwandlungsverfahrens für den Aufnahmestaat, sodass dieser die Eintragung der Zielrechtsform vornehmen kann (Dokumentationsfunktion).438 Die Regelungen des § 122k Abs. 2 S. 4 UmwG und des § 13 Abs. 3 SEAG finden allerdings keine Anwendung, weil der formwechselnde Rechtsträger nicht verpflichtet ist, Gesellschaftsgläubigern im Vorfeld der Umwandlung Sicherheit zu leisten und es daher keiner diesbezüglichen Versicherung der Mitglieder des Geschäftsführungsorgans der Gesellschaft bedarf (vgl. § 6 III. 2. b)). (3) Löschung der Eintragung der Ausgangsrechtsform Sieht das Recht des Aufnahmestaates vor, dass die Kontinuität des Rechtsträgers während des Umwandlungsvorgangs gewährleistet sein muss, kommt dem Zeitpunkt der Löschung der Eintragung der Ausgangsrechtsform im deutschen Register besondere Bedeutung zu. Die Löschung darf erst erfolgen, 436

Vgl. Hoffmann, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 54, Rn. 20; Hushahn, DNotZ 2014, 154 (155); Krafka/Kühn, Registerrecht, Rn. 1211d ; siehe auch Doralt, IPRax 2006, 572 (577) bezüglich der Verschmelzung aus österreichisch-deutscher Perspektive sowie Teichmann/Ptak, RIW 2010, 817 (821) bezüglich des Formwechsels aus deutsch-polnischer Perspektive. 437 Vgl. Leible/Hoffmann, BB 2009, 58 (60); Hoffmann, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 54, Rn. 21; Prelic/Prostor, ZfRV 2014, 27 (30); Stiegler, Rechtsformwechsel, 2013, S. 78; Stiegler, KSzW 2014, 107 (116); Verse, ZEuP 2013, 458 (486); Vossius, in: Widmann/Mayer, UmwR, 134. EL (2012), § 191 UmwG, Rn. 86, 162 ff. und 185 f. 438 Vgl. Ringe, Sitzverlegung, 2006, S. 143.

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Kapitel 3: Der grenzüberschreitende Formwechsel nach deutschem Recht

wenn der Formwechsel nach Maßgabe des Rechts des Aufnahmestaates wirksam geworden ist.439 Bei der grenzüberschreitenden Verschmelzung beziehungsweise der Sitzverlegung der SE schreiben Art. 13 Abs. 2 der Internationalen Verschmelzungsrichtlinie (und in deren Umsetzung die §§ 122k Abs. 4, 122l Abs. 3 UmwG) sowie Art. 8 Abs. 11 SE-VO die Information des Registers über den Eintritt der Wirksamkeit durch die zuständige Stelle des Aufnahmestaates vor. Im Falle eines grenzüberschreitenden Formwechsels gebieten der Effektivitätsgrundsatz und das aus Art. 4 Abs. 3 EUV hergeleitete Kooperationsgebot zwischen den Mitgliedstaaten eine entsprechende Vorgehensweise. Im Anschluss an die Eintragung der Zielrechtsform ins Register des Aufnahmestaates ist der Eintritt der Wirksamkeit der Umwandlung im deutschen Register unter Angabe des Wirksamkeitsdatums einzutragen und das Registerblatt zu schließen.440 Auch ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung sind diejenigen Tatsachen in das Register einzutragen, deren Eintragung der Sinn und Zweck der Registerpublizität erfordert.441 Zum Schutz des Rechtsverkehrs müssen die im Register eingetragenen Rechtsverhältnisse zutreffend wiedergegeben werden.442 Soweit eine richterliche Rechtsfortbildung zur Anerkennung neuer Gestaltungsformen führt, sind die entsprechenden Tatsachen auch ohne gesetzlichen Anhaltspunkt eintragungsfähig.443 Das Registergericht hat die „Rechtsnachfolge“ der Zielrechtsform daher nach Möglichkeit unter Angabe des Registerortes und der Registernummer der Zielrechtsform zu vermerken.444 Ungeklärt ist bislang, wie zu verfahren ist, wenn der beabsichtigte Formwechsel scheitert. Der Herkunftsstaat wird teils zur Auflösung und Liquidation der Gesellschaft berechtigt angesehen, wenn der Aufnahmestaat den angestrebten Formwechsel nicht zulässt oder die Gesellschaft die vom Aufnahmestaat vorgesehenen Voraussetzungen nicht erfüllt.445 Sofern die Gesellschaft im Zuge der beabsichtigten Umwandlung einen Anknüpfungspunkt löst, welchen der Herkunftsstaat der Ausgangsrechtsform als notwendige Verknüp439

Vgl. Neye, EWiR 2014, 45 (46); Prelic/Prostor, ZfRV 2014, 27 (29); W.-H. Roth, FS Hoffmann-Becking, 2013, 965 (979); Weller/Rentsch, IPRax 2013, 530 (532 f.). 440 Vgl. Vossius, in: Widmann/Mayer, UmwR, 134. EL (2012), § 191 UmwG, Rn. 182 und 187 f.; siehe zum Verfahrensablauf in den Fällen des § 198 Abs. 2 UmwG auch Krafka/Kühn, Registerrecht, Rn. 1209. 441 Vgl. Frowein, Sitzverlegung, 2001, S. 165; Hopt, in: Baumbach/Hopt, HGB, § 8, Rn. 5; Krafka, in: MünchKomm-HGB, Bd. 1, § 8, Rn. 31 f. 442 Vgl. Hopt, in: Baumbach/Hopt, HGB, § 8, Rn. 5. 443 Vgl. Frowein, Sitzverlegung, 2001, S. 165; Hopt, in: Baumbach/Hopt, HGB, § 8, Rn. 5; Krafka, in: MünchKomm-HGB, Bd. 1, § 8, Rn. 32. 444 Vgl. Wachter, GmbHR 2014, 99 (100). 445 Vgl. Szydlo, ECFR 2010, 414 (427); offenbar auch Mörsdorf, CMLR 2012, 629 (650).

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fung mit seinem Hoheitsgebiet vorschreibt, darf er diesen Umstand grundsätzlich zum Anlass nehmen, die Gesellschaft aufzulösen und zu liquidieren (vgl. § 4 III. 1. b)). Allerdings wird man die Willensäußerung der Anteilsinhaber, den statuarischen Sitz der Gesellschaft in den Aufnahmestaat zu verlegen, dahingehend zu verstehen haben, dass die entsprechende Satzungsänderung unter der Bedingung erfolgen soll, dass die Umwandlung wirksam wird. Scheitert der beabsichtigte Formwechsel, wird der Beschluss über die Änderung des Satzungssitzes der Gesellschaft hingegen nicht wirksam und bildet für den Herkunftsstaat somit keinen Auflösungsgrund.446 Sofern die Gesellschaft ihren effektiven Verwaltungssitz im Zuge der beabsichtigten Umwandlung in den Aufnahmestaat verlegt hat, ist ihr unter Androhung der Auflösung die Möglichkeit zu eröffnen, die Hauptverwaltung wieder in das Territorium des Herkunftsstaates zurück zu verlagern, wenn das Recht des Herkunftsstaates diese Verknüpfung für die Ausgangsrechtsform verlangt.447 (4) Bekanntmachung des Formwechsels Sowohl die Eintragung des Formwechsels unter Wirksamkeitsvorbehalt als auch die Löschung der Eintragung der Ausgangsrechtsform sind nach Maßgabe von § 10 HGB öffentlich bekannt zu machen. In letztgenannter Bekanntmachung sind die Gesellschaftsgläubiger zudem gemäß §§ 204, 22 Abs. 1 S. 3 UmwG auf ihr Recht hinzuweisen, vom formwechselnden Rechtsträger Sicherheit zu verlangen. Die Bekanntmachung der Wirksamkeit des Formwechsels stellt das fristauslösende Ereignis für die Begrenzung der Nachhaftung persönlich haftender Anteilsinhaber (§ 224 Abs. 3 S. 1 UmwG), den Anspruch der Gesellschaftsgläubiger auf Sicherheitsleistung (§§ 204, 22 Abs. 1 S. 1 UmwG), den Beginn der Verjährung der Verwaltungsträgerhaftung (§ 205 Abs. 2 UmwG), die Frist für die Annahme des Barabfindungsangebots (§ 209 S. 1 UmwG) sowie die Frist für die Durchführung des Spruchverfahrens (§ 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SpruchG) dar. Dass die Bekanntmachung der Eintragung des Formwechsels mit Wirksamkeitsvorbehalt insoweit nicht von Bedeutung ist, verdeutlicht folgende Überlegung in Bezug auf den Barabfindungsanspruch gemäß § 209 S. 1 UmwG: Das Barabfindungsangebot der Gesellschaft ist durch die Wirksamkeit des Formwechsels aufschiebend bedingt (vgl. § 6 III. 3. b) bb)). Eine Eintragung des Formwechsels mit Wirksamkeitsvorbehalt bedürfte es nicht, wenn die Umwandlung mit der Eintragung bereits wirksam würde. Die Bekanntmachung dieser Eintragung vermag die Annahmefrist indessen nicht auszulösen, weil die Annahmefrist andernfalls bereits zu einem Zeitpunkt liefe, zu welchem das Barabfindungsangebot der Gesellschaft durch die Anteilsinhaber noch nicht rechtswirksam angenommen werden kann. 446 447

Anders offenbar Szydlo, ECFR 2010, 414 (427 f.). Vgl. Mörsdorf, CMLR 2012, 629 (650).

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Kapitel 3: Der grenzüberschreitende Formwechsel nach deutschem Recht

bb) Registerverfahren im Aufnahmestaat Das Registerverfahren im Aufnahmestaat unterliegt dessen registerrechtlichen Rechtsvorschriften. Die Regelung des Art. 8 SE-VO gilt aufgrund der unmittelbaren Rechtswirkung sekundärrechtlicher Verordnungen in allen Mitgliedstaaten gleichermaßen. Sofern ein spezielles Rechtsregime für grenzüberschreitende Formwechsel im Aufnahmestaat nicht existiert, kann die zuständige Stelle des Aufnahmestaates diese Vorschrift ebenso heranziehen wie die Regelungen, welche der jeweilige Mitgliedstaat in Umsetzung der Internationalen Verschmelzungsrichtlinie erlassen hat. Der zuständigen Stelle des Aufnahmestaates ist die Bescheinigung vorzulegen, welcher das deutsche Registergericht in analoger Anwendung von § 122k Abs. 2 S. 1 UmwG, Art. 8 Abs. 8 SE-VO dem formwechselnden Rechtsträger ausgestellt hat. Eine inhaltliche Überprüfung, ob die Voraussetzungen des deutschen Umwandlungsrechts für den konkreten Formwechsel eingehalten wurden, findet im Aufnahmestaat nicht statt. Die zuständige Stelle des Aufnahmestaates hat die Richtigkeit der Bescheinigung grundsätzlich zu unterstellen (vgl. § 7 IV. 2. c) bb)). Ferner sind diejenigen Dokumente und Nachweise einzureichen, welche nach den Rechtsvorschriften des Aufnahmestaates erforderlich sind, um die Erfüllung der Gründungsvoraussetzungen der Zielrechtsform nachzuweisen. 448 Kommt die zuständige Stelle des Aufnahmestaates zu dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen des Aufnahmestaates für die Durchführung der beschlossenen Umwandlung vorliegen, hat es die Zielrechtsform in das jeweilige Register einzutragen und das für die Ausgangsrechtsform zuständige Registergericht über den Vollzug des Formwechsels zu informieren (vgl. § 6 IV. 2. c) aa)). Steht das Recht des Aufnahmestaates der beschlossenen Umwandlung hingegen entgegen, hat die zuständige Stelle des Aufnahmestaates das für die Ausgangsrechtsform zuständige Registergericht aufgrund der Kooperationspflicht der Mitgliedstaaten gemäß Art. 4 Abs. 3 EUV über das Scheitern des Formwechsels in Kenntnis zu setzen. d) Sonderfall: Beteiligung nicht registerpflichtiger Rechtsformen Der vorstehend dargestellte Verfahrensablauf stößt an seine Grenzen, wenn es sich bei dem formwechselnden Rechtsträger und/oder der Zielrechtsform um eine nicht registerpflichtige Gesellschaft handelt. Aus deutscher Perspektive stellt sich diese Problematik beim Herausformwechsel der GbR.

448

Vgl. Teichmann/Ptak, RIW 2010, 817 (820 f.) zum Herausformwechsel in eine polnische Rechtsform.

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aa) Herausformwechsel der GbR Im Gegensatz zu den anderen Personengesellschaften deutschen Rechts ist die GbR weder registerpflichtig noch registerfähig. Da für diese Rechtsform kein dem Handelsregister vergleichbares Gesellschaftsregister existiert, kommt eine Registereintragung des Formwechsels in Deutschland nicht in Betracht.449 Auch der grenzüberschreitende Formwechsel einer GbR birgt jedoch Gefahren für Gesellschaftsgläubiger und Anteilsinhaber, welche es rechtfertigen, dass die Erfüllung der umwandlungsrechtlichen Schutzvorkehrungen des deutschen Rechts hoheitlich überprüft wird. Zudem hat die Gesellschaft ein anerkennenswertes Interesse daran, im Aufnahmestaat eine registergerichtliche Bescheinigung entsprechend § 122k Abs. 2 S. 1 UmwG, Art. 8 Abs. 8 SE-VO vorlegen zu können, welche die Einhaltung der umwandlungsrechtlichen Voraussetzungen des deutschen Rechts dokumentiert. Was die materiellrechtlichen Voraussetzungen des Formwechsels anbelangt, kann man sich an den Vorschriften des Umwandlungsgesetzes für den Formwechsel einer OHG orientieren. Die GbR und die OHG sind strukturell miteinander vergleichbar. Beide Gesellschaften unterscheiden sich im Grundsatz lediglich dadurch, dass der Zweck der OHG gemäß § 105 Abs. 1 HGB auf den Betrieb eines Handelsgewerbes gerichtet ist.450 Der Schutz der Gesellschaftsgläubiger wird somit im Wesentlichen durch das Fortbestehen der persönlichen Gesellschafterhaftung für Altverbindlichkeiten sowie den Anspruch der Gesellschaftsgläubiger auf Sicherheitsleistung verwirklicht (vgl. § 6 III. 2.). Die Anteilsinhaber werden zuvorderst dadurch geschützt, dass der Umwandlungsbeschluss – in Abwesenheit einer speziellen gesellschaftsvertraglichen Regelung – nur einstimmig getroffen werden kann (vgl. § 6 III. 3.). Ob die umwandlungsrechtlichen Voraussetzungen für den beabsichtigten Formwechsel erfüllt sind, bedarf indessen hoheitlicher Kontrolle. Da auch die GbR keinen isolierten Formwechsel in eine EU-ausländische Rechtsform vornehmen darf, muss insbesondere überprüft werden, ob die Gesellschaft überhaupt wirtschaftliche Aktivitäten im Aufnahmestaat entfaltet. Ferner muss die Wirksamkeit der Umwandlung öffentlich bekanntgemacht werden, weil diese Bekanntmachung das fristauslösende Ereignis für die Begrenzung der Nachhaftung persönlich haftender Anteilsinhaber (§ 224 Abs. 3 S. 1 UmwG), den Anspruch der Gesellschaftsgläubiger auf Sicherheitsleistung (§§ 204, 22 Abs. 1 S. 1 UmwG) sowie den Beginn der Verjährung der Verwaltungsträgerhaftung (§ 205 Abs. 2 UmwG) ist. Aufgrund der strukturellen Ähnlichkeit der GbR und der OHG liegt es nahe, die hoheitliche Kontrolle des Formwechsels dem Registergericht zu überantworten, welches zuständig 449

Vgl. Krafka/Kühn, Registerrecht, Rn. 1211. Vgl. M. Roth, in: Baumbach/Hopt, HGB, § 105, Rn. 1; K. Schmidt, in: MünchKomm-HGB, Bd. 2, § 105, Rn. 19. 450

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Kapitel 3: Der grenzüberschreitende Formwechsel nach deutschem Recht

wäre, wenn es sich bei der GbR um eine OHG handeln würde. Diesem Gericht ist es durch das Unionsrecht in Gestalt des Effektivitätsgrundsatzes verwehrt, sich auf seine formelle Unzuständigkeit für Registerangelegenheiten der GbR zurückzuziehen. Zuständig ist demnach das Registergericht, in dessen Bezirk sich der effektive Verwaltungssitz der Gesellschaft befindet.451 Die geschäftsführenden Gesellschafter der GbR haben den Formwechsel dort in notariell beurkundeter Form unter Vorlage der erforderlichen Anlagen anzumelden (vgl. § 6 IV. 2. c) aa)). Kommt das Registergericht bei der Prüfung der Umwandlung zu einem positiven Ergebnis, hat es der Gesellschaft eine Bescheinigung entsprechend § 122k Abs. 2 S. 1 UmwG, Art. 8 Abs. 8 SE-VO auszustellen und den Formwechsel unter Hinweis auf den Vorbehalt der Wirksamkeit nach dem Recht des Aufnahmestaates gemäß § 10 HGB bekannt zu machen. Anders als § 10 S. 2 HGB vermuten ließe, sind Bekanntmachungen im Ausnahmefall auch ohne vorherige Eintragung der jeweiligen Tatsache in das Handelsregister möglich.452 Sobald das Registergericht Nachricht der zuständigen Stelle des Aufnahmestaates erhält, dass die Umwandlung wirksam geworden ist, hat es diesen Umstand ebenfalls gemäß § 10 HGB bekannt zu machen. Im Interesse der Rechtssicherheit ist den Anteilsinhabern der GbR freilich zu raten, die Gesellschaft im Vorfeld des Formwechsels zunächst gemäß § 105 Abs. 2 als OHG in das Handelsregister eintragen zu lassen und damit potentiellen Einwänden des Registergerichts gegen die vorstehend skizzierte Vorgehensweise die Grundlage zu entziehen. bb) Nicht registerpflichtige EU-ausländische Zielrechtsform Ist die EU-ausländische Zielrechtsform nicht registerpflichtig, kommt eine Registereintragung im Aufnahmestaat nicht in Betracht. Das deutsche Umwandlungsrecht enthält in § 235 UmwG eine Regelung für innerstaatliche Formwechsel in die Rechtsform der (nicht registerpflichtigen) GbR. Gemäß § 235 Abs. 1 S. 2 UmwG findet die Regelung des § 198 Abs. 2 UmwG über die einzuhaltende Eintragungsreihenfolge bei dieser Umwandlungskonstellation keine Anwendung. Vielmehr ist gemäß § 235 Abs. 1 S. 1 UmwG die Umwandlung der Gesellschaft lediglich zur Eintragung in das Register der Ausgangsrechtsform anzumelden. Gleiches gilt für grenzüberschreitende Formwechsel in nicht registerpflichtige EU-ausländische Rechtsformen. Das Registergericht prüft lediglich, ob die formwechselwillige Gesellschaft die Voraussetzungen des deutschen Umwandlungsrechts für den rechtsformwechselnden Wegzug erfüllt hat. Bejahendenfalls hat das Registergericht die 451 Vgl. M. Roth, in: Baumbach/Hopt, HGB, § 106, Rn. 8; Langhein, in: MünchKommHGB, Bd. 2, § 106, Rn. 26. 452 Vgl. Krafka, in: MünchKomm-HGB, Bd. 1, § 8, Rn. 8; Schaub, in: Ebenroth/ Boujong/Joost/Strohn, HGB, Bd. 1, § 10, Rn. 10 ff.

§ 6 Herausformwechsel deutscher Gesellschaften

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Umwandlung in das jeweilige Register einzutragen und die Eintragung bekanntzumachen. In aller Regel bedarf es allerdings keiner Eintragung eines Wirksamkeitsvorbehalts zugunsten der Rechtsordnung des Aufnahmestaates. Mit der Registereintragung entfällt zwangsläufig der vorrangige Anknüpfungspunkt für die Frage nach dem Zeitpunkt der Wirksamkeit des Formwechsels (vgl. § 6 IV. 2. c) aa)). Sofern die Entstehung der EU-ausländischen Zielrechtsform einen konstitutiven Rechtsakt nicht voraussetzt, wird der Formwechsel bereits zum Zeitpunkt der Eintragung der Umwandlung in das deutsche Register rechtswirksam. Die Bekanntmachung dieser Eintragung muss daher den Gläubigerhinweis gemäß §§ 204, 22 Abs. 1 S. 3 UmwG enthalten und stellt das fristauslösende Ereignis im Sinne der §§ 204, 22 Abs. 1 S. 1, 205 Abs. 2, 209 S. 1, 224 Abs. 3 S. 1 UmwG, § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SpruchG dar. V. Zwischenergebnis Die vorstehende Untersuchung hat gezeigt, dass die Risiken, welche ein Formwechsel für Gesellschaftsgläubiger und Anteilsinhaber birgt, im innerstaatlichen und grenzüberschreitenden Kontext vergleichbar sind. Das Regelungsregime der §§ 190 ff. UmwG für innerstaatliche Formwechsel enthält daher im Ausgangspunkt ein taugliches Schutzkonzept zugunsten von Gesellschaftsgläubigern und Anteilsinhabern. Zwar sind die Schutzinstrumente des Umwandlungsgesetzes nicht geeignet, Gesellschaftsgläubiger und Anteilsinhaber vor sämtlichen umwandlungsbedingten Risiken effektiv zu schützen. Ein Rückgriff auf die §§ 122a ff. UmwG beziehungsweise die §§ 12 ff. SEAG würde insoweit jedoch nicht weiterhelfen. Gleichwohl ist die Anwendung der Regelungen der §§ 190 ff. UmwG auf Herausformwechsel deutscher Gesellschaften mit der Niederlassungsfreiheit vereinbar. Bei der Durchführung des Registerverfahrens hat man sich hingegen an den diesbezüglichen Regelungen der §§ 122a ff. UmwG sowie Art. 8 SE-VO zu orientieren. Das zuständige Registergericht hat dem formwechselnden Rechtsträger entsprechend § 122k Abs. 2 S. 1 UmwG, Art. 8 Abs. 8 SE-VO eine Bescheinigung auszustellen, sofern dieser die Voraussetzungen der §§ 190 ff. UmwG für den konkreten Formwechsel erfüllt hat. Den Vorschriften über die grenzüberschreitende Verschmelzung sowie die Sitzverlegung der SE ist zudem zu entnehmen, dass sich der Zeitpunkt der Wirksamkeit grenzüberschreitender Umwandlungen nach dem Recht des Aufnahmestaates richtet. Ob eine konkrete Formwechselkonstellation rechtlich zulässig ist, entscheidet zuvorderst die Rechtsordnung des Aufnahmestaates. Demgegenüber ist der Herkunftsstaat nicht berechtigt, einzelne Rechtsformen als potentielle Ausgangsrechtsformen grenzüberschreitender Formwechsel prinzipiell auszuschließen. Entgegen § 191 Abs. 1 UmwG ist die GbR daher grundsätzlich befugt, sich formwechselnd in einem anderen Mitgliedstaat niederzulassen.

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Kapitel 3: Der grenzüberschreitende Formwechsel nach deutschem Recht

§ 7 Hereinformwechsel EU-ausländischer Gesellschaften § 7 Hereinformwechsel EU-ausländischer Gesellschaften

I. Einführung Die Mitgliedstaaten sind unionsrechtlich verpflichtet, den Hereinformwechsel EU-ausländischer Gesellschaften zuzulassen, sofern die Umwandlung mit einem tatbestandsmäßigen Niederlassungsvorgang des formwechselnden Rechtsträgers in ihrem Hoheitsgebiet einhergeht und ihr nationales Umwandlungsrecht einen entsprechenden Formwechsel zumindest im innerstaatlichen Kontext ermöglicht (vgl. § 4 IV. 2. b)). Trotz ihrer Regelungsautonomie bei der Ausgestaltung des Gesellschaftsrechts sind die Mitgliedstaaten nicht berechtigt, speziell grenzüberschreitende Umwandlungen zu verbieten. Das Fehlen einer auf grenzüberschreitende Sachverhalte zugeschnittenen sachrechtlichen Regelung steht der Durchführung grenzüberschreitender Formwechsel nicht entgegen. Voraussetzung ist lediglich, dass der Aufnahmestaat nicht nur Vorschriften über die Neugründung einer Gesellschaft, sondern zumindest auch Vorschriften über einen entsprechenden innerstaatlichen Formwechsel bereithält.453 Zur Bewältigung von Hereinformwechseln EUausländischer Gesellschaften wird überwiegend eine entsprechende Anwendung der umwandlungsrechtlichen Vorschriften über innerstaatliche Formwechsel (§§ 190 ff. UmwG) vorgeschlagen.454 Teils wird angesichts des grenzüberschreitenden Sachverhalts zudem eine analoge Heranziehung der Vorschriften betreffend die grenzüberschreitende Verschmelzung (§§ 122a ff. UmwG) beziehungsweise der Regelungen über die grenzüberschreitenden Sitzverlegung der SE (Art. 8 SE-VO, §§ 12 ff. SEAG) für erforderlich gehalten.455 453

Vgl. Schönhaus/Müller, IStR 2013, 174 (176). Vgl. Bayer/J. Schmidt, ZHR 173 (2009), 735 (764); Bayer/J. Schmidt, ZIP 2012, 1481 (1488); Bungert/de Raet, DB 2014, 761 (763); Decher/Hoger, in: Lutter, UmwG, Bd. II, Vor § 190, Rn. 39; Drygala, in: Lutter, UmwG, Bd. I, § 1, Rn. 37; Frenzel, NotBZ 2012, 349 (351); Hennrichs u.a., WM 2009, 2009 (2015); Hoffmann, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 54, Rn. 9; Hörtnagl, in: Schmitt/Hörtnagl/Stratz, UmwG/UmwStG, § 1 UmwG, Rn. 60; Jaensch, EWS 2007, 97 (102); Jaensch, EWS 2012, 353 (358); Kindler, EuZW 2012, 888 (892); Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 136; Messenzehl/Schwarzfischer, BB 2012, 2072 (2073); Mörsdorf-Schulte, KSzW 2014, 117 (123); Rubner/Leuering, NJW-Spezial 2012, 527 (528); Stiegler, NZG 2014, 351 (351); Stiegler, KSzW 2014, 107 (110); Teichmann, DB 2012, 2085 (2091); Teichmann/Ptak, RIW 2010, 817 (822 f.); Verse, EuZW 2013, 336 (337), Fn. 9; Vossius, in: Widmann/Mayer, UmwR, 134. EL (2012), § 191 UmwG, Rn. 57; Wachter, GmbHR 2014, 99 (99); Weller, LMK 2012, 336113; Weller, FS Blaurock, 2013, 497 (522); Wicke, DStR 2012, 1756 (1759); a.A. Krause/Kulpa, ZHR 171 (2007), 38 (48); Neye, EWiR 2014, 45 (46); Thümmel, Formwechsel, 2013, S. 280; Wasmeier, Umstrukturierung, 2014, S. 67. 455 Vgl. Benrath/König, DK 2012, 377 (380); Hennrichs u.a., WM 2009, 2009 (2015); Herrler, DNotZ 2009, 484 (491); Hoffmann, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 54, Rn. 9; Jaensch, EWS 2012, 353 (358); Kindler, EuZW 2012, 888 (892); Kindler, in: Münch454

§ 7 Hereinformwechsel EU-ausländischer Gesellschaften

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Im Folgenden wird dargestellt, welche Risiken der Hereinformwechsel EU-ausländischer Gesellschaften aus der Perspektive des Aufnahmestaates birgt (vgl. § 7 II.). Auf der Basis dieser Erkenntnisse wird untersucht, welche Schutzinstrumente das deutsche Recht zur Bewältigung der Risiken bereithält und ob diese ihrem Zweck gerecht werden sowie einer unionsrechtlichen Überprüfung standhalten (vgl. § 7 III.). Schließlich wird aufgezeigt, welche Verfahrensschritte eine formwechselwillige EU-ausländische Gesellschaft aufgrund des deutschen Umwandlungsrechts zu beachten hat und wie sich das Registerverfahren vollzieht (vgl. § 7 IV.). II. Risiken von Hereinformwechseln Ein Formwechsel eröffnet einem Rechtsträger die Möglichkeit, seine gesetzliche Verbandsverfassung zu wechseln, ohne dass es einer Auflösung und Liquidation mit anschließender Neugründung bedarf.456 Mit der Umwandlung ändert sich nicht nur das für die innergesellschaftlichen Rechtsbeziehungen geltende, sondern auch das für die Außenbeziehungen des formwechselnden Rechtsträgers geltende Regelungsregime.457 Der Wechsel der gesetzlichen Verbandsverfassung im Wege eines Formwechsels wirft Fragen auf, wenn die Gründung der Zielrechtsform schärferen Anforderungen unterliegt als die Gründung der Ausgangsrechtsform.458 Sofern für die Errichtung der Ausgangsrechtsform mildere Gründungsvorschriften maßgeblich waren, gilt es zu verhindern, dass die für die Zielrechtsform geltenden strengeren Maßstäbe durch einen Formwechsel unterlaufen werden.459 Die Gefahr der Umgehung der Gründungsvorschriften der Zielrechtsform besteht bei innerstaatlichen und grenzüberschreitenden Formwechseln gleichermaßen. Der Rechtsverkehr vertraut darauf, dass eine unter deutschem Rechtsformzusatz firmierende Gesellschaft den Gründungsanforderungen des für die jeweilige Rechtsform geltenden materiellen Gesellschaftsrechts zum Zeitpunkt ihrer Entstehung gerecht geworden ist. Von deutschen Kapitalgesellschaften wird insbesondere erwartet, dass das statuarische Gesellschaftskapital zum Zeitpunkt der Gründung der Gesellschaft effektiv aufgebracht Komm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 126; Mörsdorf-Schulte, KSzW 2014, 117 (123); Stiegler, KSzW 2014, 107 (110); Verse, EuZW 2013, 336 (337), Fn. 9; Wicke, DStR 2012, 1756 (1758 f.); offenbar auch Bayer/J. Schmidt, ZHR 173 (2009), 735 (764); Bayer/J. Schmidt, ZIP 2012, 1481 (1488); Teichmann, DB 2012, 2085 (2091); für eine ausschließliche Heranziehung dieser Regelungen Prelic/Prostor, ZfRV 2014, 27 (29); Thümmel, Formwechsel, 2013, S. 280. 456 Vgl. BT-Drs. 12/6699, S. 141; Meister/Klöcker, in: Kallmeyer, UmwG, § 197, Rn. 5. 457 Vgl. BT-Drs. 12/6699, S. 141. 458 Vgl. BT-Drs. 12/6699, S. 141. 459 Vgl. BT-Drs. 12/6699, S. 141; Bärwaldt, in: Semler/Stengel, UmwG, § 197, Rn. 1; Decher/Hoger, in: Lutter, UmwG, Bd. II, § 197, Rn. 1 und 5; Gillessen, Sitzverlegung, 2000, S. 252 und 303; Meister/Klöcker, in: Kallmeyer, UmwG, § 197, Rn. 5.

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wurde. Das insoweit bestehende Vertrauen des Rechtsverkehrs ist bei innerstaatlichen und grenzüberschreitenden Umwandlungskonstellationen gleichermaßen schutzwürdig. III. Umwandlungsrechtliche Schutzinstrumente Das Umwandlungsgesetz versucht den berechtigten Erwartungen des Rechtsverkehrs hinsichtlich der rechtlichen Ausgestaltung und wirtschaftlichen Ausstattung der Zielrechtsform durch Verweisung auf die jeweiligen Gründungsvorschriften gerecht zu werden. Nachfolgend wird zunächst dargelegt, welche Vorgaben das Unionsrecht dem Aufnahmestaat bei der Anwendung seiner nationalen Vorschriften macht. Auf der Grundlage der gewonnenen Erkenntnisse wird anschließend untersucht, welchen rechtlichen Anforderungen der formwechselnde Rechtsträger beim Hereinformwechsel in eine deutsche Rechtsform genügen muss und ob diese Anforderungen mit der Niederlassungsfreiheit der Gesellschaft in Einklang zu bringen sind. 1. Unionsrechtliche Vorgaben Über die Verpflichtung auf den Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz 460 hinaus lassen sich der Rechtsprechung des EuGH keine Vorgaben für die Ausgestaltung des Umwandlungsverfahrens durch den Aufnahmestaat entnehmen. Bedauernswerterweise lässt der Gerichtshof zudem offen, welche konkreten Anforderungen sich aus dem Äquivalenz- und Effektivitätsgebot für die Behandlung von Hereinformwechseln EU-ausländischer Gesellschaften im Einzelnen ergeben. Richtigerweise hat man hinsichtlich des unionsrechtlichen Kontrollmaßstabs zu differenzieren: Keiner inhaltlichen Kontrolle anhand der Art. 49 ff. AEUV unterliegen zunächst die Regelungen, welche der Aufnahmestaat im Rahmen seiner gesellschaftsrechtlichen Regelungsautonomie in Bezug auf die Gründungsvoraussetzungen und rechtliche Ausgestaltung der jeweiligen Zielrechtsform getroffen hat (vgl. § 4 IV. 2. b)). Der Aufnahmestaat darf zum Schutz des Rechtsverkehrs von der formwechselnden Gesellschaft die Beachtung der Gründungsvoraussetzungen derjenigen Rechtsform verlangen, welche diese im Wege des Formwechsels annehmen möchte.461 Sieht die gesetzliche Verbandsverfassung der Zielrechtsform bei460

Vgl. EuGH, Urteil vom 12.7.2012, Rs. C-378/10 – VALE Építési, Rn. 48. Vgl. Arbeitskreis Europäisches Unternehmensrecht, NZG 2011, 98 (98); Bayer/J. Schmidt, ZIP 2012, 1481 (1485); Behrens/Hoffmann, in: GroßKomm-GmbHG, Bd. I, IntGesR, Rn. B161; Engert, in: Eidenmüller, Ausländische Kapitalgesellschaften, § 4, Rn. 126; Grundmann, Europ. GesR, § 24, Rn. 860; Kindler, EuZW 2012, 888 (890); Mörsdorf-Schulte, KSzW 2014, 117 (122); Nagy, IPRax 2013, 582 (583); Otte/Rietschel, GmbHR 2009, 983 (985 f.); Rubner/Leuering, NJW-Spezial 2012, 527 (528); Schön, ECFR 2006, 122 (145); Schön, ZGR 2013, 333 (360); Stiegler, Rechtsformwechsel, 2013, S. 45; Stiegler, KSzW 2014, 107 (108); Szydlo, ECFR 2010, 414 (435); Teichmann, 461

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spielsweise bestimmte Kapitalaufbringungsregelungen oder Vorschriften über die Beteiligung von Arbeitnehmern vor, muss der formwechselnde Rechtsträger dies akzeptieren und kann diese rechtlichen Standortbedingungen des Aufnahmestaates nicht unter Berufung auf die Niederlassungsfreiheit in Frage stellen.462 Der Aufnahmestaat darf von dem formwechselnden Rechtsträger zudem verlangen, dass er diejenigen Verknüpfungsmerkmale mit dem eigenen Hoheitsgebiet im Sinne des Art. 54 Abs. 1 AEUV erfüllt, welche dieser Mitgliedstaat im Rahmen seiner gesellschaftsrechtlichen Regelungsautonomie für die jeweilige Zielrechtsform vorsieht.463 Wird der formwechselnde Rechtsträger neben den Gründungsanforderungen der konkreten Zielrechtsform den umwandlungsrechtlichen Verfahrensregelungen des Aufnahmestaates vollumfänglich gerecht, kann ihm der Aufnahmestaat den beabsichtigten Hereinformwechsel aus Gründen der Gleichbehandlung nicht verwehren.464 Unter dieser Prämisse existiert kein unionsrechtlich billigenswerter Grund, dem Rechtsträger den identitätswahrenden Zuzug zu versagen und eine Neugründung zu verlangen.465 Klärungsbedürftig ist indes, ob der Aufnahmestaat berechtigt ist, von der zuziehenden EU-Auslandsgesellschaft – über die Beachtung seines nationalen Umwandlungsrechts beziehungsweise der Gründungsvorschriften der Zielrechtsform hinaus – weitere auf grenzüberschreitende Umwandlungskonstellationen zugeschnittene Anforderungen zu stellen. In Fachkreisen wird dies DB 2012, 2085 (2090); Thiermann, EuZW 2012, 209 (213); Vermeylen/Vande Velde, ECBMR, Kap. 2, Rn. 2.107; Verse, ZEuP 2013, 458 (488 f.); Wicke, DStR 2012, 1756 (1757 f.). 462 Vgl. Biermeyer, CMLR 2013, 571 (584); Mörsdorf/Jopen, ZIP 2012, 1398 (1400); siehe auch Schön, ZGR 2013, 333 (348), der GA Jääskinen unterstellt, er wolle die Grundzüge des materiellen Gesellschaftsrechts des Aufnahmestaates einer allgemeinen Rechtsfertigungsprüfung unterziehen, wofür sich jedoch in den Schlussanträgen des Generalanwalts keinerlei Anhaltspunkte ergeben; siehe GA Jääskinen, Schlussanträge vom 15.12.2011, Rs. C-378/10 – VALE Építési, Rn. 74 f. 463 Vgl. EuGH, Urteil vom 16.12.2008, Rs. C-210/06 – Cartesio, Slg. 2008, I-9641, Rn. 110; EuGH, Urteil vom 29.11.2011, Rs. C-371/10 – National Grid Indus, Slg. 2011, I-12273, Rn. 27; EuGH, Urteil vom 12.7.2012, Rs. C-378/10 – VALE Építési, Rn. 29 f.; Borg-Barthet, ICLQ 2013, 503 (508); Engert, in: Eidenmüller, Ausländische Kapitalgesellschaften, § 4, Rn. 126; Grundmann, Europ. GesR, § 24, Rn. 867; Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 839; Mörsdorf, EuZW 2009, 97 (102); Morse, Palmer’s Company Law, 136. EL (2012), Pt. 16, Rn. 16.021.3; Prelic/Prostor, ZfRV 2014, 27 (32); W.-H. Roth, ZGR 2014, 168 (204); van Eck/Roelofs, ECL 2012, 319 (321); Wasmeier, Umstrukturierung, 2014, S. 141 und 253 f.; a.A. offenbar Szydlo, ECFR 2010, 414 (439 f.) sowie Gower/Davies, Company Law, Pt. 6, Rn. 29-15 bezüglich der grenzüberschreitenden Verschmelzung. 464 Vgl. Barthel, EWS 2011, 131 (139 f.); Drygala, in: Lutter, UmwG, Bd. I, § 1, Rn. 22; Teichmann, ZIP 2009, 393 (402); Teichmann/Ptak, RIW 2010, 817 (819); Teichmann, DB 2012, 2085 (2090). 465 Vgl. Teichmann/Ptak, RIW 2010, 817 (819).

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teilweise für zulässig gehalten.466 Der Äquivalenzgrundsatz gehe nicht so weit, dass jede Regelung unionsrechtswidrig wäre, welche den grenzüberschreitenden Umwandlungsvorgang anders behandle als den innerstaatlichen.467 Die Ungleichbehandlung bedürfe allerdings einer sachlichen Rechtfertigung nach unionsrechtlichen Maßstäben.468 Andere Autoren äußern sich insoweit zurückhaltender.469 Zusätzliche Anforderungen an den formwechselnden Rechtsträger seien ebenso wenig zulässig wie sonstige diskriminierende Maßnahmen.470 Auch an Beschränkungen unterhalb eines generellen Verbots werde ein strenger Prüfungsmaßstab angelegt.471 Insbesondere dürften die Verfahrensvorschriften nicht ungünstiger ausgestaltet sein als bei innerstaatlichen Sachverhalten.472 Wie allzu oft liegt die Wahrheit in der Mitte: Ungleichbehandlungen aufgrund der Staatszugehörigkeit können nach allgemeinen Grundsätzen unionsrechtlich gerechtfertigt werden (vgl. § 3 III. 4.). Sofern EU-ausländische Gesellschaften durch das nationale Umwandlungsrecht eines Mitgliedstaates offen diskriminiert werden, sind die Rechtfertigungsmöglichkeiten allerdings begrenzt. Auf den ersten Blick sind zwischen EU-ausländischen und deutschen Rechtsformen keine Unterschiede von solcher Tragweite ersichtlich, welche eine unterschiedliche Behandlung innerstaatlicher und grenzüberschreitender Formwechsel rechtfertigen könnte. Im Vergleich zum rechtsformwahrenden Zuzug EU-ausländischer Gesellschaften wird der Aufnahmestaat in seinen Interessen zudem in weitaus geringerem Maße tangiert. 2. Maßnahmen zum Schutz des Rechtsverkehrs Nach den Grundsätzen der kollisionsrechtlichen Vereinigungstheorie obliegt es dem Aufnahmestaat, den berechtigten Erwartungen, welche der Rechtsverkehr aufgrund der typisierten Ausgestaltung von Gesellschaften im Hinblick auf die Zielrechtsform hegt, gerecht zu werden (vgl. § 5 II. 1.). Während der Herkunftsstaat den Schutz der „Altgläubiger“ vor umwandlungsspezifischen Gefahren zu gewährleisten hat (individueller Gläubigerschutz), obliegt der 466

Vgl. GA Jääskinen, Schlussanträge vom 15.12.2011, Rs. C-378/10 – VALE Építési, Rn. 76; Behrens/Hoffmann, in: GroßKomm-GmbHG, Bd. I, IntGesR, Rn. B164; Hennrichs u.a., WM 2009, 2009 (2014); Lutter/Bayer, in: Lutter, UmwG, Bd. I, Einl. I, Rn. 47; Verse, ZEuP 2013, 458 (490). 467 Verse, ZEuP 2013, 458 (490); siehe auch Schaper, ZIP 2014, 810 (812). 468 Vgl. Behrens/Hoffmann, in: GroßKomm-GmbHG, Bd. I, IntGesR, Rn. B164; Hennrichs u.a., WM 2009, 2009 (2014); Verse, ZEuP 2013, 458 (490). 469 Vgl. Arbeitskreis Europäisches Unternehmensrecht, NZG 2011, 98 (98); Barthel, EWS 2011, 131 (139 f.); Ege/Klett, DStR 2012, 2442 (2450); Herrler, DNotZ 2009, 484 (485); Teichmann, DB 2012, 2085 (2090); Wicke, DStR 2012, 1756 (1758). 470 Arbeitskreis Europäisches Unternehmensrecht, NZG 2011, 98 (98). 471 Herrler, DNotZ 2009, 484 (485). 472 Wicke, DStR 2012, 1756 (1758).

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präventive Schutz von „Neugläubigern“ dem Aufnahmestaat (institutioneller Gläubigerschutz).473 Der Aufnahmestaat ist insbesondere befugt, das berechtigte Vertrauen des Rechtsverkehrs in die ordnungsgemäße Kapitalaufbringung der Zielrechtsform durch entsprechende rechtliche Vorkehrungen zu schützen. a) Verweisung auf das Gründungsrecht Soweit sich aus den besonderen Vorschriften der §§ 190 ff. UmwG nichts anderes ergibt, sind bei innerstaatlichen Formwechseln gemäß § 197 S. 1 UmwG die für die Zielrechtsform geltenden Gründungsvorschriften anzuwenden. Die Verweisung auf das Gründungsrecht verdeutlicht, dass der Umwandlungsvorgang mit der Gründung einer Gesellschaft vergleichbar ist.474 Diese Erkenntnis hat praktische Konsequenzen für die Auslegung des Umwandlungsrechts und dessen richterliche Rechtsfortbildung. 475 Die Verweisung auf das Gründungsrecht soll insbesondere die Einhaltung der Regelungen über die Aufbringung des Gesellschaftskapitals der Zielrechtsform gewährleisten. 476 Zum Schutz der „Neugläubiger“ wird sichergestellt, dass beim formwechselnden Rechtsträger eine Haftungsgrundlage geschaffen beziehungsweise aufrechterhalten wird.477 Dazu werden die vor allem für Kapitalgesellschaften bedeutsamen Vorschriften über die Gründungsprüfung und über die Verantwortlichkeit der Gesellschaftsgründer in das Umwandlungsrecht einbezogen.478 Obgleich eine vollständige Neugründung des Rechtsträgers nicht erforderlich ist, verlangt die Regelung des § 197 S. 1 UmwG in gewissen Grenzen eine materielle Gründungsprüfung.479 Bei Hereinformwechseln EU-ausländischer Gesellschaften findet die Vorschrift des § 197 S. 1 UmwG entsprechende Anwendung.480 Dies bedeutet, dass die Regelungen über die Errichtung der Zielrechtsform sowie die Aufbringung des statuarischen Gesellschaftskapitals auch im grenzüberschreiten-

473 Vgl. Schön, ZGR 2013, 333 (363); siehe zu dieser Differenzierung auch K. Schmidt, ZGR 1993, 366 (367 f.). 474 Vgl. Zöllner, FS Claussen, 1997, 423 (432). 475 Zöllner, FS Claussen, 1997, 423 (433). 476 Vgl. Bärwaldt, in: Semler/Stengel, UmwG, § 197, Rn. 4; Hoger, Kontinuität, 2008, S. 161 f. 477 Vgl. Hoger, Kontinuität, 2008, S. 161 f.; Meister/Klöcker, in: Kallmeyer, UmwG, § 197, Rn. 5. 478 Vgl. BT-Drs. 12/6699, S. 141. 479 Vgl. Hoger, Kontinuität, 2008, S. 162. 480 Vgl. Behrens/Hoffmann, in: GroßKomm-GmbHG, Bd. I, IntGesR, Rn. B164; Decher/Hoger, in: Lutter, UmwG, Bd. II, Vor § 190, Rn. 39; Drygala, in: Lutter, UmwG, Bd. I, § 1, Rn. 38; Hushahn, DNotZ 2014, 154 (155); Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 784; Schön, ZGR 2013, 333 (360).

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den Kontext befolgt werden müssen.481 Über die Regelung des § 197 S. 1 UmwG hinaus enthält das deutsche Umwandlungsrecht in den §§ 214 ff. UmwG rechtsformspezifische Sondervorschriften. Der Umstand, dass sich der Anwendungsbereich dieser Vorschriften nach der konkreten Ausgangsrechtsform richtet, bereitet bei grenzüberschreitenden Umwandlungsvorgängen allerdings Probleme. Da das Umwandlungsgesetz grenzüberschreitende Umwandlungskonstellationen nicht im Blick hat, handelt es sich bei den Ausgangsrechtsformen ausschließlich um Gesellschaften deutschen Rechts. Daher bedarf es rechtstechnisch einer Substitution der jeweiligen deutschen Rechtsform durch die rechtstypologisch vergleichbare EU-Auslandsgesellschaft (vgl. § 5 II. 2. b)). Dabei ist jedoch stets danach zu fragen, ob die ratio legis der jeweiligen Regelung auf den rechtsformwechselnden Zuzug der konkreten EU-ausländischen Gesellschaft gleichermaßen zutrifft. Dies lässt sich nur im Einzelfall unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der jeweiligen Regelung und der konkreten Ausgangsrechtsform des formwechselnden Rechtsträgers zutreffend beurteilen.482 aa) Hereinformwechsel in die Rechtsform einer Personengesellschaft Die Verweisung auf die Gründungsvorschriften durch § 197 S. 1 UmwG gilt zunächst für Hereinformwechsel in die Rechtsform einer deutschen Personengesellschaft. Die praktische Bedeutung der Verweisung ist indessen gering. Im Vergleich zu Kapitalgesellschaften vollzieht sich die Gründung einer Personengesellschaft in einem weniger stark formalisierten Verfahren. Zur wirksamen Entstehung der Gesellschaft bedarf es weder der notariellen Beurkundung des Gesellschaftsvertrages noch einer konstitutiven Registereintragung. Auch die Frage der effektiven Aufbringung eines Gesellschaftskapitals spielt bei der Gründung von Personengesellschaften keine Rolle.483 Im Gegensatz zu Kapitalgesellschaften ist die persönliche Haftung der Gesellschafter grundsätzlich nicht beschränkt. Mangels Beschränkung des Haftungssubstrats der Gesellschaft auf das Gesellschaftsvermögen existieren im Recht der Personengesellschaften keine Regelungen zur Aufbringung und Erhaltung des Gesellschaftskapitals. Lediglich bei der KG ist die persönliche Haftung der Kommanditisten gemäß §§ 171 ff. HGB ausgeschlossen, sofern diese ihre Einlage wirksam geleistet haben. Ob die Einlage eines Kommanditisten beim Formwechsel in die Rechtsform der KG durch „Einbringung“ des Unternehmens des formwechselnden Rechtsträgers erbracht wurde, wird im Zuge der 481 Vgl. OLG Nürnberg, GmbHR 2014, 96 (98), welches jedoch die Rechtsnatur des Formwechsels verkennend von den zur „Gründung des neuen Rechtsträgers“ zu beachtenden Vorgaben spricht; siehe auch Drygala, in: Lutter, UmwG, Bd. I, § 1, Rn. 40; Frowein, Sitzverlegung, 2001, S. 170; Schön, ZGR 2013, 333 (360). 482 Vgl. Ege/Klett, DStR 2012, 2442 (2444). 483 Vgl. Meister/Klöcker, in: Kallmeyer, UmwG, § 197, Rn. 52.

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Umwandlung jedoch nicht überprüft. Diese Frage stellt sich erst in einem etwaigen Haftungsprozess gegen den Kommanditisten.484 Beim Formwechsel in die Rechtsform einer Personengesellschaft bedarf es daher weder eines (Sach-)Gründungsberichts noch einer Gründungsprüfung. 485 bb) Hereinformwechsel in die Rechtsform einer Kapitalgesellschaft Von weitreichender Bedeutung ist die Verweisung auf die Gründungsvorschriften durch § 197 S. 1 UmwG indessen beim Hereinformwechsel in die Rechtsform einer deutschen Kapitalgesellschaft. Für den Formwechsel in die Rechtsform einer AG ist die Verweisung auf das Gründungsrecht durch die Kapitalrichtlinie weitgehend unionsrechtlich vorgegeben. 486 Bei der Anwendung der Gründungsvorschriften ist der Rechtsnatur des Formwechsels als identitätswahrende Umwandlung jedoch gleichermaßen Rechnung zu tragen wie den Besonderheiten, welche sich aus der grenzüberschreitenden Umwandlungskonstellation ergeben. Da der Formwechsel lediglich zu einem Wechsel der gesetzlichen Verbandsverfassung führt und keinen Vermögensübergang zur Folge hat, bleibt die rechtliche Zuordnung des Gesellschaftsvermögens von der Umwandlung unberührt (vgl. § 2 III. 2.). Für die Anwendbarkeit der Gründungsvorschriften bedeutet dies, dass Vorschriften, welche sich auf den Einbringungsvorgang und auf Einbringungsakte beziehen, nicht in der Art und Weise angewendet werden können, als wäre der Formwechsel seiner Natur nach in Wirklichkeit eine Sachgründung.487 Die allgemeine Regelung des § 197 S. 1 UmwG wird beim Formwechsel in die Rechtsform einer deutschen Kapitalgesellschaft durch die Vorschrift des § 220 Abs. 1 UmwG konkretisiert.488 Danach darf das Reinvermögen des formwechselnden Rechtsträgers die Stamm- beziehungsweise Grundkapitalziffer der jeweiligen Zielrechtsform nicht unterschreiten (Prinzip der Kapitaldeckung). Im Interesse der „Neugläubiger“ des formwechselnden Rechtsträgers wird durch die Regelung sichergestellt, dass die Zielrechtsform zumindest zum Zeitpunkt der Umwandlung mit einem Reinvermögen ausgestattet ist, welches der Ziffer des Gesellschaftskapitals entspricht und den Gesellschaftsgläubigern als Haftungssubstrat zur Verfügung steht.489 Bei dem Gebot 484

Vgl. Meister/Klöcker, in: Kallmeyer, UmwG, § 197, Rn. 52; Priester, DNotZ 1995, 427 (451). 485 Vgl. Meister/Klöcker, in: Kallmeyer, UmwG, § 197, Rn. 53. 486 Vgl. BT-Drs. 12/6699, S. 141; Bärwaldt, in: Semler/Stengel, UmwG, § 197, Rn. 5; Decher/Hoger, in: Lutter, UmwG, Bd. II, Vor § 190, Rn. 26; Meister/Klöcker, in: Kallmeyer, UmwG, § 197, Rn. 2; Schlitt, in: Semler/Stengel, UmwG, § 220, Rn. 6. 487 Vgl. Meister/Klöcker, in: Kallmeyer, UmwG, § 197, Rn. 23 f. und 42; a.A. offenbar Teichmann/Ptak, RIW 2010, 817 (823). 488 Vgl. Schlitt, in: Semler/Stengel, UmwG, § 220, Rn. 1. 489 Vgl. Dirksen/Blasche, in: Kallmeyer, UmwG, § 220, Rn. 1; Priester, DNotZ 1995, 427 (451); Schlitt, in: Semler/Stengel, UmwG, § 220, Rn. 10.

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der Kapitaldeckung handelt es sich demnach um ein Instrument des institutionellen Gläubigerschutzes.490 Daher hat der formwechselnde Rechtsträger die diesbezüglichen Vorgaben des deutschen Kapitalgesellschaftsrechts auch bei grenzüberschreitenden Umwandlungskonstellationen zu beachten.491 Gemäß § 220 Abs. 1 UmwG muss das an Verkehrswerten bemessene Nettoaktivvermögen des formwechselnden Rechtsträgers die statuarische Kapitalziffer der Zielrechtsform abdecken.492 Demnach ist die Umwandlung ausgeschlossen, wenn die Zielrechtsform eine materielle Unterbilanz aufweisen würde.493 Dem Gebot der Kapitaldeckung wird dagegen genüge getan, wenn der formwechselnde Rechtsträger im Zeitpunkt der Registeranmeldung der Zielrechtsform über ein Vermögen verfügt, welches die Summe der Schulden der Gesellschaft und der Stamm- beziehungsweise Grundkapitalziffer der Zielrechtsform wertmäßig deckt.494 (1) GmbH Die §§ 1 bis 11 GmbHG enthalten die für die Gründung einer GmbH maßgeblichen Rechtsvorschriften. Über die Verweisung des § 197 S. 1 UmwG sind diese Regelungen grundsätzlich auch beim Formwechsel in die Rechtsform der GmbH anzuwenden.495 Die Anteilsinhaber des formwechselnden Rechtsträgers unterliegen daher der Differenzhaftung gemäß § 9 GmbHG sowie der Gründerhaftung gemäß §§ 9a f. GmbHG.496 Ob dies bei einer Mehrheitsentscheidung über die Vornahme des Formwechsels für alle Anteilsinhaber gilt, oder nur für die Gesellschafter, welche für die Umwandlung gestimmt haben, wird unterschiedlich beurteilt.497 § 219 S. 2 UmwG besagt für den Formwechsel einer Personengesellschaft, dass diejenigen Gesellschaf490

Vgl. Hoger, Kontinuität, 2008, S. 133; Schlitt, in: Semler/Stengel, UmwG, § 220,

Rn. 1. 491 Vgl. Hushahn, DNotZ 2014, 154 (155); Stiegler, Rechtsformwechsel, 2013, S. 49; Wicke, DStR 2012, 1756 (1758). 492 Vgl. Bärwaldt, in: Semler/Stengel, UmwG, § 197, Rn. 22; Dirksen/Blasche, in: Kallmeyer, UmwG, § 220, Rn. 5 f.; Hoger, Kontinuität, 2008, S. 156; Meister/Klöcker, in: Kallmeyer, UmwG, § 197, Rn. 25; Schlitt, in: Semler/Stengel, UmwG, § 220, Rn. 13. 493 Vgl. Dirksen/Blasche, in: Kallmeyer, UmwG, § 220, Rn. 5. 494 Vgl. Dirksen/Blasche, in: Kallmeyer, UmwG, § 220, Rn. 5; Schlitt, in: Semler/ Stengel, UmwG, § 220, Rn. 15. 495 Vgl. Bärwaldt, in: Semler/Stengel, UmwG, § 197, Rn. 18; Meister/Klöcker, in: Kallmeyer, UmwG, § 197, Rn. 9. 496 Vgl. Bärwaldt, in: Semler/Stengel, UmwG, § 197, Rn. 33; Meister/Klöcker, in: Kallmeyer, UmwG, § 197, Rn. 26; Priester, DNotZ 1995, 427 (452). 497 Vgl. Bärwaldt, in: Semler/Stengel, UmwG, § 197, Rn. 33; Decher/Hoger, in: Lutter, UmwG, Bd. II, § 197, Rn. 38; Dirksen/Blasche, in: Kallmeyer, UmwG, § 219, Rn. 8 f.; Joost, in: Lutter, UmwG, Bd. II, § 219, Rn. 3; Meister/Klöcker, in: Kallmeyer, UmwG, § 197, Rn. 26; Vossius, in: Widmann/Mayer, UmwR, 140. EL (2013), § 219 UmwG, Rn. 22 ff.

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ter an die Stelle der Gründer treten, welche für den Formwechsel gestimmt haben. Gleiches gilt gemäß § 245 Abs. 1 S. 1 UmwG beim Formwechsel einer GmbH in die Rechtsform einer AG. Unmittelbar an die Stellung als Gründer knüpfen jedoch lediglich die §§ 9a f. GmbHG an. Die Differenzhaftung des § 9 GmbHG stellt demgegenüber auf die Stellung als Gesellschafter ab. Will ein Anteilsinhaber diesem Haftungsrisiko entgehen, muss er daher bereits vor Wirksamkeit der Umwandlung gegen eine Barabfindung aus dem formwechselnden Rechtsträger ausscheiden.498 Ob diese Möglichkeit besteht, richtet sich freilich nach der gesetzlichen Verbandsverfassung der EUausländischen Ausgangsrechtsform. Im deutschen Gesellschaftsrecht ist ein Austrittsrecht der Anteilsinhaber aus wichtigem Grund anerkannt (vgl. § 6 III. 3. b)). Beim Formwechsel in die Rechtsform einer GmbH sollen die Anteilsinhaber zudem einer als Innenhaftung gegenüber der Gesellschaft ausgestalteten Unterbilanzhaftung unterliegen, wenn das Nettoaktivvermögen des formwechselnden Rechtsträgers die Stammkapitalziffer der GmbH nicht deckt.499 Teilweise wird dabei auf den Zeitpunkt der Registeranmeldung, teilweise auf die Eintragung der Umwandlung ins Register abgestellt. Trotz des Verweises auf die Gründungsvorschriften durch § 197 S. 1 UmwG existiert beim Formwechsel in die Rechtsform der GmbH keine derartige Unterbilanzhaftung. Ob das Gesellschaftsvermögen zum Zeitpunkt der Registeranmeldung die Stammkapitalziffer abdeckt, wird durch das zuständige Registergericht überprüft (vgl. § 7 IV. 2. c) bb)). Falls das Registergericht fälschlich davon ausgeht, dass das Gesellschaftsvermögen die Stammkapitalziffer erreicht, greift die Differenzhaftung gemäß § 197 S. 1 UmwG i.V.m. § 9 GmbHG. Für eine auf den Zeitpunkt der Registeranmeldung bezogene Unterbilanzhaftung existiert deshalb weder ein Bedürfnis noch ein Anwendungsbereich.500 Im Gegensatz zur Gründung einer GmbH besteht beim Formwechsel in diese Rechtsform auch kein Anlass, die Anteilsinhaber für Verluste im Zeitraum zwischen der Registeranmeldung und der Eintragung des Formwechsels einstehen zu lassen. Mit dem Rechtsinstitut der Vorbelastungshaftung sollen Schutzlücken geschlossen werden, welche durch die Aufgabe des Vorbelastungsverbots durch die Rechtsprechung entstanden wären. 501 Da es sich bei dem formwechselnden Rechtsträger im Gegensatz zur Vor-GmbH zwangsläufig um eine in Geschäftsbeziehungen stehende Gesellschaft handelt, passt diese Erwägung beim Formwechsel jedoch nicht.502 Da der formwechselnde Rechts498

Vgl. Decher/Hoger, in: Lutter, UmwG, Bd. II, § 197, Rn. 38; Vossius, in: Widmann/ Mayer, UmwR, 140. EL (2013), § 219 UmwG, Rn. 24. 499 Vgl. Dirksen/Blasche, in: Kallmeyer, UmwG, § 219, Rn. 10; Joost, in: Lutter, UmwG, Bd. II, § 219, Rn. 3; Schlitt, in: Semler/Stengel, UmwG, § 219, Rn. 12 ff. 500 Hoger, Kontinuität, 2008, S. 163. 501 Vgl. Hoger, Kontinuität, 2008, S. 163. 502 Vgl. Hoger, Kontinuität, 2008, S. 163.

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Kapitel 3: Der grenzüberschreitende Formwechsel nach deutschem Recht

träger vor dem Wirksamwerden der Umwandlung bereits in der Ausgangsrechtsform existiert, besteht beim Formwechsel kein Zeitraum, welcher mit dem Stadium einer Vor-GmbH vergleichbar wäre. Es überzeugt deshalb nicht, die Anteilseigner über den Verweis auf die Gründungsvorschriften der Zielrechtsform einer wie auch immer gearteten Unterbilanz- oder Vorbelastungshaftung zu unterwerfen.503 Da der Formwechsel der Neugründung einer Gesellschaft in Form der Sachgründung zwar ähnelt, mit dieser jedoch nicht identisch ist, sind die Gründungsvorschriften restriktiv und nicht extensiv heranzuziehen.504 Für grenzüberschreitende Umwandlungskonstellationen kann insoweit nichts anderes gelten. (2) AG Die §§ 1 bis 13 AktG sowie §§ 23 bis 53 AktG enthalten die für die Gründung einer AG maßgebenden Rechtsvorschriften. Über die Verweisung in § 197 S. 1 UmwG finden diese Vorschriften grundsätzlich auch beim Formwechsel in die Rechtsform der AG Anwendung.505 Dies gilt im grenzüberschreitenden Kontext gleichermaßen. 506 Die Regelungen werden jedoch durch eine Reihe vorrangiger umwandlungsrechtlicher Sondervorschriften modifiziert.507 Zur Sicherung der Kapitaldeckung der Zielrechtsform sind zunächst die Vorschriften des § 32 AktG über den Gründungsbericht und der §§ 33 ff. AktG über die Gründungsprüfung anzuwenden.508 Gemäß § 220 Abs. 3 S. 1 UmwG hat stets eine Prüfung durch Gründungsprüfer entsprechend § 33 Abs. 2 AktG stattzufinden. Zudem sind die Vorschriften über die Gründerhaftung gemäß §§ 46 ff. AktG entsprechend anzuwenden.509 Im Falle einer Mehrheitsentscheidung über die Umwandlung treten allerdings gemäß §§ 219 S. 2, 225c, 245 Abs. 1 S. 1 UmwG an die Stelle der Gründer lediglich diejenigen Gesellschafter, welche für die Durchführung des Formwechsels gestimmt haben. Zudem haften die Gesellschafter beim Formwechsel in die Rechtsform der AG analog § 9 GmbHG anteilig für eine etwaige Differenz

503

Hoger, Kontinuität, 2008, S. 164. Vgl. Meister/Klöcker, in: Kallmeyer, UmwG, § 197, Rn. 7. 505 Vgl. Bärwaldt, in: Semler/Stengel, UmwG, § 197, Rn. 36; Meister/Klöcker, in: Kallmeyer, UmwG, § 197, Rn. 29. 506 Vgl. Vossius, in: Widmann/Mayer, UmwR, 134. EL (2012), § 191 UmwG, Rn. 140. 507 Vgl. Bärwaldt, in: Semler/Stengel, UmwG, § 197, Rn. 37; Meister/Klöcker, in: Kallmeyer, UmwG, § 197, Rn. 30 und 44. 508 Vgl. BT-Drs. 12/6699, S. 157; Dirksen/Blasche, in: Kallmeyer, UmwG, § 220, Rn. 18; Meister/Klöcker, in: Kallmeyer, UmwG, § 197, Rn. 44. 509 Vgl. BT-Drs. 12/6699, S. 157; Bärwaldt, in: Semler/Stengel, UmwG, § 197, Rn. 54.; Meister/Klöcker, in: Kallmeyer, UmwG, § 197, Rn. 44. 504

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zwischen der Grundkapitalziffer und dem Nettoaktivvermögen des formwechselnden Rechtsträgers.510 Über die Verweisung des § 197 S. 1 UmwG gelten ferner die Vorschriften der §§ 52 f. AktG über die Nachgründung entsprechend.511 Die Zwei-JahresFrist des § 52 Abs. 1 S. 1 AktG beginnt gemäß § 220 Abs. 3 S. 2 UmwG mit dem Wirksamwerden des Formwechsels. Beim grenzüberschreitenden Formwechsel in die Rechtsform der AG ist demnach auf die Eintragung der AG ins Handelsregister abzustellen (vgl. § 6 IV. 2. c) aa)). Die Einschränkung der Anwendung der Nachgründungsvorschriften durch § 245 Abs. 1 S. 3, Abs. 3 S. 3 UmwG findet bei grenzüberschreitenden Formwechseln hingegen keine Anwendung. Hinter der restriktiven Anwendung der Nachgründungsvorschriften beim Formwechsel einer GmbH oder KGaA in die Rechtsform der AG steht die Erwägung, dass die Vorschriften der §§ 52 f. AktG ohnehin bereits bei der Gründung der Ausgangsrechtsform galten (KGaA) beziehungsweise die Ausgangsrechtsform jedenfalls einem substanziell vergleichbaren Kapitalschutzkonzept unterlag (GmbH). Diese Erwägungen lassen sich auf EU-ausländische Ausgangsrechtsformen allerdings nicht übertragen (vgl. § 6 II. 1.). Das Tatbestandsmerkmal der GmbH beziehungsweise KGaA als Ausgangsrechtsform kann daher nicht ohne Weiteres durch eine rechtstypologisch vergleichbare EU-ausländische Gesellschaftsform substituiert werden. (3) KGaA Beim Formwechsel in die Rechtsform der KGaA gilt im Wesentlichen das Gleiche wie beim Formwechsel in die Rechtsform der AG.512 An die Stelle der Mitglieder des Vorstandes der AG treten die persönlich haftenden Gesellschafter der KGaA.513 An der Zielrechtsform muss mindestens ein Komplementär beteiligt sein. Wie die §§ 218 Abs. 2, 221, 240 Abs. 2 S. 2 UmwG zeigen, können persönlich haftende Gesellschafter dem formwechselnden Rechtsträger auch im Zuge der Umwandlung beitreten. Gemäß §§ 219 S. 2, 245 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 UmwG gelten Komplementäre als Gründer, sodass sie die Gründerverantwortlichkeit nach den Vorschriften des Aktiengesetzes trifft.

510

Vgl. Joost, in: Lutter, UmwG, Bd. II, § 219, Rn. 3; Meister/Klöcker, in: Kallmeyer, UmwG, § 197, Rn. 44; Priester, DNotZ 1995, 427 (452). 511 Vgl. Bärwaldt, in: Semler/Stengel, UmwG, § 197, Rn. 55; Dirksen/Blasche, in: Kallmeyer, UmwG, § 220, Rn. 19; Schlitt, in: Semler/Stengel, UmwG, § 220, Rn. 32. 512 Vgl. Meister/Klöcker, in: Kallmeyer, UmwG, § 197, Rn. 47. 513 Vgl. Bärwaldt, in: Semler/Stengel, UmwG, § 197, Rn. 59; Dirksen/Blasche, in: Kallmeyer, UmwG, § 220, Rn. 18; Meister/Klöcker, in: Kallmeyer, UmwG, § 197, Rn. 49.

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b) Einschränkung der Kontinuität der Firma Gemäß § 200 Abs. 1 S. 1 UmwG darf der formwechselnde Rechtsträger die bisher geführte Firma in der Zielrechtsform fortführen. Bei grenzüberschreitenden Umwandlungskonstellationen kann diese Regelung indessen nicht uneingeschränkt angewendet werden.514 Die Vorschrift ist auf innerstaatliche Formwechsel zugeschnitten und setzt voraus, dass die bisher geführte Firma den firmenrechtlichen Regelungen des deutschen Rechts entspricht.515 Die Prämisse, dass die bisher geführte Firma etwa mit den Grundsätzen der Firmenwahrheit und Firmenklarheit der §§ 18, 30 HGB vereinbar ist, kann grenzüberschreitenden Fallkonstellationen jedoch nicht zugrunde gelegt werden. Daher ist das Recht auf Firmenfortführung nur anzuerkennen, soweit die bisherige Firma nicht gegen den Kerngehalt des deutschen Firmenrechts verstößt und nicht zu wesentlichen Fehlvorstellungen über die Rechtsverhältnisse der Gesellschaft führt.516 Zwar ist ein Zwang zur Umfirmierung als Beschränkung der Niederlassungsfreiheit anzusehen, weil der Verzicht auf eine im Markt eingeführte Firma die Umwandlung zweifelsfrei weniger attraktiv macht und erschwert.517 Die unionsrechtliche Kontrolle der umwandlungsrechtlichen Bestimmungen des Aufnahmestaates erfolgt jedoch lediglich am Maßstab des Diskriminierungsverbots (vgl. § 4 IV. 2. b)). Eine Diskriminierung EU-ausländischer Gesellschaften ist indessen nicht zu erkennen. Die rechtlichen Anforderungen des Firmenrechts gelten für die Zielrechtsform einer innerstaatlichen Umwandlung gleichermaßen. Bei grenzüberschreitenden Formwechseln wird der formwechselnde Rechtsträger lediglich dem hierzulande für alle firmenführenden Gesellschaften geltenden Regelungsniveau unterworfen. c) Unionsrechtliche Bedenken? Die Anwendung der für innerstaatliche Formwechsel geltenden umwandlungsrechtlichen Bestimmungen auf grenzüberschreitende Fallkonstellationen ist im Ansatzpunkt unionsrechtlich unbedenklich. Soweit über den Verweis des § 197 S. 1 UmwG das Gründungsrecht der jeweiligen Zielrechtsform Anwendung findet, werden innerstaatliche und grenzüberschreitende Umwandlungen gleich behandelt. Deutsche und EU-ausländische Rechtsträger müssen zum Schutz des Rechtsverkehrs beispielsweise gleichermaßen den Nachweis erbringen, dass die Vermögenslage der Gesellschaft einen Formwechsel in die gewünschte Zielrechtsform zulässt. Insofern ist auch im grenzüberschreitenden Kontext nichts dagegen einzuwenden, dass die Gesell514

Vgl. Hoffmann, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 54, Rn. 23. Hoffmann, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 54, Rn. 23. 516 Hoffmann, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 54, Rn. 23. 517 Hoffmann, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 54, Rn. 23. 515

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schaft dem zuständigen Registergericht gegenüber nachzuweisen hat, dass das Nettoaktivvermögen des formwechselnden Rechtsträgers die statuarische Kapitalziffer abdeckt.518 Sofern die Gesellschaft zu diesem Zweck eine Bilanz oder ein Inventarverzeichnis erstellen muss, ist dies unionsrechtlich unbedenklich.519 Freilich dürfen die Gründungsvorschriften nicht uneingeschränkt Anwendung finden, weil ein Zwang zur Neugründung der Gesellschaft im Aufnahmestaat durch das Rechtsinstitut des Formwechsels gerade vermieden werden soll. Sofern einzelne umwandlungsrechtliche Bestimmungen bei grenzüberschreitenden Fallkonstellationen keine Anwendung finden, ist dies in aller Regel unionsrechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden. Eine restriktive Anwendung einer Vorschrift muss nicht zwingend mit einer Diskriminierung EU-ausländischer Gesellschaften verbunden sein (vgl. § 7 III. 2. b)). Zwar liegt die Annahme einer unterschiedlichen Behandlung nahe, wenn eine deutsche Rechtsform im Tatbestand einer Umwandungsnorm nicht durch eine rechtstypologisch vergleichbare EU-ausländische Rechtsform substituiert wird. Sofern die ratio legis der jeweiligen Vorschrift nicht gleichermaßen auf die EU-ausländische Rechtsform zutrifft, liegt richtigerweise bereits keine tatbestandsmäßige Schlechterbehandlung, sondern lediglich eine Andersbehandlung vor. Es fehlt in solchen Konstellationen bereits an einem vergleichbaren Sachverhalt (vgl. § 3 III. 2.). Der Aufnahmestaat unterliegt daher keinem unionsrechtlichen Rechtfertigungszwang. 3. Maßnahmen zum Schutz sonstiger Interessen? Nach verbreiteter Rechtsauffassung soll der Aufnahmestaat beim Hereinformwechsel EU-ausländischer Gesellschaften zudem berechtigt sein, seine im nationalen Umwandlungsrecht vorgesehenen Instrumente zum Schutz von Gesellschaftsgläubigern, Anteilsinhabern und Arbeitnehmern entsprechend anzuwenden.520 Dies ist indessen nicht der Fall.521 Zwar sind die genannten 518 Im Ergebnis auch GA Jääskinen, Schlussanträge vom 15.12.2011, Rs. C-378/10 – VALE Építési, Rn. 75; Behrens/Hoffmann, in: GroßKomm-GmbHG, Bd. I, IntGesR, Rn. B155; Frowein, Sitzverlegung, 2001, S. 170. 519 Vgl. EuGH, Urteil vom 12.7.2012, Rs. C-378/10 – VALE Építési, Rn. 52; Bayer/J. Schmidt, ZIP 2012, 1481 (1488); Schönhaus/Müller, IStR 2013, 174 (177). 520 Vgl. OLG Nürnberg, GmbHR 2014, 96 (98); OLG Nürnberg, NZG 2012, 468 (471); Bayer/J. Schmidt, ZIP 2012, 1481 (1488); Bungert/de Raet, DB 2014, 761 (763 f.); Frenzel, NotBZ 2012, 349 (351); Hushahn, DNotZ 2014, 154 (155); siehe auch Krebs, GWR 2014, 144 (145); Schön, ZGR 2013, 333 (349);Vossius, in: Widmann/Mayer, UmwR, 134. EL (2012), § 191 UmwG, Rn. 88 und 115; Wachter, GmbHR 2014, 99 (100); Weller, LMK 2012, 336113 sowie Weller/Rentsch, IPRax 2013, 530 (534 f.), welche die Erstellung eines Umwandlungsberichts nach Maßgabe deutschen Rechts verlangen, sowie Jaensch, EWS 2012, 353 (358 f.), der Lösungen zum Schutz der genannten Personengruppen im Wege kollisionsrechtlicher Anpassungsmethoden entwickeln möchte.

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Kapitel 3: Der grenzüberschreitende Formwechsel nach deutschem Recht

Personengruppen durchaus schutzwürdig, weil sie auf den Bestand des Rechtsträgers in der Rechtsform des Herkunftsstaates vertraut haben.522 Aufgrund der von einem grenzüberschreitenden Formwechsel ausgehenden Gefahren für ihre jeweiligen Rechtspositionen sind sie auch schutzbedürftig (vgl. § 6 II.). Die Berufung eines Mitgliedstaates auf zwingende Allgemeininteressen setzt allerdings voraus, dass durch die beschränkende Rechtsvorschrift das Allgemeinwohl des regelnden Mitgliedstaates, also dessen Wirtschafts-, Gesellschafts- oder Sozialordnung geschützt wird.523 Durch einen Formwechsel laufen Gesellschaftsgläubiger, Anteilsinhaber und Arbeitnehmer allerdings Gefahr, ihre durch die Rechtsordnung des Herkunftsstaates verliehenen Rechtspositionen zu verlieren.524 Der Schutz dieser Personengruppen obliegt daher dem Herkunftsstaat, dessen Interessen insoweit ausschließlich berührt werden (vgl. § 5 II. 1.). Es handelt sich nicht um zwingende Allgemeininteressen des Aufnahmestaates.525 Einer der Leitgedanken der Grundfreiheiten ist die gegenseitige Anerkennung nationaler Schutzvorschriften als gleichwertig.526 Dementsprechend hat der EuGH die doppelte Kontrolle eines Sachverhalts anhand der Regelungen verschiedener Mitgliedstaaten wiederholt als unverhältnismäßige Beschränkung der betroffenen Grundfreiheit angesehen.527 Im Falle des Hereinformwechsels EUausländischer Gesellschaften ist das deutsche Recht daher nicht berufen, den Schutz von Gesellschaftsgläubigern, Anteilsinhabern und Arbeitnehmern vor umwandlungsspezifischen Gefahren zu gewährleisten. Allein die Rechtsordnung des Herkunftsstaates hat für einen angemessenen und wirksamen Schutz zu sorgen.528 Es ist beim Hereinformwechsel EU-ausländischer Gesellschaften beispielsweise unerheblich, dass das deutsche Umwandlungsrecht – von einigen gesetzlich geregelten Ausnahmefällen einmal abgesehen – davon ausgeht, dass die bisherigen Anteilsinhaber des formwechselnden Rechtsträgers An521

Vgl. Behrens/Hoffmann, in: GroßKomm-GmbHG, Bd. I, IntGesR, Rn. B164; Hoffmann, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 54, Rn. 9; Mörsdorf/Jopen, ZIP 2012, 1398 (1400 f.); Neye, EWiR 2014, 45 (46); Prelic/Prostor, ZfRV 2014, 27 (30); W.-H. Roth, FS Hoffmann-Becking, 2013, 965 (986); Verse, ZEuP 2013, 458 (491); offenbar auch Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 835; Paefgen, WM 2009, 529 (533). 522 Uneindeutig insoweit Mörsdorf/Jopen, ZIP 2012, 1398 (1401). 523 Vgl. EuGH, Urteil vom 10.5.1995, Rs. C-384/93 – Alpine Investments, Slg. 1995, I-1141, Rn. 43; W.-H. Roth, FS Hoffmann-Becking, 2013, 965 (985). 524 Vgl. Mörsdorf, CMLR 2012, 629 (635). 525 Vgl. Mörsdorf/Jopen, ZIP 2012, 1398 (1401); Verse, ZEuP 2013, 458 (491). 526 Kieninger, ZGR 1999, 724 (742). 527 Vgl. EuGH, Urteil vom 16.12.1980, Rs. C-27/80 – Fietje, Slg. 1980, 3839, Rn. 12; EuGH, Urteil vom 17.12.1981, Rs. C-279/80 – Webb, Slg. 1981, 3305, Rn. 17; EuGH, Urteil vom 22.6.1982, Rs. C-220/81 – Robertson, Slg. 1982, 2349, Rn. 12; EuGH, Urteil vom 20.5.1992, Rs. C-106/91 – Ramrath, Slg. 1992, 3351, Rn. 31. 528 Hoffmann, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 54, Rn. 15.

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teilsinhaber der Zielrechtsform bleiben.529 Dem Grundsatz der Identität des Gesellschafterkreises muss beim Hereinformwechsel in eine deutsche Zielrechtsform keine Beachtung geschenkt werden.530 Der Sache nach handelt es sich bei diesem Grundsatz um ein Instrument zum Schutz der Anteilsinhaber. Diese sollen nicht anlässlich eines Formwechsels gegen ihren Willen aus der Gesellschaft gedrängt werden. In der Konstellation des Hereinformwechsels obliegt der Schutz der Anteilsinhaber vor formwechselspezifischen Gefahren jedoch alleine dem Herkunftsstaat (vgl. § 5 II. 1.). Aus Sicht des Aufnahmestaates ist es unerheblich, wer vor der Umwandlung Anteilsinhaber des formwechselnden Rechtsträgers war. Entscheidend ist aus seiner Perspektive alleine, dass die Anteilsinhaber, welche nach dem Formwechsel an dem Rechtsträger beteiligt sind, als Gesellschafter der Zielrechtsform in Frage kommen. Nicht rechtsfähige Personengesamtheiten wie die Erbengemeinschaft können nach deutschem Verständnis etwa nicht Gesellschafter einer Personengesellschaft sein.531 Streng hiervon zu unterscheiden sind freilich die Regelungen des Aufnahmestaates, welche nicht den Schutz vor umwandlungsspezifischen Risiken bezwecken. Sieht die gesetzliche Verbandsverfassung der Zielrechtsform generell Schutzvorkehrungen zugunsten von Gesellschaftsgläubigern, Anteilsinhabern und Arbeitnehmern vor, sind diese Regelungen einer unionsrechtlichen Kontrolle am Maßstab der Art. 49 ff. AEUV entzogen (vgl. § 4 IV. 2. b)). Ab dem Zeitpunkt der Wirksamkeit des Formwechsels finden etwa die für die Zielrechtsform geltenden Kapitalerhaltungs- und Haftungsregelungen sowie das Mitbestimmungsregime des Aufnahmestaates Anwendung. IV. Praktische Durchführung von Hereinformwechseln Im Folgenden wird dargestellt, welche konkreten Schritte eine formwechselwillige EU-ausländische Gesellschaft unternehmen muss, um einen Hereinformwechsel in eine deutsche Zielrechtsform vorzunehmen. Zunächst wird untersucht, welche spezifischen Konstellationen des formwechselnden Zuzugs durch das Unionsrecht gewährleistet werden. Im Anschluss wird der Ablauf des Umwandlungsverfahrens dargestellt. 1. Zulässige Formwechselkonstellationen Die Niederlassungsfreiheit gewährleistet EU-ausländischen Gesellschaften das Recht, rechtsformwechselnd nach Deutschland zuzuziehen, sofern das 529

Vgl. Ege/Klett, DStR 2012, 2442 (2444); siehe dazu auch Priester, DNotZ 1995, 427

(449). 530

Anders Ege/Klett, DStR 2012, 2442 (2444). Vgl. BGH, NJW 1972, 1955 (1955); BGH, NJW 1983, 2376 (2377); siehe zur Beteiligungsfähigkeit der GbR auch Bärwaldt, in: Semler/Stengel, UmwG, § 197, Rn. 8; Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 551. 531

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Kapitel 3: Der grenzüberschreitende Formwechsel nach deutschem Recht

deutsche Umwandlungsrecht die beschlossene Umwandlung zumindest im innerstaatlichen Kontext gestattet und diese mit einem tatbestandsmäßigen Niederlassungsvorgang in Deutschland verbunden ist (vgl. § 4 IV. 2.). Ob eine konkrete Formwechselkonstellation zulässig ist, hängt maßgeblich davon ab, ob die EU-ausländische Ausgangsrechtsform rechtstypologisch mit einer deutschen Rechtsform vergleichbar ist. a) Formwechselfähige Rechtsträger Innerstaatliche Formwechsel können ausschließlich die in § 191 Abs. 1 UmwG genannten Rechtsträger vornehmen. Im grenzüberschreitenden Kontext ist auf der Grundlage einer kollisionsrechtlichen Substitution (vgl. § 5 II. 2. b)) grundsätzlich jede EU-ausländische Gesellschaft berechtigt, einen Hereinformwechsel in die in § 191 Abs. 2 UmwG genannten Zielrechtsformen vorzunehmen, welche mit einer in § 191 Abs. 1 UmwG genannten Gesellschaft rechtstypologisch vergleichbar ist.532 Demnach muss sich das für die Zielrechtsform zuständige Registergericht bei der Prüfung der Umwandlung zunächst einen Überblick über die gesetzliche Verbandsverfassung der EU-ausländischen Ausgangsrechtsform verschaffen. Teils wird der Rechtsprechung des EuGH entnommen, dass das deutsche Recht den Hereinformwechsel in die in § 191 Abs. 2 UmwG genannten Zielrechtsformen prinzipiell zuzulassen habe.533 Diese Auffassung ist indes zu undifferenziert. Sie würde im Ergebnis dazu führen, dass einem EUausländischen Rechtsträger Formwechselmöglichkeiten offenständen, welche seinem rechtstypologisch vergleichbaren Pendant deutschen Rechts aufgrund einer bewussten Entscheidung des Gesetzgebers verwehrt sind. Das Recht auf Annahme einer bestimmten Zielrechtsform im Wege eines grenzüberschreitenden Formwechsels besteht jedoch lediglich dann, wenn ein vergleichbarer

532 Im Ergebnis auch OLG Nürnberg, GmbHR 2014, 96 (97); Bayer/J. Schmidt, ZHR 173 (2009), 735 (764); Frenzel, NotBZ 2012, 349 (351); Hoffmann, in: MünchHdbGesR, Bd. 6, § 54, Rn. 13; Hushahn, DNotZ 2014, 154 (155); Hushahn, notar 2014, 176 (176); Jaensch, EWS 2007, 97 (102); Jaensch, EWS 2012, 353 (358); Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 783; Krafka/Kühn, Registerrecht, Rn. 1211d; Krebs, GWR 2014, 144 (145); Lutter/Bayer, in: Lutter, UmwG, Bd. I, Einl. I, Rn. 48; MörsdorfSchulte, KSzW 2014, 117 (123); Stöber, ZIP 2012, 1273 (1275); Weller/Rentsch, IPRax 2013, 530 (534); Wöhlert/Degen, GWR 2012, 337957; siehe zur grenzüberschreitenden Verschmelzung auch Krause/Kulpa, ZHR 171 (2007), 38 (49); a.A. W.-H. Roth, FS Hoffmann-Becking, 2013, 965 (987); Verse, ZEuP 2013, 458 (492), Fn. 177, die eine Beschränkung auf „funktional äquivalente“ Rechtsformen für unionsrechtlich unzulässig halten. 533 Vgl. Frenzel, NotBZ 2012, 349 (351); Kindler, EuZW 2012, 888 (890); Krafka/Kühn, Registerrecht, Rn. 1211e; Verse, ZEuP 2013, 458 (491 f.).

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Formwechsel innerhalb des Aufnahmestaates zulässig ist.534 Der formwechselnde Rechtsträger kann eine bestimmte Rechtsform nur annehmen, wenn der Aufnahmestaat den spezifischen Formwechsel – zumindest im innerstaatlichen Kontext – erlaubt.535 Das Unionsrecht verlangt, EU-ausländische Gesellschaften in Bezug auf die im Umwandlungsgesetz vorgesehenen Umwandlungsmöglichkeiten nicht zu diskriminieren (vgl. § 4 IV. 2. b)). Die Niederlassungsfreiheit verpflichtet den Aufnahmestaat hingegen nicht, im nationalen Recht nicht vorgesehene Umwandlungsvorgänge in grenzüberschreitenden Umwandlungskonstellationen zu ermöglichen. Das Umwandlungsgesetz begrenzt die Umwandlungsmöglichkeiten auf spezifische Formwechselkonstellationen. Gemäß § 214 Abs. 1 UmwG können etwa Personenhandelsgesellschaften durch einen Formwechsel nur die Rechtsform einer Kapitalgesellschaft oder einer eingetragenen Genossenschaft erlangen. Für einen Formwechsel in die Rechtsform einer anderen Personenhandelsgesellschaft oder der GbR enthält das Umwandlungsgesetz hingegen keine Regelungen. Dieser Umstand wirft die Frage auf, ob damit zugleich grenzüberschreitende Hereinformwechsel EU-ausländischer Personenhandelsgesellschaften in deutsche Personengesellschaften ausgeschlossen sind. Vereinzelt wird die Auffassung vertreten, es müsse im Einzelfall danach gefragt werden, ob der Sinn und Zweck des Ausschlusses eines bestimmten Rechtsträgers von der Beteiligung an einem Formwechsel eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit rechtfertige.536 Diese Ansicht überzeugt jedoch bereits im Ansatzpunkt nicht, weil sie unzutreffend davon ausgeht, das Umwandlungsrecht des Aufnahmestaates sei am Maßstab des Beschränkungsverbots umfassend auf seine niederlassungsbeschränkende Wirkung hin unionsrechtlich überprüfbar. Es ist dem Aufnahmestaat durch das Unionsrecht jedoch lediglich verwehrt, EU-ausländische Gesellschaften gegenüber Gesellschaften seines eigenen Rechts zu diskriminieren (vgl. § 4 IV. 2. b)). Gleichwohl ist die Frage berechtigt, ob die ratio legis des § 214 Abs. 1 UmwG eine analoge Anwendung der Vorschrift auf Hereinformwechsel EU-ausländischer Personengesellschaften erfordert. Richtigerweise ist dies nicht der Fall. Hinter dieser Regelung verbirgt sich die gesetzgeberische Erwägung, dass für einen Formwechsel einer Personengesellschaft in eine andere Personengesellschaft kein Bedürfnis bestehe.537 Im innerstaatlichen Kontext vollzieht sich der Formwechsel zwischen Personengesellschaften nämlich außerhalb des

534 Vgl. Frobenius, DStR 2009, 487 (492); offenbar auch Barthel, EWS 2010, 316 (325); Barthel, EWS 2011, 131 (135); siehe auch Bayer/J. Schmidt, ZHR 173 (2009), 735 (760) mit Beispielen aus deutsch-englischer Perspektive. 535 Vgl. Jaensch, EWS 2012, 353 (355). 536 Vgl. Ege/Klett, DStR 2012, 2442 (2444). 537 Vgl. BT-Drs. 12/6699, S. 148; Schlitt, in: Semler/Stengel, UmwG, § 214, Rn. 2.

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Umwandlungsgesetzes.538 Der Äquivalenzgrundsatz steht daher der analogen Anwendung des § 214 Abs. 1 UmwG auf Hereinformwechsel EUausländischer Personengesellschaften entgegen. Da das deutsche Recht innerstaatlich Formwechsel zwischen Personengesellschaften zulässt, sind diese Umwandlungskonstellationen auch im grenzüberschreitenden Kontext zulässig.539 Anders als innerstaatliche Formwechsel vollziehen sich grenzüberschreitende Umwandlungen jedoch nach den umwandlungsrechtlichen Vorschriften. b) Zulässige Zielrechtsformen Das Umwandlungsgesetz zählt die potentiellen Zielrechtsformen innerstaatlicher Formwechsel in § 191 Abs. 2 UmwG abschließend auf. Grenzüberschreitende Formwechsel in Rechtsformen, welche in dieser Vorschrift nicht genannt werden (etwa e.V., VVaG) kommen somit de lege lata per se in Betracht. Keine zulässige Zielrechtsform eines Formwechsels ist ferner die UG (haftungsbeschränkt). Zwar ist diese als Rechtsformvariante der GmbH auch ohne Änderung des Umwandlungsgesetzes umwandlungsfähig. 540 Einem Formwechsel in die Rechtsform der UG steht jedoch das Sacheinlagenverbot des § 5a Abs. 2 S. 2 GmbHG entgegen.541 Auch der grenzüberschreitende Charakter eines Formwechsels vermag hieran nichts zu ändern.542 c) Rechtsformkongruente Formwechsel Gemäß § 190 Abs. 1 UmwG liegt das Wesensmerkmal eines Formwechsels darin, dass ein Rechtsträger eine andere Rechtsform erhält. Im Hinblick auf innerstaatliche Formwechsel handelt es sich hierbei um wenig mehr als eine Selbstverständlichkeit. Im grenzüberschreitenden Kontext besteht allerdings die Besonderheit, dass auch Formwechsel EU-ausländischer Gesellschaften in 538

Vgl. Bärwaldt, in: Semler/Stengel, UmwG, § 197, Rn. 7; Dirksen/Blasche, in: Kallmeyer, UmwG, § 214, Rn. 3; Stratz, in: Schmitt/Hörtnagl/Stratz, UmwG/UmwStG, § 214 UmwG, Rn. 1; Zöllner, FS Claussen, 1997, 423 (425). 539 Im Ergebnis auch Vossius, in: Widmann/Mayer, UmwR, 134. EL (2012), § 191 UmwG, Rn. 66, der jedoch dem Herkunftsstaat insoweit eine Einschätzungsprärogative zubilligt. 540 Vgl. Drygala, in: Lutter, UmwG, Bd. I, § 1, Rn. 50; Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 5a, Rn. 7; Wicke, DStR 2012, 1756 (1758). 541 Vgl. Bärwaldt, in: Semler/Stengel, UmwG, § 197, Rn. 35a; Drygala, in: Lutter, UmwG, Bd. I, § 1, Rn. 50; Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 5a, Rn. 17; Krafka/Kühn, Registerrecht, Rn. 1201; Lutz, notar 2014, 210 (213); Meister/Klöcker, in: Kallmeyer, UmwG, § 191, Rn. 8; Wicke, DStR 2012, 1756 (1758). 542 Vgl. Drygala, in: Lutter, UmwG, Bd. I, § 1, Rn. 23; Ege/Klett, DStR 2012, 2442 (2444); Krebs, GWR 2014, 144 (145); Lutz, notar 2014, 210 (214); Schön, ZGR 2013, 333 (360 f.); Stiegler, Rechtsformwechsel, 2013, S. 38, Fn. 230; Verse, ZEuP 2013, 458 (492); a.A. offenbar Teichmann/Ptak, RIW 2010, 817 (822 f.).

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die ihnen jeweils rechtstypologisch entsprechende Zielrechtsform deutschen Rechts denkbar sind. Da es sich jedoch auch hierbei um verschiedene nationale Rechtsformen handelt, liegt der Sache nach ein Formwechsel vor.543 Rechtsformkongruente Formwechsel werfen allerdings die Frage nach den anwendbaren umwandlungsrechtlichen Rechtsvorschriften auf. Dass solche Umwandlungen im nationalen Recht der Mitgliedstaaten nicht geregelt sind, versteht sich von selbst. Klärungsbedürftig ist daher ist Frage, welche Bestimmungen des Umwandlungsgesetzes im Falle rechtsformkongruenter Formwechsel heranzuziehen sind. Richtigerweise wird man neben den allgemeinen Vorschriften gegebenenfalls die besonderen Vorschriften der §§ 238 ff. UmwG über Formwechsel von Kapitalgesellschaften in Kapitalgesellschaften anderer Rechtsform heranzuziehen haben.544 Spezielle Regelungen über Formwechsel zwischen Personengesellschaften existieren demgegenüber vor dem Hintergrund der Regelung des § 214 Abs. 1 UmwG nicht. 2. Umwandlungsverfahren Eine Gesellschaft EU-ausländischen Rechts muss zur Durchführung eines grenzüberschreitenden Formwechsels zunächst die Voraussetzungen erfüllen, welche der Herkunftsstaat für die konkrete Umwandlung vorsieht. Zudem muss sie die Gründungsanforderungen der spezifischen Zielrechtsform deutschen Rechts erfüllen. Das Umwandlungsverfahren lässt sich in eine Vorbereitungsphase, Beschlussphase und Durchführungsphase unterteilen. a) Vorbereitungsphase Welche Schritte der formwechselnde Rechtsträger zur Vorbereitung der Umwandlung unternehmen muss, richtet sich in erster Linie nach dem Recht des Herkunftsstaates. Lediglich beim grenzüberschreitenden Formwechsel in eine deutsche Kapitalgesellschaft muss im Vorfeld der Umwandlung ein (Sach-)Gründungsbericht erstellt werden. Hintergrund dieses Erfordernisses ist, dass sich die Gründung einer deutschen Kapitalgesellschaft in einem formalisierten Verfahren vollzieht, in welchem insbesondere die effektive Aufbringung des Gesellschaftskapitals überprüft wird. aa) Voraussetzungen des Herkunftsstaates Der formwechselnde Rechtsträger hat zunächst die Voraussetzungen zu erfüllen, welche der Herkunftsstaat zum Schutz von Gesellschaftsgläubigern, Anteilsinhabern und Arbeitnehmern vor der umwandlungsbedingten Beein-

543 544

Vgl. Stiegler, Rechtsformwechsel, 2013, S. 5 f.; Wachter, GmbHR 2014, 99 (99). Vgl. Wachter, GmbHR 2014, 99 (100).

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trächtigung deren Rechtspositionen vorgesehen hat.545 Sofern der Herkunftsstaat keine spezifischen Regelungen für grenzüberschreitende Umwandlungskonstellationen erlassen hat, kann auf die Vorschriften für innerstaatliche Formwechsel oder die grenzüberschreitende Verschmelzung beziehungsweise Sitzverlegung der SE zurückgegriffen werden. Die Anwendung dieser Regelungen muss freilich mit dem Beschränkungsverbot der Niederlassungsfreiheit vereinbar sein (vgl. § 4 IV. 2. a)). bb) (Sach-)Gründungsbericht Bei der (Sach-)Gründung einer GmbH haben die Gesellschafter gemäß § 5 Abs. 4 S. 2 GmbHG einen Sachgründungsbericht zu erstatten, in welchem sie die Angemessenheit der Leistungen auf die übernommenen Sacheinlagen darzulegen haben. Gemäß § 32 Abs. 1 AktG haben die Gründer einer AG beziehungsweise KGaA einen schriftlichen Bericht über den Hergang der Gründung zu erstatten. Über die Verweisung des § 197 S. 1 UmwG finden diese Vorschriften auch beim Formwechsel in die Rechtsform einer Kapitalgesellschaft Anwendung. Beim Formwechsel in die Rechtsform einer GmbH hat der Sachgründungsbericht Darlegungen zur Deckung des Stammkapitals durch das Reinvermögen des formwechselnden Rechtsträgers zu enthalten.546 Auch beim Formwechsel in die Rechtsform einer AG oder KGaA sind näher konkretisierte Angaben zur Deckung des Grundkapitals durch das Vermögen der formwechselnden Gesellschaft zu machen.547 Zusätzlich dazu hat der (Sach-)Gründungsbericht gemäß § 220 Abs. 2 UmwG Angaben zum bisherigen Geschäftsverlauf und der Lage der formwechselnden Gesellschaft zu enthalten. Im Gegensatz zum Umwandlungsbericht (§ 192 Abs. 2 UmwG) ist der (Sach-)Gründungsbericht nicht durch notariell beurkundete Erklärung der Anteilsinhaber verzichtbar.548 Er ist von den nach §§ 219, 245 UmwG zu bestimmenden Gesellschaftsgründern zu erstellen und zu unterzeichnen.549 Beim Formwechsel in die Rechtsform einer GmbH kann gemäß § 245 Abs. 4 UmwG auf den Sachgründungsbericht verzichtet werden, wenn es sich bei dem formwechselnden Rechtsträger um eine AG oder eine KGaA handelt. 545 Vgl. Teichmann/Ptak, RIW 2010, 817 (822) zum Hereinformwechsel polnischer Gesellschaften. 546 Vgl. Dirksen/Blasche, in: Kallmeyer, UmwG, § 220, Rn. 16; Krebs, GWR 2014, 144 (145); Meister/Klöcker, in: Kallmeyer, UmwG, § 197, Rn. 26; Schlitt, in: Semler/Stengel, UmwG, § 220, Rn. 24; Wachter, GmbHR 2014, 99 (100). 547 Vgl. Bärwaldt, in: Semler/Stengel, UmwG, § 197, Rn. 47; Dirksen/Blasche, in: Kallmeyer, UmwG, § 220, Rn. 16; Schlitt, in: Semler/Stengel, UmwG, § 220, Rn. 27. 548 Vgl. Bärwaldt, in: Semler/Stengel, UmwG, § 197, Rn. 47; Dirksen/Blasche, in: Kallmeyer, UmwG, § 220, Rn. 15; Meister/Klöcker, in: Kallmeyer, UmwG, § 197, Rn. 26; Schlitt, in: Semler/Stengel, UmwG, § 220, Rn. 26 und 28. 549 Vgl. Dirksen/Blasche, in: Kallmeyer, UmwG, § 220, Rn. 15; Schlitt, in: Semler/ Stengel, UmwG, § 220, Rn. 26 ff.

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Nach Auffassung des Gesetzgebers ist der Sachgründungsbericht in dieser Umwandlungskonstellation entbehrlich, weil der formwechselnde Rechtsträger ohnehin schärferen Kapitalschutzvorschriften unterliegt als die Zielrechtsform.550 Auch beim Hereinformwechsel EU-ausländischer Gesellschaften in die Rechtsform der GmbH soll ein Verzicht auf den Sachgründungsbericht möglich sein, wenn der formwechselnde Rechtsträger mit einer deutschen AG oder KGaA rechtstypologisch vergleichbar ist.551 Entscheidend sei, dass die Kapitalaufbringungs- und Kapitalerhaltungsvorschriften der Ausgangsrechtsform strenger oder zumindest ebenso streng seien wie bei der GmbH.552 Wie bereits dargelegt bestehen selbst im sekundärrechtlich stark harmonisierten Aktienrecht der Mitgliedstaaten nicht unerhebliche Unterschiede im Hinblick auf das Kapitalschutzkonzept der jeweiligen nationalen Rechtsformen (vgl. § 6 II. 1. d)). Daher lässt sich in der Regel nicht ohne Weiteres feststellen, ob der formwechselnde Rechtsträger einem mindestens ebenso strengen Kapitalschutz unterliegt wie die GmbH. Schon aus Gründen der Rechtssicherheit sollte daher beim Hereinformwechsel in die Rechtsform der GmbH ein Sachgründungsbericht erstellt werden, selbst wenn die Ausgangsrechtsform auf den ersten Blick rechtstypologisch einer deutschen AG oder KGaA entspricht.553 Sofern die ratio legis des § 245 Abs. 4 UmwG auf die jeweilige EU-ausländische Ausgangsrechtsform nicht gleichermaßen zutrifft, stellt die Nichtanwendung der Vorschrift keine rechtfertigungsbedürftige Diskriminierung, sondern eine schlichte Andersbehandlung der formwechselnden Gesellschaft dar (vgl. § 7 III. 2. c)). b) Beschlussphase Der Beschluss der Anteilsinhaber des formwechselnden Rechtsträgers steht im Mittelpunkt des Umwandlungsverfahrens. Die Vorbereitung der Gesellschafterversammlung und Beschlussfassung über die Umwandlung richten sich in der Konstellation des Hereinformwechsels grundsätzlich nach dem Recht des jeweiligen Herkunftsstaates. Soweit der Umwandlungsbeschluss Bezug auf die Verbandsverfassung der Zielrechtsform nimmt, sind jedoch die diesbezüglichen Bestimmungen des Aufnahmestaates zu berücksichtigen. Was den Inhalt und die Form des Umwandlungsbeschlusses anbelangt, müssen bestimmte Vorgaben des Umwandlungsgesetzes beachtet werden.

550

Vgl. BT-Drs. 12/6699, S. 157. Vgl. Ege/Klett, DStR 2012, 2442 (2445); Vossius, in: Widmann/Mayer, UmwR, 134. EL (2012), § 191 UmwG, Rn. 141; a.A. Hushahn, DNotZ 2014, 154 (157); Wachter, GmbHR 2014, 99 (100). 552 Vgl. Ege/Klett, DStR 2012, 2442 (2445). 553 Im Ergebnis auch Ege/Klett, DStR 2012, 2442 (2445). 551

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aa) Inhalt des Umwandlungsbeschlusses Nach der jüngsten obergerichtlichen Rechtsprechung soll sich der notwendige Inhalt des Umwandlungsbeschlusses beim Hereinformwechsel EUausländischer Gesellschaften aus § 194 UmwG ergeben.554 Überdies habe der Umwandlungsbeschluss den Mehrheitsanforderungen des § 240 UmwG zu genügen.555 Dies ist nicht zutreffend. Da es sich bei der Festlegung von Mehrheitserfordernissen funktionell um ein Instrument zum Schutz der Anteilsinhaber handelt, bemisst sich diese Frage ausschließlich nach dem Recht des Herkunftsstaates (vgl. § 6 III. 3. a)). Soweit der Inhalt des Umwandlungsbeschlusses in Rede steht, findet § 194 UmwG lediglich insofern Anwendung, als die Vorschrift auf die rechtliche Ausgestaltung der Zielrechtsform Bezug nimmt.556 Die Bestimmungen des § 194 Abs. 1 Nr. 6 und 7, Abs. 2 UmwG finden daher beim Hereinformwechsel in eine deutsche Zielrechtsform keine Anwendung. Ein Bedürfnis, namentlich unbekannte Aktionäre des formwechselnden Rechtsträgers im Umwandlungsbeschluss durch Angabe des auf sie entfallenden Anteils am Gesellschaftskapital zu bezeichnen, kann auch im Falle des Hereinformwechsels EU-ausländischer Gesellschaften bestehen. 557 Aus der Perspektive des deutschen Rechts spricht nichts dagegen, der formwechselnden Gesellschaft eine Verfahrensweise entsprechend der §§ 213, 35 UmwG zu gestatten. Nach der ratio legis dieser Vorschriften besteht diese Möglichkeit freilich nur unter der Voraussetzung, dass es sich bei dem formwechselnden Rechtsträger um eine Publikumsgesellschaft handelt. Typischerweise stellt sich lediglich dort das Problem namentlich unbekannter Anteilsinhaber (vgl. § 6 IV. 2. b) bb)). Falls das Umwandlungsrecht des Herkunftsstaates einer kollektiven Bezeichnung unbekannter Anteilsinhaber entgegensteht, scheidet eine Verfahrensweise entsprechend den §§ 213, 35 UmwG allerdings aus. Im Übrigen ist bezüglich der inhaltlichen Anforderungen an den Umwandlungsbeschluss nach der konkreten Zielrechtsform zu differenzieren. (1) Hereinformwechsel in die Rechtsform einer Kapitalgesellschaft Gemäß §§ 218 Abs. 1, 225c, 243 Abs. 1 S. 1 UmwG muss beim Formwechsel in die Rechtsform der GmbH, AG sowie KGaA die Satzung der Zielrechtsform im Umwandlungsbeschluss enthalten sein. Auch im grenzüberschreitenden Kontext bedarf es zur Erfüllung der Gründungsvoraussetzungen der Zielrechtsform einer in deutscher Sprache abgefassten Satzung, welche sich an 554

Vgl. OLG Nürnberg, GmbHR 2014, 96 (98). OLG Nürnberg, GmbHR 2014, 96 (98). 556 Anders offenbar Jaensch, EWS 2007, 97 (98), der für eine Kumulierung der Vorschriften beider betroffenen Rechtsordnungen eintritt. 557 Vgl. Ege/Klett, DStR 2012, 2442 (2444). 555

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den Vorgaben der gesetzlichen Verbandsverfassung der jeweiligen Zielrechtsform orientiert.558 Für die Regelungen des § 243 Abs. 1 S. 2 und 3 UmwG dürfte bei grenzüberschreitenden Formwechseln hingegen kaum ein Anwendungsbereich bestehen. Sie sehen vor, dass Festsetzungen in der Satzung der Ausgangsrechtsform über Sondervorteile, Gründungsaufwand, Sacheinlagen und Sachübernahmen in die Satzung der Zielrechtsform übernommen werden müssen. Sofern die gesetzliche Verbandsverfassung der EUausländischen Ausgangsrechtsform insoweit überhaupt Regelungen bereithält, dürften diesbezügliche Festsetzungen in aller Regel mit dem deutschen Kapitalgesellschaftsrecht nicht kompatibel sein. Soweit die Regelungen nicht übernommen werden können, gehen auf ihnen beruhende Rechte mit Wirksamwerden des Formwechsels unter.559 Beim Formwechsel in die Rechtsform der AG oder KGaA bestimmt sich der notwendige Inhalt der Satzung nach § 197 S. 1 UmwG i.V.m. §§ 23 Abs. 2 bis 5, 281 AktG. Beim Formwechsel in die Rechtsform der GmbH hat der Gesellschaftsvertrag den Anforderungen des § 197 S. 1 UmwG i.V.m. § 3 GmbHG zu entsprechen. Der Gesellschaftsvertrag ist gemäß § 2 Abs. 1 S. 2 GmbHG grundsätzlich von sämtlichen Anteilsinhabern zu unterschreiben. Ist nach dem Recht des Herkunftsstaates eine Mehrheitsentscheidung über den Formwechsel zulässig, haben gemäß § 219 S. 2 UmwG lediglich die zustimmenden Gesellschafter zu unterzeichnen. Im Falle eines innerstaatlichen Formwechsels einer AG oder KGaA in die Rechtsform der GmbH ist die Unterzeichnung des Gesellschaftsvertrages gemäß § 244 Abs. 2 UmwG entbehrlich. Es ist zweifelhaft, ob die Vorschrift bei grenzüberschreitenden Formwechseln Anwendung findet. Die Gesetzesmaterialien sind hinsichtlich der ratio legis der Vorschrift unergiebig.560 Zweifellos bringt die Regelung bei einem Formwechsel einer Publikumsgesellschaft erhebliche praktische Erleichterungen mit sich.561 Diese Erwägung gilt unabhängig davon, ob es sich bei dem formwechselnden Rechtsträger um eine inländische oder EUausländische Publikumsgesellschaft handelt. Vor diesem Hintergrund spricht viel dafür, eine Substitution der inländischen Gesellschaftsformen im Tatbestand des § 244 Abs. 2 UmwG durch eine rechtstypologisch vergleichbare EU-Auslandsgesellschaft zuzulassen. Aus Gründen der Rechtssicherheit sollte in der Rechtspraxis der Gesellschaftsvertrag der GmbH freilich durch sämtliche der Umwandlung zustimmenden Anteilsinhaber unterzeichnet werden, sofern dies praktikabel ist. 558 Vgl. Frowein, Sitzverlegung, 2001, S. 169; Hoffmann, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 54, Rn. 13; siehe auch Zöllner, FS Claussen, 1997, 423 (434). 559 Vgl. Dirksen/Blasche, in: Kallmeyer, UmwG, § 243, Rn. 4; Gröthel, in: Lutter, UmwG, Bd. II, § 243, Rn. 25; Mutter, in: Semler/Stengel, UmwG, § 243, Rn. 19. 560 Vgl. BT-Drs. 12/6699, S. 157. 561 Vgl. Mutter, in: Semler/Stengel, UmwG, § 244, Rn. 13.

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(2) Hereinformwechsel in die Rechtsform einer Personengesellschaft Im Falle eines Hereinformwechsels in die Rechtsform einer Personengesellschaft sind die inhaltlichen Anforderungen an den Umwandlungsbeschluss weniger stark ausgeprägt. Dieser muss entsprechend § 234 UmwG lediglich den Sitz der Zielrechtsform bestimmen und den Gesellschaftsvertrag der jeweiligen Zielrechtsform enthalten.562 Beim Formwechsel in die Rechtsform der KG muss der Umwandlungsbeschluss zudem die Kommanditisten sowie die Höhe deren jeweiliger Hafteinlage bezeichnen. bb) Form des Umwandlungsbeschlusses Es ist von erheblicher praktischer Bedeutung, welchem Formerfordernis der Umwandlungsbeschluss der Anteilsinhaber genügen muss. Teils wird behauptet, dass es ausreiche, wenn der Beschluss dem Formerfordernis des Herkunftsstaates Rechnung trage.563 Für innerstaatliche Formwechsel sieht § 193 Abs. 3 S. 1 UmwG allerdings ausnahmslos die notarielle Beurkundung des Umwandlungsbeschlusses vor. Dieses Formerfordernis könnte auf Basis der kollisionsrechtlichen Vereinigungstheorie eine weniger strenge Formvorschrift des Herkunftsstaates verdrängen (vgl. § 5 II. 1.). Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass die Bundesrepublik Deutschland als Aufnahmestaat ein rechtlich anerkennenswertes Interesse an der Einhaltung des Formerfordernisses darzulegen vermag. Dies ist nicht der Fall, wenn das Formerfordernis lediglich Interessen gewährleisten soll, deren Schutz im grenzüberschreitenden Kontext ausschließlich dem Herkunftsstaat obliegt, etwa der Schutz der Anteilsinhaber des formwechselnden Rechtsträgers. Die Gesetzesbegründung ist insoweit unergiebig. Danach ist der Umwandlungsbeschluss generell ein wirtschaftlich und rechtlich sehr bedeutsamer Vorgang, dessen Überwachung durch einen Notar zweckmäßig erscheint.564 Richtigerweise wird man zwischen dem Hereinformwechsel in die Rechtsform einer Kapitalgesellschaft und einer Personengesellschaft zu unterscheiden haben.565

562

Anders Bärwaldt, in: Semler/Stengel, UmwG, § 197, Rn. 10 f.; Priester, DNotZ 1995, 427 (450), denen zufolge beim Formwechsel in eine Personengesellschaft der Gesellschaftsvertrag nicht im Umwandlungsbeschluss festgestellt werden muss, was sich allerdings mit dem Wortlaut des § 234 Nr. 3 UmwG kaum vereinbaren lässt. 563 Vgl. Rubner/Leuering, NJW-Spezial 2012, 527 (528); offenbar auch Hushahn, DNotZ 2014, 154 (155 f.); a.A. Vossius, in: Widmann/Mayer, UmwR, 134. EL (2012), § 191 UmwG, Rn. 84 und 152. 564 Vgl. BT-Drs. 12/6699, S. 139. 565 Anders Jaensch, EWS 2007, 97 (105); Hushahn, notar 2014, 176 (176); Vossius, in: Widmann/Mayer, UmwR, 134. EL (2012), § 191 UmwG, Rn. 152, denen zufolge beim Hereinformwechsel stets das Formerfordernis des § 193 Abs. 3 UmwG gilt.

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(1) Hereinformwechsel in die Rechtsform einer Kapitalgesellschaft Aus Sicht des Aufnahmestaates ist der Hereinformwechsel mit der Gründung einer Gesellschaft vergleichbar (vgl. § 4 IV. 2. b)). Die Gründung einer deutschen Kapitalgesellschaft bedarf gemäß § 2 Abs. 1 GmbHG, §§ 23 Abs. 1, 278 Abs. 1 AktG der notariellen Beurkundung des Gesellschaftsvertrages beziehungsweise der Satzung der Gesellschaft. Zweck dieser Vorschriften ist unter anderem der Schutz des Rechtsverkehrs durch die mit der Beurkundung erzielte Rechtssicherheit.566 Der Aufnahmestaat ist nach den Grundsätzen der kollisionsrechtlichen Vereinigungstheorie zu Maßnahmen zum Schutz des Rechtsverkehrs berechtigt, sodass diese Formvorschriften im grenzüberschreitenden Kontext zu berücksichtigen sind. Da die notarielle Beurkundung des Umwandlungsbeschlusses beim Formwechsel die notarielle Beurkundung des Gesellschaftsvertrages beziehungsweise der Satzung ersetzt567, muss der Umwandlungsbeschluss beim Hereinformwechsel in die Rechtsform einer deutsche Kapitalgesellschaft auch dann notariell beurkundet werden, wenn das Umwandlungsrecht des Herkunftsstaates insoweit weniger strenge Anforderungen stellt.568 Im Falle einer Mehrheitsentscheidung über die Vornahme des Formwechsels sind die Anteilsinhaber, welche für die Umwandlung gestimmt haben, zudem gemäß §§ 217 Abs. 2, 244 Abs. 1 UmwG in der Niederschrift über den Umwandlungsbeschluss namentlich zu bezeichnen. Die Identität der zustimmenden Anteilsinhaber muss festgehalten werden, weil diese gemäß §§ 219 S. 2, 245 Abs. 1 S. 1 UmwG den Gründern der Zielrechtsform gleichstehen und somit Gründerverantwortung tragen (vgl. § 7 III. 2. a)). (2) Hereinformwechsel in die Rechtsform einer Personengesellschaft Das wirksame Entstehen einer Personengesellschaft setzt die notarielle Beurkundung des Gesellschaftsvertrages hingegen nicht voraus. Die notarielle Beurkundung des Umwandlungsbeschlusses ist daher nicht erforderlich, um ein entsprechendes Formerfordernis im Rahmen der Gesellschaftsgründung zu ersetzen. Damit ist die Frage aufgeworfen, ob die Formvorschrift des § 193 Abs. 3 UmwG sich auf Basis der kollisionsrechtlichen Vereinigungstheorie durchzusetzen vermag, sofern der Herkunftsstaat für den Umwandlungsbeschluss ein weniger strenges Formerfordernis vorsieht. Das Beurkundungserfordernis des § 193 Abs. 3 UmwG müsste nicht lediglich eine Maßnahme zum Schutz der Anteilsinhaber, sondern zumindest auch zum Schutz 566 Vgl. Mayer, in: MünchKomm-GmbHG, Bd. 1, § 2, Rn. 22; Pentz, in: MünchKommAktG, Bd. 1, § 23, Rn. 26. 567 Vgl. Bärwaldt, in: Semler/Stengel, UmwG, § 197, Rn. 26 und 38; Meister/Klöcker, in: Kallmeyer, UmwG, § 197, Rn. 15. 568 Im Ergebnis auch OLG Nürnberg, GmbHR 2014, 96 (98); Hushahn, DNotZ 2014, 154 (156) bezüglich des Hereinformwechsels in die Rechtsform einer GmbH.

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des Rechtsverkehrs darstellen.569 Dies ist indessen zweifelhaft. Bereits die Gleichstellung des Umwandlungsbeschlusses und der Zustimmungserklärungen einzelner Anteilsinhaber in § 193 Abs. 3 UmwG deutet darauf hin, dass es sich funktionell um ein Schutzinstrument zugunsten der Anteilsinhaber handelt. Deren Schutz obliegt jedoch ausschließlich dem Herkunftsstaat (vgl. § 5 II. 1.). Im Übrigen wird der Mangel der notariellen Beurkundung des Umwandlungsbeschlusses gemäß § 202 Abs. 1 Nr. 3 UmwG durch die Eintragung des Formwechsels ins Register der Zielrechtsform geheilt. Zu dem Zeitpunkt, in welchem der Rechtsverkehr erstmals mit der Zielrechtsform in Berührung zu kommen vermag, ist es demnach ohne Belang, ob der Umwandlungsbeschluss notariell beurkundet wurde oder nicht. Vor diesem Hintergrund wird man das Formerfordernis des § 193 Abs. 3 UmwG kaum als Schutzmaßnahme des Aufnahmestaates zugunsten des Rechtsverkehrs begreifen können. Im Vergleich zur Kontrolle der Gründungsvoraussetzungen durch das Registergericht (vgl. § 7 IV. 2. c) bb)) dürfte von der notariellen Beurkundung des Umwandlungsbeschlusses zudem eine weit geringere Schutzwirkung zugunsten des Rechtsverkehrs ausgehen, insbesondere sofern sie durch einen mit dem deutschen Gesellschaftsrecht weniger vertrauten ausländischen Notar erfolgt.570 Sofern das Recht des Herkunftsstaates keine notarielle Beurkundung des Umwandlungsbeschlusses vorsieht, bedarf der Beschluss daher nicht der notariellen Beurkundung, wenn es sich bei der Zielrechtsform um eine deutsche Personengesellschaft handelt. c) Durchführungsphase Es wurde bereits dargelegt, dass die Modalitäten des Registerverfahrens bei Herausformwechseln deutscher Gesellschaften derzeit noch weitestgehend ungeklärt sind (vgl. § 6 IV. 2. c)). Gleiches gilt für die Konstellation des Hereinformwechsels EU-ausländischer Gesellschaften. Auch hier bedarf es in aller Regel Registereintragungen sowohl im Herkunftsstaat als auch im Aufnahmestaat. Nachfolgend wird der Verfahrensablauf bei Hereinformwechseln EU-ausländischer Gesellschaften im Einzelnen dargestellt. aa) Registerverfahren im Herkunftsstaat Das zur Durchführung einer grenzüberschreitenden Umwandlung zu durchlaufende Registerverfahren richtet sich nach den verfahrensrechtlichen Bestimmungen desjenigen Mitgliedstaates, in welchem die jeweilige Regis569

Dafür Jaensch, EWS 2007, 97 (105). Vgl. Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 541; Leible, in: Michalski, GmbHG, Bd. 1, IntGesR, Rn. 101 ff. zur Frage der Substitution des Beurkundungserfordernisses deutschen Rechts durch eine nach einer ausländischen Verfahrensordnung vorgenommene Beurkundung durch einen im Ausland bestellten Notar. 570

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tereintragung vorgenommen wird (vgl. § 6 IV. 2. c) aa)). Auf das Registerverfahren im Herkunftsstaat finden daher die einschlägigen Bestimmungen des Herkunftsstaates als lex fori Anwendung. 571 Die Vorschriften der §§ 122k f. UmwG dienen der Umsetzung der Internationalen Verschmelzungsrichtlinie. Daher dürften vergleichbare Verfahrensvorschriften in sämtlichen Mitgliedstaaten bestehen, welche zur Ermöglichung grenzüberschreitender Formwechsel entsprechend herangezogen werden können.572 Art. 8 SE-VO ist ohnehin in allen Mitgliedstaaten unmittelbar anwendbar. Soweit das nationale Umwandlungsrecht des Herkunftsstaates keine speziellen Regelungen für grenzüberschreitende Formwechsel bereithält, hat die zuständige Stelle des Herkunftsstaates in entsprechender Anwendung dieser Vorschriften eine Bescheinigung auszustellen, sofern der formwechselnde Rechtsträger die Voraussetzungen des Herkunftsstaates für die Durchführung der Umwandlung erfüllt hat.573 Da der Herkunftsstaat unionsrechtlich nicht verpflichtet ist, isolierte Formwechsel seiner Gesellschaften zuzulassen (vgl. § 4 IV. 2. c) bb)), muss damit gerechnet werden, dass die zuständige Stelle des Herkunftsstaates von dem formwechselnden Rechtsträger einen Nachweis oder eine Erklärung zu seinen wirtschaftlichen Aktivitäten im Deutschland verlangt.574 bb) Registerverfahren in Deutschland Das deutsche Umwandlungsrecht hält verschiedene Regelungen bereit, welche zur praktischen Durchführung grenzüberschreitender Formwechsel nutzbar gemacht werden können (vgl. § 6 IV. 2. c) aa)). Aus einer Gesamtschau dieser Bestimmungen ergibt bei Hereinformwechseln EU-ausländischer Gesellschaften folgender Verfahrensablauf. (1) Anmeldung des Formwechsels Die Anmeldung des Formwechsels zur Eintragung in das Register der Zielrechtsform erfolgt entsprechend § 198 Abs. 2 UmwG.575 Aus der Anmeldung 571 Vgl. OLG Nürnberg, GmbHR 2014, 96 (98); Krebs, GWR 2014, 144 (146); Schaper, ZIP 2014, 810 (812); Stiegler, NZG 2014, 351 (352); Teichmann/Ptak, RIW 2010, 817 (822). 572 Vgl. Hoffmann, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 54, Rn. 21; zurückhaltender Schaper, ZIP 2014, 810 (812). 573 Vgl. Krebs, GWR 2014, 144 (146); siehe zum Hereinformwechsel polnischer Gesellschaften auch Teichmann/Ptak, RIW 2010, 817 (822). 574 Vgl. Wicke, DStR 2012, 1756 (1758). 575 Vgl. OLG Nürnberg, GmbHR 2014, 96 (98); Krafka/Kühn, Registerrecht, Rn. 1211f.; Stiegler, Rechtsformwechsel, 2013, S. 78; Vossius, in: Widmann/Mayer, UmwR, 134. EL (2012), § 191 UmwG, Rn. 167; für die Anwendung von § 122l UmwG dagegen Verse, ZEuP 2013, 458 (492).

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muss sich ergeben, dass es sich um einen Formwechsel, nicht etwa um eine Neugründung der Zielrechtsform handelt.576 Der Anmeldung ist entsprechend § 199 UmwG eine Ausfertigung der Niederschrift des Umwandlungsbeschlusses beizufügen. Der Beschluss hat die Satzung beziehungsweise den Gesellschaftsvertrag der Zielrechtsform zu beinhalten (vgl. § 7 IV. 2. b) aa)). Die übrigen in § 199 UmwG genannten Anlagen müssen hingegen nicht beigefügt werden, weil die Kontrolle der Schutzvorkehrungen zugunsten von Gesellschaftsgläubigern, Anteilsinhabern und Arbeitnehmern vor umwandlungsspezifischen Gefahren der zuständigen Stelle des Herkunftsstaates obliegt. Stattdessen ist dem Registergericht analog zu § 122l Abs. 1 S. 2 UmwG eine Bescheinigung dieser Stelle vorzulegen, aus welcher sich ergibt, dass die nach dem Recht des Herkunftsstaates erforderlichen Rechtshandlungen ordnungsgemäß durchgeführt worden sind.577 Da der erfolgreiche Abschluss des Umwandlungsverfahrens im Herkunftsstaat Voraussetzung der Durchführung der Umwandlung ist, darf die Eintragung des Formwechsels in das Register der Zielrechtsform erst erfolgen, wenn eine solche Bescheinigung vorliegt.578 Die Regelung des § 198 Abs. 2 UmwG lässt offen, wer die Registeranmeldung vorzunehmen hat. Das Umwandlungsrecht enthält zahlreiche Vorschriften, welche die Anmeldungszuständigkeit in Abhängigkeit von der jeweiligen Umwandlungskonstellation festlegen (§§ 222 Abs. 1 und 2, 225c, 235 Abs. 2, 246 Abs. 1 und 2 UmwG). Im Wege einer Gesamtschau dieser Bestimmungen ergibt sich für die Konstellation des Hereinformwechsels EUausländischer Gesellschaften folgende Zuständigkeitsordnung: Grundsätzlich ist die Registeranmeldung durch das Vertretungsorgan des formwechselnden Rechtsträgers vorzunehmen (§§ 235 Abs. 2, 246 Abs. 1 UmwG). Da es sich um eine EU-ausländische Gesellschaft handelt, ist dem Registergericht erforderlichenfalls ein Nachweis der Vertretungsmacht der anmeldenden Personen vorzulegen.579 Handelt es sich bei der Zielrechtsform um eine Kapitalgesellschaft, ist die Anmeldung zusätzlich von sämtlichen Mitgliedern des Vertretungsorgans der Zielrechtsform, den Mitgliedern eines obligatorischen Aufsichtsrates sowie denjenigen Gesellschaftern vorzunehmen, welche gemäß § 219 UmwG den Gesellschaftsgründern gleichstehen (§§ 222 Abs. 1 und 2, 225c, 246 Abs. 2 UmwG). Über den unmittelbaren Anwendungsbereich des § 246 Abs. 3 UmwG hinaus bedarf es beim Formwechsel in die Rechtsform einer Kapitalgesellschaft allerdings keiner Versicherung gemäß § 8 Abs. 2

576

Vgl. Krafka/Kühn, Registerrecht, Rn. 1207; Vossius, in: Widmann/Mayer, UmwR, 134. EL (2012), § 191 UmwG, Rn. 168. 577 Vgl. Hoffmann, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 54, Rn. 21; Stiegler, Rechtsformwechsel, 2013, S. 78; Teichmann/Ptak, RIW 2010, 817 (823); Verse, ZEuP 2013, 458 (492); Vossius, in: Widmann/Mayer, UmwR, 134. EL (2012), § 191 UmwG, Rn. 171. 578 Vgl. Hoffmann, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 54, Rn. 20 f. 579 Vgl. Drygala, in: Lutter, UmwG, Bd. I, § 1, Rn. 41.

§ 7 Hereinformwechsel EU-ausländischer Gesellschaften

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GmbHG beziehungsweise § 37 Abs. 1 AktG.580 Aufgrund der Identität des Rechtsträgers kommt es beim Formwechsel – im Gegensatz zur Gründung einer Gesellschaft – nicht zu einer Vermögensübertragung in Form der Einlageleistung.581 (2) Prüfungsumfang des Registergerichts Handelt es sich bei der Zielrechtsform um eine registerpflichtige Gesellschaft, wird die Umwandlung durch das für diese Rechtsform zuständige Registergericht überprüft. Ungeklärt ist jedoch, wie weit die Prüfungskompetenz des Registergerichts reicht. Nach der Rechtsprechung des EuGH hat der Aufnahmestaat den vom Herkunftsstaat ausgestellten Bescheinigungen gebührend Rechnung zu tragen.582 Eine Rechtspraxis des Aufnahmestaates, welche die vom Herkunftsstaat ausgestellten Dokumente generell unberücksichtigt ließe, wäre mit dem Effektivitätsgrundsatz evident unvereinbar.583 Ungeklärt ist in diesem Zusammenhang jedoch bereits, welche Nachweise der formwechselnde Rechtsträger überhaupt vorzulegen hat. Die zuständige Stelle des Aufnahmestaates soll diese Entscheidung grundsätzlich nach freiem Ermessen treffen dürfen.584 Da das Registergericht mit den materiellen Schutzvorkehrungen und den Einzelheiten des im Herkunftsstaat zu durchlaufenden Registerverfahrens gewöhnlich nicht vertraut sein dürfte, wird es die Nachweise des Herkunftsstaats in aller Regel jedoch zu akzeptieren haben.585 Weitere Nachweise können allenfalls dann verlangt werden, wenn offenkundig ist, dass ein nach dem Recht des Herkunftsstaates erforderlicher Verfahrensschritt nicht in den vorgelegten Bescheinigungen dokumentiert ist (formelles Prüfungsrecht). Das Registergericht ist ferner berechtigt, die Einhaltung der hierzulande für Registeranmeldungen vorgesehenen Formalien sowie erforderlichenfalls eine Übersetzung zu verlangen.586 Zudem mag ein 580

Vgl. Dirksen/Blasche, in: Kallmeyer, UmwG, § 220, Rn. 12; Joost, in: Lutter, UmwG, Bd. II, § 220, Rn. 17; Mayer, in: Widmann/Mayer, UmwR, 137. EL (2013), § 197 UmwG, Rn. 59; Priester, DNotZ 1995, 427 (452); Schlitt, in: Semler/Stengel, UmwG, § 220, Rn. 18; Zimmermann, in: Kallmeyer, UmwG, § 198, Rn. 13 f.; a.A. Meister/ Klöcker, in: Kallmeyer, UmwG, § 197, Rn. 27 und 45. 581 Vgl. Dirksen/Blasche, in: Kallmeyer, UmwG, § 220, Rn. 12; Mayer, in: Widmann/ Mayer, UmwR, 137. EL (2013), § 197 UmwG, Rn. 59; Priester, DNotZ 1995, 427 (452); Schlitt, in: Semler/Stengel, UmwG, § 220, Rn. 18; Zimmermann, in: Kallmeyer, UmwG, § 198, Rn. 13. 582 Vgl. EuGH, Urteil vom 12.7.2012, Rs. C-378/10 – VALE Építési, Rn. 61. 583 Vgl. Bayer/J. Schmidt, ZIP 2012, 1481 (1489); Drygala, in: Lutter, UmwG, Bd. I, § 1, Rn. 42; Mörsdorf-Schulte, KSzW 2014, 117 (122). 584 Vgl. Mörsdorf/Jopen, ZIP 2012, 1398 (1401). 585 Im Ergebnis auch Mörsdorf/Jopen, ZIP 2012, 1398 (1401). 586 Vgl. Bayer/J. Schmidt, ZIP 2012, 1481 (1490); Krebs, GWR 2014, 144 (146); Mörsdorf-Schulte, KSzW 2014, 117 (122); Wöhlert/Degen, GWR 2012, 337957.

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Kapitel 3: Der grenzüberschreitende Formwechsel nach deutschem Recht

Echtheitsnachweis durch Legalisation beziehungsweise Apostille erforderlich sein.587 Darüber hinausgehend wird unterschiedlich beurteilt, ob das Registergericht berechtigt ist, eigenständig die Einhaltung der umwandlungsrechtlichen Vorschriften des Herkunftsstaates zu kontrollieren (materielles Prüfungsrecht). Teils wird dem Registergericht ein eigenes Prüfungsrecht zugesprochen.588 Dieses müsse den Belegen des Herkunftsstaates nicht blind vertrauen.589 Das Postulat eines materiellen Prüfungsrechts ist mit dem Verdikt des EuGH, den vom Herkunftsstaat ausgestellten Bescheinigungen sei gebührend Rechnung zu tragen, indessen grundsätzlich nicht zu vereinbaren.590 Sofern die zuständige Stelle des Herkunftsstaates eine Bescheinigung ausgestellt hat, aus welcher zweifelsfrei hervorgeht, dass der formwechselnde Rechtsträger die umwandlungsrechtlichen Voraussetzungen des Herkunftsstaates erfüllt hat, darf das Registergericht dies nicht ohne Weiteres infrage stellen und weitere Nachweise verlangen.591 Die Bescheinigung entfaltet Bindungswirkung, welche allenfalls dann infrage gestellt werden darf, wenn die Voraussetzungen des Herkunftsstaates evident nicht vorliegen.592 Eine durchgängige Überprüfung des Umwandlungsverfahrens des Herkunftsstaates durch das Registergericht stünde hingegen im Widerspruch zum Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens in die ordnungsgemäße Rechtspflege der Mitgliedstaaten.593 Sie wäre im Übrigen auch kaum praktikabel, weil das Registergericht die Beachtung der umwandlungsrechtlichen Schutzvorkehrungen des Her587

Vgl. Bayer/J. Schmidt, ZIP 2012, 1481 (1490); Krebs, GWR 2014, 144 (146); Mörsdorf-Schulte, KSzW 2014, 117 (122); Verse, ZEuP 2013, 458 (491); Vossius, in: Widmann/ Mayer, UmwR, 134. EL (2012), § 191 UmwG, Rn. 60; Wöhlert/Degen, GWR 2012, 337957. 588 Vgl. Drygala, in: Lutter, UmwG, Bd. I, § 1, Rn. 42; Mörsdorf-Schulte, KSzW 2014, 117 (122); Teichmann, DB 2012, 2085 (2091); Wasmeier, Umstrukturierung, 2014, S. 142 f.; offenbar auch Mörsdorf/Jopen, ZIP 2012, 1398 (1401); Schön, ZGR 2013, 333 (348); siehe zur grenzüberschreitenden Verschmelzung auch Mayer, in: Widmann/Mayer, UmwR, 98. EL (2007), Einf. UmwG, Rn. 250. 589 Vgl. Mörsdorf-Schulte, KSzW 2014, 117 (122); Teichmann, DB 2012, 2085 (2091); Wasmeier, Umstrukturierung, 2014, S. 143. 590 Vgl. Bayer/J. Schmidt, ZIP 2012, 1481 (1490); Verse, ZEuP 2013, 458 (490); offenbar auch Behme, NZG 2012, 936 (938 f.); Krafka/Kühn, Registerrecht, Rn. 1211f.; Stiegler, Rechtsformwechsel, 2013, S. 46; Vossius, in: Widmann/Mayer, UmwR, 134. EL (2012), § 191 UmwG, Rn. 56, 59 und 189; Weller/Rentsch, IPRax 2013, 530 (535); siehe zur grenzüberschreitenden Sitzverlegung der SE auch Hoger, Kontinuität, 2008, S. 289 f.; Ringe, Sitzverlegung, 2006, S. 145; Wasmeier, Umstrukturierung, 2014, S. 200 f. 591 Vgl. Krebs, GWR 2014, 144 (146); Verse, ZEuP 2013, 458 (490). 592 Vgl. Hoger, Kontinuität, 2008, S. 290; Hunger, in: Jannott/Frodermann, Hdb. SE, Kap. 9, Rn. 139; Schröder, in: Manz/Mayer/Schröder, Europäische Aktiengesellschaft, Art. 8 SE-VO, Rn. 95 jeweils bezüglich der grenzüberschreitenden Sitzverlegung der SE. 593 Vgl. Bayer/J. Schmidt, ZIP 2012, 1481 (1490); Wasmeier, Umstrukturierung, 2014, S. 200; offenbar auch Behme, NZG 2012, 936 (938 f.).

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kunftsstaates kontrollieren müsste.594 Angesichts der Unterschiede der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten und etwaiger Sprachbarrieren dürfte es mit dieser Aufgabe in aller Regel jedoch überfordert sein. Das Registergericht hat allerdings zu kontrollieren, ob die Umwandlung entsprechend der einschlägigen Vorschriften des deutschen Umwandlungsrechts abgelaufen ist. In formeller Hinsicht umfasst diese Kontrolle die Überprüfung seiner Zuständigkeit, die Anmeldungszuständigkeit der anmeldenden Personen sowie die Vollständigkeit der eingereichten Unterlagen.595 In materieller Hinsicht müssen sämtliche Gründungsvoraussetzungen der Zielrechtsform erfüllt sein.596 Handelt es sich bei der Zielrechtsform um eine Kapitalgesellschaft muss insbesondere der Nennbetrag des Stamm- bzw. Grundkapitals durch das Nettoaktivvermögen der Gesellschaft gedeckt sein (vgl. § 7 III. 2. a) bb)). Maßgeblicher Zeitpunkt ist die Anmeldung des Formwechsels zur Eintragung in das Register der Zielrechtsform.597 Das Registergericht ist verpflichtet, die ordnungsgemäße Kapitalaufbringung der Zielrechtsform zu kontrollieren.598 Eine diesbezügliche Überprüfung durch das Registergericht ist unionsrechtlich unbedenklich.599 Welche formalen Anforderungen der Nachweis der Kapitalaufbringung zu erfüllen hat, ist allerdings – auch für innerstaatliche Formwechsel – gesetzlich nicht geregelt.600 Der formwechselnde Rechtsträger hat die Werthaltigkeit des Gesellschaftsvermögens schlüssig darzulegen.601 Insoweit gelten die gleichen Anforderungen wie bei der Sachgründung einer Gesellschaft. 602 Da der (Sach-)Gründungsbericht Angaben zur Vermögenslage der Gesellschaft 594 Vgl. Bayer/J. Schmidt, ZIP 2012, 1481 (1490); offenbar auch Behme, NZG 2012, 936 (938 f.); siehe zur grenzüberschreitenden Verschmelzung auch Geyhalter/Weber, DStR 2006, 146 (148). 595 Vgl. Hoger, Kontinuität, 2008, S. 166. 596 Vgl. Krafka/Kühn, Registerrecht, Rn. 1211f.; siehe auch Vossius, in: Widmann/ Mayer, UmwR, 134. EL (2012), § 191 UmwG, Rn. 59, der dogmatisch unsauber von der Prüfung der Voraussetzungen der Entstehung des „neuen Rechtsträgers“ spricht. 597 Vgl. Bärwaldt, in: Semler/Stengel, UmwG, § 197, Rn. 33; Dirksen/Blasche, in: Kallmeyer, § 220, Rn. 5; Hoger, Kontinuität, 2008, S. 163; Joost, in: Lutter, UmwG, Bd. II, § 220, Rn. 14; Schlitt, in: Semler/Stengel, § 220, Rn. 15. 598 Vgl. OLG Nürnberg, GmbHR 2014, 96 (98); Bärwaldt, in: Semler/Stengel, UmwG, § 197, Rn. 30; Dirksen/Blasche, in: Kallmeyer, UmwG, § 220, Rn. 13; Frowein, Sitzverlegung, 2001, S. 170; Hoger, Kontinuität, 2008, S. 156; Meister/Klöcker, in: Kallmeyer, UmwG, § 197, Rn. 28. 599 Vgl. GA Jääskinen, Schlussanträge vom 15.12.2011, Rs. C-378/10 – VALE Építési, Rn. 75. 600 Schlitt, in: Semler/Stengel, UmwG, § 220, Rn. 19. 601 Vgl. OLG Nürnberg, GmbHR 2014, 96 (98); Frowein, Sitzverlegung, 2001, S. 170; Krebs, GWR 2014, 144 (145); siehe bezüglich innerstaatlicher Formwechsel auch Dirksen/Blasche, in: Kallmeyer, UmwG, § 220, Rn. 13; Schlitt, in: Semler/Stengel, UmwG, § 220, Rn. 19. 602 Vgl. Wachter, GmbHR 2014, 99 (100).

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enthalten muss (vgl. § 7 IV. 2. a) bb)), dürfte dessen Vorlage zum Nachweis der Kapitaldeckung in aller Regel ausreichen. Sofern der formwechselnde Rechtsträger – etwa aufgrund steuerrechtlicher Vorschriften des Herkunftsstaates – eine Schlussbilanz zu erstellen hat, aus welcher sich ergibt, dass die Kapitalziffer der Zielrechtsform bereits durch das nach Buchwerten ausgewiesene Gesellschaftsvermögen abgedeckt ist, bedarf es grundsätzlich keiner weiteren Vermögensaufstellung, in welcher die Vermögensgegenstände mit ihrem wirklichen Wert angesetzt werden.603 Umgekehrt muss die Vorlage einer Bilanz beziehungsweise einer Vermögensaufstellung vom Registergericht nicht unbedingt als ausreichender Kapitalnachweis anerkannt werden.604 Hegt das Registergericht insofern Zweifel, kann er weitere Nachweise, etwa das Testat eines Wirtschaftsprüfers, verlangen.605 Kommt es im Rahmen der Prüfung zu der Überzeugung, dass das Nettoaktivvermögen des formwechselnden Rechtsträgers die Kapitalziffer der Zielrechtsform nicht abdeckt, hat es die Eintragung des Formwechsels gemäß § 197 S. 1 UmwG i.V.m. § 9c Abs. 1 S. 2 GmbHG beziehungsweise § 38 Abs. 2 S. 2 AktG zu verweigern. Die Hauptverwaltung einer deutschen Personengesellschaft muss sich im Inland befinden.606 Diese Anforderung des Personengesellschaftsrechts steht im Einklang mit der mitgliedstaatlichen Regelungsautonomie im Bereich des Gesellschaftsrechts (vgl. § 4 II. 1. b)). Dementsprechend setzt ein Hereinformwechsel in die Rechtsform einer GbR, OHG, KG oder Partnerschaftsgesellschaft voraus, dass die Hauptverwaltung des formwechselnden Rechtsträgers nach Deutschland verlegt wird. Vor der Eintragung des Formwechsels hat das Registergericht daher zu überprüfen, ob sich der effektive Verwaltungssitz der Gesellschaft im Inland befindet.607 In Zweifelsfällen kann das Gericht zur Klärung dieser Frage gemäß § 380 Abs. 2 FamFG berufsständische Organe anhören.608 Ob dieses Erfordernis beim Hereinformwechsel in die Rechtsform einer Kapitalgesellschaft gleichermaßen gilt, ist derzeit nicht

603 Vgl. Krebs, GWR 2014, 144 (145); Schlitt, in: Semler/Stengel, UmwG, § 220, Rn. 19; a.A. Frowein, Sitzverlegung, 2001, S. 170, der eine betriebswirtschaftliche Prüfung durch eine nach deutschem Recht dazu befähigte Person fordert. 604 Vgl. Wachter, GmbHR 2014, 99 (100); weniger streng dagegen Krafka/Kühn, Registerrecht, Rn. 1211f, denen zufolge die zum Nachweis der Kapitalaufbringung vorgelegten Dokumente durch das Registergericht grundsätzlich zu akzeptieren sind. 605 Vgl. Krebs, GWR 2014, 144 (145). 606 Vgl. Hopt, in: Baumbach/Hopt, HGB, § 106, Rn. 8; Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 516; Langhein, in: MünchKomm-HGB, Bd. 2, § 106, Rn. 30; Lutter/ Bayer/J. Schmidt, Europ. Unternehmens- und Kapitalmarktrecht, § 6, Rn. 57; Wiedemann, GesR, Bd. II, § 1 IV 2, S. 51. 607 Vgl. Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 482 f. und 527 zum Nachweis des Verwaltungssitzes im handelsregisterlichen Eintragungsverfahren. 608 Vgl. Krafka/Kühn, Registerrecht, Rn. 1211f.

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abschließend geklärt.609 Überwiegend wird der Reform der §§ 4a GmbHG, 5 AktG durch das MoMiG nicht nur eine sachrechtliche, sondern auch eine kollisionsrechtliche Regelungskomponente beigemessen. 610 Es soll nunmehr möglich sein, die Hauptverwaltung einer Kapitalgesellschaft im Ausland anzusiedeln. Unter dieser Prämisse besteht kein Anlass, im Falle des Hereinformwechsels in die Rechtsform einer Kapitalgesellschaft die Verlegung der Hauptverwaltung der Gesellschaft ins Inland zu verlangen. Diese Frage ist jedoch streng vom Erfordernis der Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit im Aufnahmestaat zu unterscheiden, ohne die grenzüberschreitende Formwechsel nicht durch die Niederlassungsfreiheit gewährleistet werden (vgl. § 4 IV. 2. c)). (3) Eintragung der Zielrechtsform Kommt das Registergericht zu der Überzeugung, dass die Voraussetzungen für den konkreten Formwechsel vorliegen, so hat es die Umwandlung gemäß § 198 Abs. 2 S. 5 UmwG in das für die Zielrechtsform zuständige Register einzutragen. Die Eintragung muss einen Hinweis auf die EU-ausländische Ausgangsrechtsform enthalten.611 Da sich das Registerverfahren im Herkunftsstaat nach der lex fori richtet (vgl. § 7 IV. 2. c) aa)), kann freilich nicht verlangt werden, dass der Formwechsel zuvor im dortigen Register gemäß § 198 Abs. 2 S. 3 und 4 UmwG eingetragen worden ist. 612 Ausreichend ist, dass dem Registergericht eine Bescheinigung der zuständigen Stelle des Herkunftsstaates vorliegt, welche die Einhaltung der Voraussetzungen des Herkunftsstaates dokumentiert. Die Eintragung des Formwechsels in das Register der Zielrechtsform hat gemäß § 202 Abs. 2 UmwG konstitutive Wirkung für den Formwechsel.613 Durch die Eintragung wird der Formwechsel rechtswirk-

609

Dafür Kindler, in: MünchKomm-BGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 840; Stiegler, Rechtsformwechsel, 2013, S. 28. 610 Vgl. zum Streitstand Altmeppen/Ego, in: MünchKomm-AktG, Bd. 7, Europ. Niederlassungsfreiheit, Rn. 190 ff.; Heckschen, in: Widmann/Mayer, UmwR, 118. EL (2010), § 1 UmwG, Rn. 106; Bayer/J. Schmidt, ZHR 173 (2009), 735 (746 ff.); Kindler, IPRax 2009, 189 (197 ff.); Paefgen, WM 2009, 529 (530 f.); Verse, ZEuP 2013, 458 (466 f.); Wasmeier, Umstrukturierung, 2014, S. 51 ff. 611 Vgl. Krafka/Kühn, Registerrecht, Rn. 1211g; Vossius, in: Widmann/Mayer, UmwR, 134. EL (2012), § 191 UmwG, Rn. 190 f. 612 Weitergehend OLG Nürnberg, GmbHR 2014, 96 (98); Hushahn, DNotZ 2014, 154 (155); Schaper, ZIP 2014, 810 (812 f.); Stiegler, NZG 2014, 351 (352), wonach die Eintragungsreihenfolge des § 192 Abs. 2 UmwG nicht beachtet werden braucht. 613 Vgl. OLG Nürnberg, GmbHR 2014, 96 (98); Ege/Klett, DStR 2012, 2442 (2445); Frowein, Sitzverlegung, 2001, S. 169; Hoffmann, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 54, Rn. 20; Verse, ZEuP 2013, 458 (492); Vossius, in: Widmann/Mayer, UmwR, 134. EL (2012), § 191 UmwG, Rn. 195.

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Kapitel 3: Der grenzüberschreitende Formwechsel nach deutschem Recht

sam.614 Teils wird die Auffassung vertreten, die Eintragung dürfe erst erfolgen, wenn gewährleistet sei, dass die „Wirksamkeit nach dem Wegzugsrecht“ spätestens mit Eintragung des Formwechsels im Aufnahmestaat ebenfalls eintrete.615 Richtigerweise existieren jedoch keine unterschiedlichen Wirksamkeitszeitpunkte. Der Formwechsel wird zu dem Zeitpunkt wirksam, welchen die Rechtsordnung des Aufnahmestaates vorsieht (vgl. § 6 IV. 2. c) aa)). Sofern das Recht des Herkunftsstaates auf einen anderen Zeitpunkt abstellt, sind seine Vorschriften in Anlehnung an Art. 12 der Internationalen Verschmelzungsrichtlinie sowie Art. 8 Abs. 10 SE-VO entsprechend anzupassen. Nach erfolgter Eintragung hat das Registergericht analog § 122l Abs. 3 UmwG der zuständigen Stelle des Herkunftsstaates das Eintragungsdatum mitzuteilen. 616 Fraglich ist indessen, wie zu verfahren ist, wenn der formwechselnde Rechtsträger – entgegen der vorstehend dargestellten Verfahrensweise – zum Zeitpunkt der Entscheidung des deutschen Registergerichts bereits im Register der Ausgangsrechtsform gelöscht wurde. Wie sich in der Rechtssache VALE gezeigt hat, handelt es sich dabei nicht lediglich um ein theoretisches Problem (vgl. § 1 IV. 9. b)). Letztlich ist der beabsichtigte Formwechsel der VALE Costruzioni Srl gescheitert, weil die ungarischen Gerichte infolge der frühzeitigen Löschung der Gesellschaft im italienischen Register die Kontinuität des Rechtsträgers nicht gewahrt sahen.617 Der EuGH hat klargestellt, dass ein Mitgliedstaat, welcher für innerstaatliche Formwechsel eine strikte rechtliche und wirtschaftliche Kontinuität zwischen der Ausgangs- und der Zielrechtsform vorschreibt, unionsrechtlich nicht gehindert ist, dies auch im Rahmen grenzüberschreitender Umwandlungen zu tun.618 Dadurch hat er die Bedeutung der kontinuierlichen Vermögensträgerschaft anerkannt.619 Folglich ist es unionsrechtlich unbedenklich, wenn ein Mitgliedstaat auch im grenzüberschreitenden Kontext auf die Kontinuität des Rechtsträgers besteht.620 Nach deutschem Rechtsverständnis stellt die Kontinuität des Rechtsträgers während des Umwandlungsverfahrens ein Wesensmerkmal eines Formwech614 Vgl. OLG Nürnberg, GmbHR 2014, 96 (98); Hushahn, DNotZ 2014, 154 (155); Wachter, GmbHR 2014, 99 (100); a.A. Hoffmann, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 54, Rn. 18, demzufolge der Formwechsel erst wirksam wird, wenn die Wirksamkeit nach beiden betroffenen Rechtsordnungen eingetreten ist. 615 Vgl. Hoffmann, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 54, Rn. 20; W.-H. Roth, FS Hoffmann-Becking, 2013, 965 (987). 616 Vgl. Hoffmann, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 54, Rn. 21; Verse, ZEuP 2013, 458 (492); Vossius, in: Widmann/Mayer, UmwR, 134. EL (2012), § 191 UmwG, Rn. 87. 617 Vgl. Former Reflection Group on the Future of EU Company Law, ECFR 2013, 304 (319); Nagy, IPRax 2013, 582 (583); Neye, EWiR 2014, 45 (46). 618 Vgl. EuGH, Urteil vom 12.7.2012, Rs. C-378/10 – VALE Építési, Rn. 55. 619 Vgl. Neye, EWiR 2014, 45 (46); Schön, ZGR 2013, 333 (339). 620 Vgl. Frenzel, NotBZ 2012, 349 (351); Mörsdorf/Jopen, ZIP 2012, 1398 (1401); Stiegler, NZG 2014, 351 (352).

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sels dar.621 Gleichwohl gestattet das Umwandlungsgesetz bereits aufgelösten Rechtsträgern, einen Formwechsel vorzunehmen, sofern die Fortsetzung der Gesellschaft in der bisherigen Rechtsform beschlossen werden könnte (§ 191 Abs. 3 UmwG). Hinter dieser Regelung verbirgt sich die Erwägung, dass Gesellschaften einen Formwechsel solange durchführen können, als sie noch über Vermögen verfügen, welches den Gesellschaftsgläubigern nach Vollzug des Formwechsels als Haftungsmasse zur Verfügung steht.622 Lediglich wenn eine Gesellschaft bereits liquidiert und ins Stadium der Vollbeendigung eingetreten ist, scheidet ein Formwechsel aus. Allein die Löschung des formwechselnden Rechtsträgers im Register der Ausgangsrechtsform führt demnach nach deutschem Rechtsverständnis nicht zwingend dazu, dass die Kontinuität des Rechtsträgers negiert werden müsste. Dogmatisch kann insoweit auf die Lehre der Restgesellschaft zurückgegriffen werden, der zufolge eine Gesellschaft trotz ihrer Auflösung und Löschung im Register als Restgesellschaft fortbesteht, solange sie noch Vermögen besitzt, welches ansonsten keinem Rechtsträger zugeordnet werden könnte.623 Aus der Perspektive des Umwandlungsgesetzes steht somit die frühzeitige Löschung einer Gesellschaft im Register der Ausgangsrechtsform einem Hereinformwechsel in eine deutsche Rechtsform nicht per se entgegen.624 Im Interesse der Rechtsklarheit sollte die Löschung der Ausgangsrechtsform im Herkunftsstaat jedoch möglichst bis zum Zeitpunkt der Eintragung der Zielrechtsform im Aufnahmestaat vertagt werden. Erforderlichenfalls sind die registerrechtlichen Regelungen des Herkunftsstaates entsprechend anzupassen (vgl. § 5 II. 2. a)). (4) Bekanntmachung des Formwechsels Der Formwechsel ist gemäß § 201 UmwG i.V.m. § 10 HGB öffentlich bekanntzumachen. Die Eintragung der Zielrechtsform ist als Neueintragung zu veröffentlichen.625 Eines Gläubigerhinweises gemäß §§ 204, 22 Abs. 1 S. 3 UmwG bedarf es dabei freilich nicht.626 Bei dem Anspruch auf Sicherheitsleistung handelt es sich nicht um ein Instrument des institutionellen, sondern 621

Vgl. Hoger, Kontinuität, 2008, S. 73 ff. Vgl. Meister/Glöcker, in: Kallmeyer, UmwG, § 191, Rn. 18; Stengel, in: Semler/ Stengel, UmwG, § 191, Rn. 16. 623 Vgl. OLG Jena, NZG 2007, 877 (878); OLG Düsseldorf, NZG 2010, 1226 (1227); KG, GmbHR 2010, 316 (317); OLG Hamm, NZG 2014, 703 (704); Messenzehl/ Schwarzfischer, BB 2012, 2072 (2072). 624 Im Ergebnis auch OLG Nürnberg, GmbHR 2014, 96 (98); Bayer/J. Schmidt, ZIP 2012, 1481 (1484 f.); Drygala, in: Lutter, UmwG, Bd. I, § 1, Rn. 43; Ege/Klett, DStR 2012, 2442 (2443); Schaper, ZIP 2014, 810 (812); Wachter, GmbHR 2014, 99 (100); offenbar auch Hushahn, notar 2014, 176 (176); van Eck/Roelofs, ECL 2012, 319 (323); a.A. Mörsdorf-Schulte, KSzW 2014, 117 (125); Stiegler, NZG 2014, 351 (351). 625 Krafka/Kühn, Registerrecht, Rn. 1211g. 626 Vgl. Krafka/Kühn, Registerrecht, Rn. 1211g. 622

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Kapitel 3: Der grenzüberschreitende Formwechsel nach deutschem Recht

des individuellen Gläubigerschutzes. Der Schutz der „Altgläubiger“ obliegt jedoch dem Herkunftsstaat (vgl. § 5 II. 1.) d) Sonderfall: Beteiligung nicht registerpflichtiger Rechtsformen Der vorstehend skizzierte Verfahrensablauf stößt an seine Grenzen, wenn eine nicht registerpflichtige EU-ausländische Gesellschaft einen grenzüberschreitenden Formwechsel vornehmen möchte und/oder es sich bei der Zielrechtsform um die (nicht registerpflichtige) GbR handelt. aa) Nicht registerpflichtige EU-ausländische Ausgangsrechtsform Sofern der formwechselnde Rechtsträger nicht registerpflichtig ist, kann er eine Bestätigung einer staatlichen Stelle, dass er die nach dem Recht des Herkunftsstaates zur Durchführung des Formwechsels einzuhaltenden Voraussetzungen erfüllt hat, möglicherweise nicht vorlegen. Dies bedeutet jedoch keinesfalls, dass das für die Zielrechtsform zuständige Registergericht verpflichtet wäre, die Einhaltung der umwandlungsrechtlichen Vorschriften des Herkunftsstaates zu kontrollieren. Dies ist und bleibt Aufgabe des Herkunftsstaates. Andererseits kann man der formwechselwilligen Gesellschaft die Umwandlung nicht deshalb verweigern, weil sie nicht in der Lage ist, diesen Nachweis beizubringen. Es genügt, wenn die Gesellschaft darzulegen vermag, weshalb sie sich außerstande sieht, den Nachweis der Einhaltung der umwandlungsrechtlichen Voraussetzungen des Herkunftsstaates zu führen. Unter dieser Prämisse steht das Fehlen einer entsprechenden Bescheinigung einer staatlichen Stelle des Herkunftsstaates der Eintragung des Formwechsels in Deutschland nicht entgegen. Sofern im Hinblick auf die Interessen von Gesellschaftsgläubigern oder Anteilsinhabern Rechtschutzlücken drohen, obliegt es dem jeweiligen Herkunftsstaat, dagegen Maßnahmen zu ergreifen. bb) Hereinformwechsel in die Rechtsform der GbR Die GbR ist nicht registerpflichtig und nicht registerfähig. Dementsprechend kann in der Konstellation eines Hereinformwechsels in die Rechtsform der GbR die Registereintragung der Zielrechtsform nicht den Anknüpfungspunkt für die Wirksamkeit des Formwechsels bilden. Bei innerstaatlichen Formwechseln wird die Umwandlung mit Eintragung in das Register der Ausgangsrechtsform wirksam. 627 Gleiches gilt beim Hereinformwechsel in die Rechtsform der GbR.628 In Anlehnung an die Regelung des § 123 Abs. 2 HGB ließe sich zwar erwägen, auf den Zeitpunkt des Geschäftsbeginns in 627 Vgl. Dirksen/Blasche, in: Kallmeyer, UmwG, § 235, Rn. 3; Ihrig, in: Semler/ Stengel, UmwG, § 236, Rn. 5. 628 Im Ergebnis auch Vossius, in: Widmann/Mayer, UmwR, 134. EL (2012), § 191 UmwG, Rn. 179.

§ 7 Hereinformwechsel EU-ausländischer Gesellschaften

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Deutschland abzustellen. Da der formwechselnde Rechtsträger jedoch wirtschaftliche Aktivitäten im Aufnahmestaat bereits entfalten muss, um einen grenzüberschreitenden Formwechsel überhaupt vornehmen zu dürfen (vgl. § 4 IV. 2. c) bb)), hat er seine Geschäfte in Deutschland zwangsläufig bereits vor der Durchführung der Umwandlung aufgenommen. Obwohl ein Formwechsel aus Sicht des Aufnahmestaates mit der Gründung der Zielrechtsform vergleichbar ist, verfängt die Parallele zur Gründung einer OHG daher nicht. Da eine GbR als solche jedoch nur bestehen kann, wenn sich die Hauptverwaltung im Inland befindet, wird der Formwechsel freilich frühestens wirksam, sobald der formwechselnde Rechtsträger seine Hauptverwaltung nach Deutschland verlegt hat (vgl. § 7 IV. 2. c) bb)). V. Zwischenergebnis Die Risiken, welche von einem Formwechsel für den Rechtsverkehr ausgehen, sind im innerstaatlichen und im grenzüberschreitenden Kontext identisch: In beiden Fällen besteht die Gefahr, dass die Gründungsvoraussetzungen der jeweiligen Zielrechtsform umgangen werden. Um dies zu verhindern, enthalten die §§ 190 ff. UmwG für innerstaatliche Formwechsel spezielle Schutzvorschriften. Diese Regelungen sind auf Hereinformwechsel EUausländischer Gesellschaften entsprechend anzuwenden. Bei der Anwendung der Vorschriften ist zum einen der unionsrechtliche Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz zu berücksichtigen. Zum anderen ist stets danach zu fragen, ob die Anwendung der jeweiligen Regelung im grenzüberschreitenden Kontext geboten ist. § 197 S. 1 UmwG verweist als Generalnorm des Formwechselrechts auf die Gründungsvorschriften der jeweiligen Zielrechtsform. Durch die Anwendung der Gründungsvorschriften wird der Schutz des Rechtsverkehrs vor umwandlungsbedingten Gefahren effektiv gewährleistet. Die Verpflichtung des formwechselnden Rechtsträgers, die Gründungsvoraussetzungen der jeweiligen Zielrechtsform zu erfüllen, begegnet daher keinen unionsrechtlichen Bedenken. Zusätzliche auf grenzüberschreitende Fallkonstellationen zugeschnittene Anforderungen dürften demgegenüber unionsrechtlich nicht zu rechtfertigen sein. Die zulässigen Formwechselkonstellationen werden in der Konstellation des Hereinformwechsels EU-ausländischer Gesellschaften durch die §§ 190 ff. UmwG vorgegeben. Die in § 191 Abs. 1 UmwG genannten Rechtsträger können durch rechtstypologisch vergleichbare EU-ausländische Rechtsformen substituiert werden. Über die im innerstaatlichen Kontext zulässigen Formwechselkonstellationen hinaus sind rechtsformkongruente Formwechsel zuzulassen. Aufgrund der Verweisung auf das Gründungsrecht der Zielrechtsform hat der formwechselnde Rechtsträger insbesondere seine Satzung beziehungsweise seinen Gesellschaftsvertrag dem Gesellschaftsstatut der jeweiligen Zielrechtsform entsprechend anzupassen. Im Falle eines

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Kapitel 3: Der grenzüberschreitende Formwechsel nach deutschem Recht

Formwechsels in die Rechtsform einer Kapitalgesellschaft muss er zudem den Kapitalaufbringungsvorschriften des deutschen Gesellschaftsrechts gerecht werden. Die Vorschriften des Umwandlungsgesetzes zum Schutz von Gesellschaftsgläubigern und Anteilsinhabern vor umwandlungsspezifischen Gefahren finden in der Konstellation des Hereinformwechsels EUausländischer Gesellschaften demgegenüber keine Anwendung. Der Schutz der Gesellschaftsgläubiger und Anteilsinhaber obliegt ausschließlich dem Herkunftsstaat. Ob der formwechselnde Rechtsträger die diesbezüglichen Voraussetzungen des Herkunftsstaates erfüllt hat, wird durch das zuständige deutsche Registergericht nicht überprüft. Das Registergericht darf die von der zuständigen Stelle des Herkunftsstaates ausgestellten Nachweise nicht ohne Weiteres in Frage stellen. Bei der Durchführung des Registerverfahrens ist stets dem Umstand Rechnung zu tragen, dass das Umwandlungsverfahren im Herkunftsstaat entsprechend der dortigen lex fori durchgeführt wird. Stehen die deutschen Verfahrensvorschriften und das Verfahrensrecht des Herkunftsstaates im Widerspruch, muss eine kollisionsrechtliche Anpassung der jeweiligen Vorschriften auf der Grundlage von Art. 12 der Internationalen Verschmelzungsrichtlinie beziehungsweise Art. 8 SE-VO erfolgen.

Kapitel 4

Rechtsvergleich und Ausblick § 8 Grenzüberschreitende Formwechsel nach englischem Recht § 8 Grenzübschreitende Formwechsel nach englischem Recht

I. Einführung Ein grenzüberschreitender Formwechsel kann nur gelingen, wenn die Umwandlung sowohl durch den Herkunfts- als auch durch den Aufnahmestaat gewährleistet wird (vgl. § 5 I.). Es genügt demnach nicht, dass das deutsche Recht grenzüberschreitende Formwechsel ermöglicht. Im Folgenden wird rechtsvergleichend untersucht, ob das englische Recht für die Durchführung grenzüberschreitender Formwechsel gewappnet ist. Eine Analyse dieser Rechtsordnung bietet sich als Kontrapunkt zum deutschen Recht an, weil das Vereinigte Königreich mit der Gründungstheorie den entgegengesetzten kollisionsrechtlichen Anknüpfungspunkt gewählt hat und das materielle Recht bislang ebenfalls keine Regelung grenzüberschreitender Formwechsel enthält. Auch wenn die Anzahl der Gründungen von Ltd. mit effektivem Verwaltungssitz in Deutschland zuletzt zurückgegangen sein mag, existieren in Deutschland weiterhin zahlreiche Gesellschaften dieser Rechtsform, welche sich angesichts der jüngeren Rechtsprechung des EuGH rechtlich auf dünnem Eis bewegen (vgl. § 4 II. 2.). Vor diesem Hintergrund ist es für diese Gesellschaften besonders bedeutsam, dass sich der grenzüberschreitende Formwechsel zwischen deutschen und englischen Rechtsformen zu einem rechtssicheren Gestaltungsinstrument entwickelt. Dazu soll die nachfolgende Untersuchung einen Beitrag leisten. Zunächst werden die Grundlagen des englischen Gesellschaftsrechts skizziert (vgl. § 8 II.). Die Darstellung umfasst einen Überblick über das Internationale Gesellschaftsrecht, die im Vereinigten Königreich verbreiteten Rechtsformen sowie die Umwandlungsmöglichkeiten, welche englischen Gesellschaften offenstehen. Im Anschluss wird untersucht, ob der statutenwechselnde Wegzug englischer Gesellschaften durch das englische Recht gewährleistet wird (vgl. § 8 III.). Auf Grundlage einer Analyse der Schutzvorkehrungen, welche das englische Recht im Interesse von Gesellschaftsgläubigern und Anteilsinhabern für andere Umwandlungskonstellationen vorsieht, wird dargestellt, welche konkreten Schritte eine englische Gesellschaft zur Durchführung eines Herausformwechsels unternehmen muss. Hiernach wird die umgekehrte Konstellation des Hereinformwechsels einer EU-ausländischen Gesellschaft

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Kapitel 4: Rechtsvergleich und Ausblick

in eine Rechtsform englischen Rechts nähere Betrachtung finden (vgl. § 8 IV.). Dabei wird der Frage nachgegangen, welche Schutzinstrumente das englische Recht zum Schutz des Rechtsverkehrs bereithält, die zur Bewältigung von Hereinformwechseln EU-ausländischer Gesellschaften herangezogen werden können. Auf der Grundlage der gewonnenen Erkenntnisse wird skizziert, welche Verfahrensschritte ein formwechselnder Rechtsträger einzuhalten hat, der eine englische Rechtsform annehmen möchte. II. Grundlagen des englischen Gesellschaftsrechts Das Vereinigte Königreich verfügt mit England und Wales, Schottland sowie Nordirland über drei Jurisdiktionen mit jeweils eigenständiger Rechtsordnung.1 Gegenstand der nachfolgenden Untersuchung ist das englische und walisische Recht. Soweit im Folgenden vom englischen Recht beziehungsweise englischen Gesellschaften die Rede ist, gelten die jeweiligen Ausführungen stets gleichermaßen für das walisische Recht beziehungsweise walisische Gesellschaften. Systematisch lässt sich die englische Rechtsordnung in das Gesetzesrecht (statute law) und das Fallrecht (case law) unterteilen. Da Urteile englischer Gerichte nahezu absolute Bindungswirkung entfalten, kommt dem case law traditionell eine besonders große Bedeutung zu.2 Das statute law kann einerseits älteres Fallrecht kodifizieren und überlagern, andererseits aber selbst durch jüngeres Fallrecht überlagert und ergänzt werden.3 Das tradiert besonders stark durch case law geprägte Gesellschaftsrecht wurde zuletzt durch den Companies Act 2006 (CA 2006) umfassend kodifiziert.4 Wegen des Umfangs des Gesetzes und der Vielzahl der Änderungen im Gesellschaftsrecht handelte es sich um das wohl umfangreichste Gesetzgebungsverfahren der englischen Geschichte.5 Durch den CA 2006 wurde das Fallrecht zwar stark zurückgedrängt; richterrechtliche Rechtsschöpfung bleibt jedoch im Bereich des Gesellschaftsrechts weiterhin möglich.6 Zudem gilt das case law subsidiär

1 Vgl Ebert/Levedag, in: Süß/Wachter, Hdb. Int. GmbH-Recht, Länderbericht England, Rn. 32 und 70. 2 Vgl. Ebert/Levedag, in: Süß/Wachter, Hdb. Int. GmbH-Recht, Länderbericht England, Rn. 30; Rehm, in: Eidenmüller, Ausländische Kapitalgesellschaften, § 10, Rn. 7. 3 Vgl. Ebert/Levedag, in: Süß/Wachter, Hdb. Int. GmbH-Recht, Länderbericht England, Rn. 32; Rehm, in: Eidenmüller, Ausländische Kapitalgesellschaften, § 10, Rn. 7. 4 Vgl. Ebert/Levedag, in: Süß/Wachter, Hdb. Int. GmbH-Recht, Länderbericht England, Rn. 34; Witt, ZGR 2009, 872 (886 ff.). 5 Vgl. Süß, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 47, Rn. 185; Torwegge, GmbHR 2007, 195 (195). 6 Vgl. Ebert/Levedag, in: Süß/Wachter, Hdb. Int. GmbH-Recht, Länderbericht England, Rn. 34; Süß, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 47, Rn. 188.

§ 8 Grenzübschreitende Formwechsel nach englischem Recht

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fort und kann auch unter Geltung des CA 2006 zur Schließung von Gesetzeslücken herangezogen werden.7 1. Internationales Gesellschaftsrecht Das englische Gesellschaftskollisionsrecht folgt der Gründungstheorie in Gestalt der Inkorporationstheorie.8 Es knüpft zur Bestimmung der lex societatis einer Gesellschaft an deren Gründungsort an.9 Durch den Inkorporationsakt begründet eine Gesellschaft in der jeweiligen Jurisdiktion ihr domicile.10 Nach der Gründung der Gesellschaft ist das domicile nicht mehr wandelbar.11 Der Gründungsvorgang als zur Bestimmung des Gesellschaftsstatuts maßgeblicher Anknüpfungspunkt kann nicht beliebig oft wiederholt werden.12 Im Gegensatz zu natürlichen Personen können Gesellschaften ein domicile of choice nicht begründen, sondern sind während ihrer gesamten Existenz an das domicile of origin gebunden.13 Rechtspolitischer Hintergrund der Unwandelbarkeit des domicile ist die von einem Wechsel der lex societatis ausgehende Gefährdung von Gesellschaftsgläubigern und Anteilsinhabern.14 Im Gegensatz zum domicile begründet die Hauptverwaltung (central management and control) die residence einer Gesellschaft.15 Die residence vermag durch Verlegung des Tätigkeitsortes der Geschäftsleitung zwar geändert werden. Anders als das domicile hat die residence jedoch keinerlei Auswir-

7

Vgl. Süß, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 47, Rn. 188. Vgl. Eidenmüller, in: Eidenmüller, Ausländische Kapitalgesellschaften, § 1, Rn. 3; Gillessen, Sitzverlegung, 2000, S. 179; Hoffmann, ZVglRW 101 (2002), 283 (290 ff.); Ebert/Levedag, in: Süß/Wachter, Hdb. Int. GmbH-Recht, Länderbericht England, Rn. 611; Mucciarelli, TJICL 2012, 421 (429), Fn. 16; Müller-Driver, Restrukturierungen, 2002, S. 134 ff.; Ringe, Sitzverlegung, 2006, S. 21 ff.; Smart, JBL 1990, 126 (126); Süß, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 47, Rn. 161. 9 Vgl. Bank of Ethiopia v. National Bank of Egypt [1937] Ch. 513; Banco di Bilbao v. Sancha [1938] 2 KB 176; Carl Zeiss Stiftung v. Rayner & Keeler Ltd. (No. 3) [1970] Ch. 506; Gillessen, Sitzverlegung, 2000, S. 179; Hoffmann, ZVglRW 101 (2002), 283 (290); Mucciarelli, TJICL 2012, 421 (429), Fn. 16; Ringe, Sitzverlegung, 2006, S. 21; Smart, JBL 1990, 126 (126); Vermeylen/Vande Velde, ECBMR, Kap. 17, Rn. 17.141. 10 Vgl. Ringe, Sitzverlegung, 2006, S. 21; Smart, JBL 1990, 126 (129); Süß, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 47, Rn. 161. 11 Vgl. Gillessen, Sitzverlegung, 2000, S. 234; Müller-Driver, Restrukturierungen, 2002, S. 135; Rajak, ZGR 1999, 111 (112); Ringe, Sitzverlegung, 2006, S. 21 f.; Smart, JBL 1990, 126 (134), Fn. 47; Süß, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 47, Rn. 161; Wasmeier, Umstrukturierung, 2014, S. 68. 12 Vgl. Gillessen, Sitzverlegung, 2000, S. 179; Müller-Driver, Restrukturierungen, 2002, S. 134 f.; Ringe, Sitzverlegung, 2006, S. 23. 13 Vgl. Hoffmann, ZVglRW 101 (2002), 283 (288 f.). 14 Vgl. Gillessen, Sitzverlegung, 2000, S. 180; Ringe, Sitzverlegung, 2006, S. 21. 15 Vgl. Ringe, Sitzverlegung, 2006, S. 21, Fn. 36. 8

300

Kapitel 4: Rechtsvergleich und Ausblick

kung auf das Gesellschaftsstatut.16 Die englische Jurisdiktion verleiht einem Personenverband nach Einhaltung der Gründungsformalitäten Rechtsfähigkeit und unterstellt ihn fortan englischem Recht unabhängig davon, an welchem Ort er seine geschäftlichen Aktivitäten entfaltet.17 Umgekehrt erkennt das englische Recht ausländische Gesellschaften, welche Geschäfte in England betreiben, als foreign companies an und unterstellt deren gesellschaftsinterne Rechtsverhältnisse dem Recht desjenigen Staates, in welchem sie gegründet wurden.18 Ebenso wenig wie die residence hat der Satzungssitz der Gesellschaft (registered office) kollisionsrechtliche Bedeutung. Entgegen einem verbreiteten Missverständnis stellt das englische Internationale Gesellschaftsrecht nicht auf den statuarischen Sitz einer Gesellschaft ab.19 Das registered office dient lediglich als Zustelladresse der Gesellschaft (sec. 86 CA 2006) und bestimmt die Zuständigkeit der Gerichte sowie der staatlichen Kontrollund Aufsichtsbehörden, deren Tätigkeit im System des englischen Gesellschaftsrechts besondere Bedeutung zukommt. 20 Das registered office kann gemäß secs. 87 f. CA 2006 innerhalb der Jurisdiktion verlegt werden, in welcher die Gesellschaft gegründet wurde. Die Verlegung des registered office in eine andere Jurisdiktion des Vereinigten Königreichs ist allerdings ebenso unmöglich wie die Verlegung ins europäische oder außereuropäische Ausland.21 Demnach ist der Satzungssitz einer Gesellschaft fest mit deren domicile verbunden.22 Da es einer im Vereinigten Königreich gegründeten Gesellschaft versagt ist, ihr registered office aus der Jurisdiktion ihrer Gründung heraus zu verlagern, erlaubt die statuarische Angabe des registered office einen Rückschluss auf das domicile der Gesellschaft.23 Selbst wenn eine Verlegung des registered office ins Ausland sachrechtlich möglich wäre, bliebe

16

Vgl. Ringe, Sitzverlegung, 2006, S. 21. Vgl. Ebert/Levedag, in: Süß/Wachter, Hdb. Int. GmbH-Recht, Länderbericht England, Rn. 611; Vermeylen/Vande Velde, ECBMR, Kap. 17, Rn. 17.141. 18 Vgl. Gower/Davies, Company Law, Pt. 1, Rn. 6-2. 19 Vgl. Ringe, Sitzverlegung, 2006, S. 23 20 Vgl. Ebert/Levedag, in: Süß/Wachter, Hdb. Int. GmbH-Recht, Länderbericht England, Rn. 612; Habersack/Verse, Europ. GesR, § 3, Rn. 14; Kindler, in: MünchKommBGB, Bd. 11, IntGesR, Rn. 369; Rehm, in: Eidenmüller, Ausländische Kapitalgesellschaften, § 10, Rn. 72 ff. 21 Vgl. Ebert/Levedag, in: Süß/Wachter, Hdb. Int. GmbH-Recht, Länderbericht England, Rn. 612; Gower/Davies, Company Law, Pt. 1, Rn. 6-18; Mucciarelli, TJICL 2012, 421 (429); Ringe, Sitzverlegung, 2006, S. 23; Stiegler, Rechtsformwechsel, 2013, S. 40; Vermeylen/Vande Velde, ECBMR, Kap. 17, Rn. 17.146. 22 Vgl. Müller-Driver, Restrukturierungen, 2002, S. 135. 23 Diesen Aspekt haben offenbar Gower/Davies, Company Law, Pt. 1, Rn. 6-17 im Sinn, denen zufolge das Gesellschaftsstatut von der „jurisdictional location of the company’s registered office“ bestimmt wird. 17

§ 8 Grenzübschreitende Formwechsel nach englischem Recht

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sie kollisionsrechtlich unbeachtlich, weil das domicile einer Gesellschaft den connecting factor des englischen Gesellschaftskollisionsrechts darstellt.24 Da das domicile einer Gesellschaft nach englischem Verständnis nicht wandelbar ist, findet auf eine Gesellschaft stets das Recht desjenigen Staates Anwendung, in welchem die Gesellschaft gegründet wurde.25 Ein Statutenwechsel einer englischen Gesellschaft ist de lege lata ebenso wenig möglich wie der statutenwechselnde Zuzug einer ausländischen Gesellschaft nach England.26 Zwar wird die Möglichkeit eines Statutenwechsels in Fachkreisen unter dem Stichwort der reincorporation seit geraumer Zeit diskutiert.27 Im Fallrecht hat der Statutenwechsel einer Gesellschaft allerdings bislang keine Anerkennung erfahren.28 Diese Rechtspraxis ist mit dem Unionsrecht freilich nicht zu vereinbaren.29 Es wurde bereits dargelegt, dass Gesellschaften im Anwendungsbereich der Art. 49 ff. AEUV ein Recht auf grenzüberschreitenden Formwechsel zusteht, sofern der Umwandlungsvorgang mit einem tatbestandsmäßigen Niederlassungsvorgang im Aufnahmestaat einhergeht und das Recht des Aufnahmestaates den beabsichtigten Umwandlungsvorgang zumindest im innerstaatlichen Kontext zulässt (vgl. § 4 IV. 2.). Voraussetzung eines jeden grenzüberschreitenden Formwechsels ist, dass beide betroffenen Mitgliedstaaten die Möglichkeit eines Statutenwechsels anerkennen. Das Konzept eines Statutenwechsels ist dem englischen Gesellschaftskollisionsrecht jedoch fremd. Da dieses das Gesellschaftsstatut unwandelbar an den Inkorporationsort anknüpft, verweigert es Gesellschaften identitätswahrende Formwechsel ohne

24

Vgl. W.-H. Roth, FS Heldrich, 2005, 973 (988); siehe zur Inkorporationstheorie italienischer Prägung auch Mucciarelli, ECFR 2005, 512 (521). 25 Vgl. Hoffmann, ZVglRW 101 (2002), 283 (290); Müller-Driver, Restrukturierungen, 2002, S. 136; Ringe, Sitzverlegung, 2006, S. 21 ff.; W.-H. Roth, FS Heldrich, 2005, 973 (988); Schön, ZGR 2013, 333 (357); Vermeylen/Vande Velde, ECBMR, Kap. 17, Rn. 17.141, Fn. 176; Wasmeier, Umstrukturierung, 2014, S. 69. 26 Vgl. Gillessen, Sitzverlegung, 2000, S. 234 und 294; Gower/Davies, Company Law, Pt. 1, Rn. 6-18; Hoffmann, ZVglRW 101 (2002), 283 (289); Mucciarelli, TJICL 2012, 421 (429), Fn. 16; Müller-Driver, Restrukturierungen, 2002, S. 134; Ringe, Sitzverlegung, 2006, S. 23; W.-H. Roth, FS Heldrich, 2005, 973 (988); Smart, JBL 1990, 126 (133 f.); Vermeylen/Vande Velde, ECBMR, Kap. 17, Rn. 17.141 f.; Wasmeier, Umstrukturierung, 2014, S. 68. 27 Vgl. Gillessen, Sitzverlegung, 2000, S. 196 ff.; Hoffmann, ZVglRW 101 (2002), 283 (291); Smart, JBL 1990, 126 (133 ff.); siehe zum Begriff der „reincorporation“ auch Mucciarelli, TJICL 2012, 421 (423 ff.). 28 Vgl. Hoffmann, ZVglRW 101 (2002), 283 (291); Smart, JBL 1990, 126 (136). 29 Vgl. Gillessen, Sitzverlegung, 2000, S. 295; W.-H. Roth, FS Heldrich, 2005, 973 (988); Vermeylen/Vande Velde, ECBMR, Kap. 17, Rn. 17.143 und 17.146; offenbar auch Mörsdorf, EuZW 2009, 97 (100).

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Kapitel 4: Rechtsvergleich und Ausblick

Zwang zur Auflösung und Neugründung.30 Einerseits werden englische Gesellschaften durch die Inkorporationstheorie englischer Prägung quasi „eingemauert“.31 Andererseits verweigert das englische Recht EU-ausländischen Gesellschaften einen identitätswahrenden Zuzug. Das Unionsrecht gebietet den Mitgliedstaaten jedoch, den statutenwechselnden Zuzug und Wegzug von Gesellschaften im Rahmen der durch die Niederlassungsfreiheit eröffneten Umwandlungsmöglichkeiten zuzulassen. Im Anwendungsbereich der Art. 49 ff. AEUV muss der Statutenwechsel einer Gesellschaft kollisionsrechtlich möglich sein. Der englische Gesetzgeber könnte freilich durch statuarisches Recht –etwa in Umsetzung einer Sitzverlegungsrichtlinie – Gesellschaften die Möglichkeit eines identitätswahrenden Statutenwechsels eröffnen.32 Bis dahin müssen jedoch englische Gerichte und Behörden das Gesellschaftskollisionsrecht in einer Art und Weise anwenden, welche die Niederlassungsfreiheit englischer sowie EU-ausländischer Gesellschaften hinreichend berücksichtigt. Grenzüberschreitende Formwechsel dürfen nicht unter Berufung auf die Unwandelbarkeit des Gesellschaftsstatuts nach der Inkorporationstheorie vereitelt werden. Die darin zum Ausdruck kommende Beschränkung der Niederlassungsfreiheit wäre unionsrechtlich nicht zu rechtfertigen. Während die Sitztheorie im Anwendungsbereich der Art. 49 ff. AEUV in Fällen der statutenwahrenden Sitzverlegung nur eingeschränkt angewendet werden kann (vgl. § 4 III. 2.), muss die Gründungstheorie (in der Ausprägung der Inkorporationstheorie) in Fällen der statutenwechselnden Sitzverlegung modifiziert werden. 2. Verbreitete Rechtsformen Wie das deutsche Recht unterscheidet das englische Gesellschaftsrecht zwischen Personengesellschaften (partnerships) und Kapitalgesellschaften (companies).33 Das Recht der Personengesellschaften ist im Partnership Act 1890 (PA 1890), im Limited Partnerships Act 1907 (LPA 1907) sowie im Limited Liability Partnerships Act 2002 (LLPA 2000) geregelt. Gesetzliche Grundlage des Kapitalgesellschaftsrechts ist im Wesentlichen der CA 2006. Daneben kommt den Regelungen des IA 1986 nennenswerte Bedeutung zu.

30

Vgl. Mörsdorf, EuZW 2009, 97 (100); Mörsdorf, CMLR 2012, 629 (640); Schön, ZGR 2013, 333 (357). 31 Vgl. W.-H. Roth, FS Heldrich, 2005, 973 (988); Mörsdorf, EuZW 2009, 97 (100). 32 Vgl. Hoffmann, ZVglRW 101 (2002), 283 (291 f.); Müller-Driver, Restrukturierungen, 2002, S. 136. 33 Genau genommen kennt das englische Recht neben den companies auch chartered and statutory corporations, welchen in der Rechtspraxis jedoch keine nennenswerte Bedeutung zukommt.

§ 8 Grenzübschreitende Formwechsel nach englischem Recht

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a) Kapitalgesellschaften (companies) Im Gegensatz zu partnerships erlangen companies durch ihre Registrierung eigenständige Rechtspersönlichkeit (body corporate).34 Sie sind Träger des Gesellschaftsvermögens, rechtlich von der Existenz und Person der Anteilsinhaber (members) unabhängig und können im eigenen Namen klagen und verklagt werden.35 Eine company entsteht gemäß sec. 16 CA 2006 durch Registrierung beim registrar of companies (im Folgenden: registrar). Dessen Zuständigkeit richtet sich danach, wo die Gesellschaftsgründer das registered office der company begründen möchten (sec. 9 (6) CA 2006). Der für die englische Jurisdiktion zuständige registrar hat sein Büro im walisischen Cardiff.36 Sofern der registrar davon überzeugt ist, dass die Gründungsvoraussetzungen erfüllt sind, trägt er die company ins Gesellschaftsregister (register) ein (sec. 14 CA 2006). Der Gesellschaft wird eine Registernummer (registered number) zugeteilt (sec. 1066 CA 2006) und eine Gründungsbescheinigung (certificate of incorporation) ausgestellt, welche unwiderleglich Beweis für die wirksame Gründung der company erbringt (sec. 15 (4) CA 2006). Die Typenvielfalt englischer Kapitalgesellschaften ist im Vergleich zum deutschen Recht enorm. Das Spektrum der verschiedenen Rechtsformen der companies lässt sich anhand der Kriterien der Gesellschafterhaftung sowie der Art und Weise der Kapitalaufbringung systematisieren (vgl. secs. 3 f. CA 2006). Neben unlimited companies unterscheidet das englische Recht companies limited by shares sowie companies limited by guarantee (sec. 3 CA 2006). Obwohl unlimited companies eigenständige Rechtspersönlichkeit besitzen, haften die Anteilsinhaber gemäß sec. 3 (4) CA 2006 unbegrenzt für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft. In der Praxis haben diese Gesellschaften keine nennenswerte Verbreitung gefunden.37 Da Ihnen ein rechtstypologisch vergleichbares deutschen Pendant fehlt, können sie de lege lata keinen grenzüberschreitenden Formwechsel in eine Rechtsform deutschen Rechts vornehmen (vgl. § 7 IV. 1. a)). Companies limited by guarantee haben kein Gesellschaftskapital. Stattdessen verpflichten sich die Anteilsinhaber gemäß sec. 3 (3) CA 2006, im Falle der Abwicklung einen bestimmten Betrag in das Gesellschaftsvermögen einzuzahlen. Als Alternative zum trust bedient man sich ihrer vorwiegend zu karikativen und erzieherischen Zwecken.38 Auf34 Vgl. Ebert/Levedag, in: Süß/Wachter, Hdb. Int. GmbH-Recht, land, Rn. 9. 35 Vgl. Ebert/Levedag, in: Süß/Wachter, Hdb. Int. GmbH-Recht, land, Rn. 9. 36 Vgl. Süß, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 47, Rn. 156. 37 Vgl. Ebert/Levedag, in: Süß/Wachter, Hdb. Int. GmbH-Recht, land, Rn. 15. 38 Vgl. Ebert/Levedag, in: Süß/Wachter, Hdb. Int. GmbH-Recht, land, Rn. 15; Süß, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 47, Rn. 152.

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grund der wirtschaftlichen Zielsetzung und des sachlichen Anwendungsbereichs der Niederlassungsfreiheit (vgl. § 3 II. 1.) werden companies limited by guarantee im Folgenden nicht näher behandelt. Die Anteilsinhaber einer company limited by shares sind demgegenüber zur Einzahlung desjenigen Betrages in das Gesellschaftsvermögen verpflichtet, welchen sie gesellschaftsvertraglich zugesagt haben (sec. 3 (2) CA 2006). Sie stellt die mit Abstand weitverbreitetsten Rechtsformen im Vereinigten Königreich dar.39 Im Hinblick auf die Kapitalaufbringung lassen sich die public company limited by shares (Plc.) und die private company limited by shares (Ltd.) unterscheiden. Public companies limited by shares sind Kapitalgesellschaften mit einem Gesellschaftskapital, welches mindestens 50.000 britische Pfund beziehungsweise 65.000 Euro betragen muss (sec. 763 CA 2006). Hiervon muss gemäß sec. 586 (1) CA 2006 mindestens ein Viertel einbezahlt werden. Lediglich public companies dürfen ihre Anteile öffentlich anbieten und können börsennotiert sein (listed companies).40 Die sekundärrechtlichen Richtlinien, welche „Aktiengesellschaften“ betreffen, gelten lediglich für public companies, nicht hingegen für private companies.41 Die Plc. ist aufgrund ihrer Rechtsnatur mit der AG vergleichbar. Dementsprechend kann die „AG“ als Systembegriff einer umwandlungsrechtlichen Ausgangsnorm grundsätzlich durch den Substitutionsbegriff der public company limited by shares substituiert werden (vgl. § 5 II. 2. b)). Letztlich entscheidend ist freilich stets die ratio legis der jeweiligen Ausgangsnorm. Festzuhalten ist jedoch, dass einer Plc. grundsätzlich die Möglichkeit offensteht, im Wege eines grenzüberschreitenden Formwechsels eine deutsche Rechtsform anzunehmen. Sofern eine company limited by shares nicht als public company registriert ist, handelt es sich um eine Ltd. (sec. 4 (1) CA 2006). Im Gegensatz zur Plc. bedarf es zur Gründung einer Ltd. nicht der Einzahlung eines Gesellschaftskapitals in bestimmter Höhe. Gemäß sec. 10 (4) CA 2006 genügt es, wenn nach Nennbeträgen bezifferte Geschäftsanteile an die Gesellschafter ausgegeben werden. Der Ltd. ist es im Unterschied zur Plc. durch sec. 755 (1) CA 2006 untersagt, ihre Anteile öffentlich anzubieten. Soweit das sekundäre Unionsrecht Regelungen für „Gesellschaften mit beschränkter Haftung“ trifft, gelten diese für die GmbH und die englische Ltd. gleichermaßen.42 Ihrer Rechtsnatur nach ähnelt die Ltd. der GmbH. Dementsprechend vermag die Ltd. die „GmbH“ als Systembegriff einer umwandlungsrechtlichen Aus39

Vgl. Ebert/Levedag, in: Süß/Wachter, Hdb. Int. GmbH-Recht, Länderbericht England, Rn. 26; Süß, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 47, Rn. 154. 40 Vgl. Ebert/Levedag, in: Süß/Wachter, Hdb. Int. GmbH-Recht, Länderbericht England, Rn. 20; Rehm, in: Eidenmüller, Ausländische Kapitalgesellschaften, § 10, Rn. 8. 41 Vgl. Ebert/Levedag, in: Süß/Wachter, Hdb. Int. GmbH-Recht, Länderbericht England, Rn. 42; Süß, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 47, Rn. 262. 42 Vgl. Süß, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 47, Rn. 262.

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gangsnorm grundsätzlich zu substituieren (vgl. § 5 II. 2. b)). Das Niveau der unionsrechtlichen Harmonisierung ist allerdings bei weitem nicht so hoch wie bei den „Aktiengesellschaften“, sodass stets anhand der ratio legis der jeweiligen Ausgangsnorm sorgfältig zu prüfen ist, ob eine Substitution in Betracht kommt. Festzuhalten ist jedoch, dass der Ltd. grundsätzlich die Möglichkeit eröffnet ist, sich formwechselnd in eine deutsche Rechtsform umzuwandeln. b) Personengesellschaften (partnerships) Grundform der englischen Personengesellschaften ist die partnership. In dieser Rechtsform können sich natürliche wie juristische Personen auf der Grundlage eines Gesellschaftsvertrages (partnership agreement) zur Verfolgung eines Gewerbes (business) oder einer beruflichen Tätigkeit (profession) mit Gewinnerzielungsabsicht zusammenschließen (secs. 1, 45 PA 1890). Die Gesellschafter (partners) teilen sich die Gewinne und haften gemäß sec. 9 PA 1890 für die Verbindlichkeiten der partnership gemeinsam (jointly) und unbeschränkt persönlich neben der Gesellschaft. 43 Die partnership entspricht daher rechtstypologisch einer GbR beziehungsweise OHG. Dementsprechend vermag die partnership die „GbR“ beziehungsweise „OHG“ als Systembegriff einer umwandlungsrechtlichen Ausgangsnorm zu substituieren, sofern die ratio legis der jeweiligen Ausgangsnorm nicht entgegensteht (vgl. § 5 II. 2. b)). Der partnership steht damit grundsätzlich die Möglichkeit offen, formwechselnd die Rechtsform einer deutschen Gesellschaft anzunehmen. Während bei der partnership sämtliche Gesellschafter unbeschränkt für Gesellschaftsverbindlichkeiten haften, handelt es sich bei der limited partnership um eine Personengesellschaft mit einer lediglich beschränkt haftenden Gesellschafterklasse. 44 Neben den unbeschränkt persönlich haftenden general partners sind an der Gesellschaft limited partners beteiligt, welche gemäß sec. 4 (2) LPA 1907 nur mit ihrer Hafteinlage für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft einzustehen haben. Voraussetzung der Haftungsbeschränkung der limited partners ist, dass diese die gesellschaftsvertraglich vereinbarte Einlage ins Vermögen der Gesellschaft einbringen und die limited partnership als solche beim registrar registriert wird (sec. 5 LPA 1907). Wie die Kommanditisten der KG sind die limited partners gemäß sec. 6 (1) LPA 1907 nicht geschäftsführungsberechtigt und vertretungsbefugt. Die Parallele der Rechtsstellung von Kommanditisten und limited partners hinsichtlich persönlicher Haftung für Gesellschaftsverbindlichkeiten sowie Geschäftsführungsbefugnis und Vertretungsmacht zeigt, dass die limited partnership rechtstypologisch der KG entspricht. Dementsprechend vermag die 43 Vgl. Ebert/Levedag, in: Süß/Wachter, Hdb. Int. GmbH-Recht, Länderbericht England, Rn. 3; Süß, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 47, Rn. 168. 44 Vgl. Ebert/Levedag, in: Süß/Wachter, Hdb. Int. GmbH-Recht, Länderbericht England, Rn. 4; Süß, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 47, Rn. 171.

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limited partnership die „KG“ als Systembegriff einer umwandlungsrechtlichen Ausgangsnorm zu substituieren (vgl. § 5 II. 2. b)). Einer limited partnership ist es daher grundsätzlich möglich, im Wege eines grenzüberschreitenden Formwechsels eine Rechtsform deutschen Rechts anzunehmen. Im deutschen Recht findet sich demgegenüber kein rechtstypologisch vergleichbares Pendant zur Limited Liability Partnership (LLP). Bei der LLP handelt es sich um eine hybride Rechtsform, welche rechtliche Eigenschaften sowohl von partnerships als auch von companies vereint. Wie eine company hat die LLP gemäß sec. 1 (2) LLPA 2000 eigene Rechtspersönlichkeit (body corporate) und entsteht durch konstitutive Registereintragung (sec. 3 LLPA 2000). Sie ist ferner vom Bestand und Wechsel ihrer Mitglieder unabhängig und schirmt die Gesellschafter vor Haftungsrisiken ab.45 Für Verbindlichkeiten haftet den Gesellschaftsgläubigern grundsätzlich ausschließlich die LLP mit dem Gesellschaftsvermögen, während eine persönliche Haftung des jeweils für die Gesellschaft handelnden member nur in besonderen Fällen besteht.46 Andererseits weist die LLP typische Merkmale einer partnership auf, etwa das Prinzip der Selbstorganschaft.47 Eine rechtstypologisch vergleichbare Rechtsform deutschen Rechts existiert nicht. Am ehesten ließe sich wohl eine Parallele zur Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung ziehen. Diese verfügt jedoch nicht über eine körperschaftliche Struktur, welche die LLP in besonderem Maße kennzeichnet. Die LLP englischen Rechts ist daher de lege lata nicht berechtigt, im Wege eines grenzüberschreitenden Formwechsels eine Rechtsform deutschen Rechts anzunehmen. 3. Umwandlungsrecht Das englische Recht enthält bislang keine gesetzlichen Regelungen für grenzüberschreitende Formwechsel.48 Vor dem Hintergrund der Unwandelbarkeit des Gesellschaftsstatuts nach der Inkorporationstheorie englischer Prägung ist dies zwar konsequent. Dass die Rechtsfolgen des englischen Gesellschaftskollisionsrechts mit der Niederlassungsfreiheit englischer sowie EU-ausländischer Gesellschaften nicht in Einklang zu bringen sind, wurde jedoch bereits dargelegt (vgl. § 8 II. 1.). Aufgrund der unionsrechtlichen Vorgaben ist indessen die Frage aufgeworfen, welche sachrechtlichen Regelungen des englischen Rechts zur Bewältigung grenzüberschreitender Umwandlungen herangezogen werden können. Das englische Kapitalgesellschaftsrecht kennt mit dem Rechtsinstitut der re-registration ein Umwand45

Süß, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 47, Rn. 177. Vgl. Süß, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 47, Rn. 181. 47 Vgl. Ebert/Levedag, in: Süß/Wachter, Hdb. Int. GmbH-Recht, Länderbericht England, Rn. 5; Süß, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 47, Rn. 177. 48 Vgl. Vermeylen/Vande Velde, ECBMR, Kap. 17, Rn. 17.04. 46

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lungsverfahren, welches Ähnlichkeiten mit einem Formwechsel deutschen Rechts aufweist. Obgleich zwischen den Regelungen der §§ 190 ff. UmwG und der secs. 89 ff. CA 2006 signifikante Unterschiede bestehen, ist eine entsprechende Anwendung der Vorschriften zur Bewältigung grenzüberschreitender Formwechsel in Erwägung zu ziehen.49 Überdies hat der englische Gesetzgeber materiellrechtliche Regelungen sowohl für grenzüberschreitende Verschmelzungen als auch für die Sitzverlegung der SE geschaffen. a) Neueintragung von Kapitalgesellschaften (re-registration) Das englische Kapitalgesellschaftsrecht enthält in secs. 89 ff. CA 2006 detaillierte Regelungen für die Neueintragung von companies (re-registration). Dabei handelt es sich um ein Verfahren, welches es einer company ermöglicht, identitätswahrend eine andere Gesellschaftsform anzunehmen. Im Unterschied zum Formwechsel deutschen Rechts ist die re-registration jedoch lediglich zwischen den Rechtsformen der companies untereinander möglich. Eine Ltd. kann gleichermaßen in eine Plc. umgewandelt werden wie eine unlimited company in eine limited company und umgekehrt. Der Wechsel in die Rechtsform einer partnership ist demgegenüber genauso wenig möglich wie der Wechsel einer partnership in die Rechtsform einer company oder einer partnership anderer Rechtsform. Zwar erfolgt die re-registration identitätswahrend. 50 Die Parallele zum deutschen Formwechsel passt allerdings nicht ganz, weil nach englischem Verständnis sämtliche Formen der company Ausprägungen der einheitlichen Rechtsform der Kapitalgesellschaft sind und der Wechsel der Rechtsform zwischen companies und partnerships rechtlich nicht möglich ist.51 Nennenswerte praktische Relevanz hat zudem lediglich die re-registration der Ltd. als Plc., welche das typische rechtliche Instrument zur „Gründung“ einer public company darstellt.52 b) Grenzüberschreitende Umwandlungen Die Internationale Verschmelzungsrichtlinie wurde im Vereinigten Königreich durch die Companies (Cross-Border Mergers) Regulations 2007 49

Dagegen Gillessen, Sitzverlegung, 2000, S. 239 ff. und 303 ff., der eine entsprechende Anwendung nicht für sachgerecht hält und stattdessen vorschlägt, sich an den Regelungen über arrangements and reconstructions gemäß secs. 895 ff. CA 2006 zu orientieren. Legt man die neuere Rechtsprechung des EuGH zugrunde, scheint eine Orientierung an den Vorschriften der secs. 89 ff. CA 2006 jedoch naheliegender. 50 Vgl. Hannigan, Company Law, Pt. 1, Rn. 1-53; Morse, Palmer’s Company Law, 123. EL (2009), Pt. 2, Rn. 2.211; Rehm, in: Eidenmüller, Ausländische Kapitalgesellschaften, § 10, Rn. 9 f. 51 Vgl. Ebert/Levedag, in: Süß/Wachter, Hdb. Int. GmbH-Recht, Länderbericht England, Rn. 448; Süß, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 47, Rn. 160. 52 Vgl. Gower/Davies, Company Law, Pt. 1, Rn. 4-48.

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(CCBMR 2007) umgesetzt. Sie enthalten den gesetzlichen Rahmen für grenzüberschreitende Verschmelzungen unter Beteiligung englischer Gesellschaften. Anders als im deutschen Recht haben grenzüberschreitende Verschmelzungen durch die CCBMR 2007 eine eigenständige gesetzliche Regelung erfahren, welche keinen Bezug auf die Regelungen über innerstaatliche Verschmelzungen nimmt.53 Über den Anwendungsbereich der Internationalen Verschmelzungsrichtlinie hinausgehend erfassen die CCBMR 2007 nicht nur limited companies, sondern sämtliche companies im Sinne von sec. 1 CA 2006 mit Ausnahme der companies limited by guarantee (reg. 3 (1) CCBMR 2007). Auf partnerships finden die Regelungen demgegenüber keine Anwendung. Ergänzend zur SE-VO finden auf „englische SE“ die European Public Limited-Liability Company Regulations (EPLLCR 2004) Anwendung. Diese ergänzen unter anderem die Regelungen der SE-VO über die grenzüberschreitende Sitzverlegung der SE. Zur Durchführung grenzüberschreitender Formwechsel englischer Gesellschaften beziehungsweise EU-ausländischer Gesellschaften in eine englische Rechtsform hat man sich nach Einschätzung englischer Autoren an dem Sitzverlegungsverfahren der SE zu orientieren.54 III. Herausformwechsel englischer Gesellschaften Die Vornahme eines grenzüberschreitenden Formwechsels kann für englische Gesellschaften aus vielerlei Gründen attraktiv sein. Eine aus deutscher Perspektive besonders naheliegende Konstellation ist der Formwechsel einer Ltd. mit effektivem Verwaltungssitz in Deutschland in eine deutsche Rechtsform. In der Rechtspraxis ist vermehrt der Wunsch zu beobachten, die Rechtsform der Ltd. durch eine deutsche Rechtsform zu ersetzen, sei es weil der Verwaltungsaufwand der Ltd. unterschätzt wurde, gesellschaftsrechtliche Rechtsstreitigkeiten vor englischen Gerichten ausgetragen werden müssen, der Ltd. in Deutschland nach wie vor ein zweifelhafter Ruf zuteil wird, kompetente Rechtsberatung für eine deutsche Rechtsform in Deutschland einfacher und günstiger zu erlangen ist, oder zunehmend deutlich wird, dass sich die Gesellschaftsgründer dem deutschen Steuerrecht, Strafrecht, Gewerberecht und Insolvenzrecht auch durch die Wahl einer EU-ausländischen Rechtsform nicht zu entziehen vermögen.55 Dass EU-ausländische Briefkastengesellschaften in Anbetracht der jüngsten Rechtsprechung des EuGH zudem dem Damoklesschwert der Wechselbalgtheorie ausgesetzt sind, wurde bereits dargelegt (vgl. § 4 II. 2. b)). Vor diesem Hintergrund ist es unerlässlich, dass das englische Recht eine rechtssichere Durchführung grenzüberschreitender Formwechsel gewährleistet. Angesichts der Beschränkung der Möglichkeit 53

Vgl. Vermeylen/Vande Velde, ECBMR, Kap. 17, Rn. 17.25. Vgl. Vermeylen/Vande Velde, ECBMR, Kap. 17, Rn. 17.143 und 17.147. 55 Vgl. Just, Limited, Kap. XIII, Rn. 379; Verse, ZEuP 2013, 458 (480). 54

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der re-registration auf Kapitalgesellschaften und der Unterschiede der Regelungen über grenzüberschreitende Verschmelzungen und die Sitzverlegung der SE erscheint dies jedoch zweifelhaft. Im Folgenden wird dargelegt, welche Schutzmechanismen das englische Umwandlungsrecht zum Schutz vor formwechselspezifischen Gefährdungen von Gesellschaftsgläubigern und Anteilsinhabern bereithält und ob sich Herausformwechsel englischer Gesellschaften auf der Grundlage des materiellen Umwandlungsrechts praktisch durchführen lassen. 1. Umwandlungsrechtliche Schutzinstrumente Der Herausformwechsel einer englischen Gesellschaft birgt für Gesellschaftsgläubiger und Anteilsinhaber des formwechselnden Rechtsträgers vergleichbare Gefahren wie der Herausformwechsel deutscher Gesellschaften (vgl. § 6 II.). Vor diesem Hintergrund ist es unerlässlich, dass das – durch die kollisionsrechtliche Vereinigungstheorie zur Anwendung berufene – englische Recht wirksame Schutzinstrumente zugunsten von Gesellschaftsgläubigern und Anteilsinhabern bereithält. a) Maßnahmen zum Schutz der Gesellschaftsgläubiger Die Vorschriften der secs. 89 ff. CA 2006 über die re-registration von Kapitalgesellschaften enthalten keinerlei Regelungen zum Schutz der Gesellschaftsgläubiger. Die Bestimmung der sec. 105 (4) CA 2006, wonach eine unlimited company im Falle der re-registration als limited company künftig unter entsprechendem Rechtsformzusatz firmieren muss, entfaltet lediglich Schutzwirkung zugunsten von „Neugläubigern“. Vor dem Hintergrund der potentiellen Verschlechterung der Erfüllungsaussichten der „Altgläubiger“ durch diese spezifische Umwandlungskonstellation (vgl. § 6 II. 1. a)) erstaunt es zunächst, dass der CA 2006 insoweit keine Regelungen trifft. Der Schutz der Gesellschaftsgläubiger wird im englischen Recht jedoch vornehmlich durch insolvenzrechtliche Regelungen gewährleistet.56 Gemäß sec. 77 (2) IA 1986 bleiben die zum Zeitpunkt der re-registration an der Gesellschaft beteiligten Anteilsinhaber einstandspflichtig für Gesellschaftsverbindlichkeiten, wenn die Gesellschaft binnen drei Jahren nach Wirksamkeit der Umwandlung abgewickelt wird.57 Das Schutzkonzept des IA 1986 ist demnach mit der Nachhaftung persönlich haftender Gesellschafter gemäß § 224 UmwG vergleichbar. Sonstige Schutzinstrumente zugunsten von Gesellschaftsgläubigern existieren im Falle der re-registration einer company indessen nicht. Der Schutz der Gläubiger einer an einer grenzüberschreitenden Verschmelzung beteiligten englischen Gesellschaft wird durch regs. 11, 14 56 57

Vgl. Mucciarelli, TJICL 2012, 421 (456). Vgl. Gower/Davies, Company Law, Pt. 1, Rn. 4-45.

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CCBMR 2007 gewährleistet. Gemäß reg. 11 CCBMR 2007 vermag der High Court auf Antrag der Gesellschaft, eines Gesellschafters oder eines Gesellschaftsgläubigers eine Gläubigerversammlung einzuberufen, welche über die Durchführung der Umwandlung zu entscheiden hat. Sofern das Gericht eine Gläubigerversammlung anberaumt, muss die Verschmelzung gemäß reg. 14 CCBMR 2007 die Zustimmung einer Mehrheit der anwesenden oder zulässigerweise vertretenen Gesellschaftsgläubiger finden, welche zugleich 75 % des Gesamtbetrages der Gläubigerforderungen repräsentiert. Das Recht der Gesellschaftsgläubiger, die Einberufung einer Gläubigerversammlung zu verlangen, stellt ein wirkungsvolles Schutzinstrument dar. Die Gesellschaftsgläubiger werden in die Lage versetzt, die Umwandlung zu verhindern, sofern ihre Interessen durch die Verschmelzung beeinträchtigt werden. Die Gesellschaftsgläubiger sind freilich darauf angewiesen, dass sie Kenntnis von der geplanten Gläubigerversammlung erhalten.58 Dementsprechend muss der Ort und Zeitpunkt einer einberufenen Gläubigerversammlung gemäß reg. 12 (3)(4) CCBMR 2007 spätestens einen Monat vor der Durchführung der Versammlung öffentlich bekannt gemacht werden. Publizitätspflichtige Tatsachen und Vorgänge, welche in England eingetragene Gesellschaften betreffen, werden in der London Gazette veröffentlicht.59 Darüber hinausgehende Schutzmechanismen zugunsten von Gesellschaftsgläubigern sind in den CCBMR 2007 nicht vorgesehen. Insbesondere besteht im Gegensatz zum deutschen Recht kein Anspruch der Gesellschaftsgläubiger auf Sicherheitsleistung.60 Gemäß Art. 7 Abs. 1 SE-VO hat die SE im Vorfeld der Sitzverlegung in einen anderen Mitgliedstaat gegenüber der zuständigen Stelle des Herkunftsstaates den Nachweis zu erbringen, dass die Interessen der Gesellschaftsgläubiger angemessen geschützt sind. Dies erfolgt im Vereinigten Königreich gemäß reg. 72 EPLLCR 2004 durch eine dahingehende Erklärung der Mitglieder des geschäftsführenden Verwaltungsorgans der Gesellschaft (statement of solvency). Das statement of solvency muss gemäß reg. 72 (4) EPLLCR 2004 die Erklärung enthalten, dass die SE aufgrund ihrer finanziellen Situation in der Lage ist, ihr Geschäft im folgenden Jahr weiterzuführen sowie sämtliche Verbindlichkeiten zu erfüllen, welche im folgenden Jahr fällig werden.61 Das statement of solvency muss in einem Formblatt gegenüber dem registrar abgegeben werden.62 Wird die Erklärung abgegeben, ob58

Vgl. Vermeylen/Vande Velde, ECBMR, Kap. 17, Rn. 17.112. Ebert/Levedag, in: Süß/Wachter, Hdb. Int. GmbH-Recht, Länderbericht England, Rn. 38. 60 Vgl. Vermeylen/Vande Velde, ECBMR, Kap. 17, Rn. 17.120. 61 Vgl. Schröder, in: Manz/Mayer/Schröder, Europäische Aktiengesellschaft, Art. 8 SEVO, Rn. 181. 62 Schröder, in: Manz/Mayer/Schröder, Europäische Aktiengesellschaft, Art. 8 SE-VO, Rn. 181. 59

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wohl die wirtschaftlichen Verhältnisse der Gesellschaft dies nicht zulassen, machen sich die Mitglieder des geschäftsführenden Verwaltungsorgans strafbar (reg. 72 (7) EPLLCR 2004). Im Gegensatz zum deutschen Umwandlungsrecht, welches mit dem Anspruch auf Sicherheitsleistung ein im Ansatzpunkt gleichartiges Gläubigerschutzinstrument für innerstaatliche Formwechsel, grenzüberschreitende Verschmelzungen sowie die Sitzverlegung der SE statuiert, enthält das englische Umwandlungsrecht höchst unterschiedliche Schutzinstrumente zugunsten der Gesellschaftsgläubiger. Vor diesem Hintergrund ist unklar, welche Schutzvorkehrungen im Falle des Herausformwechsels einer englischen Gesellschaft Anwendung finden. Vermutlich würden englische Gerichte eine Nachhaftung der Anteilsinhaber des formwechselnden Rechtsträgers entsprechend sec. 77 IA 1986 bejahen, sofern infolge eines grenzüberschreitenden Formwechsels die persönliche Einstandspflicht eines Gesellschafters entfällt. Allerdings ist der Wegfall der persönlichen Gesellschafterhaftung nicht die einzige potentielle Ursache einer formwechselbedingten Verschlechterung der Erfüllungsaussichten von Gläubigerforderungen (vgl. § 6 II. 1.). Durch welche Schutzinstrumente den übrigen Risiken grenzüberschreitender Formwechsel für Gesellschaftsgläubiger Rechnung getragen werden soll, ist indessen ungewiss. Einerseits könnte man entsprechend der Rechtslage bei der Sitzverlegung der SE die Abgabe eines statement of solvency ausreichen lassen. Andererseits könnte man den Gesellschaftsgläubigern entsprechend regs. 11, 14 CCBMR 2007 ein Antragsrecht auf Einberufung einer Gläubigerversammlung zuerkennen. Unter dem Gesichtspunkt des Gläubigerschutzes wäre es zu begrüßen, wenn den Gesellschaftsgläubigern dieses wirksame Rechtsschutzinstrument zur Verfügung gestellt würde. Welchen Weg die Rechtspraxis einschlagen wird, ist jedoch nicht vorherzusehen. Eine gesetzliche Klarstellung ist daher dringend erforderlich. b) Maßnahmen zum Schutz der Anteilsinhaber Der Schutz der Anteilsinhaber vor der umwandlungsbedingten Gefährdung ihrer Interessen wird im englischen Recht wie im deutschen Recht zunächst dadurch gewährleistet, dass die Entscheidung über die Umwandlung einer Gesellschaft von den Anteilsinhabern getroffen werden muss. Die konkreten Mehrheitserfordernisse sind bei der re-registration von companies, der grenzüberschreitenden Verschmelzung englischer Gesellschaften sowie der Sitzverlegung einer „englischen SE“ allerdings unterschiedlich geregelt. Die re-registration zwischen limited companies – also der Formwechsel der Ltd. in die Rechtsform der Plc. und umgekehrt – erfordert die Verabschiedung einer special resolution der Anteilsinhaber (secs. 90 (1)(a), 97 (1)(a) CA 2006). Gemäß sec. 283 (1) CA 2006 bedeutet dies, dass der Umwandlungsbeschluss mit einer Drei-Viertel-Mehrheit der Anteilsinhaber

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gefasst werden muss. Der Gesellschaftsvertrag kann entsprechend sec. 22 (1) CA 2006 allerdings vorsehen, dass für die Änderung bestimmter Satzungsbestimmungen ein höheres Mehrheitserfordernis gilt oder zusätzliche Voraussetzungen erfüllt werden müssen (provision for entrenchment). Letztlich kann eine solche gesellschaftsvertragliche Regelung dazu führen, dass der Umwandlungsbeschluss einstimmig getroffen werden muss.63 Identische Mehrheitserfordernisse gelten bei der re-registration einer unlimited company als limited company (sec. 105 (1)(a) CA 2006). Im umgekehrten Fall der reregistration einer limited company als unlimited company gilt freilich ein strengeres Mehrheitserfordernis. Da die Anteilsinhaber mit Wirksamkeit der Umwandlung unbeschränkt persönlich für Gesellschaftsverbindlichkeiten haften, ist die Gefährdung der Anteilsinhaber bei dieser Form der reregistration am größten.64 Gemäß secs. 102 (1)(a), 109 (1)(a) CA 2006 müssen daher sämtliche Anteilsinhaber der Umwandlung zustimmen. Andere Schutzinstrumente zugunsten der Anteilsinhaber – etwa ein Recht, anlässlich der Umwandlung aus dem formwechselnden Rechtsträger gegen eine Abfindung auszuscheiden – sieht der CA 2006 in Fällen der reregistration grundsätzlich nicht vor. Lediglich für den Fall der re-registration einer Plc. als Ltd. enthält das englische Recht in sec. 98 CA 2006 einen zusätzlichen Schutzmechanismus. Sofern die Gesellschaftermehrheit im Wege einer special resolution für die Umwandlung votiert, steht Minderheitsgesellschaftern, welche das in sec. 98 (1) CA 2006 genannte Quorum erreichen, das Recht zu, binnen 28 Tagen nach der Gesellschafterversammlung die gerichtliche Aufhebung des Gesellschafterbeschlusses zu beantragen. Auf Antrag der Minderheitsgesellschafter hin muss das Gericht entscheiden, ob es die special resolution bestätigt oder aufhebt (sec. 98 (3) CA 2006). Die reregistration der Plc. in der Rechtsform der Ltd. darf nur durchgeführt werden, wenn das Gericht die special resolution nicht aufhebt (sec. 97 (2) CA 2006). Das Gericht ist gemäß sec. 98 (4)(5) CA 2006 in seiner Entscheidungsfindung gesetzlich nicht gebunden („order as the court thinks fit“). Das Gesetz enthält keinerlei Anhaltspunkte, welche konkreten Gesichtspunkte das Gericht bei seiner Entscheidung zu berücksichtigen hat.65 Es kann namentlich den Erwerb der Gesellschaftsanteile dissentierender Minderheitsgesellschafter durch den formwechselnden Rechtsträger vorsehen, verbunden mit einer entsprechenden Herabsetzung des Gesellschaftskapitals (sec. 98 (5)(b) CA 2006). Auf diesem Wege kann das Gericht Minderheitsgesellschaftern, welche die neue rechtliche Verfassung des Rechtsträgers grundsätzlich zu akzeptieren haben, letzt-

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Vgl. Süß, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 47, Rn. 220. Vgl. Gower/Davies, Company Law, Pt. 1, Rn. 4-43; Scanlan, Companies Act 2006, Pt. 2, Rn. 2.78. 65 Vgl. McLaughlin, Company Law, Pt. 4, S. 122. 64

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lich ein Austrittsrecht einräumen. 66 Begründet wird dieses zusätzliche Schutzinstrument im Falle der re-registration der Plc. als Ltd. damit, dass besondere Schutzmaßnahmen zugunsten der Anteilsinhaber erforderlich seien, weil diese durch die Umwandlung die Möglichkeit verlören, ihre Gesellschaftsanteile öffentlich zu veräußern.67 Ist eine englische Gesellschaft an einer grenzüberschreitenden Verschmelzung beteiligt, so muss gemäß reg. 13 (1) CCBMR 2007 eine Mehrheit der anwesenden beziehungsweise wirksam vertretenen Anteilsinhaber der Umwandlung zustimmen. Diese Anteilsinhaber müssen zugleich 75 % der Gesellschaftsanteile der Gesellschaft repräsentieren. Gleiches gilt gemäß den Art. 8 Abs. 6 S. 2, 59 Abs. 1 SE-VO i.V.m. sec. 283 (1) CA 2006 für den Sitzverlegungsbeschluss einer „englischen SE“.68 Abgesehen von diesem Zustimmungserfordernis enthalten weder die CCBMR 2007 noch die EPLLCR 2004 weitergehende Bestimmungen zum Schutz von Minderheitsgesellschaftern.69 Sofern die Umwandlung von der Gesellschaftermehrheit beschlossen wurde, sind sämtliche Anteilsinhaber an den Beschluss gebunden, einschließlich derer, die nicht zugestimmt haben.70 Vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Regelungen des materiellen englischen Umwandlungsrechts ist derzeit unklar, wie im Fall des Herausformwechsels einer englischen Gesellschaft der Schutz der Anteilsinhaber vor umwandlungsspezifischen Gefahren gewährleistet wird. Problematisch ist zunächst, dass das englische Recht umwandlungsspezifische Regelungen nur für companies, nicht hingegen für partnerships bereithält. Sowohl das Rechtsinstitut der re-registration als auch das Recht auf Teilnahme an einer grenzüberschreitenden Verschmelzung ist Kapitalgesellschaften vorbehalten. Das Unionsrecht gewährt demgegenüber jeder Gesellschaft, welcher die Niederlassungsfreiheit zuteil wird, grundsätzlich das Recht, einen grenzüberschreitenden Formwechsel vorzunehmen. De lege lata ist bereits unklar, welchem Mehrheitserfordernis der Umwandlungsbeschluss einer partnership genügen muss. In Anlehnung an die Rechtslage bei der Umwandlung einer company wäre es denkbar, eine Beschlussfassung mit Drei-Viertel-Mehrheit grundsätzlich ausreichen zu lassen und einen einstimmigen Gesellschafterbeschluss lediglich dann zu verlangen, wenn die Anteilsinhaber nach der gesetzlichen Verbandsverfassung der EUausländischen Zielrechtsform unbeschränkt persönlich für Gesellschaftsverbindlichkeiten einzustehen haben. Naheliegender erscheint es demgegenüber, 66

Vgl. Gower/Davies, Company Law, Pt. 1, Rn. 4-41. Vgl. Gower/Davies, Company Law, Pt. 1, Rn. 4-41. 68 Vgl. Mayer, in: Manz/Mayer/Schröder, Europäische Aktiengesellschaft, Art. 59 SEVO, Rn. 30. 69 Vgl. Vermeylen/Vande Velde, ECBMR, Kap. 17, Rn. 17.110; Schröder, in: Manz/ Mayer/Schröder, Europäische Aktiengesellschaft, Art. 8 SE-VO, Rn. 173. 70 Vgl. Vermeylen/Vande Velde, ECBMR, Kap. 17, Rn. 17.110. 67

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Kapitel 4: Rechtsvergleich und Ausblick

beim Herausformwechsel einer partnership stets einen einstimmigen Gesellschafterbeschluss zu verlangen. Aufgrund der gravierenden Auswirkungen des Wechsels der gesetzlichen Verbandsverfassung auf die Rechtspositionen der Anteilsinhaber handelt es sich nicht um eine gewöhnliche Geschäftsführungsmaßnahme (ordinary matter), welche gemäß secs. 24 (8) PA 1890, 6 (5)(a) LPA 1907 mit einfacher Stimmenmehrheit beschlossen werden kann. Etwas anderes mag freilich gelten, wenn der Gesellschaftsvertrag (partnership agreement) eine Mehrheitsentscheidung explizit ausreichen lässt.71 Sofern für die Beschlussfassung über die Umwandlung eine Drei-ViertelMehrheit ausreicht, ist ein Antragsrecht der Minderheitsgesellschafter auf gerichtliche Überprüfung des Umwandlungsbeschlusses entsprechend sec. 98 CA 2006 zum Schutz der Anteilsinhaber des formwechselnden Rechtsträgers unerlässlich. Andernfalls wären dissentierende Anteilsinhaber trotz des erheblichen Gefährdungspotentials eines grenzüberschreitenden Formwechsels für ihre mitgliedschaftliche Rechtspositionen schutzlos gestellt. Ob englische Gerichte ein Antragsrecht der Minderheitsgesellschafter entsprechend sec. 98 CA 2006 anerkennen werden, ist angesichts der Tatsache unwahrscheinlich, dass es sich um eine tatbestandlich eng umgrenzte Ausnahmevorschrift handelt. Zudem hat der englische Gesetzgeber trotz unionsrechtlicher Regelungsermächtigung weitergehende Schutzinstrumente für die Fälle der grenzüberschreitenden Verschmelzung sowie der Sitzverlegung der SE nicht vorgesehen. Diese Erwägungen machen deutlich, dass eine Klarstellung durch den englischen Gesetzgeber, wie der Schutz der Anteilsinhaber bei grenzüberschreitenden Formwechseln gewährleistet werden soll, dringend erforderlich ist. 2. Praktische Durchführung von Herausformwechseln Im Unterschied zum deutschen Recht ist derzeit weitgehend unklar, welche Schutzinstrumente des englischen Umwandlungsrechts im Falle von Herausformwechseln englischer Gesellschaften Anwendung finden. Eine Parallele zu innerstaatlichen Formwechseln kann nur bedingt gezogen werden, weil die re-registration lediglich zwischen den verschiedenen Rechtsformen der companies möglich ist. Da die gesetzliche Verbandsverfassung dieser Gesellschaften im Ausgangspunkt identisch ist, zeichnen sich die secs. 89 ff. CA 2006 zudem nicht durch eine besonders hohe materielle Regelungsdichte aus. Das Gefährdungspotential der re-registration für Gesellschaftsgläubiger und Anteilsinhaber ist vergleichsweise gering. Verfahrensrechtliche Schutzvorkehrungen und Informationspflichten des formwechselnden Rechtsträgers sind dementsprechend im Vergleich zum deutschen Umwandlungsrecht weniger stark ausgeprägt. 71

Vgl. Blackett-Ord/Haren, Partnership Law, Ch. 12, S. 224 f.; Lindley/Banks, Partnership, Pt. 4, Rn. 15-10.

§ 8 Grenzübschreitende Formwechsel nach englischem Recht

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Im Gegensatz dazu sind die im Falle einer grenzüberschreitenden Verschmelzung oder Sitzverlegung der SE einzuhaltenden Verfahrensschritte im englischen Recht explizit geregelt. Aufgrund des sekundärrechtlichen Hintergrunds der CCBMR 2007 und der EPLLCR 2004 überrascht dies nicht. Ungeklärt ist jedoch, ob grenzüberschreitende Formwechsel auf der Basis dieser Vorschriften durchgeführt werden können. a) Vorbereitungsphase Zur Vorbereitung einer grenzüberschreitenden Verschmelzung müssen die directors der beteiligten englischen company gemäß reg. 7 CCBMR 2007 zunächst den Entwurf eines (gemeinsamen) Verschmelzungsplans (common draft terms of merger) aufstellen. Dieser muss entweder beim registrar der Gesellschaft eingereicht oder auf der Internetseite der Gesellschaft veröffentlicht werden.72 Zudem müssen die directors gemäß reg. 8 CCBMR 2007 einen Verschmelzungsbericht erstellen, welcher die Auswirkungen der grenzüberschreitenden Verschmelzung auf Gesellschaftsgläubiger, Anteilsinhaber und Arbeitnehmer erläutert (director’s report). Schließlich hat ein unabhängiger Experte gemäß reg. 9 CCBMR 2007 einen Bericht über die geplante Verschmelzung zu erstatten (independent expert’s report). Der Entwurf des gemeinsamen Verschmelzungsplans, der Verschmelzungsbericht und der Bericht des unabhängigen Experten müssen am registered office der Gesellschaft für die Gesellschafter und Arbeitnehmervertreter zur Einsicht bereitgehalten werden.73 Zur Vorbereitung der Sitzverlegung einer „englischen SE“ hat das geschäftsführende Verwaltungsorgan der Gesellschaft zunächst ein Verlegungsplan (transfer proposal) und ein Verlegungsbericht (report) zu erstellen (Art. 8 Abs. 2 und 3 SE-VO). Gemäß reg. 56 (1) EPLLCR 2004 muss die Gesellschaft die Anteilsinhaber und jeden Gläubiger, über dessen Adresse sie verfügt, über deren Einsichtsrecht in diese Dokumente sowie das Recht informieren, unentgeltlich eine Abschrift zu erhalten. Zudem muss die Gesellschaft auf ihren Rechnungen und Geschäftsbriefen auf die Absicht der Sitzverlegung explizit hinweisen (reg. 56 (1) EPLLCR 2004). Dadurch sollen potentielle Gesellschaftsgläubiger Kenntnis von der geplanten Umwandlung erlangen.74 Die Verfahrensschritte, deren Durchführung das englische Recht im Vorfeld einer grenzüberschreitenden Verschmelzung sowie der Sitzverlegung der SE vorsieht, sind zwar im Grundsatz vergleichbar. Die gesetzlichen Regelungen sind jedoch nicht vollständig deckungsgleich. Insoweit stehen englische 72

Vgl. Vermeylen/Vande Velde, ECBMR, Kap. 17, Rn. 17.33. Vgl. Vermeylen/Vande Velde, ECBMR, Kap. 17, Rn. 17.57. 74 Vgl. Schröder, in: Manz/Mayer/Schröder, Europäische Aktiengesellschaft, Art. 8 SEVO, Rn. 180. 73

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Kapitel 4: Rechtsvergleich und Ausblick

Gesellschaften, welche einen grenzüberschreitenden Formwechsel vornehmen wollen, vor der Frage, an welchen rechtlichen Anforderungen sie sich orientieren sollen. Anders als das deutsche Umwandlungsrecht enthält die englische Rechtsordnung keine Vorgaben für innerstaatliche Formwechsel, auf welche formwechselwillige Gesellschaften im Zweifel rekurrieren könnten. Ihnen wird bis zu einer Klärung durch englische Gerichte oder den englischen Gesetzgeber einstweilen nichts anderes übrig bleiben, als die Vorschriften über grenzüberschreitende Verschmelzungen und die Sitzverlegung der SE kumulativ zu beachten. b) Beschlussphase Sind die zur Vorbereitung des Herausformwechsels durchzuführenden Verfahrensschritte abgeschlossen, gilt es, die Beschlussfassung der Anteilsinhaber über die beabsichtigte Umwandlung herbeizuführen. Die re-registration einer company muss im Wege einer special resolution beschlossen werden (vgl. § 8 III. 1. b)). Während die member einer public company eine resolution nur auf einer Gesellschafterversammlung fassen können, ist die Beschlussfassung bei private companies auch auf schriftlichem Wege zulässig (secs. 281 (1)(2), 283 (2)(4) CA 2006). Die Darlegung der Einzelheiten, wie die Beschlussfassung der Anteilsinhaber vorzubereiten und durchzuführen ist, würde an dieser Stelle zu weit führen.75 Als wesentlich ist jedoch festzuhalten, dass die Beschlussfassung – selbst in Form einer special resolution – nicht der notariellen Beurkundung bedarf. Entsprechendes gilt für die Beschlussfassung der Anteilsinhaber über die Vornahme einer grenzüberschreitenden Verschmelzung. Die CCBMR 2007 statuieren kein besonderes Formerfordernis.76 Anders als die Beschlussfassung über die re-registration einer company muss der Gesellschafterbeschluss über die Vornahme einer grenzüberschreitenden Verschmelzung gemäß reg. 13 (1) CCBMR 2007 jedoch in jedem Fall auf einer Gesellschafterversammlung (at a meeting) gefasst werden. Da auf eine „englische SE“ gemäß Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SE-VO subsidiär die für die Plc. geltenden Vorschriften des CA 2006 Anwendung finden77, muss die Beschlussfassung über die Sitzverlegung der SE ebenfalls auf einer Gesellschafterversammlung erfolgen (sec. 281 (2) CA 2006). Eine notarielle Beurkundung des Sitzverlegungsbeschlusses ist jedoch ebenso wenig erforderlich, weil die Satzungsän-

75

Vgl. dazu Boyle/Birds, Company Law, Ch. 13, S. 431 ff.; Gower/Davies, Company Law, Pt. 3, Rn. 15-42 ff. 76 Vgl. Vermeylen/Vande Velde, ECBMR, Kap. 17, Rn. 17.61. 77 Vgl. Schröder, in: Manz/Mayer/Schröder, Europäische Aktiengesellschaft, Art. 9 SEVO, Rn. 113.

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derung der SE im Wege einer special resolution beschlossen wird, für welche kein besonderes Formerfordernis gilt.78 Vor dem Hintergrund dieser Gesetzeslage ist derzeit unklar, welchen rechtlichen Anforderungen der Beschluss einer englischen Gesellschaft über die Vornahme eines Herausformwechsels genügen muss. Bereits die konkreten Mehrheitserfordernisse für den Umwandlungsbeschluss sind ungeklärt, weil das innerstaatliche Umwandlungsrecht auf companies beschränkt ist und partnerships nicht erfasst werden (vgl. § 8 III. 1. b)). Hinzu kommt, dass die rechtlichen Vorgaben bezüglich der praktischen Durchführung der Beschlussfassung ungeklärt sind. Keine umwandlungsspezifischen Regelungen existieren für die Beschlussfassung der Gesellschafter von partnerships. Insoweit wird man auf das allgemeine Personengesellschaftsrecht zurückgreifen müssen.79 Aber auch die rechtlichen Vorgaben für das Beschlussverfahren der companies sind zum Teil unklar. Fraglich ist etwa, ob die Beschlussfassung der Anteilsinhaber einer Ltd. über die Durchführung eines Herausformwechsels auf schriftlichem Wege durchgeführt werden kann. In der Praxis erscheint es bis zu einer gesetzgeberischen beziehungsweise gerichtlichen Klärung dieser Frage vorzugswürdig, sich an den strengeren Vorschriften für die grenzüberschreitende Verschmelzung beziehungsweise die Sitzverlegung der SE zu orientieren und eine Gesellschafterversammlung einzuberufen. Im Übrigen bleibt festzuhalten, dass der Umwandlungsbeschluss einer englischen Gesellschaft in die Rechtsform einer deutschen Personengesellschaft nicht der notariellen Beurkundung bedarf. Das englische Recht sieht ein solches Formerfordernis weder für die re-registration von companies noch für grenzüberschreitende Verschmelzungen oder die Sitzverlegung der SE vor. § 193 Abs. 3 UmwG findet nach den Grundsätzen der kollisionsrechtlichen Vereinigungstheorie keine Anwendung (vgl. § 7 IV. 2. b) bb)). c) Durchführungsphase Haben die Anteilsinhaber einer englischen Gesellschaft beschlossen, die partnership oder company formwechselnd in eine EU-ausländische Rechtsform umzuwandeln, stellt sich die Frage, welche Verfahrensschritte die Gesellschaft weiter vornehmen muss, um der Umwandlung zur Wirksamkeit zu verhelfen. Unklar ist zunächst, welche staatliche Stelle im Vereinigten Königreich zur Durchführung des Umwandlungsverfahrens zuständig ist und wie die Abstimmung zwischen dieser Stelle und der zuständigen Stelle des Aufnahmestaates erfolgt.

78 Vgl. Mayer, in: Manz/Mayer/Schröder, Europäische Aktiengesellschaft, Art. 59 SEVO, Rn. 30. 79 Vgl. dazu Blackett-Ord/Haren, Partnership Law, Ch. 12, S. 223 ff.; Lindley/Banks, Partnership, Pt. 4, Rn. 15-01 ff.

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Kapitel 4: Rechtsvergleich und Ausblick

Im Falle der re-registration einer company ist schlicht vorgesehen, dass die Gesellschaft die Umwandlung beim registrar unter Beifügung der special resolution und der weiteren in secs. 94, 100, 103, 106, 110 CA 2006 genannten Anlagen anmeldet. Der Anmeldung muss ein statement of compliance beigefügt werden, im welchem die directors versichern, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für die re-registration erfüllt wurden (secs. 94 (3), 100 (3), 103 (3), 106 (4), 110 (3) CA 2006). Sofern es sich bei der Zielrechtsform um eine unlimited company handelt, muss zudem versichert werden, dass sämtliche Anteilsinhaber der Umwandlung zugestimmt haben (secs. 103 (4), 110 (4) CA 2006). Die Erklärung begründet für den registrar hinreichenden Beweis dafür, dass die Gesellschaft berechtigt ist, den Formwechsel vorzunehmen (secs. 94 (4), 100 (4), 103 (5), 106 (5), 110 (5) CA 2006). Sofern der registrar vom Vorliegen der Voraussetzungen für die re-registration überzeugt ist, erteilt er der Gesellschaft ein neues certificate of incorporation, durch dessen Ausstellung die Umwandlung wirksam wird (secs. 96 (4), 101 (4), 104 (4), 107 (4), 111 (4) CA 2006). Im Falle der re-registration einer Plc. in der Rechtsform der Ltd. darf dies allerdings solange nicht erfolgen, als ein gerichtliches Verfahren über die Aufhebung des Umwandlungsbeschlusses gemäß sec. 98 CA 2006 anhängig ist oder noch eingeleitet werden kann (sec. 97 (2) CA 2006). Die Möglichkeit, ähnlich wie in den Fällen des § 198 Abs. 2 S. 2 bis 5 UmwG gleichzeitig mit der re-registration das registered office einer Gesellschaft zu verlegen, sieht das Gesetz nicht vor. Da die Durchführung eines grenzüberschreitenden Formwechsels im Regelfall ein Zusammenwirken der registerführenden Stellen der betroffenen Mitgliedstaaten erfordert, muss insoweit auf die englischen Vorschriften über die grenzüberschreitende Verschmelzung und die Sitzverlegung der SE zurückgegriffen werden. Sofern eine englische Gesellschaft die Voraussetzungen für die Beteiligung an einer grenzüberschreitenden Verschmelzung erfüllt hat, muss sie sich dies durch Ausstellung eines pre-merger certificate bestätigen lassen (reg. 6 CCBMR 2007). Zuständig für die Erteilung dieser Bescheinigung ist gemäß reg. 3 (1) CCBMR 2007 der High Court. Der Zeitpunkt der Wirksamkeit der Verschmelzung wird gemäß reg. 17 (2) CCBMR 2007 durch die Rechtsordnung desjenigen Mitgliedstaates bestimmt, welcher die aus der Umwandlung hervorgehende Gesellschaft unterliegt. Sofern die zuständige Stelle dieses Mitgliedstaates die Wirksamkeit der Umwandlung dokumentiert, ist gemäß reg. 19 (3) CCBMR 2007 binnen 14 Tagen nach Erlass der Entscheidung eine Kopie beim registrar der beteiligten englischen Gesellschaft einzureichen. Erhält der registrar auf diesem Wege oder durch unmittelbare Information durch die zuständige Stelle des Aufnahmestaates Kenntnis von der Wirksamkeit der Verschmelzung, so hat er die englische Gesellschaft aus dem register zu löschen und den Wirksamkeitszeitpunkt der Umwandlung dort zu vermerken (reg. 21 (2)(3) CCBMR 2007).

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Ein im Grundsatz vergleichbares Verfahren ist für die Sitzverlegung einer „englischen SE“ vorgesehen. Zuständig für die Ausstellung der Bescheinigung im Sinne von Art. 8 Abs. 8 SE-VO ist gemäß reg. 11 EPLLCR 2004 allerdings der Secretary of State. Dieser hat die Aufgabe und Kompetenz allerdings an den registrar delegiert, sodass die Bescheinigung letztendlich von diesem ausgestellt wird.80 Die Eintragung der Gesellschaft im Register des Aufnahmestaates darf solange nicht erfolgen, als die Bescheinigung nicht vorliegt (Art. 8 Abs. 9 SE-VO). Die Umwandlung wird gemäß Art. 8 Abs. 10 SE-VO wirksam, sobald die SE im Register des Aufnahmestaates eingetragen wird. Hiervon ist der registrar gemäß Art. 8 Abs. 11 SE-VO in Kenntnis zu setzen. Erhält er von der Eintragung Nachricht, hat er die Gesellschaft aus dem register zu löschen und die Löschung entsprechend Art. 8 Abs. 12 SEVO i.V.m. reg. 71 (3) EPLLCR 2004 in der London Gazette bekanntzumachen. Die englischen Vorschriften über grenzüberschreitende Verschmelzungen sowie die Sitzverlegung der SE bieten ein im Ansatzpunkt taugliches Instrumentarium zur verfahrensrechtlichen Bewältigung von Herausformwechseln englischer Gesellschaften. Die gesetzlichen Regelungen sehen im Einklang mit ihren jeweiligen sekundärrechtlichen Grundlagen vor, dass der Aufnahmestaat über den Zeitpunkt der Wirksamkeit der grenzüberschreitenden Umwandlung entscheidet. Eine Angleichung der diesbezüglichen Rechtsvorschriften auf Basis kollisionsrechtlicher Anpassungsmethoden ist daher zumindest im deutsch-englischen Kontext nicht erforderlich. Als problematisch erweist sich indessen der Umstand, dass die CCBMR 2007 und die EPLLCR 2004 unterschiedliche staatliche Stellen mit der Erteilung der Bescheinigung über die Einhaltung der Voraussetzungen des Herkunftsstaates für die Durchführung der Umwandlung betrauen. Dabei handelt es sich letztlich um eine Zweckmäßigkeitsentscheidung. Vieles spricht dafür, die verfahrensrechtliche Kontrolle beim registrar zu konzentrieren und demnach die Regelung der EPLLCR 2004 heranzuziehen.81 Sofern der formwechselwillige Rechtsträger – wie beispielsweise die partnership – nicht registerpflichtig ist, erscheint demgegenüber lediglich eine Überprüfung der Umwandlung durch den High Court praktikabel. Wie die englischen Gerichte und Behörden verfahren werden, ist fraglich. Man wird erste Entscheidungen abzuwarten haben. Sofern man den Anteilsinhabern englischer Gesellschaften entsprechend sec. 98 CA 2006 ein Antragsrecht auf gerichtliche Überprüfung des Umwandlungsbeschlusses zugesteht (vgl. § 8 III. 1. b)), darf die Bescheinigung frei-

80 Schröder, in: Manz/Mayer/Schröder, Europäische Aktiengesellschaft, Art. 8 SE-VO, Rn. 189. 81 Im Ergebnis auch Gillessen, Sitzverlegung, 2000, S. 289 in Bezug auf den Vorentwurf der Sitzverlegungsrichtlinie.

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lich solange nicht erteilt werden, als eine Klage gegen den Umwandlungsbeschluss anhängig ist oder noch anhängig gemacht werden kann. IV. Hereinformwechsel EU-ausländischer Gesellschaften Das Unionsrecht gebietet dem englischen Recht, den Hereinformwechsel EUausländischer Gesellschaften zuzulassen, wenn der Umwandlungsvorgang mit einem tatbestandsmäßigen Niederlassungsvorgang im Vereinigten Königreich verbunden ist und das englische Recht einen entsprechenden Formwechsel innerstaatlich vorsieht (vgl. § 4 IV. 2. b)). Die secs. 89 ff. CA 2006 sehen innerstaatliche Formwechsel lediglich zwischen den verschiedenen Rechtsformen der companies vor. Im Einzelnen bestehen folgende Formwechselmöglichkeiten: Eine private unlimited company kann im Wege der reregistration die Rechtsform einer Ltd. oder Plc. annehmen. Da der private unlimited company ein rechtstypologisch vergleichbares deutsches Pendant fehlt, spielt diese Umwandlungsmöglichkeit im Kontext deutsch-englischer Formwechsel jedoch keine Rolle (vgl. § 7 IV. 1. a)). Eine Ltd. kann ihre Rechtsform in eine private unlimited company oder eine Plc. ändern. Eine Plc. kann sich umgekehrt als Ltd. oder private unlimited company neu registrieren lassen. Die Ltd. ist rechtstypologisch mit der GmbH, die Plc. rechtstypologisch mit der AG vergleichbar (vgl. § 8 II. 2. a)). Aus deutsch-englischer Perspektive sind demnach grenzüberschreitende Formwechsel einer GmbH oder AG in die Rechtsformen der Plc., Ltd. sowie private unlimited company möglich. Das englische Recht muss diese Umwandlungen aufgrund der unionsrechtlichen Vorgaben ermöglichen.82 De lege lata nicht möglich sind demgegenüber Hereinformwechsel EU-ausländischer Gesellschaften in die Rechtsformen der partnerships. 1. Umwandlungsrechtliche Schutzinstrumente Das Vereinigte Königreich ist berechtigt, im Interesse des Rechtsverkehrs umwandlungsrechtliche Schutzmechanismen zur Abwehr formwechselspezifischer Gefahren zur Anwendung zu bringen. Das englische Recht ist durch das Unionsrecht nicht gehindert, durch entsprechende Vorkehrungen sicherstellen, dass die Gründungsvorschriften potentieller Zielrechtsformen nicht im Wege der Umwandlung umgangen werden. a) Hereinformwechsel in die Rechtsform der Plc. Um einen Hereinformwechsel in die Rechtsform der Plc. vornehmen zu können, muss der formwechselnde Rechtsträger zum Zeitpunkt der Beschlussfas82

Im Ansatzpunkt auch Bayer/J. Schmidt, ZHR 173 (2009), 735 (760).

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sung über die Umwandlung Gesellschaftsanteile ausgegeben haben, deren Nennwert zumindest 50.000 britische Pfund beziehungsweise 65.000 Euro beträgt (secs. 91 (1)(a), 763 (1) CA 2006). Auf jeden Gesellschaftsanteil muss gemäß secs. 91 (1)(b), 586 (1) CA 2006 ein Betrag eingezahlt worden sein, welcher zumindest einem Viertel des Nennwerts des jeweiligen Gesellschaftsanteils zuzüglich eines eventuell vereinbarten Agios entspricht. Zudem darf das Reinvermögen des formwechselnden Rechtsträgers (net assets) die Summe des eingeforderten Gesellschaftskapitals (called-up share capital) und der nicht an die Anteilsinhaber ausschüttbaren Rücklagen (undistributable reserves) nicht unterschreiten (secs. 92 (1)(c), (6), 831 CA 2006). Dies hat der formwechselnde Rechtsträger durch eine Bilanz, deren Stichtag höchstens sieben Monate vor der Anmeldung des Formwechsels liegt, einen unqualified report im Sinne von sec. 92 (3) CA 2006 sowie eine schriftliche Bestätigung des Abschlussprüfers der Gesellschaft nachzuweisen (sec. 92 (1) CA 2006). Die Beteiligung des Abschlussprüfers soll sicherstellen, dass die Bilanz ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der finanziellen Lage der Gesellschaft vermittelt.83 Ferner muss die formwechselnde Gesellschaft gemäß sec. 90 (3) CA 2006 ihre Firma und ihre Satzung dergestalt ändern, dass diese den für die Rechtsform der Plc. geltenden Vorgaben des englischen Rechts entsprechen. Über diese umwandlungsspezifischen Vorgaben hinaus, muss der formwechselnde Rechtsträger sämtliche rechtlichen Anforderungen beachten, welche der CA 2006 für die Rechtsform einer Plc. statuiert (vgl. § 8 II. 2. a)). Andernfalls besteht die Gefahr, dass der registrar dem formwechselnden Rechtsträger den Hereinformwechsel in diese Rechtsform entsprechend sec. 96 (1) CA 2006 verweigert. b) Hereinformwechsel in die Rechtsform der Ltd. Vergleichbare Nachweisanforderungen im Hinblick auf das Gesellschaftskapital bestehen bei einem Formwechsel in die Rechtsform der Ltd. nicht. Ob das Reinvermögen der Gesellschaft den Gesamtbetrag des zum Zeitpunkt der Umwandlung ausgegebenen Gesellschaftskapitals abdeckt, wird durch den registrar nicht überprüft. Da bei der Gründung einer Ltd. ebenfalls keine Überprüfung der Bewertung der Einlagen der Anteilsinhaber durch den registrar stattfindet84, erscheint dies konsequent. Englische Gerichte akzeptieren regelmäßig die von den Gesellschaftsgründern getroffenen Wertansätze, soweit diese nicht vorsätzlich übertrieben hoch angesetzt wurden.85 Dementsprechend genügt es, dass die Gesellschaft binnen 15 Tagen nach der Umwandlung gegenüber dem registrar ein statement of capital abgibt 83

Vgl. McLaughlin, Company Law, Pt. 4, S. 120. Vgl. Süß, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 47, Rn. 202. 85 Süß, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 47, Rn. 202. 84

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(sec. 108 (1) CA 2006). Die Erklärung muss Angaben dazu beinhalten, wie viele Anteile die Gesellschaft insgesamt ausgegeben hat, auf welchen nominellen Gesamtbetrag sich die ausgegebenen Anteile belaufen und welcher Betrag auf jeden einzelnen Anteil bislang eingezahlt wurde beziehungsweise noch aussteht (sec. 108 (3) CA 2006). Darüber hinaus muss der formwechselnde Rechtsträger gemäß secs. 97 (3), 105 (4) CA 2006 seine Firma und Satzung dergestalt ändern, dass diese den für die Rechtsform der Ltd. geltenden Vorgaben des englischen Rechts entsprechen. Da der registrar die Eintragung des Formwechsels verweigern darf, wenn er nicht davon überzeugt ist, dass der formwechselnde Rechtsträger die Anforderungen für eine Registrierung der Gesellschaft in Rechtsform der Ltd. erfüllt hat (secs. 101 (1), 107 (1) CA 2006), empfiehlt es sich, dass die Gesellschaft sämtliche Anforderungen des CA 2006 beachtet, welche für die Rechtsform der Ltd. gelten (vgl. § 8 II. 2. a)). c) Hereinformwechsel in die Rechtsform der private unlimited company Da die Anteilsinhaber einer private unlimited company unbeschränkt persönlich für Gesellschaftsverbindlichkeiten haften, bestehen keine besonderen umwandlungsrechtlichen Schutzinstrumente für Hereinformwechsel EUausländischer Gesellschaften in diese Rechtsform. Aufgrund der persönlichen Einstandsplicht der Gesellschafter für Gesellschaftsverbindlichkeiten besteht nicht die Notwendigkeit, die effektive Aufbringung eines Gesellschaftskapitals zu kontrollieren. Es genügt gemäß secs. 102 (3), 109 (3) CA 2006, dass die Gesellschaft ihre Firma und Satzung dahingehend ändert, dass diese den Vorgaben des CA 2006 für die Rechtsform der private unlimited company entsprechen. Ist dies nicht der Fall, so ist der registrar berechtigt, der Gesellschaft die Eintragung als private unlimited company zu versagen (secs. 104 (1), 111 (1) CA 2006). 2. Praktische Durchführung von Hereinformwechseln Nachfolgend wird geschildert, welche Verfahrensschritte das englische Recht einer EU-ausländischen Gesellschaft abverlangt, welche einen Hereinformwechsel in die Rechtsform einer englischen company durchführen möchte. Da der Aufnahmestaat unionsrechtlich lediglich einem Diskriminierungsverbot bezüglich EU-ausländischer Gesellschaften unterliegt (vgl. § 4 IV. 2. b)), kommen Hereinformwechsel in die Rechtsformen der partnerships de lege lata nicht in Betracht. a) Vorbereitungsphase Die Vorbereitung des Formwechsels einer EU-ausländischen Gesellschaft in die Rechtsform einer englischen company vollzieht sich vergleichsweise

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unkompliziert. Sofern der formwechselnde Rechtsträger die Voraussetzungen des Herkunftsstaates für die Umwandlung erfüllt hat, genügt nach secs. 89 ff. CA 2006 grundsätzlich, dass die Gesellschaft ihre Satzung und ihre Firma dem englischen Kapitalgesellschaftsrecht entsprechend anpasst. Lediglich beim Formwechsel in die Rechtsform der Plc. ist die Erstellung und Vorlage einer Bilanz erforderlich, deren Stichtag höchstens sieben Monate vor Anmeldung der Umwandlung beim registrar liegen darf (secs. 92 (1), 94 (2)(c) CA 2006). Zudem muss der unqualified report und die schriftliche Bestätigung des Abschlussprüfers der Gesellschaft vorgelegt werden (vgl. § 8 IV. 1. a)). b) Beschlussphase Die Vorbereitung der Gesellschafterversammlung und die Beschlussfassung über die Umwandlung richten sich nach dem Recht des jeweiligen Herkunftsstaates. Anhand dessen Rechtsvorschriften ist insbesondere zu bestimmen, welcher Mehrheit der Umwandlungsbeschluss bedarf und ob individuelle Zustimmungsvorbehalte zugunsten einzelner Gesellschafter zu beachten sind (vgl. § 5 II. 1.). Soweit der Umwandlungsbeschluss allerdings auf die Verbandsverfassung der Zielrechtsform Bezug nimmt, sind die Besonderheiten der lex societatis der jeweiligen englischen company zu beachten. Um die Umwandlung vollziehen zu können, muss insbesondere die Satzung des formwechselnden Rechtsträgers angepasst werden (vgl. § 8 IV. 1.). Der Umwandlungsbeschluss muss die neu gefasste Satzung der Gesellschaft enthalten, die zumindest diejenigen Festsetzungen zu treffen hat, welche nach den Vorschriften des CA 2006 für die jeweilige Zielrechtsform zwingend vorgeschrieben sind (secs. 90 (3), 97 (3), 102 (3), 105 (4), 109 (3) CA 2006). Zudem muss der Umwandlungsbeschluss die Ernennung derjenigen Personen enthalten, welche die Position eines director beziehungsweise secretary übernehmen sollen. Dies ergibt sich zwar nicht unmittelbar aus den Vorschriften der secs. 89 ff. CA 2006. Allerdings müssen die Organmitglieder einer company von den Gesellschaftern im Zuge der Gründung der Gesellschaft festgelegt werden.86 Da der Formwechsel aus der Perspektive des Aufnahmestaates mit der Gründung einer Gesellschaft vergleichbar ist, kann für die Konstellation des Hereinformwechsels in die Rechtsform einer company nichts anderes gelten. Was die Form des Umwandlungsbeschlusses anbelangt, wurde bereits dargelegt, dass das englische Umwandlungsrecht kein besonderes Formerfordernis statuiert (vgl. § 8 III. 2. b)). Dementsprechend bedarf der Umwandlungsbeschluss nicht der notariellen Beurkundung, wenn das Recht des Herkunftsstaates ebenfalls kein spezifisches Formerfordernis vorsieht, welches sich 86

Vgl. Süß, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 47, Rn. 225.

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nach den Grundsätzen der kollisionsrechtlichen Vereinigungstheorie durchsetzen würde (vgl. § 5 II. 1.). In der Konstellation des Formwechsels einer deutschen Gesellschaft in die Rechtsform einer company englischen Rechts ist dies jedoch aufgrund der Regelung des § 193 Abs. 3 UmwG nicht der Fall. c) Durchführungsphase Haben die Anteilsinhaber des formwechselnden Rechtsträgers für die Durchführung des geplanten Formwechsels votiert und wurde das im Herkunftsstaat zu durchlaufende Verfahren erfolgreich abgeschlossen, stellt sich die Frage, welche weiteren Schritte die Gesellschaft im Vereinigten Königreich unternehmen muss, um dort als company englischen Rechts eingetragen zu werden. Im Falle einer re-registration muss die Gesellschaft die Umwandlung schlicht unter Beifügung der in secs. 94, 100, 103, 106, 110 CA 2006 genannten Anlagen beim registrar zur Eintragung in das register anmelden. Kommt der registrar zu der Überzeugung, dass die Voraussetzungen für die Umwandlung vorliegen, stellt er der Gesellschaft ein neues certificate of incorporation aus (secs. 96 (2), 101 (2), 104 (2), 107 (2), 111 (2) CA 2006). Mit dessen Ausstellung wird die Umwandlung rechtswirksam (secs. 96 (4), 101 (4), 104 (4), 107 (4), 111 (4) CA 2006). Ist eine englische Gesellschaft aufnehmender Rechtsträger einer grenzüberschreitenden Verschmelzung, muss demgegenüber die Umwandlung zunächst durch den High Court gerichtlich bestätigt werden (reg. 16 CCBMR 2007). Sämtliche an der Umwandlung beteiligten Gesellschaften haben gemäß reg. 16 (1) CCBMR 2007 unter Vorlage der Verschmelzungsbescheinigung(en) der übertragenden Gesellschaft(en) binnen sechs Monaten nach deren Ausstellung die gerichtliche Bestätigung der Verschmelzung zu beantragen. Das Gericht legt in seiner Entscheidung das Datum fest, an dem die Umwandlung wirksam wird (regs. 16 (2), 17 (2)(a) CCBMR 2007). Das Wirksamkeitsdatum darf höchstens 21 Tage nach dem Tag der gerichtlichen Entscheidung liegen. Die übernehmende Gesellschaft muss die in reg. 19 (2) CCBMR 2007 genannten Dokumente binnen sieben Tagen nach der gerichtlichen Entscheidung dem registrar übersenden (reg. 19 (1) CCBMR 2007). Dieser hat unverzüglich die registerführenden Stellen der an der Verschmelzung beteiligten übertragenden Rechtsträger von der gerichtlichen Bestätigung der Verschmelzung durch den High Court zu benachrichtigen (reg. 21 (1) CCBMR 2007). Sofern eine SE ihren Sitz in das Vereinigte Königreich verlegen möchte, muss sie die Umwandlung gemäß reg. 10 EPLLCR 2004 unter Vorlage der Bescheinigung gemäß Art. 8 Abs. 8 SE-VO in England beim registrar anmelden. Die formwechselnde Gesellschaft hat sich bei der Anmeldung des Formblattes SE10 zu bedienen, welches den EPLLCR 2004 im Anhang beigefügt ist. Wenn der registrar davon überzeugt ist, dass die Voraussetzungen

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der SE-VO sowie der EPLLCR 2004 für die Sitzverlegung der Gesellschaft vorliegen, hat er die Gesellschaft in das register einzutragen (reg. 12 EPLLCR 2004). Die Umwandlung wird gemäß Art. 8 Abs. 10 SE-VO zum Zeitpunkt der Eintragung wirksam. Im Falle der Eintragung hat der registrar gemäß reg. 71 (3)(4) EPLLCR 2004 die öffentliche Bekanntmachung der Eintragung in der London Gazette zu veranlassen und die registerführende Stelle des Herkunftsstaates gemäß Art. 8 Abs. 11 SE-VO zu benachrichtigen. Wie die Durchführung von Herausformwechseln englischer Gesellschaften erweist sich die Durchführung von Hereinformwechseln EU-ausländischer Gesellschaften nach England aufgrund der unterschiedlichen gesetzlichen Regelungen als problematisch. Während in der Konstellation des Herausformwechsels unklar ist, welche staatliche Stelle dafür zuständig ist, die Einhaltung der Umwandlungsvoraussetzungen des englischen Rechts zu kontrollieren und für den Aufnahmestaat zu dokumentieren (vgl. § 8 III. 2. c)), ist in der Konstellation des Hereinformwechsels nicht geklärt, zu welchem Zeitpunkt die Umwandlung nach dem insoweit maßgebenden englischen Recht wirksam wird. Die Vorschriften des CA 2006 über die re-registration von companies und die EPLLCR 2004 stellen auf den Zeitpunkt der Registereintragung beziehungsweise die damit verbundene Ausstellung des certificate of incorporation ab.87 Demgegenüber wird der Wirksamkeitszeitpunkt einer grenzüberschreitenden Hereinverschmelzung durch den High Court festgelegt. Will eine EU-ausländische Gesellschaft einen Formwechsel in eine englische Rechtsform vornehmen, ist dementsprechend ungeklärt, ob sie in Anlehnung an reg. 16 CCBMR 2007 zunächst eine gerichtliche Bestätigung der Umwandlung herbeiführen muss oder ob es ausreicht, wenn sie schlicht ihre Eintragung in der jeweiligen Zielrechtsform beim registrar beantragt. Unabhängig von dieser Frage ist bei der Anmeldung des Formwechsels beim registrar (im Anschluss an die gerichtliche Bestätigung durch den High Court) Folgendes zu beachten: Der Anmeldung muss neben der Kopie des Umwandlungsbeschlusses eine Kopie der Satzung der company beigefügt werden (secs. 94 (2), 100 (2), 103 (2), 106 (2), 110 (2) CA 2006). Beim Hereinformwechsel in die Rechtsform der Plc. müssen zudem die Umwandlungsbilanz und die weiteren in sec. 92 (1) CA 2006 genannten Dokumente vorgelegt werden (sec. 94 (2)(c) CA 2006). Demgegenüber reicht es beim Hereinformwechsel in die Rechtsform der Ltd. aus, wenn die Gesellschaft binnen 15 Tagen nach der Ausstellung des neuen certificate of incorporation ein statement of capital beim registrar einreicht (sec. 108 (1) CA 2006). Unabhängig von der konkreten Zielrechtsform ist der Anmeldung in jedem Fall ein statement of compliance beizufügen, in welchem die directors versichern, dass die Voraussetzungen des CA 2006 für die Durchführung der Umwandlung vorliegen (secs. 94 (3), 100 (3), 103 (3), 106 (4), 110 (3) CA 2006). 87

Dafür im Ergebnis auch Gillessen, Sitzverlegung, 2000, S. 317.

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Kapitel 4: Rechtsvergleich und Ausblick

Da die secs. 89 ff. CA 2006 davon ausgehen, dass es sich bei dem formwechselnden Rechtsträger stets um eine company englischen Rechts handelt, sind im grenzüberschreitenden Kontext einige Besonderheiten zu beachten: Nicht nur im Falle des Formwechsels in die Rechtsform der Plc. (sec. 95 CA 2006), sondern in sämtlichen Umwandlungskonstellationen ist der Anmeldung des Formwechsels ein statement of the proposed officers im Sinne von sec. 12 CA 2006 beizufügen, in welchem die als director beziehungsweise secretary vorgesehenen Personen sich mit der Übernahme ihrer jeweiligen Funktionen einverstanden erklären. Sofern die Dokumente, welche beim registrar eingereicht werden, nicht in englischer Sprache abgefasst sind, muss eine beglaubigte Übersetzung (certified translation) beigefügt werden (sec. 1105 (1) CA 2006). V. Zwischenergebnis Zusammenfassend ist festzuhalten, dass das englische Recht im Vergleich zum deutschen Recht substantiell schlechter für die Bewältigung grenzüberschreitender Formwechsel gerüstet ist. Zunächst steht das englische Gesellschaftskollisionsrecht der Durchführung einer identitätswahrenden Umwandlung entgegen. Nach der Inkorporationstheorie englischer Prägung ist das Gesellschaftsstatut nicht wandelbar. Sowohl der Herausformwechsel englischer Gesellschaften als auch der Hereinformwechsel EU-ausländischer Gesellschaften nach England ist daher de lege lata nicht möglich. Das englische Internationale Gesellschaftsrecht bewirkt aufgrund dessen eine nicht zu rechtfertigende Beschränkung der Niederlassungsfreiheit englischer wie EUausländischer Gesellschaften und ist somit unionsrechtswidrig. Englischen Gerichten und Behörden ist es daher versagt, grenzüberschreitende Formwechsel unter Verweis auf die Unwandelbarkeit der lex societatis nach dem englischen Gesellschaftskollisionsrecht zu versagen. Das Unionsrecht verbürgt englischen Gesellschaften grundsätzlich das Recht, aus dem Vereinigten Königreich rechtsformwechselnd wegzuziehen. Einen Formwechsel in eine deutsche Rechtsform können diejenigen englischen Gesellschaften vollziehen, welche ein rechtstypologisch vergleichbares deutsches Pendant haben. Allerdings besteht Unklarheit, welche materiellrechtlichen Schutzinstrumente zugunsten von Gesellschaftsgläubigern und Anteilsinhabern Anwendung finden. Im Vergleich zum deutschen Recht ist der Schutz von Gesellschaftsgläubigern im englischen Umwandlungsrecht weniger stark ausgeprägt. Vor diesem Hintergrund erscheint es unabdingbar, den Gesellschaftsgläubigern entsprechend regs. 11, 14 CCBMR 2007 ein Antragsrecht auf Einberufung einer Gläubigerversammlung zuzugestehen, welche über die Durchführung der geplanten Umwandlung entscheidet. Unsicherheit besteht weiterhin dahingehend, wie die Anteilsinhaber der englischen Gesellschaft vor formwechselbedingten Gefahren für ihre mitglied-

§ 8 Grenzübschreitende Formwechsel nach englischem Recht

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schaftliche Rechtspositionen geschützt werden. Während der Umwandlungsbeschluss einer company mit Drei-Viertel-Mehrheit gefasst werden kann, ist bei einer partnership grundsätzlich eine einstimmige Entscheidung der Anteilsinhaber erforderlich. Im Falle einer Mehrheitsentscheidung ist es unverzichtbar, dissentierenden Minderheitsgesellschaftern ein Antragsrecht auf gerichtliche Überprüfung des Umwandlungsbeschlusses entsprechend sec. 98 CA 2006 zuzugestehen. Auf diesem Wege lässt sich mittelbar ein Austrittsrecht dissentierender Gesellschafter aus der formwechselnden Gesellschaft begründen. Wie der Herausformwechsel einer englischen Gesellschaft praktisch durchzuführen ist, bedarf noch der Klärung. Insbesondere bei Herausformwechseln von partnerships ist unklar, welche Verfahrensschritte einzuhalten sind, weil für diese Rechtsformen im englischen Recht keine umwandlungsspezifischen Regelungen existieren, an welchen man sich orientieren könnte. Festzuhalten bleibt indessen, dass das englische Recht kein Formerfordernis für den Umwandlungsbeschluss statuiert. Dementsprechend bedarf der Umwandlungsbeschluss im Falle eines Formwechsels in die Rechtsform einer deutschen Personengesellschaft nicht der notariellen Beurkundung. Demgegenüber besteht Rechtsunsicherheit dahingehend, welche staatliche Stelle für die Ausstellung derjenigen Bescheinigung zuständig ist, welche die Einhaltung der Umwandlungsvoraussetzungen englischen Rechts für den Aufnahmestaat dokumentiert. Zusammenfassend ist festzustellen, dass Herausformwechsel englischer Gesellschaften auf rechtssicherer Grundlage derzeit nicht möglich sind. Gleiches gilt für Hereinformwechsel EU-ausländischer Gesellschaften nach England. Ein innerstaatliches Umwandlungsrecht besteht mit dem Rechtsinstitut der re-registration nur für Kapitalgesellschaften. Dementsprechend sind Hereinformwechsel EU-ausländischer Gesellschaften in die Rechtsformen der partnerships de lege lata nicht möglich. Aus deutschenglischer Perspektive steht der GmbH sowie der AG das Recht zu, grenzüberschreitende Formwechsel in die Rechtsformen einer limited company oder unlimited company vorzunehmen. Deutsche Personengesellschaften können demgegenüber derzeit nicht die Rechtsform einer englischen Gesellschaft annehmen. Rechtsunsicherheit besteht zudem dahingehend, wann der Formwechsel einer EU-ausländischen Gesellschaft in die Rechtsform einer englischen company wirksam wird. Vor diesem Hintergrund ist das durch das Unionsrecht verbürgte Recht, einen grenzüberschreitenden Formwechsel in eine englische Rechtsform vorzunehmen, nicht durch eine rechtssichere Rechtsgrundlage gewährleistet.

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Kapitel 4: Rechtsvergleich und Ausblick

§ 9 Grenzüberschreitende Formwechsel de lege ferenda § 9 Grenzüberschreitende Formwechsel de lege ferenda

I. Einführung Die vorstehende Untersuchung hat gezeigt, dass die Durchführung grenzüberschreitender Formwechsel auf rechtssicherer Grundlage in vielen Fällen nach wie vor nicht möglich ist. Zwar hat der EuGH in den Entscheidungen Cartesio und VALE wichtige Weichenstellungen vorgenommen. Diese Entscheidungen sind jedoch naturgemäß einzelfallbezogen und bilden lediglich den groben rechtlichen Rahmen, an welchem sich die Gerichte und Behörden der Mitgliedstaaten bei der Anwendung ihres nationalen Rechts einstweilen zu orientieren haben. Weder ist es Aufgabe des EuGH noch ist er dazu in der Lage, den Mitgliedstaaten auf Grundlage des Primärrechts detaillierte Vorgaben für ihr materielles Umwandlungsrecht zu machen. Neben der Negativintegration im Wege der Eliminierung niederlassungsbeschränkender mitgliedstaatlicher Maßnahmen durch den Gerichtshof bedarf es zur Verwirklichung des Binnenmarktes der Positivintegration im Wege der Rechtssetzung durch den Unionsgesetzgeber beziehungsweise die nationalen Gesetzgeber der Mitgliedstaaten. Der in dieser Untersuchung vorgeschlagene Ansatz der analogen Anwendung der Vorschriften über innerstaatliche Formwechsel beziehungsweise der Regelungen betreffend die grenzüberschreitende Verschmelzung und die Sitzverlegung der SE vermag die nach wie vor bestehende Rechtsunsicherheit nicht zu beseitigen, sondern kann allenfalls für eine Übergangszeit Linderung verschaffen. Zudem hat der Vergleich der Rechtslage in Deutschland und England gezeigt, dass das nationale Recht der Mitgliedstaaten in höchst unterschiedlichem Maße in der Lage ist, die durch die Rechtsprechung des EuGH gerissene Regelungslücke auszufüllen. Gesellschaften werden jedoch von ihren unionsrechtlich verbürgten Umwandlungsmöglichkeiten nur dann in nennenswertem Umfang Gebrauch machen, wenn ein rechtssicherer Rahmen hierfür in beiden von dem Formwechsel betroffenen Mitgliedstaten existiert. Im Folgenden wird dargelegt, ob ein solcher Rechtsrahmen für grenzüberschreitende Formwechsel durch Rechtssetzung auf europäischer Ebene (vgl. § 9 II.) oder auf nationaler Ebene (vgl. § 9 III.) geschaffen werden kann beziehungsweise geschaffen werden sollte. II. Rechtssetzung auf europäischer Ebene Überlegungen, der Durchführung von grenzüberschreitenden Formwechseln durch Erlass einer Sitzverlegungsrichtlinie den Weg zu ebnen, bestehen seit geraumer Zeit (vgl. § 1 III. 2.). Der Richtlinienvorentwurf aus dem Jahre 1997 hat in Fachkreisen großes Interesse gefunden und wurde eingehend

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gewürdigt.88 Während das Regelungsbedürfnis auf europäischer Ebene allgemein anerkannt ist, sind in jüngster Zeit Stimmen zu vernehmen, welche die Regelungskompetenz des Unionsgesetzgebers in Anbetracht der Rechtsprechung des EuGH sachlich eingeschränkt sehen. 1. Regelungsbedürfnis auf europäischer Ebene Im Schrifttum wird auch nach den Entscheidungen des EuGH in den Rechtssachen Cartesio und VALE der Erlass einer Sitzverlegungsrichtlinie nahezu einhellig für erforderlich gehalten.89 Das legislatorische Anliegen werde durch die Urteile des Gerichtshofs nicht überflüssig gemacht.90 Ungeachtet der Rechtsprechung des EuGH bestehe weiterhin Rechtsunsicherheit.91 Die den Mitgliedstaaten eingeräumte Möglichkeit, einen grenzüberschreitenden Formwechsel unter Berufung auf zwingende Gründe des Allgemeininteresses zu verhindern, könne Gesellschaften von der Inanspruchnahme ihrer unionsrechtlich garantierten Umwandlungsmöglichkeiten abhalten.92 Da der Gerichtshof die materiell- und verfahrensrechtlichen Rechtsgrundlagen nicht formulieren könne, bedürfe es dringend eines legislativen Unterbaus im Sekundärrecht.93 Die Regelungsaufgabe bestehe darin, im nationalen Recht der Mitgliedstaaten die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass ein identitätswahrender Wegzug im Herkunftsstaat und Zuzug im Aufnahmestaat ermöglicht werde.94

88 Vgl. dazu Grundmann, Europ. GesR, § 24, Rn. 835 ff.; v. Bismarck, Sitzverlegung, 2005, S. 203 ff.; Wasmeier, Umstrukturierung, 2014, S. 237 ff. 89 Vgl. Bayer/J. Schmidt, ZIP 2012, 1481 (1491); Benrath/König, DK 2012, 377 (381); Biermeyer, CMLR 2013, 571 (589); Borg-Barthet, ICLQ 2013, 503 (512); Böttcher/Kraft, NJW 2012, 2701 (2703 f.); Bungert/de Raet, DB 2014, 761 (762); Former Reflection Group on the Future of EU Company Law, ECFR 2013, 304 (319 f.); Hansen, ECFR 2013, 1 (16); Jaensch, EWS 2012, 353 (359); Krarup, EBLR 2013, 691 (698); Krebs, GWR 2014, 144 (147); Mörsdorf/Jopen, ZIP 2012, 1398 (1401); Mörsdorf-Schulte, KSzW 2014, 117 (125); Nagy, IPRax 2013, 582 (584); Neye, EWiR 2014, 45 (46); Prelic/Prostor, ZfRV 2014, 27 (29); W.-H. Roth, FS Hoffmann-Becking, 2013, 965 (995); Schaper, ZIP 2014, 810 (814); Schön, ZGR 2013, 333 (336 f.); Stiegler, NZG 2014, 351 (352); Stiegler, KSzW 2014, 107 (116); Verse, ZEuP 2013, 458 (477); Wachter, GmbHR 2014, 99 (100); Weller/Rentsch, IPRax 2013, 530 (536); Wicke, DStR 2012, 1756 (1759); Wöhlert/Degen, GWR 2012, 337957; a.A. Hushahn, notar 2014, 176 (177), dem zufolge die Verabschiedung der Richtlinie „alles andere als drängend“ ist. 90 Vgl. Schön, ZGR 2013, 333 (336 f.); Stiegler, KSzW 2014, 107 (116). 91 Vgl. Hansen, ECFR 2013, 1 (15); Nagy, IPRax 2013, 582 (584); Stiegler, Rechtsformwechsel, 2013, S. 82. 92 Vgl. Hansen, ECFR 2013, 1 (15). 93 Schön, ZGR 2013, 333 (337). 94 Vgl. Gower/Davies, Company Law, Pt. 1, Rn. 6-24; G.H. Roth, Niederlassungsfreiheit, 2010, S. 61.

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Kapitel 4: Rechtsvergleich und Ausblick

Der Forderung an den Unionsgesetzgeber, eine Sitzverlegungsrichtlinie zu verabschieden, ist uneingeschränkt beizupflichten. Die Möglichkeit, ein rechtlich vergleichbares Ergebnis auf Grundlage einer grenzüberschreitenden Verschmelzung zu erreichen, steht lediglich Kapitalgesellschaften offen. Diese Gestaltungsmöglichkeit ist zudem mit weiteren rechtlichen sowie praktischen Nachteilen verbunden (vgl. § 2 IV. 1.). Daher besteht nach wie vor ein Regelungsbedürfnis für eine Sitzverlegungsrichtlinie, welche die rechtlichen Grundlagen dafür schafft, dass sich eine einzige Gesellschaft unter Wahrung ihrer rechtlichen Identität der Rechtsordnung eines anderen Mitgliedstaates unterstellt.95 2. Reichweite der Regelungskompetenz des Unionsgesetzgebers Das Primärrecht enthält eine Reihe von Ermächtigungsgrundlagen, welche den Unionsgesetzgeber zur Rechtssetzung im Bereich des Gesellschaftsrechts berechtigen (vgl. § 1 III.). Der Erlass einer Sitzverlegungsrichtlinie lässt sich insbesondere auf die Regelung des Art. 50 Abs. 2 lit. g AEUV stützen. 96 In jüngerer Vergangenheit wurden Bedenken im Hinblick auf die Kompetenz des Unionsgesetzgebers geäußert, die Mitgliedstaaten zur Zulassung isolierter Formwechsel zu verpflichten.97 Wenn die Niederlassungsfreiheit nur solche Vorgänge schütze, welche zumindest auch eine Komponente tatsächlicher Mobilität beinhalteten, sei es dem Unionsgesetzgeber verwehrt, den Mitgliedstaaten auf dem Richtlinienwege entgegengesetzte Vorgaben zu machen.98 Da isolierte Formwechsel nicht durch die Niederlassungsfreiheit gewährleistet seien, bestehe insoweit keine Regelungskompetenz des Unionsgesetzgebers.99 Die Gegenansicht sieht den Unionsgesetzgeber in seiner Regelungskompetenz demgegenüber durch die Rechtsprechung des EuGH nicht eingeschränkt.100 Unabhängig von der Diskussion um die Gewährleistung isolierter Formwechsel durch die Niederlassungsfreiheit müsse anerkannt werden, dass die Ermächtigungsgrundlagen zur Rechtsangleichung weiter reichten als die 95 Vgl. Arbeitskreis Europäisches Unternehmensrecht, NZG 2011, 98 (98); Former Reflection Group on the Future of EU Company Law, ECFR 2013, 304 (319). 96 Vgl. v. Bismarck, Sitzverlegung, 2005, S. 191 ff. 97 Vgl. Biermeyer, CMLR 2013, 571 (588); Böttcher/Kraft, NJW 2012, 2701 (2703); Kindler, EuZW 2012, 888 (892); Mörsdorf/Jopen, ZIP 2012, 1398 (1399); Stiegler, Rechtsformwechsel, 2013, S. 84; Wasmeier, Umstrukturierung, 2014, S. 145. 98 Wasmeier, Umstrukturierung, 2014, S. 145. 99 Vgl. Biermeyer, CMLR 2013, 571 (588); Böttcher/Kraft, NJW 2012, 2701 (2703); Kindler, EuZW 2012, 888 (892); Mörsdorf/Jopen, ZIP 2012, 1398 (1399). 100 Vgl. Drygala, EuZW 2013, 569 (571); Drygala, in: Lutter, UmwG, Bd. I, § 1, Rn. 8; Mörsdorf-Schulte, KSzW 2014, 117 (128); Schön, ZGR 2013, 333 (336), Fn. 21; siehe auch V. Braun, Wegzugsfreiheit, 2010, S. 258, die grenzüberschreitende Formwechsel unabhängig von einer gleichzeitigen Verlegung des effektiven Verwaltungssitzes auf dem Richtlinienwege ermöglichen möchte.

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Befugnis des Gerichtshofs zur Beseitigung von Verstößen gegen die Grundfreiheiten.101 Zum Zwecke der Schaffung eines Binnenmarktes sei die sekundärrechtliche Angleichung von Rechtsvorschriften auch dort gestattet, wo der EuGH nicht unmittelbar eingreifen könne.102 Die Vorschrift des Art. 50 Abs. 2 lit. g AEUV nehme über die Niederlassungsfreiheit hinaus generell die Angleichung der Wettbewerbsbedingungen im Gesellschaftsrecht in den Blick.103 Die vom Gerichtshof formulierte Einschränkung sei für den Unionsgesetzgeber nicht maßgeblich.104 Diesem stehe es frei, den Begriff der Niederlassungsfreiheit und die Möglichkeiten ihrer Beschränkung im Sekundärrecht autonom und auch weiter zu formulieren, als der EuGH es aus dem Primärrecht ableite.105 Die Grundfreiheiten bänden den Unionsgesetzgeber nicht in demselben Maße wie die Mitgliedstaaten.106 Letztgenannter Vorbehalt ist zutreffend. Es wurde bereits dargelegt, dass Sekundärrechtsakte des Unionsgesetzgebers (und darauf beruhendes nationales Recht der Mitgliedstaaten) keiner Kontrolle am Maßstab der Niederlassungsfreiheit unterliegen (vgl. § 3 III. 1.). Dies bedeutet einerseits, dass der Unionsgesetzgeber Rechtsregeln zur Abwehr von Briefkastengesellschaften einführen könnte, ohne dadurch gegen Primärrecht zu verstoßen.107 Er könnte den Mitgliedstaaten im Wege einer Richtlinie beispielsweise zu einer Sitzkoppelung im Sinne der Art. 7, 64 SE-VO verpflichten. Ferner könnte eine Sitzverlegungsrichtlinie die Durchführung eines grenzüberschreitenden Formwechsels davon abhängig machen, dass mit der Umwandlung zugleich der effektive Verwaltungssitz des formwechselnden Rechtsträgers in den Aufnahmestaat verlegt wird. Sofern die Richtlinie einen entsprechenden Vorbehalt hingegen nicht formuliert, ist andererseits die gesellschaftsrechtliche Regelungsautonomie der Mitgliedstaaten zu beachten. Wenn das nationale Recht eines Mitgliedstaates die Gründung der Zielrechtsform davon abhängig macht, dass sich deren effektiver Verwaltungssitz im Inland befindet, ist ein isolierter Hereinformwechsel in diese Rechtsform auch nach Umsetzung einer Sitzverlegungsrichtlinie nicht möglich. Gleiches gilt, wenn man einen genuine link zwischen einer Gesellschaft und dem Mitgliedstaat, dessen Rechtsordnung sie untersteht, stets für erforderlich hält (vgl. § 4 V.).

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Vgl. Drygala, EuZW 2013, 569 (571); Drygala, in: Lutter, UmwG, Bd. I, § 1, Rn. 8; Schön, ZGR 2013, 333 (336), Fn. 21. 102 Schön, ZGR 2013, 333 (336), Fn. 21. 103 Schön, ZGR 1995, 1 (14). 104 Drygala, EuZW 2013, 569 (571). 105 Drygala, EuZW 2013, 569 (571). 106 Drygala, EuZW 2013, 569 (571). 107 Vgl. Teichmann, ZGR 2011, 639 (658); siehe auch Wicke, ZIP 2014, 1414 (1416 f.), der eine Aufgabe der Sitzkoppelung bei der SUP rechtspolitisch nicht für erstrebenswert hält.

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Kapitel 4: Rechtsvergleich und Ausblick

III. Rechtssetzung auf nationaler Ebene? Für die Mitgliedstaaten stellt sich die Frage, ob eine Regelung grenzüberschreitender Formwechsel im nationalen Recht im Vorfeld einer Gesetzesinitiative des Unionsgesetzgebers sinnvoll ist beziehungsweise ob nicht sogar eine unionsrechtliche Verpflichtung hierzu besteht. Die dänische Regierung hat beispielsweise jüngst einen Vorschlag für eine entsprechende Änderung des nationalen Rechts unterbreitet.108 Sofern man eine Regelung durch die nationalen Gesetzgeber für geboten hält, stellt sich aus deutscher Perspektive die Frage, welcher Regelungsbedarf konkret besteht. 1. Sinnhaftigkeit einer Regelung durch die Mitgliedstaaten? Wenn ein Mitgliedstaat nicht bereits über eine gesetzliche Regelung grenzüberschreitender Formwechsel verfügt, besteht in Anbetracht der Rechtsprechung des EuGH zweifellos ein Bedürfnis nach einer rechtssicheren Rechtsgrundlage für die Umwandlung. Ob eine Rechtssetzung durch die Mitgliedstaaten im Vorfeld einer Gesetzesinitiative des Unionsgesetzgebers sinnvoll ist, wird in Fachkreisen unterschiedlich beurteilt. Überwiegend wird eine gesetzliche Regelung durch die nationalen Gesetzgeber für geboten gehalten.109 Es genüge nicht mehr, auf den Erlass einer Sitzverlegungsrichtlinie durch den Unionsgesetzgeber zu warten und die Marktteilnehmer in der Zwischenzeit im Ungewissen darüber zu lassen, wie grenzüberschreitende Formwechsel konkret zu bewerkstelligen seien.110 Je länger ein Regelungsvorschlag des Unionsgesetzgebers auf sich warten lasse, desto dringlicher sei ein Tätigwerden der nationalen Gesetzgeber der Mitgliedstaaten.111 Die Betonung des Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatzes durch den EuGH dürfe man als Regelungsauftrag an die Mitgliedstaaten verstehen, in ihrem jeweiligen nationalen Recht die zur Durchführung grenzüberschreitender Formwechsel erforderlichen Vorschriften zu schaffen.112 Die Mitgliedstaaten seien dazu

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Vgl. Krarup, EBLR 2013, 691 (694). Vgl. Bartels, IPRax 2013, 153 (157); Bayer/J. Schmidt, ZHR 173 (2009), 735 (764); Frenzel, EWS 2009, 158 (164); Frobenius, DStR 2009, 487 (492); Heckschen, in: Widmann/Mayer, UmwR, 118. EL (2010), § 1 UmwG, Rn. 312.1; Hennrichs u.a., WM 2009, 2009 (2015); Hoffmann, in: MünchHdb-GesR, Bd. 6, § 54, Rn. 6; Krarup, EBLR 2013, 691 (698); Otte/Rietschel, GmbHR 2009, 983 (986); Paefgen, WM 2009, 529 (533); Prelic/Prostor, ZfRV 2014, 27 (35); Schaper, ZIP 2014, 810 (816); Teichmann, ZIP 2006, 335 (362); Teichmann, DB 2012, 2085 (2091); Thümmel, Formwechsel, 2013, S. 286 ff.; Weller, FS Blaurock, 2013, 497 (526). 110 Teichmann, DB 2012, 2085 (2091). 111 Vgl. Krarup, EBLR 2013, 691 (698); Verse, ZEuP 2013, 458 (480 f.). 112 Vgl. Teichmann, DB 2012, 2085 (2091); offenbar auch Benrath/König, DK 2012, 377 (380). 109

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durch das Primärrecht verpflichtet.113 Eine unzulässige Beschränkung der Niederlassungsfreiheit könne sich auch daraus ergeben, dass die Mitgliedstaaten es versäumen, einen hinreichend rechtssicheren verfahrensrechtlichen Rahmen für grenzüberschreitende Formwechsel bereitzustellen, der erkennen lasse, in welcher Weise und in welchem Umfang zwingende Gründe des Allgemeininteresses durchgesetzt werden sollten und in welcher Weise die Umwandlung ablaufen solle.114 Gesellschaften machten nur dann von den ihnen durch das Unionsrecht gewährten Umwandlungsmöglichkeiten Gebrauch, wenn die Mitgliedstaaten hierfür ein den Grundsätzen der Transparenz und Rechtssicherheit genügendes Verfahren zur Verfügung stellten.115 Das Unterlassen der Schaffung der verfahrensrechtlichen Grundlagen stelle die praktische Wirksamkeit des Unionsrechts und damit das Vertragsziel der Niederlassungsfreiheit im Binnenmarkt in Frage.116 Die Mitgliedstaaten seien hierzu aufgrund ihrer aus Art. 4 Abs. 3 EUV resultierenden Förderpflicht verpflichtet.117 Die in einer Reihe von Mitgliedstaaten geübte Regelungsabstinenz sei daher unionsrechtswidrig.118 Die Gegenansicht sieht eine unkoordinierte Regelung grenzüberschreitender Formwechsel durch die nationalen Gesetzgeber der einzelnen Mitgliedstaaten hingegen kritisch.119 Selbst wenn ein Mitgliedstaat Gesellschaften diese Umwandlungsmöglichkeit durch sein nationales Recht eröffnen wolle, müsse auch der jeweils andere betroffene Mitgliedstaat entsprechende Verfahrensregeln bereithalten, um die Umwandlung auf rechtssicherer Grundlage durchführen zu können.120 Isolierte Regelungen durch die einzelnen Mitglied113

Vgl. Frowein, Sitzverlegung, 2001, S. 136; Mörsdorf/Jopen, ZIP 2012, 1398 (1401); W.-H. Roth, FS Hoffmann-Becking, 2013, 965 (979); Verse, ZEuP 2013, 458 (480); Wasmeier, Umstrukturierung, 2014, S. 145; siehe auch Hennrichs u.a., WM 2009, 2009 (2012); Mörsdorf, EuZW 2009, 97 (102), die eine entsprechende Verpflichtung zumindest dann annehmen, wenn der jeweilige Mitgliedstaat ein entsprechendes Umwandlungsrecht im innerstaatlichen Kontext vorsieht. 114 Vgl. W.-H. Roth, FS Hoffmann-Becking, 2013, 965 (979); Verse, ZEuP 2013, 458 (480). 115 Vgl. Frowein, Sitzverlegung, 2001, S. 136; W.-H. Roth, FS Hoffmann-Becking, 2013, 965 (987); Verse, ZEuP 2013, 458 (480). 116 Vgl. Frowein, Sitzverlegung, 2001, S. 136. 117 Vgl. Mörsdorf/Jopen, ZIP 2012, 1398 (1401); Wasmeier, Umstrukturierung, 2014, S. 144. 118 Vgl. W.-H. Roth, FS Hoffmann-Becking, 2013, 965 (987); Verse, ZEuP 2013, 458 (480); Teichmann, DB 2012, 2085 (2091). 119 Vgl. Arbeitskreis Europäisches Unternehmensrecht, NZG 2011, 98 (98); V. Braun, Wegzugsfreiheit, 2010, S. 258; Grundmann, Europ. GesR, § 24, Rn. 867; MörsdorfSchulte, KSzW 2014, 117 (125); Wicke, DStR 2012, 1756 (1759); offenbar auch Teichmann/Ptak, RIW 2010, 817 (818); Thümmel, Formwechsel, 2013, S. 288. 120 Vgl. V. Braun, Wegzugsfreiheit, 2010, S. 258; Teichmann/Ptak, RIW 2010, 817 (818).

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staaten seien ungenügend, weil das zentrale Problem des Zusammenwirkens der Registerbehörden unterschiedlicher Mitgliedstaaten nicht im Alleingang zu lösen sei.121 Eine Vielzahl divergierender nationaler Schutzbestimmungen könne ferner die Mobilität von Gesellschaften faktisch beschränken und Vorabentscheidungsverfahren über deren unionsrechtliche Zulässigkeit provozieren.122 Jedenfalls trügen unkoordinierte Regelungen einzelner Mitgliedstaaten mangels Rechtseinheit nicht zur Rechtssicherheit bei.123 Die vorgebrachten Bedenken gegen die Regelung grenzüberschreitender Formwechsel durch die nationalen Gesetzgeber der Mitgliedstaaten vor Erlass einer Sitzverlegungsrichtlinie durch den Unionsgesetzgeber sind nicht ohne Weiteres von der Hand zu weisen. Das Bestreben, eine rechtssichere Rechtsgrundlage für die Durchführung solcher Umwandlungen zu schaffen, ist unbestreitbar anerkennenswert. Zweifelhaft ist jedoch, ob eine unkoordinierte Regelung durch die nationalen Gesetzgeber der Mitgliedstaaten dazu förderlich ist. Da ein grenzüberschreitender Formwechsel seiner Natur nach zwei Mitgliedstaaten betrifft, ist stets die Rechtslage im jeweils anderen Mitgliedstaat zu berücksichtigen (vgl. § 5 I.). Widersprechen sich die (nunmehr kodifizierten) Regelungen der betroffenen Mitgliedstaaten, ist durch die Kodifikation alleine nichts gewonnen. Eine rechtssichere Umwandlungsmöglichkeit besteht weiterhin nicht. Anders verhielte es sich allenfalls, wenn die nationalen Gesetzgeber sämtlicher Mitgliedstaaten die Regelungen der Internationalen Verschmelzungsrichtlinie beziehungsweise der SE-VO für ihre jeweiligen Regelungen als Vorbild nähmen. Auf Grundlage dieser Vorschriften ließe sich ein einheitlicher Verfahrensablauf gewährleisten. Bei nunmehr 28 Mitgliedstaaten ist diese Vorstellung jedoch abwegig. Auch das Argument, einer nationalen Regelung könne Vorbildcharakter für eine spätere sekundärrechtliche Regelung zukommen124, verfängt nicht. Vorbilder für eine Regelung durch den Unionsgesetzgeber bestehen mit der Internationalen Verschmelzungsrichtlinie, der SE-VO und des Vorentwurfs der Sitzverlegungsrichtlinie bereits zuhauf. Festzuhalten bleibt, dass lediglich durch Erlass einer Sitzverlegungsrichtlinie die Vorschriften sämtlicher Mitgliedstaaten aufeinander abgestimmt und so ein rechtssicheres Umwandlungsverfahren gewährleistet werden kann. Bislang fehlt auf Unionsebene lediglich der politische Wille, das Vorhaben umzusetzen.

121

Vgl. Mörsdorf-Schulte, KSzW 2014, 117 (125); Wicke, DStR 2012, 1756 (1759). Vgl. Grundmann, Europ. GesR, § 24, Rn. 867. 123 Vgl. Arbeitskreis Europäisches Unternehmensrecht, NZG 2011, 98 (98); Thümmel, Formwechsel, 2013, S. 288. 124 Vgl. Thümmel, Formwechsel, 2013, S. 288. 122

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2. Regelungsbedarf im deutschen Recht? Unabhängig von der Frage, ob eine gesetzliche Regelung durch die nationalen Gesetzgeber der Mitgliedstaaten im Vorfeld des Erlasses einer Sitzverlegungsrichtlinie sinnvoll ist, stellt sich für den deutschen Gesetzgeber die Frage, bezüglich welcher Regelungsmaterien überhaupt Reformbedarf besteht. Zunächst ließe sich an eine Reform des Internationalen Gesellschaftsrechts denken, welches bis zum heutigen Tage nicht kodifiziert ist. Unerlässlich ist jedenfalls eine materiellrechtliche Regelung grenzüberschreitender Formwechsel, also eine Novelle des Umwandlungsgesetzes nach dem Vorbild der §§ 122a ff. UmwG. Nur auf diesem Wege kann ein rechtssicherer verfahrensrechtlicher Rahmen für die Umwandlung geschaffen werden. a) Reform Internationalen Gesellschaftsrechts? Bereits seit Anfang 2008 liegt ein Referentenentwurf zum Internationalen Gesellschaftsrecht vor.125 Art. 10b EGBGB in der Fassung des Referentenentwurfs erlaubt den Wechsel des auf eine Gesellschaft anwendbaren Rechts. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass „das bisherige und das neue Recht einen Wechsel ohne Auflösung und Neugründung zulassen und die Voraussetzungen beider Rechte hierfür vorliegen“. Bei grenzüberschreitenden Formwechseln im Binnenmarkt kommt es bei Zugrundelegung der Rechtsprechung des EuGH freilich lediglich darauf an, dass der Aufnahmestaat zumindest innerstaatlich einen Wechsel der Rechtsform ohne Auflösung und Neugründung zulässt (vgl. § 4 IV. 2.). In dieser Konstellation ist es dem Herkunftsstaat durch das Unionsrecht grundsätzlich verwehrt, den Umwandlungsbeschluss zum Anlass zu nehmen, die Gesellschaft aufzulösen, und einen Statutenwechsel dadurch zu verhindern. Es besteht jedoch kein Anlass dazu, die Rechtsprechung des EuGH im Falle der Kodifikation des Internationalen Gesellschaftsrechts durch eine Änderung des Wortlauts des Art. 10b EGBGB in der Fassung des Referentenentwurfs zu berücksichtigen.126 Der Wortlaut der Vorschrift ließe durchaus eine Interpretation zu, welche im Einklang mit den unionsrechtlichen Vorgaben steht. Zudem wäre der Anwendungsbereich des Art. 10b EGBGB nicht auf Fälle von Formwechseln zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union beschränkt, sodass eine weiter gefasste Regelung durchaus sinnvoll ist. Der Referentenentwurf enthält allerdings ausschließlich kollisionsrechtliche Vorschriften, welche das bei einem Sachverhalt mit Auslandsberührung zur Anwendung kommende Sachrecht bestimmen. Er enthält hingegen keine 125 Vgl. RefE eines Gesetzes zum Internationalen Privatrecht der Gesellschaften, Vereine und juristischen Personen vom 7.1.2008, abrufbar unter (Stand: 22.10.2014). 126 Anders Kobelt, GmbHR 2009, 808 (813).

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sachrechtliche Regelung grenzüberschreitender Formwechsel, sondern setzt deren sachrechtliche Gestattung durch das Recht der betroffenen Staaten voraus.127 Selbst wenn der Referentenentwurf wider Erwarten noch umgesetzt werden sollte,128 wäre die durch Art. 10b EGBGB RefE verfolgte kollisionsrechtliche Regelung alleine nicht geeignet, die bezüglich grenzüberschreitender Formwechsel bestehende Rechtsunsicherheit zu beseitigen. Wessen Staates Rechtsvorschriften bei grenzüberschreitenden Umwandlungen anzuwenden sind, ist aufgrund der allgemeinen Anerkennung der kollisionsrechtlichen Vereinigungstheorie bereits hinreichend geklärt (vgl. § 5 II.). b) Novelle des Umwandlungsgesetzes Demnach ist eine Novelle des Umwandlungsgesetzes unerlässlich, um eine rechtssichere Rechtsgrundlage für grenzüberschreitende Formwechsel zu schaffen. Im Schrifttum wird der deutsche Gesetzgeber verbreitet dazu aufgerufen, baldmöglichst eine spezielle Regelung nach dem Vorbild der §§ 122a ff. UmwG zu erlassen.129 Dabei könne auf die Grundprinzipien bereits bestehender Regelungen über grenzüberschreitende Umstrukturierungsmaßnahmen zurückgegriffen werden.130 Demgegenüber wird teils vom Erlass über die §§ 122a ff. UmwG hinausgehender Regelungen grenzüberschreitender Umwandlungen abgeraten.131 Da unionsrechtliche Harmonisierungsregelungen fehlten und eine unüberschaubar große Zahl von Kombinationsmöglichkeiten bestehe, könne eine Kodifizierung in der bisher vom Umwandlungsgesetz bekannten Regelungstiefe nicht erfolgen.132 Sofern der deutsche Gesetzgeber das Umwandlungsgesetz im Vorfeld oder nach Erlass einer Sitzverlegungsrichtlinie novellieren sollte, müssen folgende Punkte Berücksichtigung finden: Zunächst bedarf es einer Änderung des § 1 Abs. 1 UmwG hinsichtlich der Formulierung „mit Sitz im Inland“. Derzeit postuliert die Vorschrift eine unzutreffende Rechtslage und bedarf der unionsrechtskonformen Auslegung (vgl. § 5 III.). Um dem Rechtsanwender die tatsächliche Rechtslage zu verdeutlichen, sollte im Umwandlungsgesetz eine Klarstellung erfolgen, dass das Gesetz grenzüberschreitenden Umwandlungen zwischen den Mitgliedstaaten nicht entgegensteht. Was den Anwendungsbereich der gesetzlichen Regelung anbelangt, sollten die rechtspolitischen Feh127

Vgl. Kindler, IPRax 2009, 189 (195); Leible, in: Michalski, GmbHG, Bd. 1, IntGesR, Rn. 179; Leuering, ZRP 2008, 73 (76). 128 Vgl. Drygala, in: Lutter, UmwG, Bd. I, § 1, Rn. 4. 129 Vgl. Bayer/J. Schmidt, ZHR 173 (2009), 735 (764); Frenzel, EWS 2009, 158 (164); Frobenius, DStR 2009, 487 (492); Hennrichs u.a., WM 2009, 2009 (2015); Paefgen, WM 2009, 529 (533); Schaper, ZIP 2014, 810 (816); Teichmann, DB 2012, 2085 (2091); Thümmel, Formwechsel, 2013, S. 287 f. 130 Vgl. Thümmel, Formwechsel, 2013, S. 288. 131 Vgl. Hörtnagl, in: Schmitt/Hörtnagl/Stratz, UmwG/UmwStG, § 1 UmwG, Rn. 46. 132 Hörtnagl, in: Schmitt/Hörtnagl/Stratz, UmwG/UmwStG, § 1 UmwG, Rn. 46.

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ler, welche bei der Regelung der grenzüberschreitenden Verschmelzung begangen wurden, tunlichst vermieden werden. Das Recht, einen grenzüberschreitenden Formwechsel in eine EU-ausländische Rechtsform durchzuführen, ist grundsätzlich sämtlichen Rechtsträgern im Anwendungsbereich der Art. 49 ff. AEUV unionsrechtlich verbürgt. Dementsprechend sollte die Regelung keinesfalls auf Kapitalgesellschaften beschränkt werden, selbst wenn eine Sitzverlegungsrichtlinie lediglich zu einer Regelung für diese Rechtsformen verpflichten sollte. Andernfalls bliebe es für Personengesellschaften beim derzeitigen Zustand der Rechtsunsicherheit, welcher zu Recht beklagt wird. Angesicht der potentiellen Gefährdung der Rechtspositionen der Gesellschaftsgläubiger und Anteilsinhaber einer deutschen Gesellschaft durch einen Herausformwechsel müssen entsprechende Schutzinstrumente gesetzlich verankert werden. Zum Schutz der Gläubiger des formwechselnden Rechtsträgers sollte zum einen eine Nachhaftung persönlich haftender Gesellschafter für diejenigen Fälle vorgesehen werden, in denen infolge der Umwandlung die persönliche Einstandspflicht von Gesellschaftern für Gesellschaftsverbindlichkeiten entfällt. Zum anderen bedarf es der Kodifizierung eines Anspruchs der Gesellschaftsgläubiger auf Sicherheitsleistung, welcher nicht den Nachweis einer konkreten Gefährdung der Erfüllung der Gesellschaftsverbindlichkeit durch die Umwandlung voraussetzt. Durch das Erfordernis der Glaubhaftmachung einer konkreten Gefährdung wird das Schutzinstrument faktisch entwertet. Stattdessen sollte sich der Gesetzgeber an den gesetzlichen Regelungen der Ansprüche auf Sicherheitsleistung im Falle der Kapitalherabsetzung von Kapitalgesellschaften orientieren. Eine andere Möglichkeit, den Schutz der Gesellschaftsgläubiger vor umwandlungsbedingten Gefahren zu gewährleisten, läge darin, diesen das Recht einzuräumen, die Einberufung einer Gläubigerversammlung zu beantragen, welche gegen die Durchführung der Umwandlung votieren kann. Der Gesetzgeber könnte sich insoweit an den englischen Regelungen der regs. 11, 14 CCBMR 2007 orientieren, welche ein solches Gläubigerschutzinstrument für Fälle der grenzüberschreitenden Verschmelzung vorsehen. Zum Schutz der Anteilsinhaber des formwechselnden Rechtsträgers sollten Zustimmungserfordernisse vorgesehen werden, welche denjenigen bei innerstaatlichen Formwechseln vergleichbar sind. Ist danach eine Mehrheitsentscheidung über die Durchführung des Formwechsels möglich, sollte dissentierenden Minderheitsgesellschaftern ferner die Möglichkeit eingeräumt werden, aus dem formwechselnden Rechtsträger gegen eine Barabfindung auszuscheiden. Das Gesetz muss jedoch sicherstellen, dass die Ansprüche ausscheidender Gesellschafter nach der Durchführung der Umwandlung auch bedient werden können. Der formwechselnde Rechtsträger könnte beispielsweise gesetzlich dazu verpflichtet werden, zur Sicherung dieser Ansprüche eine Bankbürgschaft zu stellen.

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Was die Perspektive des Hereinformwechsels EU-ausländischer Gesellschaften anbelangt, sollte der formwechselnde Zuzug in die in § 191 Abs. 2 UmwG genannten Zielrechtsformen unabhängig von der konkreten Rechtsform des formwechselnden Rechtsträgers zugelassen werden. Aus der Perspektive des deutschen Rechts ist es letztlich unerheblich, in welcher Rechtsform der formwechselnde Rechtsträger bislang organisiert ist. Entscheidend ist vielmehr, dass das Gründungsrecht der Zielrechtsform eingehalten wird. Für den Hereinformwechsel in die Rechtsform einer Personengesellschaft bedarf es nicht der Statuierung besonderer Voraussetzungen. Beim Hereinformwechsel in die Rechtsform einer Kapitalgesellschaft muss hingegen gewährleistet werden, dass das Reinvermögen des formwechselnden Rechtsträgers die Stamm- beziehungsweise Grundkapitalziffer der Zielrechtsform abdeckt. Eine dahingehende registergerichtliche Kontrolle ist zum Schutz des Rechtsverkehrs unerlässlich. Im Hinblick auf das Umwandlungsverfahren muss die gesetzliche Regelung den Vorgaben einer Sitzverlegungsrichtlinie entsprechen. Lässt diese weiterhin auf sich warten und wird der deutsche Gesetzgeber gleichwohl legislativ tätig, sollte er sich an der Internationalen Verschmelzungsrichtlinie beziehungsweise der SE-VO orientieren. Für den Fall des Herausformwechsels ist eine staatliche Stelle zu benennen, welche die Einhaltung der Umwandlungsvoraussetzungen des deutschen Rechts kontrolliert und für den Aufnahmestaat dokumentiert. Es bietet sich an, diese Funktion dem für die jeweilige Gesellschaft zuständigen Registergericht zuzuweisen. Zudem sind Regelungen bezüglich der Durchführung des Registerverfahrens entsprechend den vorstehend entwickelten Grundsätzen zu kodifizieren (vgl. § 6 IV. 2. c) aa)). Für die Konstellation des Hereinformwechsels sollte durch das Umwandlungsgesetz klargestellt werden, dass die Umwandlung mit der Eintragung des Formwechsels in das für die Zielrechtsform zuständige Register wirksam wird. Zweifelhaft ist indessen, ob es insofern einer gesetzlichen Sonderreglung für die nicht registerpflichtige beziehungsweise registerfähige GbR bedarf. Das Umwandlungsgesetz könnte die Kontrolle der Umwandlungsvoraussetzungen deutschen Rechts etwa demjenigen Registergericht zuweisen, welches zuständig wäre, wenn die Gesellschaft ein Handelsgewerbe im Sinne des § 1 Abs. 2 HGB betreiben würde. Im Falle des Hereinformwechsels in die Rechtsform der GbR könnte hinsichtlich der Wirksamkeit des Formwechsels ausnahmsweise an die Eintragung der Umwandlung in das für die Ausgangsrechtsform zuständige Register angeknüpft werden. Da allerdings nicht zu erwarten ist, dass grenzüberschreitenden Formwechseln der GbR beziehungsweise in die Rechtsform der GbR nennenswerte praktische Bedeutung zukommt, könnte die Klärung damit zusammenhängender Rechtsfragen der Rechtsprechung überlassen werden.

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IV. Zwischenergebnis Obgleich der EuGH in den Rechtssachen Cartesio und VALE wesentliche Weichenstellungen vorgenommen hat, besteht nach wie vor ein Bedürfnis für den Erlass einer Sitzverlegungsrichtlinie durch den Unionsgesetzgeber. Dessen Regelungskompetenz umfasst die Möglichkeit, den Mitgliedstaaten vorzuschreiben, dass mit der Umwandlung zugleich der effektive Verwaltungssitz des formwechselnden Rechtsträgers in den Aufnahmestaat verlegt wird. Sollte der Unionsgesetzgeber einen entsprechenden Vorbehalt nicht formulieren, sind isolierte Formwechsel im Binnenmarkt gleichwohl nicht zulässig, denn zwischen einer Gesellschaft und dem Mitgliedstaat, nach dessen Recht sie organisiert ist, muss stets ein genuine link bestehen. Eine Regelung grenzüberschreitender Formwechsel durch die nationalen Gesetzgeber der Mitgliedstaaten vor Erlass einer Sitzverlegungsrichtlinie ist demgegenüber nicht sinnvoll. Die unkoordinierte Rechtssetzung durch die einzelnen Mitgliedstaaten ist zur Schaffung einer rechtssicheren Rechtsgrundlage nicht förderlich. Sollte der deutsche Gesetzgeber grenzüberschreitende Formwechsel gleichwohl gesetzlich regeln wollen, bedarf es hierzu nicht der Kodifikation kollisionsrechtlicher Vorschriften. Zur Bewältigung grenzüberschreitender Formwechsel kann auf die kollisionsrechtliche Vereinigungstheorie zurückgegriffen werden. Eine Novelle des Umwandlungsgesetzes ist demgegenüber unerlässlich. Der personelle Anwendungsbereich der materiellrechtlichen Regelungen sollte sämtliche Rechtsträger erfassen, welche sich auf die Art. 49 ff. AEUV berufen können. Selbst wenn eine Sitzverlegungsrichtlinie eine Regelungsverpflichtung der Mitgliedstaaten nur in Bezug auf Kapitalgesellschaften begründen sollte, sollte der deutsche Gesetzgeber Vorschriften auch in Bezug auf Personengesellschaften schaffen, um auch insoweit Rechtssicherheit herzustellen. Für Fälle des Herausformwechsels deutscher Gesellschaften bedarf es wirkungsvoller Schutzinstrumente sowohl zugunsten der Gesellschaftsgläubiger als auch zugunsten der Anteilsinhaber. Für Fälle des Hereinformwechsels EU-ausländischer Gesellschaften muss zum Schutz des Rechtsverkehrs verhindert werden, dass die Gründungsvorschriften der jeweiligen deutschen Zielrechtsform durch die Umwandlung umgangen werden. Bei der rechtlichen Ausgestaltung des Umwandlungsverfahrens sollte sich der Gesetzgeber an den Vorgaben der Sitzverlegungsrichtlinie, hilfsweise an den Regelungen der Internationalen Verschmelzungsrichtlinie und der SE-VO orientieren. Sonderregelungen für die nicht registerpflichtige beziehungsweise registerfähige GbR sind hingegen nicht obligatorisch.

Zusammenfassung in Thesen Die Niederlassungsfreiheit verbürgt ihren Trägern die Freiheit, sich ungehindert faktisch an einem beliebigen Standort innerhalb des Binnenmarktes anzusiedeln, nicht hingegen die Freiheit, für eine wirtschaftliche Unternehmung unabhängig von einer tatsächlichen Standortwahl eine bestimmte rechtliche Organisationsform in Anspruch zu nehmen. Die Existenz einer tatsächlichen Niederlassung eines Marktteilnehmers in einem anderen Mitgliedstaat ist notwendige Voraussetzung des Tatbestands und damit des sachlichen Anwendungsbereichs der Niederlassungsfreiheit. Mitgliedstaatliche Regelungen, welche den Marktzugang eines Marktteilnehmers in einem anderen Mitgliedstaat betreffen, sind einer Kontrolle anhand des Beschränkungsverbots zu unterziehen. Regelungen, welche Vorgaben für die Ausübung wirtschaftlicher Tätigkeiten durch den Marktteilnehmer beinhalten, unterliegen einer Überprüfung am Maßstab des Diskriminierungsverbots. Im Bereich des Gesellschaftsrechts besteht ein unionsrechtlich nicht überprüfbarer Rechtssetzungsspielraum der Mitgliedstaaten. Dieser umfasst die Befugnis der Mitgliedstaaten, die Voraussetzungen für die Gründung einer Gesellschaft und die Bedingungen für den Erhalt der Eigenschaft als Gesellschaft des jeweiligen Mitgliedstaates festzulegen. Die Grenzen des Rechtssetzungsspielraums sind erreicht, wenn eine Gesellschaft ihre durch die Rechtsordnungszugehörigkeit vermittelte Verknüpfung mit dem jeweiligen Mitgliedstaat lösen möchte. Bewegt sich eine Gesellschaft eines Mitgliedstaates im Rahmen der durch die Rechtsordnung dieses Mitgliedstaates eröffneten Mobilitätsmöglichkeiten, sind die übrigen Mitgliedstaaten unionsrechtlich verpflichtet, die Gesellschaft als solche anzuerkennen, sofern zwischen der Gesellschaft und dem Mitgliedstaat, dessen Rechtsordnung sie unterliegt, eine effektive Bindung im Sinne eines niederlassungsrechtlichen genuine link besteht. Soweit der identitätsstiftende Kernbereich typus- und mitgliedschaftsprägender Regelungsmaterien betroffen ist, sind die Vorschriften des Mitgliedstaates auf die Gesellschaft anzuwenden, nach dessen Rechtsvorschriften die Gesellschaft gegründet wurde. Im Übrigen sind die Mitgliedstaaten grundsätzlich berechtigt, ihr nationales Recht auf EU-ausländische Gesellschaften

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anzuwenden, soweit dadurch die rechtliche Identität der Gesellschaft nicht tangiert wird. Grenzüberschreitende Formwechsel werden durch die Niederlassungsfreiheit gewährleistet, wenn der Umwandlungsvorgang mit einer tatbestandsmäßigen Niederlassung im Aufnahmestaat einhergeht und der Aufnahmestaat einen entsprechenden Formwechsel zumindest innerstaatlich zulässt. Die Niederlassungsfreiheit kann ein entsprechendes Umwandlungsrecht jedoch nicht begründen. Beschränkungen seitens des Herkunftsstaates müssen sich am Maßstab der Gebhard-Formel messen lassen. Demgegenüber sind die Rechtsvorschriften des Aufnahmestaates unionsrechtlich lediglich anhand des Diskriminierungsverbots überprüfbar. Isolierte Formwechsel werden nicht durch die Niederlassungsfreiheit gewährleistet. Auf grenzüberschreitende Formwechsel findet sowohl das materielle Recht des Herkunftsstaates als auch das materielle Recht des Aufnahmestaates Anwendung. Welche Rechtsordnung im Einzelnen zur Anwendung gelangt, entscheidet sich nach den Grundsätzen der kollisionsrechtlichen Vereinigungstheorie. Soweit diese deutsches Recht zur Anwendung beruft, gelangt das materielle Umwandlungsrecht zur Anwendung. Da spezielle Vorschriften für grenzüberschreitende Vorschriften derzeit nicht existieren, muss im Wege der Analogie auf andere Vorschriften zurückgegriffen werden. Die Risiken, welche ein Formwechsel für Gesellschaftsgläubiger, Anteilsinhaber sowie den Rechtsverkehr birgt, sind im innerstaatlichen und grenzüberschreitenden Kontext vergleichbar. Das Regelungsregime der §§ 190 ff. UmwG enthält im Ausgangspunkt ein taugliches Schutzkonzept, welches auf grenzüberschreitende Fallkonstellationen übertragen werden kann. Bei der Durchführung des Registerverfahrens hat man sich hingegen an den diesbezüglichen Regelungen der §§ 122a ff. UmwG sowie Art. 8 SE-VO zu orientieren. Über den Zeitpunkt der Wirksamkeit grenzüberschreitender Formwechsel entscheidet das Recht des Aufnahmestaates. Das englische Recht ist im Vergleich zum deutschen Recht schlechter zur Bewältigung grenzüberschreitender Formwechsel gerüstet. Das englische Gesellschaftskollisionsrecht in Gestalt der Inkorporationstheorie ist unionsrechtswidrig, weil es den Statutenwechsel einer Gesellschaft nicht zulässt. Die materiellrechtlichen Umwandlungsvorschriften des englischen Rechts bieten keine rechtssichere Grundlage für die Durchführung grenzüberschreitender Formwechsel. Es besteht ein Bedürfnis für den Erlass einer Sitzverlegungsrichtlinie durch den Unionsgesetzgeber. Die unkoordinierte Regelung grenzüberschreitender Formwechsel durch die nationalen Gesetzgeber der Mitgliedstaaten ist zur Schaffung einer rechtssicheren Rechtsgrundlage nicht förderlich.

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Sachregister Allgemeinwohlinteressen 135, 189, 206, 230, 272 Analogieverbot (umwandlungsrechtliches) 169 f. Anknüpfungsmerkmal (kollisionsrechtliches) 46 ff., 108, 114, 123, 129, 133, 153 Anpassung (kollisionsrechtliche) 83, 121, 161 ff. Amtsermittlungsgrundsatz 182 Äquivalenzgrundsatz 37, 190 f., 196, 203, 262, 276 Auswanderungsfreiheit (einer Gesellschaft) 115, 132 Austrittsrecht (eines Gesellschafters) 209, 232, 267, 313 Barabfindung (Anspruch auf) 215 ff., 220 ff., 232, 237 f., 240, 244, 248, 253, 267, 337 Binnenmarkt (europäischer) 14 ff., 42 ff., 60 ff., 74 ff., 81 ff., 145 ff. Briefkastengesellschaft 12, 19, 24, 48, 91 ff., 98 ff., 143 f., 152, 331 Cadbury Schweppes 27 ff., 39, 65 ff., 70 f., 102 f. Cartesio 29 ff., 36, 41,91, 97, 112, 138, 328 f. Centros 19 f., 23 f., 29, 63, 71, 81 ff., 99, 101, 104, 107, 120 Daily Mail 17 f., 26 f., 30, 32, 32, 34, 42 Differenzhaftung 266 f. Effektivitätsgrundsatz 37, 139, 142, 189 ff., 252, 256, 260, 287, 295, 332

Einheitstheorie (kollisionsrechtliche) 153, 158 Ermächtigungsgrundlagen (unionsrechtliche) 14, 330 Formwechsel (grenzüberschreitender) 1, 129 ff. 156 ff., 297 ff., 328 ff. – Ausgangsrechtsformen 233 ff., 273 ff. – Herausformwechsel 130 ff., 174 ff., 308 ff. – Hereinformwechsel 135 ff., 258 ff., 320 ff. – Institutsgarantie 140 f., 154 – isolierter 143 ff., 154, 330 f. – rechtsformkongruenter 140, 142 f., 184, 208 f., 276 f., 295 – Zielrechtsformen 235 f., 276 – Wirksamkeitszeitpunkt 157, 165, 183, 186, 195, 205 f., 257, 273, 292, 318 f., 325, 341 Freigabeverfahren (registergerichtliches) 249 Gebhard-Formel 65 ff., 80 f., 85 ff., 95, 135, 154, 191, 205, 229, 341 Genuine-link-Erfordernis 99 f., 105 f., 108 ff., 144, 150, 153, 155, 331, 339 f. Gerichtsstandsfiktion 197, 202 f., 228 Gerichtsstandsperpetuierung 202 f. Gesamtanalogie 168, 213 f., 242 Gesellschafterschutz (umwandlungsrechtlicher) 183 ff., 209 ff., 311 ff. Gesellschaftsstatut 3, 5 ff., 10 ff. Gläubigerschutz (umwandlungsrechtlicher) 176 ff., 192 ff., 309 ff.

354

Sachregister

Gründungstheorie 10 ff., 22, 33 f., 98, 106 ff., 111, 118 ff. 127, 160, 297, 299, 302 Hauptverwaltung (einer Gesellschaft) 6 f., 12, 43, 48, 50, 60, 74 ff., 111 f., 118 ff., 124, 160, 297, 299, 302 Herkunftslandprinzip 120 Identitätsdogma 53 f. Inkorporationstheorie 11, 13, 299, 301 f., 306, 326, 341 Insolvenzstatut 46 ff., 182 Inspire Art 22 ff., 29, 63, 71, 99, 101, 104, 120 Intertemporales Recht 162, 165 f. Kapitalaufbringung 180, 186, 261, 263, 279, 289 f., 296, 303 f. Kapitalerhaltung 180, 186, 218, 220 f., 227, 230, 248, 273, 279 Kernbereich (identitätsstiftender Regelungsmaterien) 124, 153, 340 Kollisionsrecht 3 ff. Kombinationslehre (kollisionsrechtliche) siehe Vereinigungstheorie Kontinuität (des Rechtsträgers) siehe Identitätsdogma Motive (grenzüberschreitender Mobilität) 43 ff., 50 ff., 103 f., 226 f. Nachhaftung (von Gesellschaftern) 193 ff., 253, 255, 309, 311, 337 National Grid Indus 32 ff. Niederlassungsfreiheit – Anwendungsbereich 32, 60 ff., 70, 72 ff., 86 f., 90, 93 f.,101 f., 113 ff., 117, 120, 134, 136, 146 f., 150 ff., 233, 301 f., 304, 337, 340 – Bereichsausnahme 17 f., 93 f., 134 f. – Beschränkung 20 f., 23, 26, 28 f., 31, 33, 36, 70, 72, 79 ff., 95, 119, 122 f., 128, 132 ff., 137, 139, 153, 166 f, 191, 203, 208, 229, 235, 270, 275, 302, 326, 333 – Beschränkungsverbot 77 ff., 80 ff., 90, 126, 135 ff., 139 ff., 154, 176, 188 ff.

– Diskriminierungsverbot 77, 79 ff.,84, 126, 140, 142, 154, 190 f. – Gewährleistungsinhalt 60, 71, 77f., 81, 85 – Niederlassungsbegriff 29, 65 ff., 69 ff., 96, 99, 101 ff., 129, 146, 149 – Niederlassungsvorgang 71, 73 f., 90, 96, 103 f., 122, 129, 134, 143, 146 ff., 151 ff., 174, 233, 258, 274, 301, 320 – Rechtfertigung (einer Beschränkung) 84 ff., 188 ff., 204 ff., 260 f., 270 f., 288 ff. Normenhirarchie (unionsrechtliche) 115 re-registration 306 ff., 311 ff., 316 ff., 320, 324 f., 327 SEVIC Systems 25 f., 34 f., 41 Sicherheitsleistung (Anspruch auf) 195 ff., 204, 206 ff., 238, 253, 255, 293, 310 f., 337 Sitztheorie 5 ff., 18, 20 ff., 24, 48, 93, 98, 105, 108, 111, 119 ff., 135, 151, 153, 302 Sitzverlegungsrichtlinie 15 f., 18, 20 ff., 24, 48, 93, 98, 105, 108, 111, 119 ff., 135, 151, 153, 302 squeeze out (umwandlungsrechtlicher) 183, 226 Substitution (kollisionsrechtliche) 125, 162, 164 f., 264, 269, 271, 274, 281, 295, 304 ff. Überseering 20 ff., 112, 120 f. Umwandlungsbericht 222, 237 ff., 244, 248, 271, 278 Umwandlungsbeschluss 209 ff., 220 f., 224 ff., 229 ff., 233, 237, 239 ff., 247 ff., 255, 279 ff., 311 ff., 317 ff., 323, 327, 335 – Beschlussmängel 214, 223, 227 – Zweckmäßigkeitskontrolle 224 f. Umwandlungsverfahren 236 ff., 277 ff., 314 ff., 322 ff. Unterbilanzhaftung 267 Unternehmergesellschaft (UG) 276 u-turn construction 68, 104

Sachregister VALE 34 ff., 42, 70, 91, 93, 96, 98, 101 f., 117, 139, 141, 169, 189 ff., 204, 229, 292, 328 f., 339 Vereinigungstheorie (kollisionsrechtliche) 157 ff., 163, 173, 192, 209, 228, 242, 245, 262, 282 f., 309, 317, 324, 336, 339, 341 Verschmelzung (grenzüberschreitende) 25 f., 55 ff., 146 f., 171, 173 ff., 188, 192 f., 201, 211 f., 222 f., 234, 240 ff., 246, 257 f., 278, 307 ff., 316 ff., 328 Verschmelzungsbescheinigung 196, 246, 324 Verschmelzungsrichtlinie (internationale) 14, 26, 55 ff., 147, 158, 171, 250, 252, 254, 285, 292, 296, 307 f., 334, 338 f.

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Verwaltungssitz siehe Hauptverwaltung Verlegungssitzverlegung 32, 34, 92, 111 ff., 130, 133, 153 Vor-GmbH 267 f. Wechselbalgtheorie 9, 105, 111, 123, 308 Wegzugsbesteuerung 32 ff. Zweigniederlassung (einer Gesellschaft) 3, 19 f., 22 f., 50, 101, 104, 110 f., 125, 149