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German Pages 508 Year 2014
Schriften zur Europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte Band 61
Die Anerkennung ausländischer Gesellschaften im französischen und deutschen Rechtskreis Die historische Entwicklung der Sitztheorie und ihr gegenwärtiger Stand
Von
Aline Kühne
Duncker & Humblot · Berlin
ALINE KÜHNE
Die Anerkennung ausländischer Gesellschaften im französischen und deutschen Rechtskreis
Schriften zur Europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte Herausgegeben von Prof. Dr. Martin Schermaier, Bonn Prof. Dr. Reiner Schulze, Münster Prof. Dr. Elmar Wadle, Saarbrücken Prof. Dr. Reinhard Zimmermann, Hamburg
Band 61
Die Anerkennung ausländischer Gesellschaften im französischen und deutschen Rechtskreis Die historische Entwicklung der Sitztheorie und ihr gegenwärtiger Stand
Von
Aline Kühne
Duncker & Humblot · Berlin
Die Juristische Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg hat diese Arbeit im Wintersemester 2013/2014 als Dissertation angenommen.
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© 2014 Duncker & Humblot GmbH, Berlin
Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0937-3365 ISBN 978-3-428-14352-8 (Print) ISBN 978-3-428-54352-6 (E-Book) ISBN 978-3-428-84352-7 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
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Vorwort Die vorliegende Arbeit entstand während meiner Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Deutsche und Europäische Rechtsgeschichte an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und wurde vom Promotionsausschuss der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der FAU im WS 2013/2014 als Dissertation angenommen. Es ist nun an der Zeit, all jenen Menschen ganz herzlich zu danken, die – viel mehr als es jeder einzelne von ihnen vielleicht ahnen mag – maßgeblich zum Gelingen meines Promotionsvorhabens beigetragen haben. Zuallererst nennen möchte ich meinen Doktorvater, Herrn Professor Dr. Bernd Mertens: Ihnen gebührt mein ganz besonderer, aufrichtiger Dank, zum einen für die hervorragende Betreuung meiner Dissertation und die jederzeitige Gesprächsund Diskussionsbereitschaft (nicht nur) in Zusammenhang mit meinem Promotionsthema, zum anderen für die Möglichkeit, überhaupt verantwortlich am Wissenschaftsbetrieb mitgearbeitet haben zu dürfen. Die Zeit an Ihrem Lehrstuhl hat mich nicht nur fachlich, sondern vor allem auch persönlich bereichert und ich werde diese als wichtiges Kapitel in meinem Leben stets in bester Erinnerung behalten. Mein Dank gilt auch Herrn Professor Dr. Jan Thiessen für die Erstellung des Zweitgutachtens mitsamt wertvoller Hinweise für die Überarbeitung dieses Manuskriptes, den Herren Professoren Dr. Mathias Rohe und Dr. Klaus Ulrich Schmolke für die Teilnahme an der Prüfungskommission sowie den Herausgebern dieser Schriftenreihe, insbesondere Herrn Professor Dr. Reiner Schulze, für die freundliche Aufnahme meines Werkes. Darüber hinaus möchte ich meine Dankbarkeit gegenüber dem Fachbereich Rechtswissenschaft der FAU für die Verleihung des Promotionspreises 2014 sowie Frau Dr. Alice Rössler und der Rödl-Stiftung für die erfahrene finanzielle Unterstützung in Form der Gewährung eines Druckkostenzuschusses bzw. eines Geldpreises zum Ausdruck bringen. Ich möchte ferner alle meine ehemaligen Lehrstuhlkolleg(inn)en, vor allem Christiane Höhne und Dr. Anja Steiner, erwähnen. Euch danke ich nicht nur für den juristischen und didaktischen Austausch und die gegenseitige Motivation, sondern vor allem für die schönen Erinnerungen an unsere Promotionszeit und die entstandene Freundschaft auf dem „Rechtsgeschichte-Flur“.
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Vorwort
Nicht zuletzt möchte ich den für mich wichtigsten Menschen von tiefstem Herzen danken: Meinen Freunden und natürlich meiner Familie. Ich danke Euch, vor allem meinem Freund, Dr. Markus Haberkamm, für die schöne (Frei-)Zeit fernab der Bücherlektüre und Recherche. Meinen Großeltern, meinem Bruder und meinen Eltern, Denny, Simone und Steffen Kühne, danke ich dafür, dass sie mich stets uneingeschränkt unterstützt und gefördert haben. Danke für Euren steten Rückhalt und die Liebe, durch die Ihr die Grundlage für meine berufliche und private Entwicklung geschaffen habt. Meiner Familie möchte ich dieses Buch widmen. Nürnberg, im Frühjahr 2014
Aline Kühne
Inhaltsverzeichnis A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Gegenstand der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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II. Bisheriger Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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B. Der Umgang mit fremden Gesellschaften in Frankreich, Belgien und Deutschland aus rechtshistorischer Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Die Entwicklung der Anerkennung ausländischer Gesellschaften . . . . . . . . .
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1. Der Anerkennungsbegriff in seiner internationalgesellschaftsrechtlichen Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2. Die Entwicklung der Anerkennung im romanischen Rechtskreis, insbesondere in Frankreich und Belgien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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a) Rolle der historischen Entwicklung der Aktiengesellschaft für die Anerkennungsfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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b) Die Entwicklung des französischen und belgischen nationalen Aktienrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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aa) Der Weg vom Octroi (lettres patentes) zum Konzessionssystem (autorisation gouvernementale) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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(1) Abgrenzung von Korporation (universitas) und Gesellschaft (societas) im römischen Recht und Modifikation der gesellschaftsrechtlichen Grundformen im französischen Recht . . . .
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(2) Die Vorläufer der Aktiengesellschaften in Frankreich . . . . . . .
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(a) Die société anonyme des Ancien Régime . . . . . . . . . . . . .
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(b) Die Entwicklung der Kapitalgesellschaften . . . . . . . . . . . .
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(c) Die negativen Erfahrungen mit den Vorläufern der Aktiengesellschaft bis zur Herrschaft Napoleons . . . . . . . . . .
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bb) Der Übergang zum Konzessionssystem durch die Einführung des code de commerce 1807 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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(1) Eigene Rechtsfähigkeit der AG als Hintergrund der Konzession . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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(2) Haftungsbeschränkung als Hintergrund der Konzession . . . . .
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(3) Kontrolle der Macht der AG als Motiv des Konzessionserfordernisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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(4) Umsetzung der Motive des Konzessionserfordernisses in der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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c) Die Nichtanerkennung ausländischer Aktiengesellschaften durch nationale Gerichte unter dem Einfluss des Konzessionssystems . . . . .
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Inhaltsverzeichnis aa) Ausgangslage: Die Haltung zur Anerkennungsproblematik in Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Die Haltung der französischen Rechtsprechung und Verwaltung vor 1857 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Judikative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Exekutive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Würdigung der Gegensätzlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Die Haltung belgischer Gesetzgebungsorgane und Verwaltungsbehörden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Fortgeltung des Konzessionserfordernis im nationalen Aktienrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Behandlung von ausländischen Aktiengesellschaften . . . . bb) Der Umschwung durch den französisch-belgischen Konflikt . . . . (1) Belgische Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Uneinheitliche Rechtsprechung der Untergerichte . . . . . . (b) Entscheidungen der Cour de cassation . . . . . . . . . . . . . . . . (aa) Grundsatzentscheidung von 1847 . . . . . . . . . . . . . . . . (bb) Rechtsprechungsumkehr im Jahre 1849 . . . . . . . . . . . (cc) Bewertung des Rechtsprechungswandels . . . . . . . . . . (2) Die Ansicht der Rechtswissenschaft in Belgien . . . . . . . . . . . . (3) Die Reaktion des belgischen und französischen Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Der Einfluss des Gesetzes vom 30. Mai 1857 auf die Rechtsprechung der französischen Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Rechtsprechungsumkehr der französischen Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Unterscheidung zwischen aktiver und passiver Parteifähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Staatliche Souveränität im Lichte des damaligen IPR . . . . . . . (2) Die juristische Person als bloße Fiktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Die Bedeutung der Konzession nach Art. 37 des Handelsgesetzbuches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Erlangung von Rechtspersönlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Wahrung des nationalen ordre public . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Fortbestehende Anerkennungsprobleme unter dem Einfluss des Normativsystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Ersetzung des Konzessionssystems durch das System der Normativbestimmungen unter englischem Einfluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Folgeprobleme der Liberalisierung des nationalen Handelsrechts für die Anerkennung ausländischer Gesellschaften . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis (1) Die liberale Lösung: Aufhebung des Gesetzes von 1857 durch das französische Gesetz über die Handelsgesellschaften von 1867 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Die ablehnende Lösung: Nichtanerkennung von unter dem System der Normativbestimmungen gegründeten fremden Aktiengesellschaften unter dem Gesetz von 1857 . . . . . . . . . . (3) Der Mittelweg: Anerkennung von unter dem System der Normativbestimmungen gegründeten fremden Aktiengesellschaften unter dem Gesetz von 1857 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Die Ansicht der Rechtswissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Die Ansicht der Rechtsprechung im Spiegel neuer Konflikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (aa) Der Anerkennungsstreit zwischen Elsaß-Lothringen und Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (bb) Die Neuauflage des Anerkennungsstreits zwischen Frankreich und Belgien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Konsequenz: Vorbehaltlose Anerkennung frei gegründeter Aktiengesellschaften? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Entwicklung der Anerkennung in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Entwicklung des „deutschen“ Aktienrechts bis 1861 . . . . . . . . . . . aa) Vorläufer von Aktiengesellschaften in Deutschland unter dem Octroi-System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Einführung des Konzessionserfordernisses nach französischem Vorbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Preußisches Handelsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Die Rechtslage im allgemeinen Landrecht für die preußischen Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Preußische Aktiengesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch von 1861 . . . . . . (3) Motive für die Anwendung des Konzessionserfordernisses in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Rechtsdogmatischer Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (aa) Einordnung der Aktiengesellschaft vor dem ADHGB, insbesondere im preußischen Aktiengesetz von 1843 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (bb) Einordnung der Aktiengesellschaft ab dem ADHGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Rechtspolitische Gründe: Begrenzung der (wirtschaftlichen) Macht der Aktiengesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . (aa) Motive des Konzessionserfordernisses im preußischen Aktiengesetz von 1843 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (bb) Motive des Konzessionserfordernisses im ADHGB von 1861 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis (cc) Haltung der Praxis und der Wissenschaft . . . . . . . . . . (c) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die reichsweite Einführung des Normativsystems durch die Aktienrechtsnovelle 1870 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Fortfall der staatlichen Genehmigungspflicht der Aktiengesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Abgrenzung von Aktienrecht und Vereinsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Hintergründe für den Übergang zum System der Normativbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Behandlung der Anerkennungsfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Gesetzliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Mangelnde Anerkennungsregel im ADHGB . . . . . . . . . . . . . . . (2) Rolle allgemein fremden- und gewerberechtlicher Schranken (a) Bedeutung landesrechtlicher Beschränkungen . . . . . . . . . . (b) Fortgeltung bundesweiter Zulassungserfordernisse . . . . . . (3) Restriktionen für Zweigniederlassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Rechtslage im ADHGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Behandlung im HGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Regelung im Aktiengesetz von 1937 bzw. 1965 . . . . . . . . (4) Entstehung der Anerkennungsnorm in Art. 10 EGBGB . . . . . . (a) Entwürfe der 1. und 2. BGB-Kommission . . . . . . . . . . . . . (b) Rolle der IPR-Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (aa) Ablehnung der Kodifikation der automatischen Anerkennungsregel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (bb) Anerkennungsnorm für ausländische Vereine als Rudiment . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Beratung im Bundesrat und Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Literaturansichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Fehlender äußerer Anstoß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Grundsatz der (automatischen) Anerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Bedeutung von Konzession und Fiktionstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Rolle der nationalen Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Trennung von Anerkennung und Zulassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Entwicklung der Sitztheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Entwicklung der Sitztheorie in Frankreich und Belgien . . . . . . . . . . . . a) Einfluss der nationalen Handelsrechtsordnungen durch den Übergang zum System der Normativbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis b) Anerkennungsvorbehalt Sitz: Der Sitz als Kriterium der Bestimmung des anwendbaren Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die „belgische Gesetzeslösung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Rechtsprechung vor der Kodifizierung des Sitzerfordernisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Erstmalige gesetzliche Regelung der Sitztheorie 1873 . . . . . . bb) Die Rechtsprechung französischer Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Gesetzeslage in Frankreich ab 1966 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Dogmatische Hintergründe für die Entwicklung des Sitzes als Anknüpfungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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279 aa) Anknüpfung des Personalstatuts natürlicher Personen . . . . . . . . . . 279 bb) Anknüpfung des Personalstatuts juristischer Personen . . . . . . . . . . 281 (1) Anknüpfungsmoment der Urteilspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 (2) Akademischer Streit um die Staatsangehörigkeit einer juristischen Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 (a) Argumentation der Lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 (b) Bestimmung der lex societatis unter dem formalen Gesichtspunkt der Staatsangehörigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 (3) Zusammenhang zwischen der Staatsangehörigkeit einer Gesellschaft und der Wahl des Anknüpfungsgegenstands . . . 290 (a) Verbindung zwischen dem Nationalitätsbegriff und der Gründungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 (b) Verbindung zwischen dem Nationalitätsbegriff und der Sitztheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 (c) Stellungnahme zur Bewertung durch Großfeld, Luchterhandt und Sandrock . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 d) Bestimmung der maßgeblichen Anknüpfung der lex societatis . . . . . . 299 aa) Freiheitliche Anknüpfungskonzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 (1) Gedanke der Vertragsfreiheit: freie Rechtswahl . . . . . . . . . . . . 299 (2) Ort des Vertragsschlusses (locus regit actum): Gründungsortsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 (3) Satzungssitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 (4) Gründungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 (a) Unterwerfung unter die Rechtsordnung des Konzessionsstaates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 (b) Erfüllung der gesetzlichen Gründungsanforderungen einer Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 (5) Zusammenhang zwischen den freiheitlichen Theorien . . . . . . 305 bb) Einschränkende Anknüpfungskonzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 (1) Kontrolltheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 (a) Nationalität der Anteilseigner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306
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Inhaltsverzeichnis (b) Nationalität der Verwaltungsratsmitglieder . . . . . . . . . . . . . (c) Bewertung nach historischer Einordnung . . . . . . . . . . . . . . (2) Domizil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Betriebsstätte: centre d’exploitation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Effektiver Verwaltungssitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (aa) Bestimmung des Sitzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (bb) Anforderungen an die Wahl des Sitzes . . . . . . . . . . . . (c) Sitz am Ort der Zeichnung bzw. am Ort der Aktienausgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Freie richterliche Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Praktische Gründe für den Siegeszug des Sitzkriteriums . . . . . . . . . . . . aa) Vorzüge der Sitztheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Gründe für die zunächst fehlende Normierung der Sitztheorie in Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Entwicklung der Sitztheorie in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rolle des Übergangs zum Normativbestimmungssystem im nationalen Handelsrecht 1870 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Anknüpfung am Gesellschaftssitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Gesetzgeberische Motive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Literatur zur Sitzanknüpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Parallele zur natürlichen Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Bedeutung des Wohnsitzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Einfluss der Diskussion um den Staatsangehörigkeitsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Definition des Sitzes: Satzungs- oder Verwaltungssitz? . . . . . (3) Ausstrahlungswirkung des nationalen Aktienrechts auf die IPR-Anknüpfung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Verständnis des Sitzbegriffes im Sach- und Kollisionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Zusammenspiel des Sitzbegriffes im Sach- und Kollisionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Ältere Entscheidungen von lokalen Instanzgerichten . . . . . . . . (2) Urteile des Reichsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Wegzugsproblematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Bestimmung des Gesellschaftsstatuts anhand des Verwaltungssitzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Zweifels- bzw. Sonderfälle in der kollisionsrechtlichen Anknüpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (aa) Die „Eskimo-Pie“-Entscheidung von 1927 . . . . . . . . (bb) Die „Ungar“-Entscheidung von 1934 . . . . . . . . . . . . .
308 308 313 314 316 317 318 320 322 322 322 328 331 331 332 332 334 334 334 336 341 343 344 348 355 355 357 357 359 361 361 363
Inhaltsverzeichnis (cc) Die Urteile zu den Gothaer Kaufgewerkschaften . . . (3) Urteilspraxis von BGH und Oberlandesgerichten . . . . . . . . . . (a) Verwaltungssitzanknüpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Sanktion der Sitztheorie und Parteifähigkeit vor deutschen Gerichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (aa) Passive Parteifähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (bb) Aktive Parteifähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Alternative Anknüpfungskonzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Gründe für die Durchsetzung der Sitztheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Bedeutung des Verwaltungssitzes für nach deutschem Recht gegründete Aktiengesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Europäischer Einfluss und Implikationen für Sach- und Kollisionsrecht . . . . 1. Die europäische Niederlassungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die maßgebliche Rechtsprechung des EuGH von Daily Mail bis Cartesio a) Daily Mail . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Centros . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Überseering . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Entscheidung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Einfluss auf die Rechtsprechung des BGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Inspire Art . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Sevic Systems und Cadbury Schweppes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Cartesio und VALE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Bewertung der EuGH-Rechtsprechung unter dem Gesichtspunkt der historischen Entwicklung des „Nationalitätsgedankens“ . . . . . . . . . . . . . . . 4. Europäischer Einfluss auf die deutsche Gesellschafts(kollisions)rechtsgesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Referentenentwurf zum internationalen Gesellschaftsrecht von 2008 . b) Der Weg des MoMiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Ziel der inhaltlichen Reform mit Blick auf die Niederlassungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Auslegung von §§ 4a GmbHG, 5 AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Auslegung als allseitige Kollisionsnorm (Gründungstheorie) (2) Sachrechtliche Interpretation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Konzeption als einseitige Kollisionsnorm (Gründungstheorie) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Europäischer Einfluss auf die romanische Gesellschafts(kollisions)rechtsgesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
13 364 376 376 378 378 380 381 383 383 385 388 389 390 390 392 393 393 396 397 400 403 410 415 415 419 420 422 423 424 426 429
C. Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 436 I. Entwicklungslinien der Sitzanknüpfung in Frankreich und Belgien . . . . . . . . 436
14
Inhaltsverzeichnis II. Entstehung der Sitztheorie in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 439 III. Vergleichende Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 441 IV. Bewertung des heutigen Gesellschaftsrechts in Europa im Spiegel der Anerkennungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 449 Personen- und Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 492
A. Einleitung I. Gegenstand der Arbeit Die Anerkennung einer nach einer gegebenen Rechtsordnung gegründeten Gesellschaft aus der Perspektive einer anderen Rechtsordnung ist eine Problematik, die in den letzten Jahren gerade im Kontext der grenzüberschreitenden Mobilität innerhalb der Europäischen Union für aufsehenerregende Gerichtsurteile des EuGH gesorgt und in den einzelnen Mitgliedsstaaten (zumindest mittelbar) zu Umwälzungen im nationalen und internationalen Gesellschaftsrecht geführt hat. Besonders kontrovers wurde in der Literatur darüber diskutiert, ob die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur unionsrechtlich garantieren Niederlassungsfreiheit den Mitgliedsstaaten eine bestimmte Anerkennungstheorie aufoktroyiere. Schien es zunächst so, als wären die Würfel zugunsten der Anknüpfung an das Gründungsrecht (sog. „Gründungstheorie“) gefallen, so erblickten manche Autoren in der Rechtssache „Cartesio“1 einen Beleg für die Wiedergeburt der Anknüpfung an den Verwaltungssitz (sog. „Sitztheorie“).2 Die Tatsache, dass es sich bei der Frage der Anerkennung einer ausländischen Gesellschaft aber nicht erst um ein Phänomen handelt, welches im Zuge der fortschreitenden Europäisierung und Globalisierung in den Fokus der Gerichte rückte, zeigt die Geschichte des internationalen Gesellschaftsrechts der einzelnen (europäischen) Länder auf, von welchen für die nachfolgende Betrachtung der Blick auf Frankreich, Belgien und Deutschland gelenkt werden soll. In diesen Ländern spielte die Anerkennungsproblematik von Gesellschaften in Rechtsprechung, Wissenschaft und Gesetzgebung in jeweils unterschiedlichem Ausmaß eine Rolle. Die Analyse setzt an den deutschen Nachbarländern Belgien und Frankreich an, weil im Verhältnis beider romanischen Länder zueinander erste Schwierigkeiten bezüglich der Anerkennung fremder Aktiengesellschaften auftraten und diese als Geburtsstätte der Sitztheorie gelten.3 Probleme im Hinblick auf die Anerkennung einer fremden Gesellschaft als Rechtssubjekt begegnen seitens der Justiz in Belgien in Gerichtsurteilen der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die sich mit der rechtlichen Existenz von französischen Gesellschaften in Belgien beschäftigten. Damals mahnte der belgische Generalstaatsanwalt Le1
EuGH, Urt. v. 16.12.2008, Rs. C-210/06, Slg. 2008 I-9641 – Cartesio. Leible/Hoffmann, BB 2009, 58, 62; Dammann/Wynaendts/Nader, Recueil Dalloz 2009, 574, 575. 3 Großfeld, FS Westermann (1974), S. 199, 208 ff.; MüKo-BGB/IHGR/Kindler, 5. Aufl. 2010, Rn 420. 2
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A. Einleitung
clercq, es handle sich um eine Problematik, die allein aus rechtlichen Gesichtspunkten beurteilt werden müsse: «le droit, rien que le droit, doit l’inspirer.»4 Ist die Anerkennung von Auslandsgesellschaften in der Tat eine Problematik, die sich ausschließlich mithilfe von Rechts(grund)sätzen erschließen lässt? Die vorliegende Arbeit hat es zum Ziel, gerade dieser Frage auf den Grund zu gehen. Sie beschäftigt sich damit, ob allein juristische – oder zumindest welche juristischen – Gründe in den romanischen Ländern Frankreich (welches als Mutterland der Sitztheorie gilt) und Belgien zum Siegeszug der Verwaltungssitzanknüpfung beitrugen sowie ob es Parallelen zur deutschen Entwicklung gibt. Auch in Deutschland gilt traditionell die Sitztheorie und es steht zu vermuten, dass sich die Motive, die im französischen Rechtskreis zur Dominanz der Sitzanknüpfung führten, zumindest in Teilen decken. Demgegenüber könnten die Spezifika der einzelnen Rechtsordnungen auch zu gewissen Unterschieden im Umgang mit der Anerkennungsfrage geführt haben. Eine detaillierte Darlegung der Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Entwicklung der Anerkennungsfrage soll eine weitere Aufgabe dieser Arbeit bilden. Dabei geht die Untersuchung dreistufig vor. Zunächst ist die Anerkennungsfrage im engeren Sinne zu betrachten. Hier geht es aus heutiger Sicht um eine scheinbare Selbstverständlichkeit, nämlich darum, dass eine fremde Gesellschaft in ihrer konkreten Ausformung auch außerhalb ihres Entstehungsstaates als ein Rechtskonstrukt des ausländischen Staates akzeptiert wird. In Belgien und Frankreich wurden verschiedene dem Gesetz entlehnte Gründe für und wider die Anerkennung von Aktiengesellschaften diskutiert. Da die Anerkennungsprobleme erstmals in Zusammenhang mit der im code de commerce kodifizierten Aktiengesellschaft auftraten, liegt der Verdacht nahe, dass die privilegierte Stellung dieser revolutionären Gesellschaftsform gegenüber den Personengesellschaften ein wesentlicher Faktor für die aufgekommenen Schwierigkeiten war. Aus diesem Grund wird im ersten Teil zunächst der nationalen Entwicklung der Rechtsform der Aktiengesellschaft Aufmerksamkeit geschenkt, bevor die Anerkennungsproblematik und deren spätere legislative Auflösung mittels einer eingehenden Analyse der Haltung des Gesetzgebers, der Behörden, der Rechtsprechung sowie der Literatur beleuchtet werden. Es wird sich nicht nur zeigen, dass die Entwicklung von nationalem und internationalem Gesellschaftsrecht inhaltlich eng verknüpft ist, sondern auch welche außerrechtlichen Gründe die Kontroverse um die Anerkennung fremder Gesellschaften bedingten. Der Vergleich mit der Rechtsentwicklung in Deutschland, der in paralleler Vorgehensweise gezogen werden soll, wird ergeben, dass zwar die Anerkennung von Aktiengesellschaften regelmäßig ohne weitere Debatten zugelassen
4 Siehe die Ausführungen des Generalstaatsanwalts Lerclercq, in: Pasicrisie belge 1849.1.239.
I. Gegenstand der Arbeit
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wurde, dass aber ähnliche Motive wie in Frankreich und Belgien zu Abwehrbzw. Schutzmaßnahmen auf anderer rechtlicher Ebene führten. Im zweiten Teil der Abhandlung steht die Anerkennungsproblematik im weiteren Sinne im Mittelpunkt. Dabei soll aufgezeigt werden, wie sich in den betrachteten Ländern die Bedingung eines tatsächlichen Verwaltungssitzes im Gründungsland als zusätzliche Voraussetzung der Anerkennung entwickelte und etablierte. Auch in diesem Zusammenhang spielt die Weiterentwicklung der nationalen Aktienrechte eine gewichtige Rolle. Der Übergang vom Konzessionssystem zum System der Normativbestimmungen in Europa führte zu erneutem Misstrauen gegenüber ausländischen Aktiengesellschaften, weshalb das Verwaltungssitzerfordernis im Ursprungsland als Erfolg versprechende Abwehrmaßnahme gegen die missbräuchliche Ausnutzung des eigenen Gesellschaftsrechts in Form von Scheinauslandgesellschaften in den Vordergrund trat und sich im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts in Belgien legislatorisch und in Frankreich kraft ständiger Rechtsprechung durchsetzte. Neben der Betrachtung der einschlägigen Gerichtsurteile soll insbesondere die dogmatische Fundierung der Sitzanknüpfung analysiert werden. Die Ende des 19. Jahrhunderts aufgekommene Theorie der Staatsangehörigkeit der juristischen Person könnte als rechtstheoretisches Fundament der Sitzanknüpfung gedient haben und zudem als universelle Idee verschiedene Rechtsmaterien neben dem internationalen Gesellschaftsrecht erfasst haben. Schließlich werden die Anfang des 20. Jahrhunderts bezüglich der Nationalität der Gesellschaft vertretenen mannigfaltigen weiteren Anknüpfungskriterien vorgestellt und (in rechtlicher und praktischer Hinsicht) kritisch gewürdigt, um darauf aufbauend das „Erfolgsrezept“ der Verwaltungssitzanknüpfung vollständig zu entschlüsseln. Vor allem im Rahmen der deutschen Sitzanknüpfungsgeschichte soll darüber hinaus nachvollzogen werden, inwiefern das Verwaltungssitzkriterium im Kollisionsrecht auch als materielles Gebot des Sachrechts zu begreifen war und ob es hierbei gegebenenfalls Interdependenzen gab. Im dritten Teil der Abhandlung wird die Verbindung von historischer Aufarbeitung der Sitztheorie und moderner Rechtsentwicklung hergestellt. Zum einen soll aufgezeigt werden, inwieweit der dem EuGH häufig gemachte Vorwurf, er verhelfe der Gründungstheorie zum Durchbruch, in Europa gerechtfertigt ist. Zum anderen ist der Einfluss der europäischen Entwicklung auf geplante und in Kraft getretene Änderungen im Sach- und Kollisionsrecht vor allem im Hinblick auf die Geschichte und die ursprünglichen Ziele der Sitztheorie zu bewerten. Hierbei wird ein besonderer Fokus auf das deutsche Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) gelegt.5 Der Schluss der Arbeit wagt – neben einem Resümee – in aller Kürze einen Vergleich mit der Entwicklung in den Gründungstheorieländern. Vor allem ist 5
Das MoMiG ist abgedruckt in: BGBl. I 2008, S. 2026 ff.
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A. Einleitung
fraglich, ob die Zuzugsfreiheit europäischer Gesellschaften im Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit in Verbindung mit der gegenwärtigen Mode zur Liberalisierung der europäischen Aktienrechte die ursprünglichen Ziele der Sitztheorie angreift.
II. Bisheriger Forschungsstand In der modernen Forschung des 20. und 21. Jahrhunderts standen einerseits vor allem die wissenschaftlichen Diskussionen um die Vor- und Nachteile der beiden wesentlichen Anerkennungstheorien (Sitz- und Gründungstheorie) im Vordergrund.6 Andererseits beschäftigten sich mit jedem neuen Urteil des EuGH einige Dissertationen mit dem verbleibenden Anwendungsbereich der Sitztheorie innerhalb der Europäischen Union unter besonderer Berücksichtigung der Niederlassungsfreiheit.7 Demgegenüber wurden die historischen Hintergründe für die Entwicklung der Anerkennungstheorien bisher recht stiefmütterlich behandelt. In Deutschland hat sich bisher vor allem Bernhard Großfeld8 um die Historie der Anerkennungstheorien verdient gemacht und rechtsvergleichend einige Beiträge verfasst. Neben einem kurzen Aufsatz von Otto Sandrock9, der isoliert auf die deutsche Entwicklung Bezug nimmt, bringen ältere deutschsprachige Monographien (zumindest punktuell) einen Erkenntnisgewinn. Es handelt sich um die Werke von Arthur Mamelok10 und Johannes Schwandt11, die sich rechtvergleichend mit der Entwicklung der Anerkennung und der Nationalität von juristischen Personen Anfang des 20. Jahrhunderts beschäftigten. Daneben existieren zahlreiche weitere ältere Abhandlungen zum deutschen internationalen Gesellschaftsrecht und zum Staatsangehörigkeitskriterium von Gesellschaften, die allerdings keine historische Aufarbeitung der Anerkennungstheorien vornehmen, sondern vielmehr selbst als Quellen für die Erstellung der vorliegenden Arbeit dienen.12 Ähnliches ist von der französischsprachigen Literatur zu berichten. In den letzten Jahrzehnten hat sich niemand speziell mit der Geschichte der Sitztheorie befasst. Einen kurzen, auf Frankreich oder Belgien begrenzten Abriss der Anerken6
Vgl. hierzu nur überblicksartig MüKo-BGB/IHGR/Kindler, 5. Aufl. 2010, Rn 368 ff., 412 ff.; Behrens (1997), Rn IPR 3 ff. 7 So z. B. v. Halen (2001); Brombach (2006); Knop (2008); Izzo-Wagner (2009); Braun (2010). 8 Großfeld, in: FS Harry Westermann (1974), S. 199–222; ders., RabelsZ 38 (1974), 345–370; ders. (1975), S. 26–47. 9 Sandrock, RIW 1989, 505–513. 10 Mamelok (1900), insbesondere S. 210 ff. 11 Schwandt (1912), insbesondere S. 25 ff., S. 164 ff. 12 So u. a. Lesse, Busch’s Archiv 29 (1872), 19–27; Keyssner, Deutsches Handelsblatt 3 (1873), 129–132; Wolff, E., ÖZBl. 4 (1886), 409–431, 473–493; Isay (1907); Strehl (1933); Beitzke (1938); Nordmann (1939).
II. Bisheriger Forschungsstand
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nungsproblematik bzw. der Wahl des Anknüpfungskriteriums liefern Yvon Loussouarn und Jean-Denis Bredin13 sowie Raymond Abrahams14. Aus der früheren Zeit sind eine Monographie von Charles Lyon-Caen sowie dessen Lehrbuch in Kooperation mit Louis Renault15 und zwei Aufsätze von Edmond-Eugène Thaller16 hervorzuheben. Besonders die sehr frühen Werke tragen aber – wie zahlreiche andere in der vorliegenden Arbeit zitierte Publikationen – eine begrenzte wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Anerkennungsgeschichte in sich, sie haben meist selbst starken Quellencharakter. Dieser genannten Literatur ist regelmäßig gemeinsam, dass sie die Entwicklung der Anerkennungsproblematik zwar in Ausschnitten überblicksartig aufgreift, jedoch (bis auf ansatzweise Großfeld) die einzelnen Gründe für den Anerkennungsstreit um juristische Personen des Zivilrechts und den Siegeszug der Sitztheorie in Belgien, Frankreich und Deutschland vernachlässigt. Als traditioneller Legitimationsgrund der Sitzanknüpfung wird in der Regel allein pauschal auf die Wahrung der Interessen des meistbetroffenen Staates verwiesen, hier kann jedoch im Hinblick auf zugrundeliegende juristische, rechtspolitische und ökonomische Gesichtspunkte viel stärker differenziert werden. Des weiteren fehlt in der Literatur eine ausführlichere Gegenüberstellung und Auswertung der Gemeinsamkeiten in der französisch-belgischen und der deutschen Entwicklung. Zudem ist der heutige Trend zur Gründungsanknüpfung in Europa in Kombination mit der EuGH-Rechtsprechung kaum unter der historischen Brille der Geschichte der Sitzanknüpfung betrachtet worden.17 Die vorliegende Arbeit möchte die aufgezeigten Lücken schließen.
13 Loussouarn (1949), Nr. 58–67, S. 123–139; ders., in: Recueil de Cours 1959-I, S. 447–552; Loussouarn/Bredin (1969), Nr. 242 ff., S. 261 ff. und Nr. 309 ff., S. 348 ff. 14 Abrahams (1957). 15 Lyon-Caen (1870); Lyon-Caen/Renault, Bd. 2/2 (1909), Nr. 1092 ff., S. 507 ff., Nr. 1117 ff., S. 538 ff. 16 Thaller, Journal des sociétés civiles et commerciales 2 (1881), 50–59, 106–117, 312–319. 17 Eine Ausnahme stellt Trautrims dar, welcher jedoch in der Rechtsprechung des EuGH bezogen auf Deutschland eine Fortführung der angeblich traditionellen Gründungstheorie erkennt, s. ders. (2009), S. 69 sowie ders., ZHR 176 (2012), 435, 442 ff.
B. Der Umgang mit fremden Gesellschaften in Frankreich, Belgien und Deutschland aus rechtshistorischer Perspektive I. Die Entwicklung der Anerkennung ausländischer Gesellschaften Die Wahl des maßgeblichen Anknüpfungsmoments18 für das Gesellschaftsstatut19 ist zwingend mit der Lösung der Frage verbunden, ob ein Zusammenschluss von Personen für sich genommen überhaupt Träger von Rechten und Pflichten sein kann. Dieses Potential bezeichnet man als Rechtsfähigkeit einer Gesellschaft. Tritt eine Gesellschaft in grenzüberschreitende Beziehungen ein, so fragt sich, ob der rechtsfähige Personenzusammenschluss auch im Ausland als solcher behandelt wird – man spricht hierbei von der „Anerkennung“ im internationalprivatrechtlichen Sinne. Ziel des folgenden Teils dieser Erörterung wird es sein, den – bisweilen steinigen – Weg der Entwicklung der Anerkennung für die hier interessierenden Länder des romanischen und deutschen Rechtskreises aufzuzeigen. Bevor jedoch die nationalen Entwicklungen im Einzelnen in Unterschieden und Gemeinsamkeiten dargelegt werden können, erscheint es nötig, den theoretischen Überbau der Anerkennung und deren Objekte zu beleuchten.
1. Der Anerkennungsbegriff in seiner internationalgesellschaftsrechtlichen Bedeutung Der Terminus Anerkennung wird in der Jurisprudenz ohne jegliche Unterscheidung für unterschiedliche rechtliche Erscheinungen verwendet.20 Diese „Inflation des Anerkennungsbegriffes“ führt zwangsläufig zu einer gewissen „Sprachverwirrung“ 21, welcher vorliegend durch eine präzise Definition und Abgrenzung der einzelnen Bedeutungen vorgebeugt werden soll. 18 Als Anknüpfungsmoment (auch: Anknüpfungsbegriff oder -punkt) bezeichnet man im internationalen Privatrecht denjenigen „Teil des Tatbestands einer selbstständigen Kollisionsnorm, der den materiellprivatechtlichen Sachverhalt mit einem bestimmten Staate verknüpft“; siehe Kegel/Schurig (2004), § 13 I, S. 437. 19 Das Gesellschaftsstatut wird in der Literatur auch als Zugehörigkeitsrecht, Organisations- oder Personalstatut bezeichnet; vgl. hierzu Grasmann (1970) mit kritischen Bemerkungen, Rn 8, S. 66–68. Dem Gesellschaftsstatut widmet sich Punkt B. II. dieser Arbeit. 20 Vgl. etwa Ebenroth/Sura, RabelsZ 43 (1979), 315.
I. Die Entwicklung der Anerkennung ausländischer Gesellschaften
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Im Verlauf der kommenden Erörterung ist der Anerkennungsbegriff im internationalen Privatrecht, genauer des internationalen Gesellschaftsrechts, von größter Relevanz. Die Anerkennung im internationalen Gesellschaftsrecht ist Funktion der grundsätzlichen Wesensverschiedenheit von natürlicher und juristischer Person.22 Natürliche Personen erwerben die Fähigkeit, Träger von Rechten und Pflichten zu sein, gleichsam naturgemäß mit ihrer Existenz.23 Hingegen verdanken juristische Personen, bzw. allgemeiner formuliert Gesellschaften24, ihr Dasein als Rechtssubjekt der staatlichen Gunst, d.h. die Gesetze des Gründungslandes müssen der betreffenden Personenvereinigung besagte Position verleihen. Die Untersuchung der Haltung einer nationalen Rechtsordnung gegenüber einer ausländischen juristischen Person betrifft die Frage der internationalen Anerkennung.25 Positiv formuliert ist festzuhalten: „Mit der Anerkennung nimmt der Staat Kenntnis von der rechtlichen Existenz einer Gesellschaft, die ihre Rechtspersönlichkeit aus einer fremden Rechtsordnung ableitet.“ 26 Damit allein ist freilich noch nicht viel gesagt. Folgende Aspekte bleiben offen: Auf welche Rechtsgrundlagen bzw. Rechtsquellen stützt sich die Anerkennung? Bedarf die Anerkennung eines eigenständigen, staatlichen Aktes? Ist die Anerkennung der Rechtsfähigkeit einer ausländischen Gesellschaft als eigenständiges Problem zu sehen oder ist sie Bestandteil des „Personalstatuts“ 27 einer Gesellschaft? In welchem Umfang erfolgt die Anerkennung der ausländischen Gesellschaft durch den Aufnahmestaat und welchen Stellenwert nimmt der natio21 So Drobnig, in: FS von Caemmerer (1978), S. 687, 689, dort Fn 2, mit Kritik an Großfelds Verwendungsweise des Begriffes. 22 Diese Verschiedenheit wird in allen zu untersuchenden Ländern hervorgehoben. Einzelheiten folgen bei der Darstellung der jeweiligen nationalen Entwicklung. 23 Die allgemeine Menschenwürde gebietet es heutzutage, jede natürliche Person als rechtsfähig anzuerkennen. Inwieweit erst das positive Recht dem Menschen die Rechtsfähigkeit im Sinne einer konstitutiven Wirkung zuerkennen muss, kann hier dahin gestellt bleiben – vgl. hierzu überblicksartig M. Lehmann, AcP 207 (2007), 225, 229. Die nationalen Rechte sehen die Rechtsfähigkeit des Menschen jedenfalls vor, vgl. § 1 BGB, Art. 8 code civil. 24 Der Terminus „Gesellschaft“ wird im Allgemeinen als Sammelbegriff für Personenvereinigungen, juristische Personen und andere organisierte Vermögenseinheiten verwendet, wobei – wie sich im weiteren Verlauf der Anhandlung noch zeigen wird – das Hauptaugenmerk im internationalen Gesellschaftsrecht meist auf den juristischen Personen liegt; s. auch Eisenhardt (2009), Rn 11, S. 10; Grasmann (1970), Rn 6, S. 66; Staudinger/Großfeld, IntGesR (1998), Rn 1. 25 Vgl. etwa Behrens, RabelsZ 52 (1988), 498, 499 f.; Großfeld, RabelsZ 31 (1967), 1, 2; Kegel/Schurig (2004), § 17 II 2, S. 577 ff.; Perrin (1969), S. 3; Rabel, Bd. 2 (1960), S. 132; Zimmer, in: Gepken-Jager/Solinge/Timmerman (Hg.) (2005), S. 267, 271 ff. 26 Siehe Wang (1964), S. 117. 27 Inwieweit man in Zusammenhang mit einer Gesellschaft von „Personalstatut“ sprechen sollte, vgl. Fn 19 und Punkt B. II. 1. c) dieser Arbeit. Im Allgemeinen und im Rahmen dieser Arbeit werden die Begriffe „Personalstatut“ und „Gesellschaftsstatut“ im gesellschaftsrechtlichen Kontext synonym verwendet.
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nale ordre public bei der Anerkennung ein? Welche Rolle spielen rechtliche, geistesgeschichtliche, wirtschaftliche und politische Gründe für die Reichweite der Anerkennung einer ausländischen Gesellschaft im aufnehmenden Land? Aufgabenstellung für den folgenden Teil I dieser Erörterung soll es sein, die historische Entwicklung dieser Fragen Land für Land aufzuzeigen und zu bewerten, inwieweit das heutige Verständnis mit seiner Genese im Einklang steht. Hierbei wird sich herausstellen, dass das historische Verständnis der Anerkennung in den betrachteten Staaten zum Teil viel weiter reichte, als es der heutige, eben beschriebene Anerkennungsbegriff vermuten lässt. Diese unterschiedliche Reichweite der Anerkennung hängt davon ab, inwieweit verschiedene Rechtsgebiete bereits entwickelt waren, insbesondere ob eine Trennung zwischen bloßer Anerkennung der Rechtsfähigkeit und der Zulassung zum Gewerbe in der maßgeblichen Rechtsordnung verankert war.
2. Die Entwicklung der Anerkennung im romanischen Rechtskreis, insbesondere in Frankreich und Belgien a) Rolle der historischen Entwicklung der Aktiengesellschaft für die Anerkennungsfrage Ehe die Anerkennungsfrage, die sich zunächst speziell in Bezug auf ausländische Aktiengesellschaften in Frankreich und Belgien stellte, gesondert ins Visier genommen werden kann, erscheint es zum besseren Verständnis notwendig, einen Blick auf die Ursprünge28 des nationalen französischen und des – sich parallel entwickelnden – belgischen Aktienrechts zu werfen.29 Die Betrachtung der Genese der Aktiengesellschaft und ihrer rechtlichen Würdigung in den einzelnen Rechtsordnungen ist für die Frage der Anerkennung dieser Gebilde unverzichtbar. Die Besonderheiten der Unternehmensform der Aktiengesellschaft im Vergleich zu anderen privat- und handelsrechtlichen Gesellschaften führten nämlich gerade dazu, dass die Frage der Anerkennung ausländischer Kapitalgesellschaften zu Konflikten aus der Sicht mancher „Zuzugs28 Eine umfassende, tief greifende Erörterung der gesamten Aktienrechtsentwicklung kann und soll an dieser Stelle nicht geleistet werden. Im Folgenden sind nur die wesentlichen Merkmale darzustellen, welche für das Verständnis des Anerkennungsproblems eine Rolle spielen werden. Für einen ersten Überblick zum aktuellen Forschungsstand, vgl. Bayer/Habersack (Hg.), Bde. 1 und 2 (2007) sowie Coing, Bd. 1 (1985), § 107, S. 523 ff. und Bd. 2 (1989), §§ 13 ff., S. 95 ff., §§ 58 ff., S. 335 ff.; speziell zum französischen Recht: Lévy-Bruhl (1938) und Lefebvre-Teillard (1985). 29 Die Rolle des nationalen Aktienrechts für die Entwicklung der Anerkennung erkennt schon Mamelok (1900), S. 239: „Es ist interessant, zu beobachten, dass die internationalprivatrechtliche Entwicklung bezüglich der Aktiengesellschaften, die hier vor allem in Frage kommen, mit der Entwicklung des internen Aktienrechts gewisse Parallelen bietet.“ S. a. Großfeld, RabelsZ 38 (1974), 344, 345, der von „deutliche(n) Parallelen zum Entwicklungsstand des jeweiligen materiellen Aktienrechts“ spricht.
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staaten“ führte. Wie noch zu zeigen sein wird, war gerade die spezielle Rechtsnatur der Kapitalgesellschaft Auslöser für die Kontroverse, ob eine nach ausländischem Recht gegründete Unternehmung dieser Art auch in einem anderen Staat als solche akzeptiert werden müsse. b) Die Entwicklung des französischen und belgischen nationalen Aktienrechts In Frankreich lässt sich, wie in fast allen europäischen Ländern, für die (zulässige) Gründung von Aktiengesellschaften (und ihren Vorformen) die historische Aufeinanderfolge von drei Systemen feststellen: das königliche Octroi, die Konzession der Regierung und schließlich die freie Gründung nach Normativbestimmungen.30 Auf welchem Weg sich die Entwicklung von staatlicher Errichtung über staatlich kontrollierte Gründung bis hin zur freien Gründung in Frankreich vollzog und welche aktienrechtlichen Strukturen Gegenstand der staatlichen Gründungsüberwachung wurden, wird im Folgenden aufgezeigt werden. aa) Der Weg vom Octroi (lettres patentes) zum Konzessionssystem (autorisation gouvernementale) Der Urtyp der Gründungssysteme lässt sich als „legislatives Privileg“ bezeichnen.31 Jede Aktiengesellschaft bedurfte zu ihrer Entstehung eines konkreten, individuellen Rechtsatzes – des sog. Octrois des Monarchen.32 Mamelok, der das Octroi als „besonderes Gesetz“ bezeichnet, stellt daher fest, dass exakt so viele „Aktienrechte als Aktiengesellschaften“ existierten.33 Sofern in der Zeit des Ancien Régime34 von einer „Aktiengesellschaft“ gesprochen wird, so darf jedoch noch nicht das heutige Verständnis zugrunde gelegt werden. Es handelt sich le30 Siehe Coing, Bd. 2 (1989), § 13 f., S. 100, 102 ff.; Zimmer, in: Gepken-Jager/Solinge/Timmerman (Hg.) (2005), S. 267, 270. 31 Siehe Cordes/Jahntz, in: Bayer/Habersack (Hg.), Bd. 1 (2007), S. 1, 15 f.; Mamelok (1900), S. 239. 32 Dieses Octroi billigte jeder Gesellschaft ihre öffentlichen Befugnisse und Pflichten zu und regelte ihre privatrechtlichen Verhältnisse, vgl. Dalloz, Répertoire de législation, Bd. 40 (1859), Stichwort: société, Nr. 43, S. 362: «Chacune d’elles [des grandes compagnies de commerce = Vorläufer der heutigen AG] était constituée et organisée par une loi spéciale, le plus souvent d’aprés l’initiative du gouvernement (. . .). Les lois qui les constituaient leur conféraient ordinairement des privilèges dans la branche de commerce à laquelle elles s’appliquaient. » [Hinzufügung durch Verf.]. 33 Vgl. Mamelok (1900), S. 239; s. a. Coing, Bd. 1 (1985), S. 524; Lammel, in: Coing (Hg.), Handbuch, Bd. 2/2 (1976), S. 798, 819 f. 34 Unter dem Begriff des „Ancien Régime“ ist die absolutistisch geprägte Regierungszeit der Bourbonen in Frankreich im Zeitraum von 1589 bis 1789 zu verstehen, vgl. hierzu allgemein Hinrichs (1989).
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diglich um Vorformen, die bereits gewisse Elemente der modernen Aktiengesellschaft in sich trugen.35 Welche rechtlichen Erscheinungen kann man im Frankreich des 17. und 18. Jahrhunderts ausmachen, die eines könglichen Octrois bedurften, und welche römisch-rechtlichen Wurzeln sind diesen Zusammenkünften zu eigen? (1) Abgrenzung von Korporation (universitas) und Gesellschaft (societas) im römischen Recht und Modifikation der gesellschaftsrechtlichen Grundformen im französischen Recht Der folgende Blick auf die Vortypen der société anonyme36 nach heutigem Begriffsverständnis erfordert die Einordnung anhand der beiden Grundformen des römischen Rechts societas und universitas. Zunächst erscheint die Unterscheidung von Körperschaft und Personengesellschaft notwendig,37 um die Vorformen bzw. vielmehr das „Endprodukt“ der französischen Aktiengesellschaft im code de commerce von 1807 einer dieser beiden Grundtypen zuschlagen zu können und den für das Problem der Anerkennung noch zu erörternden Theorienstreit der „Rechtsnatur“ einer juristischen Person38 – im französischen Recht der personne morale39 – nachzuvollziehen. Beide Organisationsformen haben sich maßgeblich aus den römisch-rechtlichen Instituten societas und universitas entwickelt. Die universitas des Ius Commune bezeichnete einen Personenverband, welcher getrennt von seinen Mitgliedern gleichsam als eigenständige, fiktive Person angesehen wurde.40 Demnach
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Vgl. Coing, Bd. 1 (1985), S. 524. Seit 1807 wird der Begriff „société anonyme“ gleichbedeutend mit „société par actions“ für den Organisationstyp der Aktiengesellschaft verwendet. 37 Siehe Beuthien, NJW 2005, 855 sowie Schmidt (2002), § 8 I, S. 181 ff., die das Verschwimmen der Grenzen von Körperschaft und Personengesellschaft aufzeigen. 38 Siehe nachfolgend Punkt B. I. 2. c) bb) (2) sowie B. I. 2. c) cc) (2) und (3) zur sog. „Fiktionstheorie“. 39 Eine Definition der „personnalité morale“ liefern etwa Planiol/Ripert, Bd. 1 (1952), Nr. 66, S. 80 f.: «La personnalité morale est l’attribution de droits et d’obligations à des sujets autres que les êtres humaines. Ces sujets de droit sont appelés personnes morales, personnes civiles, personnes juridiques, ou encore personnes fictives (. . .).». Die Vorteile, die mit dem Konzept der „personnalité morale“ einhergehen, beschreiben Mazeaud/Mazeaud/Mazeaud, Bd. 1/2 (1968), Nr. 591, S. 595, wie folgt: «L’octroi de la personnalité morale permet donc aux personnes physiques exerçant des activités diverses de se grouper, dans un but commun, en entreprises puissantes ayant des droits propres, et d’assurer la pérennité aux groupements.» Die französischen Autoren betonen regelmäßig die Rolle des Staates bei der Zuerkennung der „personnalité morale“ an eine Personengruppe, s. Planiol/Ripert, Bd. 1 (1952), Nr. 73, S. 89; BaudryLacantinerie, Bd. 1 (1885), Nr. 106, S. 54. 40 Vgl. hierzu Kaser/Knütel (2008), § 17, Rn 1 ff. Freilich war dem antiken Recht die Vorstellung einer juristischen Person im modernen Sinne noch fremd, doch findet sich 36
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war die universitas in ihrem Bestand unabhängig vom Mitgliederwechsel, hatte eigenes Vermögen und handelte durch ihre Organe, womit sie die Fähigkeit besaß, eigene Rechte zu erwerben und Verbindlichkeiten einzugehen.41 Sie konnte sich sogar eigene Statuten geben. Grundsätzlich galt für die verschiedenen Formen der universitas das Konzessionsprinzip42 sofern sie sich nicht gemeinrechtlicher Existenzberechtigung43 erfreuten. Der zunächst rein öffentlich-rechtliche Charakter der Korporationen des römischen Rechts spiegelte sich auch im französischen ancien droit wieder:44 «De même que les Romains, les juristes de l’ancienne France considèrent la personnalité comme une émanation du pouvoir. Les groupements ne sont licites que dans la mesure où le Roi les autorise (. . .) et cette autorisation royale fait du groupement une personne. (. . .) c’est par privilège que le groupement est autorisé, et que nait la personne morale. »45 Der König hatte daher die Aufgabe, die Entstehung seiner Körperschaften (der corps und communauté), welche als Verlängerung des Staates fungieren sollten, allein am öffentlichen Interesse auszurichten.46 Die societas, in ihrer römisch-rechtlichen Bedeutung regelmäßig reine Innengesellschaft, wurde Grundlage des Unternehmensgesellschaftsrechts des Ius im römischen Recht der Ursprung der Vorstellung von Personenmehrheiten, welche einen gemeinsamen Willen und ein von dem ihrer Mitglieder getrenntes Vermögen besitzen. Die hierzu auffindbaren Textstellen, wie „personae vice fungitur“, dienten den Pandektisten als Ausgangspunkt für ihre Fiktionstheorie. 41 S. Kaser/Knütel (2008), § 17, Rn 2, 4. 42 Siehe Mazeaud/Mazeaud/Mazeaud, Bd. 1/2 (1968), Nr. 597, S. 599 f.; Mehr (2008), S. 232 ff. m.w. N. 43 So Provinzen, Städte, Dörfer und einige Arten der collegia, wie etwa Zünfte. In der Regel bedurfte ein collegium aber einer besonderen Erlaubnis der Regierung, vgl. hierzu Coing, Bd. 1 (1985), S. 262 f. mit Quellennachweisen von Lossaeus und Lauterbach aus dem 17. Jahrhundert zum Ius Commune; vgl. auch ausführlich Mehr (2008), S. 232–234. 44 Siehe auch die Darstellung bei Mazeaud/Mazeaud/Mazeaud, Bd. 1/2 (1968), Nr. 597, S. 599 f.: «C’est à l’Etat que fut reconnue, d’abord, la personnalité morale; (. . .) La personnalité de l’Etat fut ensuite attribuée à certains groupements de droit public fondus dans l’Empire romain: cités, municipes, colonies.» Nach weiteren Hinweisen auf die Zuerkennung der Rechtspersönlichkeit an den Staat verlängernde oder ihm nahe stehende kirchliche oder wohltätige Einrichtungen durch die «autorisation du Sénat ou du Prince», stellen die Autoren hinsichtlich Erwerbsgesellschaften („sociétés à but lucratif“) fest: «Les fins égoïstes des associés étaient trop éloignées des préoccupations de l’Etat pour qu’on ait pensé à insuffler aux sociétés une personnalité qui prenait sa source dans l’Etat. » 45 Siehe Mazeaud/Mazeaud/Mazeaud, Bd. 1/2 (1968), Nr. 598, S. 600; Mehr (2008), S. 232 ff. m.w. N. 46 Vgl. Mazeaud/Mazeaud/Mazeaud, Bd. 1/2 (1968), Nr. 598, S. 600: «L’idée qui préside à l’octroi des privilèges, est celle d’intérêt public.» Daher stand dem König das Recht zu, die Genehmigung jederzeit zu widerrufen, sofern die Körperschaften ihren öffentlichen Nutzen verlieren sollten, so Turgot zitiert nach Mazeaud/Mazeaud/Mazeaud, Bd. 1/2 (1968), Nr. 598, S. 601.
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Commune.47 Sie war ein Vertrag, den die Gesellschafter zu einem gemeinsamen, i. d. R. Gewinn versprechenden wirtschaftlichen Zweck abschlossen.48 Die Gesellschafter verpflichteten sich dazu, bestimmte Beiträge zu leisten.49 Der Vertragsschluss erfolgte dabei intuitu personae, d.h. auf der Basis wechselseitigen Vertrauens, weshalb es in der Natur der Sache lag, dass das Bestehen der societas personengebunden war und sich eine Übertragung der Gesellschafterstellung daher verbat.50 Das Vermögen der Gesellschaft stand im Bruchteilseigentum (communio) der Gesellschafter und für etwaige Gesellschaftsschulden hafteten die Gesellschafter im Verhältnis ihrer Beiträge zu der Gesellschaft (pro rata) persönlich.51 Zur Begründung einer französischen société war in Fortsetzung der Tradition des römischen Rechts auch im ancien droit einzig der übereinstimmende Wille der Mitglieder (associés) nötig.52 Zu ihrer Entstehung bedurfte jegliche Form der société, so auch die société de commerce53, demnach lediglich eines Gesellschaftsvertrages; eine Genehmigung des französischen Herrschers war für sie keine Existenzvoraussetzung.54 Die société war zunächst kein selbstständiges Rechtssubjekt.55 Die einzelnen Ausprägungen von Innen- und Außenverhältnis 47 Vgl. hierzu eingehend und differenzierend Meissel, in: Kalss/Meisel (Hg.) (2003), S. 13, 16 ff., 22 ff.; ders. (2004), S. 63 ff., 131 ff., 205 ff. („societates publicanorum“ als Ausnahme), 221 ff.; Mehr (2008), S. 25; S. 30 ff. der Abhandlung von Mehr beschäftigen sich ausführlich mit der Erscheinung der „societas“ im gemeinen Recht. 48 Vgl. hierzu Kaser/Knütel (2008), § 43, Rn 1, 5 ff. 49 S. Kaser/Knütel (2008), § 43, Rn 8. 50 S. Coing, Bd. 2 (1989), § 62, S. 354; Meissel, in: Kalss/Meisel (Hg.) (2003), S. 13, 15. 51 Harke (2008), § 9, Rn 38. 52 Vgl. Denisart, Bd. 3 (1766), (Teil 2) Stichwort: société, S. 97; Ferrière, Bd. 2 (1769), Stichwort: société, S. 619; Savary des Brulons, Bd. 3 (1741), Stichwort: société, Spalte 144 bzw. Savary, Bd. 2 (1777), S. 345 ff. zu den einzelnen Formen der Personenhandelsgesellschaften. Ab Geltung der Napoleonischen Gesetzbücher („cinq codes“) siehe Dalloz, Répertoire de législation, Bd. 40 (1859), Stichwort: société, Nr. 18 ff., S. 356 ff., Nr. 45, S. 362, Nr. 69, S. 381; die vertragliche Einordnung der „société“ wurde auch im code civil bzw. code de commerce beibehalten, s. Ripert, Bd. 1 (1959), Nr. 564, S. 290 und Pardessus, Bd. 3 (1857), Nr. 969, S. 3: «Il n’y a point de société sans volonté de s’unir.» 53 Zu differenzieren sind die „société civile“ (entspricht der GbR) und die „societe commerciale“ (entspricht der Handelsgesellschaft). Diese Typen unterscheiden sich nach ihrem Tätigkeitsgebiet: «Ainsi les sociétés commerciales sont celles qui se forment pour faire le commerce, soit par l’exploitation d’une certain industrie, soit par l’exercice habituel d’actes de commerce. Toute autre société est une société civile.» S. Dalloz, Répertoire de législation, Bd. 40 (1859), Stichwort: société, Nr. 197 (siehe Nr. 197 ff. zur Bestimmung, wann ein Handelsgeschäft vorliegt). 54 Vgl. Mazeaud/Mazeaud/Mazeaud, Bd. 1/2 (1968), Nr. 598, S. 602: «Les sociétés à but lucratif étaient licites sans autorisation, puis qu’elles ne présentaient aucun danger sur le plan politique. » 55 Hilaire (1986), S. 214 ff.; Hayem (1911), Nr. 25, S. 29 m.w. N. in dortiger Fußnote 1.
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der Handelsgesellschaften, insbesondere der Gesellschafterhaftung, entwickelten sich vielmehr erst nach und nach und Hand in Hand mit den Bedürfnissen des Handelsverkehrs.56 Vereinfacht könnte man zusammenfassen: „societas war der natürliche Begriff des privatnützigen Unternehmens, universitas der des öffentlichen Verbandes.“ 57 Die den historischen Quellen entwachsenen grundlegenden Unterschiede der Personengesellschaft im Vergleich zur juristischen Person sind somit u. a. die Personengebundenheit, die grundsätzlich unbeschränkte Haftung der Gesellschafter und die fehlende eigene Rechtspersönlichkeit.58 Diese Unterscheidung fand sich zunächst auch im alten französischen Recht des 17. und 18. Jahrhunderts wieder. So hält Saleilles zur französischen Theorie der Organisationsformen fest: «Ce qui est certain, en tout cas, c’est à partir du dix-septième siècle la théorie est fixée, au moins chez nous. Elle se résume dans les deux idées suivantes: 1º les communautés sont considérées comme des personnes, en tant que communautés, et c’est cette personne nouvelle, ainsi conçue sous la forme juridique, qui seule possède; (. . .); 2º tout ce qui est personne civile est désigné sous le nom de corps ou de communauté, sans que l’on distingue nettement entre association et fondation.»59 Als eigenständige Rechtssubjekte galten im französischen Gebiet im Mittelalter und in der frühen Neuzeit demnach nur körperschaftliche, i. d. R. berufsständische Gebilde, die vom Staat mit Privilegien ausgestattet worden waren.60 Ein Edikt von 1749 bestimmte demnach aufbauend auf dem bestehenden königlichen Genehmigungserfordernis für die communautés de métier, dass sich alle gens de mainmorte nur mittels einer offenen Urkunde des Königs, den lettres patentes, wirksam gründen durften, d.h. sie benötigten für ihre rechtliche Existenz ein mit
56 Die Entwicklung des Handelsrechts war daher in die des allgemeinen Gesellschaftsrechts integriert, vgl. Lèvy-Bruhl (1938), S. 14. Differenzierende Betrachtungen der Handelsgesellschaften finden sich bei Pothier, in: Dupin/Pothier (Hg.), Bd. 2 (1831), S. 415 ff. (für die Zeit des „Ancien Régime“) und Pardessus, Bd. 3 (1857), Nr. 966–1090, S. 1–274 oder Troplong (1843), Nr. 359 ff., S. 144 ff. (ab Geltung des code de commerce). 57 Mehr (2008), S. 18. 58 Mit diesen römisch-rechtlichen Wurzeln (bestehender Organisationsformen) beschäftigte man sich auch in der französischen Literatur, vgl. Castier (1884), S. 1 ff.; Saleilles (1922), S. 47 ff. Diese Konturen der beiden Grundtypen sind gerade in Deutschland mit Beginn des 21. Jahrhunderts noch weiter verwischt worden, vgl. hierzu M. Lehmann, AcP 207 (2007), S. 225, 226 ff. sowie Beuthien, NJW 2005, 855 ff. 59 Saleilles (1922), S. 226; ähnlich Hayem (1911), Nr. 3, S. 9 f. 60 Vgl. näher zur Charakterisierung von „corps“ und „communauté“ etwa Hilaire (1986), S. 30 f.; Dalloz, Répertoire de législation, Bd. 40 (1859), Stichwort: société, Nr. 18 ff., S. 356 ff.; Planiol, Bd. 1 (1925), Nr. 3010, S. 986 und Nr. 3037, S. 998.
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dem Staatssiegel versehenes Schreiben, das der Monarch in offenem Zustand an das königliche Gericht (Parlement) gerichtet hatte.61 Bezüglich der société bemerkt der Autor Saleilles: «La fiction de personnalité, en ancien droit, était restreinte à la corporation, c’est-à-dire à un corps ayant des organes constitués hiérarchiquement pour l’administration et la direction. Rien de tout cela n’existait dans les sociétés de personnes.»62 Die Formen der société civile und société commerciale hatten im allgemeinen eine einfache Gesellschaftsstruktur und auch wenn man in der société civile eine eigenständige Vermögensmasse sah, so war an eine körperschaftliche Organisation (noch) nicht zu denken: «(. . .) toutes les sociétés de l’ancien droit, qu’elles fussent commerciales ou civiles, échappaient aux cadres de la personnalité juridique.»63 Die Bedürfnisse und die Historie des Handelsverkehrs hatten aber gezeigt, dass das Zugeständnis einer „Art eigener Rechtsfähigkeit“ auch für Handelsgesellschaften nützlich bzw. teilweise notwendig war.64 Nach der Einführung des französischen Handelsgesetzbuchs, des sog. code de commerce im Jahre 1807, sollte auch die ursprünglich strenge Abgrenzung von rechtlich verselbstständigter Korporation und ursprünglich nicht rechtsfähiger Personenhandelsgesellschaft für die Handelsgesellschaften im Allgemeinen sowie die Eingliederung der Aktiengesellschaft – der société anonyme – in das französische Recht im Besonderen kein Hindernis mehr darstellen. Die französische Rechtswissenschaft musste sich über die rechtliche Qualität der société anonyme weniger Gedanken machen als die deutsche Lehre, weil sich schon bald nach Inkrafttreten des code de commerce die Überzeugung der Rechtssubjektivität jeder Handelsgesellschaft durchsetzte und verfestigte.65 Die Gründe hierfür liegen in den Schwierigkeiten, die eine rein vertragliche Konzeption der Handelsgesellschaft für die rechtliche Behandlung der Einlagen der Gesellschafter in die Gesellschaft mit sich brachten.66 Mithilfe 61 Siehe hierzu Planiol, Bd. 1 (1925), Nr. 3037, S. 998 und Saleilles (1922), S. 246 ff. 62 Saleilles (1922), S. 300. 63 Saleilles (1922), S. 300 f.; ähnlich Hayem (1911), Nr. 25, S. 29 m.w. N. 64 Vgl. hierzu Coing, Bd. 2 (1989), § 61, S. 349, § 62, S. 355 f.; Mehr (2008), S. 3 m.w. N. in dortiger Fn 13. Als rechtshistorische Erklärung für diese Entwicklung dienen die gemeinrechtlichen Sätze der Trennung von Mitglied und Verband sowie der Vorform des heutigen Vollstreckungsverbotes, die das Konzept der juristischen Persönlichkeit der „universitas“ mit den damaligen Handelsgesellschaften in Einklang brachten, s. hierzu ausführlich Mehr (2008), S. 3, 213 f., 299 f. Vgl. für das französische Recht Lévy-Bruhl (1938), S. 280 f., der beschreibt, dass die Vorformen der „société anonyme“ bereits den Charakter einer „personne morale“ aufwiesen und im ausgehenden 18. Jahrhundert die Personengesellschaften mit diesem Wesenszug „ansteckten“. 65 S. Dalloz, Répertoire de législation, Bd. 40 (1859), Stichwort: société, Nr. 182 ff., S. 412 f. Anders etwa die Entwicklung in Deutschland, vgl. Punkt B. I. 3. a). 66 Vgl. hierzu Lévy-Bruhl (1938), S. 116 ff., 191.
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des Konzepts der personnalité morale konnte die Handelsgesellschaft selbst als Eigentümerin der Gesellschafterbeiträge gelten; die Beiträge waren damit vor einem Zugriff der persönlichen Gläubiger eines Gesellschafters geschützt.67 Im Jahre 1834 wurde die Rechtssubjektivität der Handelsgesellschaften schließlich ausdrücklich von der Cour de cassation anerkannt und entsprechend von der Literatur aufgenommen.68 Als gemeinsames Kennzeichen der sociétés des französischen Handelsrechts ist seitdem festzuhalten: «(. . .) une société commerciale est une personne morale, qui (. . .) peut, par toute espèce de contrats ou de quasi-contrats, s’engager ou engager à son égard.»69 Um überhaupt wirksame Verpflichtungen eingehen zu können, muss eine französische Handelsgesellschaft demzufolge Rechtssubjektivität besitzen: «L’objet du contrat de société étant de former un être moral et collectif par la réunion des plusieurs personnes (. . .), il est souvent très-important de bien reconnaitre quand cette société commence, (. . .), qui, relativement à la situation active et passive de la société, fait cesser l’individualité de chacune de personnes dont elle doit être composée, pour en former un corps qui a sa propre et particulière individualité.»70 Die Tatsache, dass jede Handelsgesellschaft im französischen Recht als personne morale anerkannt wurde, sagt aber noch nichts darüber aus, wie die Haftung oder die Organisation des Verbandes im Einzelnen ausgestaltet war. Wie Saleilles (kritisch) feststellt, verschwammen daher die ursprünglichen Grenzen von nicht rechtsfähiger société und rechtlich verselbstständigter corporation: «(. . .) en admettant la personnalité des sociétés de commerce on se trouvait consacrer en même temps une règle que l’on avait toujours considérée (. . .) 67 Lefebvre-Teillard (1985), S. 184: «C’est en function de ce problème très concret, très pratique, que (. . .) on s’achemine vers la reconnaissance de la personnalité morale des sociétés de commerce. Ces sociétés ne peuvent pas, en effet, vivre sous la menace d’une saisie des biens qui composent la société par la faute des agissements privés d’un seul de leur membres (. . .).» Entsprechend hatte die französische Rechtsprechung zu Beginn des 19. Jahrhunderts den Gesellschaftsgläubigern exklusiven Zugriff auf das Vermögen der Gesellschaft gewährt, vgl. Cour de Paris, Urt. v. 10.12.1814, abgedruckt in: Dalloz, Répertoire de législation, Bd. 40 (1859), Stichwort: société, Nr. 631, S. 498, dort Fußnote 1. In der deutschen Gesellschaftsrechtsdogmatik tritt die Diskussion um die Gesamthand an diese Stelle, vgl. hierzu nur Schmidt (2002), § 8 III, S. 196 ff. 68 Vgl. Cour de cassation, Urt. v. 2.6.1834, abgedruckt in: Dalloz, Répertoire de législation, Bd. 40 (1859), Stichwort: société, Nr. 1656, S. 743, dort Fußnote 2. 69 Pardessus, Bd. 3 (1857), Nr. 975, S. 14. 70 Pardessus, Bd. 3 (1857), Nr. 972, S. 7 f. (Hervorhebung des Verf.). Entsprechende Auffassungen finden sich auch bei weiteren zeitgenössischen französischen Handelsrechtlern, vgl. etwa Vincens (1837), S. 8, der die „société en nom collectif“ folgendermaßen charakterisiert: «Sous cette solidarité indéfinie, la société compte, dans le commerce, purement comme un individu.» S. a. Persil (1833), S. 16: «être morale, appellé société».
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comme étant en contradiction avec l’idée même de personnalité, celle de la responsabilité personnelle, et même solidaire des associés, ne fût-ce, il est vrai, qu’à titre subsidiaire, ce qui importe peu au point de vue des principes.»71 Um diese beiden sich ursprünglich widersprechenden Konzepte von rechtlicher Selbstständigkeit der Gesellschaft und damit auf das Gesellschaftsvermögen beschränkter Haftbarkeit auf der einen Seite und – wenn auch subsidiärer – persönlicher, solidarischer Haftung der Gesellschafter auf der anderen Seite miteinander in Einklang zu bringen, musste die Rechtswissenschaft ihr Nebeneinander im Sinne einer Überlagerung auffassen und zulassen.72 Je nach verwendeter Gesellschaftsform können (auch heute noch) Unterschiede in der Organisationsstruktur und der Haftungsausgestaltung einer französischen Handelsgesellschaft bestehen.73 Es zeigt sich somit, dass der Begriff der personne morale von jeher viel flexibler gehandhabt werden konnte als derjenige der „deutschen juristischen Person“ bzw. der „Rechtspersönlichkeit“ im Kontext des deutschen Verständnisses. Aus den vorangegangenen Erläuterungen des französischen Handels- und Gesellschaftsrechts lässt sich für die weitere Untersuchung Folgendes ableiten: Diese Besonderheit des französischen Rechts, nämlich die Zuerkennung von „Rechtspersönlichkeit“ an handelsrechtliche Personalgesellschaften (gleich den heutigen juristischen Personen des Privatrechts im deutschen Sinne)74, führte dazu, dass die präzise Abgrenzung von Körperschaft und Personenhandelsgesellschaft nicht im gleichen Maße eine Rolle spielte wie in anderen kontinentalen Rechten.75 Insofern hilft für den französischen Rechtskreis die Feststellung der 71
Saleilles (1922), S. 301 f.; s. a. Hayem (1911) Nr. 219, S. 203. Siehe Michoud, Bd. 1 (1906), Nr. 74, S. 177: «(. . .) il peut y avoir obligation des associés aux dettes même quand la société est une personne juridique; sans doute dans ce cas la société sera elle-même obligée; mais on conçoit fort bien qu’à côté d’elle les associés le soient aussi, en vertu d’une obligation de garantie qu’ils contractent par le fait même de leur entrée dans l’association. » Vgl. auch Saleilles (1922), S. 197 f., 303, der diese Entwicklung aus Gründen der praktischen Entwicklung des Handelsrechts wohl zwar für notwendig hält, jedoch den Bruch mit der früheren Systematik vor Augen führt. 73 Tat (2003), S. 86 ff. 74 Im französischen Recht gibt es jedoch wiederum die Besonderheit, dass nur Personenverbände mit eigener Rechtspersönlichkeit ausgestattet wurden, nicht aber selbstständige gesellschaftliche Organismen, die nicht aus einem Personenverband bestehen, wie etwa eine Stiftung, die nach deutschem Recht juristische Person ist. Zugegebenermaßen wird die Trennung von Personenhandelsgesellschaften und juristischen Personen des Privatrechts im deutschen Recht durch die Zuerkennung der Rechtsfähigkeit an erstgenannte abgemildert, vgl. nur §§ 124 I, 161 II HGB und BGHZ 146, 341 ff. 75 Vgl. allgemein Coing, Bd. 2 (1989), S. 349. Zu Deutschland, s. Gliederungspunkt B. I. 3. a). Eine inhaltliche Unterscheidung der Begriffe von Rechtspersönlichkeit und Rechtsfähigkeit, wie sie sich im deutschen Recht heutzutage durchgesetzt hat, kennt das französische Recht demnach nicht. Verwendet man diese Begriffe im französischen Kontext, so müssen diese als gleichbedeutend verstanden werden, vgl. hierzu M. Lehmann, AcP 207 (2007), 225, 226, 241: Unter den Begriffen „personnalité morale“ oder „personnalité juridique“ versteht man folglich allein die Fähigkeit, Träger von Rechten 72
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Rechtssubjektivität der Aktiengesellschaft, d.h. die Tatsache, dass diese als Subjekt gegenüber ihren Mitgliedern stets so weit verselbstständigt war, dass sie selbst Rechte und Pflichte haben konnte (bzw. kann), nicht weiter, um diese Organisationsform in ihrem gesetzlichen Ursprung unmittelbar als juristische Person oder Personenhandelsgesellschaft einordnen zu können. Es wird sich im weiteren Verlauf der Arbeit noch zeigen, inwieweit diese Feststellung der Normierung der Aktiengesellschaft entspricht bzw. der späteren Anerkennungsfrage dienlich sein kann. Insbesondere ist zu klären, ob die Vorläufer der société anonyme – und damit das gesetzliche Leitbild der Aktiengesellschaft im französischen Gesellschaftsrecht von 1807 – aufgrund ihrer dogmatischen Wurzeln primär der universitas oder der societas zuzuordnen waren. Hätte sich die Aktiengesellschaft auf Grundlage der societas entwickelt, so hätten ihre Vorformen keine Rechtspersönlichkeit besitzen dürfen und es wäre konsequent, wenn sich diese und die 1807 normierte société anonyme im Wege freier Gründung hätten bilden können.76 Die Zurückführung der société anonyme auf die universitas würde demgegenüber ein staatliches Genehmigungserfordernis für deren rechtswirksame Errichtung zwingend erfordern. Wäre mithin die Konzession für die Existenz der Aktiengesellschaft in ihrer konkreten Ausgestaltung als juristische Person mit auf das Gesellschaftskapital begrenzter Haftung als unabdingbar anzusehen, so könnte dies für die Frage, ob die Konzession auch außerhalb der Grenzen des Ursprungslandes akzeptiert und somit die Rechtspersönlichkeit der société anonyme auch im Ausland anerkannt werden müsse, von zentraler Bedeutung sein.77 (2) Die Vorläufer der Aktiengesellschaften in Frankreich Im einem nächsten Schritt ist zuerst zu betrachten, welche Vorformen der Aktiengesellschaft in Frankreich vor deren Normierung aufzufinden sind und ob diese in die historischen Grundformen von privatrechtlicher Gesellschaft bzw. öffentlich-rechtlicher Körperschaft mit den dargestellten Prinzipien hineinpassen. und Pflichten zu sein. Insofern versucht Ducouloux-Favard (1992), S. 44, das deutsche Begriffsverständnis der „Rechtspersönlichkeit“ mit dem Begriff der „personnalité morale forte“ zu beschreiben. Demgegenüber muss man – wie bereits angedeutet – im Kontext des deutschen Rechts bei der Verwendung dieser Begriffe vorsichtiger sein. Unterschiede von rechtsfähigen Personengesellschaften und mit Rechtspersönlichkeit ausgestatteten juristischen Personen bestehen im Bereich der Gründung, (typischerweise, wenn auch nicht zwingend) der Haftung, der Gesellschaftsstruktur und der Übertragbarkeit von Anteilen, vgl. M. Lehmann, AcP 207 (2007), 225, 226, 243 ff.; s. a. Reuter, AcP 207 (2007), 673, 680 ff. 76 Siehe hierzu im Folgenden Gliederungspunkte B. I. 2. b) aa) (2) und B. I. 2. b) bb). 77 In diese Richtung argumentiert Deutsch, in: Bayer/Habersack (Hg.), Bd. 1 (2007), S. 46, 73. Siehe zum Zusammenhang von Konzession und Anerkennungsfrage ausführlich Gliederungspunkt B. I. 2. c) cc) (3).
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B. Umgang mit fremden Gesellschaften aus rechtshistorischer Perspektive
(a) Die société anonyme des Ancien Régime Die Ordonnance du Commerce von Colbert aus dem Jahre 167378 stufte die sociétés de commerce – die Handelsgesellschaften des alten französischen Rechts – nur in zwei Kategorien ein: die sociétés générales79 und die sociétés en commandite80. Die société anonyme war den zeitgenössischen rechtswissenschaftlichen Autoren zwar durchaus bekannt, sie fand aber keine Regelung in der Ordonnance.81 Als Grund hierfür lässt sich anführen, dass man unter dem Begriff société anonyme zunächst nur jene Gesellschaften verstand, welche nicht als solche nach außen in Erscheinung traten und daher auch keine Firmenbezeichnung (raison sociale) hatten: Denisart definiert diese „versteckte Gesellschaft“ als «(. . .) une espèce de société (. . .) qui se fait sans aucun nom, mais où tous les associés travaillent chacun sous leur nom particulier sans que le public soit informé de leur société, et se rendent ensuite compte les uns aux autres des profits et des pertes qu’ils ont fait dans leurs négociations.»82 Entsprechend hält Lévy-Bruhl als entscheidendes Charakteristikum fest: «(. . .) dans la société anonyme le seul associé responsable vis-à-vis du public est celui avec qui l’on a traité.»83 Diese Zusammenschlüsse waren meist nur auf kurze Dauer und für bestimmte Geschäfte angelegt oder wurden für längerfristige Handelsvorhaben von den Gesellschaftsmitgliedern für geheimzuhaltende Absprachen verwendet.84 Erwähnte Anonymität war der Auslöser dafür, dass diese Er-
78 Die Ordonnance du Commerce, abgedruckt in: Isambert (Hg.), Bd. 19, S. 92–97, spiegelte das Bestreben nach einem vereinheitlichten französischen Gesellschaftsrecht im 17. Jahrhundert wieder und wird auch als „Code Marchand“ oder „Code Savary“ bezeichnet, da Colbert einen Großteil der Arbeit an der Ordonnance an Jacques Savary übertragen hatte, vergleiche hierzu kursorisch Rothweiler/Geyer, in: Bayer/Habersack (Hg.), Bd. 1 (2007), S. 23, 26 f. Hilaire betont das Verdienst der Ordonnance und stellt fest, dass das Handelsrecht erstmals neben und gewissermaßen in Konkurrenz zum „königlichen Recht“ tritt, s. Hilaire (1986), S. 17. Ergänzt wurde die Ordonnance du Commerce 1681 von der Ordonnance de la Marine, abgedruckt in: Isambert (Hg.), Bd. 19, S. 282 ff., die spezielle Regelungen zum Seehandelsrecht enthielt. 79 Diese Gesellschaftsform entspricht der deutschen Offenen Handelsgesellschaft (OHG) und wird in der Folgezeit überwiegend als „société en nom collectif“ bezeichnet: «Dans une société générale tous les associés sont solidaire et tenus in infinitum;», so Lévy-Bruhl (1938), S. 30 ff. 80 Bezeichnung für einen mit der Kommanditgesellschaft (KG) des deutschen Rechts korrespondierenden Gesellschaftstyp: «(. . .) dans une société en commandite, seuls sont indéfiniment responsables les commandités, appelés souvent alors complimentaires, les commanditaires ne pouvant subir de perte au delà de leur apport;» Lévy-Bruhl (1938), S. 30, sowie ausführlich zu Ausprägung und Entwicklung, S. 33 ff. 81 Vgl. Rothweiler/Geyer, in: Bayer/Habersack (Hg.), Bd. 1 (2007), S. 23, 27; Hilaire (1986), S. 192; Lévy-Bruhl (1938), S. 41. 82 Denisart, Bd. 3 (1766), (Teil 2) Stichwort: société, S. 99. 83 Lévy-Bruhl (1938), S. 30. 84 Savary, Bd. 1 (1777), (Teil 2) S. 370 f.
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scheinungsform argwöhnisch betrachtet wurde, man betonte ihren «caractère occulte ».85 Die französischen Autoren erklären daher die fehlende Aufnahme der société anonyme in den Code Marchand mit dem Missbrauchspotential, welches diesen Zusammenschlüssen für den Handel innewohnte. Die Gefahren wurden vor allem in den unklaren Haftungsverhältnissen86 und der Benachteiligung der Gläubiger gesehen: «Les droits des créanciers se trouvaient à la bonne foi ou de la collusion de ces associés dont ils ignoraient jusqu’à l’existence».87 Savary war der Ansicht, dass die société anonyme letztlich das Ziel bestritt, einen Markt zu erobern, um sodann in Zeiten der Warenknappheit erhöhte Preise (den sog. „Monopolpreis“ 88) fordern zu können.89 Die Ordonnance hatte folglich lediglich die Personengesellschaften im Fokus, Kapitalgesellschaften waren im Ancien Régime gesetzlich noch nicht erfasst.90 Die Bezeichnung société anonyme, die ab 1807 die Aktiengesellschaft bekleiden sollte, muss demnach strikt von dem alten Verständnis getrennt werden.91 (b) Die Entwicklung der Kapitalgesellschaften Die Wurzeln der modernen société anonyme des heutigen Sprachverständnisses sind – parallel zur englischen Entwicklung – im französischen Überseehandel angelegt.92
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Hilaire (1986), S. 191; Lévy-Bruhl (1938), S. 40 f. Z. T. wurde die Nähe zur „société en participation“ – eine Art von BGB-Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit – hervorgehoben, siehe Hilaire (1986), S. 192 und Lévy-Bruhl (1938), S. 40. Demgegenüber konnte nicht immer eine saubere Abgrenzung zur „société en commandite“ gezogen werden, da einerseits trotz der grundsätzlichen Anerkennung der beschränkten Kommanditistenhaftung teilweise eine unbeschränkte Haftung dieser Gesellschafter vorgesehen und andererseits bisweilen doch eine gesamtschuldnerische Haftung bei der „société anonyme“ zu beobachten war, vgl. Lévy-Bruhl (1938), S. 33 ff., 41 f. 87 Lévy-Bruhl (1938), S. 42; s. a. Hilaire (1986), S. 192. 88 Darunter versteht man den gewinnmaximalen Preis, den ein Monopolist, d.h. ein einziger Anbieter auf dem Markt, für ein wirtschaftliches Gut erzielen kann. 89 Siehe Savary, Bd. 1 (1777), (Teil 2) S. 368 ff. der vier verschiedene Typen der „société anonyme“ unterscheidet; zur zeitgenössischen Kritik an Savarys Darstellung vgl. zusammenfassend Lévy-Bruhl (1938), S. 41 m.w. N. 90 Vgl. die Regelungen im „Code Marchand“, Quelle wie Fn 78; s. a. Rothweiler/ Geyer, in: Bayer/Habersack (Hg.), Bd. 1 (2007), S. 23, 27. 91 S. auch Delangle, Bd. 2 (1843), Art. 29, 30 cdc, Nr. 419, S. 1 f.; Godet, Revue belge 1837, 83, 87. 92 Diese Fernhandelskompagnien gelten als Keim des sich langsam entwickelnden Aktiengesellschaftsrechts, obgleich bereits im 15. Jahrhundert bei oberitalienischen Banken erste Ansätze zur Entwicklung von Kapitalgesellschaften zu erkennen sind, vgl. Schmoeckel (2008), Rn 261, S. 167; Meyers Konversationslexikon, Bd. 1 (1885), S. 265 f.; Benöhr, in: Schmidlin (Hg.) (1996), S. 93, 95 f. 86
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B. Umgang mit fremden Gesellschaften aus rechtshistorischer Perspektive
Nach dem Vorbild der ersten bedeutenden englischen und holländischen Seehandels- und Kolonialgesellschaften 93 entstanden aufgrund staatlicher Initiative ab dem frühen 17. Jahrhundert in Frankreich ähnliche Gesellschaften.94 Die wohl bedeutendste französische Kolonialhandelsgesellschaft Compagnie des Indes Orientales wurde auf Betreiben Colberts im Mai 1664 gebildet.95 Diese sog. Grandes Compagnies de Commerce, die den Überseehandel betrieben, waren nicht auf der Basis wechselseitigen Vertrauens (intuitu personae) gegründet, sondern rechtlich auf finanzielle Beiträge vieler Anleger ausgerichtet.96 Die einzelnen Anteile, die actions, waren übertragbar gestaltet.97 Die gesamte Organisation dieser Gesellschaften war in Statuten geregelt.98 Für den weiteren Gang der Untersuchung besonders interessant ist, dass die Gesellschaften eine körperschaftliche Organisation aufwiesen:99 Die Handelskompagnien hatten den Status einer Compagnie Privilégiée, d.h. neben Monopolen und Sonderrechten waren diese
93 Darunter jeweils auf holländischer und englischer Seite die (gleichnamigen) Ostindienkompagnien, vgl. hierzu Bonnassieux (1892), S. 40–68 bzw. S. 100–131. 94 1626 wurde die Compagnie de Saint-Christophe gebildet, 1628 die Compagnie de la Nouvelle-France, 1642 die Compagnie d’Orient, 1651 die Compagnie de Cayenne, 1664 die Compagnie des Indes Occidentales; vgl. Escarra/Escarra/Rault, Bd. 1 (1950), S. 10 f. sowie Bonnassieux (1892), S. 165–424 (auch zu weiteren Gesellschaften). 95 Siehe Savary des Bruslons, Bd. 2 (1741), Stichwort: compagnie, Spalte 429; hierzu ausführlich Bonnassieux (1892), S. 253–340. Zu Vorgängern bzw. Nachfolgern vgl. K. Lehmann, Bd. 1 (1898), S. 45 ff. sowie Savary, Bd. 1 (1777), (Teil 2) S. 535 f. 96 Siehe etwa Savary, Bd.1 (1777), (Teil 2) S. 364: Im Artikel 1 der Lettres Patentes in Form eines Edikts des Königs zugunsten der Compagnie des Indes Orientales ist festgelegt: «Que cette Compagnie sera composée de tous ceux Sujets du Roi, de quelque qualité & conditions qu’ils soient, qui y voudront entrer (. . .), sans que pour cela ils dérogent à leur Noblesse & Priviléges, dont sa Majesté les a relevés & dispensés.» 97 Siehe Ferrière, Bd. 1 (1769), Stichwort: action, S. 37. 98 Die Vorschriften für diese Vorformen der Aktiengesellschaft finden sich daher in den Gründungsurkunden der einzelnen Kolonialhandelsgesellschaften. Zum beispielhaften Aufbau zweier ausgewählter Statuten, vgl. Lammel zur Geschichte der Handelsgesellschaften Frankreichs, in: Coing (Hg.), Handbuch, Bd. 2/2 (1976), S. 798, 819. 99 Dazu gehören insbesondere die rechtliche Verselbstständigung der Körperschaft gegenüber ihren Mitgliedern und somit Fortbestand und Identität der Korporation bei Mitgliederwechsel, eigene Rechtspersönlichkeit des Verbandes (was aber kein zwingendes Merkmal einer Korporation ist, vgl. Schmidt (2004), § 22 II, S. 656), das (zunächst bestehende) Erfordernis hoheitlicher Genehmigung zur Errichtung und (im öffentlichrechtlichen Bereich) Hoheitsrechte des Verbandes gegenüber seinen Mitgliedern, vgl. Savigny, Bd. 2 (1840), §§ 89 ff., S. 275 ff.; Coing, Bd. 2 (1989), § 60, S. 346 ff.; zur weiteren Entwicklung und zum Zusammenhang zwischen den Begriffen der juristischen Person und der Körperschaft, ibidem, § 59, S. 336 ff. Das Merkmal der Haftungsbeschränkung bei der Korporation ist heute zwar typisch, jedoch wiederum nicht zwingend (vgl. nur die KGaA im deutschen Recht, die seit dem Aktiengesetz von 1937 juristische Person ist). In Zeiten des „ancien droit“ ist das Merkmal der Haftungsbeschränkung der Aktionäre wohl gemeinrechtlich nicht selbstverständlich gewesen; es ergab sich aber regelmäßig aus den Statuten, vgl. etwa Art. V der Lettres patentes der Compagnie des Indes oder Art. VIII des königlichen Edikts zur Errichtung der Compagnie des Indes Occidentales, abgedruckt bei: Bornier (1767), S. 79 und S. 102 f.
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Gesellschaften mit Rechtssubjektivität – personnalité morale100 – ausgestattet.101 Die Anerkennung der Rechtspersönlichkeit einer solchen Compagnie ging mit ihrer Gründung einher, die zu ihrer Gültigkeit eines königlichen Aktes bedurfte.102 Daher spricht prima vista vieles dafür, die Kolonialhandelsgesellschaft als öffentlich-rechtliche Korporation103 aufzufassen, denn sie bedurfte stets der hoheitlichen Spezialgenehmigung, um sich wirksam zu gründen.104 Die damalige zeitgenössische französische Literatur definierte die Handelskompagnien aber eindeutig als société und nicht als communauté.105 Es handelte sich danach um eine Sonderform der societas, welche dennoch der staatlichen Genehmigung bedurfte.106 Der Staat stattete diese Handelskompagnien aber nur deshalb mit umfangreichen Rechten aus, um dadurch wirtschafts- bzw. machtpolitische Ziele durchsetzen zu können.107 Nachdem die Kolonialpolitik Hollands und Englands bereits Früchte getragen hatte, wollte auch Frankreich es im 17. Jahrhundert diesen Län100 Eine Definition der „personnalité morale“ liefern etwa Mazeaud/Mazeaud/Mazeaud, Bd. 1/2 (1968), Nr. 591, S. 595: «L’octroi de la personnalité morale permet donc aux personnes physiques exerçant des activités diverses de se grouper, dans un but commun, en entreprises puissantes ayant des droits propres, et d’assurer la pérennité aux groupements.» 101 Zu den Sonderrechten der wohl bedeutendsten französischen privilegierten Handelsgesellschaft, der Compagnie des Indes Orientales, siehe Hilaire (1986), S. 201: Die Compagnie erfreute sich neben ihrer Rechtspersönlichkeit auch eines Handelsmonopols und Vorrechten öffentlicher Gewalt (wie Armee und Rechtsprechung) in den Territorien, welche sie kontrollieren sollte. Hinsichtlich dieser Territorien hatte man auf die alte Technik der Lehensübertragung zurückgegriffen. 102 Siehe Savary des Bruslons, Bd. 2 (1741), Stichwort: compagnie, Spalte 426; Hilaire (1986), S. 201: «création par un acte du pouvoir royal»; s. a. K. Lehmann (1895), S. 50; Rothweiler/Geyer, in: Bayer/Habersack (Hg.), Bd. 1 (2007), S. 23, 32. 103 Das Genehmigungserfordernis galt im „Droit Français“ und Ius Commune sogar unterschiedlos für jegliche Arten der „universitas“, vgl. Mehr (2008), S. 234 f. mit einschlägigen Quellennachweisen. 104 Siehe K. Lehmann, Bd. 1 (1898), S. 49 f.; Coing, Bd. 1 (1985), § 107, S. 525. 105 Vgl. Bornier (1767), S. 75 ff., der die Gründungsedikte dieser privilegierten Handelsgesellschaften unter dem Stichwort „société“ aufnimmt. Savary hatte die Kolonialhandelsgesellschaft als „compagnie“ bezeichnet, welche sich von einer herkömmlichen „société“ insoweit unterschied, als dass hier eine Vielzahl von Gesellschaftern, die ein bestimmtes Kapital aufbrachten, beteiligt war und dass sie nur mit herrschaftlicher Genehmigung gegründet werden konnte – vor allem wenn die „compagnie“ hoheitliche Privilegien besitzen wollte; s. Savary des Bruslons, Bd. 2 (1741), Stichwort: compagnie, Spalte 426. Auch Bonnassieux nimmt im Jahre 1892 diese Unterscheidung auf und schreibt (in Bezug auf das 18. Jahrhundert), dass die rechtswissenschaftlichen Werke zwei Arten von Handelsgesellschaften unterschieden: „sociétés de commerce“ und „compagnies de commerce“; s. ders. (1892), S. 5. 106 Dabei muss die rechtliche Qualität dieses Aktes offen bleiben, vgl. Rothweiler/ Geyer, in: Bayer/Habersack (Hg.), Bd. 1 (2007), S. 23, 32. 107 Vgl. Escarra/Escarra/Rault, Bd. 1 (1950), S. 10: «(. . .) le développement des sociétés de capitaux est intimement lié à la politique d’expansion coloniale qui se développe à compter du début du XVIe siècle.»
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dern gleich tun und große Kolonialhandelsgesellschaften errichten. Die in dieser Zeit für die französische Kolonialpolitik zuständigen Minister Richelieu, Fouquet und Colbert sahen die Notwendigkeit, den Einfluss und den Handel Frankreichs nach außen auszudehnen.108 Nachdem zunächst nur das Streben nach Siedlungskolonien die tragende Rolle spielte, fügte sich rasch das Ideal der Handelskolonien und das Ziel der Bewirtschaftung von Kolonien in die französische Außenpolitik ein.109 Die zeit- und kapitalintensiven Schiffsreisen, welche der risikoreiche Überseehandel mit sich brachte, konnten nicht mehr mit den herkömmlichen gesellschaftsrechtlichen Institutionen bewältigt werden.110 Daher entschied sich auch der französische Staat dafür, zu diesem Zwecke Gesellschaften einzusetzen, die heute als Vorformen der modernen Aktiengesellschaft bezeichnet werden. Nahezu alle französischen Seehandelsgesellschaften verdankten ihre Existenz einem direkten staatlichen Akt.111 Die staatliche Initiative bei der Gründung von solchen Handelsgesellschaften112 beschreibt Bonnassieux mit folgenden Worten: «Tandis qu’en d’autres pays, l’initiative privée, l’opinion publique déterminaient la constitution des grandes compagnies, l’on voit presque toujours en France le Gouvernement à la tête de toutes les entreprises de ce genre. Il en résulte forcément que l’intervention royale se manifeste par des privilèges et des faveurs de tous genres. Aucun pays n’a connu, par suite, en cette matière, de monopoles aussi rigoureux, de privilèges aussi étendus que la France sous l’ancien régime.»113 Der Überseehandel sollte demnach dazu dienen, die eigene staatliche Machtposition auszudehnen und ein Kolonialreich aufbauen zu können.114 Die Tatsa108
So Bonnassieux (1892), S. 166; ähnlich Lévy-Bruhl (1938), S. 44. Deschamps, Histoire de la question coloniale en France, Paris 1891, S. 79, 84, zitiert nach Bonnaisseux (1892), S. 165; Coing, Bd. 1 (1985), § 107, S. 526. 110 Rothweiler/Geyer, in: Bayer/Habersack (Hg.), Bd. 1 (2007), S. 23, 26. 111 Siehe die Beschreibungen von Bonnassieux (1892), S. 165–424, zu den maßgeblichen französischen (See-)Handelsgesellschaften des 17. und 18. Jahrhunderts; s. a. Lefebvre-Teillard (1985), S. 6: «La roi intervient activement dans la fondation de ces sociétés.» bzw. Lescoeur (1877), Nr. 21, S. 15: «On peut dire qu’elles étaient vraiment fondées par le roi. A leur tête étaient placés les premiers personnages de l’État. » 112 Im späteren Verlauf des 17. und 18. Jahrhunderts wurden privilegierte Gesellschaften auch für andere Zwecke zugelassen, so z. B. die französische Seeversicherung 1686 und die im 18. Jahrhundert entstandenen Bergwerksgesellschaften und Eisenhütten, vgl. Lévy-Bruhl (1938), S. 44; Coing, Bd. 1 (1985), § 107, S. 526 sowie Horn, in: Coing (Hg.), Handbuch, Bd. 3/3 (1986), S. 3188, 3190. 113 Bonnassieux (1892), S. 167. Ähnlich kritisch beurteilt Lévy-Bruhl (1938), S. 44, die einnehmende Stellung des Staates: «Ce qui caractérise les sociétés, c’est au point de vue de leur formation, la part prépondérante qu’y tient le pouvoir royal. Non seulement leur charte constitutive est un acte de nature législative (édit ou lettres patentes) signé du roi, dûment contresigné et enregistré par le Parlement, mais il s’agit, dans le fond, d’une véritable concession souvent poussée très loin, puisque dans quelques-unes de ces chartes le roi se dépouille, au profit de la compagnie, de certains de ses droits de souveraineté comme le droit de guerre ou de justice.» 109
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che, dass die Fernhandelsgesellschaften über die rein wirtschaftlichen Ziele hinaus ebenso expansiven politischen Zwecken dienen sollten, äußert sich auch in ihren staatlich zugebilligten Hoheitsrechten und ihrer militärischen Macht.115 Nicht selten beteiligte sich daher der König auch finanziell an diesen Gesellschaften.116 In diesem Sinne wird die Compagnie des Indes Orientales heute als staatliches Instrument des Merkantilismus eingestuft, welches den Zweck hatte, die Einlagen privater Anleger für die eigene Kolonialpolitik fruchtbar zu machen.117 Zusammenfassend stehen die Überseehandelsgesellschaften aufgrund ihrer Spezifika (Rechtspersönlichkeit nur aufgrund königlicher Spezialerlaubnis; Genuß von hoheitlichen Rechten bzw. Handelsprivilegien; Unabhängigkeit vom Bestand ihrer Mitglieder, da Gesellschaften auf übertragbaren, finanziellen Beiträgen basierten) der universitas nahe. Die Tatsache, dass die Quellenlage der zeitgenössischen französischen Literatur die Handelskompagnien als Sonderform der société ausweist, mag wohl mutmaßlich an ihrer wirtschaftlichen Zielsetzung liegen. Diese vom Staat eingesetzten und für eigene handels- bzw. außenpolitische Zwecke instrumentalisierten Seehandelsgesellschaften gelten als ein Ausgangspunkt für die spätere société anonyme. Als zweiter Grundstein für die Entwicklung der société anonyme werden in der (heutigen) Rechtswissenschaft auch private Gründungen des ausgehenden 18. Jahrhunderts angesehen.118 Diese Gesellschaften basierten auf privaten Statuten und waren daher nicht (zwingend) mit staatlichen Privilegien ausgestattet, jedoch verfügten sie über eine größere Mitgliederzahl und übertragbare Anteile.119 Gegründet wurden auch diese Gesellschaften meist für kapitalträchtige Unternehmungen, etwa für Manufakturen, Bergbau-Vorhaben, Banken, oder Versiche114 So wird in der Präambel der Statuten der Compagnie des Indes Orientales von 1664 auf die Bedeutung des Kolonialhandels für die Förderung des Handels allgemein hingewiesen, wofür ein Handelsaustausch zwischen Mutterland und Kolonien und nicht nur deren Besiedelung zwingend sei, vgl. Abdruck bei Bornier (1767), S. 76 ff. Vgl. allgemein zu den politischen Zielen der Kolonialhandelsgesellschaften Lescoeur (1877), Nr. 21, S. 15: «Leurs entreprises avaient un caractère éminemment politique: il s’agissait de conquérir et de coloniser les plages lointaines, de fonder une nouvelle France, de ne pas laisser les ennemis s’approprier la mer.» 115 Siehe Godet, Revue belge 1837, 83, 89; Lescoeur (1877), Nr. 21, S. 15; Schmoeckel (2008), Rn 262, S. 167: Die Fernhandelgesellschaften waren „nicht rein privatrechtlicher Natur“, sondern es handelte sich vielmehr um „staatliche Einrichtungen in Form von Gesellschaften eigener Art.“ 116 Lefebvre-Teillard (1985), S. 6; Lescoeur (1877), Nr. 21, S. 15. 117 Mehr (2008), S. 328; Coing, Bd. 1 (1985), § 107, S. 525 m.w. N. 118 Vgl. Rothweiler/Geyer, in: Bayer/Habersack (Hg.), Bd. 1 (2007), S. 23, 34; Troplong (1843), Nr. 407, S. 160; Lévy-Bruhl (1938), S. 45: «À côté de ces compagnies de fondation royale, on trouve dans notre pays au XVIIIe siècle des sociétés purement privées qui sont constituées sur ce même type.» 119 S. Coing, Bd. 1 (1985), § 107, S. 529 und Bd. 2 (1989), § 13, S. 98.
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rungsgesellschaften.120 Ihrer Rechtsnatur nach waren besagte Gesellschaften oft nach dem Vorbild offener Handelsgesellschaften oder als Kommanditgesellschaften mit verbrieften Kommanditanteilen ausgestaltet, wobei man durch spezifische Modifikationen des Gesellschaftsvertrages Haftungsbeschränkungen konstruierte.121 Diese privaten Unternehmungen agierten zwar teilweise ohne Konzession des Königs, doch ist gemäß Lévy-Bruhl davon auszugehen, dass der Großteil dieser Gesellschaften zu ihrer Gründung eines staatlichen Aktes bedurfte, weil mit ihrer Geschäftsaufnahme häufig die Verleihung eines staatlichen Monopols einherging.122 Grundsätzlich war die staatliche Genehmigung durch lettres patentes für das Bestehen dieser Gesellschaften, die von der Literatur ebenfalls als compagnie bezeichnet wurden, in Frankreich aber nicht zwingend erforderlich, da sich diese unter einer bekannten Gesellschaftsform bewegten.123 Zwar kann man in Zusammenhang mit diesen Gesellschaften noch nicht von personnes morales sprechen, doch waren sie jenen in ihrer praktischen Behandlung stark angenähert.124 Alles in allem wiesen diese Gesellschaften daher eine größere Nähe zu den bekannten Formen der sociéte auf. Festzuhalten bleibt demnach: Die Vorläufer der französischen Aktiengesellschaft lassen sich nicht eindeutig einer der beiden Kategorien societas oder universitas zuordnen, denn sie trugen Elemente beider Grundformen in sich. Die Vorformen der Aktiengesellschaft wurden entweder durch königlichen Akt oder
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Vgl. Lévy-Bruhl (1938), S. 46 ff.; Ripert, Bd. 1 (1959), Nr. 882, S. 437. Coing, Bd. 1 (1985), § 107, S. 529; Lévy-Bruhl (1938), S. 39 f., bezeichnet letztere als „fausse commandites“, da bei diesen Konstruktionen ein echter Komplementär fehlte. Die Direktoren und Aktionäre solcher Gesellschaften – z. B. wies die Caisse d’Escompte eine solche Struktur auf – hafteten über das aus den Aktien zusammengesetzte Gesellschaftskapital hinaus nur beschränkt. Vgl. genauer zur Ausgestaltung von Kapitalfonds, Aktien, Geschäftsführung, eventueller Nachschusspflicht und Außenhaftung mit weiteren Beispielen und Nachweisen, Mehr (2008), S. 186, 340 ff. 122 Ein solches Exklusivmonopol zur Ausbeutung eines bestimmten Wirtschaftszweiges, vermochte ihnen allein der König zu verleihen, s. Lévy-Bruhl (1938), S. 45. 123 Die Tatsache, dass unter dem „Deckmantel“ von Gesellschaftsformen mit persönlich haftenden Gesellschaftern dennoch gesellschaftsrechtliche Gestaltungen zulasten Dritter möglich waren, die diese Gesellschaften de facto als typische Kapitalgesellschaften erscheinen ließen, ergibt sich auch aus dem Wortlaut der Instruktion des Innenministers vom 22. Oktober 1817, abgedruckt in: Dalloz, Répertoire de législation, Bd. 40 (1859), Stichwort: société, Nr. 1457, S. 689 ff., dort Fußnote 1, der die Lage vor Geltung des code de commerce wie folgt beschreibt (S. 690): «(. . .) on a vu des sociétés gérées sous un nom social, sous une raison collective, où l’on croyait néanmoins pouvoir stipuler que les associés ne seraient que de simples actionnaires, non solidaires et non responsables.» 124 Hayem (1911), Nr. 25, S. 29, spricht von einer Zwischenstellung der „sociétés en nom collectif “ und der „sociétés en commandite“, die über dem Gesellschaftszweck gewidmetes Vermögen verfügten und von den gleichen praktischen Vorteilen profitierten, als ob ihnen die Eigenschaft einer „personne morale“ zuerkannt worden wäre. Siehe auch Michoud, Bd. 1 (1906), Nr. 74, S. 178 f.; Saleilles (1922), S. 299 f. 121
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private Gestaltung des Gesellschaftsvertrages ins Leben gerufen. Eine gesetzliche Regelung dieses Gesellschaftstyps gab es im Ancien Régime nicht. (c) Die negativen Erfahrungen mit den Vorläufern der Aktiengesellschaft bis zur Herrschaft Napoleons Zwar wurde die société anonyme als Institution des modernen Gesellschaftsrechts in den Vorentwurf des code de commerce aufgenommen und schließlich in der endgültigen Fassung des französischen Handelsgesetzbuchs von 1807 normiert, doch war der Weg dorthin steinig. Diese vergleichsweise späte Normierung der Aktiengesellschaft lässt sich geschichtlich mit der ambivalenten Haltung des Staates gegenüber diesen Organisationsformen, plakativ gesagt, einer gewissen „Hassliebe“ erklären. Die genannten Vorgänger der modernen Aktiengesellschaft behielten (mindestens) bis zur Französischen Revolution aus zeitgenössischer Sicht ein verruchtes, ja gar bisweilen als betrügerisch eingestuftes Antlitz. In dem 1803 erarbeiteten Entwurf zum künftigen code de commerce sprach man sich zwar für eine Regelung der Aktiengesellschaft aus; diese beinhaltete jedoch das Erfordernis der staatlichen Genehmigung für jede einzelne société par actions.125 Als Begründung für das geplante Genehmigungserfordernis lieferte Cambacérès126 folgende Erklärung: «L’ordre public est interessé dans toute société qui se forme par actions parce que, trop souvent, ces entreprises ne sont qu’un piège tendu à la crédulité des citoyens. Point de doute qu’une société qui travaille sur ses propres fonds n’ait besoin d’autorisation; mais si elle forme ses fonds par des actions mises sur la place, il faut bien que l’autorité supérieure examine la valeur de ces effets et n’en permettre le cours que lorsqu’elle s’est bien convaincue qu’elle ne cache pas de surprise.»127 Woher stammte die negative Haltung gegen diesen Gesellschaftstyp, die sich in dem empfundenen Bedürfnis zur staatlichen Intervention bei jeglicher Art der 125 Der Aktiengesellschaft war lediglich Art. 20 des sog. „Projet Gourneau“ gewidmet, abgedruckt bei: Lefebvre-Teillard (1985), S. 1. Dieser lautete: «La société par actions est anonyme. Elle n’est connue que par une qualification relative à son objet. Son capital se forme par un nombre déterminé d’actions. Elle est régie par des administrateurs qui sont actionnaires ou salariés. Elle ne peut avoir lieu sans autorisation du gouvernement. Les actionnaires ne sont tenus que de la perte du montant de leurs actions.» 126 Jean-Jacques Régis de Cambacérès war ab 1799 französischer Justizminister und wurde unter Napoleon 1804 zum Erzkanzler. Er war zudem Vorsitzender der von Napoléon eingesetzten Expertenkommission zur Redaktion des code civil. Zwischen 1804– 1807 wirkte er unter Mitarbeit von Regnaud de Saint Jean d’Angely maßgeblich an der Ausarbeitung der endgültigen Fassung des code de commerce mit, vgl. hierzu LefebvreTeillard, in: Bonneau/Auckenthaler (Hg.) (2007), S. 3 ff. 127 Vgl. Locré, Bd. 17 (1829), S. 192 (Protokolle des Conseil d’état, Sitzung vom 15. Januar 1807).
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Gründung widerspiegelt, selbst wenn hiermit kein staatliches Privileg – wie etwa bei den Unternehmungen für die Kolonialpolitik – verbunden war? Dieses massive Misstrauen gegen die Vorformen der Aktiengesellschaften lässt sich historisch mit negativen Erfahrungen vorangegangener Spekulationswellen bzw. gar Anlegerbetrug begründen.128 Die erste französische Spekulationsblase (sog. „Mississippi-Blase“) zerplatzte 1719, nachdem der Kurs der Aktien der von John Law neugegründeten Compagnie des Indes (vormals Compagnie d’Occident), welche schließlich das Monopol für den gesamten Überseehandel mit französischen Kolonien besaß, dramatisch einbrach.129 Jenen wichtigen Einschnitt in der Geschichte des französischen Aktienhandels behandelt auch Savary des Bruslons in seinem Handwörterbuch zum Handel: Der Kurs der Aktien steige oder falle je nachdem, ob die Kompagnien an Ansehen gewinnen oder verlieren würden. Nur eine Kleinigkeit könne bisweilen diese Kursschwankungen bewirken, etwa das ungewisse Gerücht eines Bruchs in den Beziehungen benachbarter Mächte oder die Erwartung eines baldigen Friedens, sofern jene gerade miteinander im Krieg stünden. Als wesentliches Beispiel für die Verknüpfung des Ansehens einer Gesellschaft mit der Entwicklung ihres Aktienkurses sei jüngst die Compagnie des Indes zu nennen.130 Der Kursverfall und schließlich der Bankrott der Gesellschaft wird von Savary als ein für den Staat sehr abträgliches Ereignis eingestuft, welches aber weniger auf einem Fehler im System, als vielmehr auf der schlechten Führung durch den Directeur Général John Law und der unersättlichen Gier des Großteils der Aktionäre beruhe.131 Ebenso berichtet Savary gar von Betrug in Zusammenhang mit dem Aktienhan128 Aufgrund des noch nicht ausgebildeten Kapitalgesellschaftsrechts mangelte es auch an gesetzlichen Schutzvorschriften für die Anleger, so dass kriminellen Machenschaften Tür und Tor geöffnet war; zur gleichen Zeit kam es in England zu einem ähnlichen Skandal (der sog. „South Sea Bubble“), in dessen Folge der sog. „bubble act“ erlassen wurde. Vgl. zu diesem Gesetz McQueen (2009), S. 17–26. 129 Nachdem der Kurs für eine 500-livre Aktie zwischen Mai 1719 und Februar 1720 auf 10.000 livre angestiegen war, ging er im Folgejahr (September 1721) wieder auf 500 livre zurück; eine große Zahl von Kleinanlegern war ruiniert. Diese Aktienhausse stand in engem Zusammenhang mit der Inflation, die auch dadurch angeheizt wurde, dass die Banque Royale – seit Dezember 1718 verschmolzen mit der Compagnie des Indes – nach der Einführung des Papiergeldes immer mehr Noten emittierte, damit neue Aktien an der Kolonialhandelsgesellschaft erworben werden konnten; nähere Analyse etwa bei Garber (2001), S. 91 ff., insbes. 109 ff.; Brasseul, Bd. 1 (1997/2001), S. 274– 276; s. a. Savary des Bruslons, Bd. 2 (1741), Stichwort: compagnie, Spalten 459 ff., 463 f., Escarra/Escarra/Rault, Bd. 1, S. 11 f. und Lévy-Bruhl (1938), S. 182. 130 Vgl. Savary des Bruslons, Bd. 1 (1741), Stichwort: action, Spalte 569: «On a vu en France en 1719, jusqu’où le crédit d’une Compagnie peut porter celui de ces Actions; celles de la Compagnie d’Occident, connue depuis sous le nom de Compagnie des Indes, ayant monté en moins de six mois jusqu’à dix-neuf cent pour cent; ce qui n’étoit jamais arrivé à aucune autre Compagnie, quelque accréditée & quelque puissante qu’elle fût.» 131 Vgl. Savary des Bruslons, Bd. 2 (1741), Stichwort: compagnie, Spalte 462.
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del: unseriöse Geschäftsleute hätten mit der Ausgabe immer neuer „erfundener“ Aktien zahlreiche Anleger um ihr Erspartes erleichtert.132 Der Conseil d’Etat du roi de France reagierte auf die Law-Affäre mit seiner Entscheidung vom 24.09.1724.133 Hierin wurde nicht nur die Geburtsstunde der Pariser Börse festgelegt, sondern das Börsenwesen wurde zum ersten Mal durch eine Verordnung staatlich geregelt. Da der Staat das Ziel verfolgte die agiotage134 im Zaum zu halten, wurden Handelsabschlüsse bzw. Versammlungen zu Handelsabschlüssen außerhalb der Börse verboten.135 Die Regierung begriff es nicht nur als vorteilhaft, einen Versammlungsplatz für den Wertpapier- und Warenhandel zur Verfügung zu stellen, sondern als zur Wiederherstellung des „guten Glaubens und der Sicherheit“ des Publikums zwingend erforderlich.136 Die gewollte Kontrolle der französischen Regierung über die Urtypen der Aktiengesellschaften schlägt sich daher zunächst in erster Linie in der Überwachung des Umschlagplatzes ihrer Anteile nieder, was umso wichtiger wurde, als sich in Frankreich ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts private Gründungen von Gesellschaften mit übertragbaren Anteilen mehrten, welche die Regierung nicht mehr in gleicher Weise wie die Kolonialhandelsgesellschaften direkt für ihre Politik instrumentalisieren konnte.137 Es fehlte jedoch an einer direkten Kontrolle dieser Gesellschaften; ihre finanzielle Lage blieb im Dunkeln.138 132 Vgl. Savary des Bruslons, Bd. 1 (1741), Stichwort: action, Spalte 570: «Outre cette distinction d’Actions autorisée par des Edits & Déclarations du Roi, le caprice des Agioteurs de la rue Quinquempoix en avoit encore inventé plusieurs autres; comme Actions de l’ancien Occident, Actions du cinq cent; des Meres, des Filles, des Grand’Meres, des petites Filles, & quelques autres aussi extravagantes: mais tous ces termes étant tombés en même temps que le crédit de cette rue; (. . .).» Die rue Quinquampoix wurde spätestens 1716 zum Finanzzentrum von Paris als sich ebendort die „Banque générale“ niederließ. Diese private Bank wurde von John Law ins Leben gerufen, der per Edikt die entsprechende Gründungserlaubnis erhalten hatte, und wurde 1718 schließlich zur „Banque Royale“. Ihr kam auch eine entscheidende Rolle bei der Spekulationswelle der Aktien der Compagnie des Indes zu. 133 Arrêt du conseil portant établissement d’une bourse dans la ville de Paris, pour les négociations de lettres de change, billets au porteur et à ordre, et autres papiers commerçables, et des marchandises et effets; et pour y traiter des affaires de commerce, tant de l’intérieur que de l’extérieur du royaume, abgedruckt, in: Isambert (Hg.), Bd. 21, S. 278–285. 134 Zur zunehmend negativen Färbung und Politisierung des Begriffes der „agiotage“ bis zur Französischen Revolution, vgl. Höfer, in: Reichardt/Lüsebring (Hg.), Heft 12 (1992), S. 2–24. 135 Vgl. Art. 14 des Arrêts, Fundstelle wie Fn 133; ausgenommen waren allerdings Messen, Märkte und Hallen. 136 Vgl. speziell zur Entwicklung der Börse in Frankreich die Monographie von Colling (1949), S. 48 ff. sowie die Erörterung von Lammel, in: Coing (Hg.), Handbuch, Bd. 2/2 (1976), S. 798, 838 f. 137 Vgl. hierzu oben, B. I. 2. b) aa) (2) (b), und Lefebvre-Teillard (1985), S. 6 f.: «Dans les sociétés qui se fondent, le roi intervient certes encore fréquemment et conserve par là un moyen de contrôle sur ces sociétés où ses intérêts, lorsqu’il a pris une participation financière, sont surveillés par un commissaire, mais a côté de ces sociétés
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Nach einer Phase der Entspannung entflammte aber ein erneutes Spekulationsfieber in den Jahren 1784/85, welches den Staat schließlich wiederholt zu massiven Eingriffen in die Termingeschäfte zwang.139 In der Endphase des Ancien Régime sorgten die Caisse d’Escompte, die Nouvelle Compagnie des Indes, die Compagnie des Eaux und die Banque Charles d’Espagne für Aufsehen – allesamt Aktiengesellschaften mit sehr großem Inhaberaktienvolumen, die sich gegen Ende des 18. Jahrhunderts gebildet hatten.140 In Zusammenhang mit diesen Gesellschaften traten neue Skandale auf, welche durch die unzureichende Reglementierung des Börsenhandels und die fehlende Prüfung der finanziellen Situation der Gesellschaften möglich wurden: Zum einen wurden teilweise mehr Aktien auf dem Terminmarkt gehandelt als überhaupt von einer Gesellschaft emittiert worden waren.141 Zum anderen durften die Gesellschaften beliebig frische Aktien ausgeben.142 Der Argwohn gegen diese Gesellschaften wuchs nun langsam und stetig in der Bevölkerung. Im Zuge dieser Entwicklungen fürchtete die französische Regierung um das Ansehen ihrer Hauptstadt als Handelsplatz und verbat daher – wie bereits angedeutet – den marché à terme mit Arrêt vom 7. August 1785.143 Auch in der französischen Literatur mehrten sich zu dieser Zeit Stimmen, die den Aktienhandel verteufelten.144 Besonders hervorzuheben ist Mirabeau, der in mehreren Schriften gegen die Machenschaften der Caisse d’Escompte, der Banque Charles d’Espagne und der Compagnie des Eaux Stimmung machte.145 privilégiées, commencent à se développer des sociétés fondées par des particuliers, sans le secours et donc le contrôle éventuellement possible du pouvoir monarchique.» 138 Bereits 1761 hatte sich im Zusammenhang mit dem Kanalbau gezeigt, dass der Staat die Notwendigkeit einer stärkeren Kontrolle der Verwendung der Einlagen erkannt hatte, vgl. Hilaire (1986), S. 207; Lévy-Bruhl (1938), S. 51, dort Fußnote 1. Letzterer bemerkt, dass die Überprüfung überhaupt nur für königlich konzessionierte Aktiengesellschaften und zunächst auch nur sporadisch und ineffizient erfolgte. 139 S. Villers, in: Études Petot (1959), S. 603 ff., insbesondere 610 f. 140 Vgl. Colling (1949), S. 94 ff.; Villers, wie Fn 139, S. 603, 606–613; LefebvreTeillard, Revue des Sociétés 1989, 345, 346 f.; dies., in: Coing (Hg.) (1991), S. 51; dies. (1985), S. 7; z. T. hatte die monarchische Regierung selbst Kurspekulationen gefördert. 141 So wurden von der Caisse d’escompte mehr Aktien gehandelt als tatsächlich ausgegeben worden waren, vgl. Colling (1949), S. 97. 142 Rothweiler/Geyer, in: Bayer/Habersack (Hg.), Bd. 1 (2007), S. 23, 37. 143 Arrêt du conseil qui renouvelle les ordonnances et réglements concernant la bourse, et proscrit les négociations à terme, abgedruckt in: Isambert (Hg.), Bd. 28, S. 71 ff.; es folgten Erneuerungen in den beiden darauf folgenden Jahren. 144 Vgl. zu weiteren Schriften überblicksartig Höfer, in: Reichardt/Lüsebring (Hg.), Heft 12 (1992), S. 2, 10. 145 Diese Schmähschriften erschienen dicht gedrängt von Mai über Juli bis November 1785, vgl. Lefebvre-Teillard, in: Coing (Hg.) (1991), S. 51, 52. Zu den Hintergründen dieses Werkes, d.h. der Instrumentalisierung Mirabeaus durch den Genfer Bankier Clavière, vgl. Lefebvre-Teillard, Revue des Sociétés 1989, 345, 348 f.
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Im Jahre 1787 wandte sich Mirabeau schließlich mit seinen Thesen, der „Dénonciation de l’agiotage“, an die Assemblée des notables und den König selbst. Er appellierte hiermit inständig an den König und seinen Beratungsstab, der Spekulation ein Ende zu setzen: «C’est l’ennemi le plus redoutable de votre royaume, c’est l’Agiotage que je dénonce à VOTRE MAJESTÉ. Il dévore nos revenus, il aggrave les charges de l’État, il corrompt vos sujets, il énerve votre puissance, s’il exerçoit plus longtemps ses ravages il rendroit impossibles jusqu’à vos bienfaits.»146 Die Illegalität und Gefährlichkeit der Agiotage versucht Mirabeau gegenüber der Assemblée des notables im Folgenden anhand der in seinen Augen negativen und alarmierenden Entwicklung verschiedener Vorformen der Aktiengesellschaft nachzuweisen.147 Der Kampf gegen das „Spiel à la Hausse und à la Baisse“ nahm bald mehr und mehr politischen Charakter an.148 Cambon forderte 1793 im Namen des Comité des finances von der Convention149 die Ergreifung geeigneter Maßnahmen zur Rettung des maroden Staates ein: «Il existe en ce moment un combat à mort entre tous les marchands d’argent et l’affermissement de la République. Il faut donc tuer ces associations destructives du crédit public, si nous voulons établir le règne de la liberté.»150 146 Mirabeau, Teil 1 (1787), S. v, vj. Im Vorfeld hatte sich bereits d’Aguesseau gegen die Aktienspekulation gewandt, s. ders., in: Aguesseau (Hg.), Bd. 10 (1777), S. 169–294. 147 Folgende Gesellschaften hätten bereits Schindluder mit dem Kapital und dem Vertrauen des Publikums getrieben bzw. bürgten nach Ansicht Mirabeaus, Teil 1 (1787), S. 66 ff. und Teil 2 (1788), S. 7 ff., zumindest große Missbrauchsgefahren in sich: die Caisse d’escompte (Teil 1, S. 66 ff., 77 ff.), die Compagnie des Indes (Teil 1, S. 85 ff.), die Compagnie des Eaux (Teil 1, S. 103 ff.), die Compagnie des assurances contre les incendies, die Banque de St. Charles (Teil 1, S. 108 ff.), die Machenschaften des Abbé d’Espagnac (Teil 1, S. 134 ff.), die Compagnie des assurances sur la vie (Teil 2, S. 7 ff.) und die Lebensversicherungsgesellschaft Chambre d’accumulation (Teil 2, S. 14 ff.). Im weiteren Verlauf des zweiten Teils seiner „Hetzschrift“ beschäftigt sich Mirabeau mit den Möglichkeiten der Bekämpfung der „Agiotage“, z. B. der Beschränkung der Ausgabe auf Inhaberaktien für diese „Urformen“ der AG (Teil 2, S. 57 ff.). 148 Dies insbesondere nach der Amtszeit des Generaldirektors der Finanzen Calonne, welcher zur Aufrechterhaltung seiner Haushaltspolitik selbst die Kurse der Compagnie des Indes und der Compagnie des eaux unterstützt hatte und daher in der Öffentlichkeit bald als „moteur de l’agiotage“ galt, vgl. hierzu Bayard/Felix/Hamon, Dictionnaire des surintendants et contrôleurs généraux des finances, Stichwort: Charles-Alexandre de Calonne, S. 194, 197. Extrait de la notice publiée dans le Dictionnaire des surintendants et contrôleurs généraux des finances. Vgl. zur politischen Dimension des Kampfes gegen AG und Spekulation: Lefebvre-Teillard, Revue des Sociétés 1989, 345, 349; dies. (1985), S. 7: «(. . .) les agissements de certaines sociétés, en particulier la Caisse d’escompte, allaient révéler au pouvoir les dangers politiques que recèle leur puissance financière (. . .)»; ähnlich Hilaire (1986), S. 207. 149 Einen kurzen Überblick über die Verfassungsänderungen während der französischen Revolution bieten Ebel/Thielmann (2003), Rn 381–385. 150 Cambon am 24. August 1793, zitiert nach Höfer, in: Reichardt/Lüsebring (Hg.), Heft 12 (1992), S. 2, 16.
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Die Aktiengesellschaften als Keimzelle der Agiotage stufte man als Falle für Leichtgläubige ein, die dank skandalöser Privilegien dem staatlichen Ansehen schaden könnten und die Verknappung des Bargeldes auslösen würden.151 Einen Beweis des betrügerischen Antlitz der Grandes compagnies de commerce sah man schließlich in der Umgehung einer neu eingeführten Besteuerungsregel durch die Compagnie des Indes und die Compagnie d’Assurances-Vie begründet, was die Convention als Betrugsfall ansah.152 Zudem warf man den Aktiengesellschaften, insbesondere der Caisse d’Escompte und der Compagnie des Indes vor, die Aristokratie und den König in den Zeiten der Revolution (finanziell) unterstützt zu haben.153 Diese Vorfälle führten in der Folge dazu, dass in den Jahren 1793/94 nicht nur die Caisse d’Escompte sowie die beiden steuerbetrügenden Gesellschaften, sondern alle Kapitalgesellschaften, die auf Basis von Aktien organisiert waren, von der Convention verboten wurden.154 Die Regierung erkannte jedoch sehr schnell, dass die Vereinigungsform der Kapitalgesellschaft in der modernen Ökonomie, speziell für die wirtschaftliche Blüte Frankreichs, unabkömmlich war:155 Nur zwei Jahre später – unter Geltung
151 Letzteres wurde insbesondere der Compagnie du Scioto vorgeworfen, vgl. Lefebvre-Teillard, Revue des Sociétés 1989, 345, 349 f.; Horn, in: Coing (Hg.), Handbuch, Bd. 3/3 (1986), S. 3188, 3191. 152 Die Finanzlage der Revolutionsregierung von 1792 war – zumal sich Frankreich nunmehr in den Koalitionskriegen befand – so prekär geworden, dass man im August auf Vorschlag von Delacroix zur Besteuerung der Übertragung von Inhaberaktien überging. Die genannten Gesellschaften zogen daher kurzerhand ihre Inhaberpapiere ein und richteten ein eigenes Register ein, in welchem die Identität der Aktionäre dokumentiert wurde. Da es somit keine Inhaberpapiere mehr gab, konnte keine Besteuerung erfolgen, vgl. Lefebvre-Teillard, Revue des Sociétés 1989, 345, 351. 153 Siehe Hilaire (1986), S. 207; Lefebvre-Teillard (1985), S. 7; dies., Revue des Sociétés 1989, 345, 352 f.; dies., in: Coing (Hg.) (1991), S. 51, 52. Was die Compagnie des Indes betraf, so stellte sich heraus, dass die Anschuldigungen aus der Luft gegriffen waren. 154 Vgl. Décret 21–24 août 1793 (August 1793), mit welchem die Caisse d’Escompte, die Compagnie d’assurances vie und sonstige Vereinigungen mit übertragbaren Kapitalanteilen abgeschafft wurden und zudem die Gründung neuer Aktiengesellschaften (noch) von einer speziellen Genehmigung abhängig gemacht wurde; das Décret 17 vendémiaire an II (Oktober 1793) betraf die Liquidation der Compagnie des Indes; es folgte das Décret 26–29 germinal an II (März 1794), welches ein völliges Verbot dieser Gesellschaften bzw. Vereinigungen zum Inhalt hatte, d.h. auch Neugründungen im Rahmen des Genehmigungssystems wurden grds. untersagt; Dekrete komplett abgedruckt in: Dalloz, Répertoire de législation, Bd. 40 (1859), Stichwort: société, Tableau nach Nr. 68, S. 372 f. 155 Die Finanzkommission betonte die Bedeutung des Überseehandels für den Wiederaufbau der Wirtschaft, für welchen sich allein die „Grandes compagnies de commerce“ eigneten, vgl. hierzu Rothweiler/Geyer, in: Bayer/Habersack (Hg.), Bd. 1 (2007), S. 23, 38 mit Nachweisen; s. a. Escarra/Escarra/Rault, Bd. 1 (1950), S. 12, die von «conséquences désastreuses pour l’économie nationale » sprechen.
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der Direktoratsverfassung – ließ man die freie Gründung von Aktiengesellschaften ohne rechtliche Rahmenbedingungen unkontrolliert zu.156 Der Spekulation war damit erneut Tür und Tor geöffnet und weitere Skandale zeigten die Unerlässlichkeit einer gesetzlichen Reglementierung dieses Gesellschaftstyps auf.157 Der Zick-Zack-Kurs des französischen Gesetzgebers im Spannungsfeld zwischen Liberalität und Kontrolle gegenüber Aktiengesellschaften im Verlauf der revolutionären Verfassungsänderungen ist auch im Gesamtzusammenhang mit dem aufgekommenen Argwohn gegenüber Korporationen zu sehen. Mit dem Décret d’Allarde hatte die verfassungsgebende Nationalversammlung im März 1791 zwar die Freiheit von Handel und Industrie proklamiert.158 Berufsständische und gewerbliche Vereinigungen wurden dieser Gewerbefreiheit aber ebenso als abträglich angesehen159 wie bestehende Monopole und Privilegien160, welche gerade für die Frühformen der Aktiengesellschaften charakteristisch waren.161 Erblickt man in der Proklamierung der liberté du commerce und den nach wie vor bestehenden staatlichen Schranken der individuellen Freiheit zunächst einen Widerspruch, so muss man sich vor Augen halten, dass sich der Staat und dessen Akteure auch nach der Revolution für am besten geeignet hielten, die wirtschaft156 Loi du 30 brumaire an IV (Oktober 1795) des Directoire, abgedruckt bei Lefebvre-Teillard, Revue des Sociétés 1989, 345, 356. 157 Vgl. Hilaire (1986), S. 208; Lefebvre-Teillard (1985), S. 7; Ripert, Bd. 1 (1959), Nr. 884, S. 438; Hayem (1911), Nr. 39, S. 38 f. 158 Assemblée constituante, Loi des 2–17 mars 1791, näher hierzu etwa Hilaire (1986), S. 147 und Mazeaud/Mazeaud/Mazeaud, Bd. 1/2 (1968), Nr. 599, S. 602. Damit schien es zunächst so, als hätte die „private“ AG eine Befreiung von staatlicher Bevormundung erfahren. 159 Die Constituante schaffte daher alle berufständischen Korporationen ab. Das „Loi Le Chapelier“ von 17. Juni 1791 verbot die Gründung entsprechender Vereinigungen, nachdem sich zuvor bereits der damalige Finanzminister und Physiokrat Turgot im Jahre 1776 für die Abschaffung der Zünfte eingesetzt hatte (Einzelheiten bei Lammel, in: Coing (Hg.), Handbuch, Bd. 2/2 (1976), S. 798, 809 ff.). Die politische Ablehnung richtete sich in der Folgezeit gegen sämtliche Arten von Korporationen, d.h. auch gegen religiöse Körperschaften und politische Vereine. Man fürchtete die gebündelten Vermögenswerte und die damit entstehende wirtschaftliche und politische Macht der „toten Hand“, vgl. hierzu weiterführend Mazeaud/Mazeaud/Mazeaud, Bd. 1/2 (1968), Nr. 599 ff., S. 601 ff. Die ablehnende Haltung zeigt sich auch in dem Vortrag von Vital-Roux vor der Pariser Handelskammer 1805, Abdruck bei: Locré, Bd. 17 (1829), S. 371 ff., der in Zusammenhang mit den Beratungen des code de commerce gehalten wurde. 160 Vgl. nur Mirabeau, Teil 2 (1788), S. 38 ff., zur Abträglichkeit von Privilegien für die Gesellschaft, die Industrie und den Handel. 161 Vgl. allgemein zum Einfluss der ablehnenden Haltung gegenüber der Korporation und den Zusammenhang mit der vorübergehenden Abschaffung der AG: Rothweiler/ Geyer, in: Bayer/Habersack (Hg.), Bd. 1 (2007), S. 23, 36; Horn, in: Coing (Hg.), Handbuch, Bd. 3/3 (1986), S. 3188, 3190 f. sowie Lammel, in: Coing (Hg.), Handbuch, Bd. 2/2 (1976), S. 798, 819, der vermutet, dass die Abschaffung der Aktiengesellschaften 1793 das Handelsmonopol der Kolonialhandelsgesellschaften treffen sollte.
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liche Entwicklung Frankreichs im Sinne des Allgemeinwohls zu lenken. Polizeiliche Regelungen wie Verbote und Maßregelungen seien für die Ordnung des Handels unabkömmlich: Im Sinne des Gemeinwohls habe sich die Freiheit des einzelnen Kaufmanns dem angestrebten Staatszweck zu beugen.162 Nach traditionellem Verständnis lassen sich das Postulat der Freiheit des Handels und massive staatliche Eingriffe in die individuelle Freiheit demnach ohne weiteres vereinbaren. Aus diesem Grund verwundert nachfolgende Beobachtung bezüglich des zeitweise bestehenden Verbots aller Aktiengesellschaften auch nicht: Scheint es zunächst so, als wäre die Haltung des französischen RevolutionsGesetzgebers bis zum Kurswechsel rigoros gegen die privilegierten Grandes Compagnies de Commerce und sonstige private Vorformen der Aktiengesellschaft gerichtet, so muss dennoch hinzugefügt werden, dass sich diese Feindlichkeit nur auf bestimmte Gesellschaften richtete, denen man eine „üble Geschäftemacherei“ unterstellte.163 Gesellschaften, die die Infrastruktur des Landes aufbauten und damit die allgemeine staatliche Wohlfahrt beförderten, waren von den Verboten und dem Zwang zur Liquidation ausgenommen.164 Der französische 162 In diesem merkantilistisch geprägtem Ideal findet sich auch der Geist Montesquieus wieder, der es für die Verwirklichung einer idealen Gesellschaft für unerlässlich hielt, dass sich das Interesse des einzelnen dem öffentlichen Interesse unterwerfe. Dies sollte auch für den Handel gelten: «Mais dans les conventions qui dérivent du commerce, la loi doit faire plus de cas de l’aisance publique que de la liberté d’un citoyen: ce qui n’empêche pas les restrictions et les limitations que peuvent demander l’humanité et la bonne police.» Vgl. ders., Bd. 2 (1768), S. 258. Symptomatisch für die Fortgeltung dieser Forderung für den postrevolutionären Handel ist der Ausspruch von Portalis, Eloge d’Antoine-Louis Séguier (1806), S. 76 f., zitiert nach Bürge, ZHR 153 (1989), 367, 378, dort Fußnote 38: «Gardons-nous, en effet, de confondre la liberté du commerçant avec la liberté du commerce; gardons-nous surtout de séparer l’interêt du commerce avec l’intérêt de l’état: alors nous nous résignerons à souffrir les réglemens et les gênes salutaires qui défendent le bien général contre les fausses spéculations de l’avidité, contre tous les fraudes particulières; et nous apprendrons à porter docilement le joug de la félicité publique.» 163 Die Verbote der Convention betrafen – wie dargelegt – entweder bestimmte, namentlich genannte Gesellschaften oder die „compagnies financières“. Laut LefebvreTeillard ist dieser Begriff nicht genauer definiert, aber eng verwandt mit dem heutigen Begriff der Publikumsgesellschaften und zielt auf jene Gesellschaften ab, die auf die Agiotage und die Börsenspekulation ausgerichtet sind, vgl. dies., Revue des Sociétés 1989, 345, 354, dort Fußnote 35. Der Begriff des „financiers“ wurde – ähnlich der „agiotage“ – ein politischer Kampfbegriff der Revolution und Synonym für den unmoralischen, dem Bürger seiner Freiheit beraubenden Finanzausbeuter, vgl. hierzu Höfer, in: Reichardt/Schmitt (Hg.), Heft 5 (1986), S. 27–60. 164 Das Décret 1er pluviôse an II (Januar 1794) stellt klar, dass keine Auflösung von auf übertragbaren Anteilen basierenden Gesellschaften erfasst ist, die Bergbau, Kanalbau oder Urbarmachung von Sumpfgebieten betreiben. Als Maßnahme gegen die Agiotage sollte aber eine Registrierung aller ausgegebenen Aktien erfolgen. Dekret abgedruckt, in: Dalloz, Répertoire de législation, Bd. 40 (1859), Stichwort: société, Tableau nach Nr. 68, S. 372.
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Gesetzgeber sortierte somit in erster Linie ihm „unliebsame“ Aktiengesellschaften aus dem Wirtschaftskreislauf aus. Historisch ebenfalls interessant ist, dass das für die Aktiengesellschaft typische Merkmal der fehlenden persönlichen Haftung der Gesellschafter in der Phase der Revolution praktisch noch keine Rolle spielte, woraus sich schließen lässt, dass der Gläubigerschutz nicht im Fokus des damaligen Gesetzgebers stand. Vielmehr war das Misstrauen primär politisch motiviert: Man fürchtete um Zahlungsfähigkeit und Ansehen Frankreichs durch weitere Finanzskandale bzw. ängstigte sich vor dem Potential der frühen Aktiengesellschaften zur Unterstützung politischer Widersacher;165 andererseits erhielt man einige für die Entwicklung des Landes fruchtbare Gesellschaften aufrecht. Die vergangenen Erfahrungen hatten der Regierung daher alle Facetten dieser Art von Unternehmungen vor Augen geführt. Trotz der Exzesse der frühen Aktiengesellschaften hatte man erkannt, dass diese Gesellschaftsform für die Expansionspolitik und die Ökonomie im Inland unverzichtbar war.166 Es lag also nahe, die Form der Kapitalgesellschaft einerseits künftig gesetzlichen Rahmenbestimmungen zu unterwerfen und andererseits deren Gründungsberechtigung einer staatlichen Kontrolle zu unterwerfen, um „Schwindelgründungen“ und „Missbräuche durch Geschäftemacher“ zu vermeiden.
165 Sehr treffend kommt diese Gesinnung gegen diese die Spekulation begünstigenden Gesellschaften und ihre Teilhaber in folgendem Zitat des französischen Revolutionsgeschichtsschreibers Aulards zum Vorschein: «L’agioteur et l’anarchiste, l’agioteur et le royaliste, l’agioteur et le joueur, l’agioteur et le voleur, l’agioteur et l’homme qui n’a même pas de carte de citoyen, tout cela n’est qu’un.» Vgl. Aulard, Paris pendant la réaction thermidorienne et sous le directoire, Bd. 2, S. 309, zitiert nach Höfer, in: Reichardt/Lüsebring (Hg.), Heft 12 (1992), S. 2, 21. 166 Siehe Cambacérès, in: Locré, Bd. 17 (1829), S. 36 (Notions générales et préliminaires), nach welchem die „grandes entreprises commerciales“ nur nutzbringend für den Handel sind, wenn diese einen neuen Industriezweig oder Fernhandel betreiben, nicht jedoch wenn diese ein Geschäft aufnehmen, was mit Mitteln eines einzelnen Handelskaufmann oder einer Personenhandelsgesellschaft bewältigt werden kann, denn diese großen Unternehmen bürgten die Gefahr eines für den Handel und die Gesellschaft schädlichen Monopols. Vgl. auch Delangle, Bd. 2 (1843), Art. 29, 30 cdc, Nr. 420, S. 3, der bezüglich der Notwendigkeit von Aktiengesellschaften feststellt: «Or, quelle fortune privée peut suffire à fonder des banques publiques, à creuser des canaux, construire des voies de fer, assurer contre la tempête les navires consacrés aux spéculations maritimes? » Auf der anderen Seite bemerkt Delangle (Nr. 421, S. 4): «Mais, on le comprend, (. . .) il faut veiller à ce qu’on n’en abuse pas.» Mit Blick auf die Skandale der Vergangenheit fügt er hinzu: «C’est donc le devoir du gouvernement, dont les intérêts sont intimement liés à la prospérité du commerce et de l’industrie, d’empêcher qu’en spéculant sur l’ignorance et la crédulité des actionnaires, sur leur cupidité peutêtre, on ne détourne l’institution de son but, et que la fraude, en se substituant aux combinaisons d’une loyale industrie, ne finisse par dégoûter les capitaux des associations qui les réclament. »
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bb) Der Übergang zum Konzessionssystem durch die Einführung des code de commerce 1807 Als unter der Constituante am 3. April 1801 eine Kommission zur Ausarbeitung eines Handelsgesetzbuches – dem code de commerce (cdc) – zusammengerufen wurde, die innerhalb weniger Monate einen ersten Entwurf konzipierte, erfuhr daher die Kapitalgesellschaft erstmals Einbeziehung in ein französisches Gesetzgebungsvorhaben.167 Nach weiterer Überarbeitung durch Gorneau, Legras und Vital-Roux wurde der zweite Entwurf des Handelsgesetzbuches 1803 an den Conseil d’Etat übersandt. Nachdem das Projekt bis 1806 geruht hatte, begann sich der Conseil d’Etat auf Drängen Napoleons intensiv mit dem Gesetzesentwurf zu beschäftigen. Nach zahlreichen Beratungen im Staatsrat und Durchlaufen des vorgegebenen Gesetzgebungsverfahrens wurde der Entwurf im September 1807 zum Gesetz. Mit der Einführung des code de commerce hielt die Aktiengesellschaft – die société anonyme168 – schließlich Einzug in die französische Rechtsordnung.169 In der französischen Literatur des 20. Jahrhunderts wurde die société anonyme stets – dies gilt im Grundsatz auch für das noch heute in Frankreich geltende Handelsrecht – als bloße gesellschaftsvertragliche Gestaltung, als Variante der société, eingeordnet.170 Der Abschluss eines Gesellschaftsvertrages war und ist dabei grundsätzlich frei.171 167 Vgl. hierzu Locré, Bd. 17 (1829), S. 7 ff.; Lefebvre-Teillard (1985), S. 12 ff.; dies., in: Bonneau/Auckenthaler (Hg.) (2007), S. 3, 4 f. Zwar hatte man bereits im „Ancien Régime“ an Überarbeitungen zur Ordonnance von 1673 gefeiltris, doch enthielten diese Entwürfe noch keine Regelung der Kapitalgesellschaft, vgl. Schioppa, in: Coing (Hg.), Handbuch, Bd. 3/3 (1986), S. 3152, 3153 ff.; Rothweiler/Geyer, in: Bayer/Habersack (Hg.), Bd. 1 (2007), S. 23, 27, dort Fußnote 16 mit Nachweisen. 168 Bei der Namensgebung des „neuen“ Gesellschaftstyps wurde die Anonymität der Gesellschafter und die damit zum Ausdruck gebrachte Haftungsbeschränkung vom französischen Gesetzgeber offensichtlich als prägnantes Charakteristikum angesehen, vgl. hierzu Cordes/Jahntz, in: Bayer/Habersack (Hg.), Bd. 1 (2007), S. 1, 8 sowie ausführlich Rothweiler/Geyer, in: Bayer/Habersack (Hg.), Bd. 1 (2007), S. 23, 41 f. Demgegenüber legte die in den Vorentwürfen verwendete Bezeichnung „sociétés par actions“ den Akzent auf die Aufteilung des Gesellschaftskapitals in einzelne Anteile (Aktien). Da man eine scharfe Abgrenzung zur Kommanditgesellschaft erreichen wollte, die ebenfalls aktienrechtlichen Gestaltungen zugänglich war (vgl. Art. 38 cdc), entschied man sich für die Bezeichnung „société anonyme“, vgl. Locré, Bd. 1 (1807), Art. 29 cdc, S. 138. 169 S. Lefebvre-Teillard (1985), S. 1. Der code de commerce wurde neben dem niederländischen Wetboek van Koophandel von 1838 und dem sächsischen Entwurf eines HGB 1836/37 zur Grundlage der kontinentaleuropäischen Aktienrechtsentwicklung, da hier erstmals allgemeingültige (wenn auch noch unvollständige) Normen für Kapitalgesellschaften aufgestellt wurden. Zur Vorbildfunktion des code de commerce vgl. etwa: Coing, Bd. 2 (1989), S. 99 m.w. N. in dortiger Fußnote 8; Reich, Ius Commune 2 (1869), 239, 242 ff.; Pohlmann, Aktienrecht (2007), S. 32; K. Lehmann (1895), S. 1. 170 Dies ergibt sich aus § 1832 code civil (der in abgewandelter Form auch heute noch gilt), welcher die „société“ als gegenseitigen Vertrag der Gesellschafter einstuft.
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Im Gegensatz zur freien Gründung steht jedoch das staatliche Genehmigungserfordernis. In diesem Zusammenhang ist unter den spärlichen Einzelbestimmungen der damaligen Fassung des französischen Handelsgesetzbuches, welche die Normierung der Aktiengesellschaft zum Gegenstand haben172, für die vorliegende Betrachtung insbesondere eine Vorschrift von Relevanz: Artikel 37 des code de commerce, der die staatliche Konzession für die Gründung von Aktiengesellschaften vorsah.173 Diese Regelung war wie folgt gefasst: La société anonyme ne peut exister qu’avec l’autorisation du gouvernement et avec son approbation pour l’acte qui la constitue; cette approbation doit être donnée dans la forme prescrite pour les règlements d’administration publique. Wagt man einen Blick zurück auf die ursprüngliche Zurückführung aller privaten Unternehmensformen auf die römisch-rechtliche societas und denkt man des weiteren an die Einordnung aller französischen Handelsgesellschaften als VerArt. 1873 a. F. code civil stellte klar, dass die Vorschriften des code civil auch auf Handelgesellschaften anzuwenden sind, soweit der code de commerce keine spezielleren Regelungen enthält (nun Art. 1834 code civil). Siehe hierzu auch Ripert, Bd. 1 (1959), Nr. 583, S. 301, mit Kritik der vertraglichen Konzeption in Nr. 584, S. 301: «Pourtant, même quand il s’agit de sociétés entre commerçants ou gérées par un commerçant, l’idée de contrat n’épuise pas les effets juridiques qui résultent de la création de la société. (. . .) dans les grands sociétés qui comptent des centaines et des milliers d’actionnares, la personne morale domine de toute sa force les volontés individuelles qui se sont manifestées dans l’acte créateur.» Während sich die französische Rechtsprechung heutzutage wieder verstärkt der Vertragstheorie zuwendet, ist im Schrifttum eine kombinierte Theorie aus vertraglichen und institutionellen Elementen für die Konzeption der Rechtsnatur von Kapitalgesellschaften vorherrschend, vgl. Peifer (2009), Rn 166 f., S. 118 ff. 171 Siehe Ripert, Bd. 1 (1959), Nr. 592, S. 305: «Les sociétés commerciales se forment librement, moyennant l’accomplissement de certaines formalités prévues par la loi. D’après l’art. 1843 Civ. «la société commence à l’instant même du contrat.» 172 In Art. 19 cdc wurde die „sociéte anonyme“ als eine der drei Arten von Handelsgesellschaften neben den Pendants zur OHG und KG eingeführt. Nach Art. 29 und 30 cdc durfte die Aktiengesellschaft nur unter einer Bezeichnung ihres Tätigkeitszweiges, nicht unter den Namen einzelner Gesellschafter auftreten. Gemäß Art. 31 cdc wurde die AG durch Geschäftsführer verwaltet, welche aufgrund eines zugrunde liegenden Rechtsverhältnisses widerruflich auf bestimmte Zeit berufen wurden. Art. 32 cdc stellte fest, dass die Administratoren als Vertreter der Gesellschaft handelten, d.h. dass von ihnen abgeschlossene Rechtsgeschäfte grds. nur für und gegen die Gesellschaft galten. Art. 33 cdc normiert die Haftungsbeschränkung der Gesellschafter, d.h. der Aktionäre, auf die erbrachte Einlage. Die Art. 35 und 36 cdc regeln schließlich die Aufteilung des Gesellschaftsvermögens in nominell gleich große Anteile – die Aktien – und deren Übertragung. Die Aktien konnten als Inhaberpapiere ausgegeben werden; alternativ konnte die Gesellschaft ein Register mit den jeweiligen Inhabern der Anteile führen. Art. 37, 40, 42 und 45 cdc enthielten Bestimmungen zur wirksamen Gründung der AG, wonach eine notarielle Beurkundung der Statuten sowie eine Konzession der Regierung erforderlich waren. (Der code de commerce von 1807 ist im Originaltext abrufbar unter http://gallica.bnf.fr/). 173 Die Vorschriften des code de commerce galten auch in Belgien, weshalb der Wortlaut des Art. 37 cdc mit der Rechtslage in Belgien deckungsgleich ist, s. Dalloz, Répertoire de législation, Bd. 40 (1859), Stichwort: société, Nr. 59, S. 365.
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träge, die die Gesellschafter grundsätzlich frei schließen dürfen, so nimmt sich das Genehmigungserfordernis auf den ersten Blick als Fremdkörper im gesellschaftsrechtlichen System des code de commerce aus, weil die societas und entsprechend die société – anders als die universitas – grundsätzlich ohne staatliche Genehmigung gegründet werden durfte. Auf der anderen Seite ist daran zu erinnern, dass die Kolonialhandelsgesellschaften, die zwar korporative Elemente aufwiesen, aber dennoch als société beschrieben wurden, auch eines königlichen Ediktes bedurften; gleiches galt für private Gesellschaften mit Monopolstellung. Die rechtliche Zuordnung der société anonyme zu den Grundtypen des römisch-rechtlichen Unternehmensgesellschaftsrechts scheint daher zur Lösung der Fragestellung eher ungeeignet, ob die Aktiengesellschaft aufgrund ihrer körperschaftlichen Verfassung für ihre rechtliche Existenz zwingend einer staatlichen Erlaubnis bedurfte. Fest steht, dass das französische Gesellschaftsrecht sich als flexibel genug erwies, um auch korporativ verfasste Gebilde, deren Bestand unabhängig vom Mitgliederwechsel war und denen man Rechtsfähigkeit zugestand, dem Grundtyp der societas zuzuschlagen.174 Wenn nun aber nicht der Charakter der Korporation (an sich) ausschlaggebend für das Konzessionserfordernis war, welche Elemente waren es dann? (1) Eigene Rechtsfähigkeit der AG als Hintergrund der Konzession Ein Aspekt der Konzession könnte darin bestanden haben, der Aktiengesellschaft eigene Rechtsfähigkeit zu verleihen. Es erscheint aus heutiger Auffassung in der Literatur aber ungeklärt, ob allein die staatliche Genehmigung nach Art. 37 cdc der Aktiengesellschaft eine rechtliche Persönlichkeit verleihen konnte.175 Diese Fragestellung sollte nach der allgemeinen Ansicht der französi174 Vgl. beispielhaft die Darstellungen bei Pardessus, der zwar darauf hinweist, dass nach dem Leitbild der „société“ kein fremder Gesellschafter ohne Einverständnis der bisherigen Gesellschafter in das Schuldverhältnis eintreten darf, dass diese gesellschaftsrechtliche Grundregel aber bei einem durch Aktienverkauf in einer AG stattfindenden Gesellschafterwechsel durch eine stillschweigende Klausel im Gesellschaftsvertrag abbedungen werde, siehe Pardessus, Bd. 3 (1857), Nr. 973, S. 9 ff. S. a. BaumsStammberger (1980), S. 36, die entsprechend der sozietätsrechtlichen Konstruktion der „sociéte anonyme“ die Stellung der Gesellschafter als Substrat der „personne morale“ hervorhebt sowie ganz allgemein Coing, Bd. 2 (1989), § 62, S. 354 f. 175 Siehe Rothweiler/Geyer, in: Bayer/Habersack (Hg.), Bd. 1 (2007), S. 23, 43, die davon sprechen, dass die Konzession anders als im „Ancien Régime“, in dem das „Octroi“ zur Inkorporierung und Privilegierung der Kapitalgesellschaft nötig war, im cdc von 1807 „vornehmlich“ einen Kontrollzweck hatte. Ähnlich Deutsch, in: Bayer/Habersack (Hg.), Bd. 1 (2007), S. 46, 74, nach welchem es in Frankreich in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts gesicherte Erkenntnis war, dass „die rechtmäßig gegründete (also auch staatlich genehmigte) ,société anonyme‘ (. . .) in jedem Fall eine eigenständige juristische Person“ war. Vgl. allgemein zur zwiespältigen Bedeutung der Konzession, d.h. der Konzession als bloße Erlaubnis einerseits bzw. als Verleihung der Rechtsfähigkeit andererseits, Beitzke, ZHR 108 (1941), 32 ff. Diese Ungewissheit ist
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schen Gesellschaftsrechtslehre des angehenden 19. Jahrhunderts, welche ihre Handelsgesellschaften stets als juristische Personen begriff,176 jedoch keine große Rolle für die Rechtsnatur der société anonyme und die Tragweite der staatlichen Genehmigung für die Diskussion in Frankreich spielen. Um von dieser Prämisse ausgehen zu können, muss aber untersucht werden, ob es gerechtfertigt ist, von der Rechtsfähigkeit aller französischen Handelsgesellschaften des code de commerce zu sprechen. Auffallend ist, dass das französische Handelsgesetzbuch selbst in keiner einzigen Norm von einer personne morale oder personne juridique in Zusammenhang mit den einzelnen Gesellschaftsrechtsformen spricht. Auch im code civil (c. civ.), dessen Bestimmungen ausweislich der Art. 1873 c. civ. bzw. Art. 18 cdc auf die Handelsgesellschaft anzuwenden sind, sofern das Handelsrecht keine spezielleren Vorschriften enthält, finden sich diese Begriffe der Rechtsfähigkeit in Zusammenhang mit der Gesellschaft nicht.177 Als Beleg dafür, dass der Gesetzgeber dennoch bestimmten Zusammenschlüssen Rechtsfähigkeit zubilligte, können einerseits die Quellen zum Rechtssetzungsverfahren von code civil, code de procédure civile und code de commerce dienen, andererseits ist diese rechtliche Qualität dem Inhalt und der Zielsetzung einzelner Normen der Napoleonischen Gesetzbücher zu entnehmen. In der Zusammenschau bestimmter Normen und ihrer Entstehungsgeschichte lassen sich Rückschlüsse auf die Rechtsfähigkeit von Handelsgesellschaften ziehen: So spricht Art. 619 c. civ. etwa von dem Nießbrauch, „der nicht Privatpersonen gewährt wird“, womit nur das beschränkt dingliche Recht von juristischen Personen gemeint sein kann.178 Auch die Vorschrift des Art. 529 c. civ., welche vorsieht, dass Anteile an Personengesellschaften und Aktien von Finanz-, Handels- oder Gewerbeunternehmen auch dann als bewegliches Vermögen handelbar sind, wenn das Gesellauch Folge der Diskussion um die Natur der juristischen Person mit den einzelnen hierzu vertretenen Theorien, vgl. hierzu Saleilles (1922), S. 306 ff.; Rigaud (1943), S. 359 ff. 176 S.o. Gliederungspunkt B. I. 2. b) aa) (1) und Lyon-Caen/Renault, Bd. 2/1 (1908), Nr. 90, S. 89 f., Nr. 105, S. 104; Delangle, Bd. 1 (1843), Nr. 18, S. 22; Saleilles (1922), S. 7. 177 Der Begriff wird auch in Zusammenhang mit juristischen Personen des öffentlichen Rechts vermieden. Der code civil spricht in diesem Kontext von „établissements publics ou d’utilité publique“, vgl. Planiol, Bd. 1 (1925), Nr. 3012, S. 987 m.w. N. 178 Artikel 619 des code civil lautet: L’usufruit qui n’est pas accordé à des particuliers, ne dure que trente ans. In Kommentierungen zum code civil finden sich als Beispiele für „Nichtprivatpersonen“ juristische Personen des öffentliches Rechts aufgeführt, wie Kommunen, Pflegeanstalten oder Fürsorgeämter, vgl. Rogron (1859), Nr. 619, S. 490; Mechelynck/Belvaux (1930), Art. 619 c. civ., S. 247. Das badische Landrecht, das auf dem code civil beruht, spricht in seiner Übersetzung daher direkt von „Körperschaften“, vgl. Art. 619 Badisches Landrecht unter http://www.koeblergerhard.de/Fon tes/BadischesLandrecht1810.htm (letzter Abruf am 2.5.14).
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schaftsvermögen aus Immobilien besteht,179 macht deutlich, dass die Aktiengesellschaft mehr als „nur“ ein Vertrag zwischen den einzelnen Anteilseignern sein muss.180 Durch die Inbezugnahme der genannten Gesellschaftsarten wird deutlich, dass sich diese Vorschrift, die die Gesellschaft im Ergebnis selbst zur Eigentümerin unbeweglicher Sachen und damit zum Rechtssubjekt erklärt, auf Handelsgesellschaften bezieht.181 Diese Interpretation der besagten Vorschrift lässt sich bereits der Entstehungsgeschichte dieser Norm entnehmen. Bérenger hatte bei der Beratung die Banque de France als Beispiel genannt und als être moral qualifiziert.182 Auch Goupil-Préfeln hatte in seiner Rede gegenüber dem Tribunat eine Gesellschaft, die ihr Kapital in übertragbare Anteile aufteilt, als personne morale deklariert.183 Als weitere wesentliche Quelle für die Zubilligung von Rechtsfähigkeit an Handelsgesellschaften kann auch Art. 69 Nr. 6 des französischen Zivilprozessgesetzbuches genannt werden, nach welchem gerichtliche Vorladungen von Handelsgesellschaften an den Sitz des Unternehmens zu richten waren.184 Bei den Beratungen zu dieser Vorschrift hatte die Gesetzgebungssektion des Tribunats die Rechtssubjektivität der Handelsgesellschaften ebenfalls besonders hervorgehoben: «(. . .) que la loi ne peut avoir en vue que les assignations à donner à une société considérée comme être moral et collectif. »185 Weitere Argumente, die für die Zuerkennung von Rechtssubjektivität an Handelsgesellschaften sprechen, lassen sich aus den lois sur l’enregistrement und den 179 Artikel 529 S. 1, 2 des code civil lauten: Sont meubles par la détermination de la loi les obligations et actions qui ont pour objet des sommes exigibles ou des effets mobiliers, les actions ou intérêts dans les compagnies de finance, de commerce ou d’industrie, encore que des immeubles dépendant de ces entreprises appartiennent aux compagnies. Ces actions ou intérêts sont réputés meubles à l’égard de chaque associé seulement, tant que dure la société. 180 Siehe Planiol, Bd. 1 (1925), Nr. 2258, S. 724: Die Vorschrift kann dadurch erklärt werden, dass neben den Gesellschaftern eine weitere fiktive Person zugelassen wird, nämlich die personifizierte Gesellschaft – société personnifiée –, die als Eigentümerin des Grundkapitals und damit von bestehenden Immobilien aufgefasst wird. Die Rechtsposition der Gesellschafter, die demnach nicht Eigentümer der Immobilien sind, wird dagegen durch die Aktie, als eine Art „Bon“ ausgedrückt, die als ein anderer, stets mobiler Wert aufgefasst wird. Vgl. zu den Problemen der scheinbaren rechtlichen Zuerkennung vom doppeltem Vermögen und dem Konzept der Mindermeinung, ders., Bd. 1 (1925), Nr. 2258, S. 724 f. 181 Siehe Planiol, Bd. 1 (1925), Nr. 2260, S. 725 f.: «Au temps où le Code Napoléon a été rédigé, la personnalité n’était reconnue qu’au sociétés commerciales. » 182 Vgl. Locré, Bd. 8 (1827), S. 37. 183 Vgl. Locré, Bd. 8 (1827), S. 66. 184 Art. 69 Nr. 6 des code de procédure civile von 1806 lautete in seiner ursprünglichen Fassung: Seront assignés, (. . .) – 6) Les sociétés de commerce, tant qu’elles existent, en leur maison sociale, et s’il n’y en a pas, en la personne ou au domicile de l’un des associés. 185 Vgl. Locré, Bd. 21 (1832), S. 405.
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Konkursvorschriften für die Handelsgesellschaften, speziell Art. 531 cdc, entnehmen.186 Schließlich kommt die Rechtssubjektivität speziell für die Aktiengesellschaft (in Form der französischen société anonyme) in Art. 32 cdc zum Ausdruck, indem hier von den Verbindlichkeiten der Gesellschaft als solcher gesprochen wird.187 In diesem Zusammenhang ist zuletzt Art. 29 cdc zu nennen, der ausdrücklich festlegt, dass die AG nicht unter dem Namen einer ihrer Gesellschafter auftreten durfte, was gerade voraussetzt, dass die AG als von den Gesellschaftern verschiedene Person im Rechtsverkehr auftritt.188 Die sich anschließende Frage, weshalb die personnalité morale der französischen Handelsgesellschaften nicht direkt als gesetzliches Tatbestandsmerkmal oder Legaldefinition in den napoleonischen Gesetzbüchern normiert war, lässt sich nach den Erörterungen zur historischen Entwicklung von AG und Korporationen, insbesondere dem Höhepunkt des Misstrauens gegenüber diesen Erscheinungen, welche sich im Dunstkreis der französischen Revolution etwa durch das Décret d’Allarde, das Loi Le Chapelier und das vollständige Verbot von mittels Aktien organisierter Gesellschaften durch das Décret 26-29 germinal an II manifestierte, leicht nachvollziehen. Es ist demnach Konsens in der rechtsgeschichtlichen Forschung, dass der Begriff der personne morale lediglich aus Gründen des aus Revolutionszeiten stammenden Argwohns gegenüber Korporationen nicht in den Gesetzeswortlaut der napoleonischen Gesetzbücher aufgenommen wurde.189 Beispielhaft soll an dieser Stelle Laurent zitiert werden, der die Gefahr von sich immer vergrößernden Werten in „unsterblichen“ Korporationen besonders drastisch am Beispiel der katholischen Kirche skizziert: «C’est au nom de la charité qu’ont été fondées et se fondent encore les innombrables corporations religieuses qui sont la lèpre des pays catholiques. (. . .) Elles avaient été établies pour un bien public, et partant elles devaient durer toujours; c’est pour assurer leur perpétuité que la loi leur défendait d’aliéner leur biens sans de justes causes: de là le nom 186 Siehe hierzu Hayem (1911), Nr. 221, 223 f., S. 204 f.; Escarra/Escarra/Rault, Bd. 1 (1950), Nr. 38, S. 56. 187 Die Textfassung von Art. 32 cdc von 1807 lautete: Les administrateurs ne sont responsables que de l’exécution du mandat qu’ils ont reçu. Ils ne contractent, à raison de leur gestion, aucune obligation personnelle ni solidaire relativement aux engagemens de la société. Jolly, Zs.f.dt.R 11 (1847), 317, 338 kritisiert daher die (widersprüchliche) vertragliche Konzeption der AG im code de commerce. 188 Art. 29 cdc lautete: La société anonyme n’existe point sous un nom social: elle n’est designée par le nom d’aucun des associés. A. A., d.h. gegen eigene Rechtssubjektivität der französischen Aktiengesellschaft ohne weitere Begründung, Pohlmann, Aktienrecht (2007), S. 87. 189 Siehe hierzu Bürge, in: Schmidlin (Hg.) (1996), S. 59 ff.; Saleilles (1922), S. 3 ff., 7; Vorbaum (1976), S. 31 m.w. N. Vgl. auch die Darstellungen Laurents, Bd. 4 (1880), Nr. 71, S. 152 ff., Nr. 75, S. 161, Nr. 167, S. 317 ff., in denen die „gens de mainmorte“, d.h. insbesondere kirchliche Korporationen als besonders unheilvoll eingestuft werden und daher deren Verbot während der Revolutionszeit gelobt wird.
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de mainmorte que l’on donnait aux biens et aux établissements pour marquer que les immeubles qu’ils acquéraient mouraient en quelque sorte entre leurs mains et ne produisaient plus aucun droit de mutation au profit des seigneurs et du roi. Acquérant toujours et ne vendant jamais, les corporations religieuses menaçaient d’absorber tout le sol. Le législateur finit par s’apercevoir qu’il avait crée, à titre de bien public, des corps ruineux pour la société. »190 Seine missbilligende Haltung gegen die Kirche, die sich (in Laurents Augen) unter dem Deckmantel der Mildtätigkeit immer weitere Ländereien und damit Macht einverleibte und so zur Gefahr für Staat und Gesellschaft wurde, macht der Gelehrte in seinem Werk energisch deutlich. Müsse diesen kirchlichen Korporationen auch nach der Revolution entschieden entgegengetreten werden, so sei bezüglich der Handelsgesellschaften als mainmorte moderne eine differenzierte Sichtweise geboten: «Je ne parle pas des sociétés de commerce et d’industrie, qui trop souvent deviennent un moyen de faire des dupes en attirant dans des entreprises plus que hasardeuses les petits capitaux, fruit de longues épargnes, par l’appât d’un bénéfice impossible. On pourrait dire que la cupidité jointe à l’imprudence sont punies par où elles ont péché. Ce n’est pas là la plus grand danger des corporations; dans cette manière les bons sentiments peuvent être exploités aussi bien que les mauvais.»191 Die Gefahr von Anlegerbetrug durch die Kapitalgesellschaften sei angesichts der positiven Effekte der Handelsgesellschaften für die Allgemeinheit in Kauf zu nehmen. Die wahren Bedrohungen der traditionellen Inkorporation wohnen laut Laurent den Industrie- und Handelsgesellschaften schon deshalb nicht gleichermaßen inne, weil letztere aufgrund der Visionen ihrer Gründer, dem drohenden Konkurrenzdruck und nicht zuletzt der zeitlichen Begrenzung durch ihre Gründungsurkunde nicht für die Ewigkeit erschaffen worden seien.192 Die Zubilligung der Rechtssubjektivität an diese Gesellschaften wird von dem Rechtsgelehrten als Ausdruck der staatlichen Aufgabe, dem Interesse des Volkes zu dienen, aufgefasst: «Pourquoi notre nouveau code de commerce a-t-il permis aux sociétés commerciales de former une individualité juridique distincte des associés? Toujours par un motif d’intérêt général. Donc, l’idée qui domine dans l’incorporation, c’est le droit de l’Etat, c’est l’intérêt social dont il est l’organe.»193 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass es zu kurz greifen würde, wenn man die Rechtssubjektivität französischer Handelsgesellschaften allein aufgrund der feindlichen Gesinnung des Revolutionsgesetzgebers im droit intermédiaire gegen 190
Siehe Laurent, Bd. 4 (1880), Nr. 72, S. 153 und Nr. 85, S. 184. Laurent, Bd. 4 (1880), Nr. 72, S. 153. 192 Laurent, Bd. 4 (1880), Nr. 94, S. 201; ähnlich Lyon-Caen/Renault, Bd. 2/1 (1908), Nr. 122, S. 118. 193 Laurent, Bd. 4 (1880), Nr. 121, S. 240. 191
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Korporationen im Allgemeinen und der fehlenden expliziten Regelung im Gesetz verneinen würde. Vielmehr hatte der französische Gesetzgeber die Vorteile eigener Rechtspersönlichkeit von privaten Unternehmungen durchaus erkannt und wollte diese – mit entsprechender Reglementierung, Publizität und staatlicher Kontrolle – für die ökonomische Entwicklung des Landes fruchtbar machen.194 Die französischen Handelsgesellschaften erfreuten sich damit grundsätzlich eigener Rechtssubjektivität ohne dass diese hierfür einer Genehmigung bzw. Verleihung der Regierung bedurften.195 (2) Haftungsbeschränkung als Hintergrund der Konzession Die Besonderheit der société anonyme war demnach nicht ihre Rechtssubjektivität, sondern ihre konkrete Ausgestaltung. Wiederum muss man sich die Flexibilität des Begriffs der personnalité morale im französischen Recht vor Augen führen, welcher zunächst nur aussagt, dass eine vertragliche Zusammenkunft von Personen – eine Gesellschaft – ein eigenes Vermögen besitzt und mithin als rechtsfähig angesehen wird.196 Dabei standen jedoch bei den bis dato gesetzlich normierten Handelsgesellschaften die Gesellschafter der Personengesellschaft als eigenständige Rechtssubjekte stets neben der Gesellschaft für die Gesellschaftsverbindlichkeiten ein.197 Bei der société anonyme sollte erstmals nur die Gesell194 Zu den bereits oben angedeuteten Vorteilen eigener Rechtssubjektivität von Handelsgesellschaften zählt die Vereinfachung ihrer Beziehungen zu Dritten, vor allem auch die Erhöhung ihres Kredites gegenüber diesen, da das Gesellschaftskapital exklusiv als Sicherheit für die Gesellschaftsgläubiger dient und damit dem Zugriff persönlicher Gläubiger einzelner Gesellschafter entzogen ist, vgl. Lyon-Caen/Renault, Bd. 2/1 (1908), Nr. 109, S. 106 f. Zu weiteren Vorteilen neben Parteifähigkeit und Konkursfähigkeit als Ausschnitt der Rechtsfähigkeit vgl. ders., Nr. 110 ff., S. 109 ff. 195 Mazeaud/Mazeaud/Mazeaud, Bd. 1/2 (1968), Nr. 600, S. 602; Planiol, Bd. 1 (1925), Nr. 3040, S. 1000. Damit stellten die Handelsgesellschaften (neben den „associations syndicales“ ab 1865 und den „syndicats professionels“ ab 1884) eine Ausnahme zu der Tradition dar, dass eigene Rechtsfähigkeit von Verbänden nur vom Staat selbst verliehen werden konnte. Alle anderen juristischen Personen des Privatrechts und des öffentlichen Rechts bedurften bis 1901 einer Erklärung der „utilité publique“ durch den Conseil d’Etat, durch welche ihnen die Eigenschaft einer Rechtsperson verliehen wurde, s. Planiol, Bd. 1 (1925), Nr. 3038, S. 998 f. Zudem bedurften Personenvereine mit über 20 Mitgliedern einer weiteren behördlichen Genehmigung um nicht den Straftatbestand der Art. 291, 292 code pénal zu erfüllen (Nr. 3039, S. 999). 196 Damit sagt der Begriff „personne morale“ aber noch nichts über die Ausgestaltung der Organisation und die Haftung aus. Dies ergibt sich erst aus der jeweiligen Gesellschaftsform. 197 Dies galt auch für die französische KG, bei welcher zumindest die Komplementäre unbeschränkt hafteten. Vgl. nur Troplong (1843), Nr. 453, S. 176 f.: «C’est que dans la société anonyme, bien différente en cela de la commandite, la société ne cesse jamais d’être un corps distinct des personnes qui la composent; qu’elle n’a et ne peut jamais avoir d’autre patrimoine, ni offrir aux tiers d’autres garanties que sa caisse, et que l’obligation des personnes n’y vient jamais suppléer aux ressources de cette caisse, devenues insuffisantes.»
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schaft selbst (und nicht zusätzlich das Vermögen natürlicher Personen) als Haftungskapital für Dritte zur Verfügung stehen. Somit ist nicht die Tatsache, dass die AG als eigenes Rechtssubjekt gesehen wurde, das eigentlich Problematische an deren gesetzlichen Einführung, sondern das den Kapitalgesellschaften eigentümliche Merkmal der begrenzten Haftung auf die Einlagen. Fehlte die staatliche Genehmigung, so hatte dies zur Folge, dass sich die Gesellschaft gerade nicht auf die charakteristische Haftungsbeschränkung der AG auf das Gesellschaftsvermögen berufen konnte und alle Anteilseigner persönlich und unbeschränkt als Gesamtschuldner für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft haften mussten.198 Die staatliche Genehmigung war, wie es der Wortlaut von Art. 37 cdc beschreibt („ne peut exister que“), zwingende Voraussetzung dafür, dass eine Aktiengesellschaft als ein von ihren Mitgliedern getrenntes alleiniges Rechts- und Haftungssubjekt gegenüber der Öffentlichkeit auftreten konnte. Nur wenn eine Konzession vorlag, durften sich die „Administratoren“ den Gläubigern der Gesellschaft gegenüber auf das Haftungsprivileg berufen.199 Zudem hatte der Mangel einer staatlichen Konzession zur Folge, dass eine solche nicht autorisierte Gesellschaft aufgelöst werden musste.200 Dementsprechend hält auch Michoud in seiner Abhandlung über die Theorie der personnalité morale fest, dass der Staat bei der Konzessionserteilung an die Aktiengesellschaft nicht die Rolle einnahm, die ihm einst bei der Zuerkennung der Rechtsfähigkeit an die Frühformen der juristischen Personen des öffentlichen 198 Hier bestanden aber in der Literatur konträre Ansichten, vgl. Dalloz, Répertoire de législation, Bd. 40 (1859), Stichwort: société, Nr. 1464, S. 693, der sich nur für die unbeschränkte persönliche Haftung der Geschäftsführer, nicht aber der Aktionäre ausspricht; in diese Richtung tendierend auch Pardessus, Bd. 3 (1857), Nr. 1040, S. 140 f., nach dem die Haftung der sonstigen Anteilseigner auf ihre Einlage beschränkt sein sollte; anders aber Delangle, Bd. 2 (1843), Art. 37 cdc, Nr. 478, S. 59, nach welchem auch die Aktionäre persönlich und unbeschränkt haften. Für mögliche Ansprüche der Beteiligten untereinander, d.h. der Gründer bzw. Geschäftsführer und der Aktionäre, wurde danach unterschieden, ob die Aktionäre bei der Zeichnung von Anteilen Kenntnis von der mangelnden Konzession der AG hatten, vgl. Dalloz, Répertoire de législation, Bd. 40 (1859), Stichwort: société, Nr. 1466 f., S. 693 f. In Bezug auf die Liquidation dieser faktischen Gesellschaft sollten die Bestimmungen des Gesellschaftsvertrages Wirkung entfalten, vgl. Recueil Dalloz, 26.1.346 (Cour de cassation, Urt. v. 21. Juni 1826) und 26.2.31 (Cour de Toulose, Urt. v. 16. Juli 1825). 199 Siehe Pardessus, Bd. 3 (1857), Nr. 1040, S. 140. 200 Die französischen Gerichte sprechen von „nullité d’une société anonyme prononcée à defaut d’autorisation“, vgl. Gericht von Caen, Urt. v. 7. August 1844, Recueil Dalloz, 1845.2.33; s. a. Dalloz, Répertoire de législation, Bd. 40 (1859), Stichwort: société, Nr. 1460, S. 693: «L’autorisation ne peut résulter que d’un décret de l’empereur. Tant qu’elle n’est pas intervenue dans cette forme, la société n’existe pas légalement, elle est nulle comme société anonyme.» Bereits vor 1807 bestehende Aktiengesellschaften mussten bis Mitte des Jahres 1808 „nachträglich“ den Antrag auf Konzession stellen, andernfalls drohte ihnen ihr Verbot, vgl. Art. 7 der ministriellen Instruktion zu Art. 37 cdc vom 23. Dezember 1807, in: Dalloz, Répertoire de législation, Bd. 40 (1859), Stichwort: société, Tableau nach Nr. 68, S. 379 f.
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Rechts, den associations, zukam: «(. . .) il n’a jamais ici séparé arbitrairement la formation du groupe de sa reconnaissance à titre de personne morale; ce qu’il autorisait ce n’etait pas la personnalité, c’était la formation même de la société, la constitution de substratum.»201 Es ging also bei der Konzession nicht um die Zuerkennung der Rechtsfähigkeit an sich, sondern um die Erlaubnis des Inhaltes der Gesellschaft in ihrer jeweiligen Ausformung. Daher hätte das Fehlen der Konzession nicht zur Folge, dass eine zulässige Gruppierung ohne Persönlichkeit fortbestehe, sondern dass die Gruppe selbst als unerlaubt erschiene; die Hintergründe des Konzessionserfordernisses hätten somit in Wahrheit nichts mit der Frage der Rechtspersönlichkeit zu tun.202 All dies spricht an sich dafür, dass die Haftungsbeschränkung Motivation der Konzession war, zumal das Schutzbedürfnis der Aktionäre und Gläubiger bei den Beratungen zum code de commerce betont wurde. Ein Blick in die rechtswissenschaftlichen Kommentare zum code de commerce lässt die zu dieser Zeit empfundene Notwendigkeit einer staatlichen Einzelerlaubnis jeder société anonyme allgemein als Funktion der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und der Beförderung der Wohlfahrt der Gesellschaft erscheinen.203 Delangle stellt hierzu fest, es sei angesichts der Charakteristika von Aktiengesellschaften, wie des Ursprungs, des Ziels, des hohen Kapitalbedarfs für die Ausführung großer Projekte, auf welche diese Gesellschaften abzielen sowie angesichts ihres Privilegs der grundsätzlichen Haftungsbeschränkung von Aktionären und Organen (gérants) auf ihre Einlage, einfach zu verstehen, dass die Regierung ein Interesse an der Gründungsüberwachung dieser Gesellschaften habe, um sicherzustellen, dass das geplante Vorhaben in seiner konkreten Gestalt dem Handel an sich, den zukünftigen Gläubigern und den Gesellschaftern selbst ausreichende Garantien böte.204 Die Vorbehalte gegen die großen Kapitalgesellschaften, die die Autoren äußern, werden durch die Entstehungsgeschichte des Art. 37 cdc genährt. Die Verfasser des code de commerce befanden in dessen endgültigem Entwurf schließlich ein Konzessionserfordernis allein für die société anonyme als notwendig. Bereits bei der Beratung des code de commerce hatte Regnaud betont, dass die gesetzlichen Regelungen zur AG für die vernünftige Reglementierung dieser – sich erst in der Entwicklung befindenden Gesellschaftsform – nicht ausreichend seien und daher das Ausnahme-Erfordernis der Konzession die gebotene Kon201
Siehe Michoud, Bd. 1 (1906), Nr. 159, S. 458 f. Siehe Michoud, Bd. 1 (1906), Nr. 159, S. 459. 203 Vgl. Rogron, Bd. 2 (1836), Nr. 37, S. 11: «Cette autorisation était commandée par l’ordre public.»; ähnlich Mongalvy, Bd. 1 (1824), Art. 37 cdc, S. 58; Sautayra (1836), Nr. 37, S. 25. 204 Delangle, Bd. 2 (1843), Art. 37 cdc, Nr. 471, S. 47; ähnlich Godet, Revue belge 1837, 83, 93, 97. 202
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trollmöglichkeit gewährleiste.205 Die Unerlässlichkeit einer staatlichen Genehmigung folge schon aus der besonderen Natur dieser Vereinigungen: «Les associés qui la [la société anonyme] composent n’étant pas connus du public, ses opérations embrassant nécessairement un plus grand nombre d’intérêts, et pouvant, dans les circonstances difficiles ou malheureuses, compromettre la tranquillité publique, ou tout au moins le crédit d’un grand nombre d’individus, elle ne peut exister qu’avec l’autorisation du gouvernement.»206 In diesem Zitat klingt ebenso bereits an, dass nun der Schutz des einzelnen Anlegers und mit der Gesellschaft in Beziehung tretender Dritter stärker betont wurde. Nicht nur durch die (Sach-)Firma einer solchen Gesellschaft sollte eine Warnfunktion geschaffen werden, sondern auch durch die staatliche Genehmigung selbst, die gewissermaßen den künftigen Aktionären und Geschäftspartnern einen bestimmten Mindestschutz eröffnen sollte.207 Aus heutiger Sicht erscheint es aber fragwürdig, dass der Gesetzgeber in dem Gesetz gewordenen Entwurf ein Konzessionserfordernis für die Kommanditgesellschaften auf Aktien nicht (mehr) vorgesehen hatte.208 Aufgrund dessen könnte man zunächst vermuten, dass dem Gesetzgeber in Wahrheit nicht primär der Aktionärs- und Gläubigerschutz am Herzen lag, welchem er – wie er betonte – durch das Konzessionserfordernis für die Aktiengesellschaft gerecht zu werden suchte. Nicht nur aus der Retroperspektive betrachtet war die KGaA nicht minder gefährlich und für zwielichtige Gründungsvorhaben geeignetes Instrument. Zwar kann man entsprechend der Argumentation der Zeitgenossen aus juristischer 205 Vgl. die Aufzeichnungen zur Diskussion zwischen Treilhard und Regnaud bei den Beratungen zum cdc (am 15. Januar 1807) von Locré, Bd. 17 (1829), S. 191 f. Treilhard wies auf den Ausnahmecharakter dieses Genehmigungserfordernisses hin, denn bisher musste eine „société de commerce“ keine staatliche Erlaubnis einholen. M. Regnaud gab zur Antwort, dass dieses Erfordernis einer Vorsichtsmaßnahme gleichkomme. Da die Erscheinung der AG zu neu sei, könne man sie noch nicht ausreichend gesetzlich reglementieren, weshalb eine Einzelprüfung der jeweiligen Statuten von Nöten sei. Regnaud wies zudem darauf hin, dass Napoléon persönlich von der Macht dieser Art von Gesellschaften so beunruhigt war, dass er bereits den Innenminister zu einer Aufstellung sämtlicher existierender Vereinigungen dieser Art beauftragt habe und deren Gründungsakte seiner Approbation unterworfen habe. 206 Jard-Panvillier (in der Sitzung vom 10. September 1807) zitiert nach Locré, Bd. 17 (1829), S. 361. 207 Vgl. etwa Cambacérès bei den Beratungen zum cdc, abgedruckt in: Locré, Bd. 17 (1829), S. 36: «Les grands établissements doivent offrir une garantie suffisante pour assurer leur indépendance et leur crédit. Il peut être nécessaire qu’on y établisse une surveillance qui rassure le public et le commerce sur l’intégrité des administrateurs qui les régissent.» Auch Pardessus, Bd. 3 (1857), Nr. 1040, S. 137 ff., legt in seiner Kommentierung des cdc das Schwergewicht des Zwecks der staatlichen Autorisation auf den Gläubigerschutz. 208 Der erste Entwurf des code de commerce hatte noch ein Genehmigungserfordernis für alle aktienrechtlich organisierten Gesellschaften vorgesehen (siehe Project de code du commerce, présenté par la commission nommée par le gouvernement le 13 Germinal an IX, Paris an X (1802), Art. 20 V, S. 43).
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Sicht einen wesentlichen Unterschied zwischen beiden Gesellschaften ausmachen: Die AG zeichne sich gerade dadurch aus, dass hier kein Beteiligter, d.h. weder ein Aktionär, noch ein Geschäftsführer für die Verbindlichkeiten der AG über den Betrag seiner Einlage hinaus hafte. Bei der KG und deren Ausgestaltungsform als KGaA gäbe es gerade in Form der Komplementäre GesellschafterGeschäftsführer, die unbeschränkt mit ihrem gesamten Privatvermögen hafteten. Dies sei der entscheidende Unterschied, der dazu führe, dass der Gesellschaftsform der KGaA per se weitaus weniger Missbrauchspotential innewohne als der AG.209 Wie unzureichend dieses als zentraler Unterschied hervorgehobene Argument aber tatsächlich war, deutete bereits Cambacérès bei den Beratungen im Conseil d’Etat vom 15. Januar 1807 an, indem er auf die Möglichkeit hinwies, dass den Aktiengesellschaften sehr ähnliche Erscheinungen das Genehmigungserfordernis unter dem Deckmantel der KG umgehen könnten.210 Ein Blick in die Urfassung des code de commerce selbst, speziell in Art. 23 cdc, zeigt, dass es zumindest einen Komplementär in einer KG geben müsse. Es versteht sich demnach wohl von selbst, dass das starke juristische Argument der unbeschränkten und solidarischen Haftung der Komplementäre im wirtschaftlichen Sinne für Anleger (d.h. die Anteile haltenden Kommanditisten) und Vertragspartner fast nichts wert war: «Qu’importe après cela qu’il y ait une raison sociale; elle n’a de valeur qu’autant qu’elle correspond à une responsabilité sérieuse. Ici, elle n’est qu’un leurre; mieux vaudrait qu’elle n’existât pas.»211 Zudem konnte – darauf hatte schon der Erzkanzler angespielt – der „wahre Charakter“ der KG, d.h. das Verbot der Geschäftsführung oder Vertretung des Komplementärs durch die Kommanditisten (als Halter von Inhaberaktien) in der Praxis dadurch ausgeschaltet werden, dass man etwa einen simplen Angestellten zum voll haftenden Geschäftsführer bestellte.212 Fast alle Mitglieder der Kom209 Vgl. die Reden von Regnaud, Exposé des motifs, abgedruckt in: Locré, Bd. 17 (1829), Nr. 9 f., S. 350 f. sowie Jard-Panvillier, in: Locré, Bd. 17 (1829), Discours, Nr. 4, S. 360 f., jeweils gehalten im September 1807 vor dem Corps Législatif. Siehe auch die ministerielle Instruktion zu Art. 37 cdc von 1817, in: Dalloz, Répertoire de législation, Bd. 40 (1859), Stichwort: société, Nr. S. 600, dort Fußnote 1 (linke Spalte), in der als weiterer Unterschied von KG und AG hervorgehoben wird, dass die Leitung der AG durch einen (nicht unbeschränkt persönlich haftenden) Aktionär als Beauftragten übernommen werden könne, wohingegen sich diese „Einmischung“ bei Kommanditisten der KGaA streng verbietet. 210 Locré, Bd. 17 (1829), S. 193. Siehe hierzu auch Lefebvre-Teillard (1985), S. 16, die in diesem Kontext von „Blindheit“ der übrigen Kommission spricht. 211 Lescoeur (1877), Nr. 47, S. 35. 212 Cambacérès sollte recht behalten: Es folgte ein Gründungsboom der KGaA („la fièvre des commandites“) mit neuerlichen Spekulationsskandalen, die 1838 kurzzeitig in der gesetzgeberischen Überlegung mündete, die KGaA zu verbieten und 1856 schließlich eine Überarbeitung des Rechts der KGaA – insbesondere die Einführung eines obligatorischen Aufsichtsrates – zur Folge hatte, vgl. hierzu etwa Freedeman
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mission zur Erarbeitung des französischen Handelsgesetzbuchs verschlossen sich diesen Bedenken. Es wäre dennoch verfehlt, den am Gesetzgebungsverfahren Beteiligten zu unterstellen, den Gläubigerschutz bewusst vernachlässigt zu haben. Vielmehr führten sehr spezielle Gründe, konkret das Lobbyverhalten von Seehandelsstädten, zum Verzicht auf das Konzessionserfordernis für die KGaA.213 Die Zeitgenossen stimmten einer Streichung des Genehmigungsvorbehaltes guten Gewissens zu: Neben dem Haftungsgedanken schien das gesetzliche Leitbild des Gesetzgebers, nach dem sich unter den etablierten Gesellschaftsformen lediglich „kleinere Unternehmungen“ firmieren sollten, zu verfestigt zu sein. Da einzig die AG als geeignetes Instrument zur Anziehung von sehr großen Geldmengen erschien, konnte man sich kaum vorstellen, dass ein vergleichbares Gefährdungspotential von einer „Spielart“ der KG ausgehen könne.214 Die aufgezeigte Parallele von AG und KGaA zu dieser Zeit vermag somit nicht zu belegen, dass der Schutz von Aktionären und Dritten kein vordringliches Anliegen des Gesetzgebers war – sondern vielmehr ein beachtenswerter Grund für die erforderliche Konzession für Aktiengesellschaften.215 Nichtsdestotrotz hätten die Verantwortlichen bei der Verwirklichung des Anleger- und Gläubiger-
(1979), S. 47 ff.; Godet, Revue belge 1837, 135, 155 ff.; Lescoeur (1877), Nr. 45–125, S. 33–91. Vgl. auch Lefebvre-Teillard, in: Coing (Hg.) (1991), S. 51, 64, zum Grad des zugelassenen Einfluss der Hauptversammlung („l’assemblée génerale des actionnaires“) auf die Geschäfsführung. 213 Nach Veröffentlichung des ersten Entwurfes zum Handelsgesetzbuch mit der Bitte um Stellungnahme hatte es vor allem Kritik am geplanten Konzessionserfordernis von den Gerichten der Seehandelsstätte gehagelt. Grund hierfür war, dass sich zahlreiche kleinere Reedereien in Form der KGaA konstituiert hatten. Diese Erscheinungen waren gängige Praxis und die Anteile an diesen Gesellschaften zirkulierten kaum. Die Seehandelsstädte befürchteten eine Beeinträchtigung ihres täglichen Handels (vgl. etwa die Stellungnahme des Gerichts von Marseille, in: Observations, Bd. 2 (1803), Teil 2, S. 25). Die Gesetzgebungskommission unter Gorneau, Legras und Vital-Roux bekräftigte, dass die KGaA nach ihrer Auffassung eine originäre Form der KG sei, da zumindest der Komplementär, dessen Name Bestandteil der Firma sei, unbeschränkt hafte (vgl. hierzu Lefebvre-Teillard, in: Coing (Hg.) (1991), S. 51, 54). Der revidierte 2. Entwurf, der nach Beratung im Conseil d’Etat schließlich Gesetz wurde, nahm die KGaA daher vom Konzessionserfordernis aus (vgl. Art. 38 cdc). 214 Vgl. Gorneau (u. a.), Discours préliminaire, in: Locré, Bd. 17 (1829), S. 36: «Les grandes entreprises commerciales nécessitent une réunion de capitaux qui dépassent souvent les moyens de quelques particuliers. On crée un nombre déterminé d’actions (. . .) Cette espèce de société diffère de la société en commandité (. . .).»; ähnlich Rothweiler/Geyer, in: Bayer/Habersack (Hg.), Bd. 1 (2007), S. 23, 40. Die Tatsache, dass bereits frühere Finanzskandale durch mächtige KGaA’s ausgelöst wurden (s. o. Gliederungspunkt B. I. 2. b) aa) (2) (c) und Lescoeur (1877), Nr. 13, S. 11; Vincens (1837), S. 12 ff., 21 ff.), schob man scheinbar damit beiseite, dass die Haftung des Komplementärs nach der gesetzlichen Regelung im cdc nicht mehr im Gesellschaftsvertrag abbedungen werden konnte. 215 Entsprechend hebt Mertens, in: FS Klippel (2013), S. 603, 604, den Gläubigerund Anlegerschutzgedanken als wesentlichen Zweck der Konzession nach Art. 37 cdc hervor.
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schutzes achtsamer bzw. entschlossener handeln können – auch die Justiz sanktionierte den Verstoß gegen Publizitätsvorschriften für die Aktiengesellschaften nach Art. 45, 42 cdc nur zögerlich mit der Rechtsfolge der Nichtigkeit, obwohl diese nach dem Gesetzeswortlaut und der Ansicht der Literatur kaum streitig war.216 (3) Kontrolle der Macht der AG als Motiv des Konzessionserfordernisses Wurde bisher allein die Haftungsbeschränkung, nicht aber die „Verleihung“ von Rechtsfähigkeit als ein maßgeblicher Zweck der Konzession identifiziert, so fragt es sich dennoch, ob das Konzessionserfordernis nicht auch Ausfluss eines weiteren wesentlichen Motives des Gesetzgebers war. Bei näherer Beurteilung erscheint die Konzession vornehmlich als Ausdruck der staatlichen Überwachungsmöglichkeit dieser neuartigen Gesellschaftsform: In den bereits angesprochenen Beratungen zum geplanten Konzessionserfordernis in Art. 37 cdc schwingt stets die wirtschaftlich-politische Dimension der staatlichen Kontrolle über die Aktiengesellschaften mit. Auf der einen Seite erschien die Konzession aus einem wirtschaftlichem Blickwinkel erforderlich: Die Gefährdung der finanziellen Ressourcen durch Spekulationswellen und das Risiko der überhandnehmenden wirtschaftlichen Macht einzelner Gesellschaften, welche als Monopolisten der öffentlichen Ordnung und dem Staat schaden könnten, sollte einer staatlichen Überprüfung zugänglich sein.217 Die Kommission zur Erarbeitung des französischen Handelsge216 Vgl hierzu Pardessus, Bd. 3 (1857), Nr. 1042 bis, S. 149 ff. Gemäß Art. 45 cdc musste der Gesellschaftsvertrag zusammen mit der Genehmigungsurkunde des Staates drei Monate lang bei der Kanzlei des Handelsgerichts ausgehangen werden, in der die AG ihren Sitz nahm. Die Rechtsfolgen eines Verstoßes waren in Art. 45 cdc nicht genannt, wohingegen die für die OHG und KG parallele Vorschrift des Art. 42 in Absatz 3 die Nichtigkeit vorsah. 217 Die Angst der Regierung vor der Monopolisierung wird m. E. sehr gut deutlich bei der anonymen Stellungnahme eines „Ancien négociant“ zum bereits im ersten Entwurf des cdc postulierten Genehmigungserfordernis der Aktiengesellschaft – wobei die Schrift diese Furcht anknüpfend an die liberalen Wertevorstellungen der Revolution gegen den Genehmigungsvorbehalt wendet. Im Hinblick auf Banken und die früher bestehenden privilegierten Überseehandelsgesellschaften hielt der Autor eine staatliche Genehmigung für sinnvoll und notwendig. Dieser Gedanke dürfe aber in der Republik keinesfalls für die übrigen nicht-privilegierten Aktiengesellschaften gelten: «Si le gouvernement pouvait seul autoriser des compagnies à se former, il pourrait donc aussi leur accorder des privilèges, leur permettre un monopole, au préjudice des autres citoyens; et cela implique contradiction dans une république ou dans un gouvernement libre. C’est ainsi que l’a pensé l’assemblée constituante, lorsqu’elle abolit le monopole des compagnies; elle le détruisit, non seulement parce qu’il est contraire aux principes de liberté, mais parce qu’il est reconnu que le monopole est nuisible au progrès de l’industrie, contraire au bien général de la société.» Vgl. N. N. (Ancient négociant) (1802), S. 27 f. Es verwundert jedoch nicht, dass sich der (noch) merkantilistisch geprägte Staat für am besten geeignet hielt, um den Handel zu fördern. Auf das „freie Spiel der Kräfte“ in der Wirtschaft allein wollte man sich nicht verlassen.
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setzbuchs hatte ihrem Entwurf einleitend vorausgeschickt, dass die Aktiengesellschaften zwar für Wirtschaft und Handel fruchtbar seien und die Möglichkeit böten, neue – auch ausländische – Gelder in den Finanzkreislauf einzuspeisen; sie betonte aber im gleichem Atemzug auch die immensen Gefahren dieser Gesellschaften: «Elles sont dangereuses si elles établissent une concurrence sur des objets que tous les commerçans peuvent atteindre, en ce quelles favorisent un monopole funeste au commerce et à la société.»218 Nur einen Moment hatte man sich bei der Beratung des code de commerce mit der Frage auseinander gesetzt, ob man nicht das Genehmigungserfordernis nur auf diejenigen Aktiengesellschaften beschränken solle, die in Beziehung mit der öffentlichen Ordnung und dem Staat stehen und daher nicht auf jene ausdehnen solle, die nur Einzelinteressen verfolgen.219 Doch schnell kam man in dieser Diskussion zu einem einhelligen Ergebnis: Eine solche Unterscheidung sei schlichtweg unmöglich, denn alle Aktiengesellschaften hätten das Potential, die öffentliche Sicherheit zu gefährden. Ein Verzicht auf jegliche Form der Gründungsüberwachung einer Aktiengesellschaft wäre geradezu eine Einladung für Betrügereien, was sich in den bisherigen Erfahrungen der letzten Jahrzehnte bestätige: «Si les sociétés anonymes sont un moyen efficace de favoriser les grandes entreprises, trop souvent des associations mal combinées dans leur origine et mal gérées dans leurs opérations, ont compromis la fortune des actionnaires, altéré momentanément le crédit général, mis en péril la tranquilité publique.»220 Diese geäußerten Befürchtungen resultierten vor allem aus den bitteren Erfahrungen der Vergangenheit hinsichtlich der aufgrund von Privilegien sehr mächtigen Vorformen der Aktiengesellschaft und den von ihnen ausgelösten Spekulationswellen, die zur Gefährdung der nationalen finanziellen Ressourcen geführt hatten.221 Trotz der von der société anonyme ausgehenden Risiken war die Aktiengesellschaft aber für kapitalintensive Wirtschaftszweige alternativlos.222 Die sorgfältige Abwägung der Vorteile und Nachteile einer geplanten Aktiengesellschaft musste nach vorangegangenen Erwägungen daher in staatliche Hände gelegt werden: «C’est à l’administration publique qu’il appartient de juger les
218 Vgl. Discours préliminaire von Gorneau/Vignon/Coulomb, Legras/Boursier/Vital-Roux/Morgue zum code de commerce, in: Locré, Bd. 17 (1829), S. 27, 36. 219 Diese Unterscheidung hätte man gar den Gründern selbst überlassen können; bei Zweifeln über die Einordnung stünde ihnen schließlich das (vorsorgliche) Genehmigungsgesuch offen, vgl. Locré, Bd. 1 (1807), S. 149 f., zu den Erwägungen Treilhards vom 15.1.1807. 220 Regnaud, Exposé des motifs (in der Sitzung vom 5. September 1807), zitiert nach Locré, Bd. 1 (1807), S. 151. Vgl. auch das Zitat von Cambacérès, in: Locré, Bd. 1 (1807), S. 15, das im Rahmen der Entwicklung der Kapitalgesellschaften in Frankreich das im Zeitpunkt der Normierung der AG bestehende Misstrauen belegen sollte. 221 Vgl. oben B. I. 2. b) aa) (2) (c). 222 Vgl. bereits die Nachweise in Fn 166.
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avantages et les dangers de ces sortes d’associations; elle est plus à portée d’en calculer les effets. Nous avons cru qu’elle seule pouvait les permettre ou les proscrire, et qu’il était avantageux qu’elles ne pussent se former sans son autorisation.»223 Das Konzessionserfordernis wurde daher – zumal Wille Napoleons und damit nach Regnaud scheinbar vorab entschieden224 – in Art. 37 des französischen Handelsgesetzbuches normiert. Die Formalitäten der Konzession wurden in Instruktionen des Innenministers geregelt, wobei die erste Reglementierung bereits im Dezember 1807 erfolgte und durch weitere ministerielle Rundschreiben aus den Jahren 1817 und 1819 ergänzt wurde.225 Die erste Instruktion enthielt Informationen darüber, an wen das Gesuch der Gründungsmitglieder zu richten war und welche Angaben bzw. Bedingungen hierfür zu erfüllen waren.226 Die zweite Instruktion präzisierte und erneuerte nicht nur das Verfahren, sondern stellte erneut den Zweck der Konzession klar: «Le gouvernement ne concède à personne le droit où le privilège d’exploiter telle ou telle branche de commerce. Cette concession serait contradictoire avec la liberté légale assurée à l’industrie. (. . .) le but de l’autorisation est purement et simplement de certifier au public, d’abord la verification des bases sociales et l’existence des moyens annoncés, moyens re-
223 Discours préliminaire, in: Locré, Bd. 17 (1829), S. 39. Ähnlich auch die Ausführungen Regnauds, der als Zweck der Konzession hervorhebt, dass der Staat von Anfang an sicherstelle, ob die AG auf einer soliden Basis arbeite, siehe Regnaud (in der Sitzung vom 1. September 1807), in: Locré, Bd. 17 (1829), Nr. 10, S. 351 f. 224 Vgl. die Aufzeichnungen zur Diskussion von Treilhard und Regnaud (in der Sitzung vom 15. Januar 1807), in: Locré, Bd. 17 (1829), S. 191. 225 Règlement du ministre de l’intérieur sur l’éxécution de l’art. 37 c. com., relatif aux sociétés anonymes du 21 décembre 1807 und Circulaires ministérielles des 22 octobre 1817 et 9 avril 1819; alle abgedruckt in: Dalloz, Répertoire de législation, Bd. 40 (1859), Stichwort: société, Tableau nach Nr. 68, S. 379 ff. bzw. Nr. 1457, S. 689 ff., dort Fußnote (1). 226 Das von allen Gründungsmitgliedern unterzeichnete Gesuch an den Präfekt des Departements (bzw. in Paris an den Polizeipräfekten) musste Informationen über Gegenstand der Gesellschaft, vorgesehene Dauer, innere Organisation, Wohnsitz der Gründer, Höhe des Grundkapitals, Art der Kapitalaufbringung in Form von Zeichnung oder Aktienausgabe, die Frist für die komplette Einzahlung des Kapitals und den Sitz der Verwaltung enthalten. Zudem mussten die entsprechenden Statuten an den Präfekten übermittelt werden, vgl. Art. 2 des Règlement vom Dezember 1807, Fundstelle wie Fn 225. Wollten die Gründer nicht alle Aktien selbst übernehmen, so mussten sie zumindest ein Viertel des Grundkapitals aufbringen (s. Art. 3). Nachdem der Präfekt sich umfangreiche Informationen über Qualität und Moralität von Projekt und Gründern beschafft sowie Nutzen, Erfolgsaussichten und Vereinbarkeit des Vorhabens mit den guten Sitten und Gebräuchen des Handelsverkehrs bewertet hatte, sollte er alle Materialien an den Minister übersenden (Art. 4). Nach einer weiteren Überprüfung des Gesuchs durch den Minister, sollte der Antrag schließlich an den Conseil d’Etat übermittelt werden, in welchem dieser schließlich beschieden wurde (Art. 5). Auch wird klargestellt, dass eine Änderung der Statuten der genehmigten AG eine neue Autorisation bedingt (Art. 6) und dass bestehende Aktiengesellschaften ebenfalls einer Konzession bedurften (Art. 7).
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connus être en rapport avec l’entreprise; en second lieu, qu’un examen attentatif a été fait de la moralité et de la convenance de l’administration sociale».227 Anleger und Gläubiger sollten mithilfe der Konzession vor Schaden bewahrt werden; ob ein Schaden drohte, beurteilte allein der Staat und steuerte damit, welche Aktiengesellschaften existieren durften und welche nicht. Es ergibt sich demnach auch aus den Instruktionen, dass der Staat mit der Konzession der AG einen Kontrollzweck verfolgte, um neuerliche Betrügereien und Finanzskandale, die das noch in der Entwicklung befindliche, sensible Finanzsystem angreifen könnten, im Zaum zu halten.228 Zugleich stellte das Innenministerium klar, dass mit der Einführung des Konzessionssystems keinerlei Rückkehr zu der „alten“ Vergabepraxis von Privilegien verbunden war.229 Vielmehr galt es, die Bildung von Monopolen zu verhindern, die Schaden über Wirtschaft und öffentliche Ordnung bringen würden. Die Konzession zur Gründung einer Aktiengesellschaft durfte deshalb nur für den Fall erteilt werden, dass die geplante, gesamtgesellschaftlich vorteilhafte Unternehmung – zumeist aufgrund ihres hohen Kapitalbedarfs – nicht durch Einzelunternehmer oder die sonstigen frei verfügbaren Gesellschaftsformen erreicht werden konnte.230 Darüber hinaus 227 Vgl. Instruction du ministre de l’intérieur du 22 octobre 1817, in: Dalloz, Répertoire de législation, Bd. 40 (1859), Stichwort: société, Nr. 1457, S. 690, linke Spalte der dortigen Fußnote 1. Siehe auch dort zu Einzelheiten des Verfahrens, in welchem die Rolle des Innenministeriums zu Lasten des Präfekten aufgewertet wurde und zu speziellen, z. T. strengeren Vorschriften für bestimmte Branchen (z. B. Banken). Auch in der dritten Instruktion, in: Dalloz, Répertoire de législation, Bd. 40 (1859), Stichwort: société, Tableau nach Nr. 68, S. 380, wurde der Kontrollcharakter der Konzession ein weiteres Mal betont. Vgl. detaillierter zu dem Ablauf des komplexen und langwierigen Verfahren Lefebvre-Teillard (1985), S. 26 ff. 228 Die Tatsache, dass der Conseil d’Etat in seiner Kontrollentscheidung frei war und nach eigenem Ermessen handelte, zeigt sich auch darin, dass es gegen eine Konzessionsverweigerung kein rechtliches Mittel gab, da der Staatsrat in diesem Fall kein erworbenes Recht der Gründer verletzt habe, s. Dalloz, Répertoire de législation, Bd. 40 (1859), Stichwort: société, Nr. 1461, S. 693 m.w. N. 229 S. a. Vincens (1837), S. 37. Hintergrund für diese ministerielle Klarstellung waren zahlreiche Bestechungsversuche von Aspiranten einer AG-Gründung, s. Dalloz, Répertoire de législation, Bd. 40 (1859), Stichwort: société, Nr. 1458, S. 691 m.w. N. 230 Um monopolartige Stellungen von Aktiengesellschaften zu verhindern, erteilte man die Konzession nur für die Wirtschaftsbereiche, bei denen man mit normalen personengesellschaftsrechtlichen Instrumenten nicht zurande kommen konnte. Siehe hierzu bereits den Nachweis in Fn 218; Moniteur belge, Nr. 118 vom 28. April 1837 (7. Jg.), Spalte 1 f. der Augabe; Coing, Ius Commune 7 (1978), 160, 168. Dementsprechend formuliert Godet, Revue belge 1837, 83, 107 f., welcher die „société anonyme“ aufgrund der beschränkten Haftbarkeit als Geschöpf des „droit exceptionnel“ bezeichnet, folgende wesentliche Voraussetzung für die Erteilung einer Konzession: «(. . .) si les entreprises auxquelles les sociétés anonymes veulent se livrer, peuvent être exécutées et le sont déjà par des particuliers ou par des sociétés qui restent sous la loi commune de la responsabilité, alors on ne voit guère quel seraient les motifs pour faire exception à cette loi commune, et pour octroyer un privilège que rien ne rend nécessaire.» Die privilegierte Gesellschaftsform der AG dürfe grundsätzlich nur zum Tragen kommen,
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konnte der Staat mittels Konzession die Wirtschaft gezielt lenken und einzelne Wirtschaftszweige fördern oder begrenzen, wie z. B. den Infrastruktur- oder Finanzsektor.231 Auf der anderen Seite spielten auch politische Überlegungen bei der Entscheidung für das Konzessionserfordernis eine Rolle: Angesichts der Tatsache, dass wirtschaftliche Macht oftmals Einfluss auf polititsche Entscheidungsprozesse haben kann, verband sich mit der wirtschaftlichen Kontrolle nicht zuletzt das liberal-politische Ziel, die Entstehung von neuen „Zwischengewalten“ (sog. pouvoirs intermédiaires), welche sich gleich den öffentlich-rechtlichen Körperschaften zwischen Staat und Bürger schieben konnten, zu vereiteln.232 Mithilfe des Konzessionszwangs erhoffte man sich folglich, die politische Machtbildung der Aktiengesellschaften im Zaum halten zu können. Entsprechend endete die staatliche Kontrolle der Aktiengesellschaften nicht mit der Erteilung der Konzession, sondern setzte sich in Form eines „königlichen Kommissares“ fort, der die Obrigkeit über eine mögliche Verletzung der genehmigten Statuten einer bestimmten Aktiengesellschaft zu informieren hatte.233 Begleitend behielt sich der König in den angesprochenen Instruktionen ein jederzeitiges Widerrufsrecht einer bereits erteilten Konzession vor,234 obgleich eine bestehende Rechtsgrundlage hierfür (entsprechend der Einsetzungen von Kommissaren) mehr als fraglich erschien.235
sofern «l’interêt public demande alors qu’il soit fait une dérogation aux principes»; s. ders., Revue belge 1837, 135, 154. 231 Vgl. Lefebvre-Teillard (1985), S. 66 ff., 70 ff.; dies., in: Coing (Hg.) (1991), S. 51, 57. Der Tiefbau und Eisenbahngesellschaften waren wertvoll für die ökomische Entwicklung des Landes und entsprechende Gesellschaften wurden daher von staatlicher Seite verhältnismäßig zahlreich konzessioniert, wohingegen man im Minenbau und zunächst (bis zum „Second Empire“) im Bankwesen restriktiv mit der Konzessionsvergabe umging. 232 Vgl. etwa Loussouarn, in: Recueil de Cours 1959-I, S. 447, 448, der von „petits Etats dans l’Etat“ spricht. S. a. Lefebvre-Teillard (1985), S. 50; Coing, Ius Commune 7 (1978), 160, 168. 233 S. die Instruktion vom 22. Oktober 1817, Fundstelle wie Fn 227, Fußnote auf S. 691; Instruktion zu „Questions proposés, et solution de ces questions par le ministre de l’intérieur“ vom 11. Juli 1818, abgedruckt in: Dalloz, Répertoire de législation, Bd. 40 (1859), Stichwort: société, Nr. 1459, dort Fußnote 1, S. 691 ff., Antwort auf Frage 5 auf S. 692. Siehe hierzu auch die Erläuterungen und Einschätzungen von Vincens (1837), S. 54 ff. und Troplong (1843), Nr. 471, S. 180; ersterer betont, dass für die Einsetzung und die Kompetenz eines solchen Kommissars keinerlei gesetzliche Grundlage bestehe. 234 Siehe die Instruktion vom 11. Juli 1818, Fundstelle wie Fn 233, S. 692. 235 Vgl. nur Vincens (1837), S. 56: «(. . .) la loi donne au gouvernement le pouvoir d’autoriser les sociétés anonymes, d’en approuver les statuts. On a pensé que celui qui permet peut retirer sa permission; cela n’est pas toujours exact, et personne aujourd’hui n’entendrait que ce retrait pût s’exercer sans cause et au bon plaisir.» Der Autor, selbst Mitglied des Conseil d’Etat, betont die praktischen Schwierigkeiten eines solchen Entzugs; insbesondere müssten zunächst die ordentlichen Gerichte eine Verletzung der Statuten feststellen (vgl. S. 57).
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(4) Umsetzung der Motive des Konzessionserfordernisses in der Praxis Die dargestellten legislatorischen Ziele des Genehmigungsvorbehaltes in Form von Drittschutz und Machtkontrolle lassen sich auch in der Praxis der Konzessionsvergabe nachweisen: «Quant au Conseil d’Etat, il semble avoir été plus long que les milieux politiques à abandonner la méfiance qui l’avait conduit tout au long de sa carrière à se servir de l’autorisation dans trois buts principaux: contrôler économiquement les SA [sociétés anonymes], en freiner le développement, lutter contre les tentatives de «monopoles» qu’elles recèlent.»236 Konzessionen wurden nur in verhältnismäßig geringem Umfang erteilt, da der Conseil d’Etat Gesellschaften, deren Erfolg eher zufallsbedingt erschien (wie beim Minenbau) oder deren Geschäftsbetrieb besondere ökonomische Risiken in sich barg (wie bei Banken), grundsätzlich keine Genehmigung erteilte.237 Mithilfe der restriktiven Konzessionsvergabepolitik sollten Anleger und Gläubiger behütet, aber auch die Bildung von Monopolen und die Möglichkeiten zur politischen Einflussnahme durch mächtige Aktiengesellschaften verhindert werden.238 Darüberhinaus stellte die Rechtsprechung des Conseil d’Etat erste Leitlinien zum Gläubiger- und Aktionärsschutz der société anonyme auf, die das Gesicht der modernen Aktiengesellschaft entscheidend geprägt haben.239 c) Die Nichtanerkennung ausländischer Aktiengesellschaften durch nationale Gerichte unter dem Einfluss des Konzessionssystems Verfuhr der Gesetzgeber des code de commerce streng mit der Gründungserlaubnis von nach dem französischen Recht gegründeten Aktiengesellschaften, so liegt die Vermutung nahe, dass er Kapitalgesellschaften, die unter einem anderen staatlichen Souverän ins Leben gerufen worden waren, erst recht misstrauisch gegenüberstand. Inwiefern diese Annahme zutreffend ist, soll nachfolgend im Rahmen einer Analyse der rechtlichen Behandlung fremder Aktiengesellschaften in Frankreich und seinem Nachbarland Belgien nachvollzogen werden. aa) Ausgangslage: Die Haltung zur Anerkennungsproblematik in Frankreich Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts war die Haltung Frankreichs gegenüber allen ausländischen Gesellschaftsformen liberal. Mit der Frage, ob ausländische Gesellschaften, ebenso wie es den einzelnen ausländischen Privatpersonen erlaubt war, in Frankreich ihre Rechte ausüben und vor Gericht auftreten dürften, setzte sich zunächst weder die französische Rechtsprechung noch das Schrifttum 236 237 238 239
Lefebvre-Teillard (1985), S. 51 [Hinzufügung d. Verf.]. Vgl. Lefebvre-Teillard (1985), S. 55; dies., in: Coing (Hg.) (1991), S. 51, 57. Vgl. Lefebvre-Teillard (1985), S. 51, 56 f. Lefebvre-Teillard, in: Coing (Hg.) (1991), S. 51, 58–63.
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auseinander. Vielmehr ließ man die ausländischen Gesellschaften wie selbstverständlich am inländischen Rechtsverkehr teilhaben.240 Einen Unterschied in der Behandlung von natürlichen Personen, Personengesellschaften und Kapitalgesellschaften vermag man in Frankreich (zunächst) nicht zu erkennen.241 Es scheint, als stellte sich schlichtweg aus französischer Perspektive gar nicht die Frage, ob eine ausländische Aktiengesellschaft242 als Rechtssubjekt angesehen werden kann;243 die Rechtsfähigkeit wurde von den Gerichten wie selbstverständlich vorausgesetzt.244 Es verwundert daher nicht, dass Buchère 1882 feststellt: «Dans l’origine, et pendant de longues années, les tribunaux françaises n’ont soulevé aucune difficulté à cet égard.»245 Nachstehend soll zur Verifikation dieser freimütigen Gesinnung eine eingehende Untersuchung der zeitgenössischen Quellen zur rechtlichen Beurteilung ausländischer Aktiengesellschaften erfolgen. (1) Die Haltung der französischen Rechtsprechung und Verwaltung vor 1857 (a) Judikative Wie bereits angeklungen, empfingen die französischen Gerichte ausländische Gesellschaften – sei es als Beklagte oder als Klägerin – bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts mit offenen Armen. Die Rechtsfähigkeit aller ausländischen Gesellschaften – und somit auch deren Parteifähigkeit –, die nach dem Recht ihres Gründungslandes wirksam bestanden, wurde von der französischen Judikatur de plano anerkannt.246 240
S. Battifol/Lagarde, Bd. 1 (1970), Nr. 200 f., S. 250 f. Vgl. Loussouarn, in: Dalloz (Hg.), Répertoire des sociétés, Stichwort: sociétés étrangères (1971), Nr. 8 f., S. 2, m.w. N.: «En ce qui concerne les sociétés de personne, le droit positif français se montre très libéral et a toujours admis la liberté de reconnaissance (. . .). Au début du XIXe siècle, le libéralisme qui s’était manifesté pour les sociétés de personnes se retrouvait en ce qui concerne les sociétés de capitaux (. . .).» S. auch Cass. Civ., Urt. v. 26. Juli 1853, in: Recueil général des lois et des arrêts en matière civile, criminelle, administrative et de droit public (nachfolgend: Sirey) 1853.1.688 zur Anerkennung der Rechtsfähigkeit einer „société civile“. 242 Die Frage, weshalb sich der Streit um die internationalprivatrechtliche Anerkennung gerade bei den ausländischen Kapitalgesellschaften – speziell den Aktiengesellschaften – stellte, lässt sich mit den bereits dargestellten Eigenheiten dieser Gesellschaftsform (eigene Rechtssubjektivität, Haftungsbeschränkung) erklären, vgl. oben Gliederungspunkt B. I. 2. b) bb). 243 Inwieweit diese These in ihrer Pauschalität zutreffend ist, wird im Folgenden noch zu klären sein, vgl. Gliederungspunkt B. I. 2. c) bb). 244 Dalloz, Répertoire de législation, Bd. 40 (1859), Stichwort: société, Nr. 1588, S. 717: «(. . .) les tribunaux français avaient reconnu aux sociétés [anonymes] étrangères (. . .) le droit d’agir en France.» [Zuf. d. Verf.] 245 Buchère, Clunet 9 (1882), 37; ähnlich Lainé, Clunet 20 (1893), 273. 246 Lescoeur (1877), Nr. 135 f., S. 102 f., Nr. 145, S. 107; Castier (1884), S. 139; Lainé, Clunet 20 (1893), 273; Mamelok (1900), S. 241; Lyon-Caen/Renault, Bd. 2/2 241
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Beispielhaft möge dies ein Urteil eines französischen Berufungsgerichts aus dem Jahre 1853 belegen, in welchem die Rechtspersönlichkeit einer belgischen Gesellschaft bürgerlichen Rechts in Frankreich zugebilligt wurde. Diese Gesellschaft wurde von dem französischen Kläger (und zugleich Gläubiger) Monsieur Froust für ihre vertraglichen Verbindlichkeiten in Anspruch genommen. Das Gericht hielt hierzu fest: «Attendu que la société civile dont il s’agit ayant son domicile en Belgique, était, (. . .) une personne étrangère; que, dès lors, les membres représentant cette société civile ont pu être cités par le défendeur, citoyen français, devant les tribunaux français, aux termes de l’art. 14, Cod. Nap.»247 Die Fundstelle erweckt zwar im zweiten Halbsatz den Anschein, als sei sie nur auf die Gesellschafter bezogen, in Zusammenschau mit dem ersten Halbsatz zeigt sich aber, dass das Urteil explizit auf den Sitz der Gesellschaft und ihre Eigenschaft als Ausländerin abstellt. Die Rechts- und Parteifähigkeit der belgischen société civile (vergleichbar einer BGB-Gesellschaft) als (fremde) Person wurde somit ohne weiteres anerkannt, wobei die französische Rechtsprechung ihre Zuständigkeit auf die Zivilprozessvorschrift des Art. 14 code civil stützte. Diese Vorschrift besagt, dass eine ausländische Person für die Erfüllung einer gegenüber einem Franzosen eingegangenen Verbindlichkeit vor französischen Gerichten verklagt werden kann.248 Der Grund für die unproblematische Anerkennung und Zulassung fremder Personengesellschaften in Frankreich liegt laut Thaller auf der Hand: Sowohl Konstitution als auch Funktionsweise der Personengesellschaften bürgten nicht in gleicher Weise wie die Aktienunternehmen ein Missbrauchspotential; daher hätte niemand je daran gedacht, den Personengesellschaften die Parteifähigkeit abzusprechen.249 Laut Castier wurden sowohl die sociétés en nom collectif als auch die sociétés en commandite stets als fähig angesehen, in Frankreich ut universitates zu handeln; in den Augen aller würden diese Gesellschaften in ihren Rechtshandlungen wirksam vertreten durch ihre Mitglieder, deren Namen zugleich die Firma der Gesellschaft bilde.250 Auch hier klingt die persönliche Haftung der Gesellschaf(1909), Nr. 1093 f., S. 509 ff.; Weiss (1909), S. 323; Schwandt (1912), S. 172; Pillet (1914), Nr. 42, S. 58 f., Nr. 115, S. 161 f.; Rigaud, in: Darras/Lapradelle/Niboyet (Hg.), Bd. 10 (1931), Stichwort: personnes morales, S. 238, Nr. 48; Lerebours-Pigeonnière (1954), Nr. 178, S. 195 f.; Battifol/Lagarde, Bd. 1 (1970), Nr. 201, S. 252. 247 Cass. Civ., Urt. v. 26. Juli 1853, in: Sirey 1853.1.688. 248 Die Originalfassung des Art. 14 code civil lautet: L’étranger, même non résidant en France, pourra être cité devant les tribunaux français, pour l’exécution des obligations par lui contractées en France avec un Français; il pourra être traduit devant les tribunaux de France, pour les obligations par lui contractées en pays étranger envers des Français. (Der code civil in seiner Ursprungsfassung ist abrufbar unter: http://gal lica.bnf.fr) 249 Vgl. Thaller, Journal des sociétés civiles et commerciales 2 (1881), 106. 250 Castier (1884), S. 139.
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ter als maßgebliches Sicherheitskriterium an. Zudem wurde von Teilen der Literatur auf das geringere Kapitalvolumen und die geringeren Wachstumsmöglichkeiten der ausländischen Kommanditgesellschaften verwiesen, welche mit Frankreich ohnehin nur Durchgangsbeziehungen pflegten.251 Aber auch ausländische Aktiengesellschaften wurden wohl bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts vor den französischen Gerichten als rechts- und parteifähig angesehen.252 Wie Lyon-Caen und Renault bemerken, kam es den französischen Beklagten zunächst nicht in den Sinn, sich auf die mangelnde Rechtsund Parteifähigkeit ausländischer Aktiengesellschaften in ihrer Funktion als Kläger zu berufen.253 Es liegt nahe, dass hier ein gewisser Zusammenhang mit der wirtschaftlich noch geringeren Bedeutung der Aktiengesellschaft besteht, denn die Anzahl der Aktiengesellschaften schnellte erst mit der voranschreitenden Industrialisierung und dem damit verbundenen gestiegenen Kapitalbedarf ab dem zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts in die Höhe.254 Trat die „neue“ Rechtsform der Aktiengesellschaft erst in den späteren Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts ihren Siegeszug in den einzelnen Ländern Kontinentaleuropas an, so durfte die Anzahl der Rechtsstreitigkeiten mit ausländischen Aktiengesellschaften vor inländischen Gerichten zu Beginn des 19. Jahrhunderts rein nominell noch gering gewesen sein. Es mangelte wohl bereits am Anlass, sich näher mit der Frage der rechtlichen Anerkennung fremder Aktiengesellschaften auseinanderzusetzen bzw. diese gar zu bestreiten.255 Diese aufnahmewillige Haltung der französischen Gerichte bezüglich ausländischer Aktiengesellschaften wurde zwar von der heimischen Literatur und den französischen Verwaltungsbehörden zunehmend kritisiert, doch änderte sich an der französischen Praxis zunächst nichts.256
251
Thaller, Journal des sociétés civiles et commerciales 2 (1881), 106, 107. Vgl. Bertrand, Rapport au Parlement, in: Duvergier (1857), S. 112, dort Fußnote 1 (rechte Spalte); Moutier, Clunet 21 (1894), 954, 955; Pillet (1914), Nr. 115, S. 162, der bei Nr. 42, S. 58 jedoch zu bemerken gibt, dass hinsichtlich der Anerkennung solcher juristischer Personen kein Gerichtsurteil aufzufinden ist; s. ebenso Verweis in Fn 244 sowie Ch. req., Urt. v. 1. August 1860, in: Sirey 1860.1.867. 253 S. Lyon-Caen/Renault, Bd. 2/2 (1909), Nr. 1095, S. 515. 254 Vgl. Coing, Bd. 2 (1989), § 13, S. 96 und speziell für Frankreich Freedeman, der den Gründungsanstieg der „société anonyme“ in Frankreich untersucht hat: Im Zeitraum 1815–20 wurden durchschnittlich 5 Aktiengesellschaften pro Jahr errichtet, zwischen 1821–33 waren es 9 und zwischen 1834–46 bereits knapp 25 Gründungen jährlich, vgl. Freedeman (1979), S. 27, 66. 255 Vgl. nur Lyon-Caen (1870), S. 6, der im Jahre 1870 feststellt, dass die Frage der Anerkennung „heute“ eine beachtliche praktische Bedeutung errungen habe. 256 Mamelok (1900), S. 242 sowie Weiss (1909), S. 322 f.; unumstritten blieb die Haltung der Gerichte für die „société en nom collectif“ und die „société en commandite“. 252
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(b) Exekutive Eine gegensätzliche, restriktive Haltung der französischen Verwaltungsbehörden, die im Einklang mit Art. 37 cdc eine vorherige staatliche Autorisation als Voraussetzung der Anerkennung einer ausländischen Aktiengesellschaft forderten, zeigt sich ab dem ersten Jahrzehnt des 19. Jahrhundert und zieht sich bis zum belgisch-französischen Konflikt durch die Geschichte der Anerkennung. Das Auftreten ausländischer Aktiengesellschaften im eigenen Land beunruhigte die französische Verwaltung, solange diese Gebilde von der französischen Regierung keine (eigene) Genehmigung erhalten hatten:257 Einleitend kann hier die Behandlung der englischen Feuerversicherungsgesellschaft Phénix angeführt werden.258 Diese englische Gesellschaft war nach ihrem Heimatrecht wirksam als joint stock company gegründet worden und drängte 1815 unter der Firmenbezeichnung Compagnie du Phénix auf den französischen Markt, um Versicherungsverträge für hiesige Anwesen anzubieten. Die Phénix wandte sich im Zusammenhang mit der Aufnahme ihres Geschäftsbetriebes an den französischen Innenminister um anzufragen, ob ihrer Tätigkeit in Frankreich rechtliche Bedenken entgegenstünden. Sie wurde daraufhin unter dieser Firmenbezeichnung mit dem Hinweis auf rechtliche Probleme in Zusammenhang mit der fehlenden Autorisation vom französischen Innenminister zurückgewiesen; gleichzeitig bemerkte dieser, dass einer Anerkennung in Frankreich als Rechtsträger dann nichts im Wege stehe, wenn sich die Gesellschaft unter dem Namen der Aktionäre oder der beteiligten leitenden Gesellschafter – einer raison sociale – präsentiere.259 Somit zwang man die ausländische AG in Frankreich als Personengesellschaft zu agieren und infolgedessen ihre Haftungsbeschränkung gegenüber französischen Gläubigern aufzugeben.260Aus Sicht der Behörde war die Anerkennung der Rechtsfähigkeit dieser ausländischen (Kapital-)Gesellschaft demnach nicht gleichzusetzen mit deren Anerkennung als juristische Person mitsamt ihrer ursprünglichen und charakteristischen Haftungsbeschränkung. 257 Thaller spricht davon, dass nach Ansicht der Verwaltung eine neue staatliche Genehmigung zu derjenigen hinzutreten müsse, die besagte Gesellschaften bereits im Ausland erhalten hatten; vgl. ders., Journal des sociétés civiles et commerciales 2 (1881), 106, 107; s. a. Weiss (1909), S. 322 f. 258 Siehe Bertrand, Rapport au Parlement, in: Recueil Dalloz 1857.4.76; ders., Duvergier (1857), S. 112, dort Fußnote 1; Schwandt (1912), S. 172; Pillet (1914), Nr. 42, Fußnote 1 auf dortiger S. 58. Vgl. allgemein zu dem Auftreten englischer Aktiengesellschaften in verschiedenen Industriezweigen Frankreichs Freedeman (1979), S. 19–99; speziell zur Phénix S. 22, 71. 259 Vgl. Lyon-Caen/Renault, Bd. 2/2 (1909), Nr. 1095, S. 514; s. a. Castier (1884), S. 140. 260 Bezeichnend ist, dass die Behandlung einer AG als OHG heutzutage die grundsätzliche Sanktion bei Nichteinhaltung der Voraussetzungen der Sitztheorie in Deutschland ist, dazu unten Gliederungspunkt B. II. 2. b) cc) (3) (b). Auch in Frankreich greift die traditionelle Sanktion der Nichtigkeit heute nur noch ausnahmsweise, vgl. B. II. 1. b) cc).
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Da der Konkurrenzkampf unter den Versicherungsgesellschaften in den nächsten Jahren zunahm, wurden die Maßnahmen französischer Gesellschaften gegen ihre ausländischen Wettbewerber drastischer: Die Vorstandsmitglieder der französischen Versicherungsgesellschaft Phénix zeigten im Jahre 1820 die gleichnamige englische Gesellschaft Phénix aus London beim französischen Innenminister an.261 Sie machten darauf aufmerksam, dass dieses englische Unternehmen nicht durch eine königliche Verordnung in Frankreich autorisiert worden war und dennoch Niederlassungen in Paris und Bordeaux unterhielt. Wiederum ließ der Minister verlauten, dass diese Gesellschaft nur unter einer Firma in Frankreich auftreten könne, welche die Namen der Gesellschafter enthalte, nicht aber unter einer Bezeichnung, die sich auf ihren Geschäftsgegenstand beziehe, wie dies bei Aktiengesellschaften stets der Fall sei.262 In den Jahren 1831 bis 1833 entwickelten sich die internationalen Handelsbeziehungen zwischen Frankreich und Belgien zusehends, sodass sich französische Gesellschaften im eigenen Land nun vermehrt der Konkurrenz belgischer Gesellschaften ausgesetzt sahen. Im Zuge dessen wandte sich der Vorstand der französischen Compagnie d’assurances générales an den Handelsminister des Landes um sich darüber zu beschweren, dass sich – entgegen der Anforderungen des Art. 37 cdc – Versicherungsagenten einer von der französischen Regierung nicht autorisierten in Brüssel unter der Firma Compagnie d’assurances reunies contre les risques de mer, incendie et grêle niedergelassenen Gesellschaft in den wichtigsten französischen Häfen angesiedelt hatten. Der französische Handelsminister erwiderte, dass eine Gesellschaft in der Rechtsform der société anonyme in der Tat einer staatlichen Genehmigung im Sinne des Art. 37 cdc bedürfe, es aber keine Möglichkeit der Auferlegung einer strafrechtlichen Sanktion gegen die Verantwortlichen der ausländischen Versicherungsgesellschaften gäbe. Im Übrigen gab der Minister zu bedenken, dass sich französische Versicherungsgesellschaften, die sich in Belgien betätigten, in der gleichen Situation befänden. Sofern man die geforderte strenge Handhabe gegen die belgischen Gesellschaften in Frankreich zum Tragen bringen würde, so müsste man mit Repressalien gegen die eigenen Gesellschaften von belgischer Seite rechnen.263 Im Jahre 1834 traten die Vertreter der französischen Versicherungsgesellschaft Lloyd ein weiteres Mal an den Minister heran. Man beklagte, dass ausländische Aktiengesellschaften gewissermaßen in Frankreich Einzug gehalten hätten, wo261 Hierbei handelte es sich um dieselbe englische Gesellschaft, die bereits im Jahre 1815 dem Innenminister negativ aufgefallen war, vgl. Lyon-Caen/Renault, Bd. 2/2, Nr. 1095, S. 514. 262 Die englische Gesellschaft durfte daher keine Firmenschilder mit der Bezeichnung „Phénix“ in Frankreich anbringen; vgl. Bertrand, Rapport au Parlement, in: Recueil Dalloz 1857.4.77 (linke Spalte) und Lescoeur (1877), Nr. 139, S. 105, dort Fußnote 1. 263 Vgl. Bertrand, Rapport au Parlement, Recueil Dalloz 1857.4.77 (linke Spalte).
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hingegen ausländische Gesellschaften desselben Typus aus Belgien verbannt worden seien. Die französische Regierung sollte daher erwägen, die gleiche Maßnahme zu ergreifen, sofern die französischen Gesellschaften weiterhin nicht die Genehmigung erhalten sollten, in Belgien tätig zu werden. Soweit ersichtlich, soll der französische Handelsminister auf diese Anfrage nicht geantwortet haben.264 Zwei Jahre später bat der Vorstand der Brüsseler banque foncière den französischen Handelsminister um eine Autorisation im Sinne des Art. 37 cdc, damit die Gesellschaft in Frankreich rechtmäßig ihre Geschäfte betreiben und ihre französischen Pfandbesteller und Schuldner vor den Gerichten Frankreichs als Kläger in Anspruch nehmen könne. In seiner Antwort wies der französische Minister darauf hin, dass die belgische Regierung in der Vergangenheit gleich lautende Autorisationsgesuche französischer Gesellschaften ausdrücklich abgelehnt hatte, obwohl diese Gesellschaften bereit gewesen waren, alle (Gründungs-)Voraussetzungen zu erfüllen, die das belgische Recht an einheimische Aktiengesellschaften stelle. Die französische Regierung sei zwar über die Verwehrung des Zutritts ihrer Aktiengesellschaften zu ausländischen Märkten nicht überrascht, sähe sich aber gezwungen, gleichartigen Anfragen ausländischer Aktiengesellschaften ebenso eine Absage zu erteilen. Es sei schließlich zu bedenken, dass es bei einer AG jenseits des Grundkapitals keine Haftung gäbe; auch unterlägen die Mitglieder keiner persönlichen bzw. solidarischen Haftung für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft. Die Rechtsform der AG stelle daher eine krasse Ausnahme von den Grundsätzen des Handelsrechts dar, welche man ausschließlich den eigenen Staatsbürgern zugestehen sollte.265 Weiterhin kam es 1837 zu einem Konflikt zwischen dem Bürgermeister von Lyon und dem französischen Innenminister. Der Bürgermeister hatte den Minister darüber informiert, dass die städtische Verwaltung Lyons mit der in London errichteten Société Impériale Continentale einen Vertragsentwurf über die Gaslichtversorgung der Stadt ausgehandelt habe. Man wolle nun anfragen, ob besagte Gesellschaft in Frankreich von der Regierung zugelassen sei und – für den Fall, dass eine solche Autorisation nicht erfolgt sei – ob der Versorgungsvertrag (als wirksam) genehmigt werden würde. Der Antwort des Ministers ist vorauszuschicken, dass der Vertreter der Londoner Gesellschaft bereits mit der Stadt Lille einen vergleichbaren Vertrag geschlossen hatte, der auch vollzogen wurde. Nichtsdestotrotz entgegnete der Innenminister, dass es an einer Genehmigung dieser Gesellschaft im Sinne des Art. 37 cdc mangele, dass demzufolge ein Vertrag mit der Gesellschaft nicht auf reguläre Weise zustande kommen könne und er folglich den Vertrag auch nicht genehmigen könne.266 264 Vgl. Bertrand, Rapport au Parlement, Recueil Dalloz 1857.4.77 (linke Spalte) sowie Castier (1884), S. 140. 265 Vgl. Bertrand, Rapport au Parlement, Recueil Dalloz 1857.4.77 (linke Spalte). 266 Vgl. Bertrand, Rapport au Parlement, Recueil Dalloz 1857.4.77 (linke Spalte).
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Als Mitte der vierziger Jahre des 19. Jahrhunderts der belgisch-französische Konflikt um die Anerkennung ausländischer Aktiengesellschaften in der Rechtsprechung entflammte, trat das Leitungsorgan der französischen Compagnie d’assurances générales an den französischen Handelsminister heran und erklärte, dass die Gesellschaft gerade vom belgischen Geschäftsverkehr ausgeschlossen worden sei, obwohl sie in Belgien bereits seit zehn Jahren tätig gewesen war. Im Namen der Gesellschaft bitte die Leitung darum, dass der Handelsminister den Außenminister einschalten und von diesem Intervention erbitten möge. Die Replik des Ministers war eindeutig: Die belgische Regierung hätte zulässigerweise nur von ihren eigenen Rechten Gebrauch gemacht; eine Einmischung des französischen Staates in diese Angelegenheit sei unangebracht.267 Letztlich schrieb die Handelskammer von Gray im Jahre 1845 den französischen Justizminister an, um Rechtsverfolgung gegen die in Frankreich ohne Genehmigung agierenden ausländischen Aktiengesellschaften zu erwirken.268 Man leitete das Schreiben an den französischen Handelsminister weiter, der erwiderte, dass gegen diesen Missbrauch keinerlei Ahndungsmittel zur Verfügung stünden. Die einzige juristische Sanktionsmöglichkeit bestünde darin, dass alle rechtlichen Verpflichtungen, deren Erfüllung eine nicht autorisierte ausländische Aktiengesellschaft vor französischen Gerichten verlangen sollte, als nichtig zu betrachten seien. Auch aus dieser Korrespondenz wird deutlich, dass eine (straf-)rechtliche Verfolgung der ausländischen Aktiengesellschaften jeder gesetzlichen Grundlage entbehrte, man aber zivilrechtliche Mittel erwog.269 Festzuhalten bleibt, dass die französischen Verwaltungsbehörden (entsprechend Art. 37 cdc für nationale Aktiengesellschaften) auch eine staatliche Genehmigung ausländischer Aktiengesellschaften forderten, damit diese in Frankreich in dieser Eigenschaft Zweigniederlassungen gründen bzw. tätig werden durften. Sofern die ausländischen Aktiengesellschaften über keine staatliche Konzession verfügten, so verwiesen die Ministerien schon in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts auf die Möglichkeit, den ausländischen Handelsgesellschaften ihre
267
Duvergier (1857), S. 112, dort Fußnote 1 (rechte Spalte); Bertrand, wie vorherige
Fn. 268 Castier (1884), S. 140 und Bertrand, Rapport au Parlement, Recueil Dalloz 1857.4.77 (linke Spalte). 269 Die Tatsache, dass die mangelnde Rechtsverfolgung für französische Vertragspartner nicht zufriedenstellend sein mag, beschreibt Lescoeur (1877), Nr. 149, S. 109, insofern treffend: «On ne peut considérer comme tel [moyen direct de répression], par exemple, le droit pour le Français de faire déclarer nulle la police d’assurance qu’il aurait passée avec une telle société, car c’est lui qui serait lésé: comment pourrait-il se faire restituer les sommes qu’il a payées?» Es verwundert daher nicht, dass die französischen Gerichte ab dem Konflikt frühzeitig zwischen aktiver und passiver Parteifähigkeit ausländischer Aktiengesellschaften differenzierten, vgl. Gliederungspunkt B. I. 2. c) bb) (4) (b).
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B. Umgang mit fremden Gesellschaften aus rechtshistorischer Perspektive
rechtliche Existenz abzusprechen und ihnen demzufolge die Parteifähigkeit vor französischen Gerichten zu verwehren. (c) Würdigung der Gegensätzlichkeit Führt man sich nun ein weiteres Mal das die gesamte Entwicklung des nationalen Aktienrechts durchziehende Misstrauen vor Augen, welches die französische Regierung sogar ihren eigenen Kapitalgesellschaften entgegenbrachte, so erscheint es demgegenüber umso erstaunlicher bzw. gar widersprüchlich, dass die französischen Gerichte sich so liberal in der Anerkennung fremder (wenn auch zunächst in kleinerer Zahl auftretender) Aktiengesellschaften zeigten. Es stellt sich daher die Frage, welche Gründe die französische Rechtsprechung dazu veranlassten, die Rechtsfähigkeit fremder Aktiengesellschaften regelmäßig ohne weiteres vorauszusetzen, wohingegen auf der anderen Seite das französische Handelsgesetzbuch im Gegenzug an die einheimischen Gesellschaften des gleichen Typus sehr hohe Anforderungen an die wirksame Gründung einer AG und damit einhergehend die Zubilligung von Rechtsfähigkeit und Haftungsbeschränkung einer AG stellte. Die französische Judikative erkannte die Wirksamkeit (vor 1857 in Frankreich nicht autorisierter) ausländischer Aktiengesellschaften unter Berufung auf das Prinzip der personnalité des lois d’état et de la capacité an, d.h. sie machte geltend, dass das Personalstatut einer Person dieser überall hin folge.270 Dieser Grundsatz ergab sich der Judikatur zufolge aus Art. 3 code civil, der wie folgt lautete: Les lois de police et de sûreté obligent tous ceux qui habitent le territoire. Les immeubles, même ceux possédés par des étrangers, sont régis par la loi française. Les lois concernant l’état et la capacité des personnes régissent les Français, même résidant en pays étranger. Hieraus (Art. 3 Abs. 3 c. civ.) zogen die Gerichte einen einfachen Umkehrschluss: Da jene französischen Normen, welche die Rechts- und Handlungsfähigkeit der französischen Staatsbürger bestimmten, auch anzuwenden seien, wenn ein Franzose ins Ausland zöge, so könnte umgekehrt für ausländische Personen mit Aufenthaltsort in Frankreich nichts anderes gelten: Ausländische Gesellschaften, die nach dem Recht ihres Heimatstaates als rechts- und parteifähig angesehen werden, seien in Frankreich dementsprechend zu behandeln.271 Mit der
270 Castier (1884), S. 141 f.; Thaller, Journal des sociétés civiles et commerciales 2 (1881), 106, 107. 271 Vgl. Thaller, Journal des sociétés civiles et commerciales 2 (1881), 106, 107.
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Frage, ob Art. 3 Abs. 3 c. civ. überhaupt auch auf juristische Personen anwendbar sei, beschäftigte man sich zunächst nicht.272 Als wesentliches Gegenargument der Literatur, welche der Ansicht der Verwaltung als Stütze dienen wollte, wurde hervorgebracht, dass es sich bei Art. 37 cdc – welcher das staatliche Genehmigungserfordernis jeder französischen Aktiengesellschaft regelte – um eine Vorschrift der öffentlichen Ordnung handele.273 Nach Art. 3 Abs. 1 c. civ. verpflichteten die Gesetze der Polizei und der Sicherheit nämlich ebenso alle Ausländer, die sich in Frankreich aufhielten. Die französischen Gerichte betrachteten Art. 37 cdc aber nicht als eine Vorschrift mit ordre-public-wahrendem Charakter, sondern hielten diese Norm bereits für nicht anwendbar. Der französische Staatsanwalt Oscar de Vallée bezeichnete Art. 37 cdc als „Wachposten“, der den „Feind“ bis zum französisch-belgischen Konflikt stets als rechtsfähig vor die französischen Gerichte hatte vortreten lassen.274 Der Grund hierfür sei kein Mangel an „Wachsamkeit“, sondern die einfache Tatsache gewesen, dass der Anwendungsbereich des Art. 37 cdc nie ausländische Aktiengesellschaften erfasst hätte.275 Von fehlenden Garantien dieser ausländischen Aktiengesellschaften für die französische Öffentlichkeit – und damit meint de Vallée wohl eine Gefahr für die öffentliche Ordnung – könne zudem keine Rede sein, denn diese Gesellschaften böten die erforderlichen Garantien ihres Gründungsrechts.276 Viel schwerer als die von den Gerichten vorgebrachten juristischen Argumente wiegen aber wohl rechtspolitische Erwägungen, d.h. die Motive, auf welchen diese aufgeschlossene Haltung der französischen Gerichte basierte.277 Ziel dieser Rechtsprechung war es letztlich, die eigenen Handelsgesellschaften vor Vergeltungmaßnahmen (sog. Retorsion) des Auslandes zu schützen.278 Treffend resü272 Dies galt auch für die zeitgenössische Literatur: So wird in einer Abhandlung Demangeats aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, in: Revue pratique de droit français 1 (1856), 49–66, die die wesentlichen Schwierigkeiten der Praxis zum Personalstatut aufzeigen soll, zu dieser Frage geschwiegen. Die Diskussion um die Unterschiede von natürlicher und juristischer Person und die Konsequenzen für die Frage der Anwendbarkeit von Art. 3 Abs. 3 c. civ. auf juristische Personen, kam in Frankreich erst nach belgischen ablehnenden Urteilen auf, vgl. unten Gliederungspunkt B. I. 2. c) cc) (2). 273 Lescoeur (1877), Nr. 138, S. 104 f.; Lyon-Caen (1870), S. 21. 274 Vgl. Stellungnahme von de Vallée (im Vorfeld von: Cour de Paris, Urt. v. 15. Mai 1863), abgedruckt in: Recueil Dalloz 1863.2.86. 275 Somit beträfe Art. 37 cdc nach de Vallée, Fundstelle wie Fn 274, seinem Wortlaut und Sinngehalt nach lediglich die nationalen Gesellschaften. Zustimmend bemerkt Castier (1884), S. 142 «S’il [l’article 37 du code de commerce] visait aussi les sociétés étrangères, il en ferait en réalité des associations françaises recevant la vie civile de la loi de France.». 276 Stellungnahme von de Vallée, Fundstelle wie Fn 274. 277 Siehe Castier (1884), S. 142; Mamelok (1900), S. 16; Rapport von Bertrand, in: Recueil Dalloz 1857.4.75 ff. 278 So auch Großfeld, RabelsZ 38 (1974), 344, 349.
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miert Castier: «Enfin en faveur de cette opinion si libérale, on a fait valoir devant les tribunaux l’intérêt du commerce français, en refusant aux sociétés étrangères le droit de fonctionner chez nous sans autorisation, on aboutirait à un système de rétorsion: les pays étrangers exigeraient par représailles une même autorisation pour les sociétés anonymes françaises qui voudraient agir chez eux. C’est ainsi que toutes les Cours d’Appel motivèrent leurs arrêts.»279 Mit ihrer Rechtsprechung traten die französischen Gerichte nicht nur Vorbehalten der französischen Rechtswissenschaft, sondern auch schweren Bedenken des Staatsrates entgegen:280 Neben Teilen der Literatur sah der Conseil d’Etat Art. 37 cdc als Bestandteil der nationalen polizeilichen Normen an, welche die öffentliche Ordnung verteidigen sollten. Die polizeilichen Regeln müssten von jedem befolgt werden, der sich auf französischem Boden befände oder dort kontrahieren wolle. Das Konzessionserfordernis nach Art. 37 cdc hätte polizeilichen Charakter, denn Sinn und Zweck dieser Norm sei es, Skandale auf dem Finanzmarkt in Form von unliebsamen Überraschungen zu verhindern, die diese Art von Gesellschaften leider zu häufig ihren Aktionären und ihren Gläubigern bereiteten. Das Konzessionserfordernis gemäß Art. 37 cdc sei nichts anderes als eine „Question de police préventive“.281 Indes soll an dieser Stelle bemerkt werden, dass Art. 37 cdc in den zeitgenössischen Zivilrechtskommentaren nicht beispielhaft für ein loi de police im Sinne des Art. 3 Abs. 1 c. civ. genannt wird;282 Verwaltung und Literatur stützten sich für ihre Annahme eines solchen Gesetzes regelmäßig auf die Beratungen zum code de commerce.283 Was weiterhin das Argument der Rechtsprechung angehe, bei dem Genehmigungserfordernis nach Art. 37 cdc handele es sich nur um eine Notwendigkeit 279 Castier (1884), S. 142. Dalloz, Répertoire de législation, Bd. 40 (1859), Stichwort: société, Nr. 1588, bezeichnet die Rechtsprechung als beeinflusst durch einen „sage libéralisme“. 280 Weiss (1909), S. 322 f.; Loussouarn, in: Dalloz (Hg.), Répertoire des sociétés, Stichwort: sociétés étrangères (1971), Nr. 9. 281 Thaller, Journal des sociétés civiles et commerciales 2 (1881), 106, 107; s. a. Loussouarn, in: Dalloz (Hg.), Répertoire des sociétés, Stichwort: sociétés étrangères (1971), Nr. 9. 282 Siehe etwa Dalloz, Répertoire de législation, Bd. 30 (1853), Stichwort: Des lois de police et de sûreté qui obligent les étrangères, Nr. 448 ff., S. 187 ff.; Demolombe, Bd. 1 (1880), Nr. 70 ff., S. 85 ff.; Rogron, Bd. 2 (1836), Nr. 3, S. 2. Als Beispiele für die „lois de police et de sûreté“ wurden v. a. strafrechtliche Normen genannt. 283 Man berief sich auf die Worte der am Gesetzgebungsverfahren zum Handelsgesetzbuch Beteiligten, welche seinerzeit den Bezug des Konzessionserfordernisses nach Art. 37 cdc zur öffentlichen Ordnung und Sicherheit betont hatten, vgl. obige Nachweise in Fn 203 und 220 sowie Lescoeur (1877), Nr. 137 f., S. 104 f. Ebenso hob die Handelsrechtsliteratur stets den Ausnahmecharakter der Aktiengesellschaft und die damit einhergehende Notwendigkeit der Konzession als Gebot der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung hervor, vgl. bereits die Nachweise in Fn 203. Zur ähnlich gelagerten Sichtweise in Belgien und zur Würdigung des „ordre public“-Argumentes, vgl. nachfolgend Gliederungspunkt B. I. 2. c) bb), insbes. B. I. 2. c) cc) (3) (b).
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für nationale Aktiengesellschaften, so sei nach Teilen der Literatur zu bedenken, dass die Gefahr für das eigene Land und die eigene Wirtschaft die Gleiche sei, unabhängig davon, ob es sich um eine nationale oder ausländische Kapitalgesellschaft handele, von der diese Gefährdung ausginge.284 Zugespitzt formuliert Thaller: «L’autorisation de notre gouvernement est toujours requise, car on ne peut admettre que notre gouvernement délègue implicitement aux autres son droit de contrôle et de surveillance sur notre propre marché.»285 Ein Verzicht des französischen Staates auf ein Genehmigungserfordernis bezüglich fremder Aktiengesellschaften käme nach dieser Auffassung einer Preisgabe der Kontrolle über die eigene Wirtschaft zugunsten des Auslandes gleich. Von staatlicher Seite wies man demnach schon lange vor dem Rechtsprechungsumschwung der belgischen Gerichte auf den Kontrollzweck des Art. 37 cdc hin, der sich bereits aus den Beratungen zum französischen Handelsgesetzbuch ergab; ebenso nahm die Literatur entsprechende Bedenken in ihre Würdigung der Anerkennungsproblematik auf. Doch sollte (spätestens) die Entscheidung des belgischen Obergerichtes vom 8. Februar 1849286 der beschriebenen offenen Haltung der französischen Rechtsprechung (vorübergehend) Einhalt gebieten.287 Es ist daher zunächst der Blick auf die Haltung der Gesetzgebungsorgane in Belgien sowie anschließend auf Urteile der belgischen Rechtsprechung zu richten, die bewirkten, dass sich in der Folgezeit die Betrachtungsweise der französischen Gerichte zu ausländischen Aktiengesellschaften änderte. (2) Die Haltung belgischer Gesetzgebungsorgane und Verwaltungsbehörden (a) Fortgeltung des Konzessionserfordernis im nationalen Aktienrecht Nachdem die habsburgischen Niederlande im Jahre 1795 in die revolutionäre französische Republik einverleibt worden waren, fielen sie nach dem Zusammenbruch der Herrschaft Napoleons 1814 wieder dem Königreich der Niederlande zu und entwickelten sich im Zuge der Revolution von 1830 zum unabhängigen und eigenständigen Staat Belgien. Während dieser ganzen Zeit und darüber hinaus galt (und gilt) in Belgien der französische code de commerce.288 284
Thaller, Journal des sociétés civiles et commerciales 2 (1881), 106, 107. Thaller, Journal des sociétés civiles et commerciales 2 (1881), 106, 107. 286 Cour de cassation de Belgique, Urt. v. 8. Februar 1849, in: Pasicrisie belge 1849.1.221–241. 287 Siehe Cass. Req., Urt. v. 22. August 1860, in: Recueil Dalloz 1860.1.444 = Sirey, 1860.1.865; Cour imp. d’Aix, Urt. v. 17. Januar 1861, in: Sirey 1861.1.335; Cour de Paris, Urt. v. 15. Mai 1863, in: Recueil Dalloz 1863.2.84. 288 Im Laufe der Zeit entfernte sich freilich die belgische Version des code de commerce durch zahlreiche Gesetzesnovellen von der französischen Fassung. Vgl. allge285
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Nach der Erlangung der Unabhängigkeit Belgiens musste man sich mit dem übernommenen französischen Recht näher auseinandersetzen, insbesondere war fraglich, inwieweit der Konzessionszwang für die Aktiengesellschaft nach Art. 37 cdc mit der belgischen Verfassung vom 7. Februar 1831 und einem vorherigen Erlass der Übergangsregierung vom 16. Oktober 1830 in Einklang stand. Wie seinerzeit im Zuge der französischen Revolution, verankerte man nun auch in Belgien grundsätzlich das freiheitliche Prinzip: Der Erlass regelte bereits die Vereinigungsfreiheit, die Verfassung garantierte schließlich in ihrem Art. 20 dieselbe auf konstitutioneller Ebene.289 Frühzeitig erhoben sich in der jungen konstitutionellen Monarchie Stimmen, die die wirtschaftliche Entwicklung Belgiens unter Berufung auf die Aufhebung des Konzessionserfordernisses durch die Vereinigungsfreiheit stimulieren wollten.290 In der belgischen Repräsentantenkammer wurde diese Frage im Jahre 1835 kontrovers diskutiert. Es hatten sich unter den Abgeordneten zwei Lager gebildet: eines um M. Fallon, der die weitere Geltung des Art. 37 cdc für zwingend hielt und eines um M. Gendebien, der das Gegenteil proklamierte.291 In dieser Diskussion schienen schließlich die Befürworter des Konzessionssystems, zu denen auch der damalige belgische Justizminister Antoine-Nicolas-Joseph Ernst zählte, Oberhand zu gewinnen. Diese waren der Überzeugung, dass sich die Versammlungsfreiheit nicht auf privilegierte Vereinigungen wie die Aktiengesellschaft beziehe, da diese als Ausnahme des droit commun ohne jegliche persönliche Haftung im Rechtsverkehr auftrete. Da sich Art. 20 der Verfassung aber nur auf Vereinigungen beziehe, die persönlich haftende Mitglieder hätten, werde die Geltung des Art. 37 cdc nicht berührt.292 Zudem ergebe sich aus der Entstehungsgeschichte des Art. 37 cdc, dass der (französische) Gesetzgeber die besondere Rechtsform der Aktiengesellschaft nur im
mein zur Geschichte Belgiens und speziell zur belgischen Handelsrechtsgeschichte Holthöfer, in: Coing (Hg.), Handbuch, Bd. 3/1 (1982), S. 1069 ff. sowie ders., in: Coing (Hg.), Handbuch, Bd. 3/3 (1986), S. 3277, 3283 ff. 289 Der Erlass der Übergangsregierung vom 16. Oktober 1830 trug folgenden Inhalt: 1º Qu’il était permis aux citoyens de s’associer comme ils l’entendent, dans un but politique, religieux, philosophique, littéraire, industriel ou commercial. 2º Qu’aucune mesure préventive ne peut être prise contre le droit d’association. 3º Que ces associations ne peuvent prétendre à aucun privilège. 4º Que toutes lois ou articles des codes civil, pénal et de commerce qui gênent la liberté de s’associer, sont abrogés. Im Art. 20 der belgischen Verfassung hieß es kurz: Les Belges ont le droit de s’associer; ce droit ne peut être soumis à aucune mesure préventive. Beides ist (mit entsprechenden Hervorhebungen) abgedruckt in: Moniteur belge, Nr. 21 vom 21. Januar 1835 (5. Jg.), Spalte 7 f. 290 Dies berichten Ernst und Gendebien in der Sitzung des Chambre des représentants vom 7. Juni 1834, in: Moniteur belge, Nr. 159 vom 8. Juni 1834 (Jg. 4), durchgezählt Spalte 4 f. der Ausgabe. 291 Vgl. Sitzung des Chambre des représentants vom 20. Januar 1835, abgedruckt in: Moniteur belge, Nr. 21 vom 21. Januar 1835 (5. Jg.) und dessen „supplément“. 292 Vgl. Fallon am 20. Januar 1835, Fundstelle wie Fn 291, durchgezählt Spalte 9 der Ausgabe.
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öffentlichen Interesse, große Unternehmungen voranzutreiben, geschaffen habe. Aufgrund der konkreten Ausformung der société anonyme, welche die persönliche Haftung der Beteiligten vermissen ließ, wurde das Konzessionserfordernis als „Ersatzgarantie“ durch den Gesetzgeber eingeführt.293 Die Konzessionserteilung sei daher konstitutiv für die Entstehung der Aktiengesellschaft in ihrer konkreten Ausformung als juristische Person mit auf das Aktienvermögen begrenzter Haftbarkeit.294 Ein Wegfall des Art. 37 cdc hätte damit den Wegfall der kompletten Rechtsform der société anonyme zur Folge. Aufgrund der Gefahren, die der Rechtsform der Aktiengesellschaft innewohnten, habe der Gesetzgeber gerade die staatliche Autorisation für zwingend notwendig befunden und die Art. 29 ff. cdc zur Regelung der Aktiengesellschaft in einem stimmigen System mitsamt Konzessionserfordernis konzipiert und angeordnet.295 Der Abgeordnete Gendebien und dessen Anhänger legten die Verfassungsgarantie des Art. 20 weiter aus und gaben zu bedenken, dass der Gesetzgeber das Recht habe, die gesetzlichen Existenzbedingungen der société anonyme im Sinne einer Ausserkraftsetzung des Art. 37 cdc zu ändern;296 des weiteren sei Art. 37 cdc für die Konzeption der 293 Vgl. Fallon am 20. Januar 1835, Fundstelle wie Fn 291, Spalte 8 der ganzen Ausgabe: «Pour encourager ce genre d’industrie [qui pouvait exiger des capitaux considérables] l’article 37 du code de commerce autorisa la création de cet être moral, de cette personne civile où le fonds social seul répond des engagemens sociaux, où il est administré pour compte commun des actionnaires et créanciers, et où il n’y a de responsabilité personnelle pour personne. (. . .) En l’absence de toute responsabilité personnelle (. . .) il fallait (. . .) substituer quelque autre garantie à celle résultante de toute responsabilité personnelle et de contrainte par corps. Il fallait (. . .) ne pas oublier que la création d’une association ou être moral, ou personne civile, n’appartient qu’à la loi ou au pouvoir designé par elle. On plaça cette garantie dans le discernement, la prudence et la discrétion du pouvoir éxécutif chargé de veiller tout à la fois à l’intérêt de chacun comme à l’intérêt de tous, et c’est à ce pouvoir que la loi du code délégua le soin de permettre ou de refuser la création de la société anonyme.» [Hinzufügung durch Verf.] (Hervorhebung des Verf.). 294 Vgl. Fallon am 20. Januar 1835, Fundstelle wie Fn 291, Spalte 9 der Ausgabe, zur Frage, weshalb die Abschaffung des Konzessionssystems den Wegfall der Rechtsform der Aktiengesellschaft zur Folge haben sollte: «La raison en est fort simple. C’est que l’élément qui seul pouvait constituer l’être moral se trouvera détruit; et, en effet, en l’absence de l’art. 37, dont vous faites disparaître la disposition, les autres dispositions du code de commerce, relatives à la société anonyme, se trouveront paralysées sans que nous puissions rien trouver dans la législation qui puisse leur rendre de moyen d’action. (. . .) Ce n’est pas une simple formalité que prescrit l’art. 37 du code de commerce, ou si c’est une formalité, nous avons déjà suffisamment démontré qu’elle est substantielle et inhérente à l’acte même. À la loi seule ou au pouvoir qu’elle délègue, appartient exclusivement le pouvoir de constituer un être moral, une personne civile.» 295 Vgl. Fallon am 20. Januar 1835, Fundstelle wie Fn 291, Spalte 10 der Ausgabe: «Il n’est pas permis de scinder ainsi le système sur lequel le code de commerce a établi un régime tout exceptionnel. Les dispositions qui organisent ce système sont corrélatives.» 296 Vgl. Gendebien am 20. Januar 1835, Fundstelle wie Fn 291, Spalte 10 der Ausgabe: «(. . .) je dis que si c’est [= l’approbation du roi] une condition essentielle résultant du code de commerce, tout législateur postérieur possédant le même droit, pouvait
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Aktiengesellschaft nicht systemtragend.297 Die behauptete „Ersatzgarantie“ (in Form der Überprüfung der Statuten bei Konzessionserteilung) des Gesetzgebers für die fehlende persönliche Haftung der Gesellschafter sei für die Öffentlichkeit praktisch ohne Wert: «Mais voyons en fait qu’elles garanties le public trouve dans l’autorisation royale: qu’est-ce que c’est que cette garantie? On s’adresse au gouvernement; le gouvernement renvoie au chef de bureau, lequel déclare que dans son opinion la société anonyme peut être autorisée sans danger . . . Sans danger: est-ce pour le commerce? Quelles garanties la décision de chef de bureau ou des ses supérieurs, peut-elle donner au commerce? Aucune. Un négociant peut-il, lorsqu’il s’agit de confiance ou de sécurité, attacher la moindre importance à l’opinion d’un commis, ou de tout autre? Savez-vous de quel danger ce commis est préoccupé? de quel danger on a voulu se garantir par l’art. 37? C’est du danger que les gouvernemens despotiques voient partout; ils tremblent dès qu’ils voient deux hommes se réunir; ils tremblent dès qu’ils voient trois hommes s’entretenir au coin d’une rue; ils tremblent dès qu’ils voient deux hommes mettre ensemble des capitaux: ces hommes peuvent payer des conspirations! peuvent ourdir les trames les plus noires! ils travaillent réunis et en secret, dès lors ils sont dangereux! C’est pour donner de la sécurité aux gouvernemens que l’art. 37 a été fait; et je défie les plus malins de nous montrer que l’approbation royale exigée par l’art. 37 donne de la sécurité à d’autres qu’aux gouvernemens.»298 Der Abgeordnete Gendebien traf den Nagel auf den Kopf, indem er auf den wahren Charakter des Konzessionserfordernisses – der staatlichen Kontrolle über juristische Personen – hinwies.299 Dieser Einwand wurde vom Justizminister Ernst sehr schnell mit dem Hinweis auf die fehlende Normierung einer Sanktion bei Missachtung von Art. 37 cdc abgewiegelt;300 stattdessen schmückte Ernst die aussi établir une autre condition substantielle tout à fait différente, ou effacer la condition substantielle du législateur précédent. » [Hinzufügung durch Verf.]. 297 Gendebien am 20. Januar 1835, Fundstelle wie Fn 291, Spalte 10 der Ausgabe: «Lisez le code depuis l’article 29 jusqu’à l’art. 37 exclusivement, et vous verrez que la société anonyme peut exister avec ou sans la condition de l’article 37.» 298 Gendebien am 20. Januar 1835, Fundstelle wie Fn 291, Spalte 11 der Ausgabe. Entsprechend hatte man von französischer Regierungsseite bereits frühzeitig klargestellt, dass die Konzession der Regierung keinerlei Garantie für den wirtschaftlichen Erfolg der Unternehmung darstelle, sondern schlussendlich jeder Private selbst entscheiden müsse, ob er aufgrund der von der Regierung konzessionierten Statuten in die Kapitalgesellschaft investieren möchte, vgl. hierzu Troplong (1843), Nr. 472, S. 180; s. a. die Nachweise bei Lescoeur (1877), Nr. 413, S. 297 f., zur Haltung der belgischen Handelskammer im Jahre 1837. Auch in der belgischen Literatur sprachen sich ab den 1840er Jahren Autoren für die Abschaffung der Konzession aus, vgl. etwa Bonne (1841), S. 6. 299 Vgl. hierzu bereits Gliederungspunkt B. I. 2. b) bb) (3). 300 S. Ernst am 20. Januar 1835, Fundstelle wie Fn 291, durchgezählt Spalte 8 des suppléments zur Ausgabe Nr. 21. Das Argument von Ernst überzeugt indes nicht. Locrés Aufzeichnungen, in: Bd. 17 (1829), S. 191 ff. (Sitzung des Conseil d’état vom 15. Januar 1807), zeigen, dass man über einen möglichen „Sanktionsmechanismus“ im
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bereits von Fallon dargelegten Argumente mit eigenen Worten aus. Trotz dieser hitzigen Debatte war für die Abgeordneten eines klar: Sofern der Gesetzgeber keine explizite Regelung zur Lösung der Frage bereitstelle, so sei es allein Sache der Gerichte über die Fortgeltung von Art. 37 cdc zu entscheiden. Käme die Judikative zu dem Ergebnis, dass Art. 37 cdc fortbestehe, so hätte diese adäquate Sanktionen für ein fehlendes Konzessionsgesuch zu verhängen, da das Gesetz zur Rechtsfolgenfrage der Nichteinhaltung schwieg.301 Die Gerichte, zunächst die Cour d’appel de Bruxelles im Jahre 1836, schließlich die belgische Cour de cassation im Jahre 1842, kamen dieser Aufforderung sehr bald nach und entschieden im Sinne der Fortgeltung von Art. 37 cdc.302 zivil- oder gar strafrechtlichen Sinne gar nicht nachgedacht hatte. Vielmehr war man sich darüber einig, dass die Aktiengesellschaft als neuartige Erscheinung nicht abschließend geregelt werden konnte. Insofern lag es nahe, die Entwicklung der neuen Rechtsform abzuwarten und weitere Vorschriften nach Bedarf zu erlassen bzw. nicht geregelte Fragen der Entscheidung der Gerichte zu überlassen. Dieser Aufgabenstellung kamen die französischen Gerichte auch nach, denn sie entschieden ab dem zweiten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts über die Rechtsverhältnisse von den Teilhabern zu Dritten bzw. den Aktionären untereinander bei einer nicht autorisierten Aktiengesellschaft und ordneten regelmäßig deren Abwicklung an; vgl. nur Dalloz, Répertoire de législation, Bd. 40 (1859), Stichwort: société, Nr. 1463 ff., S. 693. Damit stand fest, dass eine „Sanktion“ zumindest in Form der vollen persönlichen Haftung von bestimmten Gesellschaftern auch ohne gesetzliche Regelung der Rechtsfolgen eines Verstoßes möglich war und praktiziert wurde. In Frankreich hatte das ministerielle Rundschreiben vom 9. April 1819, in: Dalloz, Répertoire de législation, Bd. 40 (1859), Stichwort: société, Tableau nach Nr. 68, S. 380, klargestellt, dass Aktiengesellschaften ohne Konzession nichtig seien und deren Aktionäre eine persönliche Haftung zu befürchten hätten. Solche Fälle seien außerdem den Gerichten anzuvertrauen: «Vous devez aussi déférer à la justice quand il y a lieu, ceux qui essayeraient d’agir contre la disposition de la loi, ou en vertu des sociétés imaginaires, puisque, suivant l’expression du code, sans l’autorisation royale elles n’existent pas.» Für Belgien stellt Godet, Revue belge 1837, 83, 90, fest: «La nécessité de cette autorisation supplée aujourd’hui à l’insuffisance des prescriptions de la loi. Le gouvernement, maître de refuser son approbation, peut y mettre des conditions. C’est ce qui a été fait en France par des instructions ministérielles. Chez nous, un projet d’arrêté royal sur le même sujet a été élaboré (. . .).» Auch in Belgien machte man sich somit in Anlehnung an das französische Vorbild weiterführende Gedanken zur Konzession und deren Reichweite. 301 Vgl. nachfolgende Abgeordnete in der Sitzung vom 20. Januar 1835, Fundstelle wie Fn 291: Gendebien, Spalte 10: «Je ne sais s’il peut convenir à la chambre de se transformer en cour de justice ou de continuer son rôle de législateur.»; Lebau, Spalte 4 des „suppléments“: «L’art. 37 du code de commerce n’a pas de sanction. La question ne peut avoir d’autre solution que par la décision du pouvoir judiciaire. Il n’appartient qu’au pouvoir judiciaire de la traiter, à moins qu’on ne fasse une proposition législative»; ähnlich der Innenminister, Spalte 4 des „suppléments“. 302 Cour d’appel de Bruxelles, Urt. v. 1. Juni 1836, in: Annales de la jurisprudence belge, 1836. 2.510 ff. und Cass. Crim., Urt. v. 26. Mai 1842, in: Pasicrisie belge, 1842.1.218 ff. Ersteres Gericht führte aus (vgl. S. 513): «(. . .) cette condition de l’autorisation du gouvernement est une formalité substantielle et constitutive de cette espèce de société (. . .) elle est une garantie spéciale substitutée à celle qui existait avant le Code, savoir l’obligation personnelle et solidaire des sociétaires gérans envers les tiers (. . .).» Konsequenterweise folge hieraus: «(. . .) que ses administrateurs gérans ne peuvent (. . .) invoquer le privilège de l’art. 32». Der Generalstaatsanwalt Leclercq (Paisci-
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Somit stufte man auch in Belgien das Konzessionserfordernis als zwingend ein und damit als ein Bedürfnis des ordre public. Die Zuerkennung der kompletten Rechtspersönlichkeit mit der typischen Haftungsbeschränkung galt (weiterhin) als von staatlichem Ermessen abhängiges, zuerkanntes „Privileg“.303 (b) Behandlung von ausländischen Aktiengesellschaften In dieser Zeit mussten sich die belgischen Behörden auch zum ersten Mal mit dem Problem der Konkurrenz französischer Aktiengesellschaften in Belgien befassen. Ähnlich wie sich in Frankreich nationale Aktiengesellschaften über die belgische Konkurrenz echauffiert hatten, hatten auch belgische Aktiengesellschaften erste Beschwerden an das belgische Innenministerium sowie die Repräsentantenkammer gerichtet. Die belgischen Versicherungsaktiengesellschaften beklagten, dass Agenten französischer Versicherungsaktiengesellschaften in Belgien ohne Konzession des belgischen Königs tätig geworden waren und erbaten vom Innenminister, solche Gesellschaften zu verbieten.304 Der damals noch nicht das Amt des Justizministers bekleidende Abgeordnete Ernst, der sich – wie gerade aufgezeigt – nur wenige Monate später vehement für die Fortgeltung des Konzessionserfordernisses im nationalen Gesellschaftsrecht einsetzen sollte, äußerte sich zur Anerkennungsfrage in sehr liberaler Weise: Es entspreche den principes de droit, die Rechtsfähigkeit einer nach französischem Recht wirksam gegründeten Aktiengesellschaft in Belgien automatisch anzuerkennen. Dieses Anerkennungsprinzip harmoniere mit der öffentlichen Ordnung, zumal ein Unterschied zwischen Aktiengesellschaften und anderen Vereinigungen nach der Auffassung von Ernst nicht erkennbar sei.305 Der Einwand eines Zusammenhangs risie belge 1842.1.233) bezeichnet Art. 37 cdc im Vorfeld des Urteils des Kassationshofes als «gardienne de la morale publique et du crédit public». 303 Vgl. allgemein zur restriktiven Haltung Belgiens gegenüber der Zuerkennung von Rechtspersönlichkeit gegenüber Personenvereinigungen ohne lukrativen Zweck: Holthöfer, in: Coing, Handbuch, Bd. 3/1 (1982), S. 1069, 1153–1156. Mittels Art. 2 des Gesetzes vom 18. Mai 1873 (siehe Pasinomie, 4. Serie (1873), S. 150 ff.) wurde der Status der juristischen Person schließlich allen (als weniger gefährlich als nicht-kommerzielle Vereinigungen eingestuften) Handelsgesellschaften gesetzlich zuerkannt. So schreibt Lescoeur (1877), Nr. 416, S. 300: «Elle [la loi du 18 mai 1873] reconnait cinq espèces de sociétés commerciales: (. . .) chacune d’elles constitue une individualité juridique distincte de celle des associés.» [Hinzufügung durch Verf.]. Mit dieser Gesetzesnovelle wurde gleichzeitig das Konzessionssystem abgeschafft. S. hierzu im Detail Holthöfer, in: Coing, Handbuch, Bd. 3/3 (1986), S. 3277, 3320 f. 304 Vgl. hierzu Ernst in der Sitzung des Chambre des représentants vom 7. Juni 1834, abgedruckt in: Moniteur belge, Nr. 159 vom 8. Juni 1834 (4. Jg.), durchgezählt Spalte 4 der Ausgabe. 305 Vgl. Ernst am 7. Juni 1834, Fundstelle wie Fn 304: «Les petitionnaires euxmêmes disent que l’association est une espèce d’être morale. Il faut dès-lors voir où elle prend naissance. C’est là qu’elle doit remplir les conditions de vie.» Hier werden ebenso erste Ansätze zur Unterscheidung von Anerkennung und Bedingungen der Zulassung zum Gewerbebetrieb sichtbar, denn Ernst weist zudem auf die Möglichkeit hin,
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mit dem ordre public sei unhaltbar, denn es stünde regelmäßig im privaten Interesse jedes Vertragspartners sich über die wirksame Gründung, Rechtschaffenheit und Zahlungsfähigkeit einer (ausländischen) Gesellschaft zu informieren.306 Die Nichtanerkennung fremder Gesellschaften bediene allein die illegitimen Interessen der heimischen Konkurrenten: «Les compagnies étrangères ont fait beaucoup d’assurances en Belgique, et je ne crois pas que le gouvernement pense à s’y opposer. Depuis trois ans, on le stimule, mais il résiste et il a raison. En effet, quel est celui qui se plaint? Ce sont des interéssés, ce sont les compagnies d’assurances belges qui voudraient exercer un monopole en Belgique.»307 Das Schreckgespenst des Monopols wird nun im Sinne der ausländischen Aktiengesellschaften instrumentalisiert, denn Ernst weist darauf hin, dass die fremde Konkurrenz einem Monopol belgischer Aktiengesellschaften entgegenwirkte und die Belebung des Versicherungsmarktes schließlich zu sinkenden Versicherungsprämien führen würde.308 Neben der Belebung der eigenen Wirtschaft räumt Ernst die rechtspolitische Notwendigkeit der Anerkennung französischer Aktiengesellschaften aus dem Blickwinkel der Gegenseitigkeit ein und weist damit implizit auf die drohenden Retorsionmaßnahmen Frankreichs für den Fall der Nichtanerkennung derer Aktiengesellschaften hin: «Maitenant le commerce de la Belgique et des pays étrangers est intéressé dans la question, parce qu’il s’agit de savoir si les étrangers pourront faire librement le commerce en Belgique, et si les Belges pourront le faire librement à l’étranger. C’est donc une question de réciprocité. Or, la réciprocité existe-t-elle? Si elle n’existait pas, je serais le premier à m’élever contre les privilèges qui seraient accordés aux étrangers dans notre dass man der in Belgien tätigen französischen Aktiengesellschaft eine Gewerbesteuer abverlangen könne, ebenso wie dies in Frankreich für belgische Aktiengesellschaften bereits der Fall sei. 306 Gemäß Ernst, Fundstelle wie Fn 304, sei es alleinige Sache desjenigen, der mit der Gesellschaft kontrahiere, die wirksame Gründung im Ausland zu verifizieren. Damit stehe fest: «Mais l’ordre public n’y est aucunement intéressé.» Auch der Abgeordnete Gendebien äußerte sich gleichförmig, s. ibidem, Spalte 5: «Les étrangers ont le droit de s’associer en Belgique. Ainsi s’ils représentent une société établie ailleurs, c’est comme si elle l’était ici. La seule difficulté est de savoir s’ils ont rempli dans leur pays les formalités voulues. C’est (. . .) une question de pur intérêt privé. C’est à ceux qui traitent à savoir avec qui ils traitent. » 307 So Ernst, Fundstelle wie Fn 304. 308 Laut Ernst, Fundstelle wie Fn 304, habe die marktbeherrschende Stellung belgischer Aktiengesellschaften unlängst zu überhöhten Prämien geführt, doch habe sich die Lage dank der Konkurrenz aus dem Ausland mittlerweile wieder entspannt: «C’est la concurrence des associations étrangères qui a forcé les sociétés belges à baisser leur primes.» Die überhöhten Preise hätten dazu geführt, dass sich belgische Marktteilnehmer gar bei günstigeren deutschen oder französischen Aktiengesellschaften versichert hätten. Da es aber vielmehr eine Notwendigkeit der öffentlichen Ordnung sei, dass sich der Versicherungsschutz zur Absicherung von Risiken in Belgien vergrößere, müsse alles an eine Senkung der Prämien gesetzt werden. Im Folgenden fügt Ernst hinzu, dass sich die Zahl der belgischen Versicherungsgesellschaften seit 1829 trotz der starken ausländischen Konkurrenz stetig vermehrt hätte, vgl. durchgezählt Spalte 5 der Ausgabe.
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B. Umgang mit fremden Gesellschaften aus rechtshistorischer Perspektive
pays, si en retour ils ne nous accordaient de leur côté les avantages dont ils jouissent chez nous. Mais la réciprocité existe.»309 Ernst geht anschließend ausführlich auf gleich geartete Beschwerden französischer Aktiengesellschaften gegenüber der französischen Regierung ein und erbittet von den anwesenden Delegierten besondere Aufmerksamkeit bei der Beschreibung der Haltung des französischen Staates gegenüber der Anerkennungsfrage: «Qu’à répondu le gouvernement français à ces réclamations du commerce indigène? Je vous prie de faire attention à cette réponse. Il a répondu qu’il n’avait entre les mains aucun moyen de faire cesser ces prétendus abus, qu’aucune pénalité n’était établie à l’égard de la concurrence des sociétés étrangères, et qu’il n’avait pas le pouvoir de les interdire.»310 Zwar wäre man sich in Frankreich über die Möglichkeit einer gesetzlichen Regelung zur Nichtanerkennung bewusst gewesen, doch habe man sich auch dort vor der Einführung einer solchen gehütet, da man sich der Gefahr gleich gerichteter Gegenmaßnahmen des Auslandes erwehren wollte. Entsprechendes gelte natürlich für Belgien: Würde man die Petition der belgischen Versicherungsgesellschaften an den belgischen Innenminister weiterleiten, dann würde man ihn darum bitten, von einem Recht Gebrauch zu machen, welches ihm weder zustehe, noch der eigenen Wirtschaft zuträglich sei.311 Ergänzend wies Ernst schließlich darauf hin, dass die Anerkennungsfrage in den linksrheinischen Gebieten Preußens, in denen ebenfalls der code de commerce galt, bisher keinerlei Probleme aufgeworfen hätte.312 Vergleicht man die Äußerungen Ernsts in beiden Sitzungen, so scheint man auf einen Widerspruch zu stoßen. Einerseits sei für die heimischen Gesellschaften im Interesse der öffentlichen Ordnung am Konzessionserfordernis als konstitutivem Gründungselement einer Aktiengesellschaft festzuhalten, andererseits sei die Frage der wirksamen Gründung einer ausländischen Gesellschaft eine Angelegenheit, die rein private Interessen betreffe. Wie passen diese Äußerungen zueinander? Die Antwort auf diese Frage ist weniger im rechtlichen Bereich zu suchen als in der puren praktischen Notwendigkeit – dem faktischen Zwang zur Anerkennung. Die Angst vor der kompletten Lähmung der nationalen Wirtschaft durch drohende Retorsionsmaßnahmen des Auslandes, die sich in den Aussagen Ernsts widerspiegeln, scheint die Furcht vor dem Einfluss fremder Aktiengesellschaften auf Wirtschaft und Politik zu überwiegen.313 Die staatliche Kontrolle
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So Ernst, Fundstelle wie Fn 304, durchgezählt Spalte 5 der Ausgabe. So Ernst, Fundstelle wie Fn 304, durchgezählt Spalte 5 der Ausgabe. 311 Vgl. Ernst, Fundstelle wie Fn 304, durchgezählt Spalte 5 der Ausgabe. 312 Vgl. Ernst, Fundstelle wie Fn 304, durchgezählt Spalte 5 der Ausgabe. 313 Wie im Folgenden (Gliederungspunkt B. I. 2. c) bb) (4)) zu zeigen sein wird, führten diese Motive zum Erlass des belgischen Anerkennungsgesetzes von 1855. Eine 310
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über Gründungsbedingungen von Aktiengesellschaften ließ sich in der Praxis nur auf nationale Gesellschaften ausdehnen; zudem war man in gewisser Weise aber wenigstens in Teilbereichen vor der Machtausweitung ausländischer Aktiengesellschaften geschützt, denn beispielsweise galten die Erwerbsbeschränkungen des code civil für juristische Personen auch für ausländische Aktiengesellschaften.314 Zuletzt ist zu bedenken, dass eine Sanktion für die Nichteinholung der Konzession der nationalen Aktiengesellschaft ebenfalls „nur“ in Form der Nichtanerkennung der für die Aktiengesellschaft typischen Haftungsbeschränkung auf das Aktienvermögen praktiziert wurde.315 bb) Der Umschwung durch den französisch-belgischen Konflikt Dieser im Grundsatz liberale Zustand änderte sich Mitte der 40er Jahre des 19. Jahrhunderts, denn einige belgische Untergerichte begannen nun, an der Parteifähigkeit französischer Aktiengesellschaften zu zweifeln.316 Die maßgeblichen Urteile sind einer ausführlichen Analyse zu unterziehen, um die Gründe des Rechtsprechungswechsels zu identifizieren. (1) Belgische Rechtsprechung Auch französische Handelsgesellschaften waren ursprünglich – ebenso wie belgische Gesellschaften in Frankreich – aus Sicht der Judikative in Belgien stets willkommen. Doch zeigten sich ab dem Jahre 1844 auch in Belgien erste Widerstände der Rechtsprechung speziell gegen die rechtliche Anerkennung ausländischer Aktiengesellschaften: «Mais une certaine sorte de sociétés, celle qui se constituent par actions et dans la forme anonyme, ont été considérées comme présentant un danger public; on a pensé qu’elles ne devaient pas s’établir sans des garanties particulières; l’art. 37 du Code de commerce franco-belge avait subordonné l’existence de chacune d’elles à une approbation de ses statuts et à weitergehende Wertung der Entwicklung der Anerkennungsproblematik wird im Punkt B. I. 2. c) cc) vorgenommen. 314 Vgl. etwa Art. 537 oder 910 des code civil in seiner Originalfassung und zur Geltung dieser Beschränkungen auch für ausländische juristische Personen nur Laurent, Bd. 4 (1880), Nr. 137 ff., S. 270 ff. Hierzu passt auch das Urteil des französischen Conseil d’Etat vom 12. Januar 1854, in: Recueil Dalloz 1856.3.16 (linke Spalte), das klarstellt, dass die Beschränkung des Art. 910 c. civ. für «tout établissement d’utilité publique étranger » gelte; s. hierzu auch die Bewertung von Lyon-Caen (1870), S. 23. 315 Vgl. nur Moniteur belge, Nr. 118 vom 28. April 1837 (7. Jg.), Spalte 3 der Ausgabe: «Jusqu’ici la plupart des sociétés non autorisées ont continué leurs opérations. Le gouvernement, dans l’état actuel de la législation, ne peut y porter obstacle; ce sera aux tribunaux, le cas échéant, à décider quelles sont les conséquences de la responsabilité de ceux qui prennent part à l’administration: ce n’est plus ici qu’une question d’intérêt privé.» 316 Vgl. hierzu nachfolgend Gliederungspunkt B. I. 2. c) bb) (1) (a).
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une autorisation émanant du gouvernement. C’est à ses sociétés que, dès l’année 1844, certains tribunaux belges opposèrent une fin de non recevoir.»317 (a) Uneinheitliche Rechtsprechung der Untergerichte Der Streit um die Anerkennung ausländischer Aktiengesellschaften entflammte 1844 zwischen Belgien und Frankreich. Gestritten wurde darüber, ob ausländische Aktiengesellschaften, insbesondere Versicherungsgesellschaften,318 in Belgien als bestehend und damit als rechts- bzw. parteifähig angesehen werden sollten, sofern diese nicht über eine Genehmigung (autorisation) des belgischen Königs verfügten. Einige belgische Friedensrichter und Zivilgerichte unterer Instanzen verwehrten sich in unterschiedlichen Urteilen gegen die automatische Anerkennung ausländischer Kapitalgesellschaften in der Form der AG.319 So sprach der Friedensrichter von Mons am 25.11.1845 der französischen Feuerversicherungs-Aktiengesellschaft Sauveur die Fähigkeit ab, als Klägerin vor dem belgischen Gericht aufzutreten, da diese über keine Genehmigung des belgischen Königs verfügte.320 Die Sauveur handelte als société anoyme in Belgien, hatte aber ihren Sitz in Paris. Diese Gesellschaft hatte nie den Versuch unternommen, eine Genehmigung des belgischen Königs zu beantragen, obwohl nach Ansicht des Gerichtes eine solche nach Art. 37 des belgischen code de commerce zwingend nötig gewesen wäre.321 Besagte Norm sah ein Genehmigungserfordernis der Regierung für die Gründung jeder Aktiengesellschaft vor. Der Richter schloss aus dieser Vorschrift, dass eine französische Aktiengesellschaft in Belgien nichts weiter als ein „Embryo“ sei: «(U)ne autorisation du gouvernement belge (. . .) seul aurait dû la créer, lui donner l’être, la constituer et la reconnaître, pour qu’elle ait vie et puissance d’agir en Belgique.»322
317 Lainé, Clunet 20 (1893), 273, 304; ähnlich der Belgier Poullet, Clunet 31 (1904), 820, 823. 318 Namur, Clunet 4 (1877), 381: «Cette question avait une grande importance pratique, spécialement pour les sociétés françaises d’assurances, qui faisaient en grand nombre d’opérations en Belgique.» 319 In diesem Sinne entschieden etwa die Zivilgerichte von Namur und Brüssel, vgl. Tribunal civil de Namur, Urt. v. 10. Juni 1846, in: La Belgique Judiciaire 4 (1846), Spalte 1125 f.; Tribunal civil de Bruxelles, Urt. v. 12. Dezember 1846, in: La Belgique Judiciaire 5 (1847), Spalte 7 f. 320 Urteil teilweise abgedruckt, in: La Belgique Judiciaire 5 (1847), Spalten 161 ff. sowie in: Recueil Dalloz 1847.3.68 (linke und mittlere Spalte). Zur Institution des Friedensrichters in Belgien, vgl. etwa die unter http://www.belgium.be/fr/ hinterlegte Broschüre „Le juge de paix. Le juge le plus proche du citoyen.“ (Abruf vom 2.5.14). 321 Vgl. hierzu die Geschichte des französischen und des belgischen Aktienrechts, Gliederungspunkte B. I. 2. b) bb) und B. I. 2. c) aa) (2). 322 S. Recueil Dalloz 1847.3.68 (mittlere Spalte).
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Selbst wenn das Genehmigungserfordernis durch die allgemein gehaltene Anordnung der Übergangsregierung vom 16. Oktober 1830 für jegliche Arten von Gesellschaften und Vereinigungen aufgehoben worden wäre, so hätte doch diese Anordnung mit Nichten zur Folge, dass sämtliche Formalitäten, die der Einhaltung der öffentlichen Ordnung – des ordre public – dienten, nun nicht mehr befolgt zu werden bräuchten, um eine Gesellschaft wirksam zu gründen. Die Tatsache, dass die Gründung einer Aktiengesellschaft zweifelsohne die öffentliche Ordnung eines Staates beträfe, belegt das Gericht mit einem Zitat Regnauds, dass bereits zur Zeit der Einführung des code de commerce die Notwendigkeit des Konzessionssystem widerspiegelt: Schlecht geführte Aktiengesellschaften seien im Stande, die öffentliche Ruhe und Ordnung zu gefährden.323 Da die Sauveur aber ihre rechtlich wirksame Existenz in Belgien nicht nachweisen könne, so müsse sie vor belgischen Gerichten – unabhängig von ihrem Bestehen in Frankreich – als nichtig und folglich inexistent gelten, so dass sie weder eine natürliche Person noch eine juristische Person darstellen könne.324 Demzufolge, d.h. mangels der Eigenschaft einer rechtsfähigen Person, könne sich die Sauveur nicht auf die Rechte aus Art. 3, 11 und 15 code civil berufen:325 «(. . .) elle n’a pas d’existence vis-a-vis de ce pays [la Belgique], on ne peut raisonnablement pas lui donner un état ou une capacité quelconque.»326 Es sei nicht möglich, die Sauveur als eine Erscheinung des Personengesellschaftsrechts einzuordnen, denn erstens ginge es allein um einen Rechtsstreit zwischen der Sauveur als möglichem Rechtssubjekt und dem Beklagten und zweitens könne es niemals von dem Belieben einer vorladenden Partei abhängig sein, dass diese ihre Rechtsqualität ändere, sofern diese Wandelung gerade ihren Interessen besser entspräche. Anderenfalls entziehe man der geladenen Partei jegliche Verteidigungsmöglichkeit und diese befände sich – wie sich das Gericht ausdrückt – unerwartet in einer Art Hinterhalt. Die Klage der Sauveur sei damit als unzulässig abzuweisen.327 323
Siehe hierzu bereits oben, Gliederungspunkt B. I. 2. b) bb). Vgl. Urteilsauszug, in: La Belgique Judiciaire 5 (1847), Spalte 161: «(. . .) elle [la Société dite du Sauveur] ne peut être (. . .) ni personne civile privée, ni personne civile morale; (. . .)». [Hinzufügung durch Verf.]. 325 Neben dem bereits erwähnten Prinzip der „personnalité des lois d’état et de la capacité“ gemäß Art. 3 code civil und der Zivilprozessregel des Art. 15 code civil berief sich die Gesellschaft auf Art. 11 code civil, der folgenden Inhalt aufweist: L’étranger jouira en [Belgique] des mêmes droits civils que ceux qui sont ou seront accordés aux [Belges] par les traités de la nation à laquelle cet étranger appartiendra. Der Wortlaut des Art. 15 c. civ. lautet: Un [Belge] pourra être traduit devant un tribunal de [Belgique], pour des obligations par lui contractées en pays étranger, même avec un étranger. [In der französischen Fassung des c. civ. wird entsprechend auf Frankreich/ Franzosen Bezug genommen.] 326 Urteilsauszug, in: La Belgique Judiciaire 5 (1847), Spalte 162. 327 Urteilsauszug, Fundstelle wie Fn 326. Die Sauveur unternahm in einem späteren Prozess vor dem französischen Handelsgerichts der Seine den Versuch, sich diese re324
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Dieser Ansicht, dass eine ausländische Aktiengesellschaft mangels der nötigen Konzession nach Art. 37 des belgischen code de commerce nicht rechtsfähig sei, schlossen sich weitere belgische Gerichte an.328 Als weiterer Beleg für die aufkommende ablehnende Haltung einzelner belgischer Untergerichte gegen französische Aktiengesellschaften möge das Urteil des Zivilgerichts von Namur vom 10. Juni 1846 dienen.329 Die französische Aktiengesellschaft La France trat in diesem Prozess als Klägerin auf. Das Gericht stützte die mangelnde Parteifähigkeit der Gesellschaft ebenfalls auf die fehlende königliche Konzession i. S. v. Art. 37 des belgischen Handelsgesetzbuches. Die Bedeutung dieser Vorschrift für die öffentliche Ordnung und das Gemeininteresse sei immens. Sinn und Zweck des Art. 37 cdc sei es im Allgemeinen, die Gründung sittenwidriger und den staatlichen Gesetzen zuwiderlaufender Gesellschaften zugunsten der Redlichkeit des Handelsverkehrs und der ordnungsgemäßen Geschäfte zu unterbinden. Demgemäß stehe das Recht zur Beurteilung einer solchen Gesellschaft der Regierung jedes Landes zu, in dem die Aktiengesellschaft in ihrer Eigenschaft als Kapitalgesellschaft tätig werden wolle.330 Unerheblich sei hingegen, ob die Gesellschaft ihren Sitz im Ausland habe und gemäß den gesetzlichen Bestimmungen ihres Heimatlandes ordnungsgemäß gegründet wurde, denn ansonsten bestehe die Gefahr einer Gesetzesumgehung, welche diejenigen Gesellschaften, die in Belgien keine Genehmigung erhalten hatten, in die Lage versetzte, über die Hintertür der Niederlassung im Ausland doch noch in Belgien als (Aktien-)Gesellschaft ungehindert tätig werden zu können: «Qu’il importe peu qu’elle ait son siège en pays étranger et qu’elle soit constituée aux termes de la législation de ce pays, puisqu’autrement il en résulterait qu’une Société à qui le gouvernement belge aurait refusé son autorisation pourrait, en s’établissant en pays étranger, éluder ce refus et venir en Belgique traiter comme Société au mépris d’une réprobation du gouvernement, ce qui n’est pas admissible;».331 Das Gericht weist somit auf das hohe Missbrauchspotential von im eigenen Land nicht erwünschten Gesellschaften hin. Mit der Frage, ob die ausländische
striktive Haltung gegenüber ihrer Rechts- und Parteifähigkeit in Belgien selbst zu Nutze zu machen, vgl. Recueil Dalloz 1847.3.68 f. 328 So jeweils die Urteile der Friedensrichter von Menin vom 14.12.1844, des zweiten und dritten Kantons Brüssels vom 16. Juni 1845 sowie von Quevaucamps vom 30. Juni 1846 – Quellen nach Recueil Dalloz 1847.3.68, dortige Fußnote. 329 Tribunal civil de Namur, Urt. v. 10. Juni 1846, in: La Belgique Judiciaire 4 (1846), Spalte 1125 f. 330 Tribunal civil de Namur, Fundstelle wie Fn 329: «(. . .) le droit d’appréciation appartient au gouvernement de tout pays où pareille Société veut agir comme telle; ». 331 Tribunal civil de Namur, Fundstelle wie Fn 329, Spalte 1126; freilich ist damit der erste Schritt in Richtung Sitztheorie bereits gemacht, vgl. hierzu Gliederungspunkt B. II.
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Aktiengesellschaft über eine eigene Rechtsfähigkeit verfüge und dies zur Folge habe, dass der Gesellschaft ihr Personalstatut überall hin folge, setzt sich das Gericht nicht näher auseinander; jedenfalls hätten nämlich die Regelungen zum Personalstatut hinter widerstreitenden Erwägungen des ordre public und des Allgemeininteresses zurückzutreten.332 Folglich wurde die Klage aufgrund mangelnder Rechts- bzw. Parteifähigkeit der Klägerin La France als unzulässig abgewiesen.333 Doch war die Rechtsprechung insoweit alles andere als einheitlich, wie u. a. das Urteil des Friedensrichters des nördlichen und östlichen Kantons in Gand vom 27. März 1846 demonstriert.334 Der belgische Beklagte Monsieur Van der Gucht wurde von der französischen Aktiengesellschaft La France auf Zahlung der vereinbarten Prämien aus einem geschlossenen Versicherungsvertrag in Anspruch genommen. Der Beklagte verwies auf die mangelnde Parteifähigkeit der Gesellschaft (in Form ihres Vertreters). Die auch in Belgien bestehende Rechts-, Geschäfts- und Parteifähigkeit dieser französischen Aktiengesellschaft wird im Richterspruch auf den französischen Art. 37 code de commerce gestützt: «Attendu que la Compagnie demanderesse a été autorisée, par arrêté du roi des Français, en date du 27 février 1837, et que les statuts ont été approuvés par la même arrêté, qu’ainsi, aux termes de l’art. 37 du Code de commerce français, elle a une existence légale et capacité de contracter et d’ester en justice;».335 Der Friedensrichter begründet sein Urteil auch mit Art. 15 (des belgischen) und Art. 3 Abs. 3 (des französischen bzw. in einem Umkehrschluss des belgischen) code civil, nach denen ein rechtsfähiger Ausländer einen Belgier vor einem belgischen Gericht verklagen könne und einer französischen Person ihr Personalstatut auch ins Ausland folge. Zudem gab er zu bedenken, dass die belgischen und französischen Gesetze in Bezug auf die Wirksamkeitsvoraussetzungen einer Aktiengesellschaft sowohl den gleichen Prinzipien folgten als auch besagte Gesellschaften den gleichen Formalitäten unterwerfe. Damit weist der Richter wohl implizit einen möglichen ordre-public-Einwand i. S. v. Art. 3 Abs. 1 c. civ. zurück. Da die Gültigkeit der Versicherungsverträge zwischen der Gesellschaft 332 Tribunal civil de Namur, Fundstelle wie Fn 329, Spalte 1126. Das Gericht geht hier davon aus, dass das domicile der Gesellschaft, welches ihr Personalstatut determiniert, identisch mit ihrem Gründungsland ist. 333 Damit sollte das letzte Wort in diesem Fall aber noch nicht gesprochen sein – La France legte Berufung beim obersten belgischen Gericht ein, vgl. Gliederungspunkt B. I. 2. c) bb) (1) (b) (aa). 334 Juge de paix des cantons Nord et Est à Gand, Urt. v. 27. März 1846, abgedruckt in: La Belgique Judiciaire 5 (1847), Spalte 162. Auch die Friedensrichter des ersten und vierten Brüsseler Kanton bzw. von Leuze urteilten am 3. Juli 1845 bzw. 9. Januar 1846 im positiven Sinne über die Rechts- und Parteifähigkeit ausländischer Aktiengesellschaften – Quellen nach Recueil Dalloz, 1847.3.68, dortige Fußnote. 335 Siehe Juge de paix des cantons Nord et Est à Gand, Fundstelle wie Fn 334.
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und Herrn Van der Gucht vorliegend nicht in Frage stünde, wurde der Beklagte zur Zahlung der Prämien (einschließlich Zinsen) verurteilt.336 Zwar legte Herr Van der Gucht gegen dieses Urteil Berufung beim Tribunal de Gand ein, doch bestätigte das Gericht am 20. Juli 1846 die vorangegangene Entscheidung:337 Die Feuerversicherungsaktiengesellschaft La France, die sich wirksam in Paris gegründet hätte, da sie in Frankreich die entsprechende Genehmigung des Königs unter Billigung ihrer Statuten gemäß Art. 37 code de commerce erhalten hatte, sei hierdurch mit einer Daseinsberechtigung als französische (Rechts-)Person versehen wurden. Als eine solche Person sei La France fähig, sowohl Verpflichtungen gegenüber Dritten einzugehen als auch – umgekehrt – Dritte ihr gegenüber zu verpflichten sowie vor Gericht aufzutreten. Die Kompetenz der belgischen Gerichte ergäbe sich aus Art. 15 des belgischen code civils. Bezüglich des Erfordernisses des Art. 37 des belgischen code de commerce für Aktiengesellschaften wird das Gericht deutlicher als die Vorinstanz: «(. . .) l’art. 37 du Code de commerce [belge] ne dispose point pour les sociétés de cette nature, ayant leur siège à l’étranger, mais uniquement pour celles établies sur le territoire belge.»338 Art. 37 des belgischen Handelsgesetzbuches beträfe demnach nur die eigenen Aktiengesellschaften, was nach der aktuellen Gesetzeslage dazu führe, dass dem belgischen Gesetzgeber keinerlei (rechtliche) Mittel zur Verfügung stünden um die Konkurrenz ausländischer Gesellschaften auf dem heimischen Markt zu verhindern oder zu verbieten. Nach Ansicht des Gerichts sei Art. 37 des belgischen code de commerce ferner keine zwingende Vorschrift des ordre public, denn derjenige, der mit einer ausländischen Gesellschaft Verträge schließe, könne unschwer erkennen, ob diese Gesellschaft rechtsfähig und zahlungsfähig sei, d.h. ob sein potentieller Vertragspartner vertrauenswürdig und gegenüber den nationalen Konkurrenten vorzugswürdig sei.339 Neben den dargestellten Urteilen von Friedensrichtern und Zivilgerichten finden sich auch Entscheidungen belgischer Handelsgerichte aus dieser Zeit, die die Rechts- und Parteifähigkeit französischer Aktiengesellschaften nicht in Zweifel ziehen. Das Handelsgericht von Courtrai befand im Februar 1845 eine französische Versicherungsaktiengesellschaft auf Grundlage der Art. 15, Art. 3 Abs. 3 c. civ. für befähigt, in Belgien Verträge zu schließen und vor hiesigen Gerichten als 336
Siehe Juge de paix des cantons Nord et Est à Gand, Fundstelle wie Fn 334. Tribunal de Gand, Urt. v. 20. Juli 1846, abgedruckt in: La Belgique Judiciaire 5 (1847), Spalte 163 sowie in Recueil Dalloz 1847.3.68 (rechte Spalte). 338 Tribunal de Gand, Fundstelle wie Fn 337 [Hinzufügung durch Verf.]. 339 Der Gedanke, dass der Kontrahierende eigenverantwortlich sei, wird auch in der modernen Diskussion als Argument für die Gründungstheorie angeführt, vgl. statt aller Großfeld, RabelsZ 31 (1967), 1, 24–26. 337
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Klägerin zu fungieren.340 Ihre Qualität als Rechtsperson, d.h. personne civile, verdanke die ausländische Aktiengesellschaft der Erfüllung der Anforderungen des französischen Art. 37 code de commerce. Der Einwand des Beklagten, dass sich die Konzession i. S. v. Art. 37 cdc nur auf das Tätigwerden der Gesellschaft in Frankreich beziehe und daher auf das Staatsgebiet Frankreichs begrenzt sei, gehe nach Meinung des Gerichts fehl, da Art. 7 der Statuten der Gesellschaft (die vom französischen König genehmigt wurden) die Versicherungstätigkeit dieser Gesellschaft auch auf das Ausland bezog. Ähnlich gefasst ist auch eine Entscheidung des Handelsgerichts von Namur im November 1845.341 Wiederum ging es um die Zulässigkeit einer Klage einer französischen Aktiengesellschaft, die im Jahre 1828 Autorisation und Genehmigung ihrer Statuten vom französischen König empfangen hatte. Nach dem Gericht konnte die Gesellschaft seit dem Empfang der Konzession in den Grenzen ihrer Statuten in Frankreich wie im Ausland wirksam handeln. Hier äußerte sich der belgische Richter aber zur Notwendigkeit der Erfüllung der Anforderungen des eigenen Art. 37 cdc wie folgt: «Attendu que, si aux termes de l’art. 37 du Code de commerce, l’autorisation royale est nécessaire pour la constitution légale d’une société anonyme, cette disposition ne peut s’appliquer que pour ce qui concerne l’établissement même de la Société, ce qui ne se présente pas dans l’espèce du procès, la Société demanderesse ne prétendant nullement établir le siège des ses opérations en Belgique.»342 Die Notwendigkeit einer Konzession des belgischen Königs wird folglich nur dann anerkannt, wenn eine Aktiengesellschaft beabsichtige, ihren (Haupt-)Sitz in Belgien zu nehmen. Sei dies – wie im zu entscheidenden Sachverhalt – nicht der Fall, so handele eine nach französischem Recht wirksam gegründete Aktiengesellschaft als ausländische Rechtsperson, die selbstverständlich wie eine herkömmliche, natürliche Person die Erfüllung ihr gegenüber eingegangener Verpflichtungen verlangen könne.343 Alles in allem ergibt die untergerichtliche Behandlung der Anerkennungsfrage ein gespaltenes Bild. (b) Entscheidungen der Cour de cassation Fraglich ist daher, wie der oberste belgische Gerichtshof der Anerkennungsproblematik begegnete. 340 Tribunal de commerce de Courtrai, Urt. v. 22. Februar 1845, abgedruckt in: La Belgique Judiciaire 5 (1847), Spalte 163. 341 Tribunal de commerce de Namur, Urt. v. 7. November 1845, abgedruckt in: La Belgique Judiciaire 5 (1847), Spalte 163 f. 342 Tribunal de commerce de Namur, Quelle wie Fn 341. 343 Tribunal de commerce de Namur, Quelle wie Fn 341.
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(aa) Grundsatzentscheidung von 1847 Als sich nunmehr die erste Kammer der belgischen Cour de cassation erstmalig am 22. Juli 1847 mit dem Problem der Anerkennung einer französischen Aktiengesellschaft zu befassen hatte, schien es, als wären in Belgien die Würfel zugunsten der (ursprünglichen) liberalen Haltung der Rechtsprechung gefallen.344 Die französische Aktiengesellschaft La France hatte beim obersten Gerichtshof Berufung eingelegt, nachdem ihre Leistungsklage gegen belgische Vertragspartner vom Zivilgericht Namur durch Urteil vom 10. Juni 1846 als unzulässig abgewiesen wurde. Das Zivilgericht von Namur hielt La France für nicht rechtsbzw. parteifähig, da es ihr an der Konzession des belgischen Königs i. S. v. Art. 37 des belgischen Handelsgesetzbuches mangelte.345 La France wandte sich gegen dieses Urteil unter dem Hinweis auf die falsche Anwendung von Art. 37 cdc sowie Verletzung der Art. 3, 14, 15 und 16 c. civ.346 Der belgische Generalstaatsanwalt Leclercq hatte sich im Vorfeld dieser Entscheidung in seinem Plädoyer aber zugunsten der erstinstanzlichen Entscheidung geäußert.347 Ein Blick auf die Stellungnahme Leclercqs erscheint lohnenswert, da der Generalstaatsanwalt vor jeder Entscheidung des obersten Gerichtshof zwingend seine Einschätzung zur zu klärenden Rechtsfrage abgeben muss(te) und dessen Einfluss auf die Urteilsfindung daher nicht unterschätzt werden sollte.348 Die Frage zur korrekten Entscheidung des Falles reduziere sich gemäß Leclercq darauf, ob eine im Ausland niedergelassene Aktiengesellschaft, welche keine Genehmigung des belgischen Königs erhalten habe, in Belgien dennoch rechtliche Existenz besäße, sofern sie nach den Erfordernissen ihres Heimatlandes – unabhängig davon, ob sie dort einer staatlichen Genehmigung bedürfe – als rechtsfähig gilt. Zur Lösung dieser Kontroverse könne man zwei unterschiedliche Wege beschreiten: «suivant l’une, les personnalités fictives sont regiés dans leur origine 344 Cour de cassation de Belgique, Urt. v. 22. Juli 1847. Urteil ist abgedruckt in: Recueil Dalloz, 1847.2.173 f. sowie in Pasicrisie 1847.1.404 ff. Nachfolgende Schilderungen beziehen sich auf dieses Urteil. 345 S.o. Gliederungspunkt B. I. 2. c) bb) (1) (a). 346 Art. 16 des code civil enthielt eine weitere Verfahrensvorschrift, nach welcher ein ausländischer Kläger grds. eine Kaution bei Gericht zu hinterlegen hatte, sofern er nicht in Frankreich [hier: Belgien] Immobilien von ausreichendem Wert besaß. Dies galt aber nicht für handelsrechtliche Streitigkeiten. 347 Plädoyer des Generalstaatsanwalt Leclercq, abgedruckt in: Pasicrisie 1847.1.398– 404 sowie teilweise in: Recueil Dalloz 1847.2.171–173. Nachfolgende Ausführungen beziehen sich auf diese Quellen. 348 Dafür spricht auch, dass die zeitgenössischen Quellen das Plädoyer des Generalstaatsanwaltes vor dem Urteil der Cour de cassation stets selbst abdrucken. Vgl. allgemein zur Rolle des „procureur général“ vor der Cour de cassation in Belgien Faye (1903), S. 23 ff., Nr. 11 ff. und in Frankreich Braas, Bd. 1 (1944), Nr. 256, S. 135. Dieser hat für das Gericht auch beratende Funktion.
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ou leur formation par la loi du pays où elles sont nées; cette loi seule est leur titre d’existence en quelque pays qu’elles se produisent et qu’elles que soient les prescriptions de la loi de ce pays. – Suivant l’autre, les personnalités fictives nées dans un pays n’ont existence que dans les limites de ce pays; hors de ces limites elles ne sont pas si elles n’ont satisfait aux prescriptions de la loi du pays où elles se produisent ou si elles sont prohibées par elle.»349 Nach Ansicht Leclercqs folge die einmal im Gründungsland erworbene rechtliche Existenz einer Aktiengesellschaft dieser nicht automatisch ins Ausland nach. Das international-privatrechtlich anerkannte Prinzip, wonach jede natürliche Person ihr Personalstatut ins Ausland mitnehme, gelte nach dem Generalanwalt für die société anonyme gerade nicht. Zur Begründung seiner Auffassung zog Leclercq den Gedanken der sog. „Fiktionstheorie“ heran. Die synonymen Begriffe personne civile, personne morale oder personne juridique für eine juristische Person bezeichneten demnach lediglich eine erdachte Figur, ein etwas, das zwar gleich einer natürlichen Person bürgerliche Rechte genießen und Verträge schließen könne, diese Fähigkeiten aber einzig der bestehenden gesetzlichen Fiktion verdanke.350 Die Lösung der Anerkennungsfrage sei in den Elementen und Prinzipien zu finden, die diese Fiktion der Aktiengesellschaft als Rechtsperson ausmachen, d.h. in ihrem Ursprung, ihrem Gegenstand und ihrem Ziel. Der Ursprung der Fiktion der juristischen Person sei der menschliche Wille, der gebündelt als kollektiver Wille der Nation im Gesetz seinen Ausdruck finde. Im nationalen Gesetz als Ursprung der Kreation einer juristischen Person finde sich zugleich die Grenze der Fiktion: «Mais la loi n’est l’expression de la volonté de tous, elle ne représente toute personne et toute chose que dans les limites du territoire qu’elle régit.»351 Die Fiktion, d.h. die Konstruktion einer künstlichen Person durch eine spezielle Disposition der Regierung oder generelle Dispositionen staatlicher Gesetze, fände durch die Souveränitiät eines jeden Volkes ihre existentielle Schranke; sie beschränke sich auf die territorialen Grenzen des „Heimatlandes“.352 Wie Leclercq mithilfe eines ausschweifenden Vergleiches darlegt, sei diese Beurteilung auch Konsequenz der Grundverschiedenheit von natürlicher und juristischer Person: Die Rechte des Menschen seien von jeder Nation und jeder gesetzlichen 349
Plädoyer von Leclercq, abgedruckt in: Recueil Dalloz 1847.2.171. Freilich sei jeder Staat und dessen Institutionen von der Kontroverse um die rechtliche Existenz einer juristischen Person im Ausland ausgenommen, vgl. hierzu auch die Ausführungen der Literatur, wie Arntz/Bastiné/Bartels, La Belgique Judiciaire 4 (1846), Spalten 1781 ff. m.w. N. 351 Leclercq, in: Recueil Dalloz 1847.2.172 (linke Spalte). 352 Die Fiktion könne außerhalb der eigenen Staatsgrenzen nur dann in einem anderen Land fortgelten, wenn das dortige Gesetz dies vorsehe. 350
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Ordnung vollumfänglich anzuerkennen,353 wohingegen kein Souverän gezwungen sein könne, einem künstlichen Geschöpf bei dessen Grenzübertritt jenen Status, jene Handlungsfähigkeit und jene Rechte zuzugestehen, die ihm allein die Rechtsordnung seines Ursprungs gewähren wollte.354Im Ergebnis verbiete sich somit eine Anwendung der Regeln des Personalstatutes einer natürlichen Person auf diese Konstrukte.355 Schließlich müssten die besonderen Gefahren bedacht werden, welche die Fiktion aufgrund ihrer Eigenart und der von ihr verfolgten Ziele mit sich bringe. Die juristische Person diene der Durchsetzung eines privaten oder öffentlichen Interesses, welches der Einzelne nicht bewältigen könne und weise für diesen Zweck gegenüber der natürlichen Person Vorteile (wie eine eigenständige Existenzdauer, eine größere Finanzstärke oder eine Haftungsbeschränkung) auf. Diese Privilegierung breche aber mit den natürlichen Gesetzen der Gesellschaftsordnung, zu deren essentiellen Bestandteilen die Freiheit und die Verantwortlichkeit jedes Menschen für seine Taten zählten.356 Dennoch sei mit jener Einrichtung einer „künstlichen Ordnung“ per se noch kein Werturteil verbunden – sie könne abhängig von Zeit, Ort und Umständen nutzbringend, harmlos oder schädlich sein. Entscheidend für die Zulassung der Fiktion einer juristischen Person seien die moralisch-sittlichen, religiösen, politischen und wirtschaftlichen Gegebenheiten eines Landes:357 In einer reinen Demokratie, die den Individualismus fördere, müsste die Gründung einer juristischen Person, deren ansteigende Macht zur Bedrohung der staatlichen Institutionen heranwachsen könne, eher abgewehrt werden als in 353 Siehe Leclercq, in: Recueil Dalloz 1847.2.172 (rechte Spalte): Eine natürliche Person verfüge über Freiheit und Intelligenz und sei für ihre Taten verantwortlich. Ihre gottgegebene Existenz müsse daher zwingend von jeder Rechtsordnung in der Welt anerkannt werden. Darüberhinaus werde jeder Mensch mit Geburt zu einem Mitglied seines Volkes. 354 Da die juristische Person keine natürlichen Rechte besäße, habe sie schon gar keine (imaginäre) Nationalität. Man könne ein solches Gedankenkonstrukt nicht etwa einen Franzosen oder Belgier nennen, s. Leclercq, in: Recueil Dalloz 1847.2.172 (rechte Spalte). 355 Leclercq, in: Recueil Dalloz 1847.2172 (rechte Spalte): «la personne civile doit donc rester étrangère à la règle du statut personnel, elle n’est point matière à l’application de cette règle, elle ne peut, sous le voile de cette règle, aller s’imposer aux peuples autres que celui qui l’a sanctionné, et avec elle par conséquent s’évanouit toute personne civile pour ces peuples.» 356 Leclercq, in: Recueil Dalloz 1847.2.172 f. «Ce but conduit ainsi à changer l’ordre naturel des choses, avec toutes les garanties d’ordre et de sûreté qui dérivent de ses éléments; il y substitue un ordre nouveau purement artificiel, et des garanties artificielles aussi.» 357 Siehe Leclercq, in: Recueil Dalloz 1847.2.173 (linke Spalte): «Ce qu’à cet égard un pays admet avec raison, sans crainte aucune, peut-être très-dangereux dans un autre, selon les différences morales, religieuses, politiques ou économiques qui les séparent, s’il n’est entouré de précautions et de garanties, en rapport avec ces différences, et il peut-être très-dangereux quoique l’objet de la fiction, ni aucun des actes qui doivent en sortir n’aient rien d’illicite en eux-mêmes.»
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einer Monarchie oder Aristokratie, in der die Stärke und der Einfluss einer juristischen Person ihr Gegengewicht in den politischen Institutionen, der von ihnen vermittelten Moral und dem gesellschaftlichen Zusammenhalt fände. Als Beispiel für die Abhängigkeit positiver bzw. negativer Auswirkungen einer Aktiengesellschaft von den äußeren Umständen führt Leclercq das Bild einer Bank an. Eine Bank mit Monopolstellung könne in einem kleinen Land die gesamte Industrie und den Handel beherrschen und in Folge dessen Reichtum und Existenz dieses Landes gefährden, wenn es den Interessen dieser Gesellschaft bzw. ihrer Administratoren beliebe. Um die von einer solchen Situation ausgehende Gefahr einzudämmen, müsse das Gesetz überwachend eingreifen und der Gesellschaft geeignete Garantien abverlangen. In einem großen Land hingegen verfüge die gleiche Gesellschaft weder über genügend Ressourcen, noch könne sie die ihr entgegentretenden Widerstände abwehren. Die Macht der Bank könne demnach mit wenigen staatlichen Sicherheitsvorkehrungen neutralisiert werden. Leclercq möchte mit diesem Beispiel beweisen, dass jede Fiktion einer juristischen Person an dem Fundament eines funktionierenden gesellschaftlichen Zusammenlebens rütteln kann: «Les lois dans lesquelles cette fiction trouve son principe et ses règles, intéressent donc la police et la sûreté publique».358 Somit ergebe sich wiederum, dass die Fiktion der juristischen Person allen Restriktionen unterliege, welche die gesetzlichen Bestimmungen eines jeden Landes für die Wahrung des ordre public vorsähen; die Fiktion der juristischen Person könne ihr Entstehungsland lediglich dann verlassen, wenn sie sich den gesetzlichen Vorgaben des Aufnahmestaates entsprechend verhalte, denn andernfalls sei sie dort nicht existent und könne – wie aufgezeigt – gerade nicht die Geltung ihres „Personalstatuts“ im Ausland fordern. In der Konsequenz zog der Generalstaatsanwalt den eindeutigen Schluss, dass die belgische Cour de cassation die klagende Gesellschaft für nicht parteifähig erklären und damit die Klage abweisen solle. Dennoch sollte die Argumentation des belgischen Generalstaatsanwaltes auf der Basis der Fiktionstheorie (noch) keine Früchte tragen: Der belgische oberste Gerichtshof folgte dem Antrag des Generalstaatsanwaltes nicht, erklärte statt dessen La France in seinem Urteil vom 22. Juli 1847 für parteifähig und hob damit die Entscheidung des Zivilgerichts von Namur vom 10. Juni 1846 auf.359 Die Fähigkeit und Befugnis einer in Frankreich wirksam gegründeten Aktiengesellschaft zur Klage auf Erfüllung eines in Belgien geschlossenen Vertrages gegen einen Belgier ergebe sich eindeutig aus Art. 3 Abs. 3 des belgischen code civil. Diese Bestimmung sei Ausfluss des von allen zivilisierten Nationen aner358
Leclercq, in: Recueil Dalloz 1847.2.173 (linke Spalte). Cour de cassation de Belgique, Urt. v. 22. Juli 1847, in: Recueil Dalloz 1847. 2.173 f. Die nachfolgenden Erörterungen beziehen sich auf dieses Urteil. 359
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kannten Ausnahmeprinzips, nach welchem der (rechtliche) Status und die Handlungsfähigkeit einer Person360 nach ihrem Zugehörigkeitsrecht, d.h. dem Recht ihres Herkunftslandes, zu beurteilen seien, auch wenn der räumliche Geltungsbereich nationaler Gesetze grundsätzlich auf ihre Landesgrenzen beschränkt sei. Art. 3 Abs. 3 des belgischen code civil gestehe selbst den im Ausland residierenden Belgiern zu, dass ihre persönliche Rechtsstellung nach den belgischen Gesetzen beurteilt werde. Dieses Prinzip müsse sich im Wege der reziproken Anwendung auch auf den gegenteiligen Fall, d.h. auf Ausländer, die sich in Belgien befinden, erstrecken. Seinem Wortlaut nach enthalte Art. 3 Abs. 3 c. civ. schon gar keine Beschränkung auf natürliche Personen, sondern schließe jegliche Arten von Personen ein. Zudem bereite es einer juristischen ebenso wie einer natürlichen Person Unannehmlichkeiten, wenn sich ihre Handlungsfähigkeit nach den jeweiligen Gesetzen verschiedener Länder, in welchen diese tätig werde, unterscheiden sollte. Auch das tragende Element der Fiktionstheorie gehe fehl, wonach die Menschen – im Gegensatz zu den fiktiven Konstruktionen der juristischen Person – über eine „natürliche persönliche Rechts- und Handlungsfähigkeit“ verfügten: Die persönliche Rechtsstellung einer natürlichen Person werde nicht weniger von der staatlichen Zivilrechtsordnung bestimmt wie diejenige der juristischen Person, weshalb es keinen Grund gäbe, dass das Ausland die das Personalstatut bildenden Rechte im Falle der Fiktion missachten dürfe. Deutlich zeigt sich die rechtspolitische Dimension des Streites um die Anerkennung der ausländischen Aktiengesellschaften, wenn das Gericht auf die Ungleichbehandlung im Verhältnis zu den juristischen Personen des öffentlichen Rechts zu sprechen kommt: «Attendu (. . .) qu’il n’a jamais été contesté que les communes, hospices, établissements de bienfaisance, fabriques d’églises, etc., conservent, dans leur rapport avec les habitants des pays voisin, leur qualité de personnes juridiques; que, si l’on peut considérer ces établissements (. . .) comme existant (. . .) dans tous les pays civilisés, ce n’est pourtant que par une fiction de la loi qu’ils sont assimilés aux personnes réelles (. . .), aussi bien que les institutions plus accidentelles et créées dans un intérêt public plus éloigné».361 Der Gedankengang des Gerichtes setzt demnach an der Fiktion als Ausgangspunkt aller juristischen Personen an, welche eine unterschiedliche Behandlung einzelner Typen weder erklären noch rechtfertigen kann: Sofern allein die juristische Qualität einer Person als „natürlich“ maßgeblich dafür sei, ob der ausländische Souverän ihre Rechts- und Handlungsfähigkeit anzuerkennen hat, dann dürfe – im Umkehrschluss (und mangels anderweitiger nationaler Bestimmungen) – keiner Art einer juristischen Person im Ausland Rechts- bzw. Parteifähig360 Der belgische und französische Art. 3 des code civil sprechen von „état et capacité“, was mit dem deutschen Begriff der „persönlichen Rechtsstellung“ gleichgesetzt werden kann, vgl. Kropholler (2006), § 37 I 1, S. 261. 361 Cour de cassation de Belgique, Urt. v. 22. Juli 1847, in: Recueil Dalloz 1847. 2.173 (rechte Spalte) (Hervorhebung des Verf.).
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keit zuteil werden. Da aber die Fiktion der Existenz juristischer Personen des öffentlichen Rechts jenseits ihrer Ursprungsländer aufrechterhalten werde, müsse diese Handhabung auf die juristischen Personen des Privatrechts übertragen werden, sofern nicht das nationale Gesetz des „Aufnahmelandes“ eine Differenzierung nach verschiedenen Kategorien juristischer Personen vorsehe. Das belgische Recht treffe keine solche Unterscheidung, sondern sehe durch Art. 3 Abs. 3 c. civ. vielmehr vor, dass die persönliche Rechtsstellung einer Person allerorts durch das Recht ihres Personalstatutes determiniert werde. Die Anwendung von Art. 3 Abs. 3 c. civ. werde auch nicht durch das Genehmigungserfordernis des Art. 37 des belgischen code de commerce abbedungen, denn dieses gelte nur für in Belgien zu errichtende Aktiengesellschaften. Eine (wohl ggf. analoge) Anwendung von Art. 37 des belgischen code de commerce auf ausländische Aktiengesellschaften werde weder vom Wortlaut der Norm noch von der Intention des Gesetzgebers gedeckt: «(. . .) si le législateur avait voulu défendre aux sociétés étrangères d’opérer en Belgique, ou les soumettre à la formalité préalable d’une autorisation royale, il aurait porté une disposition expresse à ce sujet».362 Zudem zwänge eine solche vom Wortlaut nicht gedeckte Anwendung von Art. 37 cdc die ausländischen Gesellschaften dazu, sich in Belgien als „neue“ Aktiengesellschaften zu gründen, da der belgische König nur die Gesellschaften mit Sitz im eigenen Land genehmigen könne und zudem die Erfüllung der belgischen Gründungsvoraussetzungen für ausländische Aktiengesellschaften praktisch unmöglich sei.363 Ebenso sei das oft herangezogene (protektionistische) Argument, man schaffe durch die Nichtanwendung von Art. 37 cdc ein Privileg für ausländische Aktiengesellschaften und vergesse dabei den Schutz der Anleger, die Anteile an ausländischen Aktiengesellschaften erwerben, so nicht haltbar. Auch die ausländischen Aktiengesellschaften böten das bestehende Gesellschaftskapital in ihrem Land als Sicherheit, unterlägen der Kontrolle ihrer Regierung und bezüglich ihrer Verwaltung den Bestimmungen ihrer Statuten; im Falle von Schwierigkeiten mit der Gesellschaft bestünden wirkungsvolle Rechtsbehelfe vor ihrem nationalen Richter. Schließlich geht das Gericht auf die tragenden (rechtspolitischen) Motive der Gegner der Anerkennung einer ausländischen Aktiengesellschaft ein: die Angst vor Durchkreuzung der Interessen des eigenen Landes mithilfe des großen Machtpotentials der fremden juristischen Person. Nach dem Gericht sei das Argument der von fremden Aktiengesellschaften ausgehenden Gefahr nicht ausreichend fundiert, denn vergleichbare Gefahren könnten ebenso von Personengesell362 Cour de cassation de Belgique, Urt. v. 22. Juli 1847, in: Recueil Dalloz 1847. 2.173 (rechte Spalte). 363 So z. B. die Anlage des Gesellschaftskapitals in Belgien, s. Leclercq, in: Recueil Dalloz 1847.2.173 (rechte Spalte).
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schaften („sociétés collectives“) oder einzelnen Fremden herrühren. Vielmehr könnten ausländische Aktiengesellschaften auch den Interessen des belgischen Staates zugute kommen, z. B. durch Schaffung einer nützlichen Konkurrenz. Auf die Gefahren könnte der belgische Staat weitaus effektiver durch direkte Maßnahmen gegen einzelne den heimischen Interessen feindliche Auslandsgesellschaften reagieren als mit einem generellen Verbot fremder Aktiengesellschaften. Zudem müsse man nicht nur mit schädlichen Retorsionsmaßnahmen gegen die belgischen Gesellschaften im Ausland rechnen, sondern schade schließlich mittelbar jenen belgischen Bürgern, die mit ausländischen Gesellschaften bereits Verträge geschlossen hätten: «(. . .) que méconnaître à ces sociétés leur existence et leur capacité civile, au delà des limites du pays où elles ont pris naissance, serait au contraire compromettre gravement le sort de nombreuses et importantes transactions internationales, et priver, dans bien des cas, des Belges d’obtenir l’exécution d’engagements contractés envers eux par de semblables sociétés».364 Somit müsse La France als ausländische juristische Person des Privatrechts auch in Belgien als Klägerin vor Gericht auftreten dürfen und gemäß Art. 15 des c. civ., der keine Unterscheidung im persönlichen Anwendungsbereich träfe, die Befugnis haben, einen belgischen Beklagten vor Gericht zu bringen.365 Das Urteil des Zivilgerichts von Namur vom 10. Juni 1846 wurde folglich mit der Begründung einer falschen Rechtsanwendung des Art. 37 cdc und der Missachtung der Prinzipien der Art. 3 Abs. 3 und Art. 15 c. civ. von der belgischen Cour de cassation aufgehoben.366 (bb) Rechtsprechungsumkehr im Jahre 1849 Nur weniger als zwei Jahre später vollzog der oberste belgische Gerichtshof aber eine Kehrtwende in seiner Rechtsprechung und vertrat eine gegensätzliche Auffassung. Das maßgebliche Urteil wurde am 8. Februar 1849 unter Mitwirkung aller Kammern gefällt.367 Die Argumentation des Gerichtes an den maßgeblichen Normen (Art. 3 Abs. 3, Art. 15 c. civ. und Art 37 cdc) schlug in diesem Urteil – beeinflusst durch 364
Cour de cassation de Belgique, Quelle wie Fn 362, S. 174, linke Spalte. Im Abdruck des Urteils ist von Art. 13 code civil die Rede, da es sich dem Sinn und Inhalt nach aber um Art. 15 des code civil handelt, ist wohl von einem Druckfehler auszugehen. 366 Diese Rechtsprechung wurde von französischer Seite mit Wohlwollen kommentiert, vgl. N.N., Recueil Dalloz 1847.2.171, dortige Fußnote: Leclercq hätte die Gefahren der fremden Aktiengesellschaften für die eigene Industrie aufgebauscht und übersehen, dass national verbotene Geschäftszweige auch durch fremde Gesellschaften nicht ausgeübt werden dürften. 367 So jedenfalls Ch. Req., Sirey 1860.1.865 (867); Buchère, Clunet 9 (1882), 37, 38 sowie auch Mamelok (1900), S. 242. Der Abdruck des Urteils, in: Pasicrisie belge 1849.1.239–241, spricht von einer Entscheidung der ersten Kammer. 365
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den Schlussantrag des procuréur général Leclercqs – ins genaue Gegenteil um.368 Der Entscheidung der belgischen Cour de cassation ging folgender Sachverhalt voraus: Die mit der Approbation des französischen Königs ausgestattete Compagnie d’assurances générales contre l’incendie mit Sitz in Paris hatte den belgischen Staatsbürger und (vermeintlichen) Vertragspartner Monsieur Ruelens vor dem erstinstanzlichen Gericht in Brüssel auf Zahlung einer Versicherungsprämie verklagt.369 Herr Ruelens hatte sich darauf berufen, dass die Klägerin (als fremdländische société anonyme) nicht aktivlegitimiert sei, da es dieser an dem existenznotwendigen königlichen Erlass i. S. v. Art. 37 des belgischen code de commerce mangele. Das Gericht folgte dieser Auffassung mit dem Hauptargument aller die Existenz ausländischer Aktiengesellschaft ablehnenden Untergerichte – der fehlenden Octroi des belgischen Königs gem. Art. 37 cdc. Die Gründungs-Bewilligung des französischen Königs sei in Belgien wirkungslos. Auch könne sich eine ausländische Aktiengesellschaft nicht auf den Grundsatz der Behandlung nach dem Recht ihres Personalstatuts berufen, was sich aus den essentiellen Unterschieden von natürlichen und juristischen Personen ableiten lasse. Die fremde Aktiengesellschaft als bloße Ansammlung von Kapital oder Immobilien in ihrem Gründungsland böte nur eine unzureichende beziehungsweise – bei Belegenheit der Immobilien in ihrem Entstehungsland – gar keine Garantie, wohingegen der fremde Mensch, der sich auf belgischen Territorium aufhalte, bereits als Verantwortlicher seiner Taten eine gewisse Sicherheit für die (belgische) Gesellschaft böte. Durch die Gründung einer juristischen Person käme es zu einer Auslagerung von persönlicher Verantwortlichkeit und Haftung der einzelnen Mitglieder auf den Rechtsträger des künstlichen Gebildes. Daher müsse zwangsläufig jeder Staat die Existenzbedingungen seiner juristischen Personen eigenständig bestimmen können. Erst recht müsse das Genehmigungserfordernis, welches der Gesetzgeber für seine eigenen Aktiengesellschaften aufgestellt habe, für ausländische Aktiengesellschaften Geltung entfalten. Man würde andernfalls fremde Aktiengesellschaften besser behandeln als die einheimischen. Eine Parallele zur Anerkennung der Rechts- und Parteifähigkeit ausländischer juristischer Personen des öffentlichen Rechts könne man nicht ziehen, da fremde Staaten und ihre Institutionen im Gegensatz zu jenen des Privatrechts „notwendigerweise“ anerkannt werden müssten. Juristische Personen des Privatrechts, die im Ausland existieren sollten, hätten (anders als ausländische staatliche Einheiten) mit der Regierung ihres Sitzstaates auch nichts gemeinsam. Aufgrund vorstehender Erwägungen er368 Cour de cassation de Belgique, Urt. v. 8. Februar 1849, in: Pasicrisie belge 1849. 1.239–241. 369 (Der Berufung vorangegangenes) Urteil des Tribunal de première instance de Bruxelles, abgedruckt in: Pasicrisie belge 1849.1.221 f. Die nachfolgenden Ausführungen beziehen sich hierauf.
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klärte das Brüsseler Gericht erster Instanz die französische Feuerversicherungsgesellschaft für nicht parteifähig. Die französische Gesellschaft wehrte sich gegen dieses Urteil mit dem Rechtsmittel der Revision, weshalb die Kontroverse in einer erneuten Entscheidung der belgischen Cour de cassation gipfelte.370 Nach Ansicht der Gesellschaft hätte das erstinstanzliche Gericht Art. 37 cdc falsch angewendet und gegen Art. 15 c. civ. verstoßen. Die Gesellschaft brachte vor, dass die Diskussionen um die Rechtsnatur der Aktiengesellschaft und um die Grundsätze des Personalstatuts mitsamt dessen rechtlichen Auswirkungen für die zu beurteilende Frage ihrer Parteifähigkeit in Belgien keine Rolle spielten. Sie behauptete daher nicht allein kraft ihrer Autorisation in Frankreich gleichsam in Belgien eine rechtliche Existenz zu besitzen, sondern berief sich darauf, dass es für Art. 15 des belgischen c. civ. ausreiche, dass sie als Gesellschaft in Frankreich eine wirksame rechtliche Existenz erworben habe. Als französisches Rechtssubjekt habe die Feuerversicherungsgesellschaft die Fähigkeit mit einem Belgier einen Vertrag über eine rechtlich zulässige Leistung – hier die Brandversicherung – zu schließen. Das belgische Recht fordere für einen solchen Vertragsschluss keine spezielle Berechtigung eines Franzosen. Aus diesem Grunde könne ein Franzose gemäß Art. 15 des belgischen c. civ. vor belgischen Gerichten die Erfüllung des Vertrages fordern, sofern er einen Beweis seiner Identität und seiner Geschäftsfähigkeit erbringe. Dafür spreche nicht nur der Wortlaut des Art. 15 c. civ., der allgemein von „Personen“ handle, sondern auch die Tatsache, dass anderen rechtsfähigen Gesellschaftstypen (personnes morales), wie etwa der société en nom collectif oder der société en commandite bisher das von Art. 15 c. civ. zugestandene Recht der Parteifähigkeit in Belgien niemals verweigert wurde. Sofern allein einer ausländischen Aktiengesellschaft die Parteifähigkeit vor belgischen Gerichten abgesprochen werde, ohne dass diese Norm ihrem Wortlaut nach eine solche Konsequenz anordne, so unterwerfe man die Existenz der französischen société anonyme in Belgien der reinen Willkür.371 Des weiteren unterliege das angegriffene Urteil dem Irrtum über die Notwendigkeit eines (weiteren) Genehmigungserfordernisses des belgischen Königs auf Grundlage von Art. 37 des belgischen Handelsgesetzbuchs: Art. 37 cdc gelte nur für belgische Aktiengesellschaften, was sich schon mit 370 Die von der Gesellschaft vorgebrachten Gründe der Revision sind abgedruckt in: Pasicrisie belge 1849.1.222–224. 371 Bereits hier spricht man im Zusammenhang mit dem wirksamen Bestehen der französischen Aktiengesellschaft in Belgien von übereinstimmenden Gründungsrecht und Sitz: «D’après le jugement attaqué, la société anonyme étrangère régulièrement constituée d’aprés les lois de son origine et de son siège, mais non revêtue de l’approbation du gouvernement belge, serait seule exclue de la faculté accordée par l’art. 15 du C. civ., c’est là tout à la fois ajouter à cet article une exigence qu’il ne comporte pas, et soumettre l’existence des sociétés anonymes étrangères à la loi belge ou plutôt à l’arbitraire, car la loi belge n’exige pas pareille chose.» S. Pasicrisie belge 1849.1.223 (rechte Spalte).
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Hilfe der logischen Schlussfolgerung ergebe, dass die französische Aktiengesellschaft mit Autorisation in Belgien ihre Identität als französische AG verlieren würde. Eine Forderung einer neuen Genehmigung käme somit einer Identitätsaufgabe der Gesellschaft als „französisches Rechtssubjekt“ gleich. Allein diese Gründe sprächen für die Einschätzung der Entscheidung des Brüsseler Gerichts erster Instanz als Fehlurteil, weshalb die weiteren Argumente, die gegen die Anerkennung einer ausländischen Aktiengesellschaft vorgebracht wurden, auch dann, wenn sie sich als gerechtfertigt erweisen würden, nicht ausreichen könnten, um die in diesem Fall bestehende Gesetzeslücke in Art. 15 c. civ. und Art. 37 cdc zu schließen. Zu diesen weiteren sekundären Erwägungen zählten die grundlegenden Wesenunterschiede von natürlichen und juristischen Personen und die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, die dazu führen könnten, dass die für das Personalstatut geltenden Regeln nicht auf juristische Personen anwendbar sein sollten. Doch auch diese Argumente glaubte die Klägerin vorsorglich entkräften zu können: Die Anwendbarkeit von Art. 15 c. civ. auf eine ausländische Aktiengesellschaft sei keine Frage ihres Personalstatuts, denn es sei irrelevant, ob die französische AG in Belgien als rechts- und handlungsfähige Person gelte, wenn ihr diese Eigenschaft in Frankreich sicher sei. Zudem sei zu bezweifeln, ob eine natürliche Person für das Ausland allein durch ihre Anwesenheit genügend Garantien biete; die einzig reale Garantie sei in der Sicherheitsleistung für die Erfüllung eines Urteiles (cautio judicatum solvi) zu erblicken, die allerdings jeder Ausländer, der in Belgien klagen wolle, erfüllen müsse. Ebenso sei das viel zitierte Argument der Favorisierung fremder Aktiengesellschaften vor einheimischen Gesellschaften für den Fall der Nichteinforderung einer (weiteren) Genehmigung des belgischen Königs nicht per se zutreffend, da eine einheimische, autorisierte Aktiengesellschaft verglichen mit einer ausländischen stets ein weitaus höheres Vertrauen beim Publikum erwecken könne. Der Beklagte Ruelens konterte mit den bekannten Argumenten:372 Die Souveränität der Staaten sei unantastbar und damit die Geltungskraft nationaler Gesetze auf die eigenen Landesgrenzen beschränkt. Das Prinzip der Extraterritorialität des Personalstatuts sei als enge Ausnahme zu verstehen und gelte nicht für juristische Personen, die über keine „echte“ Persönlichkeit verfügten.373 Der Beklagte verließ schließlich die Ebene rein juristischer Argumentation und ging auf die Folgen für den belgischen Staat und seine Wirtschaft ein, die die Anerkennung fremder juristischer Personen seines Erachtens mit sich bringe. Es wird wiederum erkennbar, dass nicht lediglich rechtliche Erwägungen in den 372
Siehe Pasicrisie belge 1849.1.224–226. Als Beleg führt Ruelens, in: Pasicrisie belge 1849.1.225 (linke Spalte), die Auffassung der belgischen Rechtswissenschaftler Arntz, Bastiné und Bartels an, vergleiche hierzu später Gliederungspunkt B. I. 2. c) bb) (2). Die wesentlichen Argumente von Ruelens werden im Folgenden dargelegt. 373
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Entscheidungsprozess einfließen sollten: Geschickt baute Ruelens (bzw. dessen Rechtsbeistand) vier verschiedene historisch gestützte Szenarien auf, die den Entscheidungsträgern die negativen Folgen einer Anerkennung ausländischer Aktiengesellschaften mit Hilfe rhetorischer Fragen vor Augen führen. Im ersten Szenario fragte der Beklagte, wie es zu handhaben sei, wenn sich der belgische Staat – wie bereits 1793 (vorübergehend) Frankreich – aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder des Allgemeininteresses für die Abschaffung der Versicherungsaktiengesellschaften entscheide: Hätte in diesem Falle eine solche Gesellschaft, die den günstigen Umständen eines fremden Rechts untersteht, ein Importrecht ihrer persönlichen Rechtsstellung? Das zweite Szenario spielte auf das 1821 ergangene gesetzliche Verbot der (Zweig-)Niederlassung ausländischer Feuerversicherungsgesellschaften in Belgien an. Es stelle sich die Frage, ob eine ausländische Feuerversicherungsgesellschaft (im Falle einer solchen Untersagung) auf indirektem Wege das direkte Verbot der belgischen Regierung schlicht umgehen könne, sofern die Normen ihres Personalstatutes in Belgien für sie gelten würden: «Ne lui suffira-t-il pas pour cela de se constituer conformément aux lois d’une puissance voisine, de s’établir sur le point le plus rapproché de nos frontières pour conserver, comme par le passé, son action en Belgique, et contrarier ainsi les vues sages du législateur.»374 Wie solle man in einer dritten Fallgestaltung verfahren, in der der belgische Staat das Gesuch auf Genehmigung der Gründung einer Aktiengesellschaft bereits abgelehnt habe und sich daraufhin diese Aktiengesellschaft in einem liberaleren Nachbarstaat errichtet habe, der entgegengesetzte Interessen zur belgischen Regierung verfolge? Zuletzt nannte Ruelen den Fall, dass sich der belgische Staat ein (bereits in der Vergangenheit diskutiertes) Exklusivrecht als Versicherer einräumte. Sollte der belgische Staat dann der Konkurrenz ausländischer Aktiengesellschaften ausgesetzt sein, welche die gewünschten Effekte torpedieren könnten? Der Beklagte suchte die richtige Antwort auf alle aufgeworfenen Fragen in der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung: «Le prétendre, ce serait admettre que l’application de la loi personnelle étrangère peut compromettre l’ordre public.»375 Da sich ein Ausländer nach völkerrechtlichen Grundsätzen auch jenen Maßnahmen unterwerfen müsse, die der Sicherheit und dem inneren Wohlergehen des aufnehmenden Staate dienten, dürfe die ausländische Aktiengesellschaft keine Existenz und damit keine Parteifähigkeit in Belgien besitzen, wenn sie sich nicht
374 375
Erwiderung des Beklagten, in: Pasicrisie belge 1849.1.225 (rechte Spalte). Erwiderung des Beklagten, in: Pasicrisie belge 1849.1.225 f.
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den Voraussetzungen des Art. 37 des belgischen cdc anpasse. Die Idee einer juristischen Fiktion und der Gedanke des ordre public seien «corrélatives et inséparables».376 Wiederum musste der belgische Generalstaatsanwalt Mathieu Leclercq zu diesem Sachverhalt Stellung nehmen, welcher mit der Fragestellung des bereits 1847 entschiedenen Falles identisch ist. In seinen erneuten Schlussfolgerungen blieb Leclercq seiner bisherigen Linie treu:377 Zunächst bemerkte der Generalstaatsanwalt, dass die Klägerin einem logischen Fehlschluss – genauer einer pétition de principe378 – unterliege, wenn sie sich bezüglich ihrer Parteifähigkeit allein auf Art. 15 des belgischen c. civ. berufen und behaupten wolle, dass sie als französisches Rechtssubjekt der Notwendigkeit einer Autorisation des belgischen Königs i. S. v. Art. 37 cdc entkomme. Die Argumentation des Klägers setzte nämlich stillschweigend voraus, dass die französische Aktiengesellschaft in Belgien ein „Fremder“ i. S. v. Art. 15 c. civ. sei und gerade diese Tatsache könne man mit Recht bezweifeln. Maßgebliche Frage sei daher: «s’il est vrai qu’en Belgique, devant la loi belge, devant les tribunaux belges, organes de la loi belge, cette société n’a pas d’existence comme personne».379 Der Schlüssel zur Lösung dieser Frage, ob die ausländische Aktiengesellschaft ein étranger im Rechtssinne sein kann, läge in der Auslegung der (Rechts-)Begriffe einer personne und avoir une existence, welche dem Inhalt des Art. 15 c. civ. zugrunde lägen. Die Zulässigkeit der Anwendung des Art. 15 c. civ. stünde unter der Prämisse, dass mit dem Begriff der „Person“ lediglich ein Attribut bzw. eine Fähigkeit – und gerade nicht ein Individuum oder ein dem Menschen gleichgestelltes Wesen – gemeint sei. Bezeichne der Begriff der personne civile nur gewisse menschliche Eigenschaften (wie die Rechtsfähigkeit oder die Geschäftsfähigkeit), so könne man diese Eigenschaften als Realität begreifen, welche unabhängig vom Gesetz bestünde.380 Leclercq führt anhand von Belegen des römischen Rechts und des zeitgenössischen Rechts vor, dass unter dem Tatbestandsmerkmal personne stets ein Rechtssubjekt (als Träger gewisser Eigenschaften) gemeint sei.381 Ein solches Rechtssubjekt existiere in einem Land, insbesondere 376
Erwiderung des Beklagten, in: Pasicrisie belge 1849.1.226 (linke Spalte). Plädoyer des belgischen Generalstaatsanwaltes Leclercq, in: Pasicrisie belge 1849.1.226. Folgende Ausführungen basieren auf dessen Inhalt (S. 226–239). 378 Gleichbedeutend mit dem lateinischen Begriff der „petitio principii“ (Forderung des Beweisgrundes), worunter man die „stillschweigende, unbewusste Voraussetzung eines erst noch zu beweisenden, nicht bewiesenen Satzes, als Beweisgrund für eine Behauptung“ versteht, vgl. Eisler, Bd. 2 (1904), S. 90. 379 Leclercq, in: Pasicrisie belge 1849.1.227 (rechte Spalte). 380 Der Gedanke Leclercqs geht hierbei in Richtung der von Beseler aufgeworfenen und später von Gierke fortentwickelten Theorie der realen Verbandspersönlichkeit als Gegenstück der Fiktionstheorie, vgl. hierzu Beseler (1843), S. 158 ff.; Gierke, Bd. 1 (1895), 470 ff. 381 Vgl. Leclercq, in: Pasicrisie belge 1849.1.228 f. 377
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vor den Gesetzen und den Richtern dieses Landes, sofern es dort seine effets juridiques produziere; nicht notwendig sei hingegen ein Wohnsitz oder eine Niederlassung im betroffenen Land für die Existenz dieser Person. Die Existenz einer Aktiengesellschaft werde somit durch ihre Handlungen und deren Auswirkungen im Inland bestimmt. Art 15. c. civ. könne demzufolge nur anwendbar sein, wenn die Klägerin als fremde personne in Belgien tatsächlich existiere. Die Frage, ob die französische AG in Belgien fortbestehe, bestimme sich allein nach Art. 3 Abs. 3 des c. civ., sofern dieser auf juristische Personen anwendbar sei. Mit den Argumenten der bereits 1847 vorgebrachten Fiktionstheorie, d.h. der Grundverschiedenheit von natürlicher und juristischer Person, verfocht Leclercq vehement die Nichtanwendbarkeit der Regeln des Personalstatuts auf die AG. Die französische AG könne sich schon deswegen nicht auf die Geltung von Art. 3 Abs. 3 c. civ. berufen, weil zwischen Existenz sowie état und capacité zu trennen sei. Das Bestehen der juristischen Person selbst sei (Vor-)Bedingung382 für den Bestand ihrer persönlichen Rechtsstellung.383 Demnach – so schloß Leclercq – ließe sich die Antwort nach der Frage des Bestehens der französischen Aktiengesellschaft in Belgien auch nicht in Art. 3 Abs. 3 des c. civ. finden.384 Zudem sprächen grammatikalische, systematische und teleologische Auslegung des Art. 3 Abs. 3 c. civ. auch gegen eine Anwendbarkeit auf in Frage stehende Konstellationen: Die Wortwahl des Art. 3 c. civ. passe vielmehr auf natürliche Personen, deren persönliche Rechtsstellung stets konstant bleibe. Zudem sei die Rechtsstellung der einzelnen Typen der juristischen Personen jeweils spezialgesetzlich geregelt, wohingegen sich die eingehenden Bestimmungen des code civil nur auf natürliche Personen beziehen würden.385 Für die Aktiengesellschaft fände man speziellere Normen im code de commerce. Eine planwidrige Regelungslücke des Gesetzgebers in Bezug auf juristische Personen im code civil käme aufgrund ihrer immensen Bedeutung nicht in Betracht.386 Im Gegenteil erweise es 382
In der heutigen Terminologie des IPR würde man wohl von einer „Vorfrage“ spre-
chen. 383 Als Beispiele führt Leclercq die Erbschaft einer natürlichen Person und die Vermächtnisannahme einer juristischen Person an. Sowohl ein Vertreter des Erben als auch die juristische Person müssten beweisen, dass Erbe bzw. Gesellschaft tatsächlich existierten; die Fähigkeit allein sei jeweils nicht ausreichend; s. ders., in: Pasicrisie belge 1849.1.232. 384 Der Generalstaatsanwalt bemühte sich aber klarzustellen, dass man keinesfalls an der Gültigkeit des Gesellschaftsvertrages und der intakten inneren Verfassung der ausländischen AG zweifele, sondern sich lediglich darauf berufe, dass die fremde Aktiengesellschaft nur innerhalb der Grenzen ihres Heimatlandes über ihre gesetzlich zugestandene (Handlungs-)Macht verfügen könne. 385 Zudem sehe Art. 537 code civil für die Verwaltung der Güter juristischer Personen einen Verweis auf die Spezialvorschriften der einzelnen Formen vor. 386 Vgl. Leclercq, in: Pasicrisie belge 1849.1.234: «(. . .) quant aux dispositions de ce code sur l’état et la capacité des personnes, elles ne concernent que les personnes naturelles; qu’on les parcoure toutes, elles forment le livre premier intitulé des personnes, et l’on y trouve rien sur les personnes morales, omission qui, à raison de l’importance de
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sich, dass die Bestimmungen des code civil über état und capacité exklusiv den natürlichen Personen vorbehalten seien. Da somit Art. 3 des c. civ. weder auf juristische Personen anwendbar sei, noch überhaupt die (Vor-)Frage nach der „Existenz“ dieser Person lösen könnte, müsse die Antwort allein in den konstitutiven Elementen einer juristischen Person gesucht werden. Mit Verweis auf seine bereits im Jahre 1847 vorgetragenen Überzeugungen äußerte sich Leclercq erneut zur tragenden Bedeutung der Autorisation einer Aktiengesellschaft nach Art. 37 code de commerce: «Par cette disposition, la loi interdit la société anonyme qui n’en a pas rempli les prescriptions; elle en méconnait dans ce cas l’existence, elle lui refuse son appui, et de plus, par la forme dans laquelle doit être donnée l’approbation de l’acte qui la constitue, elle attribue à cette espèce de société un caractère qui en fait un établissement lié à l’ordre public en Belgique, et nous force à reconnaître dans la disposition qui la concerne une véritable disposition de police et de sûreté, dominant tout à ce titre, personnes et biens, quelqu’en soit l’origine, et par conséquent l’étranger comme l’indigène avec tout ce que la personne de l’un et de l’autre embrasse».387 Der Vorbehalt des nationalen ordre public, der auch in Art. 3 Abs. 1 c. civ. geregelt sei, müsse damit auch über alle fremdländischen Aktiengesellschaften Wache halten. Der weite Wortlaut des Art. 37 cdc und die Tatsache, dass für fremde Gesellschaften keine spezielle anders lautende gesetzliche Bestimmung aufzufinden sei, belegten, dass auch die ausländische Aktiengesellschaft eine Approbation des belgischen Königs benötige, um in Belgien rechtliche Wirkungen entfalten zu können. Summa summarum erschien die Rechtslage für Leclercq damit eindeutig: Das erstinstanzliche Gericht in Brüssel hätte weder Art. 15 c. civ. verletzt, noch könnte es die ordre public-Norm des Art. 37 cdc falsch angewendet haben: «Mesure d’ordre public en Belgique, cette disposition comprend dans son esprit comme dans ses termes, toute société anonyme, de quelque part qu’elle vienne, et enlève par l’effet de ce caractère spécial, toute valeur aux arguments, à l’aide desquels on a cru pouvoir soustraire à son empire les sociétés formées en pays étranger.»388 Als wertlos gewordenes Argument stufte Leclercq damit die These ein, dass der mit einer ausländischen Gesellschaft Kontrahierende schließlich um die damit verbundenen Gefahren wisse und das belgische Gesetz sich daher nicht um den belgischen Vertragspartner kümmern müsse. Auch die Behauptung, dass das belgische Recht keine Vorkehrungen vor den Gefahren ausländischer Aktienge-
cette classe, ne peut avoir été le résultat d’un oubli». An dieser Stelle sei daran erinnert, dass der französische Gesetzgeber den Begriff der personne morale v. a. aus historischen Gründen vermieden hatte, s. Gliederungspunkt B. I. 2. b) bb) (1). 387 Leclercq, in: Pasicrisie belge 1849.1.235 (Hervorhebung des Verf.). 388 Leclercq, in: Pasicrisie belge 1849.1.236 (Hervorhebung des Verf.).
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sellschaften treffen müsse, da vergleichbare Gefahren von gewöhnlichen Gesellschaftstypen ausgehen könnten und auch nützliche Effekte (wie Konkurrenzbelebung) mit ihrem Tätigwerden verknüpft seien, wies der Generalstaatsanwalt ebenso wie das schwebende Damoklesschwert der Retorsionsmaßnahmen energisch zurück. Es bestünde nämlich keinerlei Unterschied zwischen einer ausländischen und einer heimischen „Aktiengesellschaft“, die sich nicht den Bestimmungen des Art. 37 cdc entsprechend gebildet hat: beide böten – mangels staatlicher Gründungskontrolle – nicht die einer regulär gegründeten Aktiengesellschaften innewohnenden Garantien und könnten die Gutgläubigkeit der Bürger mit Verlockungen auszunutzen suchen. Die Intention des Art. 37 cdc, d.h. die Etablierung eines staatlichen Schutzes vor gerade solchen Gefahren, müsse für ausländische wie für einheimische Aktiengesellschaften gelten. Die Folge einer (weiteren) Genehmigung des belgischen Königs sei auch keine Existenzaufgabe als französisches Rechtssubjekt oder gar eine „Verdoppelung“ der Existenz einer juristischen Person als französische und belgische, sondern nur Ausdruck der Erweiterung ihrer Daseinsberechtigung außerhalb ihres Gründungslandes. Leclercq betonte auch in seinem zweiten Plädoyer das große Missbrauchspotential von ausländischen, nicht autorisierten Aktiengesellschaften und kam daher zu dem Ergebnis, dass eine Nichtanwendung des Art. 37 cdc auf ausländische sociétés anonymes absurd und daher undenkbar sei. Hinsichtlich der Lage der belgischen Vertragspartner ergänzte Leclercq beruhigende Worte, die – wie er zugab – nicht zu den wahren Elementen eines juristischen Meinungsstreites gehören. Die negativen Folgen für die belgischen Bürger erschienen übertrieben dargestellt, denn diese seien nicht rechtlos gestellt: Es bliebe die Möglichkeit einer Klage gegen die ausländische AG in ihrem Gründungsland oder eine Klage in Belgien gegen die Gruppierung der natürlichen Personen, die sich hinter der AG verbargen. (Wohl) bezogen auf mögliche Retorsionsmaßnahmen des Auslands gegen dort agierende belgische Aktiengesellschaften bemerkte Leclercq lapidar: «(. . .) ce que nous trouvons juste pour nous, nous devons le trouver juste pour les autres, et d’ailleurs encore, quel grand mal pourrait en résulter pour nos sociétés, si leurs opérations sont loyales».389 Jedoch hätten die belgischen Interessen ohnehin keinen Einfluss auf die Behandlung eigener Gesellschaften im Ausland. Das Schicksal der belgischen Aktiengesellschaften hinge (ebenso) allein von dem ausländischen Recht und dessen Anwendung je nach den ausländischen Gepflogenheiten ab. Die Angst vor Retorsionmaßnahmen könne aber ohnehin nicht maßgebend für die Frage der Anerkennung ausländischer Aktiengesellschaften in Belgien sein; entscheidend sei allein – so der Appell Leclercqs an die Cour de Cassation – die bestehende rechtliche Lage.390
389
Leclercq, in: Pasicrisie belge 1849.1.239.
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Es scheint als hätten sich die Bemühungen Leclercqs ausgezahlt, denn – wie bereits angedeutet – folgte die belgische Cour de cassation seinen Erwägungen und setzte sich damit in vollständigen Widerspruch zu ihrem Vorgängerurteil von 1847:391 Die Berufung der Klägerin auf Art. 15 c. civ. – so das Gericht – entbinde die Klägerin nicht von dem Beweis ihrer Existenz in Belgien, welche vom Beklagten ausdrücklich angezweifelt wurde. Zur Frage der Daseinsberechtigung der französischen Aktiengesellschaft in Belgien sei Art. 37 cdc heranzuziehen – jene Norm, die das Gericht 1847 noch für auf ausländische Aktiengesellschaften unanwendbar hielt: «(. . .) cette disposition est absolue; (. . .) elle ne distingue pas si la société a son siège en Belgique où à l’étranger (. . .).»392 Die Anwendbarkeit des Art. 37 cdc auf ausländische Aktiengesellschaften ergebe sich auch aus seiner Eigenschaft der lois de sûreté, zu deren Beweis sich das Gericht sogar der historischen Auslegung, d.h. einem Rekurs auf die Entstehungsgeschichte des Art. 37 code de commerce bediente.393 Die Gefährdung der nationalen Ordnung ergebe sich daraus, dass es neben dem haftenden Kapital der Aktiengesellschaft keine Verantwortlichkeit natürlicher Personen gäbe. Da dieses gefahrreiche Gebilde zudem eine Einrichtung des reinen Zivilrechts sei, welches dem Völkerrecht unbekannt und der Anwendung der Prinzipien des internationalen Rechts unzugänglich sei, müsse die rechtliche Geltung notwendigerweise an den Grenzen des territorialen Geltungsbereichs des ausländischen (Erschaffungs-) Rechts erlöschen. Würde man die ausländische Aktiengesellschaft hingegen ohne königliche Approbation im Inland anerkennen müssen, so stelle dies den völkerrechtlichen Grundsatz der Staatensouveränität in Frage: «Attendu qu’attribuer à une société anonyme créée à l’étranger l’existence ou la personnification en Belgique en l’absence d’une autorisation du Roi, ce serait étendre au-delà des limites tracées par le droit international le pouvoir de l’État qui l’a créé, et porter en même temps atteinte à la souveraineté de l’État belge qui, par l’extension de cette société, aurait été mis dans l’impossibilité de vérifier si elle est utile ou dangereuse et de sauvegarder, comme il le doit, les intérêts nationaux publics ou privés auxquels son existence en Belgique pourrait porter atteinte ».394 390 S. Leclercq, in: Pasicrisie belge 1849.1.239: «(. . .) ces considérations des inconvénients d’un système sont donc toutes secondaires, elles ne peuvent donc rien sur la décision que vous avez à rendre; le droit, rien que le droit, doit l’inspirer». 391 Cour de cassation de Belgique, Urt. v. 8. Februar 1849, in: Pasicrisie belge 1849. 1.239–241. 392 Cour de cassation de Belgique, Urt. v. 8. Februar 1849, in: Pasicrisie belge 1849. 1.240 (linke Spalte). 393 Vgl. hierzu Cour de cassation de Belgique, Urt. v. 8. Februar 1849, in: Pasicrisie belge 1849.1.240 mit Verweis auf Locré und bereits Gliederungspunkt B. I. 2. b) bb) dieser Arbeit. 394 Cour de cassation de Belgique, Urt. v. 8. Februar 1849, in: Pasicrisie belge 1849. 1.239 (rechte Spalte).
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Anders als noch im Jahre 1847, als das Gericht die Ungleichbehandlung von juristischer Person des öffentlichen Rechts und des Privatrechts als Ansatzpunkt für die Anerkennung der ausländischen Aktiengesellschaft herausstellte, erblickte es nun fundamentale Unterschiede zwischen den beiden Typen: «Attendu que si les communes des États étrangers et les établissements publics qui en dépendent (. . .) sont reconnus en Belgique comme des personnes civiles capables d’y posséder et d’y exercer des droits, ce n’est pas en vertu des dispositions du droit civil particulier à ces États, mais bien par l’application du droit des gens international; qu’en effet les communes faisant partie de l’existence même des États (. . .) sont reconnues (. . .) par cela même que ces États y sont eux-mêmes reconnus par les relations d’amitié et d’affaires que le gouvernement belge entretient avec eux.»395 Diese Prinzipien seien aber nicht übertragbar auf die Anerkennung bloßer privater Einrichtungen eines anderen Staates. Die Berufung der französischen Aktiengesellschaft auf Art. 3 Abs. 3 des belgischen code civil sei mangels Anerkennung des Substrates einer Person folglich haltlos. Darüber hinaus – auch hier findet sich eine Abkehr vom Urteil des Jahres 1847 – gelte diese Norm nur für natürliche Personen. Selbst wenn man jedoch die Anwendbarkeit des Art. 3 c. civ. auf juristische Personen unterstelle, so schreibe diese Norm den belgischen Gerichten jedenfalls keine Entscheidung über état und capacité nach dem ausländischen Recht vor.396 Damit macht das Gericht wiederum deutlich, dass der Ursprung des „Daseins“ der ausländischen Aktiengesellschaft im belgischen Staat nicht in Art. 3 Abs. 3 des belgischen code civil übergeleitet werden könne. Sofern es in den zivilisierten Staaten trotz alledem anerkannt sei, dass état und capacité, d.h. die persönliche Rechtsstellung, einer Person durch das Recht ihres Heimatlandes regiert werden, so sei dieser Grundsatz nach Ansicht der belgischen Cour de cassation allein dem Völkergewohnheitsrecht geschuldet und unterliege bestehenden rechtlichen Restriktionen. Da sich aber (auch nach dem Schrifttum) eine Ausweitung des Personalstatuts jedenfalls dann verbiete, wenn die Anwendung ausländischen Rechts die öffentliche Ruhe, die öffentliche Ordnung oder nationale öffentliche bzw. private Interessen zu kompromittieren vermögen, müsse eine Anwendung des Personalstatuts bei ausländischen Aktiengesellschaften zwingend ausscheiden. Die Nichtanwendbarkeit der Regeln des Personalstatuts auf Aktiengesellschaften sei rechtlich schon durch Art 37 cdc sanktioniert: «(. . .) la loi n’en permet l’existence qu’avec l’autorisation du Roi».397
395 Cour de cassation de Belgique, Urt. v. 8. Februar 1849, in: Pasicrisie belge 1849. 1.240 (linke Spalte). 396 Zur Erinnerung: 1847 sprach die Cour de cassation davon, dass sich das Prinzip des Art. 3 Abs. 3 c. civ. im Wege der reziproken Anwendung auch auf den gegenteiligen Fall, d.h. auf Ausländer, die sich in Belgien befinden, erstrecken müsse. 397 Cour de cassation de Belgique, Urt. v. 8. Februar 1849, in: Pasicrisie belge 1849. 1.240 (rechte Spalte).
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Wenn somit allein der König nach sorgsamer Abwägung von denkbaren Nutzen und Gefahren einer Aktiengesellschaft für das eigene Land über deren Existenzberechtigung entscheiden könne und dürfe, so folge hieraus ebenso: «(. . .) que les mêmes considérations d’ordre public et de haut intérêt national (. . .) s’opposent également à ce que l’autorisation accordée par le gouvernement d’un pays étranger pour former une société anonyme sorte ses effets en Belgique».398 Somit könne auch die Genehmigung des französischen Königs in Belgien keine Geltung entfalten, selbst wenn man die Approbation als konstitutives Element des Personalstatuts der Aktiengesellschaft ansehen möge. Die französische Feuerversicherungsgesellschaft bedürfe zu ihrer Existenz in Belgien (zusätzlich) der Autorisation des belgischen Königs. Da das erstinstanzliche Gericht damit weder gegen Art. 15 c. civ. verstoßen noch Art. 37 cdc falsch angewendet hätte, wies die belgische Cour de cassation die Klage der französischen Gesellschaft ab. Gegensätzlich zum Urteil von 1847 hatte das Gericht seine wesentliche Argumentation folglich parallel zum Antrag des Generalstaatsanwaltes ausgerichtet. (cc) Bewertung des Rechtsprechungswandels Nach alledem stellt sich die Frage, weshalb der oberste belgische Gerichtshof innerhalb dieser kurzen Zeitspanne eine komplette Wende von liberaler zu restriktiver Rechtsprechung vollzog, obwohl der Generalstaatsanwalt von Anfang an eine ablehnende Haltung vertrat. Die Gründe für diesen Sinneswandel sind in der Literatur bislang – soweit ersichtlich – nicht näher beleuchtet worden.399 Der Vergleich beider Urteile zeigt, dass die rein juristischen Argumente nicht ausschlaggebend waren, da derselbe Sachverhalt innerhalb von zwei Jahren anhand der gleichen Normen völlig gegensätzlich entschieden wurde.400 Vielmehr liegt der Verdacht nahe, dass andere Motive den stillschweigenden Rechtsprechungswandel herbeigeführt haben. Hinweise finden sich in einem Plädoyer des 398 Cour de cassation de Belgique, Urt. v. 8. Februar 1849, in: Pasicrisie belge 1849. 1.240 (rechte Spalte). 399 Zumeist wird nur die Gegensätzlichkeit der beiden Urteile festgestellt, vgl. Abrahams (1957), S. 9 f., 14; Dalloz, Répertoire de législation, Bd. 40 (1859), Stichwort: société, Nr. 1588, S. 717; Lescoeur (1877), Nr. 140, S. 105; Moutier, Clunet 21 (1894), 954, 955 f.; Namur, Clunet 4 (1877), 381; Popesco (1911), S. 75; Schwandt (1912), S. 173; Weiss (1909), S. 323 f.; Großfeld, RabelsZ 38 (1974), 344, 352 und Rabel, Bd. 2 (1960), S. 139, verweisen auf den Einfluss Leclercqs, welcher aber bereits 1847 die gleiche Auffassung vertreten hatte; unzutreffend Castier (1884), S. 146 sowie Lyon-Caen (1870), S. 28, die davon ausgehen, dass die belgische Cour de cassation bereits am 22. Juli 1847 die Rechts- und Parteifähigkeit ausländischer, in Belgien nicht-autorisierter Aktiengesellschaften abgelehnt hätte; der belgische Autor Guillery lässt die restriktiven Entscheidungen von 1849 und 1851 lieber unter den Tisch fallen, s. Clunet 10 (1883), S. 225 f. 400 Inwieweit die an den Entscheidungen beteiligten Juristen die gleichen waren, lässt sich nicht mit Bestimmheit sagen.
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französischen Generalstaatsanwaltes Oscar de Vallée.401 Die Änderung der belgischen Rechtsprechung, d.h. die Übernahme der Lehre Leclercqs, sei auf die Furcht Belgiens vor einem stärker werdenden Einfluss französischer Aktiengesellschaften im eigenen Land zurückzuführen: «La Belgique redoutait toutes les sociétés que nous pouvions lui envoyer. (. . .) Les circonstances, la proximité de la frontière, la volonté de n’être envahi ni directement, ni indirectement, ni en grand, ni en petit, firent, je n’en doute pas, le succès de cette doctrine. Toute la force de l’arrêt est dans la raison politique et d’État (. . .)».402 Die Rechtsprechungsänderung der belgischen Gerichte sei daher keinesfalls Ergebnis juristischer Auslegung der gemeinsamen Gesetzbücher: «Ce sont les Belges qui en ont eu l’idée, sous l’empire d’une préoccupation politique, financière, industrielle, mais non à coup sûr juridique.»403 Jedoch drängte in den Augen de Vallées die Befürchtung des belgischen Staates404 vor einer „Überfremdung“ mit „feindlichen“ ausländischen Kapitalgesellschaften die Judikative zur Umkehr: «(. . .) au nom de la police et de la sûreté, comme il s’agissait d’appliquer une loi de douanes, on demande à la justice d’arrêter l’ennemi.»405 Inwiefern diese subjektive Einschätzung des französischen Generalstaatsanwaltes der tatsächlichen Haltung der belgischen Rechtsprechung bzw. Literatur entsprach, spiegelt sich ansatzweise in der Stellungnahme des belgischen Generalstaatsanwaltes Dewandre, dem Nachfolger Leclercqs, im Vorfeld des Urteils 401 Erwägungen von de Vallée, in: Recueil Dalloz 1863.2.85–87, wobei diese Quelle sicherlich von der Sicht der französischen „Gegenseite“ und dem Ärger über den Meinungsumschwung der belgischen Cour de cassation gefärbt sein mag; demgegenüber stützt Laurent, Bd. 4 (1880), S. 297 f., die neue Rechtsprechung des belgischen obersten Gerichtshofs allein auf dessen „weitsichtigen, juristischen Scharfsinn“, was wiederum mit Blick darauf zu würdigen ist, dass Laurent Belgier und der Anerkennung gegenüber grds. restriktiv eingestellt war: «Notre cour de cassation ne s’enquiert de ce qui se passe en France; (. . .). Si elle repousse les compagnies françaises, ce n’est pas parce que la jurisprudence française n’offrait pas une garantie suffisante de réciprocité pour les compagnies belges, c’est par les plus graves considérations d’intérêt social, appuyés sur les principes qui régissent la personnification. » 402 Vgl. de Vallée, in: Recueil Dalloz 1863.2.86 (rechte Spalte). 403 De Vallée, Quelle wie Fn 402. 404 Der Generalstaatsanwalt spricht im Hinblick auf den belgischen Staat von «le souverain si vivement inquiété par la présence de nos sociétés anonymes», vgl. de Vallée, Quelle wie Fn 402, S. 87 (linke Spalte). Dem ist zwar entgegenzuhalten, dass die belgischen Gesetzgebungsorgane und Verwaltungsbehörden der Anerkennung grds. positiv gegenüberstanden, vgl. B. I. 2. c) aa) (2), doch schoben diese tatsächlich den nationalen Gerichten gewissermaßen den „schwarzen Peter“ zu, indem sie selbst nicht für eine klare gesetzliche Regelung der Anerkennungsfrage sorgten (siehe hierzu Ernst in der Sitzung der Repräsententantenkammer vom 7. Juni 1834, Fundstelle wie Fn 304, Spalte 5), sondern für die Rechtsfolgen einer fehlenden Konzession i. d. R. auf die Entscheidung der Gerichte verwiesen; dies gilt auch für die französische Seite, s. B. I. 2. c) aa) (1) (b). 405 De Vallée, Quelle wie Fn 402.
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der belgischen Cour de Cassation von 1851 wider, welches die ablehnende Haltung des belgischen obersten Gerichtshof gegenüber der (automatischen) Anerkennung fremder Aktiengesellschaften nach dem bereits dargestellten Urteil von 1849 erneut bekräftigte.406 Die Worte Dewandres illustrieren, dass die fremden Aktiengesellschaften – insbesondere die französischen Gesellschaften in Belgien – im eigenen Land scheinbar Überhand nahmen: «il n’y a eu qu’une voix en Belgique comme en France pour signaler comme un malheur public, comme une cause de démoralisation et de perturbation commerciale, comme une source feconde de désordre et de maux, ces nombreuses sociétés anonymes (. . .)».407 Gemäß der Urteilsbegründung der Vorinstanz, welche entgegen der Grundsatzentscheidung der belgischen Cour de Cassation von 1849 die Rechtsfähigkeit einer in Belgien nicht autorisierten französischen Aktiengesellschaft anerkannt hatte, sei der Streit um die Anerkennungsfrage ein Kind der zunehmenden wirtschaftlichen Konkurrenz: «(. . .) il est remarquable que cette question de l’existence des sociétés étrangères est née de la concurrence; qu’elle intéresse bien plus les sociétés rivales que l’ordre et la tranquillité publics; que s’il en était autrement, si la proscription en masse de ces sociétés, qui existent depuis longtemps et en grande nombre dans le pays, était devenue une nécessité politique, une mesure de sûreté, on ne comprendrait pas l’inaction de l’autorité publique, de la législation surtout si souvent mise en demeure de prendre l’initiative de cette mesure; (. . .)».408 Freilich gehen wirtschaftspolitische und allgemein rechtspolitische Gründe der Nichtanerkennung, etwa die Vermeidung von „Überfremdung“ der heimischen Wirtschaft und die Angst vor der Gewinnung politischer Macht infolge wirtschaftlichem Potentials, fließend ineinander über. Daher macht es sich das Genter Gericht etwas zu einfach, wenn es von der Offenkundigkeit „rein wirtschaftlicher“ Interessen im Zusammenhang mit der Nichtanerkennung ausländischer Aktiengesellschaften spricht. Das Argument der gesetzgeberischen Möglichkeit eines kompletten Verbotes ausländischer Aktiengesellschaften ist ein nur theoretisches, denn – wie das Gericht eigens zu erkennen gibt – war man in Belgien selbst auf die Gesellschaftsform der Aktiengesellschaft und ihren Handel mit dem Ausland angewiesen.409 Mit einem gesetzlichen Verbot hätte man Retorsionsmaßnahmen des Auslandes heraufbeschworen und Belgien als Staat und Handelsplatz in Europa isoliert.410 406 Cour de cassation de Belgique, Urt. v. 30. Januar 1851, abgedruckt in: Pasicrisie belge 1851.1.313 f. 407 Plädoyer von Dewandre, in: Pasicrisie belge 1851.1.312 (linke Spalte). 408 Tribunal de Gent (Gericht erster Instanz), Urt. v. 14. Januar 1850, in: Pasicrisie belge 1851.1.309 (komplettes Urteil S. 307–310). 409 Urteil des Tribunal de Gent, wie Fn 408, S. 308 f. 410 Hierzu passen auch die Gedanken des belgischen Abgeordneten Ernst, vgl. Nachweis in Fn 310.
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Ergänzend wird im Zusammenhang mit der sich in den vierziger Jahren zuspitzenden Anerkennungsproblematik – vom französischen wie belgischen Schrifttum des 19. Jahrhunderts – die massive Konkurrenz französischer Aktiengesellschaften für gleichartige belgische Unternehmungen, insbesondere im Versicherungswesen, auf dem belgischen Markt angeführt.411 Weitere Anhaltspunkte für die Angst Belgiens – insbesondere deren nationaler Gerichte – vor der zu großen Macht französischer Aktiengesellschaften – und damit rechtspolitische Motive für deren Nichtanerkennung – finden sich bereits im Vorfeld der ersten Entscheidung des belgischen Kassationshofes zur Anerkennungsfrage im Urteil des Zivilgerichts Brüssel.412 Neben Erwägungen zur Souveränität des aufnehmenden Staates, dessen Rechte verletzt würden, wenn die Konzession des Herrschers des Ursprungslandes der Aktiengesellschaft für deren Anerkennung im Aufnahmeland als ausreichend angesehen würde, wird der Aspekt der „Gegenseitigkeit der Anerkennung“ vom Gericht aufgegriffen: «Qu’en effet, et alors que les pouvoirs Belges reconnaîtraient les Sociétés anonymes étrangères, rien ne garantit la réciprocité des autorités des pays étrangers;»413 Es lässt sich auch aus den Worten des belgischen Generalstaatsanwalts Dewandre vor der belgischen Cour de cassation entnehmen, dass ihm die mangelnde rechtliche „Absicherung“ der (bisher) der Anerkennung der heimischen Aktiengesellschaften (noch) wohlgesonnenen französischen Rechtsprechung ein Dorn im Auge war: «Or, s’il est vrai que l’action des sociétés anonymes étrangères soit utile au pays, la faculté des traités internationaux est là également pour régulariser ce principe et en écarter ce qui, dans son application, pourrait présenter de dangereux pour les intérêts du pays et ses institutions politiques.»414 411 Siehe Namur, Clunet 4 (1877), 381: «Cette question [de savoir si une société anonyme étrangère pouvait être reconnue comme personne morale, et, partant, si elle avait qualité pour ester en justice en nom propre] avait une grande importance pratique, spécialement pour les sociétés françaises d’assurances, qui faisaient un grand nombre d’opérations en Belgique.» [Hinzufügung durch Verf.] 412 Trib. Civ. de Bruxelles, Urt. v. 12. Dezember 1846, in: La Belgique judiciaire 5 (1847), Spalte 7 f. 413 Siehe Urteil des Zivilgerichts Brüssel vom 12. Dezember 1846, wie Fn 412, Spalte 8, welches ergänzend ausführt: «(. . .) que les Sociétés anonymes Belges qui contracteront avec des étrangers pourront toujours poursuivre leur droits devant les Tribunaux Belges (art. 14 du Code civil); que, s’ils veulent les faire valoir devant les juges du domicile de l’étranger, ils auront à s’assurer préalablement de la législation de ce pays; qu’enfin, quelles que soient les conséquences de la loi, elles ne peuvent en suspendre l’exécution; (. . .)». 414 So Dewandre im Vorfeld des Urteils der Cour de cassation vom 30. Januar 1851, abgedruckt in: Pasicrisie belge 1851.1.312 (rechte Spalte). Zuvor hatte das kassierte Urteil des Gerichts erster Instanz (Quelle wie Fn 408, S. 308 f.) die Anerkennung auf den Reziprozitätsgedanken gestützt. Nach dem Hinweis darauf, dass der Gesetzgeber das Konzessionserfordernis eingeführt habe, weil die Rechtsform der AG neben Vorteilen für die wirtschaftliche Entwicklung auch Gefahren in sich birge, führt das Gericht aus: «(. . .) il est donc entrée dans la pensée du législateur que la société anonyme qu’il auto-
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Somit scheint es, als hätte sich die belgische Cour de cassation der Nichtanerkennung der französischen Aktiengesellschaften unter dem Einfluss der zunehmend kritischen Stimmen zugewandt, die die starke Konkurrenz aus dem Ausland verteufelten. Da sich die belgische Regierung nicht in der Lage sah, am bestehenden Zustand der gesetzlich nicht abgesicherten automatischen Anerkennung im Wege der Reziprozität etwas zu ändern und die Entscheidung daher (weiterhin) den Gerichten überantwortete, konnte nur ein Rechtsprechungswandel die Überfremdung der heimischen Wirtschaft mit ausländischen Aktiengesellschaften stoppen. Als rechtliche Argumente mussten dem obersten belgischen Gerichtshof daher insbesondere die mangelnde Geltung des Personalstatuts für künstliche Gebilde, der Gedanke der Verletzung der Souveränität und der öffentlichen Ordnung bzw. die fehlende (völkerrechtliche) Rechtsgrundlage der (bislang praktizierten) gegenseitigen Anerkennung herhalten. Tatsächlich sprachen ineinandergreifende wirtschaftspolitische und allgemein rechtspolitische Gründe für die Nichtanerkennung, etwa die Vermeidung von „Überfremdung“ der heimischen Wirtschaft und die Angst vor der Gewinnung politischer Macht infolge von wirtschaftlichem Potential. (2) Die Ansicht der Rechtswissenschaft in Belgien Die belgische Rechtswissenschaft stand der Anerkennung ebenfalls ablehnend gegenüber, weshalb entsprechende Gerichtsentscheidungen in der belgischen Literatur stark begrüßt wurden. Wesentlicher Beleg hierfür ist ein Beitrag in La Belgique Judiciaire der beiden Rechtsprofessoren Arntz und Bastiné sowie dem Anwalt Bartels aus dem Jahre 1846.415 Die Autoren beschäftigten sich mit der Frage, ob eine Aktiengesellschaft, die wirksam im Ausland gegründet wurde, auch in Belgien vor Gericht auftreten dürfe, sofern diese Gesellschaft keine Genehmigung von der belgischen Regierung erhalten hatte. Auch das belgische Schrifttum erkannte diese „neue“ Frage als eine Begleiterscheinung der industriellen Revolution. Die in immer größeren Zahlen auftretenden Aktiengesellschaften übten nun nicht mehr nur auf ihre heimische, sondern auch die ausländische Industrie spürbaren Einfluss aus. Die quantitative Zunahme von Auslandgesellschaften strapazierte mehr und mehr die internationalen Beziehungen.416 Anknüpfend an die ersten restriktiven Urteile risait fût reconnue par les autres nations (sans pareille reconnaissance la société anonyme ayant pour objet un commerce éloigné ne pourrait s’établir), et que, par réciprocité, la société anonyme établie à l’étranger, et sous l’empire d’une législation analogue à la notre, fût à son tour commune chez nous;» (Hervorhebung des Verf.). Es sei daher ein Bedürfnis des Gemeinwohls – und gerade keine Gefahr für den ordre public – dass man mit Hilfe der gegenseitigen Anerkennung die Mobilität und Handlungsfähigkeit belgischer Aktiengesellschaften gewährleiste. 415 Arntz/Bastiné/Bartels, La Belgique Judiciaire 4 (1846), Spalten 1781–1812. 416 Arntz/Bastiné/Bartels, Fundstelle wie Fn 415, Spalte 1781.
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einiger belgischer Friedensrichter und Untergerichte aus den Jahren 1845/46 musste somit auch aus Sicht der Literatur eine Rechtfertigung für die Legitimität der ablehnenden Haltung gegenüber den französischen Aktiengesellschaften gefunden werden.417 Gerade besagter Aufsatz der drei belgischen Rechtsgelehrten dient als wichtige Erkenntnisquelle für die Anerkennungsproblematik der ausländischen Aktiengesellschaft, weshalb es sinnvoll erscheint, diese Abhandlung näher zu betrachten. Die zentralen Argumente dieses Beitrages tauchten implizit oder explizit in den meisten die Anerkennungsfrage betreffenden Urteilen und den Stellungnahmen der belgischen Generalstaatsanwälte auf.418 Zudem nahm die spätere Literatur zur Anerkennungsfrage noch immer auf diese Abhandlung Bezug, was deren Bedeutung zusätzlich unterstreicht.419 Im ersten Teil ihrer Publikation beschäftigen sich Arntz, Bastiné und Bartels zunächst mit der Daseinsberechtigung und den Spezifika der juristischen Person im Allgemeinen. Ansatzpunkt der Rechtswissenschaft der damaligen Zeit, welcher gegen die Anerkennung ausländischer Kapitalgesellschaften ins Feld geführt wurde, war die eigentümliche Rechtsnatur der société anonyme.420 Betont wurde die grundsätzliche Gegensätzlichkeit der natürlichen Person und des künstlichen Gebildes der Aktiengesellschaft. Die natürliche Fähigkeit, Träger von Rechten und Pflichten zu sein, werde allein dem Menschen als Rechtssubjekt zuteil und müsse auf dem gesamten Globus akzeptiert werden.421 Die belgischen Autoren standen mit dieser Auffassung nicht allein, denn ausgehend von dem Gedankengut Savignys422 fanden sich in belgischer und französischer Literatur viele Ver-
417 Vgl. zu diesen Urteilen oben Gliederungspunkt B. I. 2. c) bb) (1) (a). Wie Arntz/ Bastiné/Bartels, Fundstelle wie Fn 415, Spalte 1781, feststellen, könne vor den belgischen Gerichten erst dann eine fundierte Entscheidung zur Anerkennungsfrage getroffen werden, wenn das Problem grundlegend wissenschaftlich durchdrungen sei. 418 Vgl. die Schlussanträge von Leclercq und dessen Nachfolger Dewandre (s. o. Gliederungspunkt B. I. 2. c) bb) (1) (b)), v. a. Leclercq, in: Dalloz 1847.2.172 f.; Erwiderung des Beklagten, in: Pasicrisie belge 1849.1.225; Verteidigung der beklagten Aktiengesellschaft, in: Pasicrisie belge 1851.1.310; Dewandre, in: Pasicrisie belge 1851.1.311. 419 So etwa Namur, Clunet 4 (1877), 381. 420 Dem Begriff der Kapitalgesellschaft wird im Folgenden das heutige Begriffsverständnis zugrunde gelegt, vgl. hierzu etwa Eisenhardt (2009), Rn 22, S. 18. 421 Arntz/Bastiné/Bartels, Fundstelle wie Fn 415, Spalten 1781, 1782 mit Verweis auf Savigny, Bd. 2 (1840), § 60, S. 1–3: «Le but du droit est de régler les rapports entre les hommes, afin de garantir leur libérté morale. C’est pour les hommes et pour eux seuls que le droit existe. (. . .) De là résulte que l’homme, et l’homme seul, est capable d’avoir des droits; seul il est sujet des droits. Le sujet des droits s’appelle en langue technique, une personne. Par le seul fait de son existence, l’homme est donc une personne, et lui seul peut être personne.» S. a. Arntz/Bastiné/Bartels, Fundstelle wie Fn 415, Spalten 1781 ff., 1787; zur Modernität dieses Ansatzes, vgl. M. Lehmann, AcP 207 (2007), 225, 226 ff. 422 Savigny, Bd. 8 (1849), § 361, S. 118–133 und Bd. 2 (1840), § 60, S. 1–3, § 85 f., S. 235–245.
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fechter der sog. „Fiktionstheorie“: Die société anonyme sei nicht mehr als ein vom Gesetzgeber zugelassenes Gebilde, das nur aufgrund der Gesetzgebungskompetenz des Staates mit Rechten versehen werde. Sofern jedoch dieses Staatsgebiet von der Gesellschaft verlassen werde, so gäbe es keinerlei Existenzberechtigung dieses Gebildes mehr.423 Eine Gleichstellung von Realität und Fiktion, d.h. Mensch und juristischer Person als gleichwertiges Rechtssubjekt, sei undenkbar, denn der Mensch erhalte seine Daseinsberechtigung von Gottes Gnaden und existiere damit Zeit seines Lebens zweifellos überall.424 Die Korporation dagegen verdanke ihre Existenz dem Gesetz, dessen räumlicher Geltungsbereich nicht über die eigenen Staatsgrenzen hinaus ausgedehnt werden könne. Wolle ein solches Gebilde außerhalb seines Staatsgebietes in Belgien rechtliche Geltung beanspruchen, so bedürfe es gemäß den Anhängern der Fiktionstheorie (zu denen auch das belgische Autorentrio zählte) eines Anerkennungsaktes des belgischen Staates.425 Arntz, Bastiné und Bartels wollen die Richtigkeit dieser These anhand fundamentaler Prinzipien dreier Rechtsmaterien belegen. Die Notwendigkeit eines Anerkennungsaktes ausländischer Aktiengesellschaften sei nicht nur zivil- und öffentlichrechtlich, sondern auch völkerrechtlich bestimmt:426 Ausgangspunkt jeglicher Überlegung sei, dass der Staat aufgrund der Vorzüge juristischer Personen diese Gebilde kraft Gesetzes zu Rechtssubjekten erklärt habe, sei es aus sozialen Gründen, aus bloßen Notwendigkeiten oder Nützlichkeitserwägungen. Dabei sei ein fundamentaler Unterschied zwischen den verschiedenen Typen juristischer Personen zu erblicken. Der Staat und diesem untergeordnete juristische Personen des öffentlichen Rechts seien denknotwendige Organisationsformen jeder Nation. Demzufolge käme dem Staatswesen – wie dem Menschen selbst – eine gleichsam natürliche, völkerrechtlich anzuerkennende Rechtsfähigkeit zu.427 Die juristischen Personen des bürgerlichen Rechts hingegen seien austauschbar, denn sie verdankten ihr Bestehen, soweit dies die geltende Zivilrechtsordnung zulasse, dem Zufall und der Willkür ihrer Gründer. Der Staat allein habe die Macht die jeweilige Idee der Gründer, die hinter der Bildung
423 Vgl. Laurent, Bd. 4 (1880), Nr. 119, S. 231: «Le législateur seul a le pouvoir de créer des personnes juridiques; or, son pouvoir s’arrête à la limite du territoire de la nation qui a délégué la puissance législative; hors de ces limites, il n’exerce aucune autorité; donc les corporations, qui n’ont d’existence que par sa volonté, n’existent pas là où cette volonté est sans force et sans effet. C’est une différence capitale entre la personne réelle et la personne fictive.» 424 Laurent, Bd. 4 (1880), Nr. 119, S. 232. 425 Arntz/Bastiné/Bartels, Fundstelle wie Fn 415, Spalte 1781; Laurent, Bd. 4 (1880), Nr. 123, S. 243. 426 Arntz/Bastiné/Bartels, Fundstelle wie Fn 415, Spalten 1781 ff. Nachfolgende Ausführungen beschäftigen sich mit dem Inhalt dieses Aufsatzes. 427 Arntz/Bastiné/Bartels, Fundstelle wie Fn 415, Spalten 1781, 1783.
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einer juristischen Person stecke, zum (rechtlichen) Leben zu erwecken und zu einer immerwährenden Existenz zu verhelfen.428 Doch sei nicht außer Acht zu lassen, dass diese Idee oder das betreffende Bedürfnis, das einen Staat dazu veranlasst habe, deren Personifikation zugunsten des öffentlichen Wohls zuzulassen, nicht zu jeder Zeit und an jedem Ort Bestand haben müsse: «La personnalité accordée à telle idée peut être utile dans un pays, nuisible dans un autre, salutaire à une époque, pernicieuse à une autre.»429 Daher sei es leicht einzusehen, dass es für die Existenz der juristischen Personen des Privatrechts keine naturgesetzliche oder öffentlich-rechtliche Legitimation bzw. gar Garantie geben könne. Diesen rein ideellen Gebilden könne Rechtssubjektivität allein mithilfe einer staatlichen Genehmigung (autorisation) verliehen werden, um Rechtsunsicherheit und Missbrauch vorzubeugen. Als rechtliches Argument gegen die automatische Anerkennung einer juristischen Person des Zivilrechts heben die Autoren demnach den Unterschied zu natürlichen Personen bzw. öffentlich-rechtlichen Körperschaften hervor, deren Eigenschaft als Rechtssubjekt naturgegeben sei.430 Daneben seien aber ebenso politische und ökonomische Motive ins Kalkül zu ziehen. Es sei allgemein anerkannt, dass Korporationen für die öffentliche Ordnung zur Gefahr werden könnten. Die Tatsache, dass eine Genehmigung juristischer Personen dem Staatsoberhaupt obliege, belegen die Autoren mit Grundsätzen des römischen und alten französischen Rechts.431 Die Überlegungen, dass Körperschaften den Interessen des Staates schaden könnten und eine Kumulation von Werten in toter Hand vermieden bzw. beschränkt werden müsse, seien schon zur Zeit der französischen Revolution proklamiert worden432 und hätten dazu geführt, dass auch Mitte des 19. Jahrhunderts die staatliche Genehmigung juristischer Personen im französischen, im englischen und im amerikanischen Recht notwendige Voraussetzung ihrer Existenz sei.433 Hinsichtlich der Bekundung des 428 Arntz/Bastiné/Bartels, Fundstelle wie Fn 415, Spalten 1781, 1784: «C’est ainsi que le commerce et l’industrie ont formé de grandes sociétés qui perpétuèrent la pensée des premiers fondateurs.» 429 Arntz/Bastiné/Bartels, Fundstelle wie Fn 415, Spalten 1781, 1784. 430 «Le seul fait de l’existence physique d’un homme fait connaître aux autres hommes, qu’ils ont ses droits à respecter, et au juge qu’il doit protéger ces mêmes droits.» Arntz/Bastiné/Bartels, Fundstelle wie Fn 415, Spalten 1781, 1785. 431 Arntz/Bastiné/Bartels, Fundstelle wie Fn 415, Spalten 1781, 1785 f. m.w. N.; vgl. zum neueren Forschungsstand Mehr (2008), S. 232 ff., ebenso mit Nachweisen zum römischen und zum altem französischen Recht. Vgl. allgemein zum staatlich verfolgten Kontrollzweck des Genehmigungserfordernisses auch Michoud, Bd. 2 (1909), Nr. 303– 314, S. 294–320. 432 Vgl. hierzu bereits den vorangegangenen Teil B. I. 2. b) zur Geschichte des französischen code de commerce von 1807. 433 Arntz/Bastiné/Bartels, Fundstelle wie Fn 415, Spalten 1781, 1786 m.w. N. An dieser Stelle sei ein weiteres Mal auf die Entwicklungsgeschichte der Rechtspersönlich-
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entsprechenden Willens des Gesetzgebers zur Bewilligung einer Körperschaft könne man drei verschiedene Systeme bemühen: Die Einzelkonzession durch den Gesetzgeber selbst, Delegation der Konzessionsvergabe an die Institutionen der Exekutive (unter Vorgabe der Prinzipien durch den Gesetzgeber) und das System der Normativbestimmungen. In Belgien könne keine juristische Person ohne die ausdrückliche und formelle Intervention der staatlichen Autorität gegründet werden.434 Speziell für Aktiengesellschaften gelte das Konzessionserfordernis nach Art. 37 des belgischen Handelsgesetzbuches. Diese dargestellten Existenzbedingungen einer juristischen Person des Privatrechts als Ausnahmeerscheidung des nationalen Zivilrechts seien allein schon ausreichend, um die Frage nach der Existenz einer solchen Person außerhalb ihres Gründungslandes grundsätzlich zu verneinen.435 Die gleiche Position lasse sich aber überdies aus den Grundprinzipien des öffentlichen Rechts und des Völkerrechts ableiten, wie Arntz, Bastiné und Bartels im zweiten Teil ihres Aufsatzes aufzeigen wollen:436 Der Staat wende bei seiner Entscheidung über die Genehmigung einer juristischen Person (als Akt seines souveränen Willens) stets Weitsicht an, um das Wohlergehen seiner Bürger sicherzustellen. Die automatische Zuerkennung der Rechtsfähigkeit einer fiktiven ausländischen Person würde den Gesetzen des ausländischen Staates entgegen der Grenzen der Vernunft und des internationalen Rechts eine bindende Wirkung jenseits ihrer Landesgrenzen verschaffen. Gleichzeitig schränke man den Machtbereich des einheimischen Staates ein und nehme ihm einen Teil seiner Unabhängigkeit. Man zwinge ihm einen fremden Willen auf und beraube ihn der Möglichkeit, als frei entscheidender Souverän über Maßnahmen zu befinden, die für das Wohlergehen seiner eigenen Nation fruchtbar seien oder aber – noch schlimmer – man lähme diese freie Abwägung des Staates indem man ihm, infolge des Eindringens eines ausländischen Geschöpfes, die Untersuchung von dessen Nutzen und dessen Gefährdungspotential verwehre.437 Es sei aber völkerrechtlich keit von privatrechtlichen Zusammenschlüssen aus deren öffentlich-rechtlichen Vorgängern sowie den primären Hintergrund des Konzessionserfordernis der AG – die staatliche Kontrolle anstelle der Verleihung von Rechtssubjektivität – hingewiesen, s. o. Gliederungspunkt B. I. 2. b) bb) (3). 434 Die Autoren führen hierzu die postrevolutionären Gesetze zur Errichtung mildtätiger bzw. kirchlicher Einrichtungen an; einen Überblick hierzu bietet Michoud, Bd. 1 (1906), Nr. 138, S. 384 ff. 435 Die Argumentation der Autoren geht auch hier vom Boden öffentlich-rechtlicher Körperschaften aus, denn man spricht im Zusammenhang von juristischen Personen des Privatrechts von einer „nature de privilège“ – ein Begriff, den man im Hinblick auf das Konzessionserfordernis von Art. 37 cdc gerade tunlichst vermeiden wollte, s. o. Gliederungspunkt B. I. 2. b) bb) (3). 436 Arntz/Bastiné/Bartels, Fundstelle wie Fn 415, Spalten 1781, 1787–1793. 437 Siehe Arntz/Bastiné/Bartels, Fundstelle wie Fn 415, Spalten 1781, 1790: «L’admission d’une personne civile étrangère ne porte pas seulement atteinte à la souveraine puissance du législateur, elle paralyse son action; elle l’empêche d’être l’arbitre
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allgemein anerkannt, dass jeder unabhängige Staat souverän und exklusiv die gesetzgebende Gewalt auf zivil- und strafrechtlichem Gebiet innehabe.438 Da die Gründung einer juristischen Person ein legislativer Akt sei, schließe sich wiederum der Kreis: Bei einem angenommenen Anerkennungszwang käme es zu einer ungerechtfertigten Ausdehnung der Reichweite ausländischen Rechts. Zudem entziehe man dem Staat (im Falle rechtsgrundlagenloser Anerkennung einer ausländischen Aktiengesellschaft) sein „oberstes Inspektionsrecht“, denn juristische Personen könnten aufgrund ihrer eigentümlichen Rechtsnatur großes Machtpotential entfalten: Sie besäßen die Möglichkeit der Vervielfältigung ihrer Mittel, eine starke Organisation, eine dauerhafte Existenz und eine besondere Einheitlichkeit und Reichweite ihrer Tätigkeit. Aus diesem Grunde könnten juristische Personen des Privatrechts für den Staat nicht nur hilfreich sein, sondern auch zu einer ernsthaften Bedrohung werden: «De même que les personnes civiles peuvent être un grand moyen de progrès et puissamment aider l’État à atteindre son but, de même elles peuvent devenir dangereuses pour le pouvoir, pour la liberté, pour l’instruction, pour le commerce et l’industrie; elles peuvent, en un mot, compromettre gravement l’ordre public.»439 Nach Arntz, Bastiné und Bartels bedeute die ipso iure Anerkennung einer ausländischen juristischen Person die Zulassung von Geschöpfen im Innersten (d.h. mitten im eigenen Land), welche ungestraft die öffentliche Ruhe zu stören vermögen.440 Diese These belegen die Rechtsgelehrten anhand einschlägiger Publikationen zum (damaligen) internationalen Privatrecht.441 Danach hätte der nationale Richter bei der Beurteilung von Sachverhalten mit Auslandsberührung dem zwingenden nationalen Recht Vorrang einzuräumen, denn der Richter sei gerade der Anwender des gesetzten Rechts des eigenen Landes.442 Folglich müsse ein belgisches Gericht bei der Lösung der Frage, ob eine juristische Person ausländides destinées de son peuple, elle lui ôte toute liberté de prendre les mesures qui conviennent au repos et à la prospérité de ses États.». 438 Arntz/Bastiné/Bartels, Fundstelle wie Fn 415, Spalten 1781, 1788 f. m. N. Zur Verdeutlichung der Tatsache, dass einem Staat nicht ein fremder Wille aufgezwungen werden darf, führen die Autoren zahlreiche illustrierende Beispiele an. 439 Vgl. Arntz/Bastiné/Bartels, Fundstelle wie Fn 415, Spalten 1781, 1790. Als Nachweis verweisen die Rechtsgelehrten auf die Kommentierung von Troplong zur „société“ im code civil. Im Vorwort dieser Kommentierung geht Troplong u. a. auf die Spekulationsskandale der frühen Kapitalgesellschaften des 18. Jahrhundert ein, s. ders. (1843), Préface, S. 29–32 sowie oben Gliederungspunkt B. I. 2. b) aa) (2) (c). 440 Vgl. Arntz/Bastiné/Bartels, Fundstelle wie Fn 415, Spalten 1781, 1790: «Ne serait-ce pas là, comme dit Portalis, admettre dans son sein des êtres qui peuvent impunément troubler la tranquilité publique?». 441 Siehe von Wächter, AcP 24 (1841), 230–311 und AcP 25 (1842) 1–60, 161–200, S. 361–419. 442 S. Arntz/Bastiné/Bartels, Fundstelle wie Fn 415, Spalten 1781, 1791 «(. . .) le juge agirait-il conformément à l’esprit des ses lois, en appliquant une règle qui, d’après l’opinion du législateur auquel il est soumis, et dans les circonstances de sons pays,
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schen Rechts im Inland wirksam bestehe, inländisches materielles Gesellschaftsrecht anwenden.443 Arntz, Bastiné und Bartels möchten diese Erkenntnis auch mit einem Blick auf einen amerikanischen Autor untermauern, der die Zuerkennung der Parteifähigkeit ausländischer Körperschaften (in den USA) mit dem geltenden (prozessualen) Recht amerikanischer Bundesstaaten belegt, in welchem jene vor Gericht agieren wollten.444 Leider verkennen die belgischen Juristen aber, dass Kent (im Gegensatz zu ihnen) lediglich die Parteifähigkeit einer fremden corporation vor einem Gericht eines US-Bundesstaates nach dessen eigener Rechtsordnung anerkennen möchte, sich aber gerade nicht auf die Notwendigkeit der Erfüllung von Voraussetzungen des materiellen Gesellschaftsrechts des betreffenden US-Bundesstaates beruft, um die Rechtsfähigkeit der fremden Gesellschaft gemäß der eigenen Rechtsordnung festzustellen. In einem dritten Teil Ihrer Abhandlung zeigen die Autoren auf, dass die von ihnen dargelegten Grundsätze gerade auch aus der Perspektive des Staates Belgien für die Behandlung ausländischer Aktiengesellschaften gelten müssten.445 Die Aktiengesellschaft sei ebenfalls eine juristische, d.h. artifizielle Person, deren Schaffung von dem Willen der Staatsmacht abhängig sei. Sie sei keine konstitutive Einheit des Staates. Vielmehr bestimme sich ihre Existenzberechtigung nach dem öffentlichen Interesse, welches abhängig von den Gegebenheiten und den Spezifika des jeweiligen Landes sei.446 Als Kreation des (belgischen) Privatrechts sei die Aktiengesellschaft unbekannt im Völkerrecht und hätte keinerlei Beziehung zu den Prinzipien des internationalen (Privat-)Rechts. Sie sei eine rechtliche Ausnahmeerscheinung in der Gesetzgebung eines jeden Landes, die nur durch staatliches Wohlwollen mit speziellen Privilegien ausgestattet sei und
serait contraire à l’intérêt général, à la sécurité du commerce, à l’ordre public, à la justice, aux mœurs et à la religion?». 443 Arntz/Bastiné/Bartels, Fundstelle wie Fn 415, Spalten 1781, 1791: «Le juge doit examiner, si la personne civile remplit les conditions d’existence prescrites par les lois du pays dont elle invoque la protection; si elle s’est conformée à la loi impérative qui exige l’autorisation du pouvoir suprême pour sa formation.» 444 Siehe Kent, Bd. 2 (1840), S. 283 f.: Nach dem Recht des Staates New York dürften fremde Gesellschaften (nach Sicherheitsleistung) wie inländische Gesellschaften vor Gericht auftreten. Diese Regel hätte Vorbildfunktion für andere US-Bundesstaaten: „The same rule, allowing corporations of one state to contract and sue in their corporate name in another, has been declared in several of the other states, and may be now considered as the general law of the land.“ 445 Arntz/Bastiné/Bartels, Fundstelle wie Fn 415, Spalten 1781, 1793–1801. 446 Vgl. Arntz/Bastiné/Bartels, Fundstelle wie Fn 415, Spalten 1781, 1791, 1793: «Ce sont des établissements que l’intérêt public peut commander à une époque, dans un pays, pour certaines négociations ou relations sociales, ou dont le même intérêt public peut interdire la création dans un autre pays, à une autre époque, pour d’autres négociations.». Diesen Gedanken hatte sich auch Leclercq in seinem Plädoyer von 1847 zu eigen gemacht, s. o. B. I. 2. c) bb) (1) (b) (aa).
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nur durch diese Gesetzgebung gelenkt werde.447 Hier käme der Grundsatz des staatlichen ordre public ins Spiel, mit dem jede Aktiengesellschaft untrennbar verbunden sei: «L’idée de société anonyme et celle d’ordre public sont corrélatives et inséparables.»448 Wie bereits dargestellt, war das Argument der öffentlichen Sicherheit stets tragend für die Nichtanerkennung der Rechts- und Parteifähigkeit ausländischer Aktiengesellschaften in den Urteilen belgischer Gerichte. Demnach erscheint es besonders interessant zu untersuchen, wie Arntz, Bastiné und Bartels die Gefährdung des ordre public durch fremde Aktiengesellschaften begründen. Für die Untermauerung dieser weiteren These – d.h. des bestehenden Zusammenhanges der Anerkennung ausländischer Aktiengesellschaften und der nationalen öffentlichen Ordnung – gehen auch die belgischen Autoren von der Rechtsnatur der société anonyme im code de commerce mit ihrer Haftungsbeschränkung auf das in Aktien zerlegte Grundkapital aus. Arntz, Bastiné und Bartels setzen sich aber nur halbherzig mit den größeren Risiken für mit der Gesellschaft kontrahierende Dritte im Vergleich zu den übrigen Handelsgesellschaften auseinander. Schwerer als der Aspekt des Gläubigerschutzes wiegt für die Autoren die Rechtsnatur der société anonyme, welche sie mit der Konzession verknüpfen.449 Betont wird die Konzessionserteilung als konstitutives Element für die Rechtsnatur einer Aktiengesellschaft als rechtsfähige Person – dem être moral.450 Um den Argwohn gegenüber den ausländischen Aktiengesellschaften noch zu schüren, bilden die drei Juristen eine Parallele von moderner société anonyme und den 447 Die Autoren belegen den Ausnahmecharakter der „société anonyme“ mit einer Begründung der belgischen Behörden zur Verweigerung der Konzession an mehrere belgische Aktiengesellschaften 1837. Das Privileg, eine Aktiengesellschaft gründen zu dürfen, könne vom Staat nicht leichtfertig und willkürlich zugunsten des Profits einiger weniger erteilt werden, um auf diesem Wege allen Marktteilnehmern Konkurrenz zu machen, vgl. Moniteur belge, Nr. 118 vom 28. April 1837 (7. Jg.), Spalte 1 der Ausgabe: «Un devoir essentiel à remplir par le gouvernement, c’est de refuser l’autorisation à toute société anonyme ayant pour objet d’exploiter des industries auxquelles les efforts privés et les moyens de l’association ordinaire suffisent.» 448 Arntz/Bastiné/Bartels, Fundstelle wie Fn 415, Spalten 1781, 1793. 449 Wie bereits angesprochen, s. o. Gliederungspunkt B. I. 2. b) bb) (1), war aber nicht die Auffassung der Aktiengesellschaft als rechtsfähige Person per se, sondern deren konkrete Ausgestaltung in Form fehlender persönlicher Haftung der Gesellschafter ein wesentlicher Punkt für das empfundene Bedürfnis der Konzession. 450 Arntz/Bastiné/Bartels, Fundstelle wie Fn 415, Spalten 1781, 1794 m.w. N. zur Rechtsprechung und parlamentarischen Debatten in Belgien, welche die Aktiengesellschaft als „être moral“ oder „personne civile“ bezeichnen. Der belgische Justizminister Ernst hatte in der Sitzung des Repräsentantenhauses vom 20. Januar 1835 den Zusammenhang zwischen Konzession und Rechtssubjektivität der société anonyme betont. Hierzu ist aber zu bemerken, dass der Justizminister gerade die besondere Eigenart der fehlenden persönlichen Haftung der Gesellschafter als Ausgangspunkt für die Notwendigkeit der Konzession herangezogen hatte, vgl. Ernst, in: Moniteur belge, Nr. 21 vom 21. Januar 1835 (5. Jg.), Spalte 8 des suppléments.
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nicht nur zur Zeit der Entstehung des französischen und belgischen Handelsgesetzbuches gefürchteten Monopolen ab: «Nous avons dit que les Sociétés anonymes constituaient des exceptions au droit commun, des êtres privilégiés. Sous l’ancienne législation elles avaient, le plus souvent, de droit, le monopole de la branche d’industrie ou de commerce qu’elles exploitaient. Aujourd’hui le monopole de droit se remplace dans plusieurs circonstances par un monopole de fait.»451 Das Schreckgespenst der drohenden Monopolisierung – welches den Aktiengesellschaften infolge ihrer Privilegierung, d.h. der korporativen Struktur und der beschränkten Haftbarkeit auf das Gesellschaftsvermögen des Rechtsträgers, anhaftet – werde (gemäß den Verfassern) aber für nationale Aktiengesellschaften durch die kluge Konzessionsvergabepolitik der eigenen Behörden verbannt.452 Die Konsequenz dieser Beobachtung sei klar: «Aucun pouvoir public ne peut, sans danger pour l’existence de l’État, admettre dans son sein des sociétés anonymes d’une manière générale, alors même qu’elles répondraient à certaines conditions législativement formulées.»453 Die Autoren bemühen die Geschichte des Aktienrechts von den durch königliches Einzelprivileg ins Leben gerufenen Kolonialhandelsgesellschaften bis hin zur société anonyme des code de commerce, bei der nach Art. 37 cdc die Behörden (aufgrund Delegation dieser Aufgabe durch das königliche Staatsoberhaupt) über Notwendigkeit und damit Existenzberechtigung einer Kapitalgesellschaft urteilten.454 Die Befürworter des Konzessionserfordernisses zur Gründung einer société anonyme hätten sich bereits bei der Beratung des französischen und belgischen Handelsgesetzbuches auf das ordre-public-Argument gestützt, weshalb der Zusammenhang zwischen Existenzkontrolle von Aktiengesellschaften und des Erhalts der öffentlichen Ordnung und Sicherheit den Zweck der Vorschrift rechtfertige.455 Zudem sei der Bezug des Genehmigungserfordernisses zur öffentlichen Ordnung auch in den ministeriellen Erlassen zu Art. 37 cdc, in einem 451 Arntz/Bastiné/Bartels, Fundstelle wie Fn 415, Spalten 1781, 1794. Vgl. dagegen Godet, Revue belge 1837, 135, 141 f., der die Gefahr des „monopol de fait“ durch Bildung neuer Konkurrenz für relativiert hält. 452 Siehe bereits den Nachweis in Fn 447; vgl. hierzu auch die Untersuchung des Sinn und Zwecks des Konzessionserfordernisses, Gliederungspunkt B. I. 2. b) bb). 453 Arntz/Bastiné/Bartels, Fundstelle wie Fn 415, Spalten 1781, 1795. 454 Die Verfasser unterstreichen dabei die immense Bedeutung des Art. 37 cdc für die Gründung einer belgischen Aktiengesellschaft: «Si l’article 37 n’existait pas, le Roi ne pourrait même, comme chef de l’État, créer ces sociétés. Sans l’article 37 et sans l’arrêté royal, porté en vertu de cet article, il n’y a pas en Belgique de société anonyme possible.»; vgl. Arntz/Bastiné/Bartels, Fundstelle wie Fn 415, Spalten 1781, 1796. 455 Arntz/Bastiné/Bartels, Fundstelle wie Fn 415, Spalten 1781, 1797: «Le gouvernement a toujours considéré son intervention comme une garantie d’ordre public et a fait porter constamment ses investigations sur l’influence que les sociétés anonymes, qui demandaient son autorisation, pouvaient exercer sur la moralité et le bon ordre publics.» (Hervorhebung des Verf.).
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Urteil der Brüsseler Cour d’appel sowie in einer Anklagerede des Generalstaatsanwaltes Leclercq zum Ausdruck gekommen.456 Schließlich hebe auch die zeitgenössische französische bzw. belgische Literatur zum Handelsrecht den Bezug von Art. 37 cdc und dem ordre public hervor.457 Zu Recht hätte daher auch König Guillaume im Jahre 1821 aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit den Gouverneuren der Niederlande befohlen, die Niederlassungen aller ausländischen in den Niederlanden nicht konzessionierten Aktiengesellschaften zu schließen.458 Mit Hilfe all dieser Belege sei der Zusammenhang von der Konzessionspflicht einer Aktiengesellschaft mit dem belgischen ordre public bewiesen.459 Artikel 37 des belgischen Handelsgesetzbuches sei demzufolge eine mesure de police et de sûreté, welche unter den Tatbestand des Art. 3 Abs. 1 c. civ. fiele und damit für alle Bewohner Belgiens gelte. Nachdem die Autoren die Gefahr der Störung der öffentlichen Ordnung durch Aktiengesellschaften ausgebreitet haben, gehen sie auf die bestehende Rechtslage in Belgien im Jahre 1846 ein. Unter der Schirmherrschaft der einheimischen Gesetze könnte die Obrigkeit die Ansiedelung fremder Aktiengesellschaften in Belgien und die Ausschöpfung heimischer Ressourcen nur für den Fall zulassen, dass es hierfür eine Rechtsgrundlage gäbe. In Betracht kämen ein bestehender Staatsvertrag bezüglich der internationalen Anerkennung, eine belgische Geset-
456 Vgl. Urteil der Cour d’appel de Bruxelles vom 1. Juni 1836, in: Annales de la jurisprudence belge 1836.2. 510 und Requisitoire von Leclercq, in: Pasicrisie belge 1842.1.228–233 (im Vorfeld von Ch. Crim., Urt. v. 26. Mai 1842) 457 Vgl. etwa Troplong (1843), Nr. 459, S. 177: «En effet, lorsqu’une société cache aux yeux du public tout son personnel, quand elle n’offre aux tiers aucune personne saisissable, quand elle vante pour toute garantie un actif que chaque créancier n’a pas la possibilité de vérifier, les fraudes sont à craindre; l’agiotage peut substituer des fictions aux réalités du crédit; et dès lors un haut intérêt de police publique exige que l’autorisation du gouvernement, précédée d’un contrôle protecteur, supplée à l’absence de cette responsabilité personnelle que l’on retrouve dans toutes les autres espèces de sociétés, et dont la société anonyme est seule dispensée. Dans l’autorisation, donc, la société anonyme ne serait qu’un piège audacieux tendu aux capitalistes et au public.» (Hervorhebung des Verf.). Vgl. auch bereits die Nachweise zu weiteren zeitgenössischen Handelsrechtsautoren in Fn 203 und 204. Auch im seit 1830 unabhängigen belgischen Staat waren die Handelsrechtler dieser Auffassung, vgl. etwa Godet, Revue belge 1837, 135, 155: «(. . .) l’autorisation préalable et le contrôle de la puissance publique sont une chose à la fois légitime et indispensable pour éloigner les dangers dont les sociétés menaceraient l’ordre public et les fortunes privées.» (Hervorhebung des Verf.). Siehe auch Arntz/Bastiné/Bartels, Fundstelle wie Fn 415, Spalten 1781, 1798 m.w. N. 458 Arrêté vom 28. Januar 1821, abgedruckt bei: Arntz/Bastiné/Bartels, Fundstelle wie Fn 415, Spalten 1781, 1799, dortige Fußnote 53, in welcher weitere Nachweise zur parallelen Sichtweise der französischen Verwaltung angegeben sind. 459 Nach Arntz/Bastiné/Bartels, Fundstelle wie Fn 415, Spalten 1781, 1796, laute die „fundamentale Wahrheit“: «qu’aux jeux de nos lois positives la société anonyme tient intimement et par tous les côtés à l’ordre public Belge.»
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zesnorm, welche das Los der ausländischen Kapitalgesellschaft ausdrücklich regele oder – im Falle des Fehlens beider genannter Rechtsquellen – allgemeine Prinzipien des Völkerrechts.460 Da es augenscheinlich an einem Staatsvertrag oder einer gesetzlichen Bestimmung mangele, blieben nur die allgemeinen Rechtsprinzipien des öffentlichen und des internationalen Rechts als Rechtfertigung der Anerkennung. Doch sei bereits erörtert worden – Arntz, Bastiné und Bartels werden nicht müde, diese These erneut stilistisch geschickt anhand ausschmückender rhetorischer Fragen zu betonen –, dass sich die Souveränität eines jeden Staates gegen eine Anerkennungspflicht einer im Ausland erschaffenen juristischen Person wende.461 Die Autoren fahren hierbei besonders schwere rechtspolitische Geschütze auf, indem sie mit der Verletzung der „Würde“ und der „Daseinsberechtigung“ des belgischen Staates argumentieren.462 Davon abgesehen sei es mehr als fraglich, ob ein fremder Souverän fähig sei, den Nutzen, die moralische Integrität, die monetären Garantien für den belgischen Wirtschaftskreislauf und den Einfluss „seiner“ Aktiengesellschaft auf die belgische Ordnung richtig einzuschätzen. Ferner dürfe man nicht die Augen vor dem Faktum verschließen, dass eine solche Gesellschaft an den Grundfesten des eigenen Staates rütteln und die nationale Politik beeinflussen, gar manipulieren, könne: «Cette puissance [l’État étranger] est-elle compétente pour apprécier si une société anonyme ne compromet pas nos institutions fondamentales; si elle ne doit pas paralyser le jeu régulier de nos rouages politiques et administratifs? »463 460
Arntz/Bastiné/Bartels, Fundstelle wie Fn 415, Spalten 1781, 1799. Arntz/Bastiné/Bartels, Fundstelle wie Fn 415, Spalten 1781, 1800 f.: Die Aktiengesellschaft werde zum Nutzen ihres Heimatstaates ins Leben gerufen, weshalb nur dieser über die Notwendigkeit der Erschaffung einer solchen entscheiden dürfe. Andernfalls müsste man sich fragen, ob ein fremder Staat anstelle des eigenen essentielle Entscheidungen treffen können soll: Der ausländische Souverän müsste darüber urteilen dürfen, ob der belgischen Wirtschaft (mit Hilfe einer weiteren Aktiengesellschaft) neue Zirkulations- bzw. Kreditmittel zukommen sollen; ob die AG einen neuartigen Handelsoder Industriezweig im Visier hat, der nicht von (einfachen) belgischen Kaufleuten ausgeübt werden kann; ob die AG nicht eine Gefahr für die belgische Industrie darstellt; ob deren Einfluss für die öffentlichen Finanzen und die Zahlungsfähigkeit Belgiens nicht schädlich sein könnte; ob die öffentliche Ruhe nicht unter deren Existenz leiden würde; ob diese Unternehmung genügend sittliche und moralische Garantien böte und ihr Vorhaben solide genug sei, um das in sie gesetzte Vertrauen der Öffentlichkeit zu rechtfertigen; ob ihr Gesellschaftsvermögen in behaupteter Höhe besteht und die Verwaltung vor Veruntreuung gefeit ist; und schließlich, ob Belgier in Sicherheit und im Vertrauen auf seriöse Gesellschaftsstatuten mit dieser Gesellschaft Geschäfte abschließen können. 462 Arntz/Bastiné/Bartels, Fundstelle wie Fn 415, Spalten 1781, 1800: «Une nation pourrait-elle abandonner le soin de juger toutes ces conditions [de l’existence d’une société anonyme] à un pouvoir étranger, sans abdiquer sa dignité d’État indépendant, sans violer le premier de ses devoirs, celui de veiller au bien-être de tous les citoyens et de ne rien permettre, ni tolérer, qui puisse porter atteinte à la sécurité publique, au bonheur général?». [Hinzufügung durch Verf.]. 463 Arntz/Bastiné/Bartels, Fundstelle wie Fn 415, Spalten 1781, 1801. [Hinzufügung durch Verf.]. 461
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Diese gravierenden Einwände gelten nach den Autoren bereits im Verhältnis der Länder Belgien zu Frankreich, die beide gleichartige Rechtssysteme und Rechtsprinzipien bezüglich der Unternehmensform der AG besäßen, weshalb es nicht auszudenken sei, welchen Schaden die automatische Anerkennung einer fremden Aktiengesellschaft in Belgien anrichten könne, in deren Ursprungsland gar kein Konzessionszwang bestehe.464 Die vorangegangene Erörterung lasse abschließend keinen Zweifel daran, dass für eine Pflicht zur Anerkennung fremder Aktiengesellschaften im Inland weder eine Rechtsgrundlage bestehe, noch eine solche leichtfertig erlassen werden sollte. Im Gegenteil erweise sich mit Hilfe der angestellten Überlegung die Weisheit der Bestimmung des Art. 37 cdc und der «caractère éminnement national de cet article».465 Im letzten Teil des Aufsatzes behandeln Arntz, Bastiné und Bartels mögliche Einwände gegen ihre Auffassung – konkret die rechtlichen Argumente, die in den gerichtlichen Anerkennungsstreitigkeiten zugunsten der automatischen Anerkennung der ausländischen Aktiengesellschaft ins Feld geführt wurden.466 Die wohl wesentlichste und bei allen Anerkennungs-Prozessen vorgebrachte Rechtsnorm war Artikel 3 des französisch-belgischen Zivilgesetzbuches.467 Gemäß Art. 3 Abs. 3 c. civ. gelten die Gesetze zur persönlichen Rechtsstellung (état und capacité) für jeden Belgier selbst wenn dieser im Ausland einen ständigen Wohnsitz hat (sog. Prinzip der l’exterritorialité du statut personnel). Wie bereits dargelegt, folgerte man daraus, dass die Vorschrift auch reziprok auf Ausländer in Belgien angewendet werden müsse. Konsequenterweise müsse Art. 3 Abs. 3 c. civ. deshalb nach teilweise vertretener Ansicht auch für juristische Personen, d.h. im Ausland wirksam gegründete Aktiengesellschaften gelten und befähige diese demnach in Belgien rechtsgeschäftliche Erklärungen abzugeben und vor Gericht aufzutreten. Bestätigt werde die Anwendbarkeit des Art. 3 Abs. 3 c. civ. auf Aktiengesellschaften durch seinen Wortlaut, welcher nicht zwischen natürlichen und juristischen Personen trenne. Die Verfasser suchen diese Annahme mit zwei Thesen zu entkräften: Zum einen sei die Fortgeltung des Personalstatuts einer Person außerhalb des Heimatlandes eine sehr eng zu verstehende Ausnahmevorschrift, die allein durch das 464 Arntz/Bastiné/Bartels, Fundstelle wie Fn 415, Spalten 1781, 1801: «Peut-on fouler ainsi aux pieds les prescriptions d’ordre public et les devoirs sacrés qui incombent à tout gouvernement? Ne serait-ce pas livrer la fortune privée, le bien être général et la tranquillité de l’État à la merci de l’étranger? » In diese Richtung tendiert dann auch das Plädoyer Dewandres vor dem Urteil der belgischen Cour de cassation vom 30. Januar 1851, in: Pasicrisie belge 1851.1.311 ff. (S. 313, linke Spalte). 465 Arntz/Bastiné/Bartels, Fundstelle wie Fn 415, Spalten 1781, 1801. 466 Arntz/Bastiné/Bartels, Fundstelle wie Fn 415, Spalten 1781, 1801–1811. 467 Vgl. hierzu nur die Darstellung der wichtigsten Urteile bei Gliederungspunkt B. I. 2. c) bb) (1).
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positive Recht Belgiens zugelassen werde. Zum anderen bezöge sich dieses Prinzip – selbst wenn man es für einschlägig hielte – niemals auf juristische Personen, vor allem nicht auf Aktiengesellschaften.468 Hinsichtlich der inhaltlichen Reichweite von Art. 3 Abs. 3 c. civ. gestehen Arntz, Bastiné und Bartels zwar zunächst ein, dass die gegenseitige Exterritorialität des Personalstatuts in Wissenschaft und Rechtsprechung allgemein anerkannt sei,469 doch sei diese eben nicht im Wortlaut verankert.470 Die Offenheit des Gesetzes sei in Übereinstimmung mit Demolombe dahingehend zu verstehen, dass sich der Gesetzgeber bezüglich der Geltung des eigenen Rechts eine „Hintertür“ offen gehalten habe.471 Im Grundsatz sei nämlich das in der Abhandlung der Rechtsgelehrten stets betonte Prinzip der Staatensouveränität vorrangig zu beachten, nach dem die Gesetze eines Staates nur innerhalb seines Territoriums gelten und daher nur Bewohner berechtigen oder verpflichten können. Habe man sich allein aus Gründen der Praktikabilität und gegenseitigem Anstand für eine Ausnahme i. S. d. Art. 3 Abs. 3 c. civ. mit ihrer analogen Anwendung auf Ausländer entschieden, so sei diese naturgemäß äußerst restriktiv auszulegen.472 In einem weiteren Schritt beschäftigen sich die Autoren mit dem personellen Anwendungsbereich des Art. 3 Abs. 3 c. civ., welcher ihrer Ansicht nach aus 468
Arntz/Bastiné/Bartels, Fundstelle wie Fn 415, Spalten 1781, 1802. Siehe hierzu Demolombe, Bd. 1 (1880), Nr. 97, S. 110; Mechelynck/Belvaux (1930), Art. 3 c. civ., S. 3; Planiol, Bd. 1 (1925), Nr. 192, S. 83. Zur früher gebräuchlichen Unterscheidung von „lois personnelles“ und „lois réelles“, s. a. Dalloz, Répertoire de législation, Bd. 30 (1853), Stichwort: lois, Nr. 385 ff., S. 161 ff. 470 Arntz/Bastiné/Bartels, Fundstelle wie Fn 415, Spalten 1781, 1802: «(. . .) cette loi [la loi civile Belge] ne dit rien quant aux étrangers; elle ne dit pas, en termes formels, que les étrangers qui se trouvent en Belgique resteront, à tous égards, sous l’empire de leurs lois personnelles.» [Hinzufügung durch Verf.]. 471 Siehe Demolombe, Bd. 1 (1880), Nr. 97, S. 110, der bezüglich der landläufigen Auffassung der reziproken Geltung des Art. 3 Abs. 3 c. civ. bemerkt: «Cette réciprocité est logique, équitable et politique; elle est fondée sur le droit des gens européen, sur le grand et commun intérêt de toutes les nations politicées. » Andererseits gibt Demolombe einen gewissen politischen Zwang zu bedenken: «(. . .) la violation de ce principe en France, contre des étrangers, par quelques décisions judiciaires, a bientôt provoqué, en effet, des mesures de rétorsion, en pays étranger, contre des Français (. . .).» Trotz der anerkannten Reziprozität sollte man aufgrund der fehlenden positivgesetzlichen Regelung (der gegenseitigen Anwendung von Art. 3 Abs. 3 c. civ.) mit der Heranziehung dieses Prinzips vorsichtig sein (S. 111): «Dans cet état, et sur toutes ces questions de droit international, qui peuvent beaucoup dépendre des temps, de la différence plus ou moins profonde des législations et des moeurs, je crois que le mieux est de ne pas poser des principes trop exclusifs.». 472 Die Autoren berufen sich hier u. a. auf Foelix, welcher in Bd. 1 (1866), Nr. 9, S. 19 festhält: «Chaque nation possède et exerce seule et exclusivement la souveraineté et la juridiction dans toute l’etendue de son territoire.» Daraus ergebe sich (S. 21 f.): «Une nation n’étant point obligée d’admettre dans son territoire l’application et les effets des lois étrangers, elle peut indubitablement leur refuser tout effet dans ce territoire.» 469
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zweierlei Gründen nicht eröffnet sei:473 Einerseits besäßen juristische Personen gar kein Personalstatut, sondern nur Vermögensrechte, andererseits könne sich das internationale Recht nicht mit territorial-beschränkten Fiktionen des nationalen Rechts befassen, sondern nur mit Objekten des droit commun aller Nationen. Arntz, Bastiné und Bartels bemühen zahlreiche Rechtswissenschaftler ihrer Zeit um die exklusive Geltung besagter Vorschrift für die natürlichen Personen zu belegen.474 Indes überrascht es nicht, dass die Kommentare der damaligen Zeit primär auf die „physischen“ Personen zugeschnitten sind, denn die Institution der juristischen Person (des Zivilrechts) war noch in ihrem Entwicklungsstadium.475 Auch die Möglichkeit eines Analogieschlusses von den Rechten der juristischen Person auf das Personalstatut i. S. v. Art. 3 Abs. 3 c. civ. schließen die belgischen Rechtswissenschaftler kategorisch aus.476 Dennoch sind sich die Gelehrten wohl der Tatsache bewusst, dass diese Auslegung des Art. 3 Abs. 3 c. civ. nicht zwingend ist, weshalb sie hilfsweise mit der Geltung von Art. 3 Abs. 1 c. civ. – dem Vorbehalt des ordre public – operieren.477 Das Prinzip der grenzüberschreitenden Geltung des Personalstatuts könne sich keinesfalls gegenüber den Gesetzen der nationalen Sicherheit und der Polizei – zu welchen der Konzessionszwang der Aktiengesellschaft nach Art. 37 cdc erwiesenermaßen zähle – durchsetzen.478 473
Arntz/Bastiné/Bartels, Fundstelle wie Fn 415, Spalten 1781, 1803 ff. So etwa Savigny, Bd. 2 (1840), § 85, S. 239, der die begrenzten Rechte der juristischen Person im Gegensatz zur natürlichen Person beschreibt, worauf Arntz/Bastiné/ Bartels das fehlende „Personalstatut“ einer juristischen Person i. S. v. Art. 3 Abs. 3 c. civ. stützen (siehe auch dies., Fundstelle wie Fn 415, Spalten 1781, 1803 f. für weitere Nachweise). An dieser Stelle lassen die Autoren jedoch die Ansicht von Foelix, Bd. 1 (1866), Nr. 31, S. 65 f., unter den Tisch fallen, der die Geltung des Art. 3 Abs. 3 c. civ. auch auf „moralische Personen“ bezieht. 475 Vgl. Coing, Bd. 2 (1989), § 59, S. 336 ff.; im Laufe des 19. Jahrhunderts entstanden die Theorien Savignys und Gierkes zur juristischen Person, mit denen sich im romanischen Rechtsraum auch Michoud und Saleilles Anfang des 20. Jahrhunderts näher auseinandersetzten. 476 Arntz/Bastiné/Bartels, Fundstelle wie Fn 415, Spalten 1781, 1804, äußern mit Bezug auf die fehlenden Freiheitsrechte, die fehlende Staatsbürgereigenschaft und die fehlenden familienrechtlichen Beziehungen einer juristischen Person: «Comment peuton avec des dissemblances aussi frappantes, aussi radicales, appliquer par analogie à ces personnes les règles sur l’état des personnes physiques? Il n’y a sous aucun rapport, termes habiles à comparaison. L’objet du statut personnel manque dans le chef des personnes civiles; leur appliquer les principes y relatifs, serait donc les appliquer au néant.» 477 S. Arntz/Bastiné/Bartels, Fundstelle wie Fn 415, Spalten 1781, 1806 unter vorheriger Berufung auf Martens, Bd. 1 (1831), § 106, S. 240 f. (u. a.) hinsichtlich des Vorrangs des nationalen „ordre public“ vor der Anwendung ausländischen Rechts: «(. . .) toutes les lois qui intéressent le maintien de l’ordre, soit qu’elles appartiennent au droit politique proprement dit, soit qu’elles se rapportent au droit pénal, civil ou commercial ne peuvent souffrir d’exception au profit d’étrangers.» Vgl. hierzu allgemein und m.w. N. Dalloz, Répertoire de législation, Bd. 30 (1853), Stichwort: lois, Nr. 448, S. 187 m.w. N. 478 S. Arntz/Bastiné/Bartels, Fundstelle wie Fn 415, Spalten 1781, 1807: «Il en résulte que, y eût-il termes habiles à reconnaître à la société anonyme un statut personnel 474
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Als letztes Argument für diese Sichtweise befassen sich die Autoren mit dem Problem der „Inländerdiskriminierung“ 479 – ein Phänomen, das von jeher für Unbehagen in Bevölkerung und Rechtswissenschaft sorgt: «Que dirait-on d’une Constitution ou d’une législation qui aurait plus de sympathie pour les étrangers que pour ses propres enfans?»480 Das Genehmigungserfordernis nach Art. 37 cdc müsse daher zwingend auch für Ausländer gelten, denn eine Besserstellung gegenüber dem eigenen Bürger sei schlicht nicht tragbar. Die Furcht vor Überfremdung des eigenen Landes und Rechts- bzw. Machtmissbrauch durch ausländische Aktiengesellschaften ergießt sich schließlich in folgendem Zitat: «Dès lors, en admettant le statut personnel, il n’y a plus de frontières. L’être moral repoussé de notre pays par le souverain, comme dangereux ou nuisible, reparaîtra sous les auspices d’une puissance étrangère; il viendra exploiter le pays au mépris de la volonté nationale et en foulant aux pieds une loi d’ordre public!»481 Sehr deutlich wird nun der Beginn der Entwicklung in Richtung der Sitztheorie, wenn die Verfasser die Konsequenz der Fortgeltung des Personalstatutes des „Heimatlandes“ der Aktiengesellschaft damit kommentieren, dass es dann ausreichen würde, wenn alle durch den belgischen Souverän nicht konzessionierten Gesellschaften in einem gegenüber der Gründungsanforderungen liberalen Land ihren siège fictif nehmen könnten, um sodann die belgische Grenze wieder zu passieren, Art. 37 cdc zu umgehen und damit die nationalen Ressourcen ohne Konzession des belgischen Staatsoberhauptes auszubeuten.482
quelconque, ce statut devrait céder devant la disposition de l’article 37. D’où la conséquence logique ultériere que la Société anonyme étrangère ne peut pas plus invoquer le bénéfice de son statut personnel, qu’elle ne peut s’armer d’un traité, d’une loi positive ou des principes généraux de droit, pour prétendre à une existence légale en Belgique.» 479 Der Begriff der Inländerdiskriminierung steht in der heutigen Zeit für das Konfliktpotential vor allem zwischen dem nationalen Verfassungsrecht und dem europäischen Gemeinschaftsrecht. Nicht nur Gründe der Vereinfachung der Rechtsanwendung sondern auch rechtspolitischer Druck zur Verhinderung dieses Phänomens haben den deutschen Gesetzgeber in einigen Fällen zur sog. „überschießenden Umsetzung“ von Gemeinschaftsrecht bewegt, vgl. hierzu nur Gundel, DVBl. 2007, 269, 271. 480 Arntz/Bastiné/Bartels, Fundstelle wie Fn 415, Spalten 1781, 1807. Hiermit spielen die Verfasser auf das Verhältnis von Art. 128 der belgischen Verfassung zu Art. 37 cdc an. Zwar gewähre die belgische Verfassung den Ausländern in Belgien Schutz hinsichtlich Person und Gütern, doch sei damit nicht intendiert, dass man „seine Einheimischen mit Füßen trete“ nur um den Fremdländischen ein „gefährliches und exorbitantes Privileg“ zu verschaffen. 481 Arntz/Bastiné/Bartels, Fundstelle wie Fn 415, Spalten 1781, 1808. 482 Arntz/Bastiné/Bartels, Fundstelle wie Fn 415, Spalten 1781, 1808: «Il suffirait à toutes les sociétés qui seront repoussées par le gouvernement belge, de prendre un siège fictif dans ce pays, de repasser ensuite la frontière, d’éluder l’article 37 et d’exploiter le pays sans l’autorisation du roi.»
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Unterstützend beschäftigen sich die Verfasser nun auch mit der (bereits dargestellten) Auffassung des ehemaligen Justizminister Ernst und bezeichnen die Aussagen zur Notwendigkeit der Konzession für nationale Aktiengesellschaften auf der einen Seite, die wohlgesonnene Haltung bezüglich der Anerkennung der Rechtsfähigkeit fremder Aktiengesellschaften auf der anderen Seite, als eine „Präzisierung“ der Meinung Ernst zugunsten der anzunehmenden Nichtanerkennung einer nur im Ausland konzessionierten Aktiengesellschaft.483 Als Argument für die „Fehlinterpretation“ der Aussagen Ernsts als „Meinungsumschwung“ führen die Autoren Ernsts Worte in der Sitzung der Repräsentantenkammer vom 20. Januar 1835 an.484 Arntz, Bastiné und Bartels folgern aus den Ausführungen des Justizministers zur fehlenden gesetzlichen Sanktion der Fälle einer Nichteinholung der Konzession in Kombination mit Ernsts Beimessung der Konzession als konstitutives Entstehenselement der belgischen Aktiengesellschaft mit ihrer typischen Haftungsbeschränkung, dass alle fremden Aktiengesellschaften in Belgien (sofern dort nicht vom belgischen König konzessioniert) keine Rechtspersönlichkeit besäßen.485 Indes zieht Ernst lediglich eine Parallele von der bestehenden Rechtslage für inländische nicht-konzessionierte Aktiengesellschaften zu ausländischen Unternehmungen (ohne belgische Konzession): bei unterstellter Anwendbarkeit des belgischen Art. 37 cdc hätten, mangels gesetzlicher Regelung über die (Haftungs-)Folgen für die Beteiligten, allein die Gerichte zu entscheiden. Damit ist aber längst nicht darüber entschieden, ob Ernst selbst die im Ausland erteilte Konzession als unzureichend für die Anerkennung im Inland erachtet. Folgendes Zitat des Justizministers zum „Personalstatut“ einer (juristischen) 483 Siehe hierzu Arntz/Bastiné/Bartels, Fundstelle wie Fn 415, Spalten 1781, 1808 f. sowie die Sitzungen der Repräsentantenkammer vom 7. Juni 1834 und 20. Januar 1835, Fundstelle wie Fn 290 und 291. 484 Vom Abgeordneten Brouckere auf seine eigenen liberalen Aussagen vom 6. Juni 1834 bezüglich des Tätigwerdens fremder Aktiengesellschaften in Belgien angesprochen, erwiderte Ernst am 20. Januar 1835, in: Moniteur belge, Nr. 21 vom 21. Januar 1835 (5. Jg.), Spalte 8 des „supplément“, er habe diese Aussagen getroffen, ohne zuvor die Frage untersucht zu haben, ob Art. 37 des belgischen Handelsgesetzbuches weiterhin Geltung entfalte und bleibe bei dem Standpunkt, dass die Frage der Notwendigkeit einer (neben der bereits im Ursprungsland erhaltenen) belgischen Konzession fremder Aktiengesellschaften rein privater Natur sei und höchstens die Haftung der Anteilseigner bzw. für die Aktiengesellschaft Handelnden betreffe. Arntz/Bastiné/Bartels, Fundstelle wie Fn 415, Spalten 1781, 1808 f., zitieren Ernst, der sich durch Gendebien dem Vorwurf der Ungleichbehandlung von fremden und nationalen Aktiengesellschaft ausgesetzt sah – unter gleicher Fundstelle, der Verweis geht jedoch fehl – wie folgt: «Il m’importe de faire ressortir l’erreur de M. Gendebien quand il suppose que j’envisage autrement les sociétés étrangères que les sociétés anonymes constituées en Belgique. CE QUE J’AI DIT DES UNES, JE LE DIS ÉGALEMENT DES AUTRES. Lorsqu’elles s’établissent sans l’autorisation du Roi, le gouvernement ne peut s’immiscer dans leurs opérations ou les dissoudre parce qu’il n’y a pas de sanction dans l’intérêt public. Mais c’est aux intéressés à voir, si, en croyant n’obliger que les capitaux mis en société, ils n’engagent pas aussi dans l’avenir leur personnes et tous leur biens.» 485 Arntz/Bastiné/Bartels, Fundstelle wie Fn 415, Spalten 1781, 1809.
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Person aus der Sitzung vom 20. Juni 1834 spricht sehr viel deutlicher dagegen als – wie Arntz, Bastiné und Bartels dies behaupten – dafür: «(. . .) l’association est une espèce d’être morale. Il faut dès-lors voir où il prend naissance. C’est là qu’elle doit remplier les conditions de vie. Pour vous citer un exemple, la personne subit la loi du pays où elle a son domicile. Le Français pour son état personnel est régi par la loi française. Il en est de même de la société dont il s’agit: cette société est établie en France; il faut qu’elle soit constituée suivant les règles prescrites par la loi française.»486 Arntz, Bastiné und Bartels hingegen weisen auf die Möglichkeit hin, das Machtpotential der ausländischen Aktiengesellschaft in Form der „Wegnahme“ der Haftungsbeschränkung, d.h. der Nichtanerkennung der personne juridique in ihrer konkreten Gestalt, zu verringern.487 Anschließend beschäftigen sich die Autoren mit dem Gleichbehandlungs-Einwand von In- und Ausländern im Art. 11 des französisch-belgischen Zivilgesetzbuches.488 Selbst wenn man in dieser Norm ein jenseits eines bestehenden Staatsvertrages geltendes allgemeines Reziprozitätsprinzip erblicken wollte, so gelte hier doch derselbe Gedankengang zum Problem der Inländerdiskriminierung wie in Bezug auf Art. 37 cdc.489 Am Ende ihres Gutachtens widmen sich Arntz, Bastiné und Bartels schließlich dem rechtspolitischen Grund zugunsten der Anerkennung fremder Aktiengesellschaften, den vor allem Judikative und Verwaltung490 im Vorfeld des Konfliktes häufig hatten durchscheinen lassen: die Beeinträchtigung des internationalen Handels, insbesondere die Befürchtung von Retorsionsmaßnahmen des Auslandes im Falle der Nichtanerkennung deren Gesellschaften. Die Autoren berufen sich auch hier auf die Ungerechtfertigtkeit einer Besserstellung ausländischer Aktiengesellschaften im Vergleich zu den einheimischen und kontern (wiederum) mit der Kernidee der Sanktion der modernen Sitztheorie – der Versagung 486 Vgl. Ernst in der Sitzung der Repräsentantenkammer vom 7. Juni 1834, Fundstelle wie Fn 290 und Nachweis in Fn 305 sowie die Einschätzung zur Haltung Ernst in Gliederungspunkt B. I. 2. c) aa) (2) (b). 487 Arntz/Bastiné/Bartels, Fundstelle wie Fn 415, Spalten 1781, 1809: «N’est-ce pas dire, en d’autres termes, que le gouvernement ne reconnaît pas la qualité de personne civile aux sociétés anonymes; que ces sociétés peuvent bien s’établir sur le sol belge (. . .), comme sociétés ordinaire, avec solidarité pour les associés, mais qu’aucune autorité ne peut leur reconnaître une existence légale. (. . .) Il y a des directeurs, administrateurs, associés qui peuvent contracter, s’obliger, ester en justice; mais il n’y a pas d’être moral, de personne juridique, qui puisse, en son propre nom, faire des actres de la vie civile.» 488 Vgl. zum Wortlaut der Norm Fn 325. Auf diese Vorschrift wollte sich eine französische Aktiengesellschaft vor dem belgischen Friedensrichter von Mons im November 1845 stützen, vgl. La Belgique Judiciaire 5 (1847), Spalte 161. 489 Siehe Arntz/Bastiné/Bartels, Fundstelle wie Fn 415, Spalten 1781, 1810. 490 Vgl. bereits die Nachweise in Fn 310 und Fn 364 und für Frankreich Fn 263.
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des kapitalgesellschaftsrechtlichen Haftungsprivilegs, sofern nicht die einschlägigen Gründungsvoraussetzungen des Sitzstaates erfüllt sind.491 Die Angleichung der Existenzvoraussetzungen von ausländischen und heimischen Aktiengesellschaften würde demnach keine Beeinträchtigung der internationalen Handelsbeziehungen nach sich ziehen, sondern gleichartige Bedingungen für alle Marktteilnehmer schaffen. Abschließend kann festgehalten werden, dass Arntz, Bastiné und Bartels die Nichtanerkennung primär auf die Fiktionstheorie und den Gedanken der öffentlichen Ordnung stützten. Die Normen des nationalen Zivil- bzw. Handelsgesetzbuches werden von den Juristen nur ergänzend herangezogen, um die Auswirkungen der Fiktionstheorie bzw. den Grundsatz der öffentlichen Sicherheit auszuschmücken.492 (3) Die Reaktion des belgischen und französischen Gesetzgebers Die aufgekommene Feindseligkeit belgischer Rechtsprechung gegen französische Aktiengesellschaften beeinträchtigte naturgemäß die gemeinsamen Handelsbeziehungen.493 In Frankreich reagierte man zunächst empört über diese Kehrtwende des obersten belgischen Gerichts.494 Die belgische Regierung musste indessen mit Retorsionsmaßnahmen Frankreichs für die eigenen Aktiengesellschaften rechnen. Die Tatsache, dass beide Länder jedoch auf den beiderseitigen Handel angewiesen waren, war bereits in den Quellen der Regierungs- bzw. Verwaltungsbehörden im Vorfeld der Rechtsprechungsumkehr in Belgien zum Ausdruck gekommen.495 In Frankreich, dessen Gesellschaften immens vom belgischfranzösischen Handel profitierten, wurden daher bald Rufe nach einer notwendigen Einigung zur Lösung des Problems mit der belgischen Regierung laut. Aus der Korrespondenz der Handelskammer von Valenciennes mit dem französischen Handelsminister geht hervor: «Nos sociétés anonymes, qui ont de fréquents rapports avec la Belgique, attendent avec une légitime anxiété la solution de cette grave affaire. Elles ne peuvent plus opérer à l’étranger, dès l’instant qu’on leur 491 Vgl. Arntz/Bastiné/Bartels, Fundstelle wie Fn 415, Spalten 1781, 1811: Die fremde AG könnte in Belgien eine Konzession beantragen. Sofern die ausländische AG in Belgien keine Konzession erhalte, bliebe ihr die Möglichkeit in Belgien als Personengesellschaft tätig zu werden. 492 Eine Würdigung der einzelnen (rechtlichen) Argumente zur Anerkennungsproblematik wird nach der Darstellung des Anerkennungsstreites vorgenommen, s. u. Gliederungspunkt B. I. 2. c) cc). 493 Siehe den Rapport zum Urteil der französischen Cour de cassation vom 1. August 1860, in: Recueil Dalloz 1860.1.444 ff. (446); Dalloz, Répertoire de législation, Bd. 40 (1859), Stichwort: société, Nr. 1589, S. 717 f.; Mamelok (1900), S. 242 f.; Weiss (1909), S. 324. 494 Vgl. Lyon-Caen (1870), S. 28. 495 Vgl. die Äußerungen des französischen Handelsministers, Fundstelle wie Fn 263, und des späteren belgischen Justizministers Ernst, Fundstelle wie Fn 309.
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refuse le droit d’y ester en justice. Si les marchés étrangers leur sont fermés, si elles sont condamnées à circonscrire le cercle de leurs affaires à l’intérieur, autant vaudrait déchirer la loi qui les institue.»496 In Belgien schienen die Handelskammern ebenfalls besorgt vor einer drohenden Abweisung der eigenen Gesellschaften durch die französische Rechtsprechung bzw. Legislative, weshalb ein entsprechender Handlungsbedarf auch dort eingeräumt wurde.497 Demgemäß stellte der französische Abgeordete Bertrand hierzu fest: «Les compagnies, jusqu’alors un peu aveuglées par l’esprit de rivalité, se trouvèrent bientôt d’accord pour demander chacune à leur gouvernement qu’un traité diplomatique vint retablir et assurer leur position respective.»498 Die Regierungen beider Länder waren demnach zum Tätigwerden gezwungen und traten in gemeinsame Verhandlungen ein, die schließlich in den Handelsvertrag vom 27. Februar 1854 mündeten, welchem man (zu Lasten der belgischen Regierung) folgende Zusatzbestimmung beifügte: «La faculté de faire valoir leurs droits devants les tribunaux belges étant contestée aux sociétés anonymes françaises, et des inconvénients sérieux pouvant résulter de cet état de choses pour les associations commerciales, industrielles ou financiers des deux Etats, le gouvernement de S. M. le roi des Belges s’engage à presenter aux chambres législatives, dans le délai d’un an, un projet de loi qui aura pour objet d’autoriser les sociétés anonymes et les autres associations qui sont soumises à l’autorisation du gouvernement français, et qui l’auront obtenue, à exercer tous leurs droits et à ester en justice en Belgique, conformément aux lois du pays, moyennant la réciprocité de la part de la France.»499 Die belgische Regierung sah sich demnach gezwungen, gegenüber der französischen Regierung einzulenken und als erstes eine Rechtsgrundlage dafür zu schaffen, dass alle in Frankreich autorisierten Aktiengesellschaften künftig in Belgien automatisch als rechts- und parteifähig angesehen würden.500 Eine Ge496 Korrespondenz ist abgedruckt in: Bertrand, Rapport au Parlement (am 28. April 1857), Recueil Dalloz, 1857.4.76 (linke Spalte); hier finden sich auch Nachweise zu gleichgerichteten Anfragen anderer französischer Handelskammern. Die Handelskammer von Paris bemerkte, dass es besser sei, die liberale Rechtsprechung in Frankreich aufrechtzuerhalten und von staatlicher Seite keine Repressalien zu benutzen, um Belgien – selbst wenn man auf diplomatischer Ebene zunächst scheitern sollte – doch noch zur Umkehr zu bewegen. 497 Vgl. Exposé des motifs von Faider und de Brouckere in der Sitzung vom 14. November 1854, in: Annales parlementaires de Belgique, Chambre des représentants, Session 1854/55, S. 65 (rechte Spalte). 498 Siehe Bertrand, Rapport au Parlement, in: Recueil Dalloz 1857.4.77 (mittlere Spalte). 499 Deklaration zum französisch-belgischen Handelsvertrag vom 27. Februar 1854, abgedruckt in: Dalloz, Répertoire de législation, Bd. 40 (1859), Stichwort: société, Nr. 1589, S. 717 f. sowie, in: Annales parlementaires, Quelle wie Fn 497, S. 65. 500 Als Ziel eines entsprechenden Gesetzesentwurfes hatten die belgischen Justizbzw. Außenminister Faider und Brouckere formuliert (Quelle wie Fn 497, S. 65), die
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setzesvorlage, die die automatische Anerkennung in Frankreich ordnungsgemäß gegründeter, konzessionierter Aktiengesellschaften vorsah, wurde dem Repräsentantenhaus und dem Senat vom Justiz- und Außenminister im November 1854 vorgelegt.501 Die von Rechtsprechung und Literatur in den schillerndsten Farben dargestellten immensen Gefahren für den ordre public scheinen aus staatlicher Sicht wie von Zauberhand verschwunden zu sein, oder – besser gesagt – gegenüber der Verpflichtung Frankreichs zur (weiteren) gegenseitigen Anerkennung der Aktiengesellschaften in den Hintergrund zu treten, wenn es in der Gesetzesbegründung heißt: «Les inconvénients, d’ailleurs, ne sont pas à redouter; les précautions qui entourent en France les autorisations à delivrer par le gouvernement aux sociétés constituées sous la forme anonyme, sont un sûr garant contre les abus.»502 Die Garantie dafür, dass belgische Aktiengesellschaften in Frankreich auch in Zukunft als solche agieren durften, war der Preis für die gesetzliche Anerkennung französischer Aktiengesellschaften in Belgien. Deutlich tritt der geschilderte Hintergrund des belgischen Gesetzes zur Anerkennung im Rahmen der Beratungen im Chambre des représentants hervor: «Cette loi intéresse beaucoup plus la Belgique que la France. Supposons qu’elle soit rejetée, vous ne pensez pas que la France reste tranquille spectatrice des sociétés anonymes belges, jouissant chez elle de la personnification civile, quand en Belgique on la refuserait aux sociétés françaises; elle apporterait un changement à sa législation. Déjà des vœux très pressants ont été adressés dans ce sens au gouvernement français. Qu’arriverait-il? Une perturbation dont la Belgique serait la première victime. »503 Die wirtschaftlichen Überlegungen zum internationalen Handel ließen somit keine andere Möglichkeit als die Anerkennung französischer Gesellschaften im Besonderen bzw. ausländischer Gesellschaften im Allgemeinen zu. In Ausführung der vertraglichen Pflicht erließ der belgische Gesetzgeber daher nach hitzigen Debatten im Chambre des représentants und im Sénat am 14. März 1855 ein entsprechendes Gesetz.504 Zwar hatten einige Abgeordnete massive Bedenken „bestehenden Unannehmlichkeiten zu beseitigen“, welche der Rechtsprechungswandel der belgischen Cour de cassation 1849 für die jeweils im Nachbarland agierenden Aktiengesellschaften beider Länder nach sich ziehen könnten. 501 Siehe Exposé des motifs, in: Annales parlementaires, Quelle wie Fn 497, S. 66 (linke Spalte). 502 Siehe Exposé des motifs, in: Annales parlementaires, Quelle wie Fn 497, S. 66 (linke Spalte); ähnlich Orts sowie Faider in der Sitzung des Chambre des représentants vom 5. Februar 1855, in: Annales parlementaires de Belgique, Chambre des représentants, Session 1854/55, S. 661 (rechte Spalte), 662 (linke Spalte). Beide betonen Seriosität und Stringenz in der französischen Konzessionserteilung, die auch für Belgien genügend Garantien biete. 503 So der damalige belgische Finanzminister Liedts in der Sitzung vom 5. Februar 1855, Quelle wie Fn 502, S. 661 (linke Spalte). 504 Loi relative à la réciprocité internationale en matière de sociétés anonymes vom 14. März 1855 mit folgendem Wortlaut, abgedruckt in: Moniteur belge, Nr. 75 vom 16. März 1855, Spalte 1 (sowie Dalloz, Répertoire de législation, Bd. 40 (1859), Stichwort:
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gegen die automatische Anerkennung ausgesprochen, da die Garantien, die das belgische Recht als Kompensation für die fehlende persönliche Haftung der Gesellschafter für das belgische Publikum vorsehe, bei den ausländischen Aktiengesellschaften ohne weitere Vorkehrungen nicht bestünden, doch besiegelte schließlich die schlichte Notwendigkeit der gegenseitigen Anerkennung das Inkrafttreten des Gesetzes.505 Der rechtspolitische Druck zur Erhaltung der gegenseitigen Handelsbeziehungen (und – wohl auch allgemeiner – zur Aufrechterhaltung ungetrübter politischer Beziehungen zum Nachbarstaat), der auf den Verantwortlichen lastete, besiegte die Furcht vor Unterwanderung der eigenen Souveränität durch die Macht der „toten Hand der Neuzeit“. Ebenso wie die Aufnahme der Aktiengesellschaft als bereits bestehendes Phänomen in das französisch-belgische Handelsgesetzbuch praktischen Erwägungen geschuldet war, war man aus faktischen Gründen gezwungen, die bis zum Konflikt praktizierte gegenseitige Anerkennung von Aktiengesellschaften gesetzlich festzuschreiben.506 Als faktisch zwingende Gründe allgemeiner Anerkennung französischer Aktiengesellschaften nennt der belgische Finanzminister neben der Gefährdung der Umsätze belgischer Aktiengesellschafsociété, Nr. 1589, S. 717): Art. 1. Les sociétés anonymes et autres associations commerciales industrielles ou financières, qui sont soumises à l’autorisation du gouvernement français et qui l’auront obtenue, pourront exercer tous les droits et ester en justice en Belgique, en se conformant aux lois du royaume, toutes les fois que les sociétés ou associations de même nature légalement établies en Belgique jouiront de mêmes droits en France. Art. 2. Le gouvernement est autorisé à étendre, par arrêté royal et moyennant réciprocité, le bénéfice de l’art. 1 aux sociétés et associations de même nature existant en tout autre pays. Art. 3. Cette réciprocité sera constatée soit par les traités, soit par la production des lois ou actes propres à en établir l’existence. 505 Insbesondere waren Diskussionen bezüglich der Tragweite der Klausel im Art. 1 des Gesetzes (vgl. den Wortlaut in Fn 504) „en se conformant aux lois du royaume“ aufgekommen. Es wurde vorgeschlagen, die ausländischen Aktiengesellschaften ähnlichen Publizitätserfordernissen zu unterwerfen wie sie im Art. 45 cdc geregelt waren. Auch erwog man die Agenten der ausländischen Aktiengesellschaften einer Beweispflicht der bestehenden Vertretungsmacht zu unterstellen. Ein weiterer Abgeordneter des Repräsentantenhauses wies auf die finanzielle Ungleichbehandlung hin, die sich daraus ergebe, dass belgische Aktiengesellschaften Steuern gemäß ihrem Bilanzgewinn zahlen müssten; vgl. hierzu die Sitzung des Repräsentantenhauses vom 5. Februar 1855, Quelle wie Fn 502, S. 659–663 und Sitzung des Senats vom 2. März 1855, in: Annales parlementaires de Belgique, Sénat, Session 1854/55, S. 153. Prévinaire, Annales parlementaires, Quelle wie Fn 502, S. 660 (rechte Spalte), brachte die Bedenken gegen die automatische Anerkennung auf den Punkt, indem er in Bezug auf belgische Versicherungsgesellschaften feststellte: «Quant à moi, je suis loin de me plaindre de la concurrence des capitaux étrangers, je dis au contraire, (. . .) que c’est une excellente chose de voir les capitaux étrangers venir assurer les propriétés en Belgique; mais ce que je ne puis admettre, c’est l’absence de garanties pour les personnes qui contracteront avec les compagnies étrangères, alors que vous exigez les garanties les plus fortes des compagnies belges. Je dis qu’il faut aller plus loin que le projet.». 506 Die Notwendigkeit eines legislatorischen Tätigwerdens hatte übrigens der belgische Generalstaatsanwalt bereits 1851 anklingen lassen. Vgl. Plädoyer von Dewandre, Pasicrisie belge 1851.1.311 ff. (speziell S. 312, rechte Spalte).
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ten in Frankreich auch die Gefährdung des Zahlungsverkehrs; es greife zu kurz, sich nur auf die Marktanteilsverluste der belgischen Versicherungsaktiengesellschaften zugunsten der übermächtigen französischen Konkurrenz zu konzentrieren: «Vous n’ignorez pas que la Belgique envoie en France pour plus de 40 millions de produits qu’elle n’en reçoit; et ces exportations consistent en objets qui proviennent des sociétés anonymes. Ce sont les sociétés anonymes belges qui placent leurs produits en France. Ces sociétés, pour le nombre infini de grandes opérations qu’elles font en France, pourraient être obligées de payer un grand tribut sur les bénéfices qu’elle fait; on pourrait les obliger à prendre patente, exiger leur bilan et leur dénier toute action en justice pour les opérations qu’elles font. Bien plus, l’établissement au nom duquel parle M. Prévinaire [anwesender Abgeordneter] pourrait être victime du rejet de la loi. En effet, si la Banque de France refusait tous les billets qui auraient passé par la Banque Nationale, parce qu’elle ne pourrait pas en poursuivre le payement en justice, ne voyez-vous pas l’énorme perturbation qui en résulterait au préjudice de la Banque nationale belge? Cette loi intéresse infiniment plus la Belgique que la France; c’est ne voir que le petit côté de la question que de ne voir que celui des compagnies d’assurances.»507 Ebenso wie der Gläubigerschutz nur ein sekundäres Motiv des Gesetzgebers für die Einführung des Konzessionserfordernisses nach Art. 37 cdc gewesen war, so wurde dem Schutz der Dritten – wenngleich belgische Staatsbürger – auch bei der Anerkennungsfrage nur untergeordnete Bedeutung zugewiesen. Der belgische Außenminister pries die fehlende Begutachtung der ausländischen Aktiengesellschaft durch den belgischen Souverän als „Wettbewerbsvorteil“ für heimische Gesellschaften an;508 der Justizminister wies auf die faktisch bestehenden Garantien der Legitimität der Aktiengesellschaften durch die französische Konzession und die de facto-Wahrung von Publizitäts- und Informationserfordernissen zugunsten des belgischen Publikums hin.509 Eine weitere Auferlegung zusätzlicher 507 S. Liedts in der Sitzung vom 5. Februar 1855, Quelle wie Fn 502, S. 661 (linke Spalte). [Hinzufügung durch Verf.] (Hervorhebung des Verf.). 508 S. Brouckere in der Sitzung des Repräsentantenhauses vom 5. Februar 1855, Quelle wie Fn 502, S. 660 (rechte Spalte): «On me dit encore qu’avec ce système les sociétés étrangères n’offriront pas aux Belges les mêmes garanties que les sociétés du pays. Je répondrai: Tant mieux; de cette manière, il y a autant plus de chances qu’en Belgique on donnera la préférence aux sociétés belges qui offrent en effet plus de garanties.» 509 Nach dem Justizminister Faider sei die Publizität durch Tageszeitungen, Prospekte und die Vervielfältigung der Statuten nach Konzessionserteilung gewährleistet. An einer detaillierteren Information der belgischen Vertragspartner über die Spezifika und Qualitäten einer französischen Versicherungsaktiengesellschaft seien die Agenten einer solchen schon aus Eigennutz interessiert, da sie das Vertrauen potentieller Vertragspartner – auch durch Empfehlungen von belgischen Bestandskunden – erst noch zu gewinnen hätten. Abschließend stellt Faider fest: «Voilà, messieurs, comment les affaires se pratiquent. Il faut entrer dans la realité des choses, pour apprécier l’utilité et la portée d’une loi.» Vgl. ders., Quelle wie Fn 502, S. 662 (linke Spalte).
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gesetzlicher Pflichten wie die Wahrung von Publizitätserfordernissen, Einforderung von Identitätsnachweisen für Agenten oder Zusatzbesteuerungen kam nach der Beratung des Repräsentantenhauses nicht in Frage. Eine Auslegung des Wortlautes der Wendung des Art. 1 „en se conformant aux lois du royaume“ im Sinne der Einforderung zusätzlicher Wirksamkeitsvoraussetzungen für die Anerkennung einer ausländischen Aktiengesellschaft ließe sich keinesfalls mit dem Sinn und Zweck des geplanten Gesetzes – der Wiederherstellung des Urzustandes der reziproken Anerkennung – vereinbaren: «Vous feriez une loi qui chasserait du pays les sociétés étrangères et leurs capitaux, au lieu de les attirer.»510 Zudem hätte man – selbst wenn man dieser sinnwidrigen Auslegung aus Gründen der Gleichbehandlung nationaler und ausländischer Gesellschaften folgen sollte – die Behandlung anderer Gesellschaftstypen aus dem Blickfeld verloren: «En effet vous ne demandez pas ces formalités pour les sociétés en nom collectif. Vous ne le faites pas, parce que cela entraverait complètement les relations internationales de commerce entre les deux pays.»511 Die Klausel, die die Anpassung französischer Aktiengesellschaften an die belgischen Gesetze forderte, konnte daher nach der Erörterung des Außenministers lediglich einen Geltungsanspruch des belgischen Rechts für alle in Belgien vorgenommenen Handlungen der betreffenden Gesellschaft bedeuten.512 Die Mitglieder des Repräsentantenhauses und des Senates konnten sich schließlich der Einsicht nicht verwehren, dass die vorbehaltlose Anerkennung der französischen Aktiengesellschaften – unter Einforderung der Gleichbehandlung eigener Aktiengesellschaften in Frankreich – der einzige Weg zur Lösung des belgisch-französischen Konfliktes war. Dieser faktische Zwang zum Erlass eines entsprechenden Gesetzes wird vom Außenminister als ein Akt der Reziprozität dargestellt; der belgische Justizminister legt den Akzent auf das gegenseitige geschuldete Vertrauen der Völker in eine vernünftige Kontrolle der Aktiengesellschaften in Form des besagten Gesetzes: «(. . .) le fondement du projet de loi (. . .), c’est le principe de confiance mutuelle entre les gouvernements, c’est-à510 So Orts in der Sitzung vom 5. Februar 1855, Quelle wie Fn 502, S. 661 (rechte Spalte). Ergänzend führte dieser aus: «Si vous admettez [cette] interprétation (. . .) la loi est morte; la cour de cassation peut juger comme l’a fait avant la loi. En effet, la loi exige que les sociétés anonymes soient autorisées par le gouvernement. On pourra donc dire aux sociétés anonymes: Obtenenz l’autorisation du gouvernement belge. Avec cela vous pourriez fonctionner comme les sociétés belges. Avec ce système, la cour de cassation jugera après la loi ce qu’elle a jugé avant. Or la loi a pour but de renverser la jurisprudence de la cour de cassation.» [Hinzufügung durch Verf.]. 511 Orts in der Sitzung vom 5. Februar 1855, Quelle wie Fn 502, S. 661 (rechte Spalte). Dem ist hinzuzufügen, dass man auf Formvorschriften für die anderen Gesellschaftstypen aufgrund der unbeschränkten persönlichen Haftung der Gesellschafter getrost verzichten konnte. 512 Vgl. den Außenminister in der Sitzung vom 5. Februar 1855, Quelle wie Fn 502, S. 662 (rechte Spalte).
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dire la confiance que chaque gouvernement a dans la police des pays étrangers au sujet des ces grandes associations qui exigent un contrôle (. . .).»513 Mit dem Inkrafttreten des belgischen Gesetzes vom 14. März 1855 hatte der belgische Staat daher die bestehende Verpflichtung gegenüber Frankreich erfüllt, doch war der Konflikt damit noch nicht aus der Welt geschafft. Die belgischen Gerichte verwehrten den französischen Aktiengesellschaften weiterhin die rechtliche Anerkennung, denn ihrer Auffassung nach war die Reziprozität der Anerkennung juristisch nicht gewährleistet.514 Den Hinweis auf die bisher den belgischen Aktiengesellschaften freundlich gesonnene französische Rechtsprechung traten die belgischen Gerichte – die kurz zuvor selbst einen Rechtsprechungswandel vollzogen hatten – mit dem Hinweis entgegen, dass die Jurisprudenz wandelbar sei und die Reziprozität daher gesetzlich verankert werden müsse.515 Die französische Regierung erließ daher das französische Gesetz zur Anerkennung vom 30. Mai 1857 und stellte damit die gegenseitige Anerkennung auf eine auf Wechselseitigkeit beruhende gesetzliche Grundlage. Seinem Wortlaut nach war dieses Gesetz sehr ähnlich dem des belgischen von 1855, jedoch verzichtete man auf das Tatbestandsmerkmal der Gegenseitigkeit.516 Nachdem das Gesetz Ende April im Corps Législatif von Bertrand vorgestellt worden war, stimmten am 9. Mai 232 von 233 Abgeordneten für dieses.517 513 Vgl. den Justizminister in der Sitzung vom 5. Februar 1855, Quelle wie Fn 502, S. 662 (linke Spalte). Im Übrigen wies der Delegierte Orts darauf hin, dass man mit den rheinischen Gebieten ähnliche Probleme wie mit Frankreich habe und sich daher ein entsprechender „arrêté royal“ gem. Art. 2 des besagten Gesetzes, vgl. Fn 504, empfehle. 514 S. Generalstaatsanwalt Dupin, in: Recueil Dalloz 1863.1.220 im Vorfeld des Urteils der französischen Cour de cassation vom 19. Mai 1863. 515 Dalloz, Répertoire de législation, Bd. 40 (1859), Stichwort: société, Nr. 1589, S. 717; Lois annotés, in: Sirey 1857.2.30, Fußnote 5; Lescoeur (1877), Nr. 142, S. 106; Ausführungen des Revisionsgerichts im Vorfeld des Urteils der französischen Cour de Cassation vom 1. August 1860, in: Recueil Dalloz 1860.1.445 (rechte Spalte). 516 Vgl. zum Wortlaut des belgischen Gesetzes Fn 504. Das französische Gesetz, siehe Duvergier (1857), S. 112 ff. (bzw. Lois annotés, in: Sirey 1857.2.30 f.) war folgendermaßen gefasst: Art. 1er. Les sociétés anonymes et les autres associations commerciales, industrielles ou financières qui sont soumises à l’autorisation du Gouvernement belge, et qui l’ont obtenue, peuvent exercer tous leur droits et ester en justice en France, en se conformant aux lois de l’Empire. 2. Un décret impérial, rendu en Conseil d’Etat, peut appliquer à tous autres pays le bénéfice de l’art. 1er. Somit sah das französische Gesetz weder gegenüber Belgien, welches ohnehin bereits ein Anerkennungsgesetz in Bezug auf Frankreichs Aktiengesellschaften erlassen hatte, noch gegenüber Drittstaaten die Reziprozität explizit vor. 517 Das Gesetzesvorhaben wurde Anfang April 1857 auf Geheiß des französischen Kaisers Napoléon III vom Staatsminister an den Präsidenten des Corps législatif gesendet, s. Moniteur universel vom 8. April 1857, Nr. 95, S. 398, 5. Spalte und durchlief rasch das vorgesehene Gesetzgebungsverfahren; siehe Moniteur universel vom 29. April 1857, Nr. 119, S. 38 sowie Moniteur universel vom 11. Mai 1857, Nr. 131, S. 518, Spalten 1 f.
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Das Regierungsberatungsgremium hatte in seiner Gesetzesbegründung zum geplanten Gesetz die politische Bedeutung der Anerkennung fremder Aktiengesellschaften betont, nachdem es zuvor die Appelle französischer Handelskammern an die Verwaltungsbehörden mit der Bitte um Lösung des belgisch-französischen Konfliktes aufgegriffen hatte:518 «Ces sortes de questions tiennent, plus qu’on ne pense, à la politique et aux relations des gouvernements entre eux, et sur ce terrain, c’est au gouvernement que le dernier mot doit appartenir».519 Nach dem Beratungsstab könne die Unberechenbarkeit der Verwaltungsentscheidungen zur Konzessionserteilung bzw. die Unabhängigkeit der Jurisprudenz in der Anerkennungsfrage von Aktiengesellschaften die internationalen Beziehungen gefährlich trüben, eine gesetzliche Regelung sei daher unabkömmlich.520 Das Gesetzesvorhaben beruhige einerseits die aufgebrachten französischen Wirtschaftsunternehmen und baue andererseits das nötige staatliche Schutzschild vor den Gefahren der ausländischen Aktiengesellschaft auf.521 Diese beiden Zielsetzungen würden dadurch erreicht, dass man einerseits nur die im Ausland rechtmäßig gegründeten Aktiengesellschaften mit Hilfe der Art. 1 und 2 des Gesetzesvorhabens anerkannt wissen wolle und auf diesem Wege die fremden Länder sowohl huldige als sich gleichzeitig deren (gesetzlicher) Garantien bezüglich der Gründungsanforderungen von Aktiengesellschaften bediene. Andererseits stelle es eine Garantie für die nationale Wirtschaft – gleich ob isoliert oder in Zusammenhang mit ihren zwingend aufrechtzuerhaltenden internationalen Handelsbeziehungen betrachtet – dar, dass das nach Art. 2 des Gesetzesentwurfes nötige décret impérial, welches alle Aktiengesellschaften eines fremden Landes autorisieren solle, nur vom Conseil d’Etat erlas518 Nachweise zu den Anfragen der Handelskammern von Valenciennes, Paris, Nantes, Amiens, Clermont-Ferrand, Montpellier, Orléans, Reims und Saint-Dizier finden sich im durch das Gremium um Persil, Cornudet und Cornillon erarbeiteten „Exposé des motifs“, in: Recueil Dalloz 1857.4.76, Nr. 5 (linke und mittlere Spalte). Stets betont wurde die Bedeutung des Handels mit Belgiens und – in Folge des Urteils der belgischen Cour de cassation von 1849 – die Notwendigkeit die Anerkennung der französischen Aktiengesellschaften in Belgien durch eine gesetzliche Erweiterung von Art. 15 c. civ. oder auf diplomatischem Wege wiederherzustellen. 519 Siehe Persil/Cornudet/Cornillon, Exposé des motifs, Recueil Dalloz 1857.4.76, Nr. 7 (mittlere Spalte). 520 Vgl. Persil/Cornudet/Cornillon, Exposé des motifs, Quelle wie Fn 518, S. 76, Nr. 7 (mittlere Spalte): «Dans la pratique, on ne s’expliquerait pas toujours aisément pourquoi, entre deux associations d’un même pays, l’une serait autorisée à exercer ses droits, tandis que l’autre en serait privée: de là des interprétations qu’il est prudent et sage d’éviter.» 521 Vgl. Persil/Cornudet/Cornillon, Exposé des motifs, Quelle wie Fn 518, S. 76, Nr. 8 (mittlere und rechte Spalte): «(. . .) en l’adoptant [les dispositions du projet], vous rassurerez le commerce péniblement troublé par la position qu’on avait faite, en Belgique, aux sociétés anonymes, quoique légalement établies en France. En même temps, dans un intérêt général de surveillance et de protection, vous préservez vos populations des tentatives de la cupidité et de la fraude, sans nuire au commerce honnête.»
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sen werden könne.522 Erneut betonte man somit den Wert der Weitsicht staatlicher Behörden bei der „richtigen“ Lösung der Anerkennungsproblematik und wies kurz darauf hin, dass sich allein aufgrund der Unterwerfung der ausländischen Gesellschaften unter die hiesigen Gesetze (lois de l’empire) jede Art von Besorgnis erledige.523 Bertrand, Mitglied der Kommission zur Beurteilung des Gesetzesvorhabens, hatte sich zur Bewertung des geplanten Gesetzes am 28. April 1857 vor dem Corps Législatif durchweg positiv geäußert: «En résumé, messieurs, la loi, dans ses différentes dispositions nous semble dictée non-seulement par un esprit de générosité dont la France s’est constamment montrée animée, mais aussi par un sentiment d’intérêt politique et commercial bien compris et sagement appliqué.»524 Das Gesetz sei laut Bertrand ein „Meisterwerk der Befriedung und des wirtschaftlichen Fortschritts“, zu dessen Zustandekommen die bisherigen Regierungen Frankreichs durch eine geschickte und vorausschauende Politik stets mit Sorgfalt und Beharrlichkeit im Interesse des Landes beigetragen hätten, was sich nun – in Gestalt des Gesetzes – bezahlt mache.525 Der Wortlaut des französischen Gesetzes spreche zurecht in beiden Absätzen nicht von der Voraussetzung der Gegenseitigkeit, denn im Verhältnis zu Belgien sei die Nennung der Reziprozität nicht nur nutzlos, sondern könne – im Gegenteil – nur Missmut und Unbehagen bei dem bereits mit dem Gesetz von 1855 in Vorleistung getretenen Nachbarstaat hervorrufen: «(. . .) l’insertion de la clause de réciprocité (. . .) pourrait (. . .) impliquer de notre part un sentiment de défiance à l’égard d’un gouvernement ami en mettant en doute la stabilité des ses résolutions. – Son omission, 522 Die Kommission zur Beurteilung des Gesetzesvorhabens hatte sich bezüglich der alleinigen Kompetenz des Conseil d’Etat ebenfalls zustimmend geäußert, s. Bertrand, Rapport au Parlement, in: Recueil Dalloz 1857.4.78, Nr. 21 (mittlere Spalte). Es sei vorteilhaft, die Zubilligung eines solchen Dekretes einzig in die Hand der Regierung zu legen, denn dieser obliege bereits die Verantwortung zur Erteilung der Konzession für nationale Aktiengesellschaften i. S. v. Art. 37 cdc. Eine Beteiligung des Parlamentes störe eher die Zielsetzung des Gesetzes als dass sie dem Landeswohl diene: «(. . .) dans la pratique, le côntrole du pouvoir agissant sous sa propre responsabilité, et mieux placé pour apprécier les circonstances, sera d’autant plus sérieux, plus efficace et plus prompt qu’il sera plus affranchi des formes lentes et solennelles des déliberations parlementaires. L’intervention du conseil d’Etat, dont l’avis era pris sur chaque demande, doit être une garantie de plus de la prudence et de la maturité d’examen qui présideront à ces sortes de décisions.» 523 S. Persil/Cornudet/Cornillon, Exposé des motifs, Quelle wie Fn 518, S. 76, Nr. 7 (mittlere Spalte): «Ces associations, d’ailleurs ne pourront exercer leurs droits et ester en justice en France, même après le decret impérial qui aura étendu à leur pays respectif le bénéfice de l’art. 1 du projet, qu’en se conformant aux lois françaises, ce qui seul suffirait à éloigner toute inquiétude à cet égard.» 524 S. Bertrand, Rapport au Parlement, Quelle wie Fn 522, S. 78, Nr. 23 (rechte Spalte). 525 Bertrand, Rapport au Parlement, Quelle wie Fn 522, S. 78, Nr. 23 (rechte Spalte).
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d’ailleurs n’enlève pas à notre gouvernement le droit de représailles, dans le cas, tout à fait improbable, où les dispositions de nos voisins de la Belgique cesseraient d’être ce qu’elles sont aujourd’hui.»526 Die Verantwortlichen bemühten sich somit klarzustellen, dass man – auch ohne Reziprozitätsklausel – an die Anerkennung der fremden Aktiengesellschaften nicht unumkehrbar gebunden sei; dies gelte nicht nur in der Beziehung zu Belgien, sondern sämtlichen Drittstaaten, zu deren Gunsten zukünftig ein décret impérial i. S. v. Art. 2 des Gesetzesentwurfes erlassen sein möge.527 Um insgesamt überhaupt zu dieser positiven Bewertung des Entwurfes zu gelangen, hatte die Kommission um Bertrand das Gesetz zuvor hinsichtlich dreier wesentlicher Fragestellungen untersucht. Zum einen war man gemäß Bertrand der Frage nachgegangen, ob der Vorwurf der „Besserbehandlung“ der fremden Aktiengesellschaften in dem Sinne, dass ihnen die strenge Einzel-Überprüfung der französischen Regierung erspart bleibe, gerechtfertigt sei; zum anderen habe man sich mit der Reichweite der Klausel des Art. 1 „die ausländischen Aktiengesellschaften genössen in Frankreich alle ihre Rechte“ auseinandergesetzt und 526 S. Bertrand, Rapport au Parlement, Quelle wie Fn 522, S. 78, Nr. 20 (linke und mittlere Spalte). 527 S. Bertrand, Rapport au Parlement, Quelle wie Fn 522, S. 78, Nr. 22 (mittlere Spalte): Die Reziprozitätsklausel sei auch hier verfehlt, da sie den Handlungsspielraum des französischen Staates unnötig einenge. Kommerzielle oder politische Interessen könnten im Einzelfall bedingen, dass die französische Regierung auf das Erfordernis der Gegenseitigkeit verzichten möchte: «Il [le gouvernement français] pourrait au contraire avoir besoin de l’abandonner [le droit de réciprocité] s’il devenait utile d’accorder le droit de s’établir et d’ester en justice à des sociétés anonymes autorisées par des gouvernements avec lesquels un traité de réciprocité ne serait pas immédiatement possible, lorsque les propositions de ces sociétés ou leur genre de commerce serait de nature à procurer à la France des produits qui lui seraient nécessaires, ou des transaction avantageuses.» [Hinzufügung durch Verf.]. Wohl durch die unangenehmen Erfahrungen mit Belgien alarmiert, wo man auf der Gegenseitigkeit der Anerkennung in Gesetzesform beharrte, wies Bertrand auf die politischen Vorzüge der fehlenden Reziprozitätsklausel hin. Der Regierung würden lästige Zwangslagen erspart, in welchen sie zunächst die Gegenseitigkeit der Anerkennung beim fremden Staat einfordern müsste, auch wenn dies im Einzelfall nicht den französischen Interessen entspräche. Der Staat müsse daher weiterhin volle Handlungsfreiheit besitzen und die Möglichkeit haben, die „französische Liberalität“ ungehindert fortzuführen: «Le pouvoir perdrait ainsi son entière liberté d’action que nous vous proposons de lui laisser. Il en a jusqu’à présent fait un usage digne de la France en prenant l’initiative dans l’application des idées généreuses et libérales; ne l’exposons pas, en restreignant son action par une condition de droit étroit, à justifier en quelque sorte les entraves apportées dans leurs rapports avec nous par certains gouvernements qui n’ont pas encore complétement apprécié les avantages que peuvent retirer les peuples du développement progressif de leurs relations internationales.» In gleicher Weise hatte sich Bertrand in der Sitzung des Corps législatif vom 9. Mai 1857 geäußert, in der das Gesetz schließlich verabschiedet wurde, vgl. Moniteur universel vom 11. Mai 1857, Nr. 131, S. 518, Spalte 2. Auf die Tatsache, dass es dem französischen Staat nicht allein um den Feingeist der Freiheit ging, der sich im Zuge der französischen Revolution durchgesetzt hatte, sondern um konkrete eigene wirtschaftliche bzw. politische Vorteile, wurde bereits hingewiesen.
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schließlich – dies war ebenso in Belgien ein Streitpunkt gewesen – habe man sich auch mit der Tragweite der Klausel „die ausländischen Aktiengesellschaften müssten sich an die französischen Gesetze anpassen“ beschäftigt.528 Den Vorwurf der Ungleichbehandlung entkräftete Bertrand, nachdem er festgestellt hatte, dass man auch in Belgien die Problematik eines Missbrauchspotentiales erkannt hatte, mit den bestehenden Garantien bzw. Auflagen, die das belgische Recht für die belgischen Aktiengesellschaften aufstelle; jenen Garantien müsse man in den modernen Zeiten des grenzüberschreitenden Handels vertrauen. Diese Gedanken unterscheiden sich somit kaum von denen, die man bereits bei der Beratung des belgischen Gesetzes von 1855 formuliert hatte.529 Im Unterschied zur Debatte in Belgien war die eingesetzte Beurteilungskommission zu dem Ergebnis gelangt, dass man die Formulierung „jouiront en France de tous leur droits“ bezüglich der belgischen Aktiengesellschaften sehr weit auszulegen hätte, da sich der Gesetzeswortlaut andernfalls mit dem Begriff der Parteifähigkeit hätte begnügen können.530 In Belgien hingegen tauchte diese Frage schon nicht in der Diskussion auf.531 Der Gesetzeswortlaut des belgischen 528
Siehe hierzu Bertrand, Rapport au Parlement, Quelle wie Fn 522, S. 77 f., Nr. 14–
19. 529 Siehe oben die Motive zum belgischen Anerkennungsgesetz, wie Fn 502. Bertrand, Rapport au Parlement, Quelle wie Fn 522, S. 77, Nr. 15, formulierte zum Ziel der Zusatzvereinbarung im gemeinsamen Handelsvertrag vom 14. Februar 1854: «Le but véritable du traité est d’assurer en France ainsi qu’en Belgique, aux sociétés anonymes françaises ou belges dûment autorisées par leur gouvernement, le bénéfice de l’art. 15 du code, en leur conférant tous leurs droits résultant de la personnification et de la capacité necessaires pour ester en justice». Dieses Ziel könne man nur erreichen, wenn man vorbehaltloses Vertrauen in die Gründungsüberprüfung des belgischen Staates setzte, welcher in dieser Angelegenheit ebenso sorgsam und unter den gleichen rechtlichen Voraussetzungen agiere wie dies in Frankreich der Fall sei. Die beiderseitigen Anerkennungsgesetze seien somit ein Zeugnis des gegenseitigen Vertrauens: «Ce témoignage réciproque, loin d’offrir, dans son application, un sujet d’inquiétude, honore les deux nations, tourne à leur commun avantage, en agrandissant leur horizon commercial, et n’ajoute rien aux dangers possibles que signalent les rapports faits devant les chambres législatives de Belgique. (. . .) Il y a donc, dans les précautions prises à l’égard des sociétés que concerne l’art. 1, la garantie morale de chaque gouvernement vis-à-vis de l’autre;» (Hervorhebung des Verf.). 530 Siehe Bertrand, Rapport au Parlement, Quelle wie Fn 522, S. 77 f., Nr. 18: «Si cette expression, rapprochée de celle d’ester en justice, ne devait se rapporter qu’aux droits nécessaires pour exercer une action devant les tribunaux, elle formerait un pléonasme qu’il serait peut-être utile de faire disparaître. – Si, au contraire, comme votre commission est disposée à le penser, ces droits doivent être plus étendus, l’expression devra s’entendre nécessairement de tous les droits qu’exercent les sociétés non anonymes et les individus non sujets à autorisation (. . .).» 531 Vgl. die Debatten des belgischen Chambre des représentants vom 5. Februar 1855 und des Sénats vom 2. März 1855, Fundstellen wie Fn 502 und 505 sowie obige Darstellung hierzu. Bertrand, Rapport au Parlement, Quelle wie Fn 522, S. 77, Nr. 18, weist darauf hin, dass man sich zur Lösung dieser Frage nicht mit der Meinung der belgischen Kommission „behelfen konnte“.
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Anerkennungsgesetzes von 1855 sprach aber von der Ausübung aller Rechte und der Fähigkeit vor Gericht aufzutreten. Dem reinen Wortlaut des belgischen Gesetzes waren daher für die ausländischen Aktiengesellschaften ohnehin weitergehende Rechte beizumessen als die bloße Fähigkeit vor Gericht aufzutreten und es lässt sich auch den Debatten entnehmen, dass man den Wortlaut wie selbstverständlich in dieser Weise auffasste.532 Indes glich der Wortlaut des französischen Gesetzes auch in dieser Wendung dem belgischen Gesetz, weshalb es nicht naheliegend erscheint, in Frankreich eher über eine geringere Reichweite des eigenen Gesetzes philosophieren zu können. Indem Bertrand aber betonte, dass hiermit alle Rechte gemeint seien, die auch den natürlichen Personen oder sonstigen Gesellschaften zuteil werden könnten, lobte er wiederum mit pathetischen Worten Frankreich als feingeistigen, liberalen Staat. Die Tatsache, dass die französische Politik längst nicht so freizügig war, als dass man Gefahr laufen konnte, von den fremden juristischen Personen untergraben zu werden, zeigt indes die Meinung Bertrands zur Auslegung des Tatbestandsmerkmals „en se conformant aux lois de l’empire“: «Votre commission, (. . .), pense que les mots lois de l’empire ne comportent pas d’exception, qu’ils doivent être maintenus dans l’art. 1 comme une confirmation de ce grand principe que nos lois régissent en même temps qu’elles protégent tous les individus, nationaux ou étrangers, qui vivent ou viennent se placer volontairement sous leur protection. Il faut les entendre (. . .), dans leur sens le plus large et le plus étendu; il faut les maintenir aussi pour que leur absence ne permette à personne, et surtout aux sociétés étrangères, de s’en croire affranchies.»533 Bedenkt man, dass in der belgischen Debatte bereits eine Unterwerfung der ausländischen Aktiengesellschaften unter die nationalen Publizitätsvorschriften gefordert wurde und in Frankreich für die weitmöglichste Ausdehnung der nationalen Vorschriften gerade für ausländische Aktiengesellschaften plädiert wurde, so zeigen sich auch hier Parallelen zur modernen Behandlung fremder Gesellschaften. Zwar ist nach der späteren Sitztheorie das Recht des Verwaltungssitzes 532 Man sprach in Belgien davon, dass das Gesetzesziel die „personnification civile“ der juristischen Person sei und wollte ihr damit die Rechte zuerkennen, die eine belgische Rechtsperson (gleicher Art) genießt, siehe etwa Verhaegen am 5. Februar 1855, Quelle wie Fn 502, S. 661 (rechte Spalte): «Il est déjà assez extraordinaire (. . .) que les sociétés étrangères jouissent de la personnification civile dans notre pays.» 533 Siehe Bertrand, Quelle wie Fn 522, S. 78, Nr. 19 (linke Spalte). In diesem Sinne äußert sich auch Duvergier, in: Duvergier (1857), Fortsetzung der dortigen Fußnote 1 auf S. 115 (rechte Spalte), der deutlich macht, dass rechtmäßig gegründete belgische Aktiengesellschaften nach Art. 1 des Gesetzes von 1857 jedenfalls keine Rechte vor französischen Gerichten geltend machen dürfen, deren Gewährung gegen den französischen „ordre public“ verstoßen würde. Zur weiteren Konkretisierung dieser Klausel vgl. etwa Lyon-Caen (1870), S. 69 ff. Jedenfalls betraf die Klausel gerade nicht die Gründungs- und Funktionsvorschriften, d.h. die innere Verfassung der fremden Aktiengesellschaft, vgl. hierzu etwa Trib. Corr. de la Seine, Urt. v. 20. Juni 1883, in: Clunet 19 (1883), S. 521.
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für die Anerkennungsfrage inklusive der rechtlichen Beurteilung der Organisation einer Gesellschaft berufen;534 dennoch muss die fremde Gesellschaft beim Tätigwerden im Ausland dortige Publizitätserfordernisse einhalten und gegebenenfalls fremdenrechtliche Restriktionen bzw. für bestimmte Handlungen Sonderanknüpfungen erdulden.535 Die Anerkennung war demnach ab 1855 bzw. 1857 in Belgien und Frankreich gesetzlich normiert; die beiden Länder hatten aus der Not der schwankendenden Rechtsprechung der belgischen Gerichte und der drohenden wirtschaftlichen Konsequenzen für die nationale Wirtschaft eine Tugend gemacht und kurzerhand – wie es Mamelok bezeichnet – ein „Gelegenheits- und Verlegenheitsgesetz“ erschaffen.536 Der Konflikt um die internationale Anerkennung war damit zwar (kurzfristig) gelöst, doch stellten diese Gesetze an die Rechtsprechung der Länder neue Herausforderungen. (4) Der Einfluss des Gesetzes vom 30. Mai 1857 auf die Rechtsprechung der französischen Gerichte (a) Rechtsprechungsumkehr der französischen Rechtsprechung Mit Inkrafttreten des französischen Anerkennungsgesetzes kehrte sich die hochgelobte liberale Rechtsprechung der französischen Gerichte zur Anerkennung ins Gegenteil um – eine Tatsache mit der man ausweislich der Quellen zur Beratung des Anerkennungsgesetzes von Regierungsseite kaum gerechnet hatte. Dennoch entschied die französische Cour de cassation am 1. August 1860, dass eine schweizerische Aktiengesellschaft mangels eines bestehenden Dekretes des französischen Conseil d’Etat bzw. eines die Anerkennung regelnden Staatsvertrages537 zwischen Frankreich und der Schweiz in Frankreich nicht als rechts- und 534 Die Sitztheorie verlangt neben einer wirksamen Gründung der betreffenden Aktiengesellschaft nach ausländischem Recht das Vorliegen einer zusätzlichen Voraussetzung (Verwaltungssitz im Gründungsland) und weitet somit die Kontrolle des von der Tätigkeit der Aktiengesellschaft meistbetroffenden Staates aus: Das Recht dieses meistbetroffenen Staates (der Gründung und Verwaltung) entscheidet nämlich grds. über das Bestehen von Rechts- und Parteifähigkeit der fremden Aktiengesellschaft. Vgl. nur MüKo-BGB/IGHR/Kindler, 4. Aufl. 2006, (Bd. 11), Rn 400 f. und insgesamt Gliederungspunkt B. II. der folgenden Arbeit. 535 Vgl. für Frankreich Menjucq (2008), Rn 69 ff., S. 71 ff. und Sonnenberger/Dammann (2008), IX 70 f., 75, S. 589 ff. 536 Mamelok (1900), S. 244. 537 Zwar hatte man in den Beratungen zum Gesetz von 1857 bloß von einem Dekret i. S. v. Art. 2 des Gesetzes vom 30. Mai 1857 gesprochen und sprach auch der Wortlaut des Gesetzes nur von einem Dekret, doch ergab es sich aus dem Sinn und Zweck der Norm, dass ein die Anerkennung regelnder Staatsvertrag erst recht die gleiche Funktion haben müsse wie eine einseitig vom französischen Conseil d’Etat erlassene Anordnung. Diese scheinbare Selbstverständlichkeit besiegelt ein Urteil der französischen Cour de
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parteifähig angesehen werden könne.538 Liest man allein die Entscheidungsgründe dieses Urteils, so könnte man dieses durchaus mit den Urteilen der belgischen Cour de cassation von 1849 und 1851 und den dazugehörigen Stellungnahmen deren Generalanwälte verwechseln – so sehr ähneln sich die Argumentationsstränge. Die Hauptargumente, die der französische Gerichtshof gegen die Anerkennung der fremden Aktiengesellschaft wendet, sind die Rechtsnatur der juristischen Person als bloße Fiktion und der die öffentliche Sicherheit und Ordnung betreffende Charakter des Konzessionserfordernisses nach Art. 37 cdc: Art. 15 des französischen Zivilgesetzbuches, nach dem es Ausländern gestattet sei, die Erfüllung einer gegenüber einem französischen Staatsbürger bestehenden Forderung vor französischen Gerichten durchzusetzen, sei – sofern juristische Personen überhaupt erfasst seien – nur auf nach französischem Recht bestehende Personen anwendbar: «Attendu que la société anonyme n’est qu’une fiction de la loi, qu’elle n’existe que par elle et n’a d’autres droits que ceux qu’elle lui confère; que la loi, qui dérive de la souveraineté, n’a d’empire que dans les limites du territoire sur lequel cette souveraineté s’exerce; qu’il suit de là que la société anonyme étrangère, quelque régulièrement constituée qu’elle soit dans le pays dans lequel elle s’est formée, ne peut avoir d’existence en France que par l’effet de la loi française et en se soumettant à ses prescriptions; (. . .)»539. Aus diesem Grund, d.h. dem existentiellen Unterschied zwischen natürlichen Personen und rein fiktiven Personen, behaupte man auch vergeblich, dass der ausländischen juristischen Person ihr Personalstatut (i. S. v. Art. 3 Abs. 3 c. civ.) ins französische Staatsgebiet nachfolge, denn die ausländischen Normen, die ihre Rechts- und Handlungsfähigkeit bestimmen, verlören ihre Geltung an den eigenen Landesgrenzen.540 cassation vom 19. Mai 1863, welches das entgegenstehende Urteil der Cour de Rennes kassierte, siehe Sirey 1863.1.353 (Urteil auf S. 358) bzw. Recueil Dalloz 1863.1.218 (Urteil auf S. 223). 538 Urteil der französischen Cour de cassation vom 1. August 1860, abgedruckt in: Recueil Dalloz 1860.1.444 (S. 446 f.) und Sirey 1860.2.865 (Spalte 869 f.). Das Gericht erster Instanz in Valognes hatte bereits aufgrund eines fehlenden Dekretes i. S. v. Art. 2 des Gesetzes von 1857 die Klage der schweizerischen Aktiengesellschaft La Caisse franco-suisse gegen einen französischen Schuldner abgelehnt, da diese in Frankreich rechtlich nicht existiere und somit nicht parteifähig sei. Die Gesellschaft war daraufhin wegen Verletzung des Art. 15 c. civ., eines bestehenden Staatsvertrages und dem Gesetz von 1857 in Revision gegangen und der Fall gelangte schließlich zur Cour de cassation. Zuvor (am 10. März und 19. Mai 1860) hatte bereits die Cour d’Orléans in ähnlichen Fällen im Sinne des genannten Urteils der Cour de cassation vom 1. August 1860 entschieden; das Urteil vom Mai ist abgedruckt in: Sirey 1860.1.865 f., dort in Fußnote 1–2. 539 Urteil der französischen Cour de cassation vom 1. August 1860, Quelle wie Fn 538, S. 446 bzw. Spalte 869. 540 Zum Unterschied zwischen natürlichen und juristischen Personen hält das Gericht, Quelle wie Fn 538, S. 446 bzw. Spalte 869, fest: «(. . .) à la différence des personnes civiles, les personnes naturelles existent par elles-mêmes, et que l’on ne saurait con-
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Die Bedeutung des Art. 37 cdc beschreibt die Cour de cassation mit folgenden gewichtigen Worten: «Attendu, d’ailleurs, que la disposition de l’art. 37, Cod. Comm., qui soumet les sociétés anonymes à la nécessité de l’autorisation du chef de l’Etat, est essentiellement une loi de police et d’ordre public qui, en France, oblige l’étranger tout aussi bien que le Français; qu’elle a pour but de protéger les régnicoles contre les dangers d’entreprises hasardeuses et mal conduites, et que l’on ne comprendrait pas qu’il fût entré dans la pensée de la loi de consacrer un privilége en faveur des sociétés étrangères, et de les affranchir des garanties qu’elle exige des sociétés françaises.»541 Die Anwendbarkeit des Art. 37 cdc auch auf fremde Aktiengesellschaften manifestiere sich gerade im Gesetz zur Anerkennung vom 30. Mai 1857, denn würde bereits aus dem droit commun und speziell Art. 15 c. civ. die Rechts- und Geschäftsfähigkeit der fremden juristischen Person folgen, so wäre die neue Vorschrift sowohl nutz- als auch gegenstandslos.542 Die französische Regierung hatte sich mit dem Gesetz von 1857 ein klassisches Eigentor geschossen, denn das nur Belgien zuliebe erlassene Gesetz wurde nun der Auslöser einer Anerkennungsproblematik im Verhältnis von Frankreich zu Drittstaaten. Aus Sicht der Abgeordneten, die im Gesetzgebungsverfahren für das Gesetz von 1857 gestimmt hatten, schien es wohl keinen Unterschied zu machen, ob man die ausländischen Aktiengesellschaften mit Hilfe des Richterrechts oder durch Regierungsanordnung auf Grund Art. 2 des Gesetzes von 1857 in Frankreich ihre Rechte ausüben ließ. Jedenfalls hatte man nicht die Folgen bedacht, welche sich ergeben könnten, wenn die Rechtsprechung eine solche Anordnung respektive einen entsprechenden Staatsvertrag zugunsten eines Drittlandes nicht nur als rein deklaratorisch betrachten würde.543 Vergeblich von der schweizerischen Gesellschaft Caisse franco-suisse zur Begründung der Rechtsfehlerhaftigkeit des Vorgängerurteils (und damit zugunsten der Anerkennung) wurde im Verfahren Folgendes ausgeführt: «C’est pour donner satisfaction aux scrupules et aux craintes de la nation belge que fut portée la fondre, quant à l’autorité qu’elles peuvent avoir, les lois qui créent la personne et lui donnent existence, et celles qui ne font que réglementer ses droits et déterminer les conditions de leur existence;». 541 So die französische Cour de cassation vom 1. August 1860, Quelle wie Fn 538, S. 446 bzw. Spalte 869 f. 542 Zudem vermöge auch ein zwischen Frankreich und der Schweiz abgeschlossener Staatsvertrag den schweizerischen Aktiengesellschaften in Frankreich keine Parteifähigkeit zu verleihen, denn dieser sage – unter der Prämisse der Anwendbarkeit auf natürliche und juristische Personen – nichts über Gesellschaften aus, welcher der Genehmigung der Regierung bedürften, vgl. Gerichtshof, Quelle wie Fn 538, S. 447 bzw. Spalte 870. Der Conseil d’Etat erließ im Folgejahr ein Dekret zugunsten der schweizerischen Aktiengesellschaften, vgl. Sirey 1861.3.52. 543 Zumindest hatte man bei den Debatten im Corps législatif über diesen Fall nicht gesprochen, s. hierzu oben, Gliederungspunkt B. I. 2. c) bb) (3).
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loi du 30 mai 1857. La loi du 30 mai 1857 n’a donc pas eu pour but (. . .) d’interpréter les art. 14, 15 et 16 [code civil] ou de les modifier dans un sens restrictif et contraire aux principes généraux et au droit des gens, mais bien de donner satisfaction aux craintes des représailles que la jurisprudence méticuleuse et jalouse d’un peuple voisin avait pu faire naître dans l’esprit du commerce de ce peuple.»544 Der etwas missverständliche Wortlaut des Art. 2 des Gesetzes von 1857 habe nach dieser Begründung nur den Zweck, die schlechten Erfahrungen mit dem belgischen Nachbar nicht auch im Verhältnis zu anderen Handelspartnern wiederholen zu müssen.545 Der Wortlaut des Gesetzes von 1857 war indes aus Sicht der französischen Gerichte eindeutig: Parteifähigkeit und weitergehende Rechte einer Aktiengesellschaft eines Drittlandes lagen fortan in der Hand der französischen Regierung; ohne entsprechendes Dekret des Conseil d’Etat sei eine solche Gesellschaft – der Betonung der liberalen Intention des Gesetzes bei dessen Entstehung zum trotz – ein rechtliches nullum; nach dem Cour impérial d’Aix bestünde auch kein Raum zur Annahme eines Vertrauensschutztatbestandes zugunsten der bisherigen gerichtlichen Anerkennung unautorisierter Gesellschaften.546 544 S. Pourvoi en cassation durch die Caisse franco-suisse, Quelle wie Fn 538, S. 445 f. bzw. Spalten 867–869. [Hinzufügung durch Verf.]. Vgl. auch die Nachweise von Lyon-Caen (1870), S. 115–118, zum französischen Autor Alauzet, der die Möglichkeit zur Anerkennung von fremden Aktiengesellschaften, die nicht im Sinne des neuen Gesetz von 1857 genehmigt worden waren, aufgrund der allgemeinen Prinzipien des internationalen Rechts aufrecht erhalten wollte und Lyon-Caens ausführliche Kritik zu dieser Sichtweise. 545 Pourvoi en cassation, Quelle wie Fn 538: «Le commerce des pays autres que la Belgique peut être aussi timide que celui de cette nation. Il peut vouloir également se garantir contre le danger d’un retour de jurisprudence de la part des tribunaux français.» Zudem dürfe man nicht vergessen, dass sich der Wortlaut des Artikel 2 des Gesetzes von 1857 gerade auch auf die Ausübung aller sonstigen Rechte einer fremden Aktiengesellschaft beziehe und nicht lediglich auf deren Parteifähigkeit: «(. . .) elle [la loi de 1857] leur assure l’exercice des tous les droits que les sociétés anonymes exercent comme tous les individus non sujets à autorisation, droits qui pouvaient leur être contestés en principe et qui l’étaient en effet, par exemple, celui de faire leurs opérations en France, d’y établir des succursales, d’y négocier leurs valeurs, etc. Voilà uniquement l’avantage que l’art. 2 a entendu permettre d’appliquer aux pays autres que la Belgique.» 546 Urteil der Cour impérial d’Aix vom 17. Januar 1861, abgedruckt in: Sirey 1861. 2.335 (Spalte 335 f.): «Qu’il importe peu que, jusqu’à présent, les parties aient plaidé entre elles, devant la justice française, sans qu’aucune ait excipé de ce défaut d’autorisation, et que ce soient les sociétés étrangères elles-mêmes qui, après avoir obtenu gain de cause en première instance, viennent aujourd’hui invoquer en appel leur propre incapacité; ces sociétés n’ont pas acquis par là une existence que la loi leur refuse, et elles ne sont pas moins demeurées absolument incapables d’ester en défendant comme en demandant; » Siehe auch die zahlreichen Nachweise bei: Ballot, Revue pratique de droit français 17 (1864), 90, 94 zu weiteren Urteilen aus den Jahren 1861/62, die die Anerkennung fremder, nicht autorisierter Aktiengesellschaften verweigern.
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Aus dem Vorbringen des ersten Generalanwaltes Oscar de Vallée im Jahre 1863 wird deutlich, dass sich die gekränkte Rechtsprechung in einem Dilemma befand, denn sie sah sich gezwungen, den Wortlaut des Gesetzes von 1857 zu befolgen und damit (nach eigenen Angaben) entgegen ihrer Überzeugung zu urteilen, die sie bis zum Erlass dieses Gesetzes sei es auf die Normen des code civils, sei es auf das Völkerrecht, stützen konnte: «La loi de 1857 (. . .) ne croyant pas devoir laisser au domaine de la jurisprudence et à ses incertitudes la question de capacité des sociétes anonymes étrangères, elle l’a mise aux mains du pouvoir éxécutif. Elle a dit qu’un décret pourrait ouvrir notre frontière aux sociétés anonymes des autres nations: par là même elle a dit qu’on pourrait ne pas rendre de décret et refuser ce traité de libre échange.»547 Die Tatsache, dass das Gesetz von 1857 unmissverständlich sei und keine Auslegungsmöglichkeit der Gerichte im Sinne der Möglichkeit der Anerkennung einer Gesellschaft, zugunsten deren Ursprungslandes kein Dekret erlassen wurde, bestünde, erörtert de Vallée bezüglich der im Fall in Frage stehenden russischen Aktiengesellschaft recht plastisch: «Y-a-t-on pensé? Supposez que vous voulez limiter, en effet, cette loi, et que vous autorisez les sociétés anonymes russes à ester en justice: il y aurait une nation qui aurait traité avec l’autorité judiciaire de France, tandis que les autres traitent avec le souverain.»548 Bei aller inhaltlichen Geringschätzung des Gesetzes sei es undenkbar, durch eine Anerkennung ohne entsprechendes Dekret die Souveränität des Gesetzgebers zu untergraben. Es sei die Pflicht des Richters die Gesetze des Landes anzuwenden und entsprechend müsse vorliegend der russischen Gesellschaft das Recht vor Gericht aufzutreten, d.h. zu klagen oder verklagt zu werden, abgesprochen werden.549 Die Cour de Paris nahm die Gedanken de Vallées uneingeschränkt in ihr Urteil auf und wies die Klage der russischen Aktiengesellschaft als unzulässig ab, wobei sie aber auf ihr Missfallen bezüglich einer solchen Rechtsprechung aufmerk547 Stellungnahme de Vallées im Vorfeld des Urteils der Cour de Paris vom 15. Mai 1863; beides abgedruckt in: Recueil Dalloz 1863.2.84 ff. (Stellungnahme auf S. 85–87; Urteil auf S. 87). Zur seines Erachtens nach bestehenden Sinnlosigkeit des Gesetzes von 1857 fügt de Vallée, S. 87 (linke Spalte), hinzu: «Cette loi me fait un peu l’effet d’une sentinelle mise dans un lieu où tout le monde passait d’abord, où elle-même laisse passer presque tout le monde, mais où cependant elle pourrait empêcher qu’on passât.» 548 De Vallée, Fundstelle wie Fn 547. 549 Nachdem de Vallée darauf hingewiesen hatte, dass sich Verstimmungen von russischer Seite durch den Angriff auf die Ehre der russischen Aktiengesellschaft (infolge eines diese nicht anerkennenden Urteils) durch ein entsprechendes Tätigwerden der Regierung lösen lassen würden, machte er darauf aufmerksam, Quelle wie Fn 547, dass die wichtigste Instanz schließlich ungerechte Rechtsnormen zu Fall bringen würde: «C’est l’opinion publique. Elle fera cesser le phénomène juridque qui vous est dénoncé, mais que la loi de 1857 ne vous permet pas de détruire.»
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sam machte: «Considérant qu’on ne peut se dissimuler les inconvénients de toute nature que présente l’existence de compagnies qui ont un conseil résidant à Paris, des actions cotées officiellement à la Bourse et toute une existence publique et considérable en France, et qui se trouvent cependant en dehors de la juridiction des tribunaux du pays; que c’est là une situation anormale et compromettante pour bien des intérêts français; mais qu’il n’appartient pas à l’autorité judiciaire d’y pourvoir.»550 (b) Unterscheidung zwischen aktiver und passiver Parteifähigkeit Die Rechtsprechung unterschied aber in der weiteren Entwicklung zwischen der aktiven und der passiven Parteifähigkeit einer ausländischen nicht (mittels Dekret oder Staatsvertrag) autorisierten Aktiengesellschaft.551 Erstere wurde diesen ausländischen Aktiengesellschaften stets verweigert, letztere wurde den Gesellschaften mit Hilfe der Rechtsfigur der société de fait zuerkannt.552 Die französischen Vertragspartner konnten somit zumindest gegen eine solche société de fait gerichtlich vertragliche oder deliktische Ansprüche geltend machen.553 Auf 550 Urteil der Cour de Paris vom 15. Mai 1863, Quelle wie Fn 547, S. 87. Vgl. allgemein zur Unterscheidung der Anerkennung der persönlichen Rechtsstellung ausländischer Aktiengesellschaften und ihrer Befähigung Wertpapiere zu emittieren und an französischen Börsen zu handeln, Lyon-Caen (1870), S. 128 ff. 551 Urteil der Cour de cassation vom 19. Mai 1863, abgedruckt in: Sirey 1863.1.353 (Abdruck der Anklagerede von Dupin auf S. 353–358, Urteil auf S. 358) und Recueil Dalloz 1863.1.218 (Urteil auf S. 223), welches das vorinstanzliche Urteil der Cour de Rennes aufhob. In diesem Fall ging es um die Anerkennung einer englischen limited liability company. Da das französische Recht keine komplette Entsprechung dieser Rechtsform kannte, behandelte man diese Gesellschaft aufgrund ihrer Privilegierung in Form der Haftungsbeschränkung auf das Gesellschaftskapital wie eine (nicht autorisierte) Aktiengesellschaft. Zwar existierte zwischen Frankreich und England seit dem 30. April 1862 ein Handelsvertrag, abgedruckt bei: Duvergier (1862), S. 119 f., der die gegenseitige Anerkennung von «compagnies et autres associations commerciales (. . .)» regeln sollte, doch wollte die Cour de Rennes den Staatsvertrag nicht als Dekret i. S. v. Art. 2 des Gesetzes vom 30. Mai 1857 anerkennen und bezweifelte zudem das Vorliegen des zeitlichen Anwendungsbereich des Vertrages. Die Cour de cassation ließ die Frage der Anwendbarkeit des Handelsvertrages im konkreten Fall offen und stützte die passive Parteifähigkeit der Gesellschaft zumindest auf Art. 14 c. civ. 552 Siehe Lyon-Caen (1870), S. 119 m.w. N. zur Rechtsprechung bezüglich der gleichgerichteten Behandlung französischer unautorisierter Aktiengesellschaften in dortiger Fußnote 1. Vgl. allgemein Braudo, Dictionnaire du droit privé français, Définition de Société de fait, abrufbar unter http://www.dictionnaire-juridique.com/definition/so ciete-de-fait.php (letzter Abruf 2.5.14) sowie Peifer (2009), Rn 233 ff., S. 151 ff.: Die „société de fait“ ist keine eigene Rechtsperson und kann daher als solche nicht am Rechtsverkehr teilhaben. Die Gesellschafter, die sich im Namen der Gesellschaft Dritten gegenüber präsentiert und verpflichtet haben, stehen persönlich für die Verbindlichkeiten der „société de fait“ ein. 553 Bis zu dem Urteil der Cour de cassation vom 19. Mai 1863 hatten einige Gerichte ausländischen nichtanerkannten Gesellschaften die Parteifähigkeit insgesamt verweigert, vgl. die Nachweise in Fn 546; weitere Nachweise finden sich in Recueil Dalloz
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B. Umgang mit fremden Gesellschaften aus rechtshistorischer Perspektive
diese Weise vermochte man die gröbsten Unbilligkeiten zu vermeiden, die sich dadurch ergeben konnten, dass ausländische Aktiengesellschaften ohne entsprechendes Dekret weiterhin in Frankreich agierten und funktionierten sowie deren Aktien gar an der Pariser Börse gehandelt wurden. Die Cour de cassation begründete die passive Parteifähigkeit einer solchen faktischen Gesellschaft mit der universellen Geltung des Art. 14 c. civ., nach dem jeder Ausländer vor französischen Gerichten für die Erfüllung bestehender Verbindlichkeiten gegenüber einem Franzosen zur Verantwortung gezogen werden kann: «Attendu qu’aux termes de l’art. 14, C. Nap., les tribunaux français sont compétents pour connaître des obligations contractées en France par des étrangers envers des Français; que cette diposition, dans sa généralité, s’applique aussi bien aux personnes physiques qu’aux personnes morales, aux individus qu’aux sociétés; qu’en admettant que la société anglo-française, défenderesse dans la cause, dût être considérée comme une société anonyme ne justifiant pas de l’autorisation qui lui serait nécessaire pour avoir une existence légale en France, elle n’aurait pas cessé, comme association de fait, d’y être responsable des ses engagements envers les Français avec lesquels elle aurait contracté, et, par suite, de rester nécessairement soumise, quant aux obligations résultant de ces engagements, à la juridiction français; qu’il n’a été ni expressément ni implicitement dérogé à ces principes par la loi du 30 mai 1857.»554 Der Kassationshof unterschied demnach die Reichweite von Art. 14 und Art. 15 c. civ.: Art. 14 c. civ. sei auf natürliche wie juristische Personen uneingeschränkt anwendbar; bei Art. 15 c. civ. sei dies zweifelhaft, jedenfalls gelte diese Norm nur für nach französischem Recht tatsächlich bestehende Gesellschaften.555 Diese Unterscheidung scheint wiederum weniger rechtlicher Natur als bloßen Billigkeits- und Souveränitätsgedanken geschuldet:556 Dem ausländischen 1863.1.218, dort Fußnote 3 und 4, Recueil Dalloz 1863.2.84, dort Fußnote 1 und Sirey 1863.1.353, dort Fußnote 1. 554 Urteil der Cour de Cassation vom 19. Mai 1863, Fundstelle wie Fn 551; Bestätigung durch Cour de Cassation, Urt. v. 14. November 1864, in: Sirey 1865.1.135; Urteil der Cour de Paris vom 9.5.1865, in: Sirey 1865.2.210. 555 Generalstaatsanwalt Dupin, Fundstelle wie Fn 551, hatte diese Unterscheidung im Vorfeld des Urteils der Cour de cassation vom 19. Mai 1863 aus folgenden Gründen gerechtfertigt: «(. . .) l’art. 14 ne fait autre chose qu’enlever à l’étranger, dans un intérêt de protection pour les sujets français, une exception d’incompétence qu’il aurait pu puiser dans sa qualité d’étranger. – Dans l’art. 15, au contraire, le législateur, en ouvrant à l’étranger les tribunaux français, lui accorde véritablement un droit qu’il n’avait pas, car la souveraineté française ne doit pas la justice aux étrangers; on comprend dès lors que l’exercice de ce droit soit subordonné à certaines conditions (. . .).» 556 Dafür spricht schon, dass die Kommentare zum französischen Zivilgesetzbuch in den beiden Vorschriften keine Unterschiede sehen; vielmehr sei Art. 15 c. civ. Ausdruck der Reziprozität in Bezug auf das in Art. 14 c. civ. den Franzosen zugestandene Klagerecht vor heimischen Gerichten, vgl. hierzu Rogron (1859), Nr. 14 f., S. 26–33; ähnlich auch Ballot, Revue pratique de droit français 17 (1864), 90, 100.
I. Die Entwicklung der Anerkennung ausländischer Gesellschaften
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nicht autorisierten Gebilde sollte gegen die eigenen Staatsbürger keine Handhabe zustehen, umgekehrt sollten die Franzosen vor heimischen Gerichten zu ihrem Recht kommen, wenn sie sich gegen eine nicht über Rechtspersönlichkeit verfügende ausländische Gesellschaft wendeten. Während die französische Literatur diese den eigenen Staatsbürgern zugute kommende Rechtsprechung überwiegend begrüßte, wurde die Rechtmäßigkeit von ausländischen Autoren daher auch angezweifelt.557 Sehr treffend bringt meines Erachtens der Autor Ballot diese „künstliche“ Differenzierung, die den Interessen der französischen Bürger zugute kommen soll, zum Ausdruck: «Tandis qu’en législation, le système de reciprocité est adopté entre nations, tandis que le gouvernement déclare tenir pour bonne l’autorisation du gouvernement étranger à la condition qu’on lui accorde même confiance, tandis qu’il accorde droit de cité à toutes les sociétés étrangères dans le pays desquelles il trouvera pour les siennes même privilège; faut-il dire en jurisprudence, qu’à défaut de loi ou de traité, sous l’empire du droit commun, les sociétés étrangères établies de fait en France seront considérées comme n’existant pas, quand elles voudront exercer un droit, comme existant au contraire quand elles seront l’objet de poursuites, devant la justice française? »558 Festzuhalten ist demnach, dass die Unterscheidung von passiver und aktiver Parteifähigkeit im Gesetz selbst keine Stütze fand, sondern Billigkeitserwägungen gegenüber den eigenen Staatsangehörigen entsprungen war.559 Gemäß LyonCaen sei die Zubilligung der passiven Parteifähigkeit gegenüber fremden, in
557 Befürwortend etwa Buchère, Clunet 9 (1882), 37, 53; Lyon-Caen (1870), S. 121; Lyon-Caen/Renault, Bd. 2/2 (1909), Nr. 1134 f., S. 551 f.; Moutier, Clunet 21 (1894), 954, 975; zweifelnd Schwandt (1912), S. 198: „Eine Privilegierung ist darum nicht in der Versagung der passiven Parteifähigkeit zu sehen, weil diese nur das logische Korrelat zu der mangelnden Aktivlegitimation ist. Im Gegenteil ist die Versagung sowohl der Aktiv- als auch der Passivlegitimation zusammen betrachtet ein privilegium odiosum der fraglichen Gesellschaften, die einen Geschäftsbetrieb infolgedessen in Frankreich kaum eröffnen können. Konsequent wäre es daher, auch Klagen gegen nichtanerkannte ausländische A.G. vor französischen Gerichten nicht zuzulassen.“ 558 Siehe Ballot, Revue pratique de droit français 17 (1864), 90, 94. Bemerkenswert ist, dass Ballot diese Ungleichbehandlung eingesteht, obwohl er Franzose ist: «(. . .) nous sommes venus nous heurter toujours aux textes de la loi, et nous n’avons pu trouver de raison décisive pour les éluder.» Ähnlich kritisch äußert sich auch Alauzet, Bd. 2 (1879), Nr. 869, S. 808 f. 559 Dies ergibt sich auch aus den Abhandlungen von Buchère, Clunet 9 (1882), 37, 53 f. und Lyon-Caen (1870), S. 121 f., die es als „ungerecht“ bezeichnen, wenn sich nicht autorisierte fremde Aktiengesellschaften aufgrund fehlender passiver Parteifähigkeit ihren Verpflichtungen entziehen könnten. Erschwerend käme nach Lyon-Caen (S. 121 f.) hinzu, dass die französische Regierung gegen das (unerlaubte) Tätigwerden nicht autorisierter fremder Aktiengesellschaften in Frankreich keine rechte Handhabe habe. Ballot, Revue pratique de droit français 17 (1864), 90, 99 hatte demgegenüber zuvor festgestellt, dass es ebenso eine „Ungerechtigkeit“ darstellen könne, wenn sich französische Schuldner auf die mangelnde rechtliche Existenz einer fremden faktischen Gesellschaft berufen können, um ihren Verpflichtungen zu entgehen, und auf diese Weise die ausländische Gesellschaft in den Ruin treiben können.
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B. Umgang mit fremden Gesellschaften aus rechtshistorischer Perspektive
Frankreich nicht autorisierten Aktiengesellschaften, zudem die einzige Möglichkeit, um dem Gesetz von 1857 eine „sanction sérieuse“ zu verschaffen.560 Der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass Franzosen regelmäßig – selbst bei Nichtanerkennung der passiven Parteifähigkeit der fremden Gesellschaft in Frankreich – zumindest bei den Gerichten deren Gründungslandes rechtliches Gehör hätten finden können;561 dies scheint den Billigkeitsgedanken der französischen Rechtsprechung weiter zu relativieren. In der Folge erübrigte sich das Problem der Differenzierung zwischen aktiver und passiver Parteifähigkeit aber relativ schnell, da man zeitnah die entsprechenden Dekrete verlieh bzw. Staatsverträge mit wichtigen Handelspartnern abschloss. cc) Würdigung Nach der eingehenden Darstellung der Sichtweise der französischen und belgischen Regierungs- und Verwaltungsbehörden, der Gerichte und der Rechtswissenschaft ist eine Bewertung der aufgekommenen Anerkennungsproblematik vorzunehmen. Es sollen vor allem die Argumente der Rechtswissenschaft und Judikative kritisch beleuchtet werden, die sich gegen die Anerkennung der fremden juristischen Person vor dem Erlass der Gesetze von 1855 respektive 1857 richteten. Allein der Vergleich der Urteile der belgischen Cour de cassation 1847 und 1849 legt nahe, dass die rechtlichen Argumente i. d. R. nur vorgeschoben und beliebig biegsam waren, um zum rechtspolitisch gewünschten Ergebnis zu gelangen. Insbesondere auf diesen Aspekt soll nun das Augenmerk gelegt werden. (1) Staatliche Souveränität im Lichte des damaligen IPR Die Autoren, die sich mit der Frage der Anerkennung ausländischer juristischer Personen auseinandersetzten, untersuchten in der Regel die Frage, ob die Anerkennung nicht ein Gebot eines höherrangigen Rechts bzw. Rechtsprinzips sein könne und daher prinzipiell auch ohne die Materie regelndes nationales Recht automatisch zum Tragen komme. Während die Befürworter der grenzüberschreitenden automatischen Anerkennung juristischer Personen völkerrechtliche Prinzipien wie bestehendes internationales Gewohnheitsrecht oder ein allgemein 560 Was Ballot also als „Ungerechtigkeit“ in Bezug auf die fremde Gesellschaft anprangert (d.h. der Entzug französischer Schuldner aus ihren Verpflichtungen, vgl. den Nachweis in Fn 559), sieht Lyon-Caen (1870), S. 122, als passenden Sanktionsmechanismus für den Verstoß gegen das Gesetz von 1857 an: «La sanction de la loi de 1857 est donc dans le refus que doivent faire les tribunaux français de condamner les personnes obligées envers des sociétés étrangères non autorisées. Ces obligations se trouvent ainsi, tout au moins en France, frappées d’une sorte de nullité. » Freilich deutet LyonCaen mit Hilfe der Wortwahl „au moins“ („zumindest“) an, dass sich die fremden Gesellschaften möglichweise an ihre eigenen Gerichte wenden können. 561 Vgl. hierzu Ballot, Revue pratique de droit français 17 (1864), 90, 103.
I. Die Entwicklung der Anerkennung ausländischer Gesellschaften
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unter zivilisierten Staaten geltendes Gebot der courtoisie als Rechtsgrundlage der Anerkennung heranziehen wollten,562 bemühten sich die Gegner energisch darzulegen, dass solche Rechtsgrundlagen im Allgemeinen bzw. im speziellen Fall der Anerkennung fremder Aktiengesellschaften nicht existierten.563 Diese Beschäftigung der Literatur mit der Rechtsgrundlage der Anerkennung ist im Zusammenhang damit zu sehen, dass das internationale Privatrecht Mitte des 19. Jahrhunderts noch in den Kinderschuhen steckte. Die Wissenschaft stand damals an der Schwelle zur Überwindung der Statutentheorie, d.h. der Bestimmung des räumlichen Anwendungsbereiches einer nationalen Norm aus dem Inhalt der Rechtssätze.564 Die Statutentheorie gelangte damit häufig zur Anwendung des eigenen Sachrechts. Unter dem Einfluss des französischen Autors d’Argentré, der die damalige Statutentheorie im 16. Jahrhundert weiterentwickelt hatte, hatte man sich in den Niederlanden im 17. Jahrhundert verstärkt mit dem Anwendungsgrund des fremden Rechts im eigenen Land auseinandergesetzt.565 Das Verständnis der staatlichen Souveränität hatte bereits damals zu der Erkenntnis geführt, dass eine echte Rechtspflicht zur Anwendung ausländischen Rechts einen Souverän nicht treffen könne. Würde dennoch ausländisches Recht im Inland angewendet, so basiere diese Anwendung auf dem Prinzip des gegenseitigen Entgegenkommens – der comitas.566
562 Ballot, Revue pratique de droit français 17 (1864), 90, 92; Vavasseur (1868), Nr. 370, 373, S. 278–280; berichtend Lyon-Caen (1870), S. 16 ff. m.w. N. (jedoch i. E. selbst ablehnend auf S. 19 ff.); Fallon, in: Erauw/Bouckaert/Bocken (Hg.) (1989), S. 765, 769 m.w. N. Erst später sprach man von der Theorie der „droit acquis“, vgl. Pillet (1914), Nr. 76, S. 113 f.; umfassende Würdigung dieser von Ekelmans, in: Erauw/ Bouckaert/Bocken (Hg.) (1989), S. 735, 737 ff. 563 Vehement gegen den Gedanken eines internationalen Gewohnheitsrechtes oder des Prinzips der „courtoisie“ wenden sich die belgischen Autoren Arntz, Bastiné und Bartels, Fundstelle wie Fn 415, Spalten 1781, 1788–1799 sowie Laurent, Bd. 4 (1880), Nr. 132, S. 259 und Nr. 147, S. 285. 564 Näher hierzu Kegel/Schurig (2004), § 3 IV und IX, S. 174 f., 181 ff. sowie Kropholler (2006), § 2 II und III, S. 11 ff. Zur Entwicklung der Statutentheorie s. a. Scherer (2005), S. 18 ff. 565 D’Argentré teilte die Normen klar in „statuta personalia“, „statuta realia“ und „statuta mixta“ ein. Für die beiden letzteren gelte in der Regel die „lex rei sitae“, d.h. der Belegenheitsort, da sich die staatliche Gewalt auf das Staatsgebiet erstrecke und an dessen Grenzen ende. D’Argentré stufte sehr viele Rechtsnormen als Realstatuten ein, wodurch er im Ergebnis dem „eigenen Recht“ einen sehr weiten Anwendungsbereich zukommen ließ; vgl. Kegel/Schurig (2004), § 3 IV, S. 174 f. und auch Scherer (2005), S. 27, die es als Ziel d’Argentrés beschreibt, eine „weitestgehende Anwendung der lex fori“ zu erreichen. Zu den wesentlichen niederländischen Autoren, die sich mit dem Anwendungsgrund fremden Rechts beschäfigten, zählen Voet und Huber, s. hierzu, Kegel/Schurig (2004), § 3 V, S. 175 f. und Scherer (2005), S. 28 ff. 566 Siehe Demangeat, Revue pratique de droit français 1 (1856), 49, 50: «(. . .) tous les effets que les lois étrangères peuvent produire dans le territoire d’une nation dépendent absolumment du consentement exprès ou tacite de cette nation: c’est par suite d’une comitas inter gentes, d’une reciproca utilitas, que ses effets sont produits.»
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B. Umgang mit fremden Gesellschaften aus rechtshistorischer Perspektive
Diesem bisherigen Stand der internationalen Privatrechts-Wissenschaft traten die deutschen Autoren von Wächter und Savigny Mitte des 19. Jahrhunderts entgegen. Von Wächter lehnte die Statutentheorie ab und ging von der Prämisse aus, dass jeder nationale Richter grundsätzlich nur nach dem Recht seines eigenen Landes zu entscheiden hätte.567 Von Wächter war damit von seiner rechtspolitischen Gesinnung her ebenfalls ein vehementer Verfechter des Souveränitätsgedankens, der dem „Eindringen“ von fremdem Recht feindlich gegenüberstand. Nicht ohne Grund stützten sich daher auch Arntz, Bastiné und Bartels auf die Arbeit von Wächters, dessen Überzeugung ihrer der Anerkennung fremder Aktiengesellschaften abgeneigten Gesinnung zugute kam.568 Bekanntlich ist erst das Werk Savignys zum System des römischen Rechts, welches in den Jahren 1840– 1849 erschien, als der wesentlichste Meilenstein der Neuzeit im Rahmen der IPR-Wissenschaft anzusehen, denn dieses vermochte die Fundamente der mehr als 600 Jahre herrschenden Statutentheorie zum Einsturz zu bringen, indem es für die Frage der Anwendbarkeit der passenden Rechtsordnung am privatrechtlichen Rechtsverhältnis selbst ansetzte und nicht länger (wie die Statutentheorie) von der örtlichen Rechtsnorm ausging.569 Zwar lehrte Savigny, dass ein Staat die Anwendung fremden Rechts grundsätzlich verbieten könne, doch sei die Anwendung fremden Rechts im Anschluss an die niederländische comitas-Lehre als „freundliche Zulassung unter souveränen Staaten“ zu begreifen, die sich stetig weiterentwickelt habe und mit der man nicht einfach willkürlich brechen könne.570 Im Sinne einer modernen Interpretation des Kollisionsrechts sei das anwendbare Recht mithin nach der dem Sachverhalt am nächsten stehenden Rechtsordnung zu richten. Besagter Teil der Abhandlung, der das internationale Privatrecht betraf, erschien erst 1849, d.h. damit einige Jahre nach dem Aufsatz von Arntz, Bastiné und Bartels. Da sich das internationale Privatrecht mithin erst ab den fünfziger Jahren des 19. Jahrhunderts schrittweise in Richtung des heutigen Verständnisses entwickelte, verblüfft es nicht, dass die Anwendung des ausländischen Rechts von einigen belgischen und französischen Autoren des 19. Jahrhunderts (noch) als Ein567
Siehe von Waechter, AcP 24 (1841), 230, 237 und passim. Arntz/Bastiné/Bartels (Quelle wie Fn 415) verweisen in Spalte 1790 ihrer Abhandlung in Fußnote 31 auf von Waechter und seinen Aufsatz, in: AcP 24 (1841), 230– 311, AcP 25 (1842), 1–60, 161–200, 361–419. 569 Savigny, System des heutigen römischen Rechts, 8 Bde. (1840–1849); insbesondere Bd. 8 von 1849. 570 Nach Savigny, Bd. 8 (1849), S. 28, müsse diese „freundliche Zulassung“ verstanden werden als „Zulassung ursprünglich fremder Gesetze unter die Quellen, aus welchen die einheimischen Gerichte die Beurtheilung mancher Rechtsverhältnisse zu schöpfen haben. Nur darf diese Zulassung nicht gedacht werden als Ausfluß bloßer Großmuth oder Willkür, die zugleich als zufällig wechselnd und vorübergehend zu denken wäre. Vielmehr ist darin eine eigenthümliche und fortschreitende Rechtsentwicklung zu erkennen, gleichen Schritt haltend mit der Behandlung der Collisionen unter den Particularrechten desselben Staates.“ 568
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griff in die Souveränität des nationalen Gesetzgebers im eigenen Staatsterritorium verstanden wurde und weniger als Verweisungsbefehl des eigenen Kollisionsrechtsgesetzgebers. So ist dem Werk des französischen Rechtswissenschaftlers Foelix, das nach dessen Tode unter Mitwirkung Demangeats im Jahre 1866 in vierter Auflage erschien, der besondere Stellenwert des Souveränitätsgedankens deutlich anzumerken: «Les lois étrangères ne peuvent être invoquées, si elles préjudicient au droit de souveraineté ou aux droits de nationaux. Aucune nation ne renonce, en faveur des institutions d’une autre, à l’application des principes fondamentaux de son gouvernement; elle ne se laisse pas imposer des doctrines qui, selon sa manière de voir, sous le point de vue morale ou politique, sont incompatibles avec sa propre sécurité, son propre bien-être, ou avec la consciencieuse observation de ses devoirs ou de la justice.»571 Die Tatsache, dass man unter den genannten Restriktionen überhaupt die Anwendung fremden Rechts im eigenen Land zulasse, sei faktischen Umständen geschuldet: «Le système qui repousserait, en France, toute application des lois étrangères, entraînerait nécessairement des mesures de rétorsion de la part des autres nations, et, par suite, les intérêts que des citoyens français pourraient avoir hors de France, et qui auraient leur base dans nos lois, se trouveraient privés de leur appui légitime, et subordonnés à l’application de lois auxquelles le bénéficiaire n’est pas soumis à priori. L’usage des nations a établi, pour leur avantage réciproque, et dans certains cas, l’effet des lois étrangères. La nation qui, la première, s’avisera de rompre le lien ainsi convenu, en supportera la prèmiere le préjudice.»572 Dieses „Denken vom Staat her“ bei der Zulassung der Anwendung fremden Rechts konnte man daher auch gegen die Anerkennung ausländischer juristischer Personen des Privatrechts richten. Nicht von ungefähr bezeichnet das belgische Autorentrio Arntz, Bastiné und Bartels, deren Gedanken von Leclercq und Laurent aufgenommen worden sind, die Anerkennung fremder Aktiengesellschaften als Untergrabung der Souveränität des eigenen Staates durch die Gesetze eines fremden Staates.573 Indem aufgezeigt wurde, dass für die Anerkennung (bis 1855 bzw. 1857) keinerlei gesetzliche Grundlage bestanden habe, wird der Gedanke der rechtsgrundlosen Aufgabe staatlicher Machtbefugnisse infolge einer Anerkennung fremder Aktiengesellschaften besonders effektvoll in Szene gesetzt.574 571
Foelix, Bd. 1 (1866), Nr. 15, S. 28 f. Foelix, Bd. 1 (1866), Nr. 18, S. 35 f. 573 Arntz/Bastiné/Bartels, Quelle wie Fn 415, Spalten 1781, 1800 f.; Leclercq, in: Pasicrisie 1849.1.238; Laurent, Bd. 4 (1880), Nr. 119, S. 231 f. und Nr. 120, S. 240 f., sieht die Wirkung der Gesetze, die die Ausgestaltung von juristischen Personen betreffen, als auf die Landesgrenzen beschränkt: «On les appelle des statuts réels; et comme chaque Etat apprécie ses droits et ses intérêts à sa guise, au point de vue de sa situation politique, morale, économique, on restreint l’empire de ces lois au territoire sur lequel s’étend la puissance souveraine.» 574 Vgl. hierzu auch Lyon-Caen (1870), S. 16–21 m.w. N. 572
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B. Umgang mit fremden Gesellschaften aus rechtshistorischer Perspektive
Die Maßgeblichkeit des Souveränitätsgedankens zeigt sich gar bei den an der belgischen Gesetzgebung beteiligten Organen: So stellte der belgische Außenminister heraus, dass der Gesetzesentwurf zum Anerkennungsgesetz von 1855 nicht primär der Erfüllung einer (staats-)vertraglichen Pflicht diene, sondern in erster Linie für die belgischen Bürger von enormen Nutzen sei.575 Man rückte die eingegangene völkerrechtliche Verpflichtung zur Erstellung des Gesetzes wohl in den Hintergrund, um zu betonen, dass das Gesetz Ausdruck eigenster staatlicher Nützlichkeitserwägungen – somit Ausgestaltungsform von Souveränität – sei. Das Argument einer fehlenden expliziten gesetzlichen Grundlage, die Ausdruck einer souveränen Entscheidung des Gesetzgebers zur Akzeptanz der ausländischen juristischen Personen (des Privatrechts) gewesen wäre, stand der Anerkennung ausländischer Aktiengesellschaften demnach grundsätzlich entgegen. Die Tatsache, dass die Jurisprudenz bis zum belgisch-französischen Konflikt fremde Aktiengesellschaften auch ohne ausdrückliche gesetzliche Grundlage anerkannte, wurde zumindest als „rechtlich fragwürdig“ angesehen.576 Das bloße Souveränitätsargument scheint aber angreifbar. Zum einen hatte man dieses erst mit der zunehmenden wirtschaftlichen Bedeutung der (fremden) Aktiengesellschaft „entdeckt“. Zum anderen erkannte man auch ausländische Personengesellschaften bedingungslos an und ließ ihre Geschäftstätigkeit im eigenen Land ungehindert zu, ohne sich gegenüber diesen auf das Souveränitätsargument zu berufen.577 Hätte man den beschriebenen Gedanken ernst genommen, so hätten aber auch jene ausländischen Gesellschaftsformen nicht vor französischen Gerichten klagen dürfen. Der Souveränitätsgedanke wurde nur gezielt gegen die wirtschaftlich bedeutsamere Kapitalgesellschaft gerichtet. (2) Die juristische Person als bloße Fiktion Eines der zentralen Argumente, auf welches die Rechtsprechung vor den Anerkennungsgesetzen von 1855 und 1857 die Nichtanerkennung der fremden juristischen Person zurückführte, war die Nichtgeltung des Art. 3 Abs. 3 c. civ. für die ausländischen Aktiengesellschaften.578 Die nach dieser Vorschrift grundsätzliche 575 Vgl. Sitzung des Chambre des représentants vom 5. Februar 1855, in: Annales parlementaires de Belgique, Chambre des représentants, Session 1854/55, S. 659 (rechte Spalte). 576 So etwa Lyon-Caen (1870), S. 19 und Bertrand, in: Recueil Dalloz 1857.4.76 (rechte Spalte), der zur Rechtsprechung der französischen Gerichte auf Grundlage von Art. 15. c. civ. vor 1857 bemerkt: «Le bénéfice de cet article, qui suppose nécessairement dans le demandeur la personnalité civile et la capacité d’agir, fut, par une intérprétation peut-être plus généreuse qu’exacte, réciproquement appliqué en France comme en Belgique aux sociétés anonymes de chaque pays.» (Hervorhebung des Verf.). 577 S. etwa Lyon-Caen (1870), S. 14 f. 578 Vgl. die Nachweise zur französischen und belgischen Rechtsprechung oben Gliederungspunkte B. I. 2. c) bb) (1) und B. I. 2. c) bb) (4), sowie insbes. Plädoyer von Leclercq, abgedruckt in: Recueil Dalloz 1847.2.172.
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Anwendung der französischen Vorschriften zur persönlichen Rechtsstellung auf alle französischen Staatsbürger unabhängig ihres Aufenthalts- bzw. Wohnortes wurde allgemein als reziprok anwendbar auf ausländische Personen verstanden, d.h. deren persönliche Rechtsstellung sollte sich trotz eines Wohnsitzes in Frankreich nach ihrem Staatsangehörigkeitsrecht bestimmen.579 Um dieses anerkannte Prinzip, das Personalstatut der Person nach dem Recht der Staatsangehörigkeit anzuknüpfen, nicht auf fremde Aktiengesellschaften anwenden zu müssen, lag es nahe, die „Rechtsqualität“ als Person bzw. die Fähigkeit dieser „einem Staat anzugehören“, zu bestreiten. Saleilles drückt daher den Zusammenhang zwischen Fiktionstheorie und Anerkennung folgendermaßen aus: «S’agissant de quelque chose de fictif et d’artificiel, comment un État se serait-il cru obligé de reconnaître une création purement légale, émanant d’une autre souveraineté que la sienne?»580 Sowohl Leclercq als auch Arntz, Bastiné und Bartels stellten die Zubilligung der Rechtsfähigkeit mittels Konzession als Entstehungsakt für die juristische Person heraus, die nichts anderes als bloße Fiktion sei und damit zwangsläufig an den Staatsgrenzen ihres Entstehungslandes ende.581 Die einer Aktiengesellschaft künstlich zugebilligte Fähigkeit als Träger von Rechten und Pflichten, als Person, angesehen werden zu können, hindere zugleich die multilateral verstandene Anwendung des Rechtsgedankens von Art. 3 Abs. 3 c. civ. aus der Perspektive des französischen bzw. belgischen Gesetzgebers. Die Nichtanwendbarkeit der Norm des Art. 3 Abs. 3 c. civ., die für sich genommen als Rechtsgrundlage der Anerkennung hätte dienen können, wurde als weiteres Argument für die mangelnde Anerkennung fremder Aktiengesellschaften herangezogen. Die Tatsache, dass die Auffassung der juristischen Person als Fiktion nicht entscheidungserheblich für die Anerkennungsfrage ist, zeigt sich bereits daran, dass die belgische Cour de cassation sowohl im Jahre 1847 als auch im Jahre 1849 auf dem Standpunkt dieser Theorie entgegengesetzte Urteile fällte: Im Rahmen des ersten Urteils verglich sie die Zulässigkeit der Anerkennung fremder Aktiengesellschaften mit der Anerkennung juristischer Personen öffentlichen Rechts, die ebenso wie die privatrechtlichen Vereinigungen nichts anderes als eine „Fiktion“ seien; im zweiten Urteil belegte sie hingegen die Nichtgeltung des Rechtsgedankens von Art. 3 Abs. 3 c. civ., als maßgebliches Argument der Nichtanerkennung, 579 Siehe für Frankreich Demangeat (1856), Revue pratique de droit français 1 (1856), 49; Foelix, Bd. 1 (1866), Nr. 27, S. 53 f., Nr. 29, S. 60 m.w. N. in dortiger Fußnote 2; für Belgien siehe M. Fallon, in: Erauw/Bouckaert/Bocken (Hg.) (1989), S. 765, 766 ff. m.w. N. zur belgischen Rechtsprechung. In der heutigen Terminologie würde man vom Ausbau einer einseitigen zu einer allseitigen Kollisionsnorm sprechen. 580 Saleilles (1922), S. 354. 581 Der Streit um die Rechtsnatur der juristischen Person wurde nie entschieden; vgl. zur Fiktionstheorie und weiteren auch in Frankreich und Belgien später vertretenen Theorien Rigaud (1943), S. 359 ff.
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gerade mit der Eigenschaft der Fiktion.582 Dies zeigt bereits, dass als tragend für die Entscheidungsgründe vorgetragene rechtliche Erwägungen in Wahrheit nur vorgeschoben waren, um – je nach Auslegung – zu dem rechts- bzw. wirtschaftspolitisch gewünschten Resultat zu gelangen. Die Frage, ob die ausländische Aktiengesellschaft ein eigenes Personalstatut besitzt, ist somit keine Frage, die sich rechtlich zweifelsfrei aus der Anwendung einer bestimmten Theorie zur Bestimmung der Rechtsnatur der Aktiengesellschaft erschließt.583 (3) Die Bedeutung der Konzession nach Art. 37 des Handelsgesetzbuches Schließlich beriefen sich die Feinde der Anerkennung auf die Bedeutung der Konzession für den Erhalt der Rechtssubjektivität der Aktiengesellschaft bzw. den nationalen ordre public. Beiden Argumenten soll im Folgenden nähere Beachtung geschenkt werden. (a) Erlangung von Rechtspersönlichkeit Mithilfe der Fiktionstheorie konnte jedenfalls an die Tradition angeknüpft werden, wonach die Rechtspersönlichkeit einer juristischen Person allein von staatlicher Verleihung abhängig sei. In den Augen der Anerkennungsgegner entfaltete diese Fähigkeit als alleiniger Träger von Rechten und Pflichten zu gelten – da es sich um keine natürliche, sondern von Staates wegen künstlich zugebilligte Rechtspersönlichkeit handelte – naturgemäß nur im Konzessionsland Wirkung.584 Da die Theorie der Fiktion der juristischen Person und die Berufung auf die Notwendigkeit einer staatlichen Genehmigung in Form der Konzession zur Erlangung von Rechtssubjektivität in die alte Rechtstradition hinein passte, wonach die juristischen Personen des öffentlichen Rechtes bzw. die zumeist staatlich initiierten Kolonialhandelsgesellschaften zu ihrer Entstehung eines staatlichen Aktes bedurften, erschien es umso leichter, die Anerkennung der recht-
582 Cour de cassation, Urt. v. 22. Juli 1847, in: Recueil Dalloz 1847.2.173 (rechte Spalte): «(. . .) cette fiction doit donc conserver son autorité en dehors du pays (. . .)» bzw. Cour de cassation, Urt. v. 8. Februar 1849, in: Pasicrisie 1849.1.41 (linke Spalte): «Attendu, d’autre part, que les lois régissant l’état et la capacité des personnes (. . .) s’appliquent au bien aux personnes réelles ou naturelles, mais qu’elles ne sont pas susceptibles d’application aux êtres fictifs, aux personnes civiles, telles que les sociétés anonymes (. . .)». 583 Vgl. auch Abrahams (1957), S. 71. 584 Von der Verleihung der Persönlichkeit durch die staatliche Konzession sprechen etwa Lyon-Caen (1870), S. 13 f. und Lyon-Caen/Renault, Bd. 2/2 (1909), Nr. 1093, S. 510 ff.; dennoch wollen diese die Nichtanerkennung einer ausländischen juristischen Person nicht als Folge der Fiktionstheorie, sondern als Maßnahme des ordre public verstanden wissen; zum Zusammenhang von Verleihung und Fiktionstheorie, vgl. Schmidt (2002), § 8 II, insbes. S. 187 ff., 192; Deutsch, in: Bayer/Habersack (Hg.), Bd. 1 (2007), S. 46, 73.
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lichen Existenz fremder Aktiengesellschaften außerhalb ihres Gründungslandes mit den genannten Argumenten abzuschmettern.585 Dieser von den Feinden der Anerkennung häufig dargelegte Zusammenhang von Fiktion und Konzession wird deutlich, wenn Lainé bezüglich des Gehalts der Gesetze von 1855 bzw. 1857 feststellt: «C’était admettre les sociétés anonymes du pays voisin, constituées suivant ses lois, à jouir, au même titre que ses autres sujets, de la vie civile. Bref, c’était condamner la theorie d’après laquelle les personnes morales étrangères sont de pures fictions, tant que les pouvoirs locaux ne les ont pas consacrées par les actes prescrits pour les personnes morales indigènes; car autre chose était la règle rigoureuse de l’article 37 du Code de commerce, décidément réservée aux sociétés locales, autre chose l’autorisation générale acordée aux sociétés étrangères. »586 Dieses Ansetzen an der Rechtsnatur der Aktiengesellschaft als juristische Person bzw. die Bedeutung der Konzession für die Erlangung der Rechtsfähigkeit erscheint aber fadenscheinig, da man sich in Frankreich und Belgien bis zum Konflikt nie ernsthaft mit der Frage beschäftigt hatte, ob allein die Konzession des Staates der sociéte anonyme Rechtssubjektivität verleihen konnte, d.h. ob die Konzession für die Zubilligung der Rechtsfähigkeit konstitutiv war.587 Aus der bereits dargelegten Entstehungsgeschichte des Art. 37 cdc im französischen Handelsgesetzbuch lässt sich eine solche Deutung nicht explizit entnehmen und auch die französischen Autoren Michoud und Saleilles, die sich eingehend mit der juristischen Person beschäftigen, zweifeln an einer solchen konstitutiven Wirkung.588 Wie bereits herausgearbeitet wurde, sprechen die Tatsachen, dass man in Frankreich (zunächt implizit) allen Handelsgesellschaften Rechtssubjektivität zubilligte589 und der Staat mit der Konzession der société anonyme primär einen Kontrollzweck verfolgte, gerade dagegen. 585 Die angeblich (nur) aus der Fiktionsthorie abzuleitende Folge der Nichtanerkennung ist aber auch im System der Normativbestimmungen anwendbar, da nicht die Art der Zubilligung der Rechtsfähigkeit (Verleihung oder Publizitätsakt) eine Rolle spielt, sondern die Reichweite der in einem Land erworbenen Rechtsfähigkeit. So betont Laurent auch in seinem Werk, Bd. 4 (1880), Nr, 119, S. 231 f., Nr. 155, S. 295, Nr. 157, S. 301, die „Angemessenheit“ der Nichtanerkennung auf Grundlage der Fiktionstheorie, obwohl in Frankreich bereits seit 1863/67 und in Belgien seit 1873 das System der Normativbestimmungen galt und Belgien ab 1873 die automatische Anerkennung vorsah (dazu später Gliederungspunkte B. II. 1. a) und B. II. 1. b) aa) (2)). Den fehlenden Zusammenhang von zugrunde gelegter Theorie und Anerkennung fremder Aktiengesellschaften erläutert auch Großfeld, in: RabelsZ 31 (1967), 1, 5. 586 Lainé, Clunet 20 (1893), 273, 306 (Hervorhebung des Verf.). 587 Vgl. hierzu bereits Gliederungspunkt B. I. 2. b) bb) (1). 588 Vgl. zu Michoud den Nachweis in Fn 201 und Saleilles (1922), S. 298, der die Wandlung des Begriffes der „personnalité“ beschreibt und somit zumindest implizit zu erkennen gibt, dass ein staatlicher Mitwirkungsakt in Form der Konzession nicht länger eine zwingende Voraussetzung der Rechtsfähigkeit bildete. 589 S. nur Saleilles (1922), S. 301.
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B. Umgang mit fremden Gesellschaften aus rechtshistorischer Perspektive
Um das rechtspolitisch erwünschte Ergebnis der Nichtanerkennnung rechtlich legitimieren zu können, betonte man den Verleihungsgedanken mit vermeintlichen Parallelen zu der negativ gefärbten, früheren Privilegienerteilung bei monopolistischen Kolonialhandelsgesellschaften. 590 (b) Wahrung des nationalen ordre public Sofern jedoch nicht an der räumlichen Begrenztheit der Konzessionserteilung auf das Ursprungsland festgehalten und – mit Hilfe der behaupteten unterschiedslosen Geltung von Art. 3 Abs. 3 c. civ. für alle Personen – die Rechtsfähigkeit, die den fremden Aktiengesellschaften im Gründungsland verliehen wurde, im Gastland anerkannt wurde, so machten die Anerkennungsgegner spätestens den Gedanken des ordre public (gemäß Art. 3 Abs. 1 c. civ.) zum maßgeblichen Anerkennungshindernis.591 Dem gewichtigen Einwand, dass Art. 37 cdc seines Wortlautes und seiner Entstehungsgeschichte nach wohl nicht für die Anwendung auf ausländische Aktiengesellschaften geschaffen worden war, konnte man zumindest mit dem Hinweis auf seinen Sinn und Zweck entgegentreten.592 Zum formalen Nachweis des ordre public-Bezugs verwies man auf die vom Argwohn gepägte Entstehungsgeschichte der Konzessionsnorm. Der französische Generalanwalt Oscar de Vallée hatte demgegenüber bereits festgestellt, dass Gefahren für die öffentliche Ordnung in Frankreich und Belgien aufgrund der parallelen Gesetzeslage in beiden Staaten (als Quellenländer des Anerkennungsstreites) praktisch sehr gering waren;593 auch der belgische Justizminister Ernst hatte die Anerkennungsfrage primär als Folge des wirtschaftlichen Konkurrenzkampfes und nicht als wesentlichen Bestandteil der öffentlichen Ordnung begriffen.594 Da der Begriff des ordre public aufgrund seiner generalklauselhaften Wirkung letzter „Rettungsanker“ für die Nichtanwendung ausländischen Rechts, hier das 590
Vgl. in Fn 451 nachgewiesenes Zitat von Arntz/Bastiné/Bartels. Lyon-Caen/Renault, Bd. 2/2 (1909), Nr. 1094, S. 513 f.; Ballot, Revue pratique de droit français 17 (1864), 90, 91. 592 Für die Anwendbarkeit des Art. 37 cdc votierte etwa die belgische Cour de cassation im Urteil vom 30. Januar 1851, in: Pasicrisie belge 1851.1.314: «Que cette disposition est absolue et ne distingue pas si la société a son siège dans le pays ou à l’étranger; que cette disposition est même incompatible avec l’esprit de l’article et avec le but que le législateur s’est proposé, but qui a été clairement manifesté dans les discussions au conseil d’Etat et dans l’exposé des motifs au corps législatif; (. . .)»; dagegen de Vallée, in: Recueil Dalloz 1863.2.86. 593 De Vallée, in: Recueil Dalloz 1863.2.86; s. a. die Anerkennung aussprechendes, erstinstanzliches Urteil vom 14. Januar 1850 des Gerichts in Gent, in: Pasicrisie 1851.1.309: «(. . .) il s’agit d’une société anonyme appartenant à un pays (. . .) dont nous avons emprunté en grande partie le législation, notamment en cette matière (. . .)». 594 Vgl. den entsprechenden Nachweis in Fn 306. 591
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Personalstatut der ausländischen société anonyme, war und daher keine abschließende Auflistung aller Normen mit ordre public-Beziehung existier(t)en, konnte Art. 37 cdc mit Hinweis auf dessen Beratung als Norm der öffentlichen Sicherheit präsentiert werden.595 Diese Sichtweise konnte man umso leichter rechtfertigen, als dass zu dieser Zeit in Frankreich und in Belgien noch nicht zwischen Anerkennung und Zulassung der fremden Gesellschaft zum Gewerbe unterschieden wurde;596 Stein des Anstoßes für den Anerkennungsstreit war schließlich das Tätigwerden der fremden Gesellschaften im eigenen Land. Die bloße Anerkennung der Rechts- und Parteifähigkeit einer ausländischen Gesellschaft stellt indes keine Bedrohung der öffentlichen Ordnung dar; Probleme des ordre public stellen sich erst auf einer späteren Ebene ein: der Ausübung der unternehmerischen Tätigkeit der Aktiengesellschaft unter Missachtung der Rechtsordnung des „Gastlandes“.597 595 Vgl. allgemein zu Normen des „ordre public“ aus zeitgenössischer Sichtweise: Dalloz, Répertoire de législation, Bd. 30 (1853), Stichwort: lois, Nr. 448–457; in Nr. 450 wird festgestellt: «Il n’est pas de charactères généraux auxquels se reconnaissent précisément toutes les lois de police et de sûreté. C’est aux magistrats à juger par l’application du plus ou moins de trouble qui résulterait de son infraction, si telle disposition législative ou réglementaire oblige les étrangers en vertu de l.’art 3 c. nap.» Vgl. auch zur späteren Rechtslage Anfang des 20. Jahrhunderts: Fiore, Revue de droit international 43 (1902), S. 608 ff.; Niboyet, in: Darras/Lapradelle/Niboyet (Hg.), Bd. 10 (1931), Stichwort: ordre public, S. 99, Nr. 31. 596 Dies kritisierte dann auch Lainé, Clunet 20 (1893), 273, 282, 309 Ende des 19. Jahrhunderts. Allgemein ist zur Entwicklung der Unterscheidung von Anerkennung und Gewerbezulassung im 19. und 20. Jahrhundert festzustellen: Das französische Gesetz von 1857 fungierte neben seiner Anerkennungsfunktion zunächst grds. als (gewerberechtliche) Zulassungsnorm (Ausnahmen galten nur für spezielle Branchen wie Versicherungen). Bei Klagen gegen Zweigniederlassungen fremder Gesellschaften war die Zuständigkeit der französischen Gerichte zwar anerkannt (vgl. Crouvès, Übersetzung Schott, Holdheim 2, Nr. 20 (1893), 392, 394). Erst 1919 führte man in Frankreich aber spezielle Publizitätserfordernisse für dort tätige Zweigniederlassungen ausländischer Gesellschaften ein (vgl. Lyon-Caen/Renault, Bd. 2/2 (1909), Nr. 1070, S. 581, die noch 1909 das Fehlen entsprechender Vorschriften beklagen). Im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts entdeckte man schrittweise spezielle Restriktionen im Gewerberecht für Ausländer: Jeder in Frankreich gewerbetreibende Ausländer musste sich beim zuständigen Rathaus ein „certificat d’immatriculation“ besorgen, welches im 20. Jahrhundert durch die „carte d’identité de commerçant“ ersetzt wurde. Ab Ende der 30er Jahre des 20. Jahrhunderts wurden anstelle der bloßen Registrierungspflichten spezielle Maßnahmen zur Verringerung der Konkurrenz ausländischer Gewerbetreibender gegenüber französischer Gewerbetreibender eingeführt (vgl. hierzu Soto, in: Dalloz (Hg.), Répértoire de droit commercial et des sociétés, Bd. 1 (1956), Stichwort: commerce et industrie, Nr. 14, S. 482; Loussouarn/Bredin (1969), Nr. 125 ff., S. 136 ff.). Zu den im französischen Recht im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts, im ausgehenden 20. Jahrhundert sowie den heute bestehenden fremdenrechtlichen Restriktionen für ausländische Gesellschaften, vgl. im Einzelnen etwa Rigaud, in: Darras/Lapradelle/Niboyet (Hg.), Bd. 10 (1931), Nr. 94–98, S. 483 f.; Loussouarn/Bredin (1969), Nr. 298 ff., S. 330 ff. und Menjucq, in: Dalloz (Hg.), Répertoire des sociétés, Bd. 3, Stichwort: droit international des sociétés (Stand: Mai 2009), Nr. 52 ff., S. 9 f. Zu den Restriktionen für ausländische Gesellschaften im Belgien des 20. Jahrhunderts, vgl. Rigaux (1968), Nr. 445, S. 515 ff. und Nr. 452 ff., S. 523 ff.
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Zuletzt zeigt aber insbesondere das Inkrafttreten der beiden Anerkennungsgesetze von 1855 und 1857, dass Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung aus Sicht der Beteiligten tatsächlich nicht als absolutes Hindernis der Anerkennung aufgefasst wurden. Bei beiden Gesetzgebungsverfahren zu besagten Gesetzen rechtfertigte man die reziproke Anerkennung der Aktiengesellschaften mit „vergleichbaren Garantien“ für Aktionäre und Dritte, obwohl sich diese „Garantien“, d.h. die rechtlichen Gründungsanforderungen an die nationalen Aktiengesellschaften, zwischenzeitlich in keiner Weise verändert hatten.598 (4) Fazit Zusammenfassend muss daher festgehalten werden: Der wahre Grund für die restriktive Haltung in der Anerkennungsfrage war die mangelnde Kontrolle über die Tätigkeit fremder Aktiengesellschaften im Inland, zumal im französischen Recht noch keine Trennung zwischen Anerkennung der Rechtsfähigkeit und Zulassung zum Gewerbe gemacht wurde.599 Die seit 1791 garantierte Gewerbefreiheit unterlag in Frankreich zunächst kaum Restriktionen, so dass französische Gewerbetreibende und Gesellschaften in der Regel ungehindert tätig werden konnten.600 Erst im 20. Jahrhundert setzten sich staatliche Genehmigungsvorbehalte für das Tätigwerden französischer Wirtschaftssubjekte in bestimmten Branchen zunehmend durch.601 Da folglich für eigene Gesellschaften noch im 19. Jahrhundert regelmäßig keine wirtschaftsverwaltungsrechtlichen Schranken bestanden, konnte die Frage der Anerkennung ausländischer Gesellschaften aus damaliger Sicht auch keine differenzierte Betrachtung in Bezug auf die Akzeptanz als Rechtssubjekt und die Erlaubnis zum Tätigwerden im Inland erfahren. Nahezu parallel zur Einführung von gewerberechtlichen Hürden für Franzosen wurden in Frankreich im 20. Jahrhundert entsprechende nennenswerte Bestimmun-
597 Vgl. hierzu Rigaud, in: Darras/Lapradelle/Niboyet (Hg.), Bd. 10 (1931), Nr. 16– 18, S. 228; dies erkannte wohl auch bereits Lyon-Caen, Clunet 12 (1885), 265, 271: «Le droit pour les sociétés étrangères de plaider devant les tribunaux de France à raison d’opérations faites à l’étranger, devrait exister indépendamment de toute autorisation. » 598 S. hierzu oben, Gliederungspunkt B. I. 2. c) bb) (3). 599 Vgl. hierzu schon die Nachweise in Fn 596. Auch Drobnig, ZHR 129 (1967), 92, 104 f., konstatiert allgemein, dass ursprünglich Anerkennung und Zulassung zum Gewerbe in „allerengstem Zusammenhang“ standen. 600 Soto, in: Dalloz (Hg.), Répértoire de droit commercial et des sociétés, Bd. 1 (1956), Stichwort: commerce et industrie, Nr. 2, 8, S. 481 f. Dies gilt spiegelbildlich für das belgische Recht, s. van Ryn, Bd. 1 (1954), Nr. 154 f., S. 111 f. 601 Soto, in: Dalloz (Hg.), Répértoire de droit commercial et des sociétés, Bd. 1 (1956), Stichwort: commerce et industrie, Nr. 78 ff., S. 486 ff. S. a. Ripert/Roblot, Bd. 1 (1993), Nr. 99 ff., S. 70 ff. und Nr. 1643 ff., S. 1237 ff. Für Belgien siehe van Ryn, Bd. 1 (1954), Nr. 155 ff., S. 112 ff. Eine einheitliche Gewerbeordnung wurde in Frankreich bzw. Belgien jedoch nicht geschaffen.
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gen für Ausländer eingeführt,602 die entweder schon ausnahmslos oder zusätzlich branchenspezifisch galten.603 Belegen lässt sich diese im 19. Jahrhundert noch fehlende Differenzierung zwischen Anerkennung und Gewerbeausübung recht anschaulich anhand des folgenden Zitats von Arntz, Bastiné und Bartels: «(. . .) peut on admettre pareille société à venir en Belgique, à y contracter, acquérir, aliéner, exploiter, en un mot, le commerce et l’industrie?»604 Um die eigenen Gesellschaften vor der starken Konkurrenz zu schützen, erlag man in Belgien der Versuchung, die französischen „Eindringlinge“ mit der Keule der „rechtlichen Nichtigkeit“ zu bedrohen. Eindeutige rechtliche Gründe gab es hierfür indes nicht.605 Der erkannte faktische Zwang zum internationalen Handel und die Furcht vor Retorsionsmaßnahmen zwangen jedoch die beiden Nachbarländer dazu, ihren Konflikt im Interesse des nationalen Wohls mit legislativen Maßnahmen beizulegen – getreu dem Grundsatz „salus publica suprema lex“. d) Fortbestehende Anerkennungsprobleme unter dem Einfluss des Normativsystems Trotz gesetzlicher Regelung der Anerkennungsfrage in Belgien und Frankreich traten erneute Anerkennungsschwierigkeiten vor allem unter der Perspektive des 602 Erst 1938/1939 wurden in Frankreich im Rahmen der Gewerbeerlaubnis für Ausländer („carte d’identité de commerçant étranger“) strengere gewerberechtliche Zulassungsvoraussetzungen fremder Kaufleute bzw. Handelsgesellschaften geschaffen, vgl. hierzu Simon-Depitre, in: Dalloz (Hg.), Répértoire de droit commercial et des sociétés, Bd. 1 (1956), Stichwort: carte d’identité de commerçant, Nr. 1-24, S. 381 f.; Loussouarn/Bredin (1969), Nr. 125 ff., S. 136 ff. i.V. m. Nr. 300, S. 331 f. Zur Fortgeltung dieser Restriktion im Verhältnis zu Drittstaaten außerhalb der EU s. Menjucq, in: Dalloz (Hg.), Répertoire des sociétés, Bd. 3, Stichwort: droit international des sociétés (Stand: Mai 2009), Nr. 63 ff., S. 10 f. 603 Die Bestimmungen zur „carte d’identité de commerçant étranger“ galten (u. a.) für alle Handelsgesellschaften unter ausländischer Leitung; das Tätigwerden innerhalb bestimmter Branchen stand nur französischen Handelsleuten bzw. -gesellschaften offen, siehe Soto, in: Dalloz (Hg.), Répértoire de droit commercial et des sociétés, Bd. 1 (1956), Stichwort: commerce et industrie, Nr. 13–16, S. 482; s. a. Cauvy, in: Darras/Lapradelle/Niboyet (Hg.), Bd. 10 (1931), Stichwort: sociétés en droit international, Nr. 143 ff., S. 269. In Belgien scheint die Frage spezieller gewerberechtlicher Schranken für ausländische Gesellschaften auch im 20. Jahrhundert kaum bedeutend gewesen zu sein, s. van Ryn, Bd. 2 (1957), Nr. 1130 ff., S. 147 ff. bzw. Rigaux (1968), Nr. 445, S. 515 ff. und Nr. 452 ff., S. 523 ff. 604 Arntz/Bastiné/Bartels, Fundstelle wie Fn 415, Spalten 1781, 1801. Rückblickend erklärt daher Niboyet, Bd. 2 (1951), Nr. 802, S. 445, dass der Gesetzgeber des Gesetzes von 1857 die Frage der Anerkennung der Rechtspersönlichkeit und des gewerblichen Tätigwerdens unglücklicherweise vermengt hätte. 605 So stellt schon Lainé, Clunet 20 (1893), 273, 305, bezüglich der unterschiedlichen Auslegungsmöglichkeiten des Art. 37 cdc lapidar fest: «Il est vrai que juridiquement le problème était à peu près insoluble.»
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französischen Gesetzes von 1857 auf. Ausgelöst wurden diese Probleme durch die Fortentwicklung der nationalen Aktienrechte, welche die Geschichte der Anerkennung von Aktiengesellschaften nicht unerheblich beeinflusste.606 Im Folgenden sollen die grundlegenden Änderungen der nationalen Aktienrechte grob skizziert werden. aa) Ersetzung des Konzessionssystems durch das System der Normativbestimmungen unter englischem Einfluss Die grundsätzliche Anerkennung aller ausländischen Aktiengesellschaften, die rechtmäßig nach dem Recht ihres Gründungsland existierten und sich auf ein Dekret im Sinne der Gesetze von 1855/57 bzw. einen entsprechenden Staatsvertrag berufen konnten, war zwar ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts normiert, doch brachte die Liberalisierung der nationalen Aktienrechte in Europa der Frage der rechtlichen Behandlung fremder Aktiengesellschaften neuen Zündstoff. Ausgangspunkt der liberalen Entwicklung war England, mit dem Frankreich am 30. April 1862 einen Handelsvertrag geschlossen hatte, in dessen Rahmen u. a. die gegenseitige Anerkennung aller „compagnies et autres associations commerciales, industrielles ou financières“ geregelt wurde, d.h. die Möglichkeit für englische Gesellschaften als Klägerinnen oder Beklagte vor französischen Gerichten aufzutreten, ohne dass ein (zusätzliches) Dekret der Regierung i. S. v. Art. 2 des Gesetzes von 1857 notwendig sein sollte; einzige Voraussetzung war, dass die Gesellschaften nach den Gesetzen des betreffenden Landes wirksam gegründet worden waren („constituées et autorisées suivant les lois de l’un des deux pays“).607 Nur wenige Monate später wurde ein Handelsvertrag zwischen Belgien und England geschlossen, der ebenfalls die gegenseitige Anerkennung solcher Gesellschaften besiegelte.608 Nachdem im nationalen Gesellschaftsrecht Englands das sog. System der Normativbestimmungen im Joint Stock Companies Act von 1844 Einzug gehalten 606 Die Liberalisierung der nationalen Aktienrechte war ferner wesentlich für die Ausgestaltung der Sitztheorie, siehe hierzu Gliederungspunkte B. II. 1. (für Belgien/ Frankreich) und B. II. 2. (für Deutschland). 607 Vgl. Mamelok (1900), S. 246 bzw. Duvergier (1862), S. 119 f. für den kompletten Wortlaut. Maßgeblicher Artikel 1 ist praktisch wortgleich mit dem des belgisch-englischen Handelsvertrag, siehe Fn 608. 608 Handelsvertrag vom 13.11.1862; maßgeblicher Artikel 1 ist abgedruckt: bei Laurent, Bd. 4 (1880), Nr. 156, S. 298 f., und lautet: «Les hautes parties contractantes déclarent reconnaître mutuellement à toutes les compagnies et autres associations commerciales, industrielles ou financières, instituées et autorisées suivant les lois particulières à l’un des deux pays, la faculté d’exercer tous leurs droits et d’ester en justice devant les tribunaux, soit pour intenter une action, soit pour y défendre, dans toute l’étendue des Etats et possessions de l’autre puissance, sans autre condition que celle de se conformer aux lois desdits Etats et possessions.»
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hatte, wodurch die Gesellschaften ihre Rechtspersönlichkeit aufgrund Eintragung in ein staatliches Register und nicht länger durch Staatsakt erwarben, hatte man in den Nachfolgergesetzen von 1855/56 (Limited Liability Act bzw. Joint Stock Company Act) das Prinzip der Haftungsbeschränkung infolge der Eintragung ins Handelsregister gesetzlich legitimiert; die Grundsätze flossen schließlich in den Companies Act vom 7. August 1862, der erstmals das Recht der englischen Aktiengesellschaft kodifizierte.609 England war somit das erste europäische Land, dass die Verleihung der Rechtsform der Aktiengesellschaft in ihrer konkreten Gestalt, d.h. Rechtsfähigkeit und auf das Aktienkapital beschränkter Haftbarkeit, ausschließlich von der Einhaltung bestimmter Voraussetzungen hinsichtlich der Verfassung der Gesellschaft und der Finanzausstattung abhängig machte. Waren diese in den Companies Acts aufgestellten Bedingungen erfüllt, so hatte die betreffende Gesellschaft einen Rechtsanspruch auf Eintragung und war nicht länger auf das Ermessen angewiesen, welches die staatlichen Behörden zu den Zeiten des Konzessionsprinzips ausüben konnten, indem sie autonom und ohne dass den Beteiligten Rechtsmittel gegen die Entscheidung zustanden, über das Schicksal jedes Gründungsvorhabens entschieden.610 Der französische Gesetzgeber nahm sich an dieser liberalen Haltung ein Beispiel und führte weniger als ein Jahr nach dem englischen Companies Act von 1862 das System der Normativbestimmungen für kleinere Arten von Aktiengesellschaften ein (loi sur les sociétés à responsabilités limitées vom 23. Mai 1863).611 Am 24. Juli 1867 ging der französische Gesetzgeber schließlich mit dem loi sur les sociétés für alle Aktiengesellschaften zum System der Normativbestimmungen über.612 Maßgeblicher Grund für diese Orientierung an der englischen Rechtsordnung war ein weiteres Mal weniger die (oft behauptete) grundsätzlich liberale Gesinnung Frankreichs, sondern es führten rechts- und wirtschaftspolitische Erwägungen zu den maßgeblichen Gesetzesreformen: Man wollte die Wettbewerbsfähigkeit der eigenen Gesellschaften im Verhältnis zu den englischen Gesellschaften und somit zugleich die Wettbewerbsfähigkeit der französischen Wirtschaft insgesamt erhalten, zumal die gegenseitige Anerkennung der französischen und englischen Gesellschaften durch den Handelsvertrag von 1862 festgelegt war und damit das Ziel verfolgt wurde, den gegenseitigen Handel 609 Vgl. hierzu Coing, Ius Commune 7 (1978), 160, 170; s. a. Castier (1884), S. 157 ff. 610 Ollivier, Revue pratique de droit français 21 (1866), 5, 26, Revue pratique de droit français 23 (1867), 289 ff. 611 Vgl. Ollivier, Revue pratique de droit français 15 (1863), 337; Coing, Ius Commune 7 (1978), 160, 170 f. 612 Ausnahmen bestanden nur für besonders sensible Wirtschaftsbereiche, etwa unterlagen u. a. Lebensversicherungsgesellschaften weiterhin der staatlichen Genehmigung, vgl. Art. 66 des Gesetzes von 1867. Hierzu sowie zur Rechtslage für bestehende Gesellschaften nach Inkraftttreten des Gesetzes von 1867 ausführlich Chauchat, Journal des sociétés civiles et commerciales 2 (1881), 397 ff., 563 ff., 625 ff., 685 ff.
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der beiden Länder zu fördern.613 Hinzu kam, dass man auch in Frankreich die schmerzliche Erfahrung gemacht hatte, dass das Konzessionserfordernis im Kampf gegen unseriöse Geschäftemacherei und Spekulationswellen nicht der Weisheit letzter Schluss war. Eine absolute Sicherheit der Integrität und des Erfolges der zu gründenden Aktiengesellschaft vermochte das langatmige Verfahren der Konzessionserteilung bzw. die staatliche Überwachung nicht zu garantieren.614 Insbesondere bürdete sich der Staat in gewisser Weise unnötig eine politische Verantwortung gegenüber den Vertragspartnern der Aktiengesellschaft auf, welche man mit Hilfe des Normativsystems in eine stärkere Eigenverantwortung umzumünzen vermochte.615 Insofern erschien es aus Gründen der Wettbewerbsgleichheit mit englischen Gesellschaften aus Regierungssicht wohl umso einfa613 Vgl. Duvergier (1867), Exposé des motifs de la loi sur les sociétés, S. 241, 288: «En vertu de la législation et des traités, les sociétés anglaises, à responsabilité limitée, véritables sociétés anonymes libres, peuvent s’établir en France sans être astreintes à obtenir l’autorisation de l’État. Comment l’imposer à nos nationaux ! Comment ne pas les armer, en vue de la concurrence des capitaux étrangers, de la liberté que ceux-ci tiennent de la loi de leur pays et des lois internationales ! S’il est une législation dont l’unité soit désirable, disons mieux, nécessaire, c’est la législation commerciale, car à une époque comme la nôtre surtout, où la rapidité et la multiplicité des échanges mêle et confond les intérêts et les peuples, les règles qui président à ces rapports constituent une sort de droit des gens, dont l’uniformité doit être le caractère essentiel, sous peine de le voir manquer son but.» Zustimmend auch die Literatur, s. Lyon-Caen, in: Fußnote Sirey 1881.2.170: «Un traité du 30 avril 1862 avait ouvert aux sociétés anglaises le marché français comme aux sociétés françaises le marché anglais. Pour ne pas mettre le commerce français dans une situation d’infériorité relativement aux sociétés anglaises, pour lui permettre de lutter au moins à armes égales, il fallait accorder à nos sociétés anonymes une liberté dont jouissaient les sociétés anglaises. Ainsi, c’est notamment dans un but d’égalité à établir entre les sociétés françaises et les sociétés étrangères que l’autorisation préalable a été supprimée; (. . .).» Parallel Lyon-Caen/Renault, Bd. 2/1 (1908), Nr. 672, S. 606: «(. . .) en Angleterre, les sociétés par actions correspondant à nos sociétés anonymes, pouvaient se former librement (. . .). Le maintien de la nécessité de l’autorisation préalable aurait donc placé notre commerce dans une situation d’inferiorité.» Ähnlich Thaller, Journal des sociétés civiles et commerciales 2 (1881), 50, 51. 614 Vgl. Duvergier (1867), Exposé des motifs de la loi sur les sociétés, S. 241, 284 f. 615 Vgl. Duvergier (1867), Exposé des motifs de la loi sur les sociétés, S. 241, 285: «(. . .) le public est fort enclin à s’exagérer les effets de l’autorisation obtenue. Nonseulement il suppose que l’examen préalable ne doit laisser rien d’incertain dans les faits, sur lesquels il a porté; il est même disposé à y voir un gage assuré de succès pour les opérations de la société. De là il n’y a pas loin à considérer le gouvernement comme responsable des pertes qui peuvent survenir ou du moins de la moralité des faits qui en sont la cause. Cette fausse appréciation a le double inconvénient d’inspirer souvent de la confiance pour des entreprises qui ne la méritent point, et de faire remonter mal à propos jusqu’au gouvernement une responsabilité qu’il ne saurait accepter.» Gesetzliche Normativbestimmungen könnten daher eine mindestens gleichwertige Garantie gegenüber der Konzessionserteilung darstellen. Hinsichtlich der grundsätzlich ohnehin bestehenden Eigenverantwortung der Dritten wird in den Motiven hinzugefügt: «(. . .) la prudence la plus vulgaire ne commande-t-elle pas de s’enquerir de la condition, de la moralité et de la solvabilité des gens avec qui l’on traite; et chaque partie intéressée n’est-elle pas sous ce rapport au moins aussi bien placée que l’administration pour obtenir des renseignements exacts et complets?»
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cher, künftig auf das „Gütesiegel“ einer staatlichen Konzession zu verzichten. Den historischen Hintergrund des Konzessionserfordernisses, d.h. die Befürchtung eines zu großen Machtpotentials der juristischen Person als „tote Hand“, wies man als antiquiert von sich.616 Es sei dahingestellt, ob die Aktiengesellschaften nicht weiterhin aus staatlicher Sicht eine gewisse Bedrohung ausstrahlten. Fest steht jedenfalls, dass die ökonomische Entwicklung in Europa zur Liberalisierung des Aktienrechts zwang.617 Schließlich stellte sich durch die Aufgabe des Konzessionssystems auch keine vollständige Beliebigkeit für die Bildung von Aktiengesellschaften ein, denn gesetzlich festgelegte Gründungsvoraussetzungen garantierten die Gründung nach staatlichem Leitbild. Auch in Belgien ging man im Jahre 1873 zum System der Normativbestimmungen über.618 Stellt man nun einen Vergleich zwischen dem internationalen Gesellschaftsrecht Belgiens und Frankreichs von 1855 und 1857 sowie dem nationalen Gesellschaftsrecht beider Länder von 1873 bzw. 1867 an, so muss man mit Mamelok konstatieren: „(. . .) es war (. . .) das ganze Gesetz von 1857 ein Protest gegen die 616 Vgl. Duvergier (1867), Exposé des motifs de la loi sur les sociétés, S. 241, 287. In den Motiven zur Einführung des Gesetzes über die Handelsgesellschaften von 1867 legte die zur Ausarbeitung des Gesetzesentwurfs eingesetzte Kommission zu den Gründen der Einführung des Konzessionserfordernisses für Aktiengesellschaften im cdc von 1807 den Fokus auf den Machtanspruch Napoléons: «L’Empire était fait, et le génie centralisateur placé a sa tête ressaisissait, dans l’autorisation, un des éléments de la souveraineté qu’il s’appliquait à relever et à aggrandir. Qui sait? Les grandes concentrations de capitaux, libres sous la loi, lui apparaissaient peut-être comme des éléments de résistance à ce pouvoir unitaire dont il était si jaloux ! Il voulait en être le maître, en présidant à leur naissance et en contrôlant les actes de leur vie.» 617 Vgl. Duvergier (1867), Exposé des motifs de la loi sur les sociétés, S. 241, 287: «Le mouvement économique (. . .) a développé l’éducation industrielle et commerciale du pays. En se multipliant à l’infini, les sociétés de capitaux, sous toutes les formes, ont accoutumé tous les esprits à ce qui, en 1807, était le privilège du petit nombre. Comment donc l’autorisation, dont la suppression était alors reclamée au nom de l’intérêt du commerce, lui serait-elle aujourd’hui une garantie nécessaire !» 618 Die Gründe hierfür sind parallel zur französischen Entwicklung zu sehen, vgl. hierzu den damaligen Innenminister Pirmez in der Sitzung der Abgeordnetenkammer vom 24. November 1868, in: Annales parlementaires de Belgique, Chambre des représentants, Session 1868/69, S. 52, der die Notwendigkeit der Einführung des Normativsystems anhand der Gesetzeslage in den Nachbarstaaten und der geforderten Eigenverantwortung der Aktionäre unterstreicht: «J’invoquerai, à cet égard, l’autorité de deux pays voisins: En Angleterre, pas d’autorisation du gouvernement; en France, pays de la réglementation, on a supprimé l’autorisation du gouvernement; or, nous pouvons, je crois, conclure à priori de ce qui se passe en Angleterre et à fortifori de ce qui se passe en France que l’autorisation du gouvernement doit disparaître. (. . .) l’intervention du gouvernement, si elle cesse d’être inoffensive pour être sérieuse et énergique, aurait pour conséquence d’endormir la vigilance individuelle. Or, loin d’aboutir à ce résultat, il faut que le gouvernement cherche à réveiller l’attention et qu’il dise aux particuliers: Prenez des actions ou n’en prenez pas, c’est votre affaire.» S. a. Holthöfer in: Coing, Handbuch, Bd. 3/3 (1986), S. 3277, 3320 f.
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B. Umgang mit fremden Gesellschaften aus rechtshistorischer Perspektive
Anwendbarkeit und die Anwendung des Art. 37 Code de comm. auf fremde Gesellschaften. Das internationale Recht war hier dem internen Aktienrecht in der Entwicklung vorausgeeilt; an Stelle des Konzessionssystems sollte gerade eine Art international-rechtlichen Normativsystems treten, es sollten für die fremden Gesellschaften nicht mehr einzelne Individualautorisationen erlassen werden, wie für die französ. Gesellschaften nach Art. 37, die auch der Regierung eine gewisse moralische Verantwortlichkeit für jede einzelne konzessionierte Gesellschaft auferlegten, sondern es sollten an deren Stelle Autorisationen ganz anderen Charakters treten, die sich nicht auf die Prüfung der Verhältnisse dieser oder jener konkreten Gesellschaft einlassen, sondern auf der in abstracto festgestellten Thatsache beruhen, dass das Aktienrecht eines bestimmten Landes die nötigen Garantien für die Solidität der ihm angehörenden Gesellschaften biete.“ 619 Somit schien das internationale und das nationale Gesellschaftsrecht infolge des Übergangs zur freien Gründung mit Hilfe des Systems der Normativbestimmungen vom Entwicklungsstand her endlich auf „Augenhöhe“ zu sein, was für die Nachbarländer eigentlich ein begrüßenswerter (Rechts-)Zustand hätte sein können. bb) Folgeprobleme der Liberalisierung des nationalen Handelsrechts für die Anerkennung ausländischer Gesellschaften Es ist jedoch nicht erstaunlich, dass die Gegner der internationalen Anerkennung von Aktiengesellschaften diese freiheitliche Entwicklung (auf nationaler Ebene) mit Argwohn betrachteten und begannen, die Anwendbarkeit des Gesetzes von 1857 auf unter dem System der Normativbestimmungen gegründete Aktiengesellschaften in Frage zu stellen.620 Im Verhältnis von Frankreich (bzw. Belgien) zu England war die Anerkennung unabhängig vom Gründungsmodus im Ursprungsland staatsvertraglich, d.h. jenseits des Anwendungsbereiches des Gesetzes von (1855 bzw.) 1857 geregelt und somit nicht in Abrede zu stellen.621 Zudem hatte man durch die Angleichung des 619
Mamelok (1900), S. 245. Dieses Phänomen zeigte sich gerade in Frankreich. In Belgien entwickelte sich keine vergleichbare Diskussion, was sicherlich vor allem daran lag, dass Belgien parallel zu dem eigenen Übergang zum Normativbestimmungssystem eine neue Anerkennungsregel einführte, die die Konzession nicht mehr voraussetzte, vgl. hierzu zunächst B. I. 2. d) bb) (3) (b) (bb) und ausführlich B. II. 1. b) aa) (2). 621 Vgl. bereits Fn 607 und 608. Bezeichnend ist, dass die Staatsverträge im Gegensatz zum Gesetz von 1855 bzw. 1857 nicht von einer Anerkennung der Aktiengesellschaften bzw. sonstigen wirtschaftlichen Vereinigungen sprechen, die der Konzession des Gründungsstaates unterliegen und eine solche auch erhalten haben [„(. . .) qui sont soumises à l’autorisation du gouvernement belge [français], et qui l’ont obtenue“], sondern bereits auf die wirksame Gründung und Autorisation nach den Gesetzen des Gründungslandes abstellen [„(. . .) instituées et autorisées suivant les lois particulières [à l’un] des deux pays“]. Vgl zur Reichweite des englisch-französischen Staatsvertrages 620
I. Die Entwicklung der Anerkennung ausländischer Gesellschaften
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Handelsrechts die Unterschiede in den Gründungsanforderungen zwischen den englischen und den französischen Gesellschaften minimieren können.622 Im Verhältnis zu sonstigen frei gegründeten Aktiengesellschaften aus Ländern, die grundsätzlich unter das Gesetz von 1857 fielen, d.h. zu deren Gunsten ein Dekret erlassen worden war, stellte sich die Anerkennungsfrage in erneuter Schärfe. Problematisch war, dass der Wortlaut des Gesetzes von 1857 – bei Vorliegen der in Art. 1 bzw. 2 vorgegebenen Voraussetzungen – von der Anerkennung solcher Gesellschaften sprach, „die der Konzession der fremden Regierung unterlagen und diese auch erhalten hatten“. In französischer Rechtsprechung und Literatur wurden unter Zuhilfenahme von Wortlaut und Zweck des Gesetzes von 1857 für die Konsequenzen des eigenen Übergangs zum System der Normativbestimmungen im Jahre 1867 bzw. dessen spätere Übernahme in den meisten europäischen Ländern verschiedene Lösungskonzepte erarbeitet. Die Bandbreite reicht von liberaler über gemäßigt-restriktive bis zu gänzlich ablehnender Haltung. Es erscheint an dieser Stelle nicht zu viel verraten, dass sich der „goldene Mittelweg“ für die Auslegung des Gesetzes von 1857 nach dem Übergang zum Normativsystem durchsetzte. Im Folgenden sollen daher zwar alle Lösungsmöglichkeiten aufgegriffen werden, das Hauptaugenmerk aber auf die sich durchsetzende herrschende Auffassung der Lehre und Rechtsprechung gelegt werden.
auch Cass. Crim., Urt. v. 12. August 1865, in: Sirey 1865.1.472; Cass. Req., Urt. v. 14. Februar 1872, in: Sirey 1872.1.321. 622 Insofern stellt Vavasseur, Clunet 2 (1875), 5, 6, fest, dass die Klausel im Art. 1 des Handelsvertrages «de se conformer aux lois françaises» keinesfalls die französischen Gesetze zur Gründung und Verfassung der Gesellschaft («des lois qui règlent la constitution et l’organisation de nos sociétés») meinen würde: «(. . .) une telle interprétation serait donc tout ensemble une contradiction et une absurdité.» Dies sah auch die Rechtsprechung so, vgl. Trib. Corr. de la Seine, Urt. v. 20. Juni 1883, Fundstelle wie Fn 533. Zu den Gesetzen, unter welche die englischen bzw. nach Maßgabe des Gesetzes von 1857 autorisierten Gesellschaften zwingend unterworfen seien, zählten die Polizeiund Sicherheitsgesetze nach Art. 3 Abs. 1 c. civ., prozessuale und die Zuständigkeit betreffende Vorschriften, alle sonstigen Gesetze mit Bezug zum „ordre public“, sowie das spezielle Fremdenrecht bezüglich der Emission und des Handels von Aktien. Die speziellen Strafvorschriften Art. 13 und 14 zur Aktienemission und zum -handel französischer Gesellschaften des französischen Gesetzes von 1867 seien hingegen gemäß Vavasseur, Clunet 2 (1875), 5, 8 f., nicht als Vorschriften des „ordre public“ aufzufassen: «Cette loi, en un certain sens, est tout entière une loi d’ordre public, car elle a voulu protéger le public contre le retour de fraudes qui avaient souvent présidé à la constitution des sociétés. Mais il ne faut pas abuser d’un mot déjà si élastique, et qui prête tant à l’arbitraire, et l’on doit surtout se garder de l’étendre d’une matière à une autre. Qu’est-ce que l’ordre public? Chose assez variable selon la latitude où l’on est placé. (. . .) Les dispositions pénales qui atteignent les sociétés françaises, illégalement constituées, ne sont pas d’ordre public, puisque notre législation permet aux sociétés étrangères, autrement constituées, d’agir chez nous, où elles ne sont que d’ordre public secondaire, intérieur, en deça des frontières.» Zur Nichtanwendbarkeit von Art. 14 des Gesetzes von 1867 auf fremde Aktiengesellschaften vgl. auch Cass. Civ., Urt. v. 16. Juni 1885, in: Sirey 1885.1.251.
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B. Umgang mit fremden Gesellschaften aus rechtshistorischer Perspektive
(1) Die liberale Lösung: Aufhebung des Gesetzes von 1857 durch das französische Gesetz über die Handelsgesellschaften von 1867 Einige Gerichte vertraten die Auffassung, dass das französische Gesetz über die (nationalen) Handelsgesellschaften von 1867 das Anerkennungsgesetz von 1857 stillschweigend aufgehoben hätte.623 Als rechtliche Folge ergäbe sich, dass zumindest alle ausländischen, nach Inkrafttreten des Gesetzes von 1867 gegründeten, Aktiengesellschaften ohne weiteres in Frankreich tätig werden und vor Gericht auftreten dürften.624 Man argumentierte damit, dass der Staat durch Art. 21 des Gesetzes von 1867 sein Recht aufgegeben habe, auf dem Konzessionswege über die Entstehung einer juristischen Person des Privatrechts zu entscheiden.625 Das Bestehen einer Aktiengesellschaft im Rechtssinne sei nun allein von gesetzlichen Bestimmungen abhängig zu machen, womit der Staat zum Ausdruck bringe, dass der Einzelne künftig stärker für sein Handeln in Zusammenhang mit diesem Gesellschaftstyp in die Verantwortung genommen werde.626 Übertragen 623 Vgl. Cour de Paris, Urt. v. 8. Juli 1881, in: Sirey, 1881.2.169 (S. 169–173) mit Anmerkungen von Lyon-Caen. (Urteil ebenfalls abgedruckt in: Clunet 9 (1882), 209– 212); Cour de Paris, Urt. v. 15. Februar 1882, in: Clunet 9 (1882), 212 ff.; Urteil des Appellationsgerichts von Lyon vom 13. Dezember 1889, in: Clunet 19 (1892), 479 ff. Zwar wird von den zeitgenössischen französischen Autoren darauf hingewiesen, dass diese Auffassung vereinzelt von einigen Kollegen geteilt wurde, doch nennen diese hierfür keine Belege; im Gegenteil lehnen die Autoren die liberale Haltung fast durchweg ab; vgl. Buchère, Clunet 9 (1882), 37, 44; Castier (1884), S. 162 ff.; Crouvès, Übersetzung Schott, Holdheim 2, Nr. 20 (1893), 327, 330; Kauffmann, Clunet 9 (1882), 129, 141; Leven (1926), S. 246 f.; Lyon-Caen/Renault, Bd. 2/2 (1909), Nr. 1105, S. 524; Moutier, Clunet 21 (1894), 954, 964; Weiss (1909), S. 328 f.; dies gilt auch für ausländische Rechtswissenschaftler dieser Zeit, s. Schwandt (1912), S. 177 f.; Mamelok (1900), S. 250 f. Eine Tendenz zur liberalen Haltung ist aber bei Pillet (1914), Nr. 42 bis, S. 61, dort Fußnote 2, festzustellen, der bezüglich der Fortgeltung des Gesetzes von 1857 feststellt: «Les sociétés étrangères sont soumises, non pas au régime de l’autorisation individuelle, mais de l’autorisation collective prévue par la loi de 1857. Leur condition est donc depuis 1867 plus rigoureuse que celle des sociétés françaises qui se forment librement. Il y a là une antinomie.» Vgl. auch ders. (1914), Nr. 117, S. 166 f. 624 Ausnahmen schien das Gericht für die ausländischen Gesellschaftstypen zu machen, die aus französischer Sicht unter Art. 66 des Gesetzes von 1867 fallen würden sowie für vor Inkrafttreten des Gesetzes von 1867 im Heimatland unter dem Konzessionssystem gegründete Gesellschaften, vgl. Cour de Paris, Urt. v. 8. Juli 1881, wie Fn 623. Nach der Anmerkung Lyon-Caens (Fundstelle wie Fn 623) gebiete diese Auffassung bereits das gesetzliche Rückwirkungsverbot. 625 Siehe Lyon-Caen/Renault, Bd. 2/2 (1909), Nr. 1104, S. 524: «Il y aurait là une abrogation tacite se déduisant de ce que l’autorisation, exigée en France pour les sociétés étrangères par la loi de 1857, se justifiait par l’exigence de l’autorisation préalable pour nos propres sociétés anonymes.» 626 Vgl. Urteil der Cour de Paris vom 8. Juli 1881, in: Sirey 1881.2.169 ff. (S. 173): «Considérant (. . .) que la loi du 24 juillet 1867 a modifié radicalement, en France, les conditions de l’organisation et de l’existence des sociétés anonymes françaises, puisque (. . .) elle les a dispensées de l’autorisation, et qu’elles ont pu, dorénavant, se former en toute liberté, en se conformant aux dispositions de cette loi; qu’il suit de là que leur existence est indépendante de l’Etat, qui s’est dégagé de la garantie résultant de l’auto-
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auf das Gesetz von 1857 bedeute dies, dass ein Dekret im Sinne von Art. 2, welches in gewisser Weise einen Ersatz für die nationale Konzession i. S. v. Art. 37 cdc darstellen solle, gerade nach dem Willen des Gesetzgebers nicht mehr nötig sei, um die Rechts- und Parteifähigkeit der fremden Gesellschaft anzuerkennen: «(. . .) que cette renonciation, par l’Etat, à son droit souverain d’accorder ou de refuser l’autorisation, est l’un des caractères saillants de ce changement dans la législation, d’où il faut inférer, en vue surtout de la raison de réciprocité qui est la raison dominante de la loi de 1857, que les sociétés anonymes étrangères, si elles sont dispensées par la loi indigène de la formalité de l’autorisation, si elles sont légalement constituées dans leur pays à l’état de personnes morales et ont acquis la capacité attachée à cet état, peuvent légitimement exercer leurs droits en France et y plaider, comme le pourraient de simples particuliers étrangers, en vertu du principe que le statut personnel suit l’individu partout, même hors de sa patrie.»627 Der Regelungsgehalt des Gesetzes von 1857 sei daher durch den französischen Übergang zum System der Normativbestimmungen weggefallen.628 Die Cour de Paris begründete ihre Auffassung der Abschaffung des Gesetzes von 1857 mit dem Argument, dass für den Fall der Fortgeltung des Gesetzes von 1857 alle jene ausländische Aktiengesellschaften in Frankreich nie als rechts- und parteifähig gelten würden, die ihrerseits nicht unter dem Konzessionssystem, sondern unter dem System der Normativbestimmungen gegründet seien:629 «Attendu que, si on le décidait autrement; on aboutirait à cette conséquence que les sociétés anonymes fondées sous l’empire de la loi de 1867 ne pourraient plus ester en justice devant les juridictions espagnoles, tandis que les sociétés anonymes créées en Espagne sous l’empire de la loi de 1869 ne pourraient plus plaider devant les jurisdictions françaises; qu’ainsi elles se verraient, les unes et les autres, refuser l’accès des tribunaux, par l’unique raison qu’elles ne seraient pas pourvues d’une risation accordée par lui et qui, en substituant à son contrôle et à son intervention directe des prescriptions législatives auxquelles elles sont tenues de se soumettre, a abandonnée aux tiers le soin de veiller, dans leur intérêt propre, à ce que ses préscriptions soient oberservées; (. . .)». 627 Cour de Paris, Urt. v. 8. Juli 1881, in: Sirey 1881.2.173. 628 Siehe Appellationsgericht von Lyon, Urt. v. 13. Dezember 1889, in: Clunet 19 (1892), 479, 482: «Considérant que, la loi du 24 juillet 1867 ayant changé le régime légal des sociétés anonymes en France, et supprimé la necessité de l’autorisation du gouvernement comme condition de leur existence, on est fondé à soutenir qu’elle a eu pour effet corrélatif de modifier la situation des sociétés anonymes étrangères et de les dispenser de la necessité d’obtenir un décret d’autorisation du chef de l’Etat.» (Hervorhebung des Verf.). Dagegen Lyon-Caen (1870), S. 44: «Nous ne saurions admettre qu’il y ait eu abrogation tacite de la loi de 1857 par l’art. 21 de la loi du 24 juillet 1867. (. . .) l’autorisation générale prescrite en 1857 pour les sociétés anonymes étrangères se justifie et se comprend très-bien, même depuis que l’autorisation préalable a cessé en principe d’être exigée pour les sociétés anonymes françaises.» 629 Im konkreten Fall handelte es sich um eine spanische Aktiengesellschaft. Spanien war im Jahre 1869 zum System der Normativbestimmungen übergegangen.
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autorisation, qu’elles demanderaient en vain à leurs gouvernements respectifs, qui se sont mis dans l’impossibilité de la leur accorder.»630 Da unter dem Normativsystem gegründete fremde Aktiengesellschaften somit den Tatbestand des Gesetzes von 1857 nicht erfüllen könnten, das Gesetz aber gerade in dem Geiste der Reziprozität erlassen worden sei, sei in einem solchen Fall umso mehr zu vermuten, dass die im Gründungsland erworbene Rechts-, Partei- und Handlungsfähigkeit in Frankreich (automatisch und damit unabhängig von einem Dekret i. S. v. Art. 2 des Gesetzes von 1857) anerkannt werden müsse.631 Nach der bisher geschilderten Geschichte der Anerkennung überrascht es kaum, dass sich diese freiheitliche Auffassung nicht durchsetzen sollte.632 (2) Die ablehnende Lösung: Nichtanerkennung von unter dem System der Normativbestimmungen gegründeten fremden Aktiengesellschaften unter dem Gesetz von 1857 Im Kontrast zur eben geschilderten liberalen Sichtweise einiger Gerichte schlug das tribunal de commerce de la Seine bereits 1879 gegenüber den fremden, unter dem Normativsystem gegründeten Aktiengesellschaften einen abweisenden Weg ein.633 Die belgische Aktiengesellschaft Etoile hatte einen ihrer in Paris lebendenen Aktionäre auf Einzahlung entsprechend der von diesem gezeichneten Anteile verklagt. Der Aktionär berief sich auf die mangelnde Parteifähigkeit der Gesellschaft aufgrund fehlender Konzessionserteilung durch den belgischen (Gründungs-)Staat. Das Gericht gab dem Anteilseigner Recht: Etoile sei vor französischen Gerichten nicht parteifähig, da die Voraussetzungen des Art. 1 des nach wie vor in Kraft stehenden Gesetzes von 1857 nicht erfüllt seien. Eine (ggf. entsprechende) Anwendung des Anerkennungsgesetzes auf die unter dem System der Normativbestimmungen gegründete belgische Gesellschaft käme 630
Cour de Paris, Urt. v. 8. Juli 1881, in: Sirey 1881.2.173. Zu demselben liberalen Ergebnis gelangten auch die Autoren, die das Gesetz von 1857 weiterhin für geltend hielten, jedoch den Gerichten die zusätzliche Kompetenz zuerkannten, frei gegründete Aktiengesellschaften in eigenem Ermessen anzuerkennen. Dem widerspricht aber bereits Sinn und Zweck des Gesetzes von 1857, vgl. hierzu Moutier, Clunet 21 (1894), 954, 963. 632 Siehe Buchère, Clunet 9 (1882), 37, 45; Crouvès, Übersetzung Schott, Holdheim 2, Nr. 20 (1893), 327, 331: „Diese Ansicht ist jedoch nicht durchgedrungen, und allgemein betrachtet man auch heute noch die Bestimmung, welche eine Genehmigungsverordnung verlangt, als zu Recht bestehend.“ 633 Urteil des Handelsgerichts der Seine vom 14. Oktober 1879, abgedruckt in: Sirey 1881.2.171, dort Fußnote a) bzw. auszugsweise zu finden bei Buchère, in: Clunet 9 (1882), 42; ähnlich Appellationsgericht von Rouen, Urt. v. 4. Mai 1898, in: Clunet 26 (1899), 840–842; weitere Nachweise zu gleichgerichteter Rechtsprechung im Réquisitoire von Generalstaatsanwalt Baudoin (zum Urteil der französischen Cour de cassation vom 28. April 1902), abgedruckt in: Recueil Dalloz 1902.1.281 (rechte Spalte). 631
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nicht in Betracht: «Attendu que la capacité juridique accordée par la loi aux sociétés anonymes est de droit étroit et qu’il n’appartient pas aux tribunaux d’en étendre l’application; que spécialement, le tribunal ne peut avoir à apprécier si les nouvelles garanties données par la loi belge forment l’équivalent de celles que la législation française a regardées comme indispensables pour les sociétés anonymes étrangères qui prétendent à ester en justice».634 Das Handelsgericht schien bald selbst einzusehen, dass eine solche Rechtsprechung gerade aufgrund der Zielsetzung des Gesetzes von 1857 nicht haltbar war, und entschied im Folgejahr in einem ähnlich gelagerten Fall zugunsten einer spanischen, frei gegründeten Aktiengesellschaft, dass diese in Frankreich aufgrund eines nach Art. 2 des Gesetzes von 1857 zugunsten Spanien erlassenen Dekrets rechts- und parteifähig sei.635 (3) Der Mittelweg: Anerkennung von unter dem System der Normativbestimmungen gegründeten fremden Aktiengesellschaften unter dem Gesetz von 1857 Der letztenendes dominierende Mittelweg soll nachfolgend aus Sicht der Literatur und Rechtsprechung ausführlich analysiert werden. (a) Die Ansicht der Rechtswissenschaft Weite Teile der französischen Rechtswissenschaft waren sich darüber einig, dass das Gesetz von 1857 – entgegen der liberalen Auffassung – nicht konkludent durch den nationalen Übergang zum System der Normativbestimmungen obsolet geworden sei.636 Eine Unvereinbarkeit beider Vorschriften sei nicht ersichtlich. Zur Begründung nahm man die unterschiedliche Rechtsnatur und Zielsetzung der nationalen Konzession i. S. d. früheren Art. 37 cdc und des Dekretes i. S. v. Art. 2 des Gesetzes von 1857 ins Visier: «Cette autorisation du gouvernement [conformément à la loi de 1857] n’est point identique à celle qu’exigeait 634 Urteil des Handelsgerichts der Seine vom 14. Oktober 1879; in: Sirey 1881.2.171, dort Fußnote a). Zu dieser Rechtsauffassung bemerkt Crouvès, Übersetzung Schott, Holdheim 2, Nr. 20 (1893), 327, 330: „Diese Ansicht war streng bis zur Ungerechtigkeit. Wenn man dieselbe in ihrer ganzen Strenge auf Aktiengesellschaften eines Landes anwandte, dessen Gesetzgebung das Erforderniß der staatlichen Genehmigung aufgehoben hatte, so schloß man diese Gesellschaften in einen circulus vitiosus ein und man benahm ihnen jede Möglichkeit, jemals in Frankreich Geschäfte zu betreiben.“ 635 Urteil des Handelsgerichts der Seine vom 26. November 1880, bestätigt durch Cour de Paris, Urt. v. 8. Juli 1881, abgedruckt in: Sirey 1881.2.169; Zusammenfassung des Falls bei Weiss (1909), S. 330. 636 Siehe Lescoeur (1877), Nr. 154, S. 111; Moutier, Clunet 21 (1894), 954, 962 m.w. N. in dortiger Fußnote 1; zustimmend von schweizerischer und deutscher Seite auch Mamelok (1900), S. 250 f. und Holdheim, Holdheim 2 (1893), 321 f. (Anmerkung zum Urteil des Pariser Appellationshofes vom 1. Juli 1893).
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l’article 37 C. com. pour les sociétés anonymes françaises (. . .). Chaque société anonyme française devait obentenir du gouvernement une autorisation spéciale après l’examen de ses statuts particuliers. Au contraire, l’autorisation exigée pour les sociétés étrangères a un caractère général, elle n’est pas donnée individuellement à telle ou à telle société, mais à toutes les sociétés d’un même pays. Le gouvernement français n’a pas à examiner les statuts de chaque société étrangère, à apprecier l’honorabilité de ses administrateurs, les chances de succès de son entreprise, il doit seulement, avant de rendre un décrét d’autorisation, se livrer à l’examen de la loi étrangère sur les sociétés et rechercher si, soit les dispositions de cette loi, soit le contrôle exercé par le gouvernement étranger offre des garanties à peu près équivalentes à celles des lois françaises.»637 Mithin hatte die internationale, allgemeine Autorisation einer ausländischen Aktiengesellschaft durch ein Dekret gerade den Sinn, die nationale, spezielle Autorisation, die für einheimische Aktiengesellschaften nach Art. 37 cdc galt, insoweit zu ersetzen, zumal der Anwendungsbereich von Art. 37 cdc seinerzeit nicht ohne Zweifel auf die ausländischen Gesellschaften übertragen werden konnte. Nun hätte Art. 21 des Gesetzes von 1867 zwar die spezielle Autorisation in Form der Konzession grundsätzlich aufgehoben, doch seien nach Lyon-Caen und Weiss die französischen Gesellschaften keinesfalls frei, sondern müssten sich den strengen gesetzlichen Anforderungen dieses Gesetzes unterwerfen.638 Da dieses nationale Gesellschaftsrecht schon allein aus praktischen Gründen im Allgemeinen nicht auf ausländische Gesellschaften angewendet werden könne, so wäre die letzte Garantie für die französischen Bürger nur in der Dekretserteilung der französischen Regierung betreffend des entsprechenden Ursprungsstaates zu erblicken: «Par suite, si l’autorisation générale exigée pour elles [les sociétés anonymes étrangères] par la loi du 30 mai 1857 n’existait plus, toute espèce de garantie serait enlevée aux tiers. Elles jouiraient en France, à la différence de nos sociétés anonymes, d’une liberté absolue.»639 Entsprechend konstatiert auch Moutier:«Nous ne voyons pas pourquoi ce changement dans notre législation interne doit avoir un effet sur la condition des sociétés étrangères, pourquoi il en résulte nécessairement que les sociétés anonymes étrangères pourront exercer leurs droits en France sans que le gouvernement ait préalablement examiné le système de garanties établi par leur législation nationale.»640 War es also weitgehender Konsens, dass das Gesetz von 1857 weiterhin Gültigkeit hatte und somit nach dessen Sinn und Zweck jede ausländische Aktiengesell637 Lyon-Caen, Clunet 12 (1885), 265, 267 [Hinzufügung durch Verf.]; sehr ähnlich Weiss (1909), S. 328 f. 638 Lyon-Caen, Clunet 12 (1885), 265, 267 f.; Weiss (1909), S. 328 f. 639 Lyon-Caen, Clunet 12 (1885), 265, 268 [Hinzufügung durch Verf.]. 640 Siehe Moutier, Clunet 21 (1894), 954, 961 f.; ähnlich Castier (1884), S. 165 f. m.w. N.
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schaft eine bestimmte Form der Legitimation für ihre Anerkennung benötigte,641 so war es jedoch strittig, ob ein Dekret der französischen Regierung zugunsten eines ausländischen Staates auch dessen frei gegründete Aktiengesellschaften ohne weiteres erfassen könne. Die Gegner der Anerkennung frei gegründeter fremder Aktiengesellschaften, allen voran Thaller, Lescoeur und Weiss, brachten als wesentliches Argument für die Verneinung dieser Frage hervor, dass die Garantien, die die Konzessionen des ausländischen Staates nach ausführlicher Prüfung der Statuten böte und die der französische Staat gemäß Art. 2 des Gesetzes von 1857 in Form eines generellen Dekrets als vertrauenserweckend und ausreichend für die Anerkennung eingestuft hatte, durch den Übergang zum System der Normativbestimmungen weggebrochen seien.642 Das fortbestehende Gesetz von 1857 könne (zumindest) auf diese Aktiengesellschaften nicht mehr angewendet werden.643 Konsequenz wäre daher entsprechend der restriktiven Entscheidung des Handelsgerichts der Seine, dass diese Gesellschaften in Frankreich nicht mehr vor Gericht zugelassen werden könnten.644 Die Tatsache, dass man in Frankreich seit 1867 selbst dem System der Normativbestimmungen folgte und dieses System durch feststehende gesetzliche Gründungsbedingungen seinerseits Garantien für Vertragspartner und Publikum schuf, überging man zumeist schlichtweg. Sofern einzelne Autoren auf die Frage der Vergleichbarkeit der „Garantien“ des Konzessions- und Normativsystems eingingen, so kamen sie regelmäßig zu einem verneinenden Ergebnis: «Mais, dira-t-on, les garanties n’ont pas disparu, elles ont simplement changé de nature. Les sociétés ne sont plus autorisées; mais les formalités multiples auxquelles elles doivent se conformer constituent un système préventif équivalent, auquel la loi française a donné ses préférences dès 1867. «Si ces conditions, dit M. Pont, si cette réglémentation, dans un pays où les sociétés peuvent s’établir librement, présentent 641 Auch für unter dem Normativsystem gegründete ausländische Aktiengesellschaften plädierte man für die Notwendigkeit eines Anerkennungsaktes. Vgl. hierzu etwa die Cour de Paris in einem Urteil vom 22. Dezember 1892, in: Clunet 20 (1893), 588, 590, die bezüglich einer ausländischen, frei gegründeten Aktiengesellschaft ausführt: «Qu’il importe peu que la Société demanderesse ait pu se constituer elle-même regulièrement sans autorisation; que si, en effet, pour les sociétés soumises, dans leur pays, à l’autorisation préalable, la loi de 1857 exige qu’un décret les habilite à exercer leurs droits en France, on ne comprendrait pas qu’il en fût différemment pour les sociétés qui, constituées librement et sans contrôle, doivent inspirer une moindre confiance;»; s. a. Moutier, Clunet 21 (1894), 954, 964 f. 642 Vgl. Thaller, Journal des sociétés civiles et commerciales 2 (1881), 312, 315 f.; Lescoeur (1877), Nr. 158, S. 114; Weiss (1909), S. 330 f.; s. hierzu auch Castier (1884), S. 167 ff.; Lyon-Caen, Clunet 12 (1885), 265, 267 f. 643 Vgl. bereits die Nachweise in Fn 623. 644 Siehe Thaller, Journal des sociétés civiles et commerciales 2 (1881), 50, 58, der dem Urteil des Handelsgerichts der Seine, Quelle wie Fn 634, zustimmt. Auch Weiss (1909), S. 330, begrüßt die Entscheidung.
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des garanties équivalentes à celles que donnerait l’autorisation préalable ellemême, il n’y a aucune raison, vraiment, pour que le gouvernement n’use pas, à l’égard de ce pays, du droit que lui confère l’art. 2 de la loi, d’habiliter en masse par décret les sociétés qui s’y sont librement formées.» Cette objection ne porte pas. Supposons pour un instant que les Belges en 1873 eussent rendu l’anonymat entièrement libre, sans le soumettre à aucune entrave, ou qu’il leur plaise demain de faire disparaître les dispostions réglementaires qu’ils ont consacrées, il y a sept ans. Nos adversaires seront forcés d’admettre que les sociétés anonymes, créées sous cette législation ultra-libérale, pourront agir devant nos tribunaux comme leurs ainées, ou que, pour éviter ce résultat, nos Chambres devront abroger la loi de 1857. (. . .) On nous dit que les garanties nouvelles valent les anciennes! Qui nous le prouve? Lors de l’élaboration de la loi de 1873, avons-nous été consultés? en quelle circonstance les pouvoirs publics en France lui ont-ils donné leur adhésion? Comprendrait-on même, avec l’idée moderne de la souveraineté et de l’indépendance réciproque des nations, qu’un État, avant de réformer ses lois, s’assurât de consentement des autres? Tout le monde sait, d’ailleurs, que la loi belge, dans l’ensemble de ces prescriptions réglementaires, est à certains égards plus tolérante que la nôtre, que le versement du vingtième sur les actions suffit, qu’il n’y a pas lieu à une déliberation spéciale sur les apports en nature, etc.»645 Wiederum begriff man die Einführung des Systems der Normativbestimmungen im eigenen Land als Ausfluss der staatlichen Souveränität und Motor der wirtschaftlichen Entwicklung; die Anerkennung der nach ausländischem Normativsystem gegründeten Aktiengesellschaften erschien aber bedrohlich, insbesondere dann, wenn das ausländische Recht geringere Gründungsanforderungen bereit hielt.646 In einem solchen Fall drohte eine Überfremdung der eigenen Wirtschaft mit besser gestellten ausländischen Aktiengesellschaften zum Schaden der strengeren Gründungsvoraussetzungen unterliegenden französischen Aktiengesellschaften – die Gefahr der Unterwanderung wurde bereits als Auslöser des Anerkennungsstreites identifiziert.647 Vertraute man dem ausländischen Staat – 645 Thaller, Journal des sociétés civiles et commerciales 2 (1881), 312, 313 f. Dieser Sichtweise hing auch Castier (1884), S. 171, an; ablehnend aber Buchère, Clunet 9 (1882), 37, 47. 646 Inwiefern der Vorwurf weniger strenger Gründungsanforderungen gerade gegenüber dem belgischen Recht von 1873 gerechtfertigt war, vgl. unten Gliederungspunkt B. I. 2. d) bb) (3) (b) (bb). 647 Siehe nur Lyon-Caen (1870), S. 151 f., der die „richtige Behandlung“ der fremden Aktiengesellschaften als Drahtseilakt des Gesetzgebers beschreibt: «Il [le législateur] ne devait pas d’abord soumettre à des conditions trop rigoureuses le droit pour les sociétés étrangères de faire des opérations en France et d’y plaider. Car il aurait mis obstacle aux relations commerciales de ces sociétés avec la France et aurait exposé à des représailles les sociétés françaises, dont quelques-unes ne peuvent vivre que par le commerce extérieur. Mais, à l’inverse, le législateur ne devait pas non plus, en se montrant trop libéral à leur égard, leur accorder une liberté dont, même depuis la loi du 24 juillet 1867, les sociétés françaises ne jouissent pas encore. Ç’aurait été placer nos so-
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unter dem faktischen Zwang der Aufrechterhaltung internationaler Handelsbeziehungen – insofern, dass man dessen Gesellschaft als rechtsfähig anerkannte, dann nur insoweit, als dessen Kontrolle in Form der Konzession noch bestand: «Si les sociétés autorisées dans leur pays sont admises à agir en France en vertu d’un décret, c’est qu’elles ont subi chez elles l’épreuve d’un examen spécial et obtenu une sorte de diplôme de capacité. C’est à raison de l’autorisation donnée aux sociétés dans leur pays qu’elles sont reconnues en France. La loi de 1857 et les décrets rendus en exécution de l’article 2 de cette loi sont des actes de courtoisie à l’égard des gouvernements étrangers, une reconnaissance de la sagesse dont ils faisaient preuve dans l’examen des statuts des sociétés anonymes. Les garanties qu’offraient les sociétés anonymes étrangères, ont disparu dans les pays où l’autorisation préalable n’existe plus.»648 Auch die Skeptiker mussten jedoch einsehen, dass man nach dem Vorbild des neuartigen französischen Systems der Normativbestimmungen, frei gegründete fremde Aktiengesellschaften nicht einfach aussperren konnte.649 Andernfalls hätte man sich schlichtweg im Kreis gedreht und sich erneut in einer mit der Mitte des 19. Jahrhunderts vergleichbaren Situation befunden. In diesem Sinne wurde von Teilen der französischen Rechtswissenschaft im Rahmen der grammatikalischen Auslegung des Gesetzes von 1857 ein Bezug zwischen dem Konzessionserfordernis und den Aktiengesellschaften angezweifelt, was nicht nur mit dem eindeutigen Wortlaut dieser Norm als auch mit deren dargestellten historischen Auslegung unvereinbar erscheint.650 Der Rechtsgelehrte Thaller, der die Bedeutung des internationalen Handels nicht verkannte, schlug daher eine Ändeciétés dans une position d’inferiorité vis-à-vis des sociétés étrangères et les condamner pour ainsi dire par avance à être vaincues dans la lutte qu’elles ont à soutenir avec celles-ci. » [Hinzufügung durch Verf.]. 648 Diese Argumente der Gegner der Erstreckung von Dekreten auf frei gegründete Aktiengesellschaften beschreiben Lyon-Caen/Renault, Bd. 2/2 (1909), Nr. 1105, S. 525. S. a. Weiss (1909), S. 330 f.: «Cette autorisation étrangère, qui suppose une enquête administrative, un examen préalable des statuts sociaux, constitue pour le Gouvernement français et pour le public français une garantie sérieuse; mais, aussitôt que l’autorisation cesse d’être exigée, la garantie s’efface, et la société librement formée en pays étranger serait mal venue à réclamer sur notre territoire les avantages d’une reconnaissance générale qui n’a été accordée que sur la foi de l’autorisation spéciale à laquelle son existence était autrefois subordonnée hors de nos frontières.» 649 Zurecht weist etwa Leven (1926), S. 249 f., darauf hin, dass für die frei gegründeten fremden Aktiengesellschaften de lege lata kaum eine Rechtsgrundlage zur Anerkennung hätte aufgefunden werden können. Abschließend bemerkt er: «C’est là une solution fort rigoreuse, dangereuse pour les rapports commerciaux entre les peuples, et contraire au progrès du droit international, qui consacre dans une mesure toujours plus large le principe de la personnalité des lois.» Auch Buchère, Clunet 9 (1882), 37, 50 spricht von «conséquences funestes pour nos relations commerciales ». S. a. Moutier, Clunet 21 (1894), 954, 967, der zu bedenken gibt: «(. . .) nos tribunaux ne peuvent pas critiquer les dispositions des lois étrangères qui la [l’autorisation péalabale] suppriment également. » [Hinzufügung durch Verf.]. 650 Siehe hierzu Mamelok (1900), S. 252 m.w. N.
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rung des Gesetzes von 1857 vor;651 Lyon-Caen und Renault plädierten hingegen dafür, das Gesetz von 1857 notfalls entgegen seinem Wortlaut auch auf unter dem System der Normativbestimmungen gegründete Aktiengesellschaften entsprechend anzuwenden.652 Letztere waren zu der Ansicht gelangt, dass Dekrete, die vor der Einführung des Normativbestimmungssystem von 1867 zugunsten eines fremden Staates erlassen worden waren, sowohl für ausländische Gesellschaften gelten sollten, die nach 1867 unter dem Konzessionssystem als auch durch freie Gründung gebildet worden waren und dass die französische Regierung seit 1867 auch neue Dekrete zugunsten Ländern erlassen konnte, die dem Normativsystem folgten.653 Für diese Lösung spräche schon, dass die französische Regierung nach 1867 selbst Dekrete zugunsten von Ländern erteilt hatte, die bereits dem Regime der Normativbestimmungen folgten.654 Zudem könne die französische Regierung ein erteiltes Dekret zurücknehmen, wenn sich neu eingeführte Normativbestimmungen eines fremden Staates zu großzügig zeigten.655 Da eine weitere Absenkung der Bedingungen des nationalen Aktienrechts für den französischen Gesetzgeber kaum in Betracht kam, um die eigenen Aktiengesellschaften für den Wettbewerb mit ausländischen Kapitalgesellschaften zu rüsten, war die (unveränderte) Anwendung des Gesetzes von 1857 auf jegliche fremde Aktiengesellschaften der praktikablere Weg. (b) Die Ansicht der Rechtsprechung im Spiegel neuer Konflikte Die Anerkennungsproblematik, die aus Sicht der französischen Gerichte erst mit dem Gesetz von 1857 aufgetreten war, blieb demnach auch unter dem Sys651 Siehe Thaller, Journal des sociétés civiles et commerciales 2 (1881), 312, 317 ff., mit folgendem Gesetzesvorschlag zur Ablösung des Gesetz von 1857 auf S. 319: «Le chef de l’État désignera, par des décrets rendus en Conseil d’État, les pays dont les sociétés par actions pourront exercer leurs droits et ester en justice en France.» Auch der Schweizer Mamelok (1900), S. 252 ff., hielt eine Gesetzesänderung für unverzichtbar. Castier (1884), S. 173, wies auf die Möglichkeit von Staatsverträgen zur Anerkennung frei gegündeter Aktiengesellschaften hin. 652 Lyon-Caen/Renault, Bd. 2/2 (1909), Nr. 1105, S. 525 f. In diesem Sinne entschied auch bereits die Cour d’appel von Paris, Urt. v. 1. Juli 1893, in: Clunet 20 (1893), 1205 f. Weiterhin sah Lyon-Caen (1870), S. 157 ff., die beste Lösung de lege ferenda in einer stärkeren Liberalisierung des nationalen Aktienrechts, so dass auch frei gegründete, ausländische Aktiengesellschaften, die gemäß dem Gesetz von 1857 in Frankreich anerkannt und zum Geschäftsbetrieb zugelassen werden sollten, aufgrund liberalerer Gründungsmodalitäten nicht besser stehen würden als die eigenen; freilich müsste diese Freiheit mit strengen Publizitätsvorschriften kombiniert werden. LyonCaen betont demnach die Eigenverantwortung der Vertragspartner von Aktiengesellschaften. 653 Lyon-Caen/Renault, Bd. 2/2 (1909), Nr. 1105, S. 525 f. 654 So etwa zugunsten Bundesstaaten Amerikas 1882 und Dänemark 1914, s. hierzu Leven (1926), S. 250; Lyon-Caen/Renault, Bd. 2/2 (1909), Nr. 1096, S. 516, dort Fußnote 1. 655 Siehe Crouvès, Übersetzung Schott, Holdheim 2, Nr. 20 (1893), 327, 330.
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tem der Normativbestimmungen eine wesentliche Streitfrage des französischen internationalen Gesellschaftsrechts. Die Tatsache, dass die Diskussionen auch in diesem Fall nicht rein akademischer Natur waren, belegen die bereits z. T. angeführten Gerichtsurteile. Insbesondere im Verhältnis zwischen Frankreich und Belgien sowie Frankreich und dem zwischen 1871 und 1918 dem Deutschen Reich unterstehenden Elsaß-Lothringen entstanden in den letzten beiden Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts Streitigkeiten über die Anerkennung von frei gegründeten Aktiengesellschaften unter dem Gesetz von 1857, die im Folgenden näher beleuchtet werden sollen. (aa) Der Anerkennungsstreit zwischen Elsaß-Lothringen und Frankreich656 Deutsche Gerichte hatten in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts französischen Versicherungsgesellschaften, die in Elsaß-Lothringen tätig waren, ihre Rechts- und Parteifähigkeit abgesprochen und teilweise die Gültigkeit ihrer Operationen, insbesondere Verträge, bestritten.657 Die Rechtslage, die zu derartigen Entscheidungen elsaß-lothringischer Gerichte Anlass gab, war nach dem Rückfall des Gebietes Elsaß-Lothringen an das neugegründetete Deutsche Kaiserreich recht komplex. Der Frankfurter Friedensvertrag von 1871658, der formell den Deutsch-Französischen Krieg beendet hatte, sah keine spezielle Regelung zur geltenden Rechtsordnung in Elsaß-Lothringen, fortan Deutsches Reichsland, vor. Nach völkerrechtlichen Grundsätzen behielt aber das französische Zivil- und Verwaltungsrecht seine Gültigkeit;659 die Kompetenz für Gesetzesänderungen war der deutschen Regierung zugebilligt.660 In Elsaß-Lothringen galt demnach auch nach dessen Annexion zum Deutschen Reich bezüglich der Anerkennung von Aktiengesellschaften grundsätzlich das französische Gesetz vom 30. Mai 1857; andererseits war das seinerzeit noch französische Gebiet Elsaß-Lothringens auch von der Einführung des loi sur les so656 Wie noch aufgezeigt wird, handelt es sich hierbei zwar streng genommen um einen Anerkennungsstreit von Deuschland im Verhältnis zu Frankreich, dieser kam aber nur unter dem Einfluss des in Elsaß-Lothringen fortgeltenden französischen Rechts zustande und wird daher an dieser Stelle behandelt. 657 So etwa die Gerichte in Straßburg und Kolmar; zu der Problematik ausführlich Kauffmann, Clunet 9 (1882), 129–153, 260–270 und Clunet 10 (1883), 605–609; Thaller, Journal des sociétés 2 (1881), 343 ff. sowie Pillet (1914), Nr. 124–126, S. 178–187. 658 Friedens-Vertrag zwischen dem Deutschen Reich und Frankreich, abgedruckt in: Deutsches Reichsgesetzblatt 1871, Nr. 26, S. 223–244. 659 Ausnahmen bestanden für Gesetzesänderungen, die in Frankreich nach der Besetzung ergangen waren, und für das französische Verfassungsrecht, vgl. hierzu Kauffmann, Clunet 9 (1882), 129 sowie Thaller, Journal des sociétés 2 (1881), 343, 373 ff. 660 Die Reichsverfassung vom 16. April 1871 billigte die Gesetzgebungskompetenz für Zivil- und Strafrecht dem Deutschen Reich zu; Artikel 8 des Gesetzes vom 25. Juni 1873, welches die Reichsverfassung in Elsaß-Lothringen einführte, behielt dem deutschen Reich die Kompetenz für die Spezialgesetzgebung des Landes vor.
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ciétés von 1867 betroffen.661 Frankreich selbst hatte zugunsten von Preußen 1866 und Sachsen 1868 noch Dekrete im Sinne von Art. 2 des Gesetzes von 1857 erlassen; damals herrschte Konzessionszwang für die Gründung von Aktiengesellschaften in den deutschen Staaten. Mit Gesetz vom 11. Juni 1870, welches das Aktienrecht des norddeutschen Bundes reformierte, wurde auch in weiten Teilen Deutschlands (faktisch) das System der Normativbestimmungen eingeführt, d.h. Aktiengesellschaften konnten nun wie regelmäßig in Frankreich seit Ende Juli 1867 frei gegründet werden.662 Unter dieser rechtlichen Situation nach der Abspaltung Elsaß-Lothringens 1871 von Frankreich wurde das Gesetz von 1857 schon bald französischen Versicherungsgesellschaften entgegengehalten, die vor dessen Annexion in ElsaßLothringen Zweigniederlassungen gegründet hatten und seitdem in diesem Gebiet tätig waren.663 Aus elsaß-lothringischer Perspektive galten diese Gesellschaften nämlich fortan als „Fremde“. Zunächst hatten die nunmehr deutschen Gerichte die Rechts- und Parteifähigkeit französischer Aktiengesellschaften noch ohne weiteres anerkannt, zumal der Oberpräsident von Elsaß-Lothringen (Bas-Rhin) am 29. Juli 1872 einen Erlass mit dem Inhalt auf den Weg gebracht hatte, dass rechtmäßig gegründete französische Versicherungsgesellschaften, die in Elsaß-Lothringen mittels eines dort angesiedelten Repräsentanten tätig waren, auch weiterhin in Elsaß-Lothringen willkommen seien und derselbe noch am 14. März 1879 explizit die rechtliche Gleichstellung von einheimischen und französischen Gesellschaften erklärt hatte.664 661 Mit § 1 des Gesetzes vom 19. Juni 1872 (vgl. Gesetzblatt für Elsaß-Lothringen 1872, 213 ff.) wurde allerdings auch in Elsaß-Lothringen das deutsche Handelsgesetzbuch (ADHGB) mit der Aktienrechtsreform von 1870 eingeführt. Da das ADHGB jedoch keine Bestimmungen zur Anerkennung fremder Gesellschaften enthielt, hielt man seitens Elsaß-Lothringen das französische Gesetz von 1857 weiterhin für anwendbar; auch dieses Vorgehen war jedoch alles andere als unstreitig, vgl. Thaller, Journal des sociétés 2 (1881), 343, 373 ff. 662 Zur Entwicklung des deutschen Aktienrechts siehe später Gliederungspunkte B. I. 3. a) und b). Die erste Aktienrechtsnovelle des deutschen ADHGB galt nach Inkrafttreten des entsprechenden Einführungsgesetzes auch in Elsaß-Lothringen, s. Fn 661. 663 Der Begriff Versicherungsgesellschaften und Aktiengesellschaften kann in diesem konkreten Zusammenhang synonym verwendet werden, da erstere auch nach dem französischen Gesetz über die Handelsgesellschaften von 1867 gemäß Art. 66 I einer Genehmigung ihrer Regierung bedurften, vgl. Duvergier (1867), S. 324. Diese Regelung galt über das Einführungsgesetz des ADHGB für Elsaß-Lothringen auch dort. Unter früherer französischer Rechtslage waren die meisten Versicherungsgesellschaften, die ohnehin in der Regel die Rechtsform der Aktiengesellschaften bekleideten, entweder aufgrund Art. 37 cdc oder der Bekanntmachung des Conseil d’Etat vom 15. Oktober 1809 i.V. m. Art. 37 cdc der staatlichen Konzession bzw. Überwachung unterworfen, vgl. Duvergier (1867), S. 324 ff., dort Fußnoten 1, 2. 664 S. Kauffmann, Clunet 9 (1882), 129, 131 f., der den Inhalt des Erlasses vom 29. Juli 1872 wiedergibt.
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In einem Haftungsprozess, angestrengt durch die französische Versicherungsgesellschaft Soleil gegen einen ihrer Versicherten, bestritt dieser deren Rechtsund Parteifähigkeit nach dem Gesetz von 1857.665 Der Prozess wurde ausgesetzt und die entscheidungserhebliche Frage beraten, als der Staatsuntersekretär von Elsaß-Lothringen, Albert von Pommer-Esche, sich zu der Konfliktlage mit Erlass vom 11. März 1881 dahingehend äußerte, dass die Verordnung vom 29. Juli 1872 nicht in dem Sinne zu verstehen sei, eine offizielle Anerkennungserklärung ausländischer Aktiengesellschaften seitens des Reichslandes Elsaß-Lothringen darzustellen. Eine Geschäftsfortführung wurde den ausländischen Aktiengesellschaften bzw. Versicherungsgesellschaften, deren Heimatland – wie Frankreich – über kein Dekret der elsaß-lothringischen Regierung oder eine staatsvertragliche Anerkennungsregel i. S. d. Art. 2 des Gesetzes von 1857 verfügten, mit Wirkung zum 1. Mai 1881 verboten.666 Dieser Erlass vom 11. März 1881 ist allein deswegen bemerkenswert, da er ein Paradebeispiel für die wirtschafts- und rechtspolitischen Hintergründe des Anerkennungsstreites darstellt, denn hier werden keine großen Bemühungen unternommen, um unter dem Deckmantel juristischer Argumentations- und Auslegungsmethoden die rechtliche Anerkennung fremder Aktiengesellschaften zu verwehren.667 Dabei war die Rechtslage zur Anerkennung französischer Aktiengesellschaften im Elsaß alles andere als eindeutig: An dieser Stelle ist nämlich die Kontroverse, ob das Gesetz von 1857 nicht durch das Gesetz über die Gesellschaften von 1867 aufgehoben wurde, von Bedeutung. Diese Frage, die in Frank665 Genauer gesagt erhob die Rechtsschutzversicherung des Beklagten als Nebenintervenient diesen Einwand; Rechtsstreit ist abgedruckt bei Thaller, Journal des sociétés 2 (1881), 343, 360 f., dort Fußnote 2. 666 Inhalt des Erlasses vom 11. März 1881 ist zu finden bei Kauffmann, wie Fn 659, 129, 133 f. und bei Thaller, Journal des sociétés 2 (1881), S. 343, dortige Fußnote beginnend auf S. 351 ff. 667 Pommer-Esche, abgedruckt bei: Kauffmann, Fundstelle wie Fn 659, 129, 133 f., erklärte, dass sich die wirtschaftliche Situation seit 1872 verändert habe. Habe es zu dieser Zeit nur wenige bedeutende einheimische (elsaß-lothringische) Versicherungsgesellschaften gegeben, so war man im öffentlichen Interesse auf die französische Konkurrenz angewiesen gewesen. Zwischenzeitlich seien einheimische Versicherungsgesellschaften mit Bedeutung für ganz Elsaß-Lothringen gegründet worden, die vor illegitimer Konkurrenz geschützt werden müssten. Es sei ferner im Interesse Elsaß-Lothringens, dass die gezahlten Versicherungsprämien im inländischen Wirtschaftskreislauf verbleiben, zumal die heimischen Gesellschaften eine höhere Sicherheit der Ausführung ihrer in der Versicherungspolice garantierten Zahlungspflichten, d.h. höhere Solvenz, bieten würden als Gesellschaften, deren Besitzstand im Ausland lokalisiert sei. Zur wirtschaftlichen Bedeutung der französischen Versicherungsgesellschaften in Elsaß-Lothringen bemerkt Kauffmann, Fundstelle wie Fn 659, 129, 134, entsprechend: «Notre intention n’est pas de traiter (. . .) la question au point de vue politique ou économique. Constatons seulement que l’arrêté atteignit 59 compagnies d’assurances françaises, leur personnel d’agents et d’employés alsaciens-lorrains et que les sommes couvertes par elles s’élevaient à 3 milliards 420 millions de marcs ou 4 milliards 275 millions de francs. Le lecteur comprendra aisément à quel point les intérêts privés furent atteints.»
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reich selbst kontrovers diskutiert wurde, schien man in Elsaß-Lothringen geflissentlich zu übergehen; Pommer-Esche ging in seinem Erlass wie selbstverständlich von der Fortgeltung des Anerkennungsgesetzes von 1857 aus.668 Desweiteren lag es nicht fern, eine Außerkraftsetzung des Gesetzes von 1857 in Elsaß-Lothringen durch die Einführung des deutschen ADHGB wenigstens zu erwägen.669 Schließlich hätte Pommer-Esche sich – bei unterstellter Fortgeltung des Gesetzes von 1857 – Gedanken dazu machen müssen, ob nicht bereits eine denkbare Rechtsgrundlage für die Anerkennung französischer Aktiengesellschaften existierte.670 Ausweislich des Wortlautes der entsprechenden Anordnung war dies nicht geschehen. Bereits hieran zeigt sich ein weiteres Mal, dass im Streit um die Anerkennung fremder Gesellschaften weniger die rechtlichen Aspekte im Vordergrund standen, sondern dass vielmehr ergebnisorientiert agiert wurde.671 Die verständliche Em-
668 Laut Pommer-Esche sei die Situation ausländischer Aktiengesellschaften klar durch das Gesetz von 1857 geregelt; für ausländische Versicherungsgesellschaften gelte dieses Gesetz über Art. 66 des Gesetzes von 1867. Es erscheint aber m. E. schon fragwürdig, ob der auf nationale Versicherungsgesellschaften gemünzte Art. 66 des Gesetzes von 1867 auch gegenüber den „fremden“ französischen Versicherungsgesellschaften zu einer Anwendung des Gesetzes von 1857 führen konnte. Die in Frankreich vielfach vertretene Auffassung, dass Art. 66 des Gesetzes von 1867 eine Bestimmung des „ordre public“ sei und daher über das Gesetz von 1857 auch für ausländische Versicherungsgesellschaften gelten müsse (so etwa Cour de Paris, Urt. v. 8. Juli 1881, in: Sirey 1881. 2.169), war nämlich auch dort nicht unumstritten (vgl. etwa Castier (1884), S. 192 f.; Renault, Journal des sociétés 1 (1880), 152, 160). Insgesamt bemerkt Thaller, Fundstelle wie Fn 659, 343, 353, zum Inhalt dieser Anordnung: «Puis l’interprète du gouvernement aborde le côté légal de la question. C’est la loi française du 30 mai 1857 restée applicable aux provinces annexées qu’il rétorque contre nos propres agences. La thèse juridique est d’ailleurs à peine ébauchée: moins de concision n’aurait pas nui. L’embarras du style trahit le caractère précipité de la décision.» 669 Vgl. die Nachweise von Thaller, Fundstelle wie Fn 661 sowie Kauffmann, Fundstelle wie Fn 659, 129, 149 f. 670 In Betracht kam insbesondere eine staatsvertragliche Meistbegünstigungsregel i.V. m. bestehenden Staatsverträgen oder allgemeinen Anerkennungs-Dekreten zugunsten der Aktiengesellschaften von Drittländern, s. hierzu sogleich in Gliederungspunkt B. I. 2. d) bb) (3) (b) (aa). 671 Der französische Rechtsgelehrte Thaller, Journal des sociétés 2 (1881), 343, 344 f., der die rechtliche Situation französischer Aktiengesellschaften 1881 untersucht hatte, beschäftigte sich mit den Motiven der Anordnung Pommer-Esches. Möglichen Ursachen eines denkbaren Grolls gegen die Franzosen als Kriegsnachwehen oder der bezweckten „Eindeutschung“ der in Elsaß-Lothringen agierenden Handelsunternehmen stand Thaller eher skeptisch gegenüber; er hielt den wirtschaftlichen Faktor i. S. d. Lehren des Merkantilismus hingegen für maßgebend: «La circulaire est formelle. Il y avait, paraît-il, un danger sérieux à laisser l’argent des primes prendre le chemin de l’étranger, et s’enfouir dans des caisses à la prosperité des quelles l’Empire n’a aucun intérêt: le pays à la longue se serait appauvri. Ce n’est plus seulement une profession de foi protectionniste, comme le Chancelier en faisait naguère, mais un retour à cette vielle thèorie d’après laquelle le souverain doit empêcher les exportations de métaux précieux pour le plus grand bien de ses sujets.»
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pörung672 in Frankreich über besagte Anordnung wurde umso größer, als die elsaß-lothringischen Behörden auf eine entsprechende Anfrage französischer Versicherungsgesellschaften hin Autorisationen entsprechend des Gesetzes von 1857 im Vornherein verweigerten.673 Der Erlass von 1881 hatte mithin zur Folge, dass deutsche Gerichte französischen Aktiengesellschaften bzw. Versicherungsgesellschaften die Anerkennung verweigerten; gar wurde z. T. die zivilrechtliche Wirksamkeit der geschlossenen Versicherungsverträge in Abrede gestellt.674 Die wesentlichen Fragen, die in diesen Rechtsstreitigkeiten diskutiert wurden, hingen daher unmittelbar mit der rechtlichen Würdigung der Anordnung von Pommer-Esche vom 11. März 1881 zusammen. Besonderes Aufsehen erregte der Rechtsstreit um die französische Versicherungsgesellschaft Phénix mit Sitz in Paris: Während das Oberlandesgericht Kolmar unter Berufung auf das Gesetz von 1857 von der Nichtigkeit der Versicherungsverträge vor dem 1. Mai 1881 von Elsaß-Lothringern mit – der ihrer Auffassung nach nur im „praktischen Ergebnis“ rechtlich nicht existenten – französischen Versicherungsgesellschaft Phénix ausging, entschied das Reichsgericht, dass diese Verträge schon allein aufgrund der Duldung der Geschäftsfortführung der französischen Gesellschaften bis zum März 1881 und dem Rückwirkungsverbot der maßgeblichen Anordnung nicht ihrer Wirksamkeit beraubt wer672 Siehe die Bemerkung in Clunet 10 (1883), 318, 319 zum Urteil des RG vom 14. April 1882 (Fundstelle wie Fn 674): «Au fond, l’illégalité de l’arrêté du 11 mars 1881 ne nous paraît pas douteuse.» 673 Die Petition ist abgedruckt bei Thaller, Journal des sociétés 2 (1881), 343, 355 f. Zudem wurde daraufhin seitens der elsaß-lothringischen Regierung erklärt, dass kein Unterschied zwischen französischen noch unter dem Konzessionssystem bis Juli 1867 gegründeten Gesellschaften und (bis zum Abschluss des Frankfurter Friedensvertrages) frei gegründeten französischen Gesellschaften gemacht werde und sich die Gesellschaften auch nicht auf die Meistbegünstigungsklausel des Frankfurter Friedensvertrages stützen könnten; vgl. Kauffmann, Clunet 9 (1882), 129, 135 f. sowie Thaller, Journal des sociétés 2 (1881), 343, 355 f. (hier Antwort Pommer-Esches abgedruckt). 674 Es kam in der Folgezeit zu einer Art von „Ping-Pong-Spiel“ zwischen dem Oberlandesgericht Kolmar und dem Reichsgericht (RG) in Leipzig um eine Rechtsstreitigkeit betreffend die französische Versicherungsgesellschaft Phénix, siehe Urteil des OLG Kolmar vom 12. Dezember 1881, zusammengefasst bei: Kauffmann, Clunet 9 (1882), S. 129, 135 und auszugsweise abgedruckt in: Recueil Dalloz 1883.2.9 f.; Urteil des RG vom 14. April 1882, RGZ 6, 134–143, Abdruck einer französischen Zusammenfassung in: Clunet 10 (1883), 317 f.; Urteil des OLG Kolmar vom 3. Juli 1882 (hierzu: Kauffmann, Clunet 9 (1882), 260, 261 und Clunet 10 (1883), 605); Urteil des RG vom 16. Januar 1883 (s. Kauffmann, Clunet 10 (1883), 605); Urteil des OLG Kolmar vom 7. Mai 1883 (s. Kauffmann, Clunet 10 (1883), 605); Urteil des RG vom 29. November 1883 (s. Kauffmann, Clunet 10 (1883), 605, 606). Diese vom OLG Kolmar angenommene Nichtigkeit der Versicherungspolicen erschien aus Sicht der französischen Geschäftswelt umso skandalöser als weitere Stellungnahmen von Behördenseite ElsaßLothringens am 29. März und 7. Juni 1881 betont hatten, dass die Wirksamkeit vor dem 1. Mai 1881 geschlossener Versicherungsverträge nicht betroffen sei, siehe hierzu Kauffmann, Clunet 9 (1882), 129, 134 f. Weitere Rechtsprechungsnachweise zu Urteilen elsaß-lothringischer Gerichte finden sich auch bei Thaller, Journal des sociétés 2 (1881), 343, 362 ff.
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den dürften und die Gesellschaft insofern als rechts- und parteifähig zu gelten habe.675 Bemerkenswert ist, dass das Reichsgericht in diesem Fall die Rechtsauffassung des OLG Kolmar bezüglich der Fortgeltung und der Anwendbarkeit des Gesetzes von 1857 auf französische Versicherungsgesellschaften zu übernehmen hatte, ihm diese rechtliche Würdigung aber jeweils als „nicht unbedenklich“ erschien.676 Im Gegensatz zu Pommer-Esche schien das oberste deutsche Zivilgericht die Rechtslage zu Recht für weniger offenkundig zu halten. Die deutschen Gerichte hatten in diesem Zusammenhang die internationalprivatrechtliche Theorie der wohlerworbenen Rechte, sog. théorie des droits acquis der französischen Rechtslehre abgelehnt, welche den Standpunkt vertrat, dass diejenigen Rechte, die französische Gesellschaften vor der Annexion in ElsaßLothringen innehatten, erhalten bleiben müssten und dass die Konzessionen, die den zumeist vor 1867 gegründeten französischen Gesellschaften vom französischen Staat erteilt worden waren, ihre (alleinige) Gültigkeit (ohne weitere Autorisation der elsaß-lothringischen Regierung i. S. v. Art. 2 des Gesetzes von 1857) auch nach dem Frankfurter Friedensvertrag behalten müssten.677 Nach Ansicht der deutschen Rechtsprechung sei die Rüge eines Verstoßes gegen das gesetzliche Rückwirkungsverbot (principe de la non-rétroactivité des lois) bei Nichtanerkennung der bisherigen Rechte von französischer Seite unbegründet, denn 675 So bemerkt das RG in seinem Urteil vom 14. April 1882, RGZ 6, 134, 135: „Nach der Auslegung des Berufungsgerichtes ist das Gesetz vom 30. Mai 1857 staatspolizeilicher Natur, indem es der Staatsgewalt in Rücksicht auf den Schutz der heimischen Industrie und das Verhalten anderer Staaten die Macht verleiht, den Geschäftsbetrieb ausländischer Aktiengesellschaften im Inlande zu verbieten; die Versagung der Rechtsverfolgung im Inlande soll nur ein Mittel zur Erreichung des mit dem Verbote angestrebten Zwecks sein; dagegen wird die Rechts- und Parteifähigkeit der fremden Gesellschaften als von diesem Gesetze nicht berührt erachtet; vielmehr vorausgesetzt; nur dem praktischen Erfolge, nicht aber der rechtlichen Auffassung nach kommt hiernach das Gesetz einer Beschränkung der Rechtsfähigkeit gleich.“ Hier wird also deutlich, dass die Rechtsfähigkeit im Grunde anerkannt wurde, deren Versagung aber als passende Sanktion für die verbotene Ausübung des Geschäftsbetriebes nach dem Gesetz von 1857 (einer fremdenrechtlichen Bestimmung) gesehen wurde. So merkt auch das RG, RGZ 6, 134, 140, an: „(. . .), dass ohne Unterschied zwischen In- und Ausländern sowohl betreffs physischer als auch juristischer Personen lediglich das bürgerliche Recht, welchem die Person unterworfen ist, darüber entscheide, ob die Person fähig sei, vor Gericht zu stehen (. . .).“ 676 Siehe RG, Urt. v. 14. April 1882, in: RGZ 6, 134, 135. Das RG hatte aufgrund § 511 der damaligen Fassung der Zivilprozessordnung als Revisonsgericht der Auslegung des OLG Kolmar zu folgen, weil das französische Gesetz von 1857 nur im Bezirk des OLG Kolmar Wirkung entfalten konnte. 677 Vgl. speziell zu dieser Frage, Kauffmann, Clunet 9 (1882), 129, 134 ff.; Pillet (1914), Nr. 34 ff., S. 46 ff., Nr. 44ter, S. 67 und Nr. 124, S. 179 f.; Thaller, Journal des sociétés 2 (1881), 343, 384 ff. Im Allgemeinen möchte die Theorie subjektive Rechte, die nach ausländischem Privatrecht erworben wurden, mit Respekt auf die ausländische Souveränität bewahren. Vgl. überblicksartig zu der Theorie des Schutzes wohlerworbener Rechte und deren Bewertung, Kegel/Schurig (2004), § 1 VI, S. 25 und Kropholler (2006), § 21, S. 146–151.
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der Gesetzgeber, dem eine Person unterworfen sei, könne die Bedingungen der Rechts- und Handlungsfähigkeit grundsätzlich verändern.678 Das Urteil des Reichsgerichts macht indes deutlich, dass die deutsche Rechtsprechung – anders als die französische – bereits zwischen der Erlaubnis zur Ausübung der Geschäftstätigkeit und der bestehenden Parteifähigkeit einer ausländischen Gesellschaft differenzierte: Die Beachtung des Gesetzes von 1857 als lediglich staatspolizeiliche Vorschrift sei grundsätzlich von der Anerkennung der Rechts- und Parteifähigkeit fremder Aktiengesellschaften zu trennen.679 Desweiteren hatte sich die Phénix auf die Meistbegünstigungsklausel in Art. 11 des Frankfurter Friedensvertrages in Kombination mit zwischen Frankreich und Teilen des deutschen Staatenbundes geschlossenen Handelsverträgen berufen,680 678 Das RG hatte hierzu bezugnehmend auf das Urteil des OLG Kolmar, in seiner Entscheidung vom 14. April 1882, RGZ 6, 134, 136 f., festgehalten, es sei zutreffend, „dass den in Frankreich vor der Abtretung von Elsaß-Lothringen an Deutschland zu rechtlichen Dasein gelangten Aktiengesellschaften, welche ihren Sitz in Elsaß-Lothringen hatten [gemeint sein muss der Sitz der Zweigniederlassung bzw. eines Agenturbüros, s. u.], kein wohlerworbenes Recht auf den Geschäftsbetrieb und den Rechtsschutz daselbst zustehe, (. . .) denn sie hatten dieses Recht nicht kraft besonderer Verleihung, insbesondere nicht auf Grund des Ges. vom 30. Mai 1857, sondern infolge der Einheit des Staatsgebietes und auf Grund der in diesem ganzen Staatsgebiete, welchem sie damals angehörten, bestehenden Gesetze über Gesellschaften; sie hatten aber auch im einheitlichen Staatsgebiete kein Recht darauf, dass ihre Rechts- und Handlungsfähigkeit nicht durch neues Gesetz beschränkt werde; mithin wird auch kein wohlerworbenes Recht verletzt, wenn nunmehr ihnen gegenüber, weil sie infolge der Abtretung von Elsaß-Lothringen an Deutschland in Beziehung auf diesen Teil des früheren Heimatlandes Ausländer geworden sind, das Ges. vom 30. Mai 1857 Geltung erlangt hat.“ [Hinzufügung durch Verf.]: Es ist davon auszugehen, dass die Phénix nur einen bloßen Geschäftssitz in Elsaß-Lothringen hatte, denn ausweislich der Urteile der Vorinstanzen hatte die Gesellschaft ihren (Haupt-)Sitz in Paris (vgl. Recueil Dalloz 1883.2.9 f.); analog spricht auch die französische Übersetzung des Reichgerichtsurteiles vom bestehenden Sitz der Phénix in Frankreich (s. Recueil Dalloz 1883.2.10 f.).] Wie das Reichsgericht fortfährt, müssten freilich die französischen Aktiengesellschaften für die bis 1881 geduldeten Geschäfte jedenfalls als rechts- und handlungsfähig gelten. Zudem gebiete das deutsche Prozessrecht in Zusammenschau mit Art. 3 c. civ., dass eine französische juristische Person als Klägerin vor Gericht zuzulassen sei. Nebenbei bemerkt, hielt selbst die französische Doktrin die Theorie der „droits acquis“ für diese Fälle nicht geschlossen für anwendbar, vgl. etwa Bemerkung in Recueil Dalloz 1883.2.9, dort Fußnote 3 und 4. 679 Leider bleibt die grundsätzliche Auffassung des RG zum Verhältnis des Gesetzes von 1857 zur Geltung des Personalstatus der Gesellschaft i.V. m. §§ 50, 51 der damaligen deutschen Zivilprozessordnung unklar. Jedenfalls seien in Fällen, die die Rechts-, Partei- und Handlungsfähigkeit der französischen Gesellschaften vor dem Erlass von Pommer-Esche beträfen, die Regeln der deutschen Prozessordnung vorrangig, s. RGZ 6, 134, 141. 680 Die maßgebliche Passage des Artikel 11 des Frankfurter Friedensvertrages, Fundstelle wie Fn 658, lautete: Da die Handelsverträge mit den verschiedenen Staaten Deutschlands durch den Krieg aufgehoben sind, so werden die Deutsche Regierung und die Französische Regierung den Grundsatz der gegenseitigen Behandlung auf dem Fuße der meistbegünstigten Nation ihren Handelsbeziehungen zu Grunde legen. Diese Regel
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die ihrer Meinung nach geeignet war, den unter dem Konzessionssystem sowie den frei gegründeten französischen Aktiengesellschaften in Elsaß-Lothringen nicht nur rechtliche Anerkennung, sondern auch die Möglichkeit zur weiteren Geschäftsfähigkeit (jenseits des 1. Mai 1881) zu verschaffen; damit seien auch geschlossene Versicherungsverträge wirksam.681 Sofern die Meistbegünstigungsklausel zugunsten der französischen Versicherungsgesellschaften Anwendung gefunden hätte, hätte diese der Anordnung Pommer-Esches entgegengestanden.682 Zur Entkräftung auch dieses Einwandes behalf sich die Gegenseite aber mit dem bekannten Argument der grundsätzlichen Wesensverschiedenheit von natürlicher und juristischer Person gemäß der Fiktionstheorie.683 Die Meistbegünstigungsklausel gelte nur für natürliche Personen, nicht aber Aktiengesellschaften.684 Da dieser Auslegung der Klausel jedoch wenige überzeugende Argumente zur Seite standen, zweifelte auch das Reichsgericht an einer solchen Einschätzung; dies war jedoch für die Rückverweisung an das OLG Kolmar ohne Belang.685 umfaßt die Eingangs- und Ausgangsabgaben, den Durchgangs-Verkehr, die Zollförmlichkeiten, die Zulassung und Behandlung der Angehörigen beider Nationen und der Vertreter derselben. Jedoch sind ausgenommen von der vorgedachten Regel die Begünstigungen, welche einer der vertragenden Theile durch Handelsverträge anderen Ländern gewährt hat oder gewähren wird, als den folgenden: England, Belgien, Niederland, Schweiz, Oesterreich, Russland (. . .). Zwar waren die Handelsverträge zwischen Frankreich und Teilen des Deutschen Bundes (Hansestädte, Mecklenburg-Schwerin und Preußen), die Mitte der 60er Jahre des 19. Jahrhunderts geschlossen worden waren, ausweislich des Wortlautes von Art. 11 des Friedensvertrages im Zuge des Krieges aufgehoben worden, doch stellte Art. 18 der Zusatzvereinbarung vom 11. Dezember 1871 (vgl. Deutsches Reichsgesetzblatt 1872, Nr. 3, S. 7–21) klar, dass die einzelnen Verträge zwischen Frankreich und den deutschen Gebieten wieder in Kraft gesetzt werden sollten. Diese Verträge waren daher in Kombination mit Art. 11 des Frankfurter Friedensvertrages grds. passende Rechtsgrundlage für die gegenseitige Anerkennung der Aktiengesellschaften. Vgl. allgemein zu Bedeutung, Technik und Problemen der Meistbegünstigungsklausel in Staatsverträgen des ausgehenden 19. Jahrhunderts, Visser, Revue de droit international 1902, 66 ff., 159 ff., 270 ff. 681 Siehe auch Bemerkung, in: Clunet 10 (1883), 319, zum Urteil des RG vom 14. April 1882 (RGZ 6, 134–143) und Bemerkung zu Trib. Civ. de la Seine, Urt. v. 13. Juli 1883, in: Clunet 10 (1883), 401 f. 682 Entsprechend wurde eingewendet, dass sich die Meistbegünstigungsklausel des Frankfurter Friedensvertrages gerade nur auf alle übrigen deutschen Gebiete außer Elsaß-Lothringen beziehen sollte, da dort keine Verbotsgesetze (wie etwa das französische von 1857) in Kraft waren, vgl. RGZ 6, 134, 141. 683 Vgl. hierzu Kauffmann, Clunet 9 (1882), 129, 146. 684 In erster Linie beriefen sich die Anerkennungsgegner darauf, dass die Verhältnisse der juristischen Personen stets gesondert geregelt seien und dass man in anderen Staatsverträgen Begriffe wie „Untertan“ oder „Staatsbürger“ verwendet hätte; diese Begriffe könnten indes nicht auf juristische Personen ausgedehnt werden. Zu den ausgetauschten Argumenten im Einzelnen vgl. Pillet (1914), Nr. 124 bis, S. 182 ff.; Schwandt (1912), S. 186 ff.; RG, Urt. v. 14. April 1882, RGZ 6, 134, 141 f.; Stellungnahme des französischen Generalstaatsanwalts Desjardins vor dem Urteil der Cour de cassation vom 14. Mai 1895, in: Clunet 22 (1895), 837, 839–842. 685 RG, Urt. v. 14. April 1882, RGZ 6, 134, 141: „Es mag übrigens bemerkt werden, dass auch die Gründe, aus welchen hergeleitet wird, dass das Ges. vom 30. Mai 1857
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Es schien daher – trotz unterschwelliger Bedenken des Reichsgerichts – zunächst so, als seien die französischen Gesellschaften aufgrund der Anordnung Pommer-Esches in den letzten beiden Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts faktisch aus Elsaß-Lothringen vertrieben worden.686 Die Argumentation der Nichtgeltung einer staatsvertraglichen Anerkennung bzw. Zulassung machten sich auch zahlreiche französische Gerichte zueigen, die ihrerseits den elsäßischen Gesellschaften, die in Frankreich tätig waren, die Parteifähigkeit im Sinne einer „Retourkutsche“ versagten.687 Man mag mutmaßen, dass eine offizielle Verlautbarung der elsaß-lothringischen Regierung vom Dezember 1894 mit der abgeneigten Haltung einiger französischer Gerichte gegen elsaß-lothringische Gesellschaften in Zusammenhang stehen mag, denn hiermit wurde besänftigend bekräftigt, dass die aktive und passive Parteifähigkeit französischen Gesellschaften seit dem Urteil des Reichsgerichts von 1882 stets gewährt worden sei.688 In der Tat hat das OLG Kolmar – wohl unter dem Einfluss des Reichsgerichts – seine Linie verändert.689 (. . .) weder durch Art. 11 des Frankfurter Friedens, noch durch die Zusatzkonvention zu demselben außer Kraft gesetzt worden sei, erheblichen Bedenken unterliegen. (. . .) Sodann können, um die Ausdrücke „sujets“, „Angehörige“ auf physische Personen zu beschränken, weder der Art. 15 des Frankfurter Friedens, noch § 19 Abs. 4 des Vertrages mit Österreich-Ungarn vom 16. Dezember 1878, noch Art. 3 der Reichsverfassung herangezogen werden; (. . .)“. Das RG führt im Folgenden aus, dass die in diesen Verträgen bzw. Normen angesprochenen Privilegien gerade auch juristischen Personen zustehen müssen. 686 Das Gesetz vom 30. Mai 1857 galt in Elsaß-Lothringen noch bis zur Einführung des BGB 1900 fort (vgl. Pillet (1914), Nr. 124, S. 179, dort Fußnote 2; danach regelte Art. 10 EGBGB die Anerkennungsmaterie nur partiell explizit. 687 Siehe auch umgekehrt zur Nichtanerkennung elsaß-lothringischer Gesellschaften durch französische Gerichte, z. B. Tribunal de commerce de la Seine, Urteile vom 28. Mai 1891, 7. Oktober 1891, 4. April 1892, 18. Februar 1893; jeweils abgedruckt in: Clunet 18 (1891), 969 ff. und 1243 f., Clunet 19 (1892), 1026 ff.; Urteile der Cour d’appel de Paris vom 22. Dezember 1892 und 1. Juli 1893, jeweils in: Clunet 20 (1893), 588 ff. und 1205 f.; anders: Tribunal civil de la Seine, in: Clunet 20 (1893), 591 ff. (hier Bejahung der Rechtspersönlichkeit einer deutschen Gesellschaft mithilfe Art. 11 des Frankfurter Friedensvertrages); unklar: Cour de cassation, Urt. v. 12. Juli 1893, Clunet 20 (1893), 1204 f. in einem Rechtsstreit zwischen einer deutschen und einer französischen Gesellschaft, das einerseits klarstellt, dass der vorgebrachte Aufhebungsgrund der mangelnden Rechtsfähigkeit der beklagten Gesellschaft i. S. d. Gesetzes von 1857 in dieser Instanz neu und damit unzulässig sei, andererseits auf die bestehende Rechtsfähigkeit im Heimatort Hamburg hinweist. Zu Gunsten der Anerkennung Hamburger Handelsgesellschaften hatten Frankreich und weitere Hansestädte neben Hamburg im Jahre 1865 einen entsprechenden Vertrag abgeschlossen, vgl. Abdruck der entsprechenden Klausel in: Clunet 22 (1895), 838. 688 Vgl. Stellungnahme des französischen Generalanwalts Desjardins, Fundstelle wie Fn 684, S. 844 mit Nachweisen zur Rechtsprechung deutscher Gerichte aus den Jahren 1887–1892, in denen die Parteifähigkeit französischen Gesellschaften nach ihrem „Personalstatut“ gewährt wurde. S. a. Urteil des OLG Kolmars vom 14. November 1884, Fundstelle wie Fn 689. 689 Die Rechtsprechung des Reichsgerichts, Fundstellen wie Fn 674, scheint das OLG Kolmar zum Umdenken bewegt zu haben: So urteilte das Gericht am 14. Novem-
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Mit Urteil vom 14. Mai 1895 stellte die französische Cour de cassation schließlich fest, dass Art. 11 des Vertrages von Frankfurt in Zusammenhang mit dem französisch-englischen Handelsvertrag bzw. (wiederhergestellten) Staatsverträgen zwischen Frankreich und anderen deutschen Territorien, welche die gegenseitige Anerkennung von Gesellschaften regelten, als Autorisation der elsaßlothringischen Aktiengesellschaften i. S. v. Art. 2 des Gesetzes von 1857 gelten solle.690 Die Anerkennungsproblematik war damit de facto durch den Einfluss des Reichsgerichts auf die Rechtsprechung zur Anerkennung französischer Gesellschaften im Elsaß und ausdrücklich durch das Urteil des obersten französischen Gerichtshofes, welches für elsässer Gesellschaften in Frankreich galt, auch im Verhältnis des deutschen Reichs und Frankreich gelöst. (bb) Die Neuauflage des Anerkennungsstreits zwischen Frankreich und Belgien Bereits angedeutet wurde, dass die Anerkennung von Aktiengesellschaften zwischen den beiden Nachbarländern Frankreich und Belgien im Zuge des Übergangs zum Gründungssystem der Normativbestimmungen erneut zum Problem wurde. Die französische Rechtsprechung, so das Handelsgericht der Seine und die Zivilgerichte erster und zweiter Instanz von Rouen, erkannte einige frei gegründete belgische Gesellschaften unter dem Gesetz von 1857 nicht an.691 Diese Rechtsprechung stieß auch in der französischen Literatur auf erhebliche Kritik. Nach Renault verkenne eine solche starr am Wortlaut des Gesetzes von 1857 hängende Urteilspraxis den Sinn und Zweck des Gesetzes von 1857 vollumfänglich, welches allein dazu diene, im Ursprungsland rechtmäßig – gleich ob unter dem Konzessions- oder Normativbestimmungssystem – gegründete Aktiengesellschaften im Inland als rechts- und parteifähig anzuerkennen.692 Nachdem der Anerkennungs-Fall um die belgische Société anonyme des trains et omnibus schließlich im Jahre 1902 zur französischen Cour de cassation geber 1884, in: Clunet 14 (1887), 347 f., dass die Parteifähigkeit der französischen Aktiengesellschaft Crédit rural trotz angenommener Geltung des Gesetzes von 1857 auf die Art. 3, 14 und 15 des c. civ. sowie Art. 50 ZPO zu stützen sei. Die restriktiven Entscheidungen aus den Jahren 1881–83, Fundstellen wie Fn 674, blieben daher Einzelfälle. 690 Siehe Cour de cassation, Urt. v. 14. Mai 1895, in: Clunet 22 (1895), 845 mit vorheriger Stellungnahme des Generalanwalts Desjardins (S. 836 ff.). Die unterinstanzlichen Gerichte folgten sodann der Rechtsprechung des obersten französischen Gerichtshofs, s. etwa Urteil der Cour d’appel von Rouen vom 22. Juli 1896, in: Clunet 24 (1897), 366 ff. 691 Trib. Com. de la Seine, Urt. v. 14. Oktober 1879, Quelle wie Fn 633; Trib. Civ. de Rouen, Urt. v. 23. März 1897, bestätigt in nächster Instanz durch die Cour d’appel de Rouen, Urt. v. 4. Mai 1898, in: Clunet 26 (1899), 836 ff. und 840 ff. 692 Renault, Journal des sociétés 1 (1880), 152, 156 ff.
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langt war, stellte diese auch höchstrichterlich die Fortgeltung und Anwendung des Gesetzes von 1857 auf jegliche rechtmäßig gegründete Aktiengesellschaften klar.693 Bemerkenswert ist, dass der neue Konflikt um die Anerkennung fremder Aktiengesellschaften diesmal von Frankreich ausging. Abgestellt wurde auf das Argument, dass das belgische Aktiengesellschaftsrecht weniger strenge Gründungsanforderungen stelle als das französische und daher belgische Gesellschaften, die in Frankreich tätig wurden, ungerechtfertigterweise bessergestellt würden. Zum einen ist aber festzustellen, dass Frankreich mit der Liberalisierung des Aktienrechts 1867 selbst Belgien eine Vorlage zur Überarbeitung dessen Kapitalgesellschaftsrechts geliefert hatte. Zum anderen ergab eine unbefangene rechtsvergleichende Beschäftigung des französischen Doktoranden Lescoeur im Jahre 1877, dass das belgische Gesellschaftsrecht von 1873 dem französischen sogar überlegen sei und damit die Vorschriften betreffend die société anonyme nicht per se als zu lasch einzustufen waren.694 Damit relativieren sich die vom französischen Juristen Thaller aufgebauschten nationalen Gefahren durch die Anerkennung belgischer nach dem Gesellschaftsrecht von 1873 gegründeter Aktiengesellschaften.695 In Belgien selbst hatte dagegen eine liberale Anerkennungspraxis Einzug gehalten: Die belgische Rechtsprechung erkannte nicht nur frei gegründete französische Aktiengesellschaften mit Blick auf Sinn und Zweck des Gesetzes von 1855 ohne weiteres an696, vielmehr war der belgische Gesetzgeber im Zuge des Übergangs zum Gründungssystem der Normativbestimmungen bei nationalen Aktiengesellschaften 1873 zum System der automatischen Anerkennung fremder Aktiengesellschaften übergegangen.697 693 Cour de cassation, Urt. v. 28. April 1902, abgedruckt in: Clunet 29 (1902), 844 sowie Dalloz 1902.1.284 (Stellungnahme von Generalstaatsanwalt Baudoin auf S. 281– 284, Urteil auf S. 284), welches bezüglich Wortlaut und Telos des Gesetzes von 1857 konstatiert: «Mais que ce texte n’a pas entendu exclure les Sociétés qu’une législation nouvelle permettrait de constituer sous d’autres conditions que celle de l’autorisation. » 694 S. Lescoeur (1877), Nr. 431, S. 307, der das belgische Gesellschaftsrecht von 1873 als eines der besten damaligen Gesellschaftsrechte in Europa lobt. Der Autor weist auch auf belgische Normen des Aktienrechts hin, die strenger sind als die französischen Vorschriften, s. ders., Nr. 420 f., S. 303. 695 Vgl. hierzu oben das in Fn 645 nachgewiesene Zitat eines Aufsatzes von Thaller. 696 Urteil der Cour de Bruxelles vom 14. Januar 1875, Abdruck in: Sirey 1881.2.169 (S. 171, dort Fußnote b)); Kurzcharakterisierung in: Clunet 8 (1881), 101 f. und bei Castier (1884), S. 267 f. 697 Art. 128 des Gesetzes vom 18. Mai 1873 löste das Anerkennungsgesetz von 1855 ab und verzichtete auf das Kriterium der Reziproziät. Der Wortlaut der Norm, s. Pasinomie, 4. Serie, Bd. 8 (1873), S. 164, lautete wie folgt: Les sociétés anonymes et les autres associations commerciales, industrielles ou financières constituées et ayant leur siège en pays étranger pourront faire leurs opérations et ester en justice en Belgique. In Trib. Com. de Bruxelles, Urt. v. 15. März 1879, Clunet 8 (1881), 101, wird zur Bedeu-
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cc) Konsequenz: Vorbehaltlose Anerkennung frei gegründeter Aktiengesellschaften? Somit hatte sich in dem Auslegungsstreit um das Gesetz von 1857 auf französischer Seite der „Mittelweg“ durchgesetzt, da dies den heimischen Handelsinteressen am besten entsprach; in Elsaß-Lothringen, welches seinerzeit dem Deutschen Reich unterstand, hatte man sich ebenfalls aus ökonomischen Gründen (ohne weitere Diskussion) zunächst für die unterschiedslose Fortgeltung des Gesetzes von 1857 entschieden, im Ergebnis aber dann doch französische Aktiengesellschaften vor den heimischen Gerichten zugelassen. Der internationale Handelsverkehr zwang jeweils zu einer flexiblen Interpretation des Gesetzes von 1857 – in Frankreich bezüglich der Auslegung des Sinn und Zwecks der Vorschrift entgegen des eindeutigen Wortlauts und in Elsaß-Lothringen bezüglich der Reichweite dieser Vorschrift, der man als staatspolizeiliches Gesetz nur die Verhinderung der Geschäftstätigkeit fremder Gesellschaften, nicht aber die Rechtswirkung einer Beseitigung der Rechts- und Parteifähigkeit dieser Gesellschaften zusprach. Erst ab dem Ende des 19. Jahrhunderts setzte sich in Frankreich allmählich die Erkenntnis durch, dass dem Gesetz von 1857 primär ein gewerberechtlicher Charakter zuzuschreiben war, dessen (theoretische) Ziele auch ohne die Versagung der Rechts-, Partei- und Geschäftsfähigkeit der Gesellschaft verfolgt werden konnten: «(. . .) c’est une erreur de défendre à certaines sociétés étrangères, comme le fait notre loi du 30 mai 1857, non seulement de se livrer à leurs opérations en France, mais même d’y ester en justice à l’occasion des actes qu’elles ont valablement passés ailleurs.»698 Lagen demgegenüber die nötigen Voraussetzungen des Gesetzes von 1857 für die Anerkennung fremder Gesellschaften vor, so hätten diese folglich die bedingungslose Anerkennung ihrer im Ausland erworbenen Rechtsfähigkeit verdient. Tatsächlich forderte die Judikatur aber ein zusätzliches, tatsächliches Erfordernis für die Anerkennung ein: den (tatsächlichen) Sitz der Gesellschaft im Gründungsstaat. Bevor diese Zusatzvoraussetzung der Anerkennung unter verschiedenen Gesichtspunkten analysiert wird,699 soll zuvor aber der Blick auf die Entwicklung der Anerkennungsfrage in Deutschland in Zusammenspiel mit dem dortigen Handels- und Gesellschaftsrecht gelenkt werden und Parallelen bzw. Differenzen zur Geschichte der Anerkennung in Frankreich und Belgien herausgearbeitet werden.
tung der Norm festgehalten: «Cette disposition a en vue les sociétés valablement constituées et, quand une société étrangère se présente pour exercer ses droits en Belgique, il est permis de discuter son existence et sa capacité d’après la loi du pays de sa constitution. Si donc les formalités substantielles exigées par cette loi n’ont pas été observées, la société est non recevable à agir en Belgique.» 698 Lainé, Clunet 20 (1893), 273, 309. 699 Hierzu ausführlich: Gliederungspunkt B. II. 1.
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3. Die Entwicklung der Anerkennung in Deutschland In Deutschland stand nach Aussage der zeitgenössischen Autoren die automatische Anerkennung von Vornherein als selbstverständlich fest.700 Die rechtlichen Rahmenbedingungen des nationalen Aktienrechts und des Kollisionsrechts, die dieser Ansicht zugrunde liegen, sollen im folgenden Abschnitt einer Untersuchung unterzogen werden. a) Die Entwicklung des „deutschen“ Aktienrechts bis 1861 aa) Vorläufer von Aktiengesellschaften in Deutschland unter dem Octroi-System Auch für die deutschen Lande lohnt es sich ab dem 17. Jahrhundert, einen Blick auf die Entwicklung der Aktiengesellschaft und deren rechtliche Einordnung zu werfen. Im Gegensatz zu Frankreich gab es im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation keine allgemeingültige Regelung des Handelsrechts wie den Code Savary für alle deutschen Staaten. Die einzelnen Territorien hatten jeweils ihre eigene Handelsgesetzgebung, bezüglich der Handelsgesellschaften vor allem in den Stadt- bzw. Landrechten, zumal es kaum reichsrechtliche Grundlagen in diesem Bereich gab.701 Aktiengesellschaftsrechtliche Regelungen gab es in den Partikularrechten bis ins 19. Jahrhundert hinein aber nicht, obwohl dem Vorbild der englischen, holländischen und französischen Kolonialhandelsgesellschaften nachgebildete Compagnien entstanden.702 Ebenso wie in den genannten europäischen Ländern galt auch für die deutschen Kolonialhandelsgesellschaften das Octroi-System, d.h. für jede Gesellschaft gab es ein eigenes Gesetz, welches ihre Verwaltung regelte.703 Diese privilegierten Gesellschaften, die auf Kapitalbeiträgen von Anlegern basierten, bildeten sich auf deutschem Gebiet erst verhältnismäßig spät, was sich mit der für den Seehandel geografisch ungünstigen Lage der einflussreichsten Reichsstände wie Bayern und Sachsen, dem mangelnden Einfluss der Reichsgewalt, den Wirren des dreißigjährigen Krieges und dem Mißtrauen der Handelsleute sowie der Personenhandelsgesellschaften in den Hansestädten gegen die privilegierte Konkurrenz erklären lässt.704 Ab dem Ende 700 Siehe hierzu im Folgenden die unter Gliederungspunkt B. I. 3. c) bb) analysierten Quellen. 701 Vgl. hierzu Lammel, in: Coing (Hg.), Handbuch, Bd. 2/2 (1976), S. 622, 625, 627, 664 f. 702 Das allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten (ALR) enthielt zwar wenige Regelungen über Aktien, nicht aber über die Rechtsverhältnisse der Aktiengesellschaft als solche, s. Pohlmann (2007), Aktienrecht, S. 36. 703 S. Lammel, in: Coing (Hg.), Handbuch, Bd. 2/2 (1976), S. 622, 669; Großfeld (1968), S. 115 f. Durch den „Octroi“ erlangte die Gesellschaft Rechtsfähigkeit und die Erlaubnis zur Betätigung in gewerberechtlicher Hinsicht, s. K. Lehmann (1895), S. 83 und Gmür, in: FS Westermann (1974), S. 167, 182, 184 f. 704 So Gmür, in: FS Westermann (1974), S. 167, 172 f. m.w. N.
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des 17. Jahrhunderts und im Verlaufe des 18. Jahrhunderts wollte man aber vor allem in Brandenburg-Preußen vom Überseehandel profitieren, weshalb der Kurfürst von Brandenburg 1682 ein Octroi erließ, das die Brandenburgisch-Afrikanische Compagnie für den Handel nach Guinea ins Leben rief.705 In dieser Zeit wurden vor allem in Brandenburg-Preußen einige Handelsgesellschaften mit Hilfe eines hoheitlichen Octrois gebildet, die besondere Vorrechte genossen, da deren Tätigkeiten aus herrschaftlicher Sicht besonders forderungswürdig, sprich dem nationalen Reichtum zuträglich, erschienen.706 Auch in Deutschland waren die ersten kapitalgesellschaftlich strukturierten Gesellschaften eng mit staatlich verfolgten Zwecken verwoben und hatten somit v. a. öffentlich-rechtlichen Charakter.707 Als private Unternehmensform nahm man die Kapitalgesellschaft überwiegend erst im 19. Jahrhundert wahr.708 bb) Einführung des Konzessionserfordernisses nach französischem Vorbild Auch nach dem Niedergang des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation zu Beginn des 19. Jahrhunderts blieb Deutschland aufgrund der territorialen Zersplitterung bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts hinein eine Rechtseinheit auf der Ebene des Handelsrechts verwehrt. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts, d.h. erst nach Einführung des französischen code de commerce, wurden in den einzelnen deutschen Staaten erste Aktiengesetze erlassen.709 Zum einen nahm man sich 705 Ursprünglich hatte der Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg das Ziel mit Hilfe entsprechender Gesellschaften eigene Kolonien zu gründen. Hierzu und zum weiteren Schicksal der Brandenburgisch-Afrikanischen Compagnie näher Gmür, Fundstelle wie Fn 704, S. 167, 172 ff. m.w. N. 706 Hierzu zählen etwa die Herings-, die Getreidehandelkompagnie und die Seehandlungsgesellschaft von 1769, 1770 und 1772. S. hierzu Lammel, in: Coing (Hg.), Handbuch, Bd. 2/2 (1976), S. 622, 670 f.; Gmür, in: FS Westermann (1974), S. 167, 177 ff.; Schmoller, in: Jahrbuch für Gesetzgebung 17 (1893), S. 959, 983. Vgl. zum kurzzeitigen Wiederaufleben der Kolonialhandelsgesellschaft unter Bismarck Ende des 19. Jahrhunderts Wagner, in: Coing (Hg.), Handbuch, Bd. 3/3 (1986), S. 2969, 2998 f. 707 Siehe hierzu die zusammenfassende Einordnung von Söhnchen (2005), S. 109 ff., m.w. N., der die Gründung der brandenburgisch-preußischen Handelskompagnien auf Grundlage des gemeinen Rechts v. a. unter Berufung auf den Handelsrechtler des 17. Jahrhunderts Marquardt dem Rechtsinstitut des „collegiums“ als Unterart der „universitas“ zuordnet. Vgl. allgemein zur Abgrenzung der römisch-rechtlichen Institute von „societas“ und „universitas“ bereits oben, Gliederungspunkt B. I. 2. b) aa) (1). 708 Anders in Sachsen: Dort wurde bereits 1767 in Dresden eine chemische Fabrik errichtet, die als rein private Aktiengesellschaft eingeordnet wird, vgl. Baums-Stammberger (1980), S. 48, dort Fußnote 1. Martin, VSWG 56 (1969), 499, 500, nennt die Privilegirte Breslauer Zucker-Raffinerie von 1770 als erste private Aktiengesellschaft Preußens; Großfeld sieht die Berlinische Feuer-Versicherungs-Anstalt aus dem Jahre 1812 als „erste größere rein privatrechtlich strukturierte Aktiengesellschaft“ Preußens an. Vgl. allgemein zur Statutenpraxis dieser Gesellschaften in und außerhalb Preußens bis zum preußischen Aktiengesetz, Schubel (2003), S. 97 ff. 709 Dies war i. d. R. der Fall, soweit in den Gebieten auch nach dem Zusammenbruch der napoleonischen Herrschaft nicht ohnehin der französische code de commerce galt,
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ein Beispiel an der französischen Gesetzgebung, zum anderen machte die zunehmende Industrialisierung, in Deutschland insbesondere durch den Eisenbahnbau und die Gründung von Versicherungsgesellschaften, den Einsatz einer kapitalgesellschaftlichen Organisationsstruktur notwendig.710 Im Folgenden sollen die für das deutsche Gebiet politisch bzw. wirtschaftlich bedeutendsten Territorien mit ihrer Aktienrechtgesetzgebung herausgegriffen werden, die die Entwicklung des Handelsrechts in Deutschland bis zur Einführung des HGB prägten.711 (1) Preußisches Handelsrecht Die Entwicklung des Aktienrechts des Königreichs Preußen hatte maßgeblichen Einfluss auf die spätere (gesamt-)deutsche Rechtsmaterie der Aktiengesellschaft. Daher ist ein Blick auf die dortige Rechtslage im 19. Jahrhundert zu werfen. (a) Die Rechtslage im allgemeinen Landrecht für die preußischen Staaten Während sich die Machthaber bei der Bildung der ersten Kolonialhandelsgesellschaften noch überwiegend an den Grundsätzen des gemeinen (römischen) Rechts orientierten, mussten seit 1794 die einschlägigen gesellschaftsrechtlichen Normen des Allgemeinen Landrechts für die preußischen Staaten (ALR) bezüglich Gründung und Organisationsverfassung einer Gesellschaft beachtet werden.712 Das ALR nahm die vorgefundenen Grundformen der societas und universitas aber modifiziert auf. Die auf einen Erwerbszweck abzielenden Gesellschaftstypen wurden als Gemeinschaft zur Erreichung eines einheitlichen Zweckes angesehen, die nach außen zwar als organisatorische Einheit auftrat, aber grds. kein selbstständiges Rechtssubjekt im Außenverhältnis gegenüber Dritten formte.713 Lediglich den Corporationen und Gemeinen gestand man als notwendige und nützliche Mitglieder des Staates den Status einer Rechtsperson wie z. B. in der preußischen Rheinprovinz, in Rheinhessen und in Baden („Badisches Landrecht“). 710 Vgl. hierzu vertiefend einerseits Coing, Ius Commune 7 (1978), 160, 169, 172, andererseits Kießling, in: Bayer/Habersack (Hg.), Bd. 1 (2007), S. 98, 123–125 sowie S. 126, 130 f. 711 Vgl. zu Bestrebungen der Normierung des Aktienrechts vor Einführung des ADHGB in den einzelnen deutschen Territorien Pohlmann (2007), Aktienrecht, S. 34 ff.; Bergfeld, in: Bayer/Habersack (Hg.), Bd. 1 (2007), S. 168 ff. 712 Das ALR wurde 1794 unter Aufhebung des Gemeinen Rechts und des Gewohnheitsrechts in Kraft gesetzt. Zwar sollte es ursprünglich nur subsidiär gegenüber angestrebten Provinzialgesetzbüchern gelten. Da diese aber größtenteils nie erlassen wurden, war die praktische Bedeutung des ALR immens. 713 Vgl. ALR I 17 §§ 169 ff. zu den Sozietäten und ALR II 8 §§ 614–683 zu ihren besonderen Ausprägungen als Handlungsgesellschaften. Wegen ALR II 6 § 16 durften Korporationsrechte nur ausnahmsweise an Gesellschaften verliehen werden, die auf eine wirtschaftliche Tätigkeit abzielten.
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zu.714 Zwar konnte im Einzelfall einer Privatgesellschaft durch den Staat Rechtsfähigkeit verliehen werden, doch musste die Vereinigung mehrerer staatlicher Mitglieder hierfür einen „fortwährenden gemeinnützigen Zweck“ erfüllen.715 Erkannte also der Staat die Gemeinnützigkeit bei einer auf Gewinnerzielungsabsicht gemünzten Gesellschaft nicht an und stattete er diese daher nicht mit Privilegien aus, so konnte diese höchstens als nach außen nicht rechtsfähige, erlaubte Privatgesellschaft gelten.716 Die gesetzlichen Grundlagen des ALR sahen damit keine „vorgefertigte“ Gesellschaftsform der Aktiengesellschaft vor. Der Staat behalf sich, indem er das gesetzlich vorgesehene Kriterium der „Gemeinnützigkeit“ sehr großzügig auslegte und somit (privaten) Gesellschaften, die er im Sinne seiner merkantilistischen Wirtschaftspolitik für wünschenswert hielt, eigene Rechtssubjektivität und auf das Gesellschaftsvermögen begrenzte Haftbarkeit durch Privileg verlieh.717 Nicht privilegierte Gesellschaften wurden dagegen (im Außenverhältnis) wie Sozietäten behandelt, was zur Folge hatte, dass diese keine Rechte – wie z. B. Eigentum – im eigenen Namen erwerben konnten, sondern die Aktionäre etwa gesamthänderisches Eigentum erwarben, obwohl eine Aktiengesellschaft gerade auf den häufigen Mitgliederwechsel angelegt ist.718 Der „Vorstand“ konnte nur durch Bevollmächtigung aller Mitglieder tätig werden und durch sein Handeln alle Aktionäre für die Gesellschaftsschuld persönlich und unbeschränkt verpflichten.719 Auch war die Führung von Prozessen ohne eigene juristische Persönlichkeit der Gesellschaft kaum durchführbar.720 Gerade diese 714
Vgl. ALR II 6 §§ 81 f.; näher hierzu Pohlmann (2007), Entstehung, S. 28 f.,
89 ff. 715 Vgl. ALR II 6 § 25. Die nach ALR II 6 § 2 sog. „erlaubten Privatgesellschaften“, waren im Innenverhältnis körperschaftlich organisiert, doch wurde ihnen im Außenverhältnis grds. keine Rechtsfähigkeit zuteil, vgl. ALR II 6 §§ 13 f. 716 Vgl. ALR II 6 § 22 f. Die Abgrenzung zwischen erlaubten Privatgesellschaften und Sozietäten bzw. Handlungsgesellschaften vollzog sich in erster Linie nach der Gewinnerzielungsabsicht, also dem Überwiegen erwerbswirtschaftlicher Zwecke, vgl. hierzu (kritisch) Rosin, Beiträge zur Erläuterung des deutschen Rechts 27 (1883), 110, 145 f. 717 Vgl. hierzu Martin, VSWG 56 (1969), 499, 527 ff., der feststellt, dass es in der Frühphase des 19. Jahrhunderts eine liberale und weitgehende Politik der Privilegierung mit Korporationsrechten gab, welche sich jedoch zu Beginn der 30er Jahre ins Gegenteil verkehrte und nach einer Neuorientierung am Ende der Dekade schließlich zum Entwurf des Aktiengesetzes von 1843 führte. S. a. Rauch, ZRG Germ. 69 (1952), 239, 274 f., 278, der darauf hinweist, dass die „Gemeinnützigkeit“ kein rechtlich zwingendes Tatbestandsmerkmal von ALR II 6 § 25 war, sondern nur als ein die entsprechende Privilegierung rechtfertigendes Motiv angesehen wurde. 718 Siehe ALR II 6 § 12, II 6 § 17 sowie ALR I 17 § 1 und I 17 § 198. 719 ALR I 13 §§ 98 ff., I 17 § 239, I 17 § 301, II 8 § 614 und II 6 § 12. Näher auch Rosin, Fundstelle wie Fn 716, 110, 130, 133 ff., insbes. S. 138 ff.: Bei Unterwerfung unter die Sozietätsvorschriften kam allein eine solidarische Haftung der Gesellschafter in Betracht; bei Einordnung als erlaubte Privatgesellschaft war strittig, ob sogleich eine gesamtschuldnerische Haftung der Mitglieder oder eine abgestufte Haftung (zunächst auf das Gesellschaftsvermögen als solches, dann auf das Privatvermögen der Mitglieder pro rata) angezeigt war.
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für eine Aktiengesellschaft nicht tragbaren Nachteile führten schließlich zum Erlass des preußischen Aktiengesetzes von 1843.721 (b) Preußische Aktiengesetze Erste Bestrebungen zur Kodifikation der Aktiengesellschaft in Deutschland finden sich in Sachsen in einem Entwurf von 1836/37, der jedoch aufgrund von Streitigkeiten zu organisationsverfassungsrechtlichen Fragen nicht Gesetz wurde.722 In Preußen erließ man hingegen 1838 das preußische Eisenbahngesetz, das das Recht der Eisenbahnaktiengesellschaften und deren Konzessionserfordernis erfasste.723 Im Gegensatz zur Börsenspekulation im Allgemeinen förderte der Staat nicht nur die Errichtung von Eisenbahnaktiengesellschaften, sondern auch den Erwerb von Inhaberpapieren durch das Publikum.724 Wie schon der französische Staat einige Jahrzehnte zuvor, so differenzierte auch die preußische Regierung zwischen „nützlichen“ und „schädlichen“ Aktiengesellschaften.725 Am 29. November 1843 erfolgte schließlich die Normierung des Rechts aller Aktiengesellschaften im preußischen Aktiengesetz.726 § 1 des Gesetzes bestimmte die Konzessionspflicht für die Gründung einer Aktiengesellschaft;727 § 8 normierte deren Rechtswirkung: 720
Schumacher (1937), S. 31. Vgl. Entwurf der Kommission für die Revision des Handelsrechts, mit Motiven, bei Baums (1981), S. 47, 58 f.; s. a. Schumacher (1937), S. 30 zu weiteren Nachteilen. 722 Sächsischer Entwurf, die Actienvereine betreffend, von 1836/37, abgedruckt bei Baums-Stammberger (1980), S. 121 ff., die den Entwurf auf S. 54 ff. ausführlich würdigt; zusammenfassend Pohlmann (2007), Aktienrecht, S. 34 f., 39 m.w. N. Der sächsische Entwurf floß wiederum in das Preußische Aktienrecht von 1843 ein, vgl. den Nachweis bei Baums-Stammberger (1980), S. 88, dort Fußnote 4. 723 Art. 1 und Art. 3 S. 1, 3 des Eisenbahngesetzes regelten das Konzessionserfordernis, durch welches den Gesellschaften „die Rechte einer Korporation oder anonymen Gesellschaft“ zuteil worden. Vgl. zu Entstehungsgeschichte, (weiteren) Regelungsgehalt und Kritik dieses Gesetzes Kießling, in: Bayer/Habersack (Hg.), Bd. 1 (2007), S. 126 ff. und S. 193, 197 ff. 724 1840 hatte die preußische Regierung mittels Verordnung einerseits den Terminhandel mit ausländischen Aktien verboten, vgl. Preußische Gesetz-Sammlung 1840, S. 123. Andererseits wurden Eisenbahngesellschaften bestimmte Privilegien zuteil, wie das Recht zur Enteignung, vgl. Pöhls (1842), S. 111 ff. Zudem gab der Staat 1842 Zinsgarantien für private Anleger aus und erklärte diese protektionierten Aktienanlagen 1843 für mündelsicher, vgl. Preußische Gesetz-Sammlung 1842, S. 307 und 1844, S. 45. Vgl. allgemein zur Praxis der Konzessionsvergabe in Preußen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Bösselmann (1939), S. 67 ff.; Hopt, in: Coing/Wilhelm, Bd. 5 (1980), S. 128, 134 ff. 725 Vgl. Gliederungspunkt B. I. 2. b) aa) (2) (c). 726 Näher zu Genese und Inhalt Martin, VSWG 56 (1969), 499 ff., Rauch, ZRG Germ. 69 (1952), 239, 280 ff.; Kießling, in: Bayer/Habersack (Hg.), Bd. 1 (2007), S. 193 ff.; Söhnchen (2005), S. 155–170. 727 Vgl. Gesetz-Sammlung für die königlichen preußischen Staaten 1843, Nr. 31, S. 341 ff. § 1 des Gesetz über die Aktiengesellschaften bestimmt: Aktiengesellschaften 721
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Aktiengesellschaften erlangen durch die landesherrliche Genehmigung die Eigenschaft juristischer Personen, und insbesondere das Recht, Grundstücke und Kapitalien auf ihren Namen zu erwerben und in das Hypothekenbuch eintragen zu lassen.728 Gemäß dem Gesetzeswortlaut selbst erfolgte die Konzessionserteilung nicht nur zeitlich unbeschränkt, sondern die Gesellschaft musste auch nicht – wie es die Bestimmungen des ALR vorsahen – einen gemeinwohlförderlichen Zweck verfolgen.729 Doch dieser freiheitliche Schein trügt, denn nur kurze Zeit nach dem Inkrafttreten des Preußischen Aktiengesetzes kehrte man zu der Tradition des ALR zurück.730 Die Ministerialverwaltung erließ 1845 eine Zirkularverfügung, die gegenüber den Verwaltungsbehörden bestimmte: „(. . .) Der Antrag auf Genehmigung der Errichtung einer Aktiengesellschaft ist überhaupt nur dann zur Berücksichtigung geeignet, wenn der Zweck des Unternehmens 1) an sich aus allgemeinen Gesichtspunkten nützlich und der Beförderung werth erscheint und zugleich 2) wegen der Höhe des erforderlichen Kapitals oder nach der Natur des Unternehmens selbst das Zusammenwirken einer größeren Anzahl von Theilnehmern bedingt, oder doch auf diesem Wege eher und sicherer als durch Unternehmungen Einzelner zu erreichen ist (. . .).“ 731 Der Inhalt der Verwaltungsanweisung macht klar, dass die gegenüber den herkömmlichen Personengesellschaften privilegierte Rechtsform der Kapitalgesellschaft nur dann eingesetzt werden durfte, wenn die öffentliche Wohlfahrt daraus einen Nutzen zog, somit also nicht nur einzelne rein private Interessen durchgesetzt werden sollten.732 Zugleich betonte man, wie sorgfältig mit der Konzesmit den im gegenwärtigen Gesetze bestimmten Rechten und Pflichten können nur mit landesherrlicher Genehmigung errichtet werden. Der Gesellschaftsvertrag (das Statut) ist zur landesherrlichen Bestätigung vorzulegen. 728 Gesetz-Sammlung für die königlichen preußischen Staaten 1843, Nr. 31, S. 343. 729 Protokolle der Sitzungen des königlichen Staatsrats aus dem Jahre 1843, in: Baums (1981), S. 169 ff., 188 f. 730 Hierbei handelt es sich nicht etwa um einen Kurswechsel, sondern politisches Kalkül bereits bei der Entstehung des Aktiengesetzes von 1843: Eine Regelung der Konzessionsbedingungen in Verwaltungsanweisungen hielt man für klüger, denn diese könnten „jederzeit ohne Schwierigkeit ergänzt, modifiziert und geändert werden“, vgl. 44. Sitzung des Staatsrates am 17. Juni 1843, in: Baums (1981), S. 173, 180. 731 Preußische Instruktion, die Grundsätze der Konzessionierung von Aktiengesellschaften betreffend vom 22. April 1845, in: Ministerial-Blatt für die gesammte innere Verwaltung in den Königlich Preußischen Staaten, Bd. 6, 1845, S. 121 (auch in: Weinhagen (1866), Anhang, S. 41–43) Vgl. auch Söhnchen (2005), S. 170 und Baums (1981), S. 35. 732 Die Instruktion, Fundstelle wie Fn 731, fährt fort, dass Aktiengesellschaften „einen Industrie- oder Geschäftszweig, dessen Aneignung und Verbreitung im allgemeinen Interesse wünschenswerth ist“ besetzen sollen. Dieser Grundsatz wird in einer weiteren Instruktion vom 7. Juli 1856, abgedruckt in: Weinhagen (1866), Anhang, S. 89, nochmals aufgenommen. Nach einer preußischen Verwaltungsinstruktion von 1856 konnte die Konzessionserteilung auch davon abhängen, ob die Gesellschaft Beiträge zu ge-
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sionserteilung für die Rechtsform der Aktiengesellschaft zu verfahren sei, da diese nur dann von den Behörden erteilt werden sollte, wenn das geplante Ziel – beispielsweise wegen des immensen Kapitalbedarfs – nicht mittels einer Einzelunternehmung oder einer Personengesellschaft bewältigt werden konnte. Es zeigt sich folglich mittelbar ein gewisser Kontrollmechanismus in der Konzessionserteilung im Hinblick auf private Interessenverfolgung durch die Aktiengesellschaft sowie die damit verbundenen Risiken für Aktionäre und Vertragspartner, kurz die gesamte Volkswirtschaft. (2) Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch von 1861 Aus den Beratungen der sog. „Nürnberger Konferenz“ trat 1861 das Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch (ADHGB 1861) hervor.733 Das ADHGB wurde nach drei Lesungen der Bundesversammlung überreicht, welche mittels Beschluss am 31.5.1861 den einzelnen deutschen Ländern seine Einführung empfahl.734 Die meisten Partikularstaaten kamen dem nach, weshalb materiell ein einheitliches Handelsrecht in ganz Deutschland entstand, welches formell aber Landesrecht der Partikularstaaten darstellte.735 Somit wurde erstmals das Recht der Aktiengesellschaften, die ein Handelsgewerbe betrieben, auf deutschem Boden (weitestgehend) einheitlich geregelt.736 Art. 207 I ADHGB definierte die Aktiengesellschaft als Handelsgesellschaft, bei der sich sämtliche Gesellschafter nur mit Einlagen beteiligen, ohne persönlich für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft zu haften.737 Neben dem grundsätzlichen Erfordernis der staatlichen Konzession nach Art. 208 I ADHGB sah Art. 211 I ADHGB vor, dass die Aktiengesellschaft vor erfolgter Genehmigung und Eintragung in das Handelsregister als solche nicht besteht.738 In Art. 213 I ADHGB wurden die meinnützigen Zwecken, z. B. für Kirchen oder Schulen, leistete; Abdruck in: Weinhagen (1866), Anhang, S. 88, dort Nr. 54. 733 Eine Darstellung von Entstehungsgeschichte, Inhalt und Kritik findet sich aus zeitgenössischer Sicht bei Goldschmidt, ZHR 5 (1862), 204–227, 515–584 und aus heutiger Sicht bei Pahlow, in: Bayer/Habersack (Hg.), Bd. 1 (2007), S. 237–287 sowie Bergfeld und Wagner, jeweils in: Coing (Hg.), Handbuch, Bd. 3/3 (1986), S. 2948 ff. bzw. S. 2969, 3007 f. 734 S. hierzu Pohlmann (2007), Aktienrecht, S. 42 f. und Schubel (2003), S. 175. Die Entwürfe des ADHGB nach der 1. und 2. Lesung finden sich in: Lutz, Beilagenbd. 1 (1861); die endgültige Fassung nach der 3. Lesung in: Lutz, Beilagenbd. 2 (1861). 735 Eine Gesetzgebungskompetenz des Reiches auf dem Gebiet des Handelsrechts fehlte, weshalb die damals 31 Einzelstaaten zur Vereinheitlichung und Vereinfachung des Handelsrechts selbst Initiative ergreifen mussten. Die Einführungsgesetze der Partikularstaaten sind abgedruckt in: Lutz, Beilagenbd. 3 (1867). 736 Es waren aber Abweichungen möglich, insbesondere was das Konzessionserfordernis der Aktiengesellschaft betraf, vgl. Art. 249 ADHGB, Abdruck in: Lutz, Beilagenbd. 2 (1861), S. 49. 737 Abdruck in: Lutz, Beilagenbd. 2 (1861), S. 39. 738 S. Lutz, Beilagenbd. 2 (1861), S. 39, 41.
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Befugnisse und die Rechtsnatur der juristischen Person näher bestimmt, ohne jedoch vom Begriff der juristischen Persönlichkeit zu sprechen: Die Aktiengesellschaft als solche hat selbstständig ihre Rechte und Pflichten; sie kann Eigenthum und andere dingliche Rechte an Grundstücken erwerben; sie kann vor Gericht klagen und verklagt werden.739 Die Frage, ob die Väter des ADHGB die Aktiengesellschaft damit als „echte juristische Person“ anerkannten oder diese noch als privilegierte Form der Personengesellschaft in Anlehnung an die societas betrachteten, ist bis heute nicht vollständig geklärt.740 Im Rahmen der Untersuchung des ADHGB von 1861 ist vor allem dessen Entstehungsgeschichte interessant, die von Lutz protokolliert worden ist.741 Die Beratungen zum ADHGB wurden auf Grundlage eines preußischen Gesetzentwurfs von 1857 aufgenommen, der in Art. 181 das Erfordernis einer staatlichen Genehmigung der Aktiengesellschaft regelte.742 Zwischen den Abgeordneten stellte sich aber eine Diskussion um die Beibehaltung des Konzessionssystems für Aktiengesellschaften ein, nachdem die Abgeordneten aus Hamburg auf die Streichung des Konzessionserfordernisses bzw. zumindest auf ein partikularstaatliches Recht zum entsprechenden Verzicht gedrängt hatten.743 Am Ende der Debatte einigte man sich darauf, den Grundsatz des Genehmigungserfordernisses beizubehalten, den Einzelstaaten aber eine abweichende Regelungsmöglichkeit zu gestatten.744 Durch diese Ausnahmeregelung war der Weg für das neue Gründungssystem der Normativbestimmungen geöffnet.745 (3) Motive für die Anwendung des Konzessionserfordernisses in Deutschland Einen Einblick in die Motive für die gesetzliche Einführung bzw. den Wunsch nach Aufrechterhaltung des Konzessionserfordernisses gewähren die Beratungen 739
S. Lutz, Beilagenbd. 2 (1861), S. 41. Vgl. hierzu unten Gliederungspunkt B. I. 3. a) bb) (3) (a). 741 Lutz, Protokolle, Bd. 1–9 sowie Beilagenbde. 1–3 (1858–1867). 742 Der Entwurf ist abgedruckt bei Lutz, Beilagenbd. 1 (1861), S. 1–68. Art. 181 I bestimmte: Aktiengesellschaften können nur mit landesherrlicher Genehmigung errichtet werden. Daneben lag der Kommission auch ein revidierter Entwurf Österreichs vor, dem gegenüber aber der preußische Entwurf vorgezogen wurde, vgl. zu den Gründen Pahlow, in: Bayer/Habersack (Hg.), Bd. 1 (2007), S. 237, 250. 743 Lutz, Protokolle, Bd. 1 (1858), S. 314. 744 Lutz, Protokolle, Bd. 1 (1858), S. 315. Als Grund für die Normierung des Konzessionserfordernisses i. S.e. Regel-Ausnahme-Prinzips führte man an, dass die bisherigen aktienrechtlichen Normen des Entwurfs gerade auf die Geltung des Genehmigungserfordernisses abgestimmt seien. 745 Diejenigen Aktiengesellschaften, die sich gemäß ihrer Landesrechte ohne Konzession konstituieren durften, mussten sich im Übrigen grds. an die Bestimmungen des ADHGB halten, vgl. Lutz, Protokolle, Bd. 3 (1858), S. 1074 ff. 740
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zum preußischen Aktienrecht von 1843 sowie die Nürnberger Beratungen zum ADHGB von 1857. Darüber hinaus wurde die Notwendigkeit einer staatlichen Genehmigung auch von der Rechtswissenschaft erörtert. Die angeführten Gründe für das Konzessionserfordernis werden nachfolgend im Einzelnen aufgezeigt. (a) Rechtsdogmatischer Hintergrund Auch für Deutschland muss die Frage behandelt werden, ob die Konzession zwingendes dogmatisches Erfordernis für die Entstehung der Aktiengesellschaft als juristische Person war. Hierbei erscheint es sinnvoll, die zeitgenössische Ansicht anhand der skizzierten handelsrechtlichen Gesetzgebung nachzuvollziehen. (aa) Einordnung der Aktiengesellschaft vor dem ADHGB, insbesondere im preußischen Aktiengesetz von 1843 Zum einen könnte man geneigt sein, das Konzessionserfordernis im preußischen Aktienrecht von 1843 an der traditionellen Rechtsdogmatik anzuknüpfen, denn das ALR hatte – in Fortführung der Grundsätze des Ius Commune zur universitas – für die Rechtsnatur eines Gesellschaftsgebildes als juristische Person stets eine staatliche Genehmigung bzw. die Verleihung eines entsprechenden Privilegs vorausgesetzt.746 Im Gegensatz zur französischen Entwicklung wurden die übrigen deutschen Handelsgesellschaften (anders als die Aktiengesellschaft, der man korporative Rechte zusprach) weiterhin gerade nicht als eigenständiges Rechtssubjekt wahrgenommen.747 Zudem stellte die Aktiengesellschaft in Deutschland – gleich der société anonyme in Frankreich – die erste Gesellschaftsform dar, bei der allein das Gesellschaftsvermögen als Haftungskapital diente. In der 43. Sitzung des königlichen Staatsrats zur Beratung des Entwurfes eines Aktiengesetzes für Preußen am 14. Juni 1843 hatte man diese beiden Spezifika daher auch als Hintergrund des Konzessionserfordernisses herausgestellt.748 Wie kein 746 Siehe oben, Gliederungspunkt B. I. 3. a) bb) (1) (a). Bereits vor dem ausführlichen Werks Savignys (zum System des heutigen römischen Rechts) hatten sich zudem deutsche Rechtsgelehrte mit der Unterscheidung von „societas“ und „universitas“ im römischen Recht beschäftigt, woraus die „romanistische Korporationstheorie“ zu Anfang des 19. Jahrhunderts entstand, vgl. hierzu Baums-Stammberger (1980), S. 37 ff. mit entsprechenden Literaturnachweisen zu Günther, Heise und Mühlenbruch. Die Bedeutung der römischen Wurzeln des deutschen Handelsrechts betont auch Goldschmidt, ZHR 1 (1858), 1, 13, 16. 747 Kritisch hierzu Ladenburg, ZHR 1 (1858), 132, 136 ff. Vgl. zur Rechtslage in den Ländern bis um 1870 Pohlmann (2007), Entstehung, S. 67 ff., insbes. 74 f. und 101–103 sowie S. 104 ff., insbes. 155–157; zur reichseinheitlichen Rechtslage bis 1900, ders. (2007), Entstehung, S. 159 ff. 748 Siehe Geheimer Justizrat Bischoff, zitiert nach Baums (1981), Protokolle, S. 168 f.: „[Es] ist anerkannt, dass man hierbei hauptsächlich zwei Punkte ins Auge zu fassen habe: 1. die Bewilligung von Korporationsrechten in Beziehung auf den Erwerb
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geringerer als Savigny darlegte, war es jedoch in Preußen nicht vordringlicher Konzessionszweck, Dritte vor finanziellen Schäden zu behüten, die die Haftungsbeschränkung der Aktiengesellschaft mit sich bringen könne. Bereits unter den Vorschriften des ALR war es den Aktionären einer solchen Kapitalgesellschaft nämlich „auf ganz erlaubtem Wege“ möglich, ihre unbeschränkte Haftbarkeit auszuschalten.749 So zieht Savigny als Résumée, dass „die partielle Haftung der Aktionäre“ nicht das „wesentliche Vorrecht der Aktienvereine“ sei, sondern jenes in der Verleihung von Korporationsrechten zu suchen sei:750 „Die Aktienvereine seien ohne bestimmte Verfassung und ohne Gewinnung der Rechte einer moralischen Person ganz unkräftig, und in ihrer Bewegung nach außen durchaus gehemmt. Diese Rechte könnten sie aber nur durch landesherrliche Konzession erlangen. (. . .) [Daher] ergebe sich jedoch, daß gerade die Erlangung der Rechte einer moralischen Person das in das Auge zu fassende wesentliche Moment sei, die Befreiung der Aktionäre von der persönlichen Verhaftung dagegen in den Hintergrund trete (. . .).“ 751 Savigny erblickte den Grund der Konzession somit nicht primär in der Haftungsbeschränkung, sondern in der Verleihung der Rechtssubjektivität. Entsprechend hatte er in seiner Abhandlung zum System des römischen Rechts betont, dass die juristischen Personen als bloße Fiktion des Rechts ihre Existenz einem direkten staatlichen Akt verdankten.752 Konsequent wäre dieser Einschätzung von Grundstücken und Kapitalien, sowie die Vertretung durch einen Vorstand; 2. die Befreiung der Aktionäre von jeder persönlichen Verhaftung gegen die Gläubiger der Gesellschaft, dergestalt, daß letztere sich nur an das Gesellschafts-Vermögen halten können, und die Aktionäre nur der Gesellschaft auf Höhe des gezeichneten Aktienbetrages haften. Das Staatsministerium ist einstimmig der Ansicht gewesen, daß diese Rechte nur solchen Gesellschaften (. . .) einzuräumen seien, (. . .) deren Bewilligung nur durch landesherrliche Genehmigung erfolgen könne.“ 749 Savigny, zitiert nach Baums (1981), Protokolle, S. 170 f.: Einmal könnten bei den „vielen Teilnehmern“ einer solchen Gesellschaft „zwei Personen als offene Gesellschafter hervortreten, wodurch den Kreditoren, wenn diese Personen unbemittelt seien, keine größere Garantie als durch das Gesellschaftskapital gewährt werde. Zweitens dadurch, daß sie einen Geschäftsführer mit einer beschränkten Vollmacht bestellen, indem derselbe dann, wenn er auf seinen Namen kontrahiere, nur sich selbst verpflichte, durch Kontrakte, die er auf den Namen der Gesellschaft schließe, dieselbe und die Teilnehmer aber nicht weiter verpflichten können als die Vollmacht gehe.“ 750 Savigny, zitiert nach Baums (1981), Protokolle, S. 171. Auch im ALR konnten die Korporationsrechte nur durch landesherrliche Genehmigung erteilt werden, vgl. ALR II 6 § 25 II 6. 751 Savigny, zitiert nach Baums (1981), Protokolle, S. 171 [Hinzufügung durch Verf.]. Zur Frage, wieso die auf Aktien organisierten Gesellschaften unter dem ALR grds. handlungsunfähig seien, vgl. bereits oben Gliederungspunkt B. I. 3. a) bb) (1) (a) sowie Baums (1981), S. 34. 752 Vgl. Savigny, Bd. 2 (1840), S. 236. Bei den von Savigny dargestellten Arten von juristischen Personen wird die Aktiengesellschaft aber nicht angesprochen (s. S. 242 ff.). In seinem Werk zum Obligationenrecht, Bd. 2 (1853), S. 113, sah Savigny die Aktiengesellschaft daher als sozietätsrechtliches Konstrukt an, indem er die Aktien als Miteigentumsanteile am Gesellschaftsvermögen einstufte. Die Haltung Savignys zur
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nach daher die Einstufung der deutschen Aktiengesellschaft als weiterentwickelte Form der universitas, wenngleich diese Einordung nicht dem vorgefundenen französischen Leitbild der Aktiengesellschaft als société entsprach. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts war jedoch auch in Deutschland – parallel zur Dogmatik in Frankreich – die Sozietätslehre herrschend, die die Aktiengesellschaft als Variante der stillen Gesellschaft einordnete und den Gesellschaftsvertrag im Wesentlichen den Grundsätzen zur OHG unterwarf, wobei der leitende Direktor persönlich verpflichtet wurde.753 Grundsätzlich galten also die Mitglieder der Aktiengesellschaft als Träger der Rechte und Pflichten. Bereits das preußische Aktienrecht entfernte sich aber ein Stück weit von dieser Lehre, denn es sah gerade keine persönliche Haftung des Vorstandes gegenüber den Gesellschaftsgläubigern vor.754 Es ist demnach kaum erstaunlich, dass die Mitglieder des Staatsrates bei den Beratungen zum preußischen Aktiengesetz übereinkamen, von einer Defintion des Wesens der Aktiengesellschaft abzusehen.755 Unklar bleibt, ob es diesem Hin- und Hergerissensein zwischen überkommener Dogmatik und Orientierung an dem französischen Leitbild der société anonyme entspricht, dass in der aktienrechtlichen Literatur des 19. Jahrhunderts z. T. von der „Aktiengesellschaft“, z. T. vom „Aktienverein“ gesprochen wird.756 Konstruktion der juristischen Person und der Aktiengesellschaft ist in neuerer Literatur oft untersucht worden, vgl. etwa zum Literaturstand Kiefner, in: FS Westermann (1974), S. 263 ff.; Söhnchen (2005), S. 160 ff. m.w. N.; anders Kießling, in: Bayer/Habersack (Hg.), Bd. 1 (2007), S. 193, 206 f. Fakt ist, dass Savigny einerseits der klassischen Ansicht entsprechend die Aktiengesellschaft als Vertrag zwischen den Gesellschaftern ansah, andererseits die eigene Rechtsfähigkeit des sozietätsrechtlichen Gebildes an das Postulat der Konzession band. 753 So äußert Savigny, zitiert nach Baums (1981), Protokolle, S. 170, bei den Beratungen zum preußischen Aktiengesetz: „Mit den letzteren [Korporationen i. S. d. ALR] hätten aber die Aktienvereine eine geringere Verwandtschaft als mit den Sozietäten, bei denen stille Gesellschafter beteiligt seien. Alle Aktionäre dächten sich als stille Gesellschafter, mit der Maßgabe, daß neben ihnen keine offene Gesellschaft, an welche sie sich angeschlossen, bestehe.“ Zur Einordnung der Aktiengesellschaft als stille Gesellschaft, s. a. Gutachten über Aktiengesellschaften bei Gans (1830–1832), S. 181; Treitschke, Zs.f.dt.R. 5 (1841), 324, 327 f. sowie aus heutiger Sicht Mehr (2008), S. 352 f., 360; Schumacher (1937), S. 33 m. N.; Söhnchen (2005), S. 158 m.w. N. Von der Aktiengesellschaft als Variante der „Societät“ berichten auch Pöhls (1842), S. 154 und Jolly, Zs.f.dt.R. 11 (1847), 317, 329. 754 So § 20 des preußischen Aktiengesetzes von 1843 (Quelle wie Fn 727). 755 Vgl. den Abdruck der Beratungen bei Baums (1981), S. 185 ff. In neuerer Literatur finden sich unterschiedliche Deutungen der Rechtsnatur der Aktiengesellschaft im preußischen Aktiengesetz von 1843: vgl. einerseits (pro Sozietät) Pohlmann (2007), Aktienrecht, S. 86 (m.w. N. in dortiger Fußnote 402) und Baums (1981), S. 39 ff.; andererseits (pro Korporation) Schumacher (1937), S. 49 f. (Fiktionstheorie führt zu Anerkennung der Gesellschaft als juristische Person, wobei für das Innenverhältnis das Sozietätsrecht maßgebend sei); Martin, VSWG 56 (1969), S. 540, Söhnchen (2005), S. 163 (Verknüpfung von Sozietätslehre und Fiktionstheorie) und Kießling, in: Bayer/Habersack (Hg.), Bd. 1 (2007), S. 193, 194, 206. 756 Laut Baums-Stammberger (1980), S. 55, hat die Verwendung dieser Begriffe keine unterschiedliche Bedeutung, da der „Verein“ als Rechtsbegriff im 18. Jahrhundert
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Betrachtet man aber neben dem preußischen Aktienrecht von 1843 die einzelnen deutschen Landesrechte bzw. Gesetzesentwürfe zur Kodifizierung der Aktiengesellschaft, so wird jedenfalls eine dogmatische Spaltung bei der Bestimmung des Wesens der Aktiengesellschaft sichtbar. Diese Rechtsquellen ordnen die Aktiengesellschaft zwar teils als Sozietät ein, teils findet sich aber bereits eine Abkehr von der vertragsrechtlichen Einstufung, die den Weg zum heutigen deutschen Verständnis der Aktiengesellschaft als juristische Person öffnet.757 Auch in der Literatur vertrat man entsprechend sowohl eine sozietätsrechtliche als auch korporative Konstruktion der Aktiengesellschaft, die regelmäßig durch die Erteilung der Konzession die Rechte einer Korporation erhielt bzw. zur juristischen Person wurde; z. T. wollte man an dem speziell deutschrechtlichen Institut der Genossenschaft anknüpfen, das eine eigenständige Tradition jenseits von societas und universitas einnahm und nach dem sich derartige Korporationen frei bilden konnten.758 Jene juristische Konstruktionen, die einen direkten staatlichen Akt für die Existenz der Aktiengesellschaft verlangten, wurden im Laufe der Zeit aber mehr noch unbekannt war. Dies möge mit Verweis auf Rauch, SZ Germ 69 (1952), 239, 259, bezweifelt werden, denn zumindest ab dem frühen 19. Jahrhundert wird der Terminus „Verein“ ausgehend von Österreich als Begriff für körperschaftlich organisierte, genehmigungsbedürftige und vom Mitgliederwechsel unabhängige, rechtsfähige Gebilde verwendet. Andererseits spricht Treitschke, Zs.f.dt.R. 5 (1841), 324, 327, 329, vor Inkrafttreten des preußischen Aktiengesetzes z. T. von Aktienverein, z. T. von Aktiengesellschaft, ordnet die Aktiengesellschaft aber der „Societät“ zu. Auch verwendet Renaud noch 1863 den Terminus „Verein“ als Oberbegriff sowohl für Sozietäten als auch für „Aktienvereine“, vgl. ders. (1863), etwa S. 108; s. a. Witte, ZHR 8 (1865), 1, 15 f., der darauf hinweist, dass sich der Ausdruck „Aktienverein“ eingebürgert hatte, bevor das Wesen der Aktienunternehmung näher durchdrungen wurde. 757 Siehe hierzu die Eingruppierung von Pohlmann (2007), Aktienrecht, S. 76 ff., insbes. S. 87 ff. Während das preußische Recht von einer grundsätzlich sozietätsrechtlichen Natur der Aktiengesellschaft ausgeht, sehen Entwürfe von Sachsen, Württemberg und Nassau, der spätere preußische Entwurf eines HGB von 1856/57 sowie der Entwurf eines ADHGB von 1848/49 die AG als eigenständige Rechtsperson an. 758 Zur verschiedenen Konzeption der Aktiengesellschaft, vgl. etwa Renaud (1863), S. 101 ff. und Witte, ZHR 8 (1865), 1, 2 ff., die die einzelnen Konstrukte („modifizierte Societät“, „Societät mit formeller Einheit“, „deutschrechtliche Genossenschaft“, „Zweckvermögenstheorie“, etc.) m.w. N. beschreiben sowie bereits die Nachweise in Fn 753. Neben Witte, ZHR 8 (1865), 1, 7, halten auch Fick, (als Weiterentwicklung der gemeinrechtlichen commenda) S. 229; Kuntze (1857), S. 509–511; ders., ZHR 6 (1863), (mit Abstrichen) 177, 229–231; Salkowski (1863), S. 54–58, 68 f. und Renaud (1863), S. 115, 118, 137, 145 („Privatcorporation“), die Aktiengesellschaft in Anlehnung an die „universitas“ für eine juristische Person. Weitere Literaturnachweise, die die Konzeption der AG im sächsischen Entwurf von 1836/37 als „universitas“ prägten bzw. in Sachsen ab den 1840er Jahren bis zum ADHGB vertreten wurden, sind von Baums-Stammberger (1980), S. 37 ff. bzw. 90 ff., dargestellt. Beseler stufte die Aktiengesellschaft als Genossenschaft ein, vgl. ders. (1843), S. 172 f., 181 ff., was Gierke (1887), S. 15 ff., 240 ff. nach ihm weiter ausbaute. Vgl. überblicksartig zur Konzeption und Entwicklung der Genossenschaftstheorie etwa Pohlmann (2007), Entstehung, S. 44 ff.
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und mehr zurückgedrängt. Dies kann für Preußen mit dem Bedeutungsverlust der königlichen Konzession infolge der Verfassungsänderung nach der Revolution von 1848 in Zusammenhang gebracht werden. Bis dato konnte der König die Rechte der Corporationen und Gemeinen bzw. sonstige Privilegien in Form der Konzession verleihen. Da der Monarch aber nach der Verfassung von 1850 nur noch mit Zustimmung der Kammer Gesetze erlassen durfte, konnte die Konzession des Königs nicht länger als konstitutiver Verleihungsakt von Rechtssubjektivität, sondern nur als eine „feierliche Erklärung“ gelten, dass die Gesellschaft nach staatlich anerkannten Grundsätzen als Aktiengesellschaft auftreten dürfe.759 Nach Vogt diente die Konzession in deutschen Landen im Allgemeinen „(. . .) eher als Urtheil über ein bereits vorhandenes, denn als Schöpfung eines neuen Rechts“.760 Die hier anklingende rein gewerberechtliche bzw. polizeiliche Funktion veranschaulicht, dass die Dogmatik der direkten staatlichen Mitwirkung bei der Entstehung der juristischen Person dem Untergang geweiht war. Genährt wird dieser Standpunkt auch durch einen Blick in den preußischen Handelsrechtsentwurf von 1857, der Grundlage für das ADHGB von 1861 wurde. Dieser Entwurf ging von der Rechtssubjektivität sämtlicher Handelsgesellschaften aus.761 Wie im Nachbarland Frankreich erforderte der Handelsverkehr die Rechtsfähigkeit aller handelsrechtlichen Gesellschaftsformen.762 Zwar wurde diese Konzeption wegen des heftigen Widerstands der Anhänger der römischrechtlichen Theorie im ADHGB von 1861 nicht verankert, doch offenbart der Entwurf nicht nur die Bereitschaft zur Abkehr von der reinen Sozietätslehre, sondern die Auffassung, dass es für die Zubilligung eigener Rechtsfähigkeit an alle Handelsgesellschaften keiner staatlichen Mitwirkung im Einzelfall bedürfe.763 759
Vogt, ZHR 1 (1858), 477, 488; Schumacher (1937), S. 59 f. Vogt, ZHR 1 (1858), 477, 488; entsprechend argumentiert Auerbach (1861), S. 286. 761 Art. 87 des Entwurfs, abgedruckt bei Schubert (Nachdruck 1986), Entwurf, Entwurf S. 16, bestimmte: Jede Handelsgesellschaft als solche hat selbstständig Rechte und Pflichten und ihr besonderes Vermögen; sie kann vor Gericht klagen und verklagt werden; sie kann auf ihren Namen Grundstücke und Forderungen erwerben. 762 Vgl. die Motive bei Schubert (Nachdruck 1986), Entwurf, Motive S. 46 f. Zwar hätten sich die Handelsgesellschaften auf Grundlage der römisch-rechtlichen „societas“ entwickelt, doch erzwänge der moderne Handelsverkehr eine andere Einordnung: „Der rechtlichen Natur der Handelsgesellschaft entspricht in der That die Annahme einer juristischen Persönlichkeit derselben. Indessen kann füglich überhaupt davon Abstand genommen werden, die Handelsgesellschaft unter einen hergebrachten Rechtsbegriff unterzuordnen [v. a. der Societät]; der richtige Gesichtspunkt ist gewahrt, wenn die durch das Leben herausgebildete Anschauung, daß die Handelsgellschaft selbstständig ihre Rechte und Pflichten, sowie ihr besonderes, von dem Privatvermögen der Gesellschafter völlig getrenntes Vermögen hat, als Rechtssatz anerkannt wird.“ [Hinzufügung durch Verf.]. S. a. zustimmend Ladenburg, ZHR 1 (1858), 132, 136 ff. 763 Die kontroverse Debatte zur Frage der Rechtsfähigkeit der Handelsgesellschaften schildern Schubert (Nachdruck 1986), Protokolle, S. XV und Schumacher (1937), S. 64 ff. 760
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Festzuhalten bleibt, dass die Übernahme der Grundeinordnung der Aktiengesellschaft als societas entsprechend dem französischen Recht der deutschen Dogmatik größere Schwierigkeiten bereitete, weil diese – anderes als das französische Recht – ihren Handelsgesellschaften noch keine Rechtssubjektivität beimaß. Daher möge der Konzessionserteilung (zunächst noch) eine entscheidendere Bedeutung im Hinblick auf die Verleihung der Rechtssubjektivität zukommen, die aber ab der Mitte des 19. Jahrhunderts zunehmend verkümmerte; jedenfalls wurde in Preußen der Schwerpunkt zunächst aber nicht auf den Aktionärsschutz gelegt.764 (bb) Einordnung der Aktiengesellschaft ab dem ADHGB Bei der Beratung des ADHGB prallten die Auffassungen der konservativen Befürworter der Sozietätslehre, die an den römisch-rechtlichen Grundfesten festhalten und Handelsgesellschaften keine eigene Rechtsfähigkeit zugestehen wollten, sowie der Verfechter der Rechtssubjektivität aller Handelsgesellschaften aufeinander: In Bezug auf OHG und KG einigte man sich schließlich auf Normen, nach denen diese Gesellschaften unter ihrer Firma Rechte erwerben und Verbindlichkeiten eingehen konnten sowie Eigentum und andere dingliche Rechte an Grundstücken erwerben und vor Gericht klagen bzw. verklagt werden konnten.765 Ein Konsens über diese Bestimmungen war nur unter Anerkennung der entsprechenden Bedürfnisse des Handelsverkehrs zustande gekommen und sollte nach Auffassung der Gesetzgebungskommission keinesfalls als Zugeständnis dahingehend begriffen werden, dass man diese Gesellschaften als eigenständige Rechtspersonen ansähe.766 Die Rechtsfähigkeit der Handelsgesellschaften wurde demnach im ADHGB anerkannt, obwohl dies dem ursprünglichen Recht der Sozietäten fremd gewesen war. Diese Annäherung aller Handelsgesellschaften an den
764 Die wirtschaftslenkende Funktion der Konzessionserteilung beschreibt auch Mertens, in: FS Klippel (2013), S. 603, 607 ff. 765 Art. 111 I und 164 I des ADHGB von 1861 (Quelle wie Fn 734). 766 Vgl. Heimsoeth zitiert nach Schubert, Bd. 1 (1984), Protokolle ADHGB, S. XV, dem es nicht darum ging einen müßigen „Kampf um den Begriff der moralischen Person“ auszufechten, sondern die Regelungen zu den Handelsgesellschaften an die Bedingungen der Praxis anzupassen: „Es dauerte geraume Zeit, ehe ich eine Anzahl von Mitgliedern zu der Ansicht bringen konnte, daß diese Sätze nicht durch Vorliebe für diese oder jene Theorie hervorgerufen seien, sondern sich einestheils auch auf dem Boden des gemeinen Rechts construiren lassen, andrentheils und hauptsächlich durchaus zweckmäßig und für das Handelsrecht nothwendig sind, weil ohne ihre Anerkennung die Handelsdispositionen der Gesellschaft fortwährend völlig unberechenbaren Störungen ausgesetzt wären, also ein geordneter und sicherer Geschäftsbetrieb geradezu unmöglich wäre.“ Die anderen Mitglieder hatten diesen Bestimmungen erst nach langen Debatten zugestimmt, vgl. Lutz, Protokolle, Bd. 1 (1858), S. 154–161, 274–279 (allgemein zu den Handelsgesellschaften, 1. Lesung); Bd. 3 (1858), S. 1107 f., 1154 (zur KG, 2. Lesung), 1133–1143 (zur OHG, 2. Lesung); Bd. 9 (1861), S. 4520–4527 i.V. m. den angefügten Erinnerungen, S. 22 f. (3. Lesung).
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Status einer juristischen Person ist der Anerkennung der Rechtspersönlichkeit der Aktiengesellschaft – und zwar ohne staatlichen Einzelakt – zuträglich gewesen; insofern zeigt sich nun damit auch eine Parallele zum französischen Verständnis der personne morale. Nachdem das Wesen der Aktiengesellschaft des ADHGB in der ersten Beratung noch hinten angestellt wurde, diskutierte man in der zweiten Lesung eine von der Redaktionskommission vorgelegte Norm, die der ursprünglichen Bestimmung des preußischen Entwurfs zu allen Handelsgesellschaften (Art. 87) nachgebildet war, d.h. nach der die Aktiengesellschaft als solche selbstständig ihre Rechte und Pflichten habe, Eigentum und andere dingliche Rechte erwerben und vor Gericht klagen und verklagt werden könne.767 Einige Abgeordnete traten für eine Änderung dieser Bestimmung entsprechend den bereits vorgenommenen Änderungen bei OHG und KG ein („unter ihrer Firma“), da auch die Aktiengesellschaft nicht als juristische Person angesehen werden dürfe.768 Dagegen wurde vorgebracht, dass die Aktiengesellschaft zwingend als juristische Person zu akzeptieren sei, weil ihre Eigentümlichkeiten von den anderen Handelsgesellschaften abwichen, z. B. sei ein Wechsel der Personen unbeachtlich oder es stünden den Gesellschaftern keine direkten Rechte auf die Vermögensgegenstände der Gesellschaft zu.769 Eine dritte Gruppe von Beratungsmitgliedern pflichtete der Unterschiedlichkeit von Aktiengesellschaft und anderen Handelsgesellschaften bei, wollte der vorgeschlagenen Regel aber nur mit der Maßgabe Zustimmung erteilen, dass hiermit keine Anerkennung der juristischen Persönlichkeit der Aktiengesellschaft verbunden sei.770 Auch wenn nun die Billigung dieser vorgeschlagenen Norm, die schließlich zu Art. 213 ADHGB wurde, nur der Vorstellung einiger Abgeordneter geschuldet war, dass das Gesellschaftsvermögen der Aktiengesellschaft ein Sondervermögen auf Grundlage der Sozietätslehre war,771 so trug der Wortlaut dieser Vorschrift viel dazu bei, dass die Aktiengesellschaft als eigenständige Rechtsperson angesehen werden konnte.772 Durch die dem ADHGB innewohnende Synthese von 767 S. Lutz, Protokolle, Bd. 1 (1858), S. 373 bzw. Bd. 3 (1858), S. 1039 f. Die entsprechende Bestimmung des Art. 190 I nach dem Entwurf der 1. Lesung findet sich bei Lutz, Beilagenband 1 (1861), Entwurf 1. Lesung, S. 176. Zu Art. 87 des preußischen Entwurfs vgl. bereits Fn 761. 768 Lutz, Protokolle, Bd. 3 (1858), S. 1039. 769 Lutz, Protokolle, Bd. 3 (1858), S. 1039 f. 770 Lutz, Protokolle, Bd. 3 (1858), S. 1040. 771 Die Tatsache, dass die Sozietätslehre nicht überwunden war, zeigt sich auch an der Vorschrift des Art. 216 I ADHGB (abgedruckt bei: Lutz, Beilagenband 2 (1861), S. 42), nach der jedem Aktionär ein verhältnismäßiger Anteil am Vermögen der Gesellschaft zustand. 772 Vgl. den Nachweis bei Weinhagen (1866), S. 146, zu Art. 213 ADHGB, zur Ansicht eines Mitgliedes des preußischen Herrenhauses in der Session 1863/64 betreffend der Rechtsnatur der Aktiengesellschaft nach dem ADHGB: Das ADHGB „(. . .) habe
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Sozietätstheorie und eigener Rechtsträgereigenschaft der Aktiengesellschaft war auch gesetzgeberisch dem Siegeszug des Konzepts der „echten Rechtspersönlichkeit“ der Aktiengesellschaft Bahn gebrochen. Die bereits angesprochene je nach Landesrecht abdingbare Konzessionsregel tat ihr Übriges für den Untergang der Lehre, dass Rechtspersönlichkeit nur durch Hoheitsakt im Einzelfall erlangt werden könne. Insbesondere kann das in Art. 208 I ADHGB geregelte Konzessionserfordernis per se nicht als Ausfluss der von der Pandektenwissenschaft aus dem römischen Recht übernommenen dogmatischen Voraussetzung der staatlichen Mitwirkung zur Entstehung einer juristischen Person bewertet werten, da bereits der Status der Aktiengesellschaft als juristische Person ausweislich der Quellenlage der Nürnberger Beratungen stark umstritten war.773 Dennoch redete die Wissenschaft – wohl durch den Wortlaut des Art. 213 ADHGB entsprechend ermutigt – vermehrt ab den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts der Konzeption der Aktiengesellschaft als juristischer Persönlichkeit das Wort.774 Dabei hielten die Verfechter dieser Theorie zwar überwiegend an dem Erfordernis der staatlichen Genehmigung der Aktiengesellschaft als Existenzbedingung fest, doch betrachteten sie es meist als ausreichend, wenn das Gesetz selbst explizit eine allgemeine Anerkennung aller Aktiengesellschaften als juristische Person ausspräche.775 Daneben erhoben sich aber innerhalb dieser Rechtsauffassung Stimmen, die die Aktiengesellschaft allein der Privatautonomie unterwerfen wollten.776 Besonders deutlich äußerte Goldschmidt auf dem Deutschen Juristentag von 1869 einen solchen Standpunkt: „Allerdings ist der Gedanke, es müsse, damit eine juristische Persönlichkeit geschaffen werde, die Staatsgenehmigung principiell hinzukommen, gegenwärtig in Deutschland noch immer der herrschende. (. . .) Meine Ueberzeugung nun, die ich kurz andeuten will, geht dahin: Ueberall da, wo sich für einen erlaubten und einen unpersönlichen Zweck eine Verbindung bildet, da besteht dieser Verein, diese Verbindung von selber als (. . .) die Gesellschaft als selbstständiges Subjekt von Rechten und Pflichten hingestellt und dabei den Grundsatz vollständig zur Geltung und Durchführung gebracht, daß das Gesellschafts-Vermögen im Verhältniß der Gesellschaft zu Dritten ein für sich bestehendes, besonderes Ganzes bilde, welches lediglich den Gesellschaftszwecken gewidmet sei. Hiermit sei alles Dasjenige gegeben, was für die rechtliche Existenz und das Wesen der Gesellschaften auch früherhin irgend aus dem Begriffe der juristischen Person habe gefolgert werden können.“ 773 Vgl. auch die Nachweise bei Weinhagen (1866), Art. 213 ADHGB, S. 144 f., die belegen, dass der preußische Gesetzgeber bei bzw. nach der Einführung des ADHGB in Preußen ausdrücklich von der fehlenden juristischen Persönlichkeit der Aktiengesellschaft ausging. 774 Vgl. bereits die Nachweise in Fn 758. S. auch Pohlmann (2007), Aktienrecht, S. 112 f. mit zahlreichen weiteren Nachweisen. 775 Renaud (1863), S. 289; s. a. Jaques, in: Verhandlungen des DJT 2 (1869), S. 53, 54. 776 Auerbach (1861), S. 286; Fick, ZHR 5 (1862), 1, 61; Goldschmidt, in: Verhandlungen des DJT 2 (1869), S. 43, 48, 50 f.
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Korporation, da bedarf diese Verbindung, um Korporation zu sein, nicht noch einer Staats-Genehmigung.“ 777 Der Staat müsse daher im Grundsatz nur eine Deklarationsfunktion hinsichtlich der Erlaubtheit und Personenungebundenheit des Zweckes wahrnehmen, was jedenfalls bei der Aktiengesellschaft mangels jeglicher Zweifel entbehrlich sei.778 (b) Rechtspolitische Gründe: Begrenzung der (wirtschaftlichen) Macht der Aktiengesellschaft Sind die rechtsdogmatischen Hintergründe des Konzessionserfordernisses nicht als Triebfeder des Konzessionserfordernisses einzustufen, so muss der Fokus auf die rechtspolitischen Hintergründe gelegt werden. Auch bezogen auf rechtspolitische Motive des Konzessionserfordernisses lässt sich eine Parallele zur Entwicklung in Frankreich ziehen, die im Folgenden aufgezeigt werden soll.779 (aa) Motive des Konzessionserfordernisses im preußischen Aktiengesetz von 1843 Um die treffenden Worte Baums zu verwenden, befürchtete die preußische Bürokratie, dass die finanzstarken Aktiengesellschaften zu einem „bürgerlichen Nebenregiment“ heranwachsen könnten.780 Diese angedeutete Verquickung zwischen Kapital und politischer Macht spiegelt sich gerade in den Beratungen vom 17. Juni 1843, der 44. Sitzung des Staatsrates, im Hinblick auf die Ausgabe von Inhaberaktien wider: „Die [der Konzessionierung vorausgehende] Prüfung werde ferner, wenn die Gesellschaft das Privilegium der Ausgabe von Aktien au porteur nachsuche, (. . .) mit Rücksicht auf den dadurch möglicherweise gefährdeten Staatskredit, weitergehen (. . .).“ 781 Der Grund für den Argwohn gegenüber Inhaberaktien wurde mit dem Interesse des Staates, dessen Papiere – d.h. dessen Geldangebotsmonopol – durch die In777 Goldschmidt, Fundstelle wie Fn 776, S. 43, 50 f. Diese Auffassung stehe auch nicht im Widerspruch mit dem gemeinen Recht, denn der Grundsatz der königlichen Genehmigung galt dort nur für öffentlich-rechtliche Körperschaften und könne daher nicht in das gegenwärtige Privatrecht übernommen werden. 778 Goldschmidt, Fundstelle wie Fn 776, S. 43, 51 f.: „Der Aktien-Verein ist seiner Natur nach auf eine wechselnde unbestimmte Mitgliederzahl berechnet, er könnte gar nicht existieren, wenn nicht ein von den einzelnen Mitgliedern prinzipiell verschiedenes Ganze da wäre. Da somit hier der unpersönliche Zweck dem Wesen der Verbindung selber immanent ist, so muss nothwendig ein jeder Verein, der sich in der Form eines Aktien-Vereins zu einem erlaubten, d.h. nicht verbotenen oder unsittlichen Zweck bildet, schon darum von selber juristische Person sein. Also es bedarf hier sogar nicht einmal einer staatlichen Deklaration.“ 779 Zu Frankreich vgl. bereits oben Gliederungspunkt B. I. 2. b) bb) (3). 780 Baums (1981), S. 36 m.w. N.; von Mohl, Deutsche Viertelsjahrs-Schrift (Heft 4) 1856, 1, 4, spricht vom „Kapital-Leviathan“. 781 Baums (1981), Protokolle, S. 177 f. [Hinzufügung durch Verf.].
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haberpapiere stark gefährdet seien, begründet. Demnach dürften nur Aktiengesellschaften Inhaberaktien ausgeben, die tatsächlich an Stelle des Staates fungierten.782 Zumindest könnten mittels des staatlichen Siegels als für seriös befundene Gesellschaften nämlich die Rendite der Aktionäre im Vergleich zu herkömmlichen Geldanlagemöglichkeiten erhöht und damit insgesamt der nationale Wohlstand gesteigert werden.783 Da die Inhaberaktien mithin einerseits den Staatsinteressen entgegenkommen, andererseits diesen gerade zuwider laufen könnten, müsse die staatliche Konzession erstgenannter Situation, der Mehrung der öffentlichen Wohlfahrt, zum Durchbruch verhelfen: „Aktien au porteur hätten mehr oder minder die Eigenschaft eines Geldzeichens, und erhielten durch die leichte Vertauschbarkeit einen höheren Wert. Der sehr wertvollen [staatlichen] Bewilligung [dieses Privilegs] müsse daher, zumal auch der Staatskredit und folgeweise das Publikum bei der Vermehrung der Papiere au porteur wesentlich interessiert sei, ein in dem Unternehmen liegendes Äquivalent gegenüberstehen (. . .).“ 784 Der im Vergleich zu den Staatsinteressen geringer geschätzte Stellenwert der Interessen des Publikums zeigt sich auch darin, dass diesem kein Widerspruchsrecht gegen eine im Entstehungsprozess befindliche Aktiengesellschaft zugestanden wurde; entscheidend war, dass der Landesherr die Gründung guthieß.785 Zumindest sahen aber die Instruktionen, die das preußische Aktienrecht ergänzten, einzelne Regulatoren zum Schutz vor Aktienschwindel vor, die dem Wortlaut
782 Baums (1981), Protokolle, S. 178: „Man werde (. . .) die Berechtigung zur Ausgabe von Aktien auf Unternehmungen zu beschränken haben, welche der Staat unter anderen Umständen selbst ausführen würde, bei denen also, wie bei Eisenbahn-Unternehmungen, die Aktiengesellschaft an die Stelle des Staates trete.“ 783 Baums (1981), Protokolle, S. 179: „[Man] habe (. . .) ins Auge zu fassen, daß die unter sicherem Schutze des Staates konstituierten Aktienvereine ein wesentliches Bedürfnis für die Inhaber von Kapitalien seien. Zu genügenden Zinsen seien die letzteren schwer unterzubringen, dem Rentenier fehle nicht selten die Fähigkeit und der hinreichende Fonds zu einem eigenen industriellen Unternehmen, und die Überlassung der Kapitalien an einen Dritten zu dergleichen Unternehmen sei oft bedenklich. Die Aktienvereine seien daher ein nützliches, und bei der gegenwärtigen Kapitalanhäufung, sowie bei dem jetzigen Zustande der Industrie sogar notwendiges Hilfsmittel, indem sie dem Rentenierer die Möglichkeit gewährten, sich unter dem führenden Schutze des Staates mit einem bestimmten Teil seines Vermögens bei einem präsumtiv gewinnbringenden Unternehmen zu beteiligen.“ 784 Baums (1981), Protokolle, S. 180 [Zuf. d. Verf.] (Hervorhebung des Verf.). 785 Baums (1981), Protokolle, S. 189 f. Der König selbst hatte die Diskussion der Frage angeregt, ob der landesherrlichen Genehmigung der Statuten eine Bekanntmachung des beabsichtigen Unternehmens vorangehen solle, damit etwaige Einwendungen des Publikums vorab Berücksichtigung finden könnten. Dies wurde mit Hinweis auf die Gefahr „eine[r] große[n] Menge unbegründeter Reklamationen“ verneint. „(. . .) es sei weit ratsamer, daß man, so weit die Gesetze eine öffentliche Bekanntmachung bei gewissen Unternehmungen nicht schon vorschreiben, alles dem Ermessen der Behörde überlasse, ohne dieserhalb einen Vorbehalt im Gesetze zu machen.“
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nach dem Publikum zuguten kommen sollten.786 Diese Bestimmungen erwiesen aber noch deutlicher, dass sich der Staat einige Mechanismen zur Kontrolle dieser Gesellschaften vorbehielt.787 (bb) Motive des Konzessionserfordernisses im ADHGB von 1861 Das Prinzip des staatlichen Genehmigungserfordernisses wurde wie selbstverständlich auch in den Entwurf eines Handelsgesetzbuches für die preußischen Staaten von 1857 übernommen, der dem ADHGB von 1861 Pate stand. In den Motiven des ersteren heißt es: „Der Entwurf musste ebenfalls an dem bestehenden Erforderniß der landesherrlichen Genehmigung festhalten. Dieselbe, in Verbindung mit der vorausgehenden Prüfung, erscheint unumgänglich nothwendig, sowohl aus Rücksicht auf die Gesellschaftsgläubiger, um diesen in Ermangelung von persönlich haftenden Gesellschaftern die erforderlichen Garantien zu verschaffen, als auch im allgemeinen Interesse, um die von jeder bestimmten Persönlichkeit der Theilnehmer abgetrennte Gesellschaft als selbstständige Handelsperson ins Leben zu führen, die Solidität des Unternehmens zu verbürgen und bei der außerordentlichen Größe der durch Aktien zusammenzubringenden Kapitalien zugleich zu verhüten, daß die Geldmacht solcher Gesellschaften in einer dem allgemeinen Wohlstande und der Landesindustrie nachtheiligen Weise verwendet wird.“ 788 Neben den Motiven des Gläubigerschutzes und der Anspielung auf das rechtsdogmatische Erfordernis für die Anerkennung der Aktiengesellschaft als Rechtsperson wird v. a. die Bedeutung der Konzession für das Gleichgewicht der Wirtschaft betont. Im ADHGB, das für alle deutschen Länder konzipiert wurde, konnte dieser strikte Kurs jedoch nicht mehr aufrechterhalten werden. Die Hansestädte hatten bereits eine freie Bildung der Aktiengesellschaften ohne staatliche Genehmigung selbst praktiziert und damit gute Erfahrungen gemacht, weshalb sie dieses System nicht aufgeben wollten.789 Die Hamburger Vertreter setzten sich daher in der 35. Sitzung der Verhandlungen über die erste Lesung des ADHGB-Entwurfes am 13. März 1854 vehement für die Streichung des in der ersten Lesung des Geset-
786 So spricht die Instruktion aus dem Jahre 1845, Quelle wie Fn 731, vom Schutz des Publikums gegen Täuschungen und Beeinträchtigungen. 787 Wie bereits der französische Staat, so hielt sich auch die preußische Regierung das Recht zum Einsatz von königlichen Kommissaren offen, vgl. die entsprechende Circular-Verfügung aus dem Jahre 1852 bzw. 1856 bei Weinhagen, Anhang, S. 88, dort Nr. 52. Zudem durfte der Staat unter bestimmten Umständen die einmal erteilte Konzession wieder zurücknehmen, vgl. §§ 6 f. des preußischen Aktiengesetzes. 788 Siehe Schubert (Nachdruck 1986), Entwurf, Motive S. 91 (Hervorhebung des Verf.). 789 Eine Würdigung der Hamburger Verhältnisse findet sich bei Schubel (2003), S. 178–181.
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zesentwurfs enthaltenen Konzessionserfordernisses ein.790 Mit Verweis auf die minutiöse englische Gesetzgebung zu Aktienbanken, die den Ruin der Royal British Bank 1856 und somit die Verluste der zahlreichen privaten Anleger nicht verhindern konnte, betonten die Hanseaten das Prinzip der Eigenverantwortung der Aktionäre791 – dieses war auch das tragende Argument beim Übergang zum Normativsystem im französischen Recht 1867. Da das hamburgische Publikum, welches nicht durch eine staatliche Vorprüfung der Statuten oder sonstige Vorschriften betreffend die Verwaltung der Aktiengesellschaft geschützt werde, in den letzten Jahren von weniger Aktienschwindel betroffen gewesen sei, als Anleger in Ländern mit entsprechenden strengeren Regelungen, erweise sich die Richtigkeit dieser Auffassung.792 Die nutzlose Konzessionsregel solle daher abgeschafft werden, zumal sie schädlich für die freie Entwicklung des Handels und den volkswirtschaftlichen Fortschritt sei.793 Als politischen Kompromiss – schließlich waren die Einzelstaaten souverän und die Zielerreichung eines allgemeinen Handelsgesetzbuchs von deren Mitwirkung abhängig – entschied man sich für die „opt-out“-Lösung aus dem Konzessionserfordernis.794 Preußen hielt aber auch unter Einführung des ADHGB an dem Konzessionserfordernis und der bisherigen Erteilungspraxis fest.795 790 Die Hamburger befürchteten, dass das gegen Missbräuche vielgepriesene „Heilmittel“ Konzession „schlimmer wäre, als das Uebel selbst“. Vgl. Lutz, Protokolle, Bd. 1 (1858), S. 320. 791 Die Vertreter, s. Lutz, Protokolle, Bd. 1 (1858), S. 320 f., argumentierten: „Gegen die alsdann vorkommenden Mißbräuche, soweit dieselben sich auf die davon berührten Interessen von Privaten beziehen, gibt es hauptsächlich nur ein wirksames Mittel, nämlich die eigene Erfahrung des Publikums, welche dahin führt, daß die Einzelnen selbst die erforderliche Vorsicht und Mäßigung anwenden, um sich vor Schaden in Acht zu nehmen, ohne sich vorzugsweise auf die obervormundschaftliche Fürsorge des Staates zu verlassen. Je mehr die Gesetzgebung spezielle [Schutz-]Vorschriften erläßt, (. . .), desto langsamer und schwächer entwickelt sich (. . .) die erforderliche Umsicht beim Publikum (. . .). Die Gesetzgebung selbst befördert also gewissermassen gerade dasjenige, was sie verhindern will (. . .). [Gegen] eine weit verbreitete Sucht, schnell und ohne viel Arbeit reich zu werden (. . .) ist keine Gesetzgebung im Stande (. . .) Abhülfe zu schaffen, sondern bewirkt nur, daß eine solche beklagenswerthe Richtung andere als die geradezu verbotenen Formen ausfindet, mehr Schaden im Verborgenen anrichtet und sich länger erhält.“ (Hervorhebung des Verf.) [Hinzufügung durch Verf.]. 792 Vgl. Lutz, Protokolle, Bd. 1 (1858), S. 321 f. In Hamburg war nur die Anzeige der Gründung im „Firmenbureau“ nötig. Die Vertreter verglichen den Betrug durch eine Aktiengesellschaft auch mit dem durch einen Einzelkaufmann und bemerkten, dass es hier gegen Unvorsichtigkeit des Geschäftspartners ebenso keine speziellen Präventivmaßregeln, sondern ggf. (nur) strafrechtliche Sanktionen gegen den Betrüger gäbe. 793 S. Lutz, Protokolle, Bd. 1 (1858), S. 320, 323. 794 S. Lutz, Protokolle, Bd. 1 (1858), S. 315 f. Nach der dritten Lesung war das Konzessionserfordernis dann in Art. 208 I ADHGB geregelt, die Möglichkeit der abweichenden Regelung in den Landesgesetzen wurde in der Schlussbestimmung Art. 249 I ADHGB zu den aktiengesellschaftsrechtlichen Normen festgeschrieben, s. Lutz, Beilagenband 2 (1861), S. 39, 49. 795 Neben Preußen behielten auch die größeren Flächenstaaten Bayern und (zunächst) Sachsen das Konzessionserfordernis bei, vgl. Art. 12 bzw. Art. 39 der entspre-
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Die Möglichkeit der einzelnen deutschen Staaten, von einer Konzession als Gründungserfordernis Abstand zu nehmen, impliziert aber zugleich, dass man die Konzession nicht als zwingenden hoheitlichen Akt einstufte, um dem gesellschaftlichen Gebilde nach allen damals geltenden Partikularrechten den Status einer Rechtsperson zukommen zu lassen. Rechtsdogmatisch war die Konzession (spätestens) mit der Zulassung verschiedener Gründungsarten keine unabdingbare Voraussetzung der Rechtssubjektivität. Ergo waren sich die Redaktoren bei der Abfassung des preußischen Einführungsgesetzes zum ADHGB vom 24. Juni 1861 darüber im Unklaren, ob das für das preußische Recht aufrechtzuerhaltende Konzessionserfordernis ein konstitutiver Akt – sprich Entstehungsvoraussetzung der Aktiengesellschaft – oder lediglich polizeilicher Natur war.796 Weinhagen misst dementsprechend der Konzession nach Art. 208 ADHGB lediglich polizeiliche Bedeutung bei.797 Hierfür spricht auch, dass der preußische Abgeordnete Lasker 1867 betonte, dass die Konzession neben dem Gläubigerschutz, auch der Verhinderung von Monopolen diene, die ihre wirtschaftliche Macht in politischen Einfluss kanalisieren könnten.798 (cc) Haltung der Praxis und der Wissenschaft Nicht wenige zeitgenössische Praktiker und Wissenschaftler beschäftigten sich mehr mit dem effektiven Nutzen der Konzession als ihren dogmatischen Wurzeln. Der Handelsstand setzte sich regelmäßig für ein Ende der Konzessionspflicht ein. Ein relativ frühes Zeugnis dieses Bemühens liefert ein bei Gans abgedrucktes Gutachten, das vermutlich von der Berliner Kaufmannschaft stammt.799 In dieser Analyse, die den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts zuzurechnen ist, wird der volkswirtschaftliche Nutzen von Aktiengesellschaften generell betont und bereits die Unzulänglichkeit einer staatlichen Gründungskontrolle zum Schutz des Publikums im Vergleich zu Publizität und Normativbestimmungen unterstrichen. Dennoch erblickten andere Autoren in der Konzessionserteilung einen Schutz vor volkswirtschaftlichen Nachteilen. Pöhls machte 1842 besonders darauf aufmerksam, dass die Aktiengesellschaft im Betätigungsfeld der hergebrachten hanchenden Einführungsgesetze bzw. Art. 42 der Verordnung hierzu, in: Lutz, Beilagenband 3 (1867), S. 7 f., 50 f., S. 86. Die Hansestädte Bremen, Hamburg, Lübeck und auch Oldenburg verzichteten auf das Konzessionserfordernis, was in Sachsen ebenso ab 1868 der Fall war, vgl. hierzu Weinhagen (1866), Art. 208 ADHGB, S. 94 und Schubel (2003), S. 246 m.w. N. In Baden und Württemberg differenzierte man nach Branchen, vgl. Lutz, Beilagenband 3 (1867), Art. 32 bzw. Art. 35 auf S. 136 bzw. S. XII. 796 Motive zum Entwurf des preußischen Einführungsgesetzes, zitiert nach Weinhagen (1866), Art. 208 ADHGB, S. 95, dort letzte Fußnote. 797 Weinhagen (1866), Art. 208 ADHGB, S. 95. 798 Vgl. den entsprechenden Nachweis bei Großfeld (1968), S. 125. 799 Gans (Hg.) (1830–32), Ueber Actiengesellschaften, S. 177–194.
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delsrechtlichen Gesellschaftsformen nicht zur Schaffung übermächtiger Konkurrenz eingesetzt werden solle.800 Übermacht führe nämlich zu einem (faktischen) Monopol, welches aufgrund des hiermit verbundenen Preisdiktats für die Gesamtwohlfahrt nachteilig sei: „Jede gesunde Handelspolitik wird dahin streben müssen, zweierlei möglichst zu erreichen, einmal möglichst größten Nutzen des Handels für das Allgemeine und möglichste Belebung der Industrie. Beidem treten die monopolisirenden großen Gesellschaften störend in den Weg. Durch Ausschließung der Concurrenz üben sie ein wahre Handelstyranney über alle Consumenten aus.“ 801 Pöhls war folglich der Ansicht, dass der Staat durch eine vernünftige Konzessionsvergabepolitik die Gefahr der Monopolbildung steuern könne. Daneben wohnten der Konzession wesentliche Schutzaspekte des Publikums in Bezug auf die Kontrolle der Aufbringung der Mittel und deren Angemessenheit sowie betreffend der internen Organisation der Gesellschaft, konkret der Verlässlichkeit der Verwalter bzw. Geschäftsführer, inne.802 Dem pflichtete 1856 von Mohl entschieden bei.803 Seine Arbeit ist geprägt von den negativen Erfahrungen mit den Aktiengesellschaften, insbesondere den Zettelbanken.804 Von Mohl nimmt immer wieder auf die Aktienskandale in England bzw. Frankreich Bezug, um seine Position mit historischen Ereignissen des sog. Aktienschwindels zu untermauern.805 Er skizziert u. a. die Schädlichkeit der Monopolbildung von Aktiengesellschaften auf Kosten von Landwirtschaft und kleineren privaten Unternehmungen.806 Wie bereits einige Jahre zuvor die Belgier Arntz, Bastiné und Bartels, so verweist von Mohl ebenfalls auf das schädliche Machtpotential von Aktiengesellschaften gegenüber dem Staat.807 Die politische Stoßrichtung des Handelns der AG sei von Mehrheitsaktionären bzw. den Verwaltungspersonen abhängig. Besonders das Adelsgeschlecht engagiere sich in Banken und habe „(. . .) durch solche Theilnahme ein bedeutendes neues Machtelement in die Hand bekommen, und niemand wird unternehmen bestimmt zu sagen, in welcher Weise, in welchen Verbindungen und Modifikationen, überhaupt wie und wann dieser Einfluß in Staat und Gesellschaft sich äußern wird und kann.“ 808 Es sei daher kein Hirngespinst, dass die Kapitalgesellschaften ein neues Element in Staat und Gesellschaft formten, welches unberechenbar sei. 800
Vgl. hierzu und zum Folgenden Pöhls (1842), S. 42 ff. Pöhls (1842), S. 42. 802 Pöhls (1842), S. 45 ff. 803 Vgl. hierzu und zum Folgenden von Mohl, Deutsche Viertelsjahrs-Schrift (Heft 4) 1856, 1, 4 ff. 804 S. von Mohl, Deutsche Viertelsjahrs-Schrift (Heft 4) 1856, 1, 15, 22–28, 59–61, 68–73. 805 S. von Mohl, Deutsche Viertelsjahrs-Schrift (Heft 4) 1856, 1, 21 ff. 806 S. von Mohl, Deutsche Viertelsjahrs-Schrift (Heft 4) 1856, 1, 50–55. 807 Vgl. zu ersteren bereits Gliederungspunkt B. I. 2. c) bb) (2) bzw. von Mohl, Deutsche Viertelsjahrs-Schrift (Heft 4) 1856, 1, 64. 808 von Mohl, Deutsche Viertelsjahrs-Schrift (Heft 4) 1856, 1, 40. 801
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Jedenfalls sei die Einwirkung für die Gesamtbevölkerung keinesfalls nur nützlich, da die Aktiengesellschaft allein auf rücksichtslose Gewinnmaximierung programmiert sei. Entsprechend der Auffassung Leclercqs umreißt auch von Mohl die Abhängigkeit von Landesgröße und Schadenspotential einer Aktiengesellschaft sowie die Einwirkungsmöglichkeit ausländischer Interessen auf interne Staatsangelegenheiten: „Und daß diese Macht der Gesellschaften um so weitergreifend und um so unwiderstehlicher ist als sie sich kleineren Staaten gegenüber befindet, bedarf wohl nicht erst der Erwähnung. Auch möchte es nicht ganz außer Acht zu lassen seyn, dass möglicherweise der von einer Aktiengesellschaft auszuübende Einfluß im Dienste auswärtiger Interessen, sey es fremder Regierungen oder fremder Gewerbe, stehen kann. Nicht nur mag der Sitz der Anstalt im Auslande seyn, sondern wenn dem auch nicht so ist, können doch einflussreiche Mitglieder andern Staaten angehören und von diesem Standpunkte aus handeln.“ 809 Dennoch würden die Vorteile der Aktiengesellschaft deren Schattenseiten überwiegen, weshalb durch eine sittliche Konzessionsvergabepolitik die Rechtsform der Aktiengesellschaft (weiterhin) für die volkswirtschaftliche Entwicklung nutzbar gemacht werden müsse. Von Mohl geht also im Grundsatz noch von dem Nutzen der Konzession als staatlicher Vorsichts- bzw. Fürsorgemaßnahme aus.810 Ergänzend zu den Gedanken der Monopol- und Machtstellungsverhütung gesellten sich vereinzelt Gläubigerschutzinteressen als Argument pro Konzession hinzu.811 Pauschaliert formuliert, hieß auch die Literatur bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts die Politik der staatlichen Konzessionserteilung v. a. aus wirtschaftspolitischen Motiven gut. (c) Bewertung Mögen zunächst rechtsdogmatische Gründe eine gewisse Rolle für das Konzessionserfordernis gespielt haben, so können diese spätestens mit der Einführung des ADHGB von 1861 in den einzelnen Ländern nicht als zwingend erachtet werden. Vielmehr zeigt v. a. das Beispiel Preußens, dass das Konzessionserfordernis in erster Linie als Mittel der Wirtschaftsförderung und Wirtschaftslenkung fungierte. Dabei wurde streng darauf geachtet, die Bildung zu großer wirtschaftlicher Machtansammlung zu verhindern, indem man der Konzessionserteilung rigorose (Prüf-)Kriterien auferlegte. Die Bildung einer neuen Aktiengesellschaft 809
von Mohl, Deutsche Viertelsjahrs-Schrift (Heft 4) 1856, 1, 64. Ähnlich Vogt, ZHR 1 (1858), 477, 537–539. Demgegenüber proklamierte Schäffle kurz darauf den mangelnden volkswirtschaftlichen Nutzen der staatlichen Konzession und trat für die Sinnhaftigkeit des freien Spiels der Kräfte im Wettbewerb ein, s. ders., Deutsche Viertelsjahrs-Schrift (Heft 4) 1856, 259, 261, 289 ff. 811 von Mohl, Deutsche Viertelsjahrs-Schrift (Heft 4) 1856, 1, 46 f. spricht von der „heiligen Pflicht“ des Staates, die Bevölkerung vor Verlusten infolge von Schwindeleien zu schützen. 810
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verlangte eine öffentliche Bedürfnisprüfung und ein solches Bedürfnis konnte insbesondere darin bestehen, dass die Gesellschaft neue Geschäftsfelder erschloss, die im Allgemeininteresse lagen.812 Die staatliche Kontrolle nach der erteilten Konzession schlägt sich im Entsenderecht von Kommissaren und dem Vorbehalt des Entzugs der Genehmigung unter gewissen Umständen nieder.813 Der Gläubigerschutz war von untergeordneter Bedeutung.814 b) Die reichsweite Einführung des Normativsystems durch die Aktienrechtsnovelle 1870 aa) Fortfall der staatlichen Genehmigungspflicht der Aktiengesellschaft Dank der ersten Aktienrechtsnovelle von 1870 hielt das System der Normativbestimmungen im Deutschen Reich flächendeckend Einzug.815 Grundsätzlich bedurfte es für die Gründung einer Aktiengesellschaft keiner staatlichen Genehmigung mehr; andersgeartete Landesgesetze, die die Konzession zur Gründung einer Aktiengesellschaft vorsahen, wurden aufgehoben und damit der Zustand der Rechtszersplitterung bezüglich des Konzessionserfordernisses beseitigt.816 Dafür mussten bestimmte gesetzliche Bestimmungen eingehalten werden, die die Solidität des Unternehmens (anstelle der Konzession) garantieren sollten.817 Bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen hatte eine Aktiengesellschaft einen Rechtsanspruch auf die Eintragung in das Handelsregister, wodurch diese nach 812 Siehe Mertens, in: FS Klippel (2013), S. 603, 608–611 (mit Verweis auf Weinhagen (1866), Anhang, S. 41–43). 813 Siehe bereits die Nachweise in Fn 787. Auch unter dem preußischen ADHGB galten diese Grundsätze fort, vgl. etwa Art. 12 § 4 des preußischen Einführungsgesetzes zum ADHGB. Großfeld (1968), S. 122 f., sieht den Zweck der Konzession entsprechend vornehmlich in einer polizeilichen Maßnahme. 814 So auch Mertens, in: FS Klippel (2013), S. 603, 609 f. 815 Siehe § 1 des Gesetzes, betreffend die Kommanditgesellschaften auf Aktien und die Aktiengesellschaften, vom 11. Juni 1870, in: RGBl. 1870, Nr. 21, S. 375–386 (im Folgenden: 1. Aktienrechtsnovelle). Vgl. genauer zur Gesetzgebungsgeschichte der Novelle und den gesetzlichen Änderungen im Vergleich zur Ursprungsfassung des ADHGB von 1861: Zimmermann, Busch’s Archiv 20 (1871), 406–421 und Keyssner (1873), Aktiengesellschaften, S. 35 ff. bzw. aus neuerer Zeit Schubert (1981), S. 285– 317; Lieder, in: Bayer/Habersack (Hg.), Bd. 1 (2007), S. 318–387; ders., in: Bayer (Hg.) (2010), S. 25–58. 816 Polizei- bzw. gewerberechtliche Genehmigungserfordernisse blieben hiervon unberührt, vgl. hierzu auch Gliederungspunkt B. I. 3. c) aa) (2). 817 Hierzu gehörte die Einsetzung eines Aufsichtsrates nach Art. 225 ADHGB (1870). Der Aufsichtsrat sollte nun anstelle der Regierung eine wirksamere Kontrolle über die Aktiengesellschaft ausüben, vgl. Motive zum Entwurf der 1. Aktienrechtsnovelle, welche Bismarck zusammen mit dem Gesetzesentwurf zur Beschlussfassung an den Bundesrat übersandte, in: Drucksachen zu den Verhandlungen des Bundesrathes des Norddeutschen Bundes 1869, Drucksache Nr. 86/1869, S. 11 ff., 22 f. bzw. Verhandlungen des Reichstages des Norddeutschen Bundes, Bd. 13 (1870), Aktenstück, Nr. 158, S. 649 ff., 655.
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Art. 211 ADHGB (1870) ihre rechtliche Existenz erwarb. An diesem System hielt man trotz weiterer Aktienskandale, d.h. Schwindelgründungen bzw. Spekulationsblasen im Vorfeld der zweiten Aktienrechtsnovelle von 1884 bzw. dem ab 1900 in Kraft gesetzten HGB fest, weshalb die Novelle von 1870 als Meilenstein der modernen deutschen Aktienrechtsgesetzgebung gilt.818 bb) Abgrenzung von Aktienrecht und Vereinsrecht An dieser Stelle soll eine Abgrenzung vom Aktienrecht und Vereinsrecht vorgenommen werden, da sich die Voraussetzungen beider Rechtsmaterien (insbesondere in Bezug auf das Konzessionserfordernis) voneinander unterscheiden und klargestellt werden muss, welche Bestimmungen in Bezug auf die Aktiengesellschaften ab dem 20. Jahrhundert anwendbar waren (bzw. noch sind). Wie bereits dargestellt, stellte die Entwicklung des deutschen Aktienrechts im 19. Jahrhundert gerade eine Antwort auf die Unzulänglichkeiten des Allgemeinen Preußischen Landrechts bezüglich der Gründung privater Vereinigungen mit eigener Rechtssubjektivität dar.819 Die Rechtsfähigkeit konnten Privatgesellschaften nur mithilfe staatlicher Genehmigung erlangen. Insgesamt stand man im Deutschen Bund der Verleihung von Rechtssubjektivität an Personenvereinigungen noch skeptisch gegenüber, denn man fürchte vor allem die politische Macht dieser Gebilde – ein Phänomen, das bereits für Frankreich ausführlich dargelegt wurde.820 Mit der sich mehr und mehr etablierenden Trennung von privatem und öffentlichem Vereinsrecht und der sich herausbildenden Sondergesetze für Erwerbsgesellschaften mit eigener Rechtssubjektivität (wie etwa die Regelung der Aktiengesellschaft oder der GmbH 1892) setzte sich das Normativbestimmungs818 Nach der Einführung des Normativsystems erlebte die Gründung von (teilweise dubiosen) Aktiengesellschaften einen Boom, bis es 1873 zu einem Börsenkrach kam. Auf die bestehenden Missstände wies Lasker bereits im Jahre 1873 im Deutschen Reichstag hin. Ähnlich wie seinerzeit in Frankreich unterstrich Lasker die Unzulänglichkeit der staatlichen Konzession zur Verhinderung von Aktienskandalen, vgl. 15. Sitzung am 4. April 1873, in: Verhandlungen des Reichstages, Bd. 27 (1873), S. 213, 216: „Durch die Gunst des neuen Aktiengesetzes, welches die Regierung von der lästigen Mitwirkung in den Konzessionen befreit hat, ist das Gründungswesen und Alles, was schwindelhaft damit zusammenhängt, ohne direkten Antheil der Regierung in den letzten Jahren geschehen. Dies halte ich für einen sehr großen Vortheil der Aktiennovelle: wir würden sonst auch hier zu unserer Beschämung entweder vor einer Unzulänglichkeit oder einer Mitschuld der Regierung stehen, während jetzt das Privatleben alle diese Geschäfte für sich allein besorgt“. Vgl. auch die Motive zur 2. Aktienrechtsnovelle von 1884, in: Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstages, 5. Legislatur-Periode, 4. Session 1884, Bd. 3, Anlagen zu den Verhandlungen des Reichstages von Nr. 1-283, Nr. 21, S. 237 ff., die die Beibehaltung des Normativsystems rechtfertigen. 819 Vgl. hierzu bereits oben Gliederungspunkt B. I. 3. a) bb) (1) (a). 820 Einen Überblick über die allgemein restriktive Gesetzgebung zum Vereinsrecht in Deutschland liefert HKK/Bär, §§ 21–79, Rn 16–19.
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system zunehmend durch.821 Dennoch spielte allgemein der Aspekt der Verleihung der Rechtsfähigkeit durch den Staat auch im ausgehenden 19. Jahrhundert noch eine tragende Rolle.822 Fraglich ist daher insbesondere, welche Regelungen das BGB von 1900 zum Vereinsrecht vorsah und welches Verhältnis dieses zum Aktienrecht des (ebenfalls ab dem Jahre 1900) das ADHGB ablösenden HGB einnimmt. Zunächst muss daher ein (vorweggenommener) Blick auf das Vereinsrecht des BGB geworfen werden: In der Tat spielte die Frage nach der Erlangung der Rechtsfähigkeit eines Vereins bei der Beratung des BGB eine tragende Rolle und man entschied sich schließlich nach langen Debatten über Konzessions- und Normativsystem für ein hybrides Modell: Die Idealvereine wurden dem System der Normativbestimmungen mitsamt Registereintragung unterworfen, die Vereine mit politischer, sozialpolitischer oder religiöser Zwecksetzung hingegen einem modifizierten Konzessionssystem i. S. e. Widerspruchsrechts der Verwaltungsbehörden gegen die Registereintragung untergeordnet.823 Vereine mit wirtschaftlicher Zielsetzung sollten nach dem heute noch geltenden § 22 BGB (subsidiär) dem Konzessionsprinzip unterliegen, sofern das Reichsrecht (heute: Bundesrecht) keine spezifischen Vorschriften zu Gründung und Rechtsfähigkeit bereithielt.824 Zwar kann auch der wirtschaftliche Verein wie die Aktiengesellschaft ein Handelsgewerbe betreiben, doch darf nach ständiger Rechtsprechung die Rechtsform des wirtschaftlichen Vereins nicht missbräuchlich zur Umgehung einschlägiger kapitalgesellschaftsrechtlicher Regelungen gewählt werden.825 Der im Vereinsrecht nur unzurei821
Hierzu knapp: HKK/Bär, §§ 21–79, Rn 19 mit weiterführenden Literaturhinwei-
sen. 822 Zu dem Einsturz dieser Konzeption bei der Aktiengesellschaft vgl. sogleich Gliederungspunkt B. I. 3. b) cc). 823 Vgl. die Gesetzgebungsprotokolle der 2. Kommission zur Beratung des Vereinsrechts, in: Achilles/Gebhard/Spahn, Bd. 1 (1897), S. 476 ff., 490 ff., 538, 578 ff.; s. zu Beratungen des Justizausschusses des Bundesrats Jakoks/Schubert, Beratung AT, Teilbd. 1 (1985), S. 338 ff.; guter Überblick hierzu bei HKK/Bär, §§ 21–79, Rn 22–27. Der Idealverein wurde in § 21 BGB geregelt, die Ausnahmevorschrift zu den politisch bedenklichen Vereinen in §§ 43 III, 61 II BGB; Vorschriften des BGB i. d. F. vom 1.1. 1900 sind abgedruckt in RGBl. 1896, S. 195 ff. 824 Vgl. hierzu Protokolle: zur 1. Kommission, in: Jakobs/Schubert, Beratung AT, Teilbd. 1 (1985), S. 153; zur 2. Kommission, in: Achilles/Gebhard/Spahn, Bd. 1 (1897), S. 495, 503 bzw. ähnlich in Mudgan, Bd. 1 (1899), S. 602, 606: Danach sollte grds. auch erwerbswirtschaftlich orientierten Vereinen Rechtsfähigkeit zugebilligt werden dürfen. „Für eine Anzahl von Vereinen, welche einen wirthschaftlichen Erwerbszweck verfolgen, sei allerdings durch die Reichsspezialgesetzgebung genügende Vorsorge getroffen. Die Reihe der in dieser Beziehung in Betracht kommenden Vereinigungen sei hiermit jedoch keineswegs erschöpft.“ Nur für den Fall der fehlenden Spezialvorschrift sollte also der spätere § 22 BGB dienen. 825 Vgl. hierzu bereits die königlich-sächsische Verordnung des Innenministeriums vom 17. September 1900, in: Reger/Oeschey, Bd. 21 (1901), S. 172; BGHZ 22, 240; BGHZ 85, 85; BVerwG 1979, 2265 mit Zustimmung von K. Schmidt, NJW 1979, 2239 f.; Staudinger/Coing, Bd. 1 (1957), Vorbem. Vereine, Rn 16, 18 und § 22, Rn 2;
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chend gesetzlich gewährleistete Mitglieder- bzw. Gläubigerschutz wird nämlich durch die gesellschaftsrechtlichen Spezialvorschriften gewährleistet.826 Insofern entspricht es sowohl dem Willen der Gesetzesväter als auch der ständigen Rechtsprechung, dass eine Verleihung der Rechtsfähigkeit i. S. v. § 22 BGB nur dann in Betracht kommt, wenn die Erlangung der Rechtsfähigkeit nach kapitalgesellschaftsrechtlichen Spezialnormen für die Gesellschaft nicht in Frage kommt. § 22 BGB hatte somit nie eine Bedeutung für die Aktiengesellschaft, stellt lediglich eine Auffangvorschrift dar.827 cc) Hintergründe für den Übergang zum System der Normativbestimmungen Zur Legitimation des Kurswechsels beim Gründungssystem von Aktiengesellschaften in Deutschland musste das Fundament des Konzessionserfordernisses zum Einsturz gebracht werden, das aus rechtsdogmatischen, gläubigerinteressenorientierten und (allgemeinen) wirtschafts- bzw. rechtspolitischen Stützen bestand. Es wurde bereits dargestellt, dass das hybride Gründungssystem des ADHGB von 1861 längst nicht mehr zuließ, die staatliche Genehmigung als rechtsdogmatisch zwingendes Erfordernis für die Kreation einer juristischen Person anzuführen. Zudem beriefen sich die Motive zur Aktienrechtsnovelle auf die rechtliche Annäherung von Personen- und Kapitalgesellschaft, denn beide wurden im ADHGB von 1861 als Träger von Rechten und Pflichten anerkannt.828 Diese Sichtweise hatte sich daher auch weitgehend in der Rechtswissenschaft durchgesetzt.829 ausführlicher zur Theorie auch K. Schmidt, AcP 182 (1982), 1, 34–36; differenzierend MüKo-BGB/Reuter, 6. Aufl. 2012, § 22, Rn 9 ff. 826 K. Schmidt (2002), § 23 III 2 b), S. 668 ff. 827 S. hierzu auch Staub/Pinner, HGB, Bd. 1 (1906), § 178, Anm. 6, 12, S. 616 f. 828 Vgl. Motive zum Entwurf der 1. Aktienrechtsnovelle, Bundesrats-Drs. (wie Fn 817), S. 12: „Dem Bedenken ist (. . .) ein entscheidendes Gewicht deshalb nicht beizulegen, weil das Deutsche Handelsgesetzbuch allen übrigen, an die Staatsgenehmigung nicht geknüpften Handelsgesellschaftsformen (offene Handelsgesellschaft, Kommanditund Kommandit-Aktiengesellschaft) alle wesentlichen Rechte einer juristischen Person in genau demselben Umfange beilegt, wie der Aktiengesellschaft (. . .). Daß bei letzterer ein Konglomerat von Kapitalien allein, bei den übrigen Gesellschaften ein solches von physischen Personen allein oder von physischen Personen und Kapitalien kraft gesetzlicher Fiktion zum Rechtssubjekt wird, ändert an der rechtlichen Bedeutung dieser Fiktion offenbar nichts.“ 829 Goldschmidt und Jaques, in: Verhandlungen des DJT 2 (1869), S. 43, 50 ff. und 53, 54 f.; Keyssner (1873), Aktiengesellschaften, S. 43 f.; Zimmermann, Busch’s Archiv 20 (1871), 406, 410 f., weist zudem darauf hin, dass der AG im ADHGB nicht einmal ausdrücklich der Charakter einer juristischen Person beigemessen war. Auch die freie Gründungsmöglichkeit einer Genossenschaft nach dem Genossenschaftsgesetz 1867 stand im Widerspruch mit dem Konzessionserfordernis der Aktiengesellschaft, vgl. Schmoeckel (2008), Rn 272, S. 174 und Rn 274, S. 176.
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Überdies hatte sich gezeigt, dass der Staat mit der Konzession keinen wirksamen Schutz von Aktionären und Dritten vor Vermögensschäden gewährleisten konnte – eine Erfahrung, die bereits für den romanischen Rechtskreis dargelegt wurde.830 Stattdessen vertrat man nun den liberalen Gedanken des ausreichenden Missbrauchsschutzes durch Normativbestimmungen.831 Begleitend setzte sich in der europäischen Volkswirtschaftslehre das Gedankengut durch, dass der Staat lediglich die ordnungspolititschen Rahmenbedingungen vorzugeben habe, sich der Markt aber innerhalb dieser Rahmenbedingungen weitestgehend selbst reguliere und direkte staatliche Eingriffe daher grundsätzlich sehr restriktiv gehandhabt werden sollten.832 Entsprechend war der Einführung des Normativsystems ein wissenschaftlicher Disput vorausgeeilt, der vor allem die volkswirtschaftlichen Dimensionen der Kapitalgesellschaft in den Fokus rückte. So ist Schäffle als vehementer Verfechter der Aufgabe des Konzessionssystems zu nennen.833 Die Aktiengesellschaft könne die kleineren privaten Unternehmungen nicht verdrängen, da diese ganz andere Bedürfnisse der Abnehmer befriedige, mithin einen anderen Markt bediene.834 Zudem könne die staatliche Konzession die mit ihr verbundenen Erwartungen nicht erfüllen; einzig das sich selbst regulierende Marktprinzip scheide nützliche von schädlichen bzw. trügerischen Aktienunternehmungen.835 Der Geist des Wirtschaftsliberalismus, als dessen Vater Adam Smith gilt, breitete sich nicht nur in der Literatur, sondern auch in der Gesetzgebung wie ein Lauffeuer aus.836 Nebenbei ging auch die Furcht vor politischer Machtentfaltung der Aktiengesellschaften zurück. Man hielt diesen Argwohn von der ausstrahlenden Geld830 Zu Frankreich, s. o. Gliederungspunkt B. I. 2. d) aa). Vgl. zur deutschen Entwicklung die Motive zum Entwurf der 1. Aktienrechtsnovelle, Bundesrats-Drs. (wie Fn 817), S. 12 f. Hier wird auf negative Erfahrungen in Deutschland Bezug genommen und festgestellt: „Die einzige Garantie gegen solche Verluste ist die eigene Vorsicht. Ist diese Vorsicht entweder verabsäumt oder nicht ausreichend, dann kann auch die Prüfung des Projekts und des Statuts durch den Staat gewiß nicht helfen.“ 831 Zimmermann, Busch’s Archiv 20 (1871), 406, 409 f. 832 Vgl. hierzu Motive zur 2. Aktienrechtsnovelle, wie Fn 818, S. 242 f. sowie allgemein Schmoeckel (2008), Rn 109 ff., S. 72 ff., Rn 129 ff., S. 84 ff. 833 Schäffle, Deutsche Viertelsjahrs-Schrift (Heft 4) 1856, 259, 261, 289 ff. 834 Schäffle, Deutsche Viertelsjahrs-Schrift (Heft 4) 1856, 259, 287–289, 320 f. 835 Schäffle, Deutsche Viertelsjahrs-Schrift (Heft 4) 1856, 259, 289 f., 321. Vgl. aus moderner Perspektive v. a. auch Großfeld, in: Coing/Wilhelm, Bd. 4 (1979), S. 236, 244–250 m.w. N. zu zeitgenössischen Quellen. 836 So wurde z. B. mit der allgemeinen Gewerbeordnung von 1869 (abgedruckt in: BGBl. des Norddeutschen Bundes 1869, Nr. 26, S. 245–282) der Grundsatz der Gewerbefreiheit aufgestellt. Die Durchsetzung der wirtschaftsliberalen Einstellung auch in Deutschland beschreibt Lieder m.w. N., in: Bayer/Habersack (Hg.), Bd. 1 (2007), S. 318, 324 f.; Schubert, ZGR 1981, 285, 287; s. a. Nörr, ZNR 23 (2001), 51, 58 f., und ders., ZHR 172 (2008), 522, 524, 526, speziell zur Ausprägung freiheitlicher Wirtschaftsströmungen im ADHGB.
I. Die Entwicklung der Anerkennung ausländischer Gesellschaften
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macht „(. . .) abgesehen von seiner überhaupt mehr theoretischen Bedeutung, schon deshalb für hinfällig, weil die Kumulation von Kapitalien für eine (ohne Staatsgenehmigung errichtete) Kommanditgesellschaft auf Aktien kaum schwieriger sein wird, als für eine eigentliche Aktiengesellschaft.“ 837 Die zurückgegangene Angst lässt sich wohl nicht allein mit der Trennung von privatem und öffentlichem Vereinsrecht und den liberalen wirtschaftlichen Einflüssen erklären, vielmehr befand man sich gegenüber den Nachbarländern in Zugzwang: Ebenso wie sich bereits Frankreich bei der Einführung des Normativsystems an der englischen Gesetzgebung orientiert hatte und daher als zentrales Motiv für die entsprechende Einführung der Normativbestimmungen eine Gleichstellung der eigenen mit den fremden Gesellschaften herausgearbeitet wurde, so hatte wohl auch der deutsche Gesetzgeber insbesondere eine Stärkung der heimischen Gesellschaften in Hinblick auf die ausländische Konkurrenz zum Ziel. Als mitentscheidend für die Einführung des Normativsystems erscheinen erneut ökonomische Gründe, insbesondere ein Gleichziehen mit den Gründungsbedingungen in England und Frankreich.838 Bezeichnenderweise bringt Goldschmidt bei seinem Plädoyer für die Abschaffung des Konzessionserfordernisses vor dem Deutschen Juristentag 1869 gerade die Verquickung mit der Anerkennungsfrage ins Spiel: „Es ist gegenwärtig im Ausland und zwar in den kapitalreichsten Staaten des Auslandes die Bildung der Aktien-Gesellschaften (. . .) durchaus freigegeben worden. Nach den Grundsätzen unseres heutigen internationalen Rechts wird ein jeder Verein der Art, der im Ausland rechtsgiltig ohne Staatsgenehmigung existent geworden ist, bei uns seine Geschäfte treiben dürfen, ganz wie eine einheimische Gesellschaft; es ist das überdies auch durch die neueren Staatsverträge fast allgemein festgestellt worden. Nun ist das zwar überaus liebenswürdig von uns, wenn wir auswärtigen Gesellschaften größere Freiheiten gestatten als unseren eigenen, allein ich meine, es ist das doch die internationale Courtoisie etwas zu weit getrieben, (. . .) und es würde immerhin zweckmäßig sein, daß wir für unsere eigenen Gesellschaften mindestens eine gleich günstige Stellung zu erringen suchen. Diesem Mißstand also können wir nur dann begegnen, wenn wir auch für unsere eigenen Gesellschaften die Freiheit anerkennen.“ 839 Im Folgenden soll nun aufgezeigt werden, ob die von Goldschmidt aufgegriffene liberale Haltung zur Anerkennungsfrage in der deutschen Gesetzgebung, Literatur und Rechtsprechung tatsächlich bestand und inwieweit sich hier belgischfranzösische und deutsche Motive wider- bzw. entsprechen. 837 Motive zum Entwurf der 1. Aktienrechtsnovelle, Bundesrats-Drs. 86/1869 (Quelle wie Fn 817), S. 13. 838 Goldschmidt, in: Verhandlungen des DJT 2 (1869), S. 43, 46, 49. S. a. die allgemeine Schilderung bei Schubert, ZGR 1981, 285, 289 ff. zur Vorbildfunktion der europäischen Nachbarrechtsordnungen und der Gesetzgebungsgeschichte des Normativbestimmungssystems in der 1. Aktienrechtsnovelle. 839 Goldschmidt, in: Verhandlungen des DJT 2 (1869), S. 43, 49.
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B. Umgang mit fremden Gesellschaften aus rechtshistorischer Perspektive
c) Die Behandlung der Anerkennungsfrage aa) Gesetzliche Grundlagen Zur Untersuchung der Anerkennungsproblematik in Deutschland ist zunächst die Rechtslage in den jeweils geltenden Handelsgesetzbüchern bzw. dem spezielleren Aktiengesetz des 19. und 20. Jahrhunderts sowie die Entstehungsgeschichte des EGBGB heranzuziehen. (1) Mangelnde Anerkennungsregel im ADHGB Gesetzesgrundlagen, die die Anerkennung ausländischer Aktiengesellschaften bzw. allgemein juristischer Personen ausdrücklich regelten, gab es in den deutschen Einzelstaaten nicht. Genau wie in Frankreich und Belgien war diese Frage bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts kaum von praktischer Relevanz; eine wissenschaftliche Beschäftigung hiermit erfolgte erst im Hinblick auf die Probleme in den Nachbarländern.840 Die Frage der Anerkennung fremder Aktiengesellschaften scheint in einem deutschen Gesetzgebungsverfahren erstmals im Jahre 1857 diskutiert worden zu sein.841 In der 42. Sitzung der „Kommission zur Berathung eines allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuches“ am 23. März 1857 hatte ein Mitglied angeregt, sich über eine Regelung zu verständigen, die das Verhalten der einzelnen deutschen Staaten gegenüber Aktiengesellschaften betreffen sollte, „(. . .) welche in einem anderen deutschen Staate oder außerhalb der deutschen Bundesstaaten domicilirt und konzessionirt seien“.842 Das Mitglied schlug vor, in Zusammenhang mit Art. 181 des ministeriellen Entwurfs eine gesetzliche Anerkennungsregel (zumindest für die gegenseitige Anerkennung der in den deutschen Einzelstaaten gegründeten Aktiengesellschaften) festzuschreiben.843 In der Diskussion differenzierten die Mitglieder bereits – über die französisch-belgische Ansicht hinaus-
840 Vgl. Weinhagen (1866), Art. 213 ADHGB, S. 147, der davon spricht, dass die Frage der Rechtsfähigkeit einer Aktiengesellschaft außerhalb ihres Heimatstaates „in neuerer Zeit in den Vordergrund“ getreten sei. 841 Vgl. Lutz, Protokolle, Bd. 1 (1858), S. 370 ff. Die im Vergleich zu Belgien und Frankreich geringere Bedeutung der Anerkennungsproblematik in Deutschland betont auch Großfeld, RabelsZ 38 (1974), 344, 358. 842 Vgl. Lutz, Protokolle, Bd. 1 (1858), S. 370. 843 S. Lutz, Protokolle, Bd. 1 (1858), S. 370 f.: „Für den Fall, daß bezüglich solcher Gesellschaften eine entsprechende Bestimmung nicht ohnehin aufgenommen werden sollte, machte dasselbe [Mitglied] den Vorschlag, als Zusatz zu der salvatorischen Klausel in Betreff des Erfordernisses der Staatsgenehmigung zu bestimmen, daß die in den deutschen Bundesstaaten errichteten Aktiengesellschaften gegenseitig als zu Recht bestehend anzuerkennen seien, sobald die Errichtung nach den Bestimmungen der Landesgesetzgebungen gültig erfolgt sei.“ [Hinzufügung durch Verf.]. Siehe zum Wortlaut des Art. 181 des ministeriellen Entwurfes zum ADHGB bereits Fn 742.
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gehend –844 zwischen bloßer Rechtsfähigkeit und der Zulassung zum Gewerbe: „(. . .) unterschieden werden müsse zwischen der Frage nach der privatrechtlichen Rechtsfähigkeit der erwähnten Aktiengesellschaften und der Frage, ob dieselben in einem Lande auch ausserdem als berechtiget angesehen und zum Geschäftsbetriebe zugelassen werden könnten, oder ob wegen ihres Gegenstandes, wegen ihrer Organisation etc. Grund bestehe, die Vornahme von Geschäften durch dieselbe[n] in einem Lande nicht zuzulassen. Wenn es sich blos darum handele, die civilrechtliche Rechtsbeständigkeit einer solchen im Auslande domicilierten Aktiengesellschaft anzuerkennen, also z. B. zu entscheiden, ob dieselbe in einem anderen Land klagen könne etc., so sei kein Bedenken vorhanden, diese Anerkennung auszusprechen. Dazu bedürfe es aber auch keiner ausdrücklichen Bestimmung im Handelsgesetzbuche, denn eine Aktiengesellschaft sei ein nach einem civilrechtlich feststehenden Institute begründetes Rechtsverhältniß, wie jedes andere Verhältniß dieser Art. Es verstehe sich nun von selbst, daß seine Entstehung nach Maßgabe derjenigen bürgerlichen Gesetze beurtheilt werde, unter deren Herrschaft es sich befinde. Wo also nach den Gesetzen eines Landes eine Aktiengesellschaft der Staatsgenehmigung zur Erlangung einer rechtlichen Existenz nicht bedürfe, da werde die bürgerliche Rechtsbeständigkeit einer in diesem Lande domicilirten Aktiengesellschaft auch in anderen Ländern, in welchen zur Begründung einer Aktiengesellschaft die Staatsgenehmigung erforderlich sei, ohne solche Genehmigung zur Anerkennung gelangen müssen. Die andere Frage aber, ob der ausländischen Gesellschaft auch das Recht eingeräumt werden könne, in einem anderen Lande Geschäfte zu machen, ihr Papiergeld dortselbst zu verbreiten etc., sei wesentlich staatspolizeilicher Natur, und deren Entscheidung gehöre nicht zur Aufgabe der Konferenz.“ 845 Wie die Quelle zudem zeigt, war man in Deutschland – anders als in Belgien und Frankreich – weit davon entfernt, das etwaige im nationalen Gesellschaftsrecht bestehende Konzessionserfordernis als Vorwand der Nichtanerkennung einer auswärtigen Gesellschaft zu verwenden. Diesem Leitgedanken gemäß enthielten auch die Aktienrechtsnovellen von 1870 und 1884 keine Anerkennungsregel.846 Der historische Gesetzgeber der zweiten Aktienrechtsnovelle zum ADHGB von 1884 hielt eine Änderung des bisherigen Zustands der automatischen Anerkennung fremder Gesellschaften in den deutschen Bundesländern nicht für geboten, da durch den bisherigen Zustand, d.h. „(. . .) bei freier Anerkennung der Grundsätze des internationalen Privat844
Vgl hierzu bereits oben Gliederungspunkt B. I. 2. c) cc) (3). S. Lutz, Protokolle, Bd. 1 (1858), S. 371 [Hinzufügung durch Verf.] (Hervorhebung. des Verf.). 846 Vgl. 1. Aktienrechtsnovelle (Quelle wie Fn 815) und Gesetz, betreffend die Kommanditgesellschaften auf Aktien und die Aktiengesellschaften. Vom 18. Juli 1884, RGBl. 1884, Nr. 22, S. 123–170 (im Folgenden: 2. Aktienrechtsnovelle). 845
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rechts die einheimischen Interessen ausreichend gewahrt“ seien.847 Unbedenklich könne „(. . .) die Frage, inwieweit eine ausländische Aktiengesellschaft im Reichsgebiete als Rechtssubjekt anzuerkennen ist, wie bisher dem bürgerlichen Recht überlassen bleiben.“ 848 (2) Rolle allgemein fremden- und gewerberechtlicher Schranken (a) Bedeutung landesrechtlicher Beschränkungen Gestützt wird die angesprochene rechtliche Würdigung auf der Nürnberger Konferenz dadurch, dass zumindest einzelstaatliche Regelungen ausländische juristische Personen betreffend mit fremdenrechtlichen Charakter existierten. So hatte das preußische Justizministerium – noch unter (direkter) Geltung des ALR und damit vor Erlass des preußischen Aktiengesetzes von 1843 – durch Verfügung vom 17. September 1842 verlautbart, dass eine fremde Lebensversicherungsbank aus Gotha in Preußen als Inhaberin eines Grundpfandrechtes ins Hypothekenbuch eingetragen werden könne.849 Die Verfügung erkennt an, dass die „(. . .) Bank im Herzogthum Gotha als Korporation sanktionirt ist, daselbst also für eine moralische Person gilt.“ 850 Aus diesem Grunde müssten der fremden Rechtsperson in Preußen nach § 41 der Einleitung zum ALR grundsätzlich alle Rechte zugestanden werden, die den preußischen Untertanen auch zustünden.851 Die Bank wird also ohne weiteres als fremdes Rechtssubjekt anerkannt, ohne dass es einer „besonderen Kenntnißnahme von der inneren Verfassung der Bank“ bedürfe, woraus folge, dass „daher auch der Nachweis, daß dieselbe vom diesseitigen Staate als Korporation anerkannt sei, nicht erforderlich [ist]“.852 War die Eintragung in diesem Falle unproblematisch, so konnten der ausländischen juristischen Person aber Restriktionen in anderer Form auferlegt werden, insbesondere sah die preußische Rechtsordnung Genehmigungspflichten für den Eigentumserwerb von Korporationen vor. Demgemäß bestimmte ein preußisches Gesetz vom 4. Mai 1846 in § 1:853
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Vgl. Motive zur 2. Aktienrechtsnovelle, Quelle wie Fn 818, S. 310, 313. Motive zur 2. Aktienrechtsnovelle, Quelle wie Fn 818, S. 310, 313. 849 Vgl. Verfügung vom 17. September 1842, in: Justiz-Ministerialblatt für die preußische Gesetzgebung und Rechtspflege 1842, Nr. 38, S. 308. 850 Verfügung, wie Fn 849. 851 § 41 der Einleitung des ALR lautete: Fremde Unterthanen haben also, bey dem Betriebe erlaubter Geschäfte in hiesigen Landen, sich aller Rechte der Einwohner zu erfreuen, so lange sie sich des Schutzes der Gesetze nicht unwürdig machen. 852 Verfügung, wie Fn 849 [Hinzufügung durch Verf.]. 853 Gesetz über die Erwerbung von Grundeigenthum für Korporationen und andere juristische Personen des Auslandes vom 4. Mai 1846, in: Gesetz-Sammlung für die königlichen preußischen Staaten 1846, S. 235. 848
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Ausländische Korporationen und andere juristische Personen des Auslandes können Grundeigenthum innerhalb Unserer Staaten nur mit Unserer Genehmigung erwerben. Nach Weinhagen wurde diese Vorschrift auf alle Aktiengesellschaften des Auslandes angewendet.854 Am 23. Februar 1870 wurde in Preußen schließlich ein Gesetz erlassen, das (Immobilien-)Schenkungen reglementierte und in § 2 S. 1 normierte:855 Schenkungen und letztwillige Zuwendungen an inländische oder ausländische Korporationen oder andere juristische Personen bedürfen zu ihrer Gültigkeit ihrem vollen Betrage nach der Genehmigung des Königs oder der durch Königliche Verordnung ein für alle Mal zu bestimmenden Behörde, wenn ihr Werth die Summe von Eintausend Talern übersteigt. § 4 S. 1 bestimmte: Die besonderen gesetzlichen Vorschriften, wonach es zur Erwerbung von unbeweglichen Gegenständen durch inländische oder ausländische Korporationen und andere juristische Personen überhaupt der Genehmigung des Staats bedarf, werden durch die vorstehenden Bestimmungen nicht berührt. Letztgenannte Norm galt nach Wolff ebenso für fremde Aktiengesellschaften.856 Die preußischen Gesetze zeigen, dass ausländische juristische Personen bestimmten Erwerbsbeschränkungen unterlagen. Die Regelungen aus dem Jahre 1870 galten jedoch genauso für inländische Korporationen und juristische Personen und stellen im Verhältnis zur Rechtslage in Frankreich und Belgien zunächst keine Besonderheit dar.857 Sofern man voraussetzt, dass diese Normen auf jegliche Aktiengesellschaften anwendbar waren – schließlich regelte das ADHGB ja auch nicht positiv, dass die inländische Aktiengesellschaft juristische Person sei – könnte man hieraus ggf. bereits ableiten, dass die fremde Aktiengesellschaft in 854
Weinhagen (1866), Art. 213 ADHGB, S. 143. Gesetz, betreffend die Genehmigung zu Schenkungen und letztwilligen Zuwendungen, sowie zur Uebertragung von unbeweglichen Gegenständen an Korporationen und andere juristische Personen vom 23. Februar 1870. Die nachfolgenden Normen sind abgedruckt in: Gesetz-Sammlung für die königlichen preußischen Staaten 1870, S. 118 f. 856 E. Wolff, Clunet 12 (1886), 134, 138, dort Fußnote 1; derartige Beschränkungen galten auch noch unter dem HGB von 1900 fort, s. Staub/Pinner, HGB, Bd. 1 (1906), § 6, Anm. 3, S. 82; Plotke, Zeitschrift für Internationales Privat- und Strafrecht, Bd. 10 (1900), 211, 213–218. 857 Vgl. bereits die Nachweise in Fn 314 zu den Erwerbsbeschränkungen in Frankreich und Belgien. Siehe allgemein zu den Erwerbsbeschränkungen für inländische juristische Personen in den einzelnen deutschen Ländern im 19. Jahrhundert, Bogeng (1908), S. 28 ff. 855
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Deutschland grundsätzlich rechtlich existent war, ggf. aber bestimmten Beschränkungen unterlag.858 Deutlicher noch zeigt sich aber die grundsätzliche Anerkennung der Rechtsfähigkeit der fremden Gesellschaften in gewerberechtlichen Regelungen. Die Trennung zwischen rechtlicher Existenz der ausländischen Gesellschaft und der Erlaubnis zur Ausübung ihrer Geschäfte im Gastland schlägt sich in der Preußischen Allgemeinen Gewerbeordnung in der Fassung vom 22. Juni 1861 nieder. Dort war in Art. 1, § 18 I geregelt:859 Juristische Personen des Auslandes dürfen, sofern nicht durch Staatsverträge ein anderes bestimmt ist, nur mit Erlaubniß der Ministerien in Preußen ein stehendes Gewerbe betreiben.860 Die Vorschrift ging somit grundsätzlich von der rechtlichen Existenz der fremden Rechtsperson im Inland aus, allein deren Tätigwerden im Inland bedingte eine hoheitliche Erlaubnis. Nicht nur in Preußen, ebenfalls in Sachsen sah man die automatische Anerkennung der fremden juristischen Personen als natürliche Grundvoraussetzung der Behandlung einer ausländischen Aktiengesellschaft an. Dies geht etwa aus der Verordnung des sächsischen Justizministeriums vom 4. April 1862 hervor. Diese bestimmte bezüglich Art. 21 III ADHGB861, der (i.V. m. Art. 21 I) die Eintragung der Firma einer Zweigniederlassung einer Handelsgesellschaft beim zuständigen Handelsgericht vorschrieb und deren Wirksamkeit von der Eintragung der Firma der Hauptniederlassung abhängig machte, Folgendes: „[Es] (. . .) ergibt sich, daß bei dem Eintrage einer Zweigniederlassung (. . .) die Voraussetzung des Eintrags der Hauptniederlassung nur um deswillen für nothwendig erachtet worden ist, damit man der Anerkennung der Hauptniederlassung als eines eintragsfähigen Geschäfts und namentlich der Actiengesellschaften des rechtlichen Be858 So Weinhagen (1866), Art. 213 ADHGB, S. 147, der § 1 des Gesetzes vom 4. Mai 1846 als rechtliches Argument für die Anerkennung der Rechtsfähigkeit der ausländischen Aktiengesellschaft im Inland präsentiert. 859 Abdruck in: Gesetz-Sammlung für die königlichen preußischen Staaten 1861, S. 441–445. In der Ursprungsfassung des § 18 der Gewerbeordnung vom 17. Januar 1845 (Gesetz-Sammlung für die königlichen preußischen Staaten 1845, S. 41 ff.) war noch allgemeiner von der Erlaubnis des Gewerbetreibens für „Ausländer“ die Rede, vgl. hierzu von Aster (1865), S. 58 ff. Vgl. allgemein zum preußischen Gewerberecht etwa Steindl, in: Coing, Handbuch, Bd. 3/3 (1986), S. 3539, 3558, 3565. S. a. die Entscheidung vom königlichen Revisions- und Cassationshof vom 18. Mai 1851, in: Archiv für das Zivil- und Kriminalrecht der Königlich-Preussischen Rheinprovinzen, Bd. 46 (= N.F. Bd. 39), Abth. 2 (1851), 104, 107 zur Unterscheidung zwischen der Anerkennung einer fremden Gesellschaft und deren Zulassung zum Gewerbe (unter Geltung eines Handelsvertrages). 860 Eine Definition des stehenden Gewerbes findet sich in § 15 der preußischen Gewerbeordnung vom 17. Januar 1845 (Quelle wie Fn 859). 861 Abdruck bei Lutz, Beilagenband 2 (1861), S. 5.
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stehens der Hauptniederlassung (HGB Art. 211) versichert sei, und nicht etwa durch Bedenken gegen die Eintragung der Hauptniederlassung auch die Rechtsbeständigkeit des Eintrags der Zweigniederlassung gefährdet werde. Wenn es aber nun an dem Orte, wo sich die Hauptniederlassung befindet, zum Bestehen einer Actiengesellschaft eines Eintrags derselben in das Handelsregister nicht bedarf, wie namentlich an solchen Orten, wo das Handelsgesetzbuch noch nicht eingeführt ist, oder überhaupt niemals eingeführt wird (im außerdeutschen Auslande), oft der Fall sein wird, dann muß man sich der Natur der Sache nach, statt des Eintrages der Hauptniederlassung, mit einer anderen Constatirung des rechtlichen Bestehens derselben begnügen, welche (. . .) in der nachgewiesenen landesherrlichen Bestätigung (. . .) enthalten ist.“ 862 Die Eintragung der rechtlich unselbstständigen und als abhängiger Teil des Gesamtunternehmens erscheinenden Zweigniederlassung863 hing also von der bestehenden Rechtspersönlichkeit der ausländischen Hauptniederlassung ab und wurde bei rechtmäßiger Gründung letzterer im Ausland grds. anerkannt – auch wenn sich die ausländischen Gründungsmodalitäten maßgeblich von jenen des „Anerkennungsstaates“ unterschieden.864 Nach einer Verordnung von 1869 war den fremden Aktiengesellschaften ab diesem Jahr der Gewerbebetrieb in Sachsen-Altenburg aber nur mit ministerialer Genehmigung möglich.865 Auch in Baden waren gewerberechtliche Beschränkungen für ausländische Aktiengesellschaften möglich, insbesondere wenn badische Aktiengesellschaften in deren Herkunftsland keine Geschäfte betreiben durften.866 Diese Liste landesge862 Verordnung des Königlich sächsischen Justizministeriums, in: Busch’s Archiv, Bd. 1 (1863), 530 und ZHR 6 (1863), 581 f. In diese Richtung geht auch die Verordnung vom 2. Mai 1863, in: Busch’s Archiv, Bd. 2 (1864), 140 f. betreffs der Eintragung einer nach deutschem Recht unzulässigen Firma der Zweigniederlassung. In ZHR 6 (1863), 580 f. und 582 f., finden sich auch Ausführungen zur Definition der Zweigniederlassung in der Verordnung bzw. zu besonderen Anforderungen an den Geschäftsbetrieb ausländischer Versicherungsgesellschaften in Sachsen. 863 Vgl. zum Begriffe der Zweigniederlassung aus zeitgenössischer Sicht Agricola, in: Siebenhaar’s Archiv, Bd. 12 (1863), 279 ff., insbes. 282, 288. 864 Sachsen war darüber hinaus liberal, was Erwerbsbeschränkungen fremder juristischer Personen betraf, s. Plotke, Zeitschrift für Internationales Privat- und Strafrecht, Bd. 10 (1900), 269, 271. 865 E. Wolff, ÖZBl. 4 (1886), 409, 416 f.; ders., Clunet 13 (1886), S. 134, 141. 866 Badisches Gewerbegesetz vom 20. September 1862 zitiert nach Renaud (1875), S. 192, dort Fußnote 16: Die Gewerbebefugnisse eines Inländers kommen auch den Angehörigen anderer Staaten zu. Ebenso haben Actiengesellschaften, welche in anderen Staaten errichtet sind, das gleiche Recht zum Gewerbebetrieb wie die inländischen, sofern sie den gesetzlichen Bedingungen genügen, welchen die inländischen unterworfen sind. Durch Regierungsverordnung kann eine Ausnahme von dieser Bestimmung in Bezug auf die Angehörigen, beziehungsweise die Actiengesellschaften derjenigen Staaten angeordnet werden, in welchen eine, von dem gegenwärtigen Gesetze grundsätzlich verschiedene, die Freiheit des Erwerbs und der Niederlassung beschränkende Gesetzgebung besteht, oder der Badener nicht in gleicher Weise wie der eigene Staatsangehörige zum Gewerbebetriebe zugelassen wird. Vgl. auch Urteil des Kreisgerichts Lörrach vom
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setzlicher Regelungen, die gewerberechtliche Auflagen bzw. Beschränkungen der fremden Gesellschaften vorsahen, lässt sich fortführen.867 Allesamt setzen diese Regelungen denknotwendig voraus, dass die fremde juristische Person in den deutschen Ländern als rechtlich bestehend behandelt wurde; anderenfalls wären entsprechende handels- bzw. gewerberechtliche Bestimmungen sinnentleert gewesen. Die einzelstaatlichen gewerberechtlichen Beschränkungen fremder Gesellschaften behielten auch unter Geltung der Gewerbeordnung von 1869, die reichsweit den (grundsätzlich schrankenlosen) Gewerbetrieb regeln sollte, ihre Wirkungskraft.868 So ordnete § 12 I der Gewerbeordnung an, dass es hinsichtlich der Ausübung des Gewerbebetriebs der fremden juristischen Person bei den Landesgesetzen bewende.869 Zudem waren nach der einheitlichen Gewerbeordnung von 1869 alle ausländischen Gesellschaften auch denjenigen Bestimmungen unterworfen, die aufgrund der besonderen öffentlichen Bedeutung oder Gefährlichkeit den Gegenstand eines Unternehmens an die staatliche Genehmigung oder Aufsicht banden, so z. B. für Versicherungsgesellschaften oder Eisenbahnunternehmen.870 Als Rechtsfolge des Tätigwerdens ohne notwendige gewerberechtliche Konzession sahen die einzelstaatlichen gewerberechtlichen Bestimmungen ein Verbot weiterer Geschäftstätigkeit beziehungsweise § 147 Nr. 1, 2 der GewO von 1869 regelmäßig eine Geldstrafe vor.871 17. März 1868, in: Busch’s Archiv, Bd. 19 (1870), 45–47, das zwischen Rechtsfähigkeit der fremden juristischen Person und gewerbepolizeilichem Verbot zum Geschäftsverkehr im Inlande unterscheidet. 867 Siehe E. Wolff, ÖZBl. 4 (1886), 409, 416; ders., Clunet 13 (1886), 134, 138 (dort Fußnote 1) und 140 f. 868 Vgl. allgemein zu Geschichte und Inhalt der Reichsgewerbeordnung, Steindl, in: Coing, Handbuch, Bd. 3/3 (1986), S. 3539, 3550–3553. S. hierzu und zur Entwicklung im 20. Jahrhundert auch Landmann/Rohmer/Fröhler, 11. Aufl. (1956), Einleitung, S. 1 ff. 869 BGBl. des Norddeutschen Bundes, Bd. 1869, Nr. 26, S. 248. Eine Auflistung einschlägiger Landesgesetze findet sich für Preußen bei Marcinowski (1898), S. 27 f. sowie für andere deutsche Staaten bei Landmann/Rohmer, 8. Aufl. (1928), § 12, S. 163 f. Neben den Erlaubnisvorbehalten aufgrund der Rechtsform der Aktiengesellschaft als juristische Person wurden v. a. Beschränkungen aufrechterhalten, die rechtsformunabhängig den Gegenstand des Unternehmens betrafen. 870 In der Gewerbeordnung selbst sahen §§ 16 ff. und §§ 29 ff. besondere Genehmigungen für bestimmte Geschäfte vor; zudem existierten spezial- bzw. landesgesetzliche Regelungen für Eisenbahnbau, Versicherungsgeschäfte, Banknotenemission, Ausgabe von Inhaberschuldverschreibungen, Auswanderungsvermittlung und Vertrieb von Lotterielosen, vgl. E. Wolff, ÖZBl. 4 (1886), 409, 417 sowie die Übersicht zur Gesetzgebung, in: Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages des Norddeutschen Bundes, 1. Legislatur-Periode, Session 1869, Dritter Band, Anlagen zu den Verhandlungen des Reichstages von Nr. 1-283, Nr. 13, S. 129 ff. 871 Vgl. beispielhaft §§ 23, 171, 176, 177 der allgemeinen preußischen Gewerbeordnung von 1845 (Quelle wie Fn 859) sowie die Circular-Verfügung vom 16. Juli 1861,
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Die gewerberechtlichen Bestimmungen für fremde Gesellschaften waren somit schon formal strenger ausgestaltet als für die deutschen, weshalb die Ausländer insofern benachteiligt waren: Für die deutschen Gewerbetreibenden galt gemäß § 1 der Gewerbeordnung ab 1869 der Grundsatz der Gewerbefreiheit, lediglich für spezielle Gewerbearten mussten zusätzliche Voraussetzungen erfüllt werden.872 Demgegenüber musste jede einzelne ausländische Gesellschaft auch unabhängig von der Sparte in der diese tätig werden wollte, eine staatliche Erlaubnis für das Tätigwerden in Deutschland nachsuchen, sofern dies landesrechtlich gefordert wurde.873 Der gewerberechtliche Genehmigungsvorbehalt nach § 12 (1869) Gewerbeordnung in Verbindung mit den landesrechtlichen Bestimmungen sollte daher das Handeln auf dem deutschen Markt unter einer ausländischen Rechtsform erschweren874; etwas anderes galt nur dann, wenn ein Staatsvertrag die gegenseitige Zulassung von Gesellschaften zum Gewerbebetrieb sicherte.875 (b) Fortgeltung bundesweiter Zulassungserfordernisse § 12 Gewerbeordnung galt in abgeänderter Form über 100 Jahre fort.876 Mitte August 1965 erfolgte sogar eine wesentliche Neufassung, die in § 12 I GewO betreffend die Ausführung des Gesetzes vom 22. Juni 1861, abgedruckt bei: von Aster, S. 58 ff. 872 Der Vorbehalt der Fortgeltung landesrechtlicher Beschränkungen galt nach § 12 GewO nur für ausländische juristische Personen, vgl. Schicker (1892), § 12 GewO, S. 17. 873 S. Engelmann (1885), § 12 GewO, S. 84. Es bestand jedoch die Möglichkeit zum Abschluss von Staatsverträgen zur wechselseitigen Zulassung von Gesellschaften zum Gewerbebetrieb. 874 Vgl. aus der Perspektive des frühen 20. Jahrhunderts Marcuse, Monatsschrift für Handelsrecht und Bankwesen 22 (1913), 21, 24: „Der Gesetzgeber will nach Möglichkeit erreichen, daß in Deutschland nur Gesellschaften, die nach deutschem Recht errichtet sind, tätig werden (. . .)“. Zudem zeigte sich in dieser Zeit eine Tendenz der einzelnen deutschen Bundesstaaten, die Eintragung von nach deutschem Recht gegründeten Gesellschaften zu vermeiden, wenn diese überwiegend durch Ausländer bzw. ausländisches Kapital vertreten wurden, vgl. hierzu kritisch ders., 21 f., 24 ff. 875 Vgl. Marcuse, Fundstelle wie Fn 874, der es als einen Zweck des § 12 GewO ansieht, „(. . .) daß die Möglichkeit einer Retorsion diskriminierender Staaten gegenüber offen gehalten werden soll.“ 876 Zum 1.10.1937 wurde der bis dato unverändert gebliebene § 12 I GewO wie folgt geändert, vgl. Landmann, 9. Aufl. (1938), § 12, S. 165: Die Zulassung einer ausländischen juristischen Person zum Gewerbebetrieb im Inland bedarf der Genehmigung des Reichswirtschaftsmininsters und des sonst zuständigen Reichsministers. Bestimmungen in Staatsverträgen bleiben unberührt. Damit wurden auch die bis dahin bestehenden landesrechtlichen Beschränkungen aufgehoben. Überlagert wurde diese Bestimmung durch die Spezialvorschrift § 292 des Aktiengesetzes von 1937, RGBl. I 1937, S. 107, welche verfügte: Die Zulassung einer ausländischen Aktiengesellschaft oder einer Kommanditgesellschaft auf Aktien zum Gewerbebetrieb im Inland bedarf der Genehmigung des Reichswirtschaftsmininsters. Bestimmungen in Staatsverträgen bleiben unberührt. Der an sich überflüssige § 292 AktG (1937) galt bis zur Novelle 1965. Danach trat der allgemeinere § 12 GewO wieder für die AG bzw. KGaA in Kraft.
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B. Umgang mit fremden Gesellschaften aus rechtshistorischer Perspektive
weiterhin grundsätzlich die (auch befristete, bedingte, auf Widerruf erteilte oder mit Auflagen verbundene) staatliche Genehmigung zum Betrieb eines Gewerbes für ausländische juristische Personen vorsah, in Absatz II aber feststellte, dass die Genehmigung nur aus Gründen des öffentlichen Interesses verweigert werden könne: Die Genehmigung darf nur versagt werden, wenn zu besorgen ist, daß die Tätigkeit der ausländischen juristischen Person dem öffentlichen Interesse widerspricht, insbesondere wenn 1. die Gegenseitigkeit nicht gewährleistet ist oder 2. die ausländische juristische Person hinsichtlich der Höhe des Kapitals nicht entsprechenden Anforderungen genügt, wie sie das deutsche Recht an vergleichbare inländische juristische Personen stellt.877 Es fällt auf, dass die (sicherzustellende) Reziprozität und die vergleichbaren Garantien des ausländischen Aktiengesellschaftsrechts bereits zentrale Kriterien für die Anerkennung von Kapitalgesellschaften im Verhältnis von Belgien und Frankreich waren. Das Fehlen der Genehmigung nach deutschem Gewerberecht war jedoch bloße Ordnungswidrigkeit und konnte bei beharrlichem Verstoß zu Strafbarkeit führen.878 Zudem war eine Betriebsschließung nach § 15 II 1 GewO möglich.879 Die Genehmigung nach § 12 GewO hatte aber in der Tradition der Trennung von Zulassung und Anerkennung der Rechtsfähigkeit keinen Einfluss auf die Rechts- und Parteifähigkeit der fremden juristischen Person, die sich nach dem entsprechenden ausländischen Recht bemaß.880 Diese besondere staatliche Genehmigung zur Zulassung ausländischer Gesellschaften zum Gewerbebetrieb war in Deutschland (für Drittstaaten) bis ins Jahr 1984 erforderlich,881 sogar für Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft bzw. Union bis in die 1960er Jahr hinein.882 Die gewerberechtliche Schlechter877 Vgl. die Änderung des Gewerbegesetzes durch das Gesetz zur Durchführung von Richtlinien der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft über die Niederlassungsfreiheit und den freien Dienstleistungsverkehr vom 13. August 1965, in BGBl. I 1965, S. 849 f.; Abdruck der gesamten Gewerbeordnung in der hier maßgeblichen Fassung auch bei Fröhler/Kormann, Gewerbeordnung, S. 1 ff. 878 Vgl. § 144 I Nr. 1a und § 148 Nr. 1 GewO. 879 Gleiches galt nach § 15 II 2 GewO bei fehlender Anerkennung der Rechtsfähigkeit ausländischer juristischer Personen nach deutschem Recht. 880 Fröhler/Kormann, Gewerbeordnung, § 12, Rn 2 f., 16 und § 15, Rn 13. 881 Die Bestimmungen wurden ab dem 1.10.1984 aufgehoben, vgl. Marcks in: Landmann/Rohmer, GewO, 62. Ergänzungslieferung 2013, §§ 12 a. F., 12a. 882 § 12 a GewO, der durch das Gesetz vom 13. August 1965 (wie Fn 877) eingefügt wurde, bestimmte: § 12 findet keine Anwendung auf ausländische juristische Personen, die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedsstaates der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft gegründet sind und ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der Gemeinschaft haben. Für juristische Personen, die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedsstaates der Europäischen Wirtschafts-
I. Die Entwicklung der Anerkennung ausländischer Gesellschaften
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stellung ausländischer Gesellschaften aus Staaten der EU (vormals EWG, EG) war mit Inkrafttreten des EWG-Vertrages am 1. 1.1958 (speziell der Regelung der Niederlassungsfreiheit in Art. 52 und 58 EWG, nach Amsterdam in Art. 43, 48 EGV, nach Lissabon in Art. 49, 54 AEUV) bzw. spätestens den die Niederlassungsfreiheit konkretisierenden Richtlinien von 1964 grundsätzlich europarechtswidrig.883 Zusammenfassend wurde die wirtschaftliche Bewegungsfreiheit der ausländischen Gesellschaften zwar traditionell durch gewerberechtliche Restriktionen stärker eingeschränkt als dies für die einheimischen Gesellschaften der Fall war, doch führte der Verstoß gegen gewerberechtliche Vorschriften nicht zu einer zivilrechtlichen Unwirksamkeit der fremden Aktiengesellschaft aus deutscher Sicht: Die Rechtsfähigkeit der fremden juristischen Person bestimmte sich grds. nach deren Heimatrecht. (3) Restriktionen für Zweigniederlassungen Neben den allgemeinen fremden- bzw. gewerberechtlichen Schranken wurden den im Inland tätigen fremden Aktiengesellschaften bestimmte Informationspflichten im Rahmen einer handelsregisterrechtlichen Eintragung auferlegt. (a) Rechtslage im ADHGB Wollte eine fremde Aktiengesellschaft in den deutschen Ländern einer dauerhaften und gewerbsmäßigen Tätigkeit in dem Sinne nachgehen, dass von einem bestimmten Orte im Gastland aus (außerhalb ihres ausländischen Sitzes) die Bevollmächtigten regelmäßig und selbstständig Handelsgeschäfte abschlossen, so musste diese eine Zweigniederlassung errichten:884 „Treibt namentlich eine ausländische Actiengesellschaft im Inland Handelsgeschäfte und zwar in solcher
gemeinschaft gegründet worden sind und ihren satzungsmäßigen Sitz, jedoch weder ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der Gemeinschaft haben, gilt dies nur, wenn ihre Tätigkeit in tatsächlicher und dauerhafter Verbindung mit der Wirtschaft eines Mitgliedsstaates steht. Zum Einfluss des Europarechts auf die Anerkennungsproblematik und dessen Bewertung, vgl. Punkt B. III. 883 Vgl. Gesetzesbegründung, in Verhandlungen des Deutschen Bundestages, Anlagen zu den stenographischen Berichten, Bd. 97, 4. Wahlperiode 1961/65, Drs. IV/3290, S. 4. 884 Vgl. näher zur Zweigniederlassung im Allgemeinen bereits Agricola, Fundstelle wie Fn 863, Lesse, Busch’s Archiv, Bd. 1 (1863), 255, 259; Zusammenstellung von Entscheidungen preußischer Gerichte zum Vorliegen einer Zweigniederlassung, in: Busch’s Archiv, Bd. 2 (1864), S. 155 ff. Eine Übersicht über die preußische Rechtsprechung mit eigener Bewertung findet sich auch bei Ludewig, Busch’s Archiv, Bd. 46 (1886), 15–40. Mit dem Vorliegen einer Zweigniederlassung und deren Befugnissen beschäftigte sich auch das Reichsoberhandelsgericht mit Urteilen vom 14. Oktober 1874 bzw. 27. November 1875, vgl. ROHG, Bd. 14 (1875), S. 401–403 und Bd. 19, S. 260 f.
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B. Umgang mit fremden Gesellschaften aus rechtshistorischer Perspektive
Ausdehnung, daß eine Zweigniederlassung für begründet anzunehmen ist, so haben die Mitglieder des Vorstandes der Gesellschaft die Verpflichtung, solche zum Handelsregister anzumelden.“ 885 Eine solche Pflicht traf nach der Einführung des ADHGB ab den 1860er Jahren vor allem ausländische Versicherungsaktiengesellschaften, die in Deutschland tätig geworden waren.886 Regelmäßig war für diese Branche die gewerberechtliche Konzession mit der Obliegenheit zur Bildung einer Zweigniederlassung in Deutschland verknüpft.887 Für die Errichtung von Zweigniederlassungen jeglicher Aktiengesellschaften sah das ADHGB bestimmte Formvorschriften vor. Gemäß Art. 212 ADHGB (1861) musste jede Aktiengesellschaft ihre Zweigniederlassung in das örtliche Handelsregister eintragen lassen. Die Handelsregisteranmeldung hatte bestimmte im Gesetz geregelte inhaltliche Vorgaben zu enthalten, u. a. musste die staatliche Genehmigungsurkunde der Aktiengesellschaft vorgelegt und veröffentlicht werden (Art. 212 i.V. m. Art. 210 II, III ADHGB). Art. 21 III ADHGB stellte sicher, dass die Eintragung der Zweigniederlassung nicht erfolgen durfte, bevor nachgewiesen war, dass die Hauptniederlassung der Aktiengesellschaft bereits bei dem örtlichen Handelsgerichte eingetragen war und mithin wirksam bestand.888 Probleme ergaben sich nun für den Fall, dass die Hauptniederlassung im außerdeutschen Auslande, d.h. außerhalb des Geltungsbereichs des ADHGB lag, sprich eine ausländische Aktiengesellschaft in den deutschen Einzelstaaten eine Zweigniederlassung gründen wollte, denn die Regeln über die Zweigniederlassung waren inhaltlich auf die zur Hauptniederlassung abgestimmt. Denknotwendig konnte die ausländische Hauptniederlassung nicht in den deutschen Handelsregistern eingetragen sein, weshalb man bald übereinkam, „(. . .) daß man sich mit 885
Keyßner, Busch’s Archiv, Bd. 1 (1863), 265, 270. Daher beschäftigte sich z. B. die sächsische Verordnung vom 24. März 1862 betreffend der Interpretation von Art. 21 III ADHGB, abgedruckt in: Busch’s Archiv, Bd. 1 (1863), 530 f., mit der Frage, wann das Etablissement einer ausländischen Versicherungsgesellschaft als Zweigniederlassung anzusehen sei. Als wesentlich wurde herausgearbeitet, dass im Inlande „ein abgesonderter Kreis der Geschäfte“ der fremden Versicherungsgesellschaft „seinen örtlichen Mittelpunkt habe“. S. a. Beschluss des OLG Dresden vom 2. Juli 1883, in: Busch’s Archiv, Bd. 47 (1887), 73. Auch die preußische Rechtsprechung behandelte diese Frage, vgl. die Zusammenstellung zu handelsrechtlichen Entscheidungen, in: Busch’s Archiv, Bd. 1 (1863), 396 f. 887 Vgl. E. Wolff, ÖZBl. 4 (1886), 409, 418 und Nachweis in dortiger Fn 23; s. a. Erkenntnis des Stadtgerichts und Kammergerichts zu Berlin, in Busch’s Archiv, Bd. 7 (1866), 200 f. und Bd. 9 (1866), 131 f.; Löhr, Central-Organ, Bd. 1 (1862), 211. Bei ersteren Quellen sind jeweils beispielhafte gewerberechtliche Konzessionen für fremde Versicherungsgesellschaften abgedruckt, die bestimmen, dass die Gesellschaft an einem bestimmten Orte in Preußen eine Zweigniederlassung „mit einem Geschäftslocal, mit einem dort domicilierten Generalbevollmächtigten“ zu begründen hatte. 888 Die Hauptniederlassung der Aktiengesellschaft konnte nach Art. 211 ADHGB (1861) wiederum erst wirksam entstehen, nachdem sie genehmigt und in das Handelsregister eingetragen war; vorher hafteten die Handelnden persönlich und solidarisch. 886
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jeder Constatirung ihres rechtlichen Bestandes nach den auswärtigen Gesetzen begnügt.“ 889 Diese Problematik, die sich aus der fehlenden Unterscheidung von inländischen und ausländischen Zweigniederlassungen ergab, löste der Gesetzgeber auch nicht in seiner ersten Aktienrechtsnovelle von 1870 auf. Die Neufassung sah zwar in Art. 210a ADHGB (1870) Kautelarvorschriften als Ersatz für die Staatsgenehmigung vor, die durch den Übergang zum System der Normativbestimmungen obsolet geworden war, doch waren auch diese nur in Bezug auf die Haupt- und Zweigniederlassungen von Aktiengesellschaften unter der Herrschaft des ADHGB verfasst worden. Deshalb verlangte man bei Zweigniederlassungen ausländischer Aktiengesellschaften nicht, dass die Hauptniederlassung die Bedingungen von Art. 210a ADHGB (1870) erfüllte bzw. gemäß Art. 21 III ADHGB (1861/70) ins Handelsregister eingetragen war und hielt die Zweigniederlassung als ohne weiteres für ins örtliche deutsche Handelsregister eintragungsfähig. Jedoch gab es Stimmen, die für diesen Fall die Bedingung der staatlichen Konzession zur Existenz bzw. den späteren Art. 210a ADHGB direkt auf die fremde Zweigniederlassung anwenden wollten, d.h. ihre Eintragung von der Konzession des deutschen (Einzel-)Staates bzw. (ab 1870) von der Erfüllung der gesetzlichen Normativbestimmungen für die Hauptniederlassung einer deutschen Aktiengesellschaft abhängig zu machen suchten.890 Teilweise begrüßte man daher doch, den fremden Aktiengesellschaften die eigenen Gründungsvorschriften überzustülpen, um einen „Missbrauch“ zu verhindern, denn man fürchtete, dass die das Konzessionserfordernis ersetzenden nationalen Normativbestimmungen „(. . .) sonst willkürlich dadurch vereitelt werden können, daß diejenigen Gesellschaften, welche sich ihnen nicht fügen wollen, ihre Hauptniederlassung thatsächlich oder vorgeblich in das Ausland verlegen und im Inland eine Zweigniederlassung errichten.“ 891 889 Agricola, in: Siebenhaar’s Archiv, Bd. 12 (1863), 279, 318; s. a. Oberster Gerichtshof in Österreich, Urt. v. 4. August 1864, in: Busch’s Archiv, Bd. 5 (1865), 229, 232 f. sowie die Nachweise für Sachsen in Fn 862. 890 Agricola, in: Siebenhaar’s Archiv, Bd. 12 (1863), 279, 318 u. 320: „Man wird wohl die Absicht des Gesetzes gewiß treffen, wenn man prüft, ob die Voraussetzungen des Eintrags, abgesehen von dem Charakter des Instituts als Zweigniederlassung, nach den inländischen Gesetzen vorliegen (. . .). Aber mag auch im Auslande die staatliche Autorisation erforderlich sein, keinesfalls ersetzt die Genehmigung des auswärtigen Staates die Genehmigung desjenigen, innerhalb dessen Territorium das Zweigetablissement liegt.“ S. a. Völderndorff/Waradein (1885), Art. 179, S. 108 und Art. 212, S. 413; anders aber das höchste österreichische Gericht in einem Urteil vom 4. August 1864, in: Busch’s Archiv, Bd. 5 (1865), 229, 232 f., das eine Entscheidung des OLG Wien aufhob, welches für die Eintragung einer Zweigniederlassung einer englischen Gesellschaft eine Konzession des österreichischen Staates i. S. v. Art 208 ADHGB (1861) gefordert hatte. Nach dem obersten Gerichtshof genügte aber der Nachweis der wirksamen Gründung in England, damit die Zweigniederlassung in Österreich registiert werden konnte. 891 Vgl. Motive zur 2. Aktienrechtsnovelle, Quelle wie Fn 818, S. 314.
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B. Umgang mit fremden Gesellschaften aus rechtshistorischer Perspektive
Im Zuge seiner zweiten Aktienrechtsnovelle von 1884 stellte der Gesetzgeber aber klar, dass eine vollständige Erfüllung aller Gründungsvoraussetzungen des deutschen Rechts durch die ausländische Zweigniederlassung nicht in seinem Sinne war.892 Die Zauberformel für die Akzeptanz der Fremden lautete auch hier Publizität: „Wohl aber kann und muß als Bedingung für die Eintragung der inländischen Zweigniederlassung einer nach dem Recht des Auslandes gültig errichteten ausländischen Gesellschaft die thunlichste Offenlegung des Hergangs ihrer Gründung verlangt werden.“ 893 Entsprechend gaben Art. 212 i.V. m. Art. 210, 179 des ADHGB (1884) über die Nachweise bzw. Informationen Auskunft, die die Eintragung der Zweigniederlassung einer fremden Gesellschaft zwingend enthalten musste.894 In Fortführung der bisherigen Rechtsentwicklung war (unter anderem) wesentlich, dass die Gesellschaft ihre rechtmäßige Gründung im Ausland und ihre Entsprechung mit einem deutschen Gesellschaftstyp nachwies, sowie, dass ihre Eintragung nicht erfolgen durfte, sofern sie nicht über die gegebenenfalls notwendige gewerberechtliche Konzession in Deutschland verfügte. Welche Rechtsfolge ergab sich aber nun, wenn die ausländische Gesellschaft ihrer Pflicht zur Eintragung der Zweigniederlassung nicht nachging? Das deutsche Recht sah Ordnungsvorschriften in Art. 26, 249 g ADHGB vor, welche auch auf die „ausländischen Vorsteher“ Anwendung fanden.895 Dennoch folgte aus der versäumten Anmeldung zum Handelsregister nicht etwa die mangelnde zivilrechtliche Anerkennung der fremden Aktiengesellschaft.896 Die Eintragung 892 Insbesondere könne man nicht i. S. d. deutschen Rechtsvoraussetzungen folgende Belege fordern: Nachweise über die Sicherung des Grundkapitals durch Zeichnung und Einzahlung, materiell-rechtliche Entsprechung der Zeichnungsscheine, Prüfung des Gründungsvorgangs durch die Organe und die Errichtung der Gesellschaft entsprechend der im deutschen Recht geltenden Vorschriften zur Simultan- bzw. Sukzessivgründung. Vgl. Motive zur 2. Aktienrechtsnovelle, Quelle wie Fn 818, S. 314. 893 Motive zur 2. Aktienrechtsnovelle, Quelle wie Fn 818, S. 314. Die Tatsache, dass Publizität das Publikum im Zweifel besser schütze als persönliche Haftung der Handelnden, sieht auch E. Wolff, ÖZBl. 4 (1886), 473, 475. 894 Eine ausführliche Erläuterung der einzelnen Voraussetzungen bietet E. Wolff, ÖZBl. 4 (1886), 409, 421 ff. S. a. Ring (1893), Art. 212, Nr. 11–13, S. 290–295. 895 Siehe Renaud (1875), S. 645, dort Fußnote 11. S. a. Keyßner, Busch’s Archiv, Bd. 1 (1863), 265, 270, der in dem Unterlassen der Anmeldung der inländischen Zweigniederlassung eine strafbare Handlung sieht. 896 Als Gegenstück zur Publizität hafteten der die Eintragung Veranlassende sowie die Bevollmächtigten aber gemäß Art. 178, 211 ADHGB persönlich und solidarisch für Schäden, die durch die Eintragung einer Zweigniederlassung auftraten, ohne dass das rechtswirksame Bestehen der Hauptniederlassung gesichert war. Bestand die Hauptniederlassung, aber wurden bei der Eintragung der Zweigniederlassung falsche Angaben gemacht, eingetragen und veröffentlicht, so mussten die Vorstandsmitglieder der Gesellschaft aufgrund ihrer Sorgfaltspflichtverletzung gegenüber der Gesellschaft solidarisch haften, vgl. Art. 180, 241 III 1 ADHGB. Dritte konnten sich direkt an die Gesellschaft halten, die gem. Art. 227 ADHGB durch Handlungen des Vorstands verpflichtet wurde. Zu den strafrechtlichen Folgen, vgl. Ring (1893), Art. 212, Nr. 11, S. 293.
I. Die Entwicklung der Anerkennung ausländischer Gesellschaften
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der Zweigniederlassung einer fremden Gesellschaft führte nämlich gerade nicht dazu, dass ein neues inländisches Rechtssubjekt entstand und die Aktiengesellschaft ihren (Verwaltungs-)Sitz nun im Inland begründete.897 Zweck der Eintragung der Zweigniederlassung war es in erster Linie, den eigenen Bürgern, die Vertragspartner der fremden Gesellschaft wurden, bestimmte Pflichtangaben leicht zugänglich zu machen, zum anderen (unstreitig) den Gerichtsstand für eventuelle Streitigkeiten im Inland zu begründen. § 22 I der Civilprozessordnung (CPO) vom 30. Januar 1877 bestimmte nämlich, dass am Orte des Gerichtes, an dem die Zweigniederlassung angesiedelt war, Klage betreffend Rechtsstreitigkeiten in Zusammenhang mit deren Gewerbebetrieb erhoben werden konnte.898 Dies war insofern von Bedeutung, als dass – in Anlehnung an den Wohnsitz als allgemeinen Gerichtsstand der natürlichen Person nach §§ 12, 13 CPO – bei Gesellschaften regelmäßig der Sitz der (Haupt-)Verwaltung den allgemeinen Gerichtsstand begründete, § 19 I CPO. Da letztere Norm auch auf ausländische juristische Personen Anwendung fand,899 musste eine fremde Aktiengesellschaft grundsätzlich am Gerichtsort ihres ausländischen Sitzes verklagt werden. Zwar kannte die deutsche Zivilprozessordnung weitere Tatbestände, die im Übrigen einen besonderen Gerichtsstand begründen konnten, doch war dies vom Vorliegen besonderer Voraussetzungen abhängig.900 Lagen diese Bedingungen im Einzelfall nicht vor, so stand dem deutschen Vertragspartner, der mit einer ausländischen Gesellschaft ohne Niederlassung im Inland kontrahiert hatte, (nach dem Grundsatz des § 19 I CPO) nur der Rechtsweg im Ausland offen. Folglich erwuchs aus der Anwendbarkeit des § 22 I CPO ein nicht zu vernachlässigender Vorteil für inländische Vertragspartner. Grundsätzlich stellte man zwar für die 897 Vgl. Völderndorff/Waradein (1885), Art. 212, S. 412: „Für die rechtliche Existenz der Aktiengesellschaft selbst ist die Eintragung derselben in das Handelsregister der Zweigniederlassung ohne Bedeutung (. . .)“. S. a. Fuchsberger (1891), Art. 212, S. 430 f. 898 Vgl. Wortlaut des Art. 22 I der CPO, abgedruckt im: Reichsgesetzblatt, Bd. 1877, Nr. 6, S. 83 ff., 86: Hat jemand zum Betriebe einer Fabrik, einer Handlung oder eines anderen Gewerbes eine Niederlassung, von welcher aus unmittelbar Geschäfte geschlossen werden, so können gegen ihn alle Klagen, welche auf den Geschäftsbetrieb der Niederlassung Bezug haben, bei dem Gerichte des Orts erhoben werden, wo die Niederlassung sich befindet. 899 Vgl. Petersen, Bd. 1 (1904), § 17 CPO (vormals § 19), S. 44. 900 Insbesondere kamen bei Klagen gegen Gesellschaften §§ 24 und 29 CPO in Betracht. Hiernach konnten besondere Gerichtsstände wegen vermögensrechtlicher Ansprüche an einem inländischen Gerichtsorte begründet werden, an dem Vermögen der fremden Gesellschaft oder der mit der Klage in Anspruch genommene Gegenstand belegen war bzw. galt bei Klagen, die auf das Bestehen oder Nichtbestehen eines Vertrages bzw. Primär- und Sekundärrechte aus einem solchen gerichtet waren, der Erfüllungsort als maßgeblicher Gerichtsstand. Gegenüber § 29 CPO verlangte § 22 I CPO gerade nicht, dass die entsprechende Forderung an dem Orte der Niederlassung zu erfüllen sei, vgl. etwa Siebenhaar (1877), § 22 CPO, S. 61. Bei mehreren tatbestandlich einschlägigen Gerichtsständen hatte der Kläger nach § 35 CPO freie Wahl.
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B. Umgang mit fremden Gesellschaften aus rechtshistorischer Perspektive
Anwendung dieser Vorschrift auf die tatsächlichen Verhältnisse und damit nicht auf die pflichtgemäß erfolgte Eintragung als Zweigniederlassung ab, jedoch konnte sich umgekehrt eine im Handelsregister als Zweigniederlassung eingetragene Gesellschaft nicht darauf berufen, dass es an den materiellen Voraussetzungen des Betreibens einer Zweigniederlassung fehle.901 Eine nähere Prüfung, ob von der fraglichen Zweigniederlassung tatsächlich selbstständig und unmittelbar Geschäfte geschlossen wurden, konnte also im letzteren Fall unterbleiben. Folgerichtig lassen sich der zeitgenössischen Literatur Belege entnehmen, die die Wesentlichkeit eines inländischen Gerichtsstandes hervorheben. So bemerkte Keyßner noch vor Inkrafttreten der allgemeinen Civilprozessordnung, dass die ausländischen Versicherungsgesellschaften im Wege ihrer gewerberechtlichen Konzessionierung regelmäßig die Bedingung auferlegt bekämen, „(. . .) im Inlande Recht zu nehmen“.902 Neben der Bedingung, dass die fremden Gesellschaften im Inland eine Niederlassung mit einem Generalbevollmächtigten begründen sollten, von der aus sie regelmäßig Verträge mit Inländern zu schließen hatten, wurde den Gesellschaften auferlegt „(. . ..) nach Verlangen des inländischen Versicherten entweder bei den Gerichten dieses Ortes oder denen des Agenten, welcher die Versicherung vermittelt hat, wegen aller aus ihren Geschäften mit Inländern entstehenden Verbindlichkeiten als Beklagte Recht zu nehmen (. . .).“ 903 Auch Ludewig konstatiert Jahre nach Einführung der CPO nüchtern: „Dergleichen Bestimmungen, die lediglich ein Ausfluß des staatlichen Aufsichtsrechts über die Privatversicherung sind, (. . .) haben offenbar nur den Zweck, zur Sicherung eines inländischen Forums zu dienen (. . .).“ 904 Für den Fall, dass § 22 I CPO also mangels der Voraussetzung einer bestehenden Zweigniederlassung ausnahmsweise keine Anwendung fand, sicherten die einzelstaatlichen Vorschriften zu Gewerbekonzession und Forum im Grunde genommen als Rettungsanker noch die Zuständigkeit deutscher Gerichte, weshalb sie auch nach Einführung der Civilprozessordnung noch ihre Relevanz behielten.905 Im Übrigen sei nach Ludewig der Nutzen einer Eintragung der Zweig901 Vgl. hierzu etwa Seuffert (1879), § 22 CPO, S. 22; Gaupp, Bd. 1 (1901), § 21 CPO (vormals § 22), S. 62 f.; Stein, Bd. 1 (1928), § 21 CPO (vormals § 22), S. 92 f. 902 Vgl. hierzu und zum Problem der Vollstreckbarkeit von Urteilen im Ausland, Keyßner, Zeitschrift für Gesetzgebung und Rechtspflege in Preußen, Bd. 1 (1867), 154 ff. 903 Vgl. bereits die entsprechenden Nachweise in Fn 887. 904 Ludewig, Busch’s Archiv, Bd. 46 (1886), 15, 38. Hier findet sich auch ein Abdruck eines sächsischen Gesetzes von 1876 speziell für Feuer- und Sachversicherungsgesellschaften, das die Zuständigkeit sächsischer Gerichte bei entsprechenden Streitigkeiten bestimmt. Vergleichbare Bestimmungen, die allgemein auf fremde Gesellschaften gemünzt waren, gab es auch in Bayern und Sachsen. 905 Nach Auffassung Ludewigs, Busch’s Archiv, Bd. 46 (1886), 15, 25 ff., 30, waren zwar die Voraussetzungen für das Vorliegen einer Zweigniederlassung i. S. d. ADHGB
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niederlassung einer fremden Aktiengesellschaft für das inländische Publikum ohnehin gering, da sich wesentliche Informationen über Geschäftsumfang und finanzielle Lage der Gesellschaft nicht aus den Eintragungen im Handelsregister erschlössen.906 Insgesamt diente die Eintragungspflicht der Zweigniederlassung der Information des Publikums und der Gewährleistung eines deutschen Gerichtsstands bei etwaigen Rechtsstreitigkeiten. Wiederum erwuchs aber aus der Nichtbeachtung der Eintragungspflicht bzw. Eintragungsfehlern keine Sanktion der Nichtanerkennung der Gesellschaft als fremde Aktiengesellschaft. (b) Behandlung im HGB An der beschriebenen Rechtslage änderte sich auch nichts Wesentliches mit der Einführung des HGB am 1.1.1900.907 Im HGB von 1900 war die Pflicht der Eintragung der fremden Zweigniederlassung in § 13 III normiert. § 14 HGB (1900) sah – wie schon das ADHGB – einen Anmeldungszwang gegen Ordnungsstrafe für das Versäumnis der Anmeldung beim Handelsregister vor.908 Nach den auch heute noch geltenden Grundsätzen der positiven und negativen Publizität des Handelsregisters konnten nach § 15 III i.V. m. I, II HGB (1900) nur diejenigen einzutragenden Tatsachen einer Zweigniederlassung Dritten entgegengehalten werden, die tatsächlich ins Handelsregister eingetragen waren bzw. behielten diese Angaben für die Dauer der Eintragung ihre Wirksamkeit im Verhältnis zu (gutgläubigen) Dritten – so etwa besondere Bestimmungen der Satzung über die Vertretungsbefugnis im Hinblick auf die Zweigniederlassung.909 Die zivilrechtliche Bedeutung der Eintragung wurde somit durch § 15 III HGB
und § 22 CPO nicht identisch. Tatsächlich deckten sich diese aber in den meisten Fällen, vgl. nur das RG, Urt. v. 24. September 1880, RGZ 2, 386 ff., 391. 906 Vgl. Ludewig, Busch’s Archiv, Bd. 46 (1886), 15, 38. Ähnlich (wenngleich nicht unmittelbar auf fremde Gesellschaften bezogen) Lesse, Busch’s Archiv, Bd. 2 (1864), 285 f. 907 Die nachfolgend angesprochenen Normen sind abgedruckt in: RGBl. I 1897, S. 219 ff. Art. 201 HGB, der die Eintragung der Zweigniederlassung vorschrieb, lautete in seinem Absatz 5 Satz 1: Befindet sich der Sitz der Gesellschaft im Auslande, so ist das Bestehen der Aktiengesellschaft als solcher und, sofern der Gegenstand des Unternehmens oder die Zulassung zum Gewerbebetrieb im Inlande der staatlichen Genehmigung bedarf, auch diese mit der Anmeldung nachzuweisen. (S. RGBl. I 1897, S. 264.) Vgl. hierzu auch die entsprechende Kommentierung bei Lehmann/Ring, Bd. 1 (1902), § 201 HGB, Nr. 7 ff., S. 414 f. und allgemein zur international-privatrechtlichen Behandlung der Filiale auch ausführlich Denzler (1902), S. 334 ff. 908 Im Übrigen konnten die Handelnden bei falschen Angaben Strafvorschriften treffen, vgl. §§ 312 ff. HGB (1900). 909 Vgl. hierzu sowie zu weiteren eintragungspflichtigen Tatsachen etwa Lehmann/ Ring, Bd. 1 (1902), § 13 HGB, Nr. 12 ff., S. 62 f.
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B. Umgang mit fremden Gesellschaften aus rechtshistorischer Perspektive
(1900) verstärkt.910 Dennoch behielt die Bereitstellung eines deutschen Gerichtsstandes mithilfe der Eintragung der Zweigniederlassung der ausländischen Gesellschaft im Inland für die inländischen Vertragspartner eine wichtige Rolle im Sinne des Zivilprozessrechts.911 Die zivilrechtliche Anerkennung der fremden Aktiengesellschaft als solche wurde durch die mangelnde Eintragung weiterhin nicht tangiert. (c) Regelung im Aktiengesetz von 1937 bzw. 1965 Das 1937 neu eingeführte Aktiengesetz sah ebenfalls die Eintragung von Zweigniederlassungen fremder Aktiengesellschaften vor.912 In Fortführung der bisherigen Rechtslage wurde die Pflicht zum Nachweis des Bestehens der Aktiengesellschaft im Ausland, die Notwendigkeit des Vorlegens etwaiger gewerberechtlicher Konzessionen sowie die notwendigen Pflichtangaben bei der Eintragung in § 37 AktG (1937) vorgeschrieben.913 Der Ort der Zweigniederlassung war besonderer Gerichtsstand, wobei die Eintragung der Zweigniederlassung im Handelsregister keine konstitutive Wirkung besaß.914 §§ 14, 15 HGB blieben für die fehlende Eintragung bzw. die Publizitätswirkung der Eintragung maßgeblich. § 37 wurde im Aktiengesetz von 1965 zu § 44 AktG, ohne dass hiermit entscheidende materiell-rechtliche Änderungen einhergingen; seit 1993 sind die Publizitätsregeln wieder im HGB (§§ 13, 13 d–f) untergebracht.915 Die Eintragung der Zweigniederlassung war auch im Aktiengesetz weder für die zivilrechtliche Anerkennung der fremden Gesellschaft, noch für die grundsätzliche Zulässigkeit des Betriebes der Niederlassung bzw. der Firmenführung zwingend.916
910 Mit Einführung des BGB am 1.1.1900 erhielt der Ort der Niederlassung auch zivilrechtliche Bedeutung für den Leistungs- sowie den Zahlungsort, §§ 269 II, 270 II BGB. 911 S. a. Lehmann/Ring, Bd. 1 (1902), § 13 HGB, Nr. 2, S. 58. Das Amtsgericht am Orte der Zweigniederlassung war auch für den Konkurs zuständig. 912 Nachfolgend angeführte Normen sind abgedruckt in: RGBl. I 1937, S. 107 ff. bzw. BGBl. I 1965, S. 1089 ff. 913 Die Norm entsprach somit der damaligen Fassung von § 13 b HGB, vgl. Schlegelberger/Quassowski, 3. Aufl. (1939), § 37 AktG, Rn 1. 914 S. Schlegelberger/Quassowski, 3. Aufl. (1939), § 37 AktG, Rn 5 und § 35 AktG, Rn 6, 13. 915 Im Einzelnen s. Fischer, in: Großkomm. AktG, 2. Aufl. (1961), § 37, Vorbem.; Überführung der wesentlichen Publizitätsvorschriften ins HGB durch das Gesetz zur Durchführung der 11. EG-Koordinations-Richtlinie vom 22.7.1993, in: BGBl. I 1993, S. 1282 ff. 916 Fischer, in: Großkomm. AktG, 2. Aufl. (1961), § 37, Anm. 4; Barz, in: Großkomm. AktG, 3. Aufl. (1973), § 44, Anm. 4. Entsprechend sehen die seit 1993 geltenden HGB-Vorschriften als Sanktionen bei Nichtbeachtung nur Zwangsgeld vor, vgl. § 14 HGB.
I. Die Entwicklung der Anerkennung ausländischer Gesellschaften
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(4) Entstehung der Anerkennungsnorm in Art. 10 EGBGB Schließlich zeigt die Entstehungsgeschichte des BGB, dass internationalprivatrechtliche Bestrebungen für eine positivgesetzliche Regelung der Anerkennungsfrage fremder Gesellschaften unternommen wurden, die im Ergebnis aber im Sande verliefen und als Rudiment nur Art. 10 EGBGB zur Rechtsfähigkeit bestimmter ausländischer Vereine hinterließen. Die Hintergründe für die mangelnde Kodifikation werden nachfolgend dargelegt: (a) Entwürfe der 1. und 2. BGB-Kommission Im Rahmen der Entwicklung des reichseinheitlichen Bürgerlichen Gesetzbuches Ende des 19. Jahrhunderts arbeitete zunächst Gebhard einen Teilentwurf zum Kollisionsrecht heraus, der den Weg hin zum modernen deutschen internationalen Privatrecht im EGBGB ebnete.917 Auch Gebhard stellte das Prinzip der automatischen Anerkennung ausländischer juristischer Personen als unanfechtbaren Grundsatz heraus. § 6 des ersten Entwurfs Gebhards von 1881 zum Kollisionsrecht bestimmte:918 Die Rechtsbeständigkeit der juristischen Person wird nach dem Rechte des Ortes beurteilt, an welchem sie ihren Sitz hat. Zur Begründung dieser Norm beschäftigte sich Gebhard zunächst mit den vieldiskutierten Unterschieden zwischen der natürlichen und der juristischen Person im Sinne der Fiktionstheorie und verwies auf die damals bestehenden gesetzlichen Regelungen in Frankreich und Belgien von 1857 bzw. 1873, wobei er bemerkte, dass die französische Anerkennungsvorschrift aufgrund zahlreicher staatsvertraglicher Regelungen bzw. erlassener Dekrete kaum mehr ein praktisches Hemmnis der Anerkennung begründe.919 Im Übrigen gab er zu bedenken: „Die Zweifel an der theoretischen Berechtigung des Satzes, daß die in dem einem Staate zu Recht bestehende juristische Person auch in dem anderen Staate als solche zu gelten hat, treten vor der praktischen Notwendigkeit seiner Anerkennung zurück. Bezüglich der dem öffentlichen Rechte angehörenden oder mit denselben im Zusammenhange stehenden juristischen Personen springt das Bedürfnis ohne weiteres in die Augen. Es ist nicht minder vorhanden bei den juristischen Personen, welche der freien Zusammenschließung der Beteiligten oder 917 Der badische Ministerialrat Gebhard war Mitglied der ersten Gesetzgebungskommission (1881–1889) zum BGB von 1900. Näher zur Arbeit der 1. Kommission bzw. zur Historie des BGB überhaupt, vgl. Dölemeyer, in: Coing (Hg.), Handbuch, Bd. 3/2 (1982), S. 1572 ff. 918 Abdruck bei: Niemeyer (1915), S. 4. Die zur Anerkennungsfrage relevanten Beratungen zum EGBGB bzw. BGB werden auch bei Großfeld, RabelsZ 28 (1974), 344, 360 ff., gerafft zusammengefasst. 919 Motive zum Ersten Gebhardschen Entwurf (1881), bei: Niemeyer (1915), S. 90– 92.
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sonst dem Privatwillen ihre Entstehung verdanken, insbesondere bei den Einigungen auf wirtschaftlichem und kommerziellem Gebiete. Wollte man bezüglich ihrer verlangen, daß sie in jedem einzelnen Staate, auf dessen Rechtsgebiet ihr Geschäftsbetrieb sich erstreckt, eine besondere Sanktion ihrer Existenz einholen, so wäre dies eine Erschwerung des internationalen Verkehrs, die gerade für große Kapitalskräfte einer teilweisen Vernichtung gleichkäme.“ 920 Politische Bedenken müssten gegenüber der wirtschaftlichen Notwendigkeit zurücktreten, zumal der ordre-public-Vorbehalt auch im deutschen Recht vorgesehen sei.921 Zudem bestimme sich zwar die Rechtsfähigkeit regelmäßig nach ausländischem Recht, doch sei die Gewährung derjenigen Rechte des ausländischen Konstrukts, die in die „inländische Rechtssphäre“ fielen, weiterhin dem inländischen Recht vorbehalten und nicht zuletzt blieben die polizeilichen Vorschriften betreffend den Gewerbebetrieb unberührt.922 Während die Beratung der Kollisionsnormen zurückgestellt wurde, um wohl erst die Teilentwürfe zu den Sachnormen des materiellen Zivilrechts zu diskutieren, erstellte Gebhard bereits einen zweiten Entwurf, der die Korrekturen der Beratung des Sachrechts berücksichtigte.923 Nach Beratung der Anerkennungsnorm im September 1887 in der ersten Gesetzgebungskommission hatte man sich auf einen ähnlichen Wortlaut des § 6 geeinigt: Die juristische Persönlichkeit wird nach den Gesetzen des Ortes beurtheilt, an welchem die juristische Person ihren Sitz hat.924 Als man 1888 den ersten Entwurf zum BGB veröffentlichte, fehlten jedoch sämtliche Bestimmungen zum IPR, somit auch die Anerkennungsnorm.925 Treibende Kraft der Geheimhaltung der erarbeiteten Bestimmungen zur räumlichen Herrschaft des Rechts war das Auswärtige Amt, welches in einem vertraulichen 920
Motive zum Ersten Gebhardschen Entwurf (1881), bei: Niemeyer (1915), S. 92. Motive zum Ersten Gebhardschen Entwurf (1881), bei: Niemeyer (1915), S. 92 f. 922 Motive zum Ersten Gebhardschen Entwurf (1881), bei: Niemeyer (1915), S. 93. Vgl. zu den damals geltenden Beschränkungen des inländischen Rechts bereits B. I. 3. c) aa) (2). 923 Vgl. Hartwieg, in: Hartwieg/Korkisch (1973), S. 31; Niemeyer (1915), S. 3. Wortlaut von § 6 des zweiten Entwurfs zu finden bei Niemeyer, (1915) S. 13 bzw. Hartwieg/Korkisch (1973), S. 68. 924 Vgl. Protokolle der 1. Kommission, 691. Sitzung vom 9.9.1887, in: Hartwieg/ Korkisch (1973), S. 79 bzw. Jakobs/Schubert, Beratung Einführungsgesetz, Teilbd. 1 (1990), S. 213. Gebhards 2. Entwurf hatte speziell auf die Rechtspersönlichkeit von Personenvereinen und Stiftungen Bezug genommen, was die Kommission strich, weil das ausländische Recht auch andere Formen juristischer Personen kannte. Die Vorschrift sollte sich nach Auffassung der Kommission nur auf die Existenz der juristischen Person, ihre Rechtssubjektivität sowie ihre Verfassung und Organisation beziehen, s. Hartwieg/Korkisch (1973), S. 79 bzw. Jakobs/Schubert, Beratung Einführungsgesetz, Teilbd. 1 (1990), S. 214. 925 S. Hartwieg/Korkisch (1973), S. 32 m. N. 921
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Brief an das Reichsjustizamt Bedenken gegen die Kodifikation gehegt hatte: „Von dem politischen Standpunkt ist es bedenklich, wenn wir Normen für [die] Beurtheilung internationaler Rechtsfragen in einem deutschen Gesetzbuch festlegen und uns dadurch in perpetuum binden.“ 926 Da der Vorsitzende der ersten Kommission zum BGB Pape über diese Bedenken informiert worden war, hatte die Kommission daher beschlossen, den Entwurf zum IPR zunächst auszugliedern.927 Der geheime Entwurf zum IPR wurde dem Reichskanzler und von diesem dem Bundesrat zugeleitet, ohne dass die Bestimmungen an die Öffentlichkeit gerieten.928 Nachdem der erste BGB-Entwurf (nicht zuletzt wegen fehlender IPR-Regelungen) unter massive Kritik geraten war, wurde eine zweite Kommission zur Erarbeitung eines neuen Gesetzesvorschlags eingesetzt, welche sich auf Grundlage des unveröffentlichen Entwurfs der ersten Kommission erneut mit dem IPR beschäftigte.929 In ihrer 403. Sitzung berieten die Mitglieder über das Schicksal der nun als § 1 bezeichneten Anerkennungsnorm zur juristischen Persönlichkeit. Der erste Antrag drängte darauf, die Norm komplett zu streichen; drei weitere Anträge zielten darauf ab, die Norm aufrechtzuerhalten, jedoch im Hinblick auf Vereine und Stiftungen Ergänzungen vorzunehmen.930 Der Wunsch nach Aufhebung der Vorschrift wurde damit begründet, dass sich die Reichweite der Regelung ausnahmslos auf öffentlich-rechtliche Korporationen, handelsrechtliche Erwerbsgesellschaften, z. B. die Aktiengesellschaft, sowie sonstige juristische Personen, wie vor allem Vereine und Stiftungen, beziehe. Der Grundsatz der Anerkennung ergebe sich aber nun für juristische Personen des öffentlichen Rechts aus unbestrittenen völkerrechtlichen Grundsätzen und die Norm ändere auch hinsichtlich der Aktiengesellschaften den bestehenden Rechtszustand nicht: „Auch in Betreff der handelsrechtlichen
926 Brief des Auswärtigen Amtes an den Staats-Sekretär des Reichs-Justizamts vom 30. September 1887, in: Hartwieg/Korkisch, S. 159, 160 [Hinzufügung durch Verf.]. Zudem wies das Auswärtige Amt auch auf die Auffassung Otto von Bismarcks hin, der das IPR der Weiterentwicklung des Völkerrechts anheim stellen wollte. 927 Beschluss in der 703. Sitzung am 7. Oktober 1887, Abdruck bei: Hartwieg/Korkisch (1973), S. 161; der Entwurf wurde neu nummeriert, so dass die Anerkennungsnorm zu § 1 wurde, Abdruck bei: Hartwieg/Korkisch (1873), S. 178. 928 S. Hartwieg, in: Hartwieg/Korkisch (1973), S. 33. Lediglich die Vorentwürfe Gebhards gelangten 1892 durch Veröffentlichung von Meili ans Tageslicht, vgl. Hartwieg, in: Hartwieg/Korkisch (1973), S. 33 f. 929 Der 2. Kommission erschien eine Regelung der Anwendung ausländischer Rechtsnormen für unverzichtbar, s. Achilles/Gebhard/Spahn, Bd. 6 (1899), Nr. 401, S. 1 sowie Hartwieg, in: Hartwieg/Korkisch (1973), S. 37. Vgl. allgemein zur Kritik am Entwurf der 1. Kommission und der Einsetzung der 2. Kommission Hartwieg, in: Hartwieg/Korkisch (1973), S. 34 ff. bzw. Dölemeyer, in: Coing, Handbuch, Bd. 2/2 (1976), S. 1572, 1589 ff. 930 Vgl. den Abdruck des Protokolls Nr. 403 bei: Achilles/Gebhard/Spahn, Bd. 6 (1899), S. 20 ff., insbesondere S. 22–28 bzw. (verkürzt) Jakobs/Schubert, Beratung Einführungsgesetz, Teilbd. 1 (1990), S. 282 f.
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Erwerbsgesellschaften liege kein Bedürfnis zu einer besonderen Vorschrift vor. Sowohl in der Literatur als in der Rechtsprechung werde ihnen schon jetzt die Rechtsfähigkeit im Inlande zugestanden, wenn sie nach den Gesetzen ihres ausländischen Sitzes solche besäßen. Eventuell würde man die bestehenden Spezialgesetze in diesem Punkt ergänzen können. Für den inländischen Verkehr komme es wesentlich nur darauf an, daß das Stammvermögen der Gesellschaft, auf welchem ihr Kredit beruhe, nicht willkürlich den Gläubigern entzogen werde; hierfür zu sorgen sei Aufgabe der Spezialgesetze.“ 931 Andererseits birge die Norm für (ausländische) Vereine und Stiftungen ein gefährliches Missbrauchspotential in sich, da der bisherige Entwurf des Allgemeinen Teils des BGB für derartige inländische Rechtsformen weitestgehend das Konzessionssystem aufrechterhalten habe.932 Die Kommission einigte sich darauf, dass die Bedenken hinsichtlich der Vereine gerechtfertigt seien und die Norm insofern einer Ergänzung bedürfe, dass sie im Übrigen aber im Interesse der Rechtsklarheit bzw. Rechtssicherheit unverzichtbar sei.933 Der Anerkennungsnorm wurde daher in einem zweiten Absatz folgender Zusatz beigefügt: Ein Verein, der nach den deutschen Gesetzen Rechtsfähigkeit nur durch Eintragung in das Vereinsregister oder durch staatliche Verleihung erlangen kann, ist, wenn er seinen Sitz im Ausland hat, nur dann rechtsfähig, wenn seine Rechtsfähigkeit in einem Bundesstaat anerkannt ist. Die Anerkennung und die Zurücknahme der Anerkennung bestimmen sich nach den Gesetzen dieses Staates.934 Da die 2. Kommission die IPR-Normen als 6. Buch des BGB einfügen wollte, wurde besagte Anerkennungsnorm nun als § 2237 des Entwurfs der 2. Kommission in der Fassung nach den Beschlüssen der Redaktionskommission gezählt; eine weitere Revision von Mai bis Oktober 1895 führte zu einer erneuten Verschiebung der Norm in § 2364 der sog. Bundesratsvorlage von 1895.935
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Achilles/Gebhard/Spahn, Bd. 6 (1899), S. 24 f. S. Achilles/Gebhard/Spahn, Bd. 6 (1899), S. 25: Mit den staatlichen Genehmigungserfordernissen für Vereine und Stiftungen des deutschen Rechts „(. . .) erscheine es nicht vereinbar, daß ausländischen Vereinen und Stiftungen ohne Weiteres die Rechtsfähigkeit zuerkannt werde. Es könnte sonst z. B. ein im Inlande nicht zugelassener Verein dadurch seinen Zweck erreichen, daß er den Sitz in die Schweiz verlegt, seine Wirksamkeit aber in Deutschland ausübt.“ Zum (endgültigen) Vereinsrecht des BGB und dem Verhältnis zum Aktienrecht vgl. bereits oben B. I. 3. b) bb). 933 Vgl. Achilles/Gebhard/Spahn, Bd. 6 (1899), S. 26 ff. 934 Abdruck in: Jakobs/Schubert, Beratung Einführungsgesetz, Teilbd. 1 (1990), S. 300 (Fassung nach Annahme des Antrages), S. 305 f. (hier zitierte Fassung des Entwurfs der Redaktionskommission) in Form von § 2237. 935 Abdruck jeweils in: Jakobs/Schubert, Beratung Einführungsgesetz, Teilbd. 1 (1990), S. 305 f. und 310 bzw. Hartwieg/Korkisch (1973), S. 210 u. 253. 932
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(b) Rolle der IPR-Kommission Über die Beratungen der 2. BGB-Kommission zum IPR waren das Reichsjustizamt, das Auswärtige Amt sowie das preußische Justizamt nicht nur im Bilde, sondern standen auch im regen gegenseitigen Austausch.936 Das Auswärtige Amt lehnte eine Kodifikation des IPR weiterhin grundsätzlich ab, denn es fürchtete, dass sich der deutsche Gesetzgeber mit einer Regelung zur Anwendung fremden Rechts voreilig binde, ohne dass andererseits die Behandlung des Kollisionsrechts im Ausland in ähnlicher Weise gesichert sei.937 Das Reichsjustizamt und das preußische Justizamt standen einer Regelung der räumlichen Herrschaft der Normen aufgeschlossen gegenüber.938 Zur Überbrückung der bestehenden Differenzen schlugen letztere als Kompromiss vor, dass zunächst das preußische Staatsministerium verbindlich über die Aufnahme von Kollisionsrecht im BGB entscheiden solle und sofern dieses zu einer positiven Antwort gelange, Vertreter des Auswärtigen Amtes und der Justizämter gemeinsam mit den Referenten der Gesetzgebungskommission und dem Justizausschuss des Bundesrates über einzelne Bedenken hinsichtlich des Kollisionsrechts verhandeln und diese schließlich lösen sollten.939 Das preußische Staatsministerium hatte sich erwartungsgemäß mit dieser Frage beschäftigt, konnte sich aber zu keiner abschließenden Antwort durchringen und beschloss zunächst, eine sog. „IPR-Kommission“ einzusetzen, die den Auftrag hatte, eine „befriedigende Lösung“ für eine Regelung des Kollisionsrechts im EGBGB zu erarbeiten.940 Dem Auswärtigen Amt gelang es durch geschicktes Taktieren, die Referenten der Gesetzgebungskommission, insbesondere Gebhard, der auch bei der Entstehung der IPR-Vorschriften der 2. BGB-Kommission entscheidend mitgewirkt hatte, aus dem Beratungsgremium herauszudrängen und stattdessen restriktivere Vertreter der Hansestädte zu gewinnen, die gemeinsam die sog. „IPR-Kommission“ bildeten.941 (aa) Ablehnung der Kodifikation der automatischen Anerkennungsregel Im Rahmen der Verhandlungen der IPR-Kommission, die in zwei Lesungen über die Bundesratsvorlage der 2. Kommission beriet, stellte das Auswärtige Amt 936
Hierzu im Überblick Hartwieg, in: Hartwieg/Korkisch (1973), S. 38 ff. Vgl. Abdruck der entsprechenden Korrespondenz des Auswärtigen Amtes mit den angesprochenen Behörden, in: Hartwieg/Korkisch (1973), S. 196–199, 207 f., 217–222. 938 Gegenüber den politischen Bedenken des Auswärtigen Amtes verwies das Reichsjustizamt u. a. auf die Möglichkeit der Verwendung von Retorsionsklauseln, vgl. Abdruck in: Hartwieg/Korkisch (1973), S. 194, 195 f., weiterführend S. 222–226. Das Auswärtige Amt hingegen hielt eine schriftliche Festsetzung von Vergeltungsrecht wiederum für politisch unklug, da das Ausland dies „leicht als Angriff“ i. S. e. „Kampfesmaßregel“ aufnehmen könne (S. 198). Auch das preußische Justizamt sah die Kodifikation des IPR positiv (S. 215 f., 226–235). 939 Vgl. Hartwieg/Korkisch (1973), S. 225 f., 235. 940 Hartwieg/Korkisch (1973), S. 242, 246 f. 941 Siehe hierzu näher Hartwieg, in: Hartwieg/Korkisch (1973), S. 46 f. 937
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den Antrag, die Anerkennungsnorm in § 2364 entscheidend zu verändern:942 „Der Abs. 1 des Entwurfes sei für deutsche juristische Personen ohne Bedeutung; den ausländischen werde die Rechtsfähigkeit zugesprochen, auch wenn die Gegenseitigkeit nicht verbürgt sei. Dies sei politisch bedenklich. Das Deutsche Reich sowie Preußen habe mit einer Reihe von Staaten Verträge geschlossen, welche nicht nur die Zulassung der juristischen Personen des betreffenden Staates zur Ausübung von Rechten, also namentlich zum Gewerbebetrieb, im Inlande, sondern auch die Anerkennung der Rechtsfähigkeit als solcher enthielten. Diese Staatsverträge würden durch den Entwurf hinsichtlich der Anerkennung der Rechtsfähigkeit gegenstandslos; das Ausland, dessen juristischen Personen die Rechtsfähigkeit selbst ohne Gewähr der Gegenseitigkeit zukomme, werde eben deshalb keine Veranlassung haben, den deutschen juristischen Personen die Rechtsfähigkeit zuzugestehen.“ 943 Das Auswärtige Amt wehrte sich also strikt gegen eine gesetzliche Verankerung der automatischen Anerkennung, wohingegen andere Vertreter einwandten, dass die automatische Anerkennung in Deutschland und im Ausland überwiegend praktiziert werde, dass die erwähnten Staatsverträge lediglich deklaratorische Bedeutung hätten und dass Wissenschaft und Rechtspraxis – ungeachtet der vom Auswärtigen Amt geforderten Streichung von § 2364 I der Bundesratsvorlage – den Grundsatz der Anerkennung ohnehin weiterhin voraussetzen würden.944 Das Auswärtige Amt beharrte auf seinem Standpunkt und entgegnete „(. . .) daß, selbst wenn die Rechtsprechung trotz Streichung des Abs. 1 des Entwurfes den dort enthaltenen Satz annehmen sollte, dies für die Möglichkeit des Abschlusses günstiger Staatsverträge nicht so hinderlich sei, als wenn das Gesetz selbst ausdrücklich die (. . .) Rechtsfähigkeit ausländischer juristischer Personen ausspreche.“ 945 Die IPR-Kommission kam folglich zu dem endgültigen Entschluss, § 2364 I der Vorlage zu streichen.946 Dies war auch im Sinne einzelner Bundesländer, die 942 Der vollständige § 2364 (s. Hartwieg/Korkisch (1973), S. 253) in der Bundesratsvorlage lautete: (I) Die juristische Persönlichkeit wird nach den Gesetzen des Ortes beurtheilt, an welchem die juristische Person ihren Sitz hat. (II) Ein Verein, der nach den deutschen Gesetzen Rechtsfähigkeit nur durch Eintragung in das Vereinsregister oder durch staatliche Verleihung erlangen kann, ist, wenn er seinen Sitz im Ausland hat, nur dann rechtsfähig, wenn seine Rechtsfähigkeit in einem Bundesstaat anerkannt ist. Die Anerkennung und die Zurücknahme der Anerkennung bestimmen sich nach den Gesetzen dieses Staates. 943 Konferenz der IPR-Kommission am 27. November 1895, vgl. Hartwieg/Korkisch (1973), S. 330, 334. Der Normvorschlag des auswärtigen Amtes, abgedruckt bei: Hartwieg/Korkisch (1973), S. 334, enthält inhaltlich daher nur Teilaspekte von § 2364 II des Entwurfes. 944 S. Hartwieg/Korkisch (1973), S. 335. 945 Hartwieg/Korkisch (1973), S. 336. 946 S. Hartwieg/Korkisch (1973), S. 336. Bei dieser Entscheidung blieb es auch nach der 2. Lesung der IPR-Kommission (S. 373, 379).
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ebenso Vorbehalte gegen eine gesetzliche Fixierung der Anerkennung fremder Gesellschaften (die im Ausland ihren Sitz haben), äußerten.947 Kurioserweise bekannte man sich damit – anders als in Frankreich und Belgien schon Mitte des 19. Jahrhunderts (im Falle eines decret impérial oder Staatsvertrages) – aus Gründen rechtspolitischen Kalküls nicht zum Grundsatz der automatischen Anerkennung, obwohl man diese stets praktiziert hatte und durch spezielle fremden- und gewerberechtliche Vorschriften vor Übermacht bzw. Missbrauchspotential ausländischer Gesellschaften geschützt war. (bb) Anerkennungsnorm für ausländische Vereine als Rudiment Ebenso kritisierte das Auswärtige Amt § 2364 II des Entwurfs, denn es befürchtete, dass einzelne Bundesstaaten in missbräuchlicher Absicht oder mangelnder Umsicht politisch schädlichen ausländischen Vereinen für das gesamte Deutsch Reich Rechtsfähigkeit verschaffen könnten.948 Dagegen wurde vorgetragen, dass die politischen Bedenken überzogen seien, denn die Bundesländer würden das Reichsgesetz schon sinnentsprechend anwenden. Anderenfalls könne spätestens die Verwaltungsbehörde im Sinne der Vorschriften des geplanten Allgemeinen Teils des BGB (späterer § 61 II BGB) Einspruch gegen die Vereinseintragung erheben bzw. käme eine nachträgliche Vereinsauflösung in Betracht.949 Doch das Auswärtige Amt ließ sich von dieser Argumentation nicht recht überzeugen: Der angesprochene rechtliche Schutzmechanismus scheine ungenügend und auch wenn man den Landesbehörden nicht grundsätzlich misstrauen würde, so sei doch deren Naivität nicht zu leugnen.950 Die IPR-Kommission einigte sich zunächst darauf, die endgültige Stellungnahme zu § 2364 II zu vertagen.951 Am Ende der zweiten Lesung am 6. Dezember 1895 stand eine modifizierte Fassung, 947 Bayern und Hessen wollten § 2364 I komplett streichen, da die Gegenseitigkeit der Anerkennung nicht verbürgt sei. Hessen schlug ergänzend vor, § 2364 II auf sämtliche juristische Personen zu erstrecken, so dass – ähnlich der Rechtslage in Frankreich unter dem Gesetz von 1857 (jedoch sogar noch strenger, da der Anerkennungsakt für jede einzelne juristische Person erforderlich gewesen wäre) – auch die Aktiengesellschaften einen Anerkennungsakt des Inlandes benötigt hätten. Mecklenburg-Schwerin und Mecklenburg-Strelitz hatten nur Bedenken bezüglich ausländischer Vereine und Stiftungen. Vgl. hierzu Hartwieg/Korkisch (1973), S. 264–267. 948 Konferenz der IPR-Kommission am 27. November 1895, Abdruck bei: Hartwieg/ Korkisch (1973), S. 330, 334: „Der Abs. 2 des Entwurfes könne politisch mißbraucht werden. Dies gelte namentlich für Elsaß-Lothringen. Zu beachten sei dabei, daß, wenn irgend ein deutscher Bundesstaat, der die Verhältnisse nicht kenne, die Rechtsfähigkeit eines ausländischen Vereins anerkannt habe und der Verein in das Register dieses Staates eingetragen worden sei, der Verein damit für das ganze Reich die Rechtsfähigkeit erlange, also selbst in Bundesstaaten, die ihm vielleicht vorher die Anerkennung versagt hätten.“ 949 S. Hartwieg/Korkisch (1973), S. 335 f. 950 S. Hartwieg/Korkisch (1973), S. 336. 951 S. Hartwieg/Korkisch (1973), S. 336, 358.
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die auf Vorschlag des Auswärtigen Amtes die Kompetenz zur Anerkennung der Rechtsfähigkeit fremder Vereine, die, sofern sie deutsche Vereine wären, nur durch Registereintragung oder Verleihung Rechtsfähigkeit erlangen könnten, dem Bundesrat zugestand.952 Daneben rügte das Auswärtige Amt in der 1. Lesung auch Regelungslücken des bisherigen § 2364 II bezüglich solcher Vereine und Stiftungen, die im Ausland ihren Sitz hätten und dort keine Rechtsfähigkeit genössen. Diese könnten nach vorliegender Konzeption keine Rechtsfähigkeit in Deutschland erlangen, obwohl durchaus ausländische Vereine zur Wahrung deutscher Interessen existierten, denen Preußen in der Vergangenheit für sein Territorium die Rechtsfähigkeit verliehen habe.953 Damit zielte das Auswärtige Amt vor allem auf Vereine ab, die in deutschen Schutzgebieten oder in Bezirken der Konsulargerichtsbarkeit gebildet wurden und Rechtsfähigkeit für ihre Beziehungen mit dem innerdeutschen Gebiet erhalten sollten.954 Die Repräsentanten des Reichsjustizamtes gaben dieses Versäumnis zwar zu, hielten aber eine entsprechende Regelung im Allgemeinen Teil des BGB für angezeigt955 – dies ist verständlich, denn schließlich handelte es sich ja aus damaliger Sicht um die Verleihung der Rechtsfähigkeit an deutsche Vereine im weiteren Sinne. Entsprechend wurde der Reichtagstagsvorlage im 3. BGB-Entwurf eine Bestimmung hinzugefügt, welche schließlich zu § 23 BGB wurde.956
952 Vgl. Hartwieg/Korkisch (1973), S. 369, 373, 379. Der Vorschlag zu § 2364 nach der 2. Lesung der IPR-Kommission lautete nun: Ein Verein, der nach den deutschen Gesetzen Rechtsfähigkeit nur durch Eintragung in das Vereinsregister oder durch staatliche Verleihung erlangen kann, ist, wenn er seinen Sitz im Auslande hat, nur dann rechtsfähig, wenn seine Rechtsfähigkeit durch Beschluß des Bundesraths anerkannt ist. Auf nicht anerkannte ausländische Vereine der bezeichneten Art finden die Vorschriften über die Gesellschaft sowie die Vorschrift des §. 51 Satz 2 [späterer § 54 BGB] Anwendung. [Hinzufügung durch Verf.]. 953 Das nach dem späteren § 21 BGB zuständige Amtsgericht müsse sich sinnvollerweise nach dem Vereinssitz richten, zudem sahen die angedachten Rechtsfähigkeitsverleihungsvorschriften für wirtschaftliche Vereine und Stiftungen (vgl. späteren § 22 S. 2 und § 80 S. 1 BGB) die Zuständigkeit des Bundesstaates/-landes vor, in dem der Verein oder die Stiftung seinen Sitz hatte. S. Hartwieg/Korkisch (1973), S. 335. 954 Staudinger/Loewenfeld, Bd. 1 (1904), § 23, Nr. 6 f. Die Vorschrift wurde nach dem 2. Weltkrieg gegenstandslos, siehe Staudinger/Coing, Bd. 1 (1957), § 23, und schließlich durch das Vereinsrechtsänderungsgesetz vom 24. September 2009 aufgehoben. 955 Hartwieg/Korkisch (1973), S. 335. 956 § 21 III der Reichstagsvorlage lautete: Die Verleihung der Rechtsfähigkeit steht dem Bundesstaate zu, in dessen Gebiete der Verein seinen Sitz hat. Hat der Verein seinen Sitz nicht in einem Bundesstaate, so erfolgt die Verleihung durch Beschluß des Bundesrathes. In der endgültigen Fassung des BGB in § 23 BGB erhielt die Norm folgenden Wortlaut: Einem Vereine, der seinen Sitz nicht in einem Bundesstaate hat, kann in Ermangelung besonderer reichsgesetzlicher Vorschriften Rechtsfähigkeit durch Beschluß des Bundesrathes verliehen werden. Vgl. Jakobs/Schubert, Beratung AT, Teilbd. 1 (1985), S. 354 und Mudgan, Bd. 1 (1899), S. LX.
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(c) Beratung im Bundesrat und Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens Während der Arbeiten der IPR-Kommission war der Bundesrat offiziell weiterhin mit dem Gesetzesentwurf der 2. BGB-Kommission zum IPR befasst. Nachdem das Reichsjustizamt die Vorlage der IPR-Kommission neu nummeriert und teilweise verändert hatte,957 beschloss das preußische Staatsministerium am 19. Dezember 1895, dass diese von der IPR-Kommission erarbeiteten Vorschriften unter Streichung des geplanten 6. Buches des BGB in das Einführungsgesetz zum BGB übernommen werden sollten.958 Der Staatssekretär des Reichsjustizamts ließ den Entwurf dem Justizausschuss des Bundesrats mit dem Hinweis zur Kenntnis gelangen, dass Preußen entsprechende Abänderungsanträge zur Aufnahme in das EGBGB zu stellen beabsichtige.959 Diese Vorgeschichte führte nun dazu, dass der Justizausschuss des Bundesrates seine Beschlüsse über das Kollisionsrecht im Januar 1896 auf Grundlage allein des Entwurfes der IPR-Kommission fällte.960 Nachdem diese Regelungen nun auch den Reichstag passiert hatten und wiederum neu durchgezählt wurden, gab auch der Bundesrat am 14. Juli 1896 zur endgültigen Reichstagsvorlage vom 1. Juli 1896 seine Zustimmung. Insgesamt konnte das Auswärtige Amt zwar die Kodifikation des IPR nicht stoppen, jedoch mithilfe seines Wirkens in der IPR-Kommission aus seiner Sicht einiges zur „politischen Entschärfung“ der später beschlossenen Regelungen beitragen.961 Insbesondere war aus dem ursprünglichen § 2364 in der Fassung der Bundesratsvorlage – vor allem mithilfe der einschneidenden Veränderungen durch die IPR-Kommission – Art. 10 EGBGB geworden, welcher keine allgemeine Anerkennungsregel für fremde juristische Personen enthielt, sondern lediglich eine Spezialbestimmung zur Anerkennung der im Ausland erworbenen 957 Vgl. Zusammenstellung des Reichs-Justizamt bei Hartwieg/Korkisch (1973), S. 386 ff., wobei § 2364 der IPR-Kommission nun als Vorschrift §. d. bezeichnet wurde. 958 Vgl. Abdruck des Beschlusses bei Hartwieg/Korkisch (1973), S. 391 f. 959 Vgl. Hartwieg, in: Hartwieg/Korkisch (1973), S. 55 und die Quellen zur Übersendung des Entwurfs an verschiedene Bundesregierungen des Deutschen Reichs bei Hartwieg/Korkisch (1973), S. 390 f. und 392 f. 960 Vgl. Abdruck der Beschlüsse bei Hartwieg/Korkisch (1973), S. 403 ff. Zwar hatten zuvor Braunschweig-Lüneburg und Sachsen zum Entwurf der IPR-Kommission Bedenken gegenüber der Streichung der allgemeinen Anerkennungsregel in § 2364 I geäußert, doch wurden diese offensichtlich nicht vom Bundesrat berücksichtigt. Braunschweig-Lüneburg hatte v. a. auf die praktische Übung der Anerkennung hingewiesen (s. Hartwieg/Korkisch (1973), S. 394), wohingegen Sachsen betont hatte, „(. . .) daß die Anerkennung einer ausländischen juristischen Person dieser nicht lediglich Vortheile bringt, sondern auch unumgängliche Voraussetzung ihrer Belangung vor deutschen Gerichten ist.“ (Vgl. Hartwieg/Korkisch (1973), S. 401.) 961 Allgemein setzten sich bei der Kodifizierung einseitige statt allseitiger Kollisionsnormen durch. Zur damit zusammenhängenden Entstehung der Rückverweisungsvorschrift Art. 27 EGBGB (1900) und deren Anwendung, die auch für das internationale Gesellschaftsrecht maßgeblich wurde, vergleiche Behn (1980), S. 275 ff.
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und bestehenden Rechtsfähigkeit eines fremden Vereins in Deutschland bereithielt.962 Wie vom Auswärtigen Amt vorausgesagt, hielten die Zeitgenossen trotz der missglückten Kodifizierung der am Sitz anknüpfenden Anerkennungsregel weiterhin an ihr fest.963 Art. 10 EGBGB selbst galt bis ins Jahre 1964.964 bb) Literaturansichten Auch die Literatur folgte schon sehr früh der den dargestellten Gesetzesgrundlagen zu entnehmenden liberalen Einstellung zur Anerkennung, wie eine Analyse einschlägiger Quellen beweist. So ist bereits in Weiskes Rechtslexikon 1844 zu den moralischen oder juristischen Personen zu lesen: „Diejenigen Personenvereine oder Anstalten, welche in einem civilisirten Staate als juristische Personen anerkannt sind, gelten allenthalben für selbstständige Rechtssubjecte. Es kommen ihnen daher auch im Auslande die allgemeinen Rechtsvortheile juristischer Personen zu, z. B. das Recht, sich ihrer Verfassung gemäß vertreten zu lassen (. . .).965 von Bar hatte sich im Jahre 1862 speziell zur Anerkennungsproblematik von Aktiengesellschaften zu Wort gemeldet.966 Seiner Auffassung nach stand es gewohnheitsrechtlich fest, dass ausländische juristische Personen auch in anderen Staaten als solche akzeptiert werden. Dieses Prinzip gelte nicht nur für juristische Personen des öffentlichen, sondern auch für jene des Privatrechts: „Denn 962 Besagter Art. 10 EGBGB entsprach – bis auf redaktionelle Änderungen, v. a. der fehlende Hinweis auf den Sitz im Ausland und der nötig gewordenen Neunummerierung von § 51 in § 54 BGB – seinem Sinngehalt nach der Fassung der IPR-Kommission: Ein einem fremden Staate angehörender und nach dessen Gesetzen rechtsfähiger Verein, der die Rechtsfähigkeit im Inlande nur nach den Vorschriften der §§. 21, 22 des Bürgerlichen Gesetzbuchs erlangen könnte, gilt als rechtsfähig, wenn seine Rechtsfähigkeit durch Beschluß des Bundesraths anerkannt ist. Auf nicht anerkannte ausländische Vereine der bezeichneten Art finden die Vorschriften über die Gesellschaft sowie die Vorschrift des §. 54 Satz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs Anwendung. 963 Vgl. RGZ 83, 367, 368 und Bescheid des preußischen Ministers für Handel und Gewerbe vom 31. März 1909, in ZfB 50 (1909), 417, 418: „(. . .) Voraussetzung der Anerkennung [ist] stets gewesen, daß die juristische Person in dem Staat, aus dessen Rechte sie ihre Rechtsfähigkeit herleitet, ihren Sitz hat. An dieser Voraussetzung hat man in der deutschen Rechtswissenschaft und Rechtsprechung festgehalten, indem man den Satz aufstellte und zur Geltung brachte, daß die juristische Persönlichkeit nach den Gesetzen des Ortes zu beurteilen ist, wo die juristische Person ihren Sitz hat. Wenn dieser Satz nicht in das Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch aufgenommen worden ist, obwohl er in dem Entwurfe vorgesehen war und die erste und die zweite Kommission seine Aufnahme beschlossen hatten, so liegt er doch dem Art. 10 des Einführungsgesetzes zu Grunde, der ihn (. . .) gerade als Regel bestätigt hat (. . .)“. [Hinzufügung durch Verf.]. 964 Aufgehoben durch Vereinsgesetz vom 5.8.1964, in: BGBl. I 1964, S. 593, § 30 I, Nr. 4. 965 Weiske, Bd. 4 (1844), Stichwort: Gesetz, S. 729. 966 von Bar (1862), § 41, S. 134–137.
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obwohl an und für sich die Autorität der fremden Staatsgewalt, welche entweder unmittelbar juristische Personen schafft, oder zulässt, dass solche von Privaten gebildet werden, nicht für unseren Staat massgebend ist, so verlangt doch der neuere internationale Verkehr eine solche Anerkennung auch der willkürlich geschaffenen Personen. Ein internationaler Handelsverkehr der Actiengesellschaften würde z. B. ohne solche Anerkennung nicht möglich sein.“ 967 Bereits differenzierter äußerte sich Weinhagen 1866 zur Frage der Rechtsfähigkeit einer Aktiengesellschaft außerhalb ihres Heimatstaates, indem er Anerkennung und Zulassung einer fremden Aktiengesellschaft in Deutschland voneinander trennte: „Hiermit [mit der Anerkennung ihrer Rechtsfähigkeit] ist zunächst nicht zu verwechseln die Befugniß einer A.G., im Auslande Grundeigenthum zu erwerben oder ein Gewerbe zu betreiben, denn diese ist unzweifelhaft lediglich nach dem Gesetze desjenigen Landes zu beurtheilen, in welchem das Gewerbe betrieben oder das Grundeigenthum erworben werden soll. Die Frage ist vielmehr die: ob eine A.G., die in ihrem Heimathlande als Rechtssubjekt gültig besteht, auch im Auslande als ein solches selbstständiges Rechtssubjekt anerkannt werden muß, selbst wenn sie den Anforderungen des ausländischen Gesetzes z. B. in Betreff der staatlichen Genehmigung nicht genügen möchte? Die (. . .) Preußischen Gesetze vom 4. May 1846 und 22. Junius 1861 scheinen diese Frage bejahend entschieden zu haben und nach der Praxis der Gerichtshöfe in Preußen und anderen Staaten war es nie anders.“ 968 Anfang der 1870er Jahre hatten auch Justizrat Lesse aus Berlin und der Berliner Stadtgerichtsrat Keyssner Einschätzungen zur Anerkennungsfrage beigetragen.969 Lesse war von einer in Berlin ansässigen Aktiengesellschaft (unter anderem) die Frage vorgelegt worden, ob diese als gültig nach deutschem Recht gegründete Aktiengesellschaft auch in England vom englischen Recht als juristische Person anerkannt werde und vor dortigen Gerichten klagen bzw. verklagt werden könne, wenn diese in England eine Filiale errichte. Lesse argumentierte vor allem damit, dass das Prinzip der Gegenseitigkeit die Anerkennung in England gebiete, denn für die eigene Behandlung fremder juristischer Personen im Inland sei festzuhalten: „Was die juristischen Personen betrifft, so gilt bei uns allgemein der Satz, daß juristische Personen des Auslandes auch der inländische Richter anerkennen muß und die über ihre Constituirung und innere Einrichtung bestehenden Heimathsgesetze für ihn maßgebend bleiben müssen. (. . .) Dieser 967
von Bar (1862), § 41, S. 135. Weinhagen (1866), Art. 213 ADHGB, S. 147. Mit Blick auf den Anerkennungsstreit zwischen den unmittelbaren Nachbarländern Frankreich und Belgien fügt Weinhagen hinzu (S. 148), dass internationale Verträge nötig seien, um den Zustand der Rechtslosigkeit im Ausland zu beseitigen. 969 Vgl. zum Folgenden jeweils das Rechtsgutachten von Lesse, abgedruckt in: Busch’s Archiv 29 (1874), 19 ff. bzw. das Gutachten von Keyssner, abgedruckt in: Deutsches Handelsblatt 3 (1873), 129 ff. 968
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Satz ist nicht aus speciellen Bestimmungen des preußischen Rechts, sondern aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen abzuleiten. (. . .) So trägt man denn auch in Preußen kein Bedenken, juristischen Personen des Auslandes das Recht zuzugestehen, bei diesseitigen Gerichten zu klagen und verklagt zu werden, vorausgesetzt, daß sie nach ihrem Heimathsrecht ein selbstständiges Rechtssubject bilden und dort gleiche Rechte ihnen zustehen.“ 970 Die (ipso iure) Anerkennung fremder Aktiengesellschaft stützte auch Keyssner mit Verweis auf von Bar auf das Gewohnheitsrecht.971 Die Notwendigkeit der Anerkennung fremder Aktiengesellschaften leitete er aus höherrangigen völkerrechtlichen Prinzipien ab und formulierte daher nachdrücklicher als Lesse: „Es wäre ein Verstoss gegen das höchste Ziel des Völkerrechtes, nämlich des Rechts auf gegenseitigen Verkehr und dessen Sicherung, wenn die im fremden Staat entstandene juristische Persönlichkeit im andern Staate nichtig sein sollte. Die auf der Anerkennung der fremden Staaten beruhende Rechtsgleichheit der Einheimischen und Fremden muss sich auch auf die juristischen Personen erstrecken, wenn nicht die jetzige Entwicklung des Gesellschaftswesens rechtsverletzend ignorirt werden soll.“ 972 Die Tatsache, dass einige Nachbarländer trotz dieses völkerrechtlichen Gewohnheitsgrundsatzes Staatsverträge zur gegenseitigen Anerkennung von Handelsgesellschaften geschlossen hätten, hinge damit zusammen, „(. . .) dass in einzelnen Staaten nur sehr widerstrebend die ausländischen handeltreibenden Körperschaften und Gesellschaften als berechtigt anerkannt worden sind, so namentlich in Italien, Belgien, Holland und Frankreich.“ 973 Speziell zur Anerkennungsfrage im Verhältnis von England und Deutschland vertrat er folgende Ansicht: Der Umstand, dass England mit den genannten Ländern „Verträge über die gegenseitige unbedingte Zulassung der Handelsgesellschaften“ geschlossen hätte, sei der Besorgnis Englands um dessen Handelsverbindungen geschuldet. Da sich mit dem in der Anerkennungsfrage liberal eingestellten Deutschland ein entsprechendes Bedürfnis bislang nicht eingestellt habe, dürfe man keinesfalls den falschen Schluss ziehen, dass mangels Vertrag die Gesellschaften beider Länder keine gegenseitige Anerkennung fänden.974 Ferner hatte Renaud in der zweiten Auflage seines Werks zu den Aktiengesellschaften von 1875 dargestellt, dass eine fremde Gesellschaft in Deutschland als 970
Lesse, Busch’s Archiv 29 (1874), 19, 21 f. Keyssner, Deutsches Handelsblatt 3 (1873), 129, 130. 972 Keyssner, Deutsches Handelsblatt 3 (1873), 129, 130. 973 Keyssner, Deutsches Handelsblatt 3 (1873), 129, 130. 974 Dennoch schlossen Deutschland und England bereits im darauffolgenden Jahr einen entsprechenden Staatsvertrag, vgl. Central-Blatt für das Deutsche Reich 1874, S. 143. Weitere Vereinbarungen existierten ab 1873 etwa mit Italien und Belgien, s. Central-Blatt für das Deutsche Reich 1873, S. 288, 380. 971
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Rechtssubjekt anzuerkennen sei.975 Er unterscheidet ebenfalls zwischen Anerkennung der reinen Rechtssubjektivität und der gewerberechtlichen Zulassung.976 Nach Wolff, der im Jahre 1886 die Behandlung fremder Gesellschaften in Deutschland ausführlich behandelte, bilde die Anerkennung der fremden juristischen Personen „(. . .) als selbstständiger Träger von Rechten und Pflichten in dem Rechtsgebiet ihres Domicils (. . .) die Voraussetzung dafür, dass sie auch im Bereiche des deutschen Rechts als Rechtssubjecte zugelassen werden.“ 977 Auch die Autoren des frühen 20. Jahrhunderts rüttelten nicht an dem Grundsatz der automatischen Anerkennung. So beschreibt etwa Zitelmann 1912 zunächst ausführlich, dass der nationale Gesetzgeber autonom über die Bedingungen entscheiden könne, unter welchen er eine fremde juristische Person im Inland als rechtlich existent betrachte.978 De facto müsse aber der Staat die fremde juristische Persönlichkeit grundsätzlich anerkennen, denn „(. . .) es ist im höchsten Maße unwahrscheinlich, daß das inländische Recht alle auswärtigen juristischen Personen überhaupt als für das Inland nicht vorhanden ausschließen und ihnen auch die Möglichkeit versagen will, bei uns anerkannt zu werden.“ 979 In der Regel gingen die Juristen des 20. Jahrhunderts in Zusammenhang mit der Anerkennung der ausländischen Aktiengesellschaft darauf ein, dass Art. 10 EGBGB diese Frage nicht berühre, die deutsche Rechtsprechung aber dennoch „(. . .) die Rechtsfähigkeit der ausländischen rechtsfähigen Handelsgesellschaften, insbesondere der Aktiengesellschaften, ohne Rücksicht auf die Gewährung der Gegenseitigkeit an[erkenne].“ 980 Mit zunehmendem Fortschreiten des 20. Jahrhunderts setzten viele Autoren die Anerkennung in dem Sinne als selbstverständlich voraus, dass sie bereits auf die Bestimmung des für das Gesellschaftsstatut maßgeblichen Rechts eingingen.981 975
Renaud (1875), S. 193. Renaud (1875), S. 822: „Dagegen kann der inländische Staat zwar je nach Massgabe seiner Gesetzgebung einer ausländischen Actiengesellschaft den Geschäftsbetrieb innerhalb seines Gebietes, ja möglicher Weise den Erwerb von Liegenschaften und Immobiliar-Rechten verwehren (. . .), während er sie solange als rechtsfähiges Subject anerkennen muss, als sie nicht durch den Staat, welchem sie angehört, aufgehoben oder sonst nach Massgabe der Gesetzgebung dieses letzteren aufgelöst worden ist.“ 977 E. Wolff, Clunet 12 (1886), 134, 135; ders., ÖZBl. 4 (1886), 409, 410. 978 Zitelmann, Bd. 2 (1912), S. 111–117. In der Regel sehe der nationale Gesetzgeber eine Verweisung auf das ausländische Recht vor (S. 115). 979 Zitelmann, Bd. 2 (1912), S. 116. 980 Nussbaum (1932), S. 194 [Hinzufügung durch Verf.]. S. a. Niemeyer (1901), § 10, S. 130 f.; Lewald, Bd. 1 (1930), S. 50; Staub/Pinner, HGB, Bd. 1 (1906), § 6, Anm. 3, S. 81 und Reu (1938), § 25, S. 78 f.; letzterer bemerkt (S. 79): „In Wirklichkeit stellt also Art. 10 S. 1 [EGBGB] die Ausnahme dar, während in aller Regel ausländische rechtsfähige Gesellschaften ipso-iure anerkannt werden.“ [Hinzufügung durch Verf.]. 981 So etwa Plotke, Zeitschrift für Internationales Privat- und Strafrecht, Bd. 10 (1900), 211, 212; Mamelok (1900), S. 37, 262; Meili, Bd. 1 (1902), § 66, S. 250 f.; 976
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cc) Rechtsprechung Die Rechtsprechung der einzelnen deutschen Staaten zweifelte ebenso nicht an der Rechtsfähigkeit der fremden Aktiengesellschaften. Eine frühe, anerkennungsfreundliche Entscheidung in Preußen traf etwa das königliche Obertribunal zu Berlin am 8. Oktober 1849:982 Hierbei ging es um die Zulässigkeit der Klage einer hamburgischen Lebens- und Versicherungsaktiengesellschaft, die die Erbin eines Aktionärs auf Zahlung der versprochenen Einlage in Anspruch nehmen wollte. Die Erbin berief sich (unter anderem) darauf, dass die klagende Gesellschaft weder die Rechte einer Korporation, noch einer privilegirten Gesellschaft nach den Hamburger Gesetzen erlangt habe, und daher unter ihrem Kollektivnamen Janus nicht klagen könne. Nachdem die Erbin in zweiter Instanz beim Appellationsgericht zu Breslau mit ihrem Vorbringen durchgedrungen war, erhob Janus Nichtigkeitsbeschwerde beim Obertribunal, das im Sinne der Gesellschaft entschied. Selbst wenn Janus Formalia der Hamburger Verordnung vom 28. Dezember 1835, die gewisse Publizitätsanforderungen an die Errichtung, Veränderung oder Aufhebung von anonymen Gesellschaften stelle, nicht beachtet hätte, sei die Erfüllung dieser Anforderungen für das Bestehen einer hamburgischen Aktiengesellschaft nicht konstitutiv: „Die anonymen Gesellschaften sind, obwohl mit besonderen, ihre Natur, ihre Stellung und ihre Wirkungen modifizierenden Eigenthümlichkeiten versehen, wesentlich nichts anderes als Gesellschaften; die Theorie derselben kann daher im Allgemeinen keine andere Grundlage haben, als die des Sozietätsvertrages überhaupt. Danach beantwortet sich von dem allgemeinen Standpunkte die Frage, wann und wodurch eine anonyme Gesellschaft rechtlich existent wird, von selbst. [Es] (. . .) ist folgeweise gemeinrechtlich weder die öffentliche Bekanntmachung, noch die sogenannte Oktroi unbedingt nothwendiges Requisit.“ 983 Zwar könnten die Landesrechte gerade aufgrund der besonderen Charakteristika der Aktiengesellschaft weitergehende Regelungen zu ihrer Konstituierung und ihrem Außenverhältnis aufstellen, doch sei in Hamburg keine partikularrechtliche Konzession vorgeschrieben und die bestehende Verordnung knüpfe an die Nichteinhaltung der Publizitätsvorgaben lediglich eine Geldstrafe, sei aber keinesfalls als Verbotsgesetz auszulegen, das bei Nichtbeachtung die Sanktion zivilrechtlicher Nichtigkeit der betreffenden Gesellschaft nach sich ziehe. Zudem müsse man zwischen Innen- und Außenverhältnis unterscheiden: „(. . .) die Hamburger Verordnung (. . .) zur Herstellung der Publizität der Aktien-UnternehmunFrankenstein, Bd. 1 (1926), § 25, S. 458; Neumeyer (1930), § 22, S. 17 f.; Raape, Bd. 1 (1938), S. 118 f.; M. Wolff (1954), § 23, S. 114 f. Vgl. hierzu unten Gliederungspunkt B. II. 2. b). 982 Urteil des O.T. zu Berlin vom 8. Oktober 1849, in: Entscheidungen des Königlichen Ober-Tribunals, Bd. 20 (1851), S. 318–329, insbesondere S. 326. 983 O.T. Berlin am 8. Oktober 1849, Fundstelle wie Fn 982, S. 320 f.
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gen (. . .) hat auch nur das äußere Verhältniß im Auge; ordnet es dabei eine caussae cognitio nicht an, so giebt es unzweideutig zu erkennen, daß ihm das innere Verhältniß von keinem Interesse ist. Dieses bestimmt sich demnach lediglich nach den allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen. (. . .) Daraus ergiebt sich, daß der rechtliche Bestand eines solchen Vertrages und die rechtliche Existenz einer Gesellschaft bezüglich des Verhältnisses der Mitglieder unter sich, zu keiner Zeit durch die der Gesellschaft nach Außen gewährte oder versagte Existenz bedingt ist.“ 984 Die speziell in Frage stehende Gesellschaft Janus sei nun aber nachweislich sowohl im Innen- als auch im Außenverhältnis wirksam und diese Wirksamkeit sei auch in anderen deutschen Partikularstaaten zu akzeptieren: „Die am Orte ihrer Errichtung geltenden Gesetze, also die mehrerwähnte Hamburger Verordnung allein, ist in dieser Beziehung entscheidend; die unter ihrem Schutze begründeten Rechte und Verbindlichkeiten müssen auch vor den preußischen Gerichten Anerkennung finden, da die klagende Gesellschaft einen erlaubten Zweck verfolgt und diesseitige Prohibitiv-Gesetze nicht entgegen stehen.“ 985 Ähnlich gelagert ist eine Entscheidung des Stadtgerichts zu Berlin vom Februar 1866.986 Hier wurde eine Leipziger Aktiengesellschaft von der Berliner Justiz als moralische Person anerkennt, da die von der sächsischen Regierung verliehenen Rechte ohne Weiteres auch vor preußischen Gerichten anerkannt werden müssten. Analog hielt auch der Appellationsgerichtshofs zu Köln in seiner Entscheidung vom 8. März 1867 eine rechtmäßig gegründete hamburgische Aktiengesellschaft für parteifähig, obwohl diese keine landesherrliche Konzession in Preußen erhalten hatte:987 Es könne nämlich „(. . .) der klagenden Gesellschaft Hammonia die Fähigkeit, ohne landesherrliche Genehmigung in Preußen vor Gericht stehen zu können, um so weniger bestritten werden (. . .), als der Art. 208 H.G.B. nur die Actien-Gesellschaften des Landes, in welchen das H.G.B. eingeführt wird, zum Gegenstande hat (. . .) und keineswegs die Natur einer auch für ausländische Gesellschaften und deren rechtliche Existenz maßgebenden polizeilichen Bestimmung darstellt.“ 988 Zwar fehlte es der Hammonia an der seinerzeit notwendigen gewerberechtlichen Konzession zum Geschäftsbetriebe ihrer Versicherungsgeschäfte in Preußen, dies sei aber für den konkreten Fall, der das Innenverhältnis der Gesellschaft betraf, ohne Belang: „(. . .) der Mangel der Concession zum Geschäftsbetriebe innerhalb Preußens [ist] vom ersten Richter mit Recht für die vor984
O.T. Berlin am 8. Oktober 1849, Fundstelle wie Fn 982, S. 325. O.T. Berlin am 8. Oktober 1849, Fundstelle wie Fn 982, S. 326. 986 Erkenntnis des Stadtgerichts zu Berlin vom Februar 1866, in: Busch’s Archiv, Bd. 9 (1866), S. 109 f. 987 Urteil des Appellationsgerichtshofs zu Köln vom 8. März 1867, in: Busch’s Archiv, Bd. 12 (1868), S. 218 f. 988 Urteil des Appellationsgerichtshofs zu Köln vom 8. März 1867, Fundstelle wie Fn 987. 985
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liegende Frage als unerheblich erachtet [worden], da es sich nicht von dem Anspruche aus einem seitens der Hammonia in Preußen abgeschlossenen Versicherungsgeschäfte, sondern von dem Anspruche aus der Betheiligung der Beklagten an jener Actien-Gesellschaft handelt; (. . .)“.989 Während der Zeit des Deutschen Kaiserreichs hatte zunächst das Reichsoberhandelsgericht als höchste Instanz für handelsrechtliche Streitigkeiten über die Anerkennungsfrage zu urteilen. In seiner Entscheidung vom 28. April 1877 stellte das Gericht in Einklang mit der bisher dargestellten Rechtsprechung fest, dass eine nach französischem Recht wirksam gegründete Aktiengesellschaft vor deutschen Gerichten als rechts- und parteifähig anzusehen sei.990 Die französische Aktiengesellschaft Comptoir d’Escompte hatte gegen Deutsche auf Zahlung eines Wechsels geklagt. Die Beklagten bestritten die Parteifähigkeit der französischen Aktiengesellschaft vor deutschen Gerichten mit dem Hinweis auf das französische Anerkennungsgesetz von 1857, nach dem ein Dekret des französischen Staats zur Anerkennung einer ausländischen Gesellschaft nötig sei. Dieser Einwand wurde schließlich vom Reichsoberhandelsgericht klar zurückgewiesen: „In Erwägung zum ersten Cassationsmittel: daß in dem hier allein maßgebenden Deutschen Rechte nirgends Bestimmungen zu finden sind, aus welchen die Unfähigkeit ausländischer, nach den Gesetzen des betreffenden Staats gültig errichteter Actiengesellschaften, im Inland als Kläger aufzutreten, hergeleitet werden könnte.“ 991 Das deutsche Handelsrecht stelle keine der Anerkennung entgegenstehende Norm auf; im Gegenteil sei einerseits anerkannt, dass Art. 211 ADHGB, wonach die Aktiengesellschaft vor landesherrlicher Genehmigung und Eintragung nicht existiere, nur auf die Gründung von Aktiengesellschaften im Geltungsgebiete des ADHGB anwendbar sei und andererseits herrsche Einigkeit darüber, dass Art. 213 ADHGB, der die Rechtssubjektivität der Aktiengesellschaft anordnete, auch ein allgemeingültiges Prinzip ausspräche, dessen Verbindlichkeit man ebenso im Ausland unterstellen müsse, so dass die Annahme der Rechtssubjektivität der ausländischen Aktiengesellschaft nach ihrem Gründungsrecht Voraussetzung dafür sei, dass die fremde Aktiengesellschaft im Deutschen Kaiserreich als Rechtssubjekt zugelassen werden könne.992 Im konkreten Fall ergab sich die Rechts- und Parteifähigkeit der Aktiengesellschaft aus den entsprechenden Bestimmungen des französischen code de commerce (insbes. Art. 29 f. cdc), die man auch in Deutschland anerkannte.
989 Urteil des Appellationsgerichtshofs zu Köln vom 8. März 1867, Fundstelle wie Fn 987. 990 Urteil des ROHG vom 28. April 1877, in: Entscheidungen des Reichs-Oberhandelsgerichts, Bd. 22 (1878), S. 147–150, insbesondere S. 148. 991 Urteil des ROHG vom 28. April 1877, Fundstelle wie Fn 990, S. 148. 992 Vgl. bereits Nachweis in Fn 990.
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Auch das Reichsgericht hielt in zwei Urteilen aus dem Jahre 1882 die Anerkennung von fremden Aktiengesellschaften für einen in Deutschland anerkannten Grundsatz.993 Besonders deutlich wird dieser Grundsatz in einem weiteren Reichsgerichtsurteil aus dem Jahre 1913, in dem das Gericht ausführlich auf die bestehende Rechtslage nach Inkrafttreten des EGBGB und BGB eingeht.994 Hier ging es um die Frage, ob „(. . .) eine nach den Gesetzen ihres Heimatstaats Wisconsin wirksam gegründete, in Janesville domizilierte, mit juristischer Persönlichkeit ausgestattete, ihrem rechtlichen Wesen nach der deutschen Aktiengesellschaft (. . .) verwandte Handelsgesellschaft“ in Deutschland als rechts-, partei- und prozessfähig anzuerkennen ist. Das Reichsgericht stellte fest, dass es an einer positivgesetzlichen Regelung mangele, da Art. 10 EGBGB keine Handelsgesellschaften, sondern nur ausländische Vereine i. S. v. §§ 21, 22 BGB betreffe.995 Zudem sei bei den Beratungen zum EGBGB die Regelung gestrichen worden, die die Anerkennung fremder Gesellschaften (unter dem Sitzvorbehalt im Ausland) regelte:996 „Die Streichung hat jedoch nicht die Bedeutung, daß die Rechtsfähigkeit dieser Vereinigungen im Inlande nicht anerkannt werden sollte.“ 997 Mit Blick auf die historischen Umstände der Streichung sei nämlich „(. . .) aus dem Stillschweigen des Gesetzes zu folgern, daß man es in Beziehung auf die ausländischen Erwerbsgesellschaften bei dem bestehenden, auf einem Bedürfnisse des heutigen Weltverkehrs beruhenden Rechtszustande hat bewenden lassen wollen und eine besondere Vorschrift nicht für nötig gehalten hat.“ 998 Auch den weiteren Bestrebungen des Deutschen Reichs zur Weiterentwicklung des Kollisionsrechts könne man entnehmen, dass fremde Gesellschaften auch im Inlande anzuerkennen seien, soweit diese nicht gegen die öffentliche Ordnung und Sicherheit verstößen.999 Natürlich setzte der BGH diese Rechtsprechung der automatischen Anerkennung fremder Kapitalgesellschaften (im Wege der Sitztheorie) fort.1000 d) Würdigung In Deutschland wurde die automatische Anerkennung demnach im Unterschied zu Frankreich und Belgien von den deutschen Autoren und Gerichten als 993 Urteile des Reichsgerichts vom 14. April 1882, in: RGZ 6, 134–143 (hier maßgeblich: S. 138 f.) und vom 5. Juni 1882, in: RGZ 7, 68–73 (hier maßgeblich: S. 70). 994 Urteil des Reichsgerichts vom 16. Dezember 1913, in: RGZ 83, 367–370. 995 RGZ 83, 367 f.; vgl. zu Art. 10 EGBGB bereits B. I. 3. c) aa) (4) (b) (bb). 996 Vgl. hierzu auch Gliederungspunkt B. I. 3. c) aa) (4). 997 RGZ 83, 368. 998 RGZ 83, 369. 999 RGZ 83, 369. 1000 Hierzu näher unter Gliederungspunkt B. II. 2. b) cc) (3).
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selbstverständlich vorausgesetzt und in der Regel nicht in Frage gestellt. Dies überrascht vor allem vor dem Hintergrund, dass sich die deutsche Rechtsentwicklung stark an der des französischen Nachbarn orientierte. Obwohl sich die Entwicklung des Handelsrechts in Deutschland an der französischen Rechtslage ein Beispiel nahm und sich die Motive für die Geltung bzw. die spätere Abschaffung des Konzessionserfordernisses im nationalen Recht ähneln, wurde die Anerkennungsfrage durchweg liberal behandelt. Eine Durchdringung der Gründe ist somit reizvoll. aa) Fehlender äußerer Anstoß Fairerweise muss zunächst darauf hingewiesen werden, dass die deutschen Aktiengesellschaften – anders als die französischen – grundsätzlich nicht von den Gerichten eines benachbarten Staates und wichtigem Handelspartner zurückgewiesen wurden. Demgegenüber hatte die wissenschaftliche und gesetzgeberische Beschäftigung mit der Anerkennungsfrage in Belgien und Frankreich gerade der tatsächlichen Konfliktlage beider Länder Rechnung zu tragen. Ein solcher äußerer Impuls für eine gesetzliche Regelung der Anerkennung bestand in Deutschland im Allgemeinen schon nicht. Einzig der (lokal beschränkte) Konflikt zwischen Elsaß-Lothringen und Frankreich bereitete der gegenseitigen Anerkennung von Aktiengesellschaften Schwierigkeiten. Diese Differenzen waren jedoch von deutscher Regierungsseite selbst provoziert worden und konnten – anders als der belgisch-französische Konflikt Mitte des 19. Jahrhunderts – mit Hilfe der Ausstrahlungswirkung der liberalen Rechtsprechung des Reichsgerichts und dem Urteil der Cour de cassation von 1895 aus der Welt geschafft werden.1001 bb) Grundsatz der (automatischen) Anerkennung Wie bereits dargestellt, waren die deutschen Autoren durchweg Verfechter der ipso iure Anerkennung. Die Rechtsgrundlage wurde kaum hintergefragt, sondern entweder auf die völkerrechtliche Gewohnheit bzw. allgemeine Rechtsgrundsätze oder – speziell in Bezug auf das neue Rechtsphänomen der Aktiengesellschaft – auf die Funktionsweise des internationalen Handels abgestellt.1002 Zudem schien den Zeitgenossen ein weiterer Anerkennungsakt des Aufnahmestaates für die fremde juristische Person äußerst unpraktikabel, da staatliche Rechtsordnungen unterschiedliche Bedingungen für die Existenz der Aktiengesellschaften vorsähen, die sich im Einzelfall gar gegenseitig ausschließen könnten: „Es wäre freilich der Ausweg denkbar, dass solche Institute in allen Staaten, in denen sie Rechtsgeschäfte schließen oder vor Gericht auftreten wollen, die Anerkennung Seitens der einzelnen Staatsgewalten besonders sich verschafften. Allein dann 1001 1002
S. hierzu oben Gliederungspunkt B. I. 2. d) bb) (3) (b) (aa). Vgl. bereits die Nachweise zu von Bar aus dem Jahr 1862 in Fn 967.
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würden oft einander widerstreitende Bedingungen von den einzelnen Staaten auferlegt werden. Zudem müsste dann die juristische Persönlichkeit, um bei ausgedehnteren Handelsunternehmungen sicher zu gehen, von den Regierungen fast aller civilisirten Staaten anerkannt werden. Dies aber würde zu unsäglichen Schwierigkeiten und Weitläufigkeiten führen.“ 1003 Sei ein besonderer Anerkennungsakt daher grundsätzlich abzulehnen und die automatische Anerkennung zu favorisieren, so folge hieraus denknotwendig: „Diejenigen Rechte, welche allgemein juristischen Personen der fraglichen Art in unserem Staate zustehen, können, wenn einmal die in einem auswärtigem Staate bestehende juristische Person anerkannt werden muss, derselben in unserem Staate nicht geweigert werden, da der allgemeine Grundsatz der Rechtsgleichheit der Einheimischen und Fremden Dies fordert.“ 1004 Insgesamt erblickte man das Gebot der gegenseitigen Anerkennung daher als eine zweckmäßige Entscheidung eines jeden rational handelnden Staates;1005 damit ersparte man sich konsequenterweise den Umweg der Anerkennung fremder Gesellschaften über ein gesondertes Gesetz, das letztendlich keinen entscheidenden Vorteil brachte. cc) Bedeutung von Konzession und Fiktionstheorie Im nationalen Recht war die Frage der Notwendigkeit einer Konzession für die Entstehung einer juristischen Person zwar bis weit über die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts heftig umstritten, doch setzte man das Erfordernis einer staatlichen Genehmigung zur Gründung eines entsprechenden Gesellschaftstyps nationalen Rechts nicht als Waffe gegen die rechtliche Anerkennung der fremden Aktiengesellschaft ein. So weist beispielsweise von Mohl, der sich im nationalen Recht für die Beibehaltung des Konzessionserfordernis einsetzt, auf die Gefahr der Einwirkung einer ausländischen Gesellschaft auf nationale Interessen hin, spricht aber keineswegs den Gedanken der Nichtanerkennung aufgrund fehlender weiterer Konzession des Gaststaates aus.1006 Im Gegenteil setzte man das Konzessionserfordernis im nationalen Recht nicht als dogmatisch zwingende Voraussetzung der 1003
von Bar (1862), § 41, S. 135. von Bar (1862), § 41, S. 136, freilich gelte dies nicht für Rechte, die inländischen juristischen Personen speziell erteilt werden müssten, wie z. B. das Recht Grundeigentum zu erwerben. Für den Genuss dieser besonderen Rechte bedürfe auch die fremde Person einer Genehmigung des Gastlandes. 1005 Nicht zuletzt hob man hierbei wirtschaftliche Aspekte hervor, vgl. oben Gliederungspunkt B. I. 3. c) bb). Beitzke (1938), S. 49, bezeichnet die Anerkennung allgemein als Anwendung fremden Rechts und damit dem Bedürfnis nach einer sachgerechten Entscheidung entspringend. 1006 Vgl. das Zitat zu Nachweis in Fn 809, der die Anerkennung der fremden juristischen Person (mit Sitz im Ausland) impliziert. 1004
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B. Umgang mit fremden Gesellschaften aus rechtshistorischer Perspektive
Existenz einer fremden juristischen Person respektive deren Anerkennung voraus. Wesentlich war, dass die Gesellschaft gemäß den Gesetzen ihres Ursprungsstaates wirksam gegründet war und dort als eigenes Rechtssubjekt wahrgenommen wurde.1007 Insbesondere ein Vergleich der belgisch-französischen Rechtsprechung zum Anerkennungsstreit und der (frühen) deutschen Urteile zur Anerkennungsfrage zeigt, dass die Berufung auf die fehlende Konzession nach deutschem Gesellschaftsrecht anders als bei den französischsprachigen Nachbarn nicht zum Anerkennungshindernis der fremden Aktiengesellschaft mutierte.1008 Man versuchte auch nicht, die „territorialen Grenzen des Konzessionsakts des Ursprungsstaates“ als Argument gegen die rechtliche Anerkennung der fremden Aktiengesellschaft zu instrumentalisieren und damit mittelbar die Unterschiede zwischen der natürlichen und der juristischen Person (als reine rechtliche Fiktion) gegen die Anerkennung zu mobilisieren. Vielmehr kritisierte der Schweizer Mamelok – freilich einige Jahrzehnte in der Theorie der juristischen Person bzw. des IPR weiter – die Logik der Fiktionstheorie: „Alle Persönlichkeit, d.h. alle Rechtssubjektivität entstammt dem objektiven Recht. In diesem Sinne giebt es überhaupt nur juristische Personen, ja, der Zusatz „juristisch“ ist überflüssig, da „Person“ schon an und für sich eine Qualität bedeutet, die nur vom Rechte verliehen werden kann.“ 1009 Demgemäß könne man nicht argumentieren, dass der juristischen Person keine extraterritoriale Existenz zukomme, weil der interne Gesetzgeber entsprechende Rechte nur innerhalb der eigenen Landesgrenzen gewähren kann. Denn unter Zugrundelegung dieser Prämisse „(. . .) ist nicht einzusehen, warum die Rechtssubjektivität der Individuen, die der gleichen Quelle entstammt, besser Stand halten sollte.“ 1010 Die Argumentationslinie der Fiktionstheorie wird somit hinfällig. Doch selbst wenn die juristische Person nichts anderes sein mag als eine Fiktion, so hindert dies die Anerkennung nicht, wie Beitzke schon vor Jahrzehnten zu bedenken gab: „Wenn eine Fiktion auf einem Rechtssatz beruht, so kann sie auch durch Anwendung dieses Rechtssatzes übernommen werden. Es bedarf nicht der Zulassung der eigenen Wirkungen des ausländischen Rechts im Wege der „comity“, um die Fiktion im Inland wirken zu lassen.“ 1011 Im Unterschied zum vor allem in Belgien Mitte des 19. Jahrhunderts gegen die Anerkennung vorgetragenen Hinweis auf die Untergrabung staatlicher Souveräni1007
von Bar, (1862), § 41, S. 135 f.; E. Wolff, ÖZBl. 4 (1886), 409, 410, 412. Vgl. nur das Urteil des Friedensrichter von Mons am 25.11.1845, in: La Belgique Judiciaire 5 (1847), Spalten 161 ff. (dargestellt bei Gliederungspunkt B. I. 2. c) bb) (1) (a)) gegen das Urteil des Appellationsgerichtshofs zu Köln vom 8. März 1867, in: Busch’s Archiv, Bd. 12 (1868), S. 218 f. (dargestellt bei Gliederungspunkt B. I. 3. c) cc)). 1009 Mamelok (1900), S. 5. 1010 Mamelok (1900), S. 29. 1011 Beitzke (1938), S. 49. 1008
I. Die Entwicklung der Anerkennung ausländischer Gesellschaften
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tät durch das „Eindringen“ fremden Rechts wurde in Deutschland die Übernahme der Fiktion im Wege der automatischen Anerkennung schon früh als freiwillige Verweisung auf ausländisches Recht interpretiert.1012 dd) Rolle der nationalen Ordnung In den romanischen Nachbarstaaten warnten die Anerkennungsgegner als letztes Mittel vor einer immensen Gefahr für die öffentliche Ordnung durch die vorbehaltlose Anerkennung fremder Aktiengesellschaften. Das Konzessionserfordernis im nationalen Recht sei mithin eine Norm der öffentlichen Sicherheit, die auch auf fremde Gesellschaften Anwendung fände.1013 Ließe man fremde Gesellschaften ohne weiteres zu, so lege man die öffentliche Ordnung in das Ermessen eines fremden Souveräns. Die Tatsache, dass diese Darstellung überspitzt und letztlich Mittel zum Zweck der Vertreibung einer unliebsamen Konkurrenz war, wurde bereits ausführlich dargestellt. Spätestens die gegenseitige gesetzliche Regelung der Anerkennung in Frankreich und Belgien beweist, dass diese Gefahren verglichen mit dem Nutzen des internationalen Handelsverkehrs in den Hintergrund traten. Die große Flexibilität und Unbestimmtheit der Rechtsfigur des ordre public verdeutlichte Ende des 19. Jahrhunderts (unter anderen) bereits von Bar mit den Worten, „(. . .) dass dieses ganze Princip weich wie Wachs und biegsam wie Kautschuk sei, dass man alles und nichts damit beweisen könne.“ 1014 Zudem sprach bereits die dargestellte „freiwillige Übernahme“ der Fiktion der fremden Gesellschaft gegen eine Mobilisierung der Rechtsfigur der öffentlichen Ordnung und Sicherheit als Hindernis der Anerkennung.1015 Entsprechend gab es in Deutschland keine (ernsthaften) Tendenzen, den fremden Aktiengesellschaften zusätzliche, am nationalen Recht angelehnte Anerkennungserfordernisse überzustülpen. Eine (weitere) staatliche Genehmigung erschien hierzulande nicht als Gebot des ordre public.
1012 Eine Ausnahme dieser freiwilligen Übernahme einer Fiktion stellte Art. 10 EGBGB dar. Vgl. Raape, Bd. 1 (1938), S. 122, der Art. 10 EGBGB als vom „Geiste Laurent’s erfüllt“ sieht und auf S. 124 feststellt: „Er ist eine Ausnahme, welche die Regel bestätigt, die Regel nämlich, daß die Rechtsfähigkeit einer juristischen Person nicht an den Grenzen ihres Staates endet.“ Vgl. zur Entstehung von Art. 10 EGBGB bereits obigen Gliederungspunkt B. I. 3. c) aa) (4). 1013 Vgl. hierzu Gliederungspunkte B. I. 2. c) bb) (1), B. I. 2. c) bb) (2) und B. I. 2. c) cc) (3) (b). 1014 von Bar, Bd. 1 (1889), § 30, S. 97. 1015 Vielmehr bestand die Erkenntnis, dass das Gewerberecht (anstelle der Anerkennung) gewisse „Wächterfunktionen“ übernehmen könne, s. sogleich Gliederungspunkt B. I. 3. d) ee).
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B. Umgang mit fremden Gesellschaften aus rechtshistorischer Perspektive
ee) Trennung von Anerkennung und Zulassung Sollte der deutsche Weg nun – anders als in den französischsprachigen Nachbarländern – von Freigeist und mangelndem Respekt vor ausländischen Konkurrenten geprägt gewesen sein? Fürchtete der deutsche Staat keine eventuellen Wettbewerbsvorteile fremder Aktiengesellschaften aufgrund eventuell geringerer Gründungsanforderungen und sorgte er sich nicht vor von den ausländischen Mitbewerbern (besonders für sensible Wirtschaftsbereiche) ausgehenden Risiken für die staatliche Ordnung? Wohl kaum. Der Grund für die gelassene Position in der Anerkennungsfrage liegt in der höheren Entwicklungsstufe des Fremdenrechts, genauer der gewerberechtlichen Bestimmungen. Denn anders als in Frankreich vermengte man Anerkennung und Zulassung zum Gewerbe bereits nicht mehr. Viele deutsche Landesrechte sahen schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts Restriktionen für die Zulassung fremder Aktiengesellschaften zum Geschäftsverkehr vor.1016 Die gewerberechtlichen Regelungen für die ausländischen Gesellschaften waren gegenüber den deutschen Gesellschaften regelmäßig strenger ausgestaltet, die Rechtslage für ausländische Gesellschaften mithin wegen den spezifischen landesrechtlichen Beschränkungen (ab 1869 in Verbindung mit § 12 I der Gewerbeordnung) ungünstiger.1017 Die dargestellte Differenzierung zwischen Anerkennung und Zulassung hatte man bereits bei den Beratungen zum ADHGB von 1861 betont und in die allgemeine Gewerbeordnung von 1869 überführt. Die Motive zum ersten Entwurf der Gewerbeordnung hatten die Zielsetzung der Restriktion, dass es hinsichtlich des 1016 Vgl. nur § 18 der allgemeinen Gewerbeordnung in der Fassung von 1861, Fundstelle wie Fn 859. Bis in die 1860er Jahre war man v. a. in Preußen jeglichen fremden Gewerbetreibenden gegenüber ablehnend eingestellt gewesen. So wurde zur allgemeinen preußischen Gewerbeordnung von 1845 im Jahre 1849 ein Zusatz erlassen, der bestimmte, dass ausländischen Gewerbetreibenden die Erlaubnis zum Betreiben eines stehenden Gewerbes i. S. v. § 18 der allgemeinen Gewerbeordnung in Preußen nur in besonderen Ausnahmefällen und nur unter der Bedingung der Gegenseitigkeit gewährt werden solle. Vgl. den Wortlaut des § 67 der Verordnung betreffend die Errichtung von Gewerberäthen und verschiedene Abänderungen der allgemeinen Gewerbe-Ordnung, vom 9. Februar 1849, abgedruckt in: Gesetz-Sammlung für die preußischen Staaten 1849, S. 93, 108, der bis 1861 in Kraft war und verfügte: Ausländer sind zum Betriebe eines stehenden Gewerbes, soweit ihnen nicht die Erlaubnis dazu in Erwiederung der im Auslande den diesseitigen Gewerbetreibenden entgegenstehenden Beschränkungen überhaupt zu versagen ist, nur aus erheblichen Gründen zuzulassen. Ueber diese Gründe ist vor der Zulassung eines Ausländers jederzeit die Gemeinde des Ortes, wo das Gewerbe betrieben werden soll, ingleichem die betheiligte Innung und der Gewerberath zu hören. Dasselbe gilt, wenn von ausländischen Gewerbetreibenden die Naturalisation (. . .) beantragt wird. Die Bestimmungen dieses Paragraphen finden auf Angehörige deutscher Staaten nur solange Anwendung, als nicht für dieselben die gegenseitige Zulassung der Gewerbetreibenden zur Ansässigmachung und zum Gewerbebetriebe nach gleichen Grundsätzen geregelt ist. Vgl. auch Risch (1846), S. 61 ff., der die Notwendigkeit des Schutzes inländischer Gewerbetreibender vor ausländischen Wettbewerbern beteuert. 1017 Vgl. hierzu bereits oben Gliederungspunkt B. I. 3. c) aa) (2) (a).
I. Die Entwicklung der Anerkennung ausländischer Gesellschaften
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selbstständigen Gewerbebetriebs einer fremden juristischen Person auf die landesrechtlichen Regelungen ankomme, wie folgt kommentiert: „Die Aufrechterhaltung der Landesgesetze hinsichtlich der Befugniß der juristischen Personen des Bundesauslandes zum selbstständigen Gewerbebetriebe ist deshalb erforderlich, weil die Bedingungen, an welche in verschiedenen Ländern das Recht der juristischen Persönlichkeit geknüpft ist, verschiedene sind, eine Umgehung der einheimischen Bedingungen der Entstehung juristischer Persönlichkeit, also durch Verlegung des Wohnsitzes nach dem Bundesauslande, möglich sein würde. Außerdem genießen auch die juristischen Personen des Bundesgebiets im Auslande nicht einmal überall Rechtsfähigkeit geschweige denn die Befugnis zum selbstständigen Gewerbebetriebe, und es ist nothwendig, über diese Materien die Möglichkeit von Verträgen, die auf Gegenseitigkeit gegründet sind, offen zu halten.“ 1018 Es zeigt sich somit, dass auch in Deutschland die Angst vor Unterwanderung der eigenen Wirtschaft durch die ausländische Konkurrenz manifest war. Man erkannte die im Ausland gegebenenfalls unter geringeren rechtlichen Voraussetzungen erworbene Rechtsfähigkeit an, ließ die fremden Gesellschaften aber nur ihrer Tätigkeit in Deutschland nachgehen, wenn sie die entsprechenden gewerberechtlichen Genehmigungen erhalten hatten.1019 Diesen Rechtszustand der Trennung von Anerkennung der Rechtssubjektivität und Zulassung zum Gewerbe wollte der Gesetzgeber auch für die 2. Aktienrechtsnovelle von 1884 aufrechterhalten. In den Motiven zu dieser Novelle wird ausgiebig und rechtsvergleichend zur Behandlung der ausländischen Kommanditgesellschaften auf Aktien sowie Aktiengesellschaften in Deutschland Stellung bezogen.1020 Am hierzulande bestehenden Status sei nicht zu rütteln: „Ebenso unbedenklich kann die Frage, inwieweit eine ausländische Aktiengesellschaft im Reichsgebiete als Rechtssubjekt anzuerkennen ist, wie bisher dem bürgerlichen Recht überlassen bleiben. Wenn demzufolge (. . .) im Allgemeinen die Rechtspersönlichkeit dieser Gesellschaften und ihre Befugniß, vor Gericht aufzutreten, Anerkennung findet, so schützt gegen Ausschreitungen und eine Umgehung der einheimischen Gesetzgebung durch ausländische Gesellschaften nach wie vor die Bestimmung in §. 12 der Gewerbeordnung und in Elsaß-Lothringen das Gesetz vom 30. Mai 1857. Die einzelnen Bundesstaaten sind danach in der Lage, die Garantien zu bestimmen, welche sie zum Schutze ihrer Angehörigen gegenüber 1018 Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages des Norddeutschen Bundes, 1. Legislatur-Periode, Session 1869, Bd. 3, Anlagen zu den Verhandlungen des Reichstages von Nr. 1-283, Nr. 13, S. 114. 1019 Anders Behrens, ZGR 1978, 499, 502, der meint, dass im Gewerberecht die Verwirklichung der Rechtssubjektivität und kollisionsrechtliche Aspekte untrennbar miteinander vermischt seien. Dem widersprechen aber die Verhandlungen zum ADHGB, vgl. oben Gliederungsmotive B. I. 3. c) aa) (1). 1020 Siehe Motive zur 2. Aktienrechtsnovelle, wie Fn 818, S. 310–315.
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B. Umgang mit fremden Gesellschaften aus rechtshistorischer Perspektive
dem Gewerbebetriebe durch ausländische Gesellschaften für erforderlich erachten oder den Gewerbebetrieb derselben sogar von ihrem Gebiete auszuschließen. Auch verbleibt es dabei, daß die zum Gewerbebetrieb zuzulassenden ausländischen Gesellschaften sich den dafür bestehenden landesgesetzlichen Vorschriften unterzuordnen haben; und dies gilt namentlich von den Vorschriften, welche mit Rücksicht auf den Gegenstand des Unternehmens die staatliche Genehmigung und Aufsicht bedingen.“ 1021 Die Trennung von Anerkennung und Zulassung zum Gewerbe setzte man nicht nur bei der Beratung des BGB bzw. der Inkraftsetzung des HGB ab 1900 als selbsterklärend voraus,1022 man behielt auch die beschriebene ratio des § 12 GewO – bzw. zwischen 1937 und 1965 des spezielleren § 292 AktG – stets bei.1023 ff) Fazit In Deutschland galt die Anerkennung frühzeitig als „Rechtsanwendungsbefehl“ aus der eigenen Rechtsordnung heraus, wohingegen im romanischen Rechtskreis zunächst ein Leitbild herrschte, nach dem sich die Anerkennung der Rechtsfähigkeit der fremden juristischen Person aus einem Anwendungsbefehl des fremden Gesetzgebers speiste und damit zu einer Souveränitätsverletzung führen konnte.1024 Erschwerend kam hinzu, dass man in Frankreich und Belgien mit der Anerkennung zugleich die Zulassung zum Gewerbe verband. Die wirtschafts- und rechtspolitischen Motive, die als „Anstifter“ des Anerkennungsstreits zwischen Belgien und Frankreich herausgearbeitet worden sind, finden sich auch im deutschen Recht. Da hier aber bereits in der ersten Hälfte des 1021 Motive, wie Fn 818, S. 313. Dementsprechend dürfe auch der Registerrichter gemäß dem Entwurf der 2. Aktienrechtsnovelle eine ausländische Zweigniederlassung nicht ins deutsche Handelsregister eintragen, bevor diese die etwaig erforderlichen staatlichen Genehmigungen betreffend der Zulassung zum Gewerbebetrieb im Inland bzw. des Gegenstand des Unternehmens erhalten habe. 1022 Achilles/Gebhard/Spahn, Bd. 6 (1899), S. 24; Staub/Pinner, HGB, Bd. 1 (1906), § 6, Anm. 3, S. 81. 1023 Vgl. Schlegelberger/Quassowski, 3. Aufl. (1939), Kommentierung zu § 292 AktG, die zu den Anerkennungsregeln in Staatsverträgen bemerken: „Namentlich ist die häufig zu findende Vereinbarung, daß jeder der am Vertrag beteiligten Staaten die Aktiengesellschaften des anderen als zu Recht bestehend anerkenne, keine Zulassung zum Gewerbe im Inland.“ S. a. Klug, in: Großkomm. AktG, 2. Aufl. (1961), § 292, Anm. 7: „Ob ein ausländisches Unternehmen eine Aktiengesellschaft (. . .) im Sinne des § 292 ist, bestimmt sich nach den Regeln des Internationalen Privatrechts. Maßgebend ist daher grundsätzlich dasjenige ausländische Recht, nach welchem die Rechtsfähigkeit verliehen wurde. Im Allgemeinen werden ausländische Aktiengesellschaften (. . .) als solche im deutschen Recht ohne weiteres anerkannt.“ Vgl. zu den bundesweiten gewerberechtlichen Restriktionen für ausländische Gesellschaften im 20. Jahrhundert oben Gliederungspunkt B. I. 3. c) aa) (2) (b). 1024 Vgl. hierzu schon Mamelok (1900), S. 29 f.
II. Die Entwicklung der Sitztheorie
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19. Jahrhunderts eine saubere Trennung zwischen Anerkennung und Zulassung erfolgte, spiegelt sich die Angst vor übermächtiger fremder Konkurrenz im Gewerberecht wider. Die Spuren gewerberechtlicher Vorsichtsmaßnahmen ziehen sich von den Motiven zur Gewerbeordnung von 1869 bis in die moderne Zeit durch: Noch bei der Reformierung der Gewerbeordnung 1965 wurde die Aufrechterhaltung der gewerberechtlichen Genehmigung für juristische Personen aus Drittländern mit dem Gedanken des Gläubigerschutzes und der Verhütung der Umgehung nationalen Kapitalgesellschaftsrechts gerechtfertigt.1025 Ergänzend galten für die in Deutschland dauerhaft tätigen Zweigniederlassungen fremder Gesellschaften schon frühzeitig gewisse Restriktionen. Neben der Gewährleistung von Publizität (und damit Schutz des inländischen Verkehrs) bezweckten die Vorgängernormen der heutigen §§ 13, 13 d–f HGB auch die Sicherstellung eines inländischen Gerichtsstandes bei Klagen gegen ausländische Gesellschaften.1026
II. Die Entwicklung der Sitztheorie Im Folgenden soll die Entwicklung der Sitztheorie in ihrer heutigen Gestalt aufgezeigt werden. Hierbei wird wiederum zwischen dem romanischen und dem deutschen Rechtskreis unterschieden, um bestehende Gemeinsamkeiten bzw. Unterschiede aufzudecken.
1. Die Entwicklung der Sitztheorie in Frankreich und Belgien a) Einfluss der nationalen Handelsrechtsordnungen durch den Übergang zum System der Normativbestimmungen Mit dem beschriebenen Übergang der europäischen Gesellschaftsrechte zum System der Normativbestimmungen ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts 1025 Vgl. die Gesetzesbegründung, wie Fn 883, in: BT-Drs. IV/3290, S. 4: „Auf die Genehmigungsbedürftigkeit kann aus allgemeinen, im Bereich des öffentlichen Interesses liegenden Gründen nicht verzichtet werden. Im Vordergrund steht der Gedanke, durch eine Prüfung im Rahmen eines Genehmigungsverfahrens mögliche Gefährdungen inländischer Gläubiger durch kapitalschwache ausländische juristische Personen auszuschließen. Auch soll verhindert werden, daß die deutschen Rechtsvorschriften dadurch umgangen werden, daß Inländer, die die Voraussetzungen für die Gründung einer juristischen Person im Inland nicht erfüllen, in einem ausländischen Staat, in dem geringere Anforderungen an die Gründung einer juristischen Person gestellt werden, eine „ausländische“ juristische Person errichten und sodann das beabsichtigte Gewerbe in der Bundesrepublik in der Form einer Zweigniederlassung dieser ausländischen juristischen Person betreiben.“ (Hervorhebung des Verf.). 1026 S. oben Gliederungspunkt B. I. 3. c) aa) (3). Auch nach dem heutigen § 21 ZPO begründet die Zweigniederlassung einen besonderen Gerichtsstand, vgl. MüKo-ZPO/ Patzina, 4. Aufl. 2013, § 21, Rn 8, 16 (Art. 5 Nr. 5 der EuGVO kann ggf. vorgehen).
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B. Umgang mit fremden Gesellschaften aus rechtshistorischer Perspektive
wurde die Furcht vor der ausländischen Konkurrenz erneut spürbar.1027 Zwar könnte man meinen, dass nach der Beilegung des erneuten Streits um die rechtliche Anerkennung fremder Gesellschaften alle rechtmäßig nach den Vorschriften ihres Ursprungslandes gegründeten ausländischen Aktiengesellschaften, für deren Ursprungsland ein Dekret i. S. d. Gesetzes von 1855/1857 bestand, frei grenzüberschreitend tätig werden konnten. Die Furcht vor der Unterwanderung der heimischen Wirtschaft durch ausländische Gesellschaften, die sich eines laxeren Gründungsrechts erfreuten und demzufolge ein gewisses Missbrauchspotential in sich trugen, war indes – den Anerkennungsgesetzen von 1855/57 zum Trotz – ungebrochen. Die französische Rechtsprechung und die belgische Gesetzgebung verlangten daher (bald) eine zusätzliche Voraussetzung, die die fremden Gesellschaften erfüllen mussten, um im Inland tatsächlich als rechts- und parteifähig zu gelten: den Sitz der Gesellschaft im Gründungsland, welcher zugleich die „Nationalität“, sprich das Organisationsstatut, der Gesellschaft bestimmen sollte. Bevor diese Entwicklung der Sitzanknüpfung beleuchtet werden soll, ist zur rechtstechnischen Verknüpfung von Fremdenrecht und Kollisionsrecht Folgendes vorauszuschicken: Da das internationale Privatrecht erst am Anfang seiner modernen Entwicklung stand,1028 wurden die heutigen Kategorien des Fremdenrechts und des Kollisionsrechts damals nicht unterschieden. Insofern erscheint es nicht überraschend, wenn die Lehre von der Anerkennung im engeren Sinne und die Bestimmung des Gesellschaftsstatuts – die sogenannte „lex societatis“ oder auch „Nationalität“ der Gesellschaft genannt – ineinander übergehen konnten. Großfeld drückt eine solche Entwicklung mit folgenden Worten aus: „Die fremdenrechtliche Anerkennungslehre wanderte in die Kollisionsnorm hinein. Im Sitzerfordernis bleibt aber die alte Anerkennungslehre lebendig.“ 1029 Die Rechtsfolge des „materiellen Rechts für Ausländer“ sah also die Anerkennung der Rechtsfähigkeit der fremden Gesellschaft vor, sofern es „kollisionrechtlich berufen“ war – letzteres bestimmte sich nach den Voraussetzungen des Gesetzes von 1857 bzw. 1855 (später 1873) in Verbindung mit dem Sitzkriterium.1030 Dem enspricht es, wenn wir aus heutiger Sicht von der automatischen Anerkennung sprechen und mithilfe des Sitzkriteriums (nur) das auf die Gesellschaft anwendbare Recht bestimmen. Diese Feststellung der Verquickung von
1027
S. o. Gliederungspunkt B. I. 2. d). S. o. Gliederungspunkt B. I. 2. c) cc) (1). 1029 Staudinger/Großfeld, IntGesR (1998), Rn 192. Wie noch zu zeigen sein wird, trifft dies insbesondere für Belgien zu, indem die Sitztheorie 1873 unter Aufhebung des Anerkennungsgesetzes von 1855 gesetzlich geregelt wurde. 1030 Den engen Zusammenhang zwischen Fremdenrecht, zu dem die Zulassung zum Gewerbebetrieb zu rechnen ist, und Kollisionsrecht beschreiben Staudinger/Großfeld, IntGesR (1998), Rn 149; Grasmann, Rn 177 ff., S. 145 ff. und Behrens, ZGR (1978), 499, 502 ff., 506. 1028
II. Die Entwicklung der Sitztheorie
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Kollisions- und Fremdenrecht trifft für den Fall der automatischen Anerkennung zu. In Frankreich war die Anerkennungsnorm von 1857 bis vor Kurzen noch in Kraft, allerdings bestanden Dekrete oder Staatsverträge für die meisten Länder, weshalb man faktisch von der automatischen Anerkennung sprechen kann. Theoretisch war daher die Anerkennungsfrage und die Bestimmung des anwendbaren Rechts getrennt, faktisch bestand aber kein Unterschied zur automatischen Anerkennung, da das Sitzerfordernis als (lange Zeit) ungeschriebenes Kriterium in die Anerkennungsnorm „mit herein gelesen wurde“. Die fehlende systematische Trennung äußert sich in Frankreich vor allem darin, dass man unter dem Kriterium der „Nationalität“ bis heute sowohl kollisionsrechtliche als auch fremdenrechtliche Probleme diskutiert.1031 Nachfolgend soll nun der nahtlose Übergang von der mehr und mehr an Gewicht verlierenden Anerkennungsproblematik (im engeren Sinne), deren Bedeutungsschwund die Liberalisierung der nationalen Aktienrechte mit sich brachte, zur Entwicklung der bis heute geltenden sogenannten „Sitztheorie“ näher beschrieben werden. b) Anerkennungsvorbehalt Sitz: Der Sitz als Kriterium der Bestimmung des anwendbaren Rechts Für die ausländischen (unter dem Konzessions- bzw. Normativsystem gegründeten) Aktiengesellschaften, für deren Ursprungsland ein Dekret aufgrund der zu Ende des 19. Jahrhunderts geklärten Fortgeltung des Gesetzes von 1857 bestand, schien die Anerkennung in Frankreich zunächst unabwendbar. Die Rechtsprechung begann aber nun sich verstärkt mit dem Problem der „Nationalität“ der fremden Aktiengesellschaft zu beschäftigen, d.h. der Frage, wann eine Aktiengesellschaft tatsächlich als „fremde“ zu gelten hatte. Hintergrund für diese Entwicklung war die Sorge, die ebenfalls am Anfang der Anerkennungsproblematik bereits begegnet war: die Gefahr der Überfremdung. Diese Gefahr sah man nach der Liberalisierung der Aktienrechte in einer missbräuchlichen Ausnutzung der Anerkennung durch betrügerische Aktiengesellschaften begründet. Da das französische Gesetz von 1867 verhältnismäßig strenge Anforderungen für das Bestehen einer Aktiengesellschaft beinhaltete, andere nationale Aktienrechte aber geringere Anforderungen aufstellten, konnte man Ende des 19. Jahrhunderts einen gewissen Trend dahingehend ausmachen, dass sich Gesellschaften formal im Ausland, bevorzugt in England, Belgien oder
1031 Vgl. Merle (1992), Nr. 85 f., S. 89 f. Teilweise möchten moderne französische Autoren heute den kollisionsrechtlichen Aspekt und die fremdenrechtliche Zuordnung von in- und ausländischer Gesellschaft trennen, betonen aber die historische Verwobenheit beider Rechtsmaterien, vgl. Jacquet/Delebecque/Corneloup (2007), Nr. 258 f., S. 148 f., Nr. 278, S. 157.
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B. Umgang mit fremden Gesellschaften aus rechtshistorischer Perspektive
der Schweiz niederließen, jedoch in Frankreich als „fremde“ Gesellschaft – „sous le vêtement étranger“ 1032 – ihre gesamte bzw. ihre Hauptgeschäftstätigkeit entfalteten. Man musste sich in diesen Fällen entscheiden, welches Recht auf eine solche Gesellschaft anwendbar sein sollte – das ausländische oder das französische. Diese Frage beurteilte die französische Rechtsprechung und die Lehre mithilfe des Kriteriums der „Nationalität“ der Gesellschaft.1033 Die „Nationalität“ der Gesellschaft sollte als einheitliches Konstrukt alle Rechtsfragen bezüglich der Gesellschaft regeln.1034 Vor allem fasste man unter diesen Begriff auch die primäre Zuordnung einer Gesellschaft zu einer bestimmten Rechtsordnung, welche einzig befugt ist, der Gesellschaft Rechtssubjektivität zu verleihen.1035 Da die Erteilung der Konzession aufgrund des Übergangs zum System der Normativbestimmungen als möglicher (vorgeschobener) Ansatzpunkt der Verleihung der Rechtsfähigkeit im Sinne der Fiktionstheorie für die Bestimmung der „Nationalität“ der Gesellschaft weggefallen war,1036 blieben zwei naheliegende Anknüpfungspunkte: Entweder konnte man die „Nationalität“ einer Aktiengesellschaft an der Erfüllung der Gründungsvorschriften des Landes anknüpfen, in welchem die betreffende Aktiengesellschaft zur Entstehung gelangt war. Die andere Möglichkeit war die Einforderung einer zusätzlichen tatsächlichen Voraussetzung für die Anerkennung einer Aktiengesellschaft als wirksam bestehende „fremde“ Gesellschaft: der Sitz der Gesellschaft – siège social – im Ausland. Jeweils eine dieser beiden Varianten konnte sich für die Anknüpfung der Gesellschaft in den verschiedenen Ländern durchsetzen. Es ist kein Geheimnis, dass der romanische Rechtskreis zum Vorreiter der zweitgenannten Alternative wurde und die Anerkennung von ausländischen Gesellschaften unter den sogenannten „Sitzvorbehalt“ stellte. Die Entwicklung dahin wird im anschließenden Teil (zunächst für Belgien, anschließend für Frankreich) verfolgt werden.
1032
Siehe Vavasseur, Clunet 2 (1875), 345, 346; ähnlich Castier (1884), S. 189. Pohlmann (1988), S. 38 ff., 58 ff., zeigt auf, dass der in Frankreich etablierte Begriff der Nationalität zum einen dazu dient, das auf eine Gesellschaft anwendbare Recht aufzufinden (kollisionsrechtlicher Charakter) und zum anderen die Sonderregeln für Ausländer nach der In- oder Ausländereigenschaft einer Gesellschaft richtig anzuwenden (fremdenrechtlicher Charakter). 1034 Den Gedanken der Einheitlichkeit betont Mazeaud, Clunet 55 (1928), 30, 43: «Toute personne a une nationalité, et elle n’en a qu’une.» 1035 Vgl. Jacquet/Delebecque/Corneloup (2007), Nr. 278, S. 157: «Les sociétés qui ont procédé à leurs formalités de constitution en France, y sont immatriculées et y ont établi leur siège social réel sont soumises à la loi française en vertu de ces éléments. Elles doivent aussi, en principe être considérées comme ayant la nationalité française, sur le fondement du siège social réel (. . .). (Hervorhebung des Verf.). Parallel für Belgien siehe Rigaux, Bd. 1 (1987), Nr. 139, S. 96 f. 1036 Siehe hierzu Salleiles (1922), S. 353 f. 1033
II. Die Entwicklung der Sitztheorie
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aa) Die „belgische Gesetzeslösung“ (1) Rechtsprechung vor der Kodifizierung des Sitzerfordernisses In Belgien stellte die Rechtsprechung bald auf den tatsächlichen Sitz einer (Aktien-)Gesellschaft ab, um bestimmen zu können, welchem nationalen Recht die betreffende Gesellschaft unterliegen sollte. So entschied das Gericht von Brüssel in zweiter Instanz, dass die im englischen Handelsregister eingetragene Aktiengesellschaft Credit foncier international tatsächlich eine belgische Gesellschaft sei, die sich einzig im rechtlichen Gewand einer englischen Gesellschaftsform präsentiere, um dem belgischen Gesellschaftsrecht zu entgehen, womit die Anerkennungsregel des belgisch-englischen Handelsvertrag keine Anwendung finden dürfe.1037 Betreffende Gesellschaft, der 1860 die Konzession der belgischen Regierung zur Gründung einer Aktiengesellschaft verweigert wurde, musste sich zunächst in Belgien mit der Firma Banque hypothécaire belge unter der Rechtsform einer Kommanditgesellschaft auf Aktien konstituieren. Da die geschäftsführenden Gründungsmitglieder aber die persönliche unbeschränkte Haftbarkeit von sich abwenden wollten, gingen sie einen raffinierten Umweg über das englische Recht. Nach einer vorangegangenen Fusion mit einer bestehenden niederländischen Aktiengesellschaft gründete man, entsprechend der geltenden englischen Bestimmungen, die limited liability company namens Credit foncier international. Infolge einer weiteren Verschmelzung dieser beiden Gesellschaften erhoffte man sich, unter dem Schleier der Haftungsbeschränkung des englischen Gesellschaftsrechts in Belgien ungehindert gleich einer société anonyme tätig werden zu können. Das Gericht führte zahlreiche Gründe an, die eindeutig belegen sollten, dass die Gesellschaft die englische Gesellschaftsform in Missbrauchsabsicht gewählt hatte, da England sowohl für die Verwaltung als auch die Geschäftstätigkeit dieser Gesellschaft nie eine Rolle gespielt hatte. Unter anderem führte es zu den gesellschaftsvertraglichen Vereinbarungen der neu entstandenen Gesellschaft aus: «Les conventions (. . .) sont intervenues alors que la société prétenduement anglaise n’avait en Angleterre ni un administrateur, ni un actionnaire, ni un représentant quelconque, ni même un simple préposé.»1038 Nach Ansicht des belgischen Gerichts verlangte zwar das englische Gesellschaftsrecht, dass sich der registrierte Sitz einer limited liability company im Inland befinden sollte und auch die Verwaltung und das Rechnungswesen an jenem Ort etabliert sein sollten, doch fanden die belgischen Gesellschaftsvertreter auch diesbezüglich scheinbar einen Ausweg. Die Verwaltung wurde in ein Hauptkomi-
1037 Vgl. Cour de Bruxelles, Urt. v. 14. Oktober 1870, in: Pasicrisie belge 1871. 2.43 ff. Nachfolgende Ausführungen nehmen Bezug auf dieses Urteil. 1038 Cour de Bruxelles, Fundstelle wie Fn 1037, S. 48 (rechte Spalte).
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B. Umgang mit fremden Gesellschaften aus rechtshistorischer Perspektive
tee am satzungsmäßigen Sitz in London (siège social) und ein lokales Komitee in Brüssel (siège administratif) aufgeteilt, wobei das Hauptkomitee ausweislich der Statuten der Gesellschaft alle Rechte an das belgische Komitee abtreten konnte und von dieser Befugnis auch umfassend Gebrauch machte.1039 Das Gericht bewertete diese Vorgehensweise der Handelnden als letzten offensichtlichen Beleg dafür, dass «(. . .) dans l’intention de ses fondateurs, le véritable siège social n’a jamais dû être ailleurs qu’à Bruxelles, et que seuls les administrateurs résidant a cette ville devaient réelement administrer la société; ».1040 Es spräche für sich, dass das englische Komitee, welches nach und nach auseinanderfiel, nicht durch ein funktionsfähiges ersetzt und die Buchführung nie nach England verlegt worden sei. Nach dem Gericht müsse die in Belgien gegründete und niedergelassene Gesellschaft daher zwingend nach belgischem Recht beurteilt werden. Zwar trage die Credit foncier international alle Chrakteristika einer belgischen Aktiengesellschaft, doch fehle es ihr an einer staatlichen Konzession der belgischen Regierung nach Art. 37 cdc und sei sie daher als société anonyme nicht existent; sie stelle im Ergebnis eine lediglich faktische Gemeinschaft dar, auf welche belgisches Recht anzuwenden sei.1041 Dieses Urteil verdeutlicht, dass die belgische Rechtsprechung die Behandlung einer ausländischen Aktiengesellschaft als im Inland wirksam bestehend nicht allein an dem geltenden Anerkennungsgesetz von 1855 bzw. entsprechenden bilateralen Staatsverträgen festmachte. Im konkreten Fall reichte die englische Rechtsform und die im belgisch-englischen Handelsvertrag geregelte automatisierte Anerkennung von englischen Handelsgesellschaften1042 nicht aus, um die Credit foncier international als vor belgischen Gerichten rechtsfähige juristische Person zuzulassen. Das Gericht stellte heraus, dass eine Gesellschaft, die sich als Ausländerin ausgebe, im Ausland auch ihren tatsächlichen Sitz haben müsste. Der Ort des tatsächlichen Sitzes bestimme sich wiederum nach dem Ort der institutionalisierten Geschäftsleitung – dem Verwaltungssitz.1043 1039 Abdruck eines entsprechenden gesellschaftsinternen Dokumentes sowie der satzungsmäßigen Bestimmungen, Fundstelle wie Fn 1037, S. 49. 1040 Cour de Bruxelles, Fundstelle wie Fn 1037, S. 49 (linke Spalte) (Hervorhebung des Verf.). 1041 Vgl. Cour de Bruxelles, Fundstelle wie Fn 1037, S. 50 (rechte Spalte). Die Nichtigkeit der Gesellschaft könne von jeder betroffenen Partei geltend gemacht werden und die Mitglieder der Verwaltung hafteten nicht solidarisch und unbeschränkt für sämtliche Verbindlichkeiten der fehlerhaften Gesellschaft, sondern nur für diejenigen Verbindlichkeiten, welche sie persönlich im Namen der Gesellschaft mit Dritten abgeschlossen hätten. Die Cour de Gand, s. Pasicrisie belge 1876.2.251 ff., bestätigte am 21. April 1876 die Einschätzung der Nichtigkeit der Gesellschaft aufgrund des „Betrugs am belgischen Recht“, dehnte aber die Haftung der Beteiligten noch weiter aus; insbesondere sollten auch die Aktionäre zur Verantwortung gezogen werden. 1042 Siehe hierzu bereits den Wortlaut und die Nachweise in Fn 608.
II. Die Entwicklung der Sitztheorie
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(2) Erstmalige gesetzliche Regelung der Sitztheorie 1873 Die belgischen Gerichte mussten das Sitzkriterium aber nicht gänzlich richterrechtlich entwickeln bzw. etablieren. Gegen Ende der 60er Jahre des 19. Jahrhunderts hatte man in Belgien nämlich mit der Überarbeitung von Teilen des code de commerce, darunter auch dem Recht der Handelsgesellschaften, begonnen.1044 Mithilfe der geplanten Gesetzesnovelle sollte im Hinblick auf das Aktienrecht nicht nur der Übergang vom Konzessionssystem zum Normativsystem vollzogen werden, sondern auch die Anerkennungsproblematik modifiziert geregelt werden. In der Sitzung der Chambre des représentants vom 5. Juli 1865 wurde hierzu ein erster Regierungsentwurf mitsamt dessen Motiven vorgestellt. Art. 63 dieses ersten Gesetzentwurfs sollte die Anerkennung in (scheinbar) liberaler Weise festlegen. Der Wortlaut orientierte sich sehr an jenem des Gesetzes von 1855, doch gab es entscheidende Unterschiede: auf ein Dekret der belgischen Regierung und das Erfordernis der Reziprozität hatte man verzichtet; zum Ausgleich für diese den fremden Gesellschaften eingeräumte Freiheit sah man jedoch die Anwendung der Haftungs- und Publizitätsbestimmungen des belgischen Gesellschaftsrechts vor.1045 Der spätere Innenminister Pirmez, der die geplante Aufgabe des Gegenseitigkeitserfordernisses der Anerkennung begrüßte, gleichzeitig aber die staatliche Pflicht zur Abwendung einer Besserbehandlung fremder Gesellschaften gegenüber den eigenen und zur Vermeidung von Missbräuchen durch eine Gründung unter falschem Recht betonte, kritisierte die Unzulänglichkeit des vorgesehenen Art. 63 scharf: «Cette solution a paru à votre commission complétement inadmissible. On ne voit pas pourquoi il faudrait qu’une sociéte étrangère, qui fait en Belgique un achat ou une vente, dût, avant cette opération, faire publier son contrat, et l’on comprend encore moins pourquoi cette société devrait 1043 Vgl. Cour de Bruxelles, Fundstelle wie Fn 1037, S. 49 f.: «(. . .) pendant près de trois ans, la société ne fut administrée que par des administrateurs belge, résidant en Belgique; (. . .) les (. . .) faits (. . .) démontrent que la société a été constituée et s’est établie à Bruxelles, où dès l’origine elle a eu son véritable siège social.» 1044 Vgl. zu den wesentlichsten Änderungen speziell im Gesellschafts- und Aktienrecht etwa Holthöfer, in: Coing (Hg.), Handbuch, Bd. 3/3 (1986), S. 3277, 3316 ff., insbes. S. 3320–3322. 1045 Der zum Vergleich dienende Wortlaut des Gesetzes von 1855 findet sich in Fn 504. Art. 63 des Gesetzentwurfs zur Revision des Gesellschaftsrechts lautete: Les sociétés anonymes et autres associations commerciales, industrielles ou financières, constituées en pays étranger, pourront faire leurs opérations et ester en justice en Belgique en se conformant aux lois du royaume. Elles seront préalablement, soumises au régime de publicité établi pour les sociétés constituées en Belgique, sous la peine de nullité prévue par l’article 60, et les mandataires chargés de leur administration seront assujettis aux principes de la responsabilité qui régissent les mandataires préposés à l’administration des sociétés belges. Der damalige belgische Justizminister Victor Tesch begründete die vorgeschlagene Neuregelung mit der notwendigen Anpassung an die Liberalisierung der europäischen Aktienrechte, s. Tesch in der Sitzung vom 5. Juli 1865, in: Documents parlementaires de Belgique, Chambre des représentants, Session 1864/ 65, Nr. 249, S. 8.
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B. Umgang mit fremden Gesellschaften aus rechtshistorischer Perspektive
remplir cette formalité avant d’assigner un Belge qui a pu traiter à l’étranger avec elle; et cependant, à défaut d’obéir à cette prescription, la société est, d’après le projet, frappée de nullité; elle n’aura plus d’existence aux yeux de la loi belge, si un nouveau contrat, souvent impossible, ne la reconstitue. La disposition qui concerne les administrateurs est aussi peu acceptable. Gérant à l’étranger une société étrangère, ils ne peuvent évidemment voir leur gestion régie par la loi belge.»1046 Zur Lösung der Problematik müsse man auch nicht die bewährten Rechtsgrundsätze locus regit actum, sondern die Regeln des Personalstatuts befolgen: «Il y a dans la constitution d’une société deux choses: un contrat et une création de personnalité morale. Les formes du contrat sont soumises à la règle locus regit actum; mais les conditions d’existence de la société, son organisation doivent appartenir au statut personnel. Si l’on peut s’en référer entièrement à la loi du lieu où l’acte est passé, en ce qui concerne les formalités et la portée des actes, il faut que la société même soit régie par la loi du pays à laquelle elle appartient. Quand une société constituée à l’étranger, viendra faire quelque opération en Belgique ou y soutenir quelques procès, la loi belge doit traiter ces individualités morales, comme elle traite les individus physiques; elle les admettra à contracter et à plaider, en laissant discuter leur existence ou leur capacité d’après la loi de leur pays. Nous n’avons pas la responsabilité de ces sociétés, nous ne devons pas la prendre; ceux qui s’y engagent en contractant avec elles savent qu’ils ont affaire à une création exotique; c’est à l’étranger qu’ils doivent reclamer leurs renseignements ou leurs garanties.»1047 Diese Grundsätze müssten aber außer Kraft gesetzt werden, wenn eine Gesellschaft offensichtlich in keiner Beziehung mit ihrer behaupteten Heimatrechtsordnung stehe: «Mais cela n’est vrai qu’autant qu’il s’agisse de sociétés reelement étrangères, non-seulement constituées, mais établies à l’étranger. Les sociétés cesseront-elles d’être belges, si, nées pendant un voyage des fondateurs à l’étranger, elles viennent ensuite établir en Belgique leur principal siège d’opérations? Cela ne doit évidemment pas être.»1048 Maßgebliches Kriterium für die Bestimmung der nationalité der Gesellschaft, d.h. für das Auffinden der auf die Gesellschaft anzuwendenden Rechtsordnung, sei der Gesellschaftssitz: «Nos anciennes coutumes, pour déterminer quelle était la loi qui devait régir l’association conjugale, voulaient, qu’on recherchât le lieu où les conjoints devaient aller et allaient effectivement s’établir. Cette règle peut être ici sagement appliquée; elle résoud la difficulté. C’est le siège de la sociéte, son siège principal, si elle en a plusieurs, qui détermine par quelle loi elle est 1046 Siehe Rapport von Pirmez in der Sitzung vom 9. Februar 1866, in: Documents parlementaires de Belgique, Chambre des représentants, Session 1865/66, Nr. 62, S. 117. 1047 Rapport von Pirmez, Fundstelle wie Fn 1046. 1048 Rapport von Pirmez, Fundstelle wie Fn 1046.
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régie. Quand une société a son principal établissement dans un pays, n’est-ce pas ce pays qui a intérêt à lui imposer ses règles? N’est-ce pas la loi, sous la protection de laquelle elle vit et fonctionne, qui doit la régir, plutôt qu’une loi étrangère sous laquelle un accident ou une fraude l’a fait naître? Tel est le principe que proclame le projet. La loi [belge] régira donc, non-seulement des sociétés qui sont formées en Belgique, mais encore celles qui devraient y être constituées, parce qu’elles y auront leur siège principal. Et, à cet égard, la désignation d’un siège social dans les actes, qui ne serait pas en fait et en verité le principal établissement de la société, ne désarmerait pas les tribunaux, qui savent que les déclarations de domicile peuvent éclaircir les faits, mais s’evanouissent quand elles leur sont contraires.»1049 Das Sitzerfordernis begründete Pirmez bei den Beratungen zum besagten Gesetz also dogmatisch mit einer parallelen Behandlung der natürlichen Person in Sachverhalten, die das internationale Familienrecht betrafen. Der Schwerpunkt der Argumentation lag aber auf dem praktischen Nutzen der Sitzanknüpfung: Die Anknüpfung an die Rechtsordnung, in deren Geltungsbereich der Sitz der Gesellschaft lag, sei sachlich am gerechtesten. Die Kontrolle der Gesellschaft müsse dem Sitzstaat zugestanden werden, weil dieser von dem Handeln der Gesellschaft auch am meisten betroffen scheine. Mithin würden ausländische Gesellschaften, die in Belgien nur gelegentliche Transaktionen tätigen, vom belgischen (Sach-)Recht nicht erfasst werden, wohingegen jene, die in Belgien ihre Hauptniederlassung (principal établissement) unterhielten, gänzlich dem belgischen Recht zu unterstellen seien.1050 Zur Behebung der Unzulänglichkeiten des bisherigen Entwurfs schlug Pirmez daher eine modifizierte Regelung vor. Der in drei Artikel aufgeteilte Vorschlag der Pirmez’schen Kommission für die reformierte Fassung der Anerkennungsregeln floß unverändert als Art. 128, 129 und 130 in das erneuerte belgische Handelsrecht vom 18. Mai 1873 ein.1051 Der Wortlaut gestaltete sich wie folgt: 1049
Rapport von Pirmez, Fundstelle wie Fn 1046, S. 117 f. (Hervorhebung des Verf.). Bei jenen Gesellschaften, die in Belgien eine Geschäftsstelle, Zweigniederlassung oder eine sonstige Betriebsstätte unterhielten, schlug die Kommission um Pirmez einen Mittelweg vor: Diese Zweiggesellschaften müssten lediglich die für die belgischen Aktiengesellschaften geltenden Publizitätsvorschriften beachten, sich ansonsten aber nicht entsprechend des belgischen Aktienrechts umorganisieren. Bei Nichtbeachtung der Publizitätsvorschriften sollten die – wohl gemeint nach dem belgischen Recht – „gewöhnlichen Rechtsfolgen“ eintreten und zusätzlich die örtlichen geschäftsführungsbefugten Vertreter der Gesellschaft persönlich von Dritten in die Haftung genommen werden können. Siehe Rapport von Pirmez, Fundstelle wie Fn 1046, S. 118. Vgl. zur Rspr. bei einer solchen Sachlage: Cour d’appel de Gand, Urt. v. 8. Dezember 1886, in: Clunet 14 (1887), 95. 1051 Vgl. Loi contentant le titre IX, livre Ier du Code de commerce, relatif aux sociétés, in: Pasinomie, 4. Serie, Bd. 8 (1873), S. 151 ff., 164. Der (weitere) Gesetzgebungsprozess verlief bezüglich dieser vorgeschlagenen Vorschriften reibungslos. Im Februar und April 1870 wurden die Vorschriften vor der Abgordnetenkammer in zwei Abstim1050
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B. Umgang mit fremden Gesellschaften aus rechtshistorischer Perspektive
(Art. 128) Les sociétés anonymes et les autres associations commerciales, industrielles ou financières, constituées et ayant leur siège en pays étranger, pourront faire leurs opérations et ester en justice en Belgique. (Art. 129) Toute société dont le principal établissement est en Belgique, est soumise à la loi belge, bien que l’acte constitutif ait été passé en pays étranger. (Art. 130) Les articles relatifs à la publication des actes et des bilans, et l’article 661052 sont applicable aux sociétés étrangères qui fonderont en Belgique une succursale, ou un siège quelconque d’opération. Les personnes préposées à la gestion de l’établissement belge sont soumises à la même responsabilité envers les tiers que si elles géraient une société belge. Die Sitztheorie war damit erstmals (zumindest i. S. e. einseitigen Kollisionsnorm) kodifiziert.1053 Die belgische Rechtsprechung erkannte demnach gemäß Art. 128 des dargelegten Gesetzes alle ausländischen Gesellschaften, die ihren effektiven Sitz im Gründungsstaat hatten, nicht nur an, sondern wendete auch (entsprechend Art. 129) das ausländische Organisationsrecht auf die fremden Aktiengesellschaften an.1054 Im Sinne der Rechtsprechung des Brüsseler Gerichts mungen gebilligt, nachdem sich der Abgeordnete Lelièvre vergewissert hatte, dass die Vorschriften ihrem sachlichen Anwendungsbereich nach nur die „rechtmäßig“ im Ausland gegründeten Gesellschaften erfassen würden und sich der Abgeordnete Müller nach dem zeitlichen Anwendungsbereich der Vorschrift des Art. 83 geplante Fassung erkundigt hatte; s. Sitzung vom 22. Februar 1870, in: Annales parlementaires de Belgique, Chambre des représentants, Session 1869/70, S. 520. Der geänderte Gesetzesvorschlag wurde im Auftrag des Königs am 22. November 1870 erneut vor dem Parlament vorgestellt und gebilligt; s. Sitzungen vom 22. November 1870 und vom 21. Dezember 1870, in: Documents parlementaires de Belgique, Chambre des représentants, Session 1870/71, Nr. 14, S. 2, 55 sowie Nr. 60, S. 1 f.; Sitzung vom 26. November 1872, in: Annales parlementaires de Belgique, Chambre des représentants, Session 1872/73, S. 75. Auch der Sénat stimmte dem Wortlaut der genannten Vorschriften uneingeschränkt zu und würdigte diese Normen als adäquate Lösung, um den in den letzten Jahren aufgrund der Schwächen der belgischen Handelsgesetzgebung immer zahlreicher gewordenen ausländischen Handelsgesellschaften im rechtlichen Sinne Herr zu werden; vgl. Sitzung vom 5. März 1873, in: Documents parlementaires de Belgique, Sénat, Session 1872/73, Rapport, S. 17; Sitzung vom 25. März 1873, in: Annales parlementaires de Belgique, Sénat, Session 1872/73, S. 134. 1052 Diese Norm bestimmte, dass alle von der Gesellschaft ausgegebenen Schriftstücke die Firma und die Bezeichnung der Gesellschaftsform enthalten müssten und ein etwaiges ausgewiesenes Stammkapital den Angaben der Bilanzen zu entsprechen hätten. 1053 Vgl. zur Beurteilung dieser Normen durch die Literatur etwa Castier (1884), S. 306 bzw. Laurent, Bd. 4 (1880), Nr. 158, S. 301 f. Erster hält dem Wortlaut entsprechend die nationalen Publizitätsvorschriften für auf die ausländischen Gesellschaften anwendbar; Laurent hingegen meint, die fremden Gesellschaften müssten sich allen nationalen Vorschriften des Handelsrechts unterwerfen. Die Frage, inwieweit sich die fremden Gesellschaften dem Recht des Gastlandes anpassen müssten, spielte bereits beim Anerkennungsgesetz eine große Rolle, vgl. Gliederungspunkt B. I. 2. c) bb) (3). 1054 S. etwa Namur, Clunet 4 (1877), 381, 385 zum Art. 129 des besagten Gesetzes: «On doit décider, par reciprocité, qu’une société dont le principal établissement se
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im Jahre 1870 stellte die belgische Jurisdiktion in der Folgezeit regelmäßig auf den planmäßigen Zusammenkunftsort der Organe der Aktiengesellschaft ab.1055 In Zusammenschau von Art. 128 und 129 konnte daher eine nur scheinbar ausländische Gesellschaft in Belgien nicht anerkannt werden, wenn sie ihren wahren Sitz in Belgien installiert hatte.1056 Auch über 100 Jahre später hält Belgien im Grundsatz der Anknüpfung des Gesellschaftsstatuts am effektiven Sitz die Treue. Das im Jahre 2004 neu gefasste belgische IPR-Gesetz bestimmt in Art. 110 I: La personne morale est régie par le droit de l’Etat sur le territoire duquel son établissement principal est situé dès sa constitution.1057
trouve en pays étranger est régie par la loi étrangère, lors même que l’acte constitutif a été passé en Belgique.» S. a. Tribunal de commerce de Bruxelles, Urt. v. 14. Januar 1892, in Clunet 20 (1893), 1245; zur Ausdehnung der Vorschriften des Art. 128, 129 des belgischen Handelsgesellschaftsrechts zu einer allseitigen Kollisionsnorm, vgl. die kritische Anmerkung zum Urteil der Trib. Com. de Bruxelles vom 2. März 1901, in: Clunet 29 (1902), 883 ff., welches die Normen dem Wortlaut getreu nur als einseitige Kollisionsnorm aufgefasst hatte: «Quant à la situation inverse, celle d’une Société qui, ayant son siège social à l’étranger, viendrait se constituer en Belgique, le texte légal n’en parle pas. Mais elle n’en reste pas moins régie par le principe (. . .) [de] ce texte. L’on doit donc logiquement en déduire que la Société en question, ayant son établissement principal à l’étranger, dans l’espèce en France, est soumise pour ses conditions de constitution à la loi de ce pays. C’est d’après cette loi et non d’après la loi belge que doit se discuter en Belgique son existence légale, lorsqu’elle vient y agir et ester en justice.» [Hinzufügung durch Verf.]. Zur neueren Rechtsprechung betreffend der Anwendung des Recht des Verwaltungssitzes, vgl. Urteil des Gerichts von Liège, 27. März 2001, RDC 2003, 144 ff. (mit Anmerkung von Watté/Marquette); allgemein zur Anwendung und der Reichweite des ausländischen Gesellschaftsstatuts, vgl. etwa Cour de cassation, Urt. v. 12. November 1935, Pasicrisie belge 1936.1.48 (zur société civile) und Cour de cassation, Urt. v. 6. Dezember 1996, Pasicrisie belge 1996.1.1244. 1055 Siehe etwa Trib. Com. de Liège, Urt. v. 1. Februar 1901, in: Clunet 28 (1901), 387; s. a. die Rechtsprechungsnachweise bei Holdheim, Holdheim 1 (1894), 364, 365; zur Lehre Jafferali, RDC 2004, 764, 768 m.w. N. 1056 Vgl. Guillery, Clunet 10 (1883), 225, 227, 229 f. Der Wortlaut dieser Regelungen galt im 20. Jahrhundert unverändert (aber unter anderem Gesetz) fort und wurde allseitig angewandt, vgl. Rigaux (1968), Nr. 443, S. 512 f. i.V. m. Nr. 102, S. 140 f. sowie Watté, RCJB 2005, 251, 312 (dort Nr. 78); Jafferali, RDC 2004, 764, 766 (die beiden letzteren m.w. N.). Grundsätzliche Rechtsfolge einer „Gründung unter falschem Recht“ bei gleichzeitigem Verwaltungssitz in Belgien blieb die Nichtanerkennung als fremde (Kapital)-Gesellschaft, vgl. Wymeersch, ZGR 1999, 126, 132. 1057 Loi portant le Code de droit international privé vom 16. Juli 2004, in: Moniteur belge, Nr. 269 vom 27. Juli 2004, 57344 ff. (abrufbar unter: http://justice.belgium.be/ fr/). Absatz II des Art. 110 lautet: Si le droit étranger désigne le droit de l’Etat en vertu duquel la personne morale a été constituée, le droit de cet Etat est applicable. Er betrifft die hier anzuwendende Technik der Gesamtverweisung, die eine Ausnahme zum Grundsatz der Sachnormverweisung gemäß Art. 16 des Gesetzes vom 16. Juli 2004 darstellt, vgl. hierzu Moniteur belge vom 28. September 2004, Nr. 349, 69597, sowie Wautelet, Journal des tribunaux 2005, 12. März 2005 (Nr. 6173), Nr. 56, S. 181 u. Jafferali, RDC 2004 Nr. 204, S. 198 (jeweils abrufbar unter: http://www.dipulb.be/).
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B. Umgang mit fremden Gesellschaften aus rechtshistorischer Perspektive
Die Kombination von Art. 110 I mit Art. 4 III wiederum ergibt, dass der Begriff principal établissement – wie bereits im Gesetz von 1873 – in erster Linie den Verwaltungssitz abbildet.1058 bb) Die Rechtsprechung französischer Gerichte Die französische Rechtsprechung stellte seit den 50er Jahren des 19. Jahrhunderts auf den Verwaltungssitz einer Gesellschaft ab, um die Rechtsordnung zu bestimmen, nach der das Bestehen und die Organisation der Gesellschaft auszurichten sei.1059 Für eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts bestimmte die Cour de Cassation, dass sich ihre Ausländereigenschaft nach ihrem Sitz – dem domicile – bestimme.1060 Zudem finden sich aus dieser Zeit Entscheidungen im Zusammenhang mit der internationalen Zuständigkeit französischer Gerichte, in denen der Sitz einer Gesellschaft als effektiver Verwaltungssitz verstanden wird.1061 1058 Art. 4 III des Gesetzes vom 16. Juli 2004, Quelle wie obige Fn, bestimmt: Pour l’application de la présente loi, l’établissement principal d’une personne morale se détermine en tenant compte, en particulier, du centre de direction, ainsi que du centre des affaires ou des activités et, subsidiairement, du siège statutaire. 1059 Im Jahre 1848 hatte man hingegen noch auf das Zentrum der Betriebstätigkeit einer Gesellschaft (centre d’exploitation) zurückgegriffen, um deren „Nationalität“ zu bestimmen, vgl. Cour de Cassation, Urt. v. 31. Mai 1848, Recueil Dalloz 1848.1.109. Zur Erläuterung des Urteils wird im Vorfeld (S. 108) ausgeführt: «La société a son siège à Paris. Oui, mais toutes ses valeurs, l’unique source de ses revenus, sont à Naples (. . .) et si la société est française par le lieu de sa constitution, son fonds social, toutes les valeurs qu’elle possède, restent essentiellement soumis à la protection et à l’autorité des lois étrangères; elle est étrangère par son objet.» 1060 Urteil der Cour de cassation vom 26. Juli 1853, in: Sirey 1853. 1. 688. Die betreffende „société civile“ hatte ihren Sitz in Belgien, womit diese als rechtsfähiges Individuum von der französischen Rechtsprechung angesehen werden konnte und somit französische Gerichte gemäß Art. 14 c. civ. für zuständig erklärt werden konnten. Die Tatsache, dass die Cour de cassation die Gesellschaft als „personne étrangère“ bezeichnet, erstaunt, da regelmäßig erst eine Entscheidung der Cour de cassation aus dem Jahre 1891 als „Geburtsstunde“ der Anerkennung der Rechtssubjektivität der französischen „sociéte civile“ erkannt wurde, vgl. hierzu etwa Hayem (1911), Nr. 200, S. 183 ff., insbes. Nr. 226 ff., S. 205 ff. zur Auffassung der Lehre und Nr. 239 ff., S. 217 ff. zur Rechtsprechung; Baudry-Lacantinerie, Bd. 3 (1886), Nr. 760 f., S. 450 ff.; Mehr (2008), S. 3 m.w. N. Grundsätzlich mussten bei einer Klage gegen eine „société civile“ daher bis zum ausgehenden 19. Jahrhundert alle Gesellschafter einzeln vor Gericht geladen werden. Dadurch, dass das Gericht die „société civile“ als „personne étrangère“ betrachtet, wird deutlich, dass man im Verhältnis zu fremden gesellschaftsrechtlichen Gebilden den eigenen Staatsangehörigen zu rechtlichem Gehör verhelfen wollte – so auch der Gedanke der Rechtsfigur der „société de fait“. Auch in Belgien war die Rechtssubjektivität der „société civile“ Ende des 19. Jahrhunderts noch nicht allgemein anerkannt, siehe nur de Page, Bd. 1 (1948), Nr. 513, 515, S. 576 ff. 1061 Die Frage der gerichtlichen Zuständigkeit zur Abwicklung einer Gesellschaft hängt aufgrund des Sitzerfordernisses eng mit der Frage des Gesellschaftsstatuts zusammen. Vgl. zur Rechtsprechung das Urteil der Cour de cassation vom 4. Mai 1857, in Sirey 1857.1.461 (zur örtlichen Zuständigkeit). Zur maßgeblichen Gesellschaft mit Satzungssitz in Paris wird im Vorfeld des Urteils festgehalten: «Attendu que c’est à Paris
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Die wesentliche Entscheidung, die der internationalprivatrechtlichen Sitztheorie aus Sicht der Zeitgenossen zum Durchbruch verhalf, ist aber ein Urteil der französischen Cour de cassation vom 20. Juni 1870.1062 Der Gerichtshof stellte für die Frage, ob eine in Frankreich errichtete Gesellschaft mit französischem Satzungssitz, die zum Zwecke der Erbauung von Hafenanlagen im spanischen Cadiz tätig war, als französische Gesellschaft gelte und damit französischen Besteuerungsregeln unterlag, nicht auf die Hauptbetriebstätte, sondern auf den Mittelpunkt ihrer Verwaltung ab.1063 Der Verwaltungsrat dieser Gesellschaft setzte sich aus fünf französischen Mitgliedern zusammen, die gemäß der Satzung im französischen St. Etienne zusammentrafen. Hinsichtlich der Bestimmung der „Nationalität“ der Gesellschaft bemerkte das Gericht: «(. . .) qu’elle est régie par un conseil d’administration qui se réunit en France (. . .), enfin que la société a fixé son siège social en France et que c’est à cette siège social qu’elle émet, répartit et négocie ses parts ou actions au porteur (. . .)».1064 Die Cour de Cassation hatte demzufolge entschieden, dass es sich im konkreten Fall um eine französische Gesellschaft handelte. Damit hatte die Cour de cassation in Frankreich erstmals höchstrichterlich bestimmt, dass eine (Aktien-)Gesellschaft den Normen ihres Sitzstaates unterworfen sein müsse. Zugleich hatte que le capital a été souscrit; que c’est à Paris que se tenait l’assemblée générale des actionnaires et que le conseil de surveillance devait exercer ses fonctions; que les affaires principales de la société se traitaient à Paris (. . .).»; ähnlich Isay (1907), S. 216. Weitere Rspr. (z. T. zur Frage der von Ausländern zu leistenden Prozesskostensicherheit, die ebenfalls eine Facette der „Nationalitätsbestimmung“ der Gesellschaft ist): Cour de Paris, Urt. v. 4. November 1886, in: Sirey 1888.2.91; Trib. Civ. de Nancy, Urt. v. 15. Dezember 1891, in: Clunet 19 (1892), S. 1023; Cass. Req., Urt. v. 27. November 1906, in: Sirey 1909.1.393; Tr. Com. de la Seine, Urt. v. 23. Oktober 1908 und Cour de Paris, Urt. v. 23. März 1909, beide in: Sirey 1909.2.183; Tr. Com. de la Seine, Urt. v. 26. Mai 1909, in Clunet 37 (1910), S. 195. 1062 So verweisen etwa Lyon-Caen, Journal des sociétés 1 (1880), 32, 39 und Pic, Clunet (19) 1892, 577, 583 f., bei der Abhandlung zur Frage der „Nationalität“ der Aktiengesellschaft auf diese Entscheidung. 1063 Gemäß der im deutschen Recht stärker ausgeprägten Unterscheidung wäre dieses Urteil eher dem Fremdenrecht zuzuweisen. Wie bereits angedeutet, diskutierte die französische Rechtswelt aber sowohl kollisionsrechtliche als auch fremdenrechtliche Sachverhalte unter dem Kriterium der Nationalität, weshalb dieses Urteil aus Sicht der französischen Literatur für beide Belange als maßgeblich zu gelten hat, vgl. Cauvy, in: Darras/Lapradelle/Niboyet (Hg.), Bd. 10 (1931), Stichwort: sociétés en droit international, Nr. 54, S. 474; Battifol/Lagarde, Bd. 1 (1970), Nr. 193, S. 238. 1064 Urteil der Cour de cassation vom 20. Juni 1870, in: Sirey 1870.1.373 (S. 374). Daneben stellte der Gerichtshof auch auf den Gründungsort der Gesellschaft in Frankreich ab, an dem die Gründer privatschriftlich den Gesellschaftsvertrag geschlossen hatten und dementsprechend die Gesellschaft anschließend im örtlichen Handelsregister in St. Etienne hatten eintragen lassen. Die Gesellschafter wären daher darin übereingekommen, die französischen Regelungen vom Bestehen und der Liquidation einer Gesellschaft Anwendung finden zu lassen. Zudem befand sich der satzungsmäßig gewählte Gerichtsstand für Streitigkeiten zwischen Aktionären untereinander oder zwischen Aktionären und der Gesellschaft in Frankreich.
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B. Umgang mit fremden Gesellschaften aus rechtshistorischer Perspektive
das Gericht auch implizit ausgesprochen, dass Gesellschaften eine „Nationalität“ zugewiesen werden konnte, um hiermit auszudrücken, welchem Recht die Organisation der Gesellschaft unterliegen sollte. In den folgenden Jahren und Jahrzehnten stellte die französische Jurisdiktion daher in der Regel auf den Sitz der Gesellschaft ab, um das auf die Organisation der Gesellschaft anwendbare Recht aufzufinden.1065 Der Sitz der Gesellschaft wurde hierbei regelmäßig verstanden als «(. . .) lieu où la direction de la société est réelement exercée par ses administrateurs, où se centralisent ses affaires, d’où part l’impulsion donnée à ses différents organes et où viennent converger les résultats de leur activité.»1066 Dabei sah sich die Rechtsprechung immer häufiger mit Fällen konfrontiert, in welchen sie zu dem Ergebnis gelangte, dass sich eine Gesellschaft nur deswegen unter einer ausländischen Rechtsform formiert hatte, um den strengeren Vorschriften des französischen Aktienrechts (d.h. den an sich einschlägigen Vorschriften des loi sur les sociétés vom 24. Juli 1867) zu entgehen.1067 Kamen die französischen Gerichte zu der Erkenntnis, dass sich eine Aktiengesellschaft nur 1065 Vgl. zur Bestimmung der französischen „Nationalität“ von Gesellschaften anhand des Sitzes etwa Cour de Paris, Urt. v. 4. November 1886, in: Sirey 1888.2.91; Trib. Com. de la Seine, Urt. v. 27. August 1891, in: Clunet 19 (1892), 479 und Urt. v. 27. März 1896, in: Clunet 26 (1899), 835; Chambre des requêtes der Cour de Cassation (im Folgenden: Cass. Req.), Urt. v. 29. März 1898, in: Sirey 1901.1.70; Cour de Paris, Urt. v. 18. Mai 1909, in: Clunet 37 (1910), 198; Tr. Com. Perpignan, Urt. v. 23. Dezember 1913, in: Clunet 44 (1917), 1066. Umgekehrt sollte entsprechend auf eine nach englischem Recht gegründete Gesellschaft mit Sitz in London auch kein französisches Aktienrecht angewendet werden, s. Cour de Paris, Urt. v. 23. Januar 1889, in: Sirey 1891.2.123; Trib. Civ. de la Seine, Urt. v. 13. Februar 1895, in: Clunet 23 (1896), 1064; ähnlich zu einer Gesellschaft mit Sitz in Kolumbien bzw. Russland, Chambre des requêtes der Cour de Cassation, Urt. v. 17. Juli 1899, in Sirey 1900.1.339 und Cour de Paris, Urt. v. 23. März 1909, in: Clunet 37 (1910), 203; Chambre des requêtes der Cour de Cassation, Urt. v. 6. Juli 1914, in: Clunet 43 (1916), 1296. 1066 Tr. Com. Nancy, Urt. v. 18. Februar 1907, in: Clunet 34 (1907), 765. Zum Sitzbegriff s. a. Cass. Req., Urt. v. 17. Juli 1935, in: Sirey 1936.1.41; Trib. de la Seine, Urt. v. 6. Juli 1935, in: Sirey 1936.2.65. 1067 Siehe Urteile der Chambre des requêtes der Cour de Cassation v. 22. Dezember 1896, in: Sirey 1897.1.84; Cour de Cassation, Urt. v. 21. November 1889, in: Sirey 1897.1.84 (dort Fußnote a), und Urt. v. 4. August 1906, in: Clunet 1907, 151; Trib. Corr. de la Seine, Urt. v. 17. November 1875, in: Clunet 4 (1877), 45 sowie Urt. v. 27. Juli 1910, in: Clunet 37 (1910), 234; Trib. Com. de la Seine, Urt. v. 7. Januar 1891, in: Clunet 19 (1892), 1025 und Urt. v. 26. August 1902, in: Clunet 31 (1904), 189; Tr. Com. Nancy, Urt. v. 18. Februar 1907, in: Clunet 34 (1907), 765; Cour de Paris, Urt. v. 27. März 1907, in: Clunet 34 (1907), 768; Tr. Com. Nice, Urt. v. 24. Mai 1907, in: Clunet 36 (1909), 198; Tr. Civ. Lille, Urt. v. 21. Mai 1908, in: Sirey 1908.2.177; Tr. Civ. Seine, Urt. v. 1. März 1909, in: Clunet 37 (1910), 577; Cour de Paris, Urt. v. 23. März 1909, in: Clunet 37 (1910), 203; Tr. Com. de la Seine, Urt. v. 26. Mai 1909, in: Clunet 37 (1910), 193; Tr. Corr. de la Seine, Urt. v. 27. Juli 1910, in: Clunet 38 (1911), 234 und Urt. v. 2. Juli 1912, in: Clunet 40 (1913), 1273; Tr. Civ. Marseille, Urt. v. 21. November 1911, in: Clunet 40 (1913), 1273; Tr. Com. Nantes, Urt. v. 29. März 1913, in: Clunet 41 (1914), 1284.
II. Die Entwicklung der Sitztheorie
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einen fiktiven Sitz im Ausland gesucht hatte, um den nationalen Regeln zu entsagen, tatsächlich aber im Inland der „wahre Sitz“ begründet wurde, so sahen sie diese Gesellschaft als nichtig an.1068 Derartige Sachverhalte waren insbesondere in Bezug auf schweizerische, belgische und vor allem englische Gesellschaften anzutreffen – allesamt unterstanden somit Gesellschaftsrechten, die im Grundsatz als liberaler eingestuft wurden als das damals geltende französische Aktienrecht.1069 Ein sehr bekannter und einer der frühesten Fälle, in denen die französische Rechtsprechung einen „Betrug“ annahm, dreht sich um die nach schweizerischem Recht gegründete Crédit foncier suisse. Die französische Rechtsprechung hatte die Liquidation dieser Gesellschaft angeordnet, obwohl die Satzung der Gesellschaft den Standpunkt in Genf als siège social und jenen in Paris nur als siège administratif bezeichnet hatte.1070 Die Rechtsprechung der Schweiz, mit der es zu Kompetenzstreitigkeiten gekommen war, erkannte die „französische Lösung“ schließlich an, da Folgendes hinreichend deutlich gemacht worden war: «(. . .) que le Crédit foncier suisse, bien que, fondé à Genève, sous l’empire des lois genevoises, n’avait de Suisse que le nom; que le mot vrai de sa création à Geneve paraît avoir été d’éluder les lois françaises sur les sociétés anonymes et de pouvoir opérer en France en se soustrayant à l’empire des lois françaises; (. . .) que c’est à Paris que le Credit foncier suisse avait son siège effectif (. . .).»1071 1068 Vgl. etwa Chambre des requêtes der Cour de Cassation, Urt. v. 22. Dezember 1896, in: Sirey 1897.1.84: «(. . .) la prétendue société dite Construction Limited n’avait à dessein en Angleterre qu’un siège nominal et fictif, où jamais ne s’était trouvée centralisée son administration; (. . .) ladite société n’était pas étrangère et (. . .) elle devait y être déclarée nulle.» Zum nur fiktiven Charakter des Sitzes in London hatte die Kammer hervorgehoben: «(. . .) qu’elle [la société] n’y entretenait qu’un secrétaire sans initiative, recevant les bilans et les déliberations de Paris où se réunissaient exclusivement les directeurs; qu’elle n’avait aucun intérêt en Angleterre, et n’y a jamais exercé son activité; que la création d’une apparence du siège social à Londres n’a été imaginée par son véritable fondateur La Chapelle, que pour soustraire une œuvre toute française aux formalités protectrices de nos lois, dont il redoutait l’application; (. . .)». [Hinzufügung durch Verf.]. 1069 Inwieweit das Regelungsniveau von französischem und belgischem Aktienrecht abwichen, vgl. bereits den Nachweis in Fn 694. 1070 Die Kompetenz, über die Abwicklung einer Gesellschaft zu entscheiden, stand grundsätzlich den Gerichten des Landes zu, welchem die Gesellschaft angehörte, vgl. Thaller, Annales de droit commercial 4 (1890), 257, 258; Leven (1926), S. 82. Im Verhältnis von Frankreich und der Schweiz war die Kompetenz zwar eigens staatsvertraglich geregelt, was aber besondere Probleme aufwarf. 1071 Siehe Conseil Féderal, Urt. v. 21.1.1875, abgedruckt in: Clunet 2 (1875), 80 ff. (im Anschluss an die Kompetenzstreitigkeiten zwischen französischen und schweizerischen Gerichten, abgedruckt in: Clunet 1 (1874), 95 und 154), der auf die französische Rechtsprechung abstellt. Die Tatsache, dass die Erklärung des Bankrotts einer Gesellschaft nur der Rechtsprechung desjenigen Landes zustand, in dem die Gesellschaft ihren effektiven Sitz nahm, wurde damit begründet, dass die Gesellschaft die „Nationalität“ des Sitzlandes bekleidete, vgl. Thaller, Annales de droit commercial 4 (1890), 257,
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B. Umgang mit fremden Gesellschaften aus rechtshistorischer Perspektive
Der berühmteste Konfliktfall im Verhältnis zu einer vermeintlich englischen Gesellschaft dreht sich um das Pariser Nachtlokal Moulin Rouge1072, wenngleich bereits in der Vorzeit einige Entscheidungen zur Nichtigkeit von Gesellschaften ergangen waren, die in England nur einen fiktiven Sitz hatten.1073 Ganz ähnliche Sachverhalte lassen sich auch im Verhältnis zu betrügerisch nach belgischem Recht gegründeten Aktiengesellschaften ausmachen.1074 Die französischen Gerichte nahmen sich folglich die Freiheit heraus, unabhängig davon, ob die Gesellschaftssatzung den Sitz einer (vermeintlich) fremden Gesellschaft im Ausland fixierte, selbst darüber zu entscheiden, wo sich der tatsächliche (Verwaltungs-)Sitz der Gesellschaft befand: «(. . .) si la nationalité d’une société par actions dépend du lieu dans lequel elle a fixé son siège social, indication que «formulent les statuts à cet égard» ne lie point les tribunaux auxquels il appartient de déjouer les fraudes en déterminant, d’après les circonstances de la cause, le lieu où se trouve le véritable siège de la société; qu’ainsi une prétendue société anglaise ne peut être considérée comme ayant son siège en Angleterre, lorsque le siège consiste dans un simple carton placé dans l’étude des sollicitors, qui avaient rempli les formalités de constitution, lorsque les administrateurs réels sont Français et se réunissent en France et que c’est en France que devait s’exercer l’administration, la direction et le contrôle de toutes les opérations sociales, que tout le capital de la société, actions de préférence et actions ordinaires, a éte émis et négocié exclusivement en France et sur le marché de Paris.»1075
258; Pic, Clunet 19 (1892), 577, 591; a. A. Lyon-Caen, Journal des sociétés 1 (1880), 32, 40 (Frage der Zuständigkeit, nicht der Nationalität). 1072 Vgl. Tr. Corr. de la Seine, Urt. v. 2. Juli 1912, in: Recueil Dalloz 1913.2.165. 1073 Trib. Com. de la Seine, Urt. v. 7. Januar 1891, in: Clunet 19 (1892), 1025; Chambre des requêtes der Cour de Cassation, Urt. v. 22. Dezember 1896, in: Sirey 1897.1.84; Trib. Civ. de la Seine, Urt. v. 1. März 1909, in: Clunet 37 (1910), 577; Trib. Corr. de la Seine, Urt. v. 27. Juli 1910, in: Clunet 38 (1911), 234; s. auch später Tr. Com. Nantes, Urt. v. 29. März 1913, in: Clunet 41 (1914), 1284. Vavasseur, Clunet 2 (1875), 345, 346, stellt daher im Jahre 1875 fest: «On a vu, dans ces derniers temps, des sociétés évidemment françaises, non-seulement par les personnes qui le fondaient, mais par la situation même de leur industrie, établir leur siège en Angleterre, en Belgique, en Suisse, pour fonctionner en France sous le vêtement étranger qu’elles avaient emprunté.» 1074 Cour de Cassation, Urt. v. 21. November 1889, in: Sirey 1897.1.84 (Fußnote á); Trib. Com. de la Seine, Urt. v. 26. August 1902, in: Clunet 31 (1904), 189; Cour de Paris, Urt. v. 27. März 1907, in: Clunet 34 (1907), 768. 1075 Tr. Com. Nantes, Urt. v. 29. März 1913, in: Clunet 41 (1914), 1284 f. Vgl. zum fiktiven Sitz einer vermeintlich englischen Gesellschaft auch bereits Trib. Civ. de la Seine, Urt. v. 1. März 1909, Fundstelle wie Fn 1073: «Att. qu’il résulte de tous les éléments du procés que la Société était une Société française constituée à l’étranger et sous le forme étrangère; que les statuts stipulent, il est vrai, que le siège social sera en Angleterre, mais que la désignation de ce siège n’est, en réalité, qu’une fiction imaginée dans le but de soustraire à l’accomplissement des formalités de la loi française la constitution et le fonctionnement de la Société (. . .).»
II. Die Entwicklung der Sitztheorie
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Zusammenfassend kann man sagen, dass das Konzept der Anerkennung fremder Gesellschaften faktisch um ein weiteres Kriterium erweitert wurde: Eine fremde Aktiengesellschaft zugunsten deren Ursprungsland ein Dekret der französischen Regierung bestand, wurde nur unter der Bedingung anerkannt, dass diese ihren Sitz tatsächlich in dem Land nahm, aus dem sie stammte. Der effektive Sitz der Gesellschaft musste sich im Geltungsbereich der Rechtsordnung befinden, welcher sie ihre Rechtsform und Rechtsfähigkeit verdankte. War dies nicht der Fall, so agierte die Gesellschaft unter einer „vorgespiegelten Nationalität“, erfüllte damit regelmäßig nicht die Gründungsvoraussetzungen des „wahren Zugehörigkeitsstaates“ und wurde daher von den Gerichten – wie im Fall der fehlenden Voraussetzungen des Anerkennungsgesetzes von 1857 – als nichtig angesehen.1076 Zwar tauchte dieser Gedanke zunächst erst im Verhältnis von Frankreich zu einem anderen Staat auf, da die Furcht davor groß war, dass sich eine Gesellschaft dem französischen Gesellschaftsrecht von 1867 entziehen könnte. Schon bald übertrug man besagte Wertung aber auch auf Sachverhalte, in denen nur eine „ausländische Nationalität“ der betreffenden Gesellschaft in Frage kommen konnte. Die ungeschriebene einseitige Kollisionsnorm der Anknüpfung an den Gesellschaftssitz wurde somit zur allseitigen Kollisionsnorm ausgebaut.1077 In der Entscheidung zur Banque Ottomane vom Oktober 1984 hat die Rechtsprechung schließlich einen renvoi i. S. e. Weiterverweisung zugelassen.1078 Insgesamt knüpfte die französische Rechtsprechung das Gesellschaftsstatut während
1076 Lyon-Caen, Clunet (1917), 5, 6; Cauvy, in: Darras/Lapradelle/Niboyet (Hg.), Bd. 10 (1931), Stichwort: sociétés en droit international, Nr. 99 f., S. 484 (Nichtigkeit oder zumindest Behandlung als „société de fait“); Rigaud (1943), S. 377. Siehe hierzu auch Großfeld, in: FS Westermann (1974), S. 199, 210, der die Sitzanknüpfung wegen der Nichtigkeitssanktion als „Waffe“ gegen Betrugsfälle bezeichnet. 1077 Siehe bereits das Urteil des französischen Zivilgerichts der Seine von 1880, welches bei einer nach englischem Recht gegründeten Gesellschaft auf deren „domicile réel“ in Belgien abstellte: Tribunal civil de la Seine, Urt. v. 11. März 1880, Journal des sociétés civiles et commerciales 1 (1880), 144, 147. Vgl. implizit zum Sitzerfordernis zum Auffinden des Gesellschaftsstatuts i. S. e. allseitigen Kollisionsnorm: Chambre des requêtes der Cour de Cassation, Urt. v. 20. Januar 1936, in: Sirey 1936.1.127. Der Sitzbegriff wurde von der Rechtsprechung i. S. d. französischen lex fori verstanden, s. Loussouarn/Bredin (1969), Nr. 317, S. 354 ff. 1078 Bereits subsidiär hatte die Cour d’appel de Paris die Maßgeblichkeit des „renvoi“ im internationalen Gesellschaftsrecht in einem Urteil von 1965 festgestellt, vgl. Urt. v. 19. März 1965 („Banque ottomane I“), in: Revue critique DIP 1967, 85 mit Anmerkung Lagarde (101 ff.) bzw. Clunet 93 (1966), 117 m. Anmerkung Goldman (132 ff.). Explizit zugelassen wurde die Weiterverweisung dann vom gleichen Gericht 1984, s. Urt. v. 3. Oktober 1984 („Banque ottomane II“), in: Revue critique DIP 1985, 526 mit Anmerkung Synvet (530 ff.). Damit musste in neuerer Rechtsprechung zu den Konsequenzen des Auseinanderfallens von Verwaltungs- und Satzungssitz einer nach französischem Gesetz gegründeten Gesellschaft aus Sicht des französischen Rechts – etwa nach einer Rückverweisung – nicht Stellung bezogen werden.
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B. Umgang mit fremden Gesellschaften aus rechtshistorischer Perspektive
des 20. Jahrhunderts regelmäßig am tatsächlichen Verwaltungssitz an.1079 Die (gesellschaftsrechtliche) Zulässigkeit einer grenzüberschreitenden Verlegung des siège social (Satzungs- und Verwaltungssitz) mit fortbestehender Rechtspersönlichkeit, d.h. ohne Bedürfnis der Auflösung und Neugründung im Zuzugsstaat, ist in Frankreich bis heute umstritten.1080 Leider findet sich in der französischen Rechtsprechung des 19. und 20. Jahrhunderts kein umgekehrter Fall, in dem die kollisionsrechtliche Behandlung einer nach französischem Recht gegründeten Gesellschaft mit Verwaltungssitz im Ausland diskutiert wurde. Böse Zungen mögen behaupten, dass die Verwaltungssitzanknüpfung in diesen Konstellationen aus der französischen Perspektive weniger dringend erscheint, da es hierbei höchstens um die Umgehung des Rechts des Sitzstaates und nicht um die Umgehung der französischen Rechtsordnung ginge. Dieser Gedanke ist aber eine bloße Mutmaßung und aufgrund mangelnder einschlägiger Urteile nicht hinreichend belegbar.1081 Denkt man hingegen die dargestellte Behandlung der Sitztheorie als allseitige Kollisionsnorm stringent zu Ende, dann dürfte einer Gesellschaft ohne Verwaltungssitz in Frankreich die französische „Nationalität“ gar nicht zustehen, mithin französisches (materielles) Gesellschaftsrecht aus der Perspektive des französischen Rechts nicht anwendbar sein.
1079 Cauvy, in: Darras/Lapradelle/Niboyet (Hg.), Bd. 10 (1931), Stichwort: sociétés en droit international, Nr. 75, S. 479 m. N. zur Rspr. von 1929–1930. Zum späten 20. Jahrhundert s. Cass. Civ. (première chambre civile de la Cour de cassation), Urt. v. 30. März 1971 – CCRMA, Revue critique DIP 1971, 451 (Ausnahmefall des Souveränitätswechsels); Cass. Ass. Plén. (Assemblée plénière de la Cour de cassation), Urt. v. 21. Dezember 1990, Revue critique DIP 1992, 70 mit Anmerkung Duranton (72 ff.); Cass. Civ. (première chambre civile de la Cour de cassation), Urt. v. 8. Dezember 1998, Revue critique DIP 1999, 284 mit Anmerkung Menjucq (285 ff.) Weitere Nachweise auch bei Pohlmann (1988), S. 48, dort Fußnote 52 und Menjucq (2008), Rn 17 f., S. 17, Rn 20 ff., S. 20, Rn 38, S. 39, dort jeweilige Fußnoten. 1080 S. hierzu bereits Cuq (1921), S. 176 ff. Aus der modernen Literatur dagegen Menjucq (2008), Rn 41–44, S. 42–45; prinzipiell dafür Audit (2008), Nr. 1118, S. 910; differenzierend für den Fall des Zuzugs und Wegzugs Kieninger (2002), S. 228 f.; Mayer/Heuzé (2007), Nr. 1066 f., S. 755 f.; Niboyet/La Pradelle (2007), Nr. 1066, S. 685 f.; speziell zum Auseinanderfallen von Satzungs- und Verwaltungssitz im Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit, s. u. Gliederungspunkt B. III. 2. 1081 Entsprechend führt auch Menjucq (2009), ein französischer Befürworter der Gründungstheorie, in: Dalloz (Hg.), Répertoire des sociétés, Bd. 3, Stichwort: droit international des sociétés (Stand: Mai 2009), Nr. 98, S. 14, keine konkreten Rechtsprechungsbelege dafür an, dass die französischen Gerichte auf Gesellschaften mit reinem Satzungssitz stets französisches Recht angewendet hätten, obwohl solche Nachweise seiner Argumentation in die Karten spielen würden. S. a. Menjucq (2008), Rn 92, S. 96, wo der Autor stattdessen zugeben muss, dass die Entscheidungen zur Banque Ottomane (vgl. die Nachweise in Fn 1078) für die Zwecke des „renvoi“ auf den effektiven Sitz zurückgreifen.
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cc) Gesetzeslage in Frankreich ab 1966 Seit 1966 hat der Gesetzgeber die Sitzanknüpfung im code de commerce einseitig gesetzlich festgeschrieben.1082 Im heutigen Recht finden sich gleichlautende Regelungen in Artikel L. 210-3 des code de commerce bzw. Artikel 1837 des code civil.1083 Der Normtext lautet jeweils: Les sociétés dont le siège social est situé en territoire français sont soumises à la loi française. Les tiers peuvent se prévaloir du siège statutaire, mais celui-ci ne leur est pas opposable par la société si son siège réel est situé en un autre lieu. Neben einem Wahlrecht zugunsten des Schutzes Dritter legen die Normen mithin die Anwendbarkeit französischen Rechts fest. Einerseits kodifizieren sie damit eine jahrzehntelange gefestige Rechtsprechung, andererseits wollte man sich – ganz in der Tradition der Anerkennungsgeschichte – hinsichtlich des Anknüpfungskriteriums zur Anwendung fremden Rechts nicht gesetzlich binden. Dennoch wendet die ganz herrschende Auffassung diese Vorschriften – wie auch Art. 3 des code civil – im Sinne einer allseitigen Kollisionsnorm an: «Le législateur ne dit pas, en effet, que les sociétés sont soumises à la loi du pays de leur siège social; il se contente d’affirmer que la (. . .) loi française (. . .) s’applique aux sociétés dont le siège social est situé en France. En fait, le résultat est le même, car, en présence d’une telle disposition, la logique appelle irrésistiblement le rattachement des sociétés, dont le siège est situé dans un pays étranger, à la loi de cet Etat.»1084 Sowohl aus der Gegenüberstellung der Begriffspaare siège social und siège statutaire als auch aus der ständigen Rechtsprechung wird zudem überwiegend geschlossen, dass allein der effektive Verwaltungssitz das anwendbare Recht bestimmt: «Lors de l’adoption de ces textes, la doctrine estimait qu’ils faisaient référence pour déterminer la loi applicable à une société au siège réel. Le siège réel paraissait constituer un critère plus fiable, en ce que, contrairement au siège statuaire (correspondant au lieu d’immatriculation de la société), il était présumé non fictif et sérieux, en somme non frauduleux».1085 1082 Loi n ë 66-537 du 24 juillet 1966 sur les sociétés commerciales, abrufbar unter http://www.legifrance.gouv.fr. 1083 Die Vorschriften sind abrufbar wie unter Fn 1082. 1084 Loussouarn/Bredin (1969), Nr. 258, S. 274 f. und entsprechend in der heutigen Literatur Bureau/Watt, Bd. 2 (2007), Nr. 1035, S. 433; Audit (2008), Nr. 1116, S. 909 m.w. N.; Niboyet/La Pradelle (2007), Nr. 1063, S. 684; Sonnenberger/Dammann (2008), IX 67, S. 587 m.w. N.; krit. Menjucq (2008), Rn 90 f., S. 93 f. 1085 Menjucq, in: Dalloz (Hg.), Répertoire des sociétés, Bd. 3, Stichwort: droit international des sociétés (Stand: Mai 2009), Nr. 94, S. 13; vgl. auch Loussouarn/Bredin (1969), Nr. 266, S. 283 f.; Bureau/Watt, Bd. 2 (2007), Nr. 1035, S. 433; Jacquet/Delebecque/Corneloup (2007), Nr. 233 f., S. 136; Niboyet/La Pradelle (2007), Nr. 1063 f., S. 684; Saintourens, in: Dalloz (Hg.), Répertoire des sociétés, Bd. 5, Stichwort: siège
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Zwar setze die Rechtsprechung zur Bestimmung des Gesellschaftsstatuts grundsätzlich die Übereinstimmung von effektivem Sitz und Satzungssitz voraus, doch müsse sie bei Hinweisen auf eine eventuelle Diskrepanz Untersuchungen bezüglich des tatsächlichen Sitzes aufnehmen.1086 Aus Absatz 2 des Art. L. 2103 wird geschlossen, dass die Sanktion der Nichtigkeit heute nur noch in Ausnahmefällen die nach falschem Recht gegründete Gesellschaft trifft.1087 Den Gesellschaftern bzw. Handelnden kann in diesem Fall aber eine verschärfte Haftung drohen.1088 Nach ganz h. M.1089 ist somit die grds. allseitige Verwaltungssitzanknüpfung im französischen internationalen Gesellschaftsrecht gesetzlich legitimiert.1090 Allerdings finden sich ab den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts bisweilen Literaturstimmen, die das Erfordernis des siège réel für nach französischem Recht gegründete Gesellschaften kollisions- und sachrechtlich aufweichen: In diesem Fall genüge der französische Satzungssitz, um die als sachrechtlich wirksam gegründet anzusehenden Gesellschaften als vom französischen Recht beherrscht anzusehen.1091 Inwieweit diese Ansicht, welche zwar den französischen Interessen an der Beweglichkeit und Flexibilität ihrer Gesellschaften zugute kommen mag, aber kritikwürdig ist, weil sie der (historischen) Forderung der Sitztheorie selbst nicht gerecht wird, dass das auf eine Gesellschaft anzuwendende Recht als Teilaspekt ihrer „Nationalität“ unterschiedslos nach ihrem Verwaltungssitz zu beurteilen ist, wird die folgende Betrachtung noch veranschaulichen. social (Stand: 2000), Nr. 7, 9 f., 16 ff., S. 3 f. (im Anschluss an: Mise à jour 1970, Stichwort: siège social, Nr. 72 f.); Sonnenberger/Dammann (2008), IX 67, S. 587 f. m.w. N. Hierzu ausführlich auch Pohlmann (1988), S. 48 f. m.w. N., der darlegt, dass sich eine zwingende Interpretation weder aus dem Wortlaut, noch dem Sinn und Zweck der Vorschrift, jedoch aus der Gesetzgebungsgeschichte entnehmen lässt. 1086 Saintourens, in: Dalloz (Hg.), Répertoire des sociétés, Bd. 5, Stichwort: siège social (Stand: 2000), Nr. 19–23, S. 4 f. m.w. N. zur Rspr. 1087 S. Mayer/Heuzé (2007), Nr. 1037, S. 735 f.; Niboyet/La Pradelle (2007), Nr. 1064, S. 685. Rechtsfolgen für die nach falschem Recht gegründete Gesellschaft sind im Einzelnen strittig; vgl. hierzu Bechtel (1998), 23–26. 1088 Vgl. Bechtel (1998), 43 f. und 46 f. 1089 A. A. Menjucq (2008), Rn 92–100, S. 93–103, der ausgehend von der Tatsache, dass das französische Sachrecht seit 1966 die wirksame Gründung einer französischen Gesellschaft an der Eintragung im Handelsregister festmache und grds. (nur) einen französischen Satzungssitz fordere, die Vorschrift als (höchstens einseitige) Kollisionsnorm auffasst, die jedoch am Satzungssitz angreife. 1090 Selbstverständlich muss auch in Frankreich im Anwendungsbereich der Niederlassungfreiheit die EuGH-Rechtsprechung beachtet werden, die zu etwaigen Durchbrechungen zwingt, vgl. hierzu Gliederungspunkt B. III. 1091 Vgl. Loussouarn (1949), S. 150: «En effet, lorsqu’une société effectuant des opérations en France a été constituée conformément aux prescriptions de la loi française, le juge français se préoccupe rarement de rechercher si la compétence de la loi française est fondée puisque la société est venue s’y soumettre et qu’elle confère aux tiers français, contractant avec la société, le maximum de sécurité.» Siehe auch bereits den Nachweis zu Menjucq (2008), wie Fn 1089.
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c) Dogmatische Hintergründe für die Entwicklung des Sitzes als Anknüpfungsgegenstand Nachdem dargestellt wurde, dass der (effektive Verwaltungs-)Sitz der Gesellschaft von belgischer und französischer Rechtsprechung als (weiterer) wesentlicher Anknüpfungsgegenstand für die Beurteilung der Rechtsverhältnisse einer juristischen Person angesehen wurde, stellt sich die Frage, welche dogmatischen Gründe für eine solche Beurteilung sprechen. aa) Anknüpfung des Personalstatuts natürlicher Personen Ausgangspunkt für die Anknüpfung der lex societatis ist zunächst die vergleichende Betrachtung der Anknüpfung des Personalstatuts natürlicher Personen aus historischer Sicht.1092 Unter dem Personalstatut versteht man diejenige Rechtsordnung, welche für die persönlichen Rechtsverhältnisse eines Menschen maßgeblich ist; in Frankreich und Belgien bestimmt(e) das Personalstatut état und capacité einer natürlichen Person.1093 Die Frage, welche Anknüpfung zur Bestimmung des Personalstatuts die zweckmäßigste sei, wurde in den letzten 150 Jahren von der Rechtswissenschaft auf der ganzen Welt diskutiert und gilt auch heute noch als eine der wesentlichen Streitfragen des internationalen Privatrechts.1094 Als die beiden maßgeblichen Anknüpfungsmomente erschienen stets entweder der Wohnsitz (im Sinne des gewöhnlichen Aufenthalts) eines Menschen oder aber dessen Staatsangehörigkeit.1095 Im französischen Rechtskreis hatte man sich zu letzterer Anknüpfung bekannt: Die Normen internationalprivatrechtlichen Inhalts des code civil, sprich Art. 3 Abs. 3 sowie Art. 14 und 15, knüpfen an die nationalité – die Staatsangehörigkeit – der (physischen) Person an. Frankreich folgte demnach bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts dem Staatsangehörigkeitsprinzip. Als Ursache für die gesetzlich vorgesehene Anknüpfung an die Nationalität einer natürlichen Person gilt das nach der französischen Revolution aufgekommene Ideal des National-
1092 Ausführlicher zur Entwicklung der Anknüpfung des Personalstatuts natürlicher Personen in Frankreich äußert sich etwa Despagnet (1891), Nr. 154, S. 169 ff., Nr. 352 ff., 368 ff. 1093 Der Umfang des Personalstatuts hat sich im Zeitablauf geändert und ist von Staat zu Staat auch heute noch unterschiedlich geregelt, vgl. etwa Kropholler (2006), § 37 I 1, S. 261 f. Zur exakten Definition der Rechtsbegriffe „état“ und „capacité“, vgl. Planiol, Bd. 1 (1925), Nr. 419, S. 159. 1094 Vgl. hierzu de Winter, in: Recueil des cours 128 (1969-III), S. 347–503, der das Problem als „iron curtain of Private International Law“ beschreibt. 1095 Einen Überblick darüber, welche Staaten aktuell dem Wohnsitz- oder Staatsangehörigkeitsprinzip folgen, findet sich z. B. bei Kegel/Schurig (2004), § 13 II 3, S. 444.
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staates.1096 Eine allgemeingültige Definition des Nationalstaates gibt es nicht; zusammengefasst werden kann dieses Konzept aber als die politische Organisation einer Nation in einem Staat, wobei die Nation als staatstragende Gemeinschaft, im Idealfall einer homogenen bzw. sich zusammengehörig fühlenden Bevölkerungsgruppe, verstanden wird.1097 Dieses Selbstverständnis der Souveränität des Staatsvolkes ist Frucht der geisteswissenschaftlichen Strömung der Aufklärung und verfestigte sich in Frankreich infolge der Revolution. Es war nicht länger die Unterwerfung unter einen herrschenden Monarchen maßgebend um die Zugehörigkeit zu einem Staat zu bestimmen, sondern die Nationalität seiner Bürger.1098 Daher schien das Kriterium der Nationalität auch für die rechtliche Anknüpfung der persönlichen Rechtsstellung einer Person entscheidend zu sein. Die Wahl der Nationalität als Anknüpfungsmoment stellte zwar einen Bruch mit der Tradition des alten französischen Rechts dar, welches das Personalstatut am Recht des Wohnsitzes (loi du domicile) angeknüpft hatte, fügte sich aber besser in die Bedürfnisse des neuen Zeitgeists ein.1099 Für die natürliche Person hatte sich demnach grundsätzlich das Staatsangehörigkeitsprinzip gegenüber dem früheren Wohnsitzprinzip durchgesetzt.1100 Die Staatsangehörigkeit wiederum bestimmte man im französischen Recht in Anknüpfung an die römische Rechtstradition in der Regel nach dem ius sanguinis, der Abstammung von einem französischen Elternteil.1101 Andererseits 1096 Maßgebenden Einfluss auf die Verbreitung des Nationalitätskonzeptes in Europa hatte der italienische Rechtswissenschaftler Mancini, vgl. hierzu überblicksartig Rabel, Bd. 1 (1958), S. 120 ff. sowie de Winter, in: Recueil des cours 128 (1969/III), S. 347, 371 ff. 1097 Ein sehr bekanntes Erklärungsmodell des Nationalstaates stammt von dem Völkerrechtler Georg Jellinek, der drei Elemente als prägend herausgestellt hat: Staatsvolk, Staatsterritorium und Staatsgewalt; hierzu näher Herdegen, Völkerrecht, § 8, Rn 2 ff., S. 77 ff. 1098 Der frühere Untertanenbegriff („sujet“) war vom Wohnsitz abhängig, da er vornehmlich diejenigen Personen umfasste, die sich dauernd in dem maßgeblichen Herrschaftsgebiet aufhielten. Im Zusammenhang mit dem Aufkommen des Nationalitätsprinzips steht auch der allmähliche Abschied von der alten Statutentheorie des Internationalen Privatrechts, vgl. Planiol, Bd. 1 (1925), Nr. 195, S. 83: «Ce principe moderne de la personnalité du droit est fondé sur une conception toute nouvelle de l’État. L’État n’apparaît plus comme une souveraineté territoriale qui perd tout empire hors de ses frontières; il représente avant tout une nation, c’est-à-dire un groupe de personnes. Les personnes prennent le premier rang; c’est pour elles que les lois sont faites, le territoire n’est plus considéré que comme une condition máterielle de la souveraineté, la résidence habituelle de la nation.» 1099 Abrahams (1957), S. 16; s. a. Planiol, Bd. 1 (1925), Nr. 186, S. 81 und Nr. 192, S. 83; Pillet (1914), Nr. 82, S. 121 sowie Dalloz, Répertoire de législation, Bd. 18 (1850), Stichwort: droits civils, Nr. 67 f., S. 45. 1100 Das „domicile“ spielte aber im französischen Recht weiterhin eine Rolle, z. B. für die Bestimmung des zuständigen Gerichts bei Streitigkeiten oder für die Ermittlung der Anschrift bei Briefwechsel, etc.; vgl. Planiol, Bd. 1 (1925), Nr. 558 ff., S. 206 ff. 1101 Siehe c. civ., Art. 10 Abs. 1 damalige F.: Tout enfant né d’un Français en pays étranger est Français. Vgl. zur gegensätzlichen Anknüpfung an das „ius soli“ im An-
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konnte die französische Nationalität aber auch von einem Ausländer erworben werden, der in Frankreich seinen ständigen Wohnsitz begründete.1102 Tatsächlich ging diese beschriebene Rechtsänderung vom Wohnsitz- zum Staatsangehörigkeitsprinzip materiell nicht mit einer einschneidenden Änderung der rechtlichen Verhältnisse einher – nicht nur, weil sich in diesen Zeiten Nationalität und Wohnort zumeist deckten.1103 Konnte man diese Entwicklung mit Hilfe der Rechtsgrundsätze und Rechtsbegriffe, die sich für die natürliche Person etabliert hatten, ohne weiteres auf die juristische Person übertragen? Dieser Frage wird im Folgenden auf den Grund gegangen. bb) Anknüpfung des Personalstatuts juristischer Personen (1) Anknüpfungsmoment der Urteilspraxis Bereits im Rahmen der Darstellung der Anerkennungsproblematik wurde hervorgehoben, dass die Rechtsfähigkeit fremder Personengesellschaften niemals, jene der Kapitalgesellschaften erst mit ihrem vermehrten Auftreten Mitte des 19. Jahrhunderts in Zweifel gezogen wurde. Bis zu diesem Zeitpunkt gingen die Gerichte davon aus, dass das ausländische Personalstatut der Gesellschaft (lex societatis) auch im Gastland Frankreich bzw. Belgien maßgebend sei. Entsprecien Régime und der Entwicklung zur grundsätzlichen Anknüpfung an das „ius sanguinis“ nur Weiss (1909), S. 6 ff. mit Literaturnachweisen. 1102 Siehe c. civ., Art. 9 damalige F.: Tout individu né en France d’un étranger pourra, dans l’année qui suivra l’époque de sa majorité, réclamer la qualité de Français; pourvu que, dans le cas où il résiderait en France, il déclare que son intention est d’y fixer son domicile, et que, dans le cas où il résiderait en pays étranger, il fasse sa soumission de fixer en France son domicile, et qu’il l’y établisse dans l’année, à compter de l’acte de soumission. Vgl. auch Art. 10 Abs. 2: Tout enfant né, en pays étranger, d’un Français qui aurait perdu la qualité de Français, pourra toujours recouvrer cette qualité, en remplissant les formalités prescrites par l’art. 9. Was wiederum das „domicile“ einer natürlichen Person war, bestimmte Art. 102 c. civ.: Le domicile de tout Français, quant à l’exercice des ses droits civils, est au lieu où il a son principal établissement. Im Laufe der Zeit gewann das ius soli neben dem ius sanguinis mehr und mehr an Bedeutung, 1851 wurde z. B. das „double droit du sol“ eingeführt, 1889 das „droit du sol“ mit Hilfe einer Widerspruchsregel für in Frankreich geborene und lebende Ausländer, vgl. hierzu und zu weiteren Änderungen http://www.vie-publique.fr/documents-vp/ nationalite_histoire.pdf (letzter Abruf: 2.5.14) bzw. Rigaud (1943), S. 101 ff. 1103 Siehe bereits Beitzke (1938), S. 25 und de Winter, in: Recueil des cours 128 (1969/III), S. 347, 366. Vgl. auch Planiol, Bd. 1 (1925), Nr. 196, S. 83 f.: «La théorie nouvelle concorde sur la plupart des points avec les solutions traditionelles de la théorie des statuts, conservées par le Code. L’une comme l’autre abandonnent à la loi territoriale la police, la sûreté intérieure, l’exercice des droits publics, l’organisation de la propriété foncière; l’une comme l’autre font régir la capacité des personnes par leur loi nationale. » Brocher, in: Clunet 8 (1881), 5, 9, begründet den Übergang zum Staatsangehörigkeitsprinzip mit dem Argument, dass internationalprivatrechtlich nicht mehr länger Streitigkeiten zwischen Bevölkerungsgruppen eines einzigen Landes, sondern zwischen verschiedenen Staaten im Vordergrund stünden und damit das Domizilprinzip dem Nationalitätsprinzip weichen musste.
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chend stellte die französische Cour de cassation für das Bestehen einer belgischen société civile (aus französischer Perspektive) auf deren domicile in Belgien und somit auf deren belgisches Personalstatut ab.1104 Wurde eine Gesellschaft demnach als Person behandelt, so musste ihr auch eine Nationalität und damit ein Personalstatut zukommen1105; dies schien umso plausibler, als der Streit um die Anerkennungsfrage 1855/57 gesetzlich entschieden war.1106 Da die juristischen Personen als fiktive Gebilde aber über kein ius sanguinis verfügten, welches zur Anknüpfung des Gesellschaftsstatuts hätte dienen können, stellte sich die Frage, was dem am nähesten kommt. Bezüglich der noch unter dem Konzessionssystem gegründeten Aktiengesellschaften gab es nun zwei nahe liegende Optionen, um die für ihre rechtliche Wirksamkeit berufene Rechtsordnung und damit ihre „Nationalität“ aufzuspüren: erstens das Ansetzen an der Konzessionserteilung des Heimatstaates und zweitens das Abstellen auf den (als Domizil aufgefassten) Sitz der Gesellschaft. In den Urteilen, die zur Anerkennungsfrage unter dem Konzessionssystem gefällt worden sind, nehmen die französischen bzw. belgischen Gerichte für die Bestimmung der Ausländereigenschaft meist auf beide Gesichtspunkte Bezug, was zunächst für das Auffinden des maßgeblichen Beurteilungskriteriums wenig hilfreich erscheint.1107 Auffallend ist jedoch, dass diejenigen Urteile, die der betreffenden Aktiengesellschaft vor der gesetzlichen Regelung 1855/57 die Anerkennung verwehren, zumeist nur auf die im Heimatland erhaltene Konzession abstellen, welche im Gastland keine Wirkung entfalten könne.1108 Der Sitz der Gesellschaft für 1104
S. französische Cour de cassation, Urt. v. 26. Juli 1853, in: Sirey 1853.1.689. Diesen traditionellen Zusammenhang zwischen Nationalität und Personalstatut auch für die Gesellschaft betont etwa Pic, Clunet 44 (1917), 841, 850. S. a. Loussouarn/ Bredin (1969), Nr. 258, S. 274 f. und Nr. 309, S. 347, zur Verbindung von Gesellschaftsstatut und Sitz: Da die Anwendbarkeit des nationalen Rechts bzw. die Zuerkennung der eigenen Nationalität sich nach dem Gesellschaftssitz im Inland bestimmt, so muss der Sitz auch dazu dienen, das Gesellschaftsstatut im Kollisionsrecht zu identifizieren. Kritisch aber in jüngerer Zeit Jacquet/Delebecque/Corneloup (2007), Nr. 258 f., S. 148 f., die eine Gleichsetzung beider Begriffe (Nationalität und lex societatis) vermeiden, da die Bestimmung der lex societatis vom gewählten Anknüpfungsmoment abhänge, die Nationalität der Gesellschaft hingegen Ausdruck der Kompetenz eines Staates sei, die (Existenz-)Bedingungen für die eigene Gesellschaft festzulegen. 1106 Daher bekräftigte etwa die Cour de Paris, Urt. v. 4. November 1886, in: Sirey 1888.2.91 (S. 92): «Attendu, en droit, qu’une société commerciale constitue un être moral, une personnnalité légale, distincte de la personnalité des associés; que par suite elle a sa nationalité propre, de même qu’elle a son patrimoine propre (. . .)». 1107 Vgl. etwa Urteil des Friedensrichters von Mons vom 25. November 1845, in: La Belgique Judiciaire 5 (1847), Spalte 161, in dem sowohl auf die Konzessionserteilung im Ausland als auch den Sitz der Gesellschaft im Ausland verwiesen wird. 1108 Vgl. etwa französische Cour de cassation, Urt. v. 1. August 1860, Recueil Dalloz 1860.1.444 (S. 446): «(. . .) la société anonyme étrangère, quelque régulierement constituée qu’elle soit dans le pays dans lequel elle s’est formée, ne peut avoir d’existence en France que par l’effet de la loi française (. . .)». (Hervorhebung des Verf.) oder Urteil des belgischen Tribunal civil in Namur vom 10. Juni 1846, in: La Belgique Judiciaire 4 1105
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die Bestimmung des anwendbaren Rechts wird in diesen Urteilen indes regelmäßig nicht angesprochen. Dies könnte dafür sprechen, dass aus internationalprivatrechtlicher Sicht zunächst nur die Konzession die für die Gesellschaft maßgebliche Rechtsordnung vorgab. Das Abstellen auf den Sitz erscheint hier aber allein deswegen nicht notwendig, weil die Rechtsprechung in diesen Fällen auf Grundlage der Fiktionstheorie das (automatische) Bestehen einer ausländischen Aktiengesellschaft außerhalb ihres Gründungslandes ohnehin kategorisch ablehnte. Mithin kam es auf das zusätzliche Erfordernis des tatsächlichen Sitzes der Gesellschaft im Ausland auch nicht mehr an.1109 Nach Inkrafttreten der Anerkennungsgesetze von 1855/57 behielt der Sitz ebenso seine Bedeutung. Erkennbar wird diese Sichtweise in folgendem Leitsatz zum Urteil der französischen Cour impérial d’Aix von 1861: «Les sociétés anonymes étrangères, quoique régulièrement constituées dans le pays où elles ont leur siége, ne sont pas recevables à ester en justice en France, si elles n’ont pas été autorisées par le Gouvernement français.»1110 Auch die belgische Urteilspraxis bezog den Gesellschaftssitz unter Geltung von Konzessionssystem und Anerkennungsgesetz in die Entscheidungsfindung mit ein.1111 Folglich mussten grds. nur die Urteile, die der fremden Gesellschaft die Anerkennung per se gestatteten, den Sitz der Gesellschaft überhaupt in ihre rechtlichen Erwägungen einbeziehen.1112 (1846), Spalte 1125: «Attendu que la partie demanderesse agit en qualité de Société anonyme, formée en pays étranger avec l’autorisation du souverain de ce pays, mais sans autorisation du Roi des Belges;» (Hervorhebung des Verf.). 1109 Entsprechend hielt die französische Literatur des frühen 20. Jahrhunderts, vgl. Cauvy, in: Darras/Lapradelle/Niboyet (Hg.), Bd. 10 (1931), Stichwort: sociétés en droit international, Nr. 10 f., S. 465, zum Verhältnis der Anerkennung und der Bestimmung der Nationalität von Gesellschaften fest: «(. . .) le problème de la reconnaissance ne pourra que suivre nos développements relatifs à la nationalité des sociétés. Par ailleurs, ce même problème [de la reconnaissance] devra précéder la recherche de la loi applicable aux sociétés étrangères, puisque c’est seulement à l’égard des sociétés reconnues, c’est-à-dire des sociétés considérées comme telles par l’État reconnaissant, que pourra se poser une question d’application de lois.» [Hinzufügung durch Verf.] (Hervorhebung des Verf.). 1110 Cour impérial d’Aix, Urt. v. 17. Januar 1861, in: Sirey 1861.2.335. 1111 Vgl. Cour de Bruxelles, Urt. v. 14. Oktober 1870 und Cour de Gand, am 21. April 1876, Fundstelle jeweils wie Fn 1041. Im Leitsatz zu letzterem Urteil heißt es: «La simulation consistant à revêtir des formes d’une société anglaise une société anonyme qui a son siège en Belgique et qui est belge par son essence, ne soustrait pas cette association à l’empire de la loi belge en fraude de laquelle elle a été constituée. » 1112 Auf die Maßgeblichkeit des tatsächlichen Sitzes der Gesellschaft im Ausland weisen auch die Motive zum französischen Anerkennungsgesetz von 1857 hin, da Persil/Cornudet/Cornillon (in: Exposé des motifs, Recueil Dalloz 1857.4.75) zum Zweck der Norm erläutern, das geplante Gesetz habe die Aufgabe «de regler, relativement aux sociétés anoymes établies en pays étranger (. . .) l’exercice de leur droits et la faculté d’ester en justice, en France.» (Hervorhebung des Verf.).
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Darüberhinaus ist eine weitere Überlegung ganz wesentlich: Unabhängig davon, ob einzelne Anerkennungsurteile den Schwerpunkt ihrer Argumentation primär auf die Konzession oder den Sitz legten, greift es zu kurz, wenn allein die Erteilung der Konzession im Ursprungsland als maßgeblich für die Bestimmung der „Nationalität“ der Gesellschaft angesehen wird, denn ihr entspricht de facto die Sitzanknüpfung. Zur Bestimmung der „Nationalität“ der Gesellschaft hätte man auch vor dem Anerkennungsstreit genauso gut am Sitz anknüpfen können. Es war nämlich üblich und allgemein anerkannt, dass der Herrscher desjenigen Landes die Konzession zur Gründung einer Aktiengesellschaft erteilte, in dem die Gesellschaft ihren Sitz hatte.1113 Da Konzessionserteilung und Sitz somit regelmäßig zusammen fielen, war der Sitz der ausländischen Gesellschaft – parallel zum Wohnsitz der natürlichen Person – schon unter Geltung des Konzessionssystems der Maßstab zur Bestimmung des auf eine Gesellschaft anwendbaren Rechts.1114 Der belgische Rechtsgelehrte Hubert Dolez hatte dementsprechend bereits 1847 erklärt: «La Société anonyme constitue une espèce d’être moral, de personne civile, dont l’état et la capacité sont règles par les lois de son domicile, c’est-à-dire par les lois du pays où elle est érigée, où elle a son siége. (. . .) Je pense donc (. . .), qu’une Société anonyme établie en France conformément à la loi française, ayant son siège en France, doit être reconnue comme personne civile par les Tribunaux belges et doit être par suite admise à ester en justice.»1115 1113 In Bezug auf die Nichtgeltung des belgischen Art. 37 cdc für ausländische Aktiengesellschaften sind die Ausführungen der belgischen Cour de cassation im Urteil vom 22. Juli 1847, in: Recueil Dalloz 1847.2.173, beachtenswert: «(. . .) le roi n’a mission que pour autoriser de pareilles sociétés dont le siège est en Belgique (. . .)». Dies zeigt, dass der Sitz maßgeblich für die Frage sein sollte, welchem rechtlichen Herrschaftsbereich eine Gesellschaft unterstehen sollte, wodurch auch ein gewisser „Gebietsschutz“ gewährleistet wurde. Vgl. auch bereits den Nachweis gem. Fn 342 und die Auflistung von Freedeman (1979), S. 145 ff. Freilich lässt sich im Einzelnen nicht nachvollziehen, ob der statutenmäßige Sitz auch in jedem Fall dem tatsächlichen Sitz entsprach. 1114 Zu pauschal erscheint somit die Aussage von Loussouarn, in: Dalloz (Hg.), Répertoire des sociétés, Stichwort: sociétés étrangères (Stand: 1971), Nr. 12, S. 2 (m.w. N.): «(. . .) avec la disparition de la nécessité d’une autorisation pour la constitution d’une société anonyme en Belgique, il semble qu’il faille se référer au critère du siège social.» Loussouarn ist jedoch zuzugeben, dass der Verleihungsgedanke der Rechtsfähigkeit durch die Konzession gerade von der Primärliteratur des frühen 20. Jahrhunderts bisweilen absoluter Charakter für die „Nationalitätsbestimmung“ zugesprochen wurde, vgl. hierzu etwa Cuq (1921), S. 47: «Dans les pays où l’autorisation préalable est encore requise pour la constitution des sociétés comme des associations, il faut sans hésiter reconnaître à ces personnes morales la nationalité de l’Etat qui en a autorisé la formation. (. . .) l’autorisation (. . .) est la manifestation extérieure de ce lien entre l’individu et l’Etat que crée la nationalité. (. . .) C’est peut-être là une des raisons pour lesquelles la jurisprudence française ne présente pas de décision antérieure à l’époque où le système de la réglementation a été substitué à celui de l’autorisation.» (Hervorhebung des Verf.). 1115 Anmerkung von Dolez, in: N. N., La Belgique Judiciaire 5 (1847), Spalte 164. (Hervorhebung des Verf.)
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In der Phase des Normativsystems boten sich für die Bestimmung der „Nationalität“ der Gesellschaft vor allem der Ort beziehungsweise die Rechtsordnung der Erfüllung der Gründungsvoraussetzungen oder der tatsächliche Sitz der Gesellschaft an. Auch hier entschied man sich im romanischen Rechtskreis – wie bereits aufgezeigt –1116 für die tatsächlichen Verhältnisse und damit gegen eine primär formelle Bindung. Die einheitliche Verwendung des Nationalitätsbegriffs bedingte nicht nur, dass eine nach fremden Recht konstituierte Gesellschaft ihren effektiven Sitz im Gebiet ihrer Gründungsrechtsordnung nehmen musste um aus französischer Perspektive nach dem Recht ihres Sitzstaats anerkannt zu werden, sondern auch umgekehrt, dass eine französische Gesellschaft in Frankreich ihren tatsächlichen Sitz zu nehmen hatte.1117 Deshalb hielt Vavasseur im Jahre 1875 die Verlegung des effektiven Sitzes einer nach französischem Recht gegründeten Gesellschaft auch für unmöglich, wenn sie ihre französische Nationalität und Rechtspersönlichkeit behalten wolle: «La société [constituée et actuellement existante en France] constitue réelement son principal établissement à l’étranger, où elle acquiert ainsi domicile. A l’instant même elle perd sa nationalité, sa personnalité civile, elle tombe, ipso facto, en dissolution, et chacun des actionnaires a le droit d’en demander la liquidation. Aussitôt qu’elle passe la frontière, le statut français, imprimé sur sa personnalité, et qui seul donnait vie à l’être juridique, se retire; elle n’a plus d’existence légale et reste à l’état société de fait.»1118 Auch gemäß Cuq hätte die Umsiedlung des siège social einer französischen Gesellschaft ins Ausland daher grundsätzlich mit dem Verlust ihrer französischen Identität einherzugehen.1119 1116
Vgl. Gliederungspunkt B. II. 1. b). Lyon-Caen, Clunet 44 (1917), 5, 6: «Il est admis par la jurisprudence, que, pour qu’une société soit à considérer en France comme étrangère, il faut quelle ait son siège social réel dans un pays étranger. (. . .) Elle [la question quand une société doit être considérée comme française] était résolue en ce sens qu’une société est française par cela seul qu’elle a son siège social réel en France. Cette solution (. . .) semblait sans inconvénient et même très digne de faveur, puisqu’elle conduit à soumettre aux lois françaises toutes les sociétés ayant leur siège réel sur notre territoire. » S. a. Cour de Paris, Urt. v. 4. November 1886, in: Sirey 1888.2.91 (S. 92): «(. . .) une société commerciale (. . .) a sa nationalité propre (. . .) fixée par son siège social (. . .)». 1118 Vavasseur, Clunet 2 (1875), 345, 351 [Hinzufügung durch Verf.]. Zur Frage, inwieweit sich die Rechtsprechung bis heute an das Erfordernis des tatsächlichen Sitzes auch für nach französischem Recht gegründete Gesellschaften gehalten hat, siehe bereits oben Gliederungspunkt B. II. 1. b) bb) sowie Menjucq, in: Dalloz (Hg.), Répertoire des sociétés, Bd. 3, Stichwort: droit international des sociétés (Stand: Mai 2009), Nr. 99–103, S. 14. 1119 Cuq (1921), S. 176, beschreibt die Abhängigkeit von Verwaltungssitz und Wahl der richtigen Rechtsordnung aus Sicht der Sitztheorie: «N’était-il pas logique, dans un système qui fait dépendre la nationalité du lieu où se trouve le siège social, de changer la nationalité d’une société qui fixait son siège à l’étranger? ». Zur Kontroverse, inwieweit die gleichzeitige Verlegung von Satzungs- und Verwaltungssitz nach französischen Recht ohne Notwendigkeit der Neugründung möglich ist, vgl. bereits die Nachweise in Fn 1080. 1117
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Sofern man aber die für das Personalstatut der natürlichen Personen maßgebenden Verhältnisse (überhaupt) auf die juristischen Personen übertragen konnte, so scheint ein Anknüpfen an die durch das Abstammungsprinzip bestimmte Nationalität bei der natürlichen Person als eher formelles Kriterium und die Anknüpfung an den Sitz der juristischen Person als Faktum miteinander im Widerspruch zu stehen, zumal der code civil für die natürliche Person gerade einen Übergang vom Wohnsitz- zum Nationalitätsgrundsatz vollzogen hatte. Beiden Fragen muss folglich nachgegangen werden. (2) Akademischer Streit um die Staatsangehörigkeit einer juristischen Person Sämtliche rechtliche Streitigkeiten um den Status der juristischen Person setzten an deren Wesensverschiedenheit gegenüber der natürlichen Person an. Nachdem die Frage der Anerkennung in Belgien 1873 mithilfe der automatischen Anerkennung (unter dem Sitzvorbehalt im Gründungsland) und in Frankreich weiterhin mit Hilfe des Gesetzes von 1857 und entsprechenden Dekreten oder Staatsverträgen geregelt war, stand man nun im Prinzip wieder am Anfang in der Diskussion darum, ob die geltenden Regeln zum Personalstatut, allen voran der Reziprozitätsgedanke1120 des Art. 3 Abs. 3 c. civ., auch auf die juristische Person anwendbar seien. Da der Wortlaut des Art. 3 Abs. 3 c. civ. nicht zwischen natürlichen und juristischen Personen unterschied und man daher kein entscheidendes Argument für oder gegen die Anwendung auf juristische Personen ableiten konnte, beschäftigte man sich intensiv mit dem Kriterium der nationalité: Hatte eine Aktiengesellschaft eine Nationalität, eine Staatsangehörigkeit gleich den natürlichen Personen? Der erbitterte akademische Streit um diese Grundsatzfrage durchzog ganz Europa und gilt heute als ungelöstes und wenig zielführendes rechtshistorisches Relikt in der Entwicklung der rechtlichen Handhabung juristischer Personen.1121 Es ist jedoch denkbar, dass diese Diskussion die Etablierung der Anerkennungstheorien, insbesondere Sitz- und Gründungstheorie, in 1120 Vgl. hierzu etwa Demolombe, Bd. 1 (1880), Nr. 98, S. 109 ff. und bereits oben zur Anerkennungsproblematik im Ganzen B. I. 2. c). 1121 Zu der Nationalitätsfrage der Aktiengesellschaft nehmen u. a. Stellung: (französischsprachige Literatur) Abrahams (1957), S. 36 ff.; Arminjon, RDIL 1902, 381 ff.; ders. (1928), S. 4 ff. (jeweils mit zahlreichen Nachweisen zum weiteren französischen Schrifttum); Battifol/Lagarde, Bd. 1 (1970), Nr. 192, S. 235 f.; Brocher, Bd. 1 (1882), Nr. 60 ff., S. 191 ff.; Despagnet (1891), Nr. 64, S. 83; Escarra/Escarra/Rault, Bd. 1 (1950), Nr. 58, S. 76 f.; Leven (1926), S. 26 ff.; Niboyet, RCDIP 22 (1927), 402 ff.; Mazeaud/Mazeaud/Mazeaud, Bd. 1/2 (1968), Nr. 617, S. 628 f.; Mazeaud, Clunet 55 (1928), 30 ff.; Perrin (1969), S. 14–16; Pillet (1914), Nr. 82, S. 121 ff.; Popesco (1911), S. 119 ff.; Rigaud (1943), S. 373 f.; Streit, RDIL 1928, 494, 501 ff.; Vareilles-Sommières (1902), Nr. 1502 f., S. 643 ff.; Weiss (1909), S. 308 f.; (deutschsprachige Literatur) Beitzke (1938), S. 25 ff.; Bindschedler (1940), S. 9 ff.; Isay (1907), S. 72 ff., 192 f.; Lewald, Bd. 1 (1930), S. 46; Makarov (1970), S. 115; Mamelok (1900), S. 20 ff.; Meili, Bd. 2 (1902), § 164, S. 243 f.; Nordmann (1939), S. 12, 33 f., Schwandt (1912), S. 28 ff.; Strehl (1933), S. 12–20; Walker (1921), S. 112 f.; Staudinger/Großfeld, Int-
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entscheidender Weise beeinflusste, weshalb besagter Streit an dieser Stelle in gebotener Kürze skizziert werden soll. (a) Argumentation der Lehre Die Anhänger der Fiktionstheorie, welche vertraten, dass eine juristische Person nur innerhalb ihrer Landesgrenzen bestehen könnte, lehnten konsequenterweise auch den Nationalitätsgedanken solcher rechtlicher Gedankenkonstrukte vehement ab. An dieser Stelle sei auf die energischen Ausführungen von Leclercq und Laurent verwiesen, die den Gedanken der Nationalität einer Aktiengesellschaft als absurd verwarfen.1122 Der Zusammenhang zwischen Fiktionstheorie und mangelndem Zugeständnis einer Nationalität an juristische Personen erklärt sich aus dem der Fiktionstheorie zugrunde liegenden Gedanken, dem Rechtsgebilde der juristischen Person nur innerhalb der Landesgrenzen des Ursprungslandes eine Existenzberechtigung zuzugestehen, die sich jenseits des Staatsterritoriums verflüchtige. Die juristische Person, die nicht gleich dem Menschen über „natürliche Rechte“ verfüge, habe daher auch keine wahrhaftige Nationalität, die im Ausland anzuerkennen sei. Die Gegner hoben etwa Geschlechtslosigkeit der juristischen Person und ihr unmögliche familienrechtliche Institute wie die Ehe hervor, um zu untermauern, dass persönliche Rechte und damit eine Staatsangehörigkeit der juristischen Person undenkbar seien.1123 Des Öfteren wurde auch die politische, öffentlich-rechtliche Komponente des Nationalitätsbegriffs gegen die GesR (1998), Rn 17; Zitelmann, Bd. 2 (1912), S. 111; (englischsprachige Literatur) Rabel, Bd. 2 (1960), S. 18 ff.; M. Wolff (1950), Nr. 288, S. 308. 1122 Vgl. Laurent, Bd. 1 (1869), Nr. 307, S. 404 f.: «[Les personnes fictifs] Ont-ils une patrie, une nationalité, et, par suite, les mille et une circonstances physiques, intellectuelles, morales, qui constituent la nation, exercent-elles une influence sur les personnes fictives comme sur les personnes véritables? La question n’a pas de sens.» S. a. Leclercq, in: Dalloz 1847.2.172 (rechte Spalte): «Et si l’état de choses, sujet de la fiction, n’a de lui-même ni droit, ni état, ni capacité, il n’a non plus aucune nationalité, même fictivement; un semblable état de choses ne peut, quelque effort d’imagination que l’on fasse, être appelé membre d’une nation; on ne peut dire de lui [du être fictif] qu’il est un Français, un Anglais, un Allemand ou un Belge;». [Hinzufügung durch Verf.]. S. a. Arminjon (1928), S. 5, dort Fußnote 1 mit zahlreichen weiteren Nachweisen zu Gegnern des Nationalitätsbegriffs bei juristischen Personen und deren Argumentation. 1123 Vgl. die Nachweise zu Laurent und Leclercq in Fn 1122; Vareilles-Sommières (1902), Nr. 1503, S. 645, der die Nationalität der Aktiengesellschaft auf Grundlage der Fiktionstheorie ablehnt. S. a. Thaller, Revue politique et parlementaire 1917, Heft 93, 5, 8 f.: «Parler de nationalité pour une société, pour un être fictif, c’est commettre un non sens (. . .) il y a entre l’idée de nationalité et celle de personne fictive ou abstraite, une impossibilité d’adaption, une antinomie. La nationalité procède de la famille agrandie. (. . .) Le compatriote est un frère. Pas plus qu’une société ne possède un statut de famille, ne peut être mère, fille, tutrice, pas plus elle ne saurait prétendre au statut sous lequel les individus d’une même nation sont placées. Na nationalité est faite de traditions, de moeurs communes, d’un esprit propre aux hommes qui font partie de l’Etat, différent de l’esprit des autres Etats, des autres races. Tout cela sonne à faux lorsqu’on veut qu’une personne fictive en donne l’expression.»
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Staatsangehörigkeit der juristischen Person des Privatrechts ins Feld geführt: «La personne morale est incapable d’avoir une nationalité, parce qu’elle est incapable de tout sentiment d’affection envers une nation, parce qu’elle ne peut ni remplir les devoirs de loyalisme et les obligations militaires ni exercer les droits de citoyen qui sont le corollaire de ce lien politique.»1124 Niboyet hielt vor allem für maßgeblich, dass der natürlichen Person von der französischen Rechtsprechung niemals eine Nationalität zuerkannt wurde, die – unabhängig von ihrem Heimatrecht und Willen – allein aus Sicht der französischen Rechtsordnung die passende sei; da die Rechtsprechung bei der Bestimmung des auf Gesellschaften anwendbaren Rechts isoliert auf das von ihr gewählte Sitzkriterium abstellte, würde der Nationalitätsbegriff der natürlichen Personen gänzlich unterschiedlich verstanden und behandelt und könne demnach niemals auf die juristische Person übertragen werden.1125 Die Befürworter hingegen gingen auch bei der juristischen Person des Privatrechts, welche der natürlichen Person weitestmöglich gleichzustellen sei, von dem Bestehen einer Nationalität aus. Mazeaud führte gegen die Fiktionstheorie an, dass die persönlichen Rechte des Menschen auch nur auf einer juristischen Konstruktion basierten: «Ce n’est qu’en vertu d’une construction juridique que les êtres humains sont dotés de la personnalité, et c’est une construction juridique toute semblable qui octroie cette même personnalité aux êtres collectifs. Si l’on voulait la traiter de fiction et la considérer comme incapable de donner une existence à la personne qu’elle crée, la personne physique, distincte de l’être corporel, apparaîtrait comme aussi inexistante que la personne morale, distincte de la collectivité d’êtres corporels. (. . .) La personne est toujours une abstraction juridique, le centre des droits et des obligations d’un même être physique ou d’une même collectivité.»1126 1124 So fasst Mazeaud, Clunet 55 (1928), 30, 36, die Argumente der Gegner der Nationalität einer Aktiengesellschaft zusammen, fügt aber selbst hinzu: «Il est évident que, parmi les droits et les obligations dont le caractère est exclusivement politique ou militaire ne sauraient être appliqués aux personnes morales: une Société n’est ni un électeur ni un soldat. Mais, pour en conclure que les personnes morales n’ont pas de nationalité, il faudrait démontrer, autrement que par affirmations, que ces droits et obligations politiques constituent l’essence même de la nationalité. Une pareille démonstration est loin d’être faite, car elle conduirait à confondre la nationalité, qui est un lien juridique, avec le patriotisme, qui est un lien de sentiment.» 1125 Niboyet, RCDIP 22 (1927), 402, 407 f. Die französische Rechtsprechung kümmerte sich bei der Bestimmung des Gesellschaftsstatuts zunächst nur um eine Lösung aus Sicht der eigenen Kollisionsregel, unabhängig davon, welcher Verweisungsregel die aufgefundene Rechtsordnung (i. S. e. Gesamtverweisung) folgen würde. Der „renvoi“ wurde im Zuge der fortschreitenden Entwicklung des internationalen Privatrechts im französischen internationalen Gesellschaftsrecht erstmals in den Jahren 1965 und 1984 in Zusammenhang mit der Banque Ottomane von der Cour d’Appel de Paris problematisiert, vgl. hierzu Pohlmann (1988), S. 56–58 m. entspr. N. 1126 Mazeaud, Clunet 55 (1928), 30, 34 f.
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Die Fiktionstheorie sei also kein seriöses Argument gegen das Zugeständnis der Nationalität an Aktiengesellschaften, zumal die «existence juridique des personnes morales (. . .) correspond du reste aux réalités du monde économique.»1127 Zudem könne die Aktiengesellschaft Rechtsträgerin im zivilrechlichen Sinne sein, was den Nationalitätsbegriff sehr wohl ausfülle.1128 Die Literatur war demnach bezüglich der Übertragbarkeit des Staatsangehörigkeitskonzeptes auf Gesellschaften gespalten. (b) Bestimmung der lex societatis unter dem formalen Gesichtspunkt der Staatsangehörigkeit Die Frage, ob eine Aktiengesellschaft nun eine eigene „echte Staatsangehörigkeit“ besitzen konnte oder ob man lediglich von einer funktionell gleich gestellten Anknüpfung an die für die Verhältnisse der Gesellschaft anzuknüpfende Rechtsordnung sprechen sollte, wurde von der schieren Notwendigkeit des Auffindens eines für die Organisation dieser (gemäß des Gesetzes von 1857 grundsätzlich anerkannten) Gesellschaftsform maßgeblichen Normengefüges überlagert.1129 Die Terminologie spielte demnach keine Rolle, denn es führte kein Weg daran vorbei, dass man zwischen „einheimischen“ und „fremden“ Gesellschaften unterscheiden musste: «Toutes les règles relatives à la constitution, au fonctionnement, au mode de gestion, à la capacité de cet être de raison sont en principe édictées par sa législation nationale et applicables quel que soit le lieu où il poursuit sa fin, à l’exclusion de la législation locale. Tel est le principal intérêt qu’offre cette détermination [de la nationalité des sociétés]. Ce n’est pas le seul. Une société, une association, une fondation étrangère sont traitées suivant la condition imposée aux étrangers, notamment au point de vue de compétence. C’est ainsi que les articles 14 et 15 du code civil français leurs sont applicables. L’exercice de certains droits peut ainsi leur être interdit tout comme aux autres étrangères.»1130 1127
Mazeaud, Clunet 55 (1928), 30, 35. Vgl. etwa Despagnet (1891), Nr. 64, S. 83; Popesco (1911), S. 120; Mazeaud, Clunet 55 (1928), 30, 37 f., weist darauf hin, dass die Nationalität auch zivilrechtliche Befugnisse eines Staatsangehörigen regele: «La nationalité d’un individu révèle la loi civile qui lui est applicable; n’est-ce pas une question aussi importante que celle de la loi militaire à laquelle il se trouve soumis?» 1129 S. Arminjon, RDIL 1902, 381, 383, der feststellt: «Sans doute, il importe souvent de déterminer la loi par laquelle telle société est régie, la juridiction devant laquelle elle sera assignée, les impôts dont elle sera grevée; on la traitera donc à ces différents points de vue de nationale ou d’étrangère, mais il doit être bien entendu que ce sont là de simples façons de parler. Ces mots nationalité, statut personnel d’une association, d’une société ou d’une fondation désignent tout simplement la législation aux termes de laquelle sont réglés en principe la formation, les effets, la dissolution de ces personnes morales.» 1130 S. Arminjon, RDIL 1902, 381, 383 f. [Hinzufügung durch Verf.]. S. a. Thaller, Annales de droit commercial 4 (1890), 257, 258: [La loi applicable] doit montrer en1128
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Es ging also nicht allein um die Bestimmung der für die Organisation der Gesellschaft maßgeblichen Rechtsordnung, sondern auch um prozess- und fremdenrechtliche Erwägungen; das Hauptaugenmerk lag aber auf der Identifikation der Rechtsordnung, unter die die Funktionsweise der Gesellschaft mithilfe des Kriteriums der (gegenüber den natürlichen Personen zumindest inhaltlich nicht deckungsgleichen) „Nationalität“ unterworfen sein sollte.1131 Somit stellten selbst die Gegner des Nationalitätsbegriffs für die Aktiengesellschaft fest: «Cela dit, qu’on n’abandonne pas pour autant la terminologie courante. Elle est commode. Une société est française, anglaise, etc. . . .»1132 Die Gerichtspraxis, die Gesellschaften scheinbar selbstverständlich eine Nationalität zuwies, wurde also im Ergebnis auch von der überwiegenden Lehre gebilligt. (3) Zusammenhang zwischen der Staatsangehörigkeit einer Gesellschaft und der Wahl des Anknüpfungsgegenstands Wie gerade dargelegt, war es also in der französischen Literatur und Rechtsprechung weitgehend anerkannt von der Staatsangehörigkeit einer Gesellschaft core les limitations mises au droit d’agir ou de plaider, si on est en face d’un être étranger, et surtout la juridiction compétente à l’effet de prononcer la faillite de la société – dans un état de jurisprudence acceptant en droit international le principe strict de l’unité de la faillite. » [Hinzufügung durch Verf.]. 1131 Vgl. Pillet (1914), Nr. 79 f., S. 118 f.: «Quand on parle d’une société étrangère on suppose établie la qualité d’étrangère de cette société et on la rattache à un pays détermineé. Il faut (. . .) que l’on sache si une société est, dans un pays déterminé, nationale où étrangère pour fixer quelle est la loi qui la régit. (. . .) Non seulement chaque société est au moment de sa formation, tenue de respecter la loi du pays où elle constitue une société nationale, mais inversement, elle n’est jamais tenue de respecter que cette loi; de telle sorte que, lorsqu’une société donnée se livre au commerce international, on ne peut pas, dans d’autres pays, reprocher à ses fondateurs de n’avoir pas tenu compte, au moment de sa formation, des exigences des législations qui n’étaient pas nationales à son égard. C’est là le principe indiscuté, le principe nécessaire, car nous ne saurions trop l’affirmer, une impossibilité matérielle s’oppose à ce qu’une société soit soumise simultanément à l’empire de plusieurs lois quant à sa formation.» S. a. Weiss (1909), S. 320: «Est étrangère toute société formée avec l’assentiment exprès ou tacite d’un État étranger, qui, en lui donnant l’existence, lui communique en même temps sa nationalité. » Vgl. zuletzt Popesco, S. 120: «Qualifier celles-ci [les sociétés] d’étrangères, n’est-ce pas leur attribuer une nationalité? Il est inexact de dire qu’elles ne possèdent pas d’État; elles en ont un, mais différent de celui des personnes physiques. La différence vient de leur nature. Ce sont des établissements doués de la personnalité en vue d’un but déterminé et sous le contrôle de l’autorité publique. Les élements qui déterminent leur capacité, but, règles de leur activité, restrictions dont elles sont l’objet sont suffisants pour leur fournir un État.» 1132 Thaller, Revue politique et parlementaire 1917, Heft 93, 5, 10; ähnlich Streit, RDIL 1928, 494, 502: «On peut bien (. . .) parler d’une nationalité d’une personne morale dans ce sens que ces êtres fictifs sont traités par la jurisprudence, dans la théorie du droit et dans la pratique, comme s’ils possédaient une nationalité. » (Hervorhebung des Verf.). S. a. Loussouarn/Bredin (1969), Nr. 241, S. 258 ff.
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(zumindest im modifizierten technischen Sinne) zu sprechen. Konnte diese Sichtweise die Wahl des Sitzes der Gesellschaft als Anknüpfungspunkt der „Nationalität“, sprich der für die Gesellschaft maßgeblichen Rechtsordnung, entscheidend prägen? (a) Verbindung zwischen dem Nationalitätsbegriff und der Gründungstheorie Einen Zusammenhang zwischen dem Zugeständnis einer „Nationalität“ an eine Gesellschaft und der sich im anglo-amerikanischen Rechtsbereich entwickelnden Gründungstheorie stellten all jene Autoren her, die bereits in der Konzessionserteilung an eine Gesellschaft das entscheidende Kriterium der Nationalitätsbestimmung erblickten. Da das Konzessionserfordernis im Zuge der Liberalisierung der europäischen Aktienrechte obsolet geworden sei, müsse jenes Recht des Landes auf die Gesellschaft angewendet werden, nach welchem sich die Gesellschaft bei ihrer Entstehung gerichtet hatte.1133 Der französische Autor Demogue konstatiert entsprechend: «une société se constitue régulièrement en suivant les dispositions d’une loi déterminée (. . .). Une société est donc libre de se constituer suivant la loi qui lui plaît (. . .)».1134 Ein Abstellen auf den siège social der Gesellschaft halte er für unrichtig; bei einer solchen Beurteilung hätte man sich nur von einer „fehlerhaften Analogie“ des Nationalitätsgedanken leiten lassen und daher die Zugehörigkeit einer Gesellschaft zu einem Staat als von Gesetzes wegen „aufgezwungen“ angesehen.1135 Im Rahmen einer solchen Konzeption verkenne man aber die essentiellen Unterschiede von natürlicher Person und Gesellschaft, da es für die Gesellschaft keine vorgefertigten Anknüpfungspunkte für die Nationalitätsbestimmung gäbe (z. B. die Abstammung).1136 Die – mangels für die Gesellschaft bestehender gesetzli1133 Diesen Gedankengang beschreibt Pillet (1914), Nr. 88, S. 130, wenn er sagt: «Les véritables difficultés ne se sont produites qu’avec l’abandon du système de l’autorisation préalable; dès lors on s’est trouvé privé d’un élément d’appréciation fort utile pour déterminer la nationalité des sociétés. Mais on aurait pu, en s’en inspirant, rattacher la nationalité de la société aux circonstances de sa fondation.» 1134 Vgl. Bemerkung von Demogue, in: Sirey 1908.2.177 ff., dort Fußnote 1–6. Dennoch kann man Demogue keinesfalls als Anhänger der „reinen“ Gründungstheorie auffassen, denn er verlangt ein legitimes Interesse der Gesellschaft an einer solchen Auslandsgründung, was sich nicht zwingend an einem Sitz im Ausland festmachen müsse, obwohl ein solcher Sitz wichtiges Indiz hierfür sein könne. 1135 Anmerkung von Demogue, in: Sirey 1908.2.177, dort Fußnote 1–6 (mittlere und rechte Spalte). 1136 Siehe Demogue, Sirey 1908.2.177, dort Fußnote 1–6 (rechte Spalte): «La nationalité de l’homme se détermine en général par des faits en eux-mêmes très précis, qui n’ont pu exister que dans un pays: lieu de naissance, filiation, déclaration à l’autorité, décret de naturalisation. On peut donc dire, en géneral, que les lois donnent ici la sécurité aux individus au point de vue d’un pays déterminé, parce que, (. . .) elles ont pour assises des faits qui sont ou ne sont pas (. . .). On a tel père ou on ne l’a pas, on est né
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cher Anknüpfungspunkte – hilfsweise Anknüpfung an das (schwer bestimmbare) Domizil der Gesellschaft in Analogie zur Vorschrift des Art. 102 c. civ. sei daher höchstens zweckmäßig aber keinesfalls zwingend.1137 Überzeugender sei es, die Bindung der Gesellschaft an eine Rechtsordnung (allein) an die Erfüllung der Gründungsvorschriften anzuknüpfen.1138 Nach dem Wegfall der Konzession, die man als Akt der „Einbürgerung“ hätte auffassen können, war die Verbindung zwischen Staat und Gesellschaft in den Augen Demogues somit primär im Normativsystem verankert. Auch Pillet scheint zunächst – im Wege der Analogie zur Bestimmung der Staatsangehörigkeit eines Menschen – die Nationalität der Gesellschaft nach dem Domizil bestimmen zu wollen, hält dies aber für eine „Gleichsetzung aus Verwirrung“, die aus Bequemlichkeit entstanden sei, da man lieber dem Wege der Analogie gefolgt sei, anstatt autonom ein passendes Anknüpfungskriterium für die Gesellschaften zu entwickeln.1139 Tatsächlich entpuppt sich Pillet im Verlauf seines Werkes als Anhänger der Gründungstheorie.1140 Will man also dem Freiheitsgedanken der Gründer zum Durchbruch verhelfen, so kann man im Hinblick auf die grundsätzliche Bestimmung des Personalstatuts en France ou à l’étranger (. . .), etc. Rien de pareil pour les personnes morales, surtout si l’on considère que le régime des autorisations gouvernementales (. . .) a perdu considérablement de terrain; que, depuis le 24 juill. 1867, les sociétés par actions se constituent librement en France. Tout fait, précis, analogue à une naturalisation, ayant disparu, il faut, pour fixer la nationalité d’un groupement établir un lien entre lui et un État.» 1137 Insbesondere habe der Domizilbegriff seine Tücken, vgl. Demogue, Sirey 1908.2.177 f., dort Fußnote 1–6. 1138 Demogue, Sirey 1908.2.177, 179, dort Fußnote 1–6. 1139 Vgl. Pillet (1914), Nr. 82, S. 123: «C’est la confusion des notions de nationalité et de domicile en ce qui concerne les personnes civiles. Il est (. . .) impossible de rattacher la nationalité des sociétés comme celle des personnes physiques au lieu où elles naissent, car une société ne naît pas materiellement comme une personne vivante. On ne fait donc que reculer la question et non la résoudre, puisqu’il faut alors se demander quel est le lieu de naissance de la société. Or, avec cette nouvelle question, toutes les difficultés ressuscitent. On ne peut pas davantage admettre la possibilité d’une naturalisation pour les personnes purement civiles. On a en réalité absolument confondu à l’égard des sociétés les deux notions de nationalité et de domicile; de telle sorte que ce que l’on appelle nationalité des sociétés n’est, en réalité, qu’une espèce de domicile. Cette nationalité découle de l’établissement de la société dans un lieu déterminé. Il a donc fallu donner ici à la notion de nationalité un sens qu’elle n’a nulle part ailleurs et qui la rapproche par trop de la notion de domicile. » Vgl. zum Zusammenfall der Begrifflichkeiten „lex patriae“ und „lex domicilii“ bei der juristischen Person auch auf deutscher Seite Beitzke (1938), S. 25 und den Schweizer Mamelok (1900), S. 27. 1140 Pillet (1914), Nr. 108, S. 151: «En effet, souvent, pour ne pas dire toujours, la société se constitue et remplit les formalités légales dans le pays où elle établit d’abord son siège social, de telle sorte que l’on peut dire que, sous des noms différents, il y a équivalence entre la détermination de la nationalité par le pays de constitution ou par celui de siège social. Mais elles ne sont pas nécessairement les mêmes et il peut arriver que le siège social soit établi ailleurs qu’au lieu de constitution. En pareil cas, c’est à ce dernier seul qu’il faudra s’attacher.» (Hervorhebung d. Verf.).
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einer natürlichen Person nach deren Abstammung ein Anknüpfen an das Gründungsrecht der juristischen Person im Sinne der „Abstammung von einer bestimmten Rechtsordnung“ auch im französischen Recht konstruieren. Dieses Personalstatut soll dann der juristischen wie der natürlichen Person gemäß Art. 3 Abs. 3 c. civ. ins Ausland folgen.1141 (b) Verbindung zwischen dem Nationalitätsbegriff und der Sitztheorie Die Gegenansicht erblickte demgegenüber einen Zusammenhang zwischen dem Nationalitätsbegriff der Gesellschaft und ihrem domicile, welches als principal établissement im Sinne von Art. 102 c. civ. durch den Sitz der Gesellschaft abgebildet werde: «Domiciliée en France, son statut est français, et à ce domicile est attachée, s’il est permis d’ainsi parler, sa nationalité. »1142 Auch Foelix hatte die Parallele zwischen dem durch die Nationalität natürlicher Personen determinierten Personalstatut und der Anknüpfung des Gesellschaftststatuts bereits Mitte des 19. Jahrhunderts gezogen: «(. . .) personnes morales (. . .) jouissent en pays étranger des mêmes droits qui leur appartiennent dans le pays où ils ont leur siège ou domicile. »1143 Eine noch präzisere dogmatische Begründung für die Sitztheorie bietet Thaller, der ausgehend von der Bestimmung der Nationalität der natürlichen Personen den Weg zum Sitzkriterium skizzierte: Das französische Recht sehe als Ausgangspunkt der Bestimmung seiner Staatsangehörigen grundsätzlich das Abstammungsprinzip nach dem ius sanguinis vor, welches durch die Anknüpfung an das ius soli im Einzelfall ergänzt werde.1144 Das vorrangige Abstammungsprinzip hätte sich im französischen Recht aus gutem Grund gegenüber dem Geburtsortsprinzip durchgesetzt, denn die Staatsangehörigkeit dürfe nicht vom reinen Zufall abhängen: «Le lieu de naissance ne doit pas servir de critérium: 1141 S. Baudry-Lacantinerie, Bd. 1 (1885), Nr. 80, S. 41. Selbst wenn eine ausländische Person in Frankreich ihr Domizil hätte, so würden „état“ und „capacité“ nach wie vor durch das Recht ihrer Abstammung bestimmt, s. ders., Nr. 149, S. 76. 1142 Vavasseur, Clunet 2 (1875), 345, 346. Der Autor nimmt hier auf den Domizilbegriff des Art. 102 und 103 c. civ. Bezug, der im Hinblick auf eine nur künstliche Person erst recht gelten müsse, denn deren Identität manifestiere sich allein durch ihre äußere Einrichtung. 1143 Foelix (1847), Nr. 31, S. 44. Der Autor geht davon aus, dass Staatsangehörigkeit der natürlichen Person und ihr Domizil zusammenfallen, was damals in den meisten Fällen de facto zutraf, hingegen nicht zwingend der Fall sein muss. Der Neugeborene erwerbe aber durch die Abstammung von einem Franzosen zugleich französische Staatsangehörigkeit und das Domizil der Eltern als „domicile d’origine“ und sei an diese Abhängigkeit bis zur Volljährigkeit gebunden (Art. 108 c. civ.). Ort des Domizils des Individuums und Heimatland würden sich somit entsprechen, weshalb auch das Domizil der juristischen Person das Personalstatut bestimme; vgl. ders. (1847), Nr. 27 f. S. 54–58. 1144 Thaller, Annales de droit commercial 4 (1890), 257, 259. Vgl. hierzu auch bereits die in Fn 1102 genannten Vorschriften des code civil.
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quelle apparence y a-t-il qu’un enfant né à Gênes pendant le voyage des ses parents français soit lié à l’Etat italien d’une manière plus étroite que ses aînés nés en France?»1145 Es sei also bei natürlichen Personen nicht das zufällige Territorium der Geburt, sondern die wahre Verknüpfung zu sehen. Im Falle von Gesellschaften gelte dasselbe, d.h. nicht die Hülle einer willkürlichen Erfüllung örtlicher Gründungsvoraussetzungen dürfe die Nationalität definieren, sondern eine tatsächliche Verbindung mit dem spezifischen Ortsrecht müsse Anknüpfungsmoment sein: «Pour un individu, nous avons la filiation comme signe déterminant. Ce signe pour une personne morale nous manque, la nationalité des individus qui la composent ne pouvant équivaloir à celle de l’être collectif lui-même. Faute de cet élément fixé par le sang et par le hérédité, il faut se rabattre sur un autre. Or ce qui dans l’état civil de l’individu vient immédiatement après la nationalité, c’est le domicile. Le domicile emportera pour les sociétés la nationalité et permettra de l’établir. Où la société a son domicile, là elle a pris son brevet d’indigénat, elle a dû se fonder en conformité des lois de ce domicile, elle sera administrée et liquidée selon ces lois, elle sera mise en faillite d’après cette même législation. »1146 Auch Leven vertrat die Auffassung, dass das Recht der Gründung kein passendes Anknüpfungsmerkmal für die Gesellschaft sei: «Pour les sociétés, le domicile prend une importance capitale: il crée une véritable dépendance à l’égard de l’État où il est établi. Il n’y a pas, en effet, pour elles de jus sanguinis, de ces liens de filiation qui rattachent un individu à une patrie. Le lieu de rédaction de l’acte social qu’on voudrait comparer au lieu de naissance ne saurait lui être assimilé, ce n’est qu’un élément dans la formation de la société, il laisserait enfin une place trop grande à toutes les fraudes possible.»1147 Das auf die Gesellschaft anwendbare Recht bestimme sich demnach nach ihrer „Nationalität“, welche einzig als das Recht ihres Domizils aufzufassen sei. Das Domizil der Gesellschaft sei ihr Sitz, da dieser das Zentrum ihrer Geschäfte dar1145
Thaller, Annales de droit commercial 4 (1890), 257, 259. Thaller, Annales de droit commercial 4 (1890), 257, 260 (Hervorhebung des Verf.). Ähnlich Lyon-Caen/Renault, Bd. 2/2 (1909), Nr. 1167, S. 577: «C’est le pays du domicile d’une société qui doit, en principe, servir à fixer la nationalité (. . .). A proprement parler, une société n’a pas une nationalité comme en a une un individu; elle a un domicile qui doit servir à déterminer le pays auquel elle se rattache et, par suite, les lois qui lui sont applicables.» S. a. Cuq (1921), S. 35: «Mais si l’on peut s’inspirer de la situation des personnes physiques, rien n’oblige à la copier servilement. Or, il existe un mode de rattachement à une souveraineté (. . .) qui était le principal autrefois: c’est l’établissement sur le territoire national. Avant la Révolution la souveraineté s’étendait sur tous ceux qui naissaient et habitaient dans le royaume. Pourquoi cette souveraineté ne conserverait-elle pas son empire à l’égard des sociétés? Et le lien juridique qui rattachera la personne morale à l’État sera le domicile. » 1147 Leven (1926), S. 75; s. a. Loussouarn/Bredin (1969), Nr. 249, S. 266 f., die über das „ius soli“ auf das „domicile“ der Gesellschaft und damit auf den „siège social“ abstellen. 1146
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stelle und somit im Sinne des Art. 102 c. civ. als principal établissement aufzufassen sei: «(. . .) le domicile (. . .) est considéré comme étant le centre des affaires de la personne. Or les patrimoines collectifs, cachés derrière la fiction de la personnalité, sont administrés et l’administration est centralisée dans un endroit où se trouvent le bureau et les livres, où se tiennent les administrateurs: c’est qu’on appelle le siège de l’établissement ou de l’association (. . .), cet endroit tiendra lieu de domicile.1148 Die Anhänger des Nationalitätsbegriffes für Gesellschaften, die die Sitzanknüpfung befürworteten, gelangten demnach durch eine zweifache Gleichsetzung der Rechtsinsititute für natürliche Personen (Nationalität und Domizil sowie Domizil und Sitz) zur Sitztheorie.1149 (c) Stellungnahme zur Bewertung durch Großfeld, Luchterhandt und Sandrock Vereinzelt hat die Wissenschaft gegen Ende des 20. Jahrhunderts zu einem möglichen Kontext von Nationalitätsgedanken und internationalprivatrechtlicher Anerkennungstheorie Stellung bezogen.1150 Laut Großfeld besteht kein Zusammenhang zwischen der Möglichkeit einer „Staatsangehörigkeit“ einer Gesellschaft und der Entscheidung für Sitz- oder Gründungstheorie.1151 Luchterhandt und Sandrock hingegen halten einen Zusammenhang zwischen Zugeständnis der Nationalität und Sitztheorie für manifest.1152 Der Ansicht Großfelds ist m. E. hinsichtlich der französischen Entwicklung zuzustimmen. Zwar beschreiben viele zeitgenössische Autoren die Entwicklung des Sitzkriteriums damit, dass dieses in Form des Domizilprinzips, welches das alte Recht ausschließlich auch auf die natürlichen Personen angewendet hatte, weiterhin auf Gesellschaften angewendet wurde. Begründet wird diese Vorgehensweise mit den Spezifika der juristischen Person, die keine Abstammung i. S. d. ius sanguinis gleich einer natürlichen Person haben könne. Daher solle man auf das für die natürliche Person subsidiäre Anknüpfungskriterium des Do1148 Siehe Planiol, Bd. 1 (1925), Nr. 3047, S. 1003; ausführlich geht auch Pepy (1920), S. 18 ff., auf den Zusammenhang zwischen Nationalität und Domizil sowie Domizil und Sitz der Gesellschaft ein. 1149 So mit weniger ausführlicher Begründung auch Despagnet (1891), Nr. 64, S. 83. 1150 Dies trifft vor allem für die deutsche Literatur zu. Die französischsprachigen Werke zum internationalen Gesellschaftsrecht weisen v. a. auf die Zweckmäßigkeit der parallelen Behandlung von Personal- und Gesellschaftsstatut im Allgemeinen bzw. im Lichte von Artikel 3 code civil sowie dem späteren Artikel 3 des Gesetzes vom 24. Juli 1966 hin (so etwa Loussouarn, in: Recueil des cours 96 (1959-I), S. 447, 460 ff.; Menjucq (2008), Rn 33 f., S. 33 f., Rn 37, S. 36), äußern sich aber nicht direkt zu der Frage, ob der Schluß vom Nationalitätsbegriff der Gesellschaft zum Sitz zwingend war. 1151 S. Großfeld, in: FS Westermann (1974), S. 199, 207 f.; s. a. M. J. Ulmer (1998), S. 108. 1152 S. Luchterhandt (1971), S. 25 und Sandrock, RIW 1989, 505, 506.
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mizils ausweichen. Viele dieser Autoren weigern sich aber de facto eine „echte“ Staatsangehörigkeit der Gesellschaft anzuerkennen, sondern verweisen auf die praktische Notwendigkeit, eine Gesellschaft der Kompetenz einer bestimmten Rechtsordnung zuzuweisen, weshalb man den direkten Schluss von der Staatsangehörigkeit auf die Sitztheorie für diese Autoren nur bedingt ziehen kann.1153 Auf der anderen Seite war die beschriebene Argumentation keinesfalls zwingend. Auch unter Bezugnahme auf das Staatsangehörigkeitskonzept konnte man gerade zur Anwendung der Gründungstheorie gelangen, indem man für die juristischen Personen die Erfüllung der örtlichen Gründungsvoraussetzungen als deren „Geburtsstunde“ anstelle der Abstammung von französischen Eltern setzte.1154 Umgekehrt ließ auch die Verwerfung des Nationalitätskriteriums, insbesondere durch Anhänger der Fiktionstheorie, den Schritt zur Gründungstheorie zu.1155 Das Staatsangehörigkeitsprinzip der natürlichen Personen war mangels besonderer gesetzlicher Regelung der Bestimmung des Personalstatuts von juristischen Personen – sofern man die juristische Person nicht von Art. 3 ff. code civil erfasst hält – jedenfalls dankbarer Ansatzpunkt für die Etablierung der beiden herrschenden Anerkennungstheorien. Indes hätte aber kein rechtlicher Zwang dazu bestanden, an diesem Kriterium anzusetzen, was nicht zuletzt der Streit um die Frage, ob der juristischen Person überhaupt eine Staatsangehörigkeit zukommen kann, demonstriert. Letztlich ging es allein um die Bestimmung des Organisationsstatutes der Gesellschaft, was man sowohl unter Zwischenschaltung des weiterhin ausfüllungsbedürftigen Kriteriums der Staatsangehörigkeit als auch ebenso ohne dieses bewerkstelligen konnte. Denn gleichgültig ob man dieses „Zwi1153
Niboyet, RCDIP 22 (1927), 402, 409, 417, lehnt eine Nationalität der Gesellschaft vehement ab und verweist anstelle von einer Parallele zur natürlichen Person auf den vertraglichen Charakter der Gesellschaft, will aber dennoch das Sitzkriterium zur Bestimmung des Personalstatuts zulassen. Auch Planiol/Ripert, Bd. 1 (1952), Nr. 83, S. 99 f., stehen dem Nationalitätsbegriff skeptisch gegenüber, nennen aber den Sitz als (u. a.) passendes Anknüpfungskriterium. 1154 Vgl. die Nachweise zu Demogue in Fn 1134; s. a. die Erläuterungen von Mazeaud, in: Clunet 55 (1928), 30, 47 und Leven (1926), S. 75, die die Verknüpfung zwischen Staatsangehörigkeit und der Erfüllung der Gründungsvoraussetzungen darstellen, dieses Band aber nicht allein für ausreichend halten. 1155 Vgl. einerseits Vareilles-Sommières (1902), Nr. 1503, S. 645: «La vérité est que, la personne morale n’étant qu’un résumé et une répresentation des associés, n’étant qu’eux-mêmes fondues par l’imagination en un seul être, elle n’a point de nationalité propre, elle n’a aucune autre nationalité que la leur, ou plutôt elle n’a aucune nationalité, car elle n’est qu’un procédé intellectuel, qu’une image dans notre cerveau. Seuls les associés ont une nationalité. ». Andererseits stellt ders., in Nr. 1504, S. 645, fest, dass die Nationalität der Gesellschafter nicht passendes Anknüpfungskriterium sein kann, wenn diese unterschiedlicher Nationalität sind oder – wie bei Aktiengesellschaften denkbar – sogar unbekannt sind: «En pareil cas, il faut traiter la totalité d’après la nationalité de l’élément prédominant; et, dans le doute, on doit présumer, que l’élement dominant est emprunté au pays où s’est formé l’association.» (Hervorhebung des Verf.).
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schenkriterium“ der Staatsangehörigkeit zulässt oder nicht, so bedarf es doch für die juristische Person eines anderen Anknüpfungsmoments als das ius sanguinis.1156 In der Entwicklung und der Wahl dieses Anknüpfungsmomentes wiederum waren die französische Literatur und Rechtsprechung mangels bestehender gesetzlicher Regelungen aber grundsätzlich frei. Aus diesem Grunde wurden in der Folgezeit auch verschiedenste Anknüpfungstheorien vertreten, die nicht an den Verhältnissen der natürlichen Personen anknüpften.1157 Entscheidend für den Siegeszug von Sitz- bzw. Gründungstheorie waren aber wohl die Hintergründe, die auch bei der Bestimmung der persönlichen Rechtsstellung natürlicher Personen maßgebend sind: Für die Auswahl eines passenden Anknüpfungskriteriums zur Bestimmung des Personalstatuts einer Rechtsperson kommt es wesentlich darauf an, dass dieses Kriterium eine möglichst beständige Verbindung mit der betreffenden Rechtsordnung gewährleistet.1158 Unabhängig davon, ob man den Umweg über das Kriterium der Staatsangehörigkeit wählte oder nicht, so konnte sowohl die Anknüpfung an das Gründungsrecht als auch die Anknüpfung an das Domizil – verstanden als Sitz der Gesellschaft – dieser Anforderung sehr gut Rechnung tragen.1159 Da beide Anknüpfungsmomente zu1156 Vgl. hierzu etwa Loussouarn (1949), Nr. 40, S. 87. Der Autor hält das Abstellen auf die Nationalität, die für Gesellschaften nicht durch das ius sanguinis bestimmt werden könne, für einen unnötigen Zwischenschritt, da man durch sofortige Anwendung des Rechts des Domizils im Kollisionsrecht zu der gleichen Anknüpfung gelangen könne. 1157 Vgl. hierzu unten Gliederungspunkt B. II. 1. d). 1158 Vgl. nur de Winter, in: Recueil des cours 128 (1969-III), 347, 482, der als Anhänger des Domizilprinzips zum Ziel der Stabilität der Anknüpfung äußerte: „As for the requirement of stablitity, I should like to add that the connection with a person’s social domicile guarantees at the same time a large measure of continuity.“ 1159 Vgl. zur Sitzanknüpfung etwa Cuq (1921), S. 35 und Streit, RDIL 1928, 494, 511: «Le siège social constitue le lien le plus étroit, le plus solide, le plus durable entre une société commerciale et un pays, celui qui, pour ces motifs devrait être pris en considération de préférence à tout autre pour la détermination de la nationalité de la société commerciale comme pour la détermination de son domicile. Nationalité et domicile, semblent, en effet, se confondre en une seule notion presque sur toute la ligne pour les personnes morales.» Hinsichtlich der Legitimation der Anknüpfung an das Gründungsrecht vgl. Rigaud (1943), S. 375: «La nationalité des sociétés serait ainsi déterminée par son lieu de constitution. C’est là, dit-on, que la société prend naissance. Pour les personnes physiques, la nationalité se détermine tantôt par la filiation (jus sanguinis), tantôt par la naissance sur un certain territoire (jus soli). Pour une personne morale il ne peut être évidemment question de filiation et sa nationalité ne peut se déterminer que par son attache avec la pays où elle a été constituée; cette attache fait pour elle fonction de jus soli. Ainsi, le système anglais, dit de „l’incorporation“ fait dépendre la nationalité de la société du lieu où elle a été enregistrée (incorporated); l’enregistrement tient lieu de naissance.» (Hervorhebung des Verf.). In Frankreich selbst existiert ein Handelsregister erst seit 1919/20 und seit 1966 schreibt das französische Gesetz die Registrierung als konstitutiv für das Entstehen einer französischen Gesellschaft vor (zur Kritik hierzu s. Ducouloux-Favard (1992), S. 43, 47 f.); zuvor hätte aber aus Sicht einer Gründungsanknüpfung (nur) die Erfüllung der Gründungsvoraussetzungen des Gesetzes
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dem mithilfe einer Analogie zur Anknüpfung der persönlichen Rechtsverhältnisse einer natürlichen Person erklärt werden konnten, kam es darauf an, welche weiteren Aspekte zusätzlich berücksichtigt werden sollten:1160 die Freiheit der Gründer oder die Interessen des Staates, in welchem die Gesellschaft tatsächlich ökonomische oder rechtliche Wirkungen entfaltete. Betont man nun die Tatsache, dass diejenige Rechtsordnung die persönlichen Verhältnisse regeln soll, in derem Wirkungsbereich die natürliche Person tatsächlich tätig wird, so öffnet sich parallel für die juristische Person der Weg zur Sitztheorie.1161 Schließlich gewährleistet sie das Auffinden der sachgerechtesten Rechtsordnung und verhindert „Betrugsfälle“ am eigenen Gesellschaftsrecht.1162 Voranstehende Erwägungen lassen demnach folgenden Schluss zu: Zwingende dogmatische Gründe für die Anknüpfung des Gesellschaftsstatuts an das Staatsangehörigkeitskonzept für die natürliche Person gab es nicht, doch bietet sich mangels gesetzlicher Regelung stets ein Anknüpfen an ähnliche Rechtsinstitute im Wege der Analogie als probates Mittel an. Zudem erscheint – das Staatsangehörigkeitskonzept unterstellt – sowohl ein Anknüpfen an das Gründungsrecht im Sinne der „Abstammung von einer bestimmten Rechtsordnung“ (ähnlich Art. 10 Abs. 1 c. civ. Ursprungsfassung) als auch an das Domizil einer Gesellschaft als weiteres Anknüpfungskriterium für die Staatsangehörigkeit als nachvollziehbarer Ansatzpunkt (ähnlich Art. 9 c. civ. Ursprungsfassung).1163 Zwar wurde für die von 1867 an die Stelle der Registrierung im Handelsregister treten können, um die Gesellschaft auch kollisionsrechtlich französischem Recht zu unterwerfen. 1160 Vgl hier auch Großfeld, in: FS Westermann (1974), S. 199, 206. 1161 Vgl. hierzu Demangeat, Revue pratique de droit français 1 (1856), 49, 65 f. Der Autor stellt die Frage, welcher Umstand für die natürliche Person ihre persönliche Rechtsstellung bestimmen soll und betont, dass sich Schwierigkeiten nur dann ergeben, wenn Staatsangehörigkeit und Domizil auseinanderfallen. Aus Art. 13 c. civ., der dem Ausländer mit Domizil in Frankreich die gleichen Rechte wie dem Franzosen zugestehe, sei zu schließen, dass bei einer Diskrepanz von Staatsangehörigkeit und Wohnsitz im Staatsangehörigkeitsgebiet das Recht des gewählten Domizils für das Personalstatut ausschlaggebend sei: «Quand la loi personnelle sert à nous révéler l’intention de l’individu, on dira sans difficulté que c’est la loi du domicile et non la loi de patrie qui doit être considérée comme loi personnelle. Mais la difficulté se présente lorsqu’il faut recourir à la loi personnelle pour régler une question d’état ou de capacité. Même à ce point de vue (. . .), je crois que c’est à la loi du domicile qu’il faut s’attacher. En effet, l’intention des rédacteurs de l’art. 13 paraît bien avoir été que l’étranger dont il s’agit fût complétement assimilé au Français en ce qui concerne le droit privé; et cet étranger lui-même a bien énergiequement manifesté sa volonté d’être gouverné désormais par la loi française.» Ein Gegensatz zu Art. 3 Abs. 3 c. civ., nach der das Personalstatut den Franzosen auch ins Ausland folge, sei nicht zu erkennen, da Art. 3 Abs. 3 c. civ. von „résidant“ und nicht „domicilé“ spreche. Vgl. aber auch den Nachweis in Fn 1141, der gerade das Gegenteil aussagt und somit i. S. d. Gründungstheorie eingesetzt werden kann. 1162 So schon Namur, Clunet 4 (1877), 381, 384, der die Kodifikation der belgischen Sitztheorie 1873 mit dem Ziel der Verhinderung von Gesetzesumgehungen erläutert. 1163 Zum Wortlaut der beiden Normen der Originalfassung des code civil, vgl. bereits Fn 1101 und 1102.
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Anerkennung im weiteren Sinne nach der französischen Rechtsprechung die wirksame Gründung nach einer bestimmten Rechtsordnung sowie die Etablierung des Sitzes in dem Gründungsland gefordert, indes kam es bei der juristischen Person nicht zu einer Verdopplung der Voraussetzungen an ihre „Nationalität“. Die wirksame Gründung nach einer bestimmten Rechtsordnung war ja nach h. M. eine der Voraussetzungen des Anerkennungsgesetzes von 1857 und damit notwendige Vorbedingung der Behandlung einer juristischen Person nach einer kollisionsrechtlich bestimmten Rechtsordnung. d) Bestimmung der maßgeblichen Anknüpfung der lex societatis Anfang des 20. Jahrhunderts begannen sich die französischen Autoren im Dunstkreis der Diskussion um den Nationalitätsbegriff mit verschiedenen Anknüpfungskriterien zu beschäftigen. Die wichtigsten Konzepte sollen nachfolgend dargelegt werden, wobei der Fokus vor allem auf von der Rechtsprechung aufgegriffene Anknüpfungsmomente gelegt wird. aa) Freiheitliche Anknüpfungskonzepte (1) Gedanke der Vertragsfreiheit: freie Rechtswahl In der Literatur wurde bisweilen die These vertreten, dass die Gründer das auf die Gesellschaft anwendbare Recht frei in der Satzung festlegen könnten.1164 Dieser Anknüpfungsgedanke ist eng mit der vertraglichen Konzeption der Aktiengesellschaft in Frankreich verwoben:1165 «(. . .) ce système est fondé sur l’idée que la société étant un contrat, obéit comme les contrats ordinaires au principe dit de l’autonomie de la volonté.»1166 Diese Ansicht konnte sich aber nicht durchsetzen, weil man ganz überwiegend erkannte, dass die Gesellschaft kein „gewöhnlicher Vertrag“ sei, da hier Drittinteressen von enormer Bedeutung seien. Man befürchtete, dass diese Interessen verletzt werden könnten, wenn man mithilfe der freien Rechtswahl der Gesetzesumgehung freies Spiel lassen würde.1167
1164 Vgl. hierzu Lavollée, zitiert nach Schwandt (1912), S. 33; Arminjon (1928), S. 20 f.; Lerebours-Pigeonnière (1954), Nr. 175, S. 193; Rigaud (1943), S. 375. 1165 Art. 1832 c. civ. bestimmte: La société est un contrat par lequel deux ou plusieurs personnes conviennent de mettre quelque chose en commun, dans la vue de partager le bénéfice qui pourra en résulter. 1166 Rigaud, S. 375. 1167 Lyon-Caen/Renault, Bd. 2/2 (1909), Nr. 1164, S. 575, äußern für die Anwendbarkeit des Gesetz vom 24. Juli 1867 folgendes Szenario: «Cette loi pourrait de cette façon devenir une véritable lettre morte; on y échapperait à volonté quand elle semblerait gênante.»
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In der Rechtsprechung findet sich daher auch nur vereinzelt ein Urteil, welches das Gesellschaftsstatut allein am Gesellschaftsvertrag festmachen will.1168 (2) Ort des Vertragsschlusses (locus regit actum): Gründungsortsrecht Einige Autoren hielten das Ortsrecht der Satzungsvereinbarung für maßgebend und beriefen sich auf den althergebrachten Rechtsgrundsatz locus regit actum.1169 Hiergegen wurde ebenso eingewendet, dass diese Sichtweise der „speziellen Vertragsnatur“ der Gesellschaft nicht gerecht werde und dass diese Anknüpfung zu einem Verstoß gegen die öffentliche Ordnung führen könne.1170 Zwar wurde dieses Kriterium sogar auf den Aktiengesellschaftskongressen von 1889 und 1900 als mögliches Anknüpfungskriterium aufgegriffen, jedoch auch dort sofort verworfen, da zu dem Organismus der Aktiengesellschaft die Zeichnung und die Bezahlung der Aktien, die Aktionärsversammlung und Abstimmungen, kurzum mehr als die Abfassung der Satzung an einem bestimmten Ort gehöre.1171 Auch Thaller hielt diese Theorie für indiskutabel und erläuterte seine Auffassung anhand des folgenden Beispiels einer fiktiven Gründung: «Il est strictement impossible de voir en quoi reçoit au fond l’empreinte belge d’une société que des financiers de Lille se décideraient à conclure par l’entremise d’un notaire de Bruxelles, en prenant le chemin de fer le matin pour rentrer chez eux le soir. Empressons-nous de dire que des financiers n’agiront pas ainsi, s’ils sont d’honnêtes gens, et que l’entreprise n’ait aucune autre raison commerciale, financière où économique de se référer aux institutions belges que le convenance personnelle de recourir à l’expérience de tel notaire. La société ne pouvant être belge par ce seul accident éphémère de la confection de l’acte, devra publier ses statuts dans un pays différent, en France dans notre espèce.»1172 1168 Cass. Req., Urteil v. 17. Juli 1899, in: Clunet 26 (1899), 1024 f.: „Attendu que l’arrêt attaqué constate que (. . .) dans tous les cas, les trois associés ont entendu, aussi bien en France qu’en Colombie, être régis par la loi colombienne à laquelle ils se sont référés pour la constitution de l’arbitrage, les délais et les formalités de la sentence (. . .) qu’une telle convention n’ayant rien de contraire à l’ordre public (. . .)». 1169 Siehe hierzu etwa Leven (1926), S. 48 ff.; aus deutscher Sicht s. Schwandt (1912), S. 35. 1170 Vgl. hierzu Pic, Clunet 19 (1892), 577, 579; Gain (1924), S. 52 ff.; Leven (1926), S. 49–51; Mazeaud, Clunet 55 (1928), 30, 48; Thaller, Annales de droit commercial 4 (1890), 257, 259 f.; Cuq (1921), S. 50, und Leven (1926), S. 50, weisen zudem daraufhin, dass sich die Regel nur auf die nötige Form des Vertrages beziehe. 1171 Vgl. die entsprechenden Nachweise bei Thaller, Annales de droit commercial 4 (1890), 257, 259 f.; Leven (1926), S. 49, dort Fußnote 1; Schwandt (1912), S. 35, dort Fußnote 29 und Demogue, Anmerkung zum Urteil des Trib. Civ. de Lille v. 21. Mai 1908, in: Sirey 1908.2.177 f. dort Fußnote 1–6 auf S. 178 (mittlere Spalte). 1172 S. Thaller, Annales de droit commercial 4 (1890), 257, 259.
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Es fehle nicht nur an einem vernünftigen Bezugspunkt für die Anknüpfung an den Gründungsort, sondern es würden sich auch praktische Schwierigkeiten mit den nationalen Gesellschafts- und Steuerrechten einstellen.1173 Folglich sei dieser Anknüpfungsgegenstand zu verwerfen, denn sein wahrer Zweck bestehe in der Umgehung nationaler Regelungen: «Le fait par ces hommes d’aller confectionner leurs statuts en Belgique ne saurait donc s’expliquer que par le désir d’éluder à tous égards la loi française, soit pour la publicité, soit pour le reste. Alors, rien n’est dangereux comme de faire état du lieu où l’acte de constitution a été conclu pour la fixation de la nationalité de l’entreprise. On encourage une fraude consistant à faire passer la société pour belge, soit uniquement parce qu’elle a été constituée en Belgique, soit par l’adjonction d’un autre élément factice. »1174 Die Rechtswissenschaft betonte demnach den fehlenden substantiellen Bezug dieses Anknüpfungskriteriums zu den tatsächlichen Verhältnissen der Gesellschaft und den Umgehungsgedanken der nationalen Handels- bzw. steuerrechtlichen Vorschriften. In der Literatur wird als beispielhaftes Urteil für diese Anknüpfungstheorie bisweilen eine Entscheidung des Pariser Handelsgerichts genannt, doch stellt diese bei genauerem Hinsehen nicht allein auf das Kriterium des Vertragsortrechts ab.1175 Die Theorie fand demnach auch in der Rechtsprechung keinen Anklang. (3) Satzungssitz Eine weitere Ansicht der Literatur wollte allein auf den in der Satzung der Gesellschaft vereinbarten Sitz abstellen.1176 Da die Gründer den Satzungssitz aber frei und unabhängig von den tatsächlichen Gegebenheiten der Gesellschaft wählen können, wurden auch gegen diese Ansicht Einwände aufgrund des innewohnenden Missbrauchspotentials erhoben: «On ne peut (. . .) adopter cette idée comme règle de droit, il est impossible de laisser aux fondateurs d’une société 1173 Thaller, Annales de droit commercial 4 (1890), 257, 259: «Le greffier de Lille ne dressera le procès-verbal de dépôt que si les statuts ont été enregistrés en France: rédigés par l’acte authentique belge, il a fallu d’abord les soumettre à Bruxelles à l’enregistrement. Or on n’ira pas de gaieté de cœur se soumettre à une perception fiscale double, du moment qu’on peut en France même prendre l’opération dès ses débuts et ne pas sortir du pays.» 1174 Thaller, Annales de droit commercial 4 (1890), 257, 259; ähnlich kritisch LyonCaen/Renault, Bd. 2/2 (1909), Nr. 1166, S. 576 f. 1175 Vgl. Tribunal de commerce de la Seine, Urt. v. 24. Oktober 1896, in: Clunet 23 (1896), 138 f. Dort heißt es: «(. . .) l’être moral distinct de leur nationalité et qui est né de leur association [des membres], a été constitué par acte dressé à Paris établissant le siège social à Paris, lequel acte a été l’objet des formalités de dépôt et de publication exigées par les lois françaises; que, par sa constitution et son siège, leur Société est donc française.» [Hinzufügung durch Verf.]. Das Gericht stellt also neben dem Gründungsort auch auf den (zumindest satzungsmäßigen) Sitz ab. 1176 Vgl. hierzu etwa die Nachweise bei Arminjon, RDIL 1902, 381, 389.
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par actions la liberté d’en déterminer à leur fantaisie la nationalité: s’il suffisait de déclarer dans le pacte social que le siège de la société est fixé dans telle ville étrangère pour que la société fut nécessairement soumise aux lois étrangères, les fraudes seraient trop faciles et il serait aisé d’éluder les prescriptions législatives du pays dans lequel la société doit fonctionner.»1177 So hatte auch die französische Cour de cassation im Jahre 1857 im Rahmen der Feststellung der örtlichen Zuständigkeit nur formal auf den Satzungssitz abgestellt, doch tatsächliche Elemente betont.1178 Diese Wertung der Maßgeblichkeit des Satzungssitzes nur bei Übereinstimmung mit den wahren Verhältnissen konnte auch auf das Auffinden des Personalstatuts der Aktiengesellschaft übertragen werden.1179 (4) Gründungstheorie Das bekannteste freiheitliche Konzept, welches die Interessen der Gründer bei der Anknüpfung des Gesellschaftsstatutes bevorzugt, ist die Gründungs- oder auch Inkorporationstheorie. Diese Theorie unterstellt eine Gesellschaft, solange diese besteht, der Rechtsordnung, nach welcher sie gegründet worden ist. Da bis zum Übergang zum System der Normativbestimmungen die Konzession des Staates Gründungsvoraussetzung einer Aktiengesellschaft war – nach dem Übergang jedoch die Erfüllung der gesetzlichen Anforderungen für die rechtswirksame Gründung maßgebend wurde – kann man hier entsprechend differenzieren. (a) Unterwerfung unter die Rechtsordnung des Konzessionsstaates Einige Rechtsgelehrte sahen in der aktienrechtlichen Konzessionierung den maßgeblichen Akt für die Unterwerfung der Aktiengesellschaft unter die entsprechende Rechtsordnung.1180 Die Nationalität bestimme sich daher nach der Rechtsordnung des Staates, der der Gesellschaft die vorherige Autorisation erteilt hatte. Mit dem Zusammenbruch des Konzessionssystems war dieses Modell je1177
Siehe Castier (1884), S. 127 f. S. Cour de cassation, Urt. v. 4. Mai 1857, in: Recueil Dalloz 1857.1.401: «(. . .) Attendu que, dans l’acte de société, (. . .), le siège principal de la société (. . .) a été indiqué comme étant à Paris (. . .). Qu’en effet, un logement a été loué (. . .) [à Paris] et que c’était là qu’avaient lieu les délibérations du conseil de surveillance et l’assemblée générale des actionnaires (. . .).» Weitere Nachweise zur Rspr. auch in Fn 1061. 1179 Vgl. in diesem Zusammenhang Cuq (1921), S. 54: «Un siège nominal et fictif ne saurait constituer le domicile véritable d’une société. Il en est ainsi (. . .) en matière de nationalité; il en est de même en matière de compétence. » 1180 Vgl. Despagnet (1891), Nr. 64, S. 83; Pic, Clunet 19 (1892), 577, 578; Weiss (1909), S. 320; Cuq (1921), S. 47 f.; kritisch hierzu Arminjon RDIL 1902, 381, 387 f.; ders. (1928), S. 21 f.; Gain (1924) S. 56–58; Leven (1926), S. 47 f.; s. a. Schwandt (1912), S. 31 m.w. N. 1178
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doch auch für dessen Anhänger obsolet geworden, so dass es bereits aus diesem Grund nicht länger diskutiert werden musste. Wie bereits an anderer Stelle festgestellt, erscheint es jedoch auch aus rechtshistorischer Sicht nicht zutreffend, dass der Verleihungsgedanke ausschließliches Kriterium zur Bestimmung der Nationalität war. Vielmehr finden sich in der Rechtsprechung Urteile, die sich auch in der Epoche der Konzessionserteilung auf den Sitz einer Aktiengesellschaft beziehen.1181 Da die Gerichte traditionell für die Bestimmung des auf eine Personengesellschaft anwendbaren Rechts auf deren Sitz abgestellt hatten,1182 scheint ein solches Vorgehen auch für die société anonyme geeignet gewesen zu sein, zumal der Aktiengesellschaft in Frankreich ebenso wie der Personengesellschaft rechtskonstruktiv ein vertraglicher Charakter zugewiesen war. Die besondere Rechtsnatur der Aktiengesellschaft konnte insofern berücksichtigt werden, als dass die Konzessionierung zunächst zwar als Anknüpfungspunkt für die Nationalitätsbestimmung unter dem Konzessionssystem herangezogen wurde, es aber dennoch die (theoretische) Möglichkeit gab, bei einem missbräuchlich außerhalb des Konzessionslands gewählten Sitz der Gesellschaft die durch die formale Konzessionserteilung erhaltene Nationalität und damit die Rechts- bzw. aktive Parteifähigkeit der Gesellschaft nicht anzuerkennen. Wie bereits festgestellt, war die Konzessionserteilung aber regelmäßig von der Sitzwahl abhängig, was einem Auseinanderklaffen von Konzessions- und Sitzstaat von Vornherein entgegenwirkte. Dafür spricht auch, dass längst nicht alle französischen Autoren des frühen 20. Jahrhunderts die Auffassung der Verfechter der Theorie des Rechts der Konzessionsvergabe teilten. So äußert Gain unter dem Einfluss des „Kontrollgedankens“ folgende Bedenken: «En admettant que l’autorisation gouvernementale soit donnée avec toutes les garanties nécessaires – et l’on peut craindre le contraire de la part de certains pays éloignés – on ne peut priver un pays du contrôle sur une société qui ne se constituerait à l’étranger que pour exercer chez lui son activité. Et même réciproquement, il semble difficile de la part d’un Gouvernement, de conférer la nationalité de ses ressortisants à un groupement, en vertu du lien qui l’unissait à celui-ci, alors que ce groupement ne se constituerait et ne réclamerait le bénéfice et les avantages de cette nationalité que pour exercer son entreprise au loins, dans des pays où aucun contrôle ne serait possible de la part de l’État d’où dépendrait théoriquement la société.»1183 1181 Vgl. oben Punkte B. II. 1. b) aa) (1), B. II. 1. c) bb) (1) und Urteil des Trib. de la Seine vom 9. November 1846, in: Gazette des tribunaux, 10. November 1846 zitiert nach Sirey 1908.2.180 (Anmerkung Demogue). 1182 Urteil der Cour de cassation vom 26. Juli 1853, in: Sirey 1853.1.688. 1183 Gain (1924), S. 58; ähnlich Leven (1926), S. 48: «Mais l’exigence de l’autorisation subsisterait-elle encore qu’elle n’écarterait pas cependant toute difficulté. À quel gouvernement faut-il en effet s’adresser pour obtenir cette autorisation? Il y a lieu de le rechercher.»
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(b) Erfüllung der gesetzlichen Gründungsanforderungen einer Rechtsordnung Von der Theorie (der Rechtsordnung) der Konzessionserteilung als „veraltete Variante der Gründungstheorie“ war der Schritt zur „modernen Version“ nicht weit: die Behandlung der Gesellschaft nach dem Recht, dessen Gründungsvoraussetzungen sie bei ihrer Entstehung erfüllt hatte.1184 In Frankreich gab es nur wenige Befürworter. Pillet hing offen der Inkorporationstheorie an.1185 Daneben findet sich ein Beitrag eines unbekannten Autors aus dem Jahre 1888, der sich als Anhänger der Gründungstheorie ausgibt.1186 Rechtliche Erwägungen zieht der Autor nicht heran, sondern geht nur auf die einseitigen Interessen Frankreichs und seiner Bürger ein, um die Legitimation dieser Theorie aufzuzeigen. Der Beitrag beschäftigt sich aber nur mit einem Ausschnitt der Gesamtfrage, nämlich mit dem einzelnen Aspekt, ob eine nach französischem Recht gegründete Gesellschaft ein französisches Personalstatut zustehen soll, wenn sie ihren Sitz bzw. ihre hauptsächliche Betriebsstätte im Ausland etabliert. Dies bejaht der Verfasser mit großen Worten.1187 Den umgekehrten Fall, also ob eine nach ausländischem Recht gegründete Gesellschaft, die in Frankreich ihren Sitz nimmt, aus französischer Sicht als ausländische Gesellschaft anerkannt wird, greift der Unbekannte in seiner Argumentation nicht auf. Gerade diese letzte Konstellation ist aber der typische Anwendungsfall einer potentiellen Umgehung nationaler Vorschriften trotz des unmittelbaren Einflusses auf den französischen Rechtsverkehr und Wirtschaftskreislauf, welche man mit Hilfe der Sitzanknüpfung zu vermeiden suchte. In der von dem Autor beschriebenen Konstellation ist der französische Rechtsverkehr bzw. die französische Wirtschaft kaum betroffen; die Anwendung französischen Rechts stellt in so einem Fall keine Gefährdung nationaler Belange dar, weshalb die Anknüpfung an das Gründungsrecht dem Verfasser auch opportun erscheint, sobald es den Interessen französischer Aktionäre entgegenkommt. Es erscheint äußerst fraglich, ob der Autor die Anknüpfung an das Gründungsrecht 1184 S. Gain (1924), S. 52: «Les sociétés sont des personnes morales, des êtres abstraits qui doivent leur existence aux dispositions législatives du pays qui leur donne l’hospitalité et leur permet de naître. Comme la nationalité des sociétés est le lien qui les unit à un Etat, quoi de plus logique que de rattacher les sociétés à l’Etat où elles sont nées et sans le consentement duquel elles ne seraient pas. (. . .) Naissance et formalités de constitution, telles sont les bases de ce système.» 1185 Vgl. den Nachweis in Fn 1140; s. a. Pillet, Bd. 2 (1924), Nr. 739, S. 801 f. 1186 Vgl. N. N., Clunet 15 (1888), 652 ff. 1187 Vgl. N. N., Clunet 15 (1888), 652, 654 f.: «La tendance générale du legislateur français est de considérer son œuvre comme étant particulièrement destinée à la protection de ses nationaux. (. . .) L’usage de la loi française lui apparaît comme le commencement de la sagesse.» Ausgehend von dieser Prämisse sei die Gründung unter französischem Recht trotz Sitz im Ausland schutzwürdig und entspräche auch der öffentlichen Ordnung: «C’est un hommage à notre loi qu’il convient de favoriser.»
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auch in der gegenteiligen Konstellation befürworten würde und damit die Gründungstheorie auch als allseitige und nicht nur einseitige Kollisionsnorm behandeln würde. Die herrschende Ansicht in der französischen Literatur lehnte die Gründungstheorie trotz ihrer praktischen Vorteile daher auch aufgrund ihres Missbrauchspotentials strikt ab.1188 In diesem Zusammenhang wurde auch der Gedanke betont, dass die unmittelbare Betroffenheit eines Staates von den Wirkungen einer Gesellschaft für die „Nationalitätsfrage“ stärker zu achten sei als die Entstehung im Gründungsland.1189 Wie noch zu zeigen sein wird, ist die Berücksichtigung der Interessen des von der Gesellschaftstätigkeit betroffenen Staates andererseits das zentrale Argument für die Etablierung der Sitztheorie in Frankreich. (5) Zusammenhang zwischen den freiheitlichen Theorien Die vorstehend beschriebenen Theorien stehen in einem engen inhaltlichen Zusammenhang; sie lassen sich als Spielarten einer die Freiheit der Gründer betonenden Anknüpfungsmethode bezeichnen: Die Theorie der freien Rechtswahl weist eine starke Parallele zur Gründungsorttheorie (Theorie des Rechts des Ortes des Vertragsschlusses) auf, da im Wege der Auslegung mangels expliziter Rechtswahl der Gründer zu unterstellen ist, dass der Ort der Statutenerstellung, genau genommen die dort herrschende Rechtsordnung, das Gesellschaftsstatut der Gesellschaft bestimmen soll.1190 Auch die Gründungsorttheorie und die Gründungstheorie betonen jeweils die Freiheit der Initiatoren der Gesellschaft, sind aber zu unterscheiden, da der Ort des Vertragsschlusses nicht zwingend identisch mit dem Gründungsrecht sein muss. In der Regel werden aber Ort des 1188 S. Lyon-Caen/Renault, Bd. 2/2 (1909), Nr. 1164, S. 573: «On ne peut assurément reconnaître aux fondateurs d’une société la liberté illimitée de decider eux-mêmes, à leur gré, si la société qu’ils créent sera française ou étrangère. S’il en était ainsi, il dépendrait notamment des fondateurs de soustraire la société aux dispositions de la loi du 24 juillet 1867 qui n’est faite que pour sociétés françaises. Cette loi pourrait de cette façon devenir une véritable lettre morte; on y échapperait à volonté quand elle semblerait gênante.» Ähnlich etwa Arminjon, RDIL 1902, 381, 389; ders., (1928), S. 24; Cuq (1921), S. 49; Gain (1924), S. 54; Mazeaud, Clunet 55 (1928), 30, 50; Rigaud (1943), S. 375; Battifol/Lagarde, Bd. 1 (1970), Nr. 193, S. 239 f. verweisen auf Missbrauchsfälle in den USA unter dem Einfluss der Gründungstheorie. 1189 S. Leven (1926), S. 50: «L’ordre public intéressé n’est pas celui de l’Etat sur le sol duquel les fondateurs se sont réunis accidentiellement ou par un calcul intéressé, mais celui de l’Etat qui se trouve uni par un lien plus intime, plus direct, au sort de la société projetée. » S. a. Gain (1924), S. 54: «On ne peut admettre qu’un Etat soit forcé de donner naissance et d’accorder les avantages qu’il réserve à ses nationaux, à une société qui, sans son consentement, se constituera chez lui, peut-être pour exploiter ailleurs son commerce ou son industrie.» 1190 Man kann daher bei der Gründungsortsrechtstheorie von einer „Ausgestaltung der freien Rechtswahl“ sprechen, Rigaud (1943), S. 375; Schwandt (1912), S. 35 und Pohlmann (1988), S. 38.
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B. Umgang mit fremden Gesellschaften aus rechtshistorischer Perspektive
Vertragsschlusses und gewählte Rechtsordnung zusammenfallen; in diesem Fall entsprechen sich beide Konzepte. Die Theorie der Anknüpfung an den Satzungssitz weist ebenso eine starke inhaltliche Nähe zur Gründungstheorie auf, weil die Bestimmung des satzungsmäßigen Sitzes ein leicht zu erfüllendes formelles Kriterium darstellt.1191 Diese Theorien konnten sich in Frankreich trotz ihres wesentlichen Vorteils der Schaffung von Rechtssicherheit allesamt nicht durchsetzen, da der französische Staat und dessen Judikative die Umgehung der im Verhältnis zu anderen europäischen Ländern strengeren nationalen gesellschaftsrechtlichen Bestimmungen fürchtete.1192 bb) Einschränkende Anknüpfungskonzepte Die weiteren Anknüpfungstheorien, die in Literatur und Rechtsprechung vertreten wurden, schränkten die Freiheit der Gründer mehr oder minder stark ein. Die sog. Kontrolltheorien begehrten den gesellschaftrechtlichen Schleier der Aktiengesellschaft zu durchdringen und an den natürlichen Personen als „Hintermänner“ der juristischen Person anzuknüpfen. Weitere Theorien wollten an objektive Kriterien der Aktiengesellschaft ansetzen um so eine geeignete, „missbrauchssichere“ Anknüpfung zu gewährleisten. Die einzelnen Variationen dieser Konzepte werden nachfolgend in Kürze skizziert. (1) Kontrolltheorien Die sog. Kontrolltheorie lässt sich im Wesentlichen in zwei verschiedene Spielarten aufspalten. (a) Nationalität der Anteilseigner Zum einen wurde vertreten, das Gesellschaftsstatut sei an der Staatsangehörigkeit der Aktionäre festzumachen: «La verité est que, la personne morale n’étant qu’un résumé et une représentation des associés, n’étant qu’eux-mêmes fondus par l’imagination en un seul être, (. . .) elle n’a aucune autre nationalité que la
1191 Soweit das nationale Gesellschaftsrecht als Gründungsvoraussetzung einer Gesellschaft den statutarischen Sitz im Inland vorsieht, fällt diese Lehre vom Anwendungsergebnis her grds. mit der Gründungstheorie zusammen, vgl. nur Grossfeld, RabelsZ 31 (1967), 1, 15. 1192 Siehe nur Lyon-Caen, Journal des sociétés civiles et commerciales 1 (1880), 32, 35: «Comme les lois des pays étrangers sont parfois sous certains rapports plus faciles que les nôtres, quant aux conditions de la constitution des sociétés par actions, les fondateurs de sociétés peuvent avoir intérêt à les faire considérer comme étrangers.» Keinesfalls dürfe eine übermäßige Freiheit der Gründer dazu führen, dass das französische Recht als wirkungsloser «lettre morte» verkomme.
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leur (. . .). Si donc il est avéré qu’une société anonyme (. . .) fondée et fonctionnant à l’étranger est uniquement composée de Français, la personne unique qu’ils sont censés former est française; elle, (c’est-à-dire eux), peut plaider en France sans caution.»1193 Diese Ansicht wurde nicht nur der Konzeption der juristischen Person als von den Gesellschaftern bzw. Anteilseignern losgelöstes Rechtssubjekt nicht gerecht,1194 sie stieß auch gerade bei der Aktiengesellschaft auf praktische Schwierigkeiten: Abgesehen von der Problematik, welches Personalstatut für die Aktiengesellschaft gelten solle, wenn die Aktionäre nicht gleicher Nationalität waren,1195 konnte bereits die Bestimmung der Staatsangehörigkeit der Anteilseigner bei einer Emission von Inhaberaktien realistischerweise nicht gelingen.1196 Selbst bei Überwindung dieser Stolpersteine sprach insbesondere das Kriterium der Rechtssicherheit und Beständigkeit des Gesellschaftsstatuts gegen diese Anknüpfung. Denn gerade die das Wesen der Aktiengesellschaft prägende rasche Übertragbarkeit der Anteile würde dazu führen, dass die Gesellschaft – je nach der Nationalität ihrer aktuellen Anteilseigner – eine andere „Nationalität“ besäße und sich den Normativbestimmungen dieses Landes entsprechend neu gründen müsste.1197 Der Rechts- und Handelsverkehr würde stark beeinträchtigt, da Dritte nie Gewissheit darüber hätten, welchem Recht die Gesellschaft zum Zeitpunkt des rechtsgeschäftlichen Kontakts unterläge.1198 1193 So Vareilles-Sommières (1902), Nr. 1503, S. 645. Vgl. zu dieser Theorie etwa auch Arminjon RDIL 1902, 381, 390 ff.; ders. (1928), S. 24 ff.; Castier (1884), S. 126 f.; Chavegrin, Anmerkung, in: Sirey 1888.2.89; Cuq (1921), S. 50 ff.; Demogue, Anmerkung, in: Sirey 1908.2.178; Gain (1924), S. 59 ff.; Leven (1926), S. 51 ff., 60 ff.; Lyon-Caen/Renault, Bd. 2/2 (1909), Nr. 1165, S. 575 m.w. N.; Mazeaud, Clunet 55 (1928), 30, 61 ff.; Schwandt (1912), S. 38 f. m.w. N.; Streit, RDIL 1928, 494, 507; Thaller, Revue politique et parlementaire 1917, Heft 93, 5, 24 ff.; Rigaud (1943), S. 374 f.; zusammenfassend auch Cauvy, in: Darras/Lapradelle/Niboyet (Hg.), Bd. 10 (1931), Stichwort: sociétés en droit international, Nr. 50, 55, 58 ff., S. 473 ff. 1194 S. nur Pic, Clunet 19 (1892), 577, 580: Die „société anonyme“ hätte nicht nur eine von den Aktionären unabhängige Rechtspersönlichkeit, sie wäre zudem personenungebunden. 1195 Siehe Leven (1926), S. 59, der zwar darauf hinweist, dass dann die Mehrheit maßgeblich sein solle, doch könnte die Mehrheit der Aktionäre z. B. pro Kopf oder nach den gehaltenen Anteilen bestimmt werden. Thaller (1917), Revue politique et parlementaire 1917, Heft 93, 5, 11 schlägt etwa als passende „Mehrheit“ vor, dass 2/3 der Aktionäre der maßgeblichen Staatsangehörigkeit angehören sollten, die dann auch der Aktiengesellschaft zuteil werden sollte. 1196 S. Thaller, Revue politique et parlementaire 1917, Heft 93, 5, 11 ff., der daher gar ein Verbot von Inhaberaktien vorschlug. 1197 Vgl. hierzu Gain (1924), S. 60 f.: Diese Hürde könne wiederum überwunden werden, indem man nur die Nationalität der ersten Aktionäre, d.h. der Zeichnenden, zur Bestimmung des Gesellschaftsstatuts heranziehe. Anderenfalls würde diese Herangehensweise Missbrauch begünstigen, indem das anwendbare Recht – zu Lasten der anderen Aktionäre und Gesellschaftsgläubiger – durch schlichte Übertragungen der Aktien unmittelbar nach deren Ersterwerb wunschgemäß geändert werden könnte; s. a. Battifol/ Lagarde, Bd. 1 (1970), Nr. 193, S. 237 f. 1198 Mazeaud, Clunet 55 (1928), 30, 40.
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(b) Nationalität der Verwaltungsratsmitglieder Eine weitere Strömung innerhalb der Anhänger der Kontrolltheorie schlug vor, anstelle auf die Nationalität der Aktionäre auf die Staatsangehörigkeit der Verwaltungsratmitglieder der Aktiengesellschaft, d.h. der administrateurs abzustellen, da diese tatsächlich die Geschicke der Gesellschaft leiteten: «Les dirigeants d’une société exercont par la conduite de celle-ci, par l’emploi de ses capitaux, une influence, occulte ou non, dans le pays où s’exerca son industrie. Et c’est parce que cette influence aura le plus souvent une tendance, forcée d’ailleurs et même légitime, à être dirigée dans le sens de l’intérêt du pays auquel appartiendront ceux qui l’orienteront, qu’il a paru utile de créer ce critérium nouveau.»1199 Dieses Kriterium entbehrte aber ebenso wie die zuvor aufgezeigte Variante der Kontrolltheorie einer rechtlich haltbaren Grundlage, da die eigene Rechtspersönlichkeit der Aktiengesellschaft mit Nichtachtung gestraft wurde und sich parallele praktische Schwierigkeiten ergaben.1200 (c) Bewertung nach historischer Einordnung Obschon sich in gewissen zeitlichen Perioden glühende Anhänger dieser Theorien in der Literatur sowie einschlägige Gerichtsurteile finden lassen, konnten sich beide Varianten der Anknüpfung an die hinter der juristischen Person stehenden natürlichen Personen für das Kollisionsrecht langfristig nicht in Literatur und Rechtsprechung durchsetzen.1201 Dogmatisch kann man den Gedanken der Anknüpfung an die Nationalität der Aktionäre bzw. Verwaltungsratmitglieder höchstens mit der Lehre der Fiktionstheorie zu erklären versuchen. Da die „Nationalität“ der juristischen Person abgelehnt wurde, konnten deren erste Anhänger1202 hilfsweise auf die Staatsangehörigkeit der Gesellschaftsanteilsinhaber bzw. des Leitungspersonals abstellen. Die in der Geschichte der Entwicklung der Anerkennungstheorie oftmals so wichtigen Schutz- und Abschottungseffekte konnten diesen Theorien internationalprivatrechtlich dennoch nicht zum Durchbruch verhelfen.1203 Aufgrund des klaren 1199 Gain (1924), S. 67; vgl. hierzu auch Cuq (1921), S. 157 ff.; Thaller, Revue politique et parlementaire 1917, Heft 93, 5, 11, der das Abstellen auf die Nationalität der Leitung für überflüssig hält, solange mindestens 2/3 der Aktionäre die der Gesellschaft zugeordnete Nationalität besitzen. 1200 Siehe hierzu Gain (1924), S. 67; ähnlich Pepy (1920), S. 5 ff. 1201 Vgl. zum aktuellen Stand MüKo-BGB/IHGR/Kindler, 4. Aufl. 2006, Rn 332 ff. 1202 Zu diesen rechnet Arminjon, RDIL 1902, 381, 392, insbesondere Vareilles-Sommières. Letzterer, wie Fn 1193, schränkte seine Theorie aber aus praktischen Gründen gerade für die Aktiengesellschaft ein und wollte hilfsweise auf das „domininierende Element“, im Zweifel das Gründungsortrecht, abstellen. Eine grundsätzliche Sympathie für die Anknüpfung an die Nationalität der Gesellschafter äußert auch Brocher, Bd. 1 (1882), S. 193 ff. 1203 Die Anknüpfung an die Nationalität der Aktionäre kam besonders dem Schutz der nationalen Aktionäre zugute, vgl. Demogue, Anmerkung, in: Sirey 1908.2.178:
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systematischen Bruchs mit der Idee der juristischen Person und wohl vor allem der zahlreichen praktischen Probleme wurde diese Anknüpfungstheorie bereits am Ende des 19. Jahrhunderts von der herrschenden Meinung der französischen Literatur abgelehnt.1204 Demgemäß spielte die Kontrolltheorie in der Rechtsprechung der französischen Gerichte im ausgehenden 19. Jahrhundert keine Rolle.1205 Im 20. Jahrhundert lebte die Kontrolltheorie aber in Kriegszeiten zeitweilig wieder auf.1206 Während des ersten Weltkrieges hatte die französische Regierung den Handel mit dem Feind, allen voran den Deutschen, mittels gesetzlicher Maßnahmen untersagt.1207 Zudem ordnete ein Runderlass des Justizministers von 1916 die Beschlagnahmung von Vermögenswerten einer Gesellschaft an, wenn sich ihre Leitung oder ihr Kapital überwiegend oder ganz in den Händen feindlicher Staatsangehöriger befand.1208 Besonders in der anonymen, finanzstarken Aktiengesellschaft befürchtete man die Zusammenrottung des Feindes unter dem Deckmantel der heimischen Rechtsform der société anonyme. Die Rechtsprechung, die die Eigenschaft einer Feindhandelsgesellschaft in den betreffenden «Sans doute, cela serait d’accord avec cette idée que la législation des sociétés a, entre autres buts principaux, celui de protéger les actionnaires, et le meilleur, l’unique moyen peut-être, pour un pays de protéger ses nationaux actionnaires serait de dire que les sociétés où ils entreront recevront d’eux leur nationalité. » Die Anknüpfung an die Nationalität der Verwaltungsratmitglieder bezweckte hingegen primär den Schutz ökonomischer bzw. allgemein nationaler Interessen, vgl. Gain (1924), wie Fn 1199. 1204 Chavegrin, Anmerkung, in: Sirey 1888.2.89. 1205 Vgl. Urteil der Cour de Paris vom 4. November 1886, in: Sirey 1888.2.91 (S. 92): «Attendu, en droit, qu’une société commerciale constitue un être moral, une personnalité légale, distincte de la personnalité des associés; que, par suite, elle a sa nationalité propre, de même qu’elle a son patrimoine propre et indépendant du patrimoine personnel de ceux-ci; (. . .) qu’il n’y a jamais lieu de s’occuper de la nationalité des membres qui composent la société; qu’il est inadmissible, en effet, qu’une société puisse avoir simultanément la nationalité de chacun des associés.» S. a. Cour de Paris, Urt. v. 23. November 1889, in: Sirey 1891.2.123 (S. 124): «(. . .) il n’échet de se préoccuper (. . .) de la nationalité de la majorité de ses actionnaires ou administrateurs; ». Die grds. Unbeachtlichkeit der Nationalität der Mitglieder äußert auch das Trib. Civ. de Lille in einem Urt. v. 21. Mai 1908, in: Sirey 1908.2.177 (S. 182, mittlere Spalte): «(. . .) que rien (. . .) ne l’incitait à fonder une société française, à part la nationalité de ses administrateurs et actionnaires, élément essentiellement variable, dont il n’y a lieu de tenir compte qu’au point de vue de la fraude, en cas de doute sur la nationalité de la société qui se serait établie à l’étranger sans des raisons sérieuses et justifiées;». Zahlreiche weitere Nachweise zur Rspr. bei Arminjon (1928), S. 26, dort Fußnote 1. 1206 Battifol/Lagarde, Bd. 1 (1970), Nr. 195 f., S. 242 f.; Gain (1924), S. 67, v. a. S. 104–169 zu den Besonderheiten der Nationalitätsbestimmung im ersten Weltkrieg; ausführliche Darstellung bei Pohlmann (1988), S. 65 ff. 1207 Vgl. zu den einschlägigen Gesetzesgrundlagen Cauvy, in: Darras/Lapradelle/Niboyet (Hg.), Bd. 10 (1931), Stichwort: sociétés en droit international, Nr. 58, S. 475; z. T. abgedruckt in: Clunet 42 (1915), 103 ff., 108 ff. 1208 Runderlass vom 29. Februar 1916, abgedruckt: in Clunet 43 (1916), 701–715 (auch in: Journal Officiel de la R.F., 2. März 1916, S. 1658 ff.). Vgl. zur Zwangsverwaltung in der Kriegszeit den Aufsatz von Reulos, in: Clunet 44 (1917), 24 ff.
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Fällen zu bestimmen hatte, konnte daher nicht mehr nur am Sitz der Gesellschaft anknüpfen, sondern bezog die Nationalität von Anteilseignern bzw. Leitungspersonen mit in den Entscheidungsprozess ein, um zu gewährleisten, dass diese Individuen nicht der Wirkung der die öffentliche Ordnung betreffenden staatlichen Abwehrmaßnahmen entzogen blieben.1209 Die geschilderte Entwicklung lässt sich auch auf den zweiten Weltkrieg übertragen.1210 Wie sehr die Wahl des Anknüpfungsmoments von Motiven beeinflusst wurde, die außerhalb von rechtlichen Erwägungen liegen, zeigt vor allem die Arbeit Thallers. Vertrat er Ende des 19. Jahrhunderts noch eine Anknüpfungstheorie, die als eine Verschärfung der Sitztheorie bezeichnet werden kann,1211 so wollte er Ende des zweiten Jahrzehnts des 20. Jahrhunderts an der Nationalität der Aktionäre ansetzen. Unter dem Einfluss der Erfahrungen des ersten Weltkrieges beschreibt Thaller die „Infiltrierung“ der französischen Wirtschaft durch den Feind und dessen verheerende Folgen: «Mais économiquement, dans l’ordre commercial et industriel, cette pénétration allemande a exercé sur notre indépendance nationale une action offensive et meurtrière (. . .). La concurrence est une belle chose: elle aiguillone nos producteurs, elle les tient en haleine dans les recherches de perfectionnements, elle abaisse les prix. Mais encore faut-il que la lutte soit égale, que leurs rivaux ne les écrasent pas du poids d’une supériorité acquise par des moyens répréhensibles.»1212 Die Deutschen hätten ihre faktische Monopolstellung in sensiblen Bereichen der französischen Wirtschaft nicht nur durch lauteren Leistungswettbewerb erworben, sondern durch Verschleierung der Produktherkunft und durch Zusammenschlüsse deutscher Fabriken, die mithilfe von Preisabsprachen ihre Produkte teuer in Deutschland und unter Einstandspreis in Frankreich verkauften, um so französische Konkurrenten aus dem Markt zu drängen. Diese Dumpingstrategie sei durch hohe Schutzzölle für den Import ausländischer Produkte nach Deutschland abgesichert worden und der Rechtsrahmen des Frankfurter Friedensvertrags von deutscher Seite stets zuungunsten der französischen Gesellschaften angewendet worden.1213 Die negativen Folgen für die französische Wirtschaft und den nationalen Besitzstand hätten sich gerade im Krieg gerächt: «Politiquement, cette 1209 Siehe z. B. Cour de Montpellier, Urt. v. 24. Januar 1916, in: Clunet 43 (1916), 614 f.; Cour de Paris, Urt. v. 7. Juli 1916, in: Clunet 44 (1917), 226 ff.; auch in Kriegsfolgeentscheidungen spielte das Kontrollkriterium bisweilen noch eine Rolle, s. etwa Cour de Paris, Urt. v. 17. Dezember 1919, in: Clunet 47 (1920), 227 ff. 1210 Gemäß einem Dekret von 1939 wurde die Feindhandelseigenschaft ebenso u. a. an der Abhängigkeit von natürlichen feindlichen Individuen fixiert; entsprechend stellten auch einige Gerichte in Kriegs- bzw. Kriegsfolgeentscheidungen auf das Kontrollkriterium ab, vgl. hierzu Pohlmann (1988), S. 66, 69 f. 1211 Siehe hierzu unten Gliederungspunkt B. II. 1. d) bb) (2) (c). 1212 Siehe Thaller, Revue politique et parlementaire 1917, Heft 92, 297, 315. 1213 Vgl. im Zusammenhang mit der Auslegung des Frankfurter Friedensvertrages bereits die Darstellung des Konfliktes zwischen Elsaß-Lothringen und Frankreich unter
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prise de possession du sol français par des industries de provenance allemande qui ont graduellement évincé nos industries à nous, a été bien plus nefaste. On s’en est aperçu, une fois la guerre déclarée. Aujourd’hui la grande guerre est tributaire de presque toutes les industries. (. . .) nous nous trouverons démunis, par suite des monopoles de fait que l’ennemi s’était assurés, chez nous, sur beaucoup de nos moyens de lutte et de défense.»1214 Die Gesetzgebung müsse daher bereits zu Friedenszeiten die nationale Sicherheit im Blick behalten und nicht erst in Kriegszeiten Restriktionen des freien Handels erwägen.1215 Um die Nationalität einer Gesellschaft festzustellen, müsse man folglich hinter die Fassade der juristischen Person blicken. Eine Aktiengesellschaft müsse als fremd gelten, wenn mehr als die Hälfte der Aktionäre eine ausländische Staatsangehörigkeit besäßen.1216 Es zeigt sich folglich, dass wirtschaftliche und rechtspolitische Gründe die Wahl des Anknüpfungskriteriums maßgeblich beeinflussten. Je angespannter die politische Lage war, desto mehr wollte man die eigene Wirtschaft vor fremden Gesellschaften abschotten. Auf der anderen Seite war man sich mit zunehmender Besserung der politischen und wirtschaftlichen Lage der Unzulänglichkeit der Kontrolltheorie mehr und mehr bewusst.1217
Gliederungspunkt B. I. 2. d) bb) (3) (b) (aa), welcher ebenfalls wirtschaftlichen Hintergründen geschuldet war. 1214 Thaller, Revue politique et parlementaire 1917, Heft 92, 297, 318; etwas weniger pathetisch beschreibt Lyon-Caen, Clunet 44 (1917), 5, 7, die Lage. Zwar weist er auch auf die Gefahren für die nationale Verteidigung, den Finanzkreislauf und die Industrie im Allgemeinen hin, doch stellt er darauf ab, dass die deutschen Beteiligten nur von den ihnen zugestandenen Rechten Gebrauch gemacht hätten, denn eine in Frankreich gegründete Gesellschaft, die in Frankreich zugleich ihren Sitz nahm, galt nach h. M. in Literatur und Rechtsprechung vor Kriegbeginn stets als dem französischen Recht unterliegende Rechtsperson. 1215 Thaller schlug daher vor, den ausländischen Gesellschaften Vermögensrechte, die Einzelpersonen nicht zustehen, grundsätzlich zu verwehren und ihnen damit jegliche Sitznahme in Frankreich unmöglich zu machen. Ausgenommen sei dabei aber nicht die Fähigkeit aller ausländischen Gesellschaften vom Ausland aus mit Franzosen Geschäfte zu schließen. Staatsvertragliche Ausnahmen dieses Prinzips könnten mit befreundeten Staaten für jegliche Rechte abgeschlossen werden, die man den befreundeten ausländischen Gesellschaften unter der Bedingung der Gegenseitigkeit zugestehen wollte; für die „Feinde“ bliebe es bei der Regel. Vgl. Gesetzesvorschlag von Thaller, Revue politique et parlementaire 1917, Heft 93, 5, 40; im Vergleich zum Gesetz von 1857 war dieser Vorschlag viel restriktiver ausgestaltet, da nicht grds. alle Rechte den ausländischen Gesellschaften zuerkannt werden und Reziprozität gefordert wird. 1216 Vgl. Gesetzesvorschlag von Thaller, Revue politique et parlementaire 1917, Heft 93, 5, 40. 1217 Hätte man beispielsweise auf die Nationalität der Mehrheit der Aktionäre abgestellt, so hätte man zweckmäßigerweise dem Vorschlag Thallers zur Abschaffung der Inhaberaktien folgen müssen, wodurch man wiederum die Lähmung des Aktienhandels und damit ggf. die Schwächung der heimischen Wirtschaft riskiert hätte, vgl. hierzu etwa Leven (1926), S. 64 ff.
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An dieser Stelle erweist sich zudem ein weiteres Mal das Ineinandergreifen von internationalem Privatrecht und Fremdenrecht, vor allem im französischen Recht. Bei der Anwendung des Kontrollkriteriums ging es regelmäßig um fremdenrechtliche Sachverhalte wie die Beschlagnahmung von Gesellschaftsteilen oder die Liquidation der feindlichen Gesellschaft. Die unter der Kontrolltheorie entschiedenen Fälle betrafen nicht klassische Fragen des internationalen Privatrechts, welche mit der Organisation der Gesellschaft selbst zusammenhingen, z. B. welche Rechtsordnung für die Innenbeziehungen einer Gesellschaft maßgebend sei. Es kann daher nicht von einer prinzipiellen zeitweisen Abkehr vom Sitzkriterium für alle Rechtsfragen die Gesellschaft betreffend gesprochen werden. Vielmehr wurde die „Nationalität“ entsprechend der Sachlage und -frage unterschiedlich angeküpft.1218 Diese Unterscheidung betonte auch der französische Justizminister in seinem Runderlass von 1916, indem er die „privatrechtliche“ und die „öffentlich-rechtliche Nationalität“ von Gesellschaften voneinander abgrenzte.1219 Eine solche Aufsplittung des Nationalitätsbegriffes passte zwar nicht in das von der Literatur vertretene Konzept, das von einer einheitlichen Staatsangehörigkeit wie bei der natürlichen Person ausging, hielt aber die Rechtsprechung nicht davon ab, eine Gesellschaft in fremdenrechtlichen, kriegsnahen Sachverhalten nach dem Kontrollkriterium zu beurteilen.1220
1218 Vgl. hierzu bereits Niboyet, RCDIP 22 (1927), 402, 410 f. und Beitzke (1938), S. 33 f.: „Vor dem Kriege hatten die Fragen des IPR. im Vordergrund gestanden. Der hierbei gebildete Staatsangehörigkeitsbegriff erwies sich für das Fremdenrecht als unbrauchbar. Derselbe Vorgang wiederholte sich dann umgekehrt. Im Kriege standen Feindbegriff und Fremdenrecht im Vordergrund. Der dabei gebildete Staatsangehörigkeitsbegriff war nun seinerseits für das IPR. nicht zu verwenden.“ S. auch Loussouarn/ Bredin (1969), Nr. 252, S. 269, Nr. 259, S. 275 ff.; Pohlmann (1988), S. 67. 1219 Runderlass vom 29. Februar 1916, Fundstelle wie Fn 1208: «Les formes juridiques dont la société est revêtue, le lieu de son principal établissement, tous les indices auxquels s’attache le droit privé pour déterminer la nationalité d’une société sont inopérants alors qu’il s’agit de fixer, au point de vue du droit public, le caractère réel de cette société. Elle doit être assimilée aux sujets de nationalité ennemie, dès que, notoirement, sa direction ou ses capitaux sont, en totalité ou en majeure partie, entre les mains de sujets ennemis, car, en pareil cas, derrière la fiction de droit privé se dissimule, vivant et agissante, la personnalité ennemie elle-même. » Die Rechtsprechung, namentlich die Cour d’appel de Lyon, war ihm de facto bereits in dieser Differenzierung zuvorgekommen. Sie entschied am 30. März 1915, dass die Beschlagnahmung der Vermögensgüter der Société franco-suisse des conserves de Lenzbourg aufgrund des Feindhandelsverbots wirksam sei, obwohl die Gesellschaft wirksam in Lyon gegründet worden war und dort ihren Sitz hatte. Das Feindhandelsverbot stelle aber eine Spezialvorschrift dar, die das Abstellen auf den Sitz im konkreten Fall unmöglich mache. Da die Gesellschaft fast vollständig in der Hand von deutschen Anteilseignern war, sei daher festzustellen: «(. . .) qu’elle que soit sa nationalité, elle reste l’instrument par lequel une entreprise allemande faisait le commerce en France.» Dieses Urteil wurde von der Cour de cassation am 20. Juli 1915 bestätigt, vgl. zum Ganzen Clunet 42 (1915), 1164 ff., insbes. 1178 (f. Zitat), 1179 f. (Urteil der Cour de cassation). 1220 Vgl. die Kritik von Mazeaud, Clunet 55 (1928), 30, 43, hieran.
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Zusammenfassend muss man somit feststellen, dass die Kontrolltheorie niemals ernsthaft für die Anknüpfung des gesamten Gesellschaftsstatuts herangezogen wurde, sondern vor allem für rechtliche Teilgebiete in Krisenzeiten Anwendung fand.1221 Zwar waren neben Thaller viele andere Rechtswissenschaftler durch die Erfahrungen des Krieges alarmiert und schlugen gesetzliche Reformen zur Eindämmung des ausländischen Einflusses in den französischen Gesellschaften vor, doch betrafen diese Vorschläge – wie Mazeaud konstatiert – das Fremdenrecht und nicht die Nationalität der Gesellschaft als solche.1222 Die Anknüpfung an den Sitz der Gesellschaft war also durch die in Kriegszeiten aufgekommene Anknüpfung an die natürlichen Personen hinter einer Gesellschaft nicht in Gefahr. Der Vorschlag einer Kombination von Sitz- und Kontrollkriterium zur Bestimmung der Nationalität der Gesellschaft musste bereits aus rechtslogischen Gründen scheitern.1223 (2) Domizil Wie bereits dargelegt, knüpfte die französische Rechtsprechung das Gesellschaftsstatut ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts am Sitz der Gesellschaft an. Der Sitz der Gesellschaft wurde in Analogie zum Domizilbegriff der natürlichen Person in Art. 102 c. civ. als principal établissement der Unternehmung verstanden. In der Tradition des Ancien droit definierte man das domicile als «le lieu où une personne a établi le siège principal de sa demeure et de ses affai-
1221 So konstatiert auch Mazeaud, Clunet 55 (1928), 30, 65: «La guerre n’a donc pas modifié le critère de la nationalité des Sociétés tiré à la fois de la loi de constitution, du lieu du siège social réel et de l’existence d’un lien de fond (. . .).» Ähnlich Pic, Clunet 44 (1917), 841, 848 f. 1222 Mazeaud, Clunet 55 (1928), 30, 65. Vorgeschlagen wurde u. a. Ausländern eine Tätigkeit im Leitungsorgan der Gesellschaft zu verbieten, ihnen den Zutritt zu den Hauptversammlungen zu versagen und die Ausgabe von Namensaktien obligatorisch vorzuschreiben. Vgl. zu den Vorschlägen und entsprechenden Gesetzesentwürfen, u. a. Lyon-Caen, Clunet 44 (1917), 5, 11 ff.; Niboyet, RCDIP 22 (1927), 402, 414 ff. Wie Loussouarn, in: Recueil des cours 96 (1959-I), S. 447, 464 f., feststellt, begann der französische Gesetzgeber nach dem ersten Weltkrieg dann auch damit, bestimmte Rechte nur den eigenen Gesellschaften zuzugestehen. 1223 Es täte sich nämlich eine Regelungslücke für den Fall auf, dass die nach französischem Recht gegründete Gesellschaft zwar in Frankreich ihren Sitz hat, aber überwiegend unter einer aus ausländischen natürlichen Personen bestehenden Leitung stünde. Die Gesellschaft wäre nicht französisch und könne auch nicht den meisten anderen Ländern zugeordnet werden, die der Sitzanknüpfung folgten. Vielmehr wäre die Gesellschaft dann „heimathlos“ und besäße folglich kein Personalstatut. Vgl. hierzu LyonCaen, Clunet 44 (1917), 5, 15; Pic, Clunet 44 (1917), 841, 843. Anders Thaller, Revue politique et parlementaire 1917, Heft 93, 5, 18, der eine Kombination beider Anknüpfungsmomente für möglich hielt und auf die Alltäglichkeit von Konflikten im internationalen Privatrecht hinwies, solange für die Anknüpfung in den einzelnen Ländern verschiedene Regelungen existierten.
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res».1224 Diese Begriffsbestimmung wollte man so weit als möglich auf die Gesellschaft übertragen, weshalb besonders in der Literatur für das domicile der Unternehmung bald verschiedene Orte diskutiert wurden. (a) Betriebsstätte: centre d’exploitation Einige Autoren sahen die hauptsächliche Betriebsstätte, das centre d’exploitation, als Domizil der Gesellschaft an.1225 Ein prominenter Vertreter dieser Auffassung war Lyon-Caen, der nach dem Vorbild des Art. 129 des belgischen Gesetzes von 1873 an das principal établissement der Gesellschaft anknüpfen wollte, welches er als Ort des hauptsächlichen Betreibens des Geschäftszwecks identifizierte.1226 Als Grund für ein Ansetzen an die Betriebsstätte anstelle des Ortes der Verwaltung gab Lyon-Caen die Verhütung von Missbrauch an: «Si l’on s’attachait à ces circonstances, on tomberait dans l’arbitraire que nous voulons précisément éviter. Assez souvent les statuts d’une société fixent le siège social, c’est-àdire le centre des bureaux, la réunion des assemblées générales, etc., dans un pays autre que celui où l’exploitation a principalement lieu. Il ne faut pas que la nationalité d’une société se lie à des circonstances ou à des faits qui dépendent exclusivement de la volonté de l’homme, comme la fixation du centre de l’administration sociale. Autrement, les fondateurs pourraient à leur gré se soumettre ou échapper aux dispositions restrictives de la loi de 1867, dont le caractère impératif n’est pas douteux.»1227 Zudem erschiene eine solche Anknüpfung auch aus Sicht der territorialen Wirkung der nationalen Gesetze einleuchtend und daher im Hinblick auf den von der 1224 Pothier, Introduction à la coutume d’Orléans, Nr. 8, zitiert nach Planiol, Bd. 1 (1925), Nr. 554, S. 205. 1225 Vgl. hierzu die Beschreibungen von Arminjon (1928), S. 28 f.; Gain (1924), S. 74 ff.; Lerebours-Pigeonnière (1954), S. 193 f.; Leven (1926), S. 76 ff.; Mazeaud, Clunet 55 (1928), 30, 49 ff.; N. N., Clunet 15 (1888), 652 ff.; Rigaud (1943), S. 376; Streit, RDIL 1928, 494, 508 f. sowie Cauvy, in: Darras/Lapradelle/Niboyet (Hg.), Bd. 10 (1931), Stichwort: sociétés en droit international, Nr. 31, S. 469 und Nr. 53, S. 473; aus deutscher Sicht Schwandt (1912), S. 47 ff. 1226 Lyon-Caen, Journal des sociétés 1 (1880), 32, 36: «Il importe de remarquer que ce que nous entendons par le lieu du principal établissement, c’est celui où se trouve principalement l’exploitation d’une société, ce n’est pas le pays où sont les bureaux de l’administration, où se réunit soit l’assemblée générale, soit le conseil d’administration.» S. a. Lyon-Caen/Renault, Bd. 2/2 (1909), Nr. 1167, S. 577 f. 1227 Lyon-Caen, Journal des sociétés 1 (1880), 32, 36 f. Die Regel verstünde sich bei Gesellschaften, bei welchen die Ausübung des Geschäftszwecks eng verbunden mit dem Boden sei, wie Eisenbahnbau oder Minenausbeutung, besonders einfach. Bei Gesellschaften, die unabhängig von einem bestimmten Ausübungsort und i. d. R. kosmopolit seien, wie Versicherungen oder Banken, müsste der angestrebte Zweck bei der Gründung maßgebend seien, da sich die Hauptgeschäftstätigkeit unvorhergesehen in andere Länder entwickeln könne; s. ders., S. 37 f. Dieselbe Ansicht vertrat auch Weiss, 6. Aufl. (1909), S. 320 f.; weitere Nachweise zur Lit. auch bei Leven (1926), S. 76, dort Fußnote 1.
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Geschäftstätigkeit der Gesellschaft betroffenen Staat sachgerecht: «Il semble naturel de penser que le législateur a fait des lois pour les sociétés qui exercent leur profession dans le territoire sur lequel il a le pouvoir législatif et ce sont là les sociétés dont le législateur a intérêt à s’occuper.»1228 Lyon-Caen überging indes, dass die Rechtsprechung den Satzungssitz dann nicht berücksichtigte, wenn er nicht den tatsächlichen Gegebenheiten entsprach, was das Missbrauchspotential des Anknüpfens an den Sitz erheblich verringerte. Zudem schien fraglich, ob das Ansetzen an den Gesellschaftszweck bei der Gründung ortsunabhängiger Unternehmungen gerade zu sachlich angemessenen Entscheidungen führen konnte.1229 Anwendungsprobleme ergäben sich ferner für den Fall, dass eine Gesellschaft (seit Anbeginn ihrer Gründung) Betriebsstätten in mehren Ländern unterhalte1230 oder sich die Bedeutung einzelner Betriebsstätten regelmäßig ändere, was wiederum zu Rechtsunsicherheit bezüglich des Gesellschaftsstatuts führe.1231 Die beschriebene Ansicht wurde daher gerade aufgrund praktischer Schwierigkeiten bezüglich der Anwendung des Entscheidungskriteriums zurückgedrängt, obwohl sich die Mehrzahl der Autoren darüber einig war, dass das Anknüpfungsmerkmal im Grundsatz „sachdienlich“ 1232 sei. Letztendlich käme die Anknüpfung an die Hauptbetriebsstätte nämlich nicht nur den Interessen der im entsprechenden Land lebenden Aktionären und Vertragspartnern zugute, sondern vor allem den Kontrollinteressen des betroffenen Staates, der sich dann der Einhaltung seiner handels- bzw. gesellschaftsrechtlichen Bestimmungen sicher sein durfte. Wie Gain jedoch zu bedenken gibt, könne der Schuss in Ausnahmefällen auch nach hinten losgehen und die Zielsetzung dieses Kriteriums verquer gehen: «L’adoption de ce mode de détermination irait peut-être (. . .) à l’encontre des intérêts des nationaux qu’il entend protéger. Nous avons en France des sociétés assez nombreuses, dont le siège est en France, dirigées par des Français, et dont
1228 S. Lyon-Caen/Renault, Bd. 2/2 (1909), Nr. 1167, S. 577. Noch vehementer Gain (1924), S. 74 f., der zu bedenken gibt, dass die Gesellschaft die ökonomischen Interessen des Landes der Betriebsstätte für sich fruchtbar mache bzw. gar ausbeute, dass sich das eingestellte Personal zu einem großen Teil aus Einheimischen zusammensetze und dass die Gesellschaft vor den hiesigen Gerichten bei Streitigkeiten in Zusammenhang mit ihrer Geschäftstätigkeit klage: « »N’est-ce pas suffisant pour trouver dans ce lien indéniable la preuve d’une dépendance et d’une nationalité véritables vis-à-vis de l’État en question, alors surtout que les autres liens qui pourront unir cette société à d’autres Etats où elle possédera son siège social seront fatalement moins solides et, peut-être aussi, moins sérieux.» 1229 S. Leven (1926), S. 77 und Cuq (1921), S. 57. 1230 S. Gain (1924), S. 77; ähnlich aus englischer Sicht M. Wolff (1950), Nr. 280, S. 298 f. 1231 S. Gain (1924), S. 78; Mazeaud, Clunet 55 (1928), 30, 51. 1232 S. Gain (1924), S. 77: «Cette theorie est attrayante (. . .).». S. a. Pepy (1920), Nr. 39, S. 75.
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le capital est souscrit presque exclusivement par des Français. Ces sociétés sont incontestablement françaises, bien qu’elles aient pour objet l’exploitation de mines, de chemins de fer ou de banques à l’étranger, en Amérique notamment. Ne serait-il pas dangereux pour les capitalistes français, qu’il convient pourtant de protéger particulièrement dans ce cas, de retirer le droit à la nationalité française à ces sociétés et de priver ainsi nos nationaux de la protection de nos lois?»1233 Rechtspolitische Anforderung an das Anknüpfungskriterium für das Organisationsstatut einer Gesellschaft sollte demzufolge der Schutz der nationalen Drittinteressen und des nationalen Vermögens sein, was idealerweise mit der sachgerechtesten Anknüpfung an die Rechtsordnung des von der Gesellschaftstätigkeit am meisten betroffenen Staates zusammenfiel. Die Anknüpfung an die Hauptbetriebsstätte schien dieser Forderung aber nur bedingt gerecht zu werden und konnte sich folglich nicht behaupten. (b) Effektiver Verwaltungssitz Als weiteres Anknüpfungsmerkmal, welches die Anforderung an eine sachdienliche Lösung zu erfüllen schien, wurde der tatsächliche Verwaltungssitz der Gesellschaft diskutiert.1234 Dieses Kriterium hatte sich im Verlauf der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als das für die französische Rechtsprechung maßgebliche Charakteristikum zur Anknüpfung des Gesellschaftsstatuts etabliert.1235 Der Sitz schien zur Identifikation des auf die Gesellschaft anwendbaren Rechts prädestiniert, da dieser maßgebend für die Legitimation der Geltung der hiesigen Rechtsordnung sei: «En effet, dès qu’une société, quelle que soit la patrie de ses membres, est établie en France, elle concourt, par les travaux qu’elle exécute ou par le mouvement d’affaires qu’elle développe, au progrès de la prosperité nationale; elle répresente un intérêt français.»1236
1233 Gain (1924), S. 78; ähnlich Cuq (1921), S. 58: «On tient pour étrangère une société dont l’initiative et la gloire reviennent aux Français, qui est alimentée par des capitaux français, organisée d’après notre législation, qui a en France son siège, et seulement son exploitation en dehors du territoire.» 1234 Vgl. hierzu Arminjon, RDIL 1902, 381, 396 f.; ders. (1928), S. 28 f.; Brocher, Bd. 1 (1882), S. 193; Cuq (1921), S. 53 ff., 152 ff.; Gain (1924), S. 80–96, S. 174 ff.; Leven (1926), S. 84 ff.; Mazeaud, Clunet 55 (1928), 30, 49 ff.; Rigaud (1943), S. 376; Streit, RDIL 1928, S. 494, 510 ff.; Thaller, Annales de droit commercial 4 (1890), S. 257, 261 ff.; s. a. Battifol/Lagarde, Bd. 1 (1970), Nr. 193 f., S. 237 ff.; Cauvy, in: Darras/Lapradelle/Niboyet (Hg.), Bd. 10 (1931), Stichwort: sociétés en droit international, Nr. 54, Nr. 56 ff., S. 472 ff. (für „siège fictif“), Nr. 74 ff., S. 479 f. (für Nachkriegszeit); aus deutscher Sicht Schwandt (1912), S. 40 ff. 1235 Vgl. oben Gliederungspunkt B. II. 1. b) bb); in Belgien war dieses seit 1873 nach Auslegung der h. M. gesetzlich festgelegt, s. Gliederungspunkt B. II. 1. b) aa) (2). 1236 Chavegrin, Anmerkung, in: Sirey 1888.2.89 (S. 91, linke Spalte).
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(aa) Bestimmung des Sitzes Thaller hatte den Sitz der Gesellschaft 1890 wie folgt beschrieben: «C’est là que le conseil d’administration et que les assemblés se réunissent. C’est là que résident les pouvoirs substantiels qui représentent la société et prennent les mesures nécessaires à son fonctionnenment. La société a son domicile, son principal établissement dans l’endroit où elle parle, et elle parle au public non par ses directeurs de travaux, mais par ses organes juridiques.»1237 Im Unterschied zur Hauptbetriebsstätte stellte man demnach nicht auf den Ort ab, an dem die dem Geschäftszweck entsprechenden Handlungen vorgenommen wurden, sondern auf den Platz, an dem die maßgeblichen Entscheidungen betreffend der Funktion der Aktiengesellschaft getroffen wurden. Die französische Doktrin betrachtete (im übertragenen Sinne) den Ort des „Gehirns“ der Gesellschaft als deren Sitz: «(. . .) le siège social est le centre de la vie administrative de la société; c’est le cerveau qui élabore les ordres et les transmet aux membres pour leur réalisation. Il groupe les organes de la vie juridique, ceux que la loi de 1867 exige, et qui sont comme le gouvernement de la société: pouvoirs exécutif et législatif, surveillance, auxquels sont adjoints tous les services administratifs et comptables. Le pouvoir législatif est réprésenté par les assemblées générales d’actionnaires. Il approuve la gestion des administrateurs, leur donne quitus ou met en jeu leur responsabilité, les habilite à conclure les actes dépassant leurs pouvoirs normaux de mandataires, et prend en cas de besoin de toutes décisions extraordinaires, révise la constitution, c’est-à-dire les statuts, vote la prolongation ou la dissolution. L’exécutif, c’est le Conseil d’administration. Il pourvoit aux actes de la vie courante, contrats où marchés, après en avoir délibéré en commun; il désigne un administrateur délégué qui assure la permanence de la direction. Les bureaux assurent l’exécution matérielle des ordres; c’est le centre administratif, qui n’est pas le moins important de l’organisme (. . .).»1238 Nach der herrschenden Meinung in der Lehre war demnach der Platz des Zusammenfalls von Aktionärshauptversammlung und Verwaltungsrat der Schlüssel zur Sitzbestimmung. Wie bereits aufgezeigt, nahmen die Gerichte (ausgehend vom angegebenen Satzungssitz) in der Regel eine Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls vor, um die „Nationalität“ einer Gesellschaft zu bestimmen, wobei stets der Hauptversammlung und dem Verwaltungsrat wesentliches Gewicht zukam.1239 Doch gab es in der Praxis Fälle, bei denen beide Organe 1237
Thaller, Annales de droit commercial 4 (1890), 257, 262. Cuq (1921), S. 60; s. a. Pic, Clunet 44 (1917), 841, 844; Leven (1926), S. 86. 1239 Siehe für Frankreich Trib. Com. de la Seine, Urt. v. 3. Mai 1899, Clunet 27 (1900), 802 ff.; sowie oben Punkt B. II. 1. b) bb); für Belgien siehe Tribunal de commerce de Liège, Urteil v. 1. Februar 1901, in: Clunet 28 (1901), 387 ff. Welche Indizien der Rechtsprechung weiterhin grds. zur Bestimmung des Ortes der Leitung einer Gesellschaft dienten, hat Mazeaud, in: Clunet 55 (1928), 30, 53 f. mit jeweiligen Nachweisen, in einer ausführlichen Zusammenstellung von Gerichtsurteilen zusammengetragen. 1238
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örtlich auseinanderfielen und die Gerichte dennoch das anwendbare Recht auffinden mussten. In diesen Fällen hielt die Rechtsprechung weitgehend den Ort, an dem der Verwaltungsrat tagte, für maßgeblich.1240 Die Gerichtspraxis erhielt dafür die Zustimmung weiter Teile der Lehre, denn der Einfluss des Verwaltungsrats auf die Führung der Gesellschaft sei – verglichen mit dem der Hauptversammlung – direkter und dauerhafter.1241 Da die Rechtsprechung bei verdächtigen Fällen im Wege ihrer Einzelfallbetrachtung stets den wirklichen Sitz der Gesellschaft ausfindig zu machen suchte, welcher sich nicht immer mit den Angaben in der Satzung deckte, konnte im Umkehrschluss gerade die örtliche Diskrepanz von Satzungssitz und den beiden wesentlichen Gesellschaftsorganen dessen fiktiven Charakter aufdecken.1242 (bb) Anforderungen an die Wahl des Sitzes Den französischen Autoren lag nebenbei noch ein weitere Frage am Herzen: Durfte der Sitz einer Gesellschaft gänzlich frei nach den Vorstellungen der Gründer gewählt werden?1243 Gerade die Verfechter der Anknüpfung an die Hauptbetriebsstätte warfen diese vermeintliche Freiheit den Anhängern vom effektiven Verwaltungssitz vor.1244 Daher forderte Mazeaud ein Verbindungskriterium, d.h. Hierzu zählen neben dem Ort der Hauptverwaltung und des Verwaltungsrates auch der Aufenthaltsort der Manager („dirigéants“) und der Ort, an dem die wichtigsten Geschäfte abgewickelt werden; z. T. auch die Verwaltungseinrichtungen, wie z. B. die Büroräume. 1240 Zur Rechtsprechung siehe etwa Trib. Com. de la Seine, Urt. v. 27. August 1891, in: Clunet 19 (1892), 479. Erstaunlich aber Chambre des requêtes der Cour de Cassation, Urt. v. 6. Juli 1914, in: Clunet 43 (1916), 1296. Dort hielt die Kammer die Aufrechterhaltung des (satzungsmäßigen) Sitzes in London, wo sich ursprünglich auch der Verwaltungsrat der Gesellschaft versammelte, auch noch für maßgeblich, als sich dessen Mitglieder vermehrt in Frankreich trafen. Dies zeigt, dass der Versammlungsort des Verwaltungsrats nur ein Indiz für die Unrichtigkeit des Satzungssitzes sein konnte, aber nicht sein musste, insbesondere wenn keine Betrugsabsichten vermutet wurden. Vgl. dem Urteil zustimmend etwa Cuq (1921), S. 63 und Leven (1926), S. 94; dort jeweils auch weitere Nachweise zur Rspr. zu finden. 1241 Siehe Cuq (1921), S. 63; präziser Leven (1926), S. 86 f., der allerdings ausführt, dass sich sämtliche Teile der Verwaltung am Ort des Verwaltungsrates befinden müssten: «Par les contrats qu’il [le conseil d’administration] passe, par les affaires qu’il traite, il donne à la société son impulsion, et c’est lui enfin qu’inspire les mesures plus graves que l’assemblée générale est appelée à prendre.» [Hinzufügung durch Verf.]; a. A. Pillet (1914), Nr. 94, S. 138. 1242 Vgl. bereits die Nachweise zur Rspr. in Fn 1067. S. zur Lit. z. B. Leven (1926), S. 88; s. a. Perrin (1969), S. 49: „Cette théorie est, on le voit, essentiellement axée sur la réalité du siège. Il semble que l’idée dominante est celle de la lutte contre la fictivité du siège. (. . .) La conséquence en est que l’on parle de moins en moins de la théorie du «siège social» et de plus en plus de la théorie du «siège réel». 1243 Siehe Cuq (1921), S. 64 ff.; Mazeaud, Clunet 1928, 30, 55 ff. 1244 So Lyon-Caen, Journal des sociétés civiles et commerciales 1 (1880), 32, 36 f.; ausführlich hierzu auch Gain (1924), S. 84 ff.
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einen Sachzusammenhang zwischen gewähltem Sitzland, nach dessen Recht sich die Gesellschaft gegründet hatte, und der Gesellschaft selbst. Dieses lien sérieux drückt aber im Prinzip nichts anderes aus als den Spielraum, den die französischen Gerichte bei der Bestimmung des anwendbaren Rechts behalten sollten.1245 Neben der Gründung nach ausländischem Recht und tatsächlichem Sitz in Wirkungsgebiet dieser Rechtsordnung sollten die Gerichte weiterhin die Möglichkeit haben, andere potentielle Anknüpfungsmerkmale, wie den Ort der hauptsächlichen Betriebsstätte oder die Nationalität der Aktionäre, mit in ihren Entscheidungsprozess einzubeziehen.1246 Dementsprechend beschreibt Cuq, es gäbe eine modifizierte Form der betrügerischen Gesetzesumgehung: «Elle [la fraude à la loi] ne consisterait pas seulement à fixer fictivement le siège social en un lieu autre que celui où il fonctionne réelement; il y aurait encore fraude à le placer réelement à l’étranger.»1247 Mazeaud führt beispielhaft für eine solche Sachlage folgendes Fallbeispiel an: «(. . .) si des Français (. . .) désirant créer une exploitation en France et y recueillir le capital nécessaire, réunissent à Londres tous les organes de leur Société, le siège social réel n’en sera pas moins effectivement en Angleterre, bien que la Société ne soit rattachée à ce pays par aucun intérêt sérieux. (. . .) de toutes façons, la Société n’a pas la nationalité anglaise.»1248 All dies demonstriert ein weiteres Mal, dass die französische Lehre dem aus ihrer Sicht sachgerechtesten Ergebnis zum Durchbruch verhelfen wollte: die Anwendung des Rechts des von der Geschäftstätigkeit der Gesellschaft am meisten betroffenen Staats. Im Zweifel – so die ursprüngliche Konzeption der Sitztheorie – sollte eine Gesellschaft, die maßgeblichen Einfluss auf die französischen Einwohner ausübte, auch französischem Recht unterliegen. Dadurch sollte vor allem auch das nationale Vermögen vor Einbußen bewahrt werden.1249 Nicht alle Auto1245 Daher werden ähnliche Gedanken, wie sie Mazeaud formuliert, bei anderen Autoren etwa unter dem Stichwort „fraude à la loi“ erörtert, vgl. Thaller, Annales de droit commercial 4 (1890), 257, 262; Cuq (1921), S. 72. Laut Mazeaud, Clunet 55 (1928), 30, 59 wäre ein Rückgriff auf den Betrugsgedanken überflüssig, sofern man das dritte Kriterum des „lien sérieux“ anwenden würde. Einen solchen Spielraum hatte bereits ein Gericht aus Lille im Jahre 1908, Urt. v. 21. Mai, in: Sirey 1908.2.177 (S. 182) angedeutet, im konkreten Fall aber die Nationalität entsprechend des effektiven Sitzes bestimmt. 1246 Vgl. Mazeaud, Clunet 55 (1928), 30, 56 ff., jeweils mit Nachweisen zur Rspr., in denen neben Zusammenfall des Gründungsrechts und Sitznahme innerhalb der betreffenden Rechtsordnung auf weitere Kriterien abgestellt wird. Der Autor bemerkt (S. 57): «La nature d’un tel lien peut être fort variable (. . .)». 1247 Cuq (1921), S. 72 [Hinzufügung durch Verf.]. 1248 Mazeaud, Clunet 55 (1928), 30, 58. Mit einem auf Belgien bezogenen Beispiel erklärt Thaller (1890), Annales de droit commercial 4 (1890), 257, 262: «Il y aurait fraude encore à siéger réelement en Belgique, par conséquent sans mentir aux statuts, si les conditions dans lesquelles s’est montée l’affaire excluent la possibilité d’avoir un siège social belge et font de ce siège un contre-sens des statuts.» 1249 Vgl. hierzu etwa Pepy (1920), S. 72 und Pic, Clunet 19 (1892), 577, 586 f.
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ren hielten indes zusätzliche Erfordernisse für legitim und beklagten die Aufweichung des Sitzerfordernisses als Alleinbestimmungsmerkmal des Gesellschaftsstatuts.1250 Pepy konstatiert gar, dass das zusätzliche unbestimmte Erfordernis des „seriösen Interesses“ einer Gesellschaft an einer Sitznahme in einem bestimmten Land jeglicher juristischen Logik entbehre. Zum einen sei es nicht einsichtig, indirekt Kriterien für die Bestimmung des „seriösen Interesses“ heranzuziehen, die direkt gerade als Kriterium zur Nationalitätsbestimmung verworfen worden sind, zum anderen wolle man gerade und exklusiv durch die Anknüpfung an den Sitz die Nationalität der Gesellschaft eindeutig bestimmen.1251 Desweiteren scheint es unter Anwendung des Sitzkriteriums – soweit ersichtlich – keinen Fall zu geben, in welchem die Rechtsprechung trotz Entsprechung von siège statuaire und siège réel ein anderes Recht auf die Gesellschaft angewendet hat.1252 Die Gerichte untergruben die alleinige Maßgeblichkeit des Sitzerfordernisses somit nicht, um – wie etwa von Mazeaud vorgeschlagen – in jedem Einzelfall dem rechtspolitischen Ziel des Schutzes der Aktionäre nachzukommen. Der Preis der Aufgabe der juristischen Logik der Sitzanknüpfung und der Rechtssicherheit erschien – zurecht – zu hoch. (c) Sitz am Ort der Zeichnung bzw. am Ort der Aktienausgabe Thaller vertrat in Vorkriegszeiten eine verschärfte Variante der Sitztheorie. Die Gesellschaft müsste nicht nur ihren Sitz im Gründungsland etablieren, sondern der Sitzort müsse auch mit dem Ort der Zeichnung und der Aktienausgabe zusammenfallen.1253 Sobald eine formal ausländische Gesellschaft französische Aktionäre anziehe und deren Investitionen annehme, so müssten die Kapitalgeber 1250 Vgl. Pepy (1920), S. 71: «Si vraiment le domicile sociale seul crée entre la société et l’Etat où il est établi le lien de la nationalité, il suffit que ce domicile soit réel, et il n’y a pas à exiger d’autres conditions; ou, sinon, on admet que le domicile n’est pas à lui seul suffisant pour déterminer la nationalité sociale.» S. a. Cuq (1921), S. 72: «On ne détermine plus cette nationalité par le seul siège social, mais par ces attaches sérieuses qu’on ne précise pas. C’est aussi charger le juge d’examiner si le domicile quoique réel et effectif n’est pas en contradiction avec certaines circonstances imprécises, ce qui revient à donner carte blanche au juge pour apprécier la nationalité d’après tous les éléments de la cause.» 1251 Pepy (1920), S. 32. Dennoch wird auch in der modernen französischen Literatur vorgeschlagen, den tatsächlichen Sitz als „Nationalitätskriterium“ durch weitere v. a. wirtschaftlich geprägte Elemente zu ergänzen, vgl. hierzu Menjucq (2008), Rn 23, S. 21 f. m.w. N. zur zeitgenössischen Lit. 1252 S. a. Cuq (1921), S. 67, 72; Pepy (1920), S. 26 ff. Nur im Falle, dass bereits Satzungssitz und tatsächlicher Sitz differierten, wurde zur Unterstreichung des identifizierten „fraude à la loi“ auf zusätzliche Kriterien verwiesen. 1253 Thaller, Annales de droit commercial 4 (1890), 257, 263: «Dans notre pensée, il existe entre ces diverses choses: nationalité, domicile de la société, siège social, loi à observer, pays des souscriptions une solidarité nécessaire. (. . .) Toute combinaison qui ferait souscrire les titres en France et placerait le siège social en Belgique ou à Londres, de manière à monter l’entreprise suivant un acte anglaise ou la loi belge de 1873, en
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durch die Vorschriften des nationalen Gesellschaftsrechts von 1867 geschützt werden: «Nous sommes en présence d’une véritable loi de police qui s’adresse à tous ceux qui sont sur le territoire, et qui, avant de viser la société prise dans son ensemble, vise le contrat de souscription envisagé en lui-même. Ne serait-il pas absolument déraissonable que la loi de 1867 cessât d’exercer sa portée tutélaire, sous prétexte que le banquier français endoctrine son client pour lui faire souscrire des actions d’une société qualifiée allemande ou belge, alors que la veille cette loi, voyant le même banquier proposer au particulier des actions dites françaises, entourait d’une foule de garanties l’actionnaire circonvenu? Quelle différence y a-t-il donc entre ces deux situations? Si on les sépare, c’est alors qu’on pourra dire méconnus les principes d’interprétation les plus solides du droit international privé.»1254 Diese Theorie betonte zwar nationale Interessen, indem sie insbesondere den Schutz der Anleger in das Anknüpfungsmerkmal des Gesellschaftsstatuts miteinbezog, sie fand aber wiederum aus pragmatischen Gründen keine große Anhängerschaft.1255 Bei Befolgen dieser Anknüpfungsmethode käme es bei Aktienzeichnern aus verschiedenen Ländern zur Zuerkennung entsprechend vieler unterschiedlicher Sitze der Gesellschaft und damit zu entsprechend vielen Personalstatuten, ganz zu schweigen davon, dass es für die Gesellschaft schwerlich möglich sein würde, alle Anforderungen der (dann zahlreichen) nationalen Gesellschaftsrechte zugleich zu erfüllen.1256 Im Übrigen bezweifelten einige Autoren auch bereits die Richtigkeit der Zielsetzung dieser Theorie.1257 Demnach konnten sich auch zum Teil vertretene Variationen dieser Lehrmeinung nicht durchsetzen.1258 déhors par conséquent de notre propre loi du 24 juillet 1867, constitue une hérésie juridique (. . .).» 1254 Thaller, Annales de droit commercial 4 (1890), 257, 263 f. Entsprechend formulierte der Autor (S. 266), seinen Gesetzesvorschlag wie folgt: «La nationalité d’une société se règle par son siège social qui sera non forcément dans le pays de l’exploitation, mais dans celui où a eu lieu au moins une fraction des souscriptions suffisamment élevée, que les tribunaux apprécieront. » 1255 Arminjon, RDIL 1902, 381, 393 ff.; ders. (1928), S. 26 ff.; Castier (1884), S. 128 f.; Gain (1924), S. 71 ff.; s. auch aus deutscher Sicht Schwandt (1912), S. 51 ff. 1256 Anders Thaller, Annales de droit commercial 4 (1890), 257, 264, der das Problem für lösbar hielt und auch weitere Situationen, wie die spätere Emission in einem anderen Lande der Erstemisson oder den Aktionärswechsel mit seiner Theorie in Einklang brachte. 1257 Arminjon, RDIL 1902, 381, 395 und ders. (1928), S. 27: Oft sei das Aktienkapital nicht durch Einzelanleger direkt, sondern durch Intermediäre wie Bankensyndikate gezeichnet, die wiederum ihre Anteile an ihre Kunden verkauften. Zudem sei den Subskribenten bewusst, dass die Gesellschaft, deren Anteile sie erwerben wollen, ihrem Personalstatut nach einem Staat zugeordnet sei, zu dem die Gesellschaft ein Band der Zugehörigkeit bzw. Abhängigkeit habe. Die Bestimmung des anwendbaren Rechts dürfe gerade nicht gleichgesetzt werden mit einer zufälligen Zeichnung von einem gewissen Ort aus.
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(3) Freie richterliche Würdigung Schließlich wurde die Auffassung vertreten, dass es keine vorgefertigten Kriterien zur Bestimmung des anwendbaren Rechts auf die Gesellschaft geben dürfe, sondern der Richter nach der Gesamtwürdigung des Falles die Anknüpfung vorzunehmen hätte.1259 So könne man den spezifischen Gegebenheiten des Einzelfalles und den Unterschieden von Personen- und Kapitalgesellschaften am besten gerecht werden. Die meisten französischen Autoren lehnten diesen Vorschlag strikt ab, da er den Anforderungen an eine rechtlich fundierte Lösung gänzlich widerspräche: «Sous cette forme absolue, ce système – si tant est qu’on puisse donner ce nom à la négation de tout système – est évidemment insoutenable. Laisser le juge juger d’après son impression, lui donner pour règle de ne suivre aucune règle, mais de déterminer la nationalité d’une personne à sa guise, en basant sa conviction sur les faits ou sur les circonstances qu’il lui plaira de choisir, c’est une solution qui n’a rien de juridique, qui est même contraire à la notion fondamentale de la science du droit.»1260 Die Rechtsunsicherheit und Willkürlichkeit der Entscheidungen wäre so grenzenlos, dass sogar eine falsche und enge Anknüpfungsmethode vorzugswürdig sei, da die Beliebigkeit der richterlichen Entscheidungen gerade in einer Materie, die Sicherheit und Stabilität erfordere, nicht zugelassen werden könne.1261 e) Praktische Gründe für den Siegeszug des Sitzkriteriums Nach der Darstellung des Anknüpfungskriteriums der Rechtsprechung und der verschiedenen Anknüpfungskonzepte der Literatur sollen abschließend die maßgeblichen Gründe verfolgt werden, die die Ausprägung der (zunächst ungeschriebenen) Verwaltungssitztheorie in Frankreich in ihrer konkreten Gestalt bedingten. aa) Vorzüge der Sitztheorie Das französische Recht regelte die Frage der Anknüpfung des Organisationsstatuts von Gesellschaften bekanntermaßen bis 1966 (im Wege einer einseitig gefassten Bestimmung) nicht positiv. Insbesondere ließ sich aus dem nationalen Ge1258 Ähnliche Anknüpfungsmodelle vertraten z. B. Chavegrin und Lebel, vgl. hierzu Schwandt (1912), S. 54 m. N. 1259 Vgl. Maguero, Traité alphabétique de droits de l’enregistrement, zitiert nach Arminjon, RDIL 1902, 381, 400: «Le siège social, la loi sous l’empire sous laquelle la société s’est formée, le lieu de son exploitation, la nationalité de ses membres ne sont que des éléments dont l’ensemble seul permet une juste appréciation qui variera suivant la nature de la société, sa composition, son objet, etc.» 1260 Arminjon, RDIL 1902, 381, 401. Zu vage mutete parallel auch die Anknüpfung am Ziel der Unternehmung an, vgl. Streit, RDIL 1928, 494, 507. 1261 S. Arminjon, RDIL 1902, 381, 401 und Cuq (1921), S. 46.
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sellschaftsrecht in der Fassung von 1867 für die Frage der „Nationalität“ einer Unternehmung keinerlei Hinweis entnehmen.1262 Für die Anknüpfung des Gesellschaftsstatuts an den Sitz der Gesellschaft gab es aber, wie bereits dargestellt, nachvollziehbare rechtstechnische Gründe. Zum einen war dies die Praktikabilität der ersten Orientierung an den für die natürlichen Personen geltenden Regeln und Begrifflichkeiten zur Bestimmung ihres Personalstatuts, wenngleich – wie aufgezeigt wurde – die Einbeziehung des Domizils der Gesellschaft in Form ihres Sitzes dogmatisch kein zwingendes Erfordernis begründete.1263 Zwar konnte man das Anknüpfungskriterium der Nationalität der Gesellschaft nicht parallel zur Staatsangehörigkeit des Menschen bestimmen, doch mithilfe von einigem argumentativen Begründungsaufwand den Sitz als Ausformung des Domizils, welches wiederum die Nationalität der Gesellschaft determiniere, darstellen.1264 Auf der anderen Seite fügte sich diese Anknüpfungslehre (ebenso wie die Gründungstheorie) in rechtlich fundierte bzw. zumindest nachvollziehbare Argumentationsstränge ein, was anderen Theorien, wie den an der Vertragsfreiheit ansetzenden Konzepten, den Kontrolltheorien oder der These der freien richterlichen Würdigung weniger glückte. Das so legitimierte Anknüpfungsmoment trug auch den modernen, von Savigny propagierten Anforderungen an das internationale Privatrecht Rechnung.1265 1262 Art. 57 des Gesetzes vom 24. Juli 1867, in: Duvergier (1867), S. 322, stellte fest, dass alle Gesellschaften ihre Statuten zu veröffentlichen hatten, welche u. a. zwingend den Sitz der Gesellschaft enthalten mussten. Aus dem Wortlaut allein lässt sich aber nicht gleich schließen, dass eine „französische“ Gesellschaft zwingend ihren (Verwaltungs-)Sitz in Frankreich haben müsse. Noch viel weniger lassen sich hieraus Anhaltspunkte für die „Fremdheit“ einer Gesellschaft entnehmen. Spätere Änderungen des Art. 31 des loi sur les sociétés im 20. Jahrhundert stellten einen Zusammenhang zwischen Nationalitätswechsel einer französischen Gesellschaft und Sitzverlegung her, vgl. Loussouarn, in: Recueil des cours 96 (1959-I), S. 447, 454, 495 f. 1263 Siehe oben Gliederungspunkt B. II. 1. c) bb) (3) (c). Anders wäre dies zu beurteilen, wenn man auch bei der Aktiengesellschaft allein auf ihre grds. vertragliche Natur abgestellt hätte. Doch sprach hiergegen gerade die Tatsache, dass die Aktiengesellschaft rechtskonstruktiv eine Kapitalgesellschaft war und daher ihre von den Aktionären völlig losgelöste Rechtspersönlichkeit besonders betont wurde. 1264 Die Anknüpfung der persönlichen Rechtsverhältnisse der natürlichen Person hatte sich im 20. Jahrhundert vom Wohnsitzprinzip abgewandt, weil der moderne Nationalstaatsgedanke der Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit Bahn brach. Da man das Konzept des „ius sanguinis“ nicht eins zu eins auf die juristische Person übertragen konnte, sprang man auf das früher für die natürliche Person herrschende Wohnsitzprinzip zurück, welches auch im code civil ergänzend zum Staatsangehörigkeitsprinzip Wirkung entfaltete, vgl. oben Gliederungspunkte B. II. 1. c) bb) (2) (b) und B. II. 1. c) bb) (3) (b). 1265 Savigny wollte ein Rechtsverhältnis demjenigen Rechtsgebiet unterstellen, welchem es seiner speziellen Natur nach angehörte bzw. unterworfen war, d.h. worin es seinen Sitz hatte, s. Savigny, Bd. 8 (1849), S. 108; s. hierzu auch Großfeld, RabelsZ 31 (1967), 1, 23; wenig überzeugend dagegen Sandrock, BB 2004, 897, 901, der Savigny
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B. Umgang mit fremden Gesellschaften aus rechtshistorischer Perspektive
Desweiteren wurde die Anknüpfung an den Verwaltungssitz dem Streben nach Rechtssicherheit und praktischer Durchführbarkeit besser gerecht als andere Anknüpfungskriterien. Gegenüber dem anderen Lager innerhalb der Domizilanknüpfung, d.h. der Anknüpfung an den Ort der Hauptbetriebsstätte, schien der Sitz der Organe der Gesellschaft nicht nur der beständigere Anknüpfungspunkt zu sein,1266 er schien auch besser dazu geeignet, die wahren Verantwortlichen für die Aktivitäten der Gesellschaft ausfindig zu machen und deren Funktionsweise und Befugnisse zur effektiveren Kontrolle der (aus Sicht des Sitzstaates) eigenen Rechtsordnung zu unterstellen: «Il apparaît du reste aisément que, du point de vue juridique, l’usine ou le chantier où ne se trouvent en général que des directeurs techniques, ne sont que des organes accessoires de la Société; ils ne sauraient constituer son principal établissement. Ce qui est le centre juridique de la Société, c’est son siège social (. . .). C’est, en effet, au siège social, qu’est le «cerveau de la Société»; c’est (. . .) le centre de ses affaires, où se trouvent concentrées son activité et sa vie juridique (. . .). C’est là qu’elle existe sous une forme tangible et là seulement que les tiers peuvent la rencontrer. Tous les autres organes de la Société ne sont que des dépendances du siège social.»1267 Vordergründig konnte also der Gedanke der „Kontrolle der Kontrolle“ über eine Gesellschaft den Ansatz an der Hauptbetriebsstätte verdrängen. Im Hintergrund spielten für die Sitzanknüpfung zudem dieselben Interessen, die auch für die Anknüpfung an die hauptsächliche Betriebsstätte streiten und die bereits den Konflikt um die Anerkennung der Gesellschaft (im engeren Sinne) Mitte des 19. Jahrhunderts bestimmten, eine Rolle: der Schutz nationaler Interessen. Insbesondere aus Sicht des französischen Staates heimische Aktionäre und Dritte sollten mit Hilfe der Sitzanknüpfung durch die Vorschriften des nationalen Handels- und Gesellschaftsrechts protegiert werden.1268 In diesem Sinne formulierte Thaller 1890 als augenscheinlichen Vorteil der Sitztheorie gegenüber der Anknüpfung an der Hauptbetriebsstätte: «(. . .) la loi des sociétés du lieu d’exploitation n’a pas été certifiée bonne et protectrice de l’épargne dans l’Etat où ont lieu les rencontres périodiques des membres du véritable personnel social, nous voulons dire als Verfechter der Privatautonomie im materiellen Privatrecht anführt, was für die Anwendung der Gründungstheorie im internationalen Gesellschaftsrecht spräche. 1266 Bei einer international agierenden Gesellschaft könnte sich die Bestimmung der Hauptbetriebsstätte als schwierig erweisen, wenn das Unternehmen grds. ortsunabhängig sei (wie etwa Versicherungen oder Banken) oder sich die Haupttätigkeit entsprechend verlagere, vgl. hierzu bereits oben Punkt B. II. 1. d) bb) (2) (a). 1267 Mazeaud, Clunet 55 (1928), 30, 52 f.; s. a. Cuq (1921), S. 61: «L’élément essentiel c’est la direction, c’est le contrôle de la société.» und Pepy (1920), S. 22 f.: «(. . .) le siège social est le lieu où se déroule la vie juridique de la société, vie juridique sans laquelle toute l’activité matérielle déployée dans ses bureaux et ses usines ne sert de rien.» 1268 Man ging nämlich davon aus, dass die Aktionäre der Aktiengesellschaft i. d. R. am Ort der Hauptverwaltung angeworben worden seien, s. Pic, Clunet 19 (1892), 577, 586.
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des administrateurs, des actionnaires, de tous ceux qui concourent de leur argent ou de leur direction supérieure à la marche de l’entreprise.»1269 Pepy bedauert gar, dass die (in seinen Augen ursprüngliche) rechtsdogmatische Idee der sachgerechten Anknüpfung an das durch ihre Organe ausgefüllte „juristische Leben der Gesellschaft“ nach und nach das Gewicht zuungunsten von rechtspolitischen Kapitalschutzinteressen verloren hätte.1270 Rechtspolitisch hatte die Sitzanknüpfung also aus Sicht der Zeitgenossen vor allem den Vorteil des Schutzes des nationalen Vermögens.1271 Mithilfe der Theorie des Verwaltungssitzes hielt man auch diese Zielsetzung für besser realisierbar als mit der Anlehnung an die bedeutendste Betriebsstätte. Die Sitzanknüpfung wurde damit zugleich den wirtschaftlichen Interessen Frankreichs, die naturgemäß die Rechtspolitik beeinflussen, gerecht. Der Abschottungsgedanke, der der Sitztheorie innewohnt, ist Ausgeburt der Lehren des Neomerkantilismus.1272 Frankreich hatte im Prinzip über das gesamte 19. Jahrhundert eine mehr oder minder ausgeprägte Politik des Protektionismus praktiziert. Man setzte auf die Abschirmung der heimischen Wirtschaft mithilfe von Schutzzöllen und versuchte auf der anderen Seite mittels Außenhandelsüberschüssen neue Geldmittel ins Land zu bringen.1273 Durch die Sitzanknüpfung zwang man diejenigen Gesellschaften, die hauptsächlich in Frankreich (mithilfe einer hier etablierten Verwaltung) Einfluss entfalten und dortige Anteilseigner 1269 Thaller, Annales de droit commercial 4 (1890), 257, 261 f. Diesen Gedanken greift auch Lerebours-Pigeonnière (1954), Nr. 175, S. 194, auf, wenn er schreibt: «Une société qui a en France ses organes directeurs peut être présumée avoir des préoccupations françaises et prendre pour pivot des intérêts françaises.» 1270 Pepy (1920), S. 73: «Au principe dont on se réclamait en premier lieu, on substitue en réalité une idée toute différente. Ce n’est plus la vie juridique de la société, seule forme de l’existence sociale proprement dite, qui crée entre la société et l’Etat où cette existence se déroule le lien de dépendance d’où résulte la nationalité; celle-ci résulte de la protection que l’Etat entend accorder aux capitaux que les entreprises industrielles, commerciales ou financières viennent solliciter chez lui, et aux possesseurs de ses capitaux. Ce n’est plus la société elle-même qu’on envisage dans son fonctionnement, dans son existence; ce sont les êtres humains qui l’ont constituée dont on prétend sauvegarder les intérêts. » 1271 Thaller, Annales de droit commercial 4 (1890), 257, 261, spricht davon, dass Betriebsstätten im Ausland von französischen Aktiengesellschaften das durch zu viele Importe gefährdete außenwirtschaftliche Gleichgewicht stabilisieren können: «Notre épargne alimente en réalité (. . .) des oeuvres extra-territoriales, et comme les recettes se feront à l’étranger, cet élément de placement maintiendra le cours du change à des prix abordables, en dépit d’importations de marchandises qui rompraient la balance.» Ähnlich Pic, Clunet 19 (1892), 577, 586: «Le système qui place le domicile légal au centre d’exploitation ne tient aucun compte du facteur principal de la prosperité industrielle moderne, le capital.» 1272 S. etwa Sandrock, RIW 1989, 505, 507; allgemein spricht Merkt, RIW 2003, 458, 459, bezüglich der Ziele der Sitztheorie von der „Isolierung des eigenen Gesellschaftsrechts“. 1273 S. hierzu Hintze, in: Plumpe (Hg.), S. 89, 104 f. und Broder, in: Braudel/Labrousse (Hg.), S. 229, 249 ff.
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werben wollten, sich auch im Inland anzusiedeln und sich der heimischen Rechtsordnung zu unterwerfen. Die den Lehren des Merkantilismus maßgebliche Ausrichtung der wirtschaftlichen Tätigkeit auf Staatsinteressen bedingt es nämlich, nicht nur die Funktionsweise einer bestehenden Organisation, sondern auch das Privileg der Rechtsfähigkeit mitsamt deren Erlangungsmöglichkeiten zu kontrollieren.1274 Der Umgehung nationaler Rechtsvorschriften wurde durch die Sitzanknüpfung ein Riegel vorgeschoben, denn die Sanktion der Nichtanerkennung als ausländische Gesellschaft mit dem der betreffenden Gesellschaftsform innewohnendem Haftungsprivileg traf diejenigen (Scheinauslands-)Gesellschaften, die ihren effektiven Sitz im französischen Inland nahmen. Fremde Gesellschaften konnten mithilfe der Verwaltungssitztheorie davon abgehalten werden, ihre Hauptniederlassung im französischen Inland zu begründen und damit in stärkeren Wettbewerb zu heimischen Gesellschaften zu treten. Gleichzeitig leistete die Sitzanknüpfung dabei aus damaliger Sicht einen Beitrag zum „nationalen Reichtum“. Anerkannt als französische Gesellschaft wurde nur diejenige, die in Frankreich ihren Sitz hatte und damit Einnahmen generierte, die in erster Linie der eigenen Volkswirtschaft (z. B. in Form von Investitionen, Dividenden) zugute kommen sollten.1275 Die beschriebene Politik des Protektionismus, die Frankreich im 19. und 20. Jahrhundert betrieb, kann mit dem relativen Misserfolg der französischen Wirtschaft in innerstaatlichem Wachstum und Export(verteilungs)raten verglichen mit Belgien, Deutschland und England erklärt werden.1276 (Nicht nur) aus damaliger Sicht hielt man Abkapselung einerseits und möglichst schwungvollen Außenhandel andererseits für geeignet, um die eigene Ökonomie zu stützen, wenngleich sich beide Maßnahmen als dem Ziel der Wirtschaftsförderung meist diametral entgegenlaufend erweisen. Die Sitzanknüpfung des grundsätzlich einheitlichen französischen „Nationalitätsbegriffes“ der Gesellschaft kam ferner dem französischen Steueraufkommen zugute. Wie bereits dargelegt, hatte die französische Cour de Cassation im Jahre 1870 in einer Besteuerungsfrage auf den Sitz einer Gesellschaft in Frankreich und nicht deren ausländische Hauptbetriebsstätte abgestellt.1277 Sofern eine Gesellschaft demnach im Inland ihre hauptsächliche Wirkung entfaltete, sollte sie 1274 Sandrock, RIW 1989, 505, 507, spricht daher bezüglich der Sitzanknüpfung von einem „(de facto) Konzessionssystem“, welches es allein dem inländischen Souverän erlaube, Rechtsfähigkeit zu verleihen. 1275 Siehe Chavegrin, Anmerkung, in: Sirey 1888.2.89 (S. 91): «(. . .) dès qu’une société (. . .) est établie en France, elle concourt, par les travaux qu’elle exécute ou par le mouvement d’affaires qu’elle développe, au progrès de la prospérité nationale; elle représente un intérêt français.» Auf der anderen Seite wurde das Betreiben einer Hauptbetriebsstätte im Ausland durch eine französische Gesellschaft als Einnahmequelle gesehen, die der heimischen Wirtschaft Vorteile beschere, siehe Thaller, wie Fn 1271, und Pic, Clunet 19 (1892), 577, 582, 585. 1276 S. hierzu Broder, in: Braudel/Labrousse (Hg.), S. 243 ff., 257. 1277 Im angesprochenen Fall ging es um die nach französischem Steuerrecht zu entrichtende jährliche Steuer auf den Aktienhandel einer Gesellschaft. Zu den allgemeinen
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ungeachtet einer ausländischen Betriebsstätte als französische Gesellschaft besteuert werden und somit bestimmte Einnahmen für den Fiskus generieren.1278 Weiterhin konnte die Rechtsprechung bei der Bestimmung des siège social auf die Jurisdiktion in anderen Rechtsgebieten zurückgreifen. So spielte der Sitz einer Gesellschaft nicht nur im nationalen Prozessrecht und im Steuerrecht, sondern auch bei Fragen der internationalen Zuständigkeit, insbesondere insolvenzrechtliche Sachverhalte betreffend, eine wesentliche Rolle, so dass man sich für das Auffinden der essentiellen Sitzmerkmale an diesen Rechtsgebieten orientieren konnte.1279 Da der Sitz einer Gesellschaft die internationale Zuständigkeit der Gerichte maßgebend beeinflusste, so schloß Pepy, müsse der Sitz erst recht das auf die Gesellschaft anwendbare Recht bestimmen: «Le tribunal dans le ressort duquel se déploie l’activité juridique de la société est compétent pour juger des affaires où est en jeu l’existence de la société, l’Etat dans les frontières duquel la société mène son existence juridique; c’est la loi de cet Etat qui doit régir la constitution et le fonctionnement de la société, c’est-à-dire, en définitive, les conditions auxquelles cette société pourra exister comme personne juridique, les règles de droit qui présideront au jeu de ses divers organes. Bref, l’Etat dans lequel est établi le siège social est le seul avec lequel la société soit unie par ce lien juridique spécial qui s’appelle la nationalité. Le siège social, centre de l’activité proprement sociale, lieu des actes particuliers à une société, détermine à la fois la compétence juridictionelle et la compétence législative.»1280 Der Gedanke der Parallelität der Anknüpfungen des internationalen Verfahrensrecht und des internationalen Privatrechts findet sich in einigen Rechtsbereichen sogar im modernen Kollisionsrecht wieder,1281 weshalb es nicht erstaunt, dass die Autoren des frühen 20. Jahrhunderts einen Gleichlauf beider Rechtsmaterien forderten. Logik und Praktikabilität erfordern, dass die nationalen Regeln verschiedener Rechtsgebiete aufeinander abgestimmt sind, was beim Rückgriff auf verschiedene Rechtsordnungen nicht immer gewährleistet ist und somit die Rechtsfindung erschweren kann. Insgesamt sprachen somit vor allem ergebnisorientierte Gründe anstelle von rechtlich zwingenden Prinzipien für die Durchsetzung der Sitztheorie in Frankreich. Schwierigkeiten der Besteuerungsfragen fremder Gesellschaften aus zeitgenössischer Sicht vgl. Lyon-Caen (1870), S. 105–109, 138–149. 1278 Vgl. hierzu auch Pohlmann (1988), S. 63 f. m.w. N. zur Rspr., der feststellt, dass die Cour de cassation das Sitzkriterium in Steuerfragen anwendete, um die „Nationalität“ der Gesellschaft festzustellen. 1279 Siehe Art. 59 Abs. 4 und 69 Abs. 5 Code de procédure civile sowie Cour de cassation, Urt. v. 21. Februar 1849, in: Sirey 1850.1.148; Cour de Chambéry, Urt. v. 1. Dezember 1866, in Sirey 1867.2.182 sowie die Nachweise in Fn 1061, 1064 und 1071. 1280 Pepy (1920), S. 23 f. 1281 Siehe hierzu nur Kropholler (2006), § 58 II 2 und 3, S. 611 ff.
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bb) Gründe für die zunächst fehlende Normierung der Sitztheorie in Frankreich Trotz der weitgehenden Einigkeit von Literatur und Rechtsprechung hinsichtlich der Sitzanknüpfung wurde die Sitztheorie in Frankreich (als formal einseitige Kollisionsnorm) erst 1966 normiert.1282 Es fragt sich, wieso es der französische Gesetzgeber erst so spät seinem belgischen Nachbarn gleichtat, der bereits 1873 ein gesetzliches Bekenntnis in Richtung Sitztheorie abgegeben hatte. Diese Frage drängt sich auf, zumal die französische Rechtsprechung in Fragen der Nationalität der (Kapital-)Gesellschaften nachweislich ab dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts regelmäßig – von kriegsbedingten Sonderlagen abgesehen – an den Sitz angeknüpft hatte und man sich bereits in der Anerkennungsproblematik von der belgischen Regelung hatte inspirieren lassen. Eine Kodifizierung der Sitztheorie hätte endgültig Rechtssicherheit bezüglich des maßgeblichen Anknüpfungsmomentes herstellen und somit manche Debatte in der Literatur bezüglich der Wahl der Anknüpfung abkürzen können. Die Gründe für die mangelnde Normierung der Sitztheorie sind vielfältig. Einerseits war man im Unterschied zu den geschichtlichen Umständen, die zum Erlass des Gesetzes von 1857 führten, nicht aufgrund eines vorangegangenen Konfliktes staatsvertraglich mit Belgien zum Erlass einer parallelen Regelung gezwungen. Vielmehr beschäftigte man sich in Frankreich im ausgehenden 19. Jahrhundert noch mit der Frage, welche Reichweite dem Anerkennungsgesetz von 1857 nach dem Übergang zum System der Normativbestimmungen in Europa noch zukam, anstelle dieses Gesetz entsprechend zu modifizieren.1283 Andererseits wollte sich der historische Gesetzgeber – wohl auch nach der höchstrichterlichen Klärung der Fortgeltung des Gesetzes von 1857 im Jahre 1902 – (zumindest) noch eine „Hintertür“ für die kurzfristige Wahl eines anderen Anknüpfungsmomentes offen halten, was sich durch eine gesetzliche Regelung der Anknüpfung (in Verbindung mit der automatischen Anerkennung) deutlich schwieriger gestaltet hätte. Bereits Thaller hatte 1881 gegenüber der Anlehnung einer französischen Regelung an die liberale belgische Regelung in Art. 128 des Gesetzes von 18731284 gewarnt: «Cette disposition, qui assimile entièrement les sociétés aux individus et ramène la question à une affaire de statut personnel, ne laisse aucune place à l’intérêt de police nationale qu’un État ne doit jamais per-
1282 Loi nº 66-357 du 24 juillet 1966 sur les sociétés commerciales, Art. 3 Abs. 1 lautet: Les sociétés dont le siège social est situé en territoire français sont soumises à la loi française. Abs. 2 fährt fort: Les tiers peuvent se prévaloir du siège statuaire, mais celui-ci ne leur est pas opposable par la société si son siège réel est situé en un autre lieu. Das Gesetz ist abrufbar unter: http://www.legifrance.gouv.fr/. 1283 Vgl. hierzu Gliederungspunkt B. I. 2. d) bb). 1284 Wortlaut zu finden bei Gliederungspunkt B. II. 1. b) aa) (2).
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dre de vue. Notre marché a gardé trop bon souvenir des scandales financiers qu’a provoqués naguère le tripotage de certaines sociétés américaines, pour souhaiter l’établissement d’une règle aussi dangereuse.»1285 Dennoch hatte sich die französische Regierung Anfang der 80er Jahre des 19. Jahrhunderts mit einem Regelungsentwurf zu ausländischen Gesellschaften als teilweise Novellierung des Gesetzes von 1867 beschäftigt.1286 Zwar erwog man tatsächlich, die Auslegungsprobleme zum Gesetz von 1857 zu beheben und eine neue Regelung einzuführen, doch findet sich auch im Entwurf von 1883 keine klare Bestimmung zur Frage der Nationalität der Aktiengesellschaft, d.h. zur Identifizierung des auf die Gesellschaft anwendbaren Rechts. Der französische Justizminister hatte die mangelnde Normierung der Nationalitätsfrage bei den Beratungen zum Gesetzesentwurf begrüßt, denn keine starre Regelung, sondern die Gerichte sollten hierüber – je nach Einzelfall – entscheiden dürfen: «(. . .) s’est-on demandé si on devait chercher à donner une définition de la Société étrangère dans le projet. Mais on ne s’est pas arrêté dans cette idée, et la question sera jugée par les tribunaux, selon l’exigence des cas. Un exemple suffira pour prouver qu’il était impossible de la résoudre par voie de disposition générale. Voici une grande Société anonyme, celle du canal de Panama: tous ses travaux se font à l’étranger, tout son trafic y sera également; il semblerait donc qu’elle est étrangère ratione loci et forcément étrangère. Si cependant il lui plaît d’être française, si la loi ou le gouvernement du pays où elle opère consentent à lui reconnaître notre nationalité, pourquoi notre loi la repousserait-elle? Ainsi une Société peut avoir son établissement à l’étranger, et cependant être volontairement française. Elle peut avoir en apparence, frauduleusement, la qualification d’étrangère pour son domicile, et en réalité devoir être déclarée française. En sens inverse, n’est-il pas possible qu’une Société, en apparence française, soit en réalité étrangère, qu’elle se soit francisée dans un but frauduleux, pour éviter la possibilité de l’expulsion? Cette question de nationalité est donc à résoudre selon les circonstances de chaque espèce: la loi ne devait pas la trancher.»1287 Das gewählte Beispiel der französischen Aktiengesellschaft, die zum Bau des Kanals von Panama Anleger anziehen und ausreichend Kapital vereinen sollte, zeigt gerade, dass die Umstände des Einzelfalls auch den wirtschaftlichen Kontext berücksichtigen sollten. Nach dem finanziellen Erfolg des Suezkanals wit1285
Thaller, Journal des sociétés civiles 2 (1881), 312, 318. Gesetzesentwurf zur Erneuerung dieser Regelungen, abgedruckt in: Clunet 10 (1883), 102 f.; Kritik hierzu von Buchère, in: Clunet 10 (1883), 479 ff. 1287 Siehe zu den Ausführungen des Justizministers Martin Feuillée, N. N., in: Clunet 11 (1884), 215, 218 sowie Cuq (1921), S. 33; bedauernd Lyon-Caen, Journal des sociétés civiles et commerciales 1 (1880), 32, 36, 41, der eine gesetzliche Regelung nach dem belgischen Vorbild des Art. 129 des Gesetzes vom 18. Mai 1873 für erstrebenswert hielt, allerdings zur Bestimmung des „principal établissement“ an der Hauptbetriebsstätte anknüpfen wollte. 1286
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terte man nämlich auch in Frankreich die Chance auf Profit mithilfe des Baus eines Kanals zur Verbindung von Atlantik und Pazifik.1288 Man hatte also in diesem Fall ein Interesse daran, die Gesellschaft unter dem Regime des französischen Rechts zu errichten und zu betreiben, was unter Anknüpfung an das Domizil der Gesellschaft verstanden als Ort der Hauptbetriebsstätte zu Schwierigkeiten geführt hätte.1289 Der historische Gesetzgeber hielt es entsprechend der Ansicht des damaligen französischen Justizministers somit für rechtspolitisch unklug, mittels Gesetz starr Farbe in Richtung eines festgelegten, klar definierten Anknüpfungskriteriums zu bekennen.1290 Zumal die Rechtsprechung gegen Ende des 19. Jahrhunderts bisweilen noch zwischen der Anknüpfung an den Verwaltungssitz bzw. die Hauptbetriebsstätte schwankte, schien die Zeit für eine Kodifizierung ohnehin nicht reif.1291 Das weiterhin fortbestehende Anerkennungsgesetz von 1857 diente zudem als gefühlte „Waffe“ gegenüber fremden Gesellschaften, hatte aber aufgrund bestehender Dekrete und Staatsverträge mit vielen Ländern bald praktisch keine Relevanz mehr. Auch in den ersten Dekaden des 20. Jahrhunderts erfolgte keine gesetzliche Regelung zur Anknüpfung der Gesellschaft. Dies mag den beiden Weltkriegen geschuldet sein, die aufgrund des Feindhandelsverbotes zu einer flexibleren Handhabung des Nationalitätsbegriffes zwangen und der Kontrolltheorie zugute kamen. Da das französische Rechtssystem grundsätzlich von einer „einheitlichen Nationalität“ der Gesellschaft in allen Rechtsfragen ausging und hierunter Fragen 1288 Vgl. hierzu etwa Meyers Konversationslexikon, 4. Aufl., Bd. 17, S. 637 f. Entgegen der positiven Erwartungen entwickelte sich der Kanalbau zum finanziellen Desaster und zur Politaffäre. Nach dem Bankrott der französischen Aktiengesellschaft führte eine amerikanische Gesellschaft die Kanalbauarbeiten fort. 1289 Möglicherweise trug auch das von Thaller, Annales de droit commercial 4 (1890), 257, 261, geschilderte Missverständnis einiger französischer Rechtsexperten bezüglich des Art. 129 des belgischen Gesetz vom 18. Mai 1873 zu einer Verwehrung gegenüber der Nachahmung dieser Regel bei: Auch in Belgien verstand man nach h. M. unter dem Domizil der Gesellschaft ihren Sitz und nicht den Ort der Hauptbetriebsstätte. 1290 Dies deutet auch Tr. Civ. Lille, Urt. v. 21. Mai 1908, in: Sirey 1908.2.177 (S. 182), an: «Attendu que, s’il n’y a pas de texte de loi, c’est que le législateur n’a pas voulu, à raison de la complexité de la question, poser un principe fixe applicable à toutes les hypothèses, qui eût pu, dans bien des cas, être contraire à la réalité des faits et susciter peut-être des répresailles de la part des autres nations, mais a entendu laisser aux tribunaux le soin de statuer suivant les cas et en tenant compte des circonstances; ». Ähnlich Gain (1924), S. 45 f. 1291 Zwar gilt regelmäßig die Entscheidung der Cour de cassation aus dem Jahre 1870 als Fixierung des Sitzerfordernis, doch stellten wenige Gerichte z. T. auch später noch – je nach Sachverhaltskonstellation – auf den Ort der Hauptbetriebsstätte ab, vgl. etwa Tr. Com. de la Seine, Urt. v. 26. Mai 1909, in: Clunet 37 (1910), 193; dagegen Tr. Com. Nice, Urt. v. 24. Mai 1907, in: Clunet 36 (1909), 198 für Verwaltungssitz statt Hauptbetriebsstätte. Die Schwierigkeiten der eindeutigen Bestimmung des Domizils einer Gesellschaft anhand der Auswertung der Rspr. behandelt auch Vavasseur, Clunet 2 (1875), 345, 349.
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des internationalen Privatrechts und des Fremdenrechts zusammenfasste,1292 hätte man sich insofern für ein alle Fragen regelndes Kriterium entscheiden müssen. Das Konfliktpotential zeigt sich klar, wenn die Urteile zur Kontrolltheorie den Nationalitätsbegriff teilweise vermeiden und davon sprechen, dass man in Frankreich grundsätzlich an der Sitzanknüpfung festhalten wolle.1293 So trug auch die Konzeption des Nationalitätsbegriffs der Gesellschaften in Frankreich als dritter Grund zur vergleichsweise späten gesetzlichen Regelung der Sitztheorie bei.
2. Die Entwicklung der Sitztheorie in Deutschland a) Rolle des Übergangs zum Normativbestimmungssystem im nationalen Handelsrecht 1870 Anders als in Frankreich und Belgien brachte der Übergang zum System der Normativbestimmungen in Deutschland nicht die gleichen Folgen mit sich, die man vor allem in Frankreich beobachten konnte. Wie bereits aufgezeigt, führte dort der Wechsel der Gründungssysteme dazu, dass sich zahlreiche Gesellschaften nur deshalb im Ausland konstitutierten, um die französischen Vorschriften zu unterlaufen.1294 Da in den romanischen Ländern nicht zwischen Anerkennung der bloßen Rechts- und Parteifähigkeit und der Zulassung ausländischer Gesellschaften zum Gewerbebetrieb getrennt wurde, stellte sich das Problem des Missbrauchs in stärkerer Form. Desweiteren ist zu bemerken, dass die Anerkennung fremder Aktiengesellschaften im engeren Sinne für die deutschen Staaten bereits unter Geltung des Konzessionserfordernisses nicht in Frage gestellt wurde, woran sich auch unter dem allgemeinen Übergang zum System der Normativbestimmungen ab 1870 nichts änderte.1295 Das Sitzerfordernis konnte damit anders als in Frankreich schon unter dem Konzessionssystem deutlicher als maßgebliches Kriterium der Anerkennung der Gesellschaft als dem Staate ihres Sitzes angehörig (Anerkennung im weiteren Sinne) in den Vordergrund treten.
1292 Vgl. bereits den Nachweis in Fn 1033. Seit den letzten Jahrzehnten bemüht sich die Rechtswissenschaft aber um eine Systematisierung der unterschiedlichen Aspekte des Nationalitätsbegriffes, insbes. die Unterscheidung von Fremdenrecht und Gesellschaftskollisionsrecht, vgl. Jacquet/Delebecque/Corneloup (2007), Nr. 258 f., S. 148 f. Auch das Konzept der Einheitlichkeit des Nationalitätsbegriffes ist ins Wanken geraten, s. dies., Nr. 267 f. 1293 Vgl. bereits den Nachweis zum Urteil der Cour d’appel de Lyon vom 30. März 1915 in Fn 1208; s. a. Cour de Paris, Urt. v. 17. Dezember 1919, in: Clunet 47 (1920), 227 ff. 1294 Vgl. Gliederungspunkt B. II. 1. b) bb). 1295 Vgl. Gliederungspunkt B. I. 3.
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b) Anknüpfung am Gesellschaftssitz Im Folgenden wird die Sitzanknüpfung im deutschen Rechtskreis dargestellt. Insbesondere soll herausgearbeitet werden, ob Literatur und Rechtsprechung uneingeschränkt das Recht des Verwaltungssitzes als maßgeblichen Anknüpfungsgegenstand favorisierten und inwiefern das belgisch-französische Leitbild hierauf Einfluss nahm. aa) Gesetzgeberische Motive Bekanntlich wurde die Sitztheorie in Deutschland nicht kodifiziert, doch kann man an den Motiven der Gesetze des ausgehenden 19. Jahrhunderts erkennen, dass der Gesetzgeber die kollisionsrechtliche Anknüpfung des Gesellschaftsstatuts am (effektiven) Sitz der Gesellschaft festmachte. Der Maßgeblichkeit der Sitzanknüpfung wird vom Gesetzgeber in den Motiven der zweiten Aktienrechtsnovelle von 1884 das Wort geredet. Hier heißt es: „Zunächst kann es keinem Zweifel unterliegen, daß Aktiengesellschaften, welche, wenngleich von Ausländern im Auslande gegründet, ihren Sitz im Reichsgebiete nehmen als inländische Gesellschaften zu gelten haben und daher in jeder Beziehung den Bestimmungen des deutschen Rechts unterworfen sind.“ 1296 Der Sitz im Inland prägte somit die „Nationalität“ der Gesellschaft, weshalb eine deutsche Aktiengesellschaft ihren Sitz im Inland nehmen musste. Kollisionsrechtlich gesprochen bestimmte der Sitz demnach die auf die Gesellschaft anwendbare Rechtsordnung, was nach den Motiven als allgemeiner Rechtsgrundsatz des deutschen Rechts angesehen werden müsse: „Für Deutschland kann es als ein dem bürgerlichen Rechte der einzelnen Bundesstaaten gemeinsamer Grundsatz bezeichnet werden, daß die Rechts- und Handlungsfähigkeit einer auswärtigen (. . .) Aktiengesellschaft nach den Gesetzen des Staates, in welchem sie ihren Sitz hat, zu beurtheilen (. . .) ist.“ 1297 Die Anknüpfung an den Sitz stand in Anlehnung an die Entwürfe Gebhards selbstredend auch im Mittelpunkt der Beratungen zum EGBGB.1298 In den Motiven seines ersten Entwurfs zum Kollisionsrecht 1881 hält Gebhard die Anknüpfung der fremden juristischen Person für unstreitig: „Infolge der Theorie von der maßgebenden Bedeutung des Wohnsitzes für die Rechtsfähigkeit ist man in Deutschland von jeher gewohnt, die rechtliche Existenz der juristischen Person nach den Gesetzen des Ortes zu beurteilen, an welchem sie ihren Sitz hat.“ 1299 (. . .) „Eine Konsequenz (. . .) ist, daß die Gesetze am Sitze der juristischen Person 1296 1297 1298 1299
Motive zur 2. Aktienrechtsnovelle, wie Fn 818, S. 313. Motive zur 2. Aktienrechtsnovelle, wie Fn 818, S. 313. Vgl. hierzu oben Gliederungspunkt B. I. 3. c) aa) (4) (a). Motive zum Ersten Gebhardschen Entwurf (1881), bei: Niemeyer (1915), S. 90.
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auch für den Umfang ihrer Rechtssubjektivität und für die Verfassung und Organisation derselben maßgebend sind (. . .).“ 1300 Wie bereits erläutert wurde, kann die mangelnde Kodifizierung der Sitztheorie keinesfalls als Abkehr von dieser hergebrachten Anknüpfung verstanden werden, sondern ist allein auf politische Bedenken gegen eine explizite Regelung zurückzuführen.1301 Eine Anerkennungsnorm wurde nur für fremde Vereine erlassen, die allerdings nicht auf das Sitzerfordernis im Gründungsland abstellt. Zwar lässt sich den Protokollen zur Beratung des EGBGB nicht entnehmen, weshalb der noch in den Vorentwürfen zu Art. 10 EGBGB enthaltene Bezug auf den Sitz des Vereins im Gründungsstaat nicht in die Endfassung dieser Norm übernommen wurde.1302 Der Umstand, dass das Relikt zur ursprünglich geplanten Sitzanknüpfung, sprich Art. 10 EGBGB, nicht explizit am Sitz des Vereins anknüpft, ist aber in erster Linie mit der Bezugnahme auf § 23 BGB zu erklären.1303 § 23 BGB stellte für Vereine mit ausländischem Sitz eine Ausnahme zu dem materiell- und kollisionsrechtlichen Grundsatz dar, dass ein nach deutschem Recht gegründeter und nach deutschem Recht zu beurteilender Verein in Deutschland sitzen muss.1304 Kontrolle über die Erlangung deren Rechtsfähigkeit erhielt der Bundesrat. Art. 10 EGBGB war das kollisionsrechtliche Pendant zu § 23 BGB, denn hiermit sollte in erster Linie eine missbräuchliche Gründung eines an sich deutsche Interessen betreffenden Vereins im Ausland wirkungslos gemacht werden: Eine automatische Anerkennung erfolgte nicht, vielmehr war ebenso ein Beschluss des Bundesrates nötig. Es ist stark davon auszugehen, dass auch für die im Ausland gegründeten und dort rechtsfähigen Vereine (implizit und prinzipiell) ein Sitz im Gründungsland gefordert wurde – dafür spricht auch die frühe Kommentarliteratur.1305 Doch bestand kein dringendes Bedürfnis in Art. 10 EGBGB 1300
Motive zum Ersten Gebhardschen Entwurf (1881), bei: Niemeyer (1915), S. 93. S. a. Motive zum Zweiten Gebhardschen Entwurf (1887), bei: Niemeyer (1915), S. 316. 1301 Vgl. oben Gliederungspunkt B. I. 3. c) aa) (4). 1302 Zur Entstehungsgeschichte dieser Norm siehe bereits oben Gliederungspunkt B. I. 3. c) aa) (4). 1303 So bereits Großfeld, in: FS Westermann (1974), S. 199, 218–220. 1304 Vgl. zum Ausnahmecharakter von § 23 BGB Raape, Bd. 1 (1938), S. 122 und Lewald, Bd. 1 (1930), S. 47 f. 1305 Staudinger/Loewenfeld, Bd. 1 (1904), § 23, Nr. 5 grenzt § 23 BGB und Art. 10 EGBGB voneinander ab und bemerkt bezüglich Art. 10 EGBGB: „Die Bestimmung setzt den Grundsatz voraus, daß die Juristische Person nach den Gesetzes des Ortes zu beurtheilen ist, an welchem sie ihren Sitz hat (. . .). Die Vorschrift, daß die Anerkennung durch den Bundesrath erforderlich ist, bezweckt, ausländische Vereine, deren Wirksamkeit im Inlande deutschen Interessen widersprechen würde, oder Vereine, die ihren Sitz in das Ausland verlegt haben, weil sie im Inlande die Rechtsfähigkeit nicht erlangen könnten, von der Rechtsfähigkeit im Inland auszuschließen (. . .)“. Niemeyer (1901), § 10, S. 129, hebt hervor, dass das Abstellen auf den Sitz im Wortlaut des Art. 10 EGBGB vorteilhafter gewesen wäre. Großfeld, in: FS Westermann (1974), S. 199, 220 tendiert hingegen vorsichtig dazu, für den engen Bereich des Art. 10 EGBGB eine generelle Ausnahme vom Prinzip des Sitzes im Gründungsland anzunehmen.
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B. Umgang mit fremden Gesellschaften aus rechtshistorischer Perspektive
explizit am Sitz anzuknüpfen, denn die letztendliche Kontrolle in Form eines Anerkennungsaktes des Bundesrates ließ hier die gesetzliche Festschreibung weiterer Anerkennungskriterien obsolet erscheinen und sicherte dem Bundesorgan ultimative Freiheit für seine Anerkennungsentscheidung.1306 bb) Literatur zur Sitzanknüpfung (1) Parallele zur natürlichen Person (a) Bedeutung des Wohnsitzes Im Schrifttum der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts findet sich für die juristische Person als selbstverständlicher Ausgangspunkt die Bezugnahme auf den Sitz: „Die Anerkennung der juristischen Person als solcher erfordert consequent, dass über die Constituirung (und innere Einrichtung) der Gesellschaft die am Sitze derselben geltenden Gesetze entscheiden.“ 1307 Zwar definierte von Bar 1862 den Sitz noch nicht, fügte aber in der zweiten Auflage seiner Abhandlung zum Kollisionsrecht von 1889 zur Charakterisierung des Sitzes hinzu: „Auch juristischen Personen legt man einen eigenen Wohnsitz bei. Auch bei ihnen lässt sich ein Mittelpunkt derjenigen Thätigkeit denken, welche man als Thätigkeit der juristischen Person betrachtet.“ 1308 Die in dem Zitat dargelegte Bestimmung des Gesellschaftsstatuts als Parallele zur Bestimmung des Personalstatuts natürlicher Personen begegnet nach dem romanischen auch für den deutschen Rechtsbereich.1309 Einen sehr wichtigen Beitrag zu dieser kollisionsrechtlichen Gleichbehandlung natürlicher und juristischer Personen lieferte Savigny. Dieser sprach sich Mitte des 19. Jahrhunderts für die (bereits unter Geltung der Statutentheorie) herrschende Anknüpfung der Rechtsverhältnisse der natürlichen Person am Wohnsitz aus.1310 Unter dem Wohnsitz verstand Savigny in Anknüpfung an die römische 1306 Daher formulierte bereits Großfeld, in: FS Westermann (1974), S. 199, 220: „Eine Mißbrauchsregelung wie sie das Sitzprinzip im Kerne darstellt, mochte daneben nicht als erforderlich erscheinen. Daß sie auch im Bereich der automatischen Anerkennung als unnötig angesehen wurde, lässt sich daraus nicht schließen.“ Heute findet sich ein Kontrollmechanismus im Vereinsrecht: Nach der durch das Vereinsgesetz von 1964 eingeführten Vorschrift in § 15 ist dem Innenminister unter bestimmten Umständen das Verbot eines Vereins mit ausländischem Sitz vorbehalten, sofern sich Organisation und Tätigkeit des Vereins auf den räumlichen Herrschaftsbereich des Vereinsgesetzes erstrecken. Vgl. zu den Motiven von § 15 Vereinsgesetz, BT-Drs. IV/430, 1962, S. 1, 23 f. 1307 von Bar (1862), § 41, S. 135, dort Fußnote 1. 1308 von Bar, Bd. 1 (1889), § 47, S. 162. 1309 Vgl. hierzu bereits ausführlich zur französischen Entwicklung Gliederungspunkt B. II. 1. c). 1310 Savigny, Bd. 8 (1849), S. 93, 95. Dies entsprach der Rechtslage im Allgemeinen Landrecht für die preußischen Staaten. § 23 Einleitung des ALR lautete: Die persön-
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Rechtstradition denjenigen durch „Willenserklärung“ und „That“ erwählten Ort eines Menschen, „(. . .) welchen derselbe zum bleibenden Aufenthalt, und dadurch zugleich zum Mittelpunkt seiner Rechtsverhältnisse und Geschäfte frei gewählt hat.“ 1311 Bei der juristischen Person müsse der Begriff abgewandelt und als „künstlicher Wohnsitz“ verstanden werden.1312 Die Synthese der Lehren Bars und Savignys spiegelt sich in der Folgezeit bei Handelsrechtlern sowie Internationalprivatrechtlern des 19. Jahrhunderts als herrschende Meinung wider.1313 Die überwiegende Ansicht in der kollisionsrechtlichen Literatur des 20. Jahrhunderts nahm den Sitzbegriff nun als gegeben hin, teilweise ohne die Parallele zum Wohnsitzbegriff zu erwähnen bzw. theoretisch zu unterfüttern.1314 Im Rahmen der Verfestigung der Sitztheorie im weiteren Verlauf ist zu beachten, dass im 19. Jahrhundert allgemein eine Anknüpfung an den Wohnsitz erfolgte, dass aber das EGBGB ab dem 20. Jahrhundert – wie schon der code civil 1804 – einen Wechsel zum Staatsangehörigkeitsprinzip normierte.1315 Dennoch blieb man bei der juristischen Person überwiegend beim Sitzprinzip.1316
lichen Eigenschaften und Befugnisse eines Menschen werden nach den Gesetzen der Gerichtsbarkeit beurtheilt, unter welcher derselbe seinen eigentlichen Wohnsitz hat. 1311 Savigny, Bd. 8 (1849), S. 61, 58. 1312 Savigny, Bd. 8 (1849), S. 65. Den Begriff der juristischen Person bezog Savigny in diesem Zusammenhang auch auf die Aktiengesellschaft, welche er de facto grds. als Rechtsperson behandelte, vgl. oben Gliederungspunkt B. I. 3. a) bb) (3) (a) (aa). 1313 Lesse, Busch’s Archiv 29 (1874), 19, 22: „Juristische Personen können zwar keinen natürlichen Wohnsitz haben, aber man legt ihnen einen künstlichen Wohnsitz bei, welcher in der Regel bei ihrer Begründung festgestellt wird, und dieser Wohnsitz macht das dem letzteren eigenthümliche Recht zur Eigenschaft der juristischen Person.“ Keyssner, Deutsches Handelsblatt 3 (1873), 129, 130: „Die Rechtspersönlichkeit einer Aktiengesellschaft ist deshalb, gleichviel wo sie handelnd auftritt, nach den Gesetzen ihres Wohnsitzes zu beurtheilen.“ S. a. Förster, Bd. 1 (1873), S. 50; ders. Bd. 1 (1892), S. 58 f.; E. Wolff, Clunet 12 (1886), 134, 135; ders., ÖZBl. 4 (1886), 409, 410. Auch das Reichsgericht stellte 1877 eine Verbindung zwischen Wohnsitz der natürlichen und Verwaltungssitz der juristischen Person her, s. RGZ 77, 19, 22. 1314 Ohne Herleitung stellen auf den Sitz ab: Niemeyer (1901), § 10, S. 131; Denzler (1902), S. 338, 347 f.; Lewald, Bd. 1 (1930), S. 45 f.; Nussbaum (1932), S. 198. Für das deutsche und schweizerische Recht setzen Böhm (1890), § 26, S. 154 und Meili, Bd. 1 (1902), § 66, S. 250 ff. und Bd. 2 (1902), § 164, S. 243 ff., Domizil und Sitz gleich; die Parallele zum Wohnsitz wird auch angedeutet bei Mamelok (1900), S. 25 ff., 262; Bezüge zum Staatsangehörigkeitsbegriff bzw. zum Wohnsitz finden sich bei Zitelmann, Bd. 2 (1912), S. 111 und Raape, Bd. 1 (1938), S. 118 f. 1315 Vgl. zum Übergang auf das Staatsangehörigkeitsprinzip Behn (1980), S. 217 ff. Die Frage nach der „besseren Anknüpfungsregel“ erhitzte auch in Deutschland die Gemüter, vgl. etwa Mommsen, AcP 61 (1878), 149, 151; Motive zum Zweiten Gebhardschen Entwurf (1887), bei: Niemeyer (1915), S. 304–308. 1316 Beitzke (1938), S. 25: „Da (. . .) sachlich (. . .) keine zwingende Veranlassung bestand, von dem hergebrachten Domizilprinzip abzuweichen, festigte sich die Anschauung, daß die Staatsangehörigkeit bei den j. P. vom Domizil abhängig sei.“ Daher „(. . .)
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B. Umgang mit fremden Gesellschaften aus rechtshistorischer Perspektive
Sofern sich deutsche Autoren vereinzelt mit der dogmatischen Begründung der Sitztheorie im Sinne einer Gleichstellung der natürlichen und der juristischen Person beschäftigten und sodann die Frage erhoben, welches Anknüpfungsmerkmal anstelle der „Staatsangehörigkeit“ als Anknüpfungsmoment dienen sollte, so sind die Gemeinsamkeiten zu Frankreich unübersehbar: In der Regel rechtfertigte man den Austausch des Nationalitätsbegriffes (zur Anknüpfung des Personalstatutes) mit dem Sitzbegriff (zur Anknüpfung des Gesellschaftsstatutes) mithilfe der Parallele von Wohnsitz der natürlichen Person und Gesellschaftssitz. Argument für eine solche Parallelenbildung war, dass der Sitz das sachnäheste und beständigste Moment für die kollisionsrechtliche Behandlung der juristischen Person sei und mithin an die Stelle der Staatsangehörigkeit trete.1317 Zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen sei hier auf die übertragbaren Schlussfolgerungen zum französischen Recht verwiesen.1318 Es werden im Folgenden nur die wesentlichen deutschen Autoren zur Veranschaulichung des Gleichlaufs näher betrachtet. (b) Einfluss der Diskussion um den Staatsangehörigkeitsbegriff Zentrale Quelle, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine ausführliche Beschäftigung und Begründung für die Sitzanknüpfung liefert, ist die Arbeit Isays aus dem Jahre 1907. Ziel dieser Monographie war es, das Bestehen einer „echten Staatsangehörigkeit“ der juristischen Person nachzuweisen. Nach Isay setzt die Verleihung der Staatsangehörigkeit durch den (deutschen) Staat voraus, dass die betreffende juristische Person im Gründungsland (Deutschland) auch ihren tatsächlichen Verwaltungsmittelpunkt hat.1319 Dies sei aus dem gewohnheitsrechtlich anerkannten völkerrechtlichen Prinzip abzuleiten, dass ein Staat (nur) Macht über diejenigen juristischen Personen ausüben dürfe, die zu ihm in gewissen tatsächlichen Beziehungen stehen, was dann der Fall wäre, wenn diese ihren (faktischen) Sitz im Staatsgebiet nehmen würden.1320 Demgemäß erweise sich: „deutsche Nationalität besitzen alle und nur die juristischen Personen, deren faktischer Sitz im Gebiete des deutschen Staates belegen ist.“ 1321 Die Staatsangehörigkeit der ausländischen juristischen Person aus deutscher Sicht folge demselben Kriterium, wie die der deutschen, nämlich dem (tatsächlichen) Sitz.1322 Diesen Gedankonnte bei j. P. das tatsächlich weiter bestehende Domizilprinzip (. . .) in den Mantel des Staatsangehörigkeitsprinzips schlüpfen“. 1317 Beitzke (1938), S. 25 ff.; anders Schwandt, JW 1911, 932, 933; ders. (1912), S. 62 f. 1318 S. hierzu Punkt Gliederungspunkt B. II. 1. c) bb). 1319 Vgl. Isay (1907), S. 209–212 (Rechtslage in Deutschland); S. 53 ff. (generelle Erwägungen). 1320 Vgl. Isay (1907), S. 74–83; zur Bestimmung des faktischen Sitzes S. 93 ff. 1321 Isay (1907), S. 213. 1322 Isay (1907), S. 212 f.
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ken könne man aus rechtslogischen Gründen auf andere Länder übertragen. „Im Zweifel wird man (. . .) annehmen dürfen, dass das Kriterium nach dem sich die Staatsangehörigkeit im eigenen Staate entscheidet, auch für die Staatsangehörigkeit im fremden Staate maßgebend ist.“ 1323 Die Verwendung des Staatsangehörigkeitsbegriffs führte also nicht nur zur Gleichsetzung kollisions- und fremdenrechtlicher Sachverhalte in Frankreich, sondern auch zu dem Gedanken, dass die Zugehörigkeit einer juristischen Person zu einem Staate – gleich der Staatsangehörigkeit natürlicher Personen1324 – in jedem anderen Staate akzeptiert werden müsse, da die Zugehörigkeit (zumindest de lege ferenda) jeweils nach den gleichen Kriterien entschieden werden sollte.1325 Dies bedingt letztlich die Idee, dass die nationalen Sachrechte und die nationalen Kollisionsrechte gleiche Anforderungen stellen sollen. Beitzke drückte dieses Postulat als „rechtspolitische Forderung“ des Nationalitätsbegriffes aus, dass „(. . .) nur das Recht desjenigen Staates (. . .) Personalstatut sein [sollte], zu dem eine j. P. [juristische Person] ganz bestimmte tatsächliche Beziehungen hat, dem die j. P. eben zufolge dieser tatsächlichen Beziehungen angehört.“ 1326 Der (tatsächliche) Sitz, der als Anknüpfungspunkt des Personalstatuts eine Beziehung zu dem die Rechtsfähigkeit verleihenden Staat herstellen sollte, sollte als sachnähestes Kriterium nicht nur im Kollisionsrecht Grundlage der Anerkennung, sondern auch im Sachrecht Grundlage der Verleihung bilden.1327 Den de lege lata mangelnden Gleichlauf von Sach- und Kollisionsrechten in Europa wandten die wenigen Vertreter der Gründungsrechtsanknüpfung wie1323
Isay (1907), S. 164. Isay (1907), S. 153. 1325 Isay (1907), S. 156: „Es ist (. . .) zu vermuten, dass der Sitz im Inland überall dieses Kriterium [der Staatsangehörigkeit] abgibt: Denn weder ist es wahrscheinlich, dass ein Staat über juristische Personen mit ausländischem Sitz Macht in Anspruch nehmen (z. B. über ihre Organisation, Endigung usw. Bestimmungen erlassen) und dadurch seinen völkerrechtlichen Verpflichtungen zuwiderhandeln wird (um so weniger als er ja gar nicht im Stande wäre, diese seine Macht auszuüben), noch auch, dass er juristische Personen mit inländischem Sitz als seiner Macht nicht unterworfen betrachtet (weil er, wie gesagt, ein starkes Interesse an ihrer Beherrschung hat).“ Es gelte mithin überall der Satz: „Die juristische Person ist Mitglied des Staates, in dessen Gebiet sich ihr Sitz befindet.“ 1326 Beitzke (1938), S. 28 [Hinzufügung durch Verf.]. 1327 S. a. Nordmann (1939), der den Staatsangehörigkeitsbegriff aber als nachgelagerte Frage gegenüber dem Bestehen der Rechtsfähigkeit einer Gesellschaft sieht, S. 78: „Die Aktiengesellschaft als juristische Person, welche ihre Rechtspersönlichkeit von demjenigen Staate herleitet, der dank seiner besonderen Beziehung zu ihr (Verwaltungssitz) befugt ist, ihr die Rechtsfähigkeit zu verleihen, ist ausgestattet mit der Fähigkeit, Trägerin von Rechten zu sein.“ Die derart festgelegte Rechtspersönlichkeit diene als Ausgangspunkt der Anerkennung im Ausland. S. a. Neumeyer (1930), § 22, S. 18, der unter Verwerfung des Staatsangehörigkeitsbegriffs ebenfalls die Kompetenz zur Verleihung der Rechtsfähigkeit der am Verwaltungsort geltenden Rechtsordnung zubilligen will, was auch für die internationalprivatrechtliche Anerkennung maßgeblich sein müsse. 1324
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derum gerade gegen die Sitztheorie: Schwandt weist in seinem Aufsatz in der Juristischen Wochenschrift 1911 darauf hin, dass sich die „Nationalität“ der Gesellschaft nach der herrschenden Auffassung der französischen und deutschen Literatur nach dem Verwaltungssitz bestimme.1328 Er selbst hält eine Gesellschaft mindestens zu einer der Staatsangehörigkeit analogen Stellung fähig, welche zwar nicht durch lex soli oder lex sanguinis, aber durch die engste Beziehung zu dem Staate geprägt sei, der seine Gewalt vollumfänglich auf die Gesellschaft einwirken lassen könne – dies sei der Staat, der ihr die Rechtsfähigkeit verliehen habe.1329 Der Autor, der sich als Anhänger der Gründungstheorie entpuppt, gibt nun im Hinblick auf die Verwaltungssitzanknüpfung zu bedenken: „Wenn eine Rechtsordnung den allgemeinen Satz aufstelle würde, daß die Gründer den Hauptsitz [gemeint: Verwaltungssitz] der Aktiengesellschaft in dem Lande begründen müssen, von dem sie für die Aktiengesellschaft die Rechtsfähigkeit erlangen wollen, damit die Gründung nicht fraudulös und daher nichtig sein solle, so würde sie unter Umständen in das ausländische Recht Bestimmungen hineintragen, die dort tatsächlich nicht vorhanden sind. Nach englischem Rechte ist es beispielsweise zweifellos nicht erforderlich, daß die Gründer einer Aktiengesellschaft (company limited by shares) den Sitz in England begründen. Wie kommt nun ein ausländisches Recht zu der Forderung, der Sitz einer nach englischem Recht gegründeten Aktiengesellschaft müsse sich in England befinden!“ 1330 Die Gründer hätten demnach volle Freiheit in der Wahl des Gründungsrechts der Aktiengesellschaft und jedes nationale (Sach-)Recht könne selbständig darüber bestimmen, ob der Verwaltungssitz im Inland errichtet werden müsse.1331 Die Argumentation geht von der richtigen Annahme aus, dass jedes nationale Sachrecht grundsätzlich frei in der Bestimmung der Gründungsanforderungen ist. Davon abgeleitet hält Schwandt es aber für notwendig, dass ein Anerkennungsstaat just dieselben Anforderungen stellen müsste.1332 Solange demzufolge nicht jede Rechtsordnung fordere, dass die nationalen Gesellschaften ihren Verwal1328
Schwandt, JW 1911, 932, 933. Schwandt, JW 1911, 932, 933; s. a. ders. (1912), S. 63. 1330 Schwandt, JW 1911, 932, 933 [Hinzufügung durch Verf.]; s. a. ders. (1912), S. 60 f. 1331 Schwandt, JW 1911, 932, 933; s. a. ders. (1912), S. 61. 1332 Würden umgekehrt alle Sachrechte den Verwaltungssitz im Inland für die wirksame Gründung fordern, so könne man auch kollisionsrechtlich am Verwaltungssitz anknüpfen, vgl. Schwandt (1912), S. 64: „Ich gebe zu, daß die Lage des Verwaltungssitzes ebenfalls eine enge Beziehung zwischen der A.G. und dem Sitzlande begründet. Da diese Beziehung dem Grade nach eine geringere ist als die Verleihung der prinzipalen Rechtsfähigkeit, so kann sie nicht das Nationalitätskriterium abgeben, sondern höchstens zu einem legislatorischen Vorschlag werden, nämlich dem, alle Länder möchten festsetzen, daß die Erfüllung der internen Normativbestimmungen die Begründung des Sitzes im Inlande einschließt. Man könnte sich diesem Vorschlage vielleicht sogar anschließen, und wenn alle Staaten in Zukunft in ihren Gesetzen fordern sollten, daß der Verwaltungssitz im Inlande sich befinden müsse, dann würde ein praktischer Unter1329
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tungssitz im Inland zu etablieren hätten, so sei als sachnähestes Kriterium für die Zuordnung einer Gesellschaft zu einer Rechtsordnung allein die Erfüllung der Gründungsvoraussetzungen des Sachrechts zu identifizieren, welches einer Gesellschaft ihre Rechtsfähigkeit verliehen hatte: „Dieser Staat ist insbesondere allein in der Lage, das von ihm geschaffene Rechtssubjekt wieder zu vernichten, indem seine Gesetze ihm die Mittel zur Entziehung der Rechtsfähigkeit gewähren. Nach seinem Rechte richten sich naturgemäß auch das Bestehen, die Liquidation und Auflösung der Gesellschaft.“ 1333 Demgegenüber hätte der Staat, der die Rechtsfähigkeit nicht verliehen hätte und in dem sich nur der (Verwaltungs-)Sitz befände, gar keinen Einfluss auf die Existenz des Rechtssubjekts selbst, könne zwar etwa den Geschäftsbetrieb untersagen, aber nicht die Vernichtung des Rechtssubjektes herbeiführen.1334 Schwandt verkennt aber, dass nicht die Vernichtung, sondern die Nichtanerkennung des fremden Rechtssubjekts im Sitzstaat gerade die Sanktion der Sitztheorie darstellt. Auffallend ist also, dass auch in der deutschen Literatur die Grenzen zwischen den Anforderungen eines Sachrechts an die wirksame Gründung einer „nationalen“ Gesellschaft und die Anknüpfungskriterien zum Auffinden des Gesellschaftsstatuts (noch) verschwimmen.1335 schied zwischen meiner und der h. M. nur mehr in der Begründung, nicht aber im Ergebnis bestehen.“ 1333 Schwandt, JW 1911, 932, 933; s. a. ders. (1912), S. 63. Ähnlich argumentiert Nussbaum (1932), S. 187 ff., der ausgehend vom Staatsangehörigkeitsbegriff der juristischen Person stets das Recht des Staates auf die Gesellschaft anwenden will, welches dieser den Statuts der juristischen Person verliehen hat. Andererseits (S. 205) dürfe aber die tatsächliche Verwaltung einer deutschen Gesellschaft nicht so weit in das Ausland verlegt werden, dass die deutsche Staatsgewalt ihre Aufgaben nicht mehr erfüllen könne. 1334 Schwandt (1912), S. 63 f. Parallel argumentiert Frankenstein, Bd. 1 (1926), S. 465 f.: „Es heißt eben einfach die Wirklichkeit leugnen, wenn man das Recht des Sitzes entscheiden lässt. Keine deutsche Vorschrift hindert eine französische Aktiengesellschaft, ihren Sitz in Berlin zu nehmen. Deutsche Aktiengesellschaft wird sie aber nicht dadurch, sondern durch die Erfüllung der deutschen Normativbestimmungen, d.h. Gründung nach deutschem Recht und Eintragung im deutschen Handelsregister. Es kann sein, daß der deutsche Registerrichter diese Umwandlung in eine deutsche Aktiengesellschaft erzwingt; aber solange das nicht geschieht, ist die Gesellschaft, die ihren Sitz in Deutschland hat, eine französische Aktiengesellschaft mit einem conseil d’administration, der sie selbst oder durch einen conseiller délégué vertritt, wird vom französischen Recht beherrscht, und keine Macht der Welt kann sie gegen ihren Willen zu einer deutschen Aktiengesellschaft machen. Man kann sie vertreiben, wie man einen lästigen Ausländer ausweist; aber ihr Wesen kann niemand ändern als sie selber – es sei denn, daß das französische Heimatrecht selbst einschreitet und z. B. den eigenen juristischen Personen verbietet, den Sitz im Ausland zu nehmen.“ 1335 Kritisch hierzu bereits Beitzke (1938), S. 47 f. Die moderne deutsche Rechtswissenschaft diskutiert die Frage der Nationalität in dem dargestellten Sinne nicht mehr. Es ist Konsens, dass jedes materielle Gesellschaftsrecht grds. autonom bestimmen kann, welche Voraussetzungen es an eine rechtswirksame Gründung stellt. Die wirksame
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Zudem kann festgehalten werden, dass die deutschen Autoren, gleich ihren französischen Kollegen, unter Verwendung des Nationalitätsbegriffes für die Aktiengesellschaft – je nach Argumentation – sowohl zur Sitz- als auch zur Gründungsanknüpfung gelangen konnten, wobei regelmäßig eher mit Sachnähe und Beständigkeit des Anknüpfungskriteriums anstelle von Parallelen zu ius sanguinis bzw. ius soli argumentiert wurde.1336 Nur vereinzelt versuchten insbesondere die Anhänger der Gründungstheorie im frühen 20. Jahrhundert entsprechende Verbindungen zu den Staatsangehörigkeitskriterien der natürlichen Person zu konstruieren: So sah etwa Neukamp im Jahre 1911 einen Zusammenhang zwischen der Nationalität der Gesellschaft und deren Gründung nach einem nationalen Gesellschaftsrecht: „Wie bei den natürlichen Personen ihre Nationalität durch die Geburt, also im letzten Grunde durch einen auf den Willen des Vaters beruhenden Akts bestimmt wird, so sollte auch bei den juristischen Personen des Privatrechts für ihre Nationalität ausschließlich ein Willensakt ihrer Erzeuger, d.h. ihrer Gründer, maßgebend sein. Die Gründer bestimmen maßgeblich und endgültig, welche Nationalität der juristischen Personen verliehen werden soll, indem sie ihre Gründung und ihre Verfassung nach den Gesetzen eines bestimmten Landes einrichten.“ 1337 Statt zum ius sanguinis wollte Schwandt eine Brücke von der Nationalität der Gesellschaft zum ius soli schlagen: „Man entgegne mir nicht, daß, so wenig wie die physischen Personen, die juristischen ihre Nationalität nach freiem Ermessen bestimmen können. Denn (. . .) [es] besteht unter Umständen auch für physische Personen diese freie Bestimmung, nämlich dann, wenn die Nationalität sich nach dem ius soli richtet. Hier können die Eltern bewirken, dass die Geburt auf dem und dem Staatsgebiete erfolgt (. . .).“ 1338 Diese Zitate zeigen, dass Versuche zur Gleichsetzung von juristischen Personen mit natürlichen Personen nicht so recht gelangen. Bald zog man zur Legitimation der vertretenen Anknüpfung daher andere Kriterien als eine allzu wörtGründung führt dazu, dass die Gesellschaft als aus Sicht dieser Rechtsordnung „nationale“ wird. Davon regelmäßig losgelöst werden die Fragen der Bestimmung des Personalstatuts im Kollisionsrecht und die Bestimmung der Inländer- und Ausländereigenschaft im Fremdenrecht betrachtet. Da letzteres vom Zweck der Rechtsnorm abhängt, sollte man auch hier nicht von „Staatsangehörigkeit“ der Gesellschaft sprechen, vgl. Staudinger/Großfeld, IntGesR (1998), Rn 964–966. 1336 Neben Isay (1907), S. 92 und Schwandt (1912), S. 63, kommen andere Autoren unter Anknüpfung an den Nationalitätsbegriff zu verschiedenen Ergebnissen, ebenso wie dies bei Verfassern der Fall ist, die diesen Begriff verwerfen (Nordmann (1939), S. 12, 23 – Anknüpfung an den Verwaltungssitz). 1337 Neukamp, Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht, Heft 2, S. 165, 172. 1338 Schwandt (1912), S. 59. Zudem könne man physische und juristische Personen eben nicht vollständig gleichsetzen.
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liche Beschäftigung mit dem Staatsangehörigkeitsbegriff heran. Neben Rechtssicherheit bzw. Rechtsbeständigkeit sind dies die bis heute viel diskutierten Vorund Nachteile von Sitz- und Gründungstheorie.1339 (2) Definition des Sitzes: Satzungs- oder Verwaltungssitz? Ausgehend von dem Faktum, dass der Sitz der Gesellschaft schon im späten 19. Jahrhundert als maßgebliches Anknüpfungskriterium des Gesellschaftststatuts betrachtet wurde, fragt sich, was hierbei ursprünglich unter dem Sitzbegriff verstanden wurde. Savigny hatte bereits 1849 eine allgemeine Maxime zum Auffinden des „künstlichen Wohnsitzes“ einer juristischen Person aufgestellt: Eine Lokalisierung des künstlichen Wohnsitzes sei evident, wenn die Person einen natürlichen Zusammenhang zum Grund und Boden aufweise, wie dies typischerweise bei öffentlich-rechtlichen Personen der Fall sei; bei gewerblichen Gesellschaften könnten infolge mangelnder örtlicher Fixierung Zweifel entstehen.1340 Deshalb sei es „(. . .) räthlich, gleich bei der Gründung einer solchen juristischen Person einen künstlichen Wohnsitz festzustellen (. . .); wird dieses versäumt, so muß der Richter den Mittelpunkt der Geschäfte künstlich zu ermitteln suchen.“ 1341 Auf den ersten Blick scheint Savigny damit nur hilfsweise auf den effektiven Sitz als Geschäftszentrum abzustellen, primär aber die Anknüpfung an einen (Satzungs-)Sitz zulassen zu wollen, der nicht zwingend die wahren Verhältnisse widerspiegelt.1342 Savigny selbst führt aber beispielhaft Statuten diverser Eisenbahngesellschaften an, die (im Sachrecht) einen Gleichlauf von „Domizil“ im Sinne eines künstlichen Wohnsitzes und Ort der Verwaltung belegen, weshalb im Gegenteil angenommen werden kann, dass der statutarische Sitz den Ort der Verwaltung abzubilden hatte und der Richter im Falle einer fehlenden Satzungsbestimmung hilfsweise den Verwaltungsort selbst auffinden musste.1343 Blickt man näher in ein solches Statut, so ergibt sich die Entsprechung von Satzungs- und Verwaltungssitz deutlicher. § 1 der bei Pöhls abgedruckten Gründungsakte der Berlin-Frankfurter-Eisenbahngesellschaft von 1840 bestimmte:1344 Berlin ist ihr Domicil und der Sitz ihrer Verwaltung, und das Königl. Stadtgericht zu Berlin ihr Gerichtsstand.
1339 1340 1341 1342 1343
Vgl. hierzu etwa Großfeld, RabelsZ 31 (1967), 1, 22 ff. Savigny, Bd. 8 (1849), S. 65 f. Savigny, Bd. 8 (1849), S. 66. So die Interpretation von Trautrims (2009), S. 42, 45. Savigny, Bd. 8 (1849), S. 66, dort Fußnote g. Vgl. hierzu bereits Panthen (1988),
S. 121. 1344
Pöhls (1842), S. 390 ff.
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B. Umgang mit fremden Gesellschaften aus rechtshistorischer Perspektive
Zur Generalversammlung, zum Verwaltungsrat und zur Direction bestimmte das Statut in §§ 24, 35 und 48, dass erstere in Berlin abzuhalten sei und die beiden letzteren (überwiegend) aus in Berlin ansässigen Mitgliedern bestehen müssten. Dieses und weitere Statuten zeigen, dass sämtliche Organe, die geschäftsführende und vertretende Funktionen besaßen, ihre Tätigkeit am gewählten Sitz der Gesellschaft verrichten mussten, der allgemeine Passus „Sitz der Verwaltung“ tatsächlich dem statutarischen Sitz entsprechen musste.1345 Insgesamt spricht viel dafür, die Worte Savignys zum „künstlichen Wohnsitz“ als Anknüpfung an den grundsätzlichen Verwaltungsmittelpunkt der Aktiengesellschaft anzusehen. Diese Annahme verträgt sich auch mit der Charakterisierung des Wohnsitzes der juristischen Person bei von Bar. Der Rechtsgelehrte bemerkte: „Viele juristische Personen sind nun von selbst an eine bestimmte Oertlichkeit als Mittelpunkt ihrer Tätigkeit gebunden, so z. B. Städte (. . .). In anderen Fällen pflegt durch das Statut der Corporation, oder durch besondere gesetzliche Bestimmung der Wohnsitz bestimmt zu sein. Allein solche besondere Bestimmung hat – wenn nicht etwa durch Staatsvertrag garantirt – keine absolute internationale Gültigkeit; sie kann nur als Prima-facie-Beweis für das bezeichnete Domizil gelten. Hat z. B. eine industrielle Gesellschaft, welche sich formell in dem Staate A constituirt hat, in Wahrheit den Mittelpunkt ihrer Geschäftsführung in dem Staate B, so ist sie eine dem Staate B angehörende Gesellschaft und daher allen im Staate B geltenden Gesetzen unterworfen, welche für die Constituirung derartiger Gesellschaften Platz greifen, und möglicher Weise könnte nach eben diesen Gesetzen dann die Constituirung (. . .) der Gesellschaft nichtig sein. Wäre das nicht so, könnten die Gesetze eines Staates, welche dieser im öffentlichen Interesse für die Constituierung von Actiengesellschaften gegeben hat, in der einfachsten Weise umgangen werden.“ 1346 Auch Lehmann hielt den statutarischen Sitz nicht für maßgeblich, wenn dieser nicht den tatsächlichen Gegebenheiten entsprach: „Als inländische Aktiengesellschaft eines Staates gilt (. . .) diejenige Aktiengesellschaft, welche in dem betreffenden Staate den Mittelpunkt ihrer geschäftlichen Thätigkeit hat. Es genügt 1345 Siehe §§ 1, 24, 34, 48 der Statuten der Berlin-Sächsischen Eisenbahn-Gesellschaft; in: Gesetz-Sammlung für die königlichen preußischen Staaten 1839, S. 177 ff.; §§ 3, 31, 47, 53 der Statuten der Berlin-Stettiner Eisenbahn-Gesellschaft, in: GesetzSammlung für die königlichen preußischen Staaten 1840, S. 305 ff.; §§ 1, 19, 47 der Statuten der Bonn-Kölner Eisenbahn-Gesellschaft, in: Gesetz-Sammlung für die königlichen preußischen Staaten 1841, S. 31 ff. 1346 von Bar, Bd. 1 (1889), § 47, S. 162 f. Demzufolge könne eine bestehende Gesellschaft ihr Domizil nur ändern, wenn sie Satzungs- und Verwaltungssitz verlege und die am Ort ihres Domizils geltenden Gesetze bei der Neugründung beachte. Eine Verlegung lediglich des Satzungssitzes ohne jedoch den Verwaltungssitz gleichzeitig mit umzuziehen würde der Gesellschaft „die legale Basis entziehen“. Die Tatsache, dass von Bar maßgeblich aus der französischen Rechtsprechung und Doktrin schöpfte, belegen die von ihm angegebenen Quellen.
II. Die Entwicklung der Sitztheorie
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nicht, dass sie formell nach den Statuten dort ihren Sitz hat, sondern sie muss auch in Wahrheit dort das Centrum ihrer Operationen haben.“ 1347 Der Großteil der Literatur zur Anknüpfung des Gesellschaftsstatuts im 20. Jahrhundert stellte auf dieser Basis auf den Verwaltungssitz der Gesellschaft ab, wenngleich einige Autoren auch nur ungenau und allgemein vom „Sitz“ sprachen.1348 (3) Ausstrahlungswirkung des nationalen Aktienrechts auf die IPR-Anknüpfung? Es wurde bereits festgestellt, dass im Zusammenhang mit dem Begriff der Staatsangehörigkeit die (heutigen) Grenzen von Sach- und Kollisionsrecht fließend erschienen.1349 Daher ist fraglich, ob auch das Verständnis des Sitzes im nationalen Aktienrecht das kollisionsrechtliche Gepräge des Sitzbegriffs als Ort der effektiven Verwaltung beeinflusst hat. In der modernen Diskussion um die ,beste Anerkennungstheorie‘ hat die Literatur einen Zusammenhang von nationalem Gesellschafts- und Kollisionsrecht teilweise angenommen.1350 Andererseits hielten namhafte Autoren dagegen, es sei „ein häufiger Fehler“ aus dem internrechtlichen Sitzbegriff „kollisionsrechtliche Schlüsse zu ziehen“.1351 Selbst wenn es aus heutiger Sicht verfehlt sein sollte (dazu später) von national-sachrechtlichen auf kollisionsrechtliche Inhalte schlusszufolgern, so scheint es historisch wertvoll, einen solchen Zusammenhang zu verfolgen, um den (ursprünglichen) Gehalt der Sitztheorie besser würdigen zu können.1352 Eine solche Be-
1347 K. Lehmann, Bd. 1 (1898), S. 261, der seine Auffassung ebenso mit der Gefahr der Umgehung inländischen Handelsrechts begründet. 1348 Renaud (1875), S. 192 ff., 822, spricht allgemein vom Sitz als Zugehörigkeitskriterium zu einer bestimmten Rechtsordnung; Mamelok (1900), S. 37, 225 ff., 231, 262, bezeichnet den Sitz der „Hauptniederlassung“ bzw. der „Zentralverwaltung“ als richtiges Anknüpfungskriterium, das auch in Deutschland gelte; Zitelmann, Bd. 2 (1912), S. 111 i.V. m. 591 f., beschreibt den Sitz als „Mittelpunkt der Verwaltung“; Lewald, Bd. 1 (1930), S. 46 f. spricht explizit vom Sitz der „Verwaltung“; ebenso Neumeyer (1930), § 22, S. 18; Nussbaum (1932), S. 187, bezeichnet die Anknüpfung an den „Hauptsitz“ als h. M., will aber der Gründungstheorie folgen; Raape, Bd. 1 (1933), S. 119, verweist auf den „Verwaltungssitz“ als Sitz der „Hauptverwaltung“; nach Strehl (1933), S. 22, befinden sich am Sitz der Gesellschaft die „juristischen Organe“, d.h. die „zentrale Leitung“; Beitzke (1938), S. 86, erklärt die Anknüpfung der Anerkennung an den „Verwaltungssitz“ als h. M.; M. Wolff (1954), S. 115, spricht vom Sitz als „Verwaltungszentrum“ bzw. als „Hauptniederlassung“. 1349 Siehe Gliederungspunkt B. II. 2. b) bb) (1) (b). 1350 Grasmann (1970), Rn 208, S. 158 f. zieht eine Parallele von der Kollisionsnorm zur damaligen Fassung des § 5 AktG. S. a. Rabel, Bd. 2 (1960), S. 34. 1351 Luchterhandt (1971), S. 11, dort Fußnote 38; i. E. einen Zusammenhang verneinend Koppensteiner (1971), S. 92 ff., 97 f., 128 f.; Franz/Laeger, BB 2008, 678, 682. 1352 Einen möglichen Zusammenhang deutet vorsichtig auch Großfeld, in: FS Westermann (1974), S. 199, 213 f., an.
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B. Umgang mit fremden Gesellschaften aus rechtshistorischer Perspektive
trachtung trägt auch zur Nachvollziehbarkeit der aus Frankreich stammenden Idee der einheitlichen Nationalität der Gesellschaft bei.1353 (a) Verständnis des Sitzbegriffes im Sach- und Kollisionsrecht Schon unter Geltung des preußischen Aktienrechts von 1843 finden sich Bestimmungen, die auf den Sitz der Aktiengesellschaft abstellen.1354 Nach § 2 Nr. 1 und § 3 S. 1 des Gesetzes musste der Gesellschaftsvertrag den Sitz der Gesellschaft statuieren und im Amtsblatt des Regierungsbezirkes des Sitzes der Gesellschaft veröffentlicht werden. Eine Bilanz musste nach § 24 S. 2 der Regierung überliefert werden, in deren Bezirk die Gesellschaft ihren Sitz hatte. § 10 enthielt sogar eine Bestimmung, die auf den Sitz der Gesellschaft und das anwendbare Recht Bezug nimmt: So weit das Statut über die Rechte und Pflichten der Aktionaire gegeneinander keine besonderen Bestimmungen enthält, kommen die am Sitz der Gesellschaft geltenden gesetzlichen Vorschriften über Gesellschaftsverträge zur Anwendung. Ein Blick in die Statuten der frühen Aktiengesellschaften erhellt, dass der statutarische Sitz und der effektive Sitz der Verwaltung regelmäßig zusammenfielen.1355 Dagegen erscheint es fraglich, ob § 10 des Aktiengesetzes bereits als „erste kollisionsrechtliche Regelung der Sitztheorie“ aufgefasst werden darf.1356 Die Gesetzgebungsmaterialien belegen, dass in Zusammenhang mit den Normen des Aktiengesetzes die Frage behandelt wurde, ob alle Vorschriften des preußischen Aktiengesetzes zwingenden Charakter hätten.1357 Allein für das Innenverhältnis der Aktionäre untereinander wollte man eine weite Dispositionsfreiheit nach sozietätsrechtlichen Grundlagen festsetzen.1358 § 10 des Aktiengesetzes betraf daher die Gestaltung der Innenbeziehungen in einer Aktiengesellschaft und entfaltete Geltung für alle Aktiengesellschaften, die unter dem gemeinsamen Rechtsrahmen des preußischen Aktiengesetzes von 1843 gegründet waren. Es ist 1353 Vgl. bereits die Nachweise in Fn 1105. Aus heutiger Sicht muss man die Kriterien des Sachrechts zur wirksamen Gründung einer „nationalen“ Gesellschaft und die kollisionsrechtliche Anknüpfung einer Gesellschaft unterscheiden. 1354 Vgl. Gesetz-Sammlung für die königlichen preußischen Staaten 1843, Nr. 31, S. 341 ff. 1355 Vgl. hierzu Punkt B. II. 2. b) bb) (2). 1356 So Panthen (1988), S. 122. 1357 Vgl. die Materialien bei Baums (1981), 46. Sitzung im Staatsrat am 24. Juni 1843, S. 196 ff. 1358 Vgl. die dem endgültigen § 10 vorhergehenden Entwürfe bei Baums (1981), § 8 Kommissionsentwurf auf S. 51, § 8 Entwurf der Staatsminister auf S. 81, § 9 Entwurf nach Beschlüssen des Staatsministeriums auf S. 97, § 9 Entwurf nach den Voten von Mühler und von Alvensleben auf S. 103, § 10 Entwurf nach Beschlüssen des Staatsrats auf S. 162. S. hierzu auch Baums (1981), S. 42; Kießling, in: Bayer/Habersack (Hg.), Bd. 1 (2007), S. 193, 227.
II. Die Entwicklung der Sitztheorie
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zu vermuten, dass die endgültige Wortfassung des § 10, die auf den Sitz Bezug nimmt, eingefügt wurde, da nicht in allen Teilen Preußens ergänzend das ALR galt.1359 Die Zulässigkeit der Regelungen der Innenverhältnisse einer „preußischen Aktiengesellschaft“ war demnach nach dem lokalen Ortsrecht des Sitzes zu beurteilen. Es handelt sich mithin um eine interlokale Regelung zum Innenstatut, die das Gebiet des preußischen Königreichs betraf und noch nicht die allgemeine Behandlung jeglicher fremder Gesellschaften nach dem Sitzrecht aussagt, die nicht unter dem Regime des preußischen Aktiengesetzes gegründet worden waren. Im nationalen deutschen Aktienrecht unter Geltung des ADHGB (1861) wurde der Sitz traditionell als Verwaltungsort angesehen.1360 Anschütz und Völderndorff verstehen unter dem Sitz der Gesellschaft i. S. v. Art. 209 f. ADHGB den „(. . .) Ort, an welchem sich der Mittelpunkt, die Centralleitung ihrer sämmtlichen Geschäfte befindet.“ 1361 Gemäß Völderndorff sei für den Sitz der Aktiengesellschaft nicht der Platz des „Betriebsetablissements“ maßgebend, sondern der Ort zu verstehen, „(. . .) wo der örtliche Mittelpunkt des Geschäftsbetriebes, das Hauptetablissement, sich befindet.“ 1362 Die Freiheit der Sitzwahl der Aktiengesellschaft beschränke sich demnach auf die Wahl des Ortes des (tatsächlichen) geschäftlichen Mittelpunktes.1363 Auch die Rechtsprechung unter Geltung des ADHGB (1861) sah den Gesellschaftssitz durch die „(. . .) faktischen Verhältnisse gegeben (. . .) indem unter Hauptniederlassung der Mittelpunkt der kaufmännischen Geschäftsführung, des Verkehrs nach außen, der Sitz des Comptoirs, der Casse und Buchführung der Aktiengesellschaft verstanden wird; wenn daher Art. 209 des a.d. H.-G. anordnet, daß der Gesellschaftsvertrag unter anderm den „Sitz der Gesellschaft“ zu
1359 Zur Frage der territorialen Erstreckung des Gesetzes vgl. die Materialien bei Baums (1981), S. 134 ff. Das Gesetz selbst ordnete (vor § 1) seine Erstreckung auf die gesamte Monarchie an, vgl. Baums (1981), S. 213. 1360 Löhr (1868), Art. 209 f. ADHGB, S. 90 (Sitz darf nicht willkürlich gewählt sein, sondern muss sich am Ort der Hauptniederlassung befinden) mit Verweis auf Weinhagen. Nach Weinhagen (1866), Art. 209 ADHGB, S. 112, bestimme nicht der „merkantile und technische Betrieb“ den Sitz der Aktiengesellschaft, sondern der „Mittelpunkt der Geschäftsführung, des Verkehrs nach Außen, der Sitz des Comptoirs, der Hauptkasse und der Buchführung der Gesellschaft“ deren Sitz. 1361 Anschütz/Völderndorff, Bd. 2 (1870), Art. 209 ADHGB, S. 482. 1362 Völderndorff (1885), Art. 209 ADHGB, S. 294. 1363 Als Beispiel der eingeschränkten Wahlfreiheit nennt Völderndorff (1885), Art. 209 ADHGB, S. 295, eine Aktiengesellschaft, die in Kolbermoor Torfstiche ausbeutet und in einer dortigen Fabrik weiterverarbeitet. Die Gesellschaft könne ihren Sitz nur in München nehmen, sofern sie „dort als Gesellschaft fungiere“, wofür die Abhaltung der Generalversammlung von Völderndorff als maßgeblich angesehen wurde. Die Frage, ob der Ort der Generalversammlung oder der Ort, an dem die Direktoren agieren maßgeblich ist, wurde auch im französischen Recht kontrovers beurteilt, s. o. Gliederungspunkt B. II. 1. d) bb) (2) (b) (aa).
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B. Umgang mit fremden Gesellschaften aus rechtshistorischer Perspektive
bestimmen habe, so soll damit keineswegs eingeräumt sein, diesen Sitz willkürlich zu erwählen, sondern diese Vorschrift ist dahin zu verstehen, daß in dem Vertrage ausgesprochen werden muß, an welchem Orte die Gesellschaft ihre Hauptniederlassung begründen wolle. Wo dies geschieht, da muß sie ihren Sitz nehmen, beziehungsweise da hat sie an und für sich ihren Sitz.“ 1364 Dieser Auffassung hing auch Lehmann an, der in Zusammenhang mit der zweiten Aktienrechtsnovelle zum ADHGB reklamierte: „Sowenig der Mensch sein Domizil durch bloße Erklärung schaffen kann, sowenig ist der Sitz etwas willkürlich Bestimmbares. Die wichtigen Folgen, die das Recht an den Sitz knüpft (Gerichtsstand, Herrschaft der lex domicilii), lassen sich nur mit dem wirklichen und wahren Sitz verknüpft denken.“ 1365 Hiernach hatte die nationale Aktiengesellschaft sowohl Satzungs- als auch Verwaltungssitz am gleichen inländischen Ort zu begründen. Je näher das 20. Jahrhundert rückte, desto häufiger finden sich jedoch Kommentarstimmen, die der Sitzwahl im deutschen Sachrecht weitergehende Freiheiten zubilligten.1366 Mit Inkrafttreten des HGB im Jahre 1900, welches in § 182 die Feststellung des Sitzes im Gesellschaftsvertrag verlangte, wurde diese liberale Auffassung unter Rückgriff auf § 24 BGB zur herrschenden Meinung.1367 § 24 BGB wiederum 1364 Erkenntnis des königlichen Appellationsgerichts für Bayern vom 19. Februar 1863, in: Busch’s Archiv, Bd. 1 (1863), 417 f. 1365 K. Lehmann, AcP 9 (1894), 297, 356 (Hervorhebung des Verf.); ders., Bd. 2 (1904), S. 493, 495. 1366 Vgl. ADHGB-Kommentare nach der 2. Aktienrechtsnovelle: Fuchsberger (1891), Art. 86 ADHGB, S. 164, Art. 209 ADHGB, S. 400 f., Art. 213 ADHGB, S. 431 f.: Der Sitz der AG sei nicht vom Wohnsitz des Vorstandes, der Fabrik oder dem Ort, von dem aus die Geschäfte betrieben werden, abhängig. S. a. Ring (1893), Art. 209 ADHGB, Nr. 9, S. 185 f. mit zahlreichen weiteren Nachweisen: Es sei strittig, ob der Sitz frei gewählt werden könne. Weyl (1896), Art. 209 ADHGB, S. 29 f.: Zwar habe der gewählte Sitz die tatsächlichen Gesellschaftsverhältnisse abzubilden, doch müsse der Sitzort nicht identisch mit dem Zentrum des Geschäftsbetriebes und Sitz des Vorstandes oder des Fabrikbetriebes sein. Wenig erhellend Kayser (1891), Art. 209 ADHGB, Nr. 9, S. 58, der vom Ort der Hauptniederlassung spricht. 1367 Urteil des Reichsgerichts vom 27. Oktober 1904, in: RGZ 59, 106, 107 (hier stimmten zwar statutarischer Sitz „Berlin“ und Verwaltungssitz nicht exakt überein, der Verwaltungssitz befand sich aber unweit von Berlin, d.h. innerhalb des deutschen Reichs). Nach Ring/Lehmann, Bd. 1 (1902), Art. 182 HGB, Nr. 6, S. 383, sei der Sitz frei wählbar. Die lediglich subsidiäre Bedeutung des Verwaltungsortes betont Makower (1906), § 182 HGB, S. 467, mit Verweis auf § 24 BGB. Gemäß Staub/Pinner, HGB, Bd. 1 (1906), § 182, Anm. 17, S. 636, sei der Sitz der Gesellschaft „eigentlich der Ort, an welchem die Verwaltung geführt wird“, eine anderweitige Bestimmung sei aber nicht ungültig. Düringer-Hachenburg/Ring, Bd. 3 (1934), § 182, Anm. 42, S. 281, bemerken, dass die Wahl des Sitzes nach h. M. nicht auf den Ort der Verwaltung oder anderer geschäftlicher Betätigung der Gesellschaft beschränkt sei, es aber wohl de lege ferenda logischer wäre, Gesellschaftssitz und -betätigung in Einklang zu bringen. Gemäß Baumbach (1933), § 182 HGB, S. 261, könne der Sitzort willkürklich und nicht notwendig
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sah ein Wahlrecht des Vereins hinsichtlich der Bestimmung dessen Sitzes vor und nahm nur subsidiär auf den Verwaltungsort Bezug.1368 Trotz des liberalen Wortlautes des § 24 BGB ergibt sich aus den Gesetzgebungsmaterialien, dass (ursprünglich) die tatsächlichen Verhältnisse mit der Satzungsbestimmung übereinstimmen sollten.1369 Nach dem ab 1937 in Kraft gesetzten § 5 des Aktiengesetzes galt für die Aktiengesellschaft explizit ein „beschränktes Wahlrecht“: Der Sitz konnte entweder am Ort des Betriebes oder am Ort der Geschäftsleitung oder am Ort der Verwaltung bestimmt werden.1370 Hiermit sollten Missbräuche verhindert werden, die durch eine zu liberale Wahl des Satzungssitzes von Aktiengesellschaften innerhalb des Deutschen Reichs zustande gekommen waren.1371 Die Novellierung des Aktienrechts von 1965 führte zu einer (sprachlich) stärkeren Betonung der Wahlfreiheit, die weiterhin unter den Voraussetzungen der dargestellten Alternativen bestand.1372
am Ort der Verwaltung festgelegt werden. Die Autoren waren sich jeweils einig, dass der Sitz zwingend in Deutschland liegen müsse. 1368 § 24 BGB bestimmt auch heute noch unverändert: Als Sitz eines Vereins gilt, wenn nicht ein anderes bestimmt ist, der Ort, an welchem die Verwaltung geführt wird. 1369 Diese Vorschrift wurde erst durch die 2. BGB-Kommission geschaffen, da bereits die 1. Kommission die Vorschriften über den Wohnsitz der natürlichen Person nicht für entsprechend auf juristische Personen anwendbar hielt. Dennoch erblickte man im Sitz der juristischen Person in Anlehnung an den Wohnsitzbegriff „(. . .) den Ort, an welchem der Mittelpunkt ihrer Verhältnisse und ihrer Thätigkeit sich befindet. In der Regel wird dies der Ort sein, wo die Verwaltung geführt wird.“ Vgl. Mugdan, Bd. 1 (1899), Motive zum Allg. Theile (BGB-Entwurf der ersten Kommission), S. 395. Orientiert an der entsprechenden Prozessvorschrift des § 17 I 2 CPO entstand der Wortlaut von § 24 BGB, wobei bald Streit darüber aufkam, ob auch ein fiktiver Sitz festgelegt werden kann, vgl. Staudinger/Löwenfeld, Bd. 1 (1904), § 24, Rn 4 im Vergleich zu Staudinger/Weick, Neubearbeitung 2005, § 24, Rn 3 bzw. MüKo-BGB/Reuter, 6. Aufl. 2012, § 24, Rn 3 f. Die Motive der 1. Kommission, vgl. Mugdan, Bd. 1 (1899), S. 395, hatten hierzu festgehalten: „Wie der Mensch aber durch bloße Erklärung einen Ort nicht zu seinem Wohnsitze machen kann, so kann der Sitz durch das Statut nicht völlig willkürlich bestimmt werden; die Bezeichnung des Sitzes darf den thatsächlichen Verhältnissen nicht widersprechen, wobei allerdings in Betracht kommt, daß die letzteren dem Ermessen und einer innerhalb dieses Ermessens sich bewegenden Wahl Raum geben können.“ 1370 § 5 des AktG (1937) lautete: Als Sitz der Aktiengesellschaft ist in der Regel der Ort, wo die Gesellschaft einen Betrieb hat, oder der Ort zu bestimmen, wo sich die Geschäftsleitung befindet oder die Verwaltung geführt wird. 1371 Schlegelberger/Quassowski, 3. Aufl. (1939), § 5 AktG, Rn 1; Brändel, in: Großkomm AktG, 4. Aufl. (2004), § 5, Rn 1 (Stand 1.3.1992). 1372 § 5 des AktG (1965) bestimmte: (I) Sitz der Gesellschaft ist der Ort, den die Satzung bestimmt. (II) Die Satzung hat als Sitz in der Regel den Ort, wo die Gesellschaft einen Betrieb hat, oder den Ort zu bestimmen, wo sich die Geschäftsleitung befindet oder die Verwaltung geführt wird. Zu den sachrechtlichen Neuerungen im 21. Jahrhundert siehe unten Gliederungspunkt B. III. 4. b).
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Parallel wurde die kollisionsrechtliche Bedeutung des Sitzes implizit bereits unter Geltung des ADHGB von der einschlägigen Kommentarliteratur aufgegriffen, wobei man – mangels anderweitiger expliziter Hinweise – den (ursprünglichen) nationalen Sinngehalt des Begriffes auch für das internationale Privatrecht unterstellen kann.1373 Ab Geltung des Aktiengesetzes wurde die internationalprivatrechtliche Bedeutung des Sitzes in den Kommentaren regelmäßig in Zusammenhang mit § 5 Aktiengesetz behandelt: „Mit der Bestimmung des Sitzes steht das Personalstatut der Gesellschaft in untrennbarem Zusammenhang (. . .). Indem die Gesellschaft einem im deutschen Rechtsgebiet gelegenen Sitz wählt, gibt sie zu erkennen, daß sie nach deutschem Recht zur Entstehung gelangen, nach deutschem Recht bestehen will.“ 1374 (b) Zusammenspiel des Sitzbegriffes im Sach- und Kollisionsrecht Ausgehend davon, dass man historisch unter dem Sitzbegriff den tatsächlichen Mittelpunkt der Gesellschaft verstand und noch nicht ausdrücklich zwischen nationalen und kollisionsrechtlichen Begriffen unterschied, spricht viel dafür, dass die aufkommende Wahlfreiheit des nationalen Rechts ursprünglich nur darauf bezogen war, den (Satzungs-)Sitz einer nach deutschem Recht gegründeten Aktiengesellschaft zwischen dem Ort der bestehenden Verwaltung, Geschäftsleitung oder Fabrik innerhalb des deutschen Reichs zu wählen. Entsprechend hatte Völderndorff in seiner Kommentierung zum ADHGB von 1885 das Beispiel gewählt, dass eine deutsche Aktiengesellschaft ihren Sitz zwischen verschiedenen Orten Bayerns wählen könne, in denen jeweils Verwaltung oder Fabrik bestanden.1375 Dagegen interpretierten andere Autoren wie etwa Holdheim die Sitzvorschriften des ADHGB liberaler und drückten ausgehend von diesem Verständnis ihr Bedauern darüber aus, dass die Bestimmungen der Art. 209 II Nr. 1, 210, 213 II ADHGB (1884) gegen eine flexible inhaltliche Interpretation des Sitzbegriffes
1373 Ring (1893), bestimmt (ohne Abgrenzung zum Sitzbegriff des Art. 209 ADHGB) zu Art. 212 ADHGB, Nr. 10, S. 289: „Die Rechts- und Handlungsfähigkeit [der fremden Aktiengesellschaft] bestimmt sich grundsätzlich nach den Gesetzen des Staates in welchem die betreffende Gesellschaft ihren Sitz hat, wie auch dieser Umstand für die Rechtsverfolgung im Inlande maßgebend ist.“ [Hinzufügung durch Verf.]. 1374 Düringer-Hachenburg/Ring, Bd. 3 (1934), § 182, Anm. 45, S. 283; s. a. Schlegelberger/Quassowski, 3. Aufl. (1939), § 5 AktG, Rn 2, 10; Meyer-Landrut, in: Großkomm. AktG, 3. Aufl. (1973), § 1, Anm. 3, 7. S. a. Kraft, in: Kölner Kommentar zum AktG, 2. Aufl. (1988), § 5, Rn 3: „§ 5 ist nur anwendbar, wenn es sich um ein deutsche AG handelt.“ Das Personalstatut, das durch Anwendung der Sitztheorie ermittelt werde, beantworte, ob die Gesellschaft eine deutsche ist, s. Kraft, in: Kölner Kommentar zum AktG, 2. Aufl. (1988), § 5, Rn 35 ff., 41. 1375 Vgl. hierzu bereits Fn 1363. Völderndorff hält wohl (noch) die Wahl des Verwaltungsmittelpunktes als allein legitim. Noch liberaler ROHG, Bd. 21 (1877), 36 ff. Satzungsmäßiger Sitz und Verwaltungs- bzw. Fabrikort der AG mussten nicht zusammenfallen, jedoch lagen diese jeweils innerhalb Preußens.
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in Bezug auf fremde Aktiengesellschaften sprächen, sondern ihrem Wortlaut nach eine gänzlich freie Sitzbestimmung ermöglichten.1376 Das (spätestens ab 1900 allgemeine) Zugeständnis der Wahlfreiheit des (Satzungs-)Sitzes – verstanden zumindest in dem Sinne, dass zwischen verschiedenen, jeweils innerhalb des deutschen Reiches liegenden Anknüpfungsmerkmalen eine Entscheidung getroffen werden konnte – hatte neben dem Einfluss von § 24 BGB sicherlich praktische Gründe.1377 Die Gläubiger waren jedenfalls insoweit geschützt, als prozessrechtlich (ebenso) der Ort der Verwaltung den Gerichtsstand bestimmte.1378 Zwar wurde ausgehend von der freiheitlichen Deutung des § 182 HGB (1900) in der Aktienrechtsliteratur vereinzelt gefolgert, dass sich die Rechtsfähigkeit der fremden Gesellschaft allein nach dem Recht ihres satzungsmäßigen Sitzes bestimme1379 bzw. dass eine Zweigniederlassung einer ausländischen Aktiengesellschaft ins deutsche Handelsregister eingetragen werden konnte, wenn lediglich deren Satzungssitz (nicht zwingend der Hauptverwaltungssitz) im Ausland lag.1380 An dieser Gleichsetzung von intern- und internationalprivatlichen Sachverhalten wurde aber von den Vertretern der Sitztheorie bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts massive Kritik geübt.1381 Mamelok hielt den Gleichlauf von Satzungs- und Verwaltungssitz „mehr noch als für das interne Recht“ für die „internationalen 1376 Holdheim, in: Holdheim 3 (1894), 364, 366 f. Der Autor vergleicht die Kodifizierung der Sitztheorie in Belgien 1873 mit der Rechtslage in Deutschland und stellt fest, dass nach der h. M. in Deutschland allein der statutenmäßige Sitz die Hauptniederlassung und damit das anwendbare Recht abbilde. 1377 Die freiere Sitzwahl erleichterte die Aktiengesellschaftsgründung, was man durch das AktG von 1937 aufgrund Missbrauchsgefahr auf drei Wahlmöglichkeiten eindämmte, vgl. bereits Nachweis in Fn 1371. 1378 Völderndorff (1885), Art. 213 ADHGB, S. 419; ROHG, Bd. 21 (1877), 36 ff. (speziell zum Gerichtsstand des Konkurses); Staub/Pinner, HGB, Bd. 2 (1926), § 182, Anm. 17, S. 35. 1379 Vgl. Plotke, Zeitschrift für Internationales Privat- und Strafrecht, Bd. 10 (1900), 211, 212: „Bei ausländischen Gesellschaften wird die Frage, ob dieselben juristische Persönlichkeit besitzen, nach dem ausländischen Recht zu beantworten sein. Der Sitz der juristischen Person, d.h. der satzungs- oder verfassungsmäßig als solcher bestimmte, oder mangels solcher Bestimmung der Ort der Verwaltung, ist für diese Frage entscheidend.“ 1380 Ausgehend vom Wortlaut des § 201 V HGB (1900), nach dem es für die Eintragung der Zweigniederlassung einer Aktiengesellschaft mit Sitz im Auslande nötig war, das Bestehen der Aktiengesellschaft als solcher und ggf. die Zulassung zum Gewerbebetrieb im Inland nachzuweisen, wurde vertreten, auch bei ausländischen Aktiengesellschaften allein auf den Satzungssitz abzustellen, vgl. Makower (1906), § 201 HGB, S. 521; ähnlich Staub/Pinner, HGB, Bd. 1 (1906), § 201, Anm. 19, 23, S. 687; zumindest subsidiär auf den Verwaltungssitz abstellen will Goldmann, Bd. 2 (1905), § 201 HGB, Rn 26, 28; interessant auch Schwandt, JW 1911, 932, 934, der im Rahmen des § 201 V weder auf Gründungs- noch Satzungssitz, sondern auf die Gründung nach ausländischem Recht abstellen will. 1381 Ausführlich Isay (1907), S. 188, 201, 212 f.; vgl. auch von Bar, Fundstelle in Fn 1346 und Spindler (1932), S. 34.
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B. Umgang mit fremden Gesellschaften aus rechtshistorischer Perspektive
Verhältnisse“ für essentiell: „Die Gesellschaften mögen ihren Sitz frei wählen, aber was sie als Sitz bezeichnen, soll es auch in That und Wahrheit sein.“ 1382 Die Forderung, dass statutarischer und ,wirklicher‘ Sitz übereinstimmen sollten, sei unter der Prämisse zu verstehen, dass der Begriff des ,wirklichen Sitzes‘ den Sitz der „Zentralgesellschaftsverwaltung“ bezeichne.1383 Noch ausführlicher erläutert Isay die Konsequenzen der Nichtbeachtung des beschriebenen Postulats der Identität von Satzungs- und Verwaltungssitz für Sach- und Kollisionsrecht: „Umgekehrt wäre eine juristische Person, deren Verwaltungsmittelpunkt sich zwar im Auslande befindet, deren Statuten aber einen in Deutschland gelegenen Ort als Sitz angeben, in keiner Weise an die in Deutschland über Vereine geltenden Vorschriften gebunden, hätte keine Steuern zu bezahlen u.s.w., unterstände also in keiner Weise der Herrschaft des deutschen Reichs. Trotzdem würde sie (da sie ja ihren Statuten nach in Deutschland domiziliert ist), die Rechtsfähigkeit unter denselben leichten Bedingungen wie die deutschen juristischen Personen erwerben (. . .). Sie würde also, ohne irgend eine andere Beziehung zu Deutschland zu haben, als dass die Statuten einen deutschen Ort als Sitz bezeichnen, in Deutschland den Inländern gleichstehen, während juristische Personen, deren Verwaltungsmittelpunkt sich in Deutschland befindet, die der Macht des deutschen Reiches unterworfen sind, dort Steuern zu zahlen haben u.s.w., die Rechtsstellung der Ausländer besitzen, bloss weil den Statuten nach ihr Sitz im Ausland belegen sein soll.“ 1384 Eine Behandlung einer nur formal deutschen Gesellschaft als „inländische“ würde alle gesetzlichen Beschränkungen für ausländische Gesellschaften wertlos machen und Gesetzesumgehungen provozieren, weshalb eine solche Deutung „(. . .) nur dann als dem Willen des Gesetzgebers entsprechend angesehen werden [könnte], wenn ausdrücklich angeordnet wäre, dass der statutarische Sitz Tatbestandsmerkmal auch der Staatsangehörigkeit sein solle.“ 1385 Solange eine solche Vorschrift nicht existiere, könne der satzungsmäßige Sitz nicht entscheidend sein, wenn er den tatsächlichen Verhältnissen zuwiderlaufe.1386 Der Wortlaut von § 24 BGB dürfe daher nicht dahin zu verstehen sein, dass (allein) der statutarische Sitz die (deutsche) Nationalität bestimme.1387 Weitergehend hatte auch das Reichsgericht 1911 entschieden, dass eine Religionsgesellschaft mit Verwal1382
Mamelok (1900), S. 227. Mamelok (1900), S. 227. 1384 Isay (1907), S. 210. 1385 Isay (1907), S. 210 f. 1386 Isay (1907), S. 211. 1387 Isay (1907), S. 209. Radikaler Spindler (1932), S. 32, 36: Die Vorschriften des § 24 BGB und § 182 HGB ließen ausweichlich ihrer historischen Auslegung keinesfalls den Schluss zu, ein rein fiktiver Verwaltungssitz einer nach deutschen Recht gegründeteten Aktiengesellschaft in Deutschland sei zulässig. S. a. OLG Dresden, Urt. v. 25. September 1917, in: Leipziger Zeitschrift für deutsches Recht (LZ) 12 (1918), Sp. 408. 1383
II. Die Entwicklung der Sitztheorie
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tungssitz in Preußen nur dem preußischen Landesrecht unterliegen könne und sich keiner anderen Staatshoheit unterwerfen dürfe.1388 Schließlich ist noch auf Spindler einzugehen, der ausgehend von der internationalprivatrechtlichen Anknüpfung an die Sitztheorie auch im deutschen Sachrecht eine Übereinstimmung von Satzungs- und Verwaltungssitz propagierte: „Überwiegende Gründe sprechen somit auch beim Vorhandensein eines inländischen Gewerbebetriebes gegen die Zulässigkeit einer ausländischen Zentralverwaltung. Da aber nach der hier vertretenen Ansicht der statutarische Sitz nur an dem Orte der Betriebsführung oder an dem Orte der Verwaltung und Leitung fixiert werden kann, so ergibt sich, daß bei ausländischer Betätigung einer inländischen Gesellschaft der Ort der Verwaltung und Leitung und der „Sitz“ zusammenfallen müssen.“ 1389 Historisch gesehen ist es demnach konsequent, wenn Großfeld zum Nachfolgeparagraphen der Art. 209 ADHGB und § 182 HGB, sprich § 5 AktG (1965), kommentiert, dass die Sitzwahlfreiheit im nationalen Recht vom Boden der (allseitig anzuwendenden) Sitztheorie aus betrachtet werden müsse.1390 Aus dieser Perspektive erforderte auch das deutsche Sachrecht (vor der Reform 2008) folglich (implizit) einen Verwaltungssitz einer deutschen Gesellschaft im Inland.1391 1388 Vgl. RGZ 77, 19. §§ 21 ff. BGB galten für die Religionsgemeinschaften nicht; Art. 84 EGBGB unterstellte diese ihrem bisherigen Landesrecht. Nach dem Urteil des Reichsgerichts (S. 22, 24), könne eine solche Gesellschaft ihren statutenmäßigen Sitz nur am Ort der wahren Verwaltung nehmen. Keinesfalls dürften Gesellschaften die preußischen Landesgesetze dadurch umgehen, „(. . .) daß sie unter Bestimmung eines nicht wirklichen außerstaatlichen Wohnsitzes bei einem Amtsgericht außerhalb der Landesgrenzen ihre Eintragung bewirken.“ Die Gesellschaft konnte sich demnach nicht durch Eintragung ins Vereinsregister beim AG Offenbach a. M. in einen rechtsfähigen Verein umgestalten. 1389 Spindler (1932), S. 36. 1390 Staudinger/Großfeld, IntGesR (1998), Rn 86, 88, 93, 111. Eine Gesellschaft mit ausländischem Verwaltungssitz könne nicht nach deutschem Recht wirksam gegründet werden, da die Wahlfreiheit des § 5 II AktG (1965) keinesfalls zum Ausland hin bestehe; ähnlich Kaligin, DB 1985, 1449, 1451; Soergel/Lüderitz, Art. 10 Anh, Rn 10; s. a. Kraft, in: Kölner Kommentar zum AktG, Bd. 1, 2. Aufl. (1988), § 5, Rn 2, 38 ff.; mit Bedenken zustimmend Behrens (1997), Rn IPR 30. S. auch bereits Spindler (1932), S. 33 ff., der auf die mangelnde Einwirkungsmöglichkeit des deutschen Gesetzgebers bei der Vollstreckung von Ordnungsstrafen bzw. Zwangsvollstreckung verweist. 1391 Franz/Laeger, BB 2008, 678, 683; Kobelt, GmbHR 2009, 808 f.; Drescher, in: Spindler/Stilz, 2. Aufl. 2010, § 5, Rn 10; MüKo-GmbHG/Weller, 1. Aufl. 2010, Einleitung, IntGesR, Rn 378; Dauner-Lieb, in: Kölner Kommentar zum AktG, 3. Aufl. 2012, § 5, Rn 6, 8 f. Implizit kann diese Wertung auch dem BGH, NJW 2008, 2914, 2915 entnommen werden. Hier stellte das Gericht für die Verwaltungssitzverlegung einer deutschen Kapitalgesellschaft fest, dass ein Auseinanderfallen von Satzungssitz und tatsächlichem Sitz zu einem Satzungsmangel und damit zu einem Auflösungsverfahren führe. Nach dem argumentum a fortiori sollten diese Wertungen auf die ursprüngliche Wahl des Verwaltungsitzes einer nach deutschem Recht gegründeten Gesellschaft übertragen werden. So auch Kindler, in: Goette/Habersack (Hg.) (2009), S. 233, 246; ders., IPrax 2009, 189, 197 und MüKo-GmbHG/Weller, 1. Aufl. 2010, Einleitung, IntGesR, Rn 378.
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B. Umgang mit fremden Gesellschaften aus rechtshistorischer Perspektive
Zumindest scheiterte die Gründung einer deutschen Aktiengesellschaft mit ausländischem Verwaltungssitz regelmäßig am Registerrecht, da die Wahl eines inländischen Satzungssitzes bei ausländischem Verwaltungssitz als unzulässig galt.1392 Parallel entsprach es unter der beschriebenen Rechtslage jedenfalls der wohl (zunächst) herrschenden Auffassung, dass eine Verlegung des Verwaltungssitzes einer nach deutschem Recht gegründeten Gesellschaft ins Ausland sachrechtlich stets ihre Auflösung zur Folge hatte.1393 Die (letztenendes dominante) Gegenauffassung wandte zwar kollisionsrechtlich die Sitztheorie auf nach deutschem Recht gegründete Gesellschaften an, stufte aber die ursprüngliche bzw. die nachträgliche Verwaltungssitzverlegung in einen Gründungstheoriestaat aufgrund des renvoi als grundsätzlich unschädlich für das Bestehen der Gesellschaft in Deutschland ein.1394 Argumentativ gestützt wurde diese Auffassung dann gerade mit dem Wortlaut von § 5 II AktG (a. F.), der lediglich erforderte, dass nur eines der genannten Kriterien zutraf (Betriebsstätte, Geschäftsführung oder Verwaltung am deutschen Satzungssitz).1395 Noch
1392 MüKo-BGB/IHGR/Kindler, 4. Aufl. 2006, Rn 495; ausführlich zur rechtlichen Begründung Braun (2010), S. 80–87. 1393 Vgl. zur sachrechtlichen Bindung von der Verwaltungssitzverlegung ins Ausland und der Auflösung der Gesellschaft: Kuhn, WM 1956, 2, 5; Kaligin, DB 1985, 1449, 1455; Kegel (1985), § 17 II, S. 342; MüKo-BGB/EGBGB/Ebenroth, 2. Aufl. 1990, nach Art. 10, Rn 225; Staudinger/Großfeld, IntGesR (1998), Rn 610, 617 ff.; Regierungsentwurf zum Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen, BT-Drs. 16/6140, S. 29; Izzo-Wagner (2009), S. 29; Behme, BB 2010, 1679, 1680. Vgl. auch die Beschreibungen von Hausmann, GS Blomeyer (2004), S. 579, 588 m.w. N.; MüKo-BGB/IHGR/Kindler, 4. Aufl. 2006, Rn 502 ff. (jeweils allerdings a. A. bei Verlegung des Verwaltungssitzes in einen Gründungstheoriestaat); s. a. ausführlich zur rechtlichen Begründung Braun (2010), S. 87–100, welche (auf S. 100), die alte Rechtslage wie folgt zusammenfasst: „Das eigentliche Hindernis [der Verwaltungssitzverlegung einer nach deutschem Recht gegündeten Aktiengesellschaft] lag (. . .) in einem ungeschriebenen Auflösungsdogma des deutschen Sachrechts, das auch unabhängig von der kollisionsrechtlichen Lage die zwingende Auflösung der Gesellschaft anordnete.“ Nicht eindeutig OLG Hamm, NZG 2001, 562 f. (Rückverweisung führt zu deutschem Sachrecht) mit Besprechung von Schwarz, NZG 2001, 613 f. 1394 Diese Ansicht hatte gerade nach der Neuregelung des renvoi 1986 Oberhand gewonnen, vgl. Ebenroth/Eyles, IPrax 1989, 1, 9. Beispielhafte Vertreter sind Ebenroth/ Eyles, Beilage 2 zu DB 1988, 3, 7 (für beide Konstellationen); dies., DB 1989, S. 363, 368 (nur für spätere Verwaltungssitzverlegung); dies., IPrax 1989, 1, 9 (für beide); s. a. Hausmann, GS Blomeyer (2004), S. 579, 588 f., 595 (für beide Fälle); MüKo-BGB/ IHGR/Kindler, 4. Aufl. 2006, Rn 495, 504 f. (für beide Fälle); MüKo-AktG/EU-Niederlassungsfreiheit/Altmeppen, 2. Aufl. 2006, Rn 147; MüKo-AktG/EU-Niederlassungsfreiheit/Altmeppen/Ego, 3. Aufl. 2012, Rn 176 m.w. N. Im Ergebnis sahen aber Hausmann und Kindler registerrechtliche Schwierigkeiten für die Gesellschaft nach dem „renvoi“, s. Hausmann, GS Blomeyer (2004), S. 579, 595 (urspr. Verwaltungssitz im Ausland); MüKo-BGB/IHGR/Kindler, 4. Aufl. 2006, Rn 495, 506 (beide Fälle). 1395 Insbesondere wenn der Verwaltungssitz nicht an den Satzungssitz gekoppelt war, genügte daher ein Betrieb am inländischen Satzungssitz. Vgl. MüKo-BGB/EGBGB/ Ebenroth, 2. Aufl. 1990, nach Art. 10, Rn 221, 229; C. Desch, in: Bunnemann/Zirngibl,
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extremer verfuhren die Anhänger der sog. „eingeschränkten Sitztheorie“ 1396 in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts, denn diese wollten die kollisionsrechtliche Verwaltungssitzanknüpfung auf nach deutschem Recht gegründete Gesellschaften gar nicht erst anwenden.1397 Setzt man an der historisch begründeten Forderung eines inländischen Verwaltungssitzes als ungeschriebenes Gebot des Sachrechts der nach deutschem Recht gegründeten Gesellschaft an, so ergibt die Anwendung der Sitztheorie ein einheitliches Bild: Richtigerweise sollte die Anknüpfung an den Verwaltungssitz nicht allein dazu führen, dass eine nach fremden Recht gegründete Gesellschaft mit Verwaltungssitz im Inland aus Sicht deutschen Kollisions- und materiellen Rechts als unter falschem Recht gegründet gilt und damit nicht anerkannt wird, sondern muss die Sitztheorie umgekehrt verbieten, dass eine Gründung einer Aktiengesellschaft deutschen Rechts mit ausländischem Verwaltungssitz sachrechtlich überhaupt möglich ist – übereinstimmend mit der kollisionsrechtlichen Bewertung der Sitztheorie hätte sich die Gesellschaft nach dem Recht ihres (effektiven) Sitzstaats gründen müssen.1398 Nach der (strengen) Sitztheorie kann danach eine Gesellschaft grundsätzlich nicht nach deutschem Recht beurteilt werden, wenn sie im Inland nicht ihren Verwaltungssitz nimmt bzw. diesen nachträglich ins Ausland verlegt.1399 Die Autoren, welche im 20. Jahrhundert die Notwendigkeit eines inländischen Verwaltungssitzes von nach deutschem Recht gegründeten Aktiengesellschaften bestritten, gingen meist auf den bloßen Wortlaut von § 182 HGB a. F. bzw § 5
2. Aufl. 2011, Rn 96 (jeweils für die nachträgliche Verwaltungssitzverlegung in einen Gründungstheoriestaat); Spahlinger/Wegen, IntGesR, 1. Aufl. 2005, Rn 50, formulieren für die Gründung einer deutschen Gesellschaft mit ausländischem Verwaltungssitz in einem Gründungstheoriestaat vorsichtiger, die Anerkennung in Deutschland bedinge, dass die Gesellschaft „nach deutschem Sachrecht zulässigerweise einen inländischen Satzungssitz hat.“ 1396 Diesen Begriff benutzt Behrens (1997), Rn IPR 5, 6, 30; Ulmer/Behrens, GmbHG (2005), Einl. B., B 16. 1397 So etwa Koppensteiner (1971), S. 97 f., 126 ff.; Wiedemann, Bd. 1 (1980), § 14 II 2, S. 792; Knobbe-Keuk, ZHR 154 (1990), 325, 351 f.; Wenckstern, in: FS Drobnig (1998), S. 465, 478. 1398 Eingehende Beschreibung der rechtlichen Bewertung der Gründung unter falschem Recht bei Staudinger/Großfeld, IntGesR (1998), Rn 425 ff.; s. a. Knobbe-Keuk, ZHR 154 (1990), 325, 350. 1399 Aus kollisionsrechtlicher Sicht (Sitztheorie) sollte das deutsche Recht prinzipiell keine Anwendbarkeit erlangen, vgl. Staudinger/Großfeld, IntGesR (1998), Rn 88, 93, 629; Kindler, IPrax 2009, 189, 196. Anderes gilt nur in Zusammenspiel mit dem Kollisionsrecht des Verwaltungssitzstaates, sofern dieser der Gründungstheorie folgt und die Rückverweisung auf das deutsche (Sach)-Recht zugelassen wird (h. M.), vgl. MüKoBGB/EGBGB/Ebenroth, 2. Aufl. 1990, nach Art. 10, Rn 211–213, 220–222; MüKoAktG/EU-Niederlassungsfreiheit/Altmeppen/Ego, 3. Aufl. 2012, Rn 176 m.w. N. Nach hier vertretener Ansicht erfüllt die Gesellschaft im letzteren Fall aber die sachrechtlichen Erfordernisse des deutschen Rechts (§ 5 AktG a. F.) nicht.
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AktG a. F. ein, ohne deren geschichtlichen Wurzeln zu betrachten1400 – freilich ergibt sich aus der reinen Wortfassung besagter Normen gerade nicht, dass das deutsche materielle Recht auch den Verwaltungssitz deutscher Gesellschaften im Inland für zwingend hielt. Vor dem beschriebenen historischen Hintergrund sollte aber der Verwaltungssitz im Inland auch sachrechtlich eine (ungeschriebene) Voraussetzung der wirksamen Gründung einer nach deutschem Recht gegründeten Aktiengesellschaft sein. Die (noch weitergehende) sog. „eingeschränkte Sitztheorie“ überzeugt entsprechend nicht nur vor dem dargestellten Gesichtspunkt nicht, sie misst darüberhinaus mit zweierlei Maß, indem sie das Gesellschaftsstatut für „fremde“ Gesellschaften anders anknüpfen will, als für die „eigenen“. Obwohl die Geschichte der Sitztheorie in Zusammenhang mit dem Schutz der eigenen Wirtschaft vor „pseudo-ausländischen“ Gesellschaften zu sehen ist, schießt sie in der eingeschränkten Form über das (ursprünglich) übergeordnete Ziel – die Berufung der am meisten betroffenen Rechtsordnung zur Vermeidung von Missbrauch – hinaus, wenngleich eine solche Betrachtung im Ergebnis nationalen Interessen weiter entgegenkommt als die uneingeschränkte, allseitige Sitztheorie.1401 Diesem (ursprünglich) geforderten Einklang von deutschem Sach- und Kollisionsrecht standen auch nicht die bis vor kurzem noch geltenden §§ 23, 80 S. 2 BGB im Wege. Diese Vorschriften können ausweislich ihres Wortlautes und des Gesamtzusammenhangs ihrer Entstehungsgeschichte nicht als Widerspruch, sondern lediglich als eng begrenzte Ausnahme des dargelegten Prinzips verstanden werden.1402 1400 Beitzke (1938), S. 88, 104 f.; Luchterhandt (1971), S. 11; Koppensteiner (1971), S. 97 f., 126 ff.; Wiedemann, Bd. 1 (1980), § 14 II 2, S. 791; Knobbe-Keuk, ZHR 154 (1990), 325, 351 f. Beinahe symptomatisch ist, dass alle Autoren im Ergebnis der Gründungstheorie bzw. einer fallgruppenbedingten Anknüpfung folgen. 1401 Vgl. nur Koppensteiner (1971), S. 128 f.: Für die Bewertung materieller Interessen der Anwendung deutschen Rechts spräche, dass die nach deutschem Recht gegründete AG mit ausländischem Verwaltungssitz im Inland nach § 5 AktG (1965) zumindest einen Betrieb haben müsse und damit wohl in den inländischen Geschäftsverkehr eintrete. Somit ergäbe sich ein Interesse an der Anwendung deutschen Rechts aus ähnlichen Erwägungen, die umgekehrt i. d. R. für die Verwaltungsanknüpfung angeführt würden. Der ausländische Staat sei – auch wenn hier der Tätigkeitsschwerpunkt der Gesellschaft liege – nicht schützenswert und könne seinerseits Nichtanerkennung vorsehen. Schließlich existiere ein kollisionsrechtlicher Grundsatz der „Selbstbeschränkung mit Rücksicht auf ausländische Rechte“ nicht. Ähnlich Wiedemann, Bd. 1 (1980), § 14 II 2, S. 791 ff.; Wenckstern, in: FS Drobnig (1998), S. 465, 474, 478; Behrens, IPrax 1999, 323, 331; Binge/Thölke, DNotZ 2004, 21, 29 („Entstehungssitztheorie“ favorisiert, d.h. bei nachträglicher Verlegung des Verwaltungssitzes kein Statutenwechsel). Entsprechend muss sich auch die deutsche Rechtsprechung v. a. von den Autoren des ausgehenden 20. Jahrhunderts dem Vorwurf stellen, bei nach deutschem Recht gegründeten Gesellschaft bisweilen allein an den Satzungssitz anknüpfen zu wollen, s. hierzu Brändel, in: Großkomm AktG, 4. Aufl. (2004), § 5 (Stand 1.3.1992), Rn 48; Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 13. Aufl. 1991, Einleitung, Rn 20; Werner, AG 1990, 1, 3. Zur deutschen Rechtsprechung s. a. unten B. II. 2. b) cc). 1402 Vgl. bereits oben Gliederungspunkte B. I. 3. c) aa) (4) und B. II. 2. b) aa) sowie speziell zur Einordnung besagter BGB-Normen etwa Raape, Bd. 1 (1938), § 22, S. 122;
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Zur Frage, wie der Einfluss des Europarechts und die neueste Fassung von § 5 AktG (2008) nach dem MoMiG vor diesem Hintergrund einzuschätzen sind, soll später noch detailliert Stellung bezogen werden.1403 cc) Rechtsprechung Auch in der deutschen Jurisdiktion finden sich frühe und konstante Zeugnisse der Anknüpfung am Verwaltungssitz. (1) Ältere Entscheidungen von lokalen Instanzgerichten Es lassen sich bereits vor der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts (interlokale) Gerichtsurteile auffinden, die die „Nationalität“ der fremden Gesellschaft nach ihrem tatsächlichen Sitz bestimmen wollen. Das Stadtamt Mannheim hatte sich 1844 mit einer Klage zu beschäftigen, die die Weinhandlung München gegen die Kölnische Dampfschifffahrts-Gesellschaft anstrebte. Aus Sicht der badischen Gerichte handelte es sich damals um einen „Auslandssachverhalt“. Das Stadtamt Mannheim hielt sich in Anwendung der geltenden „Processordnung“ nicht für zuständig, da Klägerin (Weinhandel) und Beklagte (Schifffahrtsgesellschaft) Ausländerinnen seien. Das Stadtamt argumentierte, es erschiene unerheblich, „(. . .) daß die Beklagte, deren Hauptniederlassung und Wohnsitz (. . .) in Köln ist, hier eine Agentur hat.“ 1404 Auch in der doppelten Berufung der Klägerin vor zwei übergeordneten Gerichten hielt man an der Ausländereigenschaft der Kölner Gesellschaft fest: „Die beklagte Gesellschaft, deren Hauptniederlassung in Köln ist, wird daselbst (. . .) durch einen dort domicilirenden Verwaltungsrath repräsentirt“.1405 Allein innerhalb dieses „Verwaltungsraths“ könnten „die eigentlichen Vorsteher und Repräsentanten der Gesellschaft“ angetroffen werden.1406
Lewald, Bd. 1 (1930), S. 47 f.; Staudinger/Großfeld, IntGesR (1998), Rn 86 f., 96, 110 ff.; a. A. Spindler (1932), S. 29. 1403 S. u. Gliederungspunkt B. III. 4. Dort (B. III. 4. b) bb) (2) und (3)) auch näher zu den verschiedenen Konstellationen der Gründung einer deutschen Gesellschaft mit ausländischem Verwaltungssitz bzw. dessen „nachträglichen Wegzugs“ unter Berücksichtigung aller maßgebenden Rechte unter der aktuellen Rechtslage. 1404 Entscheidung des Stadtamts Mannheim vom 2. September 1844, in: Annalen der Großherzoglich Badischen gerichte, Bd. 14 (1846), 5 ff. (Hervorhebung des Verf.) 1405 Entscheidung des Großherzoglichen Hofgerichts des Unterrheinkreises, wie Fn 1404, S. 6. (Hervorhebung des Verf.) Bei der weiteren Berufung vor dem Großherzoglichen Oberhofgericht wurde zwar die prozessuale Zuständigkeit des Stadtamtes Mannheim festgestellt, allerdings trotz Ausländereigenschaft der Kölner Gesellschaft (S. 7 f.). 1406 Vgl. Fn 1405. (Hervorhebung des Verf.)
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Diese Entscheidung zeigt, dass die Ausländereigenschaft einer Gesellschaft am Verwaltungssitz festgemacht wurde.1407 Des Weiteren bestimmte das Stadtgericht zu Berlin im Februar 1866, „(. . .) daß die persönlichen Eigenschaften und Befugnisse eines Rechtssubjects nach den Gesetzen der Gerichtsbarkeit zu beurtheilen seien, unter welchen dasselbe seinen Wohnsitz habe (§ 23, Einl. z. allg. L.-R.), bei einer moralischen Person also nach den Gesetzen des Ortes, welcher gesetzlich als ihr Domicil anzusehen sei. Die klagende Gesellschaft habe ihren Wohnsitz in Leipzig und von der königl. sächsischen Regierung die Rechte einer moralischen Person verliehen erhalten. Diese Rechte und Befugnisse mußten gemäß § 23 loc. cit. auch bei dem Auftreten der Gesellschaft vor preußischen Gerichten Anerkennung finden.“ 1408 Das Kreisgericht Lörrach erklärte ferner noch unter Geltung des Konzessionssystems, d.h. Art. 208 ADHGB (1861) zur Rechtsfähigkeit einer fremden Gesellschaft (eines anderen deutschen Bundesstaates), dass diese anerkannt werden müsse, wenn die Konzession des Staates erteilt worden sei, in welcher die Gesellschaft ihren „örtlichen Mittelpunkt“ habe:1409 „Sind daher, zumal im Geltungsgebiete des deutschen Handelsrechtes, bei Gründung der Gesellschaften die vorgeschriebenen Förmlichkeiten, wie im vorliegenden Fall erfüllt worden, so besteht die Gesellschaft als juristische Person zu Rechte. Ihre Rechtsfähigkeit muß nach dem Gesetze ihres Wohnsitzes beurtheilt werden und es fällt darum die Verleihung der juristischen Persönlichkeit in andern Staaten, in welche sich ihre Geschäftsthätigkeit erstreckt, nicht nöthig.“ 1410 Auch in Bezug auf Zweigniederlassungen auswärtiger Gesellschaften entschieden die Gerichte, dass ihre Nationalität nach dem Rechte des Gründungslandes zu beurteilen sei, in denen die Hauptniederlassungen ihr Domizil hätten.1411 Die (als grundsätzlich sachgerecht empfundene) Entsprechung von Anknüpfung an die Konzession (bei noch unter diesem System gegründeten Aktiengesellschaften) und Sitz gilt folglich ebenso für Deutschland, denn als fremde Ge-
1407 Panthen (1988), S. 263, zitiert die Entscheidung als früheste explizite Anwendung der Sitztheorie. 1408 Erkenntniß des Stadtgerichts zu Berlin vom Februar 1866, in: Busch’s Archiv, Bd. 9 (1866), 109 f. § 23 Einleitung des ALR lautete: Die persönlichen Eigenschaften und Befugnisse eines Menschen werden nach den Gesetzen der Gerichtsbarkeit beurtheilt, unter welcher derselbe seinen eigentlichen Wohnsitz hat. 1409 Urteil des Kreisgerichts Lörrach vom 17. März 1868, in: Busch’s Archiv, Bd. 19 (1870), 45, 47. 1410 Kreisgericht Lörrach, wie Fn 1409 (Hervorhebung des Verf.). 1411 Erkenntniß des Stadt- und Kammergerichts zu Berlin aus dem Jahre 1866, in: Busch’s Archiv, Bd. 7 (1866), 200. Ähnlich Urteil des Appellationsgerichtshofs zu Köln vom 8. März 1867, in: Busch’s Archiv, Bd. 12 (1868), 218 f. S. a. Erkenntniß des Stadtund Kammergericht zu Berlin aus dem Jahre 1865, in: Busch’s Archiv, Bd. 9 (1866), 131 f.
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sellschaft anerkannt wurde jene, die im Sitzstaat ihrer Hauptniederlassung eine behördliche Genehmigung erteilt bekommen hatte. (2) Urteile des Reichsgerichts Wie für Frankreich aufgezeigt, entwickelte sich die Sitztheorie anhand des einheitlichen Nationalitätsbegriffes für die Gesellschaften. Genau genommen muss man hierbei aber zwei Dinge unterscheiden: einmal die (sachrechtliche) Frage, wann ein Staat eine Gesellschaft als ihm zugehörig und rechtmäßig gegründet anerkennt, zudem die Frage, welches Recht das internationale Privatrecht eines Staates für die Behandlung einer (fremden) Gesellschaft beruft.1412 Unabhängig davon, ob man die Richtigkeit des (ursprünglichen) Gleichlaufs der Bedingungen des eigenen Sachrechts und des Kollisionsrechts unterstellt, so sind bei der Analyse entsprechender Entscheidungen (aus heutiger Sicht) zwingend die sachrechtliche und die kollisionsrechtliche Ebene, sowie Satzungs- und Verwaltungssitz auseinanderzuhalten – dies fällt gerade bei den Urteilen des Reichsgerichts nicht immer leicht. (a) Wegzugsproblematik Ein Urteil, dass wohl primär dem ersten Fragenkreis des wirksamen Bestehens als nationale Gesellschaft nach eigenem Sachrecht zuzuordnen ist, fällte das Reichsgericht am 5. Juni 1882:1413 Eine in Deutschland ansässige Eisenbahn-Aktiengesellschaft hatte beschlossen, ihren Sitz nach Bukarest zu verlegen, wogegen sich ein Aktionär auf dem Klagewege wandte. Das Reichsgericht bestimmte: „Es ist dem Kläger zuzugeben, daß eine in Deutschland bestehende Aktiengesellschaft, wenn sie ihren Sitz in das Ausland verlegt, hiermit ihre vom deutschen Rechte anerkannte Rechtspersönlichkeit aufgiebt. Die Anerkennung des Rechtsinstitutes der Aktiengesellschaft im deutschen Handelsgesetzbuche steht im engsten Zusammenhange mit den im Handelsgesetzbuche enthaltenen (. . .) Vorschriften, welche einem Mißbrauche dieser Gesellschaftsform vorzubeugen bestimmt sind. Nur unter den Einschränkungen, welche sich aus diesen im öffentlichen Interesse erlassenen, schlechthin gebietenden oder verbietenden Vorschriften ergeben, sind die Aktiengesellschaften überhaupt in Deutschland anerkannt. Daher erstreckt sich bei jeder in Deutschland gegründeten Aktiengesellschaft die Anerkennung derselben als eines selbstständigen Vermögenssubjektes nur so weit, als sie vermöge ihres Sitzes im Inlande jenen Vorschriften unterworfen ist und bleibt.“ 1414 1412 Vgl. hierzu anschaulich Jacquet/Delebecque/Corneloup (2007), Nr. 258 f., S. 148 f. 1413 Urteil des Reichsgerichts vom 5. Juni 1882, in: RGZ 7, 68–73. 1414 RG, Fundstelle wie Fn 1413, S. 69. Die Notwendigkeit, dass eine deutsche Aktiengesellschaft ihren Sitz im Inland nehmen muss, ergab sich aus dem damaligen
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B. Umgang mit fremden Gesellschaften aus rechtshistorischer Perspektive
Der Verlust der Rechtspersönlichkeit bei Sitzverlegung ins Ausland stelle „(. . .) keine Abweichung von dem in Deutschland anerkannten Grundsatze, daß eine Aktiengesellschaft, welche nach den Gesetzen des Staates, in welchem sie ihren Sitz hat, zu Recht besteht, auch in anderen Staaten als solche anzuerkennen ist. Vielmehr ist es eine Anwendung des am Orte des bisherigen Sitzes geltenden Rechtes, wenn der Aktiengesellschaft infolge der Verlegung ihres Sitzes in das Ausland die ihr von jenem Rechte nur für die Dauer ihrer Eigenschaft als inländischer Gesellschaft zugestandene Rechtspersönlichkeit abgesprochen wird.“ 1415 Aus dem Urteil wird nicht klar, ob das Reichsgericht hierbei den Verwaltungsoder den Satzungssitz gemeint hat.1416 Bezieht man das Urteil rein auf den Satzungssitz, so verliert die Gesellschaft ihre nach dem deutschen Recht verliehene Rechtspersönlichkeit, da sie die materiellen Voraussetzungen des internen Sachrechts nicht mehr erfüllt.1417 Wird das Urteil nur auf den Verwaltungssitz gemünzt, so könnte man aus kollisionsrechtlicher Sicht unter Anknüpfung an den Verwaltungssitz einen Statutenwechsel (ungeachtet eines denkbaren renvoi) annehmen, womit die Gesellschaft ihr deutsches Personalstatut verliert.1418 Aufgrund des Sachverhaltes steht zu vermuten, dass das Reichsgericht seine Ausführungen jedenfalls auf die Verlegung des Satzungssitzes beziehen wollte, was zweifelsfrei den Verlust der Rechtsfähigkeit als deutsche Gesellschaft aufgrund Nichterfüllung der Voraussetzungen des deutschen Sachrechts bedeutet.1419 Art. 213 ADHGB (1870). Da sich nach dem RG (S. 69 f.), die „Anerkennung der Selbstständigkeit“ einer nach deutschem Recht gegründeten Aktiengesellschaft nur bei Sitznahme in Deutschland einstelle, weil erst dann den Vorschriften des deutschen Rechts zur Gründung einer Aktiengesellschaft Folge geleistet wurde, so folge daraus notwendig „(. . .) daß eine in Deutschland entstandene und bestehende Aktiengesellschaft ihre vom deutschen Rechte gewährte Rechtspersönlichkeit verliert, wenn sie ihren Sitz an einen Ort verlegt, auf welchen die Wirksamkeit der deutschen Gesetzgebung sich nicht erstreckt.“ 1415 RG, Fundstelle wie Fn 1413, S. 70. 1416 Gedeutet im Sinne einer (reinen) Verwaltungssitzverlegung durch Rabel, Bd. 2 (1960), S. 51 f. und dortige Fußnote 74; Hausmann, in: GS Blomeyer (2004), S. 579, 588 mit dortiger Fußnote 33; Soergel/Lüderitz, Art. 10 Anh, Rn 47 mit dortiger Fußnote 43; Braun (2010), S. 81 f.; gedeutet als bloße Satzungssitzverlegung durch Spindler (1932), S. 50; Wiedemann, Bd. 1 (1980), § 15 III 1, S. 870; Knobbe-Keuk, ZHR 154 (1990), 325, 352; Trautrims (2009), S. 48. 1417 Kollisionsrechtliche Bedeutung hat dies aber nicht, vgl. Staudinger/Großfeld (1998), Rn 609. 1418 Eingehend zur Problematik des „renvoi“: Hausmann, GS Blomeyer (2004), S. 579, 587 f. Sofern man der Sitztheorie im oben unter Gliederungspunkt B. II. 2. b) bb) (3) (b) dargestellten Sinne uneingeschränkt folgt, sollte es zudem auch eine Konsequenz des Sachrechts des deutschen Wegzugsstaates sein, dass sich die Gesellschaft auflösen muss; anders aber Soergel/Lüderitz, Art. 10 Anh, Rn 48, der zwar die Gründung nach deutschem Recht bei ausländischem Verwaltungssitz ablehnt, einer späteren Verlegung nur des Verwaltungssitzes aber keine kollisionsrechtliche Bedeutung beimisst. 1419 Wie aktuell die Fragestellungen dieser Rechtsprechung des RG auch heute noch im europäischen Kontext sind, zeigte sich jüngst bei der Entscheidung der Rechtssachen
II. Die Entwicklung der Sitztheorie
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(b) Bestimmung des Gesellschaftsstatuts anhand des Verwaltungssitzes Die Bestimmung der Rechts- und Parteifähigkeit nach dem Recht, in dem die fremde Gesellschaft ihren Sitz hat – d.h. die eigentlich kollisionsrechtliche Frage – ist ebenfalls ständige Rechtsprechung des Reichsgerichts.1420 Das Reichgericht ging dabei davon aus, dass das auf die Gesellschaft anwendbare Sitzrecht einheitlich die gesamten Rechtsverhältnisse regeln solle.1421 Eine erstmalige eindeutige Unterscheidung von Satzungs- und (tatsächlichem) Verwaltungssitz nahm der erste Zivilsenat des Reichsgerichts im sog. „Mexiko“Fall vor.1422 Hier bestimmte das Reichsgericht, dass eine Gesellschaft aus deutscher Perspektive nicht wirksam ist, wenn sie nicht nach dem Recht ihrer (hier: deutschen) Hauptverwaltung gegründet wurde: „Dem B.R. [Berufungsgericht] ist darin beizutreten, daß die beklagte Gesellschaft und ihr Rechtsverhältnis zu den Kl. [Klägern] nach deutschem Recht zu beurteilen ist. Die Gesellschaft ist zwar in Amerika gegründet und inkorporiert, hat dort aber nur ihren nominellen Sitz. Ihr Geschäftsbetrieb findet in Mexiko statt, aber durch die Hamburg Agency in Hamburg. Hier ist ihr Verwaltungssitz, hier werden die ordentlichen und außerordentlichen Generalversammlungen abgehalten, hier sitzt auch das Organ der Gesellschaft, der Verwaltungsrat, der nur aus Personen besteht, die in Hamburg domizilieren. Daneben hat der nominelle Sitz in Washington keine rechtliche Bedeutung. Eine Aktiengesellschaft im Sinne des deutschen Rechtes ist diese Gesellschaft nicht. In Deutschland ist weder eine Haupt- noch eine Zweigniederlassung eingetragen, wie die Firmenakten ergeben. (. . .) Eine offene Handelsgesellschaft stellt diese Gesellschaft nicht dar. Zur Zeit kann sie deshalb nur als ein nicht rechtsfähiger Verein beurteilt werden, da ihr die Rechtsfähigkeit nach § 22 des B.G.B. nicht verliehen ist.“ 1423 „Cartesio“ (EuGH, Urt. v. 16.12.2008, Rs. C-210/06, Slg. 2008 I-9641) und „VALE“ (EuGH, Urt. v. 12.7.2012, Rs. C-378/10) durch den EuGH, hierzu unten Gliederungspunkt B. III. 2. f). 1420 Vgl. zunächst Urteil des 6. Zivilsenats des Reichsgerichts vom 25.11.1895 zur Parteifähigkeit einer englischen partnership, in: RGZ 36, 393–398 (dort insbes. S. 394). 1421 Urteil des Reichsgerichts vom 2. Juli 1883: RG, JW 1884, 271 f., Nr. 24: „Die Rechtsnormen, welche das Wesen einer Handelsgesellschaft und die Rechtsstellung der Handelsgesellschafter, als solcher, zu einander und nach außen bestimmen und beherrschen, müssen einheitliche sein. (. . .) Vergeblich ist es, eine Vereinigung zu begründen auf sich widersprechende Grundsätze. – Das einheitlich die Handelsgesellschaft und die Handelsgesellschafter, als solche, beherrschende Recht ist, wenn die betreffenden Vorgänge in einem der Staaten abendländischer Kultur sich verwirklichen, das objektive Handelsgesellschaftsrecht des Staates, in dessen Territorium der Sitz der Handelsgesellschaften belegen ist.“ S. a. zumindest implizit: RGZ 83, 367, 369 und RGZ 153, 200, 205 f. Die sog. „Einheitstheorie“, d.h. das grds. Anknüpfen des Innen- und Außenverhältnis einer Gesellschaft an einer einheitlichen Rechtsordnung ist seit jeher h. M., vgl. Kropholler (2006), § 55 II, S. 581 ff.; Staudinger/Großfeld, IntGesR (1998), Rn 16 f. 1422 Urteil des Reichsgerichts vom 9. März 1904: RG, JW 1904, 231, 232. 1423 RG, JW 1904, 231, 232.
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B. Umgang mit fremden Gesellschaften aus rechtshistorischer Perspektive
Da die Gesellschaft somit als reine Scheinauslandsgesellschaft zu betrachten war und damit nach deutschem Recht hätte gegründet werden müssen, wurde ihr die rechtliche Anerkennung versagt. Das Reichsgericht wendete im dargestellten Fall somit unstreitig die Verwaltungssitztheorie an – das auf die Gesellschaft anwendbare Recht bestimmte sich nach ihrem Verwaltungssitz bzw. die Anerkennung als amerikanische Gesellschaft hätte es aus deutscher Sicht erfordert, dass die Gesellschaft von Amerika aus verwaltet worden wäre.1424 Auch der zweite Zivilsenat des Reichsgerichts schloss sich 1913 ausdrücklich dieser Rechtsprechung an.1425 Grundsätzlich dürfe einer ausländischen Handelsgesellschaft nicht die Rechtsfähigkeit versagt werden, sondern sie müsse entsprechend der an ihrem Sitze geltenden Rechtsordnung auch in Deutschland als rechts- und parteifähig betrachtet werden. Das „Mexiko“-Urteil stünde dieser Regel nicht entgegen, „(. . .) weil es sich mit einer Gesellschaft befaßt, die nur dem Namen nach ihren Sitz im Auslande, in der Tat jedoch nach allen in Betracht kommenden Umständen ihren Verwaltungssitz und Geschäftsbetrieb in Hamburg hatte, derart, daß, wie es in dem Urteile heißt, der nominelle Sitz in Washington keine rechtliche Bedeutung habe.“ 1426 In der Folgezeit der „Mexiko“-Entscheidung hielt das Reichsgericht somit an der Sitzanknüpfung fest,1427 wobei bei Abweichung des effektiven Sitzes vom bloßen Satzungssitz immer wieder die Maßgeblichkeit des ersteren betont wurde.1428 Besonders deutlich ausgesprochen findet sich dieser Grundsatz bei der Entscheidung zu einer russischen Aktiengesellschaft: „Nach deutschem internationalem Privatrecht ist die Rechtsfähigkeit einer ausländischen AktG. nach dem 1424 Die zeitgenössische (s. etwa Schwandt (1912), S. 26 f. und 46 f., dort Fußnote 56; Spindler (1932), S. 11; Keßler, RabelsZ 3 (1929), 758, 759 f.) und die heutige Literatur (MüKo-AktG/EU-Niederlassungsfreiheit/Altmeppen, 2. Aufl. 2006, Rn 362, dort Fußnote 66; MüKo-BGB/IHGR/Kindler, 5. Aufl. 2010, Rn 358, dort Fußnote 21) haben das Urteil klar im Sinne der (Verwaltungs-)Sitztheorie eingeordnet. Anders Trautrims (2009), S. 50 f., der meint, dass diese Entscheidung auch i. S. d. Gründungstheorie gedeutet werden könnte, da diese ebenfalls Mittel zur Mißbrauchsbekämpfung kennt („genuine-link-Rechtsprechung“). Dem widerspricht aber der ausdrückliche Wortlaut des Urteils und die Tatsache, dass man erst im Verlauf des 20. Jahrhunderts auf die sog. „genuine link-Rechtsprechung“ stößt. 1425 RGZ 83, 367. Nachfolgende Ausführungen beziehen sich auf dieses Urteil. 1426 RGZ 83, 367, 369 f. 1427 Vgl. in der Vorzeit bereits RG, JW 1902, S. 96 für die OHG sowie Urteile des Reichsgerichts: vom 31. März 1904 (Urt. I. 451/93), in DJZ 1904, 555; vom 20. November 1909, in: RGZ 72, 242–251 (hier: 248); vom 27. Mai 1910, in: RGZ 73, 366– 369 (hier: 367); vom 16. Dezember 1913, in: RGZ 83, 367–370; vom 29. Oktober 1938, in: RGZ 159, 33–58 (hier: 42, 46). 1428 Vgl. Urteil des Reichsgerichts vom 29. Juni 1911, in: RGZ 77, 19–24 (nur fiktiver Sitz eines Vereins im Gründungsland als Gesetzesumgehung) und Urteil vom 11. Juli 1934, in: JW 1934-III, 2845–2847 = IPRspr. 1934, 22–27.
II. Die Entwicklung der Sitztheorie
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Recht zu beurteilen, welches am Sitze der Verwaltung – der im vorliegenden Falle (. . .) mit dem (. . .) satzungsmäßigen Sitz zusammenfällt – maßgebend ist. (. . .) Rechtsgebilde des Auslandes, die danach im Lande des Hauptverwaltungssitzes rechtsfähig sind, werden auch in Deutschland ohne weiteres als rechtsfähig anerkannt. (. . .) Sie können bei dem Fehlen dieser Voraussetzungen dagegen nach deutschem internationalem Privatrecht Rechtsfähigkeit nicht in Anspruch nehmen.“ 1429 Das Reichsgericht stellte demnach zur Bestimmung der maßgeblichen Rechtsordnung, die auf die (nach fremdem Recht gegründete) Gesellschaft anzuwenden war, grundsätzlich nur auf den Satzungssitz ab, wenn dieser zugleich den wirklichen Ort der Verwaltung abbildete. (c) Zweifels- bzw. Sonderfälle in der kollisionsrechtlichen Anknüpfung (aa) Die „Eskimo-Pie“-Entscheidung von 1927 Immer wieder ist – vor allem von den deutschen Anhängern der Gründungstheorie – behauptet worden, die Befürworter der Verwaltungssitzanknüpfung hätten unreflektiert die Sitztheorie mit Verweis auf eine nur „angebliche ständige Rechtsprechung“ des Reichsgerichts gestützt.1430 Dem ist insoweit zuzugeben, dass nicht alle Urteile des Reichsgerichts eindeutig vom Verwaltungssitz sprechen. Sehr oft wird nur allgemein vom „Sitz“ der Gesellschaft gesprochen, womit einerseits der Satzungssitz, andererseits der effektive Verwaltungssitz gemeint sein kann. Einen Vorwurf der Ungenauigkeit muss sich insbesondere die Entscheidung des Reichsgerichts zur Eskimo-PieCorporation gefallen lassen.1431 Diese Gesellschaft war nach dem Rechte des US-Staates Delaware wirksam gegründet und hatte in Delaware entsprechend dem dortigen Sachrecht ihren Satzungssitz. Demgegenüber hatte die Gesellschaft ihren Hauptverwaltungssitz aber im Staate Kentucky. Die Eskimo Pie Corporation klagte aufgrund von etwaigen Firmenrechtsverletzungen gegen eine deutsche Gesellschaft mit dem Hinweis, ihre Aktivlegitimation ergebe sich daraus, dass sie eine Corporation nach dem Rechte des Staates Delaware, sonach mit Rechtspersönlichkeit ausgestattet, mithin also rechts- und parteifähig sei.1432 Bei reiner Anknüpfung an den Verwaltungssitz ohne Beachtung des Internationalprivatrechts der beteiligten US-Staaten müsste man aus deutscher Sicht der Gesellschaft die Anerkennung ihrer Rechts- und Parteifähigkeit versagen, da sie 1429 1430
RG, JW 1934-III, 2845 („Russland“-Entscheidung). In diese Richtung etwa Luchterhandt (1971), S. 16; deutlicher Trautrims (2009),
S. 62. 1431 Urteil des Reichsgerichts vom 3. Juni 1927 (gefällt vom 2. Zivilsenat), in: RGZ 117, 215–226. 1432 RGZ 117, 215.
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B. Umgang mit fremden Gesellschaften aus rechtshistorischer Perspektive
ihren Verwaltungssitz in Kentucky hatte, mithin nach dem Sachrecht des Staates Kentucky hätte gegründet werden müssen. Das Reichsgericht hielt die Gesellschaft jedoch für aktivlegitimiert i. S. v. §§ 51, 52 ZPO, da sie nach dem Recht des Staates Delaware wirksam gegründetes Rechtssubjekt sei. Der genaue Weg des Auffindens dieser Rechtsordnung erschließt sich aus dem Urteil nicht. Das Ergebnis des Reichsgerichts kann sich nun aus zwei möglichen Lösungswegen ableiten: Einmal könnte man spekulieren, das Reichsgericht habe auf den bloßen Satzungssitz (im praktischen Ergebnis damit auf die Gründungstheorie) abgestellt und wäre so zum Recht des Staates Delaware gelangt.1433 Unterstellt man des Weiteren eine Gesamtverweisung so hätte Delaware, als Staat, der traditionell der Gründungstheorie folgt, diese Verweisung annehmen können und die Gesellschaft wäre nach dessen Sachrecht als ordnungsgemäß gegründet anzusehen. Andererseits könnte man annehmen, das Reichsgericht habe das Recht des Staates als räumlich bestes Recht auserkoren, in dem die Gesellschaft ihren tatsächlichen Verwaltungssitz hat – das wäre Kentucky. Im Sinne einer Gesamtverweisung wäre das internationale Privatrecht von Kentucky (folgt der Gründungstheorie) berufen, welches die Rechtsordnung bestimmt, nach der die Gesellschaft ordnungsgemäß gegründet worden ist. Demgemäß verwiese das Kollisionsrecht von Kentucky seinerseits auf das von Delaware weiter. Erkennt man aus deutscher Sicht nun diesen renvoi als Weiterverweisung des Rechts von Kentucky auf Delaware an, so lässt es der deutsche Richter genügen, dass die Gesellschaft mit Verwaltungssitz in Kentucky wirksam nach dem Recht des Staates Delaware gegründet worden ist.1434 Der zentrale Beleg dafür, dass das Reichsgericht das „Eskimo-Pie“-Urteil i. S. e. Verwaltungssitzanknüpfung verstanden wissen wollte, findet sich in dem bereits angesprochenen späteren Urteil zu einer russischen Aktiengesellschaft, bei dem das Reichsgericht die Verwaltungssitzanknüpfung mit einem Verweis auf die ständige Rechtsprechung im „Mexiko-“ und „Eskimo-Pie“-Urteil rechtfertigte.1435 Selbst der BGH fasste „Eskimo-Pie“ i. S. d. Verwaltungssitztheorie auf.1436
1433 So Grasmann (1970), Rn 114, S. 120 m.w. N. zu dieser Auffassung in dortiger Fußnote 30; Trautrims (2009), S. 59. 1434 Für eine Weiterverweisung des Reichsgerichts plädieren Raape, Bd. 1 (1938), S. 121; Rabel, Bd. 2 (1960), S. 50; Wiedemann, Bd. 1 (1980), S. 785; Großfeld, RabelsZ 31 (1967), 1, 12 f.; ders. (1995), S. 41. Noch anders Luchterhandt (1971), S. 21 und dortige Fußnote 91), der meint, das RG habe direkt auf das Recht des Staates Delaware i. S. d. Verwaltungssitzes abgestellt. Dann hätte das Delaware-IPR auf sein eigenes Sachrecht verwiesen, was ebenso zum Ergebnis der Anerkennung aus Sicht des Reichsgerichts führt. 1435 RG, JW 1934, 2845 (Urteil v. 11. Juli 1934). Das Urteil wurde vom 1. Senat gefällt. 1436 BGHZ 53, 181, 183.
II. Die Entwicklung der Sitztheorie
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Lässt man diese späteren Verweisungen hingegen nicht gelten, zumal das genannte Russland-Urteil von 1934 von einem anderen Spruchkörper gefällt wurde als „Eskimo-Pie“, so sind aber ferner folgende Erwägungen in die Waagschale zu werfen: Möglicherweise hatte das Reichsgericht den gewählten Lösungsweg in seiner Urteilsbegründung zu „Eskimo Pie“ gerade dahinstehen lassen, weil beide denkbare Möglichkeiten zum gleichen Ergebnis führten. Denkt man an die Entwicklung in Frankreich und Belgien, so zeigt sich, dass die Definition des „Sitzbegriffs“ bei der Anknüpfung des Gesellschaftsstatuts erst näher in den Fokus rückte, als man im eigenen Land von der gegenseitigen Konkurrenz bzw. der aus England überrollt wurde. Zuvor hatte die Unterscheidung von siège statuaire und siège réel effectif in der Rechtsprechung keine tragende Rolle gespielt.1437 Zudem mochte eine voreilige Bindung an einer bestimmten Bedeutung des Anknüpfungskriteriums auch nach der Historie der Anerkennungsproblematik vom deutschen Gesetzgeber nicht gewünscht sein – man denke an die Entstehungsgeschichte von Art. 10 EGBGB (1900). Alles in allem ist die Entscheidung zur Eskimo Pie Corporation somit kein Beleg für die reine Satzungssitzanknüpfung des Reichsgerichts. (bb) Die „Ungar“-Entscheidung von 1934 In seiner Entscheidung betreffend eine deutsche GmbH, die von einem einzigen ungarischen Gesellschafter von Ungarn aus verwaltet wurde, stellte der dritte Senat des Reichsgerichts zur Bestimmung der Staatsangehörigkeit der Gesellschaft augenscheinlich allein auf den Satzungssitz ab.1438 Dennoch sollte man hierbei nicht von einem Beleg für die Gründungsanknüpfung,1439 sondern höchstens von einem Anwendungsbeispiel für die sogenannte „eingeschränkte Sitztheorie“ sprechen. Es handelte sich nämlich nicht um einen „klassischen Anwendungsfall“ der Verwaltungssitztheorie, in dem eine Unterwanderung des inländischen Sachrechts drohte, sondern genau um die gegenläufige Konstellation einer inländischen Briefkastengesellschaft. Hierbei unterstellt sich die Briefkastengesellschaft aufgrund ihrer Satzungssitzwahl im Inland gerade inländischem Sach1437 Die Vorstellung des „Missbrauchspotentials“ entpuppte sich nach dem Übergang zum Normativbestimmungssystem erst nachdem man mit Fällen konfrontiert war, in denen Satzungssitz und Verwaltungssitz auseinanderfielen. Erst in einer solchen Konstellation kommen die Unterschiede von Sitz- und Gründungstheorie zum Tragen und fungiert die Sitztheorie (verstanden als Verwaltungsitztheorie) im Sinne eines ,korrigierenden Billigkeitsrechts‘. 1438 RG, JW 1934-III, 2969: „Eine deutsche Gesellschaft hat notwendigerweise ihren Sitz im Inlande, wo er, je nach dem Ort, an welchem die Verwaltung geführt wird, wechseln kann. Eine Verlegung ihres Sitzes ins Ausland ist dagegen nicht möglich, vielmehr wird die Verwaltung, wenn sie vom Ausland aus geführt wird, dadurch vom Sitz der Gesellschaft getrennt. Die Gesellschaft aber behält ihren inländischen Sitz und ihre Inländereigenschaft.“ 1439 So aber Luchterhandt (1971), S. 13; Trautrims (2009), S. 59 f.
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B. Umgang mit fremden Gesellschaften aus rechtshistorischer Perspektive
recht, weshalb eine Nichtanerkennung aus deutscher Sicht primär den Interessen der Rechtsordnung des tatsächlichen Verwaltungssitzes entgegenkäme.1440 Wie bereits dargestellt, sollte nicht nur aus entwicklungsgeschichtlichen Gründen zwar ein Einklang von Sach- und Kollisionsrecht bestehen, doch ließ der Wortlaut von § 24 BGB in Zusammenhang mit § 182 HGB eine anderweitige Deutung zu.1441 Da sich das Urteil mithin nicht auf die originär mit der Verwaltungssitzanknüpfung verfolgten eigennützigen Ziele, nämlich die Verhinderung der Umgehung des maßgeblichen Sachrechts, bezieht, ist ein Verweis auf das Urteil als Argument gegen die grundsätzliche Verwaltungssitzanknüpfung des Reichsgerichts unbrauchbar. Ergänzend kann darauf hingewiesen werden, dass das Urteil in erster Linie Stellung zu einer fremdenrechtlichen Frage bezog und das Gericht keinerlei Anlass hatte, die Rechtsfähigkeit der GmbH als solche aus internationalprivatrechtlicher Perspektive zu versagen.1442 Auch die „Ungar“-Entscheidung belegt somit nicht, dass das Reichsgericht im Grundsatz der Gründungstheorie folgte.1443 (cc) Die Urteile zu den Gothaer Kaufgewerkschaften Sonderfälle, die teilweise gegen die Rechtsprechung des Reichgerichts im Sinne einer Verwaltungssitzanknüpfung gewendet worden sind, stellen die Urteile zu den Gothaer Berggewerkschaften dar. Die Urteile des Reichsgerichts zu dieser speziellen Gesellschaftsform befassen sich mit der Anerkennung von in Gotha gegründeten Bergwerken aus (in der Regel) preußischer Sicht und betreffen somit eine „innerdeutsche Anerkennungsproblematik“ 1444. 1440 Zu den Problemen der Durchsetzung deutschen Rechts bei ausländischem Verwaltungssitz, vgl. etwa Staudinger/Großfeld, IntGesR (1998), Rn 89 ff. 1441 Vgl. hierzu insgesamt bereits Gliederungspunkt B. II. 2. b) bb) (3). Entsprechend der hier vertretenen Ansicht hatte das OG Danzig in einem Urteil vom 1.10.1925 entschieden, dass der Geschäftsführer einer Danziger GmbH in Danzig ansässig sein müsse, um ggf. die Durchsetzung von Registerpflichten durch Ordnungsstrafen zu ermöglichen. Das Gericht hat also gefordert, dass die Verwaltung am Ort des Satzungssitzes geführt werde. Unter dem Eindruck der gegenläufigen Ansicht des LG und Kritik der Literatur ist das OG mit seiner Auffassung später etwas zurückgerudert und hat festgestellt, dass eine GmbH nicht von Amts wegen gelöscht werden dürfe, wenn der alleinige Geschäftsführer Wohnsitz und dauernden Aufenthalt im Ausland nähme, vgl. hierzu (und zur damaligen Rechtslage in Danzig) den Bericht Richters, RabelsZ 3 (1929), 890, 895 mit entsprechenden Nachweisen. 1442 Mann, in: FS Wolff (1952), S. 271, 277, 284; zustimmend Luchterhandt (1971), S. 13 f. mit dortiger Fußnote 52. Entsprechend kritisierte Crisolli in seiner Urteilsanmerkung, JW 1934-III, 2969, nicht primär die Zubilligung der Rechtspersönlichkeit durch das RG, sondern die Einordnung als deutsche Gesellschaft. 1443 Eine kritische Einordnung dieses Vorgehens des Reichsgerichts aus systematisch-historischer Sicht erfolgt im Gesamtkontext unter Gliederungspunkt B. II. 2. d) bb). 1444 So Wiedemann, Bd. 1 (1980) S. 784, dort Fußnote 9, in Abgrenzung zu den ,echten‘ Auslandssachverhalten.
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Die Frage nach der kollisionsrechtlichen Behandlung von innerhalb des deutschen Reichs gegründeten Berggewerkschaften stellte sich, weil gemäß Art. 3 i.V. m. Art. 67 EGBGB (1900) die landesrechtlichen Vorschriften zum Bergrecht auch nach Inkrafttreten des BGB Anwendung fanden – insofern galten Preußen und das Herzogtum Gotha im Verhältnis zueinander als Ausland.1445 Zur wirtschaftlichen Bedeutung der Berggewerkschaften im frühen 20. Jahrhundert sei vorweggeschickt, dass diese Gesellschaftsform für den Bergbau in Deutschland eine beachtliche Stellung einnahm. Die deutschen Einzelstaaten hatten im 19. Jahrhundert eigene Berggesetze erlassen, in denen die Berggewerkschaft als juristische Person ausgestaltet war und in welcher – flexibler als bei den bekannten Kapitalgesellschaftsformen – auf den Kapitalbedarf des Rechtsgebildes reagiert werden konnte.1446 Innerhalb der sächsischen Gebiete galt insbesondere das Gothaer Bergrecht als großzügig, da es nicht verlangte, dass die Gewerkschaft tatsächlich in Gotha Bergbau trieb.1447 Das Gothaer Bergrecht setzte aber voraus, dass die Berggewerkschaft in ihrem Statut ihren Sitz zu bezeichnen hatte (§ 108 Nr. 1 BergG). Viele Gewerkschaften gründeten sich daher nach Gothaer Recht mit dem Ziel, „(. . .) nicht oder nicht in erster Linie in Sachsen-Coburg-Gotha Bergbau [zu] treiben, sondern sich auswärtigen bergbaulichen Unternehmen zu[zu]wenden (. . .)“ 1448 Fraglich war insbesondere, wie diese Gothaer Gesellschaften aus der Sicht anderer deutscher Länder zu beurteilen waren – zumal eine direkte gesetzliche Regelung der Anknüpfungsfrage der Berggewerkschaften nicht existierte. Zu unterscheiden sind in der reichsgerichtlichen Urteilspraxis zwei verschiedene Gruppen von Entscheidungen: zum einen Fälle, in denen Gothaer Satzungssitz und (effektiver) Verwaltungssitz auseinanderfielen, zum anderen Sachverhalte, in denen sich nicht einmal der Satzungssitz bei Gründung in Gotha befand. Beide Urteilsarten sollen nachfolgend genauer untersucht werden.
1445 Vgl. RGZ 92, 73, 75 f. sowie RG, Warneyers Jahrbuch der Entscheidungen, 6. Jg. (1913), 400. 1446 Boldt, in: FS Westermann (1974), S. 1, 2. Die einzelstaatlichen Berggesetze unterschieden sich materiell in ihren Gründungsvoraussetzungen dahingehend, dass in den preußischen Ländern eine Bergwerksgesellschaft ipso iure entstand, sobald dort mindestens zwei Personen Bergwerkseigentum erwarben, wohingegen in den sächsischen Gebieten ein vertraglicher Gründungsakt (ggf. i.V. m. mit Konzession des örtlichen Bergamtes) nötig war, s. Boldt, in: FS Westermann (1974), S. 1, 4 f. und Großfeld/Bardenz, ZfB 135 (1994), 197, 198 f., 202 ff. 1447 Vgl. Luchterhandt (1971), S. 14; Wiedemann nennt das Gothaer Recht das „Delaware“ der deutschen Berggesetze, vgl. Wiedemann, Bd. 1 (1980), S. 784, dort Fußnote 9. 1448 RGZ 100, 210. Der vom RG verwendete Begriff hierfür war „Gothaische Kaufgewerkschaften“, s. a. RGZ 92, 73. Die „Praktiken“ dieser Gesellschaften werden ausführlich erläutert von Großfeld/Bardenz, ZfB 135 (1994), 197, 200 ff.
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B. Umgang mit fremden Gesellschaften aus rechtshistorischer Perspektive
Das Reichsgericht beschäftigte sich im Jahre 1918–1920 mit einer Gruppe von Fallkonstellationen, in denen nach gothaischem Recht gegründete Gewerkschaften ihren Verwaltungssitz in Preußen nahmen. Diesen Entscheidungen ist regelmäßig gemeinsam, dass das Reichsgericht aus moderner Sicht methodisch unsauber vorging, da es der Anknüpfungsfrage auswich. Aus heutiger Sicht wäre bei einem Fall mit Auslandsberührung nämlich zunächst die anwendbare Rechtsordnung gemäß dem internationalen Privatrecht der lex fori aufzufinden. Wurde nach den Regeln des Kollisionsrechts das insoweit maßgebliche Sachrecht aufgefunden, wäre in einem zweiten Schritt zu beurteilen, ob die Gesellschaft im Sinne des maßgeblichen Sachrechts ordnungsgemäß gegründet worden ist.1449 Das Reichsgericht setzte in seiner Argumentation aber meist direkt am Sachrecht und der Erfüllung der materiellen Gründungsvoraussetzungen zur Erlangung der Rechtsfähigkeit an und befasste sich höchstens erst in einem zweiten Schritt mit den Regeln des IPR. In einem Urteil vom 19. Januar 1918 stellte das Reichsgericht fest, dass nach Gothaer Sachrecht eine Gründung einer Berggewerkschaft möglich sei, die lediglich ihren Satzungssitz in Gotha, aber (gemäß Satzung ausdrücklich) nicht ihren Verwaltungssitz im Herzogtum nahm. Abgeleitet wurde dies aus der im Sachrecht gemäß § 24 BGB gewährten Sitzwahl sowie folgendem Grundsatz: „Nach dem Sitz des Vereins bestimmt sich die Staatszugehörigkeit und damit das bürgerliche Recht, dem der Verein unterworfen ist.“ 1450 Am 21. Juni 1919 hatte sich das Reichsgericht mit einem Fall zu befassen, in welcher die Gothaer Berggewerkschaft Rebekka den Käufer von Kuxen auf Restzahlung des geschuldeten Kaufpreises in Anspruch nahm.1451 Der Beklagte hatte sich bereits in den Vorinstanzen auf die Nichtigkeit der Gewerkschaft aus dem Grunde berufen, dass diese zwar formell ihren Sitz in Gotha genommen habe, sich Sitz und Bergwerk aber in Wahrheit in Preußen befänden: „Er [der Beklagte] behauptet, die Verwaltung der Gewerkschaft werde vom Kl. [Kläger] in Berlin geführt, dort sei in Wahrheit auch ihr Sitz; in Gotha habe sich weder ein Bureau noch ein Angestellter befunden.“ 1452 Das Berufungsgericht hatte diesen Einwand bereits mit dem Hinweis abgewehrt, die Gewerkschaft hätte Gotha zu ihrem statutarischen Sitz auserkoren und diese Bestimmung gelte auch dann, wenn die Verwaltung in einem anderen Orte geführt werde. Demgegenüber hatte die Revision geltend gemacht, „(. . .) es könne ein nur formeller Sitz, d.h. ein nur 1449 Vgl. allgemein bereits Beitzke (1938), S. 47 f. Bestehen innerhalb eines Staates verschiedene Privatrechtsgebiete, so muss mithilfe des interlokalen Privatrechts erst die anwendbare Teilrechtsordnung aufgefunden werden, vgl. Kegel/Schurig (2004), § 1 VIII 1, S. 26 ff. 1450 RG JW 1918, 305. 1451 RG JW 1920, 49–51. Auf dieses Urteil beziehen sich auch die folgenden Ausführungen. 1452 RG JW 1920, 49, 50 (rechte Spalte unten).
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zum Schein in der Satzung erscheinender, nicht genügen, um einer nach gothaischem Rechte gegründeten Gewerkschaft, die in Wahrheit nur zum Zwecke des Betriebes in Preußen gelegener Bergwerke gegründet sei und nur von einem in Preußen gelegenen Orte verwaltet werde, Rechtsfähigkeit in Preußen zuzugestehen.“ 1453 Wie das Reichsgericht nun das Personalstatut der Gesellschaft anknüpft, bleibt zunächst unklar. Vielmehr beschäftigt es sich mit der Auslegung des Gothaer Sachrechts sowie einer möglichen Umgehung des preußischen Sachrechts durch den Berufungsrichter und hält fest, dass beide Rechte jedenfalls nicht revisibel seien. Erst dann kommt es auf die Regeln des IPR zu sprechen: Dieses sei als innerstaatliches Recht zwar revisibel, aber nicht verletzt worden. Da das Bergrecht Landesrecht sei, könne es seine Bestimmungen autonom gestalten, d.h. ohne Rücksicht auf reichsrechtliche Regelungen oder die Grundsätze des IPR auch festlegen, wodurch der Sitz einer Gesellschaft bestimmt werde und ob ein bloß formeller Sitz genüge. Zudem sei es „(. . .) auch reichsrechtlich anerkannt, daß der Sitz eines Vereins, insbesondere einer Aktiengesellschaft, auf Grund des Statuts auch an einem anderen Orte bestimmt werden kann, als demjenigen, wo die Verwaltung geführt wird, und ohne daß es tatsächlich erforderlich wäre, daß an dem zum Sitze bestimmten Orte tatsächlich eine geschäftliche Tätigkeit ausgeübt wird (. . .).“ 1454 Die Frage, ob hier eine andere Entscheidung geboten sei, weil die Sitzbestimmung zur Umgehung preußischer Gesetze führe, könne nicht entschieden werden.1455 Das Reichsgericht betont in diesem Urteil somit zwar, dass das Sachrecht eines deutschen Landes und das (deutsche) Kollisionsrecht nicht zwingend die gleichen Voraussetzungen haben müssten – dies wäre nebenbei bemerkt nur der Fall, wenn der Sitzbegriff verschieden aufgefasst würde – begründet aber die Anerkennung von Rebekka mit Argumenten zur Selbstständigkeit des Sachrechts. Das Urteil vom 19. Juni 1920 betraf schließlich die Klage eines Käufers von Kuxen der Gothaer Berggewerkschaft Leo.1456 Der Kläger begehrte Kaufpreisrückzahlung mit dem Argument, dass Leo nichtig sei, denn sie habe trotz ihrer Errichtung in Gotha Hannover zu ihrem Sitz bestimmt. Die Frage der Nichtigkeit der Gesellschaft wurde von verschiedenen preußischen Instanzgerichten unterschiedlich beurteilt und gelangte schließlich zum Reichsgericht. Das Reichsgericht, das sich ohne weitere Erläuterung sofort mit der Erlangung der Rechtsfähigkeit der Gewerkschaften nach Gothaer Sachrecht beschäftigte, führte aus:
1453
RG JW 1920, 49, 51 (linke Spalte). RG JW 1920, 49, 51 (linke Spalte). Das RG bezog sich hierbei u. a. auf § 24 BGB und § 182 II Nr. 1 HGB (damalige Fassung). 1455 RG JW 1920, 49, 51. 1456 RGZ 99, 217–221. Auf dieses Urteil beziehen sich auch die folgenden Ausführungen. 1454
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B. Umgang mit fremden Gesellschaften aus rechtshistorischer Perspektive
„Die Gewerkschaft Leo aber hat ihren [satzungsmäßigen] Sitz in Gotha. Daß sie daneben einen Verwaltungssitz in Hannover gewählt hat, ist zulässig und beeinträchtigt nicht ihre Rechtsbeständigkeit (. . .). Auch daß die Gewerkschaft in Gotha keine Verkaufsstelle, keine Bureauräume u. dgl. hat, würde nicht entgegenstehen.“ 1457 Zwar deutete das Reichsgericht den Gedanken der (Verwaltungs-)Sitztheorie ausdrücklich an: „Es könnte freilich in Frage kommen, ob eine Vereinigung, die ein in Preußen belegenes Bergwerk betreibt und von einem in Preußen belegenen Orte aus verwaltet [wird], nach preußischem Rechte ungeachtet einer entgegengesetzten Bestimmung der Satzung als in Preußen ansässig anzusehen ist – für welchen Fall die Gewerkschaft mangels Genehmigung durch die preußischen Behörden als in Preußen nichtig angesehen werden müßte.“ 1458 Doch verwarf die Justiz diese Gedanken sogleich wieder: In der Wahl eines nur fiktiven Sitzes in Gotha, die gegebenenfalls einen Umgehungstatbestand des preußischen Rechts darstellen könne, weil in Preußen der Mittelpunkt der wirtschaftlichen Betätigung liege, seien keine hinreichende Gefahren für preußische Interessen zu erblicken. Hinsichtlich möglicher Bedenken verwies das Gericht nämlich auf bestehende Schutzbestimmungen im preußischen Sachrecht: „Die preußische Gesetzgebung hat durch das Gesetz vom 23. Juni 1909 Vorsorge gegen derartige Umgehungen getroffen; dieses bestimmt, daß Gewerkschaften, die in einem andern Bundesstaat ihren Sitz haben, zum Erwerbe von Bergwerkseigentum der Genehmigung bedürfen. Diese Maßnahme ist als ausreichend für die Wahrung der preußischen Interessen angesehen worden; es könnte zu weitgehend scheinen, auch noch die Nichtigkeit der Gewerkschaft anzunehmen, wenn der außerpreußische Sitz nur ein formeller ist.“ 1459 In einer Entscheidung vom 15. November 1920, in der ebenfalls die Anerkennung einer Gothaer Kaufgewerkschaft – der Gewerkschaft Habsburg-Hohenzollern – thematisiert wurde, nahm das Reichsgericht ausdrücklich auf seine bisherige Rechtsprechung Bezug.1460 Es habe bereits „(. . .) eingehend erörtert, ob Gothaische Kaufgewerkschaften für Preußen und andere Länder Rechtsgültigkeit beanspruchen könnten. Zu diesen Erörterungen wäre keine Veranlassung gewesen, wenn die Nichtigkeit schon nach Gothaischem Recht feststände.“ 1461 Auch eine Umgehung des Gothaer Bergrechts sei nicht zu entdecken, zumal die Gothaischen Bergbehörden die Errichtung von Kaufgewerkschaften bisher in großem Umfang zugelassen hatten. Die Habsburg-Hohenzollern war damit in Preu1457
RGZ 99, 217, 219 [Hinzufügung durch Verf.]. RGZ 99, 217, 219 (Hervorhebung des Verf.) [Hinzufügung durch Verf.]. 1459 RGZ 99, 217, 219 (Hervorhebung des Verf.). Im Übrigen sei eine Umgehungsabsicht nicht nachweisbar. 1460 RGZ 100, 210–213. 1461 RGZ 100, 210, 211. 1458
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ßen als Gothaische Gesellschaft anzuerkennen, obwohl sie in Preußen ihren Verwaltungssitz nahm und sich nur dort betätigte. Würden diese Fälle, die sich mit dem Auseinanderfallen von Gothaer Satzungssitz und preußischem Verwaltungssitz beschäftigten, aus Sicht der Verwaltungssitztheorie gelöst, so käme man aufgrund des Verwaltungssitzes in Preußen zur Anwendung preußischem Bergwerksrecht. Da die nach Gothaer Recht gegründeten Gesellschaften aber die Anforderungen des preußischen Sachrechts nicht erfüllen, hätte das Reichsgericht die Nichtigkeit dieser Gesellschaften aussprechen müssen. Nachdem das Reichsgericht aber den Satzungssitz im Gründungsland für die Anerkennung ausreichen ließ, setzten sich die Urteile somit systematisch zur früheren Mexiko-Entscheidung von 1904 in Widerspruch. Die zweite Gruppe von Urteilen umfasste Fälle, in denen die nach Gothaer Recht gegründeten Gesellschaften (ursprünglich) nicht einmal ihren Satzungssitz in Gotha nahmen. Diesen Gesellschaften verweigerte das Reichsgericht aber aus Sicht Preußens die Anerkennung. So befasste sich das oberste Zivilgericht im Deutschen Reich am 5. Januar 1916 mit der Frage, ob eine Berggewerkschaft gothaischen Rechts, die bei Gründung ihren Satzungssitz in Preußen nahm und später ihren Sitz nach Gotha zurückverlegt hatte, in Preußen als Gothaische Gesellschaft anzuerkennen sei.1462 Zunächst setzt sich das Urteil anhand der Argumentation des Berufungsgerichts mit der Frage der wirksamen Gründung nach Gothaer Recht auseinander.1463 Das Berufungsgericht vertrat die Ansicht, die Berggewerkschaft sei schon nicht wirksam gegründet worden, da die staatliche Genehmigung des Bergamtes Gotha, die den Verleihungsakt der Rechtsfähigkeit enthalte, nur den Gewerkschaften erteilt werden könne, die in Gotha ihren Sitz hätten und damit Gotha angehörten. Auch in der hierauf bezogenen Argumentation des Reichsgerichts zeigt sich, dass die Ebenen des Sach- und des Kollisionsrechts gleichgesetzt werden: Das Reichsgericht macht die Kompetenz eines Staates zur Verleihung der Rechtsfähigkeit ebenso am Sitz der Gesellschaft fest. Ausgehend von dem Grundsatz, dass „(. . .) bei Gesellschaften die Staatszugehörigkeit sich nach dem Sitze der Gesellschaft bestimmt (. . .)“, folgert das Reichsgericht: „Die Staatshoheit des Bergwerksstaats erstreckt sich auf die auswärtige Gesellschaft nicht.“ 1464 Der Bergwerksstaat Gotha sei rechtlich nicht in der Lage von seiner Staatshoheit über die Landesgrenzen hinaus zu verfügen, da ein solcher Verleihungsakt dann einen Eingriff in die Staatshoheit des anderen Staats darstellen würde.1465 1462 RG JW 1916, 494–495. Die Anerkennungsfrage wurde wiederum in Zusammenhang mit der Bezahlung von Kuxen relevant. 1463 RG JW 1916, 494, 495. Nachfolgende Ausführungen beziehen sich auf dieses Urteil. 1464 RG JW 1916, 494, 495. 1465 RG JW 1916, 494, 495.
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B. Umgang mit fremden Gesellschaften aus rechtshistorischer Perspektive
Nach dem Reichsgericht war also die Gründung einer Berggewerkschaft nach gothaischem Recht unwirksam, wenn der Satzungssitz im Ausland bestimmt worden war. Diese Argumentation erinnert an die Fiktionstheorie und die bereits dargestellte Tradition des Konzessionssystems, nach dem die Rechtsfähigkeit nur an die Gesellschaften verliehen wurde, die im Verleihungsstaat ansässig waren. Möglicherweise hat sich das Reichsgericht auch von der Diskussion um den Staatsangehörigkeitsbegriff tragen lassen, bei der Sach- und Kollisionsrechtsebene ebenfalls nicht sauber getrennt wurden. Vorliegend stellte sich aber die internationalprivatrechtliche Frage, ob Preußen diese Gesellschaft anzuerkennen hatte, weshalb man aus dieser Perspektive zunächst das auf die Gesellschaft anwendbare Recht hätte ermitteln müssen. Zu dieser Frage kam das Reichsgericht aber gar nicht, es hielt die Gesellschaft nach Gothaer Recht nie für wirksam gegründet.1466 Beschriebenes Urteil führte dementsprechend auch zu massiver Kritik im Schrifttum.1467 Dennoch hielt das Reichsgericht in einem darauf folgenden Urteil einige Tage später an seiner Begründung fest. Bezüglich der „Kompetenz“ des Gothaer Sachrechts, die Voraussetzungen der Erlangung und der Beständigkeit der Rechtspersönlichkeit einer Gewerkschaft festzulegen, stellte das Gericht fest: „Eine Vorschrift dahin, dass das Bergamt die Genehmigung auch Gewerkschaften, die ihren Sitz außerhalb des Herzoglichen Staatsgebiets wählen, erteilen könne, ist dem Gesetze fremd, und eine solche Vorschrift hätte der Gesetzgeber auch nicht wohl erlassen können. Es ist ein Grundsatz des internationalen Privatrechts, daß bei Gesellschaften der Sitz über die Staatszugehörigkeit entscheidet, und daß Gesellschaften als solche ausschließlich der Staatshoheit des Staates, dem sie angehören, unterworfen sind.“ 1468 Auch an dieser Stelle kommt der Gedanke der Abstimmung von Sachrecht und Kollisionsrecht in dem Sinne zum Tragen, dass die Bestimmungen des Kollisionsrechts auf die Befugnisse des Sachrechts durchschlagen. Methodisch etwas differenzierter verfuhr das Gericht in dem Fall um die Gewerkschaft Carlsglück im Jahre 1918.1469 Carlsglück war als eine Gothaer Ge1466 Entsprechend konnte auch ein Beschluss der Gewerkschaft zur Sitzverlegung und passender Satzungsänderung nichts an der ursprünglichen Nichtigkeit ändern, sondern die Gewerkschaft hätte sich in Gotha neu gründen müssen, vgl. RG JW 1916, 494, 495. 1467 Vgl. Anmerkung H. Isay, in: JW 1916, 494 f.: „Sicherlich kann der gothaische Staat keine preußische Gewerkschaft schaffen; das würde ein Eingriff in die preußische Staatshoheit sein. Aber zur Debatte steht auch lediglich, unter welchen Voraussetzungen der gothaische Staat eine gothaische Gewerkschaft ins Leben zu rufen vermag. Hiervon ist ferner gänzlich die Frage zu trennen, inwieweit eine von Gotha mit juristischer Persönlichkeit beliehene Gewerkschaft in irgendeinem anderen Staate als rechtsfähig anerkannt werden wird. Letztere Frage ist eine solche des internationalen Privatrechts, erstere dagegen ausschließlich nach gothaischem Körperschaftsrecht zu entscheiden.“ 1468 RG JW 1916, 593.
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werkschaft mit (Satzungs-)Sitz im preußischen Dortmund gegründet worden und hatte später den Sitz nach Gotha verlegt. Zunächst stellte das Reichsgericht wiederum dar, dass kein Streit darüber bestehe, dass ein Verein dem Staat angehörig ist, in dem er seinen Sitz hat. Davon ausgehend reproduzierte es seine Ansicht, dass Gotha nicht die Macht habe, eine in Preußen sitzende Gewerkschaft mit (in Preußen geltender) Rechtsfähigkeit auszustatten: „Die Gesetzgebungsgewalt von Gotha reichte nun nicht über die Grenzen des eigenen staatlichen Gebiets hinaus, sie konnte nicht nach Preußen hinübergreifen und diesen Staat verpflichten, ihm angehörige Rechtsgebilde als mit Rechtsfähigkeit ausgestattet zu behandeln.“ 1470 Nichtsdestotrotz wurde weiterhin auf internationalprivatrechtliche Grundsätze verwiesen: „Nun ist zuzugeben, auch wenn es an ausdrücklichen gesetzlichen Bestimmungen fehlt, daß Rechtsgebilde des Auslandes, die dort rechtsfähig [sind], regelmäßig auch im Inland ohne weiteres als rechtsfähig anzuerkennen sind. Dies entspricht einem allgemeinen Grundsatze des internationalen Privatrechts, aber dieser Grundsatz leidet eine sich von selbst verstehende Einschränkung da, wo der Verleihungsstaat nicht zugleich der Sitzstaat (Heimatstaat) ist.“ 1471 Daraus ergebe sich, dass Carlsglück, solange sie ihren Sitz in Preußen hatte, aus der Gothaischen Verleihung keinen Anspruch auf Rechtsfähigkeit in Preußen herleiten könne. Auch eine spätere Satzungssitzverlegung nach Gotha ändere an dieser Rechtslage nichts.1472 Dieser Gruppe von Urteilen ist somit gemeinsam, dass das Reichsgericht allen Gothaer Gesellschaften ohne dortigen Satzungssitz aus Sicht eines anderen Bundesstaates die Anerkennung verweigerte. Ausgehend von dieser Darstellung soll eine Erklärung und Bewertung der reichsgerichtlichen Rechtsprechung zu den Gothaer Kaufgewerkschaften vorgenommen werden. Die zumeist fehlende bzw. unklare Unterscheidung zwischen sach- und kollisionsrechtlicher Ebene ist nicht nur in Zusammenhang mit dem von Isay geforderten Gleichlauf der Voraussetzungen von Verleihung der Rechtsfähigkeit und Anerkennung von (durch einen anderen Staat bereits verliehener Rechtsfähigkeit) zu sehen, sie entspricht auch der historischen Entwicklung. Die Rechtsfähigkeit wurde nach den Grundsätzen des deutschen Sachrechts grundsätzlich nur Verei1469 RG, Urt. v. 19. Januar 1918, in: RGZ 92, 73–77. Folgende Ausführungen beziehen sich auf genanntes Urteil. 1470 RGZ 92, 73, 74 f. Nicht ganz klar wird, ob das Reichsgericht nun die Rechtsfähigkeit in Gotha annimmt. Für die Tatsache, dass hier zwischen Erlangung der Rechtsfähigkeit in Gotha und Anerkennung in Preußen getrennt wird, spricht die Wendung (S. 75), es sei keine „Verpflichtung“ für Preußen erkennbar, „Carlsglück in Rücksicht auf die Gothaische Verleihung auch für sein Gebiet als rechtsfähig zu behandeln“. 1471 RGZ 92, 73, 76. 1472 RGZ 92, 73, 76.
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B. Umgang mit fremden Gesellschaften aus rechtshistorischer Perspektive
nigungen zugestanden, die in Deutschland ihren Sitz hatten (vgl. nur §§ 22, 23 BGB, Art. 10 EGBGB (1900)); gleiches galt insbesondere nach den handelsrechtlichen Bestimmungen für die Aktiengesellschaft im ADHGB bzw. HGB. Auf Grundlage dieser Rechtstradition brach sich die Auffassung Bahn, dass nur derjenige Staat zur Verleihung der Rechtsfähigkeit ermächtigt sei, der eine enge Beziehung zu der Körperschaft habe – dies sei der Macht über die Körperschaft ausübende Sitzstaat.1473 Der Gedanke der Abgestimmtheit von Sachrecht und IPR begünstigte folglich deren Vermengung. Da nur der Staat die Rechtsfähigkeit verleihen sollte, in dem der Sitz der Gesellschaft sich befand, sollte das (fremde) Recht auf eine Gesellschaft angewendet werden, das an ihrem Sitze galt. Diesen Grundsatz nahm das Reichsgericht hinsichtlich des Satzungssitzes sehr ernst: Lag nicht einmal der Satzungssitz im deutschen Gründungsland, so führte dies zur Nichtanerkennung. Nur bei Auseinanderfallen von Verwaltungs- und Satzungssitz ließ es das Reichsgericht für die Anerkennung genügen, daß eine Gothaer Gewerkschaft in Gotha zumindest ihren Satzungssitz nahm. Zwar erblickte das Reichsgericht im auswärtigen Verwaltungssitz einen möglichen Anhaltspunkt für eine Gesetzesumgehung des preußischen Bergrechts, hielt eine Umgehungsabsicht aber für praktisch nicht nachweisbar.1474 Bedenkt man, dass das Gothaer Sachrecht nach h. M. für eine wirksame Gründung den Satzungssitz in Gotha verlangte,1475 so entspricht die Rechtsprechung des Reichsgerichts hier dem Befolgen der Gründungstheorie. Sollte man die Gothaer Urteile damit tatsächlich als dogmatischen Widerspruch zur Verwaltungssitzanknüpfung des Reichsgerichts im vorher entschiedenen „Mexikofall“ ansehen? Rechtlich unterscheiden sich die Sachverhalte der Gothaer Kaufgewerkschaften von den anderen Fällen dadurch, dass erstere dem
1473 Isay (1907), S. 53; berichtend Beitzke (1938), S. 65. Erst mit dem Fortschreiten des 20. Jahrhunderts wurde die Trennung der Voraussetzungen von Verleihung der Rechtsfähigkeit durch eine bestimmte Rechtsordnung und die Anerkennung einer von einer anderen Rechtsordnung bereits verliehenen Rechtsfähigkeit immer vehementer betont, vgl. Beitzke (1938), S. 65 f., der davon ausgeht, dass jeder Staat frei über die Bedingungen der Verleihung von Rechtsfähigkeit entscheide. Somit gelte für die Gründung einer Gesellschaft (S. 68): „Die Parteien können die Rechtsfähigkeit nach dem Rechte jedes Staates zu erlangen suchen, dessen Bedingungen sie erfüllen. Wenn andere Staaten die Anerkennung verweigern, so können sie dies nicht deshalb tun, weil die Parteien unzulässigerweise ein fremdes Recht gewählt haben, sondern weil das fremde Recht die Rechtsfähigkeit unter anderen Bedingungen verleiht.“ 1474 RGZ 99, 217, 219; RG JW 1920, 49, 51; s. a. RGZ 100, 210, 211 ff. zur Frage der Umgehung des Gothaer Sachrechts, die das RG verneint, da das Gothaer Sachrecht offenbar die Bildung von bloßen Kaufgewerkschaften gestatte. 1475 Obwohl über die Sitzwahl im Gothaer Bergrecht nichts Näheres bestimmt war, bildete sich in der Rechtswissenschaft wohl darüber Konsens, dass die Bestimmung eines außerhalb Gotha gelegenen Sitzes nichtig war, vgl. Anmerkung von H. Isay, in: JW 1916, 495 zu RG JW 1916, 494.
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interlokalen Gesellschaftsrecht, letztere dem internationalen Gesellschaftsrecht unterstellt werden müssen. Das interlokale Gesellschaftsrecht befasst sich nur mit der Frage, welches Gesellschaftsrecht eines Gebietes innerhalb eines Staates angewendet werden soll. Das zur Anwendung gelangende Recht ist mithin Bestandteil einer Gesamtrechtsordnung, die der gleichen Rechtskultur und den gleichen Werten folgt.1476 Der Gedanke der Einheit der deutschen Rechtsordnung kommt in den reichsgerichtlichen Entscheidungen dadurch zum Ausdruck, dass sich die Richter sowohl mit Art. 3 der Reichsverfassung auseinandersetzen,1477 als auch mit § 24 (1900) und § 17 ZPO (damalige Fassung) i. S. d. reinen Satzungssitzanknüpfung argumentieren.1478 Wie bereits aufgezeigt, wurde der historische Gleichlauf des nationalen und internationalen Sitzverständnisses gegen Ende des 19. Jahrhunderts aufgeweicht, weshalb die Wertungen des Sachrechts (dem reinen Wortlaut nach) und die des Kollisionsrechts nicht mehr zueinander passten.1479 Direkte grammatikalische Schlüsse aus § 24 BGB bzw. des liberalen (und autonomen) Gothaer Bergrechts auf die kollisionsrechtliche Bedeutung des Sitzbegriffs konnten daher nur als Argument für die Satzungssitzanknüpfung verwendet werden und blieben dementsprechend bei internationalen Sachverhalten unerwähnt. Dennoch – dies zeigt die Rechtsprechung des OLG Dresden – hätte man mit der (historisch nachvollziehbaren) Forderung auch des Verwaltungssitzes in Gotha als Bestandteil des Sachrechts bereits die rechtswirksame Gründung nach Gothaer Sachrecht verneinen können, d.h. mangels Zuständigkeit der gothaischen Rechtsordnung somit im Ergebnis auch kollisionsrechtlich der Verwaltungssitztheorie folgen können.1480 1476 Vgl. Staudinger/Großfeld, IntGesR (1998), Rn 782; Luchterhandt (1971), S. 16; s. a. Beitzke (1938), S. 115. 1477 Art. 3 RV bestimmte, dass der Angehörige eines jeden Bundesstaats in jedem anderen Bundesstaat als Inländer und diesem gleich zu behandeln ist. Die rechtswirksame Gründung in Gotha auch ohne dortigen Satzungssitz (entgegen der wohl h. M.) unterstellt, hätte man die Anerkennung in einem anderen Bundesstaat auf diese Vorschrift stützen können. Das RG hielt die Vorschrift aber auf juristische Personen für unanwendbar, vgl. RGZ 92, 73, 75; gleiche Ansicht bei Anmerkung Arndt, JW 1916, 593. 1478 RG JW 1918, 305: „Nach dem Sitz des Vereins bestimmt sich die Staatszugehörigkeit und damit das bürgerliche Recht, dem der Verein unterworfen ist. An dem Ort, wo die Verwaltung geführt wird, kann der Verein seinen „Sitz“ nehmen, aber er muß es nicht, wie sich ohne weiteres aus § 24 BGB. und § 17 ZPO. ergibt. Der Ort, wo die Verwaltung geführt wird, gilt hiernach nur dann als „Sitz“ des Vereins, wenn, d. i. in der Satzung, nichts anderes bestimmt ist.“ 1479 Vgl. oben Gliederungspunkt B. II. 2. b) bb) (3). 1480 OLG Dresden, Urt. v. 25. September 1917, in: LZ 12 (1918), Sp. 408 ff. Das sächsische OLG führte (Sp. 409) zur Wahlfreiheit des Sitzes einer gothaischen Berggewerkschaft im Lichte von § 24 BGB aus: „Die Wahl eines fingierten Sitzes zu dem Zwecke, die gewerkschaftl. RPersönlichk. nach dem Rechte eines auswärt. Staates zu erlangen, anstatt nach dem Rechte desjenigen Staates, wo der Vorstand wohnt, das Bergwerk gelegen ist u. von wo aus die Geschäfte betrieben werden, enthält ein Handeln in fraudem legis u. verstößt gegen anerkannte Normen des internat. PrivatR.“
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Wiederum scheint die rechtliche Bewertung eines Sachverhaltes durch ein höchstes nationales Gericht aber primär von außerrechtlichen Einflüssen getragen: Von größerem Gewicht waren wohl wirtschaftliche Bedenken, die nicht nur die Literatur, sondern das Reichsgericht selbst gegen eine generelle Nichtanerkennung Gothaer Gesellschaften außerhalb ihres Heimatgebietes vorgebracht hatte:1481 „Die Entscheidung ist von weittragender Bedeutung angesichts der großen Zahl der in Gotha begründeten Gewerkschaften; es waren 1910 fast 600, von denen ein erheblicher Teil Kaufgewerkschaften sind (. . .). Würden diese letzteren sich sämtlich als nichtig erweisen, so würden daraus mannigfache wirtschaftliche Unzuträglichkeiten hervorgehen.“ 1482 Die Verwaltungssitztheorie hätte wohl nicht nur zu finanziellen Einbußen für Sachsen-Coburg-Gotha, sondern zu ökonomisch fatalen Folgen für das gesamte deutsche Reich geführt, da der Export gothaischer Gewerkschaften den Außenhandel bestimmte.1483 Auch auf rechtlicher Seite hätten diese Fälle zu zahlreichen Prozessen und juristischen Abwicklungsschwierigkeiten geführt. Zudem – so verteidigte das Gericht die Anknüpfung an den Satzungssitz – konnten unbillige Ergebnisse für Preußen durch fremdenrechtliche Vorkehrungen vermieden werden.1484 In der Tat hatte Preußen bereits im Juni 1909 durch Gesetz fremdenrechtliche Erwerbs- und Abbaubeschränkungen gegenüber Berggewerkschaften aufgestellt, die in anderen deutschen Bundesstaaten ihren (zumindest satzungsmäßigen) Sitz hatten.1485 In der Begründung zu diesem Gesetz hatte die preußi-
1481 H. Isay, JW 1916, 494, kritisierte selbst die reichsgerichtliche Nichtanerkennung einer Gothaer Berggewerkschaft, die bei Gründung in Gotha keinen Satzungssitz hatte: „Die praktischen Bedenken liegen auf der Hand: Das RG. streicht eine Körperschaft aus der Reihe der Lebenden, obwohl sie sich auf Grund der ihr, wenigstens scheinbar, verliehenen Rechtsfähigkeit 10 Jahre lang im gewerblichen Leben betätigt hat. Was aus ihrem Grundbesitz und ihrem sonstigen Vermögen, aus ihren Verträgen mit Lieferanten, Abnehmern und Angestellten werden soll, ist nicht ersichtlich.“ Ähnlich äußerte sich R. Isay, JW 1920, 49, zur reichsgerichtlichen Beurteilung einer solchen Konstellation: Die Rechtsauffassung des RG (Nichtanerkennung in Preußen) bedinge „unmögliche Folgerungen“: „Es müßte – nach den Ausführungen des RG, – in einem derartigen Falle für jedes einzelne deutsche Land geprüft werden, ob eine solche Gewerkschaft nach dem Recht dieses Landes als gültig oder als nichtig anzusehen sei. Es wäre also das Ergebnis denkbar, daß eine solche Gewerkschaft in Preußen, Württemberg, Oldenburg und Reuß nichtig, im übrigen Deutschland dagegen gültig ist, daß also die Kuxe dieser Gewerkschaft in den erstgenannten Ländern ein wertloses Stück Papier, im übrigen Deutschland dagegen vollwertige Bergwerksanteile darstellen (. . .)“. Nussbaum (1932), S. 198 bezeichnet die Anerkennung von Gothaer Gewerkschaften mit Verwaltungssitz in Preußen als „bedenkliches Entgegenkommen an sogenannte wirtschaftliche Bedürfnisse!“ 1482 RGZ 100, 210, 211. 1483 Sachsen-Coburg-Gotha profitierte von den Kaufgewerkschaften durch bestimmte Steuern und Abgaben und den gesicherten Rohstoffimport. Vgl. hierzu insgesamt Großfeld/Bardenz, ZfB 135 (1994), 197, 205, 209. 1484 RGZ 99, 217, 219.
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sche Regierung auf volkswirtschaftliche und politische Gefahren durch auswärtige Bergwerke für Preußen hingewiesen, welche durch eine staatliche Kontrolle des Erwerbs preußischen Grundbesitzes bzw. der Abbaurechte in Preußen abgemildert werden könnten.1486 Diese „Schutzvorschriften“ waren aus preußischer Sicht auch gerade aus dem Grunde notwendig, dass ausländische Gesellschaften nach den anerkannten Grundsätzen der Sitztheorie in Preußen als rechtsfähig galten.1487 Sie dienten auch als milderes Mittel als die Keule der Nichtanerkennung durch die Verwaltungsitztheorie bzw. die vom Reichsgericht zwar angesprochene aber verworfene Idee der Gesetzesumgehung. Die Berufung auf den einzelstaatlichen ordre public wäre nämlich geeignet gewesen, die (innenpolitischen) Beziehungen der einzelnen Bundesstaaten zu trüben.1488 Alles in allem erscheint die Anwendung der bloßen Satzungssitztheorie für diese innerdeutschen Spezialfälle zwar ein primär von ökonomischen Interessen getriebenes Resultat. Da aber wiederum Konstellationen in Rede stehen, die nicht unmittelbar mit den klassischen Zielen der Sitztheorie korrespondieren, können sie nicht als Durchbrechung der Verwaltungssitzrechtsprechung angesehen werden.1489
1485 Gesetz über den Bergwerksbetrieb ausländischer juristischer Personen und den Geschäftsbetrieb außerpreußischer Gewerkschaften vom 23. Juni 1909, in: ZfB 50 (1909), 423 f. 1486 Begründung, in: ZfB 50 (1909), 425, 426. Zur Bedeutung fremder Bergwerksgesellschaften wurde (S. 427) ausgeführt: „Erwirbt eine ausländische Aktiengesellschaft ein inländisches Bergwerk, so gewinnt sie damit eine geeignete Grundlage, um ihre Aktien auch in den inländischen Verkehr zu bringen, und es entsteht dann die Gefahr, daß die Mängel des ausländischen Gesellschaftsrechts ihre schädlichen Folgen auch auf das inländische Wirtschaftsleben ausüben. Im allgemeinen Staatsinteresse liegt es daher, daß über das Eindringen ausländischer juristischer Personen in den inländischen Bergbau eine gewisse staatliche Kontrolle ausgeübt und die rechtliche Möglichkeit geschaffen wird, gegebenenfalls einem weiteren Ausdehnungsstreben Halt zu gebieten. Eine völlige Ausschließung des ausländischen Kapitals vom inländischen Bergwerksbetriebe soll und wird der Gesetzesentwurf nicht zur Folge haben.“ 1487 Siehe den Bescheid des preußischen Ministers für Handel und Gewerbe vom 31. März 1909, in: ZfB 50 (1909), 417, 418: „(. . .) es greift namentlich der Grundsatz Platz, daß die Rechtsfähigkeit der juristischen Person nach den Gesetzen des Staates zu beurteilen ist, dem sie angehört, wobei die Angehörigkeit selbst durch den Sitz der juristischen Person bestimmt wird. Dem entspricht es, daß die im Staate Gotha domizilierte und nach dessen Gesetzen mit Rechtspersönlichkeit ausgestattete Gewerkschaft auch in Preußen als rechtsfähig anerkannt wird. Voraussetzung der Anerkennung ist aber nach dem bezeichneten Grundsatze, daß die Gewerkschaft dem Staat Gotha angehört in dem Sinne, daß sie in dessen Gebiet ihren Sitz hat.“ 1488 S. a. Luchterhandt (1971), S. 16. 1489 So auch Staudinger/Großfeld, IntGesR (1998), Rn 790 f.; Panthen (1988), S. 258 f. mit dortiger Fußnote 6; vorsichtiger Frankenstein, Bd. 1 (1926), S. 470; a. A. Spindler (1932), S. 11 f., 14; Knobbe-Keuk, ZHR 154 (1990), 325, 340; Trautrims (2009), S. 56. Freilich sind diese Einschätzungen auch davon geprägt, ob der jeweilige Verfasser der Sitz- oder der Gründungstheorie folgt.
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(3) Urteilspraxis von BGH und Oberlandesgerichten (a) Verwaltungssitzanknüpfung Der BGH hat sich – in Anlehnung an die grundsätzliche Rechtsprechung des Reichsgerichts – bereits früh zur Sitztheorie i. S. d. der Einheitstheorie bekannt. Wurde in einer Entscheidung von 1957 nur allgemein vom Sitz gesprochen, so steht zu vermuten, dass ein Auseinanderklaffen von satzungsmäßigen Sitz und tatsächlichem Verwaltungssitz nicht in Rede stand.1490 Die große Stunde der explizit ausgesprochenen Verwaltungssitztheorie schlug im Jahre 1970.1491 Der BGH behandelte die Frage, ob zugunsten einer Anstalt liechtensteinischen Rechts (Interfinanz) wirksam eine Grundschuld nach §§ 873 I, 1191 I, 1115 I BGB bestellt bzw. diese von der Interfinanz wirksam gem. §§ 1192 I, 1154 III, 873 I BGB abgetreten worden war. Voraussetzung einer wirksamen Einigung i. S. v. § 873 I BGB war jeweils, dass die liechtensteinische Anstalt überhaupt rechtsfähig war, was der klagende Grundstückseigentümer bestritt. Laut dem höchsten deutschen Zivilgericht war die Entscheidung des Rechtsstreits davon abhängig, nach welchem Recht die Rechtsfähigkeit der Interfinanz beurteilt werde. Hierfür könne einerseits das Recht der Gründung, andererseits das Recht des effektiven Verwaltungssitzes als Anknüpfungspunkt dienen. Die Entscheidung für die ,richtige‘ Theorie fiel eindeutig aus: „Nach der ständigen Rechtsprechung des RG und nach der im deutschen Schrifttum ganz herrschenden Meinung ist bei der Beurteilung der Rechtsfähigkeit einer ausländischen juristischen Person entsprechend der Sitztheorie das Recht des Staates maßgebend, in dem die juristische Person ihren Verwaltungssitz hat, wobei es nicht auf den in der Satzung genannten, sondern auf den tatsächlichen Verwaltungssitz ankommt (. . .). Hiervon abzuweichen besteht für den Senat mit dem Berufungsgericht, jedenfalls in Fällen der hier vorliegenden Art, in denen in Liechtenstein von vornherein kein Verwaltungssitz bestanden hat, kein Anlaß.“ 1492 Da die Interfinanz ihren tatsächlichen Verwaltungssitz stets in Deutschland hatte, war die Frage der Rechtsfähigkeit nach deutschem Recht zu behandeln. 1490 BGHZ 25, 134, 144: „Grundsätzlich richten sich allerdings die Rechtsverhältnisse einer juristischen Person nach dem Recht ihres Sitzes (vgl. § 37 AktG). Dieses Recht bestimmt, unter welchen Voraussetzungen die juristische Person entsteht, lebt und vergeht. Daher ist eine ausländische, nach den Gesetzen des Heimatstaates mit Rechtsfähigkeit ausgestattete Organisation auch im Inlande als juristische Person anzuerkennen (RGZ 73, 367; 83, 367; 159, 46). Aus demselben Grunde kann die von einer bestimmten Staatshoheit erteilte Rechtsfähigkeit auch nicht beliebig in ein anderes Land hinübergetragen werden (RGZ 7, 69; 88, 55).“ Ähnlich BGHZ 51, 27, 28 aus dem Jahre 1968 – auch hier wird lediglich allgemein vom „Sitz“ gesprochen; später bezieht der BGH dieses Urteil aber ausdrücklich auf die Verwaltungssitztheorie, s. BGHZ 97, 269, 271. 1491 BGHZ 53, 181. Folgende Ausführungen beziehen sich auf dieses Urteil. 1492 BGHZ 53, 181, 183.
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Hiernach – so der BGH – habe die Interfinanz jedoch niemals Rechtsfähigkeit erlangt, da die Rechtsfigur der Einzelpersonenanstalt im deutschen Recht nicht existiere.1493 Im Jahre 1986 hat der BGH diese Rechtsprechung auch für eine Fallkonstellation bestätigt, in der eine liechtensteinische Aktiengesellschaft ihren Verwaltungssitz zwar ursprünglich in Liechtenstein begründet, diesen aber später nach Deutschland verlegt hatte.1494 Hierbei hat das Gericht (in Anlehnung an Sandrock) schließlich den Begriff des Verwaltungssitzes näher definiert.1495 Seiner Linie ist der BGH – gefolgt von den deutschen Obergerichten –1496 bis zur heutigen Zeit im Grundsatz treu geblieben.1497 Die nötigen Zugeständnisse, die der
1493 BGHZ 53, 181, 183. Den Einwand der Revision, für die Interfinanz habe eine natürliche Person gehandelt, welche die Grundschuld erworben hätte, vernichtete der BGH (vgl. NJW 1970, 998, 999 mit harscher Kritik von Langen) mit dem Hinweis, es handele sich hier nicht um Haftungsfragen, sondern um die Frage des dinglichen Rechtserwerbs. Gleiches gelte für den vorgebrachten Vergleich mit der Rechtslage bei einer rechtsfehlerhaft gegründeten Gesellschaft. Schließlich passe auch § 892 BGB nicht, wenn die Abtretung an der Unwirksamkeit der dinglichen Einigung nach § 873 I BGB scheitere. 1494 BGHZ 97, 269, 270 ff. Auch wenn das liechtensteinische Recht die Gesellschaft bei Wegzug mit ihrem Verwaltungssitz fortbestehen ließ, so hätte zudem das deutsche Recht ihre Fortdauer zulassen müssen, denn dieses wurde durch den Zuzug neues Gesellschaftsstatut. Das deutsche Sachrecht hätte aber Neugründung als deutsche GmbH erfordert. Vgl. allgemein zur Verwaltungssitzverlegung ins Inland (vor der in Binnenmarktsachverhalten spätestens durch die EuGH-Rechtsprechung ab 1999 gebotenen Änderung) Staudinger/Großfeld, IntGesR (1998), Rn 640–643. 1495 BGHZ 97, 269, 272: Zur Bestimmung des Verwaltungssitzes maßgeblich „(. . .) ist der Tätigkeitsort der Geschäftsführung und der dazu berufenen Vertretungsorgane, also der Ort, wo die grundlegenden Entscheidungen der Unternehmensleitung effektiv in laufende Geschäftsführungsakte umgesetzt werden (. . .).“ 1496 OLG Frankfurt, Urt. v. 3. Juni 1964, NJW 1964, 2355; OLG Hamm, Beschluß v. 1. Februar 1974, NJW 1974, 1057; BayObLG, Beschluß vom 18. Juli 1985, DNotZ 1986, 174; OLG München, Urt. v. 6. Mai 1986, NJW 1986, 2197 ff.; OLG Hamburg, Urt. v. 20. Februar 1986, NJW 1986, 2199; OLG Hamm, Beschluß v. 18. August 1994, NJW-RR 1995, 469 (Annahme der Verweisung durch liechtensteinisches IPR). S. a. Grothe (1989), 45, dort Fußnote 115 zu w. N. 1497 Weitere Nachweise zur neueren Rechtsprechung bei MüKo-BGB/IHGR/Kindler, 5. Aufl. 2010, Rn 5, dort Fußnote 15; MüKo-AktG/EU-Niederlassungsfreiheit/Altmeppen/Ego, 3. Aufl. 2012, Rn 173 ff.; Weller, IPRax 2009, 202, 206, dort Fußnote 73; Wiedemann, Bd. 1 (1980), 784, dort Fußnote 9. Hierbei wendete die deutsche Rechtsprechung die anerkannten kollisionsrechtlichen Grundsätze der Rück- und Weiterverweisung an. Zur Rückverweisung s. etwa BGH, WM 1969, 671 f. (OHG deutschen Rechts mit Sitz in der Tschechoslowakei), BGH, NJW 1994, 939, 940 (Rückverweisung bei abweichender Qualifikation); zur Weiterverweisung s. etwa BGH, WM 1984, 1125, 1128; BGH, NJW 2004, 3706, 3707. Hierzu ausführlicher, jeweils m.w. N. Ferid, FS Hueck (1959), S. 343, 346 ff.; Behrens (1997), Rn IPR 9, S. 7; Staudinger/Großfeld, IntGesR (1998), Rn 93, 107 ff.; sowie Hausmann, GS Blomeyer (2004), S. 579, 581 ff. zum „renvoi“ im Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit nach der EuGH-Entscheidung zu „Überseering“ (EuGH, Urt. v. 5. November 2002, Rs. C-208/00, Slg. 2002 I-9919, hierzu unten Gliederungspunkt B. III. 2. c).
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B. Umgang mit fremden Gesellschaften aus rechtshistorischer Perspektive
Gerichtshof an die europäische Rechtsentwicklung, d.h. dem EWG-, EG- bzw. heutigem AEUV-Vertrag sowie an die hieran anknüpfende Rechtsprechung des EuGH zu machen hatte, werden im Folgenden gesondert aufgegriffen.1498 In Fällen, in denen das Unionsrecht einer bedingungslosen Anwendung der Sitztheorie mangels eröffnetem Anwendungsbereich der Grundfreiheiten keine Beschränkungen auferlegen kann, hält der BGH konsequent an ihr fest. So hat er im „Trabrennbahn“-Urteil ausführlich dargelegt, dass im Verhältnis zur Schweiz die Sitztheorie uneingeschränkt gelte.1499 Daneben knüpft die deutsche Rechtsprechung ausnahmsweise an das Gründungsrecht an, soweit das nationale Kollisionsrecht durch entsprechende Staatsverträge überlagert wird.1500 (b) Sanktion der Sitztheorie und Parteifähigkeit vor deutschen Gerichten Die Nichtanerkennung einer Gesellschaft nach der Sitztheorie hatte ursprünglich verheerende Folgen.1501 Die Konsequenzen für Rechts- und Parteifähigkeit solcher Gesellschaften im Rechtsprechungswandel ergeben sich wie folgt: (aa) Passive Parteifähigkeit Wie bereits in der französischen Rechtsprechung zur Anerkennungsproblematik stellte sich die Frage, ob eine im Sinne der deutschen Sitztheorie nicht rechtsfähige Gesellschaft vor deutschen Gerichten parteifähig sein konnte. Nicht rechtsfähig war die fremde Gesellschaft regelmäßig deshalb, da diese ihren Verwaltungssitz außerhalb des Gründungslandes (z. B. in Deutschland) etabliert hat1498
Vgl. Gliederungspunkt B. III. BGHZ 178, 192, 196 f., Rn 20 f. = BGH, NJW 2009, 289 ff. mit Anm. Kieninger. Vgl. auch anschließend BGH, NJW-RR 2010, 1364 (ebenfalls gegenüber der Schweiz) und im Verhältnis zur Türkei BGH, NZG 2010, 909, 911, Rn 21. Das Festhalten des BGH an der Sitztheorie gegenüber Drittstaaten erschien angesichts der europäischen Entwicklung für viele Autoren erstaunlich, vgl. etwa Hellgardt/Illmer, NZG 2009, 94; Koch/Eickmann, AG 2009, 73, 74; Bayer/Schmidt, ZHR 173 (2009), 735, 740 (jeweils kritisch); befürwortend Kindler, IPrax 2009, 189, 190. 1500 So legt z. B. der deutsch-amerikanische Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrag von 1954 in Art. XXV Abs. 5 S. 2 (BGBl. II 1956, S. 488) die Geltung der Gründungstheorie im Verhältnis BRD-USA fest. Hierzu grundlegend Ebenroth/Bippus, NJW 1988, 2137 ff.; s. a. BGHZ 153, 353, 355: Zwar verlangt die deutsche Rechtsprechung neben der wirksamen Gründung in Amerika grds. ein Mindestmaß an Bezügen der Gesellschaft zum Ursprungsstaat in den USA („genuine link“), jedoch gerade nicht einen dortigen Verwaltungssitz, s. BGH, GRUR 2005, 55 (56) – GEDIOS. S. a. allgemein zum Vorrang der Staatsverträge vor autonomen Kollisionsrecht und weiteren Abkommen der BRD mit anderen Ländern, Art. 3 Nr. 2 EGBGB; Beitzke, FS M. Luther (1976), S. 1, 4 ff. sowie MüKo-BGB/IHGR/Kindler, 5. Aufl. 2010, Rn 326 f., 328 ff. 1501 Knobbe-Keuk, ZHR 154 (1990), 325, 335 spricht bildlich davon, dass die Gesellschaft „erschlagen“ wurde. 1499
II. Die Entwicklung der Sitztheorie
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te, sich damit unter „falschem Recht“ gegründet und nicht die Gründungsvoraussetzungen des „richtigen Rechts“ (im deutschen Sachrecht Eintragung in das Vereins- bzw. Handelsregister bzw. staatliche Verleihung gemäß §§ 22, 80 BGB) erfüllt hatte.1502 Allerdings entfiel im Grundsatz auch die aktive Parteifähigkeit der Gesellschaft nach § 50 I ZPO vor deutschen Gerichten.1503 Demgegenüber wollte man inländischen Klägern indes die Möglichkeit verschaffen, vor heimischen Gerichten gegen das ausländische Konstrukt vorzugehen.1504 Bei der Bewältigung dieser Kontroverse fallen ein weiteres Mal Parallelen zur „französischen Lösung“ auf: Die nach falschem Recht gegründete Gesellschaft genoß in Deutschland stets passive Parteifähigkeit im Sinne von § 50 II ZPO und man hielt sie aufgrund von Rechtsscheinsgrundsätzen als „Scheingesellschaft“ auch für vertragsfähig.1505 Das bedeutete, dass sich deutsche Kläger auf den Rechtsschein berufen durften, den die Gesellschaft durch ihr Auftreten im inländischen Rechtsverkehr gesetzt hatte1506 – eben dies spiegelte die Grundsätze der früheren französischen Behandlung als société de fait bzw. die bis heute geltende Wahlregel im französischen Recht wider.1507 Daneben wendet(e) man die Grundsätze der Gesellschafter- bzw. Handelndenhaftung an, d.h. die Beteiligten hafte(te)n entsprechend der Regeln für Personengesellschaften bzw. der Organe von Kapitalgesellschaften persönlich.1508 Das 1502 Die Gesellschaft ist weder fehlerhafte Gesellschaft noch Vorgesellschaft. Vgl. hierzu näher v. Falkenhausen, RIW 1987, 818, 820; Staudinger/Großfeld, IntGesR (1998), Rn 431 ff.; MüKo-BGB/IHGR/Kindler, 5. Aufl. 2010, Rn 486 ff. Auch bei nachträglicher Verlegung des Verwaltungssitzes einer nach ausländischem Recht gegründeten Gesellschaft nach Deutschland führte die Sitztheorie zunächst zur Nichtanerkennung, s. Großfeld/Jasper, RabelsZ 53 (1989), 52 ff. 1503 MüKo-BGB/Sonnenberger, EGBGB/IPR, Bd. 7, 2. Aufl. 1990, Einleitung, Rn 309; MüKo-BGB/Ebenroth, a. a. O., nach Art. 10 EGBGB, Rn 285; Staudinger/ Großfeld, IntGesR (1998), Rn 427 ff. 1504 Vgl. hierzu die Erwägungen von Großfeld, RabelsZ 31 (1967), 1, 32 f. m.w. N. zur Rspr. und Lit. 1505 Vgl. bereits Niemeyer (1901), § 10, S. 132 f. und Plotke, Zeitschrift für Internationales Privat- und Strafrecht, Bd. 10 (1900), 211 f., zur passiven Parteifähigkeit. S. auch bereits RG, JW 1904, 231, 232 (passive Parteifähigkeit der nicht anerkannten Gesellschaft im „Mexiko“-Fall); BGHZ 53, 181; BGHZ 97, 269, 270 f.; BGH, NJW 1960, 1204 (Parteifähigkeit einer ausländischen Stiftung); OLG Nürnberg, Urt. v. 7. Juni 1984, in: IPrax 1985, 342 mit Anm. Rehbinder, IPrax 1985, 324; Grasmann (1970), Rn 832 f., S. 427 f.; Staudinger/Großfeld, IntGesR (1998), Rn 271, 437, 446–448; MüKo-BGB/IHGR/Kindler, 5. Aufl. 2010, Rn 474, 479. Die Anwendung von Rechtsscheinsgrundsätzen ist wichtig, da die passive Parteifähigkeit allein keine Durchsetzung materieller Ansprüche gegen das nichtrechtsfähige Gebilde sicherstellt. 1506 OLG Nürnberg, Fundstelle wie Fn 1505. Umgekehrt durfte sich die Gesellschaft aufgrund des Verbots widersprüchlichen Verhaltens selbstverständlich nicht auf die fehlerhafte Rechtswahl berufen, um der gegen sie gerichteten Forderung zu entgehen. 1507 Vgl. hierzu oben Gliederungspunkte B. I. 2. c) bb) (4) (b) und B. II. 1. b) cc). 1508 OLG Hamburg, Urt. v. 20. Februar 1986, NJW 1986, 2199; KG, Urt. v. 13. Juni 1989, NJW 1989, 3100 f.; OLG Oldenburg, Urt. v. 4. April 1989, NJW 1990, 1422;
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B. Umgang mit fremden Gesellschaften aus rechtshistorischer Perspektive
bestehende Haftungsrisiko sollte die Beteiligten zur Neugründung nach dem einschlägigen Sitzrecht drängen.1509 (bb) Aktive Parteifähigkeit Gemäß den dargelegten Grundsätzen konnte eine nicht im Sinne der Sitztheorie anerkannte Gesellschaft mangels Rechtsfähigkeit regelmäßig nicht als Klägerin vor nationalen Gerichten erscheinen.1510 Dennoch hat der BGH jüngst im bereits angesprochenen „Trabrennbahn“-Urteil die aktive Parteifähigkeit einer Schweizer Gesellschaft zugesprochen, obwohl diese nach der Sitztheorie nicht anerkannt werden konnte: Die in der Schweiz gegründete Aktiengesellschaft mit Verwaltungssitz in Deutschland war unter falschem Recht konstituiert und mithin in Deutschland nicht als Aktiengesellschaft rechtsfähig, weshalb lediglich eine Behandlung als rechts- und parteifähige Personengesellschaft stattfand.1511 Jene im Schrifttum als „modifizierte Sitztheorie“ 1512 oder despektierlich „Wechselbalgtheorie“ 1513 bezeichnete Abmilderung der ursprünglichen Sanktion der Sitztheorie (Nichtigkeit und damit Versagung der Rechts- bzw. aktiven Parteifähigkeit) in Form der Behandlung als rechtsfähige Personen- bzw. BGB-Gesellschaft hat der BGH bereits Anfang des 21. Jahrhunderts im sog. „Jersey“-Urteil etabliert.1514 Obwohl der BGH diese modifizierten Rechtsfolgen mit § 14 II BGB und seiner Rechtsprechung zur Teilrechtsfähigkeit der Gesellschaft bürgerlichen Rechts aus dem Jahre 2001 begründete, liegt der Verdacht nahe, dass man hiermit schon in Raum stehenden europarechtlichen Zwängen vorgreifen und eine Angleichung der Rechtsfolgen für Nicht-EU-Auslandgesellschaften schaffen
OLG Düsseldorf, NJW-RR 1995, 1124 ff. (fehlender „genuine link“ einer US-Gesellschaft); s. a. LG Stuttgart, NJW-RR 2002, 463, 467; Kindler, NJW 1999, 1993, 1995; Einzelheiten zur rechtlichen Behandlung bei Staudinger/Großfeld, IntGesR (1998), Rn 440–443 und MüKo-BGB/IHGR/Kindler, 5. Aufl. 2010, Rn 491–500; nach a. A. statt Analogie zur Handelndenhaftung besser Anwendung von § 179 BGB, s. v. Falkenhausen, RIW 1987, 818, 820; LG Stuttgart IPrax 1991, 118; Fischer, IPRax 1991, 100, 101 f. (Gesellschafterhaftung bei reinen Kapitalanlegern auf Einlage begrenzt). 1509 MüKo-GmbHG/Weller, 1. Aufl. 2010, Einleitung, I. Internationales Gesellschaftsrecht, Rn 327. 1510 OLG München, Urt. v. 31. Oktober 1994, NJW-RR 1995, 703 f. 1511 BGHZ 178, 192, 199, Rn 23 = BGH, NJW 2009, 289, 291, Rn 23. 1512 MüKo-GmbHG/Weller, 1. Aufl. 2010, Einleitung, I. Internationales Gesellschaftsrecht, Rn 328 ff. 1513 Paefgen, DZWiR 2003, 441, 443; Weller, IPRax 2009, 202, 207. 1514 BGHZ 151, 204, 206 f. = BGH, NJW 2002, 3539, 3540; für eine entsprechende Lösung plädierte bereits früher die Literatur, s. etwa Altmeppen, DStR 2000, 1061, 1062 f. Dieser Rechtsprechung folgten schließlich die untergeordneten deutschen Gerichte, vgl. OLG Frankfurt a. M., Beschluß v. 4.12.2001, NJW-RR 2002, 605, 606; OLG Hamburg, Zwischenurt. v. 30. März 2007, NZG 2007, 597, 598 f.; s. a. MüKo-BGB/ IHGR/Kindler, 5. Aufl. 2010, Rn 486, dort Fn 2 m.w. N. zur Rspr. und Lit.
II. Die Entwicklung der Sitztheorie
381
wollte.1515 Die abgeschwächte Form der Sitztheorie führt dazu, dass die bisherige Unterscheidung zwischen aktiver und passiver Parteifähigkeit an Bedeutung verloren hat, denn durch die Anerkennung einer ausländischen Kapitalgesellschaft mit inländischem Verwaltungssitz als inländische Personengesellschaft genießt diese unstreitig jedwede Parteifähigkeit.1516 c) Alternative Anknüpfungskonzepte Obwohl die Anknüpfung an den Verwaltungssitz von der überwiegenden Anzahl der Autoren vertreten wurde, setzte sich auch die deutsche Literatur im Verlauf des 20. Jahrhunderts intensiv mit alternativen Anknüpfungspunkten für das Gesellschaftsstatut auseinander.1517 Die scheinbar wichtigste Rolle spielte neben der Gründungsrechtsanknüpfung die Kontrolltheorie, die vor allem während des ersten Weltkriegs zur Bestimmung des Feindcharakters von Gesellschaften und damit einhergehender Repressalien an Einfluss gewann bzw. im Anschluss an den Weltkrieg im Versailler Friedensvertrag in Bestimmungen zur Auflösung von Gesellschaften eingesetzt wurde.1518 Sie erlangte in Deutschland jedoch nur Bedeutung für Sachverhalte fremdenrechtlicher Natur und blieb für die Bestimmung des Gesellschaftsstatuts wertlos.1519 Hinsichtlich der weiteren einzelnen Anknüpfungsideen sei an dieser Stelle nur gesagt, dass diese in der Regel die schon in Frankreich diskutierten Konzepte 1515 Vgl. hierzu allgemeiner v. Halen (2001), S. 116 f., 225 ff., S. 279f.; speziell Haack, MDR 2002, 1382, 1383 ff.; Goette, DStR 2002, 1678, 1679 f.; Kindler, IPrax 2003, 41, 43 f.; Paefgen, DZWiR 2003, 441, 444: Zwar stand die Entscheidung des Vorlagebeschlusses des BGH in Sachen „Überseering“ durch den EuGH noch aus, die Schlussanträge des Generalanwalts Ruiz-Jarabo Colomer v. 4. Dezember 2001, Rs. C208/00, Slg. 2002, I-9919, Rn 46 ff., deuteten aber schon darauf hin, dass sog. „Scheinauslandsgesellschaften“ im Anwendungsbereich der europäischen Niederlassungsfreiheit künftig die Anerkennung ihrer Rechts- und Parteifähigkeit nicht verwehrt bleiben dürfe. Im Verhältnis zu Jersey ist die europäische Niederlassungsfreiheit hingegen nicht einschlägig, vgl. Spahlinger/Wegen, IntGesR, 1. Aufl. 2005, Rn 44. 1516 Die Grundsätze zur Haftung von Gesellschafter und Handelnden sind selbstverständlich weiterhin beachtlich, vgl. kürzlich BGH ZIP 2009, 2385 = BeckRS 2009, 28205 Tz. 5 (Ltd. nach dem Recht von Singapur mit Verwaltungssitz in Deutschland). 1517 Vgl. etwa die Zusammenstellungen von Schwandt (1912), 30 ff.; Keßler, RabelsZ 3 (1929), 758, 761 ff.; Strehl (1933), 27 ff.; Beitzke (1938), S. 71 ff.; Nordmann (1939), S. 12 ff.; Grasmann (1970), Rn 87 ff., S. 106 ff. – jeweils mit zahlreichen weiteren Literaturnachweisen (v. a. zum französischen Recht); für die Schweiz Bindschedler (1940), 20 ff. 1518 S. hierzu die in RGBl. 1914, 328 und 487 bzw. RGBl. 1916, 961 abgedruckten Bestimmungen sowie die Erläuterungen von Strehl (1933), 47 ff., 54 ff. m.w. N. 1519 Das Reichsgericht selbst hatte die Kontrolltheorie bei einem Sachverhalt zur Staatshaftung abgelehnt, s. RG, JW 1934, 2969. Zur heutigen Bedeutung der Kontrolltheorie in fremdenrechtlichen Bestimmungen bzw. im Völkerrecht, s. etwa Großfeld (1995), 67 ff.
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B. Umgang mit fremden Gesellschaften aus rechtshistorischer Perspektive
aufnahmen, sich aber aufgrund der bereits dargelegten Schwächen auch hierzulande nicht durchsetzen konnten.1520 Der Vollständigkeit halber sei weiterhin darauf hingewiesen, dass sich vor allem ab den 1970er Jahren einige namhafte Rechtswissenschaftler wie etwa Behrens, Beitzke, Grasmann, Sandrock, Wiedemann oder Zimmer darum bemühten, eine Synthese der Vorteile von Sitz- und Gründungstheorie in verschiedenen Mischsystemen zu bilden.1521 Diesen Konzepten ist gemeinsam, dass sie danach streben, eine ,gerechte, auf den Einzellfall passende‘ Anknüpfung zu generieren ohne per se auf die historische Entwicklung der Anerkennung oder deren theoretischen Unterbau Rücksicht zu nehmen. Letzten Endes konnten sich diese Spielarten der etablierten Anerkennungstheorien vor allem aus Praktikabilitätsgründen und Gefahren der Rechtsunsicherheit nicht durchsetzen, weshalb auch der BGH diese Lehren ablehnte.1522 Rechtssicherheit war gerade das Kriterium, das dem
1520 Vgl. hierzu bereits die unter Gliederungspunkt B. II. 1. d) für Frankreich genannten Gründe, die sich bei den deutschen Autoren (Fundstellen wie Fn 1517) widerspiegeln. 1521 Vgl. die von Behrens (1997), Rn IPR 22 ff., vertretene „eingeschränkte Gründungstheorie“ (grds. Anknüpfung an der Gründungstheorie, jedoch bestimmte, zwingende Vorbehalte zugunsten des Sitzrechts). Beitzke, in: Lauterbach (Hg.) (1972), S. 94, 116, 118, will die Gründungstheorie ebenfalls beschränken, wenn sich Verwaltungsoder Satzungssitz einer nach ausländischem Recht gegründeten Gesellschaft im Inland befinden. Die sog. „Differenzierungslehre“ stammt von Grasmann (1970), Rn 615 ff., S. 343 ff. (Trennung des Gesellschaftsstatuts in das „Innen-“ und „Außenstatut“; für ersteres Maßgeblichkeit des Gründungsrechts, Maßgeblichkeit verschiedener sonstiger Anknüpfungspunkte wie Vornahme-, Wirkungs- oder Gründungsstatut für die Außenverhältnisse). Die „Überlagerungstheorie“ geht auf Sandrock, RabelsZ 42 (1978), 226, 246 ff. zurück (Überlagerung des Gründungsrechts durch bestimmte zwingende Vorschriften des Sitzrechts; zur Neukonzeption unter dem Einfluss des Europarechts siehe Sandrock, ZVglRWiss 102 (2003), 447 ff. Nach der „Schwerpunktlehre“ Wiedemanns, GesR, Bd. 1 (1980), S. 791 ff. wird die (einheitliche) Anknüpfung des Gesellschaftsstatuts je nach Fallgruppen unterschiedlich vorgenommen. Zimmer (1996), S. 220 ff., entwickelte die „Kombinationslehre“, die im Grundsatz an der Gründungstheorie ansetzt, bei „substanziellen Verbindungen“ nur zu einem Staat jedoch das Recht dieses Staates zur Anwendung bringen will. Jeweils einen guten Überblick über diese Theorien und weitere Ansätze bieten Ebenroth/Sura, RabelsZ 43 (1979), 315, 327 ff.; Grothe (1989), 61 ff.; von Halen (2001), 34 ff.; Brombach (2006), 29 ff.; Knop (2008), 41 ff.; MüKoBGB/IHGR/Kindler, 5. Aufl. 2010, Rn 387–419; Leible, in: Michalski, GmbHG, 2. Aufl. 2010, Systematische Darstellung 2, Internationales Gesellschaftsrecht, Rn 11– 15. Problematisch erscheinen diese Mischkonzepte heute v. a. auch im Hinblick auf die Europäische Niederlassungsfreiheit, dazu Gliederungspunkt B. III. 2. 1522 BGH, EuZW 2000, 412, 413 (Vorlagebeschluss Überseering). Vgl. zudem die Kritiken bei Staudinger/Großfeld, IntGesR (1998), Rn 34–37, inbes. Rn 62–71; MüKoAktG/EU-Niederlassungsfreiheit/Altmeppen, 2. Aufl. 2006, Rn 60, 64 f.; MüKo-BGB/ IHGR/Kindler, 5. Aufl. 2010, Rn 389 ff., 398 ff., 405 ff.; 410, 414 ff. Dennoch gibt es auch im aktuellen Schrifttum Befürworter der unterschiedlichen Anknüpfung von Innen- und Außenverhältnis bzw. zumindest für Sonderanknüpfungen Einzelfragen der Gesellschaft betreffend, s. etwa MüKo-AktG/EU-Niederlassungsfreiheit/Altmeppen, 2. Aufl. 2006, Rn 70 ff.; Fleischer, in: Lutter/Fleischer (Hg.) (2005), S. 49, 90 f.
II. Die Entwicklung der Sitztheorie
383
Sitz als besonders beständigem Anknüpfungsmoment des Gesellschaftsstatuts zum Siegeszug verhalf.1523 d) Bewertung aa) Gründe für die Durchsetzung der Sitztheorie Die Sitztheorie basiert auch in Deutschland auf dem theoretischen Gerüst, dass allein der Staat über die Erteilung der Rechtsfähigkeit an einen Personenzusammenschluss bzw. eine Kapitalverbindung entscheiden dürfe, auf dessen Boden dieselben ihre tatsächlichen Wirkungen entfalten.1524 Diese (zumindest historisch) im nationalen Sachrecht verankerte Vorstellung wurde – begünstigt durch die Diskussion um einen einheitlichen Nationalitätsbegriff ausgehend von Frankreich – auf das nationale Kollisionsrecht übertragen.1525 Dabei unterstützte eine Analogie zur Anknüpfung des Personalstatuts der natürlichen Person diese Anknüpfung des Gesellschaftsstatuts in rechtsdogmatischer Hinsicht.1526 Aus tatsächlicher Perspektive begründete vor allem das Faktum, dass die Sitzanknüpfung den (politischen und wirtschaftlichen) Interessen des Verwaltungssitzstaates sowie dem (rechtlichen) Schutz der regelmäßig dort ansäßigen Aktionären und Gläubigern entgegenkommt und daher als besonders zweckdienlich ausgemacht wurde, ihren Erfolg: „Wenn die Anknüpfung an das Recht desjenigen Staates zu geschehen hat, der am meisten belangt, am stärksten beteiligt, am ehesten gefährdet ist, dann ist es zweifellos der [Verwaltungs-]Sitzstaat, der den Vorrang vor allen anderen verdient.“ 1527 Schließlich ginge es – so Raape – um „rechtspolitische Belange hohen Ranges“: „Man denke an die Probleme des Großkapitalis-
1523 Neumeyer (1930), § 22, S. 18: „Die wesentliche und dauernde Beziehung aber, die eine Personengemeinschaft oder Vermögensmasse mit einem Staat verbindet, ist ihr Sitz, genauer der Ort, an dem ihre Verwaltung geführt wird; der hier herrschende Staat entscheidet demgemäß über ihre Rechtsfähigkeit (vgl. §§ 22, 24, 80 BGB). Satzungsmäßige Bestimmung eines Sitzes, an dem in Wirklichkeit die Verwaltung nicht geführt wird, ist internationalrechtlich so wertlos, wie sonst die Verfügung über staatliche Zuständigkeit durch Parteiautonomie (. . .).“ (Hervorhebung des Verf.) 1524 Dies rechtfertigend Isay (1907), S. 79: „(. . .) der Sitzstaat beherrscht die Verwaltung der juristischen Person. Wer aber die Verwaltung beherrscht, hat auch Macht über die juristische Person selber.“ Kritisch Spindler (1932), S. 29. 1525 S.o. Gliederungspunkt B. II. 2. b) bb) (3) sowie Strehl (1933), S. 22: „Ausgangspunkt war, daß der Sitz einer juristischen Person im innerdeutschen Recht eine große Rolle spielt und als juristischer Anknüpfungspunkt für Gesellschaften betrachtet wurde und wird. Da jedoch dieselben Gesichtspunkte, die dem deutschen Gesetzgeber den Sitz als Hauptmerkmal einer Gesellschaft erscheinen ließen, auch für die Beurteilung fremder Gesellschaften in Betracht kamen, wurde auch hier der Sitz zum Anknüpfungspunkt.“ In den weiteren Ausführungen wird deutlich, dass Strehl den tatsächlichen Sitz meint. 1526 Gliederungspunkt B. II. 2. b) bb) (1). 1527 Raape, Bd. 1 (1938), S. 120.
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B. Umgang mit fremden Gesellschaften aus rechtshistorischer Perspektive
mus, der toten Hand, an den Schutz der Aktionäre sowie der Gesellschaftsgläubiger, usw.“ 1528 Daneben waren die Beständigkeit und Rechtssicherheit dieser als adäquat empfundenen Anknüpfung wesentliche Gründe für deren grundsätzliche Durchsetzung im Kollisionsrecht des 20. Jahrhunderts: „Die Sitztheorie genießt bei der Mehrheit der Schriftsteller deshalb den Vorzug vor den anderen Theorien, weil gerade bei ihr die juristische Person dem Staate unterworfen ist, in dem sich ihr Lebenszentrum befindet, in dem Staate, der am raschesten und sichersten über Bestehen oder Nichtbestehen der juristischen Person entscheiden kann.“ 1529 Dieses Lebenszentrum galt – vor allem im Gegensatz zum Betriebsort – als dauerhaft und ohne größere Mühen auffindbar.1530 Der Gedanke der Prävention der missbräuchlichen Umgehung eigener Rechtsvorschriften durch Scheinauslandsgesellschaften war zwar (mangels quantitativ gleichgerichteter Erfahrungen) weniger ausgeprägt als in Frankreich, jedoch der deutschen Literatur und Rechtsprechung keinesfalls fremd.1531 Trotz der faktischen Durchsetzung der Sitztheorie in der deutschen Rechtsprechung und Lehre unterblieb eine gesetzliche Normierung im EGBGB bis heute.1532 Ruft man sich die Stellungnahme des Auswärtigen Amtes bei der Beratung des BGB ins Gedächtnis, so wollte sich der Gesetzgeber im frühen 20. Jahrhundert wohl vor allem aus politischen Gründen nicht vorzeitig einseitig an ein festes Anknüpfungsmoment binden. Im Rahmen der umfassenden Überarbeitung des internationalen Privatrechts im Jahre 1986 rechtfertigte der Gesetzgeber die Nichtregelung des internationalen Gesellschaftsrechts schließlich mit dem Hinweis auf Bestrebungen der Regelung der Anerkennung auf europäischer Ebene,1533 die aber mangels Konsens der Mitgliedsstaaten nie in Kraft trat.1534
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Raape, Bd. 1 (1938), S. 120. S. a. Beitzke (1938), S. 86. Strehl (1933), S. 23 f. (Hervorhebung des Verf.); ähnlich Neumeyer (1930), § 22, S. 17 f.: „Nirgends besteht ein dringenderes Bedürfnis, die Eigenschaft als Rechtssubjekt einheitlich und dauernd festgestellt zu sehen, als bei juristischen Personen.“ 1530 S. Raape, Bd. 1 (1938), S. 119 und M. Wolff (1950), S. 297–299. 1531 S. Isay (1907), S. 209–211; Nordmann (1939), S. 25 f. In jüngerer Vergangenheit auch BayObLG, Beschluß vom 7.5.1992, in: BayObLGZ 1992, 113, 115: „Ein Staat, der in Sorge um seine eigene Volkswirtschaft dem Ineinandergreifen der Interessen von Gründern und Gründungsstaat mißtraut, wird grundsätzlich eine von Satzungssitz und Registerbelegenheit unabhängige Anknüpfung wählen und auf das Recht des Ortes abstellen, von dem aus die Gesellschaft tatsächlich gesteuert wird (. . .).“ 1532 Zu den jüngsten Bestrebungen der Kodifikation der Gründungstheorie (!) unter dem Einfluss der europäischen Entwicklung, s. unten Gliederungspunkt B. III. 4. b) aa). 1533 Vgl. BT-Drs. 10/504, S. 1, 29. 1534 Vgl. hierzu kurz Lutter/Bayer/J. Schmidt (2012), § 2, Rn 16, § 6, Rn 8–10. Im Vertrag von Lissabon ist überhaupt nicht mehr von der Verhandlung eines gegenseitigen Anerkennungsübereinkommens die Rede. 1529
II. Die Entwicklung der Sitztheorie
385
bb) Bedeutung des Verwaltungssitzes für nach deutschem Recht gegründete Aktiengesellschaften Die urprüngliche Verwobenheit von Sach- und Kollisionsrecht ist auch heute noch Ausdruck des Zusammenspiels beider Rechtsgebiete bei der Anwendung der Sitztheorie. Die Kollisionsnorm Sitztheorie bestimmt zum anwendbaren Recht diejenige Rechtsordnung, in der die Gesellschaft ihren effektiven Verwaltungssitz hat (wobei gegebenenfalls die Problematik des renvoi zu beachten ist, wenn die aufgefundene Rechtsordnung die Verweisung nicht annimmt).1535 Die auf diesem Wege aufgefundene Rechtsordnung bestimmt zugleich das anwendbare Sachrecht, welches die maßgeblichen Gründungsvorschriften enthält.1536 Nur bei Nichterfüllung dieser sachrechtlichen Existenzvoraussetzungen kommt die „Strafe“ der Sitztheorie zum Tragen: Nichtanerkennung (zumindest in der ursprünglichen kapitalgesellschaftsrechtlichen Form mit ihren entsprechenden Annehmlichkeiten wie der Haftungsbeschränkung). Nimmt man den grundsätzlichen Gedanken der Sitzanknüpfung ernst – Verleihungsmacht von Rechtsfähigkeit steht nur dem Staat zu, in dem die Gesellschaft ihren (wahren) Sitz hat und muss nur für diesen Fall aus Sicht eines anderen Staates anerkannt werden –, so hat das Verwaltungssitzerfordernis folglich auch für eigene Aktiengesellschaften zu gelten, damit für diese aus (isolierter) Sicht des eigenen Kollisionsrechts eigenes Sachrecht zur Anwendung gelangen kann.1537 1535 Vgl. auch Altmeppen, DStR 2000, 1061, 1063: „Die ,Sitztheorie‘ trifft nämlich – um dies nochmals mit Nachdruck zu betonen – überhaupt keine materiellrechtlichen oder prozessualen Wertungen, sondern sie entscheidet allein darüber, ob das deutsche Recht anzuwenden ist.“ 1536 Das anwendbare Sachrecht, das aufgrund des Anknüpfens am effektiven Verwaltungssitz aufgefunden wurde, verlangt i. d. R. zumindest, dass der Satzungssitz einer „nationalen“ Gesellschaft im Inland liegen müsse. Wie bereits in der historischen Entwicklung aufgezeigt (oben Gliederungspunkt B. II. 2. b) bb) (3) (b)) sollte der Sitztheoriestaat konsequenterweise auch im eigenen Sachrecht fordern, dass der tatsächliche Sitz der eigenen Gesellschaft im Inland liegt. Das Zusammenspiel von Sach- und Kollisionsrecht ist ebenso bei der Gründungstheorie zu beobachten, vgl. hierzu Großfeld, RabelsZ 31 (1967), 1, 15: Die Gründungstheorie setzt zwar de facto am Satzungssitz an, um das anwendbare Recht zu bestimmen. Dies ergibt sich aber ebenso erst aus der Kombination mit dem materiellen Sachrecht der kollisionsrechtlich aufgefundenen Rechtsordnung, denn i. d. R. setzen die nationalen Gesellschaftsrechte der Kulturstaaten voraus, dass eine Gesellschaft (mindestens) ihren Satzungssitz im Inland haben muss um als „nationale Gesellschaft“ zu gelten. Der Inhalt der Gründungstheorie wird also u. a. durch dieses Sachrechtskriterium des nationalen Gesellschaftsrechts ausgefüllt, denn für sich genommen stellt die Gründungstheorie allgemein auf das Recht der ordnungsgemäßen Gründung ab. Im Ergebnis erweitert damit die Sitztheorie die Gründungstheorie insofern, als nicht nur die sachrechtlichen Gründungsmerkmale eines nationalen Gesellschaftsrechts erfüllt sein müssen, sondern (ungeachtet eines „renvoi“) dies gerade die sachrechtlichen Merkmale des Verwaltungssitzsstaates sein müssen. 1537 Hierzu bereits oben Punkt B. II. 2. b) bb) (3) (b). Anders sehen dies die Vertreter der eingeschränkten Sitztheorie, die die Sitzanknüpfung nur als Schutzkonzeption für die eigene Wirtschaft betrachten.
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B. Umgang mit fremden Gesellschaften aus rechtshistorischer Perspektive
Insofern sollte das eigene materielle Gesellschaftsrecht den Verwaltungssitz im Inland als Kriterium der Verleihung bzw. des Fortbestands der Rechtspersönlichkeit fordern, um eine Konformität mit der internationalprivatrechtlichen Verwaltungssitzanknüpfung herzustellen.1538 Forderte umgekehrt das nationale Gesellschaftsrecht für eigene Gesellschaften nicht sachrechtlich einen Verwaltungssitz im Inland, würde eine nach deutschem Recht gegründete Gesellschaft aber ihren Verwaltungssitz im Ausland nehmen, so dürfte – folgt man der Verwaltungssitztheorie (unabhängig von etwaigen renvoi-Konstellationen, da die Zuständigkeit deutschen Rechts in diesem Fall nicht von ausländischem Kollisionsrecht determiniert und die Verweisung daher ausnahmsweise nicht angenommen werden sollte)1539 – diese Gesellschaft – wenn auch nach nationalem (Kapital-)Gesellschaftsrecht konstituiert – nicht als eigene Gesellschaft anerkannt werden, denn diese wäre unter falschem Recht gegründet. Eine sauberere Lösung ergibt sich, würde sachrechtlich ein Verwaltungssitz gefordert und ein renvoi zugelassen. Im Falle einer nach deutschem Recht gegründeten Gesellschaft mit ausländischem Verwaltungssitz käme zwar eine Rückverweisung auf deutsches Sachrecht zustande, wenn der Verwaltungssitzstaat der Gründungstheorie folgt, es würde dann jedoch eine materielle Gründungsvoraussetzung des Sachrechts fehlen.1540 Sieht man somit entsprechend des historischen Verständnisses den Verwaltungssitz als maßgeblich für die Gewährung der „eigenen Nationalität“ im Sinne des materiellen Gesellschaftsrechts und zugleich als maßgeblich für das Auffinden der einschlägigen Rechtsordnung im Sinne des Kollisionsrecht an, so dürfte es eine deutsche Gesellschaft mit ausländischem Verwaltungssitz nicht geben. Inwiefern diese Feststellung noch auf die aktuelle deutsche Rechtslage zutrifft, wird in Punkt B. III. 4. aufgegriffen. Wie bereits für die französische Rechtsprechung angemerkt, so hielt sich die Judikative mit Urteilen, die die Nichtanerkennung einer nach deutschem Recht
1538 Ganz allgemein ohne Inbezugnahme auf das deutsche Recht stellte schon BGBRGRK/Wengler, Bd. 6/1 (1981), § 30, S. 735, fest: „Ein Staat, der für die Entstehung einer juristischen Person unter seinem Recht Sitz der Leitungsorgane der Person auf seinem Gebiet als zusätzliche objektive Verknüpfung erfordert, wird eine unter ausländischem Recht begründete juristische Person nur dann als zur Innehabung von Vermögensrechten auf seinem Gebiet fähig betrachten, wenn die begründete juristische Person auch tatsächlich den Sitz ihrer Organe im Staat des Gründungsstatuts hat.“ Aus Praktikabilitätsgründen (nicht aus historischer Sicht) vertreten heute allgemein auch Korom/ Metzinger, ECFR 2009, 125, 136 ff., 142, dass Gesellschaftssachrecht und Gesellschaftskollisionsrecht aufeinander abgestimmt sein sollten. Scheinbar automatisch von dem Gleichlauf der Bedingungen im Sach- und Kollisionsrecht geht MüKo-BGB/IPR/ Sonnenberger, 5. Aufl. 2010, Einleitung, Rn 141, 166, aus. 1539 Die Ansicht, die Verweisung nicht anzunehmen, wird etwa vertreten von BeckOK-BGB/EGBGB/Mäsch (Edition 31), Art. 12, Anhang I, Rn 51, 95. 1540 Vgl. hierzu MüKo-BGB/IHGR/Kindler, 4. Aufl. 2006, Rn 495, 503 ff. und nachfolgend die Erwägungen zu den sachrechtlichen Änderungen im deutschen Aktien- und GmbH-Recht 2008 unter Punkt B. III. 4. b).
II. Die Entwicklung der Sitztheorie
387
gegründeten Gesellschaft mit Verwaltungssitz im Ausland angeht, zurück. Zunächst ist in solchen besonderen Konstellationen die „Gefährdungslage“ nationaler Interessen eine andere als bei ausländischen Gesellschaften im Inland.1541 Die geringe Zahl der diese Thematik behandelnden Urteile erklärt sich zudem aus dem Faktum, dass überhaupt ein Fall des eklatanten Widerspruchs von Satzungssitz und Verwaltungsmittelpunkt einer deutschen Gesellschaft in den Fokus eines Rechtstreites vor deutschen Gerichten gelangen musste. Gegen die Forderung der Abgestimmtheit der Voraussetzungen des materiellen nationalen und des internationalen Gesellschaftsrechts spricht auf den ersten Blick die „Ungar“-Entscheidung des Reichsgerichts von 1934 – hier hatte das Reichsgericht das angesprochene Gebot des Gleichlaufs nicht befolgt. Dabei handelte es sich aber um eine einzelne höchstgerichtliche Entscheidung, die zu einer vorwiegend fremdenrechtlichen Frage eines Staatshaftungsanspruches entschieden wurde. Klar gegen das Erfordernis des Verwaltungssitzes einer nach deutschem Recht gegründeten GmbH hatte sich das OLG Hamburg im Jahre 1970 ausgesprochen, sofern der Verwaltungsmittelpunkt nur aus faktischen Gründen nachträglich ins Ausland verlegt werde.1542 Demgegenüber lassen sich aber auch Entscheidungen anführen, welche die Notwendigkeit des inländischen Verwaltungssitzes einer nach deutschem Recht gegründeten Kapitalgesellschaft unterstützen. Zunächst können zwei Urteile des BGH aus den 1950er Jahren in diese Richtung gedeutet werden.1543 Zudem hat das OLG Hamburg zu einer nichtkapitalistischen Körperschaft (Stiftung) ausgeführt, dass es für deren rechtliche Beurteilung essentiell sei, in welchem Land sich der Sitz ihrer Verwaltung – in Frage kamen Deutschland oder die Schweiz – befinde: „Denn danach beantwortet sich die Frage, nach welchem Recht sich die Rechtsfähigkeit der (. . .) Stiftung beurteilt.“ Der Umstand, dass sich die Körperschaft damit nur nach der Rechtsordnung ihrer Verwaltung gründen dürfe, wird auch durch die Inbezugnahme auf das BGH-Urteil zur Verwaltungssitztheorie von 1970 gestützt.1544 Schließlich hatte der BGH noch im Jahre 2008 (für das Aktiengesellschafts- und GmbH-Recht in der Fassung vor dem MoMiG) judiziert, dass satzungsmäßiger und tatsächlicher Sitz einer nach deutschem Recht 1541 Vgl. hierzu bereits Gliederungspunkte B. II. 1. d) aa) (4) (b) und B. II. 2. b) cc) (2) (c) (bb). 1542 Siehe OLG Hamburg, Urt. v. 28. Juli 1970, AWD 1970, 518. Das Gericht hatte darauf abgestellt, dass ein Sitz im Ausland nicht bereits dann angenommen werden könne, wenn sich der Verwaltungsmittelpunkt der Gesellschaft aus rein tatsächlichen Gründen ins Ausland verlegt hätte. Rein tatsächliche Vorgänge seien nicht geeignet, einen satzungsmäßigen Sitz der Gesellschaft im Ausland und die Anwendung des dort geltenden Rechts zu begründen. 1543 BGHZ 19, 102, 105 und BGHZ 29, 320, 328. Diese Interpretation der Urteile wird geteilt von MüKo-BGB/EGBGB/Ebenroth, 2. Aufl. 1990, nach Art. 10, Rn 212. 1544 OLG Hamburg, Urt. v. 25. November 1977, IPRspr. 1977, Nr. 5 (S. 17) mit Verweis auf BGHZ 53, 181, 185.
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B. Umgang mit fremden Gesellschaften aus rechtshistorischer Perspektive
gegründeten Kapitalgesellschaft übereinstimmen müssen.1545 Zwar betraf dieses Urteil einen reinen Inlandssachverhalt, Sinn und Zweck der Rechtsprechung sprechen aber unter §§ 4a GmbHG, 5 AktG in der Fassung vor dem MoMiG erst recht für eine entsprechende Beurteilung, wenn eine nach deutschem Recht gegründete Gesellschaft ihren tatsächlichen Sitz im Ausland begründet bzw. später dorthin verlegt hatte.1546 Alles in allem kann jedenfalls nicht behauptet werden, dass die deutsche Rechtsprechung die bereits aus rechtshistorisch gebotener Sicht erforderliche Verwaltungssitzansiedlung einer deutschen Aktiengesellschaft bzw. GmbH in Deutschland komplett ignoriert hätte.
III. Europäischer Einfluss und Implikationen für Sach- und Kollisionsrecht Die für Frankreich und Deutschland dargestellte traditionelle Sitzanknüpfung erleidet Einschränkungen, die die nunmehr in Art. 49, 54 AEUV garantierte Niederlassungsfreiheit für europäische Gesellschaften in Verbindung mit der Rechtsprechung des EuGH hierzu mit sich bringen. Zudem scheinen Änderungen des deutschen materiellen Gesellschaftsrechts im MoMiG und der Referentenentwurf zur Reformierung des internationalen Privatrechts zumindest vordergründig von der europarechtlichen Entwicklung geprägt. Zur umfassenden Würdigung des Einflusses des Europarechts und der hierauf fußenden EuGH-Rechtsprechung auf die europäischen Sitztheoriestaaten und deren nationales Recht (im Folgenden wird der Fokus insbesondere auf Deutschland gerichtet) soll die maßgebliche Entwicklung kurz skizziert werden.1547
1545 Diese Bewertung zu § 4a GmbHG i. d. F. vor dem MoMiG, welcher parallel zu § 5 AktG (a. F.) gefasst war, rechtfertigte der BGH mit der Gewährleistung des Gläubigerzugriffs und der amtlichen Zustellung von Registerverfügungen am Satzungssitz. Bei Auseinanderfallen von formellem und effektivem Sitz kam es zum Amtsauflösungsverfahren entsprechend § 144 a FGG (heute § 399 FamFG), vgl. BGH, NJW 2008, 2914 f., Rn 12 f. 1546 Hierfür plädieren auch gewichtige Literaturstimmen, s. die Nachweise in Fn 1391. 1547 Für eine umfassende Darstellung aller Einzelheiten der EuGH-Rechtsprechung ist hier nicht der Raum. Die Details der Urteilspraxis sind bereits vielfach beschrieben und vor allem kritisiert worden. Diverse Monographien haben sich zudem speziell mit den Auswirkungen einzelner EuGH-Urteile auf das nationale Kollisionsrecht beschäftigt, s. etwa v. Halen (2001); Brombach (2006); Knop (2008); Izzo-Wagner (2009). Die folgende Erörterung konzentriert sich vor allem auf die Ergebnisse der EuGH-Rspr. und eine darauf aufbauende kritische Beurteilung der Folgen für das einzelstaatliche Recht der Mitgliedsstaaten, insbesondere anhand des Beispiels Deutschland.
III. Europäischer Einfluss und Implikationen
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1. Die europäische Niederlassungsfreiheit Das nationale Recht der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union steht in der Normenhierarchie unterhalb des Unionsrechts1548 – „Unionsrecht bricht nationales Recht“ im Sinne eines Anwendungsvorranges.1549 Der gemäß Art. 49, 54 AEUV1550 für Unionsbürger und europäische Gesellschaften garantierten, unmittelbar anwendbaren Grundfreiheit auf freie Niederlassung muss bei der Anwendung nationalen Gesellschaftsrechts bzw. Gesellschaftskollisionsrechts folglich Rechnung getragen werden.1551 Die Art. 49, 54 AEUV garantieren den Gesellschaften der Mitgliedsstaaten das Recht zur primären und sekundären Niederlassung.1552 Voraussetzungen des persönlichen Anwendungsbereichs der Niederlassungsfreiheit auf eine (Kapital-) Gesellschaft sind demnach ihre Gründung nach dem Recht eines Mitgliedstaats sowie die Verortung ihres satzungsmäßigen Sitzes, ihrer Hauptverwaltung oder ihrer Hauptniederlassung innerhalb der Union. Allein aufgrund des Wortlautes der besagten Vorschriften wurde von den Anhängern der Gründungstheorie bis1548 Seit dem Vertrag von Lissabon ist von Unionsrecht und nicht länger von Gemeinschaftsrecht zu sprechen. 1549 Vgl. zur Legitimation dieses Rangverhältnisses und v. a. auch näher zur Differenzierung von europäischem Primärrecht und Sekundärrecht sowie dessen Geltung und Anwendung im nationalen Recht, Streinz (2012), Rn 197 ff., 445 ff.; Lutter/Bayer/ J. Schmidt (2012), § 3, Rn 1 ff. (m.w. N.). 1550 Der Wortlaut ist folgender: Art. 49 AEUV (ursprünglich Art. 52 EWG, dann Art. 43 EG): (I) Die Beschränkungen der freien Niederlassung von Staatsangehörigen eines Mitgliedsstaats im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats sind nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen verboten. Das gleiche gilt für Beschränkungen der Gründung von Agenturen, Zweigniederlassungen oder Tochtergesellschaften durch Angehörige eines Mitgliedstaats, die im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaats ansässig sind. (II) Vorbehaltlich des Kapitels über den Kapitalverkehr umfasst die Niederlassungsfreiheit die Aufnahme und Ausübung selbstständiger Erwerbstätigkeiten sowie die Gründung und Leitung von Unternehmen, insbesondere von Gesellschaften im Sinne des Artikels 54 Absatz 2, nach den Bestimmungen des Aufnahmestaats für seine eigenen Angehörigen. Art. 54 AEUV (ursprünglich Art. 58 EWG, dann Art. 48 EG): (I) Für die Anwendung dieses Kapitels stehen die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaften, die ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der Union haben, den natürlichen Personen gleich, die Angehörige der Mitgliedsstaaten sind. (II) Als Gesellschaften gelten die Gesellschaften des bürgerlichen Rechts und des Handelsrechts einschließlich der Genossenschaften und die sonstigen juristischen Personen des öffentlichen und privaten Rechts mit Ausnahme derjenigen, die keinen Erwerbszweck verfolgen. 1551 Vgl. hierzu umfassend Grundmann (2011), §§ 4, 5, S. 44–85. 1552 Unter der primären Niederlassungsfreiheit versteht man die Befugnis, den Schwerpunkt der unternehmerischen Tätigkeit, also die Hauptniederlassung in einen anderen Mitgliedsstaat zu verlegen, wohingegen die sekundäre Niederlassungsfreiheit die Befugnis meint, neben der Hauptniederlassung im Ursprungsstaat rechtlich selbständige Tochtergesellschaften oder rechtlich unselbständige Filialen in anderen Mitgliedsstaaten zu unterhalten, vgl. Habersack/Verse (2011), § 3, Rn 2, S. 9 f.
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B. Umgang mit fremden Gesellschaften aus rechtshistorischer Perspektive
weilen schon darauf geschlossen, dass die Niederlassungsfreiheit per se eine Abkehr von der Sitztheorie bedinge; die Anhänger der Sitzanknüpfung bestritten dies.1553 Naheliegend ist aufgrund der grammatikalischen Interpretation aber allein die Folgerung, dass die Bestimmungen zur Niederlassungsfreiheit die Verwaltungssitzanknüpfung nicht ausschließen – wird doch der Verwaltungssitz in diesen Bestimmungen ausdrücklich genannt.
2. Die maßgebliche Rechtsprechung des EuGH von Daily Mail bis Cartesio Folgende Sachverhalte prägen die Judikatur des EuGH zur Niederlassungsfreiheit maßgeblich und werden deshalb in ihren Grundzügen vorgestellt.1554 a) Daily Mail In der ersten wichtigen Entscheidung zur europäischen Niederlassungsfreiheit aus dem Jahre 19881555 ging es darum, dass die nach englischem Recht gegründete Daily Mail and General Trust PLC (Public Limited Company), die sowohl ursprünglich Satzungssitz als auch effektiven Verwaltungssitz im Vereinigten Königreich begründet hatte, lediglich ihren Verwaltungssitz in die Niederlande verlegen wollte. Die angedachte Verlegung des Verwaltungssitzes hatte für die Gesellschaft steuerliche Vorteile: Die Daily Mail PLC beabsichtigte, eine Umschichtung von Betriebsvermögen in eigene Aktien vorzunehmen und durch die Verlegung des Verwaltungssitzes in die Niederlande der englischen Kapitalertragssteuer zu entgehen, die an der Geschäftsleitung als steuerrelevanter Sitz anknüpfte. Aus kollisions- und gesellschaftsrechtlicher Sicht war die identitätswahrende Verlegung des Verwaltungssitzes unschädlich. Da das englische Gesellschaftsrecht keinen Verwaltungssitz im Inland fordert und beide Länder der Gründungstheorie folgen, ist es möglich, dass eine in Großbritannien registrierte Gesellschaft ihren Verwaltungssitz in die Niederlande verlegt, ohne dabei ihre 1553 Für den Übergang zur Gründungstheorie z. B. Behrens, in: Dauses (Hg.), E. III., Rn 132; anders Anhänger der Sitztheorie wie etwa Ebenroth/Sura, RabelsZ 43 (1979), 315, 341 f.; s. a. Grothe (1989) zum Schrifftum vor der „Daily-Mail“-Entscheidung des EuGH, S. 171 f. 1554 In Zusammenhang mit der Niederlassungsfreiheit hat der EuGH freilich bereits viele weitere Urteile gefällt, welche aber für die hier interessierende Fragestellung von geringerer Relevanz sind und daher keine Erwähnung finden. (Einige weitere Leitentscheidung werden z. B. von MüKo-BGB/IHGR/Kindler, 5. Aufl. 2010, Rn 111 ff. aufgegriffen.). Vgl. eingehend zur dreistufigen Prüfung aller Grundfreiheiten, Ehlers (Hg.) (2009), S. 241 ff.; speziell zur Prüfung der Tatbestandsmerkmale der europäischen Niederlassungsfreiheit MüKo-AktG/EU-Niederlassungsfreiheit/Altmeppen/Ego, 3. Aufl. 2012, Rn 1 ff. 1555 EuGH, Urt. v. 27. September 1988, Rs. 81/87, Slg. 1988, 5483 – Daily Mail. Die nachfolgenden Ausführungen beziehen sich auf dieses Urteil.
III. Europäischer Einfluss und Implikationen
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rechtliche Identität zu verlieren. Jedoch stellte das damalige englische Steuerrecht ein Wegzugshindernis für die Daily Mail PLC auf, indem es für die Verwaltungssitzverlegung eine Genehmigung der britischen Finanzverwaltung verlangte, die in der Folge nicht erteilt wurde. Der Fall gelangte zum High Court of Justice, welcher dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vorlegte, ob das Verbot der Verlegung des steuerlichen Sitzes ohne vorherige staatliche Genehmigung einen Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit bewirke. Der EuGH hielt die streitige Vorschrift des englischen Steuerrechts mit der Grundfreiheit auf Niederlassung für vereinbar. Die Steuervorschrift behindere nicht per se jegliche Niederlassungsvorgänge (insbesondere jene der sekundären Niederlassungsfreiheit), sondern der Zustimmungsvorbehalt betreffe nur den Fall, dass eine Gesellschaft unter Beibehaltung ihrer Rechtspersönlichkeit und ihrer Eigenschaft als britische Gesellschaft den Sitz ihrer Geschäftsleitung aus dem Vereinigten Königreich abziehen will. Zu beachten seien aber die Besonderheiten der juristischen Personen, die das Gericht im Ergebnis auf die Fiktionstheorie gründet: „Im Gegensatz zu natürlichen Personen werden Gesellschaften aufgrund einer Rechtsordnung, beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts aufgrund einer nationalen Rechtsordnung, gegründet. Jenseits der jeweiligen nationalen Rechtsordnung, die ihre Gründung und ihre Existenz regelt, haben sie keine Realität.“ 1556 Die nationalen Gesellschaftsrechte unterschieden sich deutlich in ihren Anforderungen darin, was für die Gesellschaftsgründung an Verknüpfung mit dem nationalen Gebiet erforderlich sei bzw. ob und wie es für eine nach nationalem Recht gegründete Gesellschaft möglich sei, diese Verknüpfung nachträglich zu ändern. Diesen Unterschieden trage der damalige EWG-Vertrag (nunmehr AEUV) Rechnung, indem der Artikel zur Niederlassungsfreiheit juristischer Personen die unterschiedlichen Anknüpfungspunkte (satzungsmäßiger Sitz, Hauptverwaltung und Hauptniederlassung) des nationalen Gesellschaftsrecht als gleichwertig aufführe. Solange auf europäischer Ebene keine Rechtsakte zur identitätswahrenden Sitzverlegung erlassen werden,1557 müsse konstatiert werden, dass die europäische Niederlassungsfreiheit den Gesellschaften nationalen Rechts nicht gestatte, den Sitz ihrer Geschäftsleitung unter Bewahrung ihrer Eigenschaft als Gesellschaften des betreffenden Gründungsmitgliedstaats in einen anderen Mitgliedstaat zu verlegen. Obwohl das Urteil zu „Daily Mail“ über die Vereinbarkeit steuerrechtlicher Wegzugssperren entschied, übertrug die überwiegende Literatur die Ausführungen des EuGH auf das nationale Gesellschaftskollisionsrecht: Stehe ausschließlich dem nationalen Recht die Kompetenz zur Entscheidung darüber zu, unter 1556
EuGH – Daily Mail, wie Fn 1555, Rn 19. Vgl. Art. 293 EG (ursprünglich Art. 220 EWG), der im AEUV aufgehoben wurde und Art. 50 II lit. g AEUV (ursprünglich Art. 54 III lit. g EWG, dann Art. 44 II lit. g). 1557
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B. Umgang mit fremden Gesellschaften aus rechtshistorischer Perspektive
welchen Bedingungen die Gesellschaft als eine solche nationalen Rechts ins Leben tritt und fortbesteht, so müssten auch die nationalen Beschränkungen des Kollisionsrechts bezüglich der (Verwaltungs-)Sitzverlegung erhalten bleiben dürfen.1558 Hier zeigt sich wiederum das Ineinandergreifen von allseitiger Kollisionsnorm und Sachrecht: Eine nationale Gesellschaft eines Landes, das kollisionsrechtlich der Sitztheorie folgt, verliert durch die Verwaltungssitzverlegung grundsätzlich ihr bisheriges Gesellschaftsstatut. Diese Sanktion der Sitztheorie muss im Sinne einer internationalprivatrechtlichen Auslegung des „Daily Mail“Urteils akzeptiert werden. b) Centros Die knapp elf Jahre nach „Daily Mail“ ergangene „Centros“-Entscheidung1559 sorgte ebenfalls für viel Aufsehen unter den Gesellschaftskollisionsrechtlern. Hierbei hatten zwei dänische Staatsangehörige in England und Wales die Gesellschaft Centros Ltd. (Limited Company) mit dortigem Satzungssitz gegründet, jedoch nie geplant im Vereinigten Königreich ihre Geschäftstätigkeit zu entfalten. Vielmehr beabsichtigten die Gründer von vornherein in Dänemark eine Zweigniederlassung eintragen zu lassen, via derer die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit abgewickelt werden sollte. Diese Vorgehensweise diente zur Umgehung der strengeren dänischen Gründungsregeln. Die dänischen Behörden lehnten die Eintragung der Zweigniederlassung ins dänische Handelsregister in dieser Sachverhaltskonstellation ab, da die Zweigniederlassung de facto die Hauptniederlassung bilden sollte und durch die Auslandsgründung allein die dänischen Mindestkapitalvorschriften umgangen zu werden drohten. Centros Ltd. setzte sich gegen die Nichteintragung zur Wehr und so gelangte die Frage zum EuGH, ob die Niederlassungsfreiheit ein solches Vorgehen Dänemarks nicht verbiete.1560 Der EuGH betrachtete im Plenum die Eintragungsverweigerung unter Berufung auf inländisches Gesellschaftsrecht als einen Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit. Selbst wenn die Gesellschaft am Hauptsitz als bloße Briefkastengesellschaft fungiere, dürfe ihr die Befugnis zur freien Niederlassung in einem anderen Mitgliedsstaat nicht abgesprochen werden.1561 Eine rechtsmissbräuchliche Berufung 1558 Ebenroth/Eyles, DB 1989, 363, 372, 413 ff. Vgl. zum Überblick der Bewertung von „Daily Mail“ in der Literatur, v. Halen, S. 53 f. m.w. N.; auch die deutsche Rechtsprechung sah im Anwendungsbereich des Europarechts noch keinen Anlass zur Abkehr von der Sitztheorie, vgl. BayOLGZ 1992, 113, 115; siehe hierzu insgesamt Habersack/Verse (2011), § 3, Rn 12 ff., S. 18 f. m.w. N. zu Lit. u. Rspr. 1559 EuGH, Urt. v. 9.3.1999, Rs. C-212/97, Slg. 1999 I-1459 – Centros. Nachfolgende Ausführungen berühren das Urteil. 1560 EuGH – Centros, wie Fn 1559, Rn 13. 1561 EuGH – Centros, wie Fn 1559, Rn 20: „Hieraus [aus den Vorschriften zur Niederlassungsfreiheit] folgt unmittelbar, daß diese Gesellschaften das Recht haben, ihre Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat durch eine Agentur oder eine Zweigniederlassung oder Tochtergesellschaft auszuüben, wobei ihr satzungsmäßiger Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung, ebenso wie die Staatsangehörigkeit bei natür-
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durch Centros Ltd. auf die Niederlassungsfreiheit sei nicht erkennbar.1562 Vielmehr mache die Gesellschaft gerade von den (nunmehr) in Art. 49, 54 AEUV garantierten Rechten Gebrauch. Zwar könne eine mitgliedsstaatliche Beschränkung der Niederlassungsfreiheit grundsätzlich gerechtfertigt sein und käme hier als ungeschriebener Rechtfertigungsgrund der Gläubigerschutz in Betracht. Der EuGH beurteilte die Nichteintragung ins Handelsregister aber weder als geeignete noch als erforderliche Maßnahme, um die Gläubigerinteressen zu wahren.1563 Die Literatur stürzte sich auch auf die Bewertung der nationalrechtlichen Auswirkungen der „Centros“-Entscheidung, insbesondere die Frage, ob hieraus nähere Aussagen für die Vereinbarkeit der Sitztheorie mit der Niederlassungsfreiheit abzuleiten seien – eindeutige Schlüsse ergaben sich aber vor allem deshalb nicht, weil die am Sachverhalt beteiligten Staaten der Gründungstheorie folgten und mithin die Europarechtskonformität der Verwaltungssitzanknüpfung kein Entscheidungsgegenstand war.1564 c) Überseering aa) Entscheidung des EuGH Nachdem mit „Daily Mail“ eine Wegzugsproblematik einer Hauptniederlassung und mit „Centros“ ein Zuzugsfall einer Zweigniederlassung entschieden lichen Personen, dazu dient, ihre Zugehörigkeit zur Rechtsordnung eines Mitgliedstaats zu bestimmen (. . .). Verweigert ein Mitgliedstaat unter bestimmten Umständen die Eintragung der Zweigniederlassung einer Gesellschaft, die ihren Sitz in einem anderen Mitgliedstaat hat, so werden die nach dem Recht dieses anderen Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaften an der Wahrnehmung ihres Niederlassungsrechts (. . .) gehindert.“ [Hinzufügung durch Verf.]. 1562 EuGH – Centros, wie Fn 1559, Rn 27. Zur Frage, ob die missbräuchliche oder betrügerische Berufung auf Gemeinschaftsrecht bereits auf Tatbestands- oder Rechtsfertigungsebene der Grundfreiheitenprüfung zu untersuchen ist, vgl. Eidenmüller, in: Eidenmüller (Hg.) (2004), § 3, Rn 74 ff.; MüKo-AktG/EU-Niederlassungsfreiheit/Altmeppen/Ego, 3. Aufl. 2012, Rn 156 f. 1563 Zu den im Fall maßgeblichen Erwägungen, vgl. EuGH – Centros, wie Fn 1559, Rn 32 ff. Allgemein gilt: Nichtdiskriminierende Beschränkungen können aus geschriebenen und ungeschriebenen Gründen des zwingenden Allgemeinwohls gerechtfertigt werden. Zur entsprechenden Beurteilung legt der EuGH in ständiger Rechtsprechung seit 1993 einen sog. „vier-Kriterien-Test“ an, vgl. hierzu Habersack/Verse (2011), § 3, Rn 3 f., S. 10 ff. 1564 Vgl. zum Überblick, jeweils m.w. N., v. Halen (2001), S. 60 ff.; Izzo-Wagner (2009), S. 32; Erk, EBLR 2010, 413, 435 f.; Zimmer, BB 2000, 1361, 1365. Neben der Deutung, „Centros“ hätte allein Relevanz für Gründungstheoriestaaten, wurde teilweise gemutmaßt, der Urteilsspruch bedeute das Ende der Sitztheorie in Europa, da die Gründungsvorschriften des Sitzstaates nicht auf eine Gesellschaft aus einem anderen Mitgliedsstaat angewendet werden dürften. Vermittelnd wurde gefolgert, „Centros“ wirke sich nur auf die sekundäre Niederlassungsfreiheit bzw. Zuzugsfälle von Gesellschaften aus. Vgl. zur Rechtsprechung deutscher Oberlandesgerichte nach „Centros“, Thorn, IPRax 2001, 102 ff.; Fleischer/Schmolke, JZ 2008, 233, 236.
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war, der Meinungsstand zur Auswirkung auf die Sitztheorie aber kein ausgewogenes Bild ergab, nutzte der BGH seine Chance, die Frage der Verträglichkeit von Sitztheorie und Niederlassungsfreiheit dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen.1565 In der Entscheidung „Überseering“ stand eine Zuzugskonstellation im Rahmen der primären Niederlassungsfreiheit in Rede:1566 Die in den Niederlanden gegründete und dort registrierte Überseering B.V. (Besloten Venootschap met beperkte aansprakelijkheid, vergleichbar mit der GmbH) verlegte nach anfänglicher Geschäftstätigkeit in den Niederlanden ihren effektiven Verwaltungssitz nach Deutschland,1567 wo ihr auf Grundlage der Sitztheorie i.V. m. deren sachrechtlicher Folgen im Rahmen einer von der Überseering B.V. erhobenen Zahlungsklage vor einem deutschen Gericht die rechtliche Anerkennung, d.h. die Rechts- und Parteifähigkeit im Sinne von § 50 ZPO, versagt wurde. Der BGH erwog zwar der Auffassung der Vorinstanzen zu folgen und betonte die Vorteilhaftigkeit der von ihm vertretenen Sitztheorie auch im Hinblick auf den bis dato geltenden Stand des Gemeinschaftsrechts bzw. der mitgliedsstaatlichen Gesellschaftsrechte, forderte aber vom EuGH eine Stellungnahme zu den beiden Fragen, ob die Niederlassungsfreiheit zur Anerkennung einer fremden Gesellschaft mit Verwaltungssitz in Deutschland zwinge sowie – bejahendenfalls – ob deren Rechts- und Parteifähigkeit nach dem Recht des Gründungsstaates beurteilt werden müsse.1568 Der EuGH stellte im Wege einer Plenarentscheidung fest, dass der Zuzug von Gesellschaften dem Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit unterstehe;1569 solche Konstellationen wie in „Centros“ bzw. „Übersee1565 BGH, Beschluß vom 30.3.2000, EuZW 2000, 412 = DStR 2000, 1061. Die Tatsache, dass keine Pflicht des BGH zur Vorlage bestand, erörtert Altmeppen, DStR 2000, 1061, 1063; s. a. Habersack/Verse (2011), § 3, Rn 16, S. 21. 1566 EuGH, Urt. v. 5. November 2002, Rs. C-208/00, Slg. 2002 I-9919 – Überseering. Die nachfolgenden Ausführungen beziehen sich – soweit nicht anders vermerkt – auf diese Rechtssache. 1567 Die Verlegung des tatsächlichen Verwaltungssitzes von Überseering nach Deutschland erfolgte durch Abtretung der Geschäftsanteile an in Deutschland wohnende deutsche Staatsangehörige und war nach niederländischen Recht unproblematisch, vgl. EuGH – Überseering, wie Fn 1566, Rn 7, 9, 50. 1568 Im Vorlagebeschluss, wie Fn 1565, verteidigte der BGH die Sitztheorie energisch: „Die einheitliche Anknüpfung an den Ort der Gründung kommt den Gründern der Gesellschaft entgegen, die mit dem Gründungsort gleichzeitig die ihnen genehme Rechtsordnung wählen können. Hierin liegt die entscheidende Schwäche der „Gründungstheorie“. Diese vernachlässigt den Umstand, dass die Gründung und Betätigung einer Gesellschaft auch die Interessen dritter Personen und des Sitzstaates berühren. Die Anknüpfung an den tatsächlichen Verwaltungssitz gewährleistet demgegenüber, dass Bestimmungen zum Schutze dieser Interessen nicht durch eine Gründung im Ausland umgangen werden können. Wenn eine derart einfache Umgehungsmöglichkeit bestünde, liefen den Gründern unangenehme Schutzvorschriften im Ergebnis leer. Es ist zu befürchten, dass sich im dergestalt eröffneten „Wettbewerb der Rechtsordnungen“ gerade die Rechtsordnung mit dem schwächsten Schutz dritter Interessen durchsetzen würde („race to the bottom“).“ 1569 S. EuGH – Überseering, wie Fn 1566, Rn 52 ff.
III. Europäischer Einfluss und Implikationen
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ring“ seien nicht ohne weiteres mit jener in „Daily Mail“ gleichzustellen: „Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass das Urteil Daily Mail and General Trust die Beziehungen zwischen einer Gesellschaft und einem Mitgliedstaat, nach dessen Recht sie gegründet worden ist, in dem Fall betrifft, in dem die Gesellschaft ihren tatsächlichen Verwaltungssitz unter Wahrung der ihr in ihrem Gründungsstaat zuerkannten Rechtspersönlichkeit in einen anderen Mitgliedstaat verlegen wollte. Hingegen handelt es sich im Ausgangsrechtsstreit um die Anerkennung einer nach dem Recht eines Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaft durch einen anderen Mitgliedstaat; (. . .).“ 1570 Überseering B.V. berufe sich folglich zu Recht auf die Niederlassungsfreiheit um sich gegen ihre Behandlung als nicht rechts- und parteifähig im Sinne des deutschen Rechts zu wehren. Diese Nichtanerkennung der Überseering B.V., die ihre Existenz nach dem Recht der niederländischen Rechtsordnung erworben und nicht verloren hätte, verbunden mit „(. . .) dem Erfordernis, dieselbe Gesellschaft in Deutschland neu zu gründen, (. . .) [käme] daher der Negierung der Niederlassungsfreiheit gleich.“ 1571 Wie schon in „Centros“, so kam auch in der Rechtssache „Überseering“ eine Rechtfertigung der Beschränkung nicht zum Tragen.1572 Zwar vermied es der EuGH – entsprechend dem Anraten des Generalanwaltes Colomer –1573 zur Kontroverse um die Sitz- bzw. Gründungstheorie eine eindeu1570 EuGH – Überseering, wie Fn 1566, Rn 62. Noch detaillierter äußert der EuGH in den Rn 70 f.: Daily Mail erlaube „(. . .) den Schluss, dass ein Mitgliedstaat die Möglichkeit hat, einer nach seiner Rechtsordnung gegründeten Gesellschaft Beschränkungen hinsichtlich der Verlegung ihres tatsächlichen Verwaltungssitzes aus seinem Hoheitsgebiet aufzuerlegen, damit sie die ihr nach dem Recht dieses Staates zuerkannte Rechtspersönlichkeit beibehalten kann.“ Hieraus ließe sich aber gerade keine Folgerung dazu ableiten, „(. . .) ob in einem Fall wie im Ausgangsverfahren, in dem von einer nach dem Recht eines Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaft nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaats angenommen wird, dass sie ihren tatsächlichen Verwaltungssitz in diesen verlegt hat, dieser andere Mitgliedstaat sich weigern darf, die Rechtspersönlichkeit anzuerkennen, die ihr nach der Rechtsordnung ihres Gründungsstaats zuerkannt wird.“ 1571 EuGH – Überseering, wie Fn 1566, Rn 81 f.: „Unter diesen Umständen stellt es eine mit den Artikeln 43 EG und 48 EG grundsätzlich nicht vereinbare Beschränkung der Niederlassungsfreiheit dar, wenn ein Mitgliedstaat sich u. a. deshalb weigert, die Rechtsfähigkeit einer Gesellschaft, die nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaats gegründet worden ist und dort ihren satzungsmäßigen Sitz hat, anzuerkennen, weil die Gesellschaft im Anschluss an den Erwerb sämtlicher Geschäftsanteile durch in seinem Hoheitsgebiet wohnende eigene Staatsangehörige, ihren tatsächlichen Verwaltungssitz in sein Hoheitsgebiet verlegt haben soll, mit der Folge, dass die Gesellschaft im Aufnahmemitgliedstaat nicht zu dem Zweck parteifähig ist, ihre Ansprüche aus einem Vertrag geltend zu machen, es sei denn, dass sie sich nach dem Recht dieses Aufnahmestaats neu gründet.“ 1572 EuGH – Überseering, wie Fn 1566, Rn 83 ff., insbes. 92 f. 1573 GA Colomer, Schlussanträge v. 4. Dezember 2001, Rs. C-208/00, Slg. 2002 I9922, Rn 62-70 – Überseering. Colomer weist jedoch darauf hin (a. a. O., Rn 69), dass die nationalen Vorschriften zum internationalen Gesellschaftsrecht von den Mitgliedstaaten weiterhin frei gestaltet und von ihren nationalen Gerichte ausgelegt werden
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tige Position zu beziehen. Indem er aber im zweiten Leitsatz seiner Entscheidung formulierte, dass ein (anderer) Mitgliedsstaat verpflichtet sei, die Ausübung der Niederlassungsfreiheit einer nach dem Recht eines Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaft, in dessen Hoheitsgebiet sie ihren satzungsmäßigen Sitz hat, dergestalt zu achten, dass durch ihn die Rechts- und Parteifähigkeit anzuerkennen sei, welche die Gesellschaft nach dem Recht ihres Gründungstaats besitzt, zog die Literatur überwiegend das gleiche Fazit: Der Übergang zur Gründungstheorie innerhalb des Anwendungsbereiches der europäischen Niederlassungsfreiheit galt als besiegelt.1574 bb) Einfluss auf die Rechtsprechung des BGH Die im Schrifttum nach „Überseering“ zunächst noch heftig diskutierte Frage, ob die Anwendung der im „Jersey“-Urteil des BGH entwickelten sog. „modifizierten Sitztheorie“ den Anforderungen der entsprechenden EuGH-Judikatur genüge, da hiermit die scharfe Sanktion der Sitztheorie (Nichtanerkennung im nationalen materiellen Recht) beseitigt worden sei, oder ob dies unzureichend erscheine, weil der fremden Gesellschaft genau diejenige Rechtssubjektivität zuerkannt werden müsse, über die sie nach ihrem Gründungsrecht verfüge (und nicht nur eine vom vom Sitzstaat ausgestaltete Rechts- und Parteifähigkeit),1575 wurde schließlich durch die Rechtsprechung des VII. Senat des BGH am 13.03. 2003 einer Lösung zugeführt: Das oberste deutsche Zivilgericht bestimmte, dass allein eine Anerkennung der Überseering als B.V. den durch die EuGH-Judikatur ausgestalteten Vorgaben der europäischen Niederlassungsfreiheit gerecht werde.1576 Da diese Gesellschaft auch nach der Verlegung ihres Verwaltungssitzes könnten, sofern diese Regelungen im Hinblick auf ihre praktischen Rechtswirkungen nicht gegen Gemeinschaftsrecht verstießen. 1574 Vgl. MüKo-GmbHG/Weller, 1. Aufl. 2010, Einleitung, I. Internationales Gesellschaftsrecht, Rn 352 m.w. N. zur Lit. (Weller spricht zumindest von der Anwendung der Gründungstheorie aus der Perspektive des aufnehmenden Staates); s. a. die Nachweise bei Spahlinger/Wegen, IntGesR, 1. Aufl. 2005, zu Rn 160; Lutter/Bayer/J. Schmidt (2012), § 3, Rn 26 (m.w. N. in dortiger Fußnote 79). 1575 S. etwa Ahrens, RNotZ 2003, 32, 35; Kindler, NJW 2003, 1073, 1077 und Großerichter, DStR 2003, 159, 166 ff. (genügend) gegen Leible/Hoffmann, BB 2003, 542, 543 ff.; Kersting, NZG 2003, 9; Schanze/Jüttner, AG 2003, 30, 32 f. (ungenügend). 1576 BGHZ 154, 185, 189 m.w. N. zur Lit. = NJW 2003, 1461: „Diese Rechtsanwendung [gemeint ist eine Rechtsanwendung, die den europarechtlichen Vorgaben entspricht] lässt sich nicht damit erreichen, dass die Kl. nach deutschem Recht nach Verlegung des Verwaltungssitzes jedenfalls eine rechtsfähige Personengesellschaft und damit als solche vor den deutschen Gerichten aktiv und passiv parteifähig ist (. . .). Denn die Kl. hat nicht als Personengesellschaft ihre Rechte geltend gemacht und geklagt, sondern als niederländische BV. Sie hat damit von ihrer durch den EG-Vertrag garantierten Niederlassungsfreiheit Gebrauch gemacht. Das zwingt dazu, die Rechtsfähigkeit der Kl. als niederländische BV zu achten (. . .). Sie kann nicht auf ihre Möglichkeiten als nach deutschem Recht anerkannte Personengesellschaft verwiesen werden, weil sie damit in eine andere Gesellschaftsform mit besonderen Risiken, wie zum Beispiel Haftungsrisi-
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nach Deutschland in die Lage zu versetzen sei, hierzulande ihre vertraglichen Rechte als niederländische B.V. geltend zu machen, müsse Überseering nach deutschem internationalen Gesellschaftsrecht hinsichtlich ihrer Rechtsfähigkeit dem Recht des Staates unterstellt werden, in dem sie gegründet worden ist: „Eine Gesellschaft, die unter dem Schutz der im EG-Vertrag garantierten Niederlassungsfreiheit steht, ist berechtigt, ihre vertraglichen Rechte in jedem Mitgliedstaat geltend zu machen, wenn sie nach der Rechtsordnung des Staates, in dem sie gegründet worden ist und in dem sie nach einer Verlegung ihres Verwaltungssitzes in einen anderen Mitgliedstaat weiterhin ihren satzungsmäßigen Sitz hat, hinsichtlich des geltend gemachten Rechts rechtsfähig ist.“ 1577 Innerhalb des Anwendungsbereiches des AEUV-Vertrages gilt seitdem nach wohl h. M. (für Zuzugsfälle) die Gründungsrechtsanknüpfung als Ausnahme zur grundsätzlichen Sitzanknüpfung des BGH.1578 d) Inspire Art Die Rechtssache „Inspire Art“ behandelte in Fortführung der „Centros“-Entscheidung wiederum eine Konstellation des Zuzugs einer Zweigniederlassung einer fremden mitgliedsstaatlichen Gesellschaft.1579 Die Entscheidung war für das Europäische Gesellschaftsrecht gerade deshalb von besonderer Tragweite, weil hierbei nicht nur weitere wichtige Rechtsfragen um die Organisation der Gesellschaft behandelt wurden (Mindestkapital, Firmierung und Geschäftsführerhaftung), sondern auch eine spezielle mitgliedsstaatliche Regelung auf dem Prüfstand im Hinblick auf ihre Vereinbarkeit mit der Niederlassungsfreiheit stand, die Gefahren im Zusammenhang mit zuziehenden ausländischen Briefkastengesellschaften entgegentreten sollte.1580 Konkret ging es um die Inspire Art Ltd., eine nach englischem Recht gegründete private limited by shares mit Satzungssitz in ken, gedrängt wird. Eine derartige Verweisung würde sich ebenfalls als Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit darstellen, wie der Entscheidung des EuGH unmissverständlich entnommen werden kann.“ [Hinzufügung durch Verf.]. 1577 BGHZ 154, 185, 189 = BGH, NJW 2003, 1461, 1462. 1578 BGH, NJW 2005, 1648, 1649. Weitere Nachweise insbes. zur Lit. bei Knop (2008), S. 60, dort Fußnote 313; zur Rechtsprechung Kieninger, in: Eger/Schäfer (2007), S. 170, 175, dort Fußnote 24; Braun (2010), S. 34, dort Fußnote 80; Lutter/ Bayer/J. Schmidt (2012), § 6, Rn 50 f., dort Fußnote 173, 176. S. a. MüKo-BGB/IPR/ Sonnenberger, 5. Aufl. 2010, Einleitung, Rn 165 f.; z. T. wird diese Anknüpfung als „europarechtliche Gründungstheorie“ bezeichnet, hierzu äußerst kritisch MüKo-BGB/ IHGR/Kindler, 5. Aufl. 2010, Rn 363 ff., 427 f.; ablehnend auch MüKo-AktG/EU-Niederlassungsfreiheit/Altmeppen/Ego, 3. Aufl. 2012, Rn 218 ff., 225 ff. 1579 EuGH, Urt. v. 30. September 2003, Rs. C-167/01, Slg. 2003 I-10155 – Inspire Art. Die nachfolgenden Ausführungen beziehen sich – soweit nicht anders vermerkt – auf diese Rechtssache. 1580 S. MüKo-GmbHG/Weller, 1. Aufl. 2010, Einleitung, I. Internationales Gesellschaftsrecht, Rn 353.
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Großbritannien. Die Gesellschaft, deren einziger Geschäftsführer in den Niederlanden wohnhaft war, entfaltete ihre gesamte Geschäftstätigkeit (Handel mit Kunstgegenständen) ausschließlich über eine in Amsterdam errichtete Zweigniederlassung. Das niederländische Recht enthielt nun eine Reihe von Sondervorschriften für sogenannte „formal ausländische Gesellschaften“, die in den Niederlanden tätig waren.1581 Diesen Gesellschaften wurden nach Art. 2–5 WFBV spezielle Pflichten hinsichtlich des Mindestkapitals, der Firmierung und der Publizität auferlegt, bei deren Nichtbeachtung eine persönliche gesamtschuldnerische Haftung der Geschäftsführer der ausländischen Gesellschaft drohte. Einer hiernach wesentlichen Publizitätspflicht, nämlich der Eintragung ins niederländische Handelsregister unter dem Zusatz „formal ausländische Gesellschaft“ war die Inspire Art Ltd. nicht nachgekommen. Die Handelskammer Amsterdam beantragte daher beim Kantongerecht Amsterdam eine Anordnung dahingehend, dass die Eintragung durch den entsprechenden Vermerk vervollständigt werde, was weitere gesetzliche Verpflichtungen gemäß dem WFBV nach sich gezogen hätte. Das Kantongericht hegte Zweifel an der Europarechtskonformität der Anforderungen des WFBV und legte dem EuGH die Fragen zur Vorabentscheidung vor, ob die Vorschriften des WFBV gegen die europäische Niederlassungsfreiheit verstoßen und – falls ja – ob dieser Verstoß i. S. v. Art. 52 AEUV (damals Art. 46 EGV) oder aus einem zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt werden kann.1582 In Fortführung der in „Centros“ und „Überseering“ entwickelten Rechtsprechungslinie (bzw. erneuter Abgrenzung zur „Daily-Mail“-Judikatur) sah der EuGH bestimmte Anforderungen des WFBV als unvereinbar mit der Niederlassungsfreiheit an.1583 Die Brandmarkung als Briefkastengesellschaft 1581 Niederländisches „Gesetz über formal ausländische Gesellschaften“ („Wet op de formeel buitenlandse vennootschappen“ v. 17.12.1997, niederländisches Staatsblad 1997, Nr. 697; abgekürzt: WFBV. Alle relevanten Vorschriften sind abgedruckt in den Schlussanträgen des Generalanwalts Alber, Rs. C-167/01, Slg. 2003 I-10159, Tz. 2 – Inspire Art.), das ausschließlich auf außerhalb der Niederlande gegründete Kapitalgesellschaften Anwendung findet, die ihre hauptsächliche Tätigkeit in den Niederlanden entfalten und daneben keine tatsächliche Bindung an den Staat haben, in dem das Recht gilt, nach dem sie gegründet wurden (Art. 1 WFBV). 1582 EuGH – Inspire Art, wie Fn 1579, Rn 39. Artikel 52 AEUV (ex-Artikel 46 EGV) bestimmt: (1) Dieses Kapitel und die aufgrund desselben getroffenen Maßnahmen beeinträchtigen nicht die Anwendbarkeit der Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die eine Sonderregelung für Ausländer vorsehen und aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind. (2) Das Europäische Parlament und der Rat erlassen gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren Richtlinien für die Koordinierung der genannten Vorschriften. 1583 Der EuGH differenzierte danach, ob die einzelnen Normen des WFBV lediglich Vorgaben ins nationale Recht umsetzten, die schon von der Zweigniederlassungsrichtlinie 89/666/EWG (11. Richtlinie) abschließend erfasst, (vor-)geregelt und mithin keinesfalls als Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit zu ahnden waren (v. a. Offenlegungspflichten, s. EuGH – Inspire Art, wie Fn 1579, Rn 55 ff.) oder ob Vorschriften in Rede standen, die der Richtlinie nicht unterfielen und damit direkt an der Niederlassungsfreiheit zu messen waren (Mindestkapital, gesamtschuldnerische Haftung der Geschäftsfüh-
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(„formal fremde Gesellschaft“) ginge über die europarechtlich abschließend geregelten Offenlegungspflichten hinaus.1584 Der Zuzugsstaat sei nicht befugt, den Genuss der Niederlassungsfreiheit von der Einhaltung von Mindestkapital- und Geschäftsführer-Haftungsvorschriften seines nationalen Gesellschaftsrechts abhängig zu machen und damit im Ergebnis zusätzliche Anforderungen an die Errichtung der ausländischen Gesellschaft im Inland zu stellen, die ergänzend zu den Anforderungen ihres Gründungsrechts ebenso erfüllt werden müssten.1585 Auch bei „Inspire Art“ kam eine Rechtfertigung der Beschränkung nicht in Betracht.1586 Die überwiegende Literatur fasste „Inspire Art“ als die über „Überseering“ hinausgehende Bestätigung dafür auf, dass man innerhalb des Anwendungsbereichs der europäischen Niederlassungsfreiheit (zumindest für Zuzugsfälle) von der Sitztheorie, genauer deren potentiell die Niederlassungsfreiheit beschränkender Rechtsfolgen, abzurücken habe.1587 Spätestens nun wurde allgemein anerkannt, dass der BGH mit seiner Anschlussentscheidung an die Vorlagesache „Inspire Art“ die europarechtlichen Zwänge richtig eingeschätzt hatte.1588 Die rer neben der Gesellschaft, s. EuGH, wie Fn 1579, Rn 74 ff., insbes. Rn 95 ff.). Vgl. insoweit zustimmend bereits Leible/Hoffmann, EuZW 2003, 677, 678. 1584 EuGH – Inspire Art, wie Fn 1579, Rn 65 ff., inbes. 71 f. 1585 EuGH – Inspire Art, wie Fn 1579, Rn 99–101. Die (u. a.) von der niederländischen Regierung vor dem EuGH geäußerten Argumente (a. a. O., Rn 78 f.), es sei keine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit zu erkennen, da die Niederlande grds. einer liberalen Anerkennungsregel i. S. d. Gründungstheorie folge und die Bestimmungen des WFBV lediglich ergänzend aus dem Grund eingeführt worden seien, da immer häufiger Scheinauslandgesellschaften aufgeträten wären, die allein mit dem Ziel im Ausland gegründet worden seien, den strengeren niederländischen Gründungsregeln zu entgehen, wies der EuGH hier in seine Schranken: „Dem Vorbringen, dass die WFBV keineswegs die Niederlassungsfreiheit beeinträchtige, da ausländische Gesellschaften in den Niederlanden uneingeschränkt anerkannt würden, ihre Eintragung in das niederländische Handelsregister nicht verweigert werde und die WFBV nur eine Reihe zusätzlicher, „administrativer“ Verpflichtungen enthalte, kann nicht gefolgt werden. Die WFBV hat nämlich zur Folge, dass die Vorschriften des niederländischen Gesellschaftsrechts über das Mindestkapital und die Haftung der Geschäftsführer zwingend auf ausländische Gesellschaften wie die Inspire Art angewandt werden, wenn sie ihre Tätigkeiten ausschließlich oder nahezu ausschließlich in den Niederlanden ausüben.“ Dadurch ergäbe sich klar eine Behinderung der Ausübung der Niederlassungsfreiheit. Wie schon in Centros betont, sei die Ausnutzung der „Wettbewerbsvorteile“ verschiedener Gründungsrechte im Übrigen nur legitim (Rn 105). 1586 EuGH – Inspire Art, wie Fn 1579, Rn 106 ff. (Gläubigerschutz sei durch Publizitätspflichten gewährleistet). 1587 Habersack/Verse (2011), § 3, Rn 24, S. 29; Behrens, IPRax 2004, 20, 25; Leible/ Hoffmann, EuZW 2003, 677, 681 f. und Weller, DStR 2003, 1800, 1803; i. E. Forsthoff, in: Hirte/Bücker (2006), § 2, Rn 37; Izzo-Wagner (2009), S. 40. Feststellend (m.w. N.), aber kritisierend Altmeppen, NJW 2004, 97, 98 ff. mit Replik von Ulmer, NJW 2004, 1201, 1207 ff.; a. A. auch Kindler, NZG 2003, 1086, 1089 (keine kollisionsrechtliche Aussage). 1588 Die aus der Perspektive der Sitztheorie unter falschem Recht gegründete europäische Gesellschaft darf grds. nicht mit der Sanktion einer persönlichen Gesellschafter-
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Frage, inwieweit Abweichungen von der Gründungsrechtsanknüpfung aus dem Gesichtspunkt des (europarechtlichen) ordre public respektive einer gesellschaftsrechtlichen Sonderanknüpfung oder der Anwendung des allgemeinen Verkehrsrechts (z. B. Vertrags-, Delikts-, Bereicherungs- oder Insolvenzrecht) (noch) zulässig sind, ist heute nicht abschließend geklärt, wird aber regelmäßig sehr restriktiv beurteilt.1589 e) Sevic Systems und Cadbury Schweppes Ferner erwähnenswert erscheinen die EuGH-Urteile in den Rechtssachen „Sevic Systems“ und „Cadbury Schweppes“ aus den Jahren 2005 und 2006.1590 Im Rahmen von „Sevic Systems“ ging es um die Hereinverschmelzung einer luxemburgischen (S.A.) auf eine deutsche Gesellschaft (AG) – gewissermaßen wiederum eine Zuzugsproblematik. Ein deutsches Registergericht hatte die Eintragung der Verschmelzung abgelehnt, da das bestehende Umwandlungsrecht (§ 1 I UmwG) nur die Umwandlung von Rechtsträgern mit inländischem Sitz vorsah. Die Frage, ob die Nichteintragung im Sinne des nationalen Umwandlungsrechts einen Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit darstelle, wurde schließlich dem EuGH vorgelegt.1591 Bezugnehmend auf die Rechtssachen „Überseering“ und „Inspire Art“ bejahte der Europäische Gerichtshof diese Frage: Die Möglichkeit der grenzüberschreitenden Verschmelzung sei Teil des Umgestaltungsbedürfnisses von Gesellschaften mit Sitz in verschiedenen Mitgliedsstaaten und daher wichtige Modalität der Ausübung der Niederlassungsfreiheit im funktionierenden Binnenmarkt.1592 Die unterschiedliche Behandlung von nationalen und grenzüberschreitenden Fusionen sei daher eine rechtfertigungsbedürftige Beschränkung der Niederlassungsfreiheit.1593 Zwar könnten hierbei die Interessen von Gläubigern, Minderheitsaktionären und Arbeitnehmern grds. Berücksichtigung finden, doch sei eine generelle Verweigerung der Eintragung bzw. Nichtzulasoder Geschäftsführerhaftung („Personengesellschafts“-Lösung bzw. Analogie zu § 11 II GmbHG oder § 41 I 2 AktG) gestraft werden, vgl. Zimmer, NJW 2003, 3585, 3588 ff.; Leible/Hoffmann, EuZW 2003, 677, 681. 1589 MüKo-AktG/EU-Niederlassungsfreiheit/Altmeppen/Ego, 3. Aufl. 2012, Rn 221– 223 mit zahlreichen w. N.; s. a. Süß, in: Wachter, Fachanwaltshandbuch Handels- und Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 2010, Rn 35 f.; Habersack/Verse (2011), § 3, Rn 26 ff., S. 31 ff.; Fleischer, in: Lutter (2005), S. 49, 90 f.; Binge/Thölke, DNotZ 2004, 21, 25; Schulz, NJW 2003, 2705, 2707 f.; Weller, DStR 2003, 1800, 1803 f.; Zimmer, NJW 2003, 3585, 3586 f. Vgl. auch die Abhandlungen in Zusammenhang mit dem Vorschlag zur Neuregelung des internationalen Gesellschaftsrecht von Behrens, Eidenmüller und Kindler, in: Sonnenberger (Hg.) (2007), S. 401 ff., 469 ff. und 497 ff. 1590 EuGH, Urt. v. 13.12.2005, Rs. C-411/03, Slg. 2005 I-10805 – Sevic sowie EuGH, Urt. v. 12. September 2006, Rs. C-196/04, Slg. 2006 I-7995 – Cadbury Schweppes. 1591 EuGH – Sevic, wie Fn 1590, Rn 10. 1592 EuGH – Sevic, wie Fn 1590, Rn 18 f. 1593 EuGH – Sevic, wie Fn 1590, Rn 23.
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sung der Verschmelzung nicht erforderlich.1594 Die Mitgliedsstaaten müssten demnach Hineinverschmelzungen grundsätzlich akzeptieren.1595 Neues Wasser auf den Mühlen der Sitztheorieanhänger Kindler und Roth brachte hingegen das Urteil „Cadbury Schweppes“.1596 Hierbei gründete die gleichnamige britische Gesellschaft in Irland eine Tochtergesellschaft irischen Rechts zu dem Zweck, Gewinne dorthin zu verlagern und damit den dort anfallenden niedrigeren Steuersatz auszunutzen. Die irische Gesellschaft übte im Registerstaat Irland keine wirtschaftlichen Aktivitäten aus; sie fungierte offensichtlich als reines Steuersubjekt und wurde wohl von der Muttergesellschaft aus geleitet. Das britische Steuerrecht reagiert auf diese Gestaltungsform derart, dass es der Muttergesellschaft die Gewinne ihrer Tochter zurechnet, sofern diese nur aus Steuerspargründen im Ausland etabliert wurde. Die Muttergesellschaft wehrte sich gegen diese Besteuerung durch den britischen Fiskus, sie hielt die Auslandsgründung der Tochtergesellschaft für bloße Betätigung ihres Rechts auf freie Niederlassung, welches durch die Gewinnzurechnung beschränkt werde.1597 Der letztendlich mit dem Fall befasste EuGH stellte fest, dass es im Hinblick auf die Niederlassungsfreiheit zunächst keinen Missbrauch darstelle, wenn eine Gesellschaft in einem Mitgliedstaat mit dem Ziel gegründet worden sei, dort eine vorteilhaftere Rechtsordnung zu genießen.1598 Die britischen Steuervorschriften, die zu unterschiedlicher steuerlicher Behandlung von ansässigen Gesellschaften führten, erschienen dem EuGH auch geeignet, die Niederlassungsfreiheit zu beschränken, da britische Gesellschaften davon abgehalten werden sollten, eine Tochtergesellschaft in einem Mitgliedstaat zu gründen, zu erwerben oder zu behalten, in dem ein niedrigeres Besteuerungsniveau als in Großbritannien galt.1599 Wie der Gerichtshof aber fortfuhr, war diese Beschränkung vorliegend zu rechtfertigen:1600 Eine Rechtfertigung ergebe sich zwar nicht aus dem Gesichtspunkt
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EuGH – Sevic, wie Fn 1590, Rn 28 ff. Mittlerweile ist die Richtlinie über die grenzüberschreitende Verschmelzung (RL 2005/56/EG, ABl. 2005, L310, S. 1) in Kraft getreten und bereits ins nationale Recht umgesetzt worden (§§ 122a ff. UmwG), weshalb die Problematik an Bedeutung verloren hat. Die Wertung des Urteils muss nach h. M. (spätestens nach dem Urteil „Cartesio“, s. u.) auch für Hinausverschmelzungen berücksichtigt werden, vgl. Bayer/Schmidt, ZHR 173 (2009), 735, 764 ff. (zahlreiche Nachweise in dortiger Fußnote 216); Izzo-Wagner (2009), S. 128 ff. 1596 MüKo-BGB/IHGR/Kindler, 5. Aufl. 2010, Rn 129; Roth, EuZW 2010, 607; ders. (2010), S. 13 f., 19 ff., inbes. 39 f., 47 ff.; Roth/Altmeppen, GmbHG, 7. Aufl. 2012, § 4a GmbHG, Rn 43 f. (weitestgehende Aufrechterhaltung der Sitztheorie in abgespeckter Form auch im Anwendungsbereich des AEUV). 1597 EuGH – Cadbury Schweppes, wie Fn 1590, Rn 24, 28. 1598 EuGH – Cadbury Schweppes, wie Fn 1590, Rn 37 f. Hier verweist das Gericht auf „Centros“. 1599 EuGH – Cadbury Schweppes, wie Fn 1590, Rn 43–46. 1600 EuGH – Cadbury Schweppes, wie Fn 1590, Rn 72 f., 75. 1595
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der Wahrung fiskalischer Interessen Großbritanniens,1601 doch könne eine mitgliedsstaatliche Maßnahme dann eine Beschränkung entschuldigen, „(. . .) wenn sie sich speziell auf rein künstliche Gestaltungen bezieht, die darauf ausgerichtet sind, der Anwendung der Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats zu entgehen (. . .).“ 1602 Eine eingehende Betrachtung dieser Frage sei nur unter der präzisen Bestimmung des Zwecks der Niederlassungsfreiheit sinnvoll: „Dieses Ziel besteht darin, es den Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats zu erlauben, in einem anderen Mitgliedstaat eine Zweitniederlassung zu gründen, um dort ihren Tätigkeiten nachzugehen, und so die gegenseitige wirtschaftliche und soziale Durchdringung auf dem Gebiet der selbständigen Erwerbstätigkeit innerhalb der Gemeinschaft zu fördern (. . .). Zu diesem Zweck will die Niederlassungsfreiheit es den Staatsangehörigen der Gemeinschaft ermöglichen, in stabiler und kontinuierlicher Weise am Wirtschaftsleben eines anderen Mitgliedstaats als desjenigen ihrer Herkunft teilzunehmen und daraus Nutzen zu ziehen (. . .). In Anbetracht dieses Zieles der Eingliederung in den Aufnahmemitgliedstaat impliziert der Niederlassungsbegriff (. . .) die tatsächliche Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mittels einer festen Einrichtung in diesem Staat auf unbestimmte Zeit (. . .). Daher setzt sie eine tatsächliche Ansiedlung der betreffenden Gesellschaft im Aufnahmemitgliedstaat und die Ausübung einer wirklichen wirtschaftlichen Tätigkeit in diesem voraus. Folglich lässt sich eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit nur mit Gründen der Bekämpfung missbräuchlicher Praktiken rechtfertigen, wenn das spezifische Ziel der Beschränkung darin liegt, Verhaltensweisen zu verhindern, die darin bestehen, rein künstliche, jeder wirtschaftlichen Realität bare Gestaltungen zu dem Zweck zu errichten, der Steuer zu entgehen, die normalerweise für durch Tätigkeiten im Inland erzielte Gewinne geschuldet wird.“ 1603 Im Ergebnis war die englische Besteuerungsregel im vorliegenden Fall europarechtskonform anwendbar. Die Tragweite dieses Urteils ist bis heute streitig. Ist ihm – wie es Generalanwalt Maduro, Roth und Kindler auslegen – „eine erhebliche Einschränkung“ von „Centros“ und „Inspire Art“ innewohnend?1604 Oder sind diese Fallkonstellationen mit „Cadbury Schweppes“ nicht vergleichbar? Unterschiede in den Fällen bestehen insoweit, als in „Cabury Schweppes“ nur mitgliedsstaaliche Besteuerungsregeln, nicht gesellschaftsrechtliche Normen auf den Prüfstand kamen und nicht ein komplett identischer Spruchkörper die Entschei-
1601
EuGH – Cadbury Schweppes, wie Fn 1590, Rn 49 f. EuGH – Cadbury Schweppes, wie Fn 1590, Rn 51. 1603 EuGH – Cadbury Schweppes, wie Fn 1590, Rn 53–55. 1604 Schlussanträge des Generalanwalts Maduro vom 22. Mai 2008, Rs. C-210/06, Slg. 2008 I-9641, Rn 29 – Cartesio sowie bereits Nachweise in Fn 1596. Zumindest zweifelnd auch Frenz, Jura 2011, 678, 681 und die ausländische Literatur, vgl. Cains, ERPL 2010, 569, 575, 578. 1602
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dung fällte.1605 Da der EuGH seine Rechtfertigung in „Cadbury Schweppes“ aber nicht explizit anhand unterschiedlicher Maßstäbe bei der Beachtung der mitgliedsstaatlichen Interessen an der Bewahrung von Steueraufkommen einerseits und der Konservierung der eigenen gesellschaftsrechtlichen Systematik andererseits herleitet, sondern allgemein aus dem Charakter der Niederlassungsfreiheit, scheint dieser Unterschied nicht zentral; noch unbedeutender mutet die Tatsache an, dass nicht alle Richter jeweils an allen Fallgestaltungen mitwirkten.1606 Gewichtiger erscheint die vom EuGH bereits zuvor gezogene Unterscheidung in Wegzugs- und Zuzugsproblematik zu Buche zu schlagen.1607 Bei „Centros“ und „Inspire Art“ wurde ein liberales Gründungsrecht für die Hauptniederlassung gewählt und sodann eine echte Zweigniederlassung im einem Zweitstaat – dem Zuzuzugsstaat – gegründet, in dem die Gesellschaft aber tatsächlich (sogar ausschließlich) ihre Geschäftstätigkeit entfaltete. In „Cadbury Schweppes“ blieb die Hauptniederlassung jedoch im ursprünglichen Gründungsstaat tätig und entfaltete mit ihrer Zweigniederlassung im neuen Zuzugsstaat nur eine künstliche Betätigung, gegen die England als Gründungsstaat mit einer Beschränkung intervenierte, die gegen seine eigene Gesellschaft gerichtet war. Sofern die Niederlassungsfreiheit allein die wirkliche Betätigung der Gesellschaft im ausländischen Zuzugsstaat schützen möchte, erscheint „Cadbury Schweppes“ auch vor dem Hintergrund von „Centros“ und „Inspire Art“ konsistent.1608 Demnach überholt „Cadbury Schweppes“ die Leitentscheidungen „Centros“ und „Inspire Art“ wohl nicht, so dass weiterhin die Ausnutzung von Rechtsvorteilen bei einer Gesellschaftsgründung innerhalb der Mitgliedsstaaten selbst dann keinen Rechtsmissbrauch beinhaltet, wenn die betreffende Gesellschaft im Gründungsland keine wirtschaftlichen Anstrengungen unternimmt. f) Cartesio und VALE Den wichtigsten Meilenstein der Judikatur des EuGH zur Niederlassungsfreiheit in der jüngeren Zeit bildet das Urteil in der Rechtssache „Cartesio“ – wie 1605
Roth, EuZW 2010, 607, 609 f. Hierzu eingehend Roth, EuZW 2010, 607, 609 f. 1607 Diesen Unterschied gesteht auch Roth, EuZW 2010, 607, 608 f. ein. Ähnlich wie hier: Teichmann, ZGR 2011, 639, 671. 1608 S. hierzu auch Habersack/Verse (2011), § 3, Rn 18, S. 24; Armour/Ringe, CMLR 2011, 125, 138: „The Treaty protects EU nationals’ freedom to establish themselves in other Member states. However, the purpose of the freedom is to foster genuine establishments: Member State restrictions on wholly artificial exercises will not undermine the purpose of the freedom, as Cadbury Schweppes discovered. Centros and Inspire Art, on the other hand, unquestionably had genuine establishments in Denmark and the Netherlands respectively. The extent of their establishment in the UK was irrelevant, because this was their jurisdiction of origin, and the freedom relates to establishment in another Member State.“ 1606
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seinerzeit „Daily Mail“ ein Wegzugsfall.1609 Von der Literatur wurde das Urteil mit Spannung erwartet.1610 Vieles – allen voran der Schlussantrag des Generalanwalts Maduro – schien dafür zu sprechen, dass der EuGH seine großzügige Rechtsprechung zu den Zuzugsfällen künftig auch auf die Wegzugsfälle übertragen würde.1611 Der EuGH entschied jedoch in der großen Kammer überraschend entgegen dem Votum des Generalanwalts und belehrte damit viele Europarechtsexperten eines besseren.1612 Dieser Fall betraf die ungarische Kommanditgesellschaft (Oktató és Szolgáltato betéti társaság) Cartesio, die ihren Verwaltungssitz (unter Beibehaltung ihres Satzungssitzes in Ungarn) nach Italien verlegen wollte.1613 Ein entsprechender Antrag auf Änderung der Sitzangabe beim ungarischen Handelsregister blieb erfolglos. Das ungarische Registergericht argumentierte, dass es nach (damals geltendem) ungarischem Gesellschafts(sach)recht nicht möglich sei, den Verwaltungssitz ins Ausland zu verlegen und zugleich eine ungarische Gesellschaft zu bleiben (Unmöglichkeit der sog. „identitätswahrenden Verwaltungssitzverlegung“).1614 Cartesio klagte unter Bezugnahme auf die EuGH-Entscheidung „Sevic Systems“ vor dem Regionalgericht Szeged gegen diese Entscheidung: Die Gesellschaft brachte vor, dass sich der europäischen Niederlassungsfreiheit in Kombination mit der ratio aus „Sevic Systems“ entnehmen ließe, dass das ungarische Gesellschaftsrecht den eigenen Gesellschaften nicht vorschreiben dürfe, neben ihrem Satzungssitz zugleich ihren Verwaltungs-
1609 EuGH, Urt. v. 16.12.2008, Rs. C-210/06, Slg. 2008 I-9641 – Cartesio. Die nachfolgenden Ausführungen beziehen sich – soweit nicht anders vermerkt – auf diese Rechtssache. 1610 Schulze-Lauda, EuZW 2008, 388; Grohmann/Kuschinske, EuZW 2008, 463; Behme/Nohlen, NZG 2008, 496; Richter, IStR 2008, 719; Korom/Metzinger, ECFR 2009, 125 f., 144 m.w. N. in dortiger Fußnote 56; im EU-Ausland etwa: Bartman, ECL 2008, 172; Pellé, ECL 2008, 284, 287. 1611 Schlussanträge des Generalanwalts Maduro vom 22. Mai 2008, Rs. C-210/06, Slg. 2008 I-9641, Rn 25 ff. – Cartesio. 1612 Vgl. EuGH, Urt. v. 16.12.2008, Rs. C-210/06, Slg. 2008 I-9641 – Cartesio. Überrascht von dieser Entscheidung wurden z. B. Grohmann/Kuschinske, EuZW 2008, 463 f.; Behme/Nohlen, NZG 2008, 496, 498; Richter, IStR 2008, 719, 723; Dammann/ Wynaendts/Nader, Recueil Dalloz 2009, 574; Lecourt, in: Dalloz (Hg.), Répertoire des sociétés, Bd. 3, Stichwort: droit communautaire (Stand: September 2009), Nr. 102, S. 28; Szydlo, ERPL 2008, 973, 992 ff.; Cains, ERPL 2010, 569, 570. 1613 EuGH – Cartesio, wie Fn 1612, Rn 24, 47–49. 1614 Nach damals geltenden ungarischem Gesellschaftsrecht mussten Satzungs- und Hauptverwaltungssitz einer ungarischen Gesellschaft übereinstimmen; nur innerhalb von Ungarn war die gleichzeitige Verlegung des formellen und tatsächlichen Sitzes möglich. Vgl. Gesetz CXLIV/1997 über die Handelsgesellschaften sowie Gesetz CXLV/1997 über das Handelsregister, die Publizität der Unternehmen und das gerichtliche Verfahren in Handelssachen. Alle relevanten Vorschriften sind im EuGH-Urteil, wie Fn 1609, Rn 11 ff., abgedruckt. Einen guten Überblick über das seinerzeit dem Cartesio-Urteil zugrunde liegende ungarische Gesellschaftsrecht im Zusammenspiel mit dem nationalen IPR bieten Korom/Metzinger, ECFR 2009, 125 f., 141 ff.; s. a. Deak, EC Tax Review 2008, 250, 251 f., 256 f.
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sitz im Gründungsstaat Ungarn zu etablieren.1615 Das Regionalgericht Szeged hatte Zweifel über die Auslegung des europäischen Primärrechts in Zusammenschau mit der bisherigen EuGH-Rechtsprechung – es befürchtete, der in „Daily Mail“ ausgesprochene Grundsatz, aus der Niederlassungsfreiheit einer Gesellschaft flösse nicht das Recht, ihre Hauptverwaltung in einen anderen Mitgliedstaat zu verlegen und dabei ihre Rechtspersönlichkeit und ihre ursprüngliche Staatsangehörigkeit zu behalten, könnte von den Folgeurteilen überholt sein.1616 Daher legte das ungarische Gericht dem EuGH (unter anderem) die Frage vor, ob die Niederlassungsfreiheit nationalen Vorschriften entgegenstünde, die eine nach nationalem Recht gegründete Gesellschaft daran hindern, ihren operativen Geschäftssitz in einen anderen Mitgliedstaat zu verlegen.1617 Generalanwalt Maduro hielt eine Abkehr von „Daily Mail“ und damit eine Zustimmung zur Vorlagefrage für angezeigt: Entgegen dem Vorbringen Ungarns und einiger weiterer Mitgliedsstaaten sei „Cartesio“ unzweifelhaft dem Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit zuzuschlagen, denn nationale Vorschriften, die nur eine Verwaltungssitzverlegung innerhalb des betreffenden Mitgliedsstaats vorsähen, behandelten grenzüberschreitende Sachverhalte eindeutig ungünstiger als nationale, wirkten mithin diskrimierend.1618 Zwar hätte der EuGH seinerzeit in der Rechtssache „Daily Mail“ zum Ausdruck gebracht, dass beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts allein die mitgliedsstaatliche Gesellschaftsrechtsordnung über das Bestehen seiner Gesellschaften entscheide und diese jenseits des Mitgliedsstaates keine rechtliche Existenz haben, doch sei der Kern dieser Aussage durch die Urteilssprüche in Sachen „Centros“, „Überseering“, „Inspire Art“, „Sevic“ und nicht zuletzt „Cadbury Schweppes“ überholt und konsequenterweise nicht länger haltbar.1619 Insbesondere letzterer Fall hätte der Gründung von Briefkastengesellschaften ihre Grenzen aufgezeigt. Zudem schließe der Gerichtshof – anders als noch in „Daily Mail“ – keine Rechtsbereiche mehr vom Geltungsbereich der Niederlassungsfreiheit aus, zur Disposition stünden allein die Wirkungen nationaler Regelungen bzw. Praktiken auf die in Rede stehende Grundfreiheit: „Was die nationalen Vorschriften über die Gründung von Gesellschaften betrifft, lässt sich der Gerichtshof von zwei Überlegungen leiten. Erstens steht es den Mitgliedstaaten nach derzeitigem Stand des Gemeinschaftsrechts frei, ob sie ihr Regelungssystem auf die Theorie des tatsächlichen Sitzes oder auf die Gründungstheorie stützen, und tatsächlich haben sich die verschiedenen Mitgliedstaaten für völlig unterschiedliche Gründungsvorschriften entschieden. Zweitens er1615
EuGH – Cartesio, wie Fn 1612, Rn 26. EuGH – Cartesio, wie Fn 1612, Rn 34 ff. 1617 Schlussanträge des Generalanwalts Maduro – Cartesio, wie Fn 1611, Rn 23 und EuGH – Cartesio, wie Fn 1612, Rn 40, 99. 1618 Schlussanträge des Generalanwalts Maduro – Cartesio, wie Fn 1611, Rn 25. 1619 Schlussanträge des Generalanwalts Maduro – Cartesio, wie Fn 1611, Rn 26–30. Nachfolgende Ausführungen betreffen diese Urteilspassagen. 1616
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fordert die wirksame Ausübung der Niederlassungsfreiheit zumindest einen gewissen Grad an gegenseitiger Anerkennung und Koordinierung der unterschiedlichen Regelungssysteme. Diese Herangehensweise führt dazu, dass die Rechtsprechung normalerweise nationale Vorschriften, die sich auf Gesellschaften beziehen, unabhängig davon anerkennt, ob sie auf der Theorie des tatsächlichen Sitzes oder der Gründungstheorie basieren. Gleichzeitig impliziert die wirksame Ausübung der Niederlassungsfreiheit jedoch, dass keine Theorie bis in die letzte Konsequenz angewandt werden kann. Das bislang beste Beispiel hierfür ist vielleicht die Rechtssache Überseering.“ 1620 Abschließend bekräftigte Maduro, dass die Mitgliedsstaaten nicht (mehr) völlig autonom – d.h. ungeachtet möglicher Folgewirkungen auf die Niederlassungsfreiheit – über „Leben und Tod“ der Gesellschaft verfügen könnten.1621 Die grundsätzlich mögliche Rechtfertigung der Beeinträchtigung scheide vorliegend aus, weshalb im Ergebnis nationale Vorschriften, die die Unmöglichkeit der Verlegung des effektiven Sitzes einer nach nationalem Recht gegründeten Gesellschaft bedingen, als Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit zu bewerten seien.1622 Der EuGH tat es Maduro gleich und setzte in der Beurteilung besagter Vorlagefrage an seinen früheren Entscheidungen an: „In (. . .) [,Daily Mail‘] hat der Gerichtshof ausgeführt, dass hinsichtlich dessen, was für die Gründung einer Gesellschaft an Verknüpfung mit dem nationalen Gebiet erforderlich ist, wie hinsichtlich der Möglichkeit einer nach einem nationalen Recht gegründeten Gesellschaft, diese Verknüpfung nachträglich zu ändern, erhebliche Unterschiede im Recht der Mitgliedstaaten bestehen. In einigen Mitgliedstaaten muss nicht nur der satzungsmäßige, sondern auch der wahre Sitz, also die Hauptverwaltung der Gesellschaft, im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats liegen; die Verlegung der Geschäftsleitung aus diesem Gebiet hinaus setzt somit die Liquidierung der Gesellschaft mit allen Folgen voraus, die eine solche Liquidierung auf gesellschaftsrechtlichem Gebiet mit sich bringt. Andere Mitgliedstaaten gestehen den Gesellschaften das Recht zu, ihre Geschäftsleitung ins Ausland zu verlegen, aber einige beschränken dieses Recht; die rechtlichen Folgen der Verlegung sind in 1620
Schlussanträge des Generalanwalts Maduro – Cartesio, wie Fn 1611, Rn 30. Schlussanträge des Generalanwalts Maduro – Cartesio, wie Fn 1611, Rn 31: „Andernfalls würde den Mitgliedstaaten der „Freibrief“ erteilt, nach Belieben die „Todesstrafe“ über eine nach ihrem Recht gegründete Gesellschaft zu verhängen, nur weil diese sich zur Ausübung ihrer Niederlassungsfreiheit entschließt.“ Das wäre gerade für kleine und mittlere Unternehmen fatal, die zwischen der oft zeit- und kostenintensiven Abwicklung der Gesellschaft im Gründungsland und der Neugründung im Zielstaat möglicherweise ihre Geschäfte nicht fortsetzen könnten. 1622 Schlussanträge des Generalanwalts Maduro – Cartesio, wie Fn 1611, Rn 32 ff. Die hier anzutreffende „Negierung der Niederlassungsfreiheit“ könne auch nicht unter dem Gesichtspunkt des Schutzes höherwertiger Interessen verhältnismäßig und damit gerechtfertigt sein. 1621
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jedem Mitgliedstaat anders. Der Gerichtshof hat (. . .) weiter ausgeführt, dass der EWG-Vertrag [nunmehr: AEUV] diesen Unterschieden im nationalen Recht Rechnung trägt. Bei der Definition der Gesellschaften, denen die Niederlassungsfreiheit zugutekommt, (. . .) werden der satzungsmäßige Sitz, die Hauptverwaltung und die Hauptniederlassung einer Gesellschaft als Anknüpfung gleich geachtet.“ 1623 Ergänzend folge aus der Rechtssache „Überseering“, dass Beschränkungen eines Mitgliedstaates hinzunehmen sind, die dieser für den Fall vorsieht, dass eine nach seiner Rechtsordnung gegründete Gesellschaft ihren tatsächlichen Verwaltungssitz aus seinem Hoheitsgebiet verlegt, sofern diese Beschränkungen dazu beitragen, dass jene Gesellschaft die ihr nach dem Recht des Staates zuerkannte Rechtspersönlichkeit beibehalten kann.1624 Dieser Schluss ergebe sich auch aus Art. 48 EG (heute Art. 54 AEUV), welcher im Rahmen der Definition der die Niederlassungsfreiheit genießenden Gesellschaften die Verschiedenheit der mitgliedsstaatlichen Rechtsordnungen insofern respektiert als mehrere denkbare Anknüpfungen gleichwertig nebeneinander stehen und damit die Möglichkeit bzw. Modalitäten der Verlegung von Satzungs- bzw. Verwaltungssitz in einen anderen Mitgliedsstaat ebenfalls nicht von der Niederlassungsfreiheit erfasst sind, sondern gesonderter, bisher nicht zustande gekommener Regelungen bedürfen.1625 Mithin folge: „In Ermangelung einer einheitlichen gemeinschaftsrechtlichen Definition der Gesellschaften, denen die Niederlassungsfreiheit zugutekommt, anhand einer einheitlichen Anknüpfung, nach der sich das auf eine Gesellschaft anwendbare Recht bestimmt, ist die Frage, ob Art. 43 EG [jetzt Art. 49 AEUV] auf eine Gesellschaft anwendbar ist, die sich auf die dort verankerte Niederlassungsfreiheit beruft, ebenso wie im Übrigen die Frage, ob eine natürliche Person ein Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist und sich aus diesem Grund auf diese Freiheit berufen kann, daher gemäß Art. 48 EG [nun Art. 54 AEUV] eine Vorfrage, die beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts nur nach dem geltenden nationalem Recht beantwortet werden kann. Nur wenn die Prüfung ergibt, dass dieser Gesellschaft in Anbetracht der in Art. 48 EG [nun Art. 54 AEUV] genannten Voraussetzungen tatsächlich die Niederlassungsfreiheit zugutekommt, stellt sich die Frage, ob sich die Gesellschaft einer Beschränkung dieser Freiheit im Sinne des Art. 43 EG [jetzt Art. 49 AEUV] gegenübersieht. Ein Mitgliedstaat kann somit sowohl die Anknüpfung bestimmen, die eine Gesellschaft aufweisen muss, um als nach seinem innerstaatlichen Recht gegründet angesehen 1623 EuGH – Cartesio, wie Fn 1612, Rn 105 f. bezugnehmend auf EuGH – Daily Mail, wie Fn 1555, Rn 20 f. [Hinzufügung durch Verf.]. 1624 EuGH – Cartesio, wie Fn 1612, Rn 107 bezugnehmend auf EuGH – Überseering, wie Fn 1566, Rn 70. 1625 EuGH – Cartesio, wie Fn 1612, Rn 105 f. bezugnehmend auf EuGH – Daily Mail, wie Fn 1555, Rn 21–23 und EuGH – Überseering, wie Fn 1566, Rn 69.
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werden [und damit in den Genuss der Niederlassungsfreiheit gelangen] zu können, als auch die Anknüpfung, die für den Erhalt dieser Eigenschaft verlangt wird. Diese Befugnis umfasst die Möglichkeit für diesen Mitgliedstaat, es einer Gesellschaft seines nationalen Rechts nicht zu gestatten, diese Eigenschaft zu behalten, wenn sie sich durch die Verlegung ihres Sitzes in einen anderen Mitgliedstaat dort neu organisieren möchte und damit die Anknüpfung löst, die das nationale Recht des Gründungsmitgliedstaats vorsieht.“ 1626 Entgegen dem Votum Maduros hielt das europäische Gericht die Vorgaben bzw. die hieraus resultierenden Rechtsfolgen des ungarischen Gesellschaftsrechts für unionsrechtskonform. Der EuGH stellte in „Cartesio“ also klar, dass jeder Mitgliedsstaat die Voraussetzungen der Rechtsfähigkeit einer Gesellschaft und die Bedingungen für deren Erhalt selbstständig bestimmt; insbesondere kann er festlegen, dass eine Gesellschaft, die nach „seiner“ Rechtsordnung behandelt werden will, gewisse Bedingungen erfüllen muss, z. B. die Verwaltungssitznahme im Inland – der Streit um exakt diese Befugnis prägte schon das Wesen der Diskussion um die „Staatsangehörigkeit“ der (Aktien-)Gesellschaften im frühen 20. Jahrhundert. Eine nähere Präzisierung und Fortführung der in „Cartesio“ fixierten Grundsätze, den Wegzug einer nach nationalem Recht gegründeten Gesellschaft in einen anderen Mitgliedsstaat mittels des eigenen Gesellschaftssach- bzw. -kollisionsrecht niederlassungsfreiheitsresistent zu behindern, nahm der EuGH im Juli 2012 vor.1627 Bereits im „Cartesio“-Urteil hatte der EuGH obiter dictum festgestellt, dass der Wegzugsstaat dem Umzug seiner Gesellschaft dann keine Steine in den Weg legen dürfe, wenn diese beabsichtigte, sich in eine Rechtsform des Zuzugsstaates umzuwandeln und das Recht des Zuzugsstaates dies erlaube. Diese Äußerungen wurden in der Fachwelt positiv aufgenommen, wenngleich einige Fragen offen blieben – vor allem, ob der Zuzugsstaat die grenzüberschreitende formwechselnde Sitzverlegung grundsätzlich gestatten müsse.1628 In seinem Urteil zu „VALE“, in dem sich eine ehemals italienische Gesellschaft gegen die ihr von den ungarischen Behörden verweigerte Umwandlung in eine Gesellschaft 1626 EuGH – Cartesio, wie Fn 1612, Rn 109 f. [Hinzufügung durch Verf.]; entsprechend bestätigt in EuGH, Urt. v. 29.11.2011, Rs. C-371/10, Slg. 2011 I-12273 – National Grid Indus, Rn 26 f. In der Folge des Cartesio-Urteils (Rn 111–113) ging der EuGH obiter dictum darauf ein, dass der Fall einer grenzüberschreitenden Sitzverlegung unter Änderung des anwendbaren nationalen Rechts von den Aussagen zu „Cartesio“ zu unterscheiden sei. Der Fall der sog. „identitätsändernden (Satzungs-)Sitzverlegung“ müsse im Hinblick auf die Niederlassungsfreiheit anders beurteilt werden. Der Gründungsmitgliedsstaat müsse diese Form des „Umzugs“ nämlich grds. ermöglichen, sofern das Recht des Zuzugsstaat dies gestattet. 1627 EuGH, Urt. v. 12.7.2012, Rs. C-378/10 – VALE (noch nicht in Slg. veröffentlicht, abrufbar unter http://curia.europa.eu/). 1628 Vgl. hierzu u. a. etwa Knop, DZWIZ 2009, 147, 152; Leible/Hoffmann, BB 2009, 58, 60; Mörsdorf, EuZW 2009, 97, 100 ff.; Zimmer/Naendrup, NJW 2009, 545, 547 f.
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ungarischen Rechts unter Berufung auf die Niederlassungsfreiheit stemmte, machte das europäische Gericht einen Verstoß gegen Art. 49, 54 AEUV daran fest, dass das ungarische Recht nur eine Umwandlungsmöglichkeit für inländische Gesellschaften vorsah, hingegen nicht eine solche für ausländische, mitgliedsstaatliche Gesellschaften.1629 Die Pflicht zur Zulassung einer grenzüberschreitenden Umwandlung stelle keinen Übergriff auf die Befugnisse des Aufnahmestaates dar, die Gründung und Funktionsweise von (seinen) Gesellschaften zu regeln – insoweit gelten nämlich die Grundsätze von „Cartesio“.1630 Daher solle der Aufnahmemitgliedsstaat die Umwandlungsregeln für die nationalen Gesellschaften auf Grundlage des Äquivalenz- und des Effektivitätsgrundsatzes regelmäßig gleichermaßen auf Umwandlungsvorgänge anwenden, bei denen eine Gesellschaft eines anderen Mitgliedsstaates beteiligt sei.1631 Da der EuGH (wie bereits in „Cadburry Schweppes“) den Begriff der Niederlassung im Urteil „VALE“ als tatsächliche Ansiedlung im Aufnahmestaat zum Zwecke einer wirklichen wirtschaftlichen Tätigkeit definierte, wurde die Entscheidung „VALE“ teilweise als Abkehr von „Centros“, „Überseering“ und „Inspire Art“ definiert.1632 Dieser Einschätzung kann aber – gemäß der bereits unter „Cadbury Schweppes“ dargelegten Bewertung – wiederum entgegengehalten werden, es sei bis dato nicht widerlegt, dass die Niederlassungsfreiheit in der Auslegung des EuGH lediglich die tatsächliche wirtschaftliche Betätigung im Zuzugsstaat schütze.1633 1629 EuGH, Urt. v. 12.7.2012, Rs. C-378/10 – VALE, Rn 33 ff. Obwohl sich der EuGH mit dieser Bewertung weitgehend an die Schlussanträge des Generalanwalts anlehnte, nahm er dessen Konstrukt der „grenzüberschreitenden Neugründung“ nicht auf, welches Generalanwalt Jääskinen in Rn 34, 69 der entsprechenden Schlussanträge (abrufbar unter http://curia.europa.eu/) gerade konstruiert hatte, weil die Gesellschaft zum maßgeblichen Zeitpunkt ihre Rechtspersönlichkeit aufgrund Löschung aus dem italienischen Handelsregister schon verloren hatte und das ungarische Recht einen solchem Umwandlungsvorgang wie den vorliegenden nicht kenne. Diese Konzeption hatte die deutsche Literatur aber bereits im Vorfeld des Urteils kritisiert, s. (auch zum allgemeinen Überblick über die Rechtssache) Behrens, EuZW 2012, 121, 122 (der die Löschung im italienischen Handelsregister aber ebenfalls als Hindernis der grenzüberschreitenden formwechselnden Umwandlung begriff); anders Thiermann, EuZW 2012, 209, 210 ff. und (bereits im Vorfeld von Jääskinen) Barthel, EWS 2011, 131, 134 f., die die Löschung der Gesellschaft im italienischen Handelsregister nicht als Hürde einer grenzüberschreitenden formwechselnden Sitzverlegung einordneten. 1630 Vgl. EuGH, Urt. v. 12.7.2012, Rs. C-378/10 – VALE, Rn 27–32 bzw. zuvor entsprechend die Schlussanträge von Generalanwalts Jääskinen zu Rs. C-378/10, Rn 64 ff. 1631 EuGH, Urt. v. 12.7.2012, Rs. C-378/10 – VALE, Rn 36, 42 ff. bzw. parallel die Schlussanträge von GA Jääskinen zu Rs. C-378/10, Rn 70–76; s. a. Besprechung von Behme, NZG 2012, 936 ff. 1632 Böttcher/Kraft, NJW 2012, 2701, 2703; Kindler, EuZW 2012, 888, 892. 1633 Kritisch insoweit auch Ege/Klett, DStR 2012, 2442, 2447 f., die betonen, „(. . .) dass in VALE jedenfalls kein ausdrückliches Verbot von Briefkastengründungen enthalten ist“ und sich der EuGH nicht mit der Frage auseinanderzusetzen hatte, „(. . .) ob nach dem Recht eines Mitgliedstaates wirksam gegründete Briefkastenfirmen, die ihre tatsächlichen Erwerbstätigkeiten in einem anderen Mitgliedstaat ausüben, den Tatbestand der Niederlassungsfreiheit erfüllen.“
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3. Bewertung der EuGH-Rechtsprechung unter dem Gesichtspunkt der historischen Entwicklung des „Nationalitätsgedankens“ Die Judikatur des europäischen Gerichtshofs wurde von der Literatur bereits hinlänglich kritisiert. Hauptkritikpunkte waren einerseits die scheinbar künstliche Differenzierung von Zuzugs- und Wegzugsfällen sowie die Unterscheidung von Haupt- und Zweigniederlassung.1634 All diesen Kritikansätzen ist gemeinsam, dass sie ergebnisorientiert auf das Ziel des Gemeinsamen Marktes abstellen und die grenzenlose Freiheit der mitgliedsstaatlichen Gesellschaften im Binnenmarkt gutheißen.1635 Diese Arbeit möchte nicht in den Reigen einer derartigen Betrachtung eintreten, sondern die Urteilspraxis des EuGH im Hinblick auf die Entwicklungsgeschichte des nationalen und internationalen Gesellschaftsrechts bewerten. Betrachtet man die bisherige EuGH-Rechtsprechung unter dem Gesichtspunkt der historischen Entwicklung der verschiedenen Anerkennungstheorien, so ist der einheitliche Nationalitätsgedanke der Gesellschaft beginnend vom französischen Recht Ausgangspunkt. Kennzeichnend für den Nationalitätsbegriff ist die ursprünglich enge Verzahnung der Voraussetzungen des nationalen Sachrechts (materielles Gesellschaftsrecht und Fremdenrecht) und der kollisionsrechtlichen Behandlung von Gesellschaften.1636 Die in den dargestellten Rechtsordnungen übergeordnete Idee, dass allein der Staat die Zuständigkeit haben sollte, eine Gesellschaft zum Leben zu erwecken, die tatsächlich in dessen Hoheitsgebiet ihren effektiven Sitz begründet, wurde universal angewendet. Für das deutsche Recht spiegelt sich diese Verzahnung von internem und internationalem Gesellschaftsrecht darin wieder, dass im nationalen Gesellschaftsrecht – bis zum Inkrafttreten 1634 Vgl. hierzu etwa bereits kritisch die Schlussanträge von Generalanwalt Colomer – Inspire Art, wie Fn 1515, Rn 26, 36 f.; Großerichter, DStR 2003, 159, 164; Ringe, EBLR 2005, 621, 629 ff., 641 f.; Schlussanträge von Generalanwalt Maduro – Cartesio, wie Fn 1612, Rn 28, Zimmer/Naendrup, NJW 2009, 545 f.; wertfrei abstellend auf die Unterscheidung Haupt- und Zweigniederlassung Johnston/Syrpis, EL Rev 2009, 378, 382 ff.; MüKo-BGB/IHGR/Kindler, 5. Aufl. 2010, Rn 132. 1635 S. Armour/Ringe, CMLR 2011, 125, 139 f.: „Yet from a policy point of view, a distinction between restrictions imposed by the home State on exit and those imposed by the host State at entry seems hard to rationalize. Home State restrictions on exit are surely just as much of an impediment to the goals of freedom of establishment – that is, the carrying on of business in other Member States – as are host States restrictions.“ Ähnlich etwa Marek, CMLR 2009, 703, 719. 1636 Aus heutiger Sicht berichtet Staudinger/Großfeld, IntGesR (1998), Rn 11: „Die Verzahnung von materiellrechtlichen und internationalprivatrechtlichen Wertungen kennzeichnet das Internationale Gesellschaftsrecht. (. . .) Die Eigenart des internen Gesellschaftsrechts prägt das Internationale Gesellschaftsrecht, welches die Wertungen aus dem nationalen Bereich in den internationalen fortführt und sie – international verträglich – international absichert.“ S. a. Jacquet/Delebecque/Corneloup (2007), Nr. 278, S. 157: «Il n’y a pas lieu de le regretter, la coïncidence entre la nationalité et la loi applicable correspondant à une situation normale et souhaitable.»
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des MoMiG – die Übereinstimmung von inländischem Satzungssitz und tatsächlichen Verhältnissen (Übereinstimmung des Satzungssitzes mit dem Betrieb, der Geschäftsleitung oder dem Ort der Verwaltung im Inland, wobei der Verwaltungssitz nach zutreffender Ansicht zwingend im Inland belegen sein musste) zwingendes Erfordernis des rechtswirksamen Bestehens einer Kapitalgesellschaft war und zudem im Kollisionsrecht das Gesellschaftsstatut regelmäßig am effektiven Verwaltungssitz angeknüpft wurde: „Eine Gesellschaftsgründung nach deutschem Recht setzt deshalb stets voraus, dass die Gesellschaft in Deutschland ihren effektiven Verwaltungssitz hat (Sitztheorie) (. . .)“.1637 Die nach § 5 II AktG (a. F.) bestehende Wahlmöglichkeit, die den nationalen Gesellschaften einen größeren Spielraum bei der Sitzwahl innerhalb Deutschlands zubilligte, wurde zwar bisweilen internationalprivatrechtlich weiter (Stichwort „eingeschränkte Sitztheorie“) interpretiert, gerade dies entsprach aber nicht dem Leitbild des einheitlichen Nationalitätsbegriffes und wurde in Deutschland – soweit ersichtlich – zurecht nie zur herrschenden Auffassung.1638 Obgleich in der 1637 So Kindler, IPRax 2009, 189, 196. Der Autor unterschied nach alter Rechtslage zwischen ursprünglicher Wahl des Verwaltungssitzes im Ausland und nachträglicher Verlegung des Verwaltungssitzes ins Ausland. Im ersteren Falle könnte deutsches Gesellschaftsrecht schon kollisionsrechtlich keine Anwendung finden. Im zweiten Falle könnten sich zumindest Probleme mit den sachrechtlichen Anforderungen des deutschen Rechts ergeben, sofern Verwaltungs- und Satzungssitz nach § 4a II GmbHG (a. F.) oder § 5 II (a. F.) gekoppelt seien. Noch mutiger sahen Bayer/Schmidt, ZHR 173 (2009), 735, 744 f., unter dem früheren Recht für die spätere Verwaltungssitzverlegung zumindest solange kein Hindernis, wie ein weiterer tatsächlicher Anknüpfungspunkt i. S. d. genannten Vorschriften verblieb, gaben aber zu, dass sich diese Sichtweise erst in neuerer Zeit im Vordringen befand. Das etwas ältere Schrifttum wie z. B. Staudinger/ Großfeld, IntGesR (1998), Rn 608 ff., 617, hielt die Verlegung des Verwaltungssitzes dagegen stets für einen Auflösungsgrund aus Sicht des deutschen Sachrechts, da durch den Wegzug die Vertrauens- und Geschäftsgrundlage der Gesellschaft entfiele, Staudinger/Großfeld, IntGesR (1998), Rn 608 ff., 617 (im Falle der ursprünglichen Wahl des Verwaltungssitz kein anderes Ergebnis: Gesellschaft schon gar nicht wirksam gegründet, vgl. Rn 86, 93). Nach Brändel, in: Großkomm AktG, 4. Aufl. (2004), Bd. 1, § 5 (Stand 1.3.1992), Rn 4, sei der nach § 5 AktG (a. F.) bestimmte Sitz maßgeblich für die Staatsangehörigkeit der Gesellschaft, welche wiederum die Rechtsordnung bestimme, die auf alle Fragen der juristischen Person anwendbar sei. Aus der Maßgeblichkeit des Gesellschaftssitzes für das Personalstatut folge wiederum, dass das AktG nur für diejenigen Gesellschaften gelte, die ihren Hauptsitz in seinem Geltungsbereich hätten; ähnlich Kraft, in: Kölner Kommentar zum AktG, 2. Aufl. (1988), § 5, Rn 3, 8, 35, 41. 1638 Für § 4a GmbHG i. d. F. vor dem MoMiG, welcher parallel zu § 5 AktG (a. F.) gefasst war, hatte der BGH noch 2008 judiziert, dass satzungsmäßiger und tatsächlicher Sitz übereinstimmen müssen, vgl. bereits die Nachweise in Fn 1545. Eine an Sinn und Zweck orientierte Auslegung dieses Inlandssachverhaltes spricht unter §§ 4a GmbHG, 5 AktG in der Fassung vor dem MoMiG erst recht für eine analoge Behandlung von Fällen, in denen eine nach deutschem Recht gegründete Gesellschaft ihren tatsächlichen Sitz im Ausland begründet bzw. später dorthin verlegt (und das deutsche Gesellschaftsrecht anwendbar bleibt, weil der Verwaltungssitzstaat der Gründungstheorie folgt). Diese Interpretation entspricht auch der Sichtweise bedeutender Literaturstimmen, s. bereits die Nachweise in Fn 1391. Zur eingeschränkten Sitztheorie vgl. Kraft, in: Köl-
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B. Umgang mit fremden Gesellschaften aus rechtshistorischer Perspektive
modernen Zeit die scharfe Trennung zwischen Sach- und Kollisionsrecht gepriesen wird, ist demnach der enge Sinnzusammenhang bis heute nicht zu leugnen.1639 Dem EuGH wurde nun die schwierige Aufgabe zu teil, die beschriebene Eigenart beider mitgliedsstaatlicher Rechtsmaterien einerseits zu respektieren, andererseits die Ausübung der primärrechtlich garantierten Niederlassungsfreiheit europäischer Gesellschaften zu gewährleisten. Dieser Spagat ist ihm – wie insbesondere „Cartesio“ veranschaulicht – gut gelungen. Denn der Gerichtshof hat seinem Diktum die historisch gewachsene Aussage zu Grunde gelegt, dass jeder Staat selbst über seine eigene Staatsangehörigen entscheidet: Das Bestehen der Gesellschaft nach einer gegebenen mitgliedsstaatlichen Rechtsordnung und damit die Nationalität im engeren Sinne wird allein durch die Vorgaben des nationalen materiellen Gesellschaftsrechts entschieden – hier wird seitens des EuGH nicht der formelle Sitz gegenüber dem substantiellen Sitz vorgezogen. Der Europäische Gerichtshof achtet folglich die mitgliedsstaatliche Verleihungsmacht der Rechtsfähigkeit nach dessen eigenen Voraussetzungen und damit konsequenterweise auch die mitgliedsstaatlichen Anforderungen des „Behaltendürfens“ dieser Eigenschaft, wie etwa den permanenten Verwaltungssitz im Gründungsland.1640 Die Ausgestaltung des materiellen Gesellschaftsrechts – die sachrechtliche Ebene – wird zurecht nicht angetastet, sofern die Existenz der Gesellschaft selbst in Frage steht; letztere ist nach den Worten des Gerichts bloße „Vorfrage“ für den Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit. Hiervon zu unterscheiden sind die kollisionsrechtliche Fragestellung der Anwendung der „richtigen Rechtsordnung“ auf einen Sachverhalt mit Auslandbeziehung und die mit der Anwendung einer bestimmten internationalgesellschaftsrechtlichen Theorie verknüpften sachrechtlichen Folgen: Im Hinblick auf die kolner Kommentar zum AktG, 2. Aufl. (1988), § 5, Rn 41 sowie bereits Gliederungspunkt B. II. 2. b) bb) (3) (b) m.w. N. 1639 Dass dies nicht nur für die betrachteten Rechtsordnungen gilt, zeigt auch folgende Aussage aus der italienischen Literatur von Petronella, EBLR 2010, 245, 257: „Occasionally, national company law can also contain provisions which define its own scope of applicabilty. They can be called „self-contained“ rules, and operate in a unilateral way, differently from the bilaterally-operating conflict of law rules. These provisions define which companies are to be regulated by the national company law, by setting which factor constitutes the nationality-bond between the State and the company. The nationality of the company, then, appears as a two folder notion, which, apart from indicating which national law should regulate the company, calls to mind the belonging to a political community, likewise citizenship for national persons. Although these rules differ from the conflict of law rules, they should be consistent with them. Otherwise, conflict of law rules may have different consequences depending on which companies – foreign or national – they are applied to.“ (Hervorhebung des Verf.). 1640 Die Tatsache, dass auch die Anforderungen des Behaltendürfens der Eigenschaft als nationale Gesellschaft allein dem betreffenden Mitgliedsstaat obliegen muss, erläutert Teichmann, ZIP 2009, 393, 400; a. A. Knop, DZWIR 2009, 147, 150.
III. Europäischer Einfluss und Implikationen
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lisionsrechtliche Behandlung von Gesellschaften in den einzelnen Mitgliedsstaaten hat der Gerichtshof ebenfalls nie explizit ausgesprochen, dass die Sitztheorie der Niederlassungsfreiheit widerspreche. Im Ergebnis seiner Rechtsprechung zu den sog. „Zuzugsfällen“ hat sich aber freilich erwiesen, dass die praktischen (dem Sachrecht zu entnehmenden) Auswirkungen der ursprünglichen bzw. modifizierten Sitztheorie die freie Niederlassung häufig behindern (vgl. „Überseering“). Daher ist es in der Konsequenz zutreffend, dass die überwiegende deutsche Literatur vom notwendigen und daher vollzogenen Übergang zur europarechtlichen Gründungstheorie1641 zumindest für die Fälle spricht, in welchen eine im Ursprungsstaat wirksam bestehende europäische Gesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat von ihrer Grundfreiheit Gebrauch macht. Letztlich spielt es aber keine Rolle, ob die beschränkenden Wirkungen für die Niederlassungsfreiheit einer aus einer anderen Mitgliedsstaatsrechtsordnung stammenden Gesellschaft Reflex der Anwendung einer kollisionsrechtlichen Theorie sind oder – wie bei „Inspire Art“ – in Gestalt des Fremdenrechts begegnen. Aus diesem Grund verbietet die europäische Niederlassungsfreiheit jegliche (nicht zu rechtfertigende) Beschränkungen des Zuzugs – gleich welcher Rechtsmaterie diese im Einzelnen zuzuordnen sind. Der EuGH akzeptiert somit die Bedingung „Verwaltungssitz im Inland“ des nationalen Gesellschaftsrechts vollends und versucht die Eigenheiten des einzelstaatlichen internationalen Gesellschaftsrechts soweit zu gestatten, wie sie die Ansiedlung von mitgliedsstaatlichen Gesellschaften nicht behindern, welche durch das Auseinanderfallen von Satzungs- und Verwaltungssitz im Ursprungsstaat nicht bereits aus dessen Sicht ihre Existenzberechtigung verloren haben.1642 Die Tatsache, dass man auch heute nur schwer zwischen den de facto ineinander verschränkten Ebenen des Sach- und des Kollisionsrechts bezüglich Gesellschaften unterscheiden kann, zeigen nicht zuletzt auch die Aussagen von Maduro und dem EuGH in Sachen „Cartesio“ mitsamt ihren verschiedenen Interpretationen und Bewertungen der Literatur: Maduro setzt die Begriffe der Sitz- und der Gründungstheorie mit den bestehenden Anforderungen des nationalen Gesellschaftsrechts an eigene Gesellschaften gleich, obwohl streng genommen die Begrifflichkeit des internationalen Privatrechts hierfür nicht passt.1643 Auch der 1641
Vgl. genauer Teichmann, ZGR 2011, 639, 676 ff.; s. a. Kußmaul, ECL 2009, 246,
250. 1642 Demgegenüber bemüht sich der EuGH energisch darum, den Fortbestand der Rechtspersönlichkeit einer mitgliedsstaatlichen Gesellschaft im Geiste der Niederlassungsfreiheit dann zu gewährleisten, sofern die Gesellschaft nach ihrem „Umzug“ in einen anderen Mitgliedsstaat nicht mehr als nationale Gesellschaft des Gründungsstaats sondern als solche des Zuzugsstaats weiter existieren möchte, vgl. bereits EuGH – Cartesio, wie Fn 1612, Rn 111–113 und die Forführung dieser Grundsätze in der Rechtssache „VALE“, EuGH, Urt. v. 12.7.2012, Rs. C-378/10 – VALE. 1643 Vgl. Generalanwalt Maduro, wie Fn 1620. Dies tadeln etwa Korom/Metzinger, ECFR 2009, 125, 145 f. Zu beachten ist, dass die frühere ungarische Rechtsordnung
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B. Umgang mit fremden Gesellschaften aus rechtshistorischer Perspektive
EuGH spricht in seinem Urteil von der „Wahl der Anknüpfung“ für die wirksame Gründung nach mitgliedsstaatlichem Gesellschaftsrecht.1644 Die Literatur plagt sich entsprechend vielfach mit der Frage herum, ob die Aussagen des EuGH zu „Cartesio“ sach- oder kollisionsrechtlich aufzufassen seien.1645 Nach der bisherigen Darstellung müssen die Aussagen universal gelten (Gleichachtung des Verwaltungssitzes als Anknüpfungspunkt im Kollisionsrecht und als materiellrechtliche Existenzbedingung im Sachrecht),1646 doch ist insbesondere in Zuzugsfällen darauf zu achten, dass die Anwendung der Sitztheorie nicht ungerechtfertigt gegen die europäische Niederlassungsfreiheit verstößt.1647 Für die deutsche Rechtsordnung gesprochen lässt die Rechtsprechung des EuGH bis zum Urteil „Cartesio“ demnach in den dargestellten Grenzen zum einen zu, dass das Gesellschaftskollisionsrecht zur Anwendung deutschen Sachrechts führt, sofern eine Gesellschaft ihren Verwaltungssitz im Inland hat (Sitztheorie) und zum anderen,
sinnwidrig gerade keinen Gleichlauf der „Anknüpfung“ von nationalem (Verwaltungsund Satzungssitz in Ungarn) und internationalem Gesellschaftsrecht (grds. Gründungstheorie) vorsah. Mithin konnte eine nach ungarischen Recht gegründete Gesellschaft zwar ihren Verwaltungssitz in einen anderen Mitgliedsstaat verlegen, ohne dass sich das ungarische Gesellschaftsstatut änderte, sie verstieß dann aber gegen die Voraussetzungen des ungarischen Sachrechts. Der Fall Cartesio betrifft also in erster Linie das materielle ungarische Gesellschaftsrecht und ist unabhängig davon, welcher Theorie kollisionsrechtlich gefolgt wird. Die Vermengung beider Rechtsmaterien durch Maduro zeigt aber wiederum, dass Sachrecht und Kollisionsrecht aufeinander abgestimmt sein sollten. 1644 EuGH – Cartesio, wie Fn 1612, Rn 106, 110. Nach Korom/Metzinger, ECFR 2009, 125, 151, dort Fn 82, müsse man von einer materiell-rechtlichen Bedingung der rechtlichen Existenz einer Gesellschaft sprechen und nicht von Anknüpfung als einem kollisionsrechtlichen Begriff zur Bestimmung des auf eine Gesellschaft anwendbaren Rechts. 1645 Primär auf die sachrechtliche Bedeutung abstellend: Zimmer/Naendrup, NJW 2009, 545, 547 f.; die kollisionsrechtliche Bedeutung betonend etwa Timmermans, ERPL 2010, 549, 552 ff.; Leible, in: Michalski, GmbHG, 2. Aufl. 2010, Systematische Darstellung 2, Internationales Gesellschaftsrecht, Rn 40; Lutter/Bayer/J. Schmidt (2012), § 6, Rn 41. 1646 So auch Kindler, NZG 2009, 130 f.; ders., IPrax 2009, 189, 190 f.; ders., in: MüKo-BGB/IHGR, 5. Aufl. 2010, Rn 131 („Kollisionsrechtsneutralität des AEUV“); MüKo-AktG/EU-Niederlassungsfreiheit/Altmeppen/Ego, 3. Aufl. 2012, Rn 53; s. a. Mörsdorf, EuZW 2009, 97, 101; Roth (2010), S. 16 f., 25; Grundmann (2011), § 22, Rn 789, S. 468 f. 1647 So verstößt nach e.A. etwa die im belgischen IPR von 2004 bestehende Regelung zur Sitztheorie nicht gegen die europäische Niederlassungsfreiheit, weil ihre sachrechtlichen Folgen nicht als Beschränkung der Niederlassungsfreiheit aufzufassen sind. Das belgische IPR lässt in Art. 112 die grenzüberschreitende Verwaltungssitzverlegung ohne Verlust der Rechtspersönlichkeit grds. zu; vgl. hierzu auch Kußmaul, ECL 2009, 246, 256; Veestraeten, Status Recht 2008, 69 f.; a. A. Wagner/Timm, IPrax 2008, 81, 84. Zu beachten ist auch, dass das belgische IPR-Gesetz in Art. 2 etwaigen Staatsverträgen und dem Europäischen Recht den Vorrang einräumt, s. hierzu Veestraeten, Status Recht 2008, 69 f.; (kritischer) Kieninger, RabelsZ 73 (2009), 607, 611. Dieser Vorbehalt des belgischen Gesetzes wirkt jedoch rein deklaratorisch.
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dass der Verwaltungssitz in Inland zugleich Voraussetzung der Existenz einer deutschen Gesellschaft nach nationalem Sachrecht sein kann. Diesen Wertungen steht auch das erst jüngst ergangene Urteil des EuGH in der Rechtssache „National Grid Indus“ nicht entgegen.1648 Im Gegenteil hat hier der EuGH seine Rechtsprechung in Sachen „Wegzugsfälle“ noch weiter konkretisiert, indem er zwischen bloß steuerrechtlichen und gesellschafts(kollisions)rechtlichen Wegzugshindernissen differenzierte. Während erstere in Abweichung zu „Daily Mail“ künftig grundsätzlich an der Niederlassungsfreiheit zu messen sind, liegen die Anforderungen des nationalen Sach- und Kollisionsrecht für Gesellschaften entsprechend „Cartesio“ als Vorfrage der Niederlassungsfreiheit (in Wegzugsfällen) in der Hand der Mitgliedsstaaten.1649
4. Europäischer Einfluss auf die deutsche Gesellschafts(kollisions)rechtsgesetzgebung Im Dunstkreis um die damals noch schwebende Rechtssache „Cartesio“ hat der deutsche Gesetzgeber zum einen Änderungen im materiellen nationalen Gesellschaftsrecht in Gestalt des sogenannten MoMiG erlassen.1650 Desweiteren hat das Bundesjustizministerium im Jahre 2008 einen Referentenentwurf zur Regelung des internationalen Gesellschaftsrechts auf den Weg gebracht.1651 Beides soll nachfolgend einer kritischen Analyse unterzogen werden. a) Referentenentwurf zum internationalen Gesellschaftsrecht von 2008 Der Gesetzesentwurf zum internationalen Gesellschaftsrecht (nachfolgend: Referentenentwurf) sah einen bedingungslosen Übergang des deutschen Gesell1648 EuGH-Urteil, Fundstelle wie Fn 1626. „National Grid Indus“ beantwortete damit die nach dem zum Wegzug einer natürlichen Person gefällten Urteil „Lasteyrie du Saillant“ (EuGH, Slg. 2004, I-2431 – Hughes des Lasteyrie du Saillant) aufgekommene Frage, ob steuerrechtliche bzw. gesellschaftsrechtliche Wegzugsbeschränkungen – abweichend von Daily Mail – auch für juristische Personen an der Niederlassungsfreiheit zu messen sind. (Zum Überblick vgl. etwa Braun (2010), S. 133 ff.). 1649 In „Daily Mail“ wurden die Wegzugshindernisse verschiedener Rechtsgebiete noch vermengt, wodurch der Eindruck entstand, auch steuerrechtliche Hindernisse könnten grds. keinen Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit darstellen. Vgl. hierzu näher Mörsdorf, EuZW 2012, 296 ff. (kritisch insbes. zu den steuerrechtlichen Implikationen); Schall/Barth, NZG 2012, 414 ff. (kritisch auch zur Niederlassungsfreiheitresistenz der Sitzanknüpfung im Wegzugsfall). Schall/Barth setzen ihre Kritik an der Gegenüberstellung des Wegzugs natürlicher und juristischer Personen an – ein Vergleich, der von jeher Knackpunkt der rechtlichen Behandlung der Aktiengesellschaft war. 1650 Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG), abgedruckt in BGBl. I 2008, S. 2026 ff. 1651 „Gesetz zum Internationalen Privatrecht der Gesellschaften, Vereine und juristischen Personen“, abrufbar unter http://gesetzgebung.beck.de, basierend auf dem Vorschlag des Deutschen Rats für IPR zur Regelung des Internationalen Gesellschaftsrechts, vgl. Sonnenberger (Hg.) (2007), S. 7 ff.
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schaftskollisionsrechts zur Gründungstheorie vor. Unabhängig davon, ob es sich um Gesellschaften handelte, die in den Genuss der europarechtlichen Niederlassungsfreiheit kommen oder um Gesellschaften aus Drittländern, um Zuzugs- oder Wegzugskonstellationen des Verwaltungssitzes – stets sollte hiernach das auf eine Gesellschaft anwendbare Recht (im Sinne einer Sachnormverweisung) nach der Rechtsordnung beurteilt werden, welcher sich die Gesellschaft bei ihrer Konstituierung unterworfen hatte.1652 Die Begründung zum Gesetzesentwurf stellte die Rechtsprechung des EuGH in Sachen „Überseering“ und „Inspire Art“ als Hauptgrund des vorgeschlagenen Übergangs zur Gründungstheorie heraus: „Die Anknüpfung an das Gründungsrecht ist letztlich nichts anderes als Ausdruck dieser durch die Rechtsprechung des EuGH weiter konkretisierten Niederlassungsfreiheit. Kommt auf Gesellschaften, Vereine oder juristische Personen des Privatrechts durchgehend das Gründungsrecht zur Anwendung, bedeutet dies, dass sie ihre tatsächliche Tätigkeit in einem anderen Staat ausüben und dort eine (Haupt-)Niederlassung betreiben können, ohne dass sich ihr jeweiliges Gesellschaftsstatut ändert und ohne dass das Recht am Ort ihrer Niederlassung ihnen zusätzliche Anforderungen an ihre gesellschaftsrechtliche Organisation auferlegen kann.“ 1653 Eine Ausweitung der Gründungstheorie auch gegenüber Drittstaaten erscheine zweckmäßig, da diese zum Teil staatsvertraglich ohnehin schon gelte und möglichen Problemen für den Rechtsverkehr darüber hinaus mit einer ergänzend geplanten Vertrauensschutzregel bzw. den allgemeinen Grundsätzen des ordre public begegnet werden könnte.1654 1652 Art. 10 des Entwurfs zur Neufassung des EGBGB über Gesellschaften, Vereine und juristische Personen besagte: (1) Gesellschaften, Vereine und juristische Personen des Privatrechts unterliegen dem Recht des Staates, in dem sie in ein öffentliches Register eingetragen sind. Sind sie nicht oder noch nicht in ein öffentliches Register eingetragen, unterliegen sie dem Recht des Staates, nach dem sie organisiert sind. (2) Das nach Absatz 1 anzuwendende Recht ist insbesondere maßgebend für 1. die Rechtsnatur und die Rechts- und Handlungsfähigkeit, 2. die Gründung und die Auflösung, 3. den Namen und die Firma, 4. die Organisations- sowie die Finanzverfassung, 5. die Vertretungsmacht der Organe, 6. den Erwerb und den Verlust der Mitgliedschaft und die mit dieser verbundenen Rechte und Pflichten, 7. die Haftung der Gesellschaft, des Vereins oder der juristischen Person sowie die Haftung ihrer Mitglieder und Organmitglieder für Verbindlichkeiten der Gesellschaft, des Vereins oder der juristischen Person, 8. die Haftung wegen der Verletzung gesellschaftsrechtlicher Pflichten. 1653 Begründung B. I., Fundstelle wie Fn 1651. 1654 Begründung B. I., Fundstelle wie Fn 1651. Die in Art. 12 II des Entwurfes geplante Vertrauensschutzvorschrift soll den bisherigen Art. 12 EGBGB erweitern und schützt beim Vertragsschluss im Inland das Vertrauen der inländischen Vertragspartner in die Rechts- und Handlungsfähigkeit der Organisationen bzw. der Vertretungsmacht
III. Europäischer Einfluss und Implikationen
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Der Entwurf orientierte sich, was die Reichweite des Gesellschaftsstatuts und die Vertrauensschutzregelung (§ 12 II des Entwurfs) angeht, am belgischen internationalen Privatrecht von 2004.1655 Da dieses im Grundsatz weiterhin der Sitztheorie folgt, wird der Eindruck vermittelt, dass der belgische Gesetzgeber Vertrauensschutzregeln bzw. die allgemeinen Grundsätze des ordre public nicht per se als ausreichenden Ersatz für die Sitztheorie hält, sondern nur als flankierende Schutzmaßnahmen. Schließlich sorgt die Sitztheorie regelmäßig dafür, dass die durch die Geschäftstätigkeit am meisten betroffene Rechtsordnung zur Geltung gelangt. Ohne dies explizit auszusprechen, scheinen die Referenten des deutschen Entwurfs hingegen wesentlich von der Überzeugung getragen, dass der Zweck der Sitztheorie – Schutz des Marktes und der Gläubiger, die von der Gesellschaftstätigkeit am meisten betroffen sind, vor Missbrauch – vor allem mit den Instrumenten des einschlägigen nationalen Gesellschaftsrechts bzw. des deutschen Deliktsrechts zu verwirklichen sei.1656 Dafür spricht, dass Verantwortliche des Bundesjustizministeriums den vorgeschlagenen einheitlichen Übergang zur Gründungstheorie damit rechtfertigten, dass die liberale Rechtsprechung des
ihrer Organe/Organmitglieder. Zudem können sich nach Artikel 12 III des Entwurfes gutgläubige Dritte gegenüber einer Gesellschaft, die nach einem anderen Recht als dem nach Art. 10 des Entwurfes anwendbaren Rechts auftritt, auf dieses andere Recht berufen. 1655 Vgl. den Wortlaut von Art. 111 des belgischen IPR-Gesetz von 2004, wie Fn 1057: Art. 111. § 1er. Le droit applicable à la personne morale détermine notamment: 1 ë l’existence et la nature juridique de la personne morale; 2 ë le nom ou la raison sociale; 3 ë la constitution, la dissolution et la liquidation; 4 ë la capacité de la personne morale; 5 ë la composition, les pouvoirs et le fonctionnement de ses organes; 6 ë les rapports internes entre associés ou membres ainsi que les rapports entre la personne morale et les associés ou membres; 7 ë l’acquisition et la perte de la qualité d’associé ou de membre; 8 ë les droits et obligations liés aux parts ou actions et leur exercice; 9 ë la responsabilité pour violation du droit des sociétés ou des statuts; 10 ë dans quelle mesure la personne morale est tenue à l’égard de tiers des dettes contractées par ses organes. § 2. Toutefois, la personne morale ne peut invoquer une incapacité fondée sur des restrictions du pouvoir de représentation en vertu du droit applicable, à l’encontre d’une partie, si cette incapacité est inconnue du droit de l’Etat sur le territoire duquel l’acte a été passé par cette partie et si celle-ci n’a pas connu et n’a pas dû connaître cette incapacité à ce moment. 1656 Neben der deliktsrechtlichen Qualifikation spielt auch die Frage der insolvenzrechtlichen Anknüpfung eine wichtige Rolle. Hierzu (speziell in Bezug auf eine Limited mit Verwaltungssitz in Deutschland) ausführlich Servatius, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 1. Aufl. 2011, IntGesR, Rn 112 ff., 183 ff.; s. a. Hirte, in: Hirte/Bücker (2006), § 1, Rn 67 ff., Forsthoff/Schulz, in: Hirte/Bücker (2006), § 15, Rn 30 ff., weitergehend Altmeppen/Wilhelm, DB 2004, 1083, 1084 ff.; s. a. allgemein Roth (2010), S. 44–46; Wagner, IPrax 2008, 1, 2 gegen Servatius, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 1. Aufl. 2011, IntGesR, Rn 29.
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EuGH zu den Zuzugsfällen innerhalb der Union nicht dazu geführt hätte, dass Gesellschaftsformen aus Mitgliedsstaaten mit vergleichsweise geringen Gründungshürden wie die englische Limited großen (volkswirtschaftlichen) Schaden angerichtet hätten.1657 Hierauf ist zu erwidern, dass der Vergleich nationaler Gesellschaftsrechte innerhalb Europas im Gegensatz zum Vergleich europäischer nationaler Gesellschaftsrechte mit jenen von Drittstaaten hinkt, denn aufgrund der Harmonisierung der mitgliedsstaatlichen Gesellschaftsrechte besteht ein viel geringeres Regelungsgefälle was die Gründungsanforderungen und Schutzinteressen der europäischen Gesellschaftsrechte anbetrifft.1658 Zudem sind die Schutzinstrumente des ausländischen Gesellschaftsrechts nur bedingt hilfreich – insbesondere behüten sie nicht vor der (unmissbräuchlichen) Ausnutzung laxer Regelungen – und ist heute umgekehrt höchst strittig, welche nationalen Regelungen zum Gläubigerschutz im Einzelfall anwendbar sind.1659 Letztgenannte Gründe sind im Ergebnis ausschlaggebend dafür, dass der Entwurf in der Fachwelt kritisiert wurde. In der Folge dieser Beanstandungen wird ein entsprechendes Gesetzgebungsverfahren zwar vorläufig von der Bundesregierung nicht weiter verfolgt.1660 Dies ist aber wohl nicht in erster Linie dem politischen Widerstand der Gegner des Entwurfs geschuldet, sondern dem Urteilsspruch des EuGH in der Rechtssache „Cartesio“. Hätte sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergeben, dass die sach- bzw. kollisionsrechtliche Anknüpfung an den Verwaltungssitz auch im Wegzugsfall der europäischen Niederlassungsfreiheit widerspräche, so hätte sich der Gesetzgebungsentwurf leichter durchsetzen lassen können, denn zumindest innerhalb der EU wäre die generelle Gründungsanknüpfung nach überwiegender Auffassung wohl besiegelt gewesen. Der überraschende Tenor von „Cartesio“ hat aber die hauptsächliche Begründung des Gesetzentwurfs – die zwingende Anpassung des Gesellschaftskolli1657
Wagner/Timm, IPrax 2008, 81, 85; s. a. Hoffmann, ZIP 2007, 1581, 1589. So auch Roth, FS Westermann (2008), S. 1345, 1352: „Das ist kollisionsrechtlicher Purismus ohne den Blick für das materielle Gefährdungspotential.“; ders., Vorgaben (2010), 42 f.; Kindler, in Sonnenberger (Hg.) (2007), 389, 390; Hüffer, Aktiengesetz, 10. Aufl. 2012, § 1, Rn 32, a. A. etwa Hoffmann, ZIP 2007, 1581, 1587. 1659 Hierzu allgemein Roth, FS Westermann (2008), 1345, 1348 f. S. beispielhaft zu den Problemen der Anwendbarkeit und Anwendung des englischen (Gesellschafts-) Rechts einerseits und der Anwendbarkeit des deutschen Rechts andererseits nur Servatius, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 1. Aufl. 2011, IntGesR, Rn 112 ff., 159 ff., 172 ff., 177 ff., 180, 181 f., 183 ff., 191 ff., 194, 195, 201 f., 205, 210, 212, 219 f. 1660 Neben den geschilderten Bedenken in Bezug auf ein Schutzdefizit gegenüber Gesellschaften aus Drittstaaten (vgl. Fn 1658; s. a. Stellungnahme des Deutschen Industrie- u. Handelskammertag http://www.dihk.de/themenfelder/recht-steuern/eu-interna tionales-recht/internationales-recht/positionen/internationales-gesellschaftsrecht, letzter Abruf: 2.5.14) stießen vor allem die Problematik einer möglichen Flucht aus der unternehmerischen Mitbestimmung und die Furcht vor Wettbewerbsnachteilen aufgrund der gesellschaftsrechtlichen Qualifikation des Firmenrechts auf offene Ohren, vgl. Däubler/ Heuschmid, NZG 2009, 493 ff.; Clausnitzer, DNotZ 2008, 484 ff.; ders., NZG 2008, 321 ff. 1658
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sionsrechts an die Rechtsprechung des EuGH – entwertet. Wieso also gänzlich zur Gründungstheorie übergehen, wenn ein solcher Paradigmenwechsel schon nicht in allen europarechtlichen Sachverhaltskonstellationen vom AEUV geboten ist? Der Übergang hätte einen unnötigen Bruch mit der traditionellen Sitzanknüpfung im Gesellschaftskollisionsrecht bedeutet, von dem in erster Linie „fremde“ Gesellschaften profitiert hätten, die unter dem sach- bzw. kollisionsrechtlichen Regime der Gründungsanknüpfung entstanden sind. Eindringlich hatte Roth in dieser Hinsicht bereits gemahnt: „Warum aber muss sich dann gerade Deutschland zum Sachwalter und Fürsprecher dieser Interessen aufschwingen? In kollisionsrechtlicher Hinsicht ist unsere traditionelle Sitztheorie doch kein historischer Sündenfall, von dem wir uns vorauseilend distanzieren oder für den wir rechtspolitische Wiedergutmachung leisten müssten; und aus der Sicht des deutschen Gesellschaftsrechts erscheint es eher kontraproduktiv, dass wir als die vom „Ausflaggen“ in die limited company hauptsächlich Betroffenen unseren Unternehmen, die mit diesem Gedanken spielen, auch noch die Rechtssicherheit hierfür nachliefern.“ 1661 Der Übergang zur Gründungstheorie würde grundsätzlich weltweit Briefkastengesellschaften begünstigen, die den tatsächlichen Tätigkeitsschwerpunkt nicht in ihrem Gründungsland nehmen, aber vom „günstigeren“ Gesellschaftsrecht des Gründungsrechts profitieren möchten. Die Bekämpfung eben dieses Missbrauchspotentials war von jeher das Ziel der Sitztheorie und dieses Ziel hat (vor allem jenseits der Grenzen des Gemeinsamen Marktes und entsprechender der Gründungstheorie folgender Staatsverträge) auch heute nichts von seiner Berechtigung verloren, denn Publizität allein gewährt den von der Geschäftstätigkeit einer Gesellschaft Betroffenen häufig nicht den nötigen Schutz. Es ist folglich sowohl aus dem historischen als auch rechtspolitischen Blickwinkel zu begrüßen, dass der deutsche Gesetzgeber bislang – soweit europarechtlich zulässig – an der Sitztheorie festhält.1662 b) Der Weg des MoMiG Demgegenüber hat sich infolge des MoMiG seit Ende des Jahres 2008 im Sachrecht das Erfordernis des deutschen Verwaltungssitzes einer nach deutschem Recht gegründeten Kapitalgesellschaft explizit verabschiedet.1663 In der neuen Fassung lautet § 5 AktG nunmehr: 1661
Roth, FS Westermann (2008), S. 1345, 1350; ders. (2010), S. 42 f., 52. Die von den Befürwortern des generellen Übergangs zur Gründungstheorie geäußerten Bedenken im Hinblick auf eine drohende „Überkomplexität“ des Gesellschaftskollisionsrechts halten sich in Grenzen, vgl. nur MüKo-BGB/IHGR/Kindler, 5. Aufl. 2010, Rn 367. 1663 Das Bestehen dieses Erfordernis war angesichts des Wortlautes von § 5 II AktG (a. F.) und § 4a II GmbHG (a. F.) in der Literatur jedoch strittig, s. o. Gliederungspunkt B. II. 2. b) bb) (3) (b). 1662
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Sitz der Gesellschaft ist der Ort im Inland, den die Satzung bestimmt.1664 Ausweislich der Regierungsbegründung soll es mithilfe der neuen Vorschrift „(. . .) deutschen Gesellschaften ermöglicht werden, einen Verwaltungssitz zu wählen, der nicht notwendig mit dem Satzungssitz übereinstimmt.“ 1665 Dies bezeugt, dass selbst der Gesetzgeber unter der Rechtslage vor dem MoMiG im Verwaltungssitz einer deutschen Aktiengesellschaft im Inland ein zwingendes materiell-rechtliches Erfordernis des deutschen Gesellschaftsrechts erblickte. aa) Ziel der inhaltlichen Reform mit Blick auf die Niederlassungsfreiheit Nach den bisherigen Ergebnissen widerspricht die revidierte Fassung von § 5 AktG zum Sitz der Aktiengesellschaft damit der historischen Entwicklung des nationalen Gesellschaftsrechts, weil die Bedingung eines Verwaltungssitzes im Inland stets als (ungeschriebene) Voraussetzung für die wirksame Gründung einer nach nationalem Recht gebildeten Aktiengesellschaft anzusehen war.1666 Angezweifelt wurde dies im Rahmen der kollisionsrechtlichen Beurteilung erst spät im 20. Jahrhundert durch die Vertreter der eingeschränkten Sitztheorie,1667 welche sich allerdings von Zweckmäßigkeitserwägungen für eigene Gesellschaften und nicht von der Entwicklung der Sitztheorie an sich leiten ließen. Im eingeschränkten Maße trifft dies auch für diejenigen Autoren zu, die zwar die Sitztheorie als allseitige Kollisionsnorm anwendeten, jedoch im deutschen Sachrecht einen Verwaltungssitz im Inland regelmäßig nicht für erforderlich hielten. Auch die Gesetzesbegründung zum MoMiG lässt erkennen, dass die Neufassung von § 5 AktG bzw. § 4a GmbHG ein bestimmtes Ziel verfolgt. Die Rechtsänderung dient aus der Perspektive des Gesetzgebers dazu, deutsche Gesellschaftsrechtsformen der juristischen Person zu „vermarkten“. Gemäß der Gesetzesbegründung sei die Wahl deutscher Kapitalgesellschaftsformen durch die entsprechende Neufassung der Sitzbestimmungen deutlich attraktiver, da die Gesellschaften im Gegensatz zur alten Rechtslage viel flexibler und vor allem grenzüberschreitend agieren könnten. Demgemäß sollte die Neufassung einerseits ausländische Gründer in eine deutsche Kapitalgesellschaftsform locken, andererseits vor allem deutschen Gründern, die den Verwaltungssitz ihrer Kapital1664 Entsprechendes gilt für die GmbH insofern § 4a GmbHG regelt: Sitz der Gesellschaft ist der Ort im Inland, den der Gesellschaftsvertrag bestimmt. 1665 Vgl. die Begründung zum Regierungsentwurf (RegE), BT-Drs. 16/6140, S. 29; auch abgedruckt in: Goette (2008), 5. Materialien, § 4 a. Obwohl in der Literatur zum MoMiG keine ernsthaften Zweifel darüber bestehen, dass der Verwaltungssitz nun sogar im Ausland etabliert werden kann, weigern sich z. T. die Registergerichte nach der veränderten Rechtslage zu handeln, vgl. Leitzen, RNotZ 2011, 536, 537. 1666 Vgl. hierzu bereits Punkt B. II. 2. b) bb) (3). Im Wesentlichen dieselben Wertungen gelten für die GmbH. 1667 Vgl. Nachweise in Fn 1396 und 1401.
III. Europäischer Einfluss und Implikationen
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gesellschaft nicht (mehr) im Inland nehmen (wollen), eine echte Alternative zur Flucht in eine fremde Gesellschaftsform eines Landes bieten, das nur einen inländischen Satzungssitz für die wirksame Gründung verlangt und kollisionsrechtlich von Haus aus der Gründungstheorie folgt (so etwa England mit der englischen Limited bzw. plc).1668 Zu einer solchen Änderung animiert sah sich der Gesetzgeber mußmaßlich in einer Art vorauseilenden Gehorsams gegenüber der EuGH-Rechtsprechung im Hinblick auf die seinerzeit noch ausstehende Entscheidung in Sachen „Cartesio“. Hierzu offenbarte die Regierungsbegründung: „Unabhängig von der Frage, ob die neuere EuGH-Rechtsprechung zur Niederlassungsfreiheit gemäß den Artikeln 43 und 48 EG [aktuell Art. 49, 54 AEUV] allein die Freiheit des Zuzuges von Gesellschaften in einen Mitgliedstaat verlangt hat oder damit konsequenterweise auch der Wegzug von Gesellschaften ermöglicht werden muss, sind Gesellschaften, die nach deutschem Recht gegründet worden sind, in ihrer Mobilität unterlegen. In Zukunft soll für die deutsche Rechtsform der Aktiengesellschaft und der GmbH durch die Möglichkeit, sich mit der Hauptverwaltung an einem Ort unabhängig von dem in der Satzung oder im Gesellschaftsvertrag gewählten Sitz niederzulassen, ein level playing field, also gleiche Ausgangsbedingungen gegenüber vergleichbaren Auslandsgesellschaften geschaffen werden.“ 1669 Diese Erklärung ist vor dem Hintergrund zu betrachten, dass Generalanwalt Maduro sein Plädoyer zu „Cartesio“ bereits veröffentlicht hatte, hierin für eine Gleichbehandlung von Zuzugs- und Wegzugsfällen im Lichte der Niederlassungsfreiheit gestimmt hatte und daher überwiegend eine gleichlaufende Entscheidung des EuGH erwartet wurde. Der deutsche Gesetzgeber bereitete sich 1668 Die Begründung zum RegE, wie Fn 1665, verlautbarte: „Damit soll der Spielraum deutscher Gesellschaften erhöht werden, ihre Geschäftstätigkeit auch ausschließlich im Rahmen einer (Zweig-)Niederlassung, die alle Geschäftsaktivitäten erfasst, außerhalb des deutschen Hoheitsgebiets zu entfalten. EU-Auslandsgesellschaften, deren Gründungsstaat eine derartige Verlagerung des Verwaltungssitzes erlaubt, ist es aufgrund der EuGH-Rechtsprechung nach den Urteilen Überseering (. . .) und Inspire Art (. . .) bereits heute rechtlich gestattet, ihren effektiven Verwaltungssitz in einem anderen Staat – also auch in Deutschland – zu wählen. Diese Auslandsgesellschaften sind in Deutschland als solche anzuerkennen. Umgekehrt steht diese Möglichkeit deutschen Gesellschaften schon aufgrund der Regelung in § 4a Abs. 2 GmbHG bzw. in § 5 Abs. 2 AktG nicht zur Verfügung. Es ist für ein ausländisches Unternehmen nicht möglich, sich bei der Gründung eines Unternehmens für die Rechtsform der deutschen Aktiengesellschaft bzw. der GmbH zu entscheiden, wenn die Geschäftstätigkeit ganz oder überwiegend aus dem Ausland geführt werden soll. Es ist einer deutschen Konzernmutter nicht möglich, ihre ausländischen Tochtergesellschaften mit der Rechtsform der GmbH zu gründen.“ 1669 Begründung zum RegE, wie Fn 1665. Flankierend müssen nach deutschem Recht gegründete Kapitalgesellschaften stets eine Geschäftsanschrift im Inland im Register eintragen sowie aufrechterhalten. Zusätzlich gewährleisten Neuregelungen die Zustellung von Schriftstücken bzw. den Zugang von Willenserklärungen auch im Falle eines ausländischen Verwaltungssitzes, vgl. näher Kindler, in: Goette/Habersack (2009), S. 233, 239 ff.; Leitzen, RNotZ 2011, 536, 538 ff.
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entsprechend sowohl auf eine (im Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit für diesen Fall benötigte) Abkehr vom Verwaltungssitzerfordernis im nationalen Gesellschaftsrecht als auch in der Anknüpfung im internationalen Gesellschaftsrecht vor.1670 Im Gegensatz zur Gründungsanknüpfung im Sinne einer allseitigen Kollisionsnorm stellt sich die (zunächst) sachrechtliche Änderung im MoMiG aber als harmlose, einseitig den deutschen Gesellschaften zugute kommende Norm dar, die aus unbefangener Sicht zunächst einmal keinerlei kollisionsrechtliche Implikationen mit sich bringt. Politischer Widerstand – wie gegen den Referentenentwurf zum Internationalen Gesellschaftsrecht – drohte daher bezüglich der Neufassung von § 5 AktG bzw. § 4a GmbHG kaum.1671 Da der EuGH in „Cartesio“ schließlich geurteilt hat, dass der Ursprungsstaat den Wegzug seiner Gesellschaften unter Wahrung der bestehenden Rechtsform nicht zulassen muss, war der deutsche Gesetzgeber zu diesen sachrechtlichen Änderungen (zumindest im Nachhinein) europarechtlich keinesfalls gezwungen. Gemäß der Regierungsbegründung änderte er das Kapitalgesellschaftsrecht aber freiwillig, um gleiche Ausgangsbedingungen in Hinblick auf entsprechende ausländische Gesellschaftsformen zu schaffen. Insofern hat die Rechtsprechung des EuGH zu den Zuzugsfällen jedenfalls für den deutschen Gesetzgeber eine Motivation geboten, das Sachrecht für eigene Gesellschaften zu liberalisieren. bb) Auslegung von §§ 4a GmbHG, 5 AktG Heftig umstritten ist derzeit in der Literatur aber, wie die besagten Neuregelungen rechtlich tatsächlich zu würdigen sind: Sind dies allein sachrechtliche Änderungen oder bedeuten sie daneben zugleich eine zumindest partielle Hinwendung zur Gründungstheorie in Gestalt von einseitigen, rechtsformspezifischen Kollisionsnormen (d.h. beschränkt auf deutsche Kapitalgesellschaften in der Ausprägung der AG und GmbH, nicht anzuwenden auf Personengesellschaften) oder läuten sie gar als versteckte Kollisionsnormen allseitig den Übergang zur Gründungstheorie ein?1672 1670 S. dazu Kieninger, in Basedow/Wurmnest (Hg.) (2011), S. 25, 36; Roth (2010), S. 46 und auch Fingerhuth/Rumpf, IPRax 2008, 90, 95, die durch eine Entscheidung des EuGH i. S. d. Europarechtswidrigkeit von Wegzubeschränkungen zu „Cartesio“ den Übergang zur Gründungstheorie als besiegelt betrachtet hätten und dies „nach Inkrafttreten des MoMiG nur noch als Bestätigung der bereits durch das MoMiG geschaffenen Rechtslage (. . .)“ gewürdigt hätten. 1671 Dies gilt umso mehr als das MoMiG ohnehin weitere tiefgreifende und damit streitbare Eingriffe in das bestehende Kapitalgesellschaftsrecht vorsah; vgl. hierzu die Beiträge in Goette/Habersack (Hg.) (2009). 1672 Vgl. hierzu sehr ausführlich Hoffmann, ZIP 2007, 1581, 1584 ff. (i. Erg. für allseitige Kollisionsnormen i. S. d. Gründungstheorie); Bayer/Schmidt, ZHR 173 (2009), 735, 746 ff. (zumindest beschränkt kollisionsrechtliche Regelungen für den Wegzug deutscher GmbH’s und AG’s); Kindler, in: Goette/Habersack (Hg.) (2009), S. 233, 246 ff.; ders., IPrax 2009, 189, 196 ff. (nur sachrechtliche Normaussagen): S. a. Ammon,
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(1) Auslegung als allseitige Kollisionsnorm (Gründungstheorie) Für den stärksten Eingriff in die Rechtslage vor dem MoMiG – sprich den Wechsel zur Gründungstheorie als allseitige Kollisionsnorm – streitet das gesetzgeberisch erklärte Ziel der Mobilität deutscher Gesellschaften in Zusammenhang mit der geplanten IPR-Reform zum internationalen Gesellschaftsrecht. Entsprechend der bereits beim Referentenentwurf besprochenen Argumente hätte eine solche verallgemeinernde, rechtsgebietsübergreifende Auslegung der betreffenden MoMiG-Normen eine einheitliche Gründungsanknüpfung anstelle einer „zersplitterten Kollisionsnorm“ in Form der Sitztheorie zur Folge.1673 Gegen eine in: Heidel, Aktienrecht, 3. Aufl. 2011, § 5 AktG, Rn 4 („Tendenz zur Gründungstheorie“); MüKo-AktG/EU-Niederlassungsfreiheit /Altmeppen/Ego, 3. Aufl. 2012, Rn 190 ff. (einseitiger Übergang zur Gründungsanknüpfung für deutsche Gesellschaften); C. Arnold, in: Kölner Kommentar zum AktG, 3. Aufl. 2012, § 45, Rn 24 ff. (versteckte Kollisionsnormen für den Wegzug inländischer Kapitalgesellschaften); Bayer, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl. 2009, § 4a, Rn 15 (einseitige Kollisionsnorm); Behme, BB 2008, 70, 72 (wohl zumindest für einseitige Kollisionsnorm); Brakalova/Barth, DB 2009, 213, 216 (rein sachrechtliche Bedeutung); C. Desch, in: Bunnemann/Zirngibl (Hg.), 2. Aufl. (2011), § 7 B., Rn 95 ff. (nur sachrechtlicher Inhalt); Dauner-Lieb, in: Kölner Kommentar zum AktG, 3. Aufl. 2012, § 5, Rn 16, 26 ff. (nur sachrechtliche Bedeutung); DAV – Stellungnahme des Handelsrechtsausschuss, in: NZG 2007, 211, 212 (allseitiger Übergang zur Gründungstheorie); Drescher, in: Spindler/ Stilz, Aktiengesetz, 2. Aufl. 2010, § 5, Rn 10 (einseitiger Übergang zur Gründungstheorie); Fingerhuth/Rumpf, IPRax 2008, 90, 92 (beschränkt kollisionsrechtliche Regelungen für GmbH’s und AG’s); Flesner, NZG 2006, 641, 642 (nur sachrechtlicher Gehalt); Franz/Laeger, BB 2008, 678, 681 ff. (nur sachrechtliche Bedeutung); Franz, BB 2009, 1250, 1251 (bloß sachrechtliche Bedeutung); Herrler, DNotZ 2009, 484, 489 (einseitiger Übergang zur Gründungstheorie); Grundmann (2011), § 6, Rn 170, S. 91 f. (partieller Übergang zur Gründungstheorie für Wegzugsfälle); Fastrich, in: Baumbach/ Hueck, GmbH-Gesetz, 20. Aufl. 2013, § 4 a GmbHG, Rn 12 f. (versteckte, einseitige Kollisionsnorm); Hüffer, in: ders., Aktiengesetz, 10. Aufl. 2012, § 5, Rn 3 (zumindest einseitige Kollisionsnorm); Jaeger, in: Ziemons/Jaeger, BeckOK-GmbHG (Edition 18), § 4 a, Rn 10 (rein sachrechtliche Bedeutung); MüKo-BGB/IHGR/Kindler, 5. Aufl. 2010, Rn 515–517 (bloß sachrechtliche Bedeutung); Kobelt, GmbHR 2009, 808, 811 (einseitige Kollisionsnorm); Leitzen, NZG 2009, 728 (einseitige Kollisionsnorm); Leuering/Rubner, NJW-Spezial 2011, 463 (keine Entscheidung); Lieder/Kliebisch, BB 2009, 338, 343 (nur sachrechtliche Wirkung); Lutter/Bayer/J. Schmidt (2012), § 6, Rn 56; MüKo-GmbHG/Mayer, 1. Aufl. 2010, § 4 a, Rn 73 f. (einseitiger Übergang zur Gründungstheorie); Michalski/Funke, in: Michalski, GmbHG, 2. Aufl. 2010, § 5, Rn 34 (rein sachrechtlicher Gehalt); Roth (2010), S. 51 („einseitiges kollisionsrechtliches Zugeständnis an die Gründungstheorie“); Roth, in: Roth/Altmeppen, GmbHG, 7. Aufl. 2012, § 4a, Rn 3 ff. (einseitige Kollisionsnorm); Solveen, in: Hölters, Aktiengesetz, 1. Aufl. 2011, § 5, Rn 7 (einseitige Kollisionsnorm); s. a. Süß, in: Wachter (Hg.), 2. Aufl. 2010, Rn 118 f. (einseitige Kollisionsnorm); Teichmann, ZIP 2009, 393, 401 (unklar, da nur abstellend auf Einordnung des Kollisionsrechts des Zuzugsstaats); MüKo-GmbHG/Weller, 1. Aufl. 2010, Einleitung, I. Internationales Gesellschaftsrecht, Rn 383 ff. (lediglich sachrechtliche Bedeutung); Wicke, GmbHG, 2. Aufl. 2011, § 4 a, Rn 13 (versteckt einseitiger kollisionsrechtlicher Gehalt); Zimmer, in: K. Schmidt/Lutter (Hg.), AktG, 2. Aufl. 2010, § 5, Rn 4 (nur sachrechtliche Aussage). 1673 Diesen vermeintlichen Vorteil betont Hoffmann, ZIP 2007, 1581, 1587, gibt aber simultan zu, dass man den inländischen Verkehr vor allzu laxen, drittstaatlichen Gesell-
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solche Auslegung von §§ 4a GmbHG, 5 AktG sprechen aber ganz klar deren Wortlaut und die (heutige) Gesetzessystematik, die entschieden zwischen Sachund Kollisionsrecht trennt, was nicht zuletzt gerade mit den Bestrebungen des Referentenentwurfs dokumentiert wird. Demgemäß hat es auch der BGH abgelehnt, die Bestimmungen des MoMiG im Sinne einer allseitigen Kollisionsnorm zu interpretieren. Im Fall „Trabrennbahn“, in dem eine nach schweizerischem Recht gegründete Gesellschaft ihren effektiven Verwaltungssitz in Deutschland nahm, wandte er daher die Sitztheorie an: „Der Gesetzgeber hat dazu [zum Gesellschaftskollisionsrecht] bisher noch keine Regelung getroffen. Insbesondere enthält § 4a GmbHG i. d. F. des (. . .) MoMiG (. . .) keine Regelung über die Anerkennung ausländischer Gesellschaften mit Verwaltungssitz im Inland (. . .).“ 1674 Die Auffassung, dass den Vorschriften der Charakter eines allseitigen Übergangs zur Gründungstheorie im Gesellschaftskollisionsrecht zu entnehmen ist, ist folglich abzulehnen. In ihr steckt jedoch insofern ein wahrer Kern, als das deutsche Sachrecht und das Kollisionsrecht traditionell vom Verwaltungssitz ausgegangen sind und auch aus heutiger Sicht eine inhaltliche Abstimmung beider Rechtsmaterien sinnvoll – wenn nicht sogar nötig – ist.1675 Die Hinweise in der aktuellen Literatur, §§ 4a GmbHG und 5 AktG bzw. deren Vorgängernormen hätten nie eine kollisionsrechtliche Implikation aufgewiesen,1676 setzen insofern isoliert am modernen Verständnis verschiedener Rechtsmaterien an. (2) Sachrechtliche Interpretation Die getrennte Betrachtung von nationalem Sachrecht und internationalem Privatrecht führt zu der dogmatisch zunächst überzeugenden Lösung, dass §§ 4a schaftsrechtsordnungen mittels Anwendung zwingender Inlandsvorschriften (wohl gemeint in Form von Sonderanknüpfungen bzw. fremdenrechtlichen Sachnormen) schützen könne, zumal diese dann nicht am Maßstab der Niederlassungsfreiheit zu messen seien. Dem ist entgegenzuhalten, dass der vermeintliche Vorteil der einheitlichen kollisionsrechtlichen Behandlung wertlos wird, weil im Ergebnis dennoch eine Differenzierung zwischen EU-Auslandgesellschaften und Gesellschaften aus Drittstaaten erfolgt, die dann nur auf andere Rechtsebenen verlagert wird. 1674 BGHZ 178, 192, 198, Rn 22 = BGH, NJW 2009, 289 ff. mit Anm. Kieninger [Hinzufügung des Verf.] (Hervorhebung des Verf.). Im Hinblick auf den Referentenentwurf fuhr das Gericht fort: „Wohl hat der Gesetzgeber (. . .) einen Referentenentwurf eines Gesetzes zum Internationalen Privatrecht der Gesellschaften, Vereine und juristischen Personen vorgelegt. Darin schlägt er vor, die „Gründungstheorie“ im deutschen Recht zu kodifizieren (Art. 10 EGBGB-E). Dieses Gesetzgebungsvorhaben ist indes noch nicht abgeschlossen. Gegen die generelle Geltung der „Gründungstheorie“ sind im politischen Meinungsbildungsprozess Bedenken geäußert worden. Angesichts dessen ist es schon vom Ansatz her nicht Sache des Senats, der Willensbildung des Gesetzgebers vorzugreifen und die bisherige Rechtsprechung zu ändern.“ 1675 S. hierzu bereits Gliederungspunkte B. II. 2. b) bb) (3) und B. III. 3. 1676 Franz/Laeger, BB 2008, 678, 682; MüKo-GmbHG/Mayer (2010), § 4a, Rn 74; Michalski/Funke, in: Michalski, GmbHG, 2. Aufl. 2010, § 5, Rn 34.
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GmbHG und 5 AktG allein ein materiellrechtlicher Gehalt innewohne. Das würde bedeuten, dass die Sitztheorie – da im Sinne von „Cartesio“ für den Wegzugsfall europarechtlich zulässig – beim Auseinanderfallen von Satzungs- und Verwaltungssitz einer nach deutschem Recht gegründeten Gesellschaft weiterhin Anwendung finden könnte. Bei ursprünglich ausländischem Verwaltungssitz bzw. späterer Sitzverlegung einer nach deutschem Recht gegründeten Kapitalgesellschaft wäre zunächst das deutsche Sachrecht aus deutscher Kollisionsrechtsperspektive gar nicht anwendbar,1677 denn letzteres verwiese auf das Kollisionsrecht des Verwaltungssitzlandes. Das weitere Schicksal der Gesellschaft würde dann aber von der Sicht des Verwaltungssitzstaates, insbesondere dessen Kollisionsrechtsregime, abhängen: Handelt es sich um einen Drittstaat, der nicht an die europäische Niederlassungsfreiheit gebunden ist, so könnten sich zwei Szenarien ergeben. Folgt der Verwaltungssitzstaat der Gründungstheorie, so käme es nach Art. 4 I 2 EGBGB zu einer Rückverweisung auf deutsches Sachrecht – sprich §§ 4a GmbHG und 5 AktG, die keinen Verwaltungssitz im Inland fordern. Der renvoi führte damit letztendlich doch noch zur Anerkennung der Gesellschaft (auch) aus deutscher Sicht, denn das Sachrecht nach MoMiG fordert definitiv keine Übereinstimmung von Satzungs- und Verwaltungssitz. Folgt der Verwaltungssitzstaat hingegen ebenfalls der Sitztheorie, so käme dessen eigenes Sachrecht zur Anwendung. Da die nach deutschem Recht gegründete Kapitalgesellschaft praktisch nicht zugleich die Voraussetzungen des ausländischen Gesellschaftsrechts zu erfüllen vermag, kann sie aus dem Blickwinkel des Zuzugsstaates keinesfalls als wirksame deutsche GmbH oder AG angesehen werden; allenfalls käme – vergleichbar mit den Wertungen der deutschen „modifizierten Sitztheorie“ – eine Behandlung als ausländische Rechtsform in Betracht.1678 Im Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit wäre die Rechtslage komplizierter. Zum einen sind hier die Fälle der ursprünglichen Verwaltungssitznahme im europäischen Ausland bzw. die spätere Verwaltungssitzverlegung in den europäischen Zuzugsstaat zu unterscheiden. Im ersteren Fall ist zweifelhaft,
1677 So isoliert für die deutsche Perspektive (und damit zu kurz gegriffen) Kindler, in: Goette/Habersack (Hg.) (2009), S. 233, 249; ders., IPrax 2009, 189, 198. Falls Kindler hier davon ausginge, dass auch nach dem MoMiG eine Gründung einer deutschen GmbH oder AG mit anfänglich ausländischem Verwaltungssitz stets unmöglich ist – unabhängig davon, ob der Verwaltungssitzstaat der Sitz- oder Gründungstheorie folgt – so wäre dem nicht zuzustimmen. 1678 Vor dem MoMiG galt dieses Szenario bei nachträglicher Verwaltungsitzverlegung bereits als Auflösungs- und Abwicklungsgrund aus deutscher Sicht; bei ursprünglicher Verwaltungssitznahme im ausländischen Sitztheoriestaat scheiterte die Gründung in Deutschland. Vgl. etwa Dinkhoff (2001), S. 138 f.; Hausmann, GS Blomeyer (2004), S. 579, 588, 595; MüKo-AktG/EU-Niederlassungsfreiheit/Altmeppen/Ego, 3. Aufl. 2012, Rn 176 m.w. N. Für die Fortgeltung dieser Auffassung (nach dem MoMiG), vgl. MüKo-BGB/IHGR/Kindler, 5. Aufl. 2010, Rn 517, 527.
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ob die Niederlassungsfreiheit überhaupt greift und der Zuzugsstaat zur Anerkennung der deutschen Kapitalgesellschaft verpflichtet ist. Dies wird von einer verbreiterten Literaturmeinung mit dem Argument bestritten, es mangele bereits an der für das Eingreifen der Niederlassungsfreiheit erforderlichen Mobilitätskomponente.1679 Stimmt man dem zu, so käme es entsprechend der Erläuterung zu den Drittstaaten auf das Kollisionsrecht des Verwaltungssitzsstaates an. Hält man hingegen die Niederlassungsfreiheit für einschlägig, so müsste auch der Staat des effektiven Sitzes die Gesellschaft in der Form ihres deutschen Gründungsrechts (aufgrund seiner traditionellen Anwendung der Gründungstheorie oder der sog. „europarechtlichen Gründungstheorie“) anerkennen. Rechtstechnisch führte dies zu einer Rückverweisung auf deutsches Sachrecht i. S. v. Art. 4 I 1, 2 EGBGB.1680 Im Falle einer späteren Verwaltungssitzverlegung einer nach deutschem Recht gegründeten Gesellschaft gelten die gleichen Grundsätze, nur ist hier der Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit zweifelsohne eröffnet.1681 An der sachrechtlichen Auffassung von §§ 4a GmbHG, 5 AktG wird von der derzeit herrschenden Literaturauffassung bemängelt, dass sie dem Wunsch des Gesetzgebers, den eigenen Kapitalgesellschaften einen mobilen Verwaltungssitz zu verschaffen, nicht im weitestmöglichen Maße zum Durchbruch verhilft.1682 Entscheidend für die Behandlung der deutschen Gesellschaft als rechtlich existent auch aus deutscher Sicht sind hiernach nämlich in erster Linie die ausländischen Kollisionsrechte (gegebenenfalls unter dem Einfluss der europäischen Niederlassungsfreiheit). Damit hätte sich im Gegensatz zur Rechtslage vor dem MoMiG nicht sehr viel geändert, bedenkt man, dass das (sachrechtliche) Erfordernis des Verwaltungssitzes im Inland nicht unumstritten war. Der Wunsch des Gesetzgebers zur größtmöglichen Gleichstellung deutscher und ausländischer Gesellschaftsformen in Bezug auf die Beweglichkeit des Verwaltungssitzes spricht somit in der Tat gegen eine rein sachrechtliche Deutung. (3) Konzeption als einseitige Kollisionsnorm (Gründungstheorie) Die weitestgehende Verwaltungssitz-Mobilität deutscher Gesellschaften gewährleistet aber die Behandlung der Vorschriften im Sinne einer einseitigen Kol1679 Brakalova/Barth, DB 2009, 213, 216; Franz/Laeger, BB 2008, 678, 681; Franz, BB 2009, 1250, 1251; Kindler, NJW 2003, 1073, 1078; MüKo-BGB/IHGR/Kindler, 5. Aufl. 2010, Rn 427; zweifelnd Forsthoff, DB 2002, 2471, 2475 und MüKo-AktG/ EU-Niederlassungsfreiheit/Altmeppen/Ego, 3. Aufl. 2012, Rn 194; a. A. Bayer/Schmidt, ZHR 173 (2009), 735, 747 f.; Grundmann (2011), § 6, Rn 188 und dortige Fußnote 81 m.w. N., S. 103; Michalski/Funke, in: Michalski, GmbHG, 2. Aufl. 2010, § 5, Rn 34; Roth, FS Westermann, S. 1345, 1346 (jeweils m.w. N.). 1680 MüKo-BGB/IHGR/Kindler, 5. Aufl. 2010, Rn 516. 1681 Vgl. näher Bayer/Schmidt, ZHR 173 (2009), 735, 747. 1682 So bereits Hoffmann, ZIP 2007, 1581, 1584, 1586.
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lisionsnorm, d.h. eine Beurteilung nach deutschem Recht gegründeter Kapitalgesellschaften gemäß der Gründungstheorie. In diesem Fall käme es aus der (isolierten) Perspektive des deutschen Kollisionsrechts nämlich nicht mehr darauf an, ob der Verwaltungssitz der deutschen Kapitalgesellschaft in einem Sitz- oder Gründungstheoriestaat genommen bzw. dorthin verlegt wird. Aus Sicht einer (einseitigen) deutschen Gründungstheorie käme es nämlich keinesfalls zu einem Statutenwechsel. Ist der (neue) Verwaltungssitzstaat ein Anhänger der Gründungstheorie oder ein EU- bzw. EWR-Mitglied, so muss er die deutsche Kapitalgesellschaft stets als solche akzeptieren; handelt es sich hingegen um einen Drittstaat, der der Sitztheorie anhängt, folgt aus dessen Perspektive ein Statutenwechsel.1683 Selbst wenn die Entscheidung zwischen rein sachrechtlichen und einseitig kollisionsrechtlichen Normen praktisch keine bedeutende Rolle spielen sollte,1684 so führt doch die einseitig kollisionsrechtliche Beurteilung aus deutscher Sicht immer zu dem gewünschten Ergebnis. Die nach deutschem Recht gegründete Kapitalgesellschaft wird vom eigenen Gesellschaftskollisionsrecht stets als solche anerkannt, ohne dass man in dieser Auslegung noch auf eine Rückverweisung angewiesen wäre.1685 Nach alldem ist der einseitige Übergang zur Gründungstheorie nach §§ 4a GmbHG, 5 AktG – der weder etwas aussagt über die grundsätzliche Anknüpfung aller Gesellschaftsarten, noch über die Anknüpfung von nach ausländischem Recht gegründeten Aktiengesellschaften – die in der Literatur favorisierte Auslegungsweise der betreffenden MoMiG-Normen.1686 Plakativ gesprochen hat sich eine dem Geiste der von Wiedemann bereits 1980 verfochtenen „eingeschränkten Sitztheorie“ folgenden Interpretation schließlich mithilfe des MoMiG doch noch durchgesetzt. Diese Auslegung mag aus heutiger Sicht zwar rechtspolitisch wünschenswert sein, da sie dem deutschen Gesellschaftsrecht zum weitestgehenden Durchbruch verhilft und den durchaus sinnvollen Gleichlauf von Gesellschaftsrecht bzw. Gesellschaftskollisionsrecht wenigstens für die eigenen Gesellschaften sicherstellt.1687 Sie missachtet aber die moderne systematische 1683
Drescher, in: Spindler/Stilz, Aktiengesetz, 2. Aufl. 2010, § 5, Rn 10. Ein Umzug des Verwaltungssitzes in einen Sitztheoriestaat, der nicht an die europäischen Grundfreiheiten gebunden ist, sollte ohnehin für die deutsche AG bzw. GmbH nicht in Frage kommen, da ihr im Ausland die Nichtanerkennung droht. Insofern hilft die Tatsache, dass die einseitige kollisionsrechtliche Auslegung immer zur Anerkennung aus deutscher Sicht führt, nur begrenzt weiter. Vgl. Leuering/Rubner, NJW-Spezial 2011, 463. 1685 S. hierzu nur Roth, in: Roth/Altmeppen, GmbHG, 7. Aufl. 2012, § 4a, Rn 4a. Das durch §§ 4a GmbHG, 5 AktG ausgesprochene deutsche Angebot, das eigene Sachrecht als Registerrecht für Gesellschaften mit ausländischem Verwaltungssitz zur Verfügung zu stellen, bedürfe einer „kollisionsrechtlichen Fundierung“ und könne nicht allein durch Rückverweisung angenommen werden. 1686 Vgl. Lutter/Bayer/J. Schmidt (2012), § 6, Rn 56 sowie bereits die Nachweise in Fn 1672. 1687 Zur steuerrechlichen Behandlung der Inkongruenz von Satzungs- und Verwaltungssitz vgl. etwa Leuering/Rubner, NJW-Spezial 2011, 463, 464. 1684
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B. Umgang mit fremden Gesellschaften aus rechtshistorischer Perspektive
Trennung von Sachrecht und internationalem Privatrecht, die der Gesetzgeber selbst grundsätzlich für nötig hält (vgl. den Referentenenwurf). Sie führt des Weiteren zu einer günstigeren Behandlung der heimischen gegenüber den fremden (Kapital-)Gesellschaftsformen, da die sachrechtliche Sanktion der Sitztheorie bei fehlendem Verwaltungssitz im Gründungsstaat nur die (außereuropäischen bzw. nicht in Staatsverträgen inkludierten) „Ausländer“ trifft. Bedenkt man ferner, dass innerhalb der EU bzw. im Verhältnis zu EWR-Staaten im Zuzugsfall nach ganz h. M. ohnehin europarechtlich die Anerkennung im Sinne der Gründungstheorie geboten ist, führt besagte MoMiG-Auslegung aber lediglich zur „Waffengleichheit“ für die Situation einer Gründung einer deutschen Gesellschaft mit nur inländischem Satzungssitz bzw. den nachträglichen Wegzug mit ihrem Verwaltungssitz. Das Ungleichgewicht aufgrund der unterschiedlichen Behandlung eigener und fremder Gesellschaften wird damit im Verhältnis zu EU-/ EWR-Staaten relativiert. Aus historischer Perspektive hat damit aber der stets so maßgebliche Verwaltungssitz im deutschen (internationalen) Gesellschaftsrecht einen herben Bedeutungsverlust erlitten. Die ursprüngliche Idee der Verwaltungssitztheorie hat sich vor allem durch die europarechtlichen Einflüsse (weitestgehend) ins Gegenteil verkehrt. Sollten ursprünglich nur diejenigen (nach dem Recht ihres Herkunftsstaates ordnungsgemäß gegründeten) Gesellschaften anerkannt und nach ihrem Heimatrecht beurteilt werden, die ihren Verwaltungssitz auch im Gründungsland nahmen, müssen zuziehende Gesellschaften im Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit heute unabhängig von der Wahl ihres Verwaltungssitzes innerhalb des Gemeinsamen Marktes bzw. der EWR gemäß ihrer Gründungsrechtsordnung anerkannt werden. Das Bestreben, die eigenen Gesellschaften vor allem gegenüber denjenigen EU-Gesellschaften nicht zu diskrimieren, welchen ein Wegzug des Verwaltungssitzes sach- und kollisionsrechtlich gestattet ist, hat den deutschen Gesetzgeber zu einer Liberalisierung des eigenen Gesellschafts(kollisions)rechts angespornt. Deutlich wird dies vor allem auch anhand der Einführung der sogenannten „Unternehmergesellschaft“ (UG) im Wege des MoMiG, welche gemäß § 5a GmbHG (n. F.) als Variation der GmbH nur ein Mindestkapital von einem Euro erfordert und damit endgültig eine konkurrenzfähige und mobile Alternative zu anderen mitgliedsstaatlichen Kapitalgesellschaftsformen darstellt, die (bisher) mildere gesellschaftsrechtliche Gründungsanforderungen stellten.1688 Die nach dem EuGH zulässige Unterscheidung in Zuzugs- und Wegzugsfälle wurde damit nicht ins nationale Recht übernommen. Zugespitzt formuliert wurde die europarechtlich gestattete, aber rechtspolitisch nicht gewollte Un-
1688 S. auch Habersack/Verse (2011), § 3, Rn 24, S. 29 f. Vgl. zu Charakteristika, Erfolg und den Problemen der UG etwa Veil, ZGR 2009, 623 ff.; Weber, BB 2009, 842 ff.; Ries, AnwBl. 2011, 13 f. (jeweils m.w. N.); zur verbleibenden Bedeutung der englischen Ltd. Melchior, AnwBl. 2011, 20 ff. (jeweils m.w. N.).
III. Europäischer Einfluss und Implikationen
429
gleichbehandlung nationaler und EU/EWG-ausländischer Gesellschaften mithilfe einer Deregulierung im deutschen Gesellschaftsrecht gestoppt. Hieran schließt sich die interessante Frage an, ob sich eine solche Behandlung als allgemeiner Trend eines „race to the bottom“ im nationalen materiellen Gesellschaftsrecht anderer Mitgliedsstaaten fortsetzt.
5. Europäischer Einfluss auf die romanische Gesellschafts(kollisions)rechtsgesetzgebung In Frankreich scheint der Einfluss der EuGH-Rechtsprechung zur Niederlassungsfreiheit eine im Vergleich zu Deutschland weitaus geringere wissenschaftliche Diskussion um die Aufrechterhaltung der Sitztheorie ausgelöst zu haben.1689 Bedeutende Lehrbücher zum französischen Kollisionsrecht handeln den Einfluss der europäischen Niederlassungsfreiheit auf die Bestimmung des Gesellschaftsstatuts recht knapp ab.1690 Nur vereinzelte Zeitschriftenbeiträge befassen sich eingehender mit einschlägigen EuGH-Urteilen.1691 Eine der wenigen Ausnahmen stellt Menjucq dar, der die Rechtsprechung des EuGH zur Niederlassungsfreiheit in den Zuzugsfällen im Rahmen einer ausführlichen Betrachtung dahingehend interpretiert, die sachrechtlichen Folgen der Sitztheorie seien grundsätzlich nicht europarechtskonform, die Sitztheorie daher faktisch durch die Gründungsanknüpfung verdrängt.1692 Zwar habe der EuGH die Anknüpfungsmerkmale der Niederlassungsfreiheit i. S. v. Art. 54 I AEUV stets gleich geachtet, doch führe dessen Urteilspraxis bei Zuzugsfällen in der Konsequenz zur Durchsetzung der Gründungsanknüpfung innerhalb der europäischen 1689 Diesen Eindruck teilen Kieninger, RabelsZ 73 (2009), 607, 611; Sonnenberger/ Damman (2008), IX 69, S. 589 (dort Fußnote 203 m.w. N.). 1690 Audit (2008), Nr. 1124, S. 914 f.; Mayer/Heuzé (2007), Nr. 1038, 1059, S. 737 f., 752; Niboyet/La Pradelle (2007), Nr. 1055 f., S. 679 f.; Jacquet/Delebecque/Corneloup (2007), Nr. 300 ff., S. 168–171. 1691 So etwa Lagarde zu „Überseering“, Rev. Crit. DIP 92 (2003), 524 ff.; Muir Watt zu „Inspire Art“, Rev. Crit. DIP 93 (2004), 173 ff.; Heymann zu „Sevic“, Rev. Crit. DIP 95 (2006), 667 ff.; Dammann/Wynaendts/Nader zu „Cartesio“, Recueil Dalloz 2009, 574 f.; Heymann zu „Cartesio“, Rev. Crit. DIP 98 (2009), 559 ff.; Kovar zu „Daily Mail“ bis „Cartesio“, Recueil Dalloz 2009, 465 ff. 1692 Menjucq (2008), Rn 126, S. 128: «Ainsi, depuis 1999, par les arrêts Centros, Überseering et Inspire Art, la Cour de justice des communautés européenes a consacré en matière d’établissement communautaire la prédominance du siège statuaire en affirmant que l’État membre d’accueil du siège réel ne pouvait se prévaloir de celui-ci, à l’égard d’une société valablement rattachée par son seul siège statuaire à un autre État membre pour refuser l’immatriculation d’une succursale, pour contester sa capacité juridique, notamment sa capacité d’agir en justice ou pour lui appliquer des dispositions de sa loi locale en matière de sociétés à titre de lois de police. » Detaillierter zu den Folgen der EuGH-Urteile auch Lecourt, in: Dalloz (Hg.), Répertoire des sociétés, Bd. 3, Stichwort: droit communautaire (Stand: September 2009), Nr. 94 ff., S. 26 ff.
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B. Umgang mit fremden Gesellschaften aus rechtshistorischer Perspektive
Union.1693 Gerade die Gleichachtung aller Anknüpfungsmerkmale bedinge aber, dass der Gründungsstaat die sach- und kollisionsrechtlichen Erfordernisse eigener Gesellschaften grundsätzlich frei bestimmen könne und damit den Wegzug der nationalen Gesellschaft behindern könne: «Un État membre peut donc toujours exiger pour les sociétés qui se constituent sur son territoire qu’elles y localisent leur siège réel et ce en parfaite conformité avec l’article 48 CE [= Art. 54 AEUV]. Soumise à la loi de leur État de constitution, ces sociétés devraient ainsi éviter toute dissociation de leur siège statuaire et de leur siège réel. (. . .) C’est effectivement la conséquence de l’arrêt Daily mail qui permet à l’État membre de constitution de la société d’entraver le transfert du siège réel vers un autre État membre.»1694 Da die Differenzierung von Zuzug und Wegzug denjenigen Gesellschaften zugute käme, die unter dem Regime der Gründungsanknüpfung konstituiert wurden und daher beim (sachrechtlich wie kollisionsrechtlich zulässigen) Wegzug des Verwaltungssitzes in einen anderen Mitgliedsstaat keinen Verlust ihrer Rechtspersönlichkeit fürchten müssen, sei innerhalb Europas der Weg für die Gründungsanknüpfung gebahnt.1695 Der Autor, der als Anhänger einer Satzungssitztheorie bzw. zumindest einer (gemäß der deutschen Terminologie) eingeschränkten Sitztheorie auftritt, hegt auch an der Europarechtskonformität der von der h. M. in der französischen Literatur als allseitig verstandenen Kollisionsnorm L. 210-3 des code de commerce bzw. Artikel 1837 des code civils Zweifel.1696 Das in Absatz 2 dieser Vorschriften vorgesehene Wahlrecht Dritter, sich bei einem etwaigen Auseinanderfallen entweder auf das Recht des Satzungssitzes oder des effektiven Sitzes der Gesellschaft zu berufen, sei mit der Rechtsprechung des EuGH in Sachen „Inspire Art“ unvereinbar, wenn es sich um eine nach dem Recht eines anderen Mitgliedsstaates gegründete Gesellschaft mit Verwaltungssitz in Frankreich handele und nicht ein (praktisch kaum nachweisbarer) Fall eines Rechtsmissbrauchs vorliege.1697 Es sei daher an der Zeit, die französische Gesellschaftskollisionsrechts1693 Menjucq (2008), Rn 135, S. 138 (mit Verweis auf den Gedanken von Mastrullo): «Ainsi, les différentes solutions conflictuelles nationales ont été jugées équivalentes, ce qui explique que le rattachement par le siège statuaire ait pu produire effet dans les États membres prenant en considération le siège réel pour imposer l’application de leur droit et ce qui a conduit à l’affirmation d’une règle de conflit régionale favorable à l’application de la loi de l’État membre d’origine.» 1694 Menjucq (2008), Rn 135, S. 139. 1695 Menjucq (2008), Rn 135, S. 139. Zurückhaltender Dammann/Wynaendts/Nader, Recueil Dalloz 2009, 574, 575: Das Urteil zu „Cartesio“ hätte der Verwaltungssitztheorie im Gesellschaftskollisionsrecht der Mitgliedsstaaten wieder Auftrieb verschafft. Allerdings hätten Mitgliedsstaaten, die lediglich am Satzungssitz anknüpften, einen Wettbewerbsvorteil, denn deren Gesellschaften könnten ihren Verwaltungssitz in einen anderen Mitgliedsstaat legen und dort ihre Geschäftstätigkeit frei entfalten. 1696 Vergleiche hierzu Gliederungspunkt B. II. 1. b) cc).
III. Europäischer Einfluss und Implikationen
431
norm nach dem Vorbild des Vorschlags des Deutschen Rats für IPR zur Regelung des internationalen Gesellschaftsrechts (hierauf basiert der deutsche Referentenentwurf zur Kodifikation der Gründungstheorie) anzupassen.1698 Zusammengefasst entspricht die Auffassung, die Menjucq für das Gesellschafts(kollisions)recht aus französischer Warte vertritt, der h. M. bezüglich der Auslegung von §§ 4a GmbHG, 5 AktG (2008) aus deutscher Perspektive. Nach französischem Recht gegründete (Kapital-)Gesellschaften seien hiernach ohnehin stets (sach- sowie kollisionsrechtlich) in der Wahl ihres Verwaltungssitzes frei; im Übrigen könne die Verwaltungssitztheorie (zugunsten Dritter) gegenüber nach ausländischem Recht gegründeten Gesellschaften mit inländischem Verwaltungssitz dann angewendet werden, wenn das Europarecht keine Rolle spiele.1699 Demgegenüber vertreten diejenigen Wissenschaftler, die – gerade im Anschluss an „Cartesio“ – an der grundsätzlichen Anknüpfung des französischen Gesellschafts(kollisions)rechts am effektiven Verwaltungssitz festhalten, die Auffassung, die „richtige“ Antwort auf die Rechtsprechung des EuGH sei in erster Linie in einer Liberalisierung des eigenen Sachrechts für Gesellschaften zu suchen: «Cependant, l’adoption par un État membre d’un système de rattachement libéral ne garantit nullement celui-ci contre l’éventuel départ d’une société constituée sur son territoire vers un autre Etat membre de la Communauté, étant donné qu’au cas d’un transfert avec changement de loi applicable, l’État membre de constitution créerait désormais, en s’y opposant, une entrave à l’exercice du droit d’établissement protégé par l’article 43 CE [= Art. 49 AEUV]. En conséquence, si une adaptation du droit des États membres au phénomène de concurrence juridique que favorise la jurisprudence de la Cour de justice doit être recherchée, c’est assurément plus sur le plan du droit matériel des sociétés que sur celui du droit international privé. L’attractivité du droit des sociétés d’un État membre se mesurerait dès lors moins en contemplation de son système de rattachement qu’en considération des dispositions de la loi qui serait rendue applicable à la société.»1700 1697 Menjucq (2008), Rn 100, 138 auf S. 102 f., 141 f.; ders., in: Dalloz (Hg.), Répertoire des sociétés, Bd. 3, Stichwort: droit international des sociétés (Stand: Mai 2009), Nr. 106 ff., S. 15. 1698 Menjucq, in: Dalloz (Hg.), Répertoire des sociétés, Bd. 3, Stichwort: droit international des sociétés (Stand: Mai 2009), Nr. 110, S. 15, mit Verweis auf den Vorschlag des Deutschen Rats für IPR zur Regelung des internationalen Gesellschaftsrechts (abgedruckt bei: Sonnenberger (Hg.) (2007), S. 7 ff.). 1699 Menjucq, in: Dalloz (Hg.), Répertoire des sociétés, Bd. 3, Stichwort: droit international des sociétés (Stand: Mai 2009), Nr. 18 ff., 25, S. 4 f. und Nr. 102 f., S. 14. Vgl. ausführlich zu den kollisions- und sachrechtlichen Aspekten der Verwaltungssitzverlegung, Menjucq, in: Dalloz (Hg.), Répertoire des sociétés, Bd. 3, Stichwort: droit international des sociétés (Stand: Mai 2009), Nr. 124 ff., S. 17 f. 1700 Heymann zu „Cartesio“, in: Rev. Crit. DIP 2009, 559, 567 f. (Hervorhebung des Verf.).
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B. Umgang mit fremden Gesellschaften aus rechtshistorischer Perspektive
Einen ersten Schritt in Richtung der (vermeintlich) gebotenen Anpassung des französischen Gesellschaftsrechts an die Rechtsprechung des EuGH hat der Gesetzgeber mit der Reform des Rechts der Société à responsabilité limitée (S.A.R.L.) sowie der Société par actions simplifiée (S.A.S.) beschritten.1701 Diese mit der GmbH und Limited bzw. einer vereinfachten Aktiengesellschaft vergleichbaren Kapitalgesellschaftsformen haben im Jahre 2003 bzw. 2009 deutliche Gründungserleichterungen erfahren, so etwa die Reduktion des Mindestkapitals auf einen Euro.1702 Hält man aus Sicht des französischen Rechts einen (rechtsformwahrenden) Wegzug der maßgeblichen französischen Kapitalgesellschaften mit ihrem Verwaltungssitz für sach- und kollisionsrechtlich möglich,1703 so zeigen sich die Parallelen zur Reform des deutschen Kapitalgesellschaftsrechts deutlich. Im Übrigen bewertet auch das französische Parlament gemäß eines Berichts von 2007 die Rechtsprechung des EuGH als neutral bezüglich der Wahl des Anknüpfungskriteriums, befürchtet aber, dass das (streng verstandene) Verwaltungssitzkriterium im französischen Recht nicht länger geeignet ist, die Entscheidungszentren von nach französischem Recht gegründeten Gesellschaften im Inland zu halten.1704 1701 Loi nr. 2003-721 du 1.8.2003 pour l’initiative économique, J.O. nr. 179 vom 5.8.2003, S. 13449 sowie Loi nr. 2008-776 du 4.8.2008 de la modernisation de l’économique, J.O. nr. 181 vom 5.8.2008, S. 12471. 1702 Zu den Gesetzesänderungen im Einzelnen ausführlich Becker, GmbHR 2003, 706 ff.; dies., GmbHR 2003, 1120 f.; Meyer/Ludwig, GmbHR 2005, 346 ff.; Witt, ZGR 2009, 872, 922 ff. 1703 S. Menjucq (2008), Rn 100, S. 103: «En conséquence, une société dont les statuts précisent que le siège est sur le territoire française et qui est immatriculée à ce titre en France ne cesse pas d’être régie par la loi française même si son siège effectif de direction est situé dans un État étranger. Cette solution apparaît conforme à la vie des affaires internationales qui exige la conciliation d’une gestion nécessairement souple amenant à une pluralité de centres décisionnels avec la certitude du rattachement législatif de la société.» Vgl. auch Recq/Hoffmann, GmbHR 2004, 1071, 1071, die den Wegzug des Verwaltungssitzes einer in Frankreich eingetragenen S.A.R.L. ins Ausland aus Sicht des französischen Rechts explizit für möglich halten. 1704 Vgl. Rapport der Mission commune d’information centre de décision économique vom 22. Juni 2007, Teil 3 II. B. 3. (S. 264) unter http://www.senat.fr/rap/r06-3471/r06-347-11.pdf (letzter Abruf: 2.5.14): «La jurisprudence souple de la CJCE (. . .) ne permet vraisemblablement pas de justifier la prééminence du principe de l’immatriculation. En effet, elle ne traite pas directement de la question du siège statutaire ou du siège réel comme critère de rattachement à une loi nationale, mais plutôt du libre-établissement et de la pleine reconnaissance des sociétés constituées sous un droit étranger dans le pays dans lequel elles exercent leurs activités. Pour la France, le choix qui se dessine constitue un réel dilemme: soit notre pays entend maîtriser le droit des sociétés applicable aux entreprises considérées comme françaises, au risque que la théorie du siège réel ne contribue à dissuader le maintien de centres de décision sur le territoire, soit il y a de facto renoncé – comme en témoigne la multiplication de transferts aux Pays-Bas de sièges de sociétés «françaises» à l’occasion d’opérations de rapprochement – et la doctrine du siège réel devient contre-productive.»
III. Europäischer Einfluss und Implikationen
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Belgien ist seiner Tradition treu geblieben und hat die Sitztheorie im Rahmen seiner Kollisionsrechtsreform im Jahre 2004 explizit gemäß Art. 110 I des belgischen IPR-Gesetzes als allseitige Kollisionsnorm ausgestaltet.1705 Da ein renvoi nach Art. 110 II des besagten Regelwerkes ausdrücklich zugelassen wurde,1706 entspricht die Kollisionsrechtslage in Belgien derjenigen in Deutschland und Frankreich (sofern man davon ausgeht, dass die Verwaltungssitztheorie hier weiterhin die Regel darstellt). Im Rahmen der Ausgestaltung dieser Vorschrift waren sich die Abgeordneten der europarechtlichen Hürden bei der Anwendung der Sitztheorie zwar durchaus bewusst, doch bestand allgemeiner Konsens, dass die Rechtsprechung des EuGH nicht per se zur Aufgabe der Verwaltungssitzanknüpfung zwingt.1707 Entsprechend sind die sachrechtlichen Folgen der Sitztheorie im Sinne der EuGH-Rechtsprechung europarechtskonform ausgestaltet. So bestimmt Absatz 1 des Art. 58 des Code des sociétés, dass Gesellschaften, die im Ausland gegründet worden sind und dort ihre Hauptniederlassung haben, in Belgien ihre Geschäfte tätigen können, gerichtlich vorgehen und dort eine Zweigniederlassung errichten können.1708 Die im Anschluss an das Urteil „Inspire Art“ ergangene Regelung aus dem Jahre 2004 muss demnach dahingehend verstanden werden, dass eine im EU-Ausland gegründete Gesellschaft mittels einer Zweigniederlassung in Belgien tätig werden darf, auch wenn sie im Ursprungsstaat mit ihrer Hauptniederlassung keine Geschäftstätigkeit entfaltet und dort nicht ihren effektiven Sitz nimmt.1709 Der Zuzug einer (EU-)ausländischen Gesellschaft mit ihrem Verwaltungssitz (und damit der Hauptniederlassung) nach Belgien führte nach ganz h. M. schon lange vor dem Einfluss der EuGH-Rechtsprechung zur Niederlassungsfreiheit keinesfalls zur Versagung der Anerkennung der Rechts1705 Vgl. hierzu bereits oben Gliederungspunkt B. II. 1. b) aa) (2) und den Nachweis in Fn 1057. 1706 Vgl. hierzu ebenso die Nachweise in Fn 1057 sowie die Begründung zum Gesetzesentwurf des belgischen IPR-Gesetzes von Leduc/Mahoux/Vanlerberghe/de T’Serclaes im belgischen Sénat vom 7. Juli 2003, Document législatif n ë 3-27/1, 1, 130 f. (abrufbar über http://www.senate.be/). 1707 Siehe Rapport fait au nom de la commission de la justice von Nyssens/Willems zu dem IPR-Gesetzesvorschlag im belgischen Sénat vom 20. April 2004, Document législatif n ë 3-27/7, 193 ff., 201 (abrufbar über http://www.senate.be/): «Le professeur Meeusen confirme que la jurisprudence de la Cour de Justice n’emporte aucune condamnation de la théorie du siège réel. Cette question ne préoccupe d’ailleurs pas le droit européen; un État membre peut appliquer sa propre théorie du droit des sociétés.» Siehe zur Literatur Wautelet, Revue pratique des sociétés civiles et commerciales 2006, 5, 27 f. 1708 Siehe Moniteur belge vom 6. August 1999, 29440, 29949; abrufbar über: http:// www.droitbelge.be/codes.asp#soc (letzter Abruf: 2.5.14). 1709 So auch Wautelet, Revue pratique des sociétés civiles et commerciales 2006, 5, 24 und Veestraeten, Status Recht 2008, 69, 70; vgl. in diese Richtung bereits den Rapport von Nyssens/Willems, wie Fn 1707, S. 201 f. Zudem berichtet Lecourt, in: Dalloz (Hg.), Répertoire des sociétés, Bd. 3, Stichwort: droit communautaire (Stand: September 2009), Nr. 105, S. 30, von weiteren Überlegungen, im belgischen Recht zwischen Gesellschaften aus EU- bzw. Drittstaaten zu differenzieren.
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B. Umgang mit fremden Gesellschaften aus rechtshistorischer Perspektive
persönlichkeit dieser Gesellschaft. Die belgische Cour de Cassation hatte bereits im – recht nebulös gehaltenen – „Lamot“-Urteil von 1965 entschieden, dass sich eine solche Gesellschaft auch nach ihrem Verwaltungssitz-Zuzug nach Belgien auf ihre Rechtsfähigkeit als Facette ihrer Rechtspersönlichkeit berufen könne, weil keinerlei Bestimmung des belgischen Rechts verbiete, dass diese Gesellschaft erhalten bleibe, sobald sie in Übereinstimmung mit ihrer ursprünglichen Satzung – unter Umständen den belgischen Vorschriften angepasst – alle Voraussetzungen zum Erhalt bzw. Behaltendürfen der Rechtspersönlichkeit erfülle.1710 Die teilweise unklar anmutenden Ausführungen des belgischen Gerichts sollten richtigerweise dahingehend verstanden werden, dass auf die Gesellschaft durch den Umzug des Verwaltungssitzes belgisches Recht anwendbar ist. Nach diesem verliert die Gesellschaft zwar nicht ihre Rechtsfähigkeit, ihre Kontinuität als Rechtsperson bleibt erhalten. Sie ist aber gezwungen, sich dem belgischen Recht anzupassen und dessen Voraussetzungen zu erfüllen.1711 Diese Grundsätze des „Lamot“-Urteils wurden auch im neuen IPR-Gesetz fortgeführt.1712 Im Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit ist Belgien in der Rolle des Zuzugsstaates einer europäischen Gesellschaft mit ihrem effektiven Sitz jedenfalls regelmäßig europarechtlich zu deren Anerkennung in ihrer Gründungsrechtsform gezwungen.1713 Die Frage, ob nach belgischem Recht gegründete Gesellschaften aus belgischer Sicht ihren Verwaltungssitz im Ausland nehmen dürfen (Stichwort: „eingeschränkte Sitztheorie“), lässt sich nicht mit letzter Bestimmtheit beantworten. Es spricht jedoch einiges dafür, dass das belgische Recht eine solche Mobilität „eigener Gesellschaften“ mithilfe einer entsprechenden Auslegung von Art. 4 III und Art. 110 des IPR-Gesetzes zulässt.1714
1710 Urteil der belgischen Cour de cassation, Cass. 12.11.1965 (Lamot), Pasicrisie 1966, I, 336, 339. Hierzu ausführlich Wymeersch, ZGR 1999, 126, 136 ff. 1711 Dies bekräftigend: Wymeersch, ZGR 1999, 126, 138 f.; ders.: in: Financial Law Institute, Working Paper Series 2003-3, S. 1, 11 ff. Der Autor weist desweiteren darauf hin, dass das belgische Recht Vorschriften zur Änderung der Rechtsform einer solchen Gesellschaft bereithält. Entsprechend konnte sich Lamot von einer britischen company limited by shares in eine belgische Aktiengesellschaft umwandeln. 1712 Art. 112 Abs. 1 lautet: Le transfert de l’établissement principal d’une personne morale d’un Etat à un autre n’a lieu sans interruption de la personnalité qu’aux conditions auxquelles le permet le droit de ces Etats. Abs. 2 besagt: En cas de transfert de l’établissement principal sur le territoire d’un autre Etat, la personne morale est régie par le droit de cet Etat à partir du transfert. 1713 Fraglich ist, welcher Anwendungsbereich dem belgischen Sachrecht in diesem Fall noch verbleibt; vgl. hierzu Wautelet, Revue pratique des sociétés civiles et commerciales 2006, 5, 45. 1714 Offen gelassen bei Pertegas, IPrax 2006, 53, 59. Zum Zusammenspiel von Art. 4 III und Art. 110 des belgischen IPR-Gesetzes vgl. bereits Punkt B. II. 1. b) aa) (2) und ausführlich Wautelet, Revue pratique des sociétés civiles et commerciales 2006, 5, 31 ff. Zu den Tendenzen weniger belgischer Gerichte, bei der Gründung einer Gesell-
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Sachrechtlich hat sich jedenfalls auch Belgien auf die Liberalisierungswelle der Gesellschaftsrechte eingelassen: Seit Juni 2010 gibt es die Möglichkeit der Gründung einer sog. „S.p.r.l. Starter“, d.h. einer der GmbH ähnelnden Rechtsform, die das für die société privée à responsabilité limitée gesetzlich vorgeschriebene Mindestkapital unterschreiten darf.1715 Somit sind auch die hier betrachteten traditionell der Sitztheorie folgenden Länder Frankreich und Belgien dem Trend zur Deregulierung im Gesellschaftssachrecht gefolgt, um die eigenen Gesellschaftsrechtsformen wettbewerbsfähig zu halten. Zudem wird im Zusammenspiel mit dem jeweiligen nationalen Gesellschaftskollisionsrecht die Mobilität der nach dem eigenen Recht gegründeten (Kapital-)Gesellschaften mittlerweile (explizit) für möglich gehalten.
schaft nach belgischen Recht, aber mit Verwaltungssitz im Ausland, stets belgisches Recht anzuwenden, s. Abrahams (1957), S. 111, 113. 1715 Art. 214 II i.V. m. Art. 211bis Code des sociétés, abrufbar via http://www.droit belge.be/codes.asp#soc. Die ursprünglich gesetzlich verankerte Pflicht der S.p.r.l. starter, das für die S.p.r.l. gesetzlich vorgeschriebene Mindestkapital binnen einer Frist von fünf Jahren aufzubringen, wurde mit Gesetzesnovelle zum 13. Februar 2014 gestrichen. Vgl. zum Überblick über die S.p.r.l. Starter etwa de Châtelet auf http://www.droit belge.be/fiches_detail.asp?idcat=32&id=648 (letzter Abruf: 2.5.14) Zu den Motiven des Gesetzgebers für die Einführung dieser Gründungserleichterung bemerkt der Autor: «Le législateur devait d’autant plus le faire que des formes sociétales sans capital de départ existent dans des autres pays européens: Royaume Unis, où on constitue une «limited private company» avec très peu de coûts et sans capital, en France où l’article L 223-2 du Code de commerce supprime l’exigence d’un capital minimum pour la SARL, tout comme en Allemagne avec la «mini GmbH» (§ 5 GmbH Gesetz) depuis novembre 2008, etc.»
C. Schlussbetrachtung Wesentliches Ziel dieser Arbeit ist die Aufarbeitung der Genese der Anerkennung von ausländischen Gesellschaften im engeren und im weiteren Sinne für die Länder Frankreich, Belgien und Deutschland. Neben der Identifikation von Gemeinsamkeiten und Unterschieden auf dem Weg zur Etablierung der Sitztheorie in den betrachteten Ländern sollte zugleich ein Beitrag zur Beurteilung des gegenwärtigen Standes des europäischen Gesellschaftsrechts im Hinblick auf die Niederlassungsfreiheit sowie die einzelstaatlichen Gesellschaftsrechtsordnungen unter dem Blickwinkel der historischen Heranbildung der Sitzanknüpfung geleistet werden. In der folgenden Schlussbetrachtung soll keine vollständige Zusammenfassung aller Ergebnisse der Arbeit geliefert werden, vielmehr sollen wesentliche Resultate hervorgehoben werden und ein Ausblick auf die Zukunft des europäischen Gesellschaftsrechts gewagt werden.
I. Entwicklungslinien der Sitzanknüpfung in Frankreich und Belgien Die Verfolgung der Geschichte der Anerkennung einer fremden Gesellschaft unter der zusätzlichen Bedingung der Verwaltungssitzansiedlung im Gründungsstaat hat einen engen inhaltlichen Zusammenhang zwischen dem nationalen und dem internationalen Gesellschaftsrecht aufgezeigt. Das Erfordernis der Konzessionserteilung, welches nach französischem und belgischem Aktiengesellschaftsrecht von 1807 bis in die Jahre 1867 bzw. 1873 für die rechtswirksame Entstehung einer société anonyme obligatorisch war, mutierte in beiden Ländern zum Anerkennungshindernis der Gesellschaften aus dem jeweiligen Nachbarstaat. Die Analyse des Zweckes der Konzession im nationalen Gesellschaftsrecht (Art. 37 cdc) hat ergeben, dass die im staatlichen Ermessen liegende Erlaubnis zur Gründung einer Aktiengesellschaft neben dem Schutz von Gläubigern und vor allem Dritten auch der Überwachung von wirtschaftlicher und politischer Machtbildung dienen sollte, wohingegen die Zuerkennung von Rechtsfähigkeit höchstens einen untergeordneten Aspekt der Konzession darstellen konnte, weil die Handelsgesellschaften des französischen Rechtskreises bereits im frühen 19. Jahrhundert als rechtsfähige Gebilde behandelt wurden. Im Kontrast zu dieser verhältnismäßig strikten Überwachung der Bildung eigener Gesellschaften stand die zunächst liberale Haltung gegenüber fremden Aktiengesellschaften, welche sich jedoch mit der Intensivierung des grenzüberschreitenden Handels und der Vervielfältigung der Aktiengesellschaften ins Gegenteil verkehrte. Demgemäß ent-
I. Entwicklungslinien der Sitzanknüpfung in Frankreich und Belgien
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puppte sich die ab der Mitte des 19. Jahrhunderts aufkommende Anerkennungsproblematik als Kind der zunehmenden wirtschaftlichen Konkurrenz zwischen nationalen und ausländischen Gesellschaften in Belgien. Die Befassung mit gegenüber der Anerkennung ablehnend eingestellten Urteilen hat bewiesen, dass zwar vordergründig an den rechtlichen Aspekten der fehlenden Konzessionierung einer fremden Gesellschaft im Gastland angesetzt wurde, juristische Argumente gegen die Anerkennung jedoch vorgeschoben und beliebig biegsam, teilweise sogar widersprüchlich, erschienen. Dies offenbarte sich besonders an der in den Urteilen regelmäßig anzutreffenden Argumentation anhand der Konzeption der juristischen Person als bloße Fiktion, weil die Fiktionstheorie vom höchsten belgischen Gericht innerhalb von zwei Jahren sowohl im Sinne der Anerkennung (aufgrund der Geltung von Art. 3 Abs. 3 c. civ.) als auch gegen diese angeführt wurde. Entsprechendes gilt für die Auseinandersetzung mit der Bedeutung der Konzession für die Erlangung der Rechtsfähigkeit einer (fremden) juristischen Person im Inland, welche für die nationalen Aktiengesellschaften niemals näher diskutiert wurde. Tatsächlich setzen sich in der Verwehrung der Anerkennung ausländischer Aktiengesellschaften größtenteils die (außerhalb des Rechts stehenden) Motive fort, die das Konzessionserfordernis im nationalen Gesellschaftsrecht bedingten: die Gewährleistung des Schutzes des heimischen Publikums vor unseriösen Geschäftemachern und die Furcht vor Überfremdung mit Gesellschaften, die aufgrund rechtlicher Vorteile gegenüber den Personengesellschaften zu einem größeren Störfaktor für die heimischen Marktakteure und die öffentliche Ordnung zu geraten drohten. Maßgeblich genährt wurden all diese Befürchtungen dadurch, dass das französische und belgische Recht im 19. Jahrhundert noch kaum zwischen Anerkennung und Zulassung einer Gesellschaft zum Gewerbebetrieb differenzierte. Die beschriebenen Ängste konnten aus juristischer Perspektive unter den unbestimmten Rechtsbegriff des ordre public (gemäß Art. 3 Abs. 1 c. civ.) subsumiert werden und damit der (behauptete) Zwang zur Konzessionierung der ausländischen Gesellschaft auch durch den Souverän des Gastlandes gerechtfertigt werden. Die in dieser Arbeit aufgezeigten ökonomischen Schwierigkeiten aufgrund drohender Retorsionsmaßnahmen überwogen im Zeitablauf dennoch die gefürchteten Risiken durch die fremden Kapitalgesellschaften und führten schließlich zum Erlass einer gesetzlichen Legitimationsgrundlage der Anerkennung in Belgien und Frankreich, welche von ihrer Funktionsweise her bereits über die Systematik des nationalen Gesellschaftsrechts hinausging, da statt einer Einzelerlaubnis ein Dekret für alle Gesellschaften erlassen werden konnte, welche sich im Territorium eines fremden Souveräns konstituiert hatten. Im Zusammenspiel mit dem Übergang zum System der Normativbestimmungen in den nationalen europäischen Gesellschaftsrechten ausgehend von England wurde zwar eine Schlechterstellung der jeweils eigenen Gesellschaften vermieden, da diese nun auch von dem Erfordernis einer Einzelerlaubnis befreit wurden
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C. Schlussbetrachtung
und ihnen ihre rechtliche Existenz bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen nicht verwehrt werden konnte, doch führte dieser Systemwechsel zu erneutem Misstrauen gegenüber ausländischen Aktiengesellschaften seitens Frankreich: Die ursprüngliche Garantie in Form der staatlichen Konzession im Ursprungsland der ausländischen Aktiengesellschaft, welche man unter den weiteren Voraussetzungen des Anerkennungsgesetzes von 1857 für die Anerkennung genügen ließ, war weggebrochen und der Wortlaut der Anerkennungsnorm passte nicht mehr so recht. Wenn auch dieses Problem durch die französische Rechtsprechung (bzw. im Verhältnis Elsaß-Lothringens zu Frankreich durch die deutsche Judikatur) zügig mit einer entsprechenden Auslegung der Anerkennungsnorm gelöst werden konnte, so wurde die Frage der Behandlung einer möglichen Ausnutzung liberalerer Gesellschaftsrechte für den Gründungsvorgang in Zusammenhang mit dem tatsächlichen Tätigwerden in einem anderen Staat mit regelmäßig höheren Gründungshürden brisant. Namentlich in Frankreich siedelte sich eine nicht unerhebliche Zahl von Gesellschaften an, die unter einem milderen ausländischen Aktiengesellschaftsrecht gegründet worden waren. Die Verhinderung des „Betrugs“ am französischen Recht läutete die Geburtsstunde der (Verwaltungs-)Sitztheorie ein (Anerkennung im weiteren Sinne bzw. kollisionsrechtliche Anerkennung): Das tatsächliche Sitzerfordernis im Ursprungsland sollte die missbräuchliche Gründung von Scheinauslandsgesellschaften verhindern. Daher griffen die französische wie die belgische Rechtsprechung auf den effektiven Sitz zurück, um die Rechtsordnung zu bestimmen, nach der sich eine Gesellschaft bei ihrer Gründung hätte richten müssen. Wie die Untersuchung vor Augen geführt hat, ließ sich das Sitzkriterium dogmatisch mit einer Parallele zur Bestimmung des Personalstatuts einer natürlichen Person konstruieren; anstelle der Staatsangehörigkeit trat für die juristische Person der Sitz als treffenderes Anknüpfungsmoment. Gemäß der anhand der Urteilspraxis dargestellten Anknüpfung des Personalstatuts juristischer Personen fügt sich die beschriebene Sichtweise historisch auch in die liberale Haltung der französischen und belgischen Rechtsprechung vor dem Anerkennungsstreit ein: Die Annahme der alleinigen Maßgeblichkeit der Konzessionserteilung für die Bestimmung des auf die Gesellschaft anwendbaren Rechts erscheint selbst unter dem vorherigen Gründungssystem zu absolut, da auch unter dem Konzessionssystem der Sitz als wesentliches Nationalitätskriterium in den Vordergrund treten konnte. Die Anforderungen, die der nationale Souverän an das Entstehen und Fortbestehen seiner eigenen Gesellschaften stellte (Sitz im Inland), wurden somit in Teilen auf die Anerkennungsmodalitäten übertragen. Die in diesem Zusammenhang zudem interessante und bisweilen von der deutschen Literatur des 20. Jahrhunderts angerissene Frage, inwieweit zudem der Streit um das Bestehen einer „echten Staatsangehörigkeit“ der juristischen Person des Privatrechts für die Etablierung der Sitztheorie in Frankreich von Bedeutung war, ist dahingehend zu beantworten, dass diese Kontroverse nicht zielführend für
II. Entstehung der Sitztheorie in Deutschland
439
die Entscheidung zwischen Sitz- und Gründungstheorie war, da man sowohl unter Bezugnahme auf den Nationalitätsbegriff als auch unter dessen Ablehnung zur Sitz- oder auch zur Gründungsanknüpfung gelangen konnte. Die Diskussion trug jedenfalls dazu bei, dass die heute getrennten Ebenen von Gesellschaftssach- und Gesellschaftskollisionsrechts (noch) ineinander verschwammen. In Belgien spielte die literarische Debatte um den Staatsangehörigkeitsbegriff von Gesellschaften schon allein deshalb keine große Rolle, weil die Sitztheorie bereits 1873 kodifiziert wurde. Für die Legitimation der Normierung der Sitzanknüpfung wurden anstelle einer Vergleichbarkeit in der Anknüpfung der Rechtsstellung natürlicher und juristischer Personen vor allem Zweckmäßigkeits- und Gerechtigkeitserwägungen eingestellt: Allein der Staat der hauptsächlichen Niederlassung der Gesellschaft hätte ein legitimes Bedürfnis, die Funktionsweise der Gesellschaft rechtlich zu determinieren, zumal die Gesellschaft unter dessen Rechtsordnung lebe und funktioniere. Obwohl in der französischen Literatur vor allem ab dem 20. Jahrhundert verschiedene weitere Anknüpfungstheorien entwickelt und diskutiert wurden, konnte sich allein die Sitzanknüpfung ausgehend von der Rechtsprechung ab dem zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts in Frankreich etablieren und wurde auch im Schrifttum zur herrschenden Auffassung. Die Herleitung der Gründe dieses Siegeszuges der Verwaltungssitzanknüpfung fiel nicht schwer: Die Sitzanknüpfung wurde dem Schutz nationaler Interessen Frankreichs (und Belgiens) und dem Streben nach Beständigkeit und Rechtssicherheit der Anknüpfung am besten gerecht.
II. Entstehung der Sitztheorie in Deutschland Auch in der Betrachtung der deutschen Entwicklung der Sitztheorie zeigt sich die gegenseitige Beeinflussung von nationalem und internationalem Gesellschaftsrecht. In Deutschland gab es – mit Ausnahme des Gebietes Elsass-Lothringens im Konflikt mit Frankreich – keine ernsthaften Probleme mit der Anerkennung fremder Aktiengesellschaften im engeren Sinne. Dies scheint zunächst erstaunlich, denn das Konzessionserfordernis im Aktienrecht hatte in den deutschen Gebieten neben rechtspolitischen Hintergründen ursprünglich eine stärkere dogmatische Bedeutung: Im preußischen Aktiengesetz von 1843 wurde die Konzessionserteilung noch als wesentliches Element der Erteilung der Rechte einer „moralischen Person“, also von Rechtspersönlichkeit an die Aktiengesellschaft beurteilt. Entsprechend hätte sich im Lichte der Fiktionstheorie eine Versagung der Anerkennung fremder Aktiengesellschaften angeboten, solange diese über keine zusätzliche Konzession in den deutschen Ländern verfügten. Da sich die Verleihung der Rechtssubjektivität als Rechtfertigung des Konzessionsbedürfnisses für das Sachrecht aber ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts beeinflusst durch die Nürnberger Beratungen zum ADHGB 1857 und die Zuerkennung von
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C. Schlussbetrachtung
Rechtsfähigkeit an Personengesellschaften im ADHGB von 1861 zunehmend verflüchtigte, standen auch hierzulande die rechtspolitischen Zwecke der staatlichen Erlaubnis im Fokus. In Preußen handelte es sich in erster Linie um wirtschaftspolitische Interessen: Nur diejenigen Gesellschaften durften konzessioniert werden, für die ein öffentliches Bedürfnis bestand und welche aufgrund des hohen Kapitalbedarfs nicht als Personengesellschaft bestehen konnten. Da der Staat die öffentliche Bedürfnisprüfung bestimmte, sah er sich selbst dazu in der Lage auch die wirtschaftliche Machtentfaltung von Aktiengesellschaften gezielt zu steuern und zu kontrollieren, was auch in der Literatur bis zu den 1850er Jahren überwiegend begrüßt wurde. Das Erfordernis der landesherrlichen Konzession der Aktiengesellschaft wurde aber in den deutschen Ländern nicht als Grund gegen die Anerkennung ausländischer Gesellschaften verwendet – auch nicht unter Berufung auf den (anfangs im Anerkennungsstreit zwischen Belgien und Frankreich vorgebrachten) ordre public. Der reichsweite Übergang zum System der Normativbestimmungen 1870 änderte an dieser liberalen Behandlung fremder Kapitalgesellschaften nichts, vielmehr hielt es die Mehrzahl der deutschen Autoren des 19. Jahrhunderts für selbstverständlich, dass der fremden juristischen Person auch in Deutschland ihre im Ausland erworbene Rechtspersönlichkeit zuteil werden müsse, da die automatische Anerkennung ein gewohnheitsrechtliches Gebot sei oder zumindest der Entfaltung des internationalen Handelsverkehr gebühre. Diese freiheitliche Haltung muss aber – wie umfassend dargelegt wurde – in der Zusammenschau mit zwei weiteren die Anerkennungsgarantie beeinflussenden Faktoren gewürdigt werden. Zum einen hat sich der deutsche Gesetzgeber nie zu einer gesetzlichen Regelung der (automatischen) Anerkennung bekannt, was vor allem politischen Bedenken bezüglich einer gegenüber dem Ausland als unnötig empfundenen vorzeitigen Bindung geschuldet war und darin mündete, dass lediglich Art. 10 EGBGB im 20. Jahrhundert als Überbleibsel der ursprünglich geplanten (am Sitz ansetzenden kollisionsrechtlichen) Anerkennungsregel einen engen Teilbereich der Anerkennung einer nach fremden Recht gegründeten juristischen Person normierte. Zum anderen setzte das deutsche Recht schon ab der Mitte des 19. Jahrhunderts gezielt spezielle gewerberechtliche Beschränkungen für ausländische Gesellschaften sowie Publizitätserfordernisse für Zweigniederlassungen als Kontroll- bzw. Vorsichtsmaßnahmen ein. Das kollisionsrechtliche Abstellen auf den Verwaltungssitz wurde nicht aufgrund der Ansiedlung von Scheinauslandsgesellschaften im eigenen Land von der deutschen Rechtsprechung durchgesetzt, sondern im Wege der Anlehnung an das nationale Sachrecht – ergänzt durch die Diskussion um die Staatsangehörigkeit der juristischen Person – verankert. Die Vergleiche zwischen der Nationalität einer natürlichen Person und der Zugehörigkeit einer Gesellschaft zu einem bestimmten Staat waren nicht ursächlich dafür, dass die Sitztheorie auch im deutschen Gesellschaftskollisionsrecht Fuß fasste. Vielmehr hat das Verständnis des
III. Vergleichende Betrachtung
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Sitzbegriffes im nationalen Gesellschaftsrecht als Sitz der Verwaltung auf die Anforderungen an die „fremde“ Gesellschaft im IPR ausgestrahlt. Wie die Auswertung der Kommentarliteratur zum ADHGB und die Entscheidungen von lokalen Instanzgerichten im 19. Jahrhundert ergeben haben, mussten Satzungs- und Verwaltungssitz einer deutschen Aktiengesellschaft traditionell im Inland begründet werden und vor allem übereinstimmen. Erst ab dem 20. Jahrhundert wurden die sachrechtlichen Anforderungen an die Sitzwahl unter der Einwirkung von § 24 BGB gelockert, weshalb eine nach deutschem Recht gegründete Kapitalgesellschaft ihren Verwaltungssitz abweichend vom Satzungssitz an einem anderen innerdeutschen Ort etablieren konnte (vgl. § 182 HGB von 1900 bzw. das explizite Wahlrecht zur Anknüpfung des Satzungssitzes in § 5 AktG von 1937 und von 1965). Der ursprüngliche Gleichlauf des Sitzverständnisses im Sach- und Kollisionsrecht wurde folglich sukzessive aufgeweicht. Entgegen der ab dem letzten Drittel des 20. Jahrhunderts teilweise propagierten „eingeschränkten Sitztheorie“ durfte eine nach deutschem Recht gegründete Gesellschaft ihren Verwaltungssitz aber richtigerweise nicht im Ausland einrichten. Was die kollisionsrechtliche Anwendung der Sitztheorie auf nach fremden Recht gegründete Gesellschaften betrifft, so hat das Reichsgericht bis auf wenige, speziellen Konstellationen geschuldete Sonderfälle auf den effektiven Verwaltungssitz abgestellt, was der BGH explizit in seine Urteilspraxis überführt hat. Neben dem beschriebenen (ursprünglichen) Gleichlauf von Sachrecht und Kollisionsrecht führten in Deutschland auch (ausgehend von der Staatsangehörigkeitsdebatte der juristischen Person) rechtspolitische Erwägungen zur allgemeinen Akzeptanz der Sitzanknüpfung: Der am meisten durch die Gesellschaftstätigkeit tangierte Staat sollte die Organisation der Gesellschaft juristisch beherrschen.
III. Vergleichende Betrachtung Ein Vergleich der Entwicklung hin zur Sitztheorie offenbart in den betrachteten Ländern große Gemeinsamkeiten. Es zeigt sich stets ein enger Zusammenhang des nationalen Gesellschaftsrechts sowohl bei der Anerkennung des fremden Rechtskonstruktes per se (Anerkennung im engeren Sinne) als auch bei der Anknüpfung der auf die Gesellschaft anzuwendenden Rechtsordnung (Anerkennung im weiteren Sinne bzw. kollisionsrechtliche Anerkennung). Die Notwendigkeit der Anerkennung im engeren Sinne wurde – zumindest nach den dargelegten Kontroversen – in allen untersuchten Ländern erkannt, denn der grenzüberschreitende Handel und damit der wirtschaftliche Erfolg eines jeden Staates wäre ohne die Akzeptanz ausländischer Rechtssubjekte weitenteils versperrt gewesen. Unterschiede zeigen sich aber in den Einzelheiten der Handhabung der Anerkennungsfrage: In Frankreich und Belgien wurde der Akzent auf die Absicherung der Gegenseitigkeit der Anerkennung der rechtlichen Existenz ausländischer Gesellschaften
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C. Schlussbetrachtung
gesetzt, weil sich Belgien dieses Kriterium im Gesetz von 1855 tatbestandlich vorbehalten hatte und auch in Frankreich entsprechende Dekrete oder Staatsverträge nach dem Gesetz von 1857 regelmäßig unter dem Aspekt der wechselseitigen Anerkennung der Rechtssubjektivität von Gesellschaften erlassen bzw. geschlossen wurden. Die Anerkennungsakte begriff man als Beleg dafür, dass der Staat die Garantien des ausländischen Gesellschaftsrechts auch für die eigenen Bürger als formal ausreichend einstufte. Ferner verband man mit der Anerkennung im Sinne des Gesetzes im 19. Jahrhundert zugleich die vorbehaltlose Zulassung zum Gewerbe, was entsprechenden Dekreten oder Staatsverträgen ein besonderes Gewicht verlieh. In Deutschland ging man nicht den Umweg über ein entsprechendes Anerkennungsgesetz und stellte die Rechtssubjektivität einer fremden Kapitalgesellschaft regelmäßig nicht in Frage. Die Vorbehalte, die die Gesetze von 1855/57 in Frankreich und Belgien machten, finden sich in Deutschland aber im Gewerberecht wieder. Durch spezielle Genehmigungsvorbehalte, die jedoch im Grundsatz nicht per Dekret für die Gesellschaften eines ganzen Landes, sondern für jede ausländische Gesellschaft einzeln erfüllt werden mussten, konnte die (für die nationale Wirtschaft gefährlichere) Zulassung bereits im 19. Jahrhundert kontrolliert werden. Gerechtfertigt wurden die gewerberechtlichen Beschränkungen – wie bereits im französischen und belgischen Anerkennungsgesetz – regelmäßig mit dem Verweis auf mögliche Regelungsgefälle in den nationalen Gesellschaftsrechten. Die Tatsache, dass letztlich auch im Rahmen der gewerberechtlichen Erlaubnis zum Tätigwerden neben dem Schutz sensiblerer Wirtschaftsbereiche vor allem die Gewährleistung von Reziprozität bezweckt wurde, wird durch die Möglichkeit zum Abschluss von wechselseitig die Zulassung gewährenden Staatsverträgen schon unter der Geltung der Gewerbeordnung von 1869 und später durch den Vorbehalt der Gegenseitigkeit in § 12 GewO (1965) ersichtlich. Bei der Herausbildung der kollisionsrechtlichen Anknüpfung am Verwaltungssitz sind die Parallelen in den drei Länderen ebenfalls unübersehbar. Ausgehend von dem Prinzip, dass eine Gesellschaft ursprünglich von dem Staat konzessioniert wurde, in dem diese ihren Sitz begründet hatte, schlussfolgerte man, dass auch unter dem System der Normativbestimmungen allein der Sitzstaat zur Verleihung der Rechtssubjektivität befugt sei. Entsprechend dieser Maxime konnte eine Gesellschaft nur dann als nach dem „richtigen Recht“ gegründet und aus der Perspektive des Anerkennungsstaates als rechts- und parteifähig betrachtet werden, wenn diese im Land der Erfüllung der gesellschaftsrechtlichen Gründungsvorgaben zugleich ihren Sitz nahm. In Frankreich und Belgien rückte der Fokus vor allem ab dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts auf das Erfordernis des tatsächlichen Verwaltungssitzes im Ursprungstaat, weil sich negative Erfahrungen mit nur formal einer fremden Rechtsordnung angehörenden Gesellschaften, die in Frankreich oder Belgien ihre Hauptgeschäftstätigkeit entfalteten, häuften. Während in Belgien aus Gerechtigkeitserwägungen die (einseitige) Sitztheorie
IV. Bewertung
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schon 1873 gesetzlich verankert wurde, kam es in Frankreich erst 1966 dazu. Dafür wurde das Ansetzen am effektiven Sitz wissenschaftlich durch das Konstrukt der einheitlichen Nationalität einer Gesellschaft begleitet, für deren Bestimmung sowohl für nach eigene als auch nach fremden Recht gegründete Gesellschaften einheitliche Maßstäbe gelten sollten. Diese Diskussion um die Staatsangehörigkeit von juristischen Personen entfaltete sich auch in der deutschen Literatur und beeinflusste den Gedanken, dass legitimerweise allein der Verwaltungssitzstaat zur Verleihung von Rechtspersönlichkeit imstande sein solle. Für das deutsche Recht lässt sich anhand der Nachweise zum Gesellschaftssachrecht im ADHGB veranschaulichen, dass die deutsche Aktiengesellschaft auch ihren Verwaltungssitz im Gründungsland zu etablieren hatte. In Zusammenhang mit der heute überholten Staatsangehörigkeitsdebatte erschließt sich, dass der Sitzbegriff im Sachrecht und im Kollisionsrecht damit traditionell als effektiver Verwaltungssitz interpretiert wurde.
IV. Bewertung des heutigen Gesellschaftsrechts in Europa im Spiegel der Anerkennungsgeschichte Kann man es als historisch gewachsenes Prinzip verstehen, dass die betrachteten Sitztheoriestaaten ausgehend von einem gleichlaufenden Verständnis der Kompetenz des tatsächlichen Sitzstaates zur Verleihung der Rechtsfähigkeit an juristische Personen regelmäßig parallele Anforderungen an die Sitzwahl im Sach- und im Kollisionsrecht stellten, so bricht das deutsche Kapitalgesellschaftsrecht in der Fassung nach dem MoMiG, welches nun nicht länger den Verwaltungssitz deutscher Gesellschaften im Inland fordert, zum einen augenscheinlich endgültig mit der ursprünglichen Entwicklung. Zum anderen führt das reformierte Kapitalgesellschaftsrecht auch zu Systembrüchen im wünschenswerten Gleichlauf von nationalem materiellem und internationalem Gesellschaftsrecht – schließlich hält der deutsche Gesetzgeber (soweit europarechtlich unbedenklich) an der traditionellen Sitztheorie fest und hat den Referentenentwurf zum (kompletten) Übergang zur Gründungstheorie auf Eis gelegt. Das MoMiG ist daher in seiner inhaltlichen Konzeption in §§ 5 AktG, 4a GmbHG rechtspolitisch verfehlt. Zugeschrieben werden kann diese, einer Art von vorauseilendem Gehorsam geschuldete, materielle Änderung des Gesellschaftsrechts keinesfalls einem Anpassungszwang an die Rechtsprechung des EuGH zur Niederlassungsfreiheit. Das Europarecht verlangt keinen solchen Paradigmenwechsel. Zwar ging – wie in der Arbeit nachgezeichnet wurde – die Rechtsprechung des EuGH bisher anhand der europäischen Niederlassungsfreiheit dahin, dass sie die Anerkennungsfrage liberal entschieden und daher nach der Ansicht eines nicht unerheblichen Teils der Literatur einen Übergang zur Gründungstheorie in allen EU-Mitgliedsstaaten erzwungen hat – und zwar auch in jenen, die ursprünglich uneingeschränkt der Sitztheorie gefolgt sind wie etwa Deutschland, Belgien und Frankreich. In Wahr-
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C. Schlussbetrachtung
heit hat aber der EuGH die Sitztheorie nie explizit per se als unvereinbar mit der Niederlassungsfreiheit beurteilt, sondern höchstens deren sachrechtliche Folgen in Teilbereichen bei Zuzugsfällen als Beschränkung der Niederlassungsfreiheit (wie in „Überseering“) klassifiziert, was die wohl überwiegende Auffassung in der Literatur als einen Übergang zur sogenannten „europarechtlichen Gründungstheorie“ eingeordnet hat.1716 Lässt hingegen bereits der Ursprungs- und Wegzugsstaat entsprechend der Entscheidung des EuGH zu „Cartesio“ aufgrund seiner kollisions- oder sachrechtlichen Regeln die identitätswahrende Verwaltungssitzverlegung nicht zu, so besteht aber auch im Zuzugsstaat konsequenterweise kein anerkennungsfähiges korporatives Rechtssubjekt. Ein näherer Blick auf „Cartesio“ lässt folglich erkennen, dass dieses Urteil für die Anerkennungsfrage (also das internationale Gesellschaftsrecht) in Europa gar nichts Neues bringt, sondern nur klarstellt, dass die Mitgliedsstaaten in der Gestaltung ihres nationalen Gesellschaftsrechts völlig frei sind, also auch weiterhin – anders als es §§ 5 AktG und 4a GmbHG in der neuen Fassung von 2008 vorsehen – den Sitz einer Gesellschaft im Inland fordern können. Zusammenfassend respektiert das europäische Gericht eine mitgliedsstaatliche Sitzanknüpfung im Sach- und Kollisionsrecht so weit als möglich. Ein allgemeiner Übergang zur Gründungstheorie respektive die Verbannung des Verwaltungssitzerfordernisses im Inland aus der deutschen Rechtsordnung waren nach der klaren Stoßrichtung der EuGH-Urteile nie angezeigt. Die Konsequenz, dass sich aus der Urteilspraxis des europäischen Gerichtshofes Ungleichbehandlungen für europäische Gesellschaften ergeben können, je nachdem, ob ein Mitgliedsstaat der Sitz- oder Gründungstheorie folgt bzw. welche Anforderungen das nationale Sachrecht für Gesellschaften stellt oder welche Möglichkeiten es bietet, trägt der Vielfalt und der Autonomie der nationalen Rechtsordnungen Rechnung.1717 Die Rechtssache „National Grid Indus“ zeigt 1716 Vgl. zur europarechtlichen Gründungstheorie etwa MüKo-BGB/IPR/Sonnenberger, 5. Aufl. 2010, Einleitung, Rn 140 f.; Grundmann (2011), § 22, Rn 781, 785, S. 459 f. und 462 ff. Die Tatsache, dass die Anwendung der Sitztheorie auch für den Zuzugsstaat einer fremden Gesellschaft mit ihrem Verwaltungssitz im Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit theoretisch dennoch möglich ist, kommentiert MüKoBGB/IPR/Sonnenberger, 5. Aufl. 2010, Einleitung, Rn 140, wie folgt: „Der Mitgliedstaat, in den die Hauptverwaltung der Gesellschaft verlegt wird, kann (. . .) das neue Sitzrecht anwenden, wenn dieses den Fortbestand der Gesellschaft in gleichwertiger Gestalt ermöglicht und Art. 48 [EG, numehr Art. 54 AEUV] nicht berührt wird.“ Dieses Zugeständnis ist aber in der Praxis wohl ohne Belang – setzt es doch implizit voraus, dass die sachrechtlichen Regeln des Ursprungsstaates und des neuen Verwaltungssitzstaates inhaltlich identisch sind. Da dies in der Regel gerade nicht der Fall ist und sich die jeweiligen Voraussetzungen unterscheiden, hatte ja ursprünglich gerade die Sitztheorie ihre Legitimation und Bedeutung erlangt. 1717 A. A. MüKo-BGB/IPR/Sonnenberger, 5. Aufl. 2010, Einleitung, Rn 166, der die Rechtsprechung des EuGH, v. a. die Differenzierung von Zuzugs- und Wegszugsfällen stark kritisiert und darin eine mögliche Diskriminierung durch die Gemeinschaft selbst befürchtet, „(. . .) wenn es künftig Gesellschaften gibt, die durch Ermöglichung der Ver-
IV. Bewertung
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zudem, dass Gründungstheoriestaaten nicht zwangsläufig besser stehen als Sitztheoriestaaten, denn hiernach unterfallen steuerrechtliche Wegzugsbeschränkungen im Gegensatz zu gesellschaftsrechtlichen Wegzugssperren dem Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit. Leider sind jedoch die praktischen Auswirkungen der europäischen Urteile zur Niederlassungsfreiheit nicht begrüßenswert. Da es die Gewährleistung dieser Grundfreiheit gebietet, dass der Zuzug einer fremden Gesellschaft mit ihrem Verwaltungssitz und ihr Tätigwerden im europäischen Gaststaat grundsätzlich nicht behindert werden darf, stellen Mitgliedsstaaten ihre eigenen Gesellschaften im europäischen Wettbewerb naturgemäß schlechter, wenn sie diesen einen solchen Wegzug sach- bzw. kollisionsrechtlich nicht gestatten. Flankierend wirkt sich ein verhältnismäßig strenges nationales Gesellschaftsrecht schädlich auf die Attraktivität der nationalen Rechtsordnungen aus und es besteht die Gefahr, dass Gründungen unter flexibleren und liberaleren europäischen Gesellschaftsrechten abgewickelt werden, was mittelbar auch negative Konsequenzen für die fiskalischen Interessen des betreffenden Staates mit sich bringt (z. B. in Form von fehlenden Steuereinnahmen).1718 Infolge dieser Effekte kam es in Deutschland zur Umkehr des ursprünglichen Gedankens der Sitztheorie im Sinne eines „race to the bottom“ im Sachrecht und einer Abkehr der Verwaltungssitzanknüpfung für die heimischen Kapitalgesellschaftsformen. Die laxeren Gründungsbedingungen für nationale Kapitalgesellschaften führen in Kombination mit dem einseitigen Übergang zur Gründungstheorie zur kompetitiven Gleichschaltung mit denjenigen Ländern, die uneingeschränkt der Gründungstheorie folgen und damit sachsowie kollisionsrechtlich den Wegzug eigener Gesellschaften schon immer gestatteten und zudem geringere Gründungshürden aufstellen. Wie aufgezeigt, lassen sich ähnliche Entwicklungen hin zur Verwaltungssitzmobilität eigener Gesellschaftsformen und zur Deregulierung des nationalen Sachrechts auch in Frankreich und Belgien verzeichnen. Insgesamt kommt es also unter dem Deckmantel der Anpassung an die EuGH-Rechtsprechung zu einem nicht wünschenswerten Anforderungsverlust der nationalen Gesellschaftsrechte, obwohl die europäische Rechtsprechung per se keinesfalls zu solch einer Deregulierung zwingt, sondern nur die liberale Anerkennung von EU-ausländischen Gesellschaften innerhalb Europas unterstützt.
legung ihres tatsächlichen Verwaltungssitzes unter Beibehaltung ihres Gesellschaftsstatuts wettbewerblichen Entwicklungen leichter folgen können als andere, die zum Wechsel ihres Statuts gezwungen sind.“ 1718 Siehe auch Ringe, EBLR 2005, 621, 642, der betont, dass es zwar einleuchte, dass Staaten mithilfe der Verwaltungssitzanknüpfung im Sach- und Kollisionsrecht auch für eigene Gesellschaften einen Wegzug und damit einen Verlust der Vorteile der Geschäftstätigkeit vermeiden wollen, dass es aber wirkungsvoller sei, die Gesellschaften mithilfe eines attraktiven Gesellschaftsrechts und guter Infrastruktur ans Inland zu binden.
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C. Schlussbetrachtung
Die beschriebenen Konsequenzen für das Regelungsniveau in den nationalen Gesellschaftssachrechten sind keine besondere Überraschung, sondern – im Gegenteil – leicht vorhersehbar. Denn gegenwärtig wiederholt sich in den europäischen Mitgliedsstaaten jene Entwicklung, die historisch vor allem in den USA als Defekt der Gründungstheorie eingetreten und unter dem geflügelten Begriff des „Delaware-Effektes“ 1719 bekannt geworden ist. Auch die traditionellen Gründungstheoriestaaten England und Amerika konnten ihre (oberflächlich betrachtet) liberale Anerkennungspraxis, nach welcher eine ausländische Gesellschaft als regelmäßig rechts- und parteifähig gilt, wenn diese nach dem Recht ihres Ursprungsstaates (lediglich) wirksam gegründet ist, nicht bedingungslos anwenden.1720 Wie Höfling in ihrer Monographie aus dem Jahre 2002 herausgearbeitet hat, steuern in England im Grundsatz zwingende Mechanismen des englischen Sachrechts dem Missbrauchspotential von fremden (Schein-)Auslandsgesellschaften entschieden entgegen.1721 Jedoch hat die Mode zur Deregulierung der europäischen Gesellschaftsrechte in den letzten Jahren auch vor dem englischen Recht nicht Halt gemacht.1722 In den Vereinigten Staaten von Amerika, in denen jeder Bundesstaat traditionell ein eigenständiges Gesellschaftsrecht besitzt, haben die Grundsätze des dortigen interlokalen Gesellschaftsrechts zur Anwendung der Gründungstheorie geführt.1723 Im Laufe des 20. Jahrhunderts kam es (bedingt durch finanzielle Engpäße einzelner Bundesstaaten) zu einer Liberalisierungswelle der einzelstaatlichen Aktienrechte, deren extreme Ausgestaltungen vor allem in New Jersey und Delaware zu beobachten waren.1724 Diese ,Spirale nach unten‘ führte aber in den USA einerseits zu teilweise Korrekturen von der Gründungsanknüpfung hin zu einer Verwaltungssitzanknüpfung, sofern es sich um 1719
So bezeichnet bei MüKo-GmbHG/Fleischer, 1. Aufl. 2010, Einleitung, Rn 222. Vgl. ausführlicher zur historischen Entwicklung der Gründungstheorie in England, Foote, Clunet 9 (1882), 465, 473 f., 485 ff., Schwandt (1912), S. 304 ff.; Höfling (2002), S. 96 ff. 1721 Als schützende Mechanismen dienen zivilrechtliche Haftungstatbestände, das Insolvenzrecht und das Verwaltungsrecht, siehe Höfling (2002), S. 161 ff., insbesondere S. 197 f., 239 f., 333 f.; Ebenroth/Eyles, DB 1989, 413, 417; Prentice, EBLR 2003, 631, 634 f.; Erk, EBLR 2010, 413, 431; Teichmann, ZGR 2011, 639, 682 ff. Bereits 1932 hatte Spindler, S. 21, zum Umgang mit ausländischen Gesellschaften in England schriftlich fixiert: „Fraudulosen Auslandsgründungen soll also nicht durch Verweigerung der Anerkennung, sondern durch eine möglichst weitgehende Gleichstellung mit den heimischen Gesellschaften entgegengetreten werden.“ Zu den Zulassungsbeschränkungen fremder Gesellschaften unter dem Eindruck des 2. Weltkrieges in England, s. a. Nordmann (1939), S. 80 f. 1722 Dierksmeier/Scharbert, BB 2006, S. 1517 ff.; Just (2012), Rn 4, Rn 22 ff. 1723 Vgl. zum interlokalen Gesellschaftsrecht der USA etwa Young, 22 Havard Law Review (1908), 1, 3 ff. m.w. N.; Ehrenzweig, Bd. 1 (1959), § 12, S. 38 ff. und § 24, S. 66 ff.; Großfeld, RabelsZ 31 (1967), 1, 39; Sandrock, RabelsZ 42 (1978), 227, 229 f.; Merkt/Göthel (2006), Rn 183–190, S. 154–158; zu Restriktionen des Fremdenrechts, siehe Vagts, 74 Harvard Law Review (1961), S. 1489 ff. 1724 Siehe überblicksartig Merkt/Göthel (2006), Rn 18 f., S. 67 f. und Rn 24–28, S. 70–73. 1720
IV. Bewertung
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Scheinauslandsgesellschaften handelte, andererseits zum Erlass von flankierenden Schutzvorschriften vor allem für Anleger auf Ebene der Einzelstaaten und des Bundesrechts.1725 In den (scheinbar) liberalen Gründungstheoriestaaten musste die unterstellte Liberalität demnach in aller Regel auf anderen, sachrechtlichen Gebieten wieder eingefangen werden, um grobe Auswüchse zu vermeiden.1726 Die Geschichte lehrt folglich, dass der Wettbewerb um das liberalste Kapitalgesellschaftsrecht in Zusammenhang mit der ungezügelten Gründungstheorie zu Missbräuchen führt. Auf europäischer Ebene ist daher ebenfalls zu befürchten, dass sich der Kurs in Richtung immer geringerer nationaler Gründungsanforderungen fortsetzen wird.1727 Um zu verhindern, dass sich diese dunklen Kapitel in der Geschichte des amerikanischen Kapitalgesellschaftsrechts im gleichen Ausmaß in Europa wiederholen, sind rechtliche Interventionen erwägenswert. Die zufriedenstellende, wirksame Lösung der Problematik scheint allein auf europäischer Ebene zu suchen zu sein, denn schließlich hat die Niederlassungsfreiheit mittelbar den Wettstreit um die Deregulierung der nationalen Gesellschaftsrechte eingeleitet. Zwei europarechtliche Ansatzpunkte sind prima vista denkbar: eine kollisionsrechtliche oder eine sachrechtliche Harmonisierung. Eine Vereinheitlichung der Gesellschaftsanknüpfung scheint zum jetzigen Zeitpunkt sehr unwahrscheinlich und könnte innerhalb der Europäischen Union wohl nur durch das Tätigwerden des Unionsgesetzgebers (auf Grundlage von Art. 81 II lit. c, 114 AEUV)1728 gelingen, da im Hinblick auf die Aufgabe des Ziels eines Anerkennungsübereinkommens ein politischer Kompromiss der Mitgliedsstaaten fernliegend ist. Geht man davon aus, dass beim heutigen Stand des europäischen Gesellschaftsrechts allein eine Kodifikation der Gründungstheorie in Rede stehen könnte, so muss der kollisions1725 Vgl. hierzu detailliert Latty, 65 Yale Law Journal (1955), S. 137, 150 ff.; Großfeld (1975), S. 51 ff.; Merkt/Göthel (2006), Rn 29–32, S. 73–76 und Rn 191–205, S. 158–164. 1726 Somit ist ein erkanntes Schutzbedürfnis beiden vorherrschenden Anerkennungstheorien gemein. 1727 So auch vorsichtig andeutend Roth (2010), S. 33; optimistischer Habersack/ Verse (2011), § 3, Rn 39, S. 42, die die Gefahr eines race to the bottom nicht überbewerten wollen, sich jedoch „aus guten Gründen“ für die weitere Angleichung von Gläubiger-, Gesellschafter- und Anlegerschutz aussprechen. 1995 hatte Merkt, RabelsZ 59 (1995), 545, 560 ff., die Gefahr eines Deregulierungswettbewerbes vor allem auch mit Blick auf die in den EU-Staaten vorherrschende Sitztheorie und unter dem alleinigen Einfluss des Urteils zu „Daily Mail“ relativiert. A. A. Kieninger, in: Eger/Schäfer (Hg.) (2007), S. 170, 193 ff. 1728 Zur Kompetenz der EU zur Gesetzgebung im Gesellschaftsrecht, s. Habersack/ Verse (2011), § 3, Rn 40 ff., S. 43 ff.; vgl. für eine Vereinheitlichung des internationalen Gesellschaftsrecht in Europa Behrens, EuZW 2013, 121, 122; s. a. (noch auf Grundlage des EGV) Begründung der Spezialkommission des Deutschen Rates für IPR zum Vorschlag zur Regelung des internationalen Gesellschaftsrechts im Wege einer Verordnung auf europäischer Ebene, in: Sonnenberger (Hg.) (2007), S. 16.
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C. Schlussbetrachtung
rechtliche Lösungsansatz sogleich verworfen werden – dem Anreiz zur Deregulierung der Sachrechte im Sinne eines „race to the bottom“ wird dadurch gerade nicht entgegen gewirkt. Ferner könnte man eine Verknüpfung von Satzungs- und Verwaltungssitz auf sachrechtlicher Ebene erwägen, wie es dies der Unionsgesetzgeber in sekundärrechtlichen Rechtsakten zu europäischen Rechtsformen (SE und SCE) bereits vorgelebt hat, doch scheint eine Einigung auf eine solche Übereinstimmung Utopie.1729 Als weitere Option bleibt damit eine Regulierung der Schutzinstrumente auf der Stufe des Sachrechts. Beispielsweise könnte ein Lösungsvorschlag in der Harmonisierung des Erfordernis eines bestimmten Mindesteigenkapitals liegen bzw. in der Gleichschaltung der Anforderungen an die Kapitalaufbringung und -erhaltung erblickt werden.1730 Die Wirksamkeit einer bloßen Mindestkapitalvorschrift für den Drittschutz ist jedoch ebenfalls fraglich.1731 Folglich bleibt die Erarbeitung der wünschenswerten Lösung zur Vermeidung einer Abwärtsspirale eine Zukunftsaufgabe, welche die Juristerei auch in den nächsten Jahren intensiv beschäftigen dürfte.1732 Anliegen der vorliegenden Arbeit war es jedoch nur, die historische Entwicklung aufzuzeigen und nicht künftige Ausgestaltungen oder gar den Königsweg zur Behandlung dieser Problematik zu erarbeiten. Gegenwärtig sind jedenfalls noch keine konkreten, widerspruchsfreien Lösungsansätze für die angerissenen Schwierigkeiten erkennbar.
1729 Vgl. Art. 7 der SE und Art. 6 der SCE-Verordnung. Auch die Spezialkommission des Deutschen Rates für IPR hat auf Grundlage ihres Vorschlages zur Regelung des Gesellschaftskollisionsrechts auf EU-Ebene, welcher der Gründungstheorie folgt, eine Verknüpfung von Satzungs- und Verwaltungssitz zumindest im Sachrecht erwogen, siehe Zimmer, in: Sonnenberger (Hg.) (2007), S. 371, 376 ff.; s. a. Roth (2010), S. 54 ff., 63. 1730 Vgl. hierzu Roth (2010), S. 32, der zu bedenken gibt, dass selbst bei unterstelltem ähnlichen Gläubigerschutzniveau in den einzelnen Mitgliedsstaaten eine Rechtsschutzlücke droht, weil etwa verwaltungsrechtliche Eingriffe bei Scheinauslandsgesellschaften leerlaufen oder Schutzmechanismen mangels Anknüpfung über das Gesellschaftsstatut nicht zur Anwendung gelangen; ähnlich äußerte sich auch bereits Zimmer, in: FS Lutter (2000), S. 231, 244 f. Zum aktuellen Stand und bestehenden Defiziten in der Angleichung des mitgliedsstaatlichen Gesellschaftsrechts, vgl. Habersack/Verse (2011), § 4, Rn 1 ff., S. 62 ff. 1731 Vgl. hierzu ausführlich Teichmann (2006), S. 449 ff. 1732 Vgl. zum Stand der Diskussion über bestehende Schutzdefizite (durch Anwendung des Gründungsrechts, den daraus abzuleitenden Korrekturbedarf und möglichen Lösungsvorschlägen (durch methodisch unterschiedliche Varianten zur Legitimation der Heranziehung inländischer Schutzvorschriften) etwa Kienle, in: Süß/Wachter (Hg.), 2. Aufl. 2011, S. 1–75; s. a. zu dieser Problematik MüKo-AktG/EU-Niederlassungsfreiheit/Altmeppen/Ego, 3. Aufl. 2012, Rn 225 ff.
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Personen- und Sachwortverzeichnis Abrahams, Raymond 19 Abschottung 308, 311 Absicherung (der Anerkennung) siehe Anerkennung (automatische) Abstammungsprinzip siehe ius sanguinis AEUV – Art. 49, 54 siehe Niederlassungsfreiheit – Art. 52 AEUV 398 Agiotage 41, 43 f. Akt, staatlicher – zur Anerkennung siehe Anerkennung (Anerkennungsakt) – zur Entstehung der Aktiengesellschaft siehe Konzession sowie speziell 35 f., 38, 117 f., 157, 198, 200, 209, 292, 302 Aktienbank 208 Aktiengesellschaft (Entwicklung) 23 ff., 189 ff. Aktiengesellschaftskongress 300 Aktienrechtgesetzgebung – in den deutschen Gebieten/Deutschland 190 ff., 212 ff., 419 ff. – in Frankreich/Belgien 48 ff., 162 ff. Aktienschwindel 206 ff. Aktionär/Aktionärshauptversammlung 40, 57 ff., 192, 198, 206 ff., 300, 306 ff., 344 Aktivlegitimation/aktivlegitimiert 99, 361 f. Allgemeininteresse (nationales Interesse) 54, 79, 89, 102, 149, 161, 194, 212, 398 Analogieschluss 126, 291 f., 298, 313, 383 Ancien droit 25 ff., 313 Ancien Régime 32 ff.
Änderung (von Gesetzen) 17, 45, 162 ff., 177, 201, 203, 219, 225, 234, 281, 388, 415, 420 ff., 443 Anerkennung/Anerkennungspraxis – Anerkennungsakt 21, 115, 442 – automatische/ipso iure/Anerkennungspflicht 82 ff., 86 ff., 112, 131, 244 ff., 252 f., 259 ff., 441 – fehlende 66 ff., 161 ff. – im engeren Sinne 20 f., 22 ff., 189 ff. – im weiteren Sinne 259 ff., 331 ff. Anerkennungsgesetz siehe Gesetz (Anerkennungsgesetz) Anerkennungsregel – mangelnde im ADHGB und in den Aktienrechtsnovellen 1857 195 f., 201 ff., 218 ff. – mangelnde im EGBGB/BGB 235 ff. Anerkennungsstreit – zwischen Frankreich und Belgien 85 ff. – zwischen Frankreich und Elsaß-Lothringen 177 ff. – innerdeutsche Anerkennungsproblematik 364 ff. – Neuauflage des Streits zwischen Frankreich und Belgien 186 ff. Anknüpfungskonzepte (siehe auch Gründungs- und Sitztheorie) 279 ff., 299 ff. Anlegerbetrug 40 f., 54 Anschütz, August 345 Appellationsgerichtshof zu Köln 249 f. Approbation (des Königs) siehe Octroi Arntz, Égide Rodolphe Nicolas 113 ff., 160 f. association siehe Person (juristische des öffentlichen Rechts)
Personen- und Sachwortverzeichnis Aufenthalt (gewöhnlicher) siehe Wohnsitz (der natürlichen Person) Ausländereigenschaft siehe Gesellschaft (ausländische) Auslandsgesellschaft siehe Gesellschaft (ausländische) Auslegungsstreit siehe Gesetz (Anerkennungsgesetz, französisches vom 30. Mai 1857) Autorisation (staatliche der Aktiengesellschaft) siehe Konzession Ballot, Charles 149 Banque – Charles d’Espagne 42 – de France 52, 134 – foncière 72 – hypothécaire 263 f. – Ottomane 275 Bartels, Jules 113 ff., 160 f. Bastiné, Louis 113 ff., 160 f. Baums, Theodor 205 Behrens, Peter 382 Beitzke, Günther 254, 337, 382 Bérenger, Jean 52 Berggewerkschaft (Gothaer) 364 ff. Berlin-Frankfurter-Eisenbahngesellschaft 341 Bertrand, M. 131, 136, 138 ff. Beschränkungen – der Niederlassungsfreiheit 390 ff., 410 ff. – gewerberechtliche 160 f., 220 ff., 241, 256 ff., 258 f., 440 ff. Beständigkeit (des Anknüpfungskriteriums) siehe Zusammenhang (Synthese/ Stellungnahme) Besteuerung (der Gesellschaft) 44, 135, 271, 301, 326 f., 350, 390 ff., 401 ff., 415 Betriebsschließung siehe Gesetz (GewO, § 15) Betriebsstätte (hauptsächliche) 304 f., 314 ff., 318 ff., 322 ff.
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Betrug (am nationalen Gesellschaftsrecht) siehe Gründung unter falschem Recht Beziehungen, internationale 40, 113, 130 ff. Billigkeitserwägungen 147 ff. Bonaparte, Napoleon 48, 63, 77 Bonnassieux, Pierre 36 Brandenburgisch-Afrikanische Compagnie für den Handel nach Guinea siehe Kurfürst von Brandenburg Bredin, Jean-Denis 19 Briefkastengesellschaft siehe Scheinauslandsgesellschaft Buchère, Ambroise 67 Bundesgerichtshof (BGH) – Urteil vom 11. Juli 1957 376 – Urteil vom 30. Januar 1970 („Interfinanz“) 376 f. – Urteil vom 1. Juli 2002 („Jersey“) 380 f., 396 – Urteil vom 13. März 2003 („Überseering“) 396 f. – Urteil vom 2. Juni 2008 („Sitzverlegung“) 387 f. – Urteil vom 27. Oktober 2008 („Trabrennbahn“) 378, 380, 424 Caisse d’Escompte 42, 44 Caisse franco-suisse 144 f. Cambacérès, Jean-Jacques Régis de 39, 59 Cambon, Pierre Joseph 43 capacité siehe Rechtsstellung (persönliche) Carlsglück siehe Reichsgericht (Urteil vom 19. Januar 1918) Cartesio siehe Europäischer Gerichtshof (EuGH) Castier, Georges-Alexandre 68, 76 centre d’exploitation siehe Betriebsstätte (hauptsächliche) 314 ff. code civil (c. civ.) 85, 146, 286, 335
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Personen- und Sachwortverzeichnis
– Art. 3 74 ff., 87, 89 f., 92, 95 ff., 104 f., 108, 122, 124 ff., 143, 154 f., 158, 277, 279, 286, 293, 296, 437 – Art. 9 298, 313 – Art. 10 298 – Art. 11 87, 129 – Art. 14 68, 92, 145, 148, 279, 289 – Art. 15 87, 90, 92, 98, 100 f., 103 ff., 107, 109, 144 f., 148, 279, 289 – Art. 16 92, 145 – Art. 102 292 f., 295 – Art. 529 51 f. – Art. 619 51 – Art. 1837 277, 430 – Art. 1873 51 code de commerce (cdc) 16, 24, 28, 39, 48 ff., 66, 76 f., 265 ff., 277 ff. – Art. 18 51 – Art. 23 59 – Art. 29 ff. 53, 79, 250 – Art. 37 49 f., 56 f., 61 ff., 70 ff., 74 ff., 77 ff., 85 f., 86 ff., 91, 92 ff., 98 ff., 117, 121 ff., 134, 142 ff., 156 ff., 166, 168 ff. 170 f., 171 ff., 264, 436 – Art. 42, 45 61 – Art. 128 ff. (belgischer cdc) 268 f. – Art. 531 53 – L. 210-3 277 f., 430 code de procédure civile (Art. 69 Nr. 6) 51 f. Code des sociétés (Art. 58) 433 Colbert, Jean-Baptiste 32 f., 33 ff. comitas siehe courtoisie communauté 24 ff., 35 Compagnie 33 ff., 39 ff., 189 f. – (Grandes) compagnies de commerce 33 ff. 46 f. – d’assurances générales 71, 73 – d’assurances générales contre l’incendie 98 ff. – d’assurances réunies contre les risques de mer, incendie et grêle 71 – d’Assurances-Vie 44
– des Eaux 42 – des Indes siehe Kolonialgesellschaft – des Indes Orientales siehe Kolonialgesellschaft – Nouvelle Compagnie des Indes siehe Kolonialgesellschaft Comptoir d’Escompte siehe Reichsoberhandelsgericht Conseil d’Etat 41, 48, 59 f., 66, 76, 137 f., 142 f., 145 corporation/Corporation 28 f., 53 f., 119, 191, 201, 342, 361 corps 25, 27 Corps Législatif 136 ff. Cour (d’appell) – de Bruxelles 81, 122, 263 f. – de Paris 146 f., 169 f. Cour de cassation – belgische, Urteil vom 26. Mai 1842 81 – belgische, Urteil vom 22. Juli 1847 92 ff. – belgische, Urteil vom 08. Februar 1849 98 ff. – belgische, Urteil vom 30. Januar 1851 110 ff. – französische, Urteil vom 02. Juni 1834 29 – französische, Urteil vom 26. Juli 1853 282 – französische, Urteil vom 04. Mai 1857 302 – französische, Urteil vom 01. August 1860 142 ff. – französische, Urteil vom 19. Mai 1863 147 ff. – französische, Urteil vom 20. Juni 1870 271 f., 326 – französische, Urteil vom 14. Mai 1895 186, 252 – französische, Urteil vom 28. April 1902 186 f. – französische, Urteil vom 12. November 1965 („Lamot“) 434 Cour impérial d’Aix 145, 283
Personen- und Sachwortverzeichnis courtoisie 151 f., 175, 217 Crédit foncier international 263 f. Crédit foncier suisse 273 Cuq, Marcel-Edouard 285, 319 d’Argentré, Bertrand 131, 136, 138 ff. Daseinsberechtigung (einer Gesellschaft außerhalb ihres Gründungslandes) siehe Existenz Décret/Dekret – Décret 26-29 germinal an II 44 ff., 53 – Décret d’Allarde 45, 53 – décret impérial 137 ff., 241 Delaware-Effekt 446 Demogue, R. 291 f. Demolombe, Charles 125 Denisart, Jean-Baptiste 32 Deregulierung siehe Liberalisierung der europäischen Gesellschaftsrechte (im 21. Jahrhundert) sowie speziell 429, 445, 448 Deutscher Bund 178, 183, 213, 218 Deutscher Rat für IPR siehe Referentenentwurf Deutsches (Kaiser-)Reich 177, 350 Dolez, Hubert 284 domicile/Domizil siehe Wohnsitz droit – commun 78, 121, 126, 144, 149 – intermédiaire 54 Dumpingstrategie siehe Kontrolltheorie Eigentumserwerb (von juristischen Personen)/Erwerbsbeschränkungen 85, 221 f. Eigenverantwortung 164, 208 Eintragungspflicht siehe Anmeldungszwang 162 ff., 195 f., 212 ff., 218 ff., 379 Einzelprivileg siehe Octroi Eisenbahn(aktien)gesellschaft 193, 224, 341 f., 357 f. Elsaß-Lothringen 176 ff., 188, 252, 256 ff.
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England 35, 162 ff., 166 f., 210, 245 f., 261 f., 263 f., 274, 326, 338, 363, 421, 437, 446 f. Entsenderecht (von Kommissaren) 212 Entstehungsvoraussetzung (der Aktiengesellschaft) siehe Konzession Entzug (der Konzession) 212 Erlass – Erlass vom 29. Juli 1872 siehe Anerkennungsstreit zwischen Frankreich und Elsaß-Lothringen – Erlass vom 11. März 1881 siehe Anerkennungsstreit zwischen Frankreich und Elsaß-Lothringen Ernst, Antoine-Nicolas-Joseph siehe Justizminister, belgischer Ersatzgarantie (für die persönliche Haftung) siehe Garantie Erwerbsbeschränkung 85, 221 f. état siehe Rechtsstellung (persönliche) Etoile 170 f. être moral siehe Person (juristische des Privatrechts) Europäischer Gerichtshof (EuGH) – „Daily Mail“-Urteil vom 27. September 1988 390 ff. – „Centros“-Urteil vom 9. März 1999 392 f. – „Überseering“-Urteil vom 5. November 2002 393 ff. – „Inspire Art“-Urteil vom 30. September 2003 397 ff. – „Sevic Systems“-Urteil vom 13. Dezember 2005 400 f. – „Cadbury Schweppes“-Urteil vom 12. September 2006 401 ff. – „Cartesio“-Urteil vom 16. Dezember 2008 15, 403 ff., 410 ff., 415 ff., 420 ff., 443 ff. – „National Grid Indus“-Urteil vom 29. November 2011 415 – „VALE“-Urteil vom 12. Juli 2012 408 f. – Bewertung der EuGH-Rspr. unter historischer Perspektive 410 ff.
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Personen- und Sachwortverzeichnis
EWG-/EG-Vertrag siehe AEUV Existenz/Existenzbedingungen/Existenzvoraussetzungen/Existenzberechtigung (der juristischen Person) 23 ff., 48 ff., 66 ff., 85 ff., 154 ff., 156 ff., 190 ff., 218 ff., 251 ff., 287, 332, 339, 385 ff., 410 ff., 436 ff. Ex(tra)territorialität (des Personalstatuts) 101, 124 f., 254 Fallon, M. 78 ff. Feindhandelsverbot siehe Kontrolltheorie Fiktion/Fiktionstheorie 92 ff., 98 ff., 113 ff., 142 ff., 154 ff., 156 f., 184, 198, 235 f., 253 ff., 287 ff., 296, 308, 370, 391, 436 ff. Finanzminister, belgischer 133 f. Firma/Firmenbezeichnung 32, 58 f., 68, 70 f., 202 f., 222, 263 Foelix, Jean-Jacques-Gaspard 153, 293 Formvorschrift (bezüglich Zweigniederlassung im ADHGB) siehe Gesetz (ADHGB) Fouquet, Nicolas 36 Frankfurter Friedensvertrag 177, 182 ff., 310 f. Freiheitsgedanke siehe Zusammenhang (Synthese/Stellungnahme) Fremdenrecht/fremdenrechtliche Regelungen 142, 220 ff., 260 f., 312, 331, 337, 364, 374, 387, 410, 413 Friedensrichter siehe juge de paix Gain, René 303, 315 f. Gans, Eduard 209 Garantie (der Seriosität/Legitimität der Aktiengesellschaft) 55 ff., 74 f., 77 ff., 85 f., 95, 99, 106, 132 f., 137 f., 140, 160, 164 ff., 171 ff., 207 ff., 212 f., 226, 266, 303, 321, 436 ff. Gaststaat/Aufnahmestaat 21, 95, 97, 112, 158 f., 222, 227, 252 f., 281 f., 402, 409, 437, 445 Gebhard, Albert siehe Teilentwurf zum Kollisionsrecht (EGBGB) Geburtsortprinzip siehe ius soli
Gefahr/Gefährdungspotential (ausgehend von der fremden Aktiengesellschaft) 75 ff., 94 ff., 105 ff., 116 ff., 132, 137, 141, 158 ff., 174, 187, 253 ff., 255 f., 261, 368, 375, 397 Gegenseitigkeit siehe Reziprozität Gegenstand (des Unternehmens) 71, 219, 224, 258 Geltungsbereich/Geltungsanspruch (von Gesetzen) 96, 101, 107, 115, 135, 228, 250, 267, 275, 356, 405 Gemeinnützigkeit 192 Genehmigungserfordernis siehe Konzession Genehmigungsvorbehalt siehe Zulassung zum Gewerbe Gendebien, M. 78 ff. Generalanwalt – Colomer 395 f. – Maduro 402, 404 ff., 413, 421 Generalstaatsanwalt – de Vallée, Oscar 75, 110, 146, 158 – Dewandre 110 ff. – Leclercq 92 ff., 98 ff., 110, 122, 153, 155, 211 Gerichtsstand (inländischer) 231 ff., 259, 341, 346 Gesellschaft – ausländische 261 f., 263 ff., 270 ff., 281 ff., 355 ff., 420 ff. – Feinhandelsgesellschaft 309 – Genossenschaft 200 – Idealverein/wirtschaftlicher Verein 213 ff., 217, 235 ff., 251, 332 ff. – Kapitalgesellschaft 33 ff., 39 ff., 48 ff., 189 ff., 212 ff. – Kommanditgesellschaft/KG 202 f. – Nicht-EU-Auslandsgesellschaft 415 ff. – offene Handelsgesellschaft/OHG 202 f. – Personengesellschaft 24 ff., 33, 55, 67 f., 154, 194 f., 281, 303, 380 f., 440 – Scheingesellschaft 379 – Stiftung 237 f., 242, 387
Personen- und Sachwortverzeichnis – Unternehmergesellschaft/UG 428 Gesellschaftsrecht – interlokales 344 f., 364 ff. – internationales siehe Gesellschaftsstatut – nationales siehe Gesetz (deutscher Rechtskreis) und loi (französischer Rechtskreis) Gesellschaftsstatut 281 ff., 299 ff., 332 ff., 381 ff. Gesellschaftsvertrag 38 f., 48, 199, 263, 300, 341 ff., 344 ff., 350, 421 Gesetz/Gesetzesbegründung – Aktiengesetz/Aktienrecht (preußisches) vom 29. November 1843, Beratung des Entwurfes/Motive 193 ff., 197 ff., 205 ff. – Aktiengesetz (preußisches) vom 29. November 1843, §§ 1, 8 193 f. – Aktiengesetz (preußisches) vom 29. November 1843, §§ 2, 3, 10, 24 344 f. – Aktiengesetz von 1937 und 1965, § 5 (a. F.) 347 f., 351 ff., 411 – Aktiengesetz von 1937 und 1965, § 37 (1937), § 44 (1965) 231 – Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch (ADHGB), Art. 21 222, 228 f. – Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch (ADHGB), Art. 26, 249 g 230 – Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch (ADHGB), Art. 207 195 – Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch (ADHGB), Art. 208 195, 204, 209, 249 – Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch (ADHGB), Art. 209 f. 345 f., 348, 351 – Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch (ADHGB), Art. 210, 210a, 212f 228 ff., 348 – Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch (ADHGB), Art. 211 195, 213, 223, 250 – Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch (ADHGB), Art. 213 195, 203 f., 250, 348
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– Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch (ADHGB), Beratungen zum ADHGB siehe Nürnberger Beratungen – Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch (ADHGB), Preußisches Einführungsgesetz zum ADHGB vom 24. Juni 1861 209 – Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch (ADHGB), Preußischer Gesetzentwurf (Handelsrechtsentwurf) von 1857 196, 201, 203, 207 ff., 218 f. – Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten (ALR) 191 ff., 194, 197 f., 220, 345 – Anerkennungsgesetz (belgisches) vom 14. März 1855 130 ff. – Anerkennungsgesetz (französisches) vom 30. Mai 1857 136 ff., 142 ff., 150 ff., 161 ff., 188 f. – Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), § 14 380 – Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), § 21 251 – Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), § 22 214 f., 251, 359, 372, 379 – Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), § 23 333, 354 – Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), § 24 346 f., 349 f., 364, 366, 373, 441 – Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), § 80 379, 354 – Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), Entwürfe der ersten und zweiten Kommission 235 ff. – Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), Reichstagsvorlage 243 – Civilprozessordnung (CPO) vom 30. Januar 1877, §§ 12, 13 231 – Civilprozessordnung (CPO) vom 30. Januar 1877, § 19 231 – Civilprozessordnung (CPO) vom 30. Januar 1877, § 22 231 ff. – Companies Act 163 – Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch (EGBGB), Art. 3 i.V. m. Art. 67 365
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Personen- und Sachwortverzeichnis
– Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch (EGBGB), Art. 4 425 f. – Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch (EGBGB), Art. 10 (Entstehungsgeschichte) 235 ff., 332 ff., 335, 363, 372, 440 – Eisenbahngesetz (preußisches) von 1838 193 – Gesetz (preußisches) vom 4. Mai 1846 220 f. – Gesetz (preußisches) vom 23. Februar 1870 221 – Gesetz über den Bergwerksbetrieb ausländischer juristischer Personen und den Geschäftsbetrieb außerpreußischer Gewerkschaften vom 23. Juni 1909 374 f. – Gesetz vom 11. Juni 1870 (erste Aktienrechtsnovelle)/Motive zur Aktienrechtsnovelle 212 f., 215 ff., 219, 229 – Gesetz vom 18. Juli 1884 (zweite Aktienrechtsnovelle)/Motive zur zweiten Aktienrechtsnovelle 219 f., 230, 257 f., 332, 346 – Gesetz zur Modernisierung des GmbHRechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG), § 5 AktG und § 4a GmbHG (n. F.) 419 f. – Gesetz zur Modernisierung des GmbHRechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG), Auslegung der Neuregelungen 355, 419 ff., 443 ff. – Gewerbeordnung (GewO) von 1869, § 12 224 ff., 256 ff., 442 – Gewerbeordnung (GewO) von 1869, § 15 226 – Gewerbeordnung (GewO) von 1869, § 147 224 – Gewerbeordnung (GewO) von 1869, Motive zum ersten Entwurf der Gewerbeordnung 256 f. – Handelsgesetzbuch (HGB) vom 01. Januar 1900, §§ 13 ff. 233 f., 259 – Handelsgesetzbuch (HGB) vom 01. Januar 1900, § 182 346, 349, 351, 353, 364, 441
– Joint Stock Companies Act 162 f. – Limited Liability Act 163 – Preußische Allgemeine Gewerbeordnung vom 22. Juni 1861 222 – Referentenentwurf zur Reformierung des internationalen Privatrechts 388, 415 ff., 422 ff. – Zivilprozessordnung (ZPO), § 17 373 – Zivilprozessordnung (ZPO), § 50 379, 394 – Zivilprozessordnung (ZPO), §§ 51, 52 362 Gesetzesumgehung 44, 88, 214, 257, 259, 276, 299, 301, 304, 306, 319, 326, 350, 364, 367 f., 372, 375, 384, 392 Gewerbefreiheit 45, 225 Gläubigerschutz/Gläubigerschutzinteressen/Schutz der Anleger bzw. Kapitalgeber 57, 66, 76, 160, 202, 216, 304, 324, 383 f. Gleichbehandlungs-Einwand siehe code civil (Art. 11) Gleichlauf/Einklang/Abstimmung von Sach- und Kollisionsrecht 336 ff., 348 ff., 364, 370 ff., 385 ff., 410 ff., 419 ff. Goldschmidt, Levin 204 f., 217 Gorneau, Philippe Joseph 48 Goupil-Préfeln, Louis François Alexandre 52 Grasmann, Günther 382 Großfeld, Bernhard 18 f., 260, 295 ff., 351 Gründe – (dogmatische) für die Anknüpfung des Gesellschaftsstatuts am Sitz 279 ff. – (rechtstechnische) für die Anknüpfung des Gesellschaftsstatuts am Sitz 323 Grundsatzentscheidung siehe Cour de cassation (belgische) Gründung (fiktive) siehe Sitz (fiktiver) Gründung unter falschem Recht 265 ff., 270 ff., 277 ff., 348 ff., 378 ff., 383 ff. Gründungskontrolle siehe Kontrolle Gründungsortsrecht 300 f., 305 f.
Personen- und Sachwortverzeichnis Gründungsstaat/Gründungsland siehe Ursprungsland Gründungstheorie – europarechtliche 396, 419, 422, 444 f. – gegenüber Drittstaaten siehe Referentenentwurf/MoMiG (Auslegung der Neuregelungen) – Gründungsrechtsanknüpfung/Satzungssitzanknüpfung/Recht der Gründung 291 ff., 301 ff., 364 ff. Gründungsvoraussetzungen (der Aktiengesellschaft) siehe Aktienrecht Guillaume 122 Habsburg-Hohenzollern siehe Reichsgericht (Urteil vom 15. November 1920) Haftung – Haftungsbeschränkung (Haftung begrenzt auf das Gesellschaftskapital) 30 f., 38, 47, 55 ff., 70 ff., 120 ff., 162 ff., 192, 197 ff., 326 – Haftungsprivileg siehe Haftungsbeschränkung – verschärfte der Gesellschafter/Gesellschafter- bzw. Handelndenhaftung 278, 379 Hammonia siehe Appellationsgerichtshof zu Köln Handel/Handelsverkehr/Handelsbeziehungen 27 f., 33 f., 39 ff., 57, 62, 71, 88, 95, 111, 129 ff., 161, 163, 175, 188 ff., 202, 208, 210, 227, 245 f., 252, 255, 307, 309 ff., 325 f., 374, 436 ff. Handelsgericht – der Seine (tribunal de commerce de la Seine) 170 f., 173, 186 – von Courtrai 90 f. – von Namur 91 – von Paris 301 Handelsgesetzbuch – deutsches siehe Gesetz (ADHGB und HGB) – französisches siehe code de commerce Handelskammer – belgische Handelskammern 131
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– von Gray 73 – von Valenciennes 130 f. Handelsminister (französischer) 71 ff., 130 f. Handelsregister/Handelsregisteranmeldung 163, 195, 212, 223, 227 ff., 233, 234, 263, 349, 379, 392 f., 398, 404 Handelsvertrag – belgisch-französischer vom 27. Februar 1854 130 ff. – englisch-französischer vom 30. April 1862 162 ff., 186, 263 f. Hauptniederlassung/Hauptbetriebsstätte 222 f., 228 f., 313 ff., 322 ff., 345 f., 355 ff., 388 ff. Heiliges Römisches Reich Deutscher Nationen 189 f. Höfling, Barbara 446 Hoheitsrechte siehe Octroi Holdheim, Paul 348 f. Identitätsaufgabe/Identitätsverlust 101, 285, 391, 404, 444 Industrialisierung 69, 191 Infiltrierung siehe Kontrolltheorie Inhaberaktie 42, 59, 193, 205 f., 307 Inkorporationstheorie siehe Gründungstheorie Inländerdiskriminierung siehe Ungleichbehandlung (ausländischer und eigener Aktiengesellschaften) Innenminister/Innenministerium – belgisches Innenministerium 82, 84, 265 – französischer Innenminister 63, 70 ff. Innenverhältnis (der Aktiengesellschaft/ Innenstatut) 248 ff., 312, 344 f. Instruktion – des Innenministers von 1817 und 1819) 63 ff. – preußische 207 IPR siehe Recht (Internationales Privatrecht)
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Personen- und Sachwortverzeichnis
IPR-Kommission siehe Teilentwurf zum Kollisionsrecht Isay, Ernst 336 f., 350, 371 f. Ius Commune 24 ff., 197 ius sanguinis 280, 282, 290 ff., 293 ff., 340 ius soli 293 f., 340 Janus siehe Obertribunal (königliches) zu Berlin 248 f. joint stock company 162 f. Judikatur – belgische zur Anerkennungsproblematik 142 ff. – belgische zur Sitzanknüpfung 263 ff. – deutsche und elsässische zur Anerkennungsproblematik 177 ff., 258 ff. – deutsche zur Sitzanknüpfung 355 ff. – europäische zur Anerkennungsproblematik siehe Niederlassungsfreiheit/ EuGH – französische zur Anerkennungsproblematik 67 ff., 85 ff., 186 ff. – französische zur Sitzanknüpfung 270 ff. juge de paix 86 ff., 114 Juristentag (deutscher von 1869) 204 f., 217 Justizamt, preußisches siehe Verfügung 17. September 1842 Justizminister – belgischer 78 ff., 82 ff., 128 f., 130 ff., 158 – französischer 73, 312, 329 f. Kapitalbedarf 57, 64, 69, 195, 365, 440 Kassationshof siehe Cour de cassation Kent, James 119 Keyßner 232 Keyssner, Hugo 245 f. Kindler, Peter 401 f. Kodifizierung der Sitztheorie – in Belgien (1873) 265 ff. – in Frankreich (1966) 328 ff.
– fehlende in Deutschland (EGBGB) 235 ff., 384 Kollisionsnorm 236, 275 f., 277, 305, 328, 385, 420 ff., 423 f., 426 ff., 429 ff. Kollisionsrecht siehe Recht (Internationales Privatrecht) Kölnische Dampfschifffahrts-Gesellschaft siehe Stadtamt Mannheim Kolonialgesellschaft/Kolonialpolitik 33 ff., 39 ff. Konflikt (belgisch-französischer) siehe Anerkennungsstreit Konkurrenz (ausländischer Gesellschaften)/Konkurrenzkampf 54, 71, 82 f., 90, 98, 102, 106, 111 ff., 134, 158, 161, 189, 217, 255, 257, 259, 260, 363, 437 Kontrolle/Kontrollmechanismus/Kontrollmöglichkeit/Kontrollzweck 41, 45, 47, 55, 61 ff., 66, 77, 80, 84, 97, 106, 121, 135, 157, 160, 175, 195, 207, 209 f., 212, 267, 303, 315, 324, 333 f., 375, 440, 442 Kontrolltheorie 306 ff., 330 f. Konzession/Konzessionserfordernis/Konzessionserteilung/Konzessionspflicht/ Konzessionssystem/Konzessionsvergabe 23 ff., 48 ff., 66 ff., 156 ff., 161 ff., 189 ff., 253 ff., 302 f., 436 ff. Körperschaft siehe universitas Kreisgericht Lörrach 356 Kurfürst von Brandenburg 190 La France siehe Zivilgericht von Namur Lainé, Armand 157 Lasker, Eduard 209 Laurent, François 53 f., 287 Law, John/Law-Affäre 40 f. Legras, Philippe 48 Lehmann, Karl 342 f., 346 Leo siehe Reichsgericht (Urteil vom 19. Juni 1920) Lescoeur, Charles 173, 187 Lesse 245 f.
Personen- und Sachwortverzeichnis Leven, Maurice 294 Lévy-Bruhl, Henry 32 f., 38 lex societatis siehe Staatsangehörigkeit (der juristischen Person) Liberalisierung – der Aktienrechte im 19. Jahrhundert siehe System der Normativbestimmungen – der europäischen Gesellschaftsrechte im 21. Jahrhundert 415 ff., 429 ff. liberté du commerce siehe Gewerbefreiheit lien sérieux siehe Sitzwahl Liquidation 46, 273, 285, 312 Lloyd 71 f. locus regit actum siehe Gründungsortsrecht loi – lois de l’empire 138, 141 – loi de police siehe Art. 37 cdc – loi du 18 mai 1873 sur les societes commerciales en Belgique, erster Regierungsentwurf 265 ff. – loi du 18 mai 1873 sur les societes commerciales en Belgique, Art. 128 ff. 268 f. – loi du domicile 129, 266 f., 280, 284, 294 – Loi le Chapelier 53 – Loi n ë 66-357 du 24 juillet sur les sociétés commerciales 277 ff. – loi portant le code de droit international privé vom 16. Juli 2004 (Art. 110) 269 f. – lois sur l’enregistrement 52 – loi sur les sociétés à responsabilités limitées (Gesetz vom 23. Mai 1863) 163 – loi sur les sociétés, Entwurf einer Gesetzesnovelle 1883 329 ff. – loi sur les sociétés, französisches Gesetz vom 24. Juli 1867 163 ff. Loussouarn, Yvon 19 Luchterhandt, Hans-Friedrich 295
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Ludewig 232 f. Lutz, Johann 196 Lyon-Caen, Charles 19, 69, 172, 176, 314 f. Macht/Machtpotential (der toten Hand) 36 f., 53 f., 61 ff., 85, 94 ff., 111 ff., 113 ff., 127 ff., 133, 165, 205 ff., 213, 216 f., 241, 436, 440 mainmorte moderne 54 Mamelok, Arthur 18, 23, 142, 165 f., 254, 349 f. Mazeaud, Léon 288 f., 313, 318 ff. Meistbegünstigungsklausel siehe Anerkennungsstreit zwischen Frankreich und Elsaß-Lothringen Menjucq, Michel 429 ff. Merkantilismus 37, 325 f. Michoud, Léon 56 f., 157 Mirabeau, Honoré Gabriel Victor de Riqueti, Marquis de 42 ff. Missbrauch/Missbrauchspotential (von Recht und Macht) 127 Misstrauen 17, 40, 47, 53, 74, 189, 241, 438 Mobilität (von Gesellschaften) 415 ff., 419 ff., 429 ff., 445 ff. MoMiG siehe Gesetz (Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen) Monopol – Geldangebotsmonopol 205 – (allgemein) Monopol/Monopolbildung/ Monopolstellung 33 ff., 40, 45, 50, 61 ff., 83, 95, 121, 158, 209 ff., 310 f. – Monopolpreis 33 Motive (Erwägungen) – rechtspolitische 61 ff., 74 ff., 83 ff., 97 f., 109 ff., 116, 129 ff., 150 ff., 179 f., 205 ff., 215 ff., 235 ff., 258 f., 310 f., 316, 320, 325 ff., 330, 337, 383 f., 419, 427 ff., 436 ff. – wirtschaftliche/wirtschaftspolitische 61 ff., 111, 116, 132 ff., 174, 179 f.,
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Personen- und Sachwortverzeichnis
211, 215 ff., 256 ff., 258 f., 310 f., 325 ff., 364 ff., 436 ff. Moulin Rouge 274 Moutier, Maurice 172 Nationalität/nationalité siehe Staatsangehörigkeit Nationalitätsbestimmung siehe Zusammenhang Nationalstaat 279 f. Neomerkantilismus siehe Merkantilismus Neukamp, Ernst 340 Niboyet, Jean-Paulin 288 Nichtanerkennung siehe Anerkennung (fehlende) Nichtigkeit (nichtig) 61, 73, 87, 161, 181, 246, 248, 273 ff., 278, 338, 342, 366 ff., 374, 380 Niederlassung siehe Zweigniederlassung Niederlassungsfreiheit 18, 227, 388 ff. Normierung (der Sitztheorie) siehe Kodifizierung der Sitztheorie nullum (rechtliches) 145 Nürnberger Beratungen/Nürnberger Konferenz (zum ADHGB) 195 ff., 202 ff., 207 ff., 218 f. Oberlandesgericht – Hamburg (Urteil vom 28. Juli 1970) 387 f. – von Kolmar siehe Anerkennungsstreit zwischen Frankreich und Elsaß-Lothringen Obertribunal (königliches) zu Berlin 248 f. Octroi 23 ff., 49, 80, 85, 99, 105 ff.,189 ff. öffentliche Ordnung/öffentliche Sicherheit siehe ordre public „opt-out“-Lösung (aus Konzessionszwang) 208 Ordonnance du Commerce siehe Code Marchand/Code Savary
ordre public 22, 39 ff., 74 ff., 77 ff., 82 ff., 156 ff., 236, 255, 375, 400, 416 f., 436 ff. Organ (der Aktiengesellschaft) siehe Sitz der Verwaltung Panama-Kanal 329 f. Pape, Heinrich Eduard von 237 Parteifähigkeit – aktive 88 ff., 147 ff., 177 ff., 250, 303, 361 f., 380 f., 393 ff. – (allgemein) 67 ff., 74, 98 ff., 119 f., 140, 145, 159, 169, 188, 226, 331, 359 – passive 147 ff., 378 ff. Partikularrechte 189, 209 Pepy, André 320, 325, 327 Person – juristische des öffentlichen Rechts 27, 43, 57, 62 f., 129, 131, 136, 148, 162, 266, 268, 289, 295 – juristische des Privatrechts/moralische Person (Rechtssubjekt/Rechtsträger/ Rechtsperson) siehe Rechtspersönlichkeit (der société anonyme) – natürliche/physische 91 ff., 113 ff., 279 ff., 334 ff., 436 ff. Personalstatut/Organisationsstatut siehe Gesellschaftsstatut Personengesellschaft siehe Gesellschaft personnalité des lois d’état et de la capacité siehe Rechtsstellung (persönliche) personnalité juridique/personnalité morale siehe Rechtspersönlichkeit pétition de principe/petitio principii 103 Pflichtangaben siehe Publizität Phénix 70 f. Pillet, Antoine 292, 304 Pirmez, Eudore 265 ff. Pöhls, Meno 209 f., 341 Politik 35 ff., 40 f., 47, 66, 84, 121, 123, 138, 141, 192, 210 f., 325 f. Polizei/(staats-)polizeilich 75 f., 126, 183, 188, 201, 209, 219, 236, 249 pouvoir intermédiaire 65
Personen- und Sachwortverzeichnis Preußen siehe Gesetz (ALR/Aktienrecht von 1843) bzw. Anerkennungsstreit (innerdeutsche Anerkennungsproblematik) principal établissement siehe Hauptniederlassung principe de la non-rétroactivité des lois siehe Rückwirkungsverbot Privileg (legislatives) siehe Octroi procuréur général siehe Generalstaatsanwalt Protektionismus 325 f. Publizität/Publizitäts- und Informationserfordernisse 55, 61, 134 f., 141 f., 209, 227, 230 f., 233 f., 248, 259, 265, 398, 419, 440 Raape, Leo 383 f. race to the bottom siehe Liberalisierung der europäischen Gesellschaftsrechte (im 21. Jahrhundert) raison sociale siehe Firma Rebekka siehe Reichsgericht (Urteil vom 21. Juni 1919) Recht – Aktienrecht, im deutschen Rechtskreis siehe Gesetz (preußisches Aktienrecht, ADHGB, Aktiengesetz, MoMiG) – Aktienrecht, im französischen Rechtskreis siehe code de commerce (Art. 29 ff., 37 cdc), Code des sociétés und loi (loi du 18 mai 1873, Loi n ë 66357 du 24 juillet sur les sociétés commerciales, loi sur les sociétés) – auf die Gesellschaft anwendbares siehe Gesellschaftsstatut – Europarecht/Europarechtskonformität 388 ff., 443 ff. – Gewerberecht siehe Beschränkungen (gewerberechtliche) – Gewohnheitsrecht 108, 150 f., 244 ff., 252 f., 336 f., 440 – Handelsrecht, im Deutschen Bund bzw. Deutschen Reich siehe Gesetz (ADHGB)
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– Handelsrecht, in Preußen siehe Gesetz (ALR) – Inspektionsrecht (des Staates) 118 – internationales siehe Völkerrecht – internationales Privatrecht (bezüglich Gesellschaften im deutschen und französischen Rechtskreis) 130 ff., 142 ff., 150 ff., 166 ff., 188, 218 ff., 252 ff., 259 ff., 261 ff., 279 ff., 299 ff., 322 ff., 332 ff., 381 ff., 383 ff., 415 ff., 429 ff., 436 ff. – internationales Verfahrensrecht 327 – Prozessrecht 119, 231 ff., 234, 290, 327, 349 – Registerrecht 227 ff., 352 – Sachrecht 343 ff., 388 ff. – Steuerrecht 301, 327, 391, 401, 415, 445 – Vereinsrecht 213 ff., 235 ff., 332 ff., 346 f. – Verkehrsrecht 400 – Völkerrecht 107 f., 115 ff., 146, 150 ff., 237, 246, 252 f., 336 – Widerspruchsrecht (mangelndes) 206, 214 Rechtsanspruch (auf Eintragung) 163, 212 Rechtsnatur (der société anonyme)/Konzeption der juristischen Person 23 ff., 189 ff. Rechtspersönlichkeit/Rechtssubjektivität/ juristische Persönlichkeit – (der société anonyme/der Aktiengesellschaft) 50 ff., 156 ff., 196 ff., 253 ff. – Verlust siehe Sitzverlegung Rechtsprechungsumschwung/Rechtsprechungsumkehr/Rechtsprechungswechsel – der belgischen Gerichte 85 ff. – der französischen Gerichte 142 ff. Rechtsstellung (persönliche) 74, 87, 89, 98, 104 f., 108, 124, 146, 169, 171, 175, 266, 279, 284, 289
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Personen- und Sachwortverzeichnis
Regnaud, Michel de Saint-Jean-d’Angély 57 ff., 63, 87 Reichsgericht (RG) – Urteil vom 5. Juni 1882 357 f. – „Mexiko“-Fall vom 9. März 1904 369 f. – Urteil vom 16. Dezember 1913 251 – Urteil vom 5. Januar 1916 (Berggewerkschaft) 369 f. – Urteil vom 19. Januar 1918 (Berggewerkschaft) 370 f. – Urteil vom 21. Juni 1919 (Berggewerkschaft) 366 f. – Urteil vom 19. Juni 1920 (Berggewerkschaft) 367 f. – Urteil vom 15. November 1920 (Berggewerkschaft) 368 f. – „Eskimo-Pie“-Entscheidung vom 3. Juni 1927 361 ff. – „Russland“-Entscheidung vom 11. Juli 1934 360 f., 362 f. – „Ungar“-Entscheidung von 1934 363 f., 387 Reichs-Justizamt 237, 239, 242 f. Reichsoberhandelsgericht 250 Renaud, Achilles 246 f. Renault, Louis 19, 69, 176, 186 renvoi 358, 433 – Gesamtverweisung 362 – Rückverweisung 352, 425 – Weiterverweisung 275, 362, 385 f. Restriktionen, fremdenrechtliche siehe Fremdenrecht Retorsionsmaßnahmen/Gegenmaßnahmen 75 f., 83 f., 94, 106, 129 f., 161, 437 Reziprozität 83 f., 96, 112 f., 124 f., 129, 135 ff., 154 f., 160, 170, 226, 251 ff., 265, 286, 442 Richelieu Armand-Jean du Plessis, duc de 36 Roth, Günter 401 ff., 419 Royal British Bank 208 Rückwirkungsverbot 181 ff. Ruelens, M. 99 ff.
Saleilles, Raymond 27 ff., 155, 157 Sandrock, Otto 18, 295, 382 Sanktion(smöglichkeit) 70 ff., 80 f., 85, 128 f., 233, 248, 278, 326, 339, 378 ff., 392, 396 f., 428 Sauveur 86 f. Savary, Jacques 33, 189 Savary des Bruslons, Jacques 40 f. Savigny, Friedrich Carl von 114, 152, 198 f., 323, 334 f., 341 f. Schäffle, Albert 216 Scheinauslandsgesellschaft 17, 326, 359 ff., 363 f., 383 f., 392 f., 397 ff., 419, 436 ff., 439 ff., 443 ff. Schutz(bedürfnis) (der Dritten/Aktionäre und Gläubiger) 17, 47, 55 ff., 66, 97, 106, 120, 134 f., 137, 202, 206 f., 207 ff., 209 ff., 212, 215, 216, 241, 257 f., 259, 277, 316, 320, 321, 368, 375, 383 f., 417 ff., 436 ff. Schutzzölle 310, 325 Schwandt, Johannes 18, 338 ff. siège social siehe Sitz (der Gesellschaft) Sitz (der Gesellschaft) – effektiver/tatsächlicher/wahrer Sitz/ siège réel siehe Verwaltungssitz – fiktiver Sitz/siège fictif 127, 270 ff. – registrierter Sitz/satzungsmäßiger Sitz/ Satzungssitz/siège statutaire 277 f., 301, 341 ff., 348 ff., 419 ff. – Sitz der Verwaltung/siège administratif 261 ff., 316 ff., 341 ff., 343 ff. Sitztheorie 297 ff., 313 ff., 383 f. – Begründung (dogmatische) 279 ff., 332 ff. – eingeschränkte Sitztheorie 352 ff., 363 f., 411, 420, 427, 430, 441 – modifizierte Sitztheorie 380 f., 425 – Vereinbarkeit mit der EuGH-Rechtsprechung zur Niederlassungsfreiheit (Europarechtskonformität) 388 ff., 410 ff. – verschärfte Variante (Sitz am Ort der Aktienzeichnung/Aktienausgabe) 320 ff. – Vorzüge 322 ff., 383 f.
Personen- und Sachwortverzeichnis Sitzverlegung (grenzüberschreitende Verlegung) 352 f., 357 f., 364 ff., 390 ff., 403 ff., 424 ff., 444 Sitzvorbehalt siehe Staatsangehörigkeit (der juristischen Person) Sitzwahl 318 ff. societas/Sozietät/Sozietätslehre 24 ff., 48 ff., 190 ff. société – à responsabilité limitée (S.A.R.L.) 432, 435 – anonyme (Charakteristika) 23 ff., 48 ff. – civile 28, 67 f., 281 f. – commerciale/de commerce 26 ff., 32 f., 54 – de fait 147 f., 285, 379 – en commandite/en commandite par actions 55 ff., 68 f., 100 – en nom collectif 68 f., 100 – par actions simplifiée (S.A.S.) 432 – privée à responsabilité limitée starter (S.p.r.l. starter) 435 Société anonyme des trains et omnibus siehe Cour de cassation (französische, Urteil vom 28. April 1902) 186 f. Société Impériale Continentale 72 Sonderanknüpfung (gesellschaftsrechtliche) 399 f. Spekulation – Spekulationsblase/„Mississippi-Blase“ 39 ff. – Spekulationsfieber 42 ff., 61 ff. Spindler, Joachim 351 Staatsangehörigkeit/Staatsangehörigkeitsprinzip – der Aktionäre 306 ff. – der juristischen Person/Gesellschaft 95 ff., 124 ff., 154 ff., 281 ff., 336 ff., 364 ff., 436 ff. – der natürlichen Person 95 f., 124, 279 ff. – der Verwaltungsratsmitglieder 308
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– Streit (akademischer) um die Übertragbarkeit des Staatsangehörigkeitskonzeptes auf juristische Personen 286 ff., 290 ff. – Trennung in privatrechtliche und öffentlich-rechtliche bei der Gesellschaft siehe Kontrolltheorie Staatsinteresse/staatliche Interessen 19, 25, 57, 97 ff., 106, 116, 119 ff., 205 ff., 242, 253, 298, 305 ff., 383 ff., 419, 439 Staatsrat 197 ff., 205 ff. Staatsuntersekretär (von Elsaß-Lothringen) siehe von Pommer-Esche, Albert Stadtamt Mannheim 355 f. Stadtgericht zu Berlin 249 Statut siehe Gesellschaftsstatut Statutentheorie 150 ff. Statutenwechsel siehe Sitzverlegung System der Normativbestimmungen/Normativsystem 17, 23, 117, 161 ff., 196, 208 f., 212 ff. 229, 259 ff., 261 ff., 285, 302, 307, 328, 331 ff., 436 ff. Teilentwurf zum Kollisionsrecht (EGBGB) 235 ff., 332 f. Thaller, Edmond-Eugène 68, 77, 173 ff., 187, 293 f., 300 f., 310 ff., 317, 320 f., 324 f., 328 f. Theorie der wohlerworbenen Rechte/ théorie des droits acquis 182 f. Trennung von Anerkennung und Zulassung siehe Zulassung zum Gewerbe Tribunal de Gand siehe Van der Gucht, M. Übereinstimmung (von effektivem Sitz und Satzungssitz) siehe Sitztheorie Überfremdung 109 ff., 127, 133, 174 f., 257, 260 f., 363, 437 Übergang (Systemwechsel) – vom Wohnsitz- zum Nationalitätsgrundsatz 279 f., 335 – zum neuen Gründungssystem siehe System der Normativbestimmungen
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Personen- und Sachwortverzeichnis
Überseehandel siehe Aktiengesellschaft (Entwicklung), v. a. 33 ff. Überwachung (staatliche) 41, 57, 61 ff., 94 f., 164, 436 Ungleichbehandlung – ausländischer und eigener Aktiengesellschaften 127 ff., 135, 139 f., 147 ff., 428 f., 443 ff. – von juristischer Person des öffentlichen Rechts und des Privatrechts 96 f., 108 universitas 24 ff., 37, 50, 199 f. Unterwanderung siehe Überfremdung Unvereinbarkeit (der französischen Gesetze von 1857 und 1867) 166 ff. Ursprungsland (einer Gesellschaft) 17, 31, 67, 93 f., 97, 99, 106, 112, 117, 124, 146, 150, 157 f., 162, 166, 170, 172, 186, 254, 260 f., 268, 275, 283 f., 286 f., 299, 305, 320, 333, 336, 356, 372, 378, 394 f., 403, 405, 413, 422, 428, 430, 433, 438, 442, 444 Van der Gucht, M. 89 f. Vavasseur, Auguste 285 Verband siehe universitas Verbot, gesetzliches – fremder Aktiengesellschaften 98, 102, 111 – (von Aktiengesellschaften generell) siehe Décret 26-29 germinal an II – von Aktienhandel außerhalb der Börse 41 – weiterer Geschäftstätigkeit 179, 224 Vereinigungsfreiheit 78 Verfügung vom 17. September 1842 220 Vergeltungsmaßnahmen siehe Retorsionsmaßnahmen Verlautbarung (der elsaß-lothringischen Regierung vom Dezember 1894) siehe Anerkennungsstreit zwischen Frankreich und Elsaß-Lothringen Verleihung/Verleihungsmacht (Erteilung von Rechten) 38, 61, 156 ff., 163, 197 ff., 213 ff., 238, 241 f., 303, 336 f., 369 ff., 386, 412, 436 ff.
Verordnung – des sächsischen Justizministeriums vom 04. April 1862 und von 1869 (Sachsen-Altenburg) 222 f. – (Hamburger) vom 28. Dezember 1835 248 Verquickung (von Kollisions- und Fremdenrecht) siehe Anerkennung (automatische) Verschmelzung siehe EuGH („Sevic Systems“-Urteil) Versicherungs(aktien)gesellschaften 70 ff., 82 ff., 85 ff., 177 ff., 191, 224, 227 ff., 248 f. Vertrauensschutz/Vertrauensschutztatbestand 145, 416 f. Verwaltungssitz/Verwaltungsmittelpunkt siehe Sitz der Verwaltung Vital-Roux, M. A. 48 Vogt, Gustav 201 Völderndorff, Freiherr von 345 von Bar, Carl Ludwig 244 ff., 255, 334 f., 342 von Mohl, Robert 210 f., 253 von Pommer-Esche, Albert 177 ff. von Wächter, Carl 152 Vorformen (der modernen Aktiengesellschaft) siehe Aktiengesellschaft (société anonyme) Vorfrage (kollisionsrechtliche) siehe Europäischer Gerichtshof („Cartesio“-Urteil) Vorrecht siehe Octroi Wahlrecht – bezüglich des Sitzes siehe Sitzwahl – (zugunsten Drittschutz) siehe code de commerce (L. 210-3) Wechselbalgtheorie siehe Sitztheorie (modifizierte) Wegzugsfall/Wegzugsproblematik 357 f., 390 ff., 403 ff., 410, 415 ff., 429 ff., 443 ff. Weinhagen, Napoleon 209, 221, 245 Weiske, Julius 244
Personen- und Sachwortverzeichnis Weiss, André 172 f. Widerrufsrecht (der erteilten Konzession) 65 Wiedemann, Herbert 382, 427 Wirksamkeitsvoraussetzungen (des Bestands einer Aktiengesellschaft) 74, 89, 135, 222, 227, 282 Wirkungsbereich (Unterwerfung unter das Recht des)/territoriale Wirkung siehe Sitztheorie Wohnsitz/Wohnsitzprinzip – der natürlichen Person 70, 104, 124, 155, 231, 279 ff., 334 ff. – der juristischen Person/Gesellschaftssitz 124 ff., 154 ff., 257, 281 ff., 313 ff., 323 f., 332 f., 334 ff., 341 ff., 355 ff. Wolff, E. 221, 247 Zimmer, Daniel 382 Zirkularverfügung (der preußischen Ministerialverwaltung 1845) 194 f. Zitelmann, Ernst 247 Zivilgericht – von Brüssel 112 – von Namur 88 f., 92 ff.
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– von Rouen 186 Zugehörigkeit/Zugehörigkeitsrecht siehe Staatsangehörigkeit Zulassung zum Gewerbe 22, 68 f., 158 ff., 181 ff., 218 ff., 244 ff., 256 ff., 258 f., 331, 436 ff. Zusammenhang – Synthese/Stellungnahme zur Frage des Zusammenhanges 295 ff. – zwischen nationalem Gesellschaftssach- und Gesellschaftskollisionsrecht siehe Gleichlauf von Sach- und Kollisionsrecht (Verzahnung) sowie insbesondere 334 ff., 355 ff., 371 ff., 383 ff., 426 ff., 436 ff. – zwischen Nationalität und Gründungstheorie 291 ff. – zwischen Nationalität und Sitztheorie 293 ff. Zuzugsfall/Zuzugsproblematik 276, 397 ff., 400 ff., 408 f., 424 ff., 433 f., 444 Zweigniederlassung 73, 177 ff., 222 f., 227 ff., 349, 356, 392 f., 397 ff., 403, 410, 433, 440