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English Pages 468 [470] Year 2009
Holger Löttel Um Ehre und Anerkennung
Transatlantische historische studien Veröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts Washington, DC ––––––––––––––––––––––––
Herausgegeben von Hartmut Berghoff, Philipp Gassert, Anke Ortlepp und Corinna R. Unger
Band 36
Holger Löttel
Um Ehre und Anerkennung Englandbilder im amerikanischen Süden und die Außenpolitik der Konföderation
Franz Steiner Verlag Stuttgart 2009
Umschlagabbildung: Ein Symbol des konföderierten Nationalbewusstseins und Ehrungsverständnisses: Our national Confederate anthem, LC-USZ62-33407 Library of Congress, Washington, DC
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. ISBN 978-3-515-09334-7 Jede Verwertung des Werkes außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Übersetzung, Nachdruck, Mikroverfilmung oder vergleichbare Verfahren sowie für die Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen. Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. © 2009 Franz Steiner Verlag Stuttgart. Druck: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten Printed in Germany
INHALTSVERZEICHNIS I.
Einleitung ............................................................................................... 9 Einführung und Fragestellung................................................................. 9 Die kulturelle Prägung des Südens in atlantischer Perspektive ............ 11 Konzeption und Methodik: Englandbilder im gruppenbiographischen Zusammenhang .............................................. 16 Kultur und Perzeption ........................................................................... 19 Union oder Konföderation? Ursprünge und Bezugspunkte des südstaatlichen Nationalismus ......................................................... 21 Literaturlage und Forschungsstand ....................................................... 25
II. Politik und Kultur im Antebellum-Süden......................................... 29 1. Das Selbstverständnis der Südstaaten vor dem Bürgerkrieg: Koloniale Ursprünge, Prägungen und Entwicklungen ......................... 29 Koloniale Ursprünge: Virginia ................................................................30 Koloniale Ursprünge: South Carolina ................................................... 38 Ehre und Politik..................................................................................... 41 Das republikanische Denken zwischen Ehre und Sklaverei .................. 46 2. Die atlantische Welt aus der Sicht Monticellos: Thomas Jefferson und die „Sprache der amerikanischen Souveränität“ .......................... 50 Anglophobie, Sachsenmythos und Sklavereikritik ............................... 53 Europäische Erfahrungen, 1784–1789 .................................................. 56 Feindbildfusionen: Anglophobie und Parteienbildung, 1789–1800 ..... 61 Anglophobie und Dogma: Jeffersons Präsidentschaft, 1800–1809 ...... 66 3. Das Englandbild zwischen Aggressivität und Angst: John C. Calhoun, Henry Clay, John Randolph und der Krieg von 1812 ........... 70 III. Der Süden, die atlantische Welt und der Niedergang der Union, 1820 bis 1860 ................................. 83 1. Prägungen: Virginia.......................................................................... 83 Regionale Prägung und nationale Fixierung: William Cabell Rives und Andrew Stevenson ...................................... 85 William Cabell Rives und England – ein Fall von „republikanischer Anglophilie“?........................................................... 96
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Inhaltsverzeichnis
Eine politische Ehrverletzung: Andrew Stevenson und die Verhandlungen über die schiffbrüchigen Sklaven, 1836–1839 .......... 100 Eine öffentliche Ehrverletzung: Die Stevenson-O’Connell-Affäre, 1838 ............................................. 105 2. Prägungen: South Carolina ............................................................ 111 Regionale Prägung und partikulare Fixierung: Robert Barnwell Rhett und James Henry Hammond.......................... 113 Anglophobie und Radikalisierung: Negro Seaman Law und Annullierungskrise, 1823–1833 ........................................... 118 James Henry Hammond, James Caldwell Calhoun und das Pro Slavery Argument, 1834–1837 ....................................... 126 Zurückweisungen: James Henry Hammond in England, 1836–1837 ....................................................................... 135 3. 1840–1850: Reflexionen und Standortbestimmungen ..................... 143 Generationenwechsel in Virginia: James Murray Mason und Robert M. T. Hunter ..................................................................... 144 Das Sklavereiproblem und der Webster-Ashburton-Vertrag, 1842..... 149 „Sturm über Texas“: Die Tyler-Administration, Duff Green und die Formulierung einer anglophoben Politik ............................... 155 Die Sprache der Konfrontation: Reflexionen über England und Texas ...................................................................... 165 Die Sprache der Versöhnung: Reflexionen über England und Oregon ............................................... 178 4. Prägungen: Tiefer Süden ................................................................ 190 Georgia: Robert Toombs ..................................................................... 195 Alabama: William Lowndes Yancey ................................................... 207 Mississippi: Jefferson Davis ............................................................... 215 Louisiana: Judah Philip Benjamin ...................................................... 227 5. Englandbilder und Innenpolitik, 1848–1858 .................................. 233 Die Vorboten der Krise und die Verschmelzung der Feindbilder ....... 235 Das Englandbild zwischen Sezessionsappell und Kompromissplädoyer in der Territorialkrise von 1850 ................ 238 Anglophile Referenzen, anglophobe Bilder und der Konflikt um Kansas, 1854–1857 ........................................... 244 6. Englandbilder und Außenpolitik, 1849–1859 ................................. 251 Das idealistische Englandbild: Die Vorsondierungen für den Clayton-Bulwer-Vertrag ......................................................... 252 Räume der Bedrohung: Krimkrieg, Mächtepolitik und die karibische Flanke, 1852–1858 ............................................... 257 Der anglophobe Reflex und die Fixierung auf Kuba .......................... 266
Inhaltsverzeichnis
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Ökonomie und Macht: Reflexionen über das Regiment der Baumwolle ..................................................... 270 William Henry Trescot und die außenpolitische Absicherung der Sezession ................................................................. 274 IV. Die Konföderation und England, 1861–1865................................... 279 1. Unabhängigkeit, Regierungsbildung und die Anfänge der Außenpolitik ....................................................... 279 Sezession ............................................................................................. 279 Die Bildung einer Regierung und die Formulierung der Außenpolitik.............................................. 292 England und die Sezession des Südens, 1860 / 61............................... 306 2. 1861: Die Neutralität als Ehrverletzung......................................... 315 Auftakt: Die Yancey-Kommission in London .................................... 315 Probleme der Neutralität ..................................................................... 320 Die Ehre des Krieges und die Schmach der Diplomatie: Die Schlacht von Bull Run und das Ringen um die Pariser Deklaration .. 326 Das Dogma der Ehre und die Realitäten der Außenpolitik: Der Süden, England und die Trent-Krise, 1861 / 62 ............................ 339 3. 1862–1865: Scheitelpunkt und Scheitern........................................ 350 Die Initiative gegen die Blockade, Frühjahr 1862 .............................. 350 Judah P. Benjamin im State Department ............................................. 355 Emanzipation mit dem Schwert? Die Vorboten der Sklavenbefreiung .................................................... 360 Scheitelpunkt: Sklavenbefreiung und Interventionskrise, Herbst 1862 ......................................................................................... 366 1863–1865: Scheitern ......................................................................... 374 V. Schlussbetrachtung.............................................................................. 381 Danksagung................................................................................................ 399 Abbildungsnachweis .................................................................................. 401 Quellen- und Literaturverzeichnis ............................................................. 403 Register ...................................................................................................... 461
I. EINLEITUNG Einführung und Fragestellung Im Frühjahr 1861 schienen die Vereinigten Staaten in zwei Welten zu zerfallen, verbrüdert und dennoch verfeindet. „We separated because of incompatibility of temper“, schrieb die Tagebuchchronistin Mary Boykin Chesnut aus South Carolina melancholisch nieder: „We are divorced, North from South, because we hated each other so.“1 Vor allem die Südstaatler zogen hier Parallelen zum Abfall der Kolonien von Großbritannien fünfundachtzig Jahre zuvor. Auch damals, so sahen sie es, war das Ideal der Freiheit von einer korrupten Clique verraten und das Ende einer gemeinsamen Ära erzwungen worden.2 Ebenso wie sie 1861 nur schwer von der Union loszulassen vermochten, hatte ihre Englandnostalgie nach 1776 noch lange nachgewirkt: „With all her faults; with all her corruptions“, fragte der Jurist John Randolph Tucker 1851 in einem Vortrag an der University of Virginia, „where in European civilization have the principles of a noble and conservative freedom been more highly developed than in our own father-land?”3 Diese „noble und konservative Freiheit“ schien ihnen in der „Yankee-Republik“ längst abhanden gekommen zu sein. Aber selbst in England, dem traditionellen Freiheitshort, hatten sie in den letzten Jahrzehnten vor der Sezession kaum noch eine Bestätigung ihres Selbstbildes gefunden. Scheinbar beherrscht von den „Mächte[n] des Industrialismus, der Zentralisation und dem Drang nach Nivellierung“4, war das abolitionistische Großbritannien in einen provozierenden Gegenentwurf zum agrarischen Sklavenhaltersüden verwandelt worden. Weil sie die Fundamente ihrer Kultur und ihrer Gesellschaft aus europäischen und vor allem englischen Vorbilden ableiteten, reagierten die weißen Südstaatler besonders empört, wenn ausgerechnet von dieser Seite Klage gegen die Sklaverei erhoben wurde. In ihren Augen führten sie eine 1 2
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Vann Woodward (Hg.), Mary Chesnut’s Civil War, 25. So vermerkte der spätere Finanziminister der Konföderation, Christopher G. Memminger aus Virginia, anlässlich der Territorialkrise von 1850: „England persisted in her wrongs; the Colonies called a Congress from among themselves, which determined upon secession from that Union. […] The analogy between the two cases will be found upon examination close, if not perfect.“ Rede C. G. Memmingers in Pendleton, Virginia, 01.10.1850, in: Charleston Mercury, 10.10.1850. Tucker, An Address Delivered before the Society of Alumni of the University of Virginia, 28th June, 1851, Tucker Family Papers, Box 1, Southern Historical Collection, UNC (Hervorhebung im Original). Kirk, Lebendiges politisches Erbe, 9.
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I. Einleitung
Lebensweise fort, die in der gesamten atlantischen Welt über Jahrhunderte hinweg verbreitet gewesen war. Über Nacht schienen sich die Regeln geändert zu haben.5 Nicht zuletzt deshalb sehnten sich Intellektuelle wie der Universitätsgelehrte Nathaniel Beverley Tucker aus Virginia nach der „high, bold, manly morality of Old England (not New England, or modern England)“.6 Das schwierige, ambivalente und äußerst widersprüchliche Beziehungsgeflecht zwischen dem Süden und Großbritannien gewann in den Jahren von 1861 bis 1865 historische Bedeutung. Der Bürgerkrieg wurde nämlich auch auf dem außenpolitischen Schlachtfeld ausgetragen. Eine Intervention von Europas Mächten unter britischer Führung, wie sie auf beiden Seiten des Atlantiks kontrovers diskutiert wurde, hätte unabsehbare Folgen für den weiteren Verlauf der Geschichte haben können.7 Zwei Generationen nach der Amerikanischen Revolution trat ein Teil der Staaten, die damals ihre Unabhängigkeit erkämpft hatten, in einen „zweiten Unabhängigkeitskrieg“ ein, dessen Ausgang nicht unwesentlich vom Verhalten des alten Gegners aus dem „ersten“ Sezessionskonflikt abhing. Für die historische Pikanterie dieser Konstellation besaßen die Südstaatler freilich kein Gespür. Bevor der erste Schuss überhaupt gefallen war, betrachteten sie die Anerkennung ihrer Konföderation durch das Ausland als notwendige Ehrbezeugung und damit als „vorausgesetzte Tatsache“.8 Darüber hinaus gaben sie sich mehr oder minder vorbehaltlos der Annahme hin, die Abhängigkeit der britischen Textilindustrie von amerikanischer Rohbaumwolle würde die Regierung in London alsbald zu einer pro-südstaatlichen Intervention zwingen, sei es in Form der Anerkennung, einer Militäraktion zur Sicherung der Handelswege oder gar eines formellen Bündnisses. In einer extremen, aber durchaus repräsentativen Diktion berauschte sich der Charleston Mercury an der Allmacht des Südens: „[T]he Confederate States are a Power on the earth – and the most important Power on the earth – and the most important Power to them the sun shines upon.“9 Als Großbritannien im Laufe des Krieges jedoch nicht intervenierte, sondern neutral blieb, griffen sie auf eine Reihe von negativen Englandbildern zurück, die ihnen diese „zynische“ und „kalte“ Neutralität zu erklären halfen. 5 6 7
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Vgl. so Ayers, What We Talk about When We talk about the South, 75 f. Nathaniel B. Tucker, Rez. v. Macaulay’s History of England, in: Southern Quarterly Review 7 (1849), 374–410, hier 407 (Hervorhebungen im Original). In der begrifflichen Polarisierung zwischen „Neutralität“ und „Intervention“ wird die diplomatische Anerkennung des Südens im Folgenden der „Intervention“ zugerechnet, was dem Konsens der Bürgerkriegsforschung entspricht. Erwähnt sei das deshalb, weil die völkerrechtliche Anerkennung einer kriegführenden Partei durch einen Drittstaat per definitionem noch keine Abkehr von dessen Neutralität bedeuten muss. So fasste die Ehefrau des Konföderationspräsidenten Jefferson Davis die außenpolitische Erwartungshaltung ihres Mannes rückblickend zusammen. Vgl. Davis, Memoir, Bd. 2, 160. Charleston Mercury, 04.06.1861.
Die kulturelle Prägung des Südens in atlantischer Perspektive
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Das Ringen um Ehre und Anerkennung, wie es die Konföderierten auf der auswärtigen Bühne austrugen, hatte also viel mit kulturell fundierten Annahmen und Bildern zu tun. Mehr als es bisher gewürdigt worden ist, fiel der internationalen Politik in den Jahren 1861 bis 1865 kriegsentscheidende Bedeutung zu. Ein Desiderat der Forschung aufgreifend, beschäftigt sich die vorliegende Arbeit mit den auf England bezogenen Vorstellungswelten derjenigen Südstaatler, die für die Außenpolitik der Bürgerkriegszeit auf geistiger und operativer Basis Verantwortung trugen. Sie untersucht Herkunft und Entwicklung ihrer Englandbilder10 und legt die (entscheidenden) Stellen frei, an denen die Perzeption von den Realitäten der internationalen Politik abwich. Auf diese Weise rückt sie den konkreten Zusammenhang zwischen „selektive[r] Wahrnehmung und politische[m] Handeln“ in den Blickpunkt, der sich aus dem „sozialen Umfeld, [den] kollektiven Mentalitäten und Ideologien“ – in anderen Worten: der Kultur – einer Gesellschaft ergibt.11 Die kulturelle Prägung des Südens in atlantischer Perspektive Wer die kulturellen Paradigmen der konföderierten Englandpolitik verstehen möchte, muss weit in die Geschichte der Antebellum-Republik zurückgreifen. Gerade im Hinblick auf die Englandbilder nahmen die Ideenstränge, die sich 1861 in der Außenpolitik der Südstaaten zusammenzogen, in einer anderen Epoche ihren Anfang. Seit dem Unabhängigkeitskrieg war England eine Projektionsfläche für die ambivalenten Gefühlsregungen jener Amerikaner, die über den Atlantik hinweg ihren Blick „in einen Spiegel“ richteten, in dem sie „gewissermaßen ihr ‚alter ego’ sahen“.12 Mit der Paradoxie dieser Beziehung wurden vor allem Reisende aus der Neuen Welt konfrontiert, die ihre Eindrücke aus den Kulturlandschaften Englands mit einer Mischung aus Faszination und Abneigung, aus Nähe und Distanz zu Papier brachten.13 Ihre Erfahrungen 10 Der Sprache der Quellen entsprechend, werden „England“ und „Großbritannien“ hier als synonyme Begriffe verwendet. Auch wenn die Zeitgenossen im Süden von „Großbritannien“ sprachen, identifizierten sie die Engländer als eigentliche Träger der britischen Macht. Eine gewisse Differenzierung ist in einzelnen Fällen notwendig. So speiste sich die Anglophobie in den Baumwollstaaten nicht zuletzt aus der iroschottischen Herkunft vieler Pflanzer. Insofern klagten sie Great Britain als imperialen und sklavereifeindlichen Staat an, identifizierten sich aber mit den schottischen und irischen Bevölkerungsteilen. 11 Niedhart, Selektive Wahrnehmung und politisches Handeln, 146. 12 Heideking, Englandbild in der nordamerikanischen Publizistik zur Zeit der Revolution, 181. 13 Zur anglo-amerikanischen Reiseliteratur im 18. und 19. Jahrhundert vgl. Ziff, Return Passages; Mulvey, Anglo-American Landscapes; Schmeller, Perceptions of Race and Nation in English and American Travel Writer. Zu den europäischen Vorbildern vgl. Black, The British Abroad; Hibbert, Gentleman’s Europareise.
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I. Einleitung
in der Fremde koppelten sich fast immer an Probleme der eigenen Identität: Das, was sie in den Metropolen der britischen Insel (und des Kontinents) als abstoßende Symptome einer modernen Zeit verachteten, zogen sie heran, um den unverdorbenen und reinen Charakter Amerikas zu loben. Die Bewunderung hingegen, die Londons Weltläufigkeit den Besuchern aus Boston, Baltimore oder Richmond abrang, speiste ihre Scham über die provinziellen und rückständigen Züge ihrer Heimat. Zweifellos handelte es sich hierbei um ein nationales, aus dem komplexen Erbe der Amerikanischen Revolution erwachsenes Phänomen. Wie zu zeigen sein wird, entluden sich diese Spannungen im traditionsbewussten Sklavenhaltersüden jedoch besonders heftig. Seine vielschichtige Fixierung auf England legt es nahe, die Geschichte des amerikanischen Südens in atlantischen Bezügen zu verorten. Weil die Politiker, Diplomaten und Publizisten ihre Heimat zwar als etwas Besonderes beschrieben, zugleich aber auch als einen historisch verwachsenen Bestandteil der größeren atlantischen Welt verstanden, können ihre Wahrnehmungsperspektiven anhand der Überlegungen für eine „atlantische Geschichtsschreibung“ erforscht werden. Traditionell gilt das Interesse der nach dem Zweiten Weltkrieg unter den Vorzeichen des Ost-West-Konflikts etablierten Atlantic History den Verflechtungen zwischen den „beiden Pole[n] der westlichen Welt: Europa und Nordamerika“.14 Nachdem sie allerdings in jüngerer Zeit entpolitisiert und konzeptionell schärfer umrissen worden ist15, beschäftigt sie sich auch vermehrt mit den südatlantischen Kulturkreisen, die durch den weltumspannenden (Sklaven-)Handel mit der nordatlantischen Hemisphäre vernetzt wurden.16 Das Ineinandergreifen dieser Subregionen bietet gerade für kulturhistorisch inspirierte Untersuchungen ein neues Feld.17 14 Finzsch / Lehmkuhl / Wellenreuther, Vorwort der Herausgeber, in: Wellenreuther, Niedergang und Aufstieg, viii. Zu dem einflussreichen Deutungsangebot, das die atlantische Geschichte entlang des Zusammenspiels von imperialem Zentrum und kolonialer Peripherie strukturiert, vgl. Bailyn / Green, Peripheries and Center. Vgl. die Impulse der atlantischen Geschichte auf ebenso anregende wie problematische Weise in ein genetisches Regionalismusmodell umdeutend Fischer, Albion’s Seed. Vgl. dazu kritisch Albion’s Seed Forum, in: William & Mary Quarterly 48 (1991), 223–309. Vgl. hingegen Joyner, The Bold Fischer Man. 15 Zu den Entwicklungen der Atlantic History seit dem Zweiten Weltkrieg vgl. Bailyn, Idea of Atlantic History; Pietschmann, Atlantische Geschichte, 67 f.; Canny, Atlantic History, 55 ff. 16 Vgl. pointiert Drescher, Fragmentation of Atlantic Slavery, 234 f.; Pietschmann, Introduction, in: ders., Atlantic History, 35; Bailyn, Atlantic History, 59 ff. 17 Vgl. Thornton, Birth of an Atlantic World; Langley, Americas in the Age of Revolution; Elits, Atlantic History in Global Perspective, 156. Der Antebellum-Süden lag gleichsam an einer Schnittstelle zwischen den Subregionen des „weißen“ Nord- und des „schwarzen“ Südatlantiks. Insofern fügen sich in einer atlantischen Perspektive ältere und neuere Forschungstendenzen zusammen. Zum „schwarzen Atlantik“ vgl. grundlegend Gilroy, Black Atlantic; Gilroy / Camt (Hg.), Black Atlantic. Vgl. ferner Fröschl, Atlantische
Die kulturelle Prägung des Südens in atlantischer Perspektive
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Weil sich die Grundzüge eines „atlantischen Systems“18 in der Epoche vom 16. bis zum späten 18. Jahrhundert entwickelten, haben sich bisher fast nur Frühneuzeit-Historiker der atlantischen Geschichte angenommen.19 Eine „intensivere Erforschung des 19. Jahrhunderts unter atlantischen Fragestellungen […] ist immer noch ein weitgehend ‚weißer Fleck’ auf der historiographischen Landkarte.“20 Mit den Nationalstaatsgründungen in Nord- und Südamerika wurden die gewachsenen Verflechtungen innerhalb der atlantischen Welt aber nicht einfach durchgetrennt – vor allem nicht im amerikanischen Süden, dessen Gesellschaftsstruktur auch nach der Revolution der Kolonialvergangenheit verpflichtet blieb.21 Die vorliegende Untersuchung lässt sich einem Zweig der atlantischen Geschichte zurechnen, der von dem Historiker David Armitage Cis-Atlantic History getauft worden ist.22 Im Mittelpunkt des Interesses stehen die Prozesse und Mechanismen, mittels derer sich „diesseitige“ historische Einheiten über ihre Verbindung zur „jenseitigen“ atlantischen Welt definierten. Sowohl vom europäischen als auch vom amerikanischen Ufer ausgehend, haben Historiker seit den 1950er Jahren dieses Konzept auf überschaubare geographische Räume angewendet, beispielsweise auf Häfen, Städte und Küstenabschnitte. Das Konzept der Cis-Atlantic History muss sich aber keinesfalls auf einen mikrohistorischen Zugriff beschränken, sondern kann sich auch auf die Geschichte von Nationen und Staaten beziehen.23
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Geschichte, 7. Vgl. auch Frey / Wood (Hg.), From Slavery to Emancipation in the Atlantic World. Vgl. bereits von einem atlantischen „System“ sprechend Davis, Atlantic System. Vgl. ferner Pietschmann, History of the Atlantic System; Solow, Slavery and the Rise of the Atlantic System. Das gilt für mehrere anregende Sammelbände und Monographien, die den Zeitraum von 1500 bis 1800 abdecken. Vgl. Armitage / Braddick (Hg.), British Atlantic World; Benjamin / Hall / Rutherford (Hg.), Atlantic World in the Age of Empire; Breen / Hall, Colonial America in an Atlantic World; Canny / Padgen (Hg.), Colonial Identity in the Atlantic World; Games, Migration and the Origins of the Atlantic World; Kidd, British Identities Before Nationalism; Klooster / Padula (Hg.), Atlantic World; Mancke / Shammas (Hg.), Creation of the British Atlantic World; Pestana, English Atlantic in the Age of Revolution; Sarson, British America; Seymour, Transformation of the North Atlantic World; Taylor, American Colonies. Vgl. jetzt umfassend Elliott, Empires of the Atlantic World. Fröschl, Atlantische Geschichte, 8. Vgl. gleich lautend Pietschmann, Atlantische Geschichte, 80 f. Vgl. so für die Chesapeake Sarson, Similarities and Continuitites. Für die terminologische Herleitung und die historiographische Konzeptionalisierung der Cis-Atlantic History vgl. Armitage, Three Concepts of Atlantic History, 21–25. Vgl. ebd. 24. Neuere Arbeiten aus amerikanischer Perspektive sind etwa Horn, Adapting to a New World; Hatfield, Atlantic Virginia; Appelbaum / Sweet (Hg.), Jamestown and the Making of the North Atlantic World. Vgl. aus dem Bereich der Historischen Geographie vor allem Meinig, Atlantic America, Bd. 1. Eine Schriftenreihe der University of South Carolina Press widmet sich seit 2001: The Carolina Lowcountry and the
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I. Einleitung
So viel versprechend die Möglichkeiten einer „cis-atlantischen“ Perspektive sein mögen, so klar sind ihre Grenzen. Eine Untersuchung, die anhand der Englandbilder herausfinden möchte, was eine Region über sich selbst dachte, muss vor allem die inneren Faktoren berücksichtigen, welche die Sicht auf die äußere Welt strukturierten. Für den Süden, der sich seit den Anfängen der englischen Besiedlung im 17. Jahrhundert in einem Spannungsfeld zwischen innerer Abschottung und äußerer Vernetzung entwickelte, trifft das in besonderem Maße zu. Dabei hat es den „einen“ Süden als solches nie gegeben, sondern eher mehrere Souths24, die durch vieles verbunden, durch manches aber auch getrennt wurden. Kein Historiker könnte die Region heute mehr als homogenen Block beschreiben, ohne neuere Forschungen über ihre innere Differenzierung in geographisch-klimatischer, sozioökonomischer und auch politischer Hinsicht zu ignorieren.25 Es lassen sich drei regionale „Milieus“ unterscheiden, von denen zwei einer älteren atlantisch-karibischen Besiedlungstradition entstammten und eines aus der späteren kontinentalen Migration erwuchs: Virginia, South Carolina und der Baumwollgürtel des Tiefen Südens (Georgia, Alabama, Mississippi, Louisiana).26 Hierin sind die westlichen Grenzstaaten des Oberen Südens – Kentucky, Tennessee oder Missouri ebenso wenig enthalten wie die Küstenstaaten North Carolina und Florida. Einem erklärtermaßen selektiven Zugriff folgend, kann jedoch argumentiert werden, dass sich in den ausgewählten Milieus die Entwicklungstendenzen des Antebellum-Südens repräsentativ bündelten. Aus den Verflechtungen der älteren Ostküstenkolonien Virginia und South Carolina mit dem Mutterland erwuchsen maßgebliche Formkräfte, die trotz verschiedener Modernisierungsschübe während der gesamten Antebellum-Zeit wirkmächtig blieben.27 Das nachhaltigste Erbe der Kolonialära war
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Atlantic World. Vgl. bisher Greene / Brana-Shute / Sparks (Hg.), Money, Trade, and Power; Geggus, Impact of the Haitian Revolution. Vgl. pointiert von „many souths“ sprechend Kolchin, Sphinx on the American Land, 39–74. Vgl. dazu besonders Freehling, Road to Disunion I, 9–37. Die älteren Milieus, Virginia und South Carolina, die sich über einen längeren Zeitraum während der Kolonialzeit formierten, sind deckungsgleich mit den staatlichen Einheiten. Hingegen werden die relativ jungen Staaten aus dem Louisiana Purchase, die ihre konstitutive Phase im frühen 19. Jahrhundert durch das Zusammenspiel von Baumwollboom und Sklaventransfer erlebten, zu einem größeren Milieu zusammengefasst. Georgia, das zwar 1776 gemeinsam mit den alten Kolonien an der Rebellion gegen Großbritannien teilgenommen hatte, sozioökonomisch aber eher den neuen Staaten des Golfsüdens ähnelte, nimmt in dieser Aufteilung eine Art Zwischenposition ein. Dass der Süden englische Kultur- und Gesellschaftspraktiken in der Kolonialzeit adaptierte und auch über die Zäsur der Unabhängigkeit hinaus bewahrte bzw. neu anzupassen versuchte, hat die Forschung deutlich erkannt: „From its very beginning, the white South saw itself as a particular strain of British culture, adapting parts of British identity that seemed to fit at the time. […] There was nothing dishonest or delusional about this,
Die kulturelle Prägung des Südens in atlantischer Perspektive
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eine auf Sklavenarbeit begründete Plantagen- und Farmwirtschaft, die den Alltagsrhythmus der Pflanzer strukturierte und ihre Auslegungen der Ideen von Ehre, Unabhängigkeit, Macht und republikanischer Freiheit prägte. Wie lassen sich diese Milieus nun sowohl sozioökonomisch als auch geistig-kulturell mit der atlantischen Geschichte verbinden? Welche Vorstellungen können daraus für die Beschreibung der Englandbilder im Antebellum-Süden abgeleitet werden? Vor allem die Idee der Ehre wird hier als Kategorie verwendet, mit der die Südstaatler sich selbst und ihr Bild von der restlichen Welt entschlüsselten. Dass sie ihr Verhältnis zu England in den Formen einer Ehrbeziehung beschrieben und davon auch in der Außenpolitik von 1861 bis 1865 anleiten ließen, ist eine zentrale These der vorliegenden Arbeit. Daher sind eingangs eine Reihe von Schlüsselfragen zu klären: Welche Bedeutung fiel dem Ehrkodex für die politische Kultur des Südens zu? Mit welchen Inhalten wurde er gefüllt? Welche sozialen Konsequenzen zog er nach sich? Der „atlantische Fokus“ konzentriert sich in diesem Fall auf das Beziehungs- und Perzeptionsgeflecht zwischen den Südstaaten und England. Eine gleichgewichtige „bilaterale“ Darstellung der englisch-südstaatlichen Berührungsprozesse, welche die wechselseitige Interaktion zwischen den südstaatlichen Englandbildern und den englischen Südstaatenbildern zu untersuchen hätte, wird nicht angestrebt.28 Erst in den Kapiteln über die Bürgerkriegsjahre weitet sich das Blickfeld. Die fest gefügten Vorstellungen der Konföderierten über England lassen sich in ihrer Wirkmächtigkeit nämlich erst dann voll erfassen, wenn sie vor der pragmatischen Unionsdiplomatie und dem Kalkül der Briten gespiegelt werden. Dort, wo sie in den Handlungsrahmen der Außenpolitik übergehen, ist gleichsam eine Multilateralisierung der Perzeptionen vorzunehmen. Nur so vermag man zu zeigen, wie die „Perzeptionen von Mächten“ in eine genuine „Macht der Perzeptionen“ übergingen.29
these white Southerners thought of themselves as colonial Englishmen. Just as other Englishmen abroad later wore pith helmets and operated mines, Southern Englishmen owned slaves and ran plantations. Southerners, in fact, did not so much emulated the North as borrow may of the same materials from England that the North borrowed.“ Ayers, What We Talk about When We Talk about the South, 74. 28 Den gleichgewichtig komparativen Ansatz, der in der atlantischen Geschichtsschreibung ebenfalls prominent figuriert, benennt David Armitage als Trans-Atlantic History: „Trans-Atlantic history is the history of the Atlantic World told through comparisons.“ Armitage, Three Concepts of Atlantic History, 18. 29 So in Abwandlung des Titels der Arbeit von Lindemann, Macht der Perzeptionen und Perzeptionen von Mächten. Die politisch-kulturelle Entwicklung im Norden findet nur insofern Beachtung, als sie für die Krisenwahrnehmung der Südstaatler von Bedeutung war und die Tendenz zur Feindbildverschmelzung (England / Neu-England) beförderte. Eine separate Untersuchung der nordstaatlichen Englandbilder in der Antebellum-Zeit ist nicht Gegenstand der Arbeit.
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I. Einleitung
Konzeption und Methodik: Englandbilder im gruppenbiographischen Zusammenhang In seiner preisgekrönten Studie über die Founding Brothers von 1776 stellt der Historiker Joseph Ellis eine „Reihe von Annahmen“ auf, die so entwaffnend altmodisch sind, dass sie im gegenwärtigen Klima wieder neuartig erscheinen könnten. Meines Erachtens waren die zentralen Ereignisse und Errungenschaften der Revolutionsära und der frühen Republik politischer Natur. […] Die Hauptakteure in diesem Drama waren nicht die marginalen oder peripheren Gestalten, deren Lebensläufe typischer sind, sondern die politischen Führer im Zentrum der nationalen Geschichte, welche Macht ausübten. Mehr noch, die Gestalt und der Charakter der politischen Institutionen wurden durch eine relativ kleine Zahl von Führern bestimmt, die sich kannten, die miteinander in Abläufen zusammenarbeiteten und zusammenstießen.30
Diese essayistisch überspitzten Ausführungen lassen sich auch auf die ideologischen Grundlagen und die operative Ausführung der konföderierten Außenpolitik übertragen. Konzipiert und ausgeführt wurde diese von einem überschaubaren Personenkreis31, dessen Mitglieder in der Vorkriegsunion prominente Positionen eingenommen hatten. Zum Zeitpunkt der Sezession im Schnitt seit zwei Jahrzehnten aktiv, gehörten sie einer erfahrenen Politikerschicht an, die ihre neuen Ämter mit fest gefügten Weltbildern antrat. Der Fokus liegt also auf dem Kreis jener Persönlichkeiten, von denen gesagt werden kann, dass sie politische Macht und geistigen Einfluss ausübten. Ihre Englandbilder sollen in einen gruppenbiographischen Zusammenhang gestellt werden, der soziale, politische und kulturellen Ursachen berücksichtigt. Auf diese Weise wird der Anspruch untermauert, das diplomatische Handeln einzelner Personen in einem besonderen historischen Zusammenhang tatsächlich erklären zu können. Grob gesprochen, können die hier betrachteten Südstaatler in drei Kategorien eingeteilt werden: Erstens die älteren Figuren der frühen und mittleren Antebellum-Zeit, an denen sich die jüngeren Politiker orientieren oder von denen sie sich abgrenzten32; zweitens die tatsächlichen Amtsträger der konföderierten Außenpolitik (Präsident, Außenminister, Beauftragte, Gesandte)33 sowie drittens jene Vertreter aus diesem Kreis, die ihre Prominenz 30 Ellis, Sie schufen Amerika, 25 f. Der ungleich treffendere Originaltitel dieses gruppenbiographischen Zugriffs auf die Gründergeneration lautet Founding Brothers: The Revolutionary Generation. 31 Vgl. dazu die Erinnerungsschrift von Washington, Confederate State Department. 32 Neben Thomas Jefferson fallen darunter jene Südstaaten-Politiker, die im Verlauf der Antebellum-Zeit wichtige innen- und außenpolitische Posten einnahmen: Henry Clay aus Kentucky, John Randolph aus Virginia, John C. Calhoun aus South Carolina, William Cabell Rives und Andrew Stevenson aus Virginia, John Tyler und Abel Upshur aus Virginia sowie Duff Green aus Maryland / Missouri. 33 Es sind dies Jefferson Davis aus Mississippi (Präsident, 1861–1865), Robert A. Toombs
Konzeption und Methodik
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für publizistisches und intellektuelles Engagement nutzten. Solche PolitikerIntellektuelle34 kommunizierten Englandbilder im öffentlichen Raum und trugen dazu bei, das geistige Fundament der konföderierten Diplomatie zu legen.35 Folgendes ist nun bemerkenswert: Für die sozioökonomische Elite schuf überhaupt erst der Kontakt nach „außen“ die Grundlage für eine nach innen gerichtete Definition des „Südens“. Wer sich in Washington die Meriten verdiente und dort Kontakte knüpfte, wer als Pflanzer seine Agrarprodukte nach Europa verschiffen und gegen Provision absetzen ließ, der besaß letztlich Macht und Mittel, um eine Sklavenplantage zu unterhalten und ein öffentliches Amt auszuüben.36 Das Wechselverhältnis zwischen überregionaler Erfahrung und provinzieller Identität war im Einzelfall unterschiedlich stark ausgeprägt. Sinnfällig spiegelt sich das in dem wohl bedeutsamsten Südstaatler der frühen Republik, der in einem separaten Kapitel als wichtiger Erschaffer und Kommunikator der Englandbilder vorgestellt wird: Thomas Jefferson. Universal gebildet und weitgereist, war Jefferson Weltbürger, Amerikaner und (vor allem) Virginier in einer Person. Zugleich hegte er einen ausgeprägten Hass auf England. Für ihn besaßen die Amerikaner bei all ihren Schwächen und Stärken doch eine große Tugend, nämlich nicht englisch zu sein. Im Verlauf seines langen politischen Lebens eignete er sich ein anglophobes Vokabular an, das schließlich in der „Sprache der amerikanischen Souveränität“37 aufging. Aus dieser Hinterlassenschaft entfalteten sich die Biographien der hier vorgestellten Antebellum-Südstaatler. Ihre Lebensläufe kreuzten sich an verschiedenen Stellen, bevor sie im Jahre 1861 in der Gesamtanstrengung aufgingen, die Konföderation unter den Nationen der atlantischen Welt diplomatisch zu etablieren. Was die Faktoren der Sozialisation in den Milieus Virgi-
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aus Georgia (Außenminister, 1861), Robert. M. T. Hunter aus Virginia (Außenminister, 1861–1862), Judah P. Benjamin aus Louisiana (Außenminister, 1862–1865), Robert Barnwell Rhett aus South Carolina (Vorsitzender des Außenausschusses im konföderierten Kongress, 1861), William Lowndes Yancey aus Alabama (Kommissarischer Beauftragter in England, 1861–1862), James Murray Mason aus Virginia (Gesandter in England, 1862–1863), John Slidell aus Louisiana (Gesandter in Frankreich, 1862– 1865). Der Begriff wird hier entliehen von Schivelbusch, Kultur der Niederlage, 60. Prototypische Politiker-Intellektuelle der Antebellum-Zeit waren William Cabell Rives aus Virginia oder James Henry Hammond und William Henry Trescot aus South Carolina. Als Berufspolitiker waren sie keine klassischen Intellektuellen, sondern nutzen die öffentliche Aufmerksamkeit, die sie auf ihre Person zu ziehen vermochten, für ein publizistisches Engagement. Dennoch besaßen sie als men of mind (so die zeitgenössische Selbstbeschreibung) durchaus „some kind of ‚cultural authority’“, also eine „acknowleged intellectual position or achievement in addressing a broader, non-specialist public.“ Collini, Absent Minds, 47 f. Vgl. Ayers, What we talk about When we Talk about the South, 74. Vgl. Onuf, Jefferson’s Empire: The Language of American Nationhood.
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I. Einleitung
nias, South Carolinas und der Baumwollstaaten anbetrifft, stellen sich für diese – zum Teil sehr verschiedenen – Biographien ähnliche Fragen38: Über welche Stationen nahmen die späteren Politgrößen ihren sozialen Aufstieg? Auf welche kulturellen Imperative wurden sie fixiert? In welche Bahnen lenkten sie ihre politische Loyalität und – sofern nachweisbar – durch welche frühen Englandbilder wurde das unterfüttert? Nach ihrem Wechsel von der regionalen auf die bundespolitische Ebene blieben die Südstaatler dem partikularen Denken fast durchweg verpflichtet.39 Dass der „Süden“ überhaupt aus der Union herausgeführt und staatlich neu organisiert werden konnte, war nur aufgrund einer Vielzahl von eingefahrenen Austauschprozessen möglich. Solche Kontakte reichten vom Einfluss dominierender Einzelpersönlichkeiten über Netzwerke in Washington bis hin zu überstaatlichen Konventen oder der Distribution von Zeitungen und Zeitschriften. Dieselben Südstaaten-Politiker, die in den Jahrzehnten zuvor als Senatoren oder Kongressabgeordnete miteinander kooperiert oder sich gegenseitig bekämpft hatten, gelangten 1861 in die neue Regierung und waren auf die eine oder andere Weise mit dem Entwurf der Diplomatie beschäftigt. Verschiedene Strömungen und Temperamente stießen dabei aufeinander: Moderate Unionisten, Whigs und Demokraten waren ebenso vertreten wie radikale Sezessionisten oder Southern Rights Democrats, die zwar grundsätzlich keine Spaltung wünschten, sie aber in Kauf zu nehmen bereit waren. Was sie über England und Europa dachten, hatte auch damit zu tun, ob sie in den großen Streitfragen der Zeit eher zur Radikalität oder zur Mäßigung tendierten. Deutlich wird das durch die Verwendung von Schlüsselbegriffen, mit denen sie ihre Sicht auf sich selbst mit den äußeren Verhältnissen in Einklang zu bringen versuchten. Auf welche Weise sie die Assoziationen von Ehre und Macht, von Sklaverei und Freiheit mit ihrem Englandbild verknüpften, gilt es ebenso zu untersuchen wie den Effekt, den sie damit in den innenpolitischen Debatten zu erzielen wünschten. Dabei zeigt sich das hier 38 In diesem Sinne soll zunächst eine „Sozialgeschichte der Milieus professioneller Außenrepräsentanten“ geschrieben werden, wie sie Jürgen Osterhammel eingefordert hat – also im Hinblick auf Herkunft, akademische Ausbildung und sozialen Aufstieg. Osterhammel, Internationale Geschichte, Globalisierung und die Pluralität der Kulturen, 400. Unter den Sozialisationsfaktoren, die für die Formierung der Englandbilder erklärend herangezogen werden, bleibt der Bereich „Religion“ weitgehend ausgeklammert. Religiöse Motive nahmen in den hier untersuchten Englandbildern keinen prominenten Platz ein, sondern beeinflussten eher die Emphase, mit der sie artikuliert wurden. Bibelbezüge spielen allenfalls für die Verteidigung der Sklaverei im Sinne des Pro Slavery Argument eine Rolle. An den entsprechenden Stellen wird dies berücksichtigt. 39 Die Südstaaten sind daher „ein beeindruckendes Beispiel“ für die Erforschung der regionalen Bezüge außenpolitischer Entscheidungsprozesse. Hunt, Krise der Diplomatiegeschichte, 70, Anm. 13.
Kultur und Perzeption
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entworfene Bild keineswegs linear, sondern oft fragmentarisch, uneinheitlich und zerrissen: Bisweilen weisen atlantische Bezugspunkte den direkten Weg in das Denken der Politiker und Intellektuellen. Manchmal erschließen sie sich aber erst durch ihre politische Semantik – durch Vergleiche, Metaphern oder historische Referenzen; mal schimmern sie stärker durch, mal schwächer; mal sind sie negativ assoziiert, mal positiv.40 Kultur und Perzeption Den „sogenannten ‚weichen’ Faktoren wie Ideen, Normen, Werte[n und] Kultur“41, so dürfte schon deutlich geworden sein, fällt für die SüdstaatenPolitik in den Antebellum-Jahrzehnten und während des Bürgerkrieges eine entscheidende Bedeutung zu. Zwar sind die kulturellen Ursachen politischen Handelns in den Quellen oft schwer nachzuweisen: „Officials […] did not, in fact, write down all that they believed to be true about the world in which they lived or the regions they governed“, wie Philip Curtin in einem anderen Zusammenhang konstatiert hat: „Beyond the world of dispatches, there was also a world of unstated assumptions.“42 Die ideologische Schärfe der NordSüd-Kontroverse, in der – überspitzt formuliert – um das Problem von Sklaverei und Freiheit in der Sprache der Ehre gestritten wurde, trug jedoch dazu bei, dass sich die „unspoken assumptions“43 eher in outspoken assumptions verwandelten. Auf bisweilen aggressive Weise manifestieren sich in den Englandbildern Überzeugungen und Ideen, die hinter den augenscheinlichen Ereignissen der Zeit lagen.44 Diese Formulierung macht deutlich, dass hier ein weitgefasster Kulturbegriff verwendet wird, der „darauf aufmerksam machen [will], dass Menschen ihre Wirklichkeit nicht einfach wahrnehmen und hinnehmen als das, was sie ist. […] Es geht einem solchen weiten Kulturbegriff um individuelle und kollektive Bedeutungszusammenhänge, die aus der Wirklichkeit überhaupt erst eine sinnhafte Wirklichkeit machen.“45 Hieraus kann eine wirkungsgeschichtlich orientierte Perzeptionsforschung Erkenntnisse über außenpolitische Entscheidungsprozesse gewin40 Neben den Englandbildern im engeren Sinne werden also auch Metaphern aus dem Bereich der politischen Sprache untersucht, die traditionell als anglophil oder anglophob konnotiert galten. Besonders offensichtlich ist das für die Despotismus-, Monarchismus-, und Tyranneivokabeln, die nach der Revolution in den politischen Diskurs der frühen Republik überführt wurden und auch in den Antebellum-Jahren noch zum Einsatz kamen. 41 Lehmkuhl, Diplomatiegeschichte als internationale Kulturgeschichte, 397. 42 Curtin, Image of Africa, vii. 43 Joll, Unspoken Assumptions. 44 Vgl. Bailyn, Challenge of Modern Historiography, 22; ders., Ideological Origins of the American Revolution, x. 45 Landwehr / Stockhorst, Kulturgeschichte, 10.
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I. Einleitung
nen.46 Das klassische Deutungsmuster des „Interesses“ ist vor dem Hintergrund der Kategorien „Meinung“ und „Anschauung“ einzuordnen: Wenn Interessen aus einer spezifischen Interpretation der Welt abgeleitet werden, dann gilt es diese Interessen nicht nur darzustellen, sondern ihr Zustandekommen zu erklären und die kulturellen Muster dahinter freizulegen. Dafür liefern die Biographien außenpolitischer Entscheidungsträger verschiedene Impulse – etwa mit Blick auf die individuelle Wahrnehmungsebene47, die Prägekräfte der Sozialisation sowie die Aneignung beziehungsweise Umdeutung kollektiver Ideen. Die hier beschriebenen Perzeptionen müssen keineswegs mit den im historischen Sinne „realen“ Verhältnissen deckungsgleich sein oder gar heutigen moralischen Urteilskategorien entsprechen. Dass dies für die ideologisch aufgeladenen Englandbilder oder die Verteidigung der Rassensklaverei so gilt, braucht kaum eigens unterstrichen zu werden.48 Die Konzentration auf die Südstaaten-Elite darf auch nicht den Eindruck entstehen lassen, die Masse der kleineren (nicht sklavenhaltenden) Farmer hätte deren Vorstellungen und Interessen vorbehaltlos geteilt.49 Wenn darüber hinaus Pflanzer, Politiker und Intellektuelle „ihren“ Süden als agrarisch-konservative Idealgesellschaft entwarfen, heißt das keineswegs, dass sich die südstaatliche Wirtschaft nicht modernisierte (auch wenn sie es im Vergleich zum Norden nur äußerst langsam tat).50 Perzeptionen kreieren eine „Welt in unseren Köpfen“51, die als real begriffen wird und handlungsanleitend wirken kann. Auf breiter Quellenbasis soll das „selbstgesponnene Bedeutungsgewebe“52 zerschnitten und geordnet werden, durch die Südstaatler ihrer Welt Sinn verliehen und diese Erkenntnis miteinander teilten.
46 Vgl. so bereits Jervis, Perception and Misperception, 8. Jervis bezeichnet die Perzeptionsanalyse explizit als „aspect of the decision-making approach“. Ebd., 9. 47 Vgl. Fiebig-von Hase / Lehmkuhl (Hg.), Enemy Images in American History, 4. 48 Andrew Preston umschreibt diesen Sachverhalt folgendermaßen: „[H]istorians of slavery are not compelled to adopt the moral or political viewpoint of either the slave or the slaveholder.“ Preston, Bridging the Gap, 812. 49 Diese Schichten sind nicht Teil der vorliegenden Untersuchung – ob und in welchem Ausmaß ihre Weltsicht durch auswärtige kulturelle Bezüge geprägt wurde, ist hier nicht zu beantworten. Dass kulturell fundierte Überlegenheitsvorstellungen auch den (frühen) Kampfeswillen der konföderierten Soldaten im Bürgerkrieg beeinflussten, kann allerdings als wahrscheinlich gelten. Sehr weit gehen hier McWhiney / Jamieson, Attack and Die. Vgl. ferner die differenzierte Feldpostanalyse bei McPherson, For Cause & Comrades. 50 Zur ökonomischen Modernisierung vgl. Downey, Planting a Capitalist South; Henderson, Planter’s Progress. 51 Downs / Stea, Kognitive Karten. Die Welt in unseren Köpfen. 52 Geertz, Dichte Beschreibung, 9.
Union oder Konföderation?
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Union oder Konföderation? Ursprünge und Bezugspunkte des südstaatlichen Nationalismus Der Bürgerkrieg war nicht nur ein tiefer Epocheneinschnitt in der Geschichte der Vereinigten Staaten, sondern auch ein Testfall für Entstehung und Umbildung von Nationen. Gerade weil sich dieses Bild in den Köpfen von Zeitgenossen und Nachgeborenen so tief eingebrannt hat, erscheint es bemerkenswert, dass die Südstaaten aufs Ganze gesehen keineswegs nach einer separaten nationalstaatlichen Organisation strebten (die Zahl der programmatischen Sezessionisten blieb während der Antebellum-Jahre vergleichsweise klein). Was schließlich auch die moderateren Politiker auf die Sezession umschwenken ließ, war die – teils realistisch begründete, teils überzogen wahrgenommene – Gefahr für den Fortbestand der Sklaverei, mit der sich nicht nur ihr sozioökonomischer Status, sondern auch ihre Vorstellung einer spezifisch südstaatlichen Lebenskultur (Southern Way of Life) verknüpfte. Bei der Frage nach Union oder Konföderation war für den Süden entscheidend, unter welchem nationalen Dach die essentials seiner Identität53 am sichersten bewahrt werden konnten. Dass die unionistische Mehrheit im Jahre 1860 zur gleichen Meinung gelangte wie die sezessionistische Minderheit, hat den entscheidenden Ausschlag zum Vollzug der Sezession gegeben. Gleichwohl pflegten die Südstaatler keineswegs ein rein funktionales Verhältnis zur amerikanischen Nationalität, sondern fühlten sich dem revolutionären Erbe von 1776 (in seiner partikularistischen Auslegung) tief verbunden. Der Bruch vollzog sich auf schmerzhafte Weise und konnte nur durch den Anspruch abgefedert werden, die ursprünglich-reine Republik zu restaurieren. Über Jahrzehnte hinweg hatten Politiker und Publizisten im Süden ihre geistige Energie darauf verwendet, die Identität des Südens in der Fluchtlinie der Gründerunion zu halten (und gleichzeitig von den Gegenwartsentwicklungen abzugrenzen). Obwohl nur eine Minderheit bereit gewesen war, diese Abgrenzungsarbeit mit einem konkreten Sezessionsappell zu versehen, 53 Wie Adam I. P. Smith diesen Zusammenhang charakterisiert hat: „National identity – like other forms of identity, including race – is malleable and historically contingent. Antebellum American nationalism usually reinforced, rather than undermined local, state and regional identities. ‚The South’ certainly conceived of itself as a separate entity long before the Civil War, and slavery was evidently crucial to that process of self-definition.“ Smith, Civil War, 7. Während der Antebellum-Zeit waren die Publizisten bemüht, die Wesensmerkmale der kulturellen Identität des Südens durch die Vorstellung einer spezifischen südstaatlichen „Zivilisation“ herauszuarbeiten. Vgl. etwa: Is Southern Civilization worth Preserving?, in: Southern Quarterly Review 1 (1851), 189–225; Hints on Southern Civilization, in: Southern Literary Messenger 4 (1861), 308–313; Southern and Northern Civilization Contrasted, in: Russell’s Magazine 5 (1857), 97–107; A Few Thoughts on Southern Civilization, Nr. I, in: ebd. 6 (1857), 224–228, Nr. II, in: ebd. 7 (1857), 338–349, Nr. III, in: ebd. 9 (1857), 546–556, Nr. IV, in: ebd. 12 (1857), 212–226.
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I. Einleitung
ließ sich das Material reibungslos in die Konzeption eines cultural nationalism54 einfügen, der 1860 / 61 das Fundament der Konföderation legte. Englandreferenzen haben für die Identitätskonstruktionen außerhalb und innerhalb der Union eine bedeutsame Rolle gespielt. Darüber hinaus ist der Prozess, mit dem sich aus einer partikularen Identität zwar nicht zwangsläufig, aber eben auch nicht völlig kontingent eine separate Nationalität herausschälte, von besonderem historischen Interesse. In Bezug auf die Englandbilder soll daher immer wieder gefragt werden: Welche Rolle spielten sie für die Unterfütterung zunächst der südstaatlichen Identität, später der südstaatlichen „Nation“? Hier wird einem gemäßigten Konstruktivismus gefolgt, der sich mit dem Namen des Sozialwissenschaftlers Anthony D. Smith verbindet. In Abgrenzung von der radikalkonstruktivistischen Schule der 1980er Jahre, welche den artifiziellen Charakter der Nation hervorgehoben hatte55, sieht Smith die Formierung nationaler Identitäten im Zusammenhang mit ihren realen ethnischen und religiösen Hintergründen. Sicher tragen Nationen konstruierte Züge, sicher sind sie auch kontingente Produkte und keine ewig existenten, unveränderlichen Gebilde, aber oft beruhen sie eben doch auf Traditionen, Gebräuchen und einem verbindenden historischen Erbe, das sich über Generationen hinweg im Kollektivgedächtnis einer Gemeinschaft eingeprägt hat.56 Traditionen, so ließe sich eine bekannte Formel von Eric Hobsbawm und Terence Ranger57 abwandeln, wurden weniger „erfunden“, sondern aufgegriffen, durchaus auch instrumentalisiert, umgedeutet oder in andere Sinnzusammenhänge gestellt.58 Für die Legitimation einer nationalen Idee wird die Geschichte nicht erfunden, sondern aus dem „Fundus der Vergangenheit […] 54 Eine Pionierarbeit über die geistigen Grundlagen der konföderierten Nationalidee ist McCardell, Idea of a Southern Nation. Auch Emory Thomas verwendet den Begriff des cultural nationalism in seiner älteren, aber immer noch nützlichen Gesamtdarstellung. Vgl. Thomas, Confederate Nation, 17–37. Nicht mehr zeitgemäß ist Craven, Growth of Southern Nationalism. Vgl. ferner maßgeblich Freehling, Road to Disunion, 2 Bde., wo in bisweilen pointierter Form auf die regionalen Differenzen und den soziokulturellen Variantenreichtum im Süden hingewiesen wird. 55 Vgl. so vor allem bei Anderson, Erfindung der Nation; Gellner, Nationalismus und Moderne. 56 Vgl. Smith, Ethnic Origins, 7–13, sowie umfassend ders., Nationalism and Modernism. Wie John Breuilly urteilt, hat Smith hiermit „einen ausgewogenen Mittelweg gefunden zwischen einer nationalistischen Position, die naiv eine ungebrochene Geschichte der Nation annimmt, und einem Standpunkt, der die Nation als eigentümliches modernes Konstrukt beschreibt“. Breuilly, Nationalismus und moderner Staat, 243. Vgl. in globaler Perspektive ähnlich urteilend Bayly, Birth of the Modern World, 202. Vgl. ebenso Geary, Europäische Völker, 26f; Langewiesche, Nationalismus – ein generalisierender Vergleich, 175 ff. 57 Vgl. Hobsbawm / Ranger, Invention of Tradition. 58 Vgl. die Anwendung eines solchen Ansatzes auf die Mythenforschung bei Milfull / Neumann (Hg.), Mythen Europas.
Union oder Konföderation?
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neu eingekleidet“.59 Nationalisten bedienen sich aus einem „Vorrat von Vorstellungen, Mythen, Legenden und – in der Tat – verifizierbaren Ereignissen […], die das nationale Gedächtnis ausmachen“.60 Wie Peter Burke kürzlich angemerkt hat, gehört der Wandel ohnehin zu den „Paradoxien der Tradition“, muss sich das, „was in einer Tradition weitergegeben wird“, ganz zwangsläufig neuen Bedeutungsbelegungen öffnen, damit die Tradition nicht ausstirbt.61 Gerade im Falle des amerikanischen Südens erscheint es wenig sinnvoll, die primordialen und konstruktivistischen Nationalismuskonzepte gegeneinander auszuspielen. Von einer ideengeschichtlichen Warte aus gesehen, wurde die Republik in den 1840er und 1850er Jahren von einem Konflikt um die nationale Deutungshoheit erschüttert, in dem unterschiedlich akzentuierte Vorstellungen von Nationalität und Gemeinschaft aufeinanderprallten.62 Der republikanische Nationalismus nordstaatlicher Intellektueller, wie ihn beispielsweise Charles Sumner aus Massachusetts artikulierte, schöpfte seine ideologische Energie aus dem Bewusstsein des präzedenzlos Neuen63; er bezog sich auf Staatssymbole wie die Flagge, die Unabhängigkeitserklärung oder die Verfassung und nahm stolz für sich in Anspruch, nach dem Motto E pluribus unum die Einheit in der Vielfalt unter dem Dach einer Regierung zu garantieren. Für Sumner, der seine Gedanken hierüber im November 1867 vor der New York Young Men’s Republican Union darlegte, hatten sich die althergebrachten Vorstellungen nationaler Einheit auf „a race or people of common descent or language“ bezogen. In Amerika hingegen besaßen die Loyalitäten gegenüber der Nation einen säkularen politischen Charakter: „They contemplate a political unity, rather than a unity of blood or language.“64 Die Menschen bekamen ihren Platz in der Nation demnach nicht vorrangig durch ethnische oder territoriale Determinanten zugewiesen, sondern durch die schöpferischen Impulse einer Idee, die aber nun ihrerseits als unveränderlich, zeitenthoben und für die Ewigkeit zu gelten hatte: „For better or worse we are bound together in one indissoluble bond. The National Union is a knot, which, in an evil hour, the sword may cut, but which no mortal power can unloose without the common consent.“65 Zu dieser melancholischen Referenz mochte Sumner veranlasst worden sein, weil zum Zeitpunkt seiner Rede 59 60 61 62
Langenwische, ‚Erfindung der Nation’, 616. Blanning, Altes Europa, 30. Burke, Was ist Kulturgeschichte?, 41 f. Die Überlegungen zum Dualismus zwischen republikanischem und ethnischem Nationalismus in der Antebellum-Union folgen hier McPherson, Is Blood Thicker than Water? 63 Zum Problem des amerikanischen Exzeptionalismus vgl. im Überblick Rodgers, Exceptionalism; Shafer, Is America Different?; Adams / van Minnen (Hg.), Reflections on American Exceptionalism; Glaser / Wellenreuther (Hg.), Bridging the Atlantic. 64 Sumner, Are We a Nation?, 5. 65 Ebd., 11.
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I. Einleitung
weite Teile des Südens in Schutt und Asche lagen. Denn in der Tat hatte sich der von ihm entworfene Unionsnationalismus nur mit Waffengewalt gegen die Idee einer separaten konföderierten Nation behaupten können. Wohlgemerkt: Das Nationalbewusstsein der Südstaatler speiste sich lange Zeit aus den gleichen geistigen Quellen wie dasjenige der Nordstaatler – dem protestantischen Religionserbe, der Erinnerung an die gemeinsam erkämpfte Unabhängigkeit, der Bindung an die Verfassung und die Institutionen der Vereinigten Staaten.66 Die Sezessionisten hatten die schwierige Aufgabe zu bewältigen, den Süden mit dem Argument aus der Union herauszulösen, genau diese Union – in ihrem ursprünglichen, unkorrumpierten „Reinzustand“ – wiederherzustellen. Um das Idealtypische der Vergangenheit vom Ablehnenswerten der Gegenwart hervorzuheben, vermischten Publizisten und Politiker den republikanischen Gründungsmythos mit einen mythisch verbrämten Ethno-Nationalismus, der auf die – tatsächlichen und vermeintlichen – englischen Bezüge der südstaatlichen Kultur zurückgriff. Aus den im anglo-amerikanischen Erbe verfügbaren Materialien schöpfend, zeichneten sie ein Bild von sich selbst als ein besonderes Volk mit eigener Bestimmung, das mit dem bewunderten Teil der britischen Gesellschaft verbunden war, dem aristokratischen, dem „besseren“ England.67 Unter politischen Gesichtspunkten diente diese Teilungsmythologie zur Betonung der Differenzen zwischen Nord und Süd.68 Darüber hinaus bediente sie aber auch in einer grundsätzlichen Sehnsucht nach dem, was das junge Amerika – „a new nation, born of the Enlightenment and based on rational principles, created in full light of historical day“69 – offenkundig nicht besaß: ein rückwärtsgewandtes „Sinnversprechen“, mit dem die Beschwörung der Vergangenheit zum „Garanten der Zukunft“ verklärt werden konnte.70
66 Zum verbindenden Erbe vgl. prägnant Wellenreuther, Exploring Misunderstandings, 164. 67 Vgl. aus den frühen Bürgerkriegsjahren etwa Fitzhugh, Superiority of Southern Races, in: DeBow’s Review 7 (1861), 369–381; Moore, Southern Civilization, in: DeBow’s Review 1 (1862), 1–19. Zum literarischen Niederschlag der südstaatlichen Englandmythen vgl. Taylor, Cavalier and Yankee. 68 Vgl. Davis, Look Away!, 41. 69 Temperley, Britain and America since Independence, 46. „Americans“, so hat Gordon Wood vermerkt, „lack a misty past“. Wood, Relevance and Irrelevance of American Colonial History, 144. 70 Münkler, Politische Mythen und nationale Identität, 21. Solche „Welterklärungen, Sinnstiftungen und Wertfindungen, auf welche die Politik und Gesellschaft aus Gründen der politisch-sozialen Integration und der Identitätsfindung nicht verzichten können, [bedienen] sich in Form von Geschichtserzählungen, Geschichtsbildern und Geschichtsdeutungen der Vergangenheit“. Sie setzen also „Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zueinander in Bezug“. Dotterweich (Hg.), Mythen und Legenden in der Geschichte, 7.
Literaturlage und Forschungsstand
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Literaturlage und Forschungsstand Gerade die Südstaaten-Diplomatie, so hat der Historiker George Rable vor wenigen Jahren die Forschungslage beurteilt, bleibt „ein Thema, das kreativere Annäherungen braucht“.71 In den einschlägigen Sammelbänden über die Ursachen der konföderierten Niederlage im Bürgerkrieg, die so zugespitzte Titel tragen wie Why the South Lost72 und Why the Confederacy Lost73, wird den Dogmen der Außenpolitik keine Bedeutung zugemessen.74 Noch immer ist deshalb Frank Lawrence Owsleys King Cotton Diplomacy aus dem Jahre 1931 die umfangreichste Studie zum auswärtigen Auftritt der Konföderation.75 Obwohl der dort konstatierte Primat des Ökonomischen seine Gültigkeit nicht verloren hat, muss die Tendenz dieses Werkes doch historisierend eingeordnet werden.76 Owsley gehörte einem agrarromantischen Intellektuellenzirkel an, der 1930 eine Essayanthologie mit dem Titel I’ll Take My Stand: The South and the Agrarian Tradition veröffentlichte.77 Im Großen und Ganzen führte er mit seiner empirisch so dicht unterfütterten King Cotton Diplomacy doch eine Anklage gegen die kalte Interessenpolitik, mit der sich Europas Mächte vom Krieg in Amerika distanziert hätten.78
71 Rable, The Civil War, 261. Durchaus ergiebig, aber eben nicht vorrangig, wird die Konföderationsdiplomatie in den Standardwerken zur internationalen Dimension des Bürgerkrieges behandelt. Vgl. bereits Adams, Great Britain and the American Civil War, 2 Bde; Crook, North, South, and the Powers; Jenkins, Britain and the War for the Union, 2 Bde; Jones, Union in Peril; ders., New Birth of Freedom. Vgl. weniger geglückt Mahin, One War at a Time. 72 Vgl. Beringer u. a., Why the South Lost. 73 Vgl. Boritt (Hg.), Why the Confederacy Lost. 74 Ein auf die Gründe für den nordstaatlichen Sieg konzentrierter Sammelband mit dem komplementären Titel Why the North Won hatte bereits 1960 einen Aufsatz über „Northern Diplomacy and European Neutrality“ enthalten. Vgl. Graebner, Northern Diplomacy and European Neutrality. Wenn die Außenpolitik für den Triumph des Nordens mitentscheidend war, so leuchtet es unmittelbar ein, dass sie auch für die Niederlage des Südens eine wichtige Rolle spielte. Als eigenständiges Forschungsfeld, über dessen methodische Innovationen in den Historiographieberichten laufend berichtet wird, hat sie sich aber noch nicht etabliert. Vgl. etwa die Auslassung des Themas bei McPherson / Cooper, Jr., (Hg.), Writing the Civil War; Boles (Hg.), Companion to the American South (hier allerdings die historiographiegeschichtlichen Bemerkungen in dem Beitrag von Rable, The Civil War, 261); Ford, Companion to Civil War and Reconstruction. An anderen Themen interessiert ist auch Thomas, Clio at Climax. 75 Vgl. Owsley, King Cotton Diplomacy. Owsleys Werk wurde nach seinem Tod im Jahre 1959 in einer überarbeiteten Neuauflage herausgegeben. 76 Für eine sanfte Revision von Owsleys Thesen vgl. Cresap, Frank L. Owsley and King Cotton Diplomacy; kritischer urteilte zuletzt Rable, Civil War, 261. 77 Vgl. Ransom u.a., I’ll Take my Stand (verschiedene Auflagen). 78 Vgl. Owsley, King Cotton Diplomacy, bes. 542–548.
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I. Einleitung
Obwohl in den folgenden Jahren durchaus Korrekturen an diesem Bild vorgenommen wurden79, erschien erst 1998 mit Charles M. Hubbards Burden of Confederate Diplomacy eine neuerliche Gesamtdarstellung zum Thema80, die freilich eher als multilateral verzweigte Diplomatiegeschichte der Bürgerkriegsjahre angelegt ist und der kulturellen Herleitung der Außenpolitik eher wenig Raum einräumt. Sicherlich auch dem Umstand geschuldet, dass der Süden in jüngster Zeit verstärkten Einfluss auf die bundespolitischen Verhältnisse der Vereinigten Staaten ausübt81, hat Joseph Fry 2002 den Versuch unternommen, seine Rolle in der amerikanische Außenpolitik von 1789 bis 1974 komprimiert nachzuzeichnen.82 Für die frühe Republik und die Antebellum-Zeit benennt Fry die zentralen Kulturkräfte, die den südstaatlichen Blick auf die Welt formten – einen von agrarromantischer Sehnsucht durchzogenen Republikanismus, den Kodex der Ehre und die Verteidigung der Sklaverei. Was Fry als synthetisierende Gesamtschau anlegt, soll hier am Beispiel der Konföderationsdiplomaten konkretisiert werden. Weil sie sich bereits in der Vorkriegszeit zu politischen Schwergewichten entwickelten, die auf Bundes- und Staatenebene Einfluss ausübten, haben fast alle der hier vorgestellten Protagonisten ältere oder neuere biographische Würdigungen erfahren, ohne dass der Versuch unternommen worden wäre, ihre Attitüde gegenüber der atlantischen Welt in einen vergleichenden Zusammenhang zu setzen.83 An dieser Stelle weist die Untersuchung Berührungspunkte mit der südstaatlichen Geistesgeschichte auf, die in den letzten Jahren besonders intensiv diskutiert worden ist. So heben Eugene und Elisabeth Fox-Genovese die utopischen und romantischen Züge im Geschichtsverständnis der Südstaatenelite hervor.84 Ihre These, dass sich hieraus eine tief sitzende Angst vor umwälzenden Veränderungen herauslesen lässt, ist auch für die Analyse der 79 Vgl. vor allem Blumenthal, Confederate Diplomacy. Vgl. auch die Kapitel zur Außenpolitik bei Eaton, Southern Confederacy, 61–81; Roland, Confederacy, 100–124; Thomas, Confederate Nation, 167–189. 80 Vgl. Hubbard, Burden of Confederate Diplomacy. Eine neuere, an der kanadischen Haltung gegenüber der Konföderation interessierte Studie ist Mayers, Dixie & the Dominion. 81 Vgl. Applebome, Dixie Rising. 82 Vgl. Fry, Dixie Looks Abroad. Eine frühere Arbeit über die Rolle partikularer Strukturen in der amerikanischen Außenpolitik liegt vor mit Chester, Sectionalism, Politics, and American Diplomacy. Vgl. in diesem Sinne auch für die Postbellum-Zeit und die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts McWilliams, New South Faces the World. 83 Die einzelnen Biographien, die von veralteten Hagiographieschriften bis zu aktuellen Spezialstudien reichen, werden an dieser Stelle nicht diskutiert, sondern jeweils im Kontext der entsprechenden Kapitel vorgestellt. Bemerkenswerte Forschungsdesiderate bieten nur die politischen und intellektuellen Lebensläufe von William Cabell Rives aus Virginia und William Henry Trescot aus South Carolina. 84 Vgl. Genovese / Fox-Genovese, Mind of the Master Class.
Literaturlage und Forschungsstand
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Englandbilder relevant. Gleiches gilt für die umfassende Analyse der intellektuellen Landschaft des Südens, mit der Michael O’Brien Maßstäbe für die künftige Forschung gesetzt hat.85 O’Brien verfolgt das Engagement der Intellektuellen in sämtlichen Bereichen geistigen Lebens und legt dabei besonderen Wert auf ihre – sicherlich oft ablehnend-negative, aber dennoch auszumachende – Auseinandersetzung mit den Zeitgeist-Strömungen in der atlantischen Welt. Die Ausrichtung dieser aktuellen ideengeschichtlichen Forschungen unterstreicht den hier formulierten Anspruch, den signifikanten Teilbereich der Englandbilder auf die politische Sphäre zu übertragen und als Deutungsangebot für die Außenbeziehungen von 1861 bis 1865 vorzuschlagen.
85 Vgl. O’Brien, Conjectures of Order. Vgl. auch bereits O’Brien / Moltke-Hansen, Intellectual Life in Antebellum Charleston; O’Brien, Rethinking the South. Vgl. ferner Moltke-Hansen, Intellectual and Cultural History of the Old South, 223. Zu den Intellektuellen und Geisteszirkeln vgl. nach wie vor die Pionierstudie von Faust, A Sacred Circle. Vgl. zu den „literary fire-eaters“ des Südens auch Wyatt-Brown, hearts of darkness, 35–63.
II. POLITIK UND KULTUR IM ANTEBELLUM-SÜDEN 1. DAS SELBSTVERSTÄNDNIS DER SÜDSTAATEN VOR DEM BÜRGERKRIEG: KOLONIALE URSPRÜNGE, PRÄGUNGEN UND ENTWICKLUNGEN Wer nach einem bestimmenden Motiv sucht, das den Süden in den Jahrzehnten vor dem Bürgerkrieg (und übrigens auch danach) geprägt hat, findet es im Gefühl der Unsicherheit, der Krise und des Abstiegs. Seit es einen „Süden“ in den Köpfen der Menschen gab, begriffen sie ihre Heimat als fragiles Gebilde im Strom der Zeit, gefangen in einer Abwärtsspirale von Bedeutungsverlust und Ohnmacht.1 In der Sicht von Pflanzern, Politikern und Intellektuellen befand sich der Süden stetig im Niedergang: Die Harmonieideale des Revolutionssüdens hatten sich im Parteienstreit der frühen Republik verloren; das elitäre Gesellschaftsverständnis der Großpflanzer wurde von den demokratischen Turbulenzen der 1830er Jahre erschüttert; die nationale Expansionsdoktrin von Manifest Destiny mündete in sektionaler Hysterie und Krieg. Aufgerieben zwischen Zukunftsangst und Traditionsbewusstsein, wagte der Süden schließlich im Jahre 1861 seine „konservative Revolution“.2 Die Kulturkräfte, derer es über die tagespolitischen Krisen hinaus dafür bedurfte, reichten weit in die Geschichte zurück und konstituierten sich aus den (Macht-) Erfahrungen einer Sklavenhaltergesellschaft, in der die Eliten durch die Sprache der Ehre miteinander kommunizierten. Ausschlaggebend war darüber hinaus, dass sich nach der Unabhängigkeit ein agrarromantischer Tugendbegriff verfestigt hatte, mit dem die Pflanzer ihren aus der Kolonialzeit überkommenen Lebensrhythmus an die Verhältnisse einer sich demokratisierenden Republik anzupassen versuchten. Seit den ersten Jahren der englischen Besiedlung wurde den Menschen im Süden ihr Platz in der Welt durch den Pflanzenanbau zugewiesen. Politik und Kultur der Antebellum-Zeit spiegeln somit ein Phänomen wider, das sich zweieinhalb Jahrhunderte bis in die Frühgeschichte der Chesapeake zurückverfolgen lässt. Zwar dürfen die Brüche, die den Süden im Übergang zur Moderne zum Teil heftig erschütterten und veränderten, keineswegs unterschlagen werden. Anders aber, als es eine nationalgeschichtlich orientierte Forschung über lange Zeit hinweg suggerierte, lohnt es sich, die Kolonialära nicht nur als ein Vorspiel der unvermeidlichen Revolution zu begreifen, sondern ihre prägende 1 2
Vgl. Ayers, What we Talk about, 69. Vgl. Thomas, Confederacy as a Revolutionary Experience, 1.
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Bedeutung auch über die Zäsur von 1775 / 83 hinaus anzuerkennen. Mächtige Bande, so ist von einem führenden Historiker geurteilt worden, verknüpften den Antebellum-Süden mit seinen kolonialen Ursprüngen.3 Die Anfänge des modernen Amerika an der Chesapeake bieten einen Schlüssel zum Selbstverständnis des Südens.4 Hier gingen die ersten englischen Siedler an Land, übrigens auch die ersten Sklaven.5 Die republikanischen Ideen der Revolution wurden in Virginia geformt, die Unabhängigkeitserklärung und die Verfassung von 1787 von Virginiern (mit-)verfasst. Ein Virginier führte die Kontinentalarmee in den Kampf gegen die Briten und festigte danach die fragile Republik als ihr erster Präsident. Mit Washington, Jefferson, Madison und Monroe stammten bis 1825 (fast) alle Staatschefs aus dem Old Dominion State. Sucht man also nach Antworten auf die Schlüsselfragen des frühen Südens, „Virginia is surely the place to begin“.6 Koloniale Ursprünge: Virginia 1607 mit der Gründung der Siedlung Jamestown ins Leben gerufen, stand das erste englische Kolonialprojekt auf amerikanischem Boden zunächst unter keinem guten Stern.7 Seuchen, Indianerkriege sowie ein seltsam anmutendes Unvermögen der Siedler, inmitten des Ressourcenreichtums der ChesapeakeBucht ihren Nahrungsbedarf zu stillen, ließen das Unternehmen in den Augen seiner Londoner Geldgeber in einem ungünstigen Licht erscheinen.8 Erst die Einführung der Tabakpflanze 1612 stabilisierte die Kolonie auf Dauer. Mit 3 4
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Vgl. Cooper, Jr., Liberty and Slavery, 3. Vgl. Horn, Adapting to a New World; Rozbicki, Complete Colonial Gentleman; Zuckerman, Unease in Eden, 157; Hendrickson, Peace Pact, ix; Greene, Pursuits of Happiness, xiff. Mit Alden T. Vaughan ist jedoch einschränkend festzuhalten, dass „Virginia held no monopoly on either slavery and racism“. Vaughan, Origins Debate, 311. Zur frühen Verwurzelung der Sklaverei in der atlantischen Welt vgl. Guasco, Settling with Slavery, 236; Sarson, British America, 73. Morgan, American Slavery, American Freedom, 6. Im Hinblick auf das „superior political leadership“ Virginias erachtet es auch Patrick Beeman als „not surprising that so much that has been written about eighteenth century American political culture has had such a distinctly Virginian accent“. Beeman, Varieties of Political Experience, 32 f. Vgl. ähnlich Greene, Styles of Political Leadership, 3; Kennedy, Mr. Jefferson’ Lost Cause, 2, sowie klassisch Jordan, Political Leadership, ix. Vgl. eingängig Breen / Hall, Colonial America in an Atlantic World, 83 ff. Nach dem Urteil Jack Greenes lag die bemerkenswerte Unstetigkeit der frühen Kolonialgesellschaft im aggressiv-imperialen Denken der Siedler begründet, das mehr auf Eroberung und Unterwerfung der einheimischen Indianerstämme als auf die Errichtung lebensfähiger Gemeinschaftsformen abzielte. Vgl. Greene, Pursuits of Happiness, 9; vgl. auch grundlegend Morgan, American Slavery, American Freedom, 44–91. Vgl. hingegen Breen / Hall, Colonial America in an Atlantic World, 88.
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dem Verlauf der Jahre gewann der Tabak nicht nur bestimmenden Einfluss auf die Wirtschaft, sondern prägte auch die Alltagsaspekte derart fundamental, dass die Pflanzergesellschaft Virginias als „Tabakkultur“ bezeichnet worden ist.9 Die stets wiederkehrende Abfolge von Aussaat, Ernte, Trocknung, Qualitätsprüfung und Verschiffung bestimmte den Lebensrhythmus der Pflanzer.10 Ihre Arbeit isolierte sie in der Abgeschiedenheit der Plantage, warf sie auf sich selbst zurück und schärfte ein Gefühl von persönlicher Unabhängigkeit, das sie mit ihren Standesgenossen teilten. Als in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts die Übersättigung des europäischen Marktes die Tabakpreise drückte, machten die Pflanzer die alle übrigen Wirtschaftszweige abtötende Stapelware für die Misere verantwortlich. Nicht ihrem anti-sozialen Individualismus11, sondern dem Tabak fiel die Schuld zu, dass die Wirklichkeit in der Kolonie auch nach über einem halben Jahrhundert seit ihrer Gründung noch so rau, so primitiv und so weit entfernt vom englischen Vorbild ausfiel. Anstatt sich in urbanen Zentren anzusiedeln, verstreuten sich die Menschen über das weite Land, anstatt in soliden Ziegelhäusern hausten sie (von den wenigen reichen Pflanzern abgesehen) in einfachen Holzhütten, stets den Einflüssen von Wind und Wetter ausgesetzt: „To some Virginians this seemed to be a sorry way to live. They wanted the place look more like England, more civil, more like a promised land that was fulfilling its promise. The reason it did not, they thought, was because of tobacco.“12 Tatsächlich aber scheiterten alle Reformprojekte zur Modernisierung der Wirtschaft an der Innovationsfeindlichkeit auf beiden Seiten des Atlantiks: in England, weil die Krone mehr an den Einkünften aus den Tabakimporten interessiert war als an Wirtschaftsexperimenten mit ungewissem Ausgang; in Virginia, weil viele Pflanzer zu bedenken gaben, dass ihre unsichere Situation keinerlei Risikoaufwendung in anderen Bereichen zuließ. Noch im Jahre 1724 kam der Pfarrer Hugh Jones in seiner Chronik Virginias nicht umhin, die Schwerfälligkeit der Kolonisten mit der Tabakkultur in Verbindung zu bringen.13 Einige Jahre zuvor hatte sich der Pflanzer Robert Beverley geradezu beschämt über die sprichwörtliche Trägheit seiner Landsleute geäußert, die ihm ganz und gar unverzeihlich vorkam.14
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Vgl. Breen, Tobacco Culture. Der Begriff der Tabakkultur meint hier die Strukturierung des Alltagslebens durch die Tabakwirtschaft; er umfasst ferner sämtliche Assoziationen (also auch die negativen), welche die Pflanzer mit dieser Form der Monokultur verbanden. Vgl. hierzu jetzt sehr anregend Demos, Circles and Lines. The Shape of Life in Early America. Vgl. darauf verweisend Breen, Looking out for Number One, 125. Morgan, American Slavery, American Freedom, 186. Vgl. Jones, Present State of Virginia, 45. Vgl. Beverley, History and Present State of Virginia, 296.
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Nach Überwindung innerer Unruhen, die durch sozioökonomische Probleme im späten 17. Jahrhundert mit verursacht worden waren15, entwickelte sich die Kolonie in ruhigen Bahnen. Von nun an gingen die Chronisten dazu über, ihre gewachsenen Hierarchien als Ergebnis einer Kavaliersemigration während der Englischen Bürgerkriege zu begreifen. Die Ansiedlung von Aristokraten und Royalisten, wie sie insbesondere vom langjährigen Gouverneur Sir William Berkeley protegiert worden war, schilderten sie bereits zu Beginn des 18. Jahrhunderts pauschal als eine historische Tatsache.16 Tatsächlich sind königstreue Aristokraten nach dem Sturz der Monarchie in die Neue Welt geflüchtet.17 Der Umfang dieser Elitenflucht ist aber ebenso heftig umstritten wie ihr Einfluss auf die kulturelle und soziale Entwicklung Virginias. Während David Hackett Fischer die Einwanderungswelle hochadliger Kavaliere als Fundament einer pseudofeudalen Kavalierskultur im amerikanischen Ostküstensüden beschreibt, hat James Horn die dominierende Meinung zusammengefasst, wonach die Kavaliersimmigration in den 1640er und 1650er Jahren zahlenmäßig gering gewesen sei und kaum einige hundert Kavaliere ihren Fuß auf amerikanischen Boden gesetzt hätten.18 Weil mit der Ansiedlung von englischen Aristokraten in der Chesapeake der Grundstein für den Cavalier Myth der Antebellum-Zeit gelegt wurde, ist aber weniger ihr tatsächliches Ausmaß ausschlaggebend, sondern die Tatsache, dass es sie überhaupt gegeben hat und deshalb für eine spätere Legendenbildung in Anspruch genommen worden konnte.19 Die (hoch-)adlige Abkunft der führenden Familien Virginias, auf der ein spezifischer Englandmythos in den Südstaaten beruhte, war also nicht nur ein romantisches Konstrukt (obwohl es das freilich mehr als alles andere war), keine im historischen Vakuum „erfundene Tradition“, sondern die Überhöhung und Verzerrung eines historisch fassbaren Phänomens.
15 Vgl. hierzu die verschiedenen Deutungen bei Wertenbaker, Torchbearer of the Revolution; Washburn, Governor and Rebel; Webb, End of American Independence. Vgl. ferner Billings, Causes of Bacon’s Rebellion; ders., Sir William Berkeley. 16 Vgl. Beverly, History and Present State of Virginia, 287; Jones, Present State of Virginia, 23. 17 Zum „influx of royalist“ in Virginia vgl. Pestana, English Atlantic in the Age of Revolution, 115. 18 Vgl. Fischer, Albion’s Seed, 207–419; Horn, Adapting to the New World, 58; Horn, Albion’s Seed Forum, 244. Die Konzentration auf die Anzahl der hochadligen Neuankömmlinge ist insofern irreführend, als sie über den politischen Einfluss dieser Familien nicht unbedingt etwas aussagt. Wesley Frank Craven war bereits 1949 der Meinung, dass „Virginia could boast of gentlemen who in every way met the test of a Cavalier, but, though their influence on social standards was possibly greater than their numbers, there were only a few of them“. Craven, Southern Colonies, 247. 19 Vgl. in diesem Sinne von „a tiny kernel of truth that quickly sprouted into a popular legend“ sprechend Cobb, Away Down South, 43.
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So sehr sich die Kolonie Virginia über die englischen Traditionsbezüge definierte und so sehr die Kolonisten dem Mutterland auch politisch die Treue hielten, so sehr strebten sie doch nach geistiger Emanzipation und kultureller Eigenständigkeit. An der Wende zum 18. Jahrhundert schlug sich das nieder im Umzug der Kolonialregierung von Jamestown in das repräsentativere Williamsburg und der Gründung der ersten Universität im Süden, dem College of William and Mary.20 1690 aus der Initiative einiger reicher Pflanzer hervorgegangen, war das Projekt von dem einflussreichen Kleriker James Blair solange in London verfolgt worden, bis vier Jahre später der Grundstein für das Universitätsgebäude gelegt werden konnte. Unter der Regie Blairs erläuterten schließlich im Mai 1699 fünf Studierende die Gründungsidee der Universität der versammelten Führungselite mit einem rhetorisch-pathetischem Überschwang, der diesem Tag angemessen war. Einer der Redner hob den Reputationsgewinn hervor, den Virginia aus einer eigenen Bildungsstätte ziehen konnte, müssten die Söhne der Pflanzer doch nicht mehr die „Unehre“ einer Reise über den Ozean zur Ausbildung an englischen Schulen erdulden.21 Hiervon ausgehend, entwarf er den Gegensatz zwischen einer verfeinerten englischen Zivilisation und einer rustikalen Kolonialgesellschaft: Die Hochkultur des alten England mit ihren dekadenten Lebensgepflogenheiten sei eine schlechte Vorbereitung für das raue Leben in der Kolonie. Gewöhnt an englischen Prunk und englischen Luxus, verfalle der Heimkehrer einem Genusshunger, „that Cannot be Satisfyed with the plainness of his Country“.22 Bis zum Ende seiner Tage verfluche ein gefallener Pflanzersohn deshalb die Früchte seiner englischen Erziehung. Noch beinahe neunzig Jahre später artikulierte Thomas Jefferson die gleichen Stereotypen, als er seine Auffassung zu Papier brachte, „that an American coming to Europe for education loses in his knowledge, in his morals, in his health, in his habits, and in his happiness“.23 So war das College of William and Mary zwar einerseits eine englische Bildungseinrichtung auf amerikanischem Boden, fungierte aber andererseits als Gegenentwurf zu dem, was die Kolonisten als Sittenverwilderung des Mutterlandes beschimpften (und für die Bestätigung ihres unschuldig-reinen Selbstbildes gerne zitierten). James Blairs Idee, die Universität könne eines Tages zur Produktionsschmiede für die Führungskräfte des Old Dominion
20 Zur Gründung des College of William and Mary vgl. insbesondere Jennings, Library of The College of William and Mary, 1–15; Davis, Intellectual Life in the Colonial South, Bd. 1, 333 ff. 21 Speeches of Students of the College of William and Mary delivered May 1, 1699, 323– 337, hier 326. 22 Ebd., 328. 23 Jefferson an John Banister, Jr., 15.10.1785, in: Peterson (Hg.), Portable Thomas Jefferson, 392–395, hier 394.
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aufsteigen, schimmerte in den Ansprachen dieses Tages deutlich hervor.24 Abermals war es Jefferson, der ihren Gründungsgedanken unverfälscht wiedergab, als er in Blairs Schöpfung den Ort erkannte, wo die jungen Männer Virginias für die Übernahme öffentlicher Ämter geschult wurden.25 Aber obwohl neben Jefferson selbst so einflussreiche Virginier wie James Monroe, Andrew Stevenson oder William Cabell Rives im 18. und 19. Jahrhundert ihre akademische Ausbildung am College of William and Mary durchliefen, gelangte die Universität nie zu vergleichbarem nationalen Ruhm wie ihre Zwillingsinstitutionen in Harvard oder Yale. Eine englische Modelluniversität in der Wildnis des Südens, so notwendig und wünschenswert sie auch gewesen sein mag, vermochte aus dem Schatten ihrer traditionsreichen Vorbilder nicht herauszutreten. Bis zur Revolution, und in Erziehungsfragen noch lange darüber hinaus, blieben die gehobenen Familien Virginias englisch orientiert.26 Einige der mächtigsten Pflanzer der vorrevolutionären Ära, durchweg einflussreiche Figuren im House of Burgesses, absolvierten zumindest Teile ihrer schulischen Laufbahn weiterhin an englischen Universitäten.27 Sie alle waren Mitglieder „der kleinen, aber doch sehr präsenten Gruppe von Intellektuellen, die in den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts über koloniale Grenzen hinweg miteinander, aber auch mit britischen Intellektuellen in Kontakt standen“. Ihr Bildungshorizont, der sowohl humanistische als auch naturwissenschaftliche sowie staats- und rechtsphilosophische Bereiche umfasste, ermöglichte ihnen den Ausbruch aus der provinziellen Enge der Tabakkultur und ließ sie teilhaben am geistigen Leben in der atlantischen Welt: „Kultivierte Kolonisten […] pflegten den Gedankenaustausch mit ihresgleichen in England.“28 So besaßen die gebildeten Pflanzer auch klare Vorstellungen über das Verhältnis von Politik und Gesellschaft. Ihre geistigen Quellen waren überwiegend klassisch-antiker, aber auch zeitgenössisch-englischer Herkunft. Pietistische Literatur, wie Richard Allestrees The Whole Duty of Man oder 24 Vgl. Davis, Intellectual Life in the Colonial South, Bd. 1, 342. Die dritte Rede wurde kurze Zeit später nochmals vor dem House of Burgesses verlesen, was für ihre tagespolitische Relevanz im Zusammenhang mit dem Umzugsprojekt spricht. Die übrigen Reden widmeten sich der Danksagung an die Förderer des Universitätsprojektes in Virginia und England. Vgl. Speeches of Students of the College of William and Mary delivered May 1, 1699, 333–337. 25 Vgl. Jefferson an Richard Price, 07.08.1785, in: Boyd (Hg.), Papers of Thomas Jefferson, Bd. 8, 357. Daniel Jordan hat in seiner Studie über die politische Klasse Virginias die akademische Ausbildung von achtundachtzig Kongressabgeordneten und Senatoren untersucht, die den Old Dominion im Zeitraum von 1801 bis 1825 auf Bundesebene repräsentierten. Von diesen erlangten allein zweiunddreißig ihren Abschluss am College of William and Mary. Vgl. Jordan, Political Leadership, 42. 26 Vgl. Davis, Intellectual Life in the Colonial South, Bd. 1, 348. 27 Vgl. Greene, Foundations of Political Power, 220. 28 Alle Zitate: Wellenreuther, Ausbildung und Neubildung, 178 f.
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Gentleman’s Calling, fand sich in den Bibliotheken der Großplantagen ebenso wie die wichtigsten Werke des liberalen Denkens und der Rechtstheorie, etwa aus der Feder John Miltons, Algernon Sydneys und John Lockes oder radikal-whiggistischer Country-Schriftsteller wie Jonathan Swift und Lord Bolingbroke.29 Wurden im späten 17. Jahrhundert die Weichen für die politische und geistige Führungsrolle Virginias gestellt, vollzog sich in diesen Jahrzehnten zugleich die Verfestigung jener Institution, die das Sozialgefüge des AntebellumSüdens wie keine andere prägen sollte. Die Sklaverei wurzelte in einem spezifischen Weltbild der Engländer, das bereits seit dem ausgehenden 16. Jahrhundert sowohl rassisch fundierte Afrikastereotypen als auch Vorstellungen von Sklavenhaltung in Form lebenslanger Knechtschaft kannte. Mit der Besiedlung der Chesapeake bereiteten diese Ideen und Praktiken den kulturellen Nährboden für die Rassensklaverei in Amerika, deren rechtliche Institutionalisierung im 17. Jahrhundert in Form von unthinking decisions ablief.30 Zugleich lässt sich aber auch beobachten, dass erst die tagtägliche Erfahrung der Sklavenhalter mit ihren Sklaven – also die Erfahrung von Degradierung, Versachlichung und Entmenschlichung – den Rassismus zur dominanten Gesellschaftsidee an der Chesapeake erhob.31 Die aus England überlieferten Traditionen unfreier Arbeit scheinen der Sklaverei vorangegangen zu sein32, ohne bereits ausschließlich auf einem rassischen Weltbild der herrschenden Eliten zu beruhen. Als die Sklaverei anderswo in der Neuen Welt – etwa auf den Westindischen Inseln – bereits fest verankert war, blieb die Zahl schwarzer Sklaven in Virginia über lange Zeit hinweg auf niedrigem Niveau. Erst als der Nachschub weißer Vertragsarbeiter für die Kolonie gegen Ende des 17. Jahrhunderts versiegte und das House of Burgesses der Sklaverei einen rechtlichen Rahmen verlieh, etablierte sich in Virginia eine auf „fullblown racism“ beruhende „chattel slavery“.33 Edmund Morgan hat hieraus die viel beachtete, nicht unwidersprochen gebliebene These abgeleitet, zwischen der Versklavung von Schwarzen und dem Freiheitsdenken ihrer weißen Herren habe eine fundamentale Dialektik 29 Vgl. Greene, Society, Ideology, and Politics, 44 f.; Sydnor, American Revolutionaries in the Making, 18. 30 Zu dieser These vgl. Jordan, White over Black, 44–101; ders., Unthinking Decisions; vgl. ferner ders., White Man’s Burden. Vgl. ähnlich auch Nash, Origins of Racism, 1; ders., Red, White & Black; Robinson, Slavery in the Structure of American Politics, 13. Vgl. die relativierende Einordnung der Jordan-These in die Forschung bei Vaughan, Origins Debate, 323; Wood, Origins of Slavery, 58. 31 Vgl. Morgan, Slavery and Freedom; ders., American Slavery, American Freedom; ders., Big American Crime, 93. Vgl. ferner Wood, Slavery in Colonial America, 9; Holt, Explaining Racism, 112. 32 Vgl. Guasco, Settling with Slavery, 214–244. 33 Horn, Adapting to a New World, 150. Vgl. ähnlich Wellenreuther, Niedergang und Aufstieg, 264; Galenson, Economic Aspects, 291 f.; Wilson, Racism, 50 ff.
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bestanden.34 Dass die Freiheit auf der Sklaverei gründete, ja in einem engeren Sinne geradezu von ihr abhängig war, beschreibt für Morgan einen weit über Virginia hinausweisenden Widerspruch der amerikanischen Geschichte. Weil sich der Rassismus mit jeder Generation tiefer in das kollektive Gedächtnis der Südstaatler eingrub, interpretierten sie ihre Lebensform stets im Gleichklang mit der atlantischen Welt. Sie sahen in der Sklaverei keine Abkehr von den Traditionen des Mutterlandes, sondern ein englisches Phänomen auf amerikanischem Boden, das sich in der rauen Wirklichkeit Virginias organisch fortgepflanzt hatte und als solches bruchlos erlebt wurde. Auch wenn die unfreie Fronarbeit der Rassensklaverei den Weg bereitete, lassen sich schon bei den frühen Siedlern kulturelle Muster erkennen, die in der englischen Selbstsicht wurzelten und im Rassismus amerikanischer Couleur ihre Spuren hinterließen. Vorstellungen von „Sklaverei“ und „Freiheit“, die sich damals noch im Fluss befanden, konnten anhand rassischer Merkmale voneinander abgehoben und schärfer akzentuiert werden:35 Sklaven waren roter oder schwarzer, Freie weißer Hautfarbe, und zwar unabhängig von ihrem sozialen Status, wodurch rassische Solidarisierungseffekte freigesetzt wurden. So zeigte sich der ärmste Weiße gewissermaßen noch stolz darüber, dass er kein Sklave war.36 David Hackett Fischer hat dieses Phänomen aus den standesspezifischen Aspekten des englischen Freiheitsdenkens abgeleitet und als „Idee hegemonialer Freiheit“ charakterisiert. Bei der Freiheit eines Engländers handelte es sich nicht um ein universales Prinzip, sondern um ein Geburtsprivileg, abhängig von Stand, Rang und Besitz. In einem solch „hegemonialen“ Freiheitsdenken definierte sich die Freiheit vor allem über soziale Prestige-Kategorien, über Kontrolle und Macht, eine „liberty to take away the liberties of others – a right of laisser asservir, freedom to enslave“.37 In einer vormodernen Gesellschaft entstanden, absorbierte die amerikanische Sklaverei im späten 18. und im frühen 19. Jahrhundert Elemente der „modernen“ Zeit. Zum einen stellten die Sklavenhalter ihren Rassismus auf ein republikanisches Fundament und verteidigten die Sklaverei als Grundlage für die bürgerliche Freiheit der Weißen. Zum anderen kalkulierten sie den Anund Verkauf von Land und Sklaven ebenso wie kapitalistische Unternehmer
34 Vgl. Morgan, American Slavery, American Freedom, 3–6. Vgl. hierzu Murrin, Political Development, 421; Davis, Inhuman Bondage, 135, 145. Vgl. indes relativierend Tate / Ammerman (Hg.), Chesapeake in the Seventeenth Century; Carr / Morgan / Russo (Hg.), Colonial Chesapeake Society. 35 Zur rassischen Stereotypenbildung in Virginia vgl. Greene, Intellectual Construction of America, 93 f.; Nash, Origins of Racism, 3 ff.; ders., Great Fear, 15 ff.; Billings u.a., Colonial Virginia, 57; Kulikoff, Tobacco and Slaves, 44; Middleton, Colonial America, 41; Boles, Black Southerners, 10 f. 36 Vgl. so Patterson, Slavery and Social Death, 99. 37 Fischer, Albion’s Seed, 412 (Hervorhebung im Original).
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ihre Produktionsquoten und Umsätze berechneten.38 Sie waren „Lords and Capitalists“39 zugleich, weshalb die Thesen marxistisch inspirierter Historiker, die Pflanzer hätten sich durch ihr Festhalten an der Sklavenarbeit von der Kapitalisierung und Liberalisierung der atlantischen Wirtschaftsräume abgekoppelt40, heute kaum noch aufrechterhalten werden.41 Indes: Auch wenn die Großpflanzer eine Art von „republikanischem Sklavenhalter-Kapitalismus“ entwickelt haben sollten, waren sie doch stets bemüht, ihr Selbstbild vom Modell kapitalistischer Lohnarbeit abzugrenzen, wie sie es im Norden und in England vorzufinden glaubten.42 Weil sie als Kontrastfolie zum reinen Selbstbild benevolenter und sozial fürsorglicher Plantagenherren diente, ist die Kapitalismuskritik für das Verständnis der südstaatlichen Englandbilder von zentraler Bedeutung. Es kann aber auch tatsächlich von qualitativen Differenzen zwischen freier Lohn- und unfreier Sklavenarbeit ausgegangen werden. So ist zwar festgestellt worden, dass sowohl die Lohnarbeit des Nordens als auch die Sklaverei des Südens jeweils den institutionellen Rahmen für eine durch Klassenlinien zerklüftete Gesellschaft bereitstellten.43 Die Pathologien, Ängste und Hysterien einer Sklavenhaltergesellschaft spiegeln sich in einer Unternehmergesellschaft jedoch nicht gleichgewichtig wider.44 Ein wesentlicher Grund dafür war das rassis38 Vgl. Wilson, Racism, 70 ff.; Blackburn, Making of New World Slavery, 24 f.; Smith, Plantation Economy. Vgl. am Beispiel der Westindischen Inseln klassisch Williams, Capitalism & Slavery. Vgl. hierzu wiederum Solow / Engerman (Hg.), British Capitalism & Colonial Slavery. 39 Scarborough, Masters of the Big House, 407. 40 Vgl. Genovese, World The Slaveholders Made. Vgl. für die Rekonstruktion der Sklavenperspektive ders., Roll, Jordan, Roll. Vgl. zusammenfassend ders., Political Economy of Slavery, 13–41. Vgl. ferner Kaufman, Capitalism, Slavery, and Republican Values; Ashworth, Slavery, Capitalism, and Politics in the Antebellum Republic. Zur Kontroverse vgl. Frederickson, Nineteenth Century, 171 f. 41 Vgl. besonders kritisch Oakes, Ruling Race; ders., Slavery and Freedom. Vgl. die Denkschulen in der Mitte zusammenführend Scarborough, Masters of the Big House, 407– 426. Mit Recht weist William Scarborough darauf hin, dass sich die Debatte zwischen „Paternalisten“ und „Kapitalisten“ solange nicht konstruktiv auflösen lässt, „as there is no commmon definition of capitalism“. Ebd., 408. Wer den Kapitalismusbegriff nicht ausschließlich an die Marktkräfte in „freien“ Gesellschaften bindet, vermag auch innerhalb einer Sklavenhaltergesellschaft kapitalistische Elemente zu entdecken: „I submit that capitalism is simply an economic system in which individuals invest capital, from whatever source and by whatever labor system derived, with the hope and expectation of generating additional capital. If measured by this standard, the elite slaveholders were clearly capitalist.“ Ebd., 409. 42 Vgl. Follet, Sugar Masters, 4. 43 Vgl. Reidy, From Slavery to Agrarian Capitalism, 7. 44 Das gilt vor allem für den Rassismus als Moment der Herrschaftslegitimation, die Furcht vor äußeren Bedrohungen des Sozial- und Wirtschaftsmodells sowie die zwar nicht eingestandene, aber doch konkrete Angst vor Sklavenaufständen bzw. Verschwörungen und geheimen Meuchelaktionen.
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tisch motivierte Unbehagen, ja sogar die Furcht der weißen Pflanzer vor ihren schwarzen Sklaven. Zudem blieb der Widerspruch zwischen dem freiheitlich-republikanischen Anspruch und der praktizierten Rassenknechtschaft eine offene Flanke in der politischen Selbstdarstellung des Südens. In keiner anderen Region zogen sich diese Tendenzen so spannungsvoll zusammen wie in South Carolina. Koloniale Ursprünge: South Carolina In South Carolina, das aufgrund seiner Radikalität und Exzentrik eine Sonderstellung im Antebellum-Süden einnimmt, verlief die gesellschaftliche Entwicklung schon in der Kolonialzeit auf andere Weise als an der Chesapeake. Bereits die Gründungscharta von 1663 war ein Produkt der Restauration. Vom König quasi mit monarchischen Vollmachten ausgestattet, schufen die Eigentümer der Kolonie per Federstrich eine Feudalordnung, welche die politische Macht in den Händen weniger Großgrundherren bündelte und kleinere Landbesitzer sowie vor allem Landlose vom öffentlichen Leben ausschloss.45 In die Realität hat dieser englische Modellentwurf aber kaum hineingewirkt. So mussten die Eigentümer schließlich weitgehende Anreize gewähren, um die Besiedlung zu fördern: religiöse Toleranz, eine großzügige Landvergabe sowie politische Repräsentation im Rahmen einer Kolonialversammlung. Die Impulse für South Carolinas frühe Entwicklung kamen nämlich weniger aus England, sondern aus Barbados, wo die englischen Ursprünge bereits in einer kreolischen Subkultur aufgegangen waren.46 Während der kritischen Anfangsjahre bis 1680 stammte beinahe die Hälfte aller Neuankömmlinge in South Carolina von der Karibikinsel, die damals zwar eine der ertragreichsten Zuckerkolonien im gesamten südatlantischen Raum war, den jüngeren Sprösslingen der Pflanzerfamilien wegen ihrer Überbevölkerung aber kaum noch Entfaltungsmöglichkeiten bot.47 Weil die weißen Sklavenhalter in ständiger Furcht vor Aufständen ihrer Sklaven lebten, trug Barbados die Züge eines „gequälten Paradieses“48, wo die Gegensätze
45 Vgl. kritisch Breen / Hall, Colonial America in an Atlantic World, 206; Wellenreuther, Ausbildung und Neubildung, 501 f. Vgl. positiver Edgar, South Carolina, 42 f. 46 Vgl. hierzu klassisch Dunn, Sugar and Slaves, 111–116. Damit korrespondierend kamen in den ersten Jahren auch über die Hälfte der schwarzen Sklaven Carolinas von der Karibikinsel. Vgl. Sarson, British America, 177. Vgl. Carolina gar als „Barbadian Colony on the Mainland“ bezeichnend Boles, South Through Time, 36. Vgl. ähnlich Meinig, Atlantic America, Bd. 1, 174. 47 Vgl. Wood, Black Majority, 8 f. Zu den sozialen Spannungen der Zuckerwirtschaft in Westindien vgl. Duff, Adventurers Across the Atlantic, 85. Vgl. auch Greene, South Carolina and the Caribbean Connection. 48 Edgar, South Carolina, 37. Vgl. ausführlich auch Dunn, Sugar and Slaves, 263–335.
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von Aufstieg und Verfall, von absoluter Macht und ebenso umfassender Ohnmacht tagtäglich aufeinander prallten. Die Nervosität einer von Misstrauen zerfressenen, chronisch instabilen Gesellschaft war das Erbe, das die karibischen Exilanten in South Carolina hinterließen, indem sie das Wirtschaftssystem der Kolonie von Beginn an und im großen Stile auf die Sklavenarbeit abstellten. Bis weit in die Antebellum-Zeit hinein begegneten die Pflanzer ihren Sklaven mit einem fundamentalen Unbehagen, entmenschlichten sie durch ihre Slave Codes bis auf den Status rechtlosen Besitzes und bestraften vermeintliche oder tatsächliche Verschwörungen mit drakonischer Härte.49 Aber noch in anderer Hinsicht ist die Frühgeschichte des Palmetto State von inneren und äußeren Verwerfungen gekennzeichnet. Seit der Gründung von Charles Town im Jahre 1670 hatte sich die Kolonie zwischen den Besitzungen der Spanier in Florida und der Franzosen in Louisiana zu behaupten und war auf Allianzen mit den mächtigen Indianerstämmen der Piedmont Region angewiesen.50 Zugleich wurden die politischen Verhältnisse von einer ebenso schmalen wie eifersüchtig über ihre Privilegien wachenden Elite gelenkt, die eine Öffnung der Gesellschaft zu verhindern wusste und die pseudoaristokratische Exzentrik des späteren Staates bereits vorwegnahm.51 Verschloss sich die Kolonie politisch nach innen, so öffnete sie sich wirtschaftlich nach außen und band sich vor allem durch den Anbau von Reis, später auch von Indigo, an die Märkte der atlantischen Welt. In der urbanen Atmosphäre Charlestons bündelte sich seit dem späten 17. Jahrhundert der Unternehmergeist von Kaufleuten, Juristen und Pflanzern, die im gesamten Empire Geschäftskontakte und Korrespondenten unterhielten.52 Den überwiegenden Teil ihrer Agrarprodukte verschifften sie direkt ins Mutterland, von wo aus sie sämtliche Konsum- und Manufakturgüter importierten. South Carolina zeigte somit beispielhaft, wie sich die Sklavenarbeit profitabel in das System der atlantischen Ökonomie einfügen ließ.53 49 Vgl. hierzu prägnant Taylor, American Colonies, 239 f.; Wood, Black Majority. Erst 1696 wurde in South Carolina allerdings der erste umfassende Slave Code erlassen, was dafür spricht, dass sich die demographischen Verhältnisse zwischen Weißen und Schwarzen auf dem amerikanischen Festland erst im Verlaufe des 17. Jahrhunderts an diejenigen der Karibikinsel anpassten. Vgl. Weir, Colonial South Carolina, 174. 50 Vgl. Nash, Red, White & Black, 130–135. 51 „The radicalism of nineteenth-century South Carolina nullifiers, duelists, and fire-eaters“, so hat Alan Gallay die Kontinuität radikalen Denkens der Küstenelite über die Jahrhunderte hinweg mutig zusammengefasst, „was a product not just of slaveholding but of a singular history and political culture that evolved in the late seventeenth and early eighteenth centuries.“ Gallay, Indian Slave Trade, 3. 52 Vgl. hierzu ausführlich Edgar, South Carolina, 130–154; Beeman, Varieties of Political Experiences, 127–156. 53 Wie Joyce Chaplin in einer wegweisenden Studie argumentiert hat, verstanden die Pflanzer ihre atlantisch orientierte Plantagenwirtschaft als Ausdruck einer spezifischen
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Obwohl in ihren Ursprüngen von westindischen Einflüssen geprägt, orientierte sich die Kolonie im 18. Jahrhundert wirtschaftlich, kulturell und politisch immer deutlicher am englischen Vorbild.54 Die Anglophilie der reformfeindlichen Küstenelite ließ sich vor allem anhand der unteren Kammer des Kolonialparlaments beobachten, die sich bis in die kleinsten Verfahrensdetails „sklavisch nah“55 an das House of Commons anlehnte. So berichtete der neuenglische Besucher Josiah Quincy noch im Jahre 1773, dass Hüte, Roben und Perücken der Abgeordneten den englischen Gepflogenheiten ebenso entsprachen wie das Abstimmungsverfahren.56 Diese anglophile Lebenskultur durchzog South Carolina während der gesamten Antebellum-Ära. Noch im April 1861, kurz nach Ausbruch des Bürgerkrieges, vermerkte der britische Journalist William Howard Russell in Charleston: „An intense affection for the British connection, a love of British habits and customs, a respect for British sentiment, law, authority, order, civilization, and literature, pre-eminently distinguish the inhabitants of this State.“57 Das pseudo-aristokratische Standesbewusstsein der Charlestoner Machthaber ging in einer ganz eigenen Radikalität auf, als die Blüte des Baumwollanbaus den Bedarf an Sklaven dramatisch vervielfachte und die aus den karibischen Anfängen erwachsene Rassensklaverei fest etablierte. Aus der Sicht des kritischen Neuengländers notierte Josiah Quincy voller Befremden: „Slavery may truly be said to be the peculiar curse of this land: Strange infatuation! It is generally thought and called by these people its blessing.“58 Auf besonders explosive Weise paarten sich in South Carolina also elitäre Traditionen mit der rassischen Weltsicht von Sklavenhaltern.59
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Modernität, die auch die Zukunftsfähigkeit der Sklaverei unter Beweis stellte. Hieraus resultierte denn auch die Überzeugung, „that slavery laid a path to a modern, commercial economy“. Chaplin, Anxious Pursuit, 7. „[P]erhaps no other colonial elite was so attached to England“, beschreibt Robert Olwell die Anglophilie der Führungsschicht South Carolinas. Olwell, Masters, Slaves, and Subjects, 5. Beeman, Varieties of Political Experience, 145. Vgl. Journal of Josiah Quincy, 1773, 452. Vgl. auch Beeman, Varieties of Political Experiences, 145 f. Russell, Pictures of Southern Life, 30.04.1861, 3. Vgl. Journal of Josiah Quincy, 1773, 456. Vgl. hierzu besonders Berlin, Many Thousands Gone, 64–71, 142–176. In South Carolina waren ambivalente Haltungen zur Sklaverei weniger stark ausgeprägt als an der Chesapeake: „If Virginia’s elite was simultaneously founded upon and mildly uncomfortable with slavery, most members of South Carolina’s elite displayed little of that ambivalence.“ Beeman, Varieties of Political Experiences, 156. Vgl. auch Olwell, Masters, Slaves, and Subjects, 5. Der Einfluss der englischen Karibik war deshalb „absolute indispensable to the development of the colonial South“. Breen / Hall, Colonial America in an Atlantic World, 139. Vgl. ferner auch Boles, Black Southerners, 21–24; Turley, Slavery, 82; Wood, Slavery in Colonial America, 12.
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Während des ersten Jahrhunderts englischer Siedlung bildete sich an der Chesapeake eine auf Unabhängigkeit und Sklaverei beruhende Freiheitsideologie heraus. In South Carolina hingegen verfestigte sich durch die enge Bindung an die karibische Plantagenwelt eine starre Sklavenhaltergesellschaft, die sich für die Entwicklung des Tiefen Südens als tonangebend erweisen sollte. In der Generation Jeffersons war beides bereits derart fest verankert, dass es durch die Amerikanische Revolution nicht mehr zu überwinden war.60 Überliefert aus dem englischen Standesdenken und geformt durch das Leben in der Neuen Welt, verdichteten sich diese Ursprünge in einem rigiden, nervösen Verlangen nach Unabhängigkeit und entrückter Distanz. Sie flossen so in jene kulturelle Kategorie ein, in der sich der ansonsten so heterogene Antebellum-Süden vereinen lässt: die Ehre. Ehre und Politik Die Ehre, so hat Kenneth S. Greenberg Mitte der achtziger Jahre formuliert, war die treibende Kraft im „rhythm of Southern statesmanship“.61 In der politisch-kulturellen Landschaft des Südens verband sich das Ideal der Ehre mit der Realität der Sklaverei und umriss so ein geradezu eisernes Selbstverständnis, das erst durch den Bürgerkrieg zerbrochen werden konnte. Das Phänomen der Ehre ist äußerst komplex und leitet sich aus verschiedenen Traditionen ab.62 Vorstellungen von Ehre in Antike und Mittelalter wurden vor allem durch die stoische Philosophie und das Christentum geformt, um im 16. Jahrhundert zum Leitethos des europäischen Adels zu avancieren, der sie durch die Kanäle englischer Wertvorstellungen in die Neue Welt fortpflanzte.63 Dort verschmolz sie mit der Gründung der Republik zu etwas Neuem, spezifisch Amerikanischem, das ihren statisch-feudalen We60 Zur Genese des Freiheitsdenkens und des Parteiensystems in Virginia von der Revolution bis zur Wahl Jeffersons im Jahre 1800 vgl. Beeman, Old Dominion and the New Nation, 223–242. Zu Kontinuität und Wandel des amerikanischen Freiheitsbegriffs vgl. grundsätzlich Fischer, Liberty and Freedom. 61 Vgl. Greenberg, Master and Statesmen, 4–22. Kenneth Greenbergs Studie stützt sich in ihren pointierten Ergebnissen allerdings vornehmlich auf den Staat South Carolina. Die ersatzlose Übertragung auf andere Teile der heterogenen Südstaaten nimmt sich problematisch aus, obwohl die Ehre zweifellos ein wesentliches Kriterium darstellte, das den Süden als Ganzes auszeichnete. 62 Vgl. zu den antiken Formen der Ehre und ihren Verbindungen zur Sklaverei ausführlich Patterson, Slavery and Social Death, 86–94. 63 Vgl. Jones, Jr., Art. „Honor“, in: Flora / Mackethan, Companion to Southern Literature, 347; Ayers, Art. „Honor“, in: Wilson, Encyclopedia of Southern Culture, 1483. Zu den atlantisch-europäischen Wurzeln der Ehre vgl. jetzt Bowman, Honor. A History, 41–67. Vgl. mit einem allerdings sehr breiten Ehrbegriff operierend auch Burkhart, Geschichte der Ehre, bes. 7–67.
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senszug mit den Bedingungen einer offenen, den Kräften sozialen Wandels unterworfenen Gesellschaft zu vereinbaren suchte. Die Ehre besaß einen fundamentalen und einen instrumentalen Charakterzug; sie war gleichermaßen Werkzeug und Antriebkraft von Politikern, die dieses traditionelle Zeremoniell nutzten, um öffentliche Stimmungen zu beeinflussen und hieraus politisches Kapital zu schlagen.64 Allerdings konnte sich die Ehre in einem Verfassungsstaat, der trotz seiner traditionsbehafteten Ursprünge äußerst moderne Züge aufwies, nicht mehr als alleiniger und unangefochtener Verhaltenskodex behaupten, stand sie doch oft in direkter Konkurrenz zum kodifizierten Recht und bewegte sich außerhalb seines Geltungsbereiches.65 Die Regeln der Ehre wurden nämlich nicht durch Gesetzbücher, Vorschriften und Anordnungen, sondern über ungeschriebene Kodizes vorgegeben, die in der Öffentlichkeit weithin akzeptiert waren und von der „Kraft der Reputation“ durchgesetzt wurden, „einer Kraft, der wenige widerstehen“.66 Im Antebellum-Süden konnte nur der Anspruch auf Ehre erheben, der – vermeintlich – ungebunden, unbestechlich, unverschuldet und somit frei von jeder äußeren Beeinflussung war. Nur die persönlich errungene und immer wieder neu behauptete Unabhängigkeit garantierte den Vorstoß in jene hohen Sphären gesellschaftlicher Akzeptanz, die mit dem Begriff der Ehre verbunden waren. Ironischerweise wurde die so eifersüchtig gehütete Unabhängigkeit der Pflanzer von den äußeren Bezugspunkten der Ehre unterwandert. Die Ehre galt nämlich durchweg als öffentliche Angelegenheit und besaß kaum innere Referenzpunkte, sondern bedurfte der ständigen Bewertung durch das nähere und fernere Umfeld.67 Ein Pflanzer und Mann von Ehre trachtete nach Beifall für verschiedene Posen, die er in der Gesellschaft einzunehmen bestrebt war: die Pose des Plantagenherrn, hervorgehoben durch die Unterwerfung der Sklaven; die Pose des Patriarchen, bestätigt durch Familie und Verwandtschaft; die Pose des Staatsmannes, anerkannt durch mächtige Män-
64 Vgl. so Freeman, Affairs of Honor, 187. 65 Vgl. Pitt-Rivers, Art. „Honor“, in: International Encyclopedia of the Social Sciences, Bd. 6, 509 f. 66 Morgan, Price of Honor, 124. 67 Vgl. darauf Bezug nehmend Wyatt-Brown, hearts of darkness, xiif. Vgl. die Ehrkultur als „entirely other-directed“ beschreibend auch Freeman, Affairs of Honor, xvi. Wie Arthur Schopenhauer 1850 urteilte: „Die Ehre ist, objektiv, die Meinung anderer von unserem Wert und, subjektiv, unsere Furcht vor dieser Meinung.“ Schopenhauer, Aphorismen zur Lebensweisheit, 60. Dagmar Burkhart charakterisiert dieses Phänomen im Gegensatz zur „inneren Ehre“, die auf individuelle Tugendnormen im Sinne „ehrlichen“ Verhaltens abhebt, als „äußere Ehre“. Hier ist freilich anzumerken, dass eben auch die „innere Ehre“ über „äußere“ Moral- und Sittlichkeitsstandards definiert wird. Vgl. Burkhart, Geschichte der Ehre, 12.
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ner in der Politik. Mit anderen Worten: Ein Mann von Ehre brauchte den Respekt der anderen, um sich selbst respektieren zu können.68 Es verwundert daher kaum, dass die Südstaatler gerade die politische Arena als ein Exerzierfeld der Ehre begriffen. In Foren der Selbstdarstellung, wie dem State House oder dem Kuppelsaal des Kapitols in Washington, wurden „Affairs of Honor“69 verhandelt und um Bestätigung des eigenen Selbstbildes gerungen; hier waren Gesten und Haltungen mitunter genauso bedeutsam wie die Themen, die in den gewaltigen, oft stundenlangen Redeschlachten vor dem Bürgerkrieg zur Sprache kamen. Wie eng persönliche Ehre und politische Reputation in dieser Epoche ineinander verwoben waren, zeigt die Popularität von Duellen in den Südstaaten, die während der gesamten Antebellum-Zeit fortdauerte. Noch in der Revolutionszeit hatten bewaffnete Treffen als Teil eines traditionell-archaischen Ehrenkodexes landesweite Popularität genossen. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts aber waren sie zumindest von der nördlichen Landkarte weitgehend verschwunden. Halten konnten sie sich nur noch im Süden, wo die Sprache der Ehre gleichsam mit einem härteren Dialekt gesprochen wurde.70 Die kulturellen Besonderheiten der auf einem umfassenden Autoritätsanspruch beruhenden Sklavenhaltergesellschaft erforderten drastische Antworten auf jeden öffentlich geäußerten Zweifel an den Posen eines Ehrenmannes – sei es an der Pose des Sklavenherrn, des Patriarchen und vor allem der des Staatsmannes, die wie keine andere nur auf der Folie der Öffentlichkeit, durch Prestige und Einfluss, gewahrt werden konnte. Die Sklaverei bildete einen besonderen Nährboden für übersteigerte Ehrvorstellungen. Zwar waren Ehrkulturen in der atlantischen Welt beileibe keine Besonderheit, und über die Ehre lässt sich auch keine südstaatliche Sonderwegsthese begründen. Gleichwohl hob sich das Phänomen der Southern Honor von den europäischen Gesellschaften dadurch ab, dass sie einem auf der Sklaverei begründeten Freiheits- und Unabhängigkeitsverständnis Ausdruck verlieh. Die aggressiven Ehrposen der Antebellum-Südstaatler lassen sich mit der Sorge um die innere Stabilität und der Angst vor äußerer Bedrohung der Sklaverei in Verbindung bringen. 71 68 Wie Joseph Fry konstatiert: „Antebellum southern men acted from a strong need for both a sense of self-worth and recognition of that worth by others.“ Fry, Dixie Looks Abroad, 50. 69 Freeman, Affairs of Honor. Sehr konsequent betrachtet Joanne B. Freeman in ihrer Studie die Ehre als einen zentralen Bezugspunkt für politisches Handeln in der frühen Republik. Ihre Ergebnisse besitzen auch für den Antebellum-Süden Gültigkeit, was die Kontinuität seiner politisch-kulturellen Entwicklung belegt. 70 So in Abwandlung eines Bildes bei ebd., 168 f. Vgl. die Deutung des Duells als „Social Drama“ bei Greenberg, Masters and Statesmen, 23 ff. Zu seiner zeitgenössischen Interpretation als kulturelles Bindeglied zwischen Süden und Alter Welt vgl. Dueling, in: Russell’s Magazine 5 (1857), 32–142, bes. 133. 71 Insofern kann hier der Interpretation William Scarboroughs nicht zugestimmt werden, der die Südstaaten-Ehre von der sozialen Basis des Sklavenhaltersystems entkoppelt
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Agraralltag und Unabhängigkeitsdenken, Sklaverei und Ehre: Diese dialektisch aufeinander bezogenen Kulturkräfte formten über Generationen hinweg ein Bild des Südens von sich selbst, in das soziale Wirklichkeit und mentale Vorstellungswelten gleichermaßen einflossen: „Ideas do not flow freely above human affairs. Nor, for that matter, are they mere rationalizations for material conditions. The relationship between ideology and experience is complex, contingent, mutually reinforcing, and it is only within a specific cultural and social context that […] intellectual abstractions […] acquire the power, the vitality, the moral force necessary to sustain revolution.“72 Vor diesem Hintergrund lässt sich beispielsweise die Amerikanische Revolution durchaus als ein Problem der Ehre deuten: Die Steuergesetze der Krone verfügten nicht nur finanzielle Einschnitte für die Kolonien, sie erschienen den Amerikanern darüber hinaus auch als unehrenhaft, weil ihre Zwangsverabschiedung ihnen ihre eigene Minderwertigkeit in britischer Sicht vor Augen führte – angesichts der kulturellen Leitfunktion des Mutterlandes eine umso schmerzlichere, demütigendere Ehrverletzung.73 Wie Jefferson in den letzten Worten der Declaration of Independence bekräftigte, verschrieben sich die Kolonien ihrer Unabhängigkeit durch „our lives, our fortunes, and our sacred honour“.74 Noch eine andere Beobachtung spricht für diese Interpretation: Die Pflanzer Virginias betrachteten den Austausch mit britischen Kaufleuten, die ihren Tabak gegen Provisionszahlung im Mutterland absetzten, keinesfalls nur als rein geschäftliche Angelegenheit, sondern als Problem von Reputation, Abhängigkeit und Autonomie – kurz: als Frage der Ehre.75 Während der Blüte-
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und sie als allgemeines Charakteristikum von Elitefamilien einschätzt. Vgl. Scarbourough, Masters of the Big House, 426. Vgl. hingegen Wyatt-Brown, Southern Honor, bes. 369 ff.; Greenberg, Masters and Statesmen. Vgl. auch Ayers, Art. „Honor“, in: Wilson (Hg.), Encyclopedia of Southern Culture, 1483. Breen, Tobacco Culture, 12. Vgl. hierzu auch Gruber, Understanding the South, 77. Vgl. so bei Wyatt-Brown, Revolutionary Rhetoric. Vgl. zustimmend Morgan, Price of Honor, 126. Vgl. jetzt auch Bowman, Honor. A History, 74. Wie Timothy Hall Breen darlegt, sahen sich die Kolonisten um die Mitte des 18. Jahrhunderts mit einem England konfrontiert, das raschen Modernisierungsschüben unterworfen war und seine nationale Identität auch in Abgrenzung gegenüber den Kolonien im Empire definierte. Diese Überlegenheitsdemonstration beschrieb nicht zuletzt eine Zurücksetzung im Sinne der Ehre und zeigte die Notwendigkeit zur Formierung einer separaten Identität auf: „English national superiority forced colonists to imagine themselves as a separate people.“ Breen, Ideology and Nationalism, 63. Zur Genese des britischen Nationalismus vgl. ferner Armitage, Ideological Origins of the British Empire, 170 f. Vgl. zum amerikanischen Bezugsrahmen Colley, Britons, 140–155. Jefferson, Original Rough Draft [der Unabhängigkeitserklärung, H. L.], in: Boyd (Hg.), Papers of Thomas Jefferson, Bd. 2, 423–428, hier 427. Das Handelsmonopol der britischen Kaufleute für Exportwaren aus Virginia wurde durch die Londoner Regierung als merkantiles Kontrollinstrument genutzt, was das Abhängigkeitsgefühl der Kolonisten noch weiter verstärkte. Virginias Pflanzer waren da-
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jahre des Tabakverkaufs konnte der zur Darstellung ihres sozialen Ranges erforderliche Repräsentationsaufwand durch den Import englischer Luxuswaren bestritten werden, beispielsweise von Einrichtungsgegenständen, Kleidung und Büchern. Auch solche Aufträge ließen die Pflanzer von ihren englischen Geschäftspartnern abwickeln: „Most Gentlemen lodge Money in their Merchant’s Hands here, to whom they send their Crop of Tobacco, or the greatest Part of it“76, stellte Hugh Jones im Jahre 1724 für Virginia fest. Als Mittler zur atlantischen Welt handelten die Kaufleute auf einem fernen Markt in Europa, den die Pflanzer nicht verstanden und aus ihrer beschränkten Perspektive kaum erfassen konnten. Solange das Tabakgeschäft ungeachtet aller vorübergehenden Einbrüche florierte, war es noch möglich, die evidenten Abhängigkeiten zu ignorieren, in die sie sich begeben hatten. Sogar die steigende Verschuldung gegenüber den Kaufleuten, über die sie ihren gehobenen Lebensstil finanzierten, ließ sich mit einer Geschäftsbeziehung versöhnen, die sich aus ihrer Perspektive heraus zwischen gleichgestellten Ehrenleuten abspielte.77 Nach Ende des Siebenjährigen Krieges (1763) stürzte die europäische Bankenkrise den englischen Geldmarkt in eine schwere Krise, die viele Gläubiger zur Einforderung ihrer offenen Posten bei den Pflanzern bewegte. Schlagartig offenbarte sich nun die Kluft zwischen ihrem ethisch-personalen Geschäftsideal und dem Finanzkalkül der britischen Partner. Die Schuldenabzahlung drohte die Gentlemen Virginias nämlich nicht nur in den Ruin zu treiben, sie kompromittierte auch ihren Rang, spottete ihrer Unabhängigkeit und gefährdete ihren Anspruch auf politische Herrschaft.78 Ihr idealisiertes Englandbild war aus dem Zugehörigkeitsanspruch zum britischen Imperium entsprungen. Zugleich erklärte es die Welt aus lokalen Zusammenhängen und linderte die Pein einer als demütigend empfundenen Provinzialität – freilich um den Preis einer Illusion, den sie zu entrichten hatten, als sie den „Sprung
bei vor allem bei schottischen Handelshäusern verschuldet. Die Kaufleute aus Schottland wurden als Parasiten gesehen, die „spread the web of debt and credit over the whole society“. Peterson, Jefferson and the New Nation, 40. 76 Jones, Present State of Virginia, 56. Zu den Londoner Kaufleuten und ihrer Vernetzung in der atlantischen Welt vgl. Hancock, Citizens of the World. 77 Wie Timothy Hall Breen urteilt: „The tidewater planters simply recreated the British merchants in their own image, and in the process, they transformed them into men who understood the meaning of honour and independence, who appreciated that trade was a kind of friendship, and who would do a favour even if that meant sacrificing profit.“ Breen, Tobacco Culture, 108. In Reaktion auf die Schuldeneinforderungen reagierten die Pflanzer mit überzogener Selbstkritik einerseits (was ihre kostspielige Extravaganz betraf) und mit ebenso harschen Verschwörungsklagen gegen die britischen Kaufleute andererseits. Vgl. hierzu Ragsdale, Planters’ Republic, 25 f. 78 Vgl. Breen, Tobacco Culture, 173.
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ins Dunkle“79 wagten und sich unter „eisernen Tränen“80 ihre Unabhängigkeit vom Mutterland erkämpften. Der Faktor Ehre am Beispiel der Amerikanischen Revolution belegt, dass Ideen zwar aus der sozialen Realität heraus geboren werden, aber auch Eigenmacht entwickeln und die Wirklichkeit strukturieren können. So besaßen die Träger der Revolution in Virginia das gesamte Rüstzeug des aufgeklärten Denkens ihrer Epoche, dachten und handelten aber zunächst aus unmittelbaren biographischen Bezügen heraus. Zwei Strömungen, eine kulturelle Tradition und eine politische Theorie, fanden hier zueinander: das Unabhängigkeitspostulat der Tabakkultur und die republikanische Freiheitsidee. Das republikanische Denken zwischen Ehre und Sklaverei Der Republikanimus, so vielschichtig und diffus er auch gewesen sein mag, hinterließ im politischen Denken der amerikanischen Gründungselite tiefe Spuren.81 Nach der Revolution fand er seine genuin südstaatliche Ausprägung in Thomas Jeffersons Democratic Republicans, die den Staat auf den konfliktreichen Idealen von kollektiver Gleichheit und individueller Freiheit zu bauen trachteten.82 Der republikanische Freiheitsbegriff ergänzte sich mit der erlebten – besser: imaginierten – Alltagsfreiheit der Pflanzer und dokumentierte sich nach innen in gewissen Kardinaltugenden, etwa der Unabhängigkeit von politischen Partikularinteressen und einem demütig-passiven Amtsverständnis, das ganz auf den Dienst am Gemeinwohl ausgerichtet war. Nach außen hingegen spiegelte sich das republikanische Freiheitsdenken Virginias in einem durchweg loyalen, jedoch streng auf Autonomie und Gleichberechtigung bedachten Verhältnis zum Mutterland. „The colonists […] are not free by purchase but by birth“83, so predigte Reverend David Griffith am 31. Dezember 1775 in Williamsburg. 79 Ferling, A Leap in the Dark. The Struggle to Create the American Republic. 80 Weintraub, Iron Tears. America’s Battle for Freedom. Britain’s Quagmire. 81 Zur klassischen geistesgeschichtlichen Interpretation vgl. Bailyn, Ideological Origins; Wood, Creation of the American Republic; ders., Radicalism of the American Revolution; Pocock, Machiavellian Moment; Banning, Jeffersonian Persuasion; McCoy, Elusive Republic. Die liberale Gegendeutung vertritt Appleby, Liberalism and Republicanism. Für eine Synthese vgl. Rodgers, Republicanism. Vgl. im Hinblick auf die ideellen Grundlagen der frühen amerikanischen Außenpolitik Smith, Keeping the Republic. 82 Vgl. hierzu prägnant Appleby, Jefferson and the Psychology of Democracy, 168 f. Mit einem genuinen Konzept des südstaatlichen Republikanismus arbeiten verschiedene Autoren. Vgl. etwa Greenberg, Masters and Statesmen; Ford, Origins of Southern Radicalism; Thornton III, Politics and Power. Vgl. hierzu auch Rodgers, Republicanism, 31, Anm. 41. 83 Brydon, Passive Obedience Reconsidered. A Sermon Preached at Williamsburg, De-
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Nach dem Ende des Siebenjährigen Krieges, das die politische Landschaft Nordamerikas mit dem „Strich einer Feder“84 veränderte, schickte sich die Londoner Regierung an, die Finanzbürden des Empires stärker auf die Kolonien zu verteilen.85 Im Verbund mit den Neuenglandkolonien wandten sich die Virginier gegen die – wie sie es sahen – Anmaßungen einer zügellosen Macht, die ihre rechtlichen Beschränkungen sprengte und die überlieferte Freiheit in Tyrannei zu ersticken drohte. Die Macht erschien republikanischen Radikalen wie Thomas Paine, aber auch Gentleman-Pflanzern wie Thomas Jefferson als gefährlichste Bedrohung der Freiheit. Ihr Alptraum war die absolute Herrschaft von Regierungen und Staaten, die eine ganze Gemeinschaft nach dem Willen weniger zu formen vermochte. Im Einklang mit dieser Furcht beklagte Griffith in der zitierten Predigt, „[F]rom the practice and policy of courts and princes […] abundantly more determinations have proceeded from selfishness and ambition, than from disinterested and benevolent motives“.86 Als der Bruch mit Großbritannien diese Utopien mit der harten Realität einer Staatsgründung konfrontierte, erkannte auch der Machtkritiker Jefferson die Notwendigkeit einer gewaltenteiligen Machtorganisation, wie sie die Untauglichkeit der Konföderationsartikel zum Ende der 1780er Jahre jedermann sichtbar vor Augen führte.87 Dennoch blieben Jeffersons Republikaner gegenüber der in Washington angesiedelten Macht auf geistiger Distanz. Man halte den Wolf bei den Ohren, so schrieb Jefferson einmal, unfähig, ihn loszulassen oder sicher von sich zu stoßen.88 Diese Metapher bezog sich zwar in erster Linie auf die Sklaverei. Aber gerade die Sklaverei beruhte ja auf einem umfassenden Machtverständnis, das die grenzenlose Macht von Menschen über Menschen legitimierte und sie somit ihrer Freiheit, ihrer Unabhängigkeit und
cember 31st, 1775. By the Reverend David Griffith, 91. 84 Galloway, The Scratch of a Pen. 1763 and the Transformation of North America. 85 Zur Bedeutung des Siebenjährigen Krieges für die Amerikanische Revolution vgl. Anderson, Crucible of War; vgl. relativierend Morgan, How the French lost America, 146. Vgl. ferner Frey, American Revolutions, 520; Gould, Persistence of Empire, 45 f. 86 Brydon, Passive Obedience Reconsidered. A Sermon Preached at Williamsburg, December 31st, 1775. By the Reverend David Griffith, 85. Gerade aus der Perspektive eines anglikanischen Klerikers befand es der Reverend aber auch für nötig hervorzuheben, „that I am, by no means, an advocate for anarchy. I am, very fully, convinced of the necessity of subordination in society, in order to its happiness“. Ebd. Hierarchische Ordnung und republikanische Freiheit widersprachen sich in dieser Vorstellung also nicht, sondern bedingten einander. 87 Zu den Konföderationsartikeln und dem „Unbehagen an der Konföderation“ vgl. Heideking, Verfassung vor dem Richterstuhl, 19–36. 88 Vgl. Jefferson an John Holmes, 22.04.1820, in: Peterson (Hg.), Portable Jefferson, 567– 569, hier 568: „But as it is, we have the wolf by the ears; and we can neither hold him, nor safely let him go. Justice is on one scale, and self-preservation on the other.“ Vgl. dieses Zitat im Titel aufgreifend Miller, Wolf by the Ears.
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ihrer Ehre beraubte.89 Die Gründungsväter in Virginia fürchteten die Folgen unkontrollierter Machtbeziehungen im Herzen der Sklavenhaltergesellschaft. In den Worten George Masons, dem Autor der Virginia Declaration of Rights, sei durch die Sklaverei „die Moral und das Verhalten unseres Volkes“ korrumpiert worden.90 Und Jefferson schrieb in den Notes on the State of Virginia: „The whole commerce between master and slave is a, the most unremitting despotism on the one part, and degrading submissions on the other.“91 Mit den Mäßigungs- und Ordnungspostulaten der republikanischen Utopie, welche die dunklen und irrationalen Seiten der menschlichen Natur zu zähmen versuchte, war das absolut unvereinbar.92 Immer wieder von neuem musste ein Politiker im Sklavenhaltersüden daher sein Misstrauen gegenüber der Macht bekunden, die er ausübte, sein Amt als unwillkommene Bürde präsentieren, die er zum Wohle der Gemeinschaft zu tragen bereit war. Die „Phänomene der Macht“ gleichen sich nämlich in ihrem Drang nach Konsolidierung: „Macht setzt sich fest, nimmt feste Formen an, wird fester.“93 Weil die Vorstellung einer sich selbst konsolidierenden Macht in der republikanischen Tradition äußerst negativ belegt war, hatten sich südstaatliche Politiker in die Pose von Machtkritikern zu werfen und möglichst glaubhaft deren Attribute von Unabhängigkeit, Unbestechlichkeit und Verfassungstreue zu verkörpern. Der Republikanismus ließ sich also mit der Mentalität von Sklavenhaltern (zumindest theoretisch) nur schwer versöhnen. Widersprüchlich verhielt sich das republikanische Denken aber auch zur Ehre, die mit der Macht in enger Verbindung stand. Bereits Thomas Hobbes hatte erkannt, dass „Gehorchen […] ehren [heißt], denn niemand gehorcht Leuten, von denen er annimmt, dass sie keine Macht haben, ihm zu helfen oder zu schaden. Und folglich heißt nicht gehorchen entehren.“94 Hier tat sich eine Paradoxie im 89 Von weißer Seite wurden die Schwarzen im Süden durchweg als ehrlos angesehen. Vgl. Ayers, Art. „Honor“, in: Wilson (Hg.), Encyclopedia of Southern Culture, 1483; Patterson, Rituals of Blood, 268. 90 Scheme for Replevying Goods and Distress for Rent, 23.12.1765, in: Rutland, The Papers of George Mason, Bd. I, 61–65, hier 61. Vgl. hierzu auch Copeland / MacMaster, Five George Masons, 162 f. 91 Jefferson, Notes on the State of Virginia, 162. 92 Den Ordnungs- und Balanceaspekt in der republikanischen Sklavereikritik hat William W. Freehling am Beispiel Jeffersons herausgearbeitet: „Slavery unbalanced the slaveholding elite, thus unbalanced […] the future of the white race. To this adorer of symmetry [Jefferson, H. L.] slavery threatened to make unsymmetrical the best rulers of the best hope of mankind.“ Freehling, Road to Disunion I, 125. Wie unter anderem Robert McColley in seiner Studie über die Sklaverei im zeitgenössischen Virginia betont hat, galt die Emphase der aufgeklärten Sklavereikritik also vor allem dem „evil effect of slavery on white Virginians“, weniger der „injustice of slavery for the Negro“. McColley, Slavery and Jeffersonian Virginia, 128. 93 Popitz, Phänomene der Macht, 234. 94 Hobbes, Leviathan, 68. Die Relevanz der Macht in den Ideen der Ehre ist insbesondere durch den Soziologen Orlando Patterson hervorgehoben worden. Vgl. Patterson, Slavery and Social Death, 10 f. Ebenso wie die Ehre ist auch die Macht nach Hobbes ein
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Selbstverständnis des Antebellum-Südens auf: Sofern die Ehre das Streben nach Unabhängigkeit und Autonomie zu befördern schien, deckte sie sich mit der republikanischen Staatskritik. Weil sie aber – wie gezeigt – auch die Ausübung von zügelloser Macht legitimieren konnte, stand sie in einem direkten Gegensatz zu den republikanischen Tugendidealen. Jeffersons Partei verstand es, diese Dissonanzen zwischen der reinen republikanischen Lehre und den südstaatlichen Lebensverhältnissen zu überbrücken. Deshalb gewann sie im Süden ihre eigentliche politische Heimat.95 Indem die Bewegung für Freihandel und Gleichberechtigung in den transatlantischen Handelsbeziehungen eintrat, bot sie den Pflanzern ein Forum für ihre Exportinteressen. Mit ihrer Dezentralisierungsdoktrin sicherte sie das lokale Machtgefüge innerhalb der Südstaaten und garantierte die Integration regionaler Strukturen in den neuen Nationalverband. Vor allem die Zukunft der Sklaverei durfte bei den Republikanern als sicher gelten, waren ihre führenden Vertreter – trotz ihrer moralisch-politischen Bedenken – doch selbst Plantagenbarone und Sklavenhalter. Zugleich schmiedete Jeffersons Expansionsdoktrin die etablierten Küstenpflanzer mit den aufstrebenden Farmern des Hinterlandes zu einer Interessenallianz zusammen, die das Selbstbewusstsein des Südens in der Bundespolitik unterfütterte. Dieses Bündnis zwischen dem Westen und dem Süden, zwischen dem alten und dem neuen Amerika, sollte erst ein halbes Jahrhundert später zerbrechen. Wie sich die Errungenschaften der Revolution in staatliche Praxis umsetzen ließen, darüber bestand im ersten Jahrzehnt der Republik alles andere als Klarheit. Einerseits ließ sich die kulturelle Identität der Amerikaner aus der imperialen Vergangenheit ableiten. Anderseits mussten sie sich zur Definition ihrer neuen Nationalität aber von England abgrenzen und versuchen, das konfliktreiche Erbe der Kolonialära mit den republikanischen Idealen in Einklang zu bringen. In den politischen Hysterien der Antebellum-Epoche – in den Redeschlachten von Politikern, in den Schriften von Intellektuellen, in den Urängsten von Sklavenhaltern – spiegelten sich diese Ambivalenzen. Sie bündelten sich aber insbesondere in der Gedankenwelt jener Gründergestalt Amerikas, die den südstaatlichen Blick auf die atlantische Welt wie keine andere geprägt und auch darüber hinaus für die Entwicklung der Region entscheidende Weichen gestellt hat: „The most important choices made by a single statesman for the future of the South arose from the preferences, prejudices, and policies of Thomas Jefferson.“96
Phänomen, das seine Wirkung durch auswärtige Beurteilung bezieht: „Im Ruf stehen, in Frieden und Krieg Klugheit in der Führung gezeigt zu haben, ist Macht.“ Hobbes, Leviathan, 66. Zur Anwendung des Hobbesschen Macht- und Ehrbegriffs auf den Antebellum-Süden vgl. Greenberg, Masters and Statesmen, xf. 95 Vgl. Onuf / Sadosky, Jeffersonian America, 52, 59, 63. 96 Kennedy, Mr. Jefferson’s Lost Cause, 236.
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II. Politik und Kultur im Antebellum-Süden
2. DIE ATLANTISCHE WELT AUS DER SICHT MONTICELLOS: THOMAS JEFFERSON UND DIE „SPRACHE DER AMERIKANISCHEN SOUVERÄNITÄT“ Als sich die Sklavenstaaten 1860 / 61 von der Union lossagten, sei die dominierende Gestalt nicht Jefferson Davis oder William Lowndes Yancey gewesen, nicht Calhoun oder Jackson: „The master who mattered most had been burried at Monticello a third of a century before slaveholders rose in rebellion.“97 Zwar bezieht sich dieses Zitat über Jeffersons Rolle in der Vorgeschichte der Sezession auf die langfristigen Folgen seiner öffentlich artikulierten Sklavereikritik. Gleichwohl ziehen sich die Spuren dieser „Amerikanischen Sphinx“98 auch durch andere Felder von Politik und Kultur des Antebellum-Südens – teils in bestechender Klarheit, teils gebrochen, verzerrt und diffus. Bei genauerem Hinsehen nimmt sich die Einordnung seines Lebenswerkes durchweg problematisch aus: Galt er bereits zu Lebzeiten als eine nationale Symbolfigur, so schürte er zugleich jene sektionalen Ängste, die tief im amerikanischen Nationalverständnis verankert waren. Jefferson und seine Anhänger dachten Amerika nicht von der Zentrale, sondern von den Regionen aus, die in gleichberechtigter Machtbalance zueinander stehen mussten, um die Freiheit des Gesamtgebildes zu gewährleisten. Der Sektionalismus war für Jefferson das Lebenselixier seines republikanischen Nationalismus.99 Deshalb verdient er keineswegs eine geistige Zuordnung zu den „Vätern der Sezession“, die in späteren Antebellum-Jahren die Union zu zerstören trachteten. Dennoch hat der Verfasser der Kentucky Resolution von 1798100 zur Formulierung der südstaatlichen States Rights-Doktrin beigetragen, die fünfunddreißig Jahre nach seinem Tod den Triumph der Sezessionsideologie besiegeln sollte.101 97 Freehling, Road to Disunion I, 121. 98 Ellis, American Sphinx. 99 Unter „Sektionalismus“ bzw. „sektionalem“ Denken werden hier eher die auf die Gesamtheit des Südens (in Abgrenzung zum Norden) gerichteten Loyalitätsbezüge verstanden. Die wörtliche Übertragung des zeitgenössischen und in der englischsprachigen Literatur gebräuchlichen Begriffs sectionalism hat sich in der deutschen Amerikanistik durchgesetzt. Das Wort „Partikularismus“ meint im Folgenden ein stärker auf die lokalen Belange eines bestimmten Staates bezogenes Denken. Die radikal-partikularistische States Rights-Schule South Carolinas etwa stand so näher an sezessionistischem Gedankengut als der sektionale Unionismus der Virginier. 100 Vgl. Kentucky Resolution of 1798, in: Cunningham (Hg.), Jefferson vs. Hamilton, 116– 118. Die von Jefferson in Reaktion auf die Alien and Sedition Acts der Bundesregierung anonym verfasste, von der Legislative Kentuckys verabschiedete Resolution kann als „first extended statement of the doctrine of states’ rights“ gelten. Risjord, Jefferson’s America, 293 f. 101 Zu den republikanischen Wurzeln des sektionalen Denkens in Amerika vgl. insbesondere Onuf, Origins of American Sectionalism. Vgl. auch ders., Scholar’s Jefferson, 697; Dunn, Jefferson’s Second Revolution, 280.
2. Die atlantische Welt aus der Sicht Monticellos
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Thomas Jefferson (1743–1826)
In fast allen wichtigen Fragen waren Jeffersons Vorstellungen voller Widersprüche: Der Befürworter von Manufakturen und Freihandel war zugleich ein utopischer Agrarromantiker, der sich eine Republik erdverbundener Farmer wünschte und den Kräften der Modernisierung skeptisch bis furchtsam gegenüberstand.102 Der aufgeklärte Sklavereikritiker wandelte sich in einen „fatalistischen Zauderer“103, der den Rassestereotypen seiner Zeit nicht zu 102 Zu Jeffersons Agrarromantik vgl. grundsätzlich Kennedy, Mr. Jefferson’s Lost Cause. Ihren Einfluss auf seine Außenpolitik untersucht LaFeber, Jefferson and an American Foreign Policy, bes. 372 ff. Die maßgebliche Studie über die Dialektik zwischen ökonomischem Wandel und republikanischer Ideologie ist McCoy, Elusive Republic. 103 Ellis, Sie schufen Amerika, 148.
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entfliehen vermochte.104 Ein bedingungsloser Feind der Blutsaristokratie, lebte er auf seiner Plantage Monticello doch mit der „Würde und der Eleganz britischer Lords“.105 Er verteidigte das Gemeinschaftsideal der Revolution gegen die Spaltungsgefahr von politischen Parteien und hob selbst eine in ihrer Sogwirkung äußerst modern anmutende Partei aus der Taufe.106 Obwohl der republikanische Revolutionär streng auf die Limitierung der Regierungsmacht pochte, nutzte der dritte Präsident der Vereinigten Staaten seinen Machtapparat großzügig aus.107 Und schließlich steht neben dem geschickten Diplomaten, welcher der Union die Landmassen des Louisiana-Territoriums zuführte, ein dogmatischer Boykottpolitiker, der für die wirtschaftlichen Probleme der Napoleonischen Kriege kein besseres Rezept zu finden vermochte als einen ruinösen Embargokurs.108 Aus all diesen Gründen ist das nationalhagiographische Jeffersonbild inzwischen durch revisionistische Meinungen ergänzt worden, die ein weites Spektrum von kritischen Würdigungen bis hin zu polemischen Invektiven abdecken.109 Tatsächlich jedoch „hielt er in seiner Person die Grundspan-
104 Jeffersons Haltung zur Sklaverei ist der wohl kontroverseste Part der Forschung. Vgl. etwa die kritischen Urteile bei Jordan, White over Black, 429 ff.; McColley, Slavery and Jeffersonian Virginia, 124 ff.; Miller, Wolf by the Ears; Finkelman, Jefferson and Slavery, sowie die verschiedenen Essays in ders., Slavery and the Founders; Mayer, Constitutional Thought, 83; Smith, Republic of Letters, Bd. 1, 20 f.; Dunn, Jefferson’s Second Revolution, 278 f. Vgl. hingegen Wilson, Jefferson and the Character Issue; Wasser, Zwischen Herrenrecht und Menschenrecht, 177. Aus der neueren Literatur vgl. Wills, „Negro President“, bes. 47–103. Sehr ausgewogen urteilt Spahn, Verrat an der Aufklärung?, 146 f. 105 Brodie, Thomas Jefferson, 89. 106 Zur Evolution der republikanischen Parteiideologie vgl. Banning, Jeffersonian Persuasion. Die Fähigkeiten Jeffersons als Parteiführer betont Cunningham, Process of Government, 320. Zur Antipathie gegenüber dem Parteienwesen vgl. Onuf, Scholar’s Jefferson, 694. Die klassische Studie zur Parteienentwicklung unter Jefferson ist Cunningham, Jeffersonian Republicans. 107 Zu Jeffersons Präsidentschaft vgl. kompakt Kaplan, Thomas Jefferson, 125–172; McDonald, Presidency of Thomas Jefferson. Das Standardwerk für die administrativen Abläufe in seiner Regierung ist Cunningham, Process of Government. Seine Sicht der Exekutive wird dargestellt bei Mayer, Constitutional Thought, 222–257. Vgl. jetzt auch den kompakten Überblick bei Johnson, Early American Republic, 31–55. 108 Zu Jeffersons außenpolitischen Vorstellungen vgl. besonders Tucker / Hendrickson, Empire of Liberty. Zu den aktivistischen Zügen präsidialer Außenpolitik vgl. DeConde, Presidential Machismo, 21–27. Das Embargo steht im Mittelpunkt der Untersuchung von Sears, Jefferson and the Embargo. Vgl. hierzu im Kontext der Englandpolitik auch Spivak, Jefferson’s English Crisis, bes. 198–229. 109 Die Rezeptionsgeschichte Jeffersons bietet für sich genommen schon ein eigenes Forschungsfeld. Vgl. klassisch Peterson, The Jefferson Image in the American Mind, sowie French / Ayers, Strange Career of Thomas Jefferson; Appleby, Jefferson and His Complex Legacy.
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nungen aus, die der Revolutionsepoche Form und Dynamik gaben“.110 In Jefferson vereinten sich die Eigenschaften eines instinktsicheren Politikers, eines exzellenten Administrators und eines radikalen Utopisten, der zur Bewahrung seiner Ideale bedenkenlos auf jene Mechanismen der Macht zurückgriff, die er eigentlich verabscheute – auch um den Preis von Inkonsistenzen, Reibungsverlusten und politischen Zerwürfnissen.111 Anglophobie, Sachsenmythos und Sklavereikritik Die Paradoxien Jeffersons, seine Sehnsucht nach klaren Dichotomien und eindeutigen Feindbildern, spiegeln sich auch in seinem Blick auf England.112 Hierin typisch für eine ganze Generation von Pflanzern in Virginia, schälte sich seine Anglophobie aus tiefen Loyalitätsbezügen heraus, die in der Revolution erschüttert und ins glatte Gegenteil verkehrt wurden. Ihren „gefühlskalten Brüdern“, so schrieb er 1776 in der Urfassung der Unabhängigkeitserklärung, müssten die Amerikaner nunmehr für immer abschwören: „We must endeavour to forget our former love to them.“113 Auch seine zwei Jahre früher in Williamsburg publizierte Schrift A Summary View of the Rights of British America atmete bereits den Geist von Rebellion und Aufruhr, den der junge Abgeordnete im Kolonialparlament mit Patrick Henrys wortgewaltiger Stempelgesetzrede erstmals in sich aufgesogen hatte.114 In provokanter Manier den Monarchen George III. als „obersten Magistraten des Britischen Imperiums“115 titulierend, präsentierte Jefferson in A Summary View eine lange Liste königlicher Verfehlungen und lieferte in 110 Heideking, Geschichte der USA, 90. 111 „He had caught a vision, as a precocious leader of the American Revolution“, so umreißt Bernhard Bailyn in seinem konzisen Jefferson-Essay diese Deutung, „and strove to make it real, discovering as he did so the intractable dilemma. Repeatedly he saw a pure vision, conceptualized and verbalized it brilliantly, and then struggled to relate it to reality, shifting, twisting, manoeuvring backward and forward as he did so.“ Bailyn, Jefferson and the Ambiguities of Freedom, 47. Auch Lance Banning kommt zu dem Ergebnis, dass die Republikaner „faithful to the principles they urged in opposition“ blieben. Banning, Jeffersonian Persuasion, 273. Für Peter Onuf war Jefferson deshalb kein „hypocrite in the conventional sense; […] he did not deploy glittering phrases with a cynical, instrumental disregard for what he took to their meanings“. Onuf, Scholar’s Jefferson, 694. Vgl. ebenso Sharp, American Politics in the Early Republic, 282 f. 112 „Jefferson was at his best on occasions calling for the vigor of simple dichotomy“, urteilt Winthrop D. Jordan. Jordan, White over Black, 477. 113 Jefferson, Original Rough Draft [der Unabhängigkeitserklärung, H. L.], in: Boyd (Hg.), Papers of Thomas Jefferson, Bd. 1, 423–428, hier 427. Diese Passage aus Jeffersons Urversion wurde nicht in die fertige Declaration of Independence aufgenommen. Vgl. Wills, Inventing America, 378. 114 Zum Summary View vgl. grundsätzlich Conrad, Putting Rights Talk in Its Place. 115 Jefferson, Summary View, Juli 1774, in: Boyd (Hg.), Papers of Jefferson, Bd. 1, 121–
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klarer Sprache die naturrechtliche Begründung für den Widerstand der Kolonien, wie er dann auch den Ton der Unabhängigkeitserklärung dominieren sollte. Dazu bediente er sich einer whiggistischen Lesart der Vergangenheit116, bemühte historische Kontinuitäten und Analogien, die mit ihrem mythologischen Einschlag freilich dem „buchstäblichen Fabelstoff“117 ähnelten und gar einer „erfundenen Geschichte“118 gleichkamen. Als Nachfahren freier Bewohner der britischen Herrschaftsgebiete, so Jefferson, könnten sich die Amerikaner auf ein althergebrachtes Recht berufen, das die Sachsen während der Völkerwanderungszeit auf die britische Insel verpflanzt hätten.119 Zugleich diagnostizierte er für den Gang der englischen Geschichte seit der normannischen Invasion von 1066 eine fatale Fehlentwicklung von der Freiheit zur Tyrannei, von der die Neue Welt aber immer ausgenommen geblieben sei: „America was not conquered by William the Norman, nor it’s lands surrendered to him or any of his successors.“120 In A Summary View stützte sich der junge Jefferson also auf eine romantisch verbrämte Geschichtskonstruktion, eine once-upon-a-time-Interpretation der englischen Vergangenheit, in der ein vermeintlicher Präzedenzfall aus grauer Vorzeit zur Rechtfertigung aktueller Positionen herangezogen wurde.121 Durch die Zerteilung des Englandbildes in positive und negative Assoziationen, in eine freiheitlich-rustikale Sachsengesellschaft und eine normannische Feudaltyrannei, spendete er seinen Ausführungen die notwendige Legitimation, gepaart mit der damals (noch) notwendigen Loyalitätsrhetorik.122 Weil die sächsische Emigration nach England und die englische Emigration nach Amerika auf dem gleichen Freiheitsprinzip beruhten, sei die Eroberung der Neuen Welt durch die Taten einzelner Pioniere und nicht durch den britischen Staat erfolgt: „Their own blood was spilt in acquiring lands for their
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137, hier 121. An anderer Stelle bezeichnet Jefferson den König gar als „chief officer of the people, appointed by the laws, and circumscribed with definite powers“. Ebd. Vgl. so vor allem Mayer, Constitutional Thought, 224. Harper, American Machiavelli, 60. Onuf, Jefferson’s Empire, 154. Vgl. Jefferson, Summary View, Juli 1774, in: Boyd (Hg.), Papers of Thomas Jefferson, Bd. 1, 121–137, hier 121 f. Ebd., 133. Vgl. zu den geistigen Wurzeln des Sachsenmythos Peterson, Jefferson and the new nation, 17, 57 ff. Vgl. ebenfalls Horsman, Race and Manifest Destiny, 18 ff. Es ist überaus bedeutsam, darauf hinzuweisen, dass sich A Summary View trotz seiner radikalen Implikationen auf dem sicheren Grund der Treuebekundungen gegenüber dem Empire bewegte, die das Legitimitätsbewusstsein der Kolonien so lange schürten, bis die Loslösung vom Mutterland möglich wurde. Der Verweis auf den aufrichtigen Willen, „to establish fraternal love and harmony thro’ the whole empire“, sollte König George seine Politik nur ändern, fehlte auch in Jeffersons Streitschrift nicht. Jefferson, Summary View, Juli 1774, in: Boyd (Hg.), Papers of Thomas Jefferson, 121–137, hier 135. Pauline Maier hat sie deshalb auch ein „overtly loyal document“ genannt. Maier, American Scripture, 114.
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settlements, their own fortunes expended in making that settlement effectual. For themselves they fought, for themselves they conquered, and for themselves alone they have the right to hold.“123 Die Adaption des englischen Rechts oder der Monarchismus Virginias in der Ära des englischen Commonwealth erschienen in diesem Licht als bewusste Willensentscheidungen von Repräsentanten altenglischer Freiheit, denen ihre Loyalität freilich oft nur allzu bitter vergolten worden war. Getreu der republikanischen Doktrin, dass „bodies of men as well as individuals are susceptible of the spirit of tyranny“, seien sie stets den Machtanmaßungen der Krone ausgesetzt gewesen, die sich unter dem gegenwärtigen König ins Unerträgliche gesteigert hätten. Hinter dieser neuen Qualität, so Jefferson, verberge sich ein „deliberate, systematical plan to reduce us to slavery“.124 Nachdem er die zentralen Vokabeln republikanischer Staatskritik mit den Negativkomponenten seines Englandbildes in Verbindung gebracht hatte, fiel es ihm vergleichsweise leicht, die hässlichen Flecken im reinen Selbstbild der Kolonien mit dem Verweis auf den Londoner Machtwahn zu überfärben: Aus ebenso eigensüchtigen wie unmenschlichen Motiven, so klagte er an, verhindere der König die Eindämmung des afrikanischen Sklavenhandels und trage damit zur Verfestigung der Rassensklaverei in Amerika bei.125 Obwohl der illoyale Tonfall von A Summary View die schwankenden Abgeordneten in Williamsburg eher verschreckte126, verschaffte die Schrift Jefferson die nötige Prominenz, um ihm die Türen zum Kontinentalkongress in Philadelphia zu öffnen. In seinem dort vorgelegten ursprünglichen Entwurf der Unabhängigkeitserklärung führte er die Klage gegen den Monarchen derart weit, dass es sogar gelang, von der Sklaverei zu reden und von den Sklavenhaltern zu schweigen, die Schuld der Briten am Sklavenhandel anzuprangern und zugleich jene zu ignorieren, die Sklaven zur Arbeit auf ihren Plantagen erwarben. Die Schändung geheiligter Freiheitsrechte, wie sie sich König George zu Schulden habe kommen lassen, besaß in Jeffersons Lesart fast
123 Jefferson, Summary View, Juli 1774, in: Boyd (Hg.), Papers of Thomas Jefferson, Bd. 1, 121–137, hier 121. 124 Ebd., 121–137, hier 124, 125. 125 Vgl. ebd., 121–137, hier 130. Jefferson bezog sich auf den Umstand, dass einige Koloniallegislativen Importsteuern auf verschleppte Sklaven aus Afrika erhoben hatten, die vom königlichen Privy Council mit Verweis auf die Restriktion des britischen Handels wieder zurückgenommen worden waren. Anders als Jefferson suggerierte, hingen die Besteuerungspläne aber nicht mit einer moralischen Sklavereikritik zusammen, sondern sollten dem Wertverfall heimischer Sklaven entgegenwirken. Vgl. daher kritisch zu diesem Punkt der Argumentationsführung Ellis, American Sphinx, 61; Davis, Problem of Slavery in Western Culture, 135, 140 f.; Thomas, Slave Trade, 481; Spahn, Verrat an der Aufklärung?, 10. 126 Jefferson hat die ablehnende Rezeption seiner Schrift in seiner 1821 verfassten Autobiographie selbst eingeräumt. Vgl. Zuckerman, Autobiography of Thomas Jefferson, 14.
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schon blasphemischen Charakter: „This piratical warfare, the opprobrium of infidel powers, is the warfare of the Christian king of Great Britain.“127 Die persönliche Verantwortung Georges III. für den afrikanischen Sklavenhandel, der wie kaum ein anderes Verbrechen dem aufgeklärten Denken der Zeit zuwiderlief, erscheint in der Urfassung der Unabhängigkeitserklärung als ein Zentralmotiv für den Abfall der Kolonien.128 Ihre inneren Pathologien ließen sich so nach außen und auf die Person des Königs ableiten, der in Jeffersons Sicht mit gespaltener Zunge sprach, als er Befreiungsedikte für rebellische Sklaven guthieß und sie dazu anstachelte, sich ihre gestohlene Freiheit von den Amerikanern gewaltsam zurückzuholen, denen er die Sklaverei einst selbst „aufgenötigt“ habe.129 Obwohl die zitierten Invektiven gegen den Monarchen vom Kontinentalkongress aus der Schlussfassung des Dokuments herausgestrichen wurden, zeigt der Blick auf Jeffersons ursprünglichen Entwurf, dass die Verknüpfung seines Englandbildes mit der Rassensklaverei als Entlastungsstrategie im Fundamentaldilemma der amerikanischen Freiheitssache funktionierte: Begründeten die Kolonisten ihr Unabhängigkeitsverlangen mit den systematischen Versklavungsabsichten der Krone, so drohte mit der realen, seit anderthalb Jahrhunderten in Amerika verwurzelten Sklaverei ein eminentes Propaganda- und Glaubwürdigkeitsproblem. Nur wenn suggeriert werden konnte, dass der Sklavenhandel und die Sklaverei einem tugendhaft-reinen Volk von außen aufgezwungen worden waren, das sich nach Abschaffung der Institution sehnte, konnte Jefferson seine sklavenhaltenden Landsleute zu Verteidigern der Freiheit stilisieren und zugleich den englischen König als Weltenplage verteufeln.130 Europäische Erfahrungen, 1784–1789 In den folgenden Jahren erhielt Jeffersons Anglophobie durch die Kriegswirren in Virginia zusätzliche Nahrung, wo er als Gouverneur gezwungen war, mit demütigenden Rückschlägen umzugehen und bei einer Gelegenheit sogar 127 Jefferson, Original rough drought [der Unabhängigkeitserklärung, H. L.], Juni 1776, in: Boyd (Hg.), Papers of Thomas Jefferson, Bd. 1, 423–427, hier 426 (Hervorhebungen im Original). Zu dieser Passage vgl. auch Wills, Inventing America, 377. 128 Vgl. hierzu scharfsinnig Robinson, Slavery in the Structure of American Politics, 82 f. 129 Jefferson, Original Rough Draft [der Unabhängigkeitserklärung, H. L.], Juni 1776, in: Boyd (Hg.), Papers of Thomas Jefferson, Bd. 1, 423–427, hier 426. Im November 1775 hatte der königliche Gouverneur in Virginia, Lord Dunmore, eine Emanzipationsproklamation für rebellische Sklaven verkündet und damit den offen liegenden Nerv jener Amerikaner getroffen, die ihren Freiheitsanspruch auf die Sklaverei gründeten. Vgl. Billings u.a., Colonial Virginia, 348. 130 Vgl. Miller, Wolf by the Ears, 8. Zur Basis von Jeffersons Whig-Überzeugungen vgl. Ellis, American Sphinx, 50.
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nur durch eine überstürzte Flucht von Monticello den britischen Truppen entkommen konnte.131 Diese biographischen Erfahrungen gingen nach der Revolution in die Überzeugung ein, dass England nach wie vor eine Bedrohung der amerikanischen Freiheit darstelle.132 Als Jefferson, damals Gesandter am französischen Königshof, im Frühjahr 1786 für einige Wochen in London weilte, um gemeinsam mit John Adams das vage Projekt eines anglo-amerikanischen Handelsvertrages voranzutreiben, begegnete der britische Außenminister Lord Carmarthen den Abgesandten der abgefallenen Kolonien mit ehrverletzender Herablassung.133 Unverhüllt gab er ihnen sogar zu verstehen, dass er in der kraftlosen Konföderation, die aus dem Krieg hervorgegangen war, kaum eine gleichberechtigte Nation zu erblicken vermochte.134 Jeffersons Zorn über diese Demonstration von offizieller Verachtung135 verdeckte nur notdürftig seine Sorgen über die Unzulänglichkeit der postrevolutionären Staatsform Amerikas. Nicht grundlos konnten die Briten auf die Ohnmacht des Konföderationskongresses verweisen, wenn sie den Einzelstaaten Unfähigkeit zum Zusammenschluss attestierten. Umso dringlicher plädierte Jefferson daher auf die Überwindung der inneren Differenzen: „They think we cannot unite to retaliate upon them“, schrieb er am 7. Mai 1786. „I hope we can.“136 Gleichwohl bereiteten die Reformen dem republikanischen Machtskeptiker erhebliches Unbehagen. Wie die Verwerfungen von Shay’s Rebellion in Massachusetts 1786 zeigten, war es um die Stabilität der Konföderation prekär bestellt.137 So sah er sich einerseits in seinem Verlangen bekräftigt, den
131 Zu Jeffersons Kriegserfahrungen in Virginia vgl. Cunningham, In Pursuit of Reason, 64–76; Risjord, Jefferson’s America, 164. Vgl. ausführlich auch Malone, Jefferson the Virginian, 301–373. Zu seiner Wahrnehmung des Unabgängigkeitskrieges vgl. Ferling, Setting the World Ablaze. 132 Zur Kontinuität von Jeffersons Einschätzung Großbritanniens als „malevolent force in American affairs“ vgl. Kaplan, Idealist as Realist, 10. 133 Vgl. so noch die rückblickende Einschätzung in Jeffersons Autobiographie, in der er sich über „the distance and disinclination“ beschwerte, die der britische Außenminister „betrayed in his conversation“. Jefferson, Autobiography, 152. Nicht zuletzt auf der formell-repräsentativen Ebene lief dieses Verhalten dem Gleichberechtigungsanspruch der Amerikaner entgegen. Vgl. hierzu Adams, Paris Years of Thomas Jefferson, 200 f. 134 Vgl. Adams und Jefferson an Jay, 25.04.1786, in: Boyd (Hg.), Papers of Thomas Jefferson, Bd. 9, 406 ff. Zur britischen Sicht auf den Konföderationskongress vgl. Ritcheson, Aftermath of Revolution, 41 f.; Gould, Making of an Atlantic State System, 249 f. 135 Vgl. Jefferson an Madison, 25.04.1786, in: Boyd (Hg.), Papers of Thomas Jefferson, Bd. 9, 433–435, hier 433. 136 Jefferson an W. T. Franklin, 07.05.1786, zit. n. Dunbauld, American Tourist, 76. 137 Zum Aufstand der Landbevölkerung im westlichen Massachusetts, der von dem Farmer Daniel Shay gegen die Steuerlast des Bundes geführt wurde, vgl. Feer, Shay’s Rebellion; Szatmary, Making of an Agrarian Insurrection. Vgl. neueren Datums Richards, Shay’s Rebellion.
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staatlichen Ordnungsorganen mehr Kompetenzen zuzuweisen.138 Andererseits befürchtete er jedoch, dass eine solche Verfestigung die republikanische Freiheit zerstören und Amerika in einen englischen Despotismus zurückwerfen könnte.139 Dieser negative Bezug auf England dürfte trotz seiner kalkulierten innenpolitischen Stoßrichtung auch authentisch empfunden worden sein. Zwar hat der oft kolportierte Eklat anlässlich Jeffersons Vorstellung bei Hofe durch John Adams am 17. März 1786, als George III. dem Verfasser der Unabhängigkeitserklärung demonstrativ den Rücken zugewendet haben soll, in dieser Form wohl nicht stattgefunden.140 Dennoch gelangte Jefferson nach dem Scheitern sämtlicher Vertragssondierungen zu dem Ergebnis, dass die Engländer das Selbstbild Amerikas als souveräne Republik auf ehrverletzende Weise zurückwiesen. Für ihn stand fest: „That nation hates us, their ministers hate us, and their King more than all other men.“141 Die Bedeutung seiner harten Worte lässt sich nur dann voll ermessen, wenn man bedenkt, dass er die Öffnung des atlantischen Handels für unerlässlich hielt, um seine agrarromantische Republikvision in die Wirklichkeit hinüberzuretten. Gerade in dieser lebenswichtigen Frage, so befürchtete Jefferson, waren die Amerikaner zu weiten Teilen von einer Handelspolitik abhängig, die unter dem Dogma der 1783 erstmals veröffentlichten Observations on the Commerce of the American States aus der Feder Lord Sheffields stand – für Jefferson ein von Missgunst und Feindschaft durchtränkter, nachgerade schändlicher Text. Sich gegen jede Form von liberalen Handelsbeziehungen mit den ehemaligen Kolonien wendend, plädierte Sheffield in seiner Schrift für den Ausschluss der Amerikaner von sämtlichen Empire-Märkten.142 Überdeutlich las Jefferson aus seinen Ausführungen die Absicht heraus, die Schmach des verlorenen Krieges mit den Mitteln der Ökonomie abzugelten: Die Amerikaner hatten ihre Unabhängigkeit erkämpft, nun sollten sie dafür bezahlen.143 Angesichts der unverhüllt feindlichen Regungen, die ihm in London entgegenschlugen, erschien die Abhängigkeit vom englischen Wirtschaftsriesen umso gefährlicher, weil er nicht umhin konnte, Englands Modernität mit wi138 Wie er im Sommer 1785 gegenüber Abigail Adams bekannte: „I love energy in government dearly.“ Jefferson an Abigail Adams, 07.07.1785, in: Boyd (Hg.), Papers of Thomas Jefferson, Bd. 8, 264–255, hier 265. 139 Vgl. hierzu Kaplan, Thomas Jefferson, 53 f.; ders., Idealist as Realist, 13 f.; Combs, Jay Treaty, 65; Wasser, Jefferson und der Westen, 53. 140 Vgl. hierzu Ritcheson, Fragile Memory. 141 Jefferson an John Page, 04.05.1786, in: Boyd (Hg.), Papers of Thomas Jefferson, Bd. 9, 445 f. Vgl. hierzu auch Smith, Republic of Letters, Bd. 1, 399; Peterson, Jefferson and the new nation, 342 f. 142 Zu Sheffields neo-merkantilen Positionen vgl. Stagg, Mr. Madison’s War, 7 f.; Kennedy, Mr. Jefferson’s Lost Cause, 102; Smith, Keeping the Republic, 36 f. 143 Vgl. so Elkins / McKitrick, Age of Federalism, 379.
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derwilliger Bewunderung anzuerkennen. Zusammen mit John Adams besuchte er die Dampfmühle Blackfriars Bridge am Themseufer, die zu den spektakulären Errungenschaften der frühen Industrialisierung zählte.144 Gleichwohl sah er das agrarische Amerika auf Augenhöhe mit der britischen Innovationskraft. So behauptete er nach dem Besuch einer Londoner Räderwerkstatt, dass die dortige Produktion von Wagenrädern aus einzelnen Holzstücken in Wirklichkeit auf eine Erfindung von Farmern aus New Jersey zurückginge und erst durch Benjamin Franklin in Großbritannien bekannt gemacht worden sei. Auch wenn seine Argumente recht pedantisch wirken, liefern sie doch ein schönes Beispiel für sein modernes Agrarideal, das er dem industriell-urbanen Zukunftsentwurf Englands entgegenhielt: Die altgriechischen Ursprünge dieser Fertigungstechnik, so Jefferson, konnten nur von den gleichermaßen aufgeklärten wie erdverbundenen Pflanzern in der Neuen Welt der Vergessenheit entrissen werden – „because ours are the only farmers who can read Homer“.145 Als Jefferson England wieder verließ, sah er sich in seiner Auffassung bestärkt, Amerika müsse in Reaktion auf die englische Verweigerung die Handelsbeziehungen zu Frankreich weiter ausbauen.146 Bereits in seinen 1781 verfassten, aber erst drei Jahre später zunächst auf französisch publizierten Notes on the State of Virginia hatte er den Niedergang der britischen Nation als notwendige Folge des Aufstiegs der beiden Zukunftsmächte Frankreich und Amerika prophezeit: „Her philosophy has crossed the Channel, her freedom the Atlantic, and herself seems passing to that awful dissolution, whose issue is not given human foresight to scan.“147 Tatsächlich korrespondierte seine Anglophobie immer enger mit frankophilen Gefühlen, zumal es um die Jahreswende 1788 / 89 so schien, als ob die von den Engländern verratene Freiheit nach ihrem Siegeszug in Amerika nunmehr den Weg über den Atlantik zurück finden und Einzug in eine der ältesten Monarchien Europas halten würde: „The Nation has been awakened by our revolution“, so kom144 Vgl. Jefferson an Charles Thompson, 22.04.1786, in: Boyd (Hg.), Papers of Thomas Jefferson, Bd. 9, 400–401. Die Besuche in Londoner Industriewerkstätten schildert Peterson, Jefferson and the new nation, 342 f. Zu Jeffersons Erfahrungen und Eindrücken in England 1786 vgl. Dunbauld, American Tourist, 78 ff., sowie neueren Datums Shakkelford, Thomas Jefferson’s Travels in Europe, 43–63. 145 Jefferson an St. John de Crèvecoeur, 15.01.1787, in: Peterson (Hg.), Portable Jefferson, 412–414, hier 413. Jefferson bezog sich auf eine Passage aus der Ilias (IV, 482–488), in welcher die Beschreibung des Baus eines Streitwagenrades aus dem Stamm einer gefällten Pappel als Gleichnis für die Tötung des Simoeisios durch Ajax dient. Vgl. hierzu ebd., 414. 146 Vgl. Cunningham, Pursuit of Reason, 100; Ben-Atar, Origins of Jeffersonian Commercial Policy, 68 f. 147 Jefferson, Notes on the State of Virginia, 65. Zur Frankophilie Jeffersons vgl. Kaplan, Jefferson as a Francophile; vgl. ferner grundsätzlich ders., Jefferson and France. Vgl. ferner Heun, Politische Vorstellungswelt, 378.
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mentierte er die Krise des Ancien Régime, „they feel their strength, they are enlightened, their lights are spreading, and they will not retrograte.“148 Weil er die Revolutionen Amerikas und Frankreichs von Beginn an im Zusammenhang sah, weil also seine eigene politische Ideologie durch das äußere Ereignis direkt tangiert wurde, nährten sich die anglophoben und frankophilen Aspekte seines Weltbildes gegenseitig. Zeitlebens die „eklatante Illusion“ einer „romantisierte[n] Geschichtsversion“ hegend, welche die Revolution in Frankreich als „europäische Version“149 ihres amerikanischen Vorbilds ausgab, war es ihm schlichtweg unmöglich, die sich überstürzenden Ereignisse im Sommer 1789 leidenschaftslos zu kommentieren.150 Recht freimütig unterbreitete er den liberalen Kräften um den Marquis de Lafayette seine eigenen Verfassungsvorstellungen, die bezeichnenderweise eng am britischen Modell orientiert waren und gar für die Bewahrung der – freilich weitgehend entmachteten – Monarchie plädierten. Es verwundert auch kaum, dass er nach amerikanischem Vorbild die Unterzeichnung einer Declaration of Rights vorschlug, um die neu errungene Freiheit vor den mächtigen Interessenbündnissen der alten Eliten zu schützen.151 In Analogie zum Anspruch der konföderierten Verfassungsväter, die achtzig Jahre später den ursprünglichen Gedanken des amerikanischen Gründungsdokumentes wiederherzustellen glaubten, schrieb Jefferson noch nach der Eskalation der Gewalt am 5. August 1789, als die Hoffnungen auf einen organischen Reformprozess sichtbar dahingeschwunden waren: „The National assembly are wise, firm and moderate. They will establish the English constitution, purged of it’s numerous and capital defects.“152 England, in seinem ursprünglichen und vorkorrupten Stadium jedenfalls, fungierte in Jeffersons Verfassungsdenken nach wie vor als Stabilitätsrefugium, in dem Freiheit und graduelle Reform dialektisch ineinander gehen 148 Jefferson an James Madison, 18.01.1788, in: Boyd (Hg.), Papers of Thomas Jefferson, Bd. 14, 388. 149 Ellis, Sie schufen Amerika, 298 (alle Zitate). 150 Vgl. Zuckerman, Autobiography of Thomas Jefferson, 133 ff. Diese Verbindung zog sich durch Jeffersons Frankreichbild während der gesamten Revolutionszeit und beeinflusste auch sein anglophobes Verschwörungsdenken. Wie Lawrence Kaplan konstatiert, gelangte Jefferson insbesondere nach dem Kriegseintritt Englands in Europa (1793) zu der Ansicht, dass „France struggled for more than its own survival – the survival of liberty itself was at stake. A British victory would reimpose its rule in America“. Kaplan, Idealist as Realist, 18. Vgl. hierzu auch Banning, Jeffersonian Persuasion, 211 ff. Jeffersons Involvierung in die Französische Revolution behandelt die Arbeit von Connor Cruise O’Brien, deren Wert durch ihren bilderstürmerischen Impetus und die allzu tendenziöse Jeffersonkritik aber relativiert wird. Vgl. O’Brien, Long Affair. 151 Zu Jeffersons Kontakten mit französischen Reformern am Ende des Ancien Régime vgl. Sloan, Principle and Interest, 62–68; Adams, Paris Years of Thomas Jefferson, 284 ff.; Ellis, American Sphinx, 128 ff. 152 Jefferson an Edward Bancroft, 05.08.1789, in: Boyd (Hg.), Papers of Thomas Jefferson, Bd. 15, 332–333, hier 333.
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konnten.153 Wie sich hier zeigt, war sein republikanischer Revolutionsbegriff auch von elitären Ordnungsvorstellungen durchzogen: Nach Jahrhunderten monarchisch-absolutistischer Knechtschaft seien die Franzosen – anders als die in englischer Freiheitstradition erzogenen Amerikaner – schlichtweg nicht befähigt zur Selbstregierung, „not yet ripe for receiving the blessings to which they are entitled“.154 Feindbildfusionen: Anglophobie und Parteienbildung, 1789–1800 Als Jefferson 1789 nach Amerika zurückkehrte und im Jahr darauf in Washingtons erster Regierung das Amt des Secretary of State übernahm, verschmolzen die Dissonanzen seines Europabildes mit den Grabenkämpfen der entstehenden Parteienlandschaft zu einem unausgewogenen Bedrohungsszenario. Weil in seinen Augen die Französische Revolution den republikanischen Impuls ihrer amerikanischen Vorgängerin bekräftigte und legitimierte, redete er ihre gewaltsamen Exzesse als notwendigen Preis im säkularen Ringen um die weltweite Freiheit herunter.155 Zugleich verdammte er den innenpolitischen Konkurrenten – die Federalist Party George Washingtons und John Adams’ – mit harten Worten als Wegbereiter der „englischen“ Laster von Korruption, Restauration und Monarchismus.156 In den 1790er Jahren, nach seinem Ausscheiden aus dem Kabinett, konzentrierten Jeffersons Republikaner ihr Sperrfeuer vor allem auf den verhassten Finanzminister Alexander Hamilton157, der die Republik scheinbar in der Tradition Sir Robert Walpoles nach englischem Muster umzumodellieren trachtete und außenpolitisch Großbritannien näher stand als Frankreich.158 153 Zu Jeffersons Sicht auf das idealtypische balanced government vgl. noch immer prägnant Peterson, Jefferson and the new nation, 61 ff. 154 Jefferson an James Madison, 18.11.1788, in: Boyd (Hg.), Papers of Thomas Jefferson, Bd. 14, 187–190, hier 188. 155 Vgl. Jefferson an William Short, 03.01.1793, in: Catanzariti (Hg.), Papers of Thomas Jefferson, Bd. 25, 14–17, hier 14. 156 Vgl. Jefferson an Philip Mazzei, 24.04.1796, in: Oberg (Hg.), Papers of Thomas Jefferson, Bd. 29, 81–83. 157 Aus der neueren Literatur zu Hamilton vgl. umfassend Chernow, Alexander Hamilton; Harper, American Machiavelli. 158 Vgl. Kaplan, Thomas Jefferson, 75–89; Heun, Politische Vorstellungswelt, 386 f.; Onuf, Jefferson’s Empire, 41 f.; Ben-Atar, Origins of Jeffersonian Commerical Policy, 92 f.; neuerdings Harper, American Machiavelli, 59–64. Die Gleichsetzung Hamiltons mit Walpole war ein beliebter republikanischer Topos, den insbesondere James Madison oft verwendete. Vgl. McCoy, Elusive Republic, 153 f.; Onuf, Jefferson’s Empire, 89. Zu Hamiltons Finanzprogramm vgl. insbesondere Buel, Securing the Revolution, 8–27. Hamiltons Anglophilie und den Vorbildcharakter, den das Ordnungsgefüge sowie die imperiale Machtfülle Englands in seiner Gedankenwelt einnahm, unterstreicht Wood, Launching the „Extended Republic“, 6 f. Zur Rivalität zwischen Jefferson und Hamil-
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Die Verschmelzung von innerem und äußerem Feindbild ergab sich aus einer Kontinuität republikanischer Herrschaftskritik, die ihr Augenmerk von der Londoner Machtanmaßung auf die politische Balance in der Union verschoben hatte. Jefferson und seine Anhänger begriffen den Streit mit den Federalists nie als Bestandteil eines legitimen Parteienwettbewerbs. Ihren Kontrahenten sprachen sie den Rang amerikanischer Patrioten rundweg ab und dämonisierten sie als verlängerten Arm Großbritanniens in der Neuen Welt, als korrupt, konterrevolutionär und fremdartig. Für Jefferson stritten in den 1790er Jahren nicht Amerikaner gegen Amerikaner, sondern wahrhaftige gegen falsche, gegen britische Amerikaner, die sich des republikanischen Tarnspiels nur bedienten, um das Volk zu täuschen und ihre wahren Absichten zu verbergen.159 Einen vertrauten Topos des amerikanischen Exzeptionalismus160 mit der Rhetorik südstaatlicher Ehrkultur verbindend, steckte er die Fronten zwischen den Reinen und den Üblen in kompromissloser Radikalität ab: „I hold it as honorable to take a firm and decided part, and as immoral to pursue a middle line, as between the parties of Honest men, and Rogues, into which every country is divided.“161 Wenn er also gegen den britischen Revanchismus zu Felde zog, dann hatte er zugleich die Federalists im Visier und umgekehrt. Diese Feindbildfusion war für Jefferson aber keineswegs nur ein innenpolitisches Propagandainstrument – sie spiegelte auch seine authentische Ansicht wider, dass die Union an verschiedenen Flanken von innen und von außen bedroht werde. Ideologische Überzeugung und politische Instrumentalisierung gingen Hand in Hand und lassen sich in historischer Perspektive nicht voneinander trennen. Schutz vor der vermeintlichen Doppelbedrohung durch den Machtstaat der Federalists sowie die Außen- und Handelspolitik Großbritanniens suchte er in der südstaatlichen Agrarkultur. Sein expansiver Empire of Liberty-Republikanismus bemühte sich um eine Balance zwischen konservativ-utopischer Agrarideologie und der – äußerst – vorsichtigen Akzeptanz industrieller Neuerungen. Nur im maßvollen Zusammenspiel dieser beiden Komponenten konnte der Rückfall in vorzivilisatorische Zustände vermieden, zugleich aber auch die Pathologien der europäischen Frühmoderne abgewendet werden.162 Zur Realisierung seiner Doktrin strebte Jefferson neben der Landerschließung im Westen vor allem den freien, uneingeschränkten Handel mit den übrigen
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ton vgl. auch kompakt und mit Präsentation der wichtigsten Quellen Cunningham (Hg.), Jefferson vs. Hamilton, bes. 106–127. Das galt allerdings umgekehrt auch für die Sicht der Föderalisten auf die Republikaner und war mithin in der ideologischen Natur der Auseinandersetzungen der 1790er Jahre begründet. Vgl. Sharp, American Politics in the Early Republic, 9, 11 f., bes. auch 281 f. Zum republikanischen Exzeptionalismus vgl. Hoogenboom, American Exceptionalism. Republicanism as Ideology. Jefferson an William B. Giles, 31.12.1795, in: Boyd (Hg.), Papers of Thomas Jefferson, Bd. 28, 566–567, hier 566. Vgl. hierzu wegweisend McCoy, Elusive Republic, 158.
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Nationen an, die amerikanische Rohstofferzeugnisse aufkaufen und Fabrikwaren über den Atlantik liefern konnten. In der Imperial- und Handelsmacht Großbritannien erwuchs daher eine Bedrohung der republikanischen Freiheit: Als koloniale Macht behinderte sie die Westentfaltung der Amerikaner auf ihrem „eigenen“ Kontinent, als beherrschende Macht der Meere verletzte sie die Neutralitätsrechte amerikanischer Schiffe und als globale Wirtschaftsmacht beschränkte sie ihren Zugang zu den Absatzmärkten in Übersee.163 So sehr der Hass auf England aus Jeffersons Sicht auch unmittelbar begründet war, hing er doch auch mit den inneramerikanischen Deutungskämpfen um das Vermächtnis der Revolution zusammen. Er speiste sich aus parteipolitischen Konflikten, die nach innen mit den Lagern von Federalists und Republicans assoziiert, nach außen mit „anglophilen“ und „anglophoben“ Merkmalen belegt wurden. Während sich unter den föderalistischen Präsidenten Washington und Adams das Verhältnis zum ehemaligen Bündnispartner Frankreich dramatisch verschlechterte, bewegten sich die anglo-amerikanischen Beziehungen zunächst auf einem vorsichtigen Konsolidierungskurs: 1794 gelang Washingtons Sonderbotschafter John Jay die Entschärfung eines diplomatischen Krisenherdes, als er in London den nach ihm benannten Vertrag aushandelte, der zwar den Frieden zu wahren imstande war, jedoch großzügige Konzessionen an die englische Seite in den Fragen der Konterbandeauslegung und der Begleichung offener Rechtsansprüche aus dem Unabhängigkeitskrieg eingehen musste.164 Das Jay-Abkommen stieß im Süden auf leidenschaftliche Kritik und mündete von Virginia bis South Carolina in wütende Proteste, zum Teil auch in Ausschreitungen wie in Charleston, wo ein aufgebrachter Mob die britische Flagge vor dem Konsulat verbrannte und anschließend lebensgroße Puppen Jays und Adams’ symbolisch hängte.165 Jefferson verurteilte den Vertrag als „alliance between England and the Anglomen of this country against the legislature and people of the United States“.166 Die Übereinkunft markierte für ihn alles andere als eine realpolitisch ausgewogene Wiederannähe163 Diese grundsätzliche Verbindung von Jeffersons Anglophobie mit seiner Furcht um den Bestand des republikanischen Staates ist in der Forschung an verschiedenen Stellen betont worden. Vgl. Ben-Atar, Origins Of Jeffersonian Commerical Policy, 169; Dupre, South in the New Nation, 90. 164 Zum Jay-Vertrag vgl. Combs, Jay Treaty. Vgl. ferner noch immer Bemis, Jay’s Treaty, sowie für die innenpolitische Auseinandersetzung Buel, Securing the Revolution, 54– 71; Sharp, American Politics in the Early Republic, 113–137. Für die britische Perspektive vgl. Ritcheson, Aftermath of Revolution, 317–363. 165 Vgl. Fry, Dixie Looks Abroad, 20. Vgl. den Jay-Vertrag als Kristallisationspunkt der republikanischen Oppositionsideologie im Süden wertend Onuf / Sadowky, Jeffersonian America, 52 ff.; Risjord, Chesapeake Politics, 450–467. Zur öffentlichen Auseinandersetzung vgl. jetzt Estes, Jay Treaty Debate. 166 Jefferson an Edward Rutledge, 30.11.1795, in: Catanzariti (Hg.), Papers of Thomas Jefferson, Bd. 28, 541–542, hier 542.
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rung an Großbritannien, sondern war das Ergebnis der Machenschaften neoaristokratischer Kräfte. Die heftigen Reaktionen erklären sich nicht allein aus den wirtschaftlichen Nachteilen, die die Regelung für den Süden tatsächlich bereithielt.167 Nur wer gewahr wird, dass Jeffersons Republikaner das „wahre“ Erbe der Amerikanischen Revolution existentiell bedroht wähnten, kann den aufgeregten, hysterischen, ja paranoiden Ton der Debatte erfassen. Jefferson selbst sah sich dabei keineswegs als vormodernen Utopisten, sondern als kosmopolitischen Progressiven, der den Hamiltonschen Verwaltungs- und Zentralstaat als konterrevolutionären Rückfall bekämpfte, als Restauration der britischen Ordnung auf amerikanischem Boden: Es sei der feste Glaube der republikanischen Partei, so hatte er sich schon 1792 gegenüber George Washington beschwert, „that he ultimate object of all this is to prepare the way for a change, from the present republican form of government, to that of a monarchy, of which the English constitution is to be the model.“168 Was aber die Einführung der englischen Staatsform in Amerika anbetraf, so schrieb er im Februar 1796 von Monticello aus an John Adams, sei er, Jefferson, stets unter jenen gewesen, der dies immer aus ganzem Herzen abgelehnt habe, „and it has been a strong reason with me for wishing there was an ocean of fire between that island and us“.169 In solchen Formulierungen klang Jeffersons Neigung an, sich zugunsten seiner kontinentalen Vision für Amerika vom Meer abzuwenden und aus der atlantischen Welt gleichsam zurückzuziehen.170 Seine Zustimmung zur Übertragung der einzelstaatlichen Schuldenlast auf die Bundesregierung, die im Sinne der am englischen Vorbild ausgerichteten Konsolidierungspolitik Hamiltons die Staatsschuld fundierte171, sollte er deshalb schon bald bitter be167 Die Ausklammerung amerikanischer Entschädigungsforderungen für im Revolutionskrieg von britischen Truppen befreiten Sklaven ließ im Umkehrschluss Regressforderungen enteigneter Loyalisten befürchten. Zudem bedeutete die vorgesehene Zufahrtsbeschränkung für amerikanische Schiffe zu den Westindischen Inseln erhebliche Einschnitte für die Exportwirtschaft des Südens. Zu diesen Fragen vgl. Bemis, Jay’s Treaty, 354 ff.; Risjord, Jefferson’s America, 282 f. 168 Jefferson an George Washington, 23.05.1792, in: Cunningham, Jefferson vs. Hamilton, 78–82, hier 79. Vgl. hierzu auch pointiert Onuf, Origins of American Sectionalism, 32 f. Diese Restaurationsbefürchtungen Jeffersons sind durchaus wörtlich zu verstehen. „Until long after his Presidency“, urteilt Lawrence Kaplan, „Jefferson felt that England had reconquest in mind and believed that the Federalists […] participated in schemes for the reestablishment of the British Empire in America.“ Kaplan, Neocolonial Impulse, 56. 169 Jefferson an John Adams, 28.02.1796, in: Catanzariti (Hg.), Papers of Thomas Jefferson, Bd. 28, 618–619, hier 619. 170 Bereits in den Notes on the State of Virginia äußerte er den Gedanken, „it might be better for us to abandon the ocean altogether“. Jefferson, Notes on the State of Virginia, 175. Vgl. hierzu auch Smith, Keeping the Republic, 43. 171 Vgl. Heideking, Geschichte der USA, 77. Jefferson stimmte der zwischen Hamilton und Madison vereinbarten Regelung zu, die Übertragung der Schuldenlast von den Einzelstaaten auf die Bundesregierung zur Konsolidierung der staatlichen Finanzen zu akzep-
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reuen. Aus der Logik seines radikal-whiggistischen Verschwörungsdenkens heraus identifizierte Jefferson nämlich gerade die Schuldenfalle als Methode zur Restauration der britischen Ordnung. Mit der Erhöhung der Staatsschuld, so glaubte er, strebe Finanzminister Hamilton den schleichenden Machtzuwachs der Bundesregierung an, der die lokale Selbstverwaltung in Form von Förderprogrammen, Steuerkompetenzen, Zentralisierungsbestrebungen zu einem zentralistischen Nationalstaat nach englischem Muster umwandeln solle.172 Jefferson übertrug hier seinen persönlichen Erfahrungshorizont aus dem vorrevolutionären Virginia auf den nationalpolitischen Kontext.173 Zeitlebens selbst in prekärer finanzieller Situation, schrieb er einmal, die Schulden der Virginier hätten sich so lange weitervererbt, bis die Pflanzer regelrecht zum Besitz der Londoner Handelsgesellschaften herabgewürdigt worden seien.174 Diese Sorge speisten sich nicht nur aus dem Unabhängigkeitspostulat der Tabakkultur, sondern auch aus seinen Theorien von der Souveränität der Generationen, wonach die lebende Generation der nachfolgenden keinerlei Bürde oder Beschwernis hinterlassen dürfe.175 Die Vererbung privater oder öffentlicher Schulden war demnach gleichermaßen unmoralisch, gefährlich und freiheitsfeindlich. Es verwundert nicht, dass er gerade an dieser Stelle ansetzen wollte, um das vermeintlich pro-britische Regiment seiner Gegner zu brechen und ihre Politik rückgängig zu machen.
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tieren, wenn im Gegenzug die Hauptstadt der Union nach Süden an den Potomac verlegt würde. Vgl. zu den strittigen Fragen des Hauptstadtkompromisses Cooke, Compromise of 1790; Bowling, Dinner at Jefferson’s. Vgl. allgemein Ellis, Sie schufen Amerika, 71–115; Elkins / McKiltrik, Age of Federalism, 163–195. Jefferson stellte die Hauptstadt in eine potentielle Kontinuität zum imperialen Machtzentrum London und fürchtete, dass korrumpierte Politiker abermals versucht sein könnten, von hier aus die Freiheiten der Peripherie zu beschneiden. Die Verlegung des Bundessitzes an den Potomac zwischen Maryland und Virginia sollte daher zur Machtkontrolle und Stabilisierung der sektionalen Balance dienen. Vgl. so Onuf / Sadosky, Jeffersonian America, 47 f. Vgl. ferner Sloane, Principle and Interest, 111 ff. „Just how this intriguing disjunction between personal habit and public policy actually operated inside Jefferson’s character is difficult to capture“, beschreibt Joseph Ellis das schwer fassbare Phänomen. Ellis, American Sphinx, 185. Die Verbindung zwischen den öffentlich-politischen und den biographischen Aspekten in Jeffersons Sicht des Schuldenproblems untersucht Sloan, Principle and Interest. Vgl. Additional Queries of Démeunier with Jefferson’s Answers, Jan.-Feb. 1786, in: Boyd (Hg.), Papers of Thomas Jefferson, Bd. 10, 27: „Virginia’s planters were hereditary from father to son for many generation, so that the planters were a species of property, annexed to certain mercantile houses in London.“ Vgl. Jefferson an Madison, 06.09.1789, in: Boyd (Hg.), Papers of Thomas Jefferson, Bd. 15, 392–397. Zur Analyse dieses bekannten Jefferson-Briefes, auf dessen Facettenreichtum und auch Widersprüchlichkeit hier nicht näher eingegangen werden kann, vgl. vor allem Sloan, „The Earth Belongs in Usufruct to the Living“; ders., Principle and Interest, 50–86.
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Anglophobie und Dogma: Jeffersons Präsidentschaft, 1800–1809 1819 bezeichnete Jefferson seinen Sieg über John Adams als „Revolution von 1800“, „for that was as real a revolution in the principles of our government as that of 1776 was in its form“.176 Diese Formulierung zeigt überdeutlich dass er zeitlebens davon ausging, mit seiner Präsidentschaft eine große historische Wende herbeigeführt zu haben. Angetreten mit dem erklärten Ziel, das Erbe der Federalists aus der politischen Landschaft zu tilgen, erklärte er den nationalen Schuldenabbau zum Zentralziel der Fiskalpolitik. Wie er am Ende seiner Amtszeit an Finanzminister Albert Gallatin schrieb, wäre die Union ansonsten in die „English career of debt, corruption and rottenness“ gesteuert, die wiederum unweigerlich in einer neuen Revolution hätte enden müssen.177 Was er hiermit meinte, malte er später am Beispiel der sozialen Verwilderung in England aus: König George III. habe das gesamte Land an Gläubiger veräußert. Um die erdrückende Zinslast zu tilgen, müssten die englischen Arbeiter beinahe ihr gesamtes Lohnaufkommen in Form von Steuern an den Staat abführen. Gefangen im Überlebenskampf, könnten sie der Verschwendung öffentlicher Gelder keinen Einhalt gebieten. England, so schloss Jefferson im Einklang mit der republikanischen Mäßigungsmaxime, „reads us the salutary lesson that private fortunes are destroyed by public as well as by private extravagance“.178 Tatsächlich gelang dem Präsidenten die Revision des Finanzprogramms der Vorgängerregierungen mit bemerkenswertem Erfolg.179 Wenn er mit der Konsolidierung des Bundeshaushalts in der ersten Amtszeit ein ehrgeiziges innenpolitisches Ziel erreichen konnte, so hatte das grob gesprochen den gleichen Grund, der für das Scheitern seiner Außenpolitik in der zweiten verantwortlich war: die hohen, durch die Agrarkultur des Südens verbürgten Exportraten. Nur aufgrund der ungestörten Entfaltung des transatlantischen Handels war es Jefferson in den Friedensjahren bis 1803 gelungen, die Steuereinnahmen zu erhöhen und zur Schuldentilgung einzusetzen. Mit dem Ausbruch der 176 Jefferson an Spencer Roane, 06.09.1819, in: Peterson (Hg.), Portable Jefferson, 561–564, hier 562. 177 Jefferson an Albert Gallatin, 11.10.1809, in: Looney (Hg.), Papers of Thomas Jefferson. Retirement Series, Bd. 1, 597–599, hier 598. 178 Jefferson an Macon, 12.07. u. 05.09.1816, zit. n. Sloan, Principle and Interest, 214 f. 179 Vgl. hierzu die positive Bewertung der Jeffersonschen Fiskalpolitik bei Cunningham, Process of Government, 320. Vgl. eher auf die günstigen Bedingungsfaktoren der Staatskonsolidierung verweisend Ben-Atar, Origins of Jeffersonian Commercial Policy, 161. Herbert Sloan wertet die Präsidentschaft Jeffersons vor dem Hintergrund ihrer ideologischen Prämissen als republikanische Restauration, weil die erfolgreiche Tilgung der Staatsschuld die Ambitionen der Hamiltonschen Finanzpolitik obsolet gemacht und so das Staatsmodell der Federalists konterkariert habe. Vgl. Sloan, Principle and Interest, 200 f.
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Napoleonischen Kriege verkehrte sich die internationale Konstellation in ihr glattes Gegenteil. Durch die britische Blockade wurden lebenswichtige Wirtschaftswege der Union zerschnitten, ohne dass sie den Aktionen der Briten zur See Einhalt gebieten konnte. Angesichts dieser Situation verfielen Jefferson und sein Außenminister James Madison im Jahre 1807 einer Doktrin, die – in abgewandelter Form – von den Diplomaten der Konföderation erneut aufgegriffen werden sollte. Seit jeher hingen die beiden Südstaatler der Vorstellung an, die Abhängigkeitsverhältnisse in den anglo-amerikanischen Wirtschaftsbeziehungen durch die schiere Kraft republikanischer Tugenden umkehren zu können.180 Während Großbritannien überflüssige Konsumgüter über den Atlantik verschiffe, so Madison, versorge Amerika „the industry of one part of her people, sends to another part the very bread which keeps them from starving“.181 Die schlafende Macht der Amerikaner über den englischen Riesen konnte in Madisons Augen ihren Sieg in jedem „Selbstverleugnungswettbewerb“ garantieren, wenn sie sich nur ihrer republikanischen Tugenden gewahr würden und auf den korrumpierenden Einfluss importierter Luxusgüter verzichteten.182 In ihre Entscheidung, die Briten mit ihren eigenen Waffen zu schlagen und einen rigorosen Import- und Ausfuhrstopp für alle amerikanischen Häfen zu verhängen, flossen anglophobe Ressentiments, das südstaatliche Autarkiedenken und ein auf Vorstellungen der Ehre beruhender Gleichberechtigungsanspruch zusammen. Jefferson lehnte ein Arrangement mit der englischen Blockadepolitik als schmachvolle Etablierung neokolonialer Abhängigkeit grundsätzlich ab. Die Folge war, dass er gegenüber Großbritannien einen harten und moralisch fundierten Ton anschlug, hinter den er nicht mehr zurückfallen konnte, ohne sein südstaatlich akzentuiertes Verständnis von Ehre und Unabhängigkeit zu kompromittieren. Trotz ihres nationalen Anspruchs wurzelte die Embargopolitik in einer partikularen Sicht auf die Welt, die internationale Zusammenhänge nicht hinreichend erfasste und den neuenglischen Kaufleuten ebenso schadete wie den Pflanzern des Südens, die ihre Produkte auf den europäischen Märkten nicht mehr absetzen konnten.183 Nur vordergründig entsprang das Embargogesetz also einem rationalen Kalkül, das über die Stellschrauben der Ökonomie das Gefüge der Staatenwelt verschieben wollte. Jeffersons Entscheidung beruhte eben auch auf einer 180 Vgl. hierzu Spivak, Jefferson’s English Crisis, 3 f. 181 Madison, Political Observations (1795), in: Letters and Other Writings of James Madison, Bd. IV, 488. 182 Vgl. Tucker / Hendrickson, Empire of Liberty, 35. 183 Der Süden stand damals ebenso hinter dem Jeffersonschen Embargo wie er einige Jahre später die logische Konsequenz aus dessen Scheitern forcierte: den Krieg von 1812. Zu den wirtschaftlichen Auswirkungen der Embargopolitik in den Regionen Amerikas vgl. Sears, Jefferson and the Embargo, 143–253; DeConde, History of American Foreign Policy, Bd. 1, 87 ff. Zur Haltung des Südens vgl. auch LaFeber, Jefferson and an American Foreign Policy, 384.
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kulturellen Prägung und operierte deshalb – mit der anderweitig nur schwer erklärbaren – Prämisse, die Politik der Kriegsmächte England und Frankreich durch trotzige Abstinenz vom Weltmarkt abändern zu können. Im Urteil von Joseph Ellis ist dies zwar von Anfang eine Illusion gewesen, passte aber gut zu Jeffersons Wunsch, die Verbindungen zu den korrupten, kriegerischen Nationen Europas zu durchtrennen.184 Zur Ehrverletzung und der Abhängigkeitshysterie gesellte sich hier noch eine weitere Denkfigur, die ebenfalls den geistigen Grundlagen der südstaatlichen Anglophobie zuzurechnen ist: die republikanische Korruptionsfurcht. Bereits im Januar 1794 hatte Madison dieses Unbehagen in die gängigen Worte gefasst, als er den Einfluss britischen Geldes auf die Finanzinstitutionen der Vereinigten Staaten beschwor und verheerende Folgen anmahnte für „our taste, our manners, and our form of Government itself“.185 Moral und Reinheit der Republik galt es vor der korrumpierenden Wirkung britischen Kapitals, britischer Technik und britischer Konsumgüter zu schützen.186 Weil sich die Trennlinie zwischen Tugend und Korruption derart scharf ziehen ließ, konnte sich Madison aus der Perspektive seines republikanischen Weltbildes heraus als Analyst englischer Politik profilieren. Nüchtern kalkulierte Interessen, so bekräftigte er vor dem Repräsentantenhaus, müssten England davon abhalten, dem wirtschaftlichen Aufstieg der Union mit Krieg Einhalt zu gebieten: „What would Britain gain by a contest? Would war employ her starving manufactures? […] Were Britain to declare war, he could give no name to her folly. She would plunge herself ten times deeper in the difficulties that she wanted to avoid. Every counter-regulation would be a stroke against herself.“187 In der Baumwolldoktrin der Konföderation, die sechzig Jahre später mit ähnlichen Argumenten die englische Intervention erzwingen wollte, fanden diese Worte einen bemerkenswerten Widerhall. Hierin der Außenpolitik von 184 Vgl. Ellis, American Sphinx, 283. Auch Lawrence Kaplan betont den isolationistischen Impuls hinter der Embargopolitik und kommt zu dem Schluss, dass „to some degree the embargo was the realization of an old dream that Jefferson shared with other Founding Fathers – namely, the isolation of the United States from the evils of the Old World“. Kaplan, Thomas Jefferson, 166. Vgl. die Anglophobie der Jeffersonschen Republikaner als Leitmotiv des Embargos interpretierend auch ders., Idealist as Realist, 60. Richard Smith leitet die handelspolitischen Vorstellungen Jeffersons und Madisons aus dem Ideengebäude ihrer yeoman virtue ab. Vgl. Smith, Keeping the Republic, 44. 185 Annals of Congress, 3rd Congress 1st Session, 14.01.1794, 215. 186 Vgl. so Elkins / McKitrick, Age of Federalism, 384. Jerald A. Combs hat in diesem Zusammenhang vermerkt, dass „to a large extent this attitude was a result of adapting their [Jeffersons und Madisons, H. L.] ideas about human nature to the nature of relations between states.“ Combs, Jay Treaty, 70. 187 Annals of Congress, 3rd Congress 1st Session, 23.01.1794, 274. Zu Madisons kommerzieller Vergeltungsstrategie gegenüber Großbritannien vgl. auch Tucker / Hendrickson, Empire of Liberty, 36; Ben-Atar, Origins of Jeffersonian Commercial Policy, 74 f.; McCoy, Elusive Republic, 217; Buel, Securing the Revolution, 29 ff.
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Jefferson Davis bis ins ideologische Detail gleichend, beruhte die republikanische Diplomatie auf utopischen Vorstellungen. Zwischen den beiden Extremen seines exzeptionellen Amerikabildes schwankend, zog sich Jefferson einerseits von der Welt zurück und suchte jenen „meridian of partition through the ocean“ zu vertiefen, „which separates the two hemispheres“.188 Andererseits lag dem Embargo aber auch die unausgesprochene Annahme zu Grunde, mittels einer programmatischen Außenpolitik die Alte Welt am Beispiel der Neuen Welt ausrichten zu können. Daraus resultierte das ultimative Dilemma seiner Außenpolitik. Für Jefferson stand sein Wunsch, die Welt zu verändern, im Gegensatz zu dem Verlangen, nicht von der Welt korrumpiert zu werden.189 Erst Jeffersons Nachfolger im Weißen Haus, James Madison, zog die Konsequenzen aus dem katastrophal gescheiterten Embargo, ohne dass die Probleme bereinigt worden wären, die drei Jahre später zu einem erneuten Krieg gegen Großbritannien führen sollten.190 Weil jedoch die kulturellen Determinanten in der Sicht auf die Alte Welt tief im amerikanischen – und vor allem im südstaatlichen – Denken verwurzelt waren, zeigten sich die Diplomaten der Konföderation ein halbes Jahrhundert später schlechterdings unfähig, aus dem früheren Debakel die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen – und begingen den gleichen Fehler noch einmal. Bei allen Brüchen ist die Entwicklung der politischen Ideologie des Südens von der Frühen Republik bis hin zur späten Antebellum-Zeit von viel Kontinuität gekennzeichnet. Durch seine republikanische Anglophobie lieferte Jefferson gleichsam das Vokabular für die „Sprache der amerikanischen Souveränität“.191 Sein Hass auf England bildete in vielfältiger Hinsicht den Bezugspunkt zur Anglophobie späterer Generationen von Südstaatlern. Zwar wandelte sich die anglophobe Emphase mit der Genese des Pro Slavery Argument, als der Hass auf das monarchische England in den Hass auf das abolitionistische England überging. Dennoch darf Jefferson als wirkmächtiger Katalysator, wenn nicht sogar als geistiger Vater der südstaatlichen Anglophobie bezeichnet werden. 188 Jefferson an William Short, 04.08.1820, in: Koch / Peden (Hg.), Life and Selected Writings of Thomas Jefferson, 699–700, hier 699. 189 Vgl. so treffend Tucker / Hendrickson, Empire of Liberty, 247. 190 Jefferson betrachtete den Krieg von 1812 denn auch als logische Konsequenz seiner Embargopolitik und hoffte, dass die gewünschten Resultate nun durch den Waffengang eintreten würden. Vgl. Kaplan, Thomas Jefferson, 175. Für ein äußerst kritisches Urteil über die Bilanz des Embargos vgl. bereits Levy, Darker Side, 140; Robinson, Slavery in the Structure of American Politics, 273. Auch James Madison erachtete die Kriegsziele von 1812 als identisch mit jenen, die in den Jahren zuvor unter der Prämisse der Kriegsvermeidung von der amerikanischen Politik verfolgt worden waren. Zur besonderen Rolle Kanadas zur Sicherung des republikanischen ‚Freiheitsimperiums’ in Madisons Denken vgl. Stagg, Mr. Madison’s War, 3–48. 191 Onuf, Jefferson’s Empire: The Language of American Nationhood.
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John C. Calhoun (1782–1850)
3. DAS ENGLANDBILD ZWISCHEN AGGRESSIVITÄT UND ANGST: JOHN C. CALHOUN, HENRY CLAY, JOHN RANDOLPH UND DER KRIEG VON 1812 Zum Abschluss der Revolutionsära sahen sich die Sklavenhalter mit der Aufgabe konfrontiert, das geistige Erbe Thomas Jeffersons mit den sozialen Realitäten im Süden zu harmonisieren. Als der Baumwollboom die Rassensklave-
3. Das Englandbild zwischen Aggressivität und Angst
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Henry Clay (1777–1852)
rei im frühen 19. Jahrhundert wirtschaftlich stabilisierte und die Zweifel der Revolutionsgeneration zusehends dahinschwanden, gewann eine Denkschule die Oberhand, die ihren Freiheitsbegriff auf positive Weise mit der Sklaverei verband und damit an die dialektischen Grundlagen der Kolonialära anknüpfte. Kaum jemand hat diesen Transformationsprozess mit lauterer Stimme artikuliert als John Caldwell Calhoun aus South Carolina, der sich zeitlebens an der
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II. Politik und Kultur im Antebellum-Süden
John Randolph (1773–1833)
Schnittstelle zwischen intellektuellem und politischem Engagement bewegte. Während der vier Jahrzehnte von 1810 bis 1850, in denen er fast durchweg öffentliche Mandate hielt, mutierte er gleichsam zum Gesicht des Südens und wuchs immer mehr in die Rolle eines skeptischen Mahners hinein, der die Sklavenstaaten zur Wahrung ihrer Interessen in der Union aufrief (und am Ende seines Lebens mit düsterer Miene die Sezession prognostizierte192). Dabei hatte er seine Karriere als überzeugter Nationalist begonnen.193 1782 als Sprössling einer aufstrebenden Pflanzerfamilie iroschottischen Ur192 Vgl. Mason, Public Life and Diplomatic Correspondence, 72 f. 193 Der Begriff des „Nationalisten“ passt hier besser als jener des „Unionisten“, weil Cal-
3. Das Englandbild zwischen Aggressivität und Angst
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sprungs im südwestlichen Grenzgebiet South Carolinas geboren, eignete sich der junge Calhoun einen Bildungshunger an, der ihn relativ rasch aus dem rustikalen Umfeld seiner Frontier-Herkunft herauswachsen ließ.194 Die klassisch-humanistische und juristische Ausbildung, zu der er von seiner intellektuellen Neugier getrieben wurde, brachte ihn nicht nur mit dem alten KüstenEstablishment in Charleston in Berührung, sondern führte ihn 1802 auch für einige Jahre an die renommierten Bildungseinrichtungen Yale und Litchfield in Connecticut. Zwar blieb er als überzeugter Jeffersonian gegenüber dem Federalist-Milieu Neuenglands auf Distanz.195 Dennoch versah er die Zentralstaatsskepsis der Jefferson-Republikaner bereits damals mit einem Schuss jener nationalen Euphorie, wie sie die aufstrebenden Grenzpflanzer der Union entgegenzubringen pflegten. Die ersten Schritte seiner politischen Karriere unternahm Calhoun daher als „Madisonian Federalist“196 – eine Formulierung, in der eine mit Madison vergleichbare Partikularentwicklung bereits aufgehoben ist. Der frühe Calhoun artikulierte sein Nationalbekenntnis vor dem Hintergrund der internationalen Schwierigkeiten, welche die zweite Hälfte von Jeffersons Präsidentschaft so stark belasteten. Eine neuerliche Eskalationsstufe auf dem europäischen Kriegstheater einläutend, beantwortete die Regierung in London Napoleons Kontinentalsperre im November 1807 mit Maßnahmen zur Unterbindung des französischen Seehandels.197 Auch für den neutralen Schiffsverkehr ging von der führenden Seemacht Großbritannien die meiste
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houn damals durchaus Zentralisierungs- und Modernisierungsimpulse für die Union begrüßte. „Unionisten“ waren hingegen auch die Vertreter des States Rights-Lagers, welche die Union partikular akzentuiert sehen wollten. Calhouns spätere Wandlung vom Nationalisten zum States Rights-Doktrinär wird man nur dann angemessen erfassen können, wenn man seine „admixture of doctrinaire zeal with the most calculated self-interest“ in Rechnung stellt. Pessen, Jacksonian America, 182. Zu Calhoun vgl. die frühen und apologetischen Bände von Wiltse, Nationalist; ders., Nullifier; ders., Sectionalist. Vgl. ferner Coit, John C. Calhoun. Vgl. kritisch-revisionistisch Current, John C. Calhoun; Capers, John C. Calhoun. Vgl. um die Freilegung der Kontinuitäten in Calhouns Denken bemüht Niven, John C. Calhoun and the Price of Union. Vgl. hierzu allerdings tendenziell kritisch Ford, Toward a Divided Union, 349–353. Die neueste ausgewogene Biographie ist Bartlett, John C. Calhoun. Zu Calhouns politischer Theorie ist immer noch lesenswert Marmor, Career of John C. Calhoun. Vgl. des weiteren Spain, Political Theory of John C. Calhoun. Vgl. neueren Datums Brown, Calhoun’s Philosophy of Politics. Vgl. ferner mit historiographischer Würdigung Ford, Political Economy of John C. Calhoun. Vgl. im Überblick Bartlett, John C. Calhoun, 43–68. Vgl. Niven, John C. Calhoun and the Price of Union, 18 f. Obwohl sie alles in allem eine ertragreiche Zeit waren, vertiefte Calhoun in seinen Neuengland-Jahren auch die Südstaaten-Ressentiments gegenüber den „Yankees“. Vgl. etwa Calhoun an Andrew Pickens, Jr., 23.05.1803, in: Meriwether (Hg.), Papers of John C. Calhoun, Bd. 1, 9–10. Meriwether (Hg.), Papers of John C. Calhoun, Bd. 1, xxvi. Zur Kontinentalsperre vgl. Pope, Napoleonic Wars, 100, 148, 329; Ellis, Napoleon’s Continental Blockade, 1–27. Zur den Orders of Council vgl. Hill, Prizes of War, 45 ff.
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Gefahr aus.198 Bereits im Juni waren die Wellen der Empörung hochgeschlagen, nachdem die britische Fregatte Leopard das Handelschiff Chesapeake direkt vor der Küste Virginias aufgebracht und den Amerikanern einen Stich von „verletzter Ehre“199 zugefügt hatte. Unter der Federführung Calhouns trat am 3. August in Abbeville, South Carolina, eine Bürgerversammlung zusammen, um sich mit dem Vorfall zu befassen.200 Der junge Anwalt hatte für diesen Anlass eine scharfe Verurteilung der englischen Politik sowie eine Reihe von Resolutionen verfasst, die im erregten Klima der Debatte begeistert verabschiedet wurden. Das republikanische Ideal einer tugendhaften, starken und unverbrauchten Nation aufgreifend201, legte er dar: „Longer Silence […] would disgrace our character Abroad, and exhibit us a degenerate and pusillanimous people, instead of a nation glorying its independence, united by a common and enthusiastic patriotism.“202 Großbritannien manifestierte sich in Calhouns Worten als eine aggressive, rechtsverachtende und ehrverletzende Nation. Seine Anglophobie knüpfte sich an Assoziationen von imperial-zynischer Machtpolitik, die einen Frieden unter ehrenhaften Bedingungen immer weniger tragbar erscheinen ließ.203 Auch in späteren Jahren, als die Furcht vor England seinen sekti-
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Zu den ökonomischen Auswirkungen der Napoleonischen Kriege vgl. O’Rourke, Worldwide Economic Impact. Vgl. Gates, Napoleonic Wars, 156 f. Vgl. Temperley, Britain and America since Independence, 27 f. Zum Impressement als Kriegsgrund vgl. Hickey, War of 1812, 26, 44, 47; Horsman, Causes of the War of 1812, 58 ff., 260. Eine neuere Gesamtdarstellung liegt nicht vor. Vgl. jedoch Zimmerman, Impressement of American Seamen. Tucker / Reuter, Injured Honor. Vgl. die Bedeutung dieses öffentlichen Auftritts für Calhouns Karriereauftakt unterstreichend Coit, John C. Calhoun, 46 f. Calhouns republikanischer Tugendbegriff orientierte sich stark am Jeffersonschen Vorbild und regte explizit an, „the glorious expample of 76“ nachzuahmen. Resolutions on the Chesapeake-Leopard Affair, 03.08.1807, in: Meriwether (Hg.), Papers of John C. Calhoun, Bd. 1, 34–37, hier 36. Aus dieser Quelle entsprang auch das in seiner vierten Resolution dargelegte Bild einer tugendhaft-einfachen Union, die sich der importierten Konsumgüter entledigen und einen Handelskrieg mit Großbritannien zu gewinnen in der Lage sein würde. Damit bewegte sich Calhoun noch ganz auf der Linie der im gleichen Jahr verabschiedeten Embargo-Gesetzgebung Jeffersons. Weil das Embargo als kriegsvermeidende Maßnahme angelegt war und Calhoun den Krieg bis 1810 / 11 noch zu vermeiden hoffte, stimmte er dieser Politik zunächst zu. Unter dem Eindruck des Schadens für die Handelsinteressen South Carolinas und der fortgesetzten Repressionen Großbritanniens wurde er jedoch immer skeptischer; die Befürwortung des Krieges 1811 / 12 kam daher einer Abkehr von der Jeffersonschen Strategie gleich. Vgl. Brown, Republic in Peril, 49 f. Resolutions on the Chesapeake-Leopard Affair, 03.08.1807, in: Meriwether (Hg.), Papers of John C. Calhoun, Bd. 1, 34–37, hier 34 f. Zugespitzt findet sich diese Assoziation in Calhouns War Report für den Kongress von 1812. Vgl. Report on the Causes and Reasons for War, 03.06.1812, in: ebd., 109–125, hier 110: „The mad ambition, the lust for power, and commercial avarice of Great Brit-
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onalen Sorgen um die Sicherheit der Sklaverei entsprang, sollte er die Grundüberzeugung, das Verhalten Großbritanniens in der Welt sei dem Wesen nach machiavellistisch, nicht ablegen. Im Einklang mit der Unionseuphorie seiner frühen Karriere fixierte sich das anglophobe Denken Calhouns auf die Verletzung der nationalen Ehre, wie er sie durch illegale Durchsuchungen, Beschlagnahmungen und Verhaftungen der britischen Marine gegeben sah. Die regionale Prominenz, die ihm aus dem Auftritt in Abbeville erwachsen war, verhalf ihm kurze Zeit später zu einem Sitz in der Staatenlegislative. Weil er mit seinen Standpunkten bei den – von Jeffersons Embargo geplagten – Pflanzern und Kaufleuten South Carolinas auf Zustimmung stieß, wurde er 1810 in den Washingtoner Kongress gewählt. Sozial abgesichert durch eine günstige Heirat, die ihn in die Familiennetzwerke der alten Küstenregion einführte, nahm er im November 1811 seinen Sitz im Repräsentantenhaus ein und begann damit eine Karriere in der Bundespolitik, die mit kurzen Unterbrechungen fast vierzig Jahre andauern sollte. Die Schlüsselposition im Zwölften Kongress wurden von Henry Clay204, dem vierunddreißigjährigen Speaker of the House, mit nationalistisch orientierten Abgeordneten aus den westlichen Staaten der Union besetzt, wobei South Carolina einen Einfluss erlangte, der dem relativ marginalen Gewicht des Staates kaum angemessen war.205 In Calhoun, der den zweithöchsten Sitz im Ausschuss für Auswärtige Beziehungen erhielt, fand der aufstrebende Politiker aus Kentucky einen Bundesgenossen für den Kreis der War Hawks, einer bellizistischen Gruppe von jungen Abgeordneten des Südens und des Westens, die durch die Wahlen von 1810 in den Kongress gelangt waren.206 Clay verknüpfte seine Anglophobie vorzugsweise mit einer Kritik an den ökonomischen Defiziten der Union: „The truth is, and it is in vain to disguise ain, arrogating to herself the complete dominion of the Oceans, and exercising over it an unbound and lawless tyranny, have left to Neutral Nations – an alternative only, between the base surrender of their rights, and a manly vindication of them.“ 204 Zu Henry Clay, der als einer der wichtigsten amerikanischen Politiker der AntebellumZeit bezeichnet werden kann, vgl. Remini, Henry Clay. Sein politisches Denken untersucht Shankman, Compromise and Constitution. Den Verfechter ökonomischer Modernisierung interpretiert Harry Watson als Gegenpol zur Symbolfigur des demokratischen Wandels, Andrew Jackson. Vgl. Watson, Democracy and Development. Zu Clays Nationalverständnis und der Rolle des American System vgl. Baxter, Henry Clay and the American System. 205 Drei der acht Kongressabgeordneten aus South Carolina führten den Vorsitz über wichtige Ausschüsse des Repräsentantenhauses oder bezogen dort zumindest wichtige Positionen. Dies lässt sich als Indiz für die Rolle deuten, die der Palmetto State bei der nationalen Euphorie im Vorfeld des Krieges von 1812 spielte. Vgl. Niven, John C. Calhoun and the Price of Union, 36; Bartlett, John C. Calhoun, 71. 206 Vgl. in diesem Zusammenhang überspitzt von „Clay’s War“ sprechend Zuehlke, For Honor’s Sake, 11–65. Zu den War Hawks als organisierter Gruppe vgl. ebd., 65–83; Horsman, Causes of the War of 1812, 217–237.
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it, that we are sort of independent colonies of England – politically free, commercially slaves.“207 Seine Kongressreden verfehlten ihre Wirkung vor allem deshalb nicht, weil sie die Forderung nach innerer Modernisierung mit Fragen der äußeren Ehre in Beziehung setzten: „[I]s the time never to arrive when we may manage our own affairs without the fear of insulting his British majesty? Is the rod of British power to be forever suspended over our heads?“208 Mit solchen englandfeindlichen Appellen, die gleichsam eine Vollendung der Unabhängigkeit einforderten, erlangte Clay landesweite Prominenz, die seine Herkunft – immerhin war er Pflanzer und Sklavenhalter – in einer Neudefinition der amerikanischen Nationalität aufgehen ließ. Obwohl sorgsam auf die Schonung der südstaatlichen Agrarinteressen bedacht, begründete er die Forderung nach Ausbau der verarbeitenden Industrie mit der ehrverletzenden Anhängigkeit von englischen Importen.209 Bei seiner Arbeit im Auswärtigen Ausschuss knüpfte John C. Calhoun an diese Ehr- und Unabhängigkeitsmotive explizit an. Der in weiten Teilen aus seiner Feder geflossene Report on Relations with Great Britain vom 29. November 1811 verteilte den Zorn über die Handelsrepressionen zwar zunächst noch gleichgewichtig auf Frankreich und Großbritannien, richtete sich dann aber ganz gegen die vermeintliche Perfidie der Engländer.210 Es fällt auf, dass Calhoun sein Plädoyer für einen Eskalationskurs weniger mit den ökonomischen Verwerfungen als vielmehr mit klassischen Ehrargumenten begründete: „To wrongs, so daring in character, and so disgraceful in their execution, it is impossible that the people of the United States should remain indifferent. We must now tamely & quietly submit, or, we must resist.“211 Obwohl sich die Kritik an dem Krieg, den Calhoun und die anderen Falken in der harten Sprache der Ehre herbeiredeten, vor allem in den Neuenglandstaaten massierte212, war es doch ein Südstaatler aus Virginia, der den 207 Speech on the Tariff, 26.04.1820, in: Hopkins (Hg.), Papers of Henry Clay, Bd. 2, 826– 847, hier 828. Dieses Zitat von 1820 bezieht sich allerdings nicht auf die Vorkriegsdebatte, sondern auf eine aktive Zollpolitik zur Entwicklung der heimischen Industrie. 208 Annals of Congress, 11th Congress 3rd Session, 23.12.1810, 63. 209 Vgl. ebd., 11th Congress 2nd Session, 26.03.1810, 628 f. 210 Vgl. Report on the Foreign Relations with Great Britain, 29.11.1811, in: Meriwether (Hg.), Papers of John. C. Calhoun, Bd. 1, 63–71, hier 65. 211 Ebd., 67. Der Fokus auf die moralisch-ethische Dimension der Kriegsgründe blieb in Calhouns öffentlichen Reden stets zentral. Vgl. Speech on the Albany Petition for the Repeal of the Embargo, 06.05.1812, in: ebd., 102–108, hier 107; Report on the Causes and Reasons for War, 03.06.1812, in: ebd., 109–125. Obwohl sie politisch klug eingesetzt wurden, besaßen die Ehrmotive bei Calhoun keinen rein instrumentalen Charakter, sondern waren ein authentisches Antriebsmoment. Vgl. Calhoun an James Macbride, 16.12.1812, in: Meriwether (Hg.), Papers of John C. Calhoun, Bd. 1, 90–91. Vgl. ferner Brown, Republic in Peril, 50. 212 Zur Opposition gegen den Krieg vgl. jetzt Buel, America on the Brink.
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Widerstand am schillerndsten artikulierte: John Randolph von Roanoke.213 Randolph, exzentrischer Sprecher einer „verfallenden Aristokratie“214, die gedanklich noch im 18. Jahrhundert wurzelte, stand für eine radikal-partikularistische Auslegung der republikanischen Ideologie, die durch Jeffersons Präsidentschaft in den Nationalismus der Epoche überführt worden war. 1806 mit der Parteilinie brechend, hatte Randolph eine – von Anfang an nicht sonderlich zahlreiche – Splittergruppe von Vertretern des alten Ostküstensüdens um sich gesammelt, die unter dem Namen Old Republicans eine enge Verfassungsauslegung vertraten und jeder Form der Zentralisierung oder Modernisierung feindselig begegneten.215 Im Falle Randolphs verband sich die utopische Sehnsucht nach einer Restauration der Gründerunion mit einer kulturell fundierten Anglophilie, die auch so sehr in die Sphäre der Politik überging, dass sie selbst von einem seiner jungen Sympathisanten aus Virginia als „politischer Götzendienst“216 bezeichnete wurde. Als Minderheitenmitglied des Auswärtigen Ausschusses in einer direkten Konkurrenzsituation zu Calhoun, unterzog er den Report on Relations with Great Britain am 10. Dezember 1811 im Repräsentantenhaus einer scharfzüngigen Generalabrechnung. Die Motive der anti-föderalistischen Machtkritik aufgreifend, deklarierte er den aufziehenden Konflikt als „a war not of defense, but of conquest, of aggrandizement, of ambition; a war foreign to the interest of this country, to the interest of humanity itself“.217
213 Randolph, der aus dem innen- und außenpolitischen Klima der frühen Republik als Anachronismus herausstach, fällt mit Blick auf die späteren Identitätskrisen des Südens in der Antebellum-Zeit eine symbolische Bedeutung zu: „In the end, John Randolph, was that rare figure whose voice survives to tell a tale of loss and defeat. Randolph was behind his times in his views but ahead in his understanding of what the consequences of what outmoded them would be.“ Dawidoff, Art. „John Randolph“, in: ANB, Bd. 13, 131. Vgl. auch ders., Education of John Randolph. Zu Randolph liegt keine neuere Biographie vor. Vgl. klassisch Adams, John Randolph of Roanoke; Bruce, John Randolph of Roanoke, 2 Bde. Vgl. unverhüllt sympathisch Kirk, John Randolph of Roanoke; ders., Foreword, in: Shorey (Hg.), Collected Letters, xi-xix. 214 Sellers, Market Revolution, 118. 215 Obwohl von Beginn an eine relativ einflusslose Minderheit im Kongress, waren die Old Republicans doch ein typisches Produkt des alten kolonialen Ostküstensüdens und spiegelten seine Identitätsprobleme in der Republik wider, die er selbst mit in die Welt gesetzt hatte. Vgl. grundsätzlich Risjord, Old Republicans, sowie Sharp, American Politics in the Early Republic, 283; Cooper, Jr., Liberty and Slavery, 106–113. 216 William Cabell Rives, Reisebericht aus Washington, 03.01.1817, in: William Cabell Rives Biography, William Cabell Rives Papers, LC, Box 103, 51. Indes war es gerade William C. Rives, der den Randolph-Strang des südstaatlichen Englandbildes als „anglophiler Republikaner“ später am sichtbarsten vertrat. Vgl. u. 96–100. 217 Annals of Congress, 12th Congress 1st Session, 10.12.1811, 441. In der Tat lag den Kriegsplänen der westlichen War Hawks auch ein expansionistischer Impuls zu Grunde. Weil Großbritannien und Spanien in den europäischen Kriegswirren verfangen waren, so kalkulierten sie, bot sich eine einmalig günstige Gelegenheit, Florida und Kanada
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In einer für die Ohren der meisten Südstaatler inakzeptablen Offenheit behauptete Randolph, die jakobinischen Exzesse der Französischen Revolution hätten die Gedanken der amerikanischen Sklaven „verschmutzt“ und den Süden in einen Zustand allgemeiner Unsicherheit geworfen.218 Zur Durchsetzung ihres Herrschaftsanspruches seien die Sklavenhalter nun gezwungen, auf die nackte Macht der Unterdrückung zu vertrauen. Jede äußere Erschütterung vermochte dieses fragile Gebilde zum Einsturz zu bringen: „God forbid, sir, that the Southern States should ever see an enemy on their shores, with these infernal principle of French fraternity in the van!“219 Indem er den Finger so schmerzhaft in die Wunde der südstaatlichen Unsicherheit legte, verfing sich Randolph in dem Widerspruch, dass er den Gegner in dem zu erwartenden Krieg, nämlich Großbritannien, gar nicht als Träger der gefährlichen Gleichheitsideen ausmachte, sondern zum Protagonisten von Ordnung, Weitsicht und Tugendhaftigkeit stilisierte. Dieser rückwärtsgewandte Ostküsten-Gentleman assoziierte England vornehmlich in primordialen Kategorien, mittels derer er zum Ausdruck brachte, was die Union seiner Ansicht nach sein sollte, aber nicht mehr war. Durch die anglophobe Außenpolitik der gleichermaßen nationalistischen wie modernisierungsfreudigen War Hawks sah er einen verhängnisvollen Trend bestätigt: With chiefs of banditti […], we can treat and can trade. Name, however, but England, and all our antipathies are up in arms against her. Against whom? Against those whose blood run in our veins; in common with whom we claim Shakespeare, and Newton, and Chatham, for our countrymen; whose form of government is the freest on earth, our own only expected, from whom every valuable principle of our own institutions is borrowed, […] – against our fellow Protestants identified in blood, in language, in religion with ourselves.220
In Abwandlung des säkularen, exzeptionalistischen und anglophoben Nationalitätsverständnisses der Jefferson-Republikaner definierte Randolph sein Amerikabild über die kulturell-geistigen Traditionen Englands. Den außenpolitischen Affinitäten Jeffersons fundamental widersprechend, knüpfte er die Sympathie für England an die Abscheu gegenüber Frankreich (vor allem gegen die Französische Revolution). Die Verwerfungen auf dem europäischen Kontinent gaben ihm ein Instrument an die Hand, England als eine Insel der Freiheit im Meer der napoleonischen Tyrannei zu glorifizieren. Die härtesten Vokabeln der republikanischen Machtkritik von England auf Frankreich übertragend, verortete er die Entscheidung über Krieg oder Frieden auf einer ethischen Ebene, die nur die Option einer englandfreundlichen Außenpolitik offen ließ, wollte die Union ihre inneren Tugendideale dem Unionsterritorium hinzuzufügen. Vgl. mit Blick auf das östliche Spanisch-Florida Cusick, Other War of 1812. 218 Annals of Congress, 12th Congress 1st Session, 10.12.1811, 450 f. 219 Ebd., 452. 220 Ebd.
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nicht korrumpieren. Mit Napoleon, der für ihn am Ende einer langen Reihe von „Übeltätern der menschlichen Rasse“ stand, dürften sich die Amerikaner nicht gemein machen. Umso empörter stellte er daher die Frage in den Raum: „[A]re we not in point of fact about to become a party to his views, a partner in his wars?“221 Randolphs schillernder Auftritt bot seinem Hauptgegner im Auswärtigen Ausschuss, John C. Calhoun, die Gelegenheit, die Argumente der Kriegsbefürworter zu bündeln und aggressiv zu verteidigen. Zwei Tage später, am 12. Dezember 1811, trug er dem Haus eine Replik vor, die der Angst, wie sie aus Randolphs Rede herauszulesen gewesen war, die ganze Aggressivität der südstaatlichen Kriegsfalken entgegenschleuderte.222 Wo Randolph über sein positives Englandbild auch eine tiefsitzende Sorge um die innere Stabilität der Sklavenhaltergesellschaft artikuliert hatte, gab sich Calhoun alle Mühe, seine Anglophobie mit Assoziationen eines stolzen und selbstbewussten Südens zu verbinden. In vielerlei Hinsicht an seine früheren Erklärungen anknüpfend, bediente sich der South Carolina-Abgeordnete dafür einer kompromisslos-harten Sprache. Mit ausnehmender Schärfe stellte er die Einwände Randolphs als kleinmütig, unpatriotisch und letztlich auch unehrenhaft bloß: „If the gentleman desires to repress the gallant ardor of our countrymen by such topics; let me inform him, that true courage regards only the cause, that it is just an necessary; and that it despises the pain and danger of war.“223 Das Ehrverständnis, wie Calhoun es aus seinem südstaatlichen Kulturhorizont auf den Bezugrahmen der Nation übertrug, verlangte nach Selbstbestätigung und brachte für die kriegsvermeidende Passivitätsdoktrin der Republikaner kein Verständnis mehr auf: „By this system, if you receive a blow on the breast, you dare not to return it on the head.“224 Um den Krieg als Frage der Ehre zu etablieren und damit alternativlos erscheinen zu lassen, verwendete er eine Fülle von anglophoben Assoziati221 Ebd. 222 Calhoun und Randolph hatten ihre Argumente im engeren Rahmen des Ausschusses bereits ausgetauscht, so dass der South Carolina-Politiker seine Verteidigung des Foreign Relations Report auf Randolphs Invektiven hin abstimmen konnte. Vgl. Niven, John C. Calhoun and the Price of Union, 37. Vgl. auf die kalkulierte Strategie für die Abrechnung mit Randolphs Anti-Kriegskurs hinweisend Coit, John C. Calhoun, 76. Vgl. Calhouns Replik auf Randolph als „effective counter-irritant“ bezeichnend Bruce, John Randolph, 379. 223 Speech on the Report of the Foreign Relation Committee, 12.12.1811, in: Meriwether (Hg.), Papers of John C. Calhoun, Bd. 1, 75–86, hier 80. 224 Ebd., 82: Calhoun bezog sich hier auf die Vorwürfe Randolphs, der von den War Hawks angestrebte Waffengang entspringe anti-republikanischen Eroberungsgelüsten, vor allem mit Blick auf Kanada. Indem er den Standpunkt bezog, die unerträglichen Ehrverletzungen Großbritanniens rechtfertigten eine kräftige Antwort, versuchte er freilich, den Krieg als eine im republikanischen Sinne legitime Selbstverteidigung darzustellen. Calhorns Kriegsverständis war unauflöslich mit der Ehrkultur verbunden. Später wurde dies noch durch sektionale Erwägungen ergänzt. Vgl. u. 187 f.
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onen. Die kulturelle Anglophilie John Randolphs hatte daher dem Bild vom imperial-aggressiven England zu weichen, das die Amerikaner einmal mehr auf einen Kolonialstatus herabzuwürdigen drohte: „That gentleman is at a loss to account for, what he calls, our hatred to England. He asks how can we hate the country of Locke, of Newton, Hampden and Chatman; a country having the same language and customs with ourselves, and descending from a common ancestry.“ Die Verlusterfahrung der Revolutionsgeneration aufgreifend, die sich von der Nation losgesagt hatte, über die sie ihre kulturelle Identität definierte, drehte Calhoun dieses Argument jedoch einfach um: „If we have so much to attach us to that country, powerful indeed must be the cause which has overpowered it.“225 Sämtliche politischen, kulturellen und ethischen Einwände gegen den Krieg wehrte er also mit einer keinen Widerspruch duldenden Ehrstrategie ab. Im aggressivsten Teil seiner Rede konzentrierte er sich freilich nicht auf den auswärtigen Gegner, sondern war bemüht, die innere Angstvision einer im Rassenkrieg versinkenden Sklavenhaltergesellschaft zu entkräften. In einer Wortwahl, die Randolph spüren ließ, dass er eine Grenze des Sagbaren überschritten hatte, schilderte er die Südstaaten, allen voran South Carolina, als geordnete und gefestigte Gemeinschaft, die keine Erschütterungen von innen oder außen zu fürchten brauchte. Im Einklang mit seiner rassisch fundierten Weltsicht stellte er in Abrede, dass sich die Sklaven des Südens jemals mit dem Freiheitsgedanken infizieren würden: „[H]owever the Gentleman may frighten himself with the disorganizing effects of French principles, I cannot think our ignorant blacks have felt much of their baneful influence. I dare say more than one half of them never heard of the French Revolution.“226 In einer Pose der Aggressivität, die sich in negativen Englandbildern verbiss und als Gegenbild zur Randolphschen Angstvision diente, trieben Calhoun und die War Hawks die Regierung zu einer Entscheidung. Das Scheitern der Jeffersonschen Embargopolitik besiegelnd, präsentierte Präsident James Madison dem Kongress am 1. Juni 1812 eine Auflistung der wichtigsten Kriegsgründe227, woraufhin Repräsentantenhaus und Senat umgehend für einen Waffengang votierten.228 Unzureichend gerüstet und planlos agierend, lieferte die Union in diesem Krieg allerdings keineswegs die ehrenhafte Vorstel-
225 Speech on the Report of the Foreign Relations Committee, 12.12.1811, in: Meriwether (Hg.), Papers of John C. Calhoun, Bd. 1, 75–86, hier 84. 226 Ebd., 81. 227 Vgl. James Madison an den Kongress, 01.06.1812, in: Stagg u.a. (Hg.), Papers of James Madison, Presidential Series, Bd. 4, 432–439. 228 Vgl. Bill to Declare War on Great Britain, 03.06.1812, in: Meriwether (Hg.), Papers of John C. Calhoun, Bd. 1, 125–126.
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lung ab, die Calhoun so inbrünstig vorausgesagt hatte (freilich gingen die Ängste Randolphs ebenso wenig in Erfüllung).229 Im Anschluss an diese ernüchternde Erfahrung blieb Calhoun zunächst auf nationalistischem Kurs230 und forderte im Einklang mit Henry Clay eine forcierte Binnenlanderschließung, um die durch den Waffengang sichtbar gewordenen Defizite zu beseitigen.231 35 Jahre später, als er in der OregonKrise in der Sprache der Furcht für den Frieden mit England plädierte und sich gegen den Krieg mit Mexiko auflehnte, hatten sich die Parameter seines Denkens beinahe vollständig gedreht.232 Die Aggressivität des Kriegsfalken war der Angst vor einer konsolidierten, sklavereifeindlichen Union gewichen, die in vielerlei Hinsicht an die frühen Prophezeiungen seines alten Widersachers, der Friedenstaube John Randolph, erinnert. Dieser Wandel des John C. Calhoun spiegelt den Weg in die Krise wider, den der Süden als solcher während der Antebellum-Zeit beschritt.
229 Zur Militärgeschichte vgl. Mahon, War of 1812; Caffrey, Twilight’s Last Gleaming. Vgl. politische und militärische Zusammenhänge verdeutlichend Hickey, War of 1812; Stagg, Mr. Madison’s War. Vgl. jetzt stark auf das Ehrmotiv abhebend und mit Fokus auf die Genfer Friedensverhandlungen Zuehlke, For Honor’s Sake. Die ältere Deutung von Reginald Horsman gewichtet stärker ökonomische Hintergründe und deutet den Kriegsausbruch als Reaktion der Amerikaner auf die europäischen Verwerfungen. Vgl. Horsman, Causes of the War of 1812, 263 ff. 230 Übereinstimmend mit der zeitgenössischen Rezeption deutete Calhoun den Krieg nach Friedensschluss als positiven Bestandteil der nationalen Entwicklung Amerikas: „[T]he late war has given […] a mode of feeling and thinking which forbids the acknowledgement of national inferiority, the first of political evil. Had we not encountered Great Britain, we should not have had the brilliant points to rest on which we have.“ Speech on the Revenue Bill, 31.01.1816, in: Meriwether (Hg.), Papers of John C. Calhoun, Bd. 1, 316–331, hier 322. Zugleich galt ihm Großbritannien nach wie vor als Hauptgegner der amerikanischen Berufung zur Größe. Vgl. ebd., 321. Vgl. hierzu auch Wilson (Hg.), Essential Calhoun, 157. 231 Vgl. dazu besonders Speech on Internal Improvements, 04.02.1817, in: Meriwether (Hg.), Papers of John C. Calhoun, Bd. 1, 398–409. In diesem Zusammenhang prägte Calhoun den oft zitierten Satz: „Let us then […] bind the Republic together with a perfect system of roads and canals. Let us conquer space.“ Ebd., 401. Zu Calhouns nationalistischer Phase und der Kooperation mit Clay vgl. Peterson, Great Triumvirate, 79 f. Vgl. immer noch am ausführlichsten, aufgrund der apologetischen Grundtendenz aber nur eingeschränkt nützlich Wiltse, Nationalist. 232 Vgl. u. 187 f.
III. DER SÜDEN, DIE ATLANTISCHE WELT UND DER NIEDERGANG DER UNION, 1820 BIS 1860 1. PRÄGUNGEN: VIRGINIA Obwohl Virginia maßgeblich an der Unabhängigkeit mitgewirkt hatte und nach 1800 noch dreimal hintereinander den Präsidenten stellte, zerbrach genau in dieser Zeit das sozioökonomische Fundament seines Führungsanspruchs. Die sogenannte Marktrevolution – bestehend aus Bevölkerungswachstum, Infrastrukturausbau und Kommerzialisierung – lief am oberen Atlantiksüden weitgehend vorbei.1 Seit Jahrhunderten an die Monokultur ihrer Tabakwirtschaft gewöhnt, taten sich Virginias Pflanzer schwer, die erschöpften Böden für den Weizenanbau fruchtbar zu machen.2 Vom Baumwollboom im Südwesten profitierten sie kaum.3 Die in der Vorstellungswelt des 18. Jahrhunderts verfangene Pflanzerelite rutschte in eine Sinnkrise und rieb sich zwischen den verschiedenen Entwicklungsströmen im übrigen Süden auf: In der nördlichen Chesapeake, in Maryland, reformierte sich die Gesellschaft und lockerte ihre Bande an die Sklaverei. Weiter südlich hingegen, in South Carolina und Georgia, prägte der Menschenbesitz die Sozialvorstellungen einer Großpflanzerschicht, die ihr Demokratieverständnis auf weißer Rassensolidarität begründete.4 In Virginia glichen sich beide Extreme mehr oder minder spannungsreich gegeneinander aus: 1829 / 30 verteidigte die Ostküstenoligarchie auf einem 1
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Zur market revolution vgl. umfassend Sellers, Market Revolution. Vgl. ferner konzise auch Heideking, Geschichte der USA, 111–134. Zur wirtschaftlichen Transformation Nordamerikas bis 1830 vgl. ferner in globaler Perspektive Bayly, Birth of the Modern World, 115 f. Vgl. klassisch auch North, Economic Growth of the United States. Zur Dominanz des Tabakanbaus in der Kolonialzeit vgl. o. 31. Vgl. den sozioökonomischen Überblick bei Shanks, Secession Movement in Virginia, 1–18, bes. 11. In der Forschung hat sich für die Beschreibung dieses Phänomens die Vokabel Herrenvolk democracy durchgesetzt, über deren analytisch-semantische Präzision allerdings gestritten werden kann. Geprägt wurde der Begriff von dem Soziologen und Rassismusforscher Pierre L. van den Berghe. „Herrenvolk democracies“ sind demnach „regimes […] that are democratic for the master race but tyrannical for the subordinate groups“. Van den Berghe, Race and Racism, 18. Vgl. auch ders., South Africa. A Study in Conflict. Zur Dialektik zwischen Herrschaftsbewahrung, kontrollierter Egalisierung und Rassensklaverei vgl. Freehling, Road to Disunion I, 39–59, bes. 42: „Neighbourhoods of white folk, committed to treating each other as equals, were equally committed to keeping black folks unequal.“ Vgl. aus marxistischer Perspektive Ashworth, Slavery, Capitalism, and Politics, 216–228.
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III. Der Süden, die atlantische Welt und der Niedergang der Union
Reformkonvent weite Teile ihrer Privilegien gegen die unterrepräsentierten Westbezirke.5 Ein kurz darauf abgehaltenes Votum über die graduelle Abschaffung der Sklaverei verfehlte allerdings knapp eine Mehrheit, obwohl der Staat noch unter der kollektiven Schockwirkung von Nat Turners Sklavenaufstand stand.6 Aufs Ganze gesehen haderte Virginia in der Antebellum-Zeit also stark mit sich selbst. Schmerzhafter und ambivalenter als im Tiefen Süden gestaltete sich auch das Verhältnis des Old Dominion zur amerikanischen Nationalität. Während Jeffersons Zöglinge Madison und Monroe im Weißen Haus regierten, unternahmen die Erben der Dynasty-Politiker ihre ersten politischen Gehversuche. Zwei ihrer bedeutsamsten Vertreter, William Cabell Rives und Andrew Stevenson, sollten in den nächsten Jahrzehnten die Bundespolitik aus diversen Positionen heraus beeinflussen. Ihren Aufstieg absolvierten sie inmitten einer landesweiten Politisierungsphase, die aus den Kernbeständen der alten Republikanischen Partei das so genannte „zweite Parteiensystem“ hervorbrachte.7 Als eigentliche Träger des egalitären Jefferson-Erbes scharten sich die Demokraten um Andrew Jackson und sicherten ihm den Triumph bei der Präsidentschaftswahl von 1829. In Reaktion auf die rabiate Politik von King Andrew schloss sich daraufhin eine heterogene, von national-konservativen Strömungen durchzogene Whig-Opposition gegen seine Präsidentschaft zusammen.8
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Zu den Verfassungsdebatten in Virginia 1829 / 30 vgl. Sutton, Constitution Making in the Old Dominion, 72–103. Vgl. den Reformkompromiss als Sieg der konservativen Küstenelite deutend Young, Defender of the Old South, 11. Vgl. ähnlich Shade, Democratizing the Old Dominion, 65–77, bes. 76. Vgl. ferner Freehling, Road to Disunion I, 162–177. Zur Sklavenrebellion Nat Turners in Virginias Southampton County vom August 1831 vgl. klassisch Aptheker, American Negro Slave Revolts, 293–325; Greenberg (Hg.), Nat Turner. Vgl. darin zur sektionalen und politischen Dimension Masur, Nat Turner and the Sectional Crisis, 148–162. Zur anschließenden Emanzipationsdebatte vgl. Freehling, Drift towards Dissolution. Vgl. dazu klassisch Schlesinger, Age of Jackson. Eine große und anschaulich geschriebene Politik- und Parteiengeschichte Amerikas in der Antebellum-Zeit, die in der parteipolitischen Demokratisierung das bestimmende Moment der historischen Entwicklung sieht, liegt jetzt vor mit Wilentz, Rise of American Democracy. Vgl. Kohl, The Politics of Individualism. Parties and the American Character in the Jacksonian Era. Vgl. ebenfalls Watson, Liberty and Power. Zur Formation und Entwicklung des „zweiten“ Zweiparteiensystems nach 1829 vgl. klassisch MacCormick, Second Party System, hierin zu Virginia bes. 178–199. Vgl. vor allem die Zeit nach 1838 als distinkte Phase der Politisierung wertend Silbey, American Political Nation. Zur demokratischen Partei vgl. kompakt Holt, Democratic Party. Wichtige Arbeiten zu der sich als heterogenes Sammelbecken gegen Andrew Jackson konstituierten Whig-Partei sind Howe, Political Culture of the American Whigs; Holt, Rise and Fall of the American Whig Party.
1. Prägungen: Virginia
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Rives und Stevenson reflektierten durch ihre Erfahrungen auf diplomatischen Posten die inneren Probleme der Vereinigten Staaten, definierten ihre sektionale Loyalität und prüften ihr Unionsbekenntnis. Um zu verstehen, wie sich ihre politischen Positionen und die Eindrücke von der Alten Welt wechselseitig beeinflussten, müssen zunächst die Anfänge ihrer Karrieren untersucht werden, die sich durch eine Dialektik zwischen regionaler Prägung und nationaler Fixierung auszeichneten.
Regionale Prägung und nationale Fixierung: William Cabell Rives und Andrew Stevenson Kaum eine südstaatliche Biographie ist so nachhaltig mit den Verwerfungen der Antebellum-Zeit verbunden wie jene von William Cabell Rives. Geboren im Jahre 1793 in Virginia und 1868 ebendort gestorben, gehörte er einer nachgerade tragisch zu nennenden Generation an, die noch in der frühen Republik politisch sozialisiert worden war, um im Bürgerkrieg die Pfeiler ihres Nationalverständnisses einstürzen zu sehen. Zeitlebens seiner Heimat eng verbunden, praktizierte Rives ein Credo, das er im Jahre 1828 einem Zeitgenossen mit auf den Weg gegeben hatte, der sich zur Auswanderung nach Missouri anschickte: „Plant yourself, then, where you are, strike your roots as deep as & stretch them as wide as you can, & draw sentiment & support from all the sympathies, personal, political & professional, with which you are surrounded.“9 Rives’ Loyalität gegenüber dem Old Dominion enthielt aber wenig von der selbstbezogenen Provinzialität, die sich bei anderen Südstaatenpolitikern seiner Zeit antreffen lässt. Im Laufe einer langen, windungsreichen Karriere wuchs dieses Leben aus den Bezügen Virginias heraus und wurde ergänzt – nicht ersetzt – durch Akzente auf der nationalen und der internationalen Bühne. Trotz (oder gerade wegen) seiner Berührungen mit der europäischen Moderne war sein Denken vom nostalgischen Blick zurück geprägt. Dass es so entrückt und melancholisch anmutet, erklärt sich aus dem Einfluss seiner Vorbilder, deren Ideale mit dem Wandel der Zeit ebenfalls kaum Schritt zu halten vermochten: Thomas Jefferson und vor allem James Madison.10
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Rives an T. W. Gilmer, 22.04.1828, Letters of William Cabell Rives, 1828–1829, in: Tyler’s Quarterly Historical and Genealogical Magazine 6 (1924–25), 6–10, hier 10 (Hervorhebung im Original). 10 Der Einfluss von Madison auf Rives wird intensiv erörtert bei McCoy, Last of the Fathers, 323–371. Da eine Biographie nicht vorliegt, bietet das Rives-Kapitel in Drew McCoys Madison-Studie nach wie vor die beste Analyse seines Denkens. Über das politische Wirken hinaus ist Rives als erster Madison-Biograph hervorgetreten. Vgl. Rives, Life and Times of James Madison.
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William Cabell Rives (1793–1868)
In Berührung mit den politischen Streitfragen geriet Rives während der Studienjahre am College of William and Mary, damals ein Hort des Republikanismus und der States Rights-Lehre.11 Nach seinem Abschluss und dem Militärdienst im Krieg von 1812 begab er sich in die Obhut Thomas Jeffersons, um als Jurist zu praktizieren. 11
Vgl. Jordan, Political Leadership in Jefferson’s Virginia, 45. Zu den politischen Debatten im Umfeld des Colleges vgl. ausführlich Novak, Rights of Youth, 96–106.
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Andrew Stevenson (1784–1857)
Rives sollte die Hoffnungen, die Jefferson in seine Zukunft investierte12, nicht enttäuschen. Durch die Heirat mit Judith Page Walker im Jahre 1819 erwarb er Castle Hill, die Familienplantage der Walkers in der Nachbarschaft 12 Vgl. Jefferson an John Langdon, 17.05.1814, William Cabell Rives Papers, LC, Box 109. Vgl. auch Jefferson an John Adams, 18.05.1814, in: Cappon, Adams-Jefferson Letters, 430.
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von Charlottesville mit fast einhundert Sklaven. Verbunden mit einigen der führenden Pflanzerfamilien des Old Dominion und abgesichert durch seine wirtschaftliche Unabhängigkeit, blickte Rives zudem auf einen respektablen englischen Familienhorizont zurück.13 Nach kurzer Lehrzeit im Virginia House of Delegates gelang dem kaum Dreißigjährigen die Wahl ins Repräsentantenhaus und somit der Sprung in die Bundespolitik. William Cabell Rives und Andrew Stevenson wurden im gleichen Umfeld sozialisiert. Wie Rives erhielt Stevenson, 1785 als Sohn eines Predigers englisch-schottischer Abstammung in Culpeper County geboren, seine politische Prägung am College of William and Mary; ebenso wie Rives absolvierte er seine Lehrjahre im House of Delegates und kämpfte als Artilleriemajor im Krieg von 1812.14 Auch Stevenson erschloss sich den Zugang zu den gehobenen Familien Virginias über eine günstige Heirat. Sarah Coles, die er 1816 vier Jahre nach dem Tode seiner ersten Frau ehelichte, entstammte der Coles-Familie von Green Mountain in Albermale County, wo ihr Vater John Coles Kontakte zu prominenten Persönlichkeiten wie Jefferson, Madison und Monroe pflegte. Sarahs Bruder Edward Coles gehörte zu dem Zirkel von designierten Nachfolgern der Dynasty-Politiker, die Madison auf seiner Plantage Montpellier regelmäßige Besuche abstatteten und unter dem Einfluss des Altpräsidenten ihre republikanischen Ideen formten. Obwohl auch Stevenson die Nähe dieser Symbolfigur suchte, zog er aus dem Umgang mit dem „letzten der Väter“15 andere Konsequenzen. Während Rives unter dem Einfluss Madisons später den Schwenk vom States Rights-Doktrinär zum moderaten Unionisten vollzog, verblieb bei Stevenson von Beginn an ein skeptischeres Verhältnis zur amerikanischen Nationalität.16 13 Väterlicherseits entstammte Rives der Ryves-Familie aus Blandford in Dorsetshire, einer loyalistischen Trutzburg in der Zeit der Englischen Bürgerkriege. Vgl. Lewis, Topographical Dictionary of England, 170. Seine Mutter war die Tochter von William Cabell, dessen Vater dem englischen Landadel angehörte und 1723 aus Warminster in Wiltshire nach Virginia übergesiedelt war. Als Großpflanzer und Inhaber verschiedener öffentlicher Ämter hatte sich William Cabell innerhalb der Piedmont-Elite der Chesapeake einen Namen gemacht. Vgl. William Cabell Rives Biography, William Cabell Rives Papers, LC, Box 103, 3 f. 14 Zu Stevensons Jungend und seiner frühen Karriere in Virginia vgl. ausführlich Wayland, Andrew Stevenson, 1–51. Francis Way Waylands Arbeit von 1949 ist nach wie vor die einzige Biographie dieses Südstaatenpolitikers. Obwohl von sichtbarer Sympathie getragen, bleibt sie ein gründlich recherchiertes Referenzwerk. 15 McCoy, Last of the Fathers. 16 So korrigierte Madison in einem Brief vom März 1826 Stevensons von einer ultra-republikanischen Staatsskepsis durchzogenen Nationalitätsbegriff. Im Zusammenhang mit dem Verfassungskonvent von 1787 sei – anders als Stevenson öffentlich behauptet hatte – der Begriff des Nationalen nicht „equivalent to unlimited or consolidated“ gebraucht worden. Ganz im Gegenteil: „[T]he term national was used with a confidence that it would not be taken in a wrong sense.“ Madison an Stevenson, 25.03.1826, James Madison Papers, MHS, Reel 46 (Hervorhebung im Original).
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Die Bewährungsprobe der beiden jungen Südstaatenpolitiker in Washington fand unter schwierigen Bedingungen statt. Nach dem Absturz der von Spekulationsgewinnen angekurbelten Nachkriegsökonomie betraten die Reformer der zweiten Generation die Bühne und stellten die Parteienlandschaft auf eine harte Belastungsprobe.17 Der Modernisierungsimpuls von Henry Clays American System brach mit den Dogmen der engen Verfassungsauslegung, wie sie die Jefferson-Republikaner stets vertreten hatten.18 Nicht genug damit, dass Clay für einen interventionistischen Kurs der Bundesregierung plädierte – für Schutzzölle, eine Bundesbank und nationale Infrastrukturprogramme. In den Augen der ultra-republikanischen Old Republicans, die unter Führung John Randolphs einen vergeblichen Kampf gegen jede Form von Veränderungen austrugen, drohte sein forcierter Nationalismus den partikularen Charakter der Republik zu untergraben. Seine Sozialisation in Virginia führte Stevenson nach der Wahl ins Repräsentantenhaus 1821 zum Lager dieser strikten Modernisierungsverweigerer.19 Erste Reflexionen des späteren Gesandten in London über die atlantische Welt finden sich daher in den Debatten der Innenpolitik. Am Rednerpult verteidigte er sein Staatsverständnis erstmals im Januar 1822, als der Kongress über ein nationales Konkursgesetz (Bankrupt Bill) diskutierte. Die Schulden- und Konkurspolitik berührte das Freiheitsdenken der VirginiaPflanzer in äußerst sensiblen Bereichen.20 Beharrlich sperrten sich die Republikaner gegen alle Versuche, ein einheitliches Konkursverfahren für Händler und Geschäftsleute zu etablieren, das den Unternehmern Investitionsanreize geboten hätte. Indem sie sich der Modernisierung des Landes und der Nationalisierung der Wirtschaft verweigerten, erwiesen sie sich als Protagonisten eines Jeffersonschen Agrarideals in seiner „regressivsten Form“.21 Aus Stevensons Befürchtung, eine allgemeine Rechtshilfe für Schuldner würde nur Misswirtschaft anfachen und unseriöse Kreditaufnahmen salonfähig machen, hallte die alte republikanische Korruptions- und Schuldenfurcht nach.22 Sie enthielt aber auch eine politische Implikation: Dieser Debütant aus Virginia kombinierte das Sozialressentiment der Großpflanzerschicht23 17 Zur Wirtschafts- und Finanzkrise von 1819 vgl. Sellers, Market Revolution, 103–136. 18 Marie-Luise Frings vermerkt in ihrer Kölner Dissertation, dass die nationalen Förderungsprogramme des American System keine genuine Erfindung Henry Clays waren, „sondern vielmehr durchaus zeittypische Vorstellungen, die auch in der breiten Öffentlichkeit diskutiert wurden“. Weil aber Clay entschieden auf die Realisierung des Gesamtprogramms drängte, kann zu Recht von „seinem“ American System gesprochen werden. Frings, Henry Clays American System, 58. 19 Vgl. Risjord, Old Republicans, 307, Anm. 24. 20 Zur Konkursgesetzgebung vgl. ausführlich Sellers, Market Revolution, 87 f. 21 Risjord, Old Republicans, 212. 22 Vgl. Annals of Congress, 17th Congress 1st Session, 23.01.1822, 784. 23 In den Jahren zwischen 1817 und 1836 erwarb Stevenson weitläufiges Farmland in Vir-
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mit dem partikularen Staatsbegriff eines States Rights-Republikaners und sprach dem Kongress das Recht zur Intervention in individuelle Besitzverhältnisse ab, die für ihn das Wichtigste „nach Leben und Freiheit“ waren. Weil er in seinen Anmerkungen zur Bankrupt Bill einen Grundwert der amerikanischen Freiheit beschwor, lag der Rückgriff auf die europäischen Verhältnisse nahe, um das Konkursgesetz durch die klassischen Topoi der Machtkritik zu diskreditieren: Nur sie konnten einem republikanischen Publikum jene Gefahren illustrieren, die von dem „schlafenden Monster“ der Staatsgewalt ausgingen, sollte die Union ihrer revolutionären Tradition nicht treu bleiben.24 Dafür suchte Stevenson aber zunächst einmal nach einer passenden Referenz jenseits der Landesgrenzen. Frankreich oder Spanien taugten in seinen Augen nicht zu einem für Amerika aussagekräftigen Vergleich: „,Those countries were not like ours. Their Governments are despotic, ours limited and confined.“25 Die Korruption der Monarchien des alten Kontinents, für gewöhnlich ein Leitmotiv der Europakritik, ließ sich kaum als Beispiel für die verheerenden Folgen einer inneramerikanischen Konkursgesetzgebung zitieren. Anstatt die Staats- und Gesellschaftsmodelle in der atlantischen Welt gegeneinander auszuspielen, musste Stevenson ihre Schnittmengen und Parallelen freilegen. Sein Blick richtete sich daher nach Großbritannien, „the country, from whom it is said we borrow the system, and whose Government, laws, and people, are nearest our own.“ Wenn er die Gemeinsamkeiten zwischen England und Amerika als Maßstab anlegte, konnte er anhand der englischen Konkursgesetze den Nachweis führen, „that the system was radically defective – productive only of mischief and fraud; corrupting their subjects; conferring none of the benefits it was designed to give, but a scandal and disgrace to the Empire. This […] is the evidence of England herself upon the subject, and she is not to be discredited.“26 Stevenson schilderte das britische Konkursgesetz als einen Fremdkörper, der sich in eine reine Gesellschaft hineinfraß und eine große Idee korrumpierte. Trotz der anglophilen Tendenz seiner Argumentation folgte er aber zugleich den ausgetretenen Pfaden republikanischer Englandkritik, die seit den Krisen der 1760er Jahre vermeintliche Strukturdefizite anprangerte. So wie Jefferson in seiner Schrift A Summary View dem Mutterland eine historische Deformation von der Freiheit zur Tyrannei attestiert hatte27, ordnete letztlich auch Stevenson die britische Konkurspraxis in einen größeren Ge-
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ginias Hanover County, das er zum Teil an Pächter verlieh. Als Plantagenbesitzer experimentierte er mit verschiedenen Anbaumethoden und kontrollierte regelmäßig den Lebensstandard seiner Sklaven. Vgl. Wayland, Andrew Stevenson, 42. Alle Zitate: Annals of Congress, 17th Congress 1st Session, 23.01.1822, 775. Ebd., 778. Alle Zitate: ebd.,779, 781. Vgl. o. S. 54.
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schichtszusammenhang ein, der von Korruption, Zerstörung und Betrug gekennzeichnet gewesen sei.28 Verschiedene Komponenten seines Englandbildes prallten hier aufeinander: Als traditionsbewusster Virginier bekannte er sich – dem Randolph-Strang des Englandbildes entsprechend – zu den verbindenden Traditionen in der atlantischen Welt und begründete durch diese Wesensverwandtschaft gar das Für und Wider einer rein innenpolitischen Frage im Kongress. Zugleich bediente sich der Jefferson-Schüler aber auch klassischer Motive der Machtkritik, die sich aus anglophoben Denkfiguren speisten. Mit dieser Doppelstrategie eröffnete Stevensons Rede den Zuhörern einen behaglichen Spielraum aus Nähe und Distanz; sie ließ Raum für Amerikas Einzigartigkeit und bot dennoch Fixpunkte der Orientierung bei einem umstrittenen Thema. Trotz seiner nicht widerspruchsfreien Argumentation führte Stevenson die konservativen Republikaner zu einer Allianz gegen das Konkursgesetz zusammen, das schließlich mit Hilfe der agrarischen Kräfte des Westens und des Nordens zu Fall gebracht wurde.29 Letztlich blieb dieser Erfolg jedoch ein Einzelfall. Während der ersten Jahre ihrer Karriere erlebten Stevenson und Rives den Niedergang der politischen Kultur der Revolutionszeit, welche die Old Republicans aus Virginia sinnbildlich repräsentierten. In einer Epoche des Aufbruchs und der Ernüchterung, als das Hochgefühl der Era of Good Feelings von der Wirtschaftskrise und den ersten Misstönen des Nord-Süd-Konflikts überlagert wurde, kämpften sie für den Erhalt ihrer überkommenen Ordnung.30 Symbolfiguren für die alte und die neue Zeit waren John Randolph und Henry Clay. Randolph appellierte in seinen Reden immer wieder an Denkfiguren einer Vergangenheit, deren Ideale und Errungenschaften lebendig geblieben waren und den Stil der Auseinandersetzung prägten.31 Am 30. Januar 1824 fiel er vor dem Kongress in die anglophobe Rhetorik der Revolutionsepoche zurück und verglich Clays Nationalismus mit der britischen Freiheitsunterdrückung von 1776.32 Diesem rückwärtsgewandten Denken, in dem die Gegenwart nur zur Bewahrung der
28 Vgl. Annals of Congress, 17th Congress 1st Session, 23.01.1823, 781. 29 Vgl. Annals of Congress, 17th Congress 1st Session, 12.03.1822, 1275 f. Stevensons Strategie in der Konkursproblematik war nicht besonders stringent, weil in der Verfassung dem Kongress die Kompetenz zugesprochen wurde, „[t]o establish […] uniform Laws on the subject of Bankruptcies throughout the United States“. Constitution of the United States, Article I, Section 8. Deshalb versuchte er, das Gesetz als gegen ihren Geist gerichtet darzustellen, wofür er nicht zuletzt auf das englische Beispiel zurückgriff. Vgl. kritisch urteilend Risjord, Old Republicans, 235. Vgl. positiver hingegen Wayland, Andrew Stevenson, 58. 30 Vgl. pointiert von einer „era of bad feelings“ sprechend Wilentz, Rise of American Democracy, 182–217. 31 Vgl. Silbey, American Party Battle, 4. 32 Vgl. Annals of Congress, 18th Congress 1st Session, 30.01.1824, 1310.
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Vergangenheit diente, stellte der Star of the West freilich die Vision einer großen Zukunft entgegen: Sir, a new world has come into being since the Constitution was adopted. Are the narrow, limited necessities of the old thirteen states, of indeed parts only of the old thirteen states, as they existed at the formation of the present Constitution, forever to remain a rule of its interpretation? Are we to forget the wants of our country? […] I hope for better and nobler things.33
Als William Cabell Rives wenige Tage später seine Jungfernrede im Repräsentantenhaus hielt, nahm er den Kampf um die nationale Deutungshoheit auf und setzte Clays Zentralisierungsrhetorik ein Jeffersonsches Freiheitsverständnis entgegen, das sich über die lokalen Bezüge gründete und die nationale Zentrale mit distanzierter Skepsis betrachtete. Die Popularität des American System entlockte Rives gar den melancholischen Kommentar: „We have abundant evidence that Virginia politics have gone out of favour.“34 Nachdem James Monroe das Weiße Haus verlassen hatte, bewahrheitete sich diese Erkenntnis noch umso schmerzlicher.35 Mit John Quincy Adams gewann 1824 erstmals wieder ein Neuengländer die Präsidentschaft, der sich als national gesinnter Republikaner verstand und nur mit Hilfe Clays im Repräsentantenhaus den Bewerber überwinden konnte, auf den die meisten Stimmen entfallen waren: Andrew Jackson aus Tennessee.36 Es verwundert somit nicht, dass Rives der neuen Administration äußerst kritisch, ja feindselig gegenüberstand, zumal Adams sich mit der Berufung Clays zum Außenminister heftigen Korruptionsvorwürfen aussetzte und seine Präsidentschaft in den Augen vieler von Beginn an diskreditierte.37 Was Rives nicht verstand (und nicht verstehen konnte), war die paradoxe Verwandtschaft des American System mit der Politik seiner republikanischen Idole nach 1801. Jeffersons Embargo hatte wichtige Impulse für die verarbeitende Industrie Amerikas freigesetzt, bevor Madisons Krieg gegen England jenen Nationalge33 34 35 36
Ebd., 1315. Ebd., 04.02.1824, 1359. Vgl. dazu Cunningham, Jr., Presidency of James Monroe, 175–192. Zu Jackson vgl. Remini, Course of American Empire; ders., Course of American Freedom; ders., Course of American Democracy. Vgl. in einem Band zusammengefasst ders., Life of Andrew Jackson. Einen guten Überblick bietet auch ders., Jacksonian Era. Zu Jacksons militärischer Karriere bis 1815 vgl. mit viel Sympathie geschrieben Buchanan, Jackson’s Way. Zur Präsidentschaft vgl. Cole, Presidency of Andrew Jackson. Eine neuere Gesamtbiographie ist Brands, Life and Times of Andrew Jackson. Aus der neueren Literatur zu Adams vgl. vor allem Nagel, John Quincy Adams; Parsons, John Quincy Adams; Remini, John Quincy Adams. 37 Als Speaker of the House hatte Clays Stimme den Ausschlag für Adams gegeben. Seine Berufung zum Außenminister nährte die Gerüchte über eine Absprache zulasten Andrew Jacksons. Zur Wahl von 1824 und dem corrupt bargain vgl. vor allem Hopkins, Election of 1824. Zu den weit reichenden Folgen vgl. Watson, Development and Democracy, 59–66; ders., Liberty and Power, 73–96; Remini, Henry Clay, 251–273; Nagel, John Quincy Adams, 296–323; Remini, John Quincy Adams, 62–75.
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fühlen Aufwind verlieh, die dem Streben nach ökonomischer Unabhängigkeit eine Massenbasis gaben.38 Clay und seine Anhänger sahen sich auch keineswegs als Verräter an den Jeffersonschen Ideen, sondern im Gegenteil als ihre wahrhaftigen Bewahrer – freilich bereinigt von den Modernitätsängsten der Virginier und ihrer Skepsis gegenüber dem Staat, wie sie in der States RightsDoktrin der Old Republicans noch durchschimmerten.39 Damit nicht genug: Die Schutzzollforderung, ein wesentliches Element von Clays Wirtschaftsnationalismus, fußte gar auf einem Unabhängigkeitsdenken, das mit den anglophoben Denkfiguren Jeffersons durchaus konform ging. In der Person Clays schien der Westen den Englandhass der Revolutionsepoche für seine eigenen Belange abzuwandeln. Weil Jefferson hier seiner Ansicht nach für das Gegenteil seiner Ideen verwendet wurde, kämpfte Rives dafür, dass den Virginiern die Deutungsmacht über die republikanische Ideologie nicht entrissen wurde. Gerade deshalb zeigte er sich in den 1820er Jahren unfähig, die alten Ideen vor dem Hintergrund einer sich wandelnden Zeit neu zu interpretieren. Ähnlich wie John Randolph stützte er sich auf die Feindbilder einer vergangenen Ära, um dem Kongress die vermeintlich neo-föderalistischen Aspekte der Infrastrukturpolitik vorzuhalten. Sollten die Verfassungsbarrieren gegen die Machtanmaßungen der Exekutive brechen, dann würde ihr daraus ein Instrument erwachsen, „by which the character of our Republican system might be essentially changed, and made to assume the features of monarchy“. 40 In der „Sprache der amerikanischen Souveränität“ (Peter Onuf) schloss die Anwendung der Monarchievokabel den Präsidenten aus dem Konsens der Patrioten aus.41 Hier fiel Rives in die Rhetorik früherer Jahrzehnte zurück, mit der die Jefferson-Republikaner die Fragilität der Republik beschworen und ihre englischen Erblasten angeprangert hatten. Wenn sie auch selten bis an die Oberfläche durchstoßen sollte, nistete sich diese anglophobe Semantik in seiner Gedankenwelt fest ein. Noch viele Jahre später sah er sich bei einer Gelegenheit als Opfer von „dunklen und dreckigen Intrigen“ in der Administration
38 Vgl. Peterson, Great Triumvirate, 69 f. 39 Zu den differierenden Republikanismus-Ideen Clays und der Virginier um John Randolph vgl. Remini, Henry Clay, 50 f. Die frühe republikanische Prägung Clays wird herausgearbeitet bei Baxter, Henry Clay and the American System, 1–16. Sein Parteienverständnis behandelt Shankman, Compromise and the Constitution, 81–101. 40 Register of Debates, 19th Congress 2nd Session, 20.02.1827, 1269 f. 41 Die negative Assoziation des Monarchiebegriffs leitete sich aus der Revolution und den Debatten der frühen Republik her und verweist auf die Kontinuität republikanischer Feindbilder in Rives’ Denken. Wie Joanne B. Freeman für die erste Dekade nach der Revolution konstatiert hat: „[E]ven the most ardent Anglophiles wanted to avoid being branded as monarchist – a powerful charge that was hurled with abandon.“ Freeman, Affairs of Honor, 8.
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des Whig-Präsidenten Millard Fillmore, die auf die „alte englische Parteilichkeit unter den Föderalisten“ zurückgingen.42 Während der 1820er Jahre äußerte sich seine zeitlebens ausgeprägte Neigung, innen- und außenpolitische Problemkreise ineinander aufgehen zu lassen, in einer harschen Regierungskritik. Zeitgleich wirkte sich der damals zunehmende Einfluss seines Mentors Madison aber bereits mäßigend aus.43 Unter Madisons Ägide schwenkte Rives bis zum Ende des Jahrzehnts auf ein Unionskonzept ein, das den Interessen Virginias Vorrang einräumte, ohne die nationale Loyalität in Frage zu stellen.44 Hiermit ließ er das radikal-partikularistische Denken anderer Südstaatler bereits hinter sich – insbesondere jenes von Calhoun, der damals seinen Wandel vom nationalistischen War Hawk des Jahres 1812 zum States RightsDoktrinär des Jahres 1833 vollzog. Bei dem Annullierungsanspruch gegen die Zollgesetze des Bundes, den Calhoun von der Vizepräsidentschaft aus heimlich vorbereitete, konnte und wollte Rives South Carolina nicht folgen. Dass Virginia mit den übrigen Sklavenstaaten bis zum Äußersten gehen sollte, lief seinen grundsätzlichen Überzeugungen zuwider: „I am not prepared for a dissolution of our precious Union, which in my opinion is indispensable alike to our liberties and our prosperity.“45 Rives urteilte nun also aus der nationalen Perspektive des soeben ins Weiße Haus gewählten Andrew Jackson, eines populären Volkshelden aus Tennessee, der mit den Gentleman-Pflanzern des Old Dominion eigentlich nicht mehr allzu viel gemein hatte.46 Für Rives fiel aber vor allem der Umstand ins Gewicht, dass sich der Präsident sowohl gegen die Annullierungsdoktrin South Carolinas als auch gegen die Modernisierungspläne Clays wenden würde.47 Bei Jackson sei die Union der Gründungsväter in sicheren Hän42 Rives an William Cabell Rives, Jr., 23.11.1851, William Cabell Rives Papers, LC, Box 29 (Hervorhebung im Original). Vgl. die englischen Tories mit den Federalists in eins setzend auch Rives an Martin Van Buren, 13.05.1835, Martin Van Buren Papers, LC, Reel 19. Das föderalistische Feindbild ging zum Ende seiner Karriere mit einer grundsätzlichen Politikverdrossenheit einher. Vgl. dazu Rives an James Murray Mason, 08.12.1852, William Cabell Rives Papers, LC, Box 83. 43 Für eine sanfte Kritik an Rives’ Doktrinen vgl. Madison an Rives, 29.05.1827, James Madison Papers, MHS, Reel 46. Vgl. sodann bereits auf eine enge Übereinstimmung in Fragen der Verfassungsauslegung hindeutend Madison an Rives, 20.12.1828, ebd. 44 So finden sich etwa bereits für die frühen 1820er Jahre Hinweise darauf, dass Rives die im Süden weit verbreitete Abneigung gegen die Nordstaatler nicht teilte. Vgl. Rives an Robert Garnett, 29.10.1824, William Cabell Rives Papers, Earl Gregg Swem Library, College of William and Mary. 45 Rives an W. M. Rives, 01.01.1829, Rives Papers, LC, Box 45. 46 Vgl. so die konzise Jackson-Deutung bei Watson, Liberty and Power, 3–14. Vgl. zur Identifikation Jacksons mit dem Prinzip des Mehrheitswillens, das dem von Calhoun betonten Minderheitsschutz und auch dem Gedanken einer elitären Naturaristokratie widersprach, Ellis, Union at Risk, 13–41. 47 Vgl. Feller, Jacksonian Promise, 73 ff. Zur Wahl Jacksons vgl. Remini, Election of Andrew Jackson.
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den. Und nur diese Union, die Schöpfung Jeffersons und Madisons, so sah es Rives, konnte dem Staate Virginia seine Bedeutung sichern.48 Ebenso wie Rives ging auch Stevenson von der Anti-Parteien-Utopie der konservativen Virginia-Schule zusehends auf Abstand. Statt dessen begrüßte er den Parteienwettbewerb als ein stabilisierendes Element der Republik. Einen deutlichen Bruch mit seinen Traditionen seines Heimatstaates markierend, beurteilte er Probleme nach parteipolitischen Gesichtspunkten und trieb die Erweiterung seines eigenen Einflusses aktiv voran. Jefferson hatte sich bei der Formierung der Opposition gegen die Föderalisten in den 1790er Jahren letztlich nicht anders verhalten. Allerdings artikulierte erst Stevenson die Überzeugung, dass die Parteien zwar bisweilen zum „verdammten Götzen“49 verkamen, sie für das Funktionieren des Regierungssystems aber einen lebensnotwendigen Bestandteil bildeten. Weil ihm die Identifizierung mit der Parteiendemokratie relativ geschmeidig gelang, war er zu den Demokraten gestoßen, als die Einheit der alten Republikanischen Partei im Jahre 1824 dem Wettstreit der Präsidentschaftskandidaten Adams, Clay und Jackson zum Opfer fiel. So stieg Stevenson als überregional gestützter Parteipolitiker und nicht als Sektionalist in Washington auf. 1827 von den Gegnern der Adams-Administration zum Sprecher des Repräsentantenhauses gewählt50, übte er dieses wichtige Amt in unverhüllt parteilicher Manier aus – vor allem bei der Zusammenstellung der Ständigen Ausschüsse, die er überwiegend mit regierungskritischen Demokraten besetzte.51 Die Grenze seiner politischen Flexibilität wurde jedoch im Jahre 1833 erreicht. Bedingungslos gegen die Annullierungsdoktrin South Carolinas eintretend, weigerte er sich, die Union „in die Hände von Eitelkeit und Ehrgeiz“ zu geben.52 Die Negation des einzelstaatlichen Sezessionsrechts bescherte ihm
48 Vgl. Rives an W. M. Rives, 08.01.1829, William Cabell Rives Papers, LC, Box 45. Vgl. auch Rives an John T. Brown, 30.01.1833, Brown-Coalter-Tucker Papers, Box XVII, Earl Gregg Swem Library, College of Wiliam and Mary. Zeitlebens sollte Rives diese Position in den innenpolitischen Debatten vor dem Bürgerkrieg beibehalten. Vgl. besonders Rives an Alexander Rives, 27.03.1850, William Cabell Rives Papers, LC, Box 29. 49 Stevenson an William Pope, 04.03.1840, Andrew Stevenson Papers, LC. 50 Stevenson gelangte als Mitglied des wichtigsten demokratischen Netzwerkes in Virginia auf diesen Posten. Die so genannte Richmond Junto wurde maßgeblich vom Herausgeber des Richmond Enquirer, Thomas Ritchie, kontrolliert. Entscheidend für Stevensons Wahl war die Zustimmung von Abgeordneten aus New York, was die Tragfähigkeit der von Martin Van Buren geschmiedeten Nord-Süd-Allianz in der Demokratischen Partei demonstrierte. Vgl. Cole, Martin Van Buren, 164. 51 Vgl. Cole, Presidency of Andrew Jackson, 53. Zur Evolution der Ständigen Ausschüsse im Kongress bis Mitte der 1820er Jahre vgl. Gamm / Shepsle, Emergence of Legislative Institutions. 52 Stevenson an James Madison, 29.01.1833, zit. n. Wayland, Andrew Stevenson, 92. Ja-
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die Feindschaft der States Rights-Advokaten Virginias.53 Obwohl er seinen Kongresssitz behaupten konnte, blieb er durch die Annullierungskrise politisch beschädigt. Wie Rives sah sich Stevenson aufgefordert, nationale und sektionale Loyalitäten miteinander im Einklang zu halten. Die Impulse dafür erhielten die beiden Politiker aber nicht nur auf der bundespolitischen Bühne, sondern auch durch ihre Erfahrungen in Europa. William Cabell Rives und England – ein Fall von „republikanischer Anglophilie“? Während der 1830er Jahre erhielten Rives und Stevenson wichtige Gesandtschaftsposten in Europa. Weil Rives erheblich am Aufbau der Demokratischen Partei in Virginia beteiligt gewesen war, belohnte Jackson ihn 1829 mit der Gesandtschaft in Paris.54 Für drei Jahre abgekoppelt vom Washingtoner Politiktheater, beobachtete er die innenpolitischen Spannungen aus der Ferne, bevor er 1832 auf dem Höhepunkt der Annullierungskrise nach Amerika zurückkehren sollte. In den ersten zwei Jahren seiner Amtszeit in Frankreich führte Rives am Quai d’Orsay schwierige Schadensersatzgespräche für Verluste, die der amerikanischen Handelschifffahrt während der Napoleonischen Kriege entstanden waren.55 Durch den Vertragsabschluss wurde seine Position in Amerika erheblich gestärkt und die Basis für die Übernahme eines Senatssitzes für Virginia gelegt.56 Rives hatte seine Karriere auf den klassisch-republikanischen Unabhängigkeits- und Tugendattributen Virginias begründet. Als praktizierender Parteipolitiker bewegte er sich jedoch inzwischen in einer ganz anderen Welt (obgleich er sich dies nie eingestand). Mehr noch: Während Jeffersons Anhänger ihr politisches Denken mit zahlreichen anglophoben Ressentiments verknüpften, führte Rives sein Amerikabild wieder so nahe an eine idealtypische Vorstellung der englischen Gesellschaft und Kultur heran, dass die These aufgestellt werden kann, er sei Vertreter einer „republikanischen Anglophilie“ gewesen.
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mes Madison spendete Stevenson für seine Haltung viel Lob. Vgl. Madison an Stevenson, 04.02.1833, James Madison Papers, MHS, Reel 46. Vgl. Richmond Enquirer, 19.02.1833. Vgl. ferner Wayland, Andrew Stevenson, 93 ff. Zur Außenpolitik der Jackson-Administration vgl. zuverlässig Belohlavek, ‘Let the Eagle Soar!’. Zu den Proporz- und Patronagegründen für Rives’ Ernennung vgl. ebd., 92. Vgl. Belohlavek, ‘Let the Eagle Soar!’, 90–127; Niven, Martin Van Buren, 282 f., 376; Remini, Course of American Freedom, 287 f. Der offizielle Schriftwechsel zwischen Rives, dem State Department und dem Quai d’Orsay befindet sich im Register of Debates, 22nd Congress 2nd Session, Appendix, 210–297. Vgl. Alexander Rives an Rives, 20.03.1832, William Cabell Rives Papers, LC, Box 22.
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Im Sommer 1832, nach dem erfolgreichen Abschluss der Verhandlungen in Paris, reiste er erstmals nach England – allerdings nicht in offizieller Mission, sondern aus der gleichen kulturellen Neugier heraus, die damals viele gebildete Amerikaner auf die britische Insel trieb.57 Die (größtenteils unpolitischen) Briefe, die er im Juli und August aus London an seine in Paris zurückgebliebene Ehefrau schrieb, gewinnen ihre Aussagekraft durch Stimmungsbilder, Eindrücke und Vergleiche, die allesamt in einem emotionalen, mitunter überschwenglichen Ton gehalten waren. Trotz der Ausklammerung des Politischen zeigen sie nicht nur die gängigen Reaktionsmuster bei der Begegnung von Unionsbürgern mit der englischen Kultur. In den Briefen klingt auch ein spezifischer Ton an, der etwas über das Selbstbild der Pflanzer Virginias während der frühen Antebellum-Zeit aussagt. Mit ihrem Stolz auf das Vergangene und ihrem verheißungsvollen Blick auf das Zukünftige schien die englische Gesellschaft ein Vorbild für den Old Dominion zu sein. Die scheinbare Vertrautheit58 wurde allerdings schon bald durch die neuen Erfahrungen in London erschüttert. Ähnlich wie Thomas Jefferson, der fast fünfzig Jahre früher ebenfalls von seiner Pariser Gesandtschaft aus die Insel besucht hatte, ordnete und qualifizierte er seine Eindrücke durch den Vergleich mit Frankreich. Angeleitet von den eigenen Sorgen um das Erbe der Revolution in Amerika, hatte Jefferson den politischen-geistigen Niedergang der britischen Weltmacht vorhergesehen.59 Rives hingegen gelangte zu ganz anderen Ergebnissen, wie sein Vergleich zwischen den beiden Hauptstädten deutlich zeigt: „The immense accumulation of wealth here gives to London, in every thing connected with elegance and luxury, a decided superiority over Paris. There is nothing which money can by, or genius invents, or industry produces, that you do not find here.“60 Aus der Sicht eines agrarkonservativen Demokraten wie Rives hielt ein solcher Siedekessel urbaner Modernität aber auch Gefahren bereit. Der Reichtum Englands, bemerkte er in klassisch-republikanischer Wortwahl, „has produced here many evils, especially in corrupting the sources of domestic happiness“. Dass er die Schattenseiten des industriellen Zeitalters mit solch gewundenen Formulierungen einzufangen suchte, spricht für den Unwillen, sein Englandbild zu verdunkeln. So räumte er denn auch unumwunden ein:
57 Vgl. Judith Page Walker Rives an Rives, 23.07.1832, Rives an Judith Page Walker Rives, 24.07., 31.07. u. 05.08.1832, William Cabell Rives Papers, LC, Box 22. Zur anglo-amerikanischen Reisekultur im 19. Jahrhundert vgl. Mulvey, Anglo-American Landscapes, bes. 29–135. 58 Vgl. Rives an Judith Page Walker Rives, 21.07.1832, William Cabell Rives Papers, LC, Box 22: „I am now upon the land of our ancestors, where everything so much resembles our own country that I almost feel myself at home.“ 59 Zu Jeffersons Nationenvergleich vgl. o. 58 f. 60 Rives an Judith Page Walker Rives, 27.07.1832, William Cabell Rives Papers, LC, Box 22.
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„I do not wish to dwell on the blemishes of a picture which, upon the whole, has given me much pleasure.“61 Diese eher beiläufig hingeworfene Aussage reduziert den anglophilen Romantizismus auf seine politisch-soziale Substanz. Denn tatsächlich übte die parlamentarisch legitimierte Elitenherrschaft in Großbritannien eine starke Anziehungskraft aus. Zwar begrüßte er die Folgen der Wahlrechtsreform von 1832 als mühsam erkämpften Gerechtigkeitsfortschritt.62 Die für das republikanische Denken so zentrale Beseitigung von Repräsentationsdefiziten darf aber nicht mit einer Bejahung der Massendemokratie gleichgesetzt werden.63 Wie viele andere Pflanzer des Old Dominion verspürte auch Rives eine diffuse Furcht vor den Nivellierungstendenzen in der amerikanischen Gesellschaft, die der große Exzentriker Virginias, John Randolph, in das Bonmot gefasst hatte: „I am an aristocrat, I love liberty, I hate equality.“64 Auf der anderen Seite definierte sich sein Denken auch über die demokratische Eigendynamik der Revolution, zu deren Entfaltungen er mit seinem Engagement für die Partei Jacksons selbst beigetragen hatte.65 Zwischen der Vorsicht des konservativen Skeptikers und dem Eifer des demokratischen Reformers schwankend, ließ sich Rives von der traditionsverbundenen Modernität des englischen Staates und seinem zeremoniellen Gepränge nachhaltig beeindrucken, ohne darüber den Anspruch auf kulturelle Ebenbürtigkeit zu vergessen. Mit der Herablassung eines Parvenüs aus den Wäldern Virginias notierte er anlässlich seiner Einführung bei Hofe über den König: „I found him, at all events, quite a gentleman, and of better manners and more colloquial facility than expected.“ Mitglieder des englischen Kabinetts verwandelten sich in seinen Augen zu idealtypischen Republikanern und begegneten ihm als „simple, sensible, and unpretending men. This absence of pretension in the personal deportment of well-bred Englishmen is the peculiar characteristic, as well as highest ornament, of the best English manners.“66 Der Schlüssel zu Rives’ Anglophilie lag also nicht nur im Transfer republikanischer Ideale auf die englische Gegenwartsgesellschaft, sondern auch in der Kategorie der südstaatlichen Ehre. Nicht nur, dass ihm die britischen Eliten jene persönliche Ehre zuteil werden ließen, die er zur Bestätigung seines 61 Rives an Judith Page Walker Rives, 05.08.1832, ebd. 62 Vgl. Rives an Martin Van Buren, 13.06.1835, Martin Van Buren Papers, LC, Reel 19. Diese spätere Aussage von Rives bezog sich auf die Regierungsbildung der Whigs unter Lord Melbourne im April 1836. 63 Das wird deutlich anhand seiner scheinbar eher zögerlichen Zustimmung zur Einberufung des Reformkonventes in Virginia drei Jahre zuvor. Vgl. Rives and T. W. Gilmer, 14.03.1829, in: William Rives Biography, 139–143, William Cabell Rives Papers, LC, Box 103, hier 139–142. 64 Zit. n. Bruce, John Randolph of Roanoke, Bd. II, 203. 65 Vgl. dazu grundsätzlich Wood, Radicalism of the American Revolution. 66 Rives an Judith Page Walker Rives, 27.07.1832, William Cabell Rives Papers, LC, Box 22.
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Selbstbildes als Mann von Ehre benötigte – zumal im gleichermaßen fremden wie vertrauten Umfeld Englands, von dem sich Besucher aus der Neuen Welt mal abgestoßen und mal angezogen, fast immer aber berührt und verunsichert fühlten. Sie zollten ihm auch als Repräsentanten der amerikanischen Nation gebührenden Respekt und bewilligten den Vereinigten Staaten damit im Sinne der Kollektivehre genau die Form von Anerkennung, die sie nach dem Ende des Unabhängigkeitskrieges so lange verweigert hatten.67 Nicht zuletzt erschlossen sie ihm über das Mittel der Ehrerbietung den Zugang zu einer historischen Identitätsquelle, aus der sich sein Amerikabild insgesamt, vor allem aber seine Idee vom Süden und von Virginia speiste. So verspürte er angesichts der Qualität englischer Staatskunst eine erhebliche Genugtuung darüber, „that we were descended from a stock of so many bold and manly qualities“.68 Primordiale Denkfiguren wie diese lassen sich bis auf Jefferson zurückführen, der sein mythologisiertes Geschichtsbild freilich nicht in den Dienst der anglo-amerikanischen Gemeinsamkeit stellte, sondern die Trennung zwischen Mutterland und Kolonien propagierte.69 Was sein ehemaliger Schüler Rives nun viele Jahre später niederschrieb, bediente sich zwar der gleichen Methode, zielte aber in eine ganz andere Richtung – in die Erfindung genetisch vererbter Zivilisationsmerkmale zwischen England und dem Süden Amerikas, wie sie sich als Cavalier Myth in den Periodika, Romanen und Zeitungen der Antebellum-Epoche verbreiteten.70 So setzte sich Rives’ Englandaffinität aus primordialen und republikanisch-säkularen Elementen zusammen. Von allen prominenten Südstaatlern der AntebellumZeit sollte er diese anglophile Vision gegen den anglophoben Zeitgeist am vehementesten verteidigen.
67 Rives’ Erfahrungen heben sich hier deutlich ab von jenen der Revolutionsgeneration, wie sie etwa Jefferson in einer vergleichbaren Situation bei seinem Englandbesuch im Jahre 1786 sammelte. Vgl. o. 58. So berichtete Rives von der skurril anmutenden Begebenheit, dass König William IV. im Rahmen der Audienz „a warm wish for the reelection of Gen[eral] Jackson“ aussprach, „who he said was a very able man“. Den Umstand, dass sich der englische Monarch auf diese Weise über den amerikanischen Volkstribun äußerte, kommentierte Rives leicht amüsiert mit der Bemerkung: „King William may not be the most competent man in the world to pronounce upon such a question.“ Rives an Judith Page Walker Rives, 27.07.1832, William Cabell Rives Papers, LC, Box 22 (Hervorhebung im Original). 68 Rives an Judith Page Walker Rives, 05.08.1832, ebd. Diese Eigenschaften sah er insbesondere in Lord Palmerston verkörpert, der dreißig Jahre später als Premierminister die englische Politik gegenüber dem Amerikanischen Bürgerkrieg maßgeblich mitbestimmen sollte. Vgl. Rives an Judith Page Walker Rives, 27.07., 31.07. u. 05.08.1832, ebd. 69 Vgl. hierzu o. 53–56. 70 Als Historiker gelangte Rives in den Krisenjahren der späten Antebellum-Zeit zu einer genuinen Deutung der Kavaliersvergangenheit, die mit anglophilen Assoziationen bestückt war. Vgl. dazu u.
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Eine politische Ehrverletzung: Andrew Stevenson und die Verhandlungen über die schiffbrüchigen Sklaven, 1836–1839 Andrew Stevensons Diplomatenkarriere hatte sich ungleich schwieriger angelassen als die von Rives. Als Jackson die Loyalität seines Parteigefährten 1834 mit dem Gesandtschaftsposten in England vergelten wollte, schloss sich im Senat eine überparteiliche Koalition unter der Leitung Clays, Daniel Websters und Calhouns zusammen, um die Nominierung zu blockieren.71 Neben dem umstrittenen Profil des Kandidaten war auch die harte Politik des Präsidenten für diese Demütigung verantwortlich.72 Darüber hinaus besaß die Gesandtschaft am Hofe von St. James schon eine gewisse Tradition als Kampfschauplatz zwischen Jackson und seinen Gegnern. Seit der Senat 1831 mit der entscheidenden Stimme von Calhoun die Ernennung des bereits in London verweilenden Martin Van Buren zurückgewiesen hatte, wurde der Posten nur kommissarisch verwaltet.73 Nach dem neuerlichen Affront war der Präsident fest entschlossen, an seinem Vorschlag für die diplomatische Vertretung mit allen Mitteln festzuhalten. Im März 1836 setzte Jackson die Nominierung schließlich gegen Clays Widerstand im Senat durch.74 Ebenso wie Rives war Stevenson in schwierige Entschädigungsverhandlungen verwickelt. Während sein Landsmann in Paris aber einen großen diplomatischen Erfolg verbuchen konnte, musste er sich mit einem aus Südstaatler-Sicht äußerst heiklen Problem befassen – dem Streit über Kompensationszahlungen für Sklaven amerikanischer Herkunft, die von britischen Behörden nach Schiffbrüchen aufgenommen und in die Freiheit entlassen worden waren.75 Als Virginier verfolgte Stevenson diese Angelegenheit mit be71 Vgl. hierzu Peterson, Great Triumvirate, 240. Die demokratische Presse Virginias, insbesondere der von Stevensons politischem Verbündeten Thomas Ritchie herausgegebene Richmond Enquirer, deutete die Ablehnung der Nominierung mit den bewährten Mitteln der Parteienkritik als Ergebnis von Intrige, Verrat und Illoyalität. Vgl. Richmond Enquirer, 04.07., 08.07. u. 11.07.1834. 72 Vgl. Remini, Course of American Democracy, 173. Das galt insbesondere für seine Gewaltandrohung gegenüber South Carolina in der Annullierungskrise, aber auch für die Zerschlagung der Zweiten Bank der Vereinigten Staaten. Obwohl der Präsident im so genannten Bankenkrieg eigentlich die Unterstützung des Südens besaß, aktivierte er die alte südstaatlich-republikanische Tyrannenangst, als er nach seiner Wiederwahl ohne vorangehende Untersuchung den Abzug der Bundesgelder anordnete. Vgl. Cooper, Jr., Liberty and Slavery, 174 f. Zum Feldzug der Jackson-Demokraten gegen die Banken vgl. mit einem Fokus auf die Staatenebene Sharp, Jacksonians versus the Banks. 73 Vgl. Willson, America’s Ambassadors to England, 197–212; Remini, Life of Andrew Jackson, 224 f.; Belohvalek, ‘Let the Eagle Soar!’, 70 f. 74 Vgl. zu diesen Vorgängen Cole, Presidency of Andrew Jackson, 253 f. 75 Stevenson verhandelte in London von 1836 bis 1841 mehrere wichtige Themen der anglo-amerikanischen Beziehungen, so etwa die nordöstliche Grenze der Union, den Caroline-Zwischenfall, diverse handelspolitische Fragen und das Durchsuchungsrecht auf US-Schiffen. An dieser Stelle werden mit den Entschädigungsverhandlungen über schiff-
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sonderem Nachdruck. Bereits einen Monat nach seiner Ankunft in London schickte er eine ausführliche Note nach Whitehall. Indem er Außenminister Palmerston den Standpunkt seiner Regierung in der Entschädigungsfrage auseinanderlegte, offenbarte er zwischen den Zeilen, dass die südstaatliche Selbstsicherheit hinter der Fassade von Stolz und Ehre keineswegs derart gefestigt war, wie es nach außen hin den Anschein hatte.76 Wenn die britischen Behörden den Sklavenhaltern ihre Sklaven wegnahmen und damit das taten, was der Norden (noch) nicht wagte, schürten sie die Ängste einer Gesellschaft, die auf alles panisch reagierte, „which is calculated to disturb the relations existing between the Master and slave“.77 Aus Stevensons Sicht nahmen sich die Anzeichen von „Respektlosigkeit“78, mit der das Freiheitsrecht weißer Südstaatler auf ihren Sklavenbesitz zurückgewiesen wurde, verstörend aus. Diese Dimension beschränkte sich nicht auf ein rechtliches oder begrenztes diplomatisches Problem, sondern betraf „matters of higher and deeper importance“.79 Zwar wies der Gesandte die britischen Anmaßungen in diplomatischer Sprache zurück. Zugleich erregte er sich aber derart offen über „Prinzipien und Doktrinen so neu und alarmierend“80, dass hier eine pauschale Furcht vor einer Zeitenwende deutlich wird. Die Bedrohung schien sich in vorher nicht gekannter Weise zu steigern, als Stevenson das britische Vorgehen tadelte, da es das Landesrecht auf die Besitzverhältnisse ausländischer Staatsbürger ausdehnte.81 Analog hierzu hatten sich die Sklavenhalter seit der Revolution auf ihre verfassungsmäßigen Garantien berufen, „über das eigene Eigentum ohne willkürliche Einmischung durch andere zu verfügen, insbesondere wenn die an-
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brüchige Sklaven und seiner öffentlichen Konfrontation mit dem irischen Abolitionisten Daniel O’Connell allerdings zwei Episoden aus Politik und Gesellschaft analysiert, die für die Evolution südstaatlicher Englandstereotypen besonders aussagekräftig sind. Hierhinter verbarg sich die Sorge, die Emanzipation der Sklaven in Britisch-Westindien könne die Stabilität der Institution in Amerika beeinträchtigen. Vgl. Wilkins, Window on Freedom, 181 f. Stevenson an Palmerston, 29.07.1836, Andrew Stevenson Papers, LC, Letterbook Diplomatic Correspondence, Box 36, 9 f. Ebd., 11. Stevenson an Lord Palmerston, 13.01.1837, ebd., 115. Stevenson an Lord Palmerston, 29.07.1836, ebd., 13, 14. Wie Stevenson im Januar 1837 dem neuen Präsidenten Van Buren mitteilte, sei die britische Rechtsauslegung „dangerous and calculated to produce the deepest excitement in our country“. Stevenson an Martin Van Buren, 30.01.1837, Martin Van Buren Papers, LC, Reel 22. Vgl. Stevenson an Lord Palmerston, 29.07.1836, Andrew Stevenson Papers, LC, Letterbook Diplomatic Correspondence, Box 36, 43. Die These von der Überlagerung verschiedener Bedrohungsperzeptionen wird noch dadurch bestätigt, dass Stevenson es an anderer Stelle für angebracht hielt, gegenüber Lord Palmerston die Legitimation der Sklaverei in der amerikanischen Verfassung herauszuarbeiten – als ob er nicht dem englischen Foreign Secretary, sondern einem nordstaatlichen Sklavereikritiker seine Argumente darzulegen suchte. Vgl. ebd., 25.
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deren irgendwo in der Ferne saßen.“82 Im Völkerrecht sah Stevenson nur eine moralische Richtlinie für außenpolitisches Handeln, keineswegs aber ein verpflichtendes Gebot, das nur all zu leicht das internationale Gleichheitsprinzip aushöhlen könne: „Ought any single nation to desire, or hope to control the universal law?“83 Ebensowenig durften die Abolitionisten, ganz gleich ob Briten oder Amerikaner, den Süden aufgrund ihrer vermeintlich höheren Moralvorstellungen attackieren. Und schließlich griff er auf das klassische Instrumentarium zurück, mit dem die Jefferson-Republikaner einst die föderalistische Partei zerrieben hatten: die Machtkritik. Wer den Dialekt der südstaatlichen Freiheitssprache richtig verstand, wusste um die Dringlichkeit von Stevensons Sorgen, als er den „Anspruch auf Macht“ anprangerte, der den Emanzipationsaktionen zugrunde lag. Die Gewissheit, dass diese Machtanmaßungen nicht nur den britischen Hoheitsbereich betrafen, sondern in eine „direkte und uneingeschränkte Kontrolle über andere Nationen und ihre Bürger“ münden musste, konnte von der Union nicht hingenommen werden, „without surrendering its independence and sovereignty as a nation.“84 Seine Wortwahl signalisiert überdeutlich, dass Stevenson die Verhandlungen über die schiffbrüchigen Sklaven eigentlich als unverhandelbar begriff.85 Sie tangierten nämlich nicht nur die Ehre des Südens und damit einen neuralgischen Punkt seines Selbstbildes, sondern wurden darüber hinaus als Teil einer atlantischen Verschwörung gegen die Sklavenhaltergesellschaft begriffen.86 Weil sich die Verhandlungen über die schiffbrüchigen Sklaven mit der sektionalen Nervosität des Südens verbanden, fiel Stevensons Verhandlungsstil ungewöhnlich scharf aus. Vom Außenministerium in Washington wegen seines konfrontativen Tons gegenüber Lord Palmerston getadelt, verteidigte er sich einmal sogar mit dem ganz und gar undiplomatischen Argument: „I have simply expressed the truth in plain terms.“87 82 Ellis, Sie schufen Amerika, 128. 83 Stevenson an Palmerston, 29.07.1836, Andrew Stevenson Papers, LC, Letterbook Diplomatic Correspondence, Box 36, 45. 84 Ebd., 46. 85 Auch in seiner Korrespondenz mit dem State Department ließ er durchblicken, dass er bei den Entschädigungsverhandlungen von dem Prinzip geleitet wurde, „to ask only what was right, and submit to nothing wrong“. Stevenson an John Forsyth, 29.07.1836, Andrew Stevenson Papers, LC, Box 42 (Hervorhebung im Original). Eine ähnliche Formel wurde ursprünglich von Andrew Jackson im Zusammenhang mit den Entschädigungsforderungen gegenüber Frankreich geprägt. Vgl. Remini, Course of American Freedom, 288. 86 Vgl. die Andeutungen in Bezug auf den Sklavenhandel und die Sklaverei bei Stevenson an John Forsyth, 24.10.1836, Andrew Stevenson Papers, LC, Box 42. Tatsächlich war die britische Politik zur Beendigung des Sklavenhandels eine „highly aggressive and imperialistic activity, entailing political intervention in states with plantation economies“. Nasson, Britannia’s Empire, 104. 87 Stevenson an John Forsyth, 24.10.1836, Andrew Stevenson Papers, LC, Box 42.
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Mit äußerster Verstimmung nahm er zur Kenntnis, dass das Foreign Office erst nach Monaten auf seine erste Note vom Juli 1836 offiziell antwortete.88 Schlimmer noch: Die britische Regierung bot den Amerikanern jetzt einen Kompromiss an, der zwar konziliant erschien (und somit schwer abzulehnen war), zugleich aber zentrale Prämissen von Stevensons Argumentation zurückwies. In den Worten Palmerstons besaßen die geprellten Südstaatler nur Anrecht auf Entschädigung für den Verlust der 1831 und 1834 gekenterten Sklavenschiffe Comet und Encomium. Für den dritten Frachter, die Enterprise, konnte keine Kompensation gefordert werden, weil sie ihre Menschenladung im Jahre 1835 und damit nach Inkrafttreten des Emanzipationsgesetzes in den Empire-Kolonien verloren hatte.89 Indem er die drei Fälle anhand des britischen law of the land qualifizierte, erteilte er Stevensons Doktrin, die Unionssouveränität dürfe vom Recht anderer Staaten nicht gebrochen werden, eine glatte Absage. Wo finanzielle und diplomatische Erwägungen das Eingehen auf Palmerstons Standpunkt geboten hätten, blieben dem Südstaatler Andrew Stevenson nur Empörung und Verbitterung. In seiner Reaktion verfiel er in die Stereotypen der klassisch-republikanischen Englandkritik. Nicht nur, dass er das Mutterland für die Einführung der Sklaverei in Amerika verantwortlich machte.90 Er zog sogar offen in Zweifel, ob Großbritannien – einst selbst „größter Sklavenhalter der Erde“ – die moralische Qualifikation für den Kampf gegen das Recht auf Menschenbesitz überhaupt erfülle.91 Der Tonfall, 88 Auf Stevensons Schreiben vom 29.07.1836 reagierte Palmerston erst im Januar 1837. In dieser Situation fiel es dem Virginier Stevenson nicht leicht, die Balance zwischen dem diplomatischen Vokabular und der Sprache zu halten, die ein potentieller Ehraffront erforderlich machte. Zur Gesichtswahrung musste er sich zunächst die Annahme zu Eigen machen, dass der Partner des Ehrdiskurses den eigenen Anspruch auf Ehre nach wie vor anerkannte. Diese Konzession sprach er deutlich aus, als er im Dezember 1836 seiner Überzeugung Ausdruck verlieh, dass die englische Politik dem amerikanischen Standpunkt „impartial justice“ widerfahren lassen würde. Nur so konnte die inakzeptable Ignorierung seiner Note nicht als Folge eines Kalküls, sondern eines Missverständnisses interpretiert werden: „[T]hat His Majesty’s Government have been fully sensible of the importance of the principles involved […], he [Stevenson, H.L.] must be permitted to doubt.“ Stevenson an Palmerston, 12.12.1836, Andrew Stevenson Papers, LC, Letterbook Diplomatic Correspondence, 106. 89 Vgl. Palmerston an Stevenson, 20.06.1837, Andrew Stevenson Papers, LC, Box 38. Die graduellen Befreiungsbestimmungen des Emancipation Act von 1833 besaßen seit dem 1. August 1834 rechtliche Gültigkeit im britischen Hoheitsgebiet. Die im Februar 1834 gekenterte Enconium fiel deshalb noch nicht in den Geltungsbereich des neuen Gesetzes. Zur britischen Rechtslauslegung in den Fällen der schiffbrüchigen Sklaven vgl. Wilkins, Window on Freedom, 168 ff., 182; Wilson, Presidency of Martin Van Buren, 153 f. 90 Vgl. Stevenson an Lord Palmerston, 12.05.1837, Andrew Stevenson Papers, LC, Letterbook Diplomatic Correspondence, Box 36, 156 f. 91 Stevenson an Lord Palmerston, 23.12.1837, ebd., 257. Stevenson bezog seinen latenten Heucheleivorwurf auf den Umstand, dass viele Sklaven in den Kolonien auch nach ihrer offiziellen Befreiung für bis zu sechs Jahre auf den Plantagen ihrer vormaligen Her-
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mit dem Stevenson den Briten daraufhin die Inkonsistenzen und Mängel ihres Emanzipationsgesetzes von 1833 vorhielt, kam einem Affront im Sinne seines eigenen Ehrbegriffs gefährlich nah.92 Trotz der heftigen Protestnoten an das Foreign Office ahnte er aber, dass die Position Palmerstons unerschütterlich bleiben würde.93 In Anerkennung der äußeren Zwänge führte er die Verhandlungen weiter und brachte sie knapp zwei Jahre später zum Abschluss.94 Auf den ersten Blick war das Ergebnis durchaus respektabel, schließlich gab die britische Regierung den Forderungen der Union in zwei von drei Fällen nach und zahlte eine hohe Entschädigungssumme.95 Daheim stieß die Verhandlungsführung des Gesandten jedoch nicht auf ungeteilte Zustimmung. John C. Calhoun hatte die Angelegenheit bereits 1837 politisch instrumentalisiert, als er die Exekutive im Senat mit bissiger Kritik bedachte, da sie seit Jahren nur höflich an die Türen des britischen Ministers geklopft habe, wo doch die Flagge und die Ehre der Union besudelt worden seien.96 Nun, im März 1840, brachte er eine Resolution vor den Senat, in der die Beschlagnahmung der Sklaven an Bord der Enterprise für „höchst ungerecht“ erklärt wurde.97 Calhouns Beschwerde über die Verhandlungsführung zielte auch auf seinen politischen Gegner Stevenson, der sich in der Annullierungskrise 1833 gegen South Carolina auf die Seite der Jackson-Regierung gestellt hatte.98 Wie die öffentlichen Debatten nahelegen, empfand der Süden seine Bilanz jedoch noch aus anderen Gründen als zwiespältig. Vor dem Hintergrund eines zunehmend sklavereifeindlichen Zeitgeistes war es Stevenson nicht gelungen, ein Zeichen gegen den atlantischen Abolitionismus zu setzen. Es war ihm nicht möglich gewesen, ein Exempel gegen den (per se fatalen) Eingriff in die Besitzverhältnisse von Sklavenhaltern zu statuieren.
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ren arbeiten mussten. Zu den Übergangsbestimmungen und Kompensationsleistungen für die Sklavenhalter vgl. ausführlich Blackburn, Overthrow of Colonial Slavery, 456 ff.; Walvin, Black Ivory, 307 f. Vgl. Stevenson an Lord Palmerston, 23.12.1837, Andrew Stevenson Papers, LC, Letterbook Diplomatic Correspondence, Box 42, 265 ff. Vgl. dazu auch Stevenson an Martin Van Buren, 15.01.1838, Martin Van Buren Papers, LC, Reel 27. Vgl. Stevenson an John Forsyth, 26.11.1837, Andrew Stevenson Papers, LC, Box 42. Vgl. Stevenson an Martin Van Buren, 16.05.1839, ebd., LC, Box 39. Vgl. Palmerston an Stevenson, 02.10.1839, ebd., Box 38. Stevenson nahm vom Schatzamt eine Summe von umgerechnet $ 115.630 entgegen. Das entsprach einem Betrag von $ 479 pro Sklave. Zur Entschädigungssumme vgl. Wilkins, Windows on Freedom, 192; Belohlavek, ‘Let the Eagle Soar!’, 72 f.; Wilson, Presidency of Martin Van Buren, 154. Vgl. Register of Debates, 24th Congress 2nd Session, 02.03.1837, 1016. Calhoun saß seit seinem Ausscheiden aus der Jackson-Regierung 1832 für South Carolina im Senat. Zu den hierfür verantwortlichen Verwerfungen in der Annullierungskrise vgl. u. 124 f. Vgl. Congressional Globe, 26th Congress 1st Session, 13.03.1840, Appendix, 267. Stevenson erkannte den politischen Hintergrund von Calhouns Kritik an dem Verhandlungsergebnis und artikulierte das auch erstaunlich offen. Vgl. Stevenson an Calhoun, 28.04.1840, Andrew Stevenson Papers, LC, Box 40.
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Die Episode liefert einen Baustein für den Prozess, in dem die Südstaatler durch den – perzepierten – Druck von außen ihre inneren Differenzen zu überwinden begannen.99 Mit seismographischer Genauigkeit die Veränderungen in der atlantischen Welt registrierend, kultivierten sie ein Verschwörungsdenken, das im Laufe der Jahre sämtliche Strömungen und Parteien ergreifen sollte. So neigten der Partikularist Calhoun und der Unionist Stevenson zu den gleichen englandkritischen Feindbildern, die ihrer gemeinsamen Weltsicht als Sklavenhalter entsprangen. Seine Erfahrungen in England waren unter anderem ein Grund dafür, dass Stevenson in das Lager der bedingten Sezessionisten (also der Anhänger Calhouns) gelangte, gegen deren Doktrinen er sich zeitlebens gesträubt hatte.100 In England erhielt er eine Art Vorgeschmack auf den Streit der 1840er und 1850er Jahre, der dem Zweiparteiensystem den Todesstoss versetzten sollte. Was die englische Sklavereikritik von dieser späteren Krisenwahrnehmung allerdings unterschied, war der Umstand, dass er von außen und nicht von innen vorgetragen wurde. Sie war durch bewährte Feindbilder also leichter von der Hand zu weisen als der Anspruch der Lincoln-Republikaner, das Monopol der Sklavenhalter in der Union von innen heraus zu brechen. Gleichzeitig sah sich ein Südstaatler im Ausland aber nicht durch eine Gag Rule geschützt, die das Thema Sklaverei aus dem öffentlichen Raum verbannte.101 Was in Washington außerhalb der Grenzen freier Rede lag, beschäftigte in London eine erregte Öffentlichkeit, drang bis ins Parlament vor und machte sogar vor den Toren Whitehalls nicht Halt. In der O’Connell-Affäre von 1838 sollte Stevenson das schmerzhaft zu spüren bekommen. Eine öffentliche Ehrverletzung: Die Stevenson-O’Connell-Affäre, 1838 In Großbritannien waren die Entschädigungsverhandlungen deshalb so brisant, weil die abolitionistischen Bewegungen ihre Forderungen immer öffentlichkeitswirksamer artikulierten. Nach der endgültigen Sklavenbefreiung auf den Westindischen Inseln im August 1838 befand sich ihr Selbstbewusstsein auf einem noch nie gesehenen Hochpunkt.102 Die radikalen Befreiungsprediger 99 Albert Wirz hat in Anlehnung an Bertram Wyatt-Brown diesen Integrationsprozess innerhalb der weißen Bevölkerung als Reaktion auf Sklavenaufstände beschrieben. Er vollzog sich aber sehr wohl auch angesichts der äußeren Bedrohungswahrnehmung. Vgl. Wirz, Sklaverei und kapitalistisches Weltsystem, 183. Vgl. ferner Wyatt-Brown, Southern Honor, 402–435. 100 „Stevenson is an example of how the slavery question gradually changed a Jacksonian nationalist into a conditional secessionist“, urteilt sein Biograph Francis Wayland. Wayland, Andrew Stevenson, 249. 101 Zur 1836 verabschiedeten Gag Rule vgl. u. 133. 102 Vgl. Temperley, O’Connell-Stevenson Contretemps, 217.
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sahen nun die Gelegenheit gekommen, ihre Strategie im Kampf gegen die Sklaverei in einen größeren atlantischen Zusammenhang einzuordnen. Zielscheibe der Angriffe sollte nun nicht mehr (nur) der afrikanische Menschenhandel sein, sondern auch die inneren Institutionen der Union, wo Republikanismus und Sklaverei einen scheinbar widernatürlichen Pakt geschlossen hatten. Weil die Amerikaner die Freiheit predigten und die Knechtschaft praktizierten, zogen sie den Hass der britischen Philanthropen auf sich. Einer ihrer prominentesten Vertreter, der irische Reformer und Parlamentsabgeordnete Daniel O’Connell103, sehnte den Tag herbei, „when not a single American will be received in civilized society unless he belongs to an anti-slavery union or body“.104 O’Connells Äußerungen nahmen den Strategiewechsel der Abolitionisten punktgenau vorweg und enthielten einen ungeheuren Ehraffront gegen den sklavenhaltenden Süden. Gemäß den Regeln der Ehrkultur, die individuelle und kollektive Selbstbilder durch die Anerkennung von außen bestätigte oder verwarf, konnte es nämlich kaum ein schlimmeres Attribut geben als das der Barbarei und Unzivilisiertheit. Mehr noch: O’Connells Sklavereikritik ließ die Ebene der abstrakt-moralischen Vorwürfe hinter sich und setzte sich zum Ziel, alles zu tun, um die universale Freiheit der Sklaven tatsächlich zu erreichen.105 In den Augen des Südens kam das einer Art von Kriegserklärung gleich. Dass seine Ideen auch auf der anderen Seite des Atlantiks Wurzeln schlugen, dafür musste O’Connell nun Sorge tragen. Denn vor allem anderen benötigten die Abolitionisten für ihre soziale Revolution die Plattform einer atlantischen Öffentlichkeit. In Birmingham wurde am 1. August 1838 bei einem Town Hall Meeting das Ende der Übergangsfristen für die Abschaffung der Empire-Sklaverei gefeiert. Hier entlud O’Connell seinen Hass auf die Sklavenhalter und schreckte selbst vor einer Diffamierung des Nationalheiligtums George Washington nicht zurück.106 Weit brisanter aber war noch, dass er den derzeitigen Repräsentanten der Union in England, Andrew Stevenson, in einem Atemzug mit Schauerbildern von Menschenfarmen und Bluthandel nannte: I believe their very Ambassador here is a slaveholder, one of those beings who rear up slaves for the purpose of traffic. Is it possible that America would send here a man who trafficks in blood, and who is a disgrace to human nature?107
103 Zu O’Connell, dessen Sklavereifeindschaft in einem engen Zusammenhang mit seinem Eintreten gegen die Diskriminierung der irischen Katholiken stand, vgl. McDonagh, The Emancipist. Vgl. kompakt McMahon, Daniel O’Connell; O’Ferrall, Daniel O’Connell. 104 Daniel O’Connell an Joseph Sturge, 07.07.1838, zit. n. Temperley, O’Connell-Stevenson Contretemps, 219. 105 Zu O’Connells universalem Freiheitsbegriff vgl. O’Ferrall, Daniel O’Connell, 108 f.; Lee, Daniel O’Connell, 5; O’Ferrall, Liberty and Catholic Politics, 44 f.; McDonagh, Emancipist, 62. 106 Zur südstaatlichen Reaktion auf die Washington-Kritik in O’Connells Rede vgl. Richmond Enquirer, 25.09. u. 16.10.1838. 107 The Times, 15.08.1838. Dieser Passus entstammt der in der Times veröffentlichten Kor-
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Diese gezielte Provokation stellte Stevenson vor ein Dilemma: Einerseits erzwang sein Ehrverständnis eine unzweideutige Reaktion, schließlich war neben der kollektiven Ehre Amerikas auch seine eigene Integrität in Abrede gestellt worden. Andererseits geboten die Amtspflichten, dass er sich nicht in einen – von O’Connell sicherlich antizipierten – Disput mit den englischen Sklavereifeinden hineinziehen ließ. Völlig untätig bleiben konnte er allerdings nicht. Nach Beratungen mit dem zufällig in London verweilenden James Hamilton, einem duellversierten Südstaatler aus South Carolina108, zog Stevenson bei O’Connell schriftliche Erkundigungen über den Wahrheitsgehalt der im Spectator wiedergegebenen Redepassagen ein.109 In seiner Antwort vom Tag darauf bestritt der Ire zwar die Korrektheit des Zitats, äußerte sich aber mit keinem Wort darüber, was er eigentlich gesagt hatte und wie es verfremdet worden war.110 Stevenson musste nun entscheiden, ob er O’Connells Erklärung als Satisfaktion anerkannte und die Angelegenheit auf sich beruhen ließ, oder ob er auf der Konkretisierung des Gesagten bestand – und somit das Risiko einer Ehreskalation in Kauf nahm, deren politische Folgen kaum kalkulierbar waren. Mit Rücksicht auf seine diplomatische Stellung las er das Antwortschreiben so, als habe sich O’Connell von dem Spectator-Zitat distanziert.111 Unter dem Gesichtspunkt der Südstaaten-Ehre nahm sich die scheinbar elegante Lösung allerdings problematisch aus. Ungeheuerliche Anschuldigungen wie jene des irischen Politikers verlangten eigentlich nach einer exakten Dokumentation, die der Öffentlichkeit bewies, dass keine Ehrbeschädigung geschehen bzw. die Restauration der Ehre vollzogen worden war. James Hamilton brachte sein Unbehagen über den frühen Zeitpunkt, zu dem Stevenson die Affäre beendet hatte, recht deutlich in seiner Meinung zum Ausdruck, es sei O’Connell gestattet gewesen, „to lie himself out of the difficulty“. Wie er am 15. August in einem polternden Brief an den Richmond Enquirer kundtat, beabsichtigte er deshalb
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respondenz zwischen Stevenson und O’Donnell. Stevenson selbst bezog sich in seiner Wiedergabe auf den Bericht im Spectator (04.08.1838). Zu Hamilton vgl. jetzt Tinkler, James Hamilton. Ein prominenter Annullierungsbefürworter während der Zollkrise von 1828 bis 1833, trug Hamilton im Laufe seines Lebens vierzehn Duelle aus und galt als sinnbildliche Verkörperung eines ehrbewussten Southern Gentleman. Vgl. Freehling, Prelude to Civil War, 150. Zur Rolle Hamiltons als Diplomat in der Texaskrise vgl. u. 156. Vgl. Stevenson an O’Connell, 09.08.1838, in: The Times, 15.08.1838. Vgl. O’Connell an Stevenson, 10.08.1838, ebd. Entgegen der Darstellung bei Wayland, Andrew Stevenson, 184, enthielt O’Connells Antwortschreiben an Stevenson keinerlei Konkretisierungen bezüglich seines genauen Redetextes. Stevenson an O’Connell, 11.08.1838, ebd. Auf Stevensons Betreiben hin wurde die gesamte Korrespondenz am 15. August in der London Times veröffentlicht, was den offiziellen Endpunkt der Auseinandersetzung markierte.
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III. Der Süden, die atlantische Welt und der Niedergang der Union
seinen Aufenthalt in England zu verlängern und die Fakten selbst zu ergründen, weil er zu wissen glaubte, „what Virginia asks and expects of her sons“.112 So sammelte Hamilton als selbsternannter Ehrverwalter von Stevensons Heimatstaat weitere Zeugnisse, die darauf hinzuweisen schienen, dass die im Spectator abgedruckten Sätze tatsächlich den Worten O’Connells in Birmingham entsprachen.113 Und auch der Ire selbst erkannte den politischen Wert, die Affäre in den Zeitungen lebendig zu halten. In einem Schreiben an den Morning Chronicle vom 9. September gab er an, dass der Austausch zwischen ihm und Stevenson keineswegs mit einer Entschuldigung seinerseits beendet worden sei. Ganz im Gegenteil habe er sich bereit gehalten, auf eine (nie erfolgte) Anfrage Stevensons hin das korrekte Zitat wiederzugeben.114 Weil O’Connell die Verwerflichkeit der Sklavenhalter auch bei dieser Gelegenheit geißelte, konnte kaum der Eindruck entstehen, dass der Gesandte die Integrität seiner Heimat wiederhergestellt hatte. Ebenso erregt wie zwiespältig war deshalb das öffentliche Echo in Amerika. Teile der sklavereikritischen Whig-Blätter und die abolitionistischen Zeitungen nutzten die Affäre zur Unterfütterung ihrer eigenen SüdstaatenStereotypen. Der Boston Atlas etwa schlug aus dem Ehraffront publizistischideologisches Kapital und äußerte die Erwartung, die O’Connell-Affäre „will draw the eyes of the civilized world to a fact, which, for the honour of our country and the character of our country abroad, might as well have been kept in the background“.115 Indem er den Süden explizit aus dem Orbit der „zivilisierten Welt“ ausschloss, griff der Atlas genau die Prämissen auf, die O’Connell für seinen Frontalangriff auf die atlantische Sklaverei formuliert hatte. In seiner Replik kehrte Thomas Ritchie, der einflussreiche Herausgeber des Richmond Enquirer, dieses Argument einfach um: „We repel the infa112 James Hamilton an Thomas Ritchie, 15.08.1838, in: Richmond Enquirer, 25.09.1838 (Hervorhebung im Original). Hamiltons Brief, der nur unzulänglich verhüllte Mordphantasien gegenüber O’Connell zutage förderte, war selbst den meisten Südstaatlern zu gewalttätig und schadete ihm politisch. Nach seiner Rückkehr aus England rechtfertigte sich Hamilton mit den erregenden Begleitumständen der Affäre. Vgl. James Hamilton an Thomas Ritchie, 10.10.1838, in: Richmond Enquirer, 16.10.1838. Vgl. hierzu auch Tinkler, James Hamilton, 165. 113 Vgl. Henry Vanwart an James Hamilton, 06.09.1838, in: Richmond Enquirer, 16.10.1838. 114 O’Connell bezog sich hier auf einen einzigen Satz, der sich an die Aussage anschloss, Stevenson sei ein verachtenswürdiger Sklavenhändler: „I hope the assertion is untrue, but it is the right to speak out.“ Obwohl in der Spectator-Version der Rede abgedruckt, hatte Stevenson in seinem Schreiben vom 9. August den Passus weggelassen und O’Connell damit eine Gelegenheit verschafft, um in seiner Antwort vom Tag darauf die Korrektheit des Zitats zu bestreiten. Indem sich der Ire nun öffentlich zu seinem Redetext bekannte, hinterließ er Stevenson in einer prekären Situation. Schließlich konnte die Ergänzung im Kontext allenfalls als Relativierung des zuvor Gesagten gelten. O’Connell an den Herausgeber des Morning Chronicle, 13.09.1838, in: Richmond Enquirer, 16.10.1838. 115 Zit. n. Richmond Enquirer, 19.10.1838.
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mous assertion, and pronounce that what the Atlas calls a ‚fact’, is a foul slander upon the ‚honor of our country’.“116 Die Presseorgane in Nord und Süd rangen also um die Deutungshoheit über den Ehrbegriff.117 In der Absicht, Virginias Ehre zu verteidigen und O’Connells Integrität zu demontieren, ergoss sich aus den Zeilen des Enquirer eine Flut von negativen Englandbildern. Der traditionell ambivalenten Einstellung des Old Dominion zur Sklaverei verpflichtet, konnte Ritchie dem emphatischen Pro Slavery Argument nicht folgen.118 Seine Entlastungsstrategie zur Restauration der Ehre zielte demnach auf die Entlarvung der Widersprüche im britischen Moralismus: „It was the avarice of Great Britain, which first forced these slaves upon us. Virginia was among the first to remonstrate. She passed laws from time to time against the slave trade. The British Government negatived them. When we obtained the rights of a free and independent nation, we stopped the trade […] long before Great Britain had done so in her own islands.“119 Hinter der Fassade von Ritchies Englandkritik war das Unbehagen der Virginier gegenüber der Sklaverei kaum zu übersehen. Dennoch richtete er sich entschieden gegen die Kräfte in der atlantischen Welt, die sich scheinbar zur Vernichtung der südstaatlichen Lebenskultur zusammengeschlossen hatten. Auf seinem Gesandtschaftsposten in England kam Stevenson gleich in mehrfacher Hinsicht mit der neuen Zeit in Berührung: Bei den Entschädigungsverhandlungen erteilte Palmerston der Besitz- und Freiheitsdoktrin der Sklavenhalter eine glatte Absage und ließ ihren Wiedergutmachungserfolg damit mehr als unvollständig. Großbritanniens erfolgreiches Beharren auf der Anwendung des Landesrechts in den Kolonien blieb nicht ohne Folgen. Zwei Jahre später setzten die Behörden in Nassau über einhundert Schwarze frei, die ein amerikanisches Sklavenschiff nach einer Meuterei in den Hafen gesteuert hatten.120 116 Ebd. Zu Ritchie vgl. noch immer Ambler, Thomas Ritchie. 117 Der Enquirer, dessen Herausgeber Stevenson politisch und persönlich nahe stand, verteidigte dessen Vorgehen von allen größeren Zeitungen des Südens am vehementesten. Ansonsten war der Tenor in der Presse eher gespalten, wobei durchaus die Sichtweise nordstaatlicher Blätter geteilt wurde, dass sich Stevenson seines Amtes unwürdig verhalten habe. Vgl. die entsprechenden Zitate aus kleineren südstaatlichen Blättern bei Temperley, O’Connell-Stevenson Contretemps, 228. Zu Ritchies Loyalität gegenüber Stevenson vgl. Ambler, Thomas Ritchie, 187 ff. 118 Vgl. etwa die emphatischere Sklavereiapologie und Englandkritik in: Charleston Mercury, 09.04.1839. 119 Richmond Enquirer, 16.10.1838. 120 Zum Fall der Creole, die im November 1841 von meuternden Sklaven übernommen und nach Nassau gesteuert wurde, vgl. Jones, To the Webster-Ashburton Treaty, 80 f. Die Vorgänge auf der Creole weckten auch Erinnerungen an die heftigen – vor allem innenpolitischen – Debatten, welche durch die Sklavenmeuterei auf der Amistad im Jahre 1839 ausgelöst worden waren. Vgl. dazu Jones, Mutiny on the Amistad.
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III. Der Süden, die atlantische Welt und der Niedergang der Union
Viele Südstaatler sahen diesen Tabubruch als Folge einer fortgesetzten Missachtung ihrer Souveränitätsrechte, wie sie im Falle der Comet, der Enconium und der Enterprise bereits praktiziert worden war, ohne dass Stevenson die Rechtsdoktrin Palmerstons außer Kraft hatte setzen können. Die politische Ehrverletzung fand schließlich ihre Entsprechung auf der öffentlichen und gesellschaftlichen Ebene: Mit seinem Verhalten in der O’Connell-Affäre verwickelte sich der Gesandte in eine peinliche Zeitungsposse. Das kulturelle Selbstverständnis des Südstaatlers geriet mit den Amtspflichten des Diplomaten in Konflikt. Wurde von Teilen einer aufgewühlten Gesellschaft sein Anspruch auf Respektabilität und Ehre schroff zurückgewiesen, so bemerkte er zum Ende der Gesandtschaftszeit auch im politischen Zusammenhang, dass in Großbritannien „Fanatiker und Abolitionisten“ Auftrieb erhielten, „attempting to disturb us on the subject of slavery“.121 Zugleich suchte er aber die Anerkennung des offiziellen London, die ihm auch ausdrücklich gewährt wurde, als er im Februar 1838 die Ehrenbürgerwürde der Hauptstadt angetragen bekam. Obwohl er die Auszeichnung mit Verweis auf seine Stellung höflich ablehnte, harmonierte diese persönliche Ehrbezeugung doch mit seinem Ideal von den anglo-amerikanischen Beziehungen, in dem den „Rechten und der Ehre“122 beider Nationen Rechnung getragen werden sollte (ein Prinzip, das aus seiner Sicht bei den Streitigkeiten über den Sklavenhandel und die Sklavenbeschlagnahmung verletzt worden war). Ebenso genoss er die Ehrbezeugungen und Zeremonien, die mit seiner Gesandtschaftsstellung verbunden waren. Stevenson und seine Frau Sarah unterhielten einen bemerkenswert herzlichen Kontakt zu Königin Viktoria, deren Krönung im Juni 1838 sie ebenso beiwohnten wie ihrer Heirat mit dem Kronprinzen Albert von Sachsen-Coburg und Gotha im Februar 1840.123 Auf diese Gleichzeitigkeit von Anerkennung und Ablehnung, von Nähe und Distanz reagierte er so, wie viele Südstaatler damals ihre englischen Erfahrungen verarbeiteten – mit der agrarromantischen Sehnsucht Jeffersons. Ein einfaches Farmerdasein wolle er führen, so hatte er seinen zivilisationskritischen Neigungen bereits im Februar 1839 nachgegeben: „Having seen and enjoyed to my heart’s content (as well as discontent) all that Royalty, wealth, and luxury can do in this world I should be much more reconciled to private live know, than before I came to Europe.“124 Dieser Absicht blieb 121 Stevenson an Martin Van Buren, 25.01.1839, Martin Van Buren Papers, LC, Reel 31. 122 Stevensons Erklärung zum Angebot der Ehrenbürgerwürde Londons, in: The Times, 23.02.1838. Vgl. dazu auch Wayland, Stevenson, 160 f. 123 Vgl. ausführlich Sarah Coles Stevenson an Helen S. Coles, 15.07.1838, in: Boykin (Hg.), Victoria, Albert, and Mrs. Stevenson, 146–152; Sarah Coles Stevenson an Sally Rutherford, 19.02.1840, in: ebd., 242–246. Zu Stevensons Rezeption in England vgl. auch Richmond Enquirer, 03.04.1838. 124 Stevenson an John Rutherford, 28.05.1839, Andrew Stevenson Papers, LC, Box 39 (Hervorhebung im Original).
2. Prägungen: South Carolina
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Stevenson treu. Nach seiner Rückkehr nach Virginia zog er sich aus der aktiven Politik zurück und verbrachte die restlichen Jahre seines Lebens als „County Gentleman“.125 Anders als Rives stemmte er sich den Veränderungen der Zeit nicht mehr entgegen – und anders als die jüngeren Virginier musste er den Untergang des Alten Südens auch nicht mehr selbst erleben. 2. PRÄGUNGEN: SOUTH CAROLINA Der Einfluss South Carolinas auf den restlichen Antebellum-Süden wirft für den rückblickenden Betrachter manches Rätsel auf.126 Als die Siedler im späten 17. Jahrhundert die Reissümpfe Carolinas von versklavten Schwarzen ausheben ließen, begründeten sie eine Sklavenhaltergesellschaft karibischen Musters, die auf extreme Weise alles symbolisierte, was der Norden am Süden verachtete. Aber auch südlich der Mason-Dixon-Linie lässt sich der Palmetto State nur schwer einem regionalen Lager zuschlagen: Von der Chesapeake, wo das Zahlenverhältnis zwischen Weißen und Schwarzen nicht derart ungleichgewichtig ausfiel, unterschied er sich ebenso wie vom südwestlichen Baumwollgürtel, der vom Zuzug der Farmer und Sklaven aus den Atlantikstaaten profitierte. Darüber hinaus steht South Carolinas Pflanzerklasse in überspitzter Form für das südstaatliche Eliteideal von Einheit und Homogenität. Geboren in den ersten 25 Jahren des 19. Jahrhunderts, durchliefen die führenden Politiker des Staates identische Sozialisationsstationen. Die überwältigende Mehrheit studierte am South Carolina College in Columbia, praktizierte danach für einige Zeit als Anwalt, um sich sodann als sklavenhaltende Pflanzer niederzulassen und eine Karriere in der Staaten- bzw. später in der Bundespolitik anzustreben.127
125 Wayland, Andrew Stevenson, 191. Trotz der Versuche seines Freundes Thomas Ritchie, ihn 1844 für eine Stelle im Kabinett des neu gewählten Präsidenten James K. Polk zu empfehlen, gelangte Stevenson im Anschluss an die englische Gesandtschaft nicht mehr auf einen bundespolitischen Posten. Vgl. zu Ritchies Ansinnen und seinen Motiven Ambler, Thomas Ritchie, 246. 126 Zur Pflanzerelite South Carolinas während der Antebellum-Zeit vgl. Ford, Origins of Southern Radicalism. Vgl. stark auf den politischen Kontext und die Sezessionsbewegung innerhalb des Staates fokussiert Barnwell, Love of Order. Vgl. so auch die neuere und formidable Darstellung von Sinha, Counterrevolution of Slavery. 127 Vgl. die entsprechende Übersicht für jene 21 Politiker, die zwischen 1851 und 1860 als Senatoren, Kongressabgeordnete oder Gouverneure amtierten, bei Schultz, Nationalism and Sectionalism in South Carolina, 7, Anm. 10. Wie der Autor mit Blick auf die biographischen Daten konstatiert: „South Carolina politicans in the 1850’s had strinkingly similiar backgrounds.“ Ebd.
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III. Der Süden, die atlantische Welt und der Niedergang der Union
Anders als in Virginia, das um 1830 über innere Reformen zumindest diskutierte, fühlte sich die Elite South Carolinas an die Bewahrung der überkommenen Gesellschaftsstrukturen gebunden und flüchtete sich in einen manischen Vergangenheitskult. Architektur, Kunst und Gesellschaftsleben von Charleston spiegelten das kulturelle Erbe Englands aus dem 18. Jahrhundert noch äußerst lebendig wider.128 Was die Gentlemen South Carolinas zu bewahren suchten, fanden sie nämlich nicht im dynamischen England ihrer Tage, sondern im agrarischen Feudalismus aus der Zeit vor der Amerikanischen Revolution. Obgleich sie nur einen „winzigen Fleck auf der Landkarte der Welt“ okkupierten, so belehrte der Reverend Stephen Elliott die Studenten des South Carolina College kurz vor Ausbruch des Bürgerkrieges, verfügten sie über große Vorbilder der Vergangenheit: „You must continue to be great as your fathers were, or you will not be great at all.“129 Innerhalb des Südens bewegte sich South Carolina auf einem schmalen Grat zwischen Isolation und Meinungsführerschaft130: Während der Annullierungskrise von 1828 bis 1833 probten die radikalen Partikularisten den Aufstand gegen die Washingtoner Bundesgewalt, mussten aber schließlich dem Druck moderater Kräfte nachgeben und auf einen Kompromisskurs einschwenken.131 Umso verbissener arbeitete ein harter Kern von Politikern und Intellektuellen danach auf die Sezession hin – nur um sich nach ihrem Eintreten auf ganzer Linie ausmanövriert zu sehen. Die Gravitationszentren der Konföderation lagen woanders: in Mississippi, Louisiana und Alabama, sogar in Virginia. Von keinem anderen Staat aber waren so regelmäßig Impulse der Spaltung in die Union hinausgesendet worden wie aus South Carolina. Wenn es möglich ist, die Stabilität einer Republik mit der schieren Kraft des Wortes zu erschüttern, dann wurde in Charleston und Columbia eine Unmenge destruktiver Energie freigesetzt. Unter den Hitzköpfen des Palmetto State stachen vor allem zwei Politiker hervor, die später auch über die Außenpolitik einer Südstaaten-Konföderation reflektierten: Robert Barnwell Rhett und James Henry Hammond. In den Jahrzehnten, in denen sie im Rampenlicht standen, überzogen diese beiden ehrgeizigen Aufsteiger aus bescheidenen sozialen Verhältnissen die Nordstaaten mit Schmähungen, Brandreden und Invektiven. Während sich Rhett früh gegen die Union entschied und von da an konsequent auf ihre Zer128 Vgl. McInnis, Politics of Taste in Antebellum Charleston, bes. 8, 23 ff., 36. Vgl. auch Freehling, Road to Disunion I, 211 ff. Vgl. ferner O’Brien / Moltke-Hansen, Intellectual Life in Antebellum Charleston. 129 Elliott, Annual Address before the Clariosophic and Euphradian Societies of the South Carolina College, 04.12.1859, 12. 130 Zum Problem des „Carolina exceptionalism“ vgl. Sinha, Counterrevolution of Slavery, 2. 131 Zur Annullierungskrise vgl. Freehling, Prelude to Civil War. Vgl. ferner mit einem Fokus auf die Reaktion einzelner Staaten Ellis, Union at Risk. Vgl. im Überblick auch Watson, Liberty and Power, 96–132.
2. Prägungen: South Carolina
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störung hinarbeitete, schwankte Hammond zwischen den Polen von Unionismus und Sezessionsbekenntnis, ohne die Trennung jemals offen programmatisch zu fordern.132 Weil sie aber trotz ihrer unterschiedlichen Motive die Option einer radikalen Umschichtung der amerikanischen Nationalität immer wieder durchdachten, projektierten sie „ihren“ Süden auch in atlantischen Dimensionen. 1836 / 37 sammelte Hammond auf einer ausgedehnten Europareise prägende Eindrücke in England. Rhett segelte 1834 und 1845 nach London und inszenierte beim zweiten Besuch dort einen Auftritt im Foreign Office, der nicht nur einiges über sein Selbstwertgefühl, sondern auch über die partikulare Beschränkung seines außenpolitischen Denkens verrät. Hammond und Rhett orientierten ihr Südstaatenideal eher an einer romantischen Vergangenheit als an der konfliktreichen Gegenwart, die ihnen im England ihrer eigenen Tage zu begegnen schien. Dennoch vermochten sie auf den atlantischen Bezugsrahmen ihres Denkens nie zu verzichten. Regionale Prägung und partikulare Fixierung: Robert Barnwell Rhett und James Henry Hammond Auf schillernde Art und Weise symbolisiert Robert Barnwell Rhett die Janusköpfigkeit von South Carolinas Radikalen, die eine Revolution herbeisehnten, um eine Revolution zu verhindern.133 Unabhängig vom nationalen Stimmungspendel, das zwischen Versöhnung und Aggression hin- und herschlug, plädierte er für eine Option von radikaler Eindeutigkeit, freilich auch für eine gefährliche Konfrontation mit ungewissem Ausgang. Weil er derart vehement für seinen politischen Lebensentwurf eintrat, lässt sich Rhett durchaus als ein aggressiver Zukunftsgestalter begreifen. Seine Zukunftsidee war aber vorrangig negativer Natur, sie gründete sich weniger auf der positiven Vision einer alternativen Zukunft als eher auf der Restauration einer imaginierten Vergangenheit. Obwohl Rhett also erwartungsvoll nach vorne sah, blickte er nicht minder sehnsüchtig zurück. Nur in seine eigene Zeit, so gewinnt man den Eindruck, schien er sich nie wirklich einzufinden. 1837 dokumentierten er und seine Geschwister das auf markante Weise – durch eine Namensänderung.
132 Vgl. so Ericson, Debate over Slavery, 120 f., 152. 133 Zu Rhett vgl. umfassend Davis, Rhett. William C. Davis’ erschöpfende Biographie bietet den neuesten Forschungsstand zu Rhett und den Fire-Eaters in South Carolina. Davis hat ebenfalls die Lebenserinnerungen Rhetts ediert. Vgl. Davis, A Fire-Eater Remembers. Vgl. das konzise Porträt bei Walter, Fire-Eaters, 121–160. Eine eher flüchtige Skizze liefert Abrahamson, Men of Secession and Civil War, 33 ff.
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III. Der Süden, die atlantische Welt und der Niedergang der Union
Robert Barnwell Rhett (1800–1876)
Rhett wurde nämlich im Jahre 1800 als Robert Barnwell Smith geboMit seinem exzentrisch anmutenden, für das vergangenheitsverliebte South Carolina allerdings keineswegs ungewöhnlichen Schritt erwarb er nicht nur einen wohlklingenden Namen, der seine politisch-soziale Position aufzubessern versprach, sondern zeigte auch seinen Wunsch nach einem primordiren.134
134 In der Literatur wird die Namensänderung zwar in der Regel an mehr oder minder prominenter Stelle vermerkt, auf eine Anpassung im Text aber verzichtet. Rhett wird somit auch dann als Rhett bezeichnet, als er eigentlich noch Smith hieß. Vgl. etwa Walter, Fire-Eaters, 120 f.; Freehling, Prelude to Civil War, 148 f.; Rowland, History of Beaufort County, 336. Die Ausnahme hiervon bilden Davis, Rhett; Tinkler, James Hamilton. Da es unhistorisch erscheint, in der quellennahen Analyse die Namensänderung bereits vorwegzunehmen, wird hier im letzteren Sinne verfahren.
2. Prägungen: South Carolina
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alen Identitätsbezug an.135 Zeitlebens war er stolz auf seine respektable Ahnenreihe.136 Auf englischer Seite führte Barnwell Smith seine Herkunft auf den Landgrafen Thomas Smith aus Devon zurück, der im späten 17. Jahrhundert in der Kolonie Carolina zu Reichtum und Ansehen gelangt war.137 Wie die Namensänderung nahe legt, besaß die ursprünglich niederländische Rhett(de Raedt)-Linie aber einen noch besseren Klang. William Rhett handelte Anfang der 1690er Jahre mit Sklaven zwischen der Westküste Afrikas und Charles Town, wo er später in eine Eigentümerfamilie einheiratete und sich durch Strafaktionen gegen Seeräuber lokalen Ruhm erwarb.138 Die weibliche Linie der Rhetts verschmolz Mitte des 18. Jahrhunderts mit jener der Smiths139, als deren Abkömmling Robert Barnwell, der auf den Rufnamen Barnwell hörte, nach 1800 in der ländlichen Umgebung von Beaufort, South Carolina, aufwuchs.140 Unter den Folgen wirtschaftlicher Fehlschläge leidend, zehrte die SmithFamilie vom besseren Ruf entrückter Zeiten. Der Verlust vergangener Größe zog sich bereits früh als ein Leitmotiv durch Barnwell Smiths Denken. Aus seiner Sozialisation, die sich von denen der bisher behandelten Virginier unterschied, lässt sich das deutlich herauslesen. Obwohl noch sein Vater in England eine juristische Ausbildung genossen hatte, verblieb ihm nur der Besuch des glanzlosen Beaufort College.141 Trotz allem gelang ihm der Aufstieg aus schlichten Verhältnissen vergleichsweise geschmeidig.142 Mit dem Ehrgeiz des Autodidakten arbeitete er sich bis 1822 in die Kanzlei des angesehenen 135 Wahrscheinlich war eine Gemengelage von Gründen für den aus dem Kreis der Familie angeregten Namenswechsel verantwortlich. Vgl. den politischen Aspekt betonend Walter, Fire-Eaters, 121. Vgl. hingegen auch den „pride in their forebears“ als Impuls der Smith-Brüder nennend Davis, Rhett, 100. Wie David Hackett Fischer konstatiert, zeigte die Rhett-Familie hier ein „flair for the invention of tradition. It had changed its name […] to present a more romantic image of the world and embraced the mystique of Carolina culture“. Fischer, Liberty and Freedom, 310. 136 Die Genealogie der Smith- und Rhett-Familien in South Carolina ist ausführlich dargestellt bei Davis, Rhett, 1–21. William C. Davis stützt sich hierbei auf genealogische Notizen, die in der South Carolina Historical Society in Charleston verwahrt sind. 137 Vgl. Salley, Family of the First Landgrave Thomas Smith, 169; ders., More on Landgrave Smith’s Family, 255. 138 So bekämpfte Rhett im September 1718 den Piraten Stede Bonnet, der gemeinsam mit dem berüchtigten Edward Teach (Blackbeard) gesegelt war. Genau das war der Stoff für Familienlegenden und Lokalfolklore, die in der Kollektiverinnerung späterer Generationen präsent geblieben sind. Vgl. Weir, Colonial South Carolina, 86 f. 139 Vgl. South Carolina Genealogical Society, Columbia Chapter, South Carolina Families: The Smiths, 12. 140 Wie William C. Davis die Verknüpfung der Smith-, Rhett- und Barnwell-Linien in der Ahnenreihe Barnwell Smiths kommentiert, besaß er „a title to an ancestral pride second to none in the state“. Davis, Rhett, 9. 141 Vgl. Rowland, History of Beaufort Country, 336. 142 Vgl. Walter, Fire-Eaters, 122.
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III. Der Süden, die atlantische Welt und der Niedergang der Union
James Henry Hammond (1807–1864)
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Charlestoner Juristen Thomas Grimké hoch. Weil sich viele Politiker damals als Anwälte auf ihre öffentlichen Mandate vorbereiteten, war damit der Grundstein für die spätere Karriere gelegt. Viel schwieriger war der politische Aufstieg hingegen für James Henry Hammond, den anderen großen Antebellum-Demagogen aus South Carolina.143 Seine lebenslange Gereiztheit rührte vor allem daher, dass er als reputationsloser Außenseiter in eine der statischsten Gesellschaften Nordamerikas hineindrängte. 1807 als Sohn eines Schulmeisters und finanziell gescheiterten Universitätsgelehrten aus Neuengland geboren, entbehrte er der Statusprivilegien eines Großpflanzersprösslings.144 Nur seinem unbändigen Ehrgeiz war es zu verdanken, dass ihm 1823 der Sprung auf die akademische Kaderschmiede des Staates gelang, das South Carolina College in Columbia. Die 1801 aus der Taufe gehobene Bildungsanstalt sollte nach dem Willen ihrer Gründer einen Schlussstrich unter die Unruhen des Revolutionszeitalters ziehen.145 Hier durchliefen die Pflanzersöhne aus den Küstengebieten ebenso ihre Ausbildung wie der Nachwuchs aus den relativ frisch erschlossenen Hinterlandbezirken.146 Während das College of William and Mary junge Virginier mit den republikanischen Ideen Jeffersons und Madisons in Berührung brachte, versah das South Carolina College seine Absolventen mit kulturellen Prägungen ganz eigener Art: einer radikal-partikularistischen Weltsicht, einem streng hierarchisch-rassischen Gesellschaftsbild sowie einem rigiden Kanon persönlicher Ehrvorstellungen. Gerade weil Hammond dem elitären Geburtszirkel seiner Kommilitonen nicht angehörte, mögen ihm die ständigen Konflikte zwischen den Studenten als ein kompromissloser Kampf um Ehre oder Unehre vorgekommen sein.147 In der Alltagswelt am College, gekennzeichnet wie sie war von einer übersteigerten Ehrkultur, übten die künftigen Politiker und Sklavenhalter diese Herrschaftsposen bereits ein. Ehrdispute, auch solche mit tödlichem Ausgang, waren deshalb keine Seltenheit.148 143 Für Hammond ist nach wie vor die exzellente Biographie Drew Fausts von 1982 maßgeblich, die seine umfassenden Nachlässe auswertet und sein Leben in die kulturellen, sozialen und politischen Strömungen der Antebellum-Zeit einbettet. Vgl. Faust, James Henry Hammond. 144 Vgl. Rubin, Foreword, in: Bleser (Hg.), Secret and Sacred, viii. 145 Vgl. Lessene, History of the University of South Carolina, 1. Vgl. ausführlich auch Hollis, South Carolina College, 22–36. 146 Vgl. Hollis, Brief History, in: Institute for Southern Studies, Remembering the Days, x. 147 Vgl. Hammond an M. C. M. Hammond, 30.11.1832, James Henry Hammond Papers, University of South Carolina. 148 Hammonds Biographin Drew Faust berichtet von einem Vorfall, bei dem aus einem banalen Kantinenstreit zwischen zwei (befreundeten) Studenten ein Konflikt erwuchs, der in einer Forderung und dem Tod eines der Duellanten mündete. Vgl. Faust, James Henry Hammond, 18. Zu den Ehrdisputen am College vgl. ferner Hollis, South Carolina College, 58 f., 92 f., 138, 195.
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III. Der Süden, die atlantische Welt und der Niedergang der Union
Hammonds intellektuelle Statur und sein rhetorisches Talent hatten ihm eine respektable Stellung an der Universität verschafft. Der erfolgreiche Abschluss eröffnete ihm aber keineswegs den Eintritt in die Familiendynastien des Südens, wie ihn beispielsweise Rives oder Stevenson nach ihrer Zeit am College of William Mary gefunden hatten. Selbst der gleichfalls aus wirtschaftlich bescheidenen Verhältnissen stammende Barnwell Smith konnte seinen Aufstieg leichter bewerkstelligen. Gegen erbitterte Widerstände bemühte sich Hammond über anderthalb Jahre hinweg um die Heirat in die angesehene Fitzsimmons-Familie aus Charleston. Als die Angehörigen schließlich 1831 seinem Werben um die Hand von Catherine Fitzsimmons nachgaben und ihm die Plantage Silver Bluff mit 147 Sklaven zusprachen, hatte er sich die Statusinsignien der Pflanzerklasse regelrecht erkämpft.149 Seine Beharrlichkeit lässt sich vor allem damit erklären, dass er eine respektable Heirat mit Land und Besitz dringend benötigte, um seine wachsende politische Prominenz sozial abzusichern.150 Diese Strategie sollte sich auszahlen: Bei Ausbruch des Bürgerkrieges galt er als einer der reichsten Pflanzer des Südens – und mit über 300 versklavten Feldarbeitern auch als einer der größten Sklavenhalter überhaupt.151 Anglophobie und Radikalisierung: Negro Seaman Law und Annullierungskrise, 1823–1833 In den Jahren vor Barnwell Smiths Eintritt in die Politik 1827 erkaltete die Unionseuphorie South Carolinas in dem gleichen Maße, wie sie sich vor und nach dem zweiten anglo-amerikanischen Krieg erhitzt hatte. Unter dem Druck der Wirtschaftskrise und des Missouri-Streits von 1819 / 20 flüchteten sich die vormaligen Nationalisten Carolinas in den Partikularismus. Dieser Loyalitätswandel schlug sich nieder in dem Entwurf von Verschwörungsszenarien, die auf eine Tradition anglophoben Denkens zurückgingen. So übertrug sich die republikanisch inspirierte Englandkritik auf die zeitgenössische Politik Großbritanniens und floss schließlich auch in die Ableh149 Hammond demonstrierte eine gewisse Fähigkeit zum Selbstbetrug, wenn er „a good marriage“ als „result of success in one’s career“ und „very rarely the beginning of it“ bezeichnete (Hervorhebung im Original). In Wirklichkeit war seine Heirat der bewusst kalkulierte Ausgangspunkt seiner sozialen Karriere. Hammond an John Hammond, 17.11.1844, James Henry Hammond Papers, South Caroliniana Library, USC. Zu den „Strategies of Courtship and Marriage“ im Alten Süden vgl. umfassend Wyatt-Brown, Southern Honor, 199–225. 150 Wie William K. Scarborough unterstrichen hat, war ein solch vertikaler Sozialaufstieg durch Heirat eher die Ausnahme in einem System großer Familien, die in der Regel untereinander heirateten und somit ihren Land- und Sklavenbesitz weiter arrondierten. Vgl. Scarborough, Masters of the Big House, 124. 151 Vgl. Faust, Art. „James Henry Hammond“, in: ANB, Bd. 9, 955.
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nung der Washingtoner Gesetzgebung für den Staat South Carolina ein. Treibende Kraft hinter der Feindbildfusion war neben der Furcht vor Maßnahmen gegen die Sklaverei auch die Furcht vor den Sklaven selbst. 1822 wurde in Charleston eine Rebellion unter der Führung des freien Schwarzen Denmark Vesey vereitelt, in deren Planung Hunderte von Verschwörern involviert gewesen waren.152 Auf eine Revision ihres Bildes von den Sklaven als eine „zufriedene, glückliche und nützliche Klasse von Geschöpfen“153 konnten und wollten sich die Pflanzer nicht einlassen. Umso verbissener beschuldigten sie daher die Welt außerhalb ihrer Staatsgrenzen und forderten Initiativen zur Abschottung von Einflüssen, die zu innerem Aufruhr verleiten konnten. Das Parlament in Columbia zollte der aufgepeitschten Stimmung direkt Tribut und erließ noch im Dezember 1822 ein Gesetz zur Inhaftierung freier schwarzer Seeleute, die für die Dauer ihres Landaufenthaltes daran gehindert werden sollten, mit Sklaven auf den Straßen Charlestons in Kontakt zu treten.154 Das so genannte Negro Seaman Law warf sowohl rechtliche als auch politische Probleme auf. Selbst bei großzügiger Auslegung verstieß es gegen ein anglo-amerikanisches Souveränitätsabkommen von 1815, das wechselseitige Freizügigkeit für die Staatsangehörigen in den Häfen beider Länder garantierte. Weil die Mehrheit der betroffenen Seeleute aus England stammte, sah sich South Carolina mit einer scheinbar abgestimmten anglo-nordstaatlichen Kritik konfrontiert. Außenminister John Quincy Adams musste 1823 den offiziellen englischen Protest entgegennehmen und bemühte sich darum, die Angelegenheit durch Einflussnahme auf die Kongressabgeordneten South Carolinas in Washington zu regeln.155 Die Renitenz der Behörden in Charleston veranlasste ihn im Mai 1824 allerdings zur Einholung eines Gutachtens von Justizminister William Wirt, das nicht nur den internationalen Rechts152 Vgl. zur Denmark-Vesey-Konspiration Aptheker, American Negro Slave Revolts, 268 ff. Vgl. umfassend auch Lofton, Insurrection in South Carolina. William W. Freehling deutet die Verschwörung als eine „shockingly antipaternalistic episode“, welche die Auffassung der Sklavenhalter erschütterte, sie besäßen die „best harmonized liberty for citizens who could take care of themselves with protection for noncitizens who would allegedly fail as a free people“. Freehling, Denmark Vesey’s Antipaternalistic Reality, 34. 153 So South Carolinas Senator Robert Hayne während einer Aussprache über die Projekte zur Kolonisierung amerikanischer Sklaven im Februar 1827. Register of Debates, 19th Congress 2nd Session, 09.02.1827, 329. 154 Im Zusammenhang mit der Vesey-Verschwörung war gemutmaßt worden, dass die rebellischen Sklaven in Kontakt zu freien Schwarzen aus Haiti gestanden hätten und so zu ihrem Plan inspiriert worden seien. Vgl. Greenberg, Masters and Statesmen, 112 f. Zur Kontroverse um die Negro Seamen Laws liegt eine ungedruckte Dissertation aus dem Jahre 1976 vor. Vgl. January, First Nullification. Vgl. auch den älteren, gründlich aus amerikanischen und britischen Akten gearbeiteten Aufsatz von Hamer, Negro Seamen Acts. 155 Vgl. Lofton, Insurrection in South Carolina, 199.
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bruch feststellte, sondern das Inhaftierungsgesetz auch als verfassungswidrig einstufte, da es die exklusive Kompetenz des Kongresses in Fragen der Handelsregulierung verletze.156 Als der Außenminister die britische Protestnote daraufhin im Juli an South Carolinas Gouverneur John Wilson weiterleitete, sorgte das innerhalb des Staates für einen Aufschrei der Empörung.157 In seiner Ansprache an die Legislative bediente sich Wilson einer abgewandelten Form der klassischrepublikanischen Verschwörungstopoi: Die Regierung mache sich ausgerechnet zum Handlanger der Engländer, deren Profitsucht einst für die Einführung der Sklaverei in Amerika verantwortlich gewesen sei.158 In der Verteidigung des Negro Seaman Law vermischten sich also defensive und offensive Elemente der Sklavereirechtfertigung. In den frühen 1820er Jahren wurde die virulente Furcht vor einer Gefährdung der Sklaverei noch durch die Diskussion um die Einzelstaatensouveränität überlagert bzw. artikuliert. Vor allem auf Druck der South Carolina Association, eines Zusammenschlusses der führenden Sklavenhalter in der Küstenregion, diktierte das Parlament dem Gouverneur eine schroffe Ablehnung der Bundesintervention in die Feder: „This duty [of the state to guard against insubordination or insurrection among our colored population] is paramount to all laws, all treaties, all constitutions.“159 Vor dem Hintergrund dieser erregten Stimmung, in der sich anglophobe Motive mit der Angst vor Sklavenunruhen verbanden, wurde Barnwell Smith politisch sozialisiert. Die Debatte um das Negro Seaman Law kann gleichsam als Testlauf für die Annullierungskrise (Nullification Crisis) gelten, mit der Smith seinen Ruf als kompromissloser Partikularist begründete.160 Ohnehin nur locker geknüpft, lösten sich die Bande seiner nationalen Loyalität, als der Konflikt zwischen Bundesregierung und Zollgegnern in den späten 1820er Jahren eskalierte. Im Einklang mit den radikaleren States Rights-Kräften sei156 157 158 159
Vgl. Hamer, Negro Seamen Acts, 10. Vgl. January, First Nullification, 117. Vgl. Lofton, Insurrection in South Carolina, 208. Resolution of the Senate of South Carolina, Dezember 1824, in: Ames, State Documents on Federal Relations, 206–207, hier 207 (Hervorhebungen im Original). Nach der Diskussion in beiden Parlamentskammern wurde allerdings ein moderaterer Resolutionstext verabschiedet. Vgl. Hamer, Negro Seamen Acts, 11. 160 Vgl. January, First Nullification. Vgl. ferner Freehling, Prelude to Civil War, 254; Sinha, Counterrevolution of Slavery, 15. Vgl. die Machtlosigkeit der Bundesinstitutionen hervorhebend auch Dillon, Slavery Attacked, 54. Wie Walter Edgar festhält: „The law of the land was ignored despite protests from abroad and the nation’s capital.“ Edgar, History of South Carolina, 329. Vgl. zur Debatte um die Verfassungswidrigkeit auch Lofton, Insurrection in South Carolina, 201–205. Der Erfolg von South Carolinas Renitenz lässt sich auch daran ermessen, dass vergleichbare Inhaftierungsgesetze später ebenfalls in North Carolina, Georgia, Florida und Louisiana verabschiedet wurden. Vgl. Sydnor, Development of Southern Sectionalism, 152; Hamer, Negro Seamen Acts, 12 f.
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nes Staates verstand es Smith als inakzeptable Freiheitsbedrohung, dass die lokalen Zolleinnahmen nun vermehrt in die Infrastruktur- und Industrieprojekte außerhalb South Carolinas flossen – und damit genau jene Zukunftsvision finanzierten, wie sie die Oligarchen des Palmetto State für Amerika gerade nicht wünschten. Nachdem er im November des Vorjahres einen Sitz im State House in Columbia eingenommen hatte, verlieh er seinem Unbehagen im Mai 1827 als Koautor einer Kongresspetition erstmals öffentlich Ausdruck.161 Die auf einer Bürgerversammlung zu Walterborough in der Nähe von Beaufort verabschiedete Anklageschrift gab die Linie Barnwell Smiths wieder, die er auch in seinem „zweiten Leben“ als Robert Barnwell Rhett nie mehr verlassen sollte. Wenn die Kolonien ihre Unabhängigkeit und Freiheit gegen die britische Unterdrückung behauptet hätten, ließ sich das auch gegen den übermächtigen Interventionsanspruch Washingtons durchsetzen. Die Logik der Eskalation, wie sie Smith hier zu Papier brachte, war von erheblicher Tragweite. Als der Kongress im Mai 1828 mit dem berüchtigten Tarif of Abominations eine umfassende Anhebung der Einfuhrzölle beschloss, berief er für den 12. Juni ein Bürgertreffen nach Walterborough und entwarf in zwei Resolutionen das Szenario einer Konfrontation, die South Carolina in „Unehre und Schande“ zwänge, sofern es sich nicht zum Widerstand gegen das „System der Unterdrückung“ durchringen würde.162 Die radikale Infragestellung der bestehenden Ordnung, wie sie hier mehr oder minder deutlich anklang, begründete er mit dem gravierenden Ausmaß der Krise, für das sich auch in der Vergangenheit keine Präzedenzfälle finden ließen. Im Vergleich dazu stufte Smith sogar die Ursachen der Amerikanischen Revolution als „schwach und belanglos“ ein.163 Mehr noch: Er verurteilte das, was die Einheit der Amerikaner konstituierte, als ein Werk der Täuschung, der unvergoltenen Solidarität und des missbrauchten Vertrauens. So zeichnete er ein Bild dominanter Nordstaateninteressen, die South Carolina gleich zwei Mal – 1775 und 1812 – in Kriege gegen Großbritannien geführt hätten, ohne wirklich selbst von den britischen Maßnahmen betroffen gewesen zu sein.164 161 Das Memorial to the Citizens of Colleton District mit Datum vom 23. Juni 1827 befindet sich in Privatbesitz. Dass Smith dem Autorenkomitee vorsaß und somit einen erheblichen Einfluss auf die Wortwahl genommen haben dürfte, geht daraus hervor, dass sein Name von der alphabetischen Liste der übrigen Mitglieder deutlich abgehoben verzeichnet ist. Vgl. hierzu Davis, Rhett, 596, Anm. 24. 162 Smith, An Address […] to the People of the State of South Carolina, 12.06.1828, in: Charleston Mercury, 18.06.1828. 163 Ebd. 164 Ebd. Rhett ignorierte hier den Umstand, dass gerade der Krieg von 1812 auf die Agitation von nationalistischen War Hawks zurückzuführen gewesen war, unter denen John C. Calhoun aus South Carolina an vorderster Stelle gestanden hatte. Wie William C. Davis urteilt, zeigte sich hier erstmals seine Tendenz, „to indulge in hyperbole and dis-
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Indem er ihren anglophoben Gründungsmythos hinterfragte, wies er auch die Nation als solches zurück, zumindest dergestalt, wie er sie in seiner eigenen Gegenwart erlebte und interpretierte. Sein Problem lag allerdings in der Unumkehrbarkeit der amerikanischen Souveränität, hinter die auch ein romantischer Revolutionär vom Schlage Smiths nicht zurückgehen konnte (etwa in Form einer Wiedereingliederung South Carolinas in das britische Empire, obgleich genau diese Forderung aus Charlestoner Kreisen anlässlich der Sezession erhoben werden sollte165). Zur Vergegenwärtigung einer idealtypischen Freiheit kam daher nur die Union der Gründerzeit in Frage, für ihn „the pride of the New – the Terror of the Old – and the admiration of the whole World“.166 Dieses Motiv warf mit seiner klaren Dichotomie und der Abspaltung von England eher anglophobe Assoziationen auf. Zeitlebens sollte Rhetts Verhältnis zur atlantischen Welt zwischen solch anglophoben und anglophilen Schattierungen schwanken. In den Walterborough-Resolutionen von 1828, die einerseits einen unnötigen, von den Nordstaaten manipulierten Weg in den Unabhängigkeitskrieg suggerierten, bekannte er sich andererseits zu einer Rückkehr zu den „unkorrumpierten Prinzipien“167 der Unionsverfassung, die aus genau diesem Krieg erwachsen war. Smiths Resolutionen feuerten die „Eröffnungssalve in der Annullierungskrise“168 ab und brachten das Establishment South Carolinas in Aufruhr. Obgleich davon auszugehen ist, dass er die Sezession damals noch nicht als Selbstwert anstrebte, sondern den Kongress zu einer Revision seiner Zollgesetzgebung zwingen wollte, waren die Gefahren doch unkalkulierbar.169 Sofern sich das gewünschte Resultat nicht einstellte, würde South Carolina in der Logik eines Ehrdisputs die Konsequenzen aus seinen exzessiven Drohgebärden ziehen müssen. Das galt auch für den – durchaus wahrscheinlichen – Fall, dass sich die übrigen Südstaaten wegen der Zollfrage nicht auf den Extremschritt einer Sezession einließen. Dann aber stünde der Palmetto State auf verlorenem Posten – ein Szenario, das Smith öffentlich nicht problematisierte.
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regard inconvenient facts“. Davis, Rhett, 39. Tatsächlich ist sein Umgang mit der Gründungsgeschichte Amerikas vornehmlich unter dem Gesichtspunkt der politischen Effekte zu werten, die er jeweils zu erzielen trachtete. Der britische Journalist William Howard Russell bekam solche Äußerungen in Charleston kurz nach Kriegsausbruch 1861 zu hören. Vgl. Russell, Pictures of Southern Life, 30.04.1861, 3. Smith, Rede vor der Legislative in Columbia, undatiert, in: Charleston Mercury, 08.06.1829. Resolution Rhetts v. 12.06.1828, in: Charleston Mercury, 18.06.1828. Walter, Fire-Eaters, 122. Vgl. so die Einschätzung von Smiths Zielen bei Davis, Rhett, 42. Mit Blick auf die Wirkungsebene der Rede hebt James Tinkler hingegen hervor, dass „the absence of a well-articulated plan for action led many […] to hear in Smith’s rhetorical blast a barely disguised call for secession“. Tinkler, James Hamilton, 91.
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Unmut erregte dieser Quertreiber in Columbia vor allem bei Calhoun, Vizepräsident in der Administration von John Quincy Adams, der kurz vor der Präsidentschaftswahl von 1828 die Chancen für den Südstaatler Andrew Jackson nicht durch eine Zersplitterung der heimischen Kräfte gefährden wollte. Dennoch verlangten die Unruhen in seinem Heimatstaat nach einer Positionierung in der Zollfrage. Im Übrigen war er auch ernsthaft darüber beunruhigt, dass die Mehrheitsfraktion im Kongress einer unwilligen Minderheit scheinbar ihre Schutzzollpolitik aufzuzwingen versuchte.170 Dieser Eindruck führte Calhoun zur Formulierung seiner berühmt gewordenen Annullierungstheorie, nach der die Staaten verfassungswidrige Maßnahmen, wie den Zolltarif von 1828, innerhalb der eigenen Grenzen nicht exekutieren müssten und sich gegen weitere Repressalien zur Wehr setzen konnten.171 Das formale Verfahren der Annullierung eines Bundesgesetzes tendierte allerdings eher zur Mäßigung als zur Eskalation und legte der Sezession einige Hürden in den Weg.172 Wie Smith erkannte, drohte das geordnete Annullierungsverfahren Calhouns jenes Momentum zu zerstören, für das er in South Carolina so beharrlich die Stimmung angeheizt hatte. Tatsächlich brachte das Abgeordnetenhaus in Columbia noch im Dezember 1828 einen Antrag auf Einberufung eines Annullierungskonvents zu Fall. Nach diesem gescheiterten Anlauf legten sich die Spannungen fürs Erste, weil selbst bei den Partikularisten um Smith die Erwartung vorherrschte, der neue Südstaaten-Präsident Jackson würde sich um die Rücknahme der Protektionszölle bemühen. Gerade Jacksons unversöhnliche Haltung überzeugte Smith aber von der Vergeblichkeit, ja der Gefahr sämtlicher Ausgleichsbemühungen und verführte ihn zur Überschreitung des Rubikon. Auf einer Versammlung in Columbia bekannte er sich im September 1830 erstmals zur Sezession als programmatischem Endziel seiner Politik. Die Begründung dessen, was auch in South Carolina damals noch ein Tabubruch war, lieferte er in den vertrauten Formen einer radikalrepublikanischen Terminologie.173 Smith führte zwar Jeffersons Namen im Munde, wandelte aber eine berühmte Formulierung Patrick Henrys ab, mit der die Englandfeindschaft der Revolutionsepoche durch die Angst vor Freiheits170 Zu dieser Perzeption vgl. Ford, Inventing the Concurrent Majority, 44. Calhoun sah dadurch die optimistische Annahme der Gründungsväter widerlegt, dass sich in einer geographisch weit gestreuten Republik keine politischen Interessen zur Mehrheitstyrannei zusammenschließen könnten. 171 Vg. Calhoun, The South Carolina Exposition and Protest, Dezember 1828, in: Coit, John C. Calhoun looks to the World, 34–36. 172 Vgl. hierzu im Detail Current, John C. Calhoun, 60–76; Bartlett, John C. Calhoun, 139– 153; Niven, Calhoun and the Price of the Union, 154–179; Freehling, Prelude to Civil War, 134–176. 173 Zur unmittelbaren Bezugnahme auf Jefferson im Zusammenhang mit der Annullierungsdoktrin vgl. Speech of R. Barnwell Smith, Esq., at the State Rights Meeting in Columbia, on the 29th of September, 1830, in: Charleston Mercury, 19.10.1830.
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verlust und Sklaverei artikuliert worden war: „I say with Mr. Jefferson, give me disunion rather than consolidated government. […] Because under such a Government I would be a slave – a fearful slave, ruled despotically by those who do not represent me.“174 Mit den hier anklingenden Varianten der Machtkritik – Konsolidierungsvorwurf, Sklavereifurcht und Repräsentationsdefizit – bediente er sich einer klassisch-republikanischen Revolutionsrhetorik. Zugleich setzte er seine eigenen Revolutionspläne mit dem Werk der Gründerväter in Beziehung: „Washington was a disunionist, Samuel Adams, Patrick Henry, Jefferson, Rutledge were all disunionists and traitors.“175 Die Botschaft war deutlich genug: Die Londoner Tyrannei von 1776 glich dem Washingtoner Despotismus von 1830! Damit widersprach Smith seiner in den Walterborough-Resolutionen niedergelegten Auffassung, der Süden hätte sich nur aus Solidarität zu Neuengland in einen Krieg gegen Großbritannien hineinziehen lassen, für den er selbst eigentlich keinen Anlass gehabt hätte.176 Wie bereits ausgeführt, deutete er den Revolutionsmythos Amerikas mal in eher anglophilen, mal in eher anglophoben Kontexten. Konstant blieb nur eines, nämlich die Schlussfolgerung, der Süden müsse unter South Carolinas Anleitung die Union verlassen. Anfang der 1830er Jahre hatte sich sein politisches Denken zu einem doktrinären Weltbild verfestigt, in das kaum noch Impulse von außen aufgenommen werden konnten. Während der kommenden Jahrzehnte begründete er seine Forderung nach Sezession immer wieder mit den gleichen Motiven und Argumenten. Die wechselnden Erregungskurven des Nord-Süd-Konflikts spielten ihm bisweilen in die Hände, beließen ihn aber doch öfter in der Isolation. Als ausgerechnet Jackson, der Südstaatler im Weißen Haus, in der Zollkontroverse auf den Vorrang der Bundesgesetze pochte und damit eine ausgereifte Verfassungskrise vom Zaun brach, schien Smiths Stunde gekommen.177 Tatsächlich kippte die Stimmung in South Carolina nun zugunsten der Radikalen: Bei den Parlamentswahlen im Herbst gewannen die Annullierungsbefürworter eine solide Mehrheit gegenüber den Kompromisskräften; im Herbst trat ein von der Legislative einberufener Annullierungskonvent in Columbia zusammen und erklärte die Zölle von 1828 und 1832 mit Wirkung ab dem 1. Februar 1833 für ungültig.178 Daraufhin schied Calhoun aus der Regierung 174 Ebd. Patrick Henry hatte in seiner berühmten Rede vor der Legislative Virginias im März 1775 gefordert: „I know not what course others may take; but as for me, give me liberty or give me death!“ Vgl. Henry, Patrick Henry, Bd. 1, 265–266, hier 266. 175 Speech of R. Barnwell Smith, Esq., at the State Rights Meeting in Columbia, on the 29th of September, 1830, in: Charleston Mercury, 19.10.1830. 176 Vgl. hierzu o. 121. 177 Zu Andrew Jacksons Politik gegenüber South Carolina 1832–1833 vgl. Remini, Life of Andrew Jackson, 233–252; ders., Course of American Democracy, 8–45; Brands, Andrew Jackson, 446–453. 178 Zum Siegeszug der Annullierungsbefürworter 1832 vgl. Freehling, Prelude to Civil War, 219–260.
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aus und nahm im Dezember für seinen Heimatstaat einen Sitz im Senat ein – sein Wandel vom Nationalisten zum Partikularisten war abgeschlossen. Um aber zu verhindern, dass die Annullierung tatsächlich in einer Abspaltung mündete, erarbeitete Calhoun gemeinsam mit Clay im Kongress eine modifizierte Zollvorlage, in der die strittigen Tarife erheblich abgesenkt worden waren.179 Konnten die Annullierungsgegner, kaum dass sich der erste Pulverdampf einmal verzogen hatte, nun auf einen Ausweg aus der Krise verweisen, war genau das natürlich nicht im Sinne Smiths.180 Dass Präsident Jackson zeitgleich mit dem Kompromisszoll auch die Force Bill abzeichnete, durch die er sich das Recht zur militärischen Durchsetzung der Bundesgesetze in dem renitenten Einzelstaat vorbehielt, beunruhigte ihn zutiefst. Was unter der Oberfläche seiner Radikalität gärte, war die Furcht vor dem Ende der Sklaverei: „A people, owning slaves, are mad or worse than mad, who do not hold their destinies in their own hands […T]he whole world are in arms against our institutions“.181 Nur die Herren von Sklaven, so hatte er die Dialektik von Sklaverei und Freiheit schon früher zusammengefasst, vermochten wirklich einzuschätzen, wie es sich anfühle, der Willkür anderer ausgeliefert zu sein.182 Smith, der in der Staatenlegislative einen Distrikt mit achtzigprozentigem Sklavenanteil an der Gesamtbevölkerung vertrat, sah in der Versklavung der Schwarzen die einzige Gewähr für die Freiheit der Weißen.183 Es entbehrte daher nicht einer gewissen Ironie, dass ihm ausgerechnet die Abschaffung der Sklaverei im britischen Empire 1834 das ermöglichte, was ihm nach seinem spektakulärem Einstieg in die Politik noch fehlte, um in den elitären Kreisen South Carolinas vollends akzeptiert zu werden: der Erwerb von Land und Sklaven. Mit dem Befreiungsgesetz trat auch ein Sklavenbesitzverbot für englische Staatsangehörige in Kraft, die außerhalb der imperialen Domäne lebten. John Stapelton, ein Pflanzer britischer Herkunft aus Beaufort, wurde daraufhin zum Verkauf seiner amerikanischen Liegenschaften und zum Umzug 179 Vgl. zum „Kompromiss von 1833“ ausführlich Peterson, Great Triumvirate, 212–234. Vgl. grundsätzlich auch ders., Olive Branch and Sword. Dass Calhoun die Annullierungsdoktrin eben nicht als Instrument zur Herbeiführung der Sezession wertete, unterstreicht Maier, Road Not Taken, 7. 180 Zur Niederlage der radikalen Annullierer in South Carolina vgl. Freehling, Prelude to Civil War, 261–297. Smiths (Rhetts) isolierte Haltung betont Peterson, Olive Branch and Sword, 87. 181 Charleston Mercury, 26.03.1833. Obwohl Smith die britischen Abolitionisten hier zwar nicht expressis verbis beim Namen nannte, ist die anglophobe Stossrichtung dieser Gefahrenmetapher nicht zu verkennen. Schließlich bildete Großbritannien das Zentrum der Sklavereifeindschaft in der atlantischen Welt. 182 So Smith anlässlich einer Rede zum 4. Juli des Jahres 1832. Vgl. Charleston Mercury, 14.07.1832, sowie Walter, Fire-Eaters, 124. 183 Zur Dialektik zwischen Sklaverei und Freiheit in der amerikanischen Geschichte vgl. o. 35 f.
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nach England gezwungen. Aufgrund eines Kontaktes, der vermutlich aus seiner alten Kanzleipraxis herrührte, reiste Smith im Sommer 1834 nach England, um die Transaktion mit Stapelton zu besprechen.184 Als der Verkauf zwei Jahre später unter Dach und Fach gebracht worden war, besaß er vier weitläufige Reisplantagen im Küstenland South Carolinas und mehr als einhundert Sklaven.185 Nachdem sich Barnwell Smith in der Annullierungskrise profiliert hatte und 1834 in die Sklavenhalterschicht South Carolinas aufgestiegen war, verblieben noch zwei Lücken zur Komplettierung seines Selbstbildes als Pflanzer und Ehrenmann: die Namensänderung von Smith zu Rhett, die er gemeinsam mit seinen Geschwistern 1837 vollzog186, und ein politischer Karrieresprung. 1836 ins Repräsentantenhaus gewählt, betrat er die Bundeshauptstadt inmitten heftiger Auseinandersetzungen über den Umgang mit abolitionistischen Petitionen im Parlament. Obgleich sich Smith, der seine schlimmsten Vermutungen bestätigt sah, heftig gegen einen Einbruch der Sklavereifeinde in den öffentlichen Raum wehrte, setzte hier doch sein jüngerer Kollege James Henry Hammond die entscheidenden Akzente. James Henry Hammond, James Caldwell Calhoun und das Pro Slavery Argument, 1834–1837 Für James Henry Hammond markierte die Annullierungskrise das öffentliche Erweckungserlebnis. Im Januar 1830 übernahm er die Leitung der Southern Times, einer kurz zuvor ins Leben gerufenen radikalen Anti-Zoll- und ProAnnullierungszeitung.187 Auf dem Höhepunkt des Kräftemessens zwischen South Carolina und der Bundesregierung hielt er ausgerechnet am 4. Juli 1833 im Barnwell-Dis184 Leider sind der Forschung keinerlei Briefe von dieser ersten Reise bekannt, die Aufschluss über die Auswirkungen der persönlichen Erfahrungen und Eindrücke vor Ort geben könnten. Noch nicht einmal der genaue Zeitraum des Aufenthalts in London kann ermittelt werden, geht doch aus einer Notiz im Nachlass John Stapeltons lediglich hervor, dass Smith in einem Rechtstreit behilflich sein sollte, in dem er seinen juristischen Mentor Thomas Grimké vertrat. Da Grimké im Oktober 1834 verstarb, lässt sich die Englandreise auf die erste Hälfte des Jahres 1834 datieren. Vgl. hierzu Davis, Rhett, 603, Anm. 8. 185 Zu den Details der Transaktion vgl. Davis, Rhett, 89. Unstimmigkeiten in dem finanziellen Arrangement zogen allerdings noch eine Folgekorrespondenz nach sich. Vgl. Rhett an John Stapelton, 16.01.1841, Robert Barnwell Rhett Papers, UNC. 186 Vgl. South Carolina Genealogical Society, Columbia Chapter, South Carolina Families: The Smiths, 14. 187 Über zehn Jahre später bezeichnete Hammond sein Engagement bei der Southern Times als eigentlichen Startpunkt seiner politischen Karriere. Vgl. Hammond Diary, 07.02.1841, in: Bleser (Hg.), Secret and Sacred, 27.
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trikt eine machtstaatskritische Rede.188 In Anlehnung an die Prinzipien der Jefferson-Schule knüpfte er gar an eine Sentenz Thomas Paines an, nach der Regierungen aus sich selbst heraus von Übel seien.189 Wie Jacksons Politik seiner Meinung nach zeigte, wurden sie regelmäßig von partikularen Kräften okkupiert, die sie zur Durchsetzung ihrer Interessen missbrauchten. Ins Leben gerufen für die Befreiung der Mehrheit vom Joch der Minderheit, wandele sich die republikanische Regierung dann zu einem Instrument für die Tyrannei der Mehrheit über die Minderheit. Hammond erweiterte die anti-aristokratische Machtkritik Jeffersons hier um die anti-demokratisch schattierte Machtkritik Calhouns.190 Die Synthese von Jefferson und Calhoun führte ihn zu einer Analogie zwischen modernen und traditionellen Despotien in der atlantischen Welt: Während Amerika zur demokratischen Massendespotie verkam, verblieb die Herrschaft über Europa, nicht zuletzt über England, in den Händen einer Geblütsaristokratie, „which rules the destinies of millions with a sway as unlimited as that of the deity himself“.191 Sicherlich galt Hammonds Herrschaftskritik dem Bemühen, der Minderheitenposition South Carolinas auch nach innen Legitimität zu verleihen. Einerseits knüpfte er dafür an die anglophoben Revolutionsmythen der Union an, andererseits wendete er sich – am Gedenkfeiertag des 4. Juli! – mehr oder minder deutlich mit dem Vorwurf von ihr ab, sie habe sich selbst verraten und die historische Tyrannei der Engländer auf amerikanischem Boden wiederholt. Hier wird deutlich, wie sehr sich South Carolinas ‚radikaler Konservatismus’ von den Entwicklungen in der atlantischen Welt abgenabelt hatte: Während das britische Parlament im Jahre 1832 mit der Wahlrechtsreform die Schleusen der Demokratisierung weiter öffnete, argumentierten die Annullierer nicht nur unversöhnlich gegen den nationalen Mehrheitswillen, son-
188 Vgl. Hammond, Speech delivered at Barnwell on the 4 July 1833, James Henry Hammond Papers, LC, Reel 2. Hammond hatte bereits seit 1829 politische Reden zum 4. Juli gehalten. Nach dem Weggang aus Columbia und der Übernahme seines Familienbesitzes nutzte er diese Gelegenheiten, um seinen öffentlichen Ruf im Barnwell District, Sitz seiner Plantage Silver Bluff, zu untermauern. Vgl. Faust, James Henry Hammond, 36 ff. Zum 4. Juli als Zelebrierungsdatum des amerikanischen Nationalismus vgl. Waldstreicher, Midst of Perpetual Fetes, bes. 31 ff. 189 Vgl. Hammond, Speech delivered at Barnwell on the 4 July 1833, James Henry Hammond Papers, LC, Reel 2, 4. 190 Zu Calhouns Mehrheitskritik vgl. Ford, Political Economy of John C. Calhoun, 412; ders., Inventing the Concurrent Majority. Zur „Mehrheitstyrannei“ als Freiheitsvernichtung vgl. Maier, Road Not Taken, 4. Das Verhältnis zwischen den Begriffen von Macht und Freiheit in seiner Regierungstheorie untersucht Brown, Calhoun’s Philosophy of Government, 197–250. 191 Hammond, Speech delivered at Barnwell on the 4 July 1833, James Henry Hammond Papers, LC, Reel 2, 4.
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dern verteidigten mit den gleichen Argumenten auch die geschlossenen Strukturen innerhalb ihres Staates. Hammond folgte den Gepflogenheiten der politischen Kultur South Carolinas, wenn er im Hinblick auf seine eigenen Karrieremöglichkeiten schrieb: „As to these personal ambitions […], I have none.“192 Dennoch trieb er 1834 seine aus den Annullierungskreisen geförderte Kongresskandidatur voran.193 Als er dann zum Ende des folgenden Jahres einen Sitz im Repräsentantenhaus einnehmen konnte, ergänzte er das Stimmengewirr in Washington um den radikalen und unversöhnlichen Tonfall eines extrem-partikularistischen Sklaverei-Apologeten. Sein Auftritt besaß insofern eine neuartige Qualität, als er den Erhalt der Union mehr oder minder offen in Frage stellte. In den Jahren zuvor hatten die Publikation von William Lloyd Garrisons Abolitionisten-Zeitung Liberator und der Sklavenaufstand Nat Turners in Virginia zur Verschärfung der Auseinandersetzung beigetragen.194 Erstmals seit der Missouri-Krise 1819 / 20 geriet die Sklavenfrage nun wieder auf die Tagesordnung.195 Und es war Hammond, der das Ventil öffnete, aus dem sich der aufgestaute Druck entlud. Nachdem eine Briefoffensive der Abolitionisten in South Carolina im Sande verlaufen war, begannen sie im Herbst 1835 damit, Petitionen sklavereifeindlichen Inhalts auf den Kapitolhügel zu senden.196 Seit der Debatte über die abolitionistische Eingabe Benjamin Franklins vom Frühjahr 1790 hatte sich das Repräsentantenhaus selbst das Recht abgesprochen, in die Verhältnisse der Sklaverei einzugreifen.197 Daher nahm es solche Eingaben zwar an
192 Hammond an W. C. Preston, 04.11.1835, James Henry Hammond Papers, Perkins Library, Duke University. 193 Vgl. Hammond an H. I. Caughmann, 29.12.1833, James Henry Hammond Papers, LC, Reel 2. Im Rahmen der Wahl von 1834 agierte Hammond derart engagiert, dass ihm von Kritikern ein Verstoß gegen das bei solchen Anlässen gültige Passivitätsgebot vorgeworfen wurde. Vgl. Faust, James Henry Hammond, 152. 194 Der organisierte Abolitionismus hat in der Forschung verschiedene Deutungen durchlaufen. Ältere, am liberalen Konsensideal orientierte Arbeiten verorten die Abolitionisten auf sinnstiftende Weise in der amerikanischen Naturrechtstradition und deuteten sie als Vollender des „unfinished task of the Founding Fathers“. Dumond, Antislavery, 1–19. Vgl. die revolutionäre Qualität der Symbiose zwischen sklavereifeindlichen und abolitionistischen Strömungen betonend Filler, Crusade against Slavery. Ausgewogen gibt sich Stewart, Holy Warriors. Vgl. in kritischer Distanz zum Zirkel um William Lloyd Garrison Barnes, Antislavery Impulse. Eine stärker auf die Widerstandsstrategien der Sklaven selbst fokussierende Darstellung liegt vor mit Dillon, Slavery Attacked. 195 Seit der Krise um die Zulassung der Sklaverei in Missouri und die sich daran anschließende geographische Kompromisslösung 1819 / 20 hatte das Thema die Kongressdebatten nicht mehr bestimmt. Vgl. Rable, Slavery, Politics, and the South, 69. 196 Vgl. Freehling, Road to Disunion I, 311; Earle, Jacksonian Antislavery, 42 f. 197 Vgl. Veit u.a., Debates in the House of Representatives, Bd. XII, 270–313, 715–763. Vgl. auch Newman, Prelude to the Gag Rule; Ellis, Sie schufen Amerika, 115–167.
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(und verzeichnete sie im House Journal), ließ sie daraufhin aber ruhen oder verwies sie an den Hauptstadtausschuss, der sie nicht weiter bearbeitete. Am 18. Dezember 1835 stellte Hammond den Antrag, das Haus möge eine von William Jackson aus Massachusetts vorgelegte Petition zur Abschaffung der Sklaverei in Washington gar nicht erst offiziell empfangen.198 Ganz bewusst hebelte er damit einen Konsens aus, durch den das gefährliche Thema über Jahrzehnte hinweg vom Kongress ferngehalten worden war. Hammond ging es nämlich keineswegs um die (ohnehin gesicherte) Liquidierung abolitionistischer Kongresseingaben, sondern um eine komplette Verschließung des öffentlichen Raumes für die Sklavenfrage. Die Grenze des Sagbaren zog er dort, wo South Carolinas Bild von sich selbst und seine Vorstellungen von der Union Schaden nahmen: Weiße Sklavenhalter, die sich die Stabilität ihrer Sklavengesellschaft immer wieder selbst versichern mussten, konnten es nicht tolerieren, wenn deren Legitimität von außen geleugnet wurde. Wie sich bald zeigen sollte, hatte der Novize aus South Carolina eine Lawine losgetreten. Wochenlang blockierte sich das Repräsentantenhaus in der Petitionsfrage selbst. Ex-Präsident John Quincy Adams aus Massachusetts, der seit 1831 für die sklavereifeindlichen Whigs im Kongress saß, erkannte das Potential von Hammonds Steilvorlage und stellte in der zweiten Januarhälfte beinahe täglich abolitionistische Eingaben vor.199 Zum Strategiewechsel gezwungen, startete Hammond am 1. Februar 1836 einen Aufsehen erregenden Gegenangriff. Auf die kulturelle und geistige Überlegenheit des Südens pochend, verteufelte er das Wirken jener „hole gang of abolitionist orators and writers on both sides of the Atlantic“.200 Trotz der innenpolitischen Stoßrichtung seiner Invektiven schimmerte die Furcht vor den Strömungen in der größeren – der außeramerikanischen – Welt stets durch.201 Eine direkte Verknüpfung der Feindbilder und Ressentiments vor198 Vgl. Congressional Globe, 24th Congress 1st Session, 18.12.1835, 27. Zur Sklavenfrage im Hauptstadtdistrikt vgl. trotz ihres Alters noch immer die Studie von Tremain, Slavery in the District of Columbia. 199 Zum Schlagabtausch zwischen Hammond und Adams vgl. Miller, Arguing about Slavery, 200 ff. Zur Petitionskampagne von Adams, der eine Mischung aus idealistischen und taktischen Motiven zu Grunde lag, vgl. Rable, Slavery, Politics and the South, 72 f.; Nagel, John Quincy Adams, 354 ff.; Remini, John Quincy Adams, 140 f.; Parsons, John Quincy Adams, 224 ff. 200 Congressional Globe, 24th 1st Session, Appendix, 01.02.1836, 613. 201 Hammond bemühte sich in seiner Rede um eine demonstrative Gelassenheit, die so weit ging, das Massaker bei Nat Turners Sklavenaufstand von 1831 als „bloody outbreaking of six drunken wretches“ zu marginalisieren. Ebd., Appendix, 614. Der Schwerpunkt seiner Angstbilder lag indes auf der äußeren Bedrohung der Sklaverei. Mit gar nicht zu übersehender Nervosität forderte er die Südstaatler auf, sich im Angesicht der abolitionistischen Gefahr nicht mehr in einer „false security“ einzulullen: „A crusade is proclaimed“, warnte er. Und an anderer Stelle: „The sans culottes are moving.“ Alle Zitate: ebd., 615. Obwohl Hammonds also in aggressiver Manier jede Form von Furcht weit von sich wies, war die Angst doch recht eigentlich das Grundmotiv seiner Rede.
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nehmend, ließ Hammond seine Rede in einer umfassenden Nivellierungskritik aufgehen: Der Einsturz traditioneller Hierarchien, die Verbreitung von Wissen und die Maschinisierung der Wirtschaft hatten in seinen Augen die Schleusen für eine verderbliche Herrschaft der Masse geöffnet. Für Thomas Jefferson war the people ein aufgeklärter, organisch verwachsener Gemeinschaftskörper gewesen, der republikanische Gentlemen mit ihren politischen Mandaten auszeichnete. Hammond hingegen meinte etwas anderes: Not the ‚people’, as we have hitherto been accustomed in this country to define the term, but the mob – the Sansculotts. Proclaiming as their watchword that immortal, but now prostituted sentiment, ‚that all men are born free and equal’, they have rallied to their standard the ignorant, uneducated, semi-barbarous mass which swarms and starves upon the face of Europe! 202
Im Abgeordnetenhaus des Volkes umriss Hammond also eine elitär verzerrte Vorstellung vom „Volk“. Zur Begründung dieses ebenso anti-demokratischen wie rassistischen Gesellschaftsentwurfs bediente er sich ausgerechnet bei der „natürlichen Aristokratie“ des Sklavereikritikers und Wahlrechtsreformers Thomas Jefferson.203 Hatte Jefferson seine republikanische Naturaristokratie als Gegenbild zur klassischen Geblütsaristokratie gezeichnet, führte Hammond seinen (positiven) Aristokratiebegriff wieder näher an den europäischenglischen Bedeutungszusammenhang heran.204 Wogegen sich Jefferson aber wohl noch vehementer gewehrt hätte, war die Auffassung, die aristokratischen Qualitäten der republikanischen Regierungsform seien untrennbar mit den Segnungen der Sklaverei verknüpft: „Slavery does indeed create an aristocracy – an aristocracy of talents, of virtue, of generosity, and courage. In a slave country every freeman is an aristocrat.“205 Unverhohlen stellte Hammond den negativen Gleichklang zwischen Aristokratie und Sklaverei auf den Kopf, wie er von der sklavereikritischen Gründergeneration formuliert worden war und bis in seine Tage hinein im 202 Congressional Globe, 24th Congress 1st Session, Appendix, 01.02.1836, 615. 203 Jefferson hatte diesen Begriff in seiner späten Korrespondenz mit John Adams geprägt. Während er die klassische Geblütsaristokratie als „künstliche“ tinsel-aristocracy darstellte, erschienen ihm die Naturaristokraten als aufgeklärte Träger republikanischer Ideale, die als solche zur Ausübung (begrenzter) Macht befähigt seien: „The natural aristocracy I consider as the most precious gift of nature for the instruction, the trusts, and governemt of society.“ Jefferson an Adams, 28.10.1813, in: Cappon (Hg.), AdamsJefferson Letters, 387–392, hier 388. Dieser Gedanke beruhte zu gleichen Teilen auf einem elitären und einem demokratischen Prinzip, ging er doch von einer genetisch für die Herrschaft qualifizierten Gesellschaftsschicht aus, die der erblichen Ämtersukzession freilich nicht bedurfte, weil die tugendhafte Bevölkerung die hierfür bestimmten Politiker zu wählen verstand. Vgl. Peterson, Adams and Jefferson, 113 f.; Mayer, Constitutional Tought, 82, 85. 204 Zu Hammonds Apologie aristokratischer Gesellschaftsmodelle vgl. Sinha, Counterrevolution of Slavery, 90. 205 Congressional Globe, 24th Congress 1st Session, Appendix, 01.02.1836, 615 (Hervorhebung im Original).
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Süden auch Gültigkeit behalten hatte. Seine Brandrede richtete sich also nicht nur gegen den Abolitionismus, sondern sprach sich mindestens ebenso emphatisch für die Sklaverei aus und bediente sich dabei feudalromantischer, tendenziell anglophiler Metaphern. Weil die Sklaverei die kulturellen Parameter des Südens – Ehre und Unabhängigkeit – garantiere, erachtete er sie als „the best organization of society that has ever existed on the face of the earth.“206 Würde der Kongress jemals Maßnahmen gegen sie verabschieden, drohte er unmissverständlich: „A revolution must ensue, and this Republic sink in blood.“207 Dieses Pro Slavery Argument und seine konditionale Sezessionsdoktrin, für deren Artikulation Hammond auf positive wie negative Europabezüge zurückgegriffen hatte, sollten die politische Landschaft in Washington noch kräftig umpflügen.208 Für den Augenblick aber konnte er seine Ziele nicht vollständig durchsetzen. Sehr zu seinem Verdruss fand sich der Kongress ausgerechnet unter der Federführung eines Landsmannes, Henry Laurens Pinckney aus Charleston, doch noch zu einem Kompromiss zusammen. Abolitionistische Petitionen sollten danach zwar weiterhin offiziell empfangen, nicht aber diskutiert und somit direkt ruhen gelassen werden.209 Bekannt geworden als Gag Rule, da sie jede substantielle Aussprache unterband, blieb diese Regelung bis 1844 in Kraft. Unabhängig vom einflussreichsten Bundespolitiker South Carolinas, John C. Calhoun, hatte Hammond der Öffentlichkeit die Furcht der Sklavenhalter vor dem sklavereifeindlichen Zeitgeist ins Gedächtnis gerufen.210 Zugleich war er aber nicht so weit gegangen wie die bedingungslosen Sezessionisten und hatte kein programmatisches Sezessionsbekenntnis von sich gegeben.211 Mit dieser unschlüssig anmutenden Haltung lief er Gefahr, sich im eigenen Lager zu isolieren. Der Provokation folgte der Stillstand. Nur ein dramatischer gesundheitlicher Einbruch, der ihn zum Rückzug aus 206 Ebd. 207 Ebd., 614. 208 Vgl. auf die evangelikale Emphase des Pro Slavery Argument verweisend Daily, When Slavery was Called Freedom. Vgl. eine sehr breite Begriffsdefinition verwendend Tise, Proslavery. Vgl. ferner Finkelman, Proslavery Thought. Vgl. komprimiert und mit wichtigen Dokumenten auch ders., Defending Slavery. Die sklavereifeindlichen und -freundlichen Denkschulen im Antebellum-Amerika vergleicht Ericson, Debate over Slavery. 209 Vgl. Congressional Globe, 24th Congress 1st Session, 04.02.1836, 165. 210 Galt Calhoun der früheren Forschung als Strippenzieher hinter dem angestrebten Petitionsverbot, so hat Drew Faust nachgewiesen, dass Hammond alleine und ohne das Wissen Calhouns handelte. Vgl. Faust, James Henry Hammond, 172 f.; ähnlich schon Freehling, Prelude to Civil War, 350, Anm. 16. Vgl. unbestimmter hingegen Miller, Arguing about Slavery, 34. Zu den Positionen in der älteren Literatur vgl. Rable, Slavery, Politics and the South, 70, Anm. 3. Vgl. hingegen zumindest ein abgestimmtes Vorgehen zwischen Calhoun und Hammond suggerierend Ford, Origins of Southern Radicalism, 155. 211 Privat gab sich Hammond eher melancholisch der Meinung hin, die abolitionistische Agitation habe ein hohes Potential, die Union zu zerstören. Vgl. Hammond an ?, 11.3.1836, James Henry Hammond Papers, LC, Reel 3.
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dem Kongress zwang, verhinderte wohl einen Karriereknick. Auf Anraten seiner Ärzte brach er im August 1836 zu einer mehrmonatigen Erholungsreise nach England, Frankreich und Italien auf. Wie sich zeigen sollte, diente die europäische Erfahrung aber auch zur Selbstvergewisserung eines in seiner maßlosen Radikalität nur allzu verunsicherten Südstaaten-Politikers.212 Als James Henry Hammond nach seinem Gag Rule-Debüt 1836 von der Washingtoner Bühne abtrat, hatte er eine Saat der Zwietracht ausgestreut, die in den folgenden Jahren weiter aufging. Für Calhoun, der seit dem Bruch mit Jackson für South Carolina im Senat saß, war der Eklat über die abolitionistischen Petitionen nur ein neues Glied in der langen Kette von Verschwörungen gegen die Sklaverei. Seinem dialektischen Denken gemäß, in dem sich politische Phänomene immer aufeinander bezogen, befand sich der Süden seit Jahrzehnten im Kreuzfeuer von Angriffen aus der atlantischen Welt.213 Obwohl er vor der Sezession zurückschreckte, verwehrte er sich 1836 / 37 gleichfalls gegen die Annahme von Kongresseingaben abolitionistischen Inhalts. Zu einem Eklat kam es schließlich, als John Tipton aus Indiana dem Senat im März 1837 zwei Petitionen aus seinem Wahlkreis vorlegte.214 Calhoun konterte umgehend mit dem Antrag, diese und künftige Petitionen nicht mehr zu empfangen. Zur Begründung verfiel er in den elegischen Tonfall der Sklavereiapologie und gab auch die Überzeugung wieder, dass nur die Sklaverei der Schwarzen die Freiheit der Weißen garantieren könne: „In fact, the defence of human liberty against the aggression of despotic power had been always most efficient in states where domestic slavery was found to prevail. He did not admit it to be an evil. Not at all. It was a good – a great good.“215 Hiergegen begehrte nicht etwa ein nordstaatlicher Senator auf, sondern mit William Cabell Rives ein Sklavereikritiker aus der republikanischen Denkschule Virginias. Rives’ Karriere war seit seiner Rückkehr aus Europa 1832 ins Stocken geraten. Auf dem Höhepunkt der Annullierungskrise hatte er im Januar 1833 gegen South Carolina Stellung bezogen und sich damit nicht nur Feinde im States Rights-Lager Virginias geschaffen.216 Nach einer Reihe von Rückschlägen 1836 abermals in den Senat gewählt, trat er nun 212 213 214 215
Vgl. u. 135–143. Vgl. Niven, John C. Calhoun and the Price of Union, 202. Vgl. Register of Debates, 24th Congress 2nd Session, 06.02.1837, 706 f. Ebd. Zur Funktion des Pro Slavery Argument in Calhouns Denken vgl. detailliert Marmor, Career of John C. Calhoun, 216–234. Wie Larry Tise unterstreicht, entwickelte sich die hier vorgetragene positive good theory beileibe nicht nur aus einer Spontanreaktion der Südstaatler auf das Aufkommen des Abolitionismus, sondern lässt sich innerhalb der atlantischen Welt bis weit in das 18. Jahrhundert zurückverfolgen. Vgl. Tise, Proslavery, 97–124, bes. 101 f. 216 Vgl. Rives an John T. Brown, 30.01.1833, 29.12.1833, Brown-Coalter-Tucker Papers, Earl Gregg Swem Library, College of William and Mary, Box XVII; Rives an John T. Brown, 04.12.1834, ebd., Box XVIII. Vgl. James Madison an Rives, 12.03.1833, James Madison Papers, MHS, Reel 46. Zur Diskussion in Virginia vgl. Ellis, Union at Risk, 122–140.
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als Verteidiger eines Madisonschen Unionsideals auf, das Calhoun – der Nationalist aus den Tagen des Krieges von 1812 – inzwischen nicht mehr teilte. Provoziert von der Radikalität, mit der Calhoun seine Unionsidee ad absurdum führte, stellte Rives die Argumentation des Senators aus South Carolina öffentlich in Abrede: „[H]e did not believe slavery to be a good, either moral, political, or economical. He viewed it as a misfortune and an evil in all circumstances.“217 Da sie nun einmal in der Gesellschaft verankert und vor allem durch die Verfassung geschützt sei, erklärte er sich zwar zum Abwehrkampf gegen die Abolitionisten bereit.218 Die von Calhoun postulierte Symbiose zwischen republikanischer Freiheit und Rassensklaverei blieb ihm aber fremd. So beantwortete er sie in klassisch-republikanischer Tradition mit einer anglophoben Assoziation und verglich sie mit der Ideenwelt Sir Robert Filmers, der im 17. Jahrhundert den monarchistischen Gegenentwurf zu John Lockes Gedanken naturrechtlicher Freiheit formuliert hatte.219 Die 1680 erstmals publizierten Patriarcha des englischen Denkers verteidigten die Monarchie mit dem Argument, sie schütze die wahre Freiheit gegen eine vorgetäuschte Freiheit, die in Wirklichkeit nur eine verkleidete Sklaverei sei.220 Filmers Bild des Königs als Hüter einer „wahren“ patriarchalischen Freiheit konnte Rives trotz seiner Sympathien für Europas Königshäuser nicht teilen.221 In seiner republikanischen Gedankenwelt galt der einzelne Souverän nach wie vor eher als Steigbügelhalter der Sklaverei denn als Wahrer der Freiheit. Rives’ Sklavereikritik unterschied sich daher nicht von der Machtkritik; sie setzte in der Tradition Jeffersons die Vernichtung der Freiheit durch Monarchen, Autokraten und Sklavenhalter in eins. Calhouns Freiheitsbegriff hingegen hatte die (Rassen-)Sklaverei im Sinne des Pro Slavery Argument inkorporiert.222 Wenn Rives sein Eintreten für die Sklaverei durch eine Englandmetapher wie den Monarchievorwurf als freiheitsfeindlich zu entblößen suchte, konnte er nur auf Unverständnis stoßen.223 217 Register of Debates, 24th Congress 2nd Session, 06.02.1837, 719. 218 Vgl. ebd. 219 Vgl. ebd. Zu Filmer und seiner Verteidigung der Monarchie vgl. Daly, Sir Robert Filmer and English political thought, bes. 125–151. 220 Vgl. Sir Robert Filmer, Patriarcha and Other Writings, 4. 221 Zu Rives Affinität gegenüber dem britischen Monarchen, vgl. o. 98. 222 Vgl. Ford, Political Economy of John C. Calhoun, 412 f. Zum Pro Slavery Argument als Bestandteil der politischen Theorie Calhouns vgl. ferner Garson, Proslavery as Political Theory. Calhoun übertrug sein Herrschaftspostulat für die Schwarzen auch auf die Vorstellung einer patriarchalischen Dominanz der Elite über die weißen Mittel- und Unterschichten. Vgl. dazu Freehling, Beyond Racial Limits: Paternalism over Whites in the Thought of Calhoun and Fitzhugh. 223 Calhouns Biograph John Niven ist der Ansicht, er habe Rives’ Verweis auf Sir Robert Filmer falsch verstanden und angenommen, dass „the Virginia senator was calling him a defender of monarchy“. Niven, John C. Calhoun and the Price of Union, 202. Cal-
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Mit gehöriger Entrüstung wies Calhoun daher den Vergleich mit den Theorien Filmers zurück, die er verabscheue.224 Im Gegenzug nutzte er den Konflikt zwischen politischen und ethischen Moralvorstellungen, in dem Rives selbst sich verfangen hatte, und sezierte in kalter Dialektik die Widersprüche seiner Position: The gentleman from Virginia held it an evil. Yet he would defend it. Surely if it was an evil, moral, social, and political, the Senator, as a wise and virtuous man, was bound to exert himself to put it down. This position, that it was a moral evil, was the very root of operations against it. That was the spring and wellhead from which all these streams of abolition proceeded – the effects of which so deeply agitated the honorable Senator. 225
Diese Invektiven trafen den Sklavenhalter Rives an einem wunden Punkt, weil sie seine republikanischen Tugendideale und die Integrität seines Handelns – mithin seine Ehre – in Frage stellten. Obwohl er dem mächtigen Senator aus South Carolina durchaus mutig die Stirn geboten hatte, war es ihm kaum gelungen, die Sklavereikritik der Gründungsväter gegen das Pro Slavery Argument zu verteidigen.226 Calhoun reüssierte schließlich mit seiner Forderung, abolitionistische Eingaben an den Senat ohne Aussprache ruhen zu lassen.227 Somit hatte sich neben dem Repräsentantenhaus auch im Senat eine weitere Tür des öffentlichen Raumes geschlossen.
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houns Verteidigung geht aber nicht ganz so weit, sondern bemüht sich lediglich, seine auf dem Fundament der Rassensklaverei aufbauenden Vorstellungen republikanischer Freiheit von den Lehren Filmers abzusondern. Vgl. Register of Debates, 24th Congress 2nd Session, 06.02.1837, 719. Weil in seiner Gedankenwelt die Sklaverei eben nicht mit monarchischer Unterjochung einherging, ist die Beschwerde, „of having been misrepresented“, nachvollziehbar. Ebd. Der eigentliche Widerspruch in Calhouns Sklavereiapologie, den Rives mit der Filmer-Analogie aber nur unzureichend entkleiden konnte, lag in seinem Beharren darauf, die Sklaverei nur durch die vermeintlich positiven Konsequenzen ihrer konkreten Existenz, nicht aber abstrakt-theoretisch zu rechtfertigen. Die Trennung war aufgrund seiner vorbehaltlos-ideologischen Sklavereibejahung nicht wirklich plausibel. Zu diesem Topos der Pro Slavery-Ideologie vgl. Daily, When Slavery Was Called Freedom, 3. Vgl. Register of Debates, 24th Congress 2nd Session, 06.02.1837, 706 f. Dass Calhoun sich nicht als Verteidiger einer erblichen Feudalaristokratie begriff, betont auch William Lee Miller. Vgl. Miller, Arguing about Slavery, 135. Angesichts der heftigen Reaktion des Senators aus South Carolina kommt Charles Sellers zu dem Schluss, dass Rives „touched Calhoun at a tender point when he associated him with the anti-libertarian Filmer“. Sellers, Travail of Slavery, 125. Zu Calhouns Monarchiebegriff im Kontext seiner politischen Philosophie vgl. Brown, Calhoun’s Philosophy of Politics, 281–284. Register of Debates, 24th Congress 2nd Session, 06.02.1837, 719. Hier weicht die Deutung von der Interpretation John Nivens ab, der eher Rives als Sieger der Debatte bewertet. Vgl. Niven, John C. Calhoun and the Price of Union, 202–204. Vgl. Register of Debates, 24th Congress 2nd Session, 06.02.1837, 723. Übrigens stimmte hierfür auch William Cabell Rives. Rives’ Streit mit Calhoun bezog sich auf die ethische Rechtfertigung der Sklaverei und änderte nichts an seiner Abolitionismuskritik.
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Zurückweisungen: James Henry Hammond in England, 1836–1837 Bereits unter dem mäßigenden Einfluss seines Mentors Madison war der frühere States Rights-Republikaner William Cabell Rives 1829 nach Europa aufgebrochen, um drei Jahre später als überzeugter Nationalist zurückzukehren. Andrew Stevensons Gesandtschaft von 1836 bis 1841 entließ einen partikularen Unionisten in Sorge über die Zukunft der südstaatlichen Gesellschaftsordnung in der atlantischen Welt. Als James Henry Hammond im Juli 1836 die Ozeanpassage antrat, hegte er allenfalls ein vages Gefühl von nationaler Loyalität. Seit seinem explosiven Debüt in der Petitionskrise eilte ihm der Ruf als extremer States Rights-Befürworter mit sezessionistischen Neigungen voraus, als aggressiver Sklavereiverfechter und elitärer Demokratieverächter, der aus seiner Vorliebe für hierarchische Gesellschaftsordnungen keinen Hehl machte. Bei seinen Begegnungen mit der Alten Welt war es von nicht geringer Bedeutung, dass er ein schärferes ideologisches Profil besaß als die beiden diplomatisch versierten Virginier Rives und Stevenson. Nichts von dem, was er in Europa sah und erlebte, vermochte Hammond aus der kritischen Distanz des Ausländers zu reflektieren. Sämtliche Erfahrungen bezog er auf sich selbst und teilte sie kompromisslos danach ein, ob sie in die Schemata seines Weltbildes passten oder nicht. Die Berichte in seinem mit penibler Genauigkeit verzeichneten Reisetagebuch ließen daher so gut wie keinen Raum für leidenschaftslose Kommentare, sondern nur für grenzenlose Ablehnung oder hemmungslose Bewunderung.228 Obwohl Hammond von insgesamt fünfzehn Reisemonaten nur wenige Wochen in England verbrachte229, bündeln sich in den dort notierten Tagebucheinträgen die spannungsreichsten und widersprüchlichsten Erfahrungen. Nach beschwerlicher Überfahrt am 7. August 1836 in Liverpool an Land gegangen, wähnte er sich prompt in die „Welt der Könige und des Adels“ zurückversetzt und empfand – nichts, „no particular sensations – no palpitations of the heart“.230 Hier deutete sich bereits eine Pose an, die Hammond – mit 228 Hammonds in der South Carolinina Library in Columbia verwahrtes Reisetagebuch von 1836 / 37 ist eine Quelle ersten Ranges für die Gedankenwelt dieses Südstaatlers. Erwiesenermaßen verfasste er das Tagebuch nicht mit der Absicht einer späteren Veröffentlichung (es wurde auch nie publiziert). So versah er den ersten Eintrag in Liverpool mit dem einleitenden Vermerk: „Never to be printed under any circumstances“. Hammond, European Diary, 07.08.1836. Weil Hammond seine Eindrücke und Ansichten zeitnah niederschrieb und auch keine späteren Revisionen vornahm, lässt sich der Quellenwert des Tagebuchs sehr hoch veranschlagen. 229 Der erste Englandaufenthalt während der Reise dauerte gerade einmal siebzehn Tage. Vgl. Hammond an Francis Pickens, 06.09.1836, James Henry Hammond Papers, Perkins Library, Duke University. 230 Hammond, European Diary, 07.08.1836.
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Fortgang der Reise immer erfolgloser – einzunehmen bemüht war: Distanz, Gleichgültigkeit, spöttische Süffisanz. Ein erster Riss in dieser Haltung zeigte sich bei seiner Begegnung mit historischen Stätten. Wie viele andere amerikanische Kulturtouristen in Europa durchlebte Hammond dort ein emotionales Wechselbad, das Johan Huizinga einmal als historische sensatie bezeichnet hat. Die berauschende Empfindung „eines unmittelbaren Kontaktes mit der Vergangenheit“231, wie sie den Amerikanern daheim verwehrt zu bleiben schien, erlebte dieser Pflanzer-Politiker aus dem Hinterland South Carolinas an den Stätten englischer Geschichte, wo er auch primordiale Bezugspunkte seiner eigenen Identität zu entdecken glaubte. Als er auf seinem Weg nach London bei Warwick Castle in der Grafschaft Warwickshire anhielt, um eine der größten mittelalterlichen Festungen Englands zu besichtigen, kostete ihn diese sinnliche Geschichtserfahrung seine Selbstbeherrschung: „I cannot express the sensations I have experienced to-day“, notierte er am 11. August 1836. Ganz offensichtlich brachte ihn die Aura von Warwick Castle mit einer Zeit in Berührung, „of which I have only read and dreamed. To one coming form the wilds of the new world it looks like enchantment itself.“232 Die Grandeur des aristokratischen England, wie er sie in Warwick Castle zu spüren vermeinte, ließ ihn umgehend über die Ungleichheit in der Gesellschaft spekulieren: If men are equal by birthright – which they are not – they are not equal nor even similar in the circumstances of birth, education, life, thoughts, feelings, and aspirations. Is there not a great moral difference between a man, born and nurtured amid these scenes and one bred in the forests of the west?
Hammond sah hierin (zu) deutlich, was er gerne wäre, aber offenkundig nicht war. Im Sinne der Ehrkultur, die das Selbstbild an äußeren Maßstäben überprüfte, ging diese Erfahrung nicht mit dem Anspruch auf Ehre konform. Als ob er den ehrverletzenden Charakter seiner eigenen Reflektionen weit von sich weisen wollte, versicherte er sich daher rasch seiner Immunität gegenüber dem Zauber der Vergangenheit: „[L]et it not be supposed that I am dazzled by Warwick Castle and ready to stop before a titled aristocrat. […] I am still so proud a freeman as ever.“233 Hammonds Selbstbeherrschung war aber dennoch erschüttert worden.234 Was ihn mit dieser verstörenden Erfahrung wieder versöhnte, war der Umstand, dass die Berührung mit der englischen Vergangenheit seine primordialen Identitätskonstruktionen mit plastischen Inhalten füllte. So beschloss er 231 Huizinga, Het historisch museum (1920), 566, in deutscher Übersetzung zit. n. Strupp, Johan Huizinga, 66 f. 232 Hammond, European Diary, 11.08.1836. 233 Alle Zitate: ebd. 234 So sinnierte er: „Yet I cannot but believe that I should in many respects have been another being had I passed my life amid the massy battlements of these feudal structures.“ Ebd.
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seinen Eintrag mit der tröstenden Vorstellung, dass seine Vorfahren genau von diesen Zinnen aus ihre Heldentaten im Kampf und im Turnier vollbracht hätten.235 Die Verunsicherung, die das Idealbild des vergangenen England für den traditionsvernarrten Südstaaten-Gentleman hervorrief, vermochte er auf diese Weise unter Kontrolle zu bringen. Anders verhielt sich das mit dem gegenwärtigen England. Soweit möglich verschloss er die Augen vor jenen Aspekten, die seinem Modellentwurf einer Agrar- und Sklavenhalterkultur zuwiderliefen. Ganz bewusst entschied er sich auf seinem Weg von Liverpool nach London gegen den Besuch der Fabriken im industriellen Herzen des Landes, deren Inspektion er als „vulgäres und nicht sehr lohnendes Studium“ ablehnte.236 Einmal in der britischen Hauptstadt angekommen, verlor er aber unvermittelt jede Orientierung. In der Unübersichtlichkeit der Metropole verlief sich Hammond wie auf einer „Straße von Hieroglyphen“: „There appears to be no clue, no beginning, no ending […]. I can think about nothing, talk about nothing, read nothing for more than a minute.“237 Ein Sklavenhalter, der sich in den Grenzen seiner vertrauten Plantagenwelt absolute Macht über andere anmaßte, musste auch und vor allem in der Fremde die Kontrolle über sich selbst wahren. Daher suchte er nach Erfahrungen und Eindrücken, die er anhand seiner vertrauten Vergleichsmaßstäbe einzuordnen in der Lage war. Nur so konnte er wieder die Position eines Richters über die englischen Verhältnisse einnehmen. Eine ausführliche Gelegenheit dazu bot sich im House of Lords, dem Hammond am 18. August 1836 einen Besuch abstattete. Gerade rechtzeitig vor dem Ende der parlamentarischen Sitzungsperiode, verfolgte er an diesem Tag auf der Zuschauertribüne die Aussprache über die Innen- und Außenpolitik der Whig-Regierung Lord Melbournes.238 Während sich der nationale Demokrat William C. Rives ein Jahr zuvor mit den reformerischen Whigs solidarisiert hatte239, galten die Sympathien Hammonds der konservativen Opposition. Auffällig ist aber, dass er die Redner weniger danach beurteilte, was sie in der Sache selbst sagten, sondern wie sie es sagten, welche Worte sie wählten, welche Haltungen sie einstudierten, welche Posen sie einnahmen. Seiner Neugier gerade in diesem Punkt kam sicherlich entgegen, dass die Angriffe der Tories auf die Reformgesetze der Regierung für den Kanzleigerichtshof (Court of Chancery) 235 Ebd. In der romantischen Vorstellungswelt südstaatlicher Eliten firmierte das mittelalterliche Turnier als vormoderne Frühform eines Ehrendisputs zwischen Gentlemen. Vgl. hierzu Osterweis, Romanticism and Nationalism, 3–5. 236 Hammond, European Diary, 11.08.1836. 237 Ebd., 17.08.1836. 238 Zum zweiten Kabinett Lord Melbournes vgl. Mitchell, Lord Melbourne, 142–166. 239 Vgl. Rives an Martin Van Buren, 13.05.1835, Martin Van Buren Papers, LC, Reel 19. Rives zog hier einen anglo-amerikanischen Parteienvergleich und geriet zu dem verwirrenden Ergebnis, dass die amerikanische Whig-Partei den englischen Tories ähnelte, während die englischen Whigs mit seiner eigenen Partei, den Jackson-Demokraten, verglichen werden konnten.
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besonders heftig ausfielen.240 Für Hammond eröffnete das einen anregenden Kontrast zwischen der Leidenschaft der Debatte und dem betont distinguierten Zeremoniell, das den verbalen Austausch im englischen Oberhaus durchzog – und ihm aus dem Washingtoner Kongress wohl kaum bekannt gewesen sein dürfte, neigte man dort doch eher zu einer „unverfälschten Natürlichkeit“, wie der im Jahre 1852 nach Amerika emigrierte 1848er-Revolutionär Carl Schurz in seinen „Lebenserinnerungen“ schrieb.241 Einen besonderen Eindruck hinterließ der Auftritt von John Singleton Copley, Lord Lyndhurst. Über dessen Abrechnung mit den Whigs vermochte Hammond nur anerkennend zu notieren: „A more bitter and concentrated invective I have never heard.“242 Dass Lyndhurst seine parteipolitischen Invektiven in der Pose eines würdevoll-desinteressierten Staatsmannes vorzutragen verstand, imponierte dem Südstaatler nachhaltig. So registrierte Hammond genau, wie dieser „flexible Tory“243 Motive der Ehre und der Machtkritik mit konservativer Nostalgie kombinierte, um die Regierung von Premierminister Melbourne rhetorisch zu geißeln: „They have compromised the honour of their Sovereign, and tarnished the reputation and character of their country.“244 Natürlich war das politische Kalkül der Rede nicht zu übersehen. Auf einen Machtskeptiker wie Hammond übte aber allein die Beschwörung eines ethischen Kodex in der Politik unwiderstehliche Anziehungskraft aus. Ohne Umschweife sei Lyndhurst daher der fähigste Mann im House of Lords. Mehr als alles andere imponierte Hammond der kultivierte Stil, mit dem hier ein konservativer Gentleman einer Schar von Berufspolitikern die Regeln der Ehre ins Gedächtnis zu rufen schien. Wenn Lord Lyndhurst auch nicht an die großen Redner Amerikas – an Webster, Clay oder Calhoun – heranreiche, so sei er doch „more polished“. Wie Hammond am Abend des 18. August 1836 notierte, entließ ihm seine Visite im House of Lords mit einem viel günstigeren Eindruck als er ihn zuvor gehabt hatte: „They are undoubtedly an assembly of gentlemen, which is saying a great deal.“ Verglichen mit dem Kongress der Vereinigten Staaten seien die Mitglieder des House of Lords gebildeter, besser erzogen, viel mehr
240 Der Gesetzesentwurf für den Kanzleigerichtshof war Teil eines legislativen Paketes, das von Henry Brougham, Baron Brougham and Vaux, entworfen worden war, einer der treibenden Kräfte hinter der Parlamentsreform von 1832. Die handwerklichen Mängel der Bill for Chancery Reform verschafften den Reformgegnern allerdings die Gelegenheit, „the natural conservatism of the peers“ gegen die Regierung auszuspielen. Turberville, House of Lords in the Age of Reform, 217. 241 Schurz, Lebenserinnerungen, Bd. 2, 20. 242 Hammond, European Diary, 18.08.1836. 243 Vgl. Lee, Lord Lyndhurst: The flexible Tory. 244 Hansard’s Parliamentary Debates, 3rd Series, Bd. XXXV, House of Lords, 18.08.1836, 1290.
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mit den staatsmännischen Qualitäten gesegnet: „[T]the House of Lords is the first legislative assembly in the world.“245 Hinter dieser Konzession verbarg sich ein potentieller Anschlag auf die Ehre Amerikas und vor allem des Südens. Geflissentlich übersah Hammond für die sich nun aufdrängende Analogie den Kongress in Washington und blickte statt dessen auf den Senat in Columbia, South Carolina, wo er die Tugenden aristokratischer Staatskunst originalgetreu abgebildet sah.246 Dazu passten auch seine abschätzigen Bemerkungen über das House of Commons, dem er am Tag nach seiner Visite im Oberhaus einen Besuch abstattete. Als Abgeordneter auf dem Washingtoner Kapitolhügel hatte er bereits seine Abneigung gegen die Idee einer unmittelbaren Volksvertretung bewiesen und aus seinem pseudo-feudalen Ressentiment gegenüber demokratischer Nivellierung ebenfalls keinen Hehl gemacht. So erschien ihm die untere Parlamentskammer an der Themse als Sammelstätte eines „perfect rabble […] – no order – no dignity – nothing like senatorial elevation“.247 Nachlässig gekleidet und unaufmerksam, verkamen die führenden Politiker Englands in Hammonds Augen zu vergleichsweise lächerlichen Gestalten, denen er weder den Anspruch auf Ehre noch den Status von Gentlemen zuerkannte. Außenminister Lord Palmerston disqualifizierte er als „merely a descent looking man“, Innenminister Lord John Russell gar als „very mean looking indeed“.248 Dieses despektierliche Bild vom House of Commons und seiner Mitglieder sollte seine Einschätzung der britischen Diplomatie über Jahrzehnte hinweg prägen. Wie aus mehreren Einträgen des Reisetagebuches ersichtlich wird, hing die Bitternis seines Urteils mit Erfahrungen zusammen, die einen Ehrenmann des Südens irritieren musste: Nichtbeachtung, Ausgrenzung und Marginalisierung. Anders als Rives und Stevenson konnte Hammond seinen Anspruch auf Ehre in England nicht einfach einlösen. Für den grenzenlos ehrgeizigen Politiker aus South Carolina war es eine erschütternde Erfahrung, das glanzvolle 245 Alle Zitate: Hammond, European Diary, 18.08.1836. 246 Hammonds Bestreben, die Staatswürde South Carolinas mit der von ihm so wahrgenommenen aristokratischen Würde des House of Lords in Bezug zu setzen, wird noch deutlicher in seinem Schreiben an Francis Pickens, das er in Paris verfasste: „[A]s an assemblage of gentlemen of high tone, whose ideas are elevated […] and whose remarks are full of illustration and apt quotations from the ancient and modern classics, I have not seen it equalled in America. Our own So[uth] Ca[rolina] senate comes nearest to it, and in dignity surpasses it.“ Hammond an Francis Pickens, 06.09.1836, James Henry Hammond Papers, Perkins Library, Duke University. Referenzen an die Stabilitätsfunktion des britischen Oberhauses finden sich in Hammonds Korrespondenz auch noch in späteren Jahren. Vgl. Hammond an Edmund Ruffin, 10.10.1846, Edmund Ruffin Papers, Wilson Library, UNC. 247 Hammond, European Diary, 19.08.1836. Vgl. ähnlich Hammond an Francis W. Pickens, 06.09.1836, James Henry Hammond Papers, Perkins Library, Duke University. 248 Hammond, European Diary, 19.08.1836.
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III. Der Süden, die atlantische Welt und der Niedergang der Union
Zeremoniell des offiziellen London unbeachtet aus der Ferne betrachten zu müssen. Bei allen Anlässen auf die Zuschauerränge verbannt, verfügte er außer dem sporadischen Kontakt zum Gesandten Stevenson über keinerlei Einfluss, der ihn aus der Masse amerikanischer Europatouristen hervorstechen ließ.249 Innerhalb von zwei Wochen nach seiner Ankunft überkamen ihn melancholische Anwandlungen, die weit über das Heimweh des Fernreisenden hinausgingen. Als „krank im Körper, krank im Herzen“ bezeichnete er sich am 21. August 1836: „Here where one has no friends the naked […] selfishness of mankind has not even the thin covering of social hypocrisy.“250 Hammond fühlte sich nicht nur selbst zurückgewiesen, sondern auch all das, wofür er stand und von dessen Richtigkeit er überzeugt war. Während ihn kein Politiker von Rang empfing, sah er sich ständig der Renitenz von Bediensteten, Kutschern und Reisebegleitern ausgesetzt, die er zwar keineswegs als sozial ebenbürtig begriff, auf deren Hilfe er als Fremder in einer unvertrauten Umgebung aber tagtäglich angewiesen war. Hier hatte er es nicht mit einem Fall von Ehrverweigerung unter ehrberechtigten Partnern zu tun, sondern – schlimmer noch – mit der Verweigerung von Demutsreferenzen durch die Ehrlosen, über die er als Mann von Ehre absolute Kontrolle voraussetzen musste. Blieb die Anerkennung dieses Statusunterschiedes aus, so geriet sein wohlgeordneter Plantagen-Mikrokosmos durcheinander. Dass Hammond tatsächlich in solchen Bezügen dachte, zeigen seine Vergleiche zwischen den unbotmäßigen Engländern und den Sklaven, die ihm nie und nimmer Widerstand entgegensetzen durften. Die Briten, so schrieb er in vertraut rassistischer Wortwahl nieder, seien wie „our plantation negroes“ – dumm, ungebildet und selbstsüchtig.251 Allerdings führte er diese Analogie nicht so weit, dass er sich hätte eingestehen müssen, derartige Autoritätseinbrüche könnten daheim ebenfalls passieren.252 Ganz im Gegenteil begründete er seinen harten, herrischen und unfreundlichen Umgangston gegenüber den Einheimischen damit, hier gleichsam eine separate Welt zu erleben – eine wirre, chaotische englische Welt, die von der hierarchischen, streng geordneten Südstaatenwelt verschiedener kaum sein konnte.253 Was hier mühsam zurechtgebogen wurde, spricht eher für Anzeichen der Furcht und Verstörung, die er als Sklavenhalter in einer freien Gesellschaft angesichts der offenen Ablehnung seiner Lebenskultur empfand. Manische Zerrbilder waren die Folge. In seinen Augen hetzten die Menschen über die 249 250 251 252
Zu den Kontakten mit Stevenson vgl. Hammond, European Diary, 18.08.1836. Ebd., 21.08.1836. Ebd., 09.08.1836. Vgl. auch ebd., 12.08.1836. Tatsächlich setzten Hammonds Sklaven auf Silver Bluff durch subtile Methoden seinen umfassenden Kontrollanspruch immer wieder außer Kraft – durch die Etablierung einer autonomen Subkultur in den Sklavenquartieren etwa oder der Sabotage der festgesetzten Arbeitspläne. Vgl. hierzu umfassend Faust, James Henry Hammond, 69–105. 253 Vgl. Hammond, European Diary, 14.08.1836.
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Straßen Londons und warfen sich mit einer „inexplicable voraciousness upon all travelers“.254 Zwischen Unruhe, Aggressivität und Hilflosigkeit schwankend, gebar Hammonds England ein Klima von „individual selfishness“ und „fanaticism“. Wie er mit Blick auf den sklavereifeindlichen Zeitgeist in der atlantischen Welt bilanzierte, beschränke sich dieses Phänomen nicht nur auf despotische Systeme, sondern könne auch auf freie Gesellschaften übergreifen. Ignoranz und Fanatismus, so Hammond, ließen sich nicht auf staatliche Repression zurückführen. Die Gegenbeispiele standen ihm klar vor Augen: „All sects of fanaticism prevail in England and our northern States.“ Hier wird deutlich, dass er die verstörenden Erfahrungen seiner Englandreise mit einer Feindbildverschmelzung aufzulösen suchte. Das hervorstechende Merkmal Englands und Neuenglands sei ihr artifizieller Charakter. Ländereien, Parks, Burgen – all das wies nun Züge der Künstlichkeit auf. Hammond, den noch wenige Tage zuvor die historische Authentizität von Warwick Castle aufs tiefste beeindruckt hatte, unternahm nichts weniger als die Destruktion seines romantischen Englandbildes. Nur so konnte er die Phänomene in ein Erklärungsmuster einordnen, das Entlastung und Selbstvergewisserung versprach: Abolitionistische, urbane und industrialisierte Gesellschaften litten gleichsam an ihrer Modernität: „[A]ll are artificial – all made differently from which they are any where else.“255 Mit diesen Worten attestierte Hammond dem Süden seine Zukunftfähigkeit innerhalb einer sich rasant verändernden atlantischen Welt. Nicht der organisch gewachsene, traditionsbewusste Süden war eine Abnormität, sondern die egalitären und abolitionistischen Sozialentwürfe Englands und Neuenglands. Für diesen beruhigenden Gedanken, der Jahrzehnte später in seiner King Cotton-Rede vor dem Senat wieder auftauchen sollte256, musste er mit England brechen und sich seinen verlockenden Faszinationen entziehen. Als ob er sich selbst zu exorzieren beabsichtigte, schrieb er am 24. August bereits aus Frankreich: „Although you are the land of my ancestors I hate and detest you.“ 257 Nur drei Wochen nach seiner Ankunft verließ Hammond das „Land meiner Vorfahren“, um während der nächsten Monate durch Frankreich, Deutschland und Italien zu reisen. Im Mai 1837 setzte er abermals über den Ärmelkanal und beschloss seine Grand Tour mit einem Besuch in Schottland und Irland. Auch auf dem europäischen Festland hatte der Sklavenhalter aus South 254 255 256 257
Ebd, 22.08.1836. Alle Zitate: ebd. Vgl. u. 273. Hammond, European Diary, 24.08.1836. Eine ähnliche Wortwahl findet sich bei Hammond an Francis W. Pickens, 06.09.1836, James Henry Hammond Papers, Perkins Library, Duke University. Vgl. Francis W. Pickens an Hammond, 31.03.1839, James Henry Hammond Papers, LC, Reel 5.
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III. Der Süden, die atlantische Welt und der Niedergang der Union
Carolina seine Autorität gefährdet gesehen. Kurz vor seiner Rückkehr nach England eskalierte die Kette von Ehrverletzungen in einer äußerst peinlichen Situation, als er in Belgien einem unbotmäßigen Bediensteten mit seinem Stock blutig schlug und daraufhin für einige Stunden im Gefängnis festgehalten wurde.258 Derart geprägt von unangenehmen bis verstörenden Erlebnissen, bündelten sich in Hammonds Denken eine Fülle von Negativstereotypen über die Alte Welt. Nirgendwo sonst gewannen sie aber eine derartige Intensität wie in Großbritannien, der ersten und der letzten Station seiner Reise. Das letzte gedankliche Motiv, mit dem er seine Sklavenhalterutopie von der miserablen britischen Gegenwart abheben konnte, erschloss sich durch die Eindrücke im armen schottischen Norden und der irischen Insel. Angesichts der Scharen von Wegelagerern und Bettlern, die seine Reiseroute säumten, empfand er „heart ache to walk the street“.259 Umso eifriger ergriff er die Möglichkeit, die sich hier bot, um den Wert der Freiheit für den sozialen Frieden neu zu bestimmen. Wie er es nun (bestätigt) sah, erkauften sich die Briten ihre Freiheit um den Preis der Verelendung. Im Süden Amerikas hingegen lenkte die Sklaverei die entfesselten Freiheitskräfte in geordnete Bahnen und sicherte damit eine „well ordered liberty“.260 In verschiedenen Gesellschaften, so Hammond, könne Freiheit verschiedenes bedeuten: „Liberty is altogether comparative. The English are crazy about ours enslaving the Africans while we regard their much boasted ‚British Liberty’ as a mere joke.“261 Hierin also lag die Bilanz der Erfahrungen, die er nach einem insgesamt eher verstörenden Jahr in Europa zu ziehen hatte. Fürs Erste entließ ihn die Alte Welt mit einem versöhnlicheren Verhältnis zur amerikanischen Nationalität, als dieser bedingte Unionist es vor seiner Reise besessen hatte. Mag es auch nicht weiter verwundern, dass die sektionalen Differenzen aus der Fremde weniger gravierend erschienen, so waren die langfristigen Folgen seiner europäischen Lektionen doch andere. Anders als Rives kehrte er nicht als überzeugter, anders auch als Stevenson nicht als verunsicherter Unionist heim. Ganz im Gegenteil bekräftigten die Eindrücke aus England sein ohnehin schon 258 Vgl. zu diesem Vorfall Hammond, European Diary, 29.05.1837. Vgl. ausführlich auch Faust, James Henry Hammond, 199. 259 Hammond, European Diary, 23.08.1837. 260 Diese Formulierung geht zurück auf Trescot, Position and Course of the South, 6. 261 Vgl. Hammond, European Diary, 23.08.1837. Die Relativität der Freiheit war ein klassischer Topos des Pro Slavery Argument. „What we call liberty is a different thing in different states of society“, führte John C. Calhoun über zehn Jahre später im Senat aus. „Instead of every man having a right to equal liberty, nothing can be more unequal than the quantum of liberty assigned to every individual. He regarded the axiom that all men are born equal, as producing disastrous effects abroad […] and as likely to plunge Europe in a state of hopeless anarchy, which would terminate in military despotism.“ Congressional Globe, 30th Congress 1st Session, 27.06.1848, 876. Durch die ungleiche Verteilung der Freiheit wird hiernach also die Unfreiheit aller verhindert.
3. 1840–1850: Reflexionen und Standortbestimmungen
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scharf umrissenes Partikularprofil. Seine Kritik der „freien“ Gesellschaft sowie die Emphase seines Pro Slavery Argument erhielten das – freilich zutiefst subjektive und ideologisch gefilterte – Gütesiegel eines Studiums vor Ort. 3. 1840–1850: REFLEXIONEN UND STANDORTBESTIMMUNGEN Mitte der 1840er Jahre wurde eine Abfolge von Ereignissen in Gang gesetzt, die nachvollziehbar, wenn auch nicht zwangsläufig in der Katastrophe von 1861 aufging. Das auf Konsens und Kompromissen gebaute System der Union zerbrach an den Folgen eben jener Manifest Destiny-Idee, die ihre nationale Größe vor der Welt hatte erweisen sollen.262 Bei den sektional empfindlichen Südstaatlern entsprang der Ruf nach kontinentaler Expansion einer kaum verhüllten Zukunftsangst.263 In der Mitte des Jahrzehnts wuchsen sich die Spannungen um die Annexion von Texas zu einer Krise aus, die unmittelbar einen Krieg gegen Mexiko provozierte und mittelbar einen Bürgerkrieg heraufbeschwor.264 1836 erkämpfte das vornehmlich durch sklavenhaltende Farmer aus Arkansas, Louisiana und Mississippi besiedelte Texas seine Unabhängigkeit von Mexiko.265 Dass die neue Republik unter Präsident Sam Houston in den folgenden Jahren den Beitritt zur Union begehrte, stieß vor allen bei den expansionswilligen Amerikanern im Westen und Südwesten auf Gehör. Die demokratischen Regierungen Andrew Jacksons und Martin Van Burens blieben hingegen auf Distanz. Jackson stand einer Aufnahme von Texas zwar mit Sympathie gegenüber, fürchtete aber Komplikationen in den Beziehungen mit Mexiko und Großbritannien. Für den New Yorker Van Buren rangierte die Stabilität der Demokratischen Partei über den Verlockungen westlichen Landgewinns. Neben den anglo-amerikanischen Streitigkeiten an der Nordostgrenze zu Kanada war seine Regierung von den Lähmungen der Wirtschaftskrise des 262 Vgl. die klassisch-nationale Deutung bei Weinberg, Manifest Destiny; Graebner, Empire on the Pacific; Van Alstyne, Rising American Empire. Vgl. den Imperialgedanken betonend Weeks, Building the Continental Empire. Vgl. auch Haynes / Morris, Manifest Destiny and Empire. Vgl. hingegen die sektionale Dimension hervorhebend Merk, Monroe Doctrine and American Expansionism; ders., Manifest Destiny and Mission. 263 Zumindest mit Blick auf die hier behandelten Südstaatler wird der originellen, wenn auch nicht unumstrittenen These Thomas Hietalas beigepflichtet, dass dem Ausdehnungsgedanken vor allem ein defensives Krisenbewusstsein zu Grunde gelegen habe. Vgl. Hietala, Manifest Design. Vgl. auch Haynes, Expansionist Impulse, ix. 264 Zur Texaskrise vgl. veraltet, aber sehr detailliert Smith, Annexation of Texas. Zu den außenpolitischen Aspekten vgl. Pletcher, Diplomacy of Annexation. Die Relevanz der Sklavenfrage in der Beitrittskontroverse unterstreicht Merk, Slavery and the Annexation of Texas. 265 Vgl. dazu zuletzt Davis, Lone Star Rising.
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III. Der Süden, die atlantische Welt und der Niedergang der Union
Jahres 1837 geprägt.266 Innenpolitische Themen, darunter die angemessene Verwaltung der Staatsfinanzen und die Zollfrage, dominierten die Agenda, auch wenn die Texas-Frage weiterhin virulent im Raum stand. Als die Whigs schließlich 1841 mit William Henry Harrison und nach dessen Tod mit John Tyler ins Weiße Haus einzogen, rieben sie sich sogleich in innerparteilichen Streitigkeiten auf. Lähmung in der Innenpolitik ging zwar zunächst einher mit Bewegung in der Außenpolitik, nicht zuletzt dank der Standfestigkeit Daniel Websters, der im State Department an einer Regelung der Grenzkonflikte arbeitete. Kurz darauf spitzten sich die anglo-amerikanischen Beziehungen im Streit um die territorialen Krisenherde Texas und Oregon jedoch wieder zu. Während die Parteien über Legitimität und Stoßrichtung der Expansion uneins waren, erhärtete sich im Kreise der Partikularisten um Calhoun, Rhett, Hammond sowie dem neu hinzugestoßenen Virginier Robert M. T. Hunter der Verdacht, England missbrauche die Texasfrage für seine abolitionistischen Ziele. Wie lässt sich ihr anglophobes Ressentiment mit den ungleich moderateren, teilweise sogar positiven Englandbildern in Einklang bringen, die sie anlässlich der zeitgleich kulminierenden OregonKrise entwarfen? Warum redeten sie einmal in einer Sprache der Konfrontation, ein anderes Mal in einer Sprache der Versöhnung? Generationenwechsel in Virginia: James Murray Mason und Robert M. T. Hunter In der Amtszeit Van Burens überdachten die Virginier in Washington ihre politischen Standorte und schlugen daraufhin unterschiedliche Wege ein. Während sich William Cabell Rives für die Restauration der Gründerrepublik in den Parteienwettkampf stürzte, zog sich Andrew Stevenson nach seiner Rückkehr aus England aus der Öffentlichkeit zurück. In ihrem Schatten erwuchs seit Mitte der 1830er Jahre eine skeptischere Generation von Nachwuchspolitikern, deren Fixierung nicht mehr primär nationaler, sondern partikularistischer Natur war. Im Jahre 1837 verbündete sich Rives mit James Murray Mason, einem jungen Kongressabgeordneten aus Virginia, der zwar willens war, von dem „älteren und besseren Soldaten“267 zu lernen, gleichwohl aber bereits ein fest gefügtes ideologisches Koordinatensystem im Kopf hatte.268 1798 als Enkel George Masons von Gunston Hall in eine traditionsreiche Familie hineinge266 Vgl. dazu im Überblick Wilson, Presidency of Martin Van Buren, 43–61. 267 Mason an Rives, 18.05.1837, William Cabell Rives Papers, LC, Box 55. 268 Für Mason liegt eine neuere, nicht ohne Sympathie geschriebene Biographie vor. Vgl. Young, Defender of the Old South. Bereits 1903 publizierte seine Tochter Virginia Mason eine mit autobiographischen Einschüben versehene Briefsammlung. Vgl. Mason, Public Life and Diplomatic Correspondence.
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James Murray Mason (1798–1871)
boren, definierte er sich über den kulturellen Kodex der Oberschicht und galt als Verkörperung des Virginia-Aristokraten. Wie er in einem Brief aus späteren Jahren darlegte, reichte die Linie der amerikanischen Masons bis zu George Mason aus Straffordshire zurück, der im Englischen Bürgerkrieg auf der Seite der Krone gekämpft und 1652 nach Virginia geflohen war.269 269 Vgl. Mason an William Cabell Rives, 28.12.1857, William Cabell Rives Papers, LC, Box 89. Zur ausführlichsten Genealogie der Mason-Familie in England und Virginia vgl. noch immer Rowland, Life of George Mason, 1–16.
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Mason zählte also nicht nur einen berühmten Staatsmann der Revolution zu seinen Vorfahren, sondern konnte auch auf einen Kavaliershintergrund zurückblicken, den er zeitlebens stolz nach außen präsentierte.270 Die genealogische Herleitung seiner Identität ging in einem Weltbild auf, das der Geschichte von Völkern und Nationen mit rassischen und ethnischen Begriffen gerecht zu werden suchte.271 Demzufolge sah sich Mason in der Tradition der geordneten Verhältnisse im kolonialen Virginia, wo sich die Gentlemen Freeholders durch Wahlen in den Führungsämtern hatten bestätigen lassen, auf die sie ohnehin ein natürliches Anrecht zu besitzen glaubten.272 Weil dieses kuriose feudal-demokratische System den Liberalisierungsschüben der Jackson-Zeit nicht standhielt, trat Masons Karriere nach seinem Studienabschluss am College of William and Mary erst einmal auf der Stelle. 1826 als Delegierter von Frederick County in das Richmonder Parlament gewählt, unterstützte er die Virginier in Washington bei ihrem Kampf gegen das American System und wandte sich gegen die nationalen Infrastrukturprojekte.273 Mit den Jackson-Demokraten identifizierte sich Mason nur unter Vorbehalt. Zwar unterstützte er den Präsidenten in seinem Widerstand gegen South Carolinas Annullierungsdoktrin, erkannte aber zugleich das Sezessionsrecht der Staaten grundsätzlich an.274 Als er 1836 schließlich den Sprung in den Kongress schaffte, markierte das den Auftakt zu einer Radikalisierung aus konservativem Geist, die getragen war von der Sorge um die Bewahrung des „old Republican spirit of Virginia“.275 Kaum in Washington etabliert, verurteilte Mason die Fiskalpolitik des neuen Präsidenten Van Buren mit einer Schärfe, die sich sein Mentor William Cabell Rives öffentlich nicht zu eigen machte, obgleich er eine Schlüsselfigur in der „Revolte konservativer Demokraten“ gegen die Finanzreformen der Regierung war.276 Seine Kritik an der großzügigen Verfassungsauslegung von Van Burens Nord-Demokraten bassierte auf einem elitären Gesellschaftsbe270 Bereits Burton Hendrick hat darauf hingewiesen, dass Mason von einem Kavalier „in the proper understanding of that term“ abstammte. Hendrick, Statesmen of the Lost Cause, 236. 271 Vgl. beispielhaft Mason an William Cabell Rives, 23.11.1852, William C. Rives Papers, LC, Box 83. 272 Vgl. hierzu klassisch Sydnor, Gentlemen Freeholders, sowie neueren Datums Kolp, Gentlemen and Freeholders. 273 Vgl. Mason, Address to the Freeholders of Frederick County, [1827], in: Mason, Public Life and Diplomatic Correspondence, 22–26; Mason an John T. Brown, 04.04.1832, Brown-Coalter-Tucker Papers, Box XVII, Earl Gregg Swem Library. 274 Vgl. Richmond Enquirer, 08.01.1833. 275 Mason an Muscoe Russell Hunter Garnett, 03.07.1855, Hunter-Garnett Papers, Box 2, Alderman Library, UVA. 276 Friedman, Revolt of the Conservative Democrats. Zu dieser an klassisch-republikanischen Idealen orientierten Fraktion in der Demokratischen Partei, die zwischen 1837 und 1844 Gewicht im Kongress besaß, vgl. Silbey, Martin Van Buren, 137 f. Zu Rives’ Einfluss vgl. Shade, Democratizing the Old Dominion, 94 f.
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Robert Mercer Taliaferro Hunter (1809–1887)
griff, wie ihn selbst John Randolph nicht bissiger hätte formulieren können. Für Mason waren die Anhänger des Präsidenten Teil einer „‚democracy of numbers‘, […] who hold no place in the thinking, acting part of the community, but are classed as mere dead weigh“. In Virginia hingegen, so behauptete er in seiner ersten großen Kongressrede am 11. Oktober 1837, lägen die Dinge anders: „We have there as honest and sturdy a race of democrats as ever the sun shone upon. Of intelligent, thinking, independent, and free men; each doing and acting for himself in all questions of public interest.“277 277 Alle Zitate: Register of Debates, 25th Congress 1st Session, Appendix, 11.10.1837, 217 (Hervorhebung im Original).
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Bewusst stellte sich Mason in die Tradition der alten Pflanzerideale von Autonomie und Unabhängigkeit. Dennoch musste dieser Nivellierungskritiker darauf bedacht sein, in den innenpolitischen Debatten nicht zu elitär zu wirken. Zur Artikulation des republikanischen Konsenses verfügte er wie viele andere Politiker über ein anglophob akzentuiertes Vokabular. In Analogie zu den Feindbildern der Revolutionszeit urteilte er über den Tenor der finanzpolitischen Regierungsforderungen: „It is the language of Courts, but has no place in Parliament.“278 Wenn Mason zwar Formen der Monarchiekritik kannte und verwendete, so gingen sie ebenso wenig wie im Falle von Rives und Stevenson auf den tief sitzenden Englandhass zurück, der Jefferson in seinem Kampf gegen die Federalists angeleitet hatte. Ganz im Gegenteil lagen seinem elitären Selbstverständnis anglophile Denkfiguren zu Grunde, die wiederum auf mythologisierten und romantisierten Englandbildern beruhten. Wie sehr sich das imaginierte England feudaler Ordnung vom industriellen, dynamischen und abolitionistischen England seiner Tage unterschied, das erkannte er allerdings erst lange Zeit später. Fürs Erste sah er sich mit seinen Stellungnahmen zu den großen Themen der Wirtschafts- und Finanzpolitik innerhalb der von Martin Van Buren dominierten Demokratischen Partei isoliert.279 Von der Partei zum Ende der Legislaturperiode nicht mehr für das Repräsentantenhaus nominiert, zog er sich 1839 für acht Jahre aus der Politik zurück. Die öffentlichen Redeschlachten über den Beitritt von Texas zur Union und die Oregon-Krise erlebte er nicht auf der Washingtoner Bühne. Anders verhielt es sich mit einem der engsten Weggefährten Masons in den 1850er Jahren, Robert Mercer Taliaferro Hunter. Obwohl er bei Ausbruch des Bürgerkrieges auf eine fünfundzwanzigjährige Kongresskarriere zurückblicken konnte, gar als Präsidentschaftskandidat gehandelt worden war und bis 1861 in der Bundespolitik eine ebenso wichtige Rolle spielte wie Jefferson Davis, ist Hunter nach seiner relativ glanzlosen Karriere in der Konföderation weitgehend in Vergessenheit geraten.280 1809 als Spross einer angesehenen Pflanzerfamilie schottischen Ursprungs geboren, durchlief Hunter die typischen Sozialisationsstationen für Politiker des Old Dominion. Nach dem Besuch der Universität von Virginia studierte er ab 1829 die Rechte beim Richter Henry St. George Tucker in Winchester, einem Vertreter der extremen States Rights-Schule. Von 1835 bis 1837 Erfahrungen im Richmonder Staatenparlament sammelnd, schlug Hunter die seit Jeffersons Zeit übliche Laufbahn ein und wurde damit auf die 278 Congressional Record, 25th Congress 2nd Session, 12.05.1838, 599. 279 Vgl. Young, Defender of the Old South, 20. 280 So lautet das Urteil seines Biographen John Fisher, der 1968 über Hunter eine unveröffentlicht gebliebene Dissertation vorgelegt hat. Vgl. Fisher, Statesman of the Lost Cause, 10. Eine noch ältere, recht unkritische Arbeit liegt vor mit Simms, Life of Hunter.
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kulturellen Schlüsselbegriffe des Südens fixiert. Als Mitglied der traditionsbewussten Pflanzeraristokratie der Küstenbezirke Virginias erwarb er im Laufe seines Lebens große Landflächen und besaß zum Zeitpunkt der Emanzipationserklärung Abraham Lincolns 132 Sklaven.281 Was ihn aber von seinen älteren Landsleuten Rives und Stevenson unterschied, die in den hitzigen Debatten der Jackson-Präsidentschaft ihre Zuordnung fanden, war seine parteipolitische Orientierungslosigkeit. In Anlehnung an das alte republikanische Gemeinschaftsideal stand er der Zerklüftung der Parteienlandschaft skeptisch gegenüber. Nach Hunters Auffassung drohte das Ehrideal des Südens durch den politischen Betrieb kompromittiert zu werden. Der eigentlich unverhandelbare Ehrbegriff sei zu einer Kampfvokabel verkommen: „[F]or the definition the world attaches to the word is so capricious, and depends so entirely on the party that uses it, that it is worse than vain to attempt to conform to such a standard.“282 Diese Worte beschrieben treffend die Motive, die Hunter von den Parteien auf Distanz hielten: seine Furcht nämlich, die Fundamente der südstaatlichen Kultur könnten im Streit der Fraktionen verwässert und aufgelöst werden. Durch die Partei Jacksons, die den Primat der Union vor das Annullierungsrecht der Staaten stellte, sah Robert Hunter sein republikanisches Autonomieideal nicht mehr vertreten. Hatte er noch 1832 die Wiederwahl Jacksons unterstützt, distanzierte er sich im Zuge der Krise in South Carolina von der Politik des Präsidenten und näherte sich dessen Gegnern an, den Whigs.283 Als er im Jahre 1837 zeitgleich mit Mason in den Kongress gewählt wurde, ging er als unabhängiger Whig nach Washington, wo er über die Förderung Calhouns zum States Rights-Flügel der Demokraten stoßen sollte.284 Das Sklavereiproblem und der Webster-Ashburton-Vertrag, 1842 Anfang der 1840er Jahre war das Verhältnis zwischen den Vereinigten Staaten und Großbritannien so konfliktträchtig wie niemals zuvor seit dem Krieg von 1812. Die Spannungen verdichteten sich in den dünnbesiedelten Grenz281 Vgl. Fisher, Statesman of the Lost Cause, 1. 282 Mary Hunter an Hunter, undatiert, in: Hunter, Memoir, 56. Hunter führte mit seiner Frau eine aufschlussreiche Korrespondenz über die Ambivalenz des politischen Lebens, in der sich republikanische Machtkritik und persönlicher Ämterehrgeiz spannungsvoll gegenüberstehen. Vgl. Hunter an Mary Hunter, 27.01.1839; 05.02.1839; 23.08.1839; 25.04.1839; 25.05.1839; 25.01.1840, Hunter-Garnett Papers, UVA. 283 „Hunter had become a Whig by default. Except for this, he probably would have happily remained a Jacksonian Democrat“, urteilt John Fisher. Nicht zuletzt daraus erklärt sich seine allenfalls lose Bindung an die Whig-Partei. Fisher, Statesman of the Lost Cause, 42. Vgl. ebenfalls ders., Dilemma of a States’ Rights Whig, 388. 284 Vgl. Shade, Democratizing the Old Dominion, 96.
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wäldern Maines und New Yorks. Als 1836 / 37 revolutionäre Unruhen das Fundament der britischen Kolonialherrschaft in Kanada erschütterten, entgingen beide Nationen nur knapp einer militärischen Konfrontation. Im Dezember 1837 versenkten britische Loyalisten ein von amerikanischen Rebellionssympathisanten ausgerüstetes Versorgungsschiff auf dem Sankt-LorenzStrom.285 Daraufhin spülte eine Woge anglophober Ressentiments über das Land hinweg, die zum wiederholten Male einen Krieg mit England im Namen der Ehre vom Zaun zu brechen drohte. Zudem blieb die schwelende Frage nach den Territorialansprüchen Maines im Nordosten weiter ungeklärt. Durch beinahe parallele Regierungswechsel in London und Washington öffnete sich 1841 jedoch ein Zeitfenster für die Bereinigung der Grenzfrage. Obwohl sich Präsident Tyler kurz nach seiner unvorhergesehenen Beförderung ins Weiße Haus hoffnungslos mit der Whig-Partei überworfen hatte, verblieb sein anglophiler Außenminister Daniel Webster vorerst noch im Amt.286 Unterdessen wurde in London die Whig-Regierung Lord Melbournes durch ein konservatives Kabinett unter Sir Robert Peel abgelöst, das sich vor allem innenpolitisch engagieren und 1846 die protektionistischen Corn Laws zu Fall bringen sollte.287 Mit dem Earl of Aberdeen zog ein konzilianter Umgangston gegenüber den Amerikanern im Foreign Office ein, der sich von dem seines Vorgängers Palmerston kaum deutlicher hätte unterscheiden können.288 In enger Abstimmung mit Peel entsandte Aberdeen im Frühjahr 1842 den Amerikakenner Alexander Baring, Lord Ashburton, nach Washington, um die maritimen und territorialen Konflikte endgültig zu bereinigen. Einige Monate später unterzeichneten Ashburton und Webster den nach ihnen benannten Vertrag, der über die Hälfte der strittigen Gebiete an die Vereinigten Staaten abtrat.289 Aus der Sicht des Südens wog die Entspannung im Nordosten die provozierende Sklavereifeindlichkeit der britischen Politik kaum auf. Dass Steven285 Vgl. zum Caroline-Zwischenfall Stevens, Border Diplomacy. Vgl. auch Jones, Prologue to Manifest Destiny, 43–71. Zur englischen Perspektive vgl. Jones, American Problem in British Diplomacy, 1–13. 286 Vgl. Remini, Daniel Webster, 535–656; Merk, Daniel Webster and the Search for Peace, 39–95; Peterson, Presidencies of Harrison & Tyler, 119; Jones, Daniel Webster, 203– 219; Bartlett, Daniel Webster, 179 f. 287 Zur Regierung Peels vgl. ausführlich Gash, Sir Robert Peel, 616–662. Vgl. kompakter und den neueren Forschungsstand spiegelnd, allerdings unter weitgehender Vernachlässigung der Außenpolitik, Jenkins, Sir Robert Peel. 288 Zu Aberdeen vgl. Iremonger, Lord Aberdeen. Seine Amerikapolitik untersucht Jones, Lord Aberdeen and the Americas. Zu Palmerstons vorangegangener Amerikapolitik vgl. kritisch Gash, Sir Robert Peel, 498. Vgl. hingegen positiver urteilend Bourne, Palmerston, 636 f. 289 Zu den Verhandlungen Ashburtons in Washington vgl. ausführlich Jones, To the Webster-Ashburton Treaty, 118–161; ders., Prologue to Manifest Destiny, 121–151; Jones, American Problem in British Diplomacy, 13–29.
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son in seinen Verhandlungen mit Lord Palmerston die Besitzrechtsdoktrin für amerikanische Sklaven in internationalen Gewässern nicht hatte durchsetzen können290, war den Südstaatlern im Oktober 1841 noch einmal drastisch vor Augen geführt worden, als britische Kolonialbehörden in Nassau 135 Sklaven freisetzten, die auf der von Virginia nach New Orleans segelnden Brigg Creole gemeutert und Zuflucht auf den Bahamas gesucht hatten.291 Weil nun sogar Meuterei und Aufstand von den Sklavereifeinden belohnt zu werden schienen, erregte die Creole die Gemüter noch heftiger als die früheren Fälle der schiffbrüchigen Sklaven, über die Stevenson in London verhandelt hatte. Für die Erfinder des Pro Slavery Argument, welche die vermeintliche Stabilität ihrer Sklavenhaltergesellschaft aus ethischen, sozialen und religiösen Bezügen ableiteten, war das wohl die schlimmste aller möglichen Infragestellungen und Ehrverletzungen. Es verwundert daher kaum, dass einmal mehr John C. Calhoun hervortrat und das britische Handeln in unmissverständlichen Worten anprangerte. Geschickt begründete Calhoun seine Englandkritik aber nicht nur mit den Interessen (ehr-)verletzter Sklavenhalter, sondern bemühte auch Motive der nationalen Ehre und ihrer Verteidigung gegenüber Großbritannien.292 Hiermit schnitt der Senator aus South Carolina, der im Übrigen wegen der – ihm – fernen Nordostgrenze keinen atlantischen Krieg heraufbeschwören wollte293, ein anderes heikles Thema an: die Unterdrückung des international geächteten Sklavenhandels. Insbesondere Politiker aus dem Tiefen Süden vermochten sich nicht dafür zu erwärmen, der von der Peel-Regierung im Dezember 1841 angestoßenen Mächtekooperation zur Jagd auf die illegalen Sklavenhändler beizutreten. Hierbei standen sie durchaus in einer klassischen Tradition amerikanischer Außenpolitik: Einerseits verbot die isolationistische Doktrin die Teilnahme an einem Abkommen, an dem sich neben Großbritannien und Frankreich auch noch Österreich, Preußen und Russland beteiligten. Andererseits war es die konkrete Furcht vor der Missachtung ihrer Souveränitätsrechte auf hoher See, die den Englandhass der Amerikaner seit den Tagen der frühen Republik geschürt hatte: „If we suspect the motives of England“, so ließ sich ein Kommentator im Southern Literary Messenger vom Juni 1842 ein, „it is because her conduct then, was such as to justify our suspicions now.“294 Eine 290 Vgl. o 104. 291 Der Creole-Fall wirkte sich auch erschwerend auf die Verhandlungen Ashburtons in Washington aus. Vgl. dazu Jones, Influence of Slavery in the Webster-Ashburton Negotations, 48 ff. Vgl. hierzu auch grundsätzlich ders., Peculiar Institution and National Honor, bes. 35. 292 Vgl. Congressional Globe, 27th Congress 2nd Session, 22.12.1841, 47 ff. 293 Vgl. Calhoun an James Henry Hammond, 02.04.1840, in: Jameson (Hg.), Calhoun Correspondence, 451–454, hier 454; Calhoun an Hammond, 31.12.1841, in: ebd., 501–502, hier 502. 294 Our Relations with England, in: Southern Literary Messenger 6 (1842), 381–396, hier 384 (Hervorhebung im Original).
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Einwilligung in das Aufbringungs- und Durchsuchungsrecht der britischen Marine, ob vertraglich abgesichert oder nicht, kam daher für viele nicht in Frage.295 Webster und Ashburton lösten das Problem, indem sie den Aufbau eines anglo-amerikanischen Flottengeschwaders zur Patrouille vor der Küste Afrikas vereinbarten, das die nationalen Marinen in voller Unabhängigkeit beließ und eine weisungsbezogene Abstimmung der Aktionen gestattete.296 Die unter den Südstaatlern eher vereinzelte, dafür aber prominente Stimme des Beifalls für die gefundenen Regelungen gehörte William Cabell Rives.297 Ein Jahr zuvor zum Vorsitzenden des Senatsausschusses für Auswärtige Angelegenheiten gewählt, hatte er den Webster-Ashburton-Vertrag im August 1842 vorzustellen und die Mehrheit für seine Verabschiedung zu organisieren.298 Angesichts der umstrittenen Rechtsauslegungen von Briten und Amerikanern in der Grenzfrage erschien es ihm „too late in the day […] to plant ourselves now sternly and inflexibly on the ground of a clear, manifest, and incontrovertible right to the precise line of the boundary we claim“.299 Für Rives wog der Kompromiss des Webster-Ashburton-Vertrages alle juristischen Streitfragen auf, weil er sich sowohl mit dem Prinzip internationaler Ehrerbietung als auch seinen persönlichen Erfahrungen in England deckte: „Whatever cause we may have had, in former periods of our national history, to complain of the haughtiness and injustice of England, in the present instance, at least, she has shown nothing but a spirit of conciliation and peace.“300 Sichtlich bemüht, den Territorialdisput aus seinen sektionalen Zusammenhängen herauszulösen, überführte Rives das große Thema des angloamerikanischen Friedens in eine nationale Gesamtperspektive. Insofern strahlte sein anglophiles Plädoyer auch nach innen, rief es doch zur Mäßigung in einer radikalisierten Zeit auf, wie überhaupt seine Anglophilie als Chiffre gelesen werden kann für sein Streben nach einem vernunftdiktierten und tragfähigen Kompromiss. 295 Vgl. Jones, Influence of Slavery in the Webster-Ashburton Negotations, 55. Zur Kontroverse um das Durchsuchungsrecht vgl. Van Alstyne, British Right of Search. 296 Tatsächlich gaben die Briten ihren Anspruch auf das Durchsuchungsrecht zur Unterdrückung des Sklavenhandels damit faktisch auf. Vgl. Gash, Sir Robert Peel, 500. 297 Nach seinen harten Auseinandersetzungen mit den Van Buren-Demokraten näherte sich Rives immer mehr dem Lager der Whigs an und unterstützte Präsident John Tyler (1844 sollte er vollends zum Lager des Nationalmodernisierers Henry Clay stoßen). Dieser Loyalitätswandel erklärt sich vornehmlich aus seiner Sorge um den Erhalt der Union. Vgl. Rives an Charles C. Lee, 08.10.1844, William Cabell Rives Papers, Earl Gregg Swem Library, College of William and Mary; Rives an Edmund Fontaine, William C. Rives Papers, Alderman Library, UVA. Vgl. auch Friedman, Revolt of the Conservative Democrats, 114. 298 Zur Analyse von Rives’ Senatsansprache vom 17. und 19. August 1842 wird hier eine separat erschienene Druckform der Rede verwendet. Vgl. Rives, Speech on the Treaty with Great Britain. 299 Ebd., 3 (Hervorhebung im Original). 300 Ebd.
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Die Territorialfrage ließ sich für einen prinzipiellen Versöhnungsappell heranziehen, weil sie die Empfindlichkeiten des Südens im engeren Sinne nicht berührte. Freilich betrachtete Rives auch das ungleich sensiblere Sklavenhandelsproblem in einem ganz anderen Licht als die anglophoben Sklavereiverfechter um Calhoun. Die Leidenschaft, mit der er den Menschenschmuggel verdammte, offenbarte zwar auch bei ihm die Nervosität des Südstaatlers. Wie seine Kritik am Pro Slavery Argument bereits verdeutlicht hat, speiste sich sein Widerwille aber nicht aus der Entrüstung eines aufgebrachten Sklavereiverteidigers, der mit der Emanzipation die Umwälzung aller Werte heraufziehen sah. Vielmehr lässt sich aus Rives’ Worten die Verzweiflung eines Skeptikers herauslesen, der die Sklaverei mit seinen Freiheitsidealen in Einklang zu bringen versuchte und an dieser geistigen Verkrümmung letztlich scheiterte.301 So stimmte Rives zwar der von Webster und Ashburton ausgehandelten Vereinbarung für ein gemeinsames Vorgehen gegen den Sklavenhandel zu. Er konnte hier aber der Gelegenheit nicht widerstehen, die Ursprünge der Sklaverei in europäischen Zusammenhängen zu verorten und die Union so von ihrem Geburtsmakel rein zu waschen. Der Wille, die Idee der Amerikaner von sich selbst unbefleckt zu halten, erforderte die – für Rives eher untypische – Distanzierung von der Alten Welt: „While the Christian States of Europe still tolerated, and some of them even encouraged, this revolting commerce, the United States, first among the nations of the earth, pronounced its formal condemnation by law.“302 Mit dieser Lesart der Geschichte griff er auf eine bewährte Methode Jeffersons zurück und proklamierte die Apologie der Sklavenhalter zu Lasten der Sklavenschmuggler. Im Hinblick auf die Probleme der Gegenwart brachte ihn freilich der Umstand in Verlegenheit, dass sich ausgerechnet die Union weigerte, durch Konzession eines wechselseitigen Durchsuchungsrechtes für ihre Handelsschiffe den Sklavenhandel niederzuringen. Die demütigenden und ehrverletzenden Erfahrungen aus der Napoleonischen Zeit, so referierte er das Kredo isolationistischer Außenpolitik, hätten gelehrt, wohin und wie weit der Missbrauch des Durchsuchungsrechtes führen könne.303 Neben dem klassischen Motiv der Unabhängigkeitsverteidigung klang hier eine Urangst des Südens an, die sich auf sein gespaltenes Verhältnis zur Macht bezog. Das Fernbleiben von sämtlichen Abkommen, die Europas Staaten zur gegenseitigen Durchsuchung abgeschlossen hatten, ging einerseits auf die Annahme zurück, dass man von der eigenen Macht nicht lassen könne, 301 Zu Rives’ Unbehagen gegenüber der Sklaverei vgl. Rives an W. M. Rives, 01.01.1829, William C. Rives Papers, LC, Box 45; Rives an Robert Mitchell, Juni 1829, ebd. Das Sklavereidilemma der Familie Rives untersucht scharfsinnig McCoy, Last of the Fathers, 354 ff. Zu den Widersprüchen, in denen er sich bei der Sklavereidebatte mit Calhoun verrannte, vgl. o. 134. 302 Rives, Speech on the Treaty with Great Britain, 17. u. 19.08.1842, 8. 303 Vgl. ebd.
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ohne dem Machtmissbrauch durch andere ausgesetzt zu sein. Die jahrelange Zwangsrekrutierung amerikanischer Seeleute zum Dienst in der Königlichen Marine lieferte dafür das beste Beispiel. Andererseits berührten Rives’ Worte aber auch ein Problem der Legitimation von Macht: Transferierte die Union ihre Macht an die Briten und gestattete ihnen die Durchsuchung ihrer Schiffe, demonstrierte sie nichts anderes als ihr Unvermögen, die Macht im Dienste des Rechts und der Moral selbst anzuwenden. Weil aber genau das den Leitgedanken ihrer Staatsräson beschrieb und auch ihren Anspruch auf internationale Gleichberechtigung untermauerte, besaß die Entäußerung dieses Souveränitätsrechtes einen nicht akzeptablen, ehrverletzenden Charakter. Die meisten anderen südstaatlichen Senatoren lehnten Maßnahmen gegen den Sklavenhandel als fatale Konzession an die Anti-Sklaverei-Kräfte ab. Rives hegte indes ernste Bedenken gegen das Fernbleiben von jeder internationalen Vereinbarung.304 Die Bestimmung, dass beide Mächte das Kommando über ihre Teile des Flottengeschwaders behalten und nur über Staatsbürger eigener Nationalität die Polizeigewalt ausüben sollten, war für ihn daher eine idealtypische Lösung.305 Als Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses führte er eine Senatsmehrheit für die Ratifikation des Vertrages herbei. Wie die folgenden Jahre zeigten, passte sein Streben nach Ausgleich aber nicht zur Unversöhnlichkeit der Zeit. Auf Druck einer Südstaatenallianz in Kongress und Regierung unterminierten die Vereinigten Staaten den Geist der Flottenkooperation, kürzten ihre Finanzmittel und zeigten sich nachlässig bei ihrer Umsetzung.306 Als Folge der Einigung von 1842 konnten die Pro Slavery-Aktivisten zudem zur Kenntnis nehmen, dass England für den atlantischen Frieden einen Preis zahlte, um den Stevenson einige Jahre zuvor mit Lord Palmerston noch vergeblich gerungen hatte. Erst jetzt sprach London nämlich die Garantie aus, schiffbrüchige oder meuternde Sklaven nicht mehr in die Freiheit zu entlassen. Der amerikanische Rechtsstandpunkt hatte sich durchgesetzt.307 304 Das galt freilich nur für die Faktoren Sklaverei und Sklavenhandel, die sein Ideal der atlantischen Harmonie empfindlich störten. Insgesamt wahrte nämlich der WebsterAshburton-Vertrag den anglo-amerikanischen Frieden unter „Maintenance of National Honor“ für beide Seiten. Vgl. so die positive Beurteilung des Vertragswerks bei Jones, To the Webster-Ashburton Treaty, 161–180. 305 Vgl. Rives, Speech on the Treaty with Great Britain, 17. u. 19.08.1842, 8. 306 Vgl. DeConde, History of American Foreign Policy, Bd. 1, 148; Landry, Slavery and the Slave Trade in Atlantic Diplomacy, 186 ff.; Jones, Influence of Slavery in the WebsterAshburton Negotiations, 57. 307 Dieses Zugeständnis wurde allerdings nicht in die Vertragsbestimmungen integriert, sondern in einem separaten Briefaustausch festgehalten. Zudem galten die britischen Konzessionen nur für die erwähnten Zwischenfälle auf hoher See. Flüchtige Sklaven aus der Union konnten in den britischen Gebieten Westindiens und Kanadas nach wie vor mit der Anerkennung ihrer Freiheit rechnen. Vgl. Peterson, Presidencies of Harrison & Tyler, 125 f.
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Inmitten der Leidenschaften der Antebellum-Ära bestimmte Rives für sich einen einsamen Standort. Nichts illustriert das sinnfälliger als der Umstand, dass die Hoffnungen, die er auf das Afrikanische Geschwader gerichtet hatte, erst zwanzig Jahre später durch die Lincoln-Administration unter ganz anderen Umständen erfüllt werden sollten.308 Obwohl ihm die Ironien der Zukunft im Sommer 1842 natürlich noch verborgen blieben, lag im Friedensplädoyer dieses traditionell-republikanischen Virginiers das Hoffnungslose seiner politischen Ideale insgesamt aufgehoben: „Whatever the violence of party feeling may suggest, the sober judgement of mankind will pronounce the arrangement […] a happy and providential event – above a mere achievement of diplomacy.“309 „Sturm über Texas“: Die Tyler-Administration, Duff Green und die Formulierung einer anglophoben Politik Der Webster-Ashburton-Vertrag entschärfte zwar einen Krisenherd in der atlantischen Welt, ließ aber zwei andere weiter schwelen, die geographisch eher der karibischen und der pazifischen Sphäre zuzuordnen waren: Texas und Oregon. Vor allem die texanische Frage rührte an der Befindlichkeit von Sklavenhaltern, die ihre Zukunftssorgen nicht zuletzt dadurch zu überspielen versuchten, dass sie lauthals nach territorialer Expansion riefen. Der Anstoß zur Annexion der Republik Texas ging von einem Präsidenten ohne Hausmacht aus. John Tyler, der nach seinem Zerwürfnis mit den Whigs im Weißen Haus kaum noch konstruktiv regieren konnte, entdeckte in der Beitrittsforderung ein großes Thema. Viele der verunsicherten Südstaatler versprachen sich von dem riesigen Territorium eine Art Auffangbecken für Sklaven, das die Rassenbeziehungen in den alten Atlantikregionen zu entschärfen und den abolitionistischen Anfeindungen den Wind aus den Segeln zu nehmen vermochte.310 Als Sklavenstaat würde Texas zudem die Position des Südens im Kongress stärken und die sektionale Machtbalance auf unbestimmte Zeit sicherstellen.311 Allerdings schien Großbritannien die Sehnsucht nach Festigung und Stabilität einmal mehr zu durchkreuzen.312 Außenminister Palmerston hatte sich 308 Zum Mutual Search Treaty vom April 1862 vgl. Crook, North, South, and the Powers, 193 ff. Vgl. ferner Milne, Lyons-Seward Treaty. 309 Rives, Speech on the Treaty with Great Britain, 17. u. 19.08.1842, 16. 310 Vgl. Hietala, Manifest Design, 12. Vgl. ausführlich auch Merk, Fruits of Propaganda, 95–131. 311 Vgl. darauf verweisend Chester, Sectionalism, Politics, and American Diplomacy, 58. 312 Vgl. vor allem Haynes, Anglophobia and Annexation. Die Furcht vor dem englischen Einfluss in Texas, die freilich bei den Sklavenhaltern aufgrund der abolitionistischen
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im November 1840 vom Abgesandten der Lone Star Republic, James Hamilton aus South Carolina, zur Unterzeichnung dreier Verträge über die Formalisierung der anglo-texanischen Beziehungen bewegen lassen, die jedoch von der Whig-Regierung Lord Melbournes nicht mehr zur Ratifikation vorgelegt worden waren.313 Hamilton konnte bereits aus seiner Zeit als Ehrverwalter Andrew Stevensons in der O’Connell-Affäre auf Erfahrungen mit der englischen Amerikakritik zurückgreifen.314 Sein selbstbewusst vorgetragenes Argument, ein von Mexiko dauerhaft unabhängiges Texas biete Großbritannien eine Fülle von geopolitischen und ökonomischen Vorteilen, vermochte Palmerstons Nachfolger Lord Aberdeen allerdings nicht sonderlich zu beeindrucken.315 Während sich die Regierung Sir Robert Peels zu keiner eindeutigen Haltung durchrang, ließ sie es zu, dass sich der britische chargé d’affaires in Texas, Charles Elliot, eigenmächtig um die Stärkung abolitionistischer Stimmungen bemühte.316 Unabhängig davon ist aber festzuhalten, dass die südstaatliche Furcht vor der Texas-Politik der Engländer weitgehend unbegründet war. Obwohl ihnen die Republik zeitweise als viel versprechender Ressourcenlieferant und Puffer für die amerikanische Expansion erschien, dachten Peel und Aberdeen keineswegs über eine aktive Intervention zur Beendigung der texanischen Sklaverei nach.317 Inwieweit die Außenpolitik der Tyler-Administration von den typischen Motiven südstaatlicher Anglophobie gelenkt wurde, zeigen die Ausführungen des Marineministers Abel Upshur in seinem Jahresbericht an den Kongress vom Dezember 1841. Upshur – ein „konservativer Virginier“318 ultrarepubli-
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Komponente besonders stark ausgeprägt war, wird hier als nationales Phänomen und zugkräftiges Argument für die Annexion gewertet. Damit grenzt sich Haynes’ Deutung von früheren Autoren ab, welche die virulent anglophoben Züge der Beitrittsdebatte eher als vorgeschobenes Propagandainstrument einer rein sektionalen Politik begriffen haben. Vgl. Merk, Slavery and the Annexation of Texas; ebenfalls Pletcher, Diplomacy of Annexation, 122. Vgl. James Hamilton an Abner Lipscomb, 19.10.1840, in: Garrison (Hg.), Diplomatic Correspondence of the Republic of Texas, 905–906; Hamilton an Palmerston, 01.10.1840, in: ebd., 925–926; Hamilton an Anson Jones, 06.11.1840, in: Jones (Hg.), Correspondence relating to the Republic of Texas, 156. Zu Palmerstons Verhandlungen mit Hamilton vgl. Jones, Lord Aberdeen and the Americas, 7; Adams, British Interests and Activities in Texas, 36–61. Vgl. o. 107. Zu Hamiltons Phase als Texas-Diplomat vgl. Tinkler, James Hamilton, 190–196. Vgl. Hamilton an Palmerston, 14.10.1840, in: Adams, British Interests and Activities in Texas, 53. Vgl. auch Hamilton an Palmerston, 10.02.1840, in: Garrison (Hg.), Diplomatic Correspondence of the Republic of Texas, 867–870. Zu Elliot vgl. Blake, Charles Elliot. Vgl. Pletcher, Diplomacy of Annexation, 79–84; Adams, British Interests and Activities in Texas, 227 ff. Vgl. Hall, Abel Parker Upshur. Conservative Virginian. Zu Upshur, für den keine neuere Biographie vorliegt, vgl. auch Freehling, Road to Disunion I, bes. 388–401.
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Duff Green (1791–1875)
kanischen Zuschnitts – beschwor hier das Szenario einer Verschwörung auswärtiger Mächte herauf, die das Feuer der (Rassen-)Revolution schürten: „The first blow would be struck at us through our own institutions. […] A
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more promising expedient would be sought, in arraying what are supposed to be hostile elements of our social system against one another.“ Zwar bediente sich Upshur der üblichen Selbstversicherungsformeln der Sklavenhalter: „Of the ultimate result of such incursions, we have no reasons to be afraid.“ Dennoch rundete er seinen Appell doch mit der Warnung ab, solche Unruhen würden verstörender und schrecklicher als alles bisher Bekannte ausfallen, „by compelling us at the same time to oppose an enemy in the field, and to guard against attempts to subvert our social systems“.319 Diese Ausführungen berührten eine Urangst des Südens, die sich eigentlich außerhalb der Grenzen des Sagbaren befand und durch eine Fülle von Euphemismen verkleidet wurde: Was Upshur letztlich meinte, war das Zusammenspiel von britischer Militärmacht, abolitionistischer Agitation und Sklavenaufständen. Wie sehr auch Präsident Tyler von solchen Überlegungen umgetrieben wurde, lässt sich daran ermessen, dass er nach dem Ausscheiden Websters 1843 ausgerechnet seinen Vertrauten Abel Upshur ins State Department beförderte. Gegenüber Calhoun bekannte der neue Außenminister ganz offen: „England is determined to abolish slavery throughout the American continent.“320 Bis dahin war die Wahrnehmung einer äußeren Bedrohung durch exklusive Berichte aus der Zentrale des atlantischen Abolitionismus geschürt worden. Im Herbst 1841 hatte der Präsident den Politiker und Journalisten Duff Green aus Maryland zum Sonderbeauftragten in London berufen.321 Green zählte zum engen Beraterkreis Tylers, der ansonsten von den Virginiern William Cabell Rives, Henry Wise, Thomas Dew und Nathaniel Beverley Tucker dominiert wurde, die größtenteils eine zugespitzte States Rights-Perspektive vertraten (Rives bildete hier die Ausnahme). In den 1820er Jahren mit Investitionsprojekten in Missouri und westlich des Mississippis zu Geld gekommen, hatte Green ursprünglich die Demokraten gegen die Politik von John Quincy Adams unterstützt. Durch die Verwerfungen der Jackson-Präsidentschaft und das Erstarken des Abolitionismus verengte sich sein Nationalverständnis auf eine partikularistische Perspektive, so dass er schließlich zum States RightsWhig Tyler im Weißen Haus ebenso gute Kontakte unterhielt wie zu Calhoun im Senat. Seine Berichte aus der englischen Hauptstadt untermauerte das
319 Congressional Globe, 27th Congress 2nd Session, Appendix, 04.12.1841, 20 (Hervorhebung im Original). Zu Upshurs Pro Slavery-Haltung vgl. Upshur, Domestic Slavery, in: Southern Literary Messenger 10 (1839), 677–687. 320 Abel Upshur an John C. Calhoun, 14.08.1843, in: William & Mary Quarterly 16 (1936), 554–57, hier 555. Vgl. ähnlich Upshur an Edward Everett, 28.09.1843, in: Manning (Hg.), Diplomatic Correspondence of the United States, Bd. 7, 11–17. 321 Zu Green vgl. Green, Militant Journalist; Moore, Duff Green and the South. Vgl. jetzt umfassend Belko, Invincible Duff Green.
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negative Englandbild dieser Politiker und lieferte ihnen wichtige Impulse für die Formulierung ihrer Expansionsstrategie.322 Greens Aufgaben in London betrafen zunächst Fragen der Wirtschaftspolitik. Nach dem Willen Tylers sollte der Privatgesandte in Gesprächen mit der Peel-Regierung für eine Rücknahme von Zöllen und für die Öffnung zum atlantischen Freihandel werben. Zugleich hatte er aber auch die Beziehungen zwischen Großbritannien und der texanischen Republik zu beobachten, was ihn in einen Dauerkonflikt mit dem amtlichen Gesandten Edward Everett aus Massachusetts brachte.323 Weder Green noch Tyler bezogen Everett – einen sklavereifeindlichen Gelehrten aus Massachusetts – in ihre Paralleldiplomatie mit ein. Greens Informationsaufnahme in England wurde durch das Raster seiner Südstaatenloyalität und seiner Abolitionismuskritik gefiltert.324 Darin glichen seine Erfahrungen eher denen von James Henry Hammond, der fünf Jahre zuvor mit einer ähnlichen Fixierung über den Atlantik gereist war, als jenen von Andrew Stevenson, der seine Kontakte mit dem englischen Abolitionismus noch konfliktreich zu verarbeiten hatte. Sie unterschieden sich auch ganz und gar von den früheren Erlebnissen des Virginia-Diplomaten William Cabell Rives, der sein anglo-amerikanisches Harmonieideal mit einem nahezu vorbehaltlosen Unionsbekenntnis verband und die hierzu nicht passenden Teile einfach ausklammerte. Bereits wenige Wochen nach seiner Ankunft in Europa gelangte Green zu einer Reihe von Schlussfolgerungen über den englischen Kurs in Texas, die in ihrer Verbindung aus ökonomischen und politischen Aspekten einen vermeintlich schlüssigen Gesamtzusammenhang ergaben. Seine Sondierungen fielen in die Zeit der Parlamentsdebatten über den Umgang mit den wirtschaftlichen Folgen der Sklavenemanzipation auf den Westindischen Inseln. Noch aus der Opposition heraus hatten die Tories um Sir Robert Peel die Pläne der Whig-Regierung Lord Melbournes abgelehnt, durch eine Absenkung der Zuckerzölle das Handelsvolumen zu steigern und so das Defizit im Staats322 Die wichtigsten Briefe Greens an John Tyler und Abel Upshur sind im Dokumententeil der Monographie Frederick Merks über den Sklavereifaktor in der Texas-Politik gut zugänglich. Vgl. Merk, Slavery an the Annexation of Texas, 187–193, 217–237. Im Folgenden wird diese Ausgabe zitiert. 323 Über Everett liegt keine erschöpfende Biographie neueren Datums vor. Vgl. aber Reid, Edward Everett; Varg, Edmund Everett. Vgl. auch Wills, Lincoln at Gettysburg, 32 ff., 41 ff. 324 „Just what Green actually learned during his surveillance in Britain did not so much determine his course as did the preconceptions he carried with him across the Atlantic“, urteilt Thomas Hietala. „Green was an ardent anglophobe: everywhere he turned was Britain attempting to damage the South and to destroy the growing power of the United States.“ Hietala, Manifest Design, 17. Im Jahre 1866 veröffentlichte Green seine von anglophoben Bildern und Meinungen durchsetzten Memoiren. Vgl. Green, Facts and Suggestions. W. Stephen Belko bezeichnet Greens Hass auf England als eine „malady he would carry to his grave“. Belko, Invincible Duff Green, 441.
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haushalt aufzufangen.325 Die Konservativen befürchteten, dass die Karibikkolonien dem ungeschützten Konkurrenzdruck der Sklavenwirtschaften in Kuba und Brasilien ausgesetzt sein würden. Selbst einige Whig-Abgeordnete lehnten die Schwächung des kolonialen Wirtschaftsraums zugunsten ausländischer Anbieter ab und bescherten der Regierung im Mai 1841 eine vernichtende Abstimmungsniederlage, welche die Auflösung des Parlaments und schließlich die Bildung eines konservativen Kabinetts nach sich zog.326 Obwohl die Vereinigten Staaten von der Debatte um die Zuckerzölle nicht berührt wurden, zog Green direkte Parallelen zu den amerikanischen Verhältnissen.327 Wie er im Januar 1842 an Abel Upshur schrieb, entspränge die Einmischung in Texas keineswegs einem moralischen Impuls, sondern harten wirtschaftlichen Zwängen. Weil die Agrarproduktion in den Empire-Kolonien stets kostenintensiver gewesen sei als in Amerika, habe sich Großbritannien vom Baumwoll-, Reis- und Zuckermonopol der Neuen Welt nie befreien können. Die Sklavenarbeit stünde somit den Protektionisten und der KornzollLobby bei ihrem Ziel im Wege, sich die ganze Welt durch den Austausch von Manufakturgütern gegen billig produzierte Baumwolle Untertan zu machen.328 Während der folgenden Monate ging diese Wahrnehmung in der Überzeugung auf, dass Großbritannien mit dem Gleichklang von texanischer Unabhängigkeit und Emanzipation die Zerstörung der Sklavenarbeit in der westlichen Hemisphäre anstrebe und auch die Vereinigten Staaten mit dem „fatalen Virus der Freiheit“329 infizieren wolle. In das anglophobe Verschwörungsdenken der Revolutionszeit, wie es aus seinen Londoner Beobachtungen anklang, mischte sich das Verlangen nach innerer Geschlossenheit im Angesicht der äußeren Bedrohung. Englands Politik strebe nach einem „war upon the commerce & manufactures of New England through the domestic institution of the south“, teilte er Upshur mit. Als er in den folgenden Monaten von Kontakten zwischen dem Foreign Office und einem Abgesandten der texanischen Abolitionisten erfuhr, nahmen seine Briefe einen immer besorgteren Tonfall an. Hinzu kam, dass sich Peel seinen Monolog zur 325 Vgl. dazu Jenkins, Sir Robert Peel, 87 f.; Crosby, Sir Robert Peel’s Administration, 19 f. 326 Zur Abstimmung über die Zuckerzölle vgl. Hansard’s Parliamentary Debates, 3rd Ser., Bd. LVIII, 20.05.1841, 669–774. 327 Vgl. vor allem Green an Calhoun, 24.01.1842, in: Jameson (Hg.), Calhoun Correspondence, 841–844; 02.08.1842, in: ebd., 846–849. Green berichtete hier von Äußerungen Sir Robert Peels, wonach die Protektion freier Arbeit in den emanzipierten Kolonien dem Ziel diene, „to promote the abolition of slavery in Brazil, Cuba, and the United States“. Ebd., 846. In Wirklichkeit waren aber weder die Vereinigten Staaten noch das Ende der Sklaverei im Rahmen der Aussprache thematisiert worden. Zu den Überlieferungsdefiziten vgl. Merk, Monroe Doctrine and American Expansionism, 14 f. 328 Vgl. Green an Abel P. Upshur, 24.01.1842, in: Merk, Slavery and the Annexation of Texas, 190–192, hier 191. 329 Vgl. so die Paraphrase von Greens Verschwörungsszenario bei Merk, Monroe Doctrine and American Expansionism, 17.
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amerikanischen Finanz- und Zollpolitik bei einer Gelegenheit zwar höflich anhörte, ihn jedoch sodann mit der Aufforderung zur schriftlichen Niederlegung des Gesagten abfertigte und ihn künftig auf Distanz hielt (in ähnlich ehrverletzender Weise sollten Lord Palmerston und Lord John Russell knapp zwanzig Jahre später gegenüber den Gesandten der Konföderation verfahren).330 Ebenfalls vergleichbar mit den faktisch machtlosen Gesandten der Konföderation zwei Jahrzehnte später, warf sich Green in die Pose eines Meinungsmachers, der politische Entscheidungen in Europa im Sinne einer „Außenpolitik des sektionalen Interesses“331 zu beeinflussen versuchte. Unablässig publizierte er in Zeitungen und Journalen, um die Engländer für amerikanische – vor allem: südstaatliche – Befindlichkeiten zu sensibilisieren. Angesichts der Brisanz, die er dem Texas-Problem zumaß, scheute er nicht davor zurück, diplomatisches Porzellan zu zerschlagen. So prognostizierte er in seiner zunächst in Paris, später auch in London und Amerika nachgedruckten Artikelserie über England and the United States, dass sich im Falle eines anglo-amerikanischen Krieges das britische Empire auflösen würde. Süd- und Nordstaatler seien zudem bereit, für die Verteidigung der Sklaverei zu den Waffen zu greifen.332 Noch aufschlussreicher als die Öffentlichkeitsarbeit eines ehemaligen Jackson-Demokraten, der die harten Kämpfe der amerikanischen Parteiendemokratie ausgefochten hatte, erscheinen allerdings die dringenden Worte seiner privaten Briefe an die Tyler-Administration. In geradezu typisch südstaatlicher Manier kommunizierte er einerseits die Negativstereotypen der republikanischen Europakritik und registrierte mit verächtlichem Unterton, „that England is governed by her interest“.333 Andererseits ließ er aber kaum eine Gelegenheit aus, über die britischen Interessen aus der Perspektive eines Südstaatlers zu reflektieren. So müsse Premierminister Peel bei nachdenklicher Betrachtung eigentlich begreifen, dass die Existenz der Sklaverei in
330 Zu der Konferenz mit Peel vgl. Green an Tyler, 31.05.1843, in: Merk, Slavery and the Annexation of Texas, 217–221. Eine Abschrift des Schreibens für Peel findet sich mit Datum vom 27. Juni 1843 in den Duff Green Papers, Southern Historical Collection, UNC. 331 Vgl. Moore, Duff Green and the South, Kap. IV, 149–184: „Green, John Tyler, and a Foreign Policy of Sectional Interest.“ 332 Vgl. Sioussant, Duff Green’s ‚England and the United States’. Zugleich publizierte Green im Jahre 1842 an prominenter Stelle in der Times. Vgl. The Times, 25.05., 28.05., 02.06., 11.06., 20.06.1842. 333 Green an die Boston Post, 18.09.1843, in: Merk, Slavery and the Annexation of Texas, 231–234, hier 233. Es ist typisch für die Deutungen englischer Politik durch radikalpartikulare Südstaatler, dass sie in ebenso zynischen wie hyperrealistischen Kategorien beschrieben wurde, ohne sich um eine angemessen „realistische“ Erfassung im Sinne objektiven Verstehens zu bemühen. Der negativ konnotierte Realismus, den sie britischen Politikern unterstellen, diente somit eher zur Bestätigung dessen, was die Südstaatler über sich selbst dachten.
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Amerika Industrialisierungsimpulse verhindere (und damit englischen Interessen diene).334 Seine englischen Beobachtungen motivierten Green zu Ratschlägen für die amerikanische Politik. In bemerkenswert deutlicher Sprache drängte er den Präsidenten zu einer offensiven Strategie in der Texas-Frage.335 Wie er durchaus zutreffend erkannte, ließ sich mit der Annexion ein Thema auf die Agenda setzen, dem sich weder Whigs noch Demokraten entziehen konnten. Anders als in der öffentlichen Expansionsdebatte dominierten bei Green aber nicht Ideen nationaler Größe und offenkundiger Bestimmung, sondern Motive der Krise und das Szenario einer atlantischen Bedrohung. Nach zweijährigem Aufenthalt in Europa war er überzeugt, dass nur der rasche Beitritt zur Union Texas vor der Übernahme durch „englische Fanatiker und […] geflohene Sklaven“336 schützen könne. Mehr noch: Nur die Absicherung der verwundbaren Südwestflanke würde das Streben Englands nach globaler Wirtschaftshegemonie unterbinden und die Konfrontation zwischen den Systemen von Sklaven- und freier Arbeit in Amerika entschärfen. Innerhalb der Regierung verfehlten Greens Berichte ihre Wirkung keineswegs.337 Mit Texas präsentiere sich „die Frage des Tages“, schrieb Außenminister Upshur im Oktober 1843 an Virginias States Rights-Philosophen Nathaniel Beverley Tucker: „The union will not last ten years without it, & the preservation of peace among the nations will be impossible.“338 In seiner Senatbotschaft vom April 1844 äußerte Präsident Tyler die Furcht vor einer Einkreisung Amerikas durch europäische Mächte, die durch enge Wirtschaftsbeziehungen zwischen England und Texas vollendet zu werden drohte.339 Aber auch bei der Zentralfigur südstaatlicher Politik stießen Greens Beschwörungen auf offene Ohren. Wie Calhoun bereits im April 1842 an den Sondergesandten geschrieben hatte, teilte er dessen Urteil über die ökonomisch inspirierte Hegemonialpolitik Großbritanniens, das seine ehrgeizigen Pläne unter dem „fadenscheinigen Vorwand“ der Humanität verfolge.340 South Carolinas Senator, der seit nunmehr drei Jahrzehnten einem anglophoben 334 Vgl. Green an Tyler, 31.05.1843, in: Merk, Slavery and the Annexation of Texas, 217– 221. 335 Vgl. Green an Tyler, 03.07.1843, in: ebd., 221–224, hier 223: „Let me entreat you to meet the crisis. Make a treaty for the annexation, put yourself before the next Congress on that issue and rely on the people. Rely on what I tell you.“ 336 Ebd. 337 Vgl. seinen Einfluss sogar recht hoch veranschlagend Sinha, Counterrevolution of Slavery, 65. 338 Abel Upshur an Nathaniel Beverly Tucker, 10.10.1843, in: Merk, Slavery and the Annexation of Texas, 234 (Hervorhebung im Original). 339 Vgl. John Tyler, Message to the Senate, 22.04.1844, in: Richardson (Hg.), Messages and Papers of the Presidents, Bd. 4, 307–313, bes. 310. 340 Calhoun an Duff Green, 02.04.1842, in: Jameson (Hg.), Calhoun Correspondence, 506– 508, hier 506.
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Denken anhing, korrespondierte zudem mit Außenminister Upshur und dem amerikanischen Abgesandten in Texas, William Murphy, einer ziemlich undiplomatischen Figur, deren anglophobe Auswürfe die gärenden Verdachtsmomente weiter schürten.341 Als Upshur einige Monate später bei einer Explosion auf einem Marineschiff ums Leben kam und Tyler ihm daraufhin das Außenministerium anbot, ergriff Calhoun sogleich die Möglichkeit, in verantwortlicher Position auf die Annektierung von Texas hinzuarbeiten. Paradoxerweise erwies er den Expansionisten zunächst einmal einen Bärendienst. Zur Senatsvorlage des mühsam ausgehandelten und am 12. April 1844 unterzeichneten Annexionsvertrags fügte er einen an den britischen Gesandten Richard Pakenham adressierten Brief hinzu, in dem er die Texas-Problematik mit der Rassenideologie des Pro Slavery Argument verknüpft hatte.342 Unter Verwendung eines defizitären und schon damals als korrekturbedürftig geltenden Zensus führte Calhoun eine vermeintlich empirische Argumentation ins Feld, um den universalen Befreiungsgedanken der englischen Politik zu entkräften.343 In diesem Sinne unterrichtete er den Gesandten über die Verhältnisse, wie sie sich in seinen Augen wirklich darstellten: The census and other documents show that, in all instances in which the States have changed the former relation between the two races, the condition of the African, instead of being improved, has become worse. They have invariably sunk into vice and pauperism, accompanied by the bodily and mental inflictions incident thereto – deafness, blindness, insanity and idiocy […]; while, in all other States […], they have improved greatly in every respect – in number, comfort, intelligence, and morals.344
Kurzum: Das Streben Großbritanniens nach Abschaffung der Sklaverei müsse die Schwarzen in Elend und Verderben stürzen.345 Der Pakenham-Brief zog die Texas-Frage in den Strudel des Nord-SüdKonflikts und verortete sie im Umfeld der extremen Sklavereiapologeten sowie der zu politischen Zwecken instrumentalisierten Rassenlehre. Viele Nordstaaten-Demokraten, die der Annexion keineswegs feindselig gegenüberstanden, schlossen sich nun der Ablehnungsfront der Whigs an.346 Es ver341 Vgl. Niven, Calhoun and the Price of Union, 270 f. Zu Murphy, der die schiere Präsenz britischer Staatsbürger in Texas als Beweis für seine abenteuerlich anmutenden Verschwörungstheorien auslegte, vgl. ferner Haynes, Anglophobia and Annexation, 120. 342 Vgl. Calhoun an Richard Pakenham, 18.04.1844, in: Wilson (Hg.), Papers of John C. Calhoun, Bd. XVIII, 273–278. 343 Zu Calhouns Pakenham-Brief vgl. Bartlett, John C. Calhoun, 311 ff. Neben dem unmittelbaren politischen Effekt lag dem Schreiben auch eine symbolische Absicht zu Grunde. Demnach ging es Calhoun darum, „to serve notice on Europe and the North that the institution of slavery was beneficial and that its abolition was not negotiable“. Niven, Calhoun and the Price of Union, 276. 344 John C. Calhoun an Richard Pakenham, 18.04.1844, in: Wilson (Hg.), Papers of John C. Calhoun, Bd. XVIII, 273–278, hier 276. 345 Vgl. ebd., 278. 346 Vgl. den Pakenham-Brief als „colossal tactical blunder“ und Calhouns Wahl für das
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wundert daher kaum, dass Tylers Vertrag im Juni 1844 mit deutlicher Mehrheit vom Senat abgelehnt wurde und sich Calhoun mit seiner radikalen Standortbestimmung als Präsidentschaftskandidat selbst disqualifizierte.347 Dennoch hatte die öffentliche Diskussion über den Beitritt eine Eigendynamik gewonnen, die von den Parteien nicht mehr ignoriert werden konnte und sie zu einem Offenbarungseid zwang, der ihre innere Geschlossenheit strapazieren musste. Vergleichsweise einstimmig gaben sich die Whigs unter der Führung Henry Clays, der das Weiße Haus mit wirtschaftspolitischen Themen zu gewinnen dachte und einem Beitritt ablehnend gegenüberstand.348 Heftiger erschütterte die Texas-Frage allerdings die Demokraten. Nachdem ihr Kandidat, der ohnehin nicht sonderlich populäre Ex-Präsident Martin Van Buren, eine politische Bombe gezündet und sich öffentlich gegen die Annexion ausgesprochen hatte, war ihm vom Parteikonvent in Baltimore im Mai 1844 die Gefolgschaft verweigert worden.349 Stattdessen hatten die Delegierten nach mehreren gescheiterten Anläufen den ehemaligen Kongressabgeordneten und Gouverneur von Tennessee nominiert, James Knox Polk.350 Dieser politisch zwar versierte, aber weitgehend unbekannte Kompromisskandidat ließ sich in der Tradition der südstaatlichen Jackson-Demokraten verorten und legte die Ausdehnungsparole im nationalen Rahmen aus. Nicht nur Texas, sondern auch der pazifische Westen und das nördliche Oregon-Territorium gerieten damit in den Sog großer Ziele, denen nicht minder große Risiken zu Grunde lagen. Während Polks Pose innerer Verlässlichkeit und äußerer Aggressivität ihm schließlich einen knappen Vorsprung vor Clay bescherte, verblieb dem chancenlosen Amtsinhaber Tyler kaum noch Zeit, die von seiner Regierung angestoßene Texas-Politik formal abzuschließen. Seine verfassungsrechtlich bedenkliche Operation, den Beitritt nicht über eine Vertragsratifikation, wie es bereits vergeblich versucht worden war, sondern durch eine gemeinsame Resolution von Senat und Repräsentantenhaus herbeizuführen, wurde durch eine einfache Mehrheit in beiden Kammern abgesegnet. Weil der Nachfolger
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Außenministerium etwas überspitzt als „signally disastrous choice“ wertend Haynes, Anglophobia and Annexation, 130. Vgl. Peterson, Presidencies of Harrison & Tyler, 201–229; Chester, Sectionalism, Politics, and American Diplomacy, 59. Vgl. Calhouns Verantwortung hervorhebend Meeks, Building the Continental Empire, 101. Vgl. Howe, Political Culture of the American Whigs, 144; Remini, Henry Clay, 611– 642. Vgl. zum Dilemma Van Burens in der Annexionsfrage Brock, Parties and Political Conscience, 123 ff. Zu Polk vgl. klassisch Sellers, Jacksonian; ders., Continentalist. Vgl. abgewogen im Urteil auch Haynes, Expansionist Impulse. Vgl. zur Präsidentschaft Bergeron, Presidency of James K. Polk. Vgl. komprimiert und aktuell Leonard, James K. Polk. Vgl. relativ kritisch Dusinberre, Slavemaster President.
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im Weißen Haus diese Resolutionslösung nicht antastete, hatte der texanische Beitritt zur Union am 1. März 1845 rechtlich Bestand. Die Sprache der Konfrontation: Reflexionen über England und Texas Die politischen Verwüstungen des „Sturms über Texas“351 waren damit aber noch keineswegs ausgestanden, sondern wurden in ihrem ganzen Ausmaß erst während der nächsten Jahre deutlich. Obgleich sein skandalöser Pakenham-Brief die Expansionsdiskussion zusätzlich verschärft hatte, konnte Calhoun für sich in Anspruch nehmen, ein Zeichen für die Stabilität und Zukunftsfähigkeit der Sklaverei gesetzt zu haben. Durch die Artikulation anglophober Ressentiments, die Großbritannien als feindliche, verschwörerische und unehrenhaft operierende Macht zeichneten, war es ihm gelungen, die Texas-Frage an die ideologischen Prämissen des Pro Slavery Argument zu binden. Stets vom Gedanken beseelt, den sklavenhaltenden Süden zu einer geeinten Front gegen innere wie äußere Bedrohungen zusammenzuführen, schlug er damit einen weiteren Riss in die bereits zerklüftete Parteienlandschaft und gab die Stoßrichtung der kommenden Debatten vor. Deutlich wird das an der Opposition südstaatlicher Whigs gegen John Tylers Annexionsresolution, die William Cabell Rives im Februar 1845 in einer langen und gelehrten Senatsrede ausgebreitet hatte.352 Es spricht für die zunehmende Verklärung seines Madisonschen Unionsideals, dass er den Versuch unterließ, seinem alten Widersacher Calhoun die Deutungshoheit über die Annexionsdebatte zu entreißen. So hielt er den anglophoben Aufgeregtheiten der Beitrittskontroverse nicht vorrangig seine Visionen atlantischer Harmonie entgegen, wie er sie bei der Verteidigung des Webster-AshburtonVertrages vorgetragen hatte (und konnte es auch schwerlich tun, weil sich in diesem Fall die nationale Ehre doch eher über die Englandfeindschaft definierte).353 Darüber hinaus begegnete er den Texas-Expansionisten auch nicht mit sklavereikritischen Äußerungen, wie es bei der früheren Konfrontation mit Calhoun über das Pro Slavery Argument der Fall gewesen war.354 Stattdessen vertiefte er sich in die Vertragspolitik der Gründerväter und begründete die Ablehnung der Resolution durchweg mit verfassungsrechtlichen Bedenken. 351 Silbey, Storm over Texas. 352 Vgl. Speech of the Hon. William C. Rives on the Resolution for the Annexation of Texas, 15.02.1845. Zur verfassungsrechtlich begründeten Opposition der SüdstaatenWhigs gegen die Aufnahmeresolutionen vgl. Merk, Slavery and the Annexation of Texas, 141–145; Morrison, Slavery and the American West, 24. 353 Vgl. o. 152–155. 354 Vgl. o. 132–134.
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Im Namen der republikanischen Tradition verteidigte Rives seine Vorstellung von der Verfassungsreinheit und stemmte sich gegen die Eröffnung eines Wettlaufs nach Westen, der die Balance zwischen Nord und Süd endgültig aus dem Gleichgewicht zu werfen drohte. In einer Zeit, in der die Furcht vor dem atlantischen Abolitionismus immer weiter um sich griff, blieb eine streng legalistische Argumentationsführung allerdings wirkungslos. Nichts zeigt das so deutlich wie der Umstand, dass aus dem Kreise der jüngeren Virginier ausgerechnet der Whig Robert M. T. Hunter nicht die Position seines Landsmannes aus dem Old Dominion vertrat, sondern die Calhouns. Hunter war 1837 als unabhängiger Whig in Washington gestartet und hatte sich einen Ruf parteipolitischer Ungebundenheit erworben, der ihn innerhalb eines Jahres auf den Sprecherposten des Repräsentantenhauses beförderte. Das Momentum seiner Karriere erlahmte jedoch ebenso rasch wie sich der Parteienskeptiker von den etablierten Parteien entfremdete. Als Republikaner der alten Virginia-Schule, so schrieb er 1840 in Worten, die an das Selbstbild von Rives erinnern, „I have the misfortune to differ with both parties“.355 Anders aber als Rives identifizierte er sich mit der Parteien- und Machtkritik Calhouns.356 Seine Entscheidung führte zwangsläufig zum Bruch mit den Whigs, deren dominierende – von Clay und Webster formulierten – Ideen ohnehin nicht seiner States Rights-Perspektive entsprachen. Der Verlust seiner nordstaatlichen Whig-Basis blockierte daraufhin eine erneute Bestätigung als Sprecher des Repräsentantenhauses, während Zwistigkeiten unter den Whigs in Virginia schließlich 1843 seine Wiederwahl in den Kongress verhinderten. Hunter nutzte die Unterbrechung seiner Karriere, um in Virginia und anderswo die Präsidentschaftskandidatur Calhouns zu bewerben, für den er 1843 eine Kampagnenbiographie vorlegte.357 Durch seine enge Bindung an Calhoun adaptierte der junge Virginier auch die spezifische Kombination aus inneren und äußeren Feindbildern, wie sie dem Milieu South Carolinas entsprungen waren und in der Texas-Frage gebündelt wurden.358 Bereits im Vorfeld der Präsidentschaftswahl hatte er erkannt, dass die Beitrittsforderung politisches Kapital für Calhouns Kandidatur abwerfen könnte und ihre Einbeziehung in die Wahlkampfplattform empfohlen.359 355 Letter of R. M. T. Hunter to his Constitutients, 29.06.1840, in: Richmond Whig, 07.07.1840. 356 Vgl. Fisher, Statesman of the Lost Cause, 81 f.; ders., Dilemma of a States’ Rights Whig, 391 ff. 357 Vgl. hierzu Anderson / Hemphill, The 1843 Biography of John C. Calhoun. 358 Hunter repräsentierte mit seiner Nähe zu Calhoun vor allem die Sklavenhalter der Küstenregion Virginias, die allerdings dem Einfluss der Richmond Junto um Thomas Ritchie, der die Allianz des Staates mit Martin Van Burens Nord-Demokraten geschmiedet hatte, wenig entgegensetzen konnten. Vgl. Ashworth, Slavery, Capitalism, and Politics, 331. 359 Vgl. Hunter an Calhoun, 10.10.1843, in: Boucher / Brooks (Hg.), Correspondence Addressed to Calhoun, 186–188.
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Obwohl er die Annexion durchaus als Chance wertete, die Einigung des Südens im Sinne Calhouns herbeizuführen, fällte er sein Urteil über den Wert von Texas aus einer defensiven, von anglophoben Verschwörungstopoi durchsetzten Wahrnehmungsperspektive. Wie er Calhoun im Oktober 1843 auseinanderlegte: The combinations in Christendom against the slave holding interest, the course of English diplomacy abroad, the state of Northern feeling at home and the present necessity for maintaining the balance of power between the free and slaveholding states constitute a crisis which gives an importance to this question [der Texas-Frage, H. L.] and also to the election of a Southern president.360
In der partikularistischen Weltsicht der Calhouniten stellte sich das Prinzip von Ursache und Wirkung in der Texas-Krise also ganz anders dar als bei den nationalen Whigs und manchen Nord-Demokraten. Zwar vermutete auch Hunter, die Beitrittsdiskussion würde die Einheit der Parteien entlang sektionaler Linien aufbrechen. Anders als Clay und Van Buren glaubte er aber nicht, dass die gegenwärtigen Spannungen durch eine anti-expansionistische Politik gedämpft werden könnten, sondern betrachtete die Annexion vor allem als Mittel zur Bewahrung der Union. Dieser Unionsprimat unterschied seine Intention in wichtigen Nuancen von der seines Partners in der Beförderung von Calhouns Präsidentschaftskandidatur – Robert Barnwell Rhett aus South Carolina.361 Rhett hatte seine Kongresslaufbahn mit einer unverhüllten Feindschaft gegenüber dem amerikanischen Staat begonnen. Allein die Tatsache, dass er sich im Jahre 1843 in führender Position um Calhouns Zukunft bemühen konnte, verweist auf das politische Profil, das er während der Annullierungskrise erworben hatte. In bemerkenswertem Kontrast zu seinen Ausführungen über die korrumpierende Natur der Macht entwickelte er sich nach 1837 zur Schlüsselfigur eines gemeinsam mit seinen Brüdern gesteuerten Netzwerkes in South Carolina, dessen Verbindungen von der Staatenlegislative in Columbia über die Kontrolle wichtiger Zeitungen bis in den Kongress nach Washington reichten.362 Wie sehr Rhett seinen Einfluss auch gegen Konkurrenten verteidigte, deren Ansichten ihm eigentlich nahe standen, zeigt sich an seiner Distanz gegenüber dem Europaheimkehrer James Henry Hammond, dessen Kandidatur für den Gouverneursposten im Jahr 1840 er nicht unterstützte und damit zum Scheitern verurteilte.363 Obwohl (oder gerade weil) er die Wahl Ham360 Ebd., 188. 361 Zur Kooperation zwischen Hunter und Rhett bei der Arbeit an Calhouns Kandidatur vgl. Hunter an Rhett, 26.09.1842, Robert Barnwell Rhett Papers, Wilson Library, UNC. Vgl. auch Davis, Rhett, 173 ff. 362 Vgl. hierzu Ford, Origins of Southern Radicalism, 163, Anm. 64. 363 Die Rhett-Elmore-Clique unterstützte aus strategischen Gründen die Kandidatur von John P. Richardson, eines vormaligen Unionisten aus den Zeiten der Annullierungskrise, um die Risse innerhalb des Staates zu heilen. Vgl. Faust, James Henry Hammond, 214 f.
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monds zwei Jahre später doch noch ermöglichte, zog er sich die lebenslangen Ressentiments dieses Politikers zu, der wie er selbst die Abwesenheit eigener Macht und die Abhängigkeit von der Macht anderer als unerträgliche Ehrverletzung begriff. Zu dem Zeitpunkt, als Hammond das Amt des Gouverneurs übernahm, begann die Stellung des Rhett-Clans in South Carolina jedoch zu bröckeln. 1842 scheiterten Pläne Robert Barnwells zur Statusbeförderung in den Senat; einer seiner Brüder verpasste 1843 den Sprung ins Repräsentantenhaus, während der andere im gleichen Jahr unerwartet verstarb. Nun preschte der angeschlagene Rhett in der Texas-Frage nach vorne und reaktivierte seine in den Jahren zuvor nur mühsam unterdrückten Sezessionsreflexe. Als Mitherausgeber des Washington Spectator, einem Zentralorgan der Calhouniten, streute er die Parole aus: „In the Union, or out of the Union, Texas shall be ours.“364 Indem er Texas als Konstante und die Union als Variabel beschrieb, schleuderte er Calhoun den Fehdehandschuh entgegen. Der Außenminister wollte den Süden durch die in seinen Pakenham-Brief entworfene anglophobe Drohkulisse zwar öffentlich mobilisieren, keineswegs aber aus der Union hinaustreiben.365 Rhett hingegen, der seit Jahren für eine ‚zweite’ Unabhängigkeit des Südens eintrat, setzte genau dort an. In Bluffton, South Carolina, entzog er dem demokratischen Präsidentschaftskandidaten Polk im Juli 1844 die Unterstützung und erneuerte seine Forderung nach Annullierung und konditionaler Sezession. Mit dem damit eingeläuteten Bluffton Movement wurde nicht nur ein Macht- und Generationenkampf gegen die Herrschaft Calhouns in South Carolina ausgetragen.366 Darüber hinaus rebellierte Rhett auch gegen die nordstaatlichen Demokraten, deren Kurs in der Zoll- und Infrastrukturpolitik ihm auf einen „konsolidierten Despotismus“ hinauszulaufen schien, wie er Robert M. T. Hunter auf dem Höhepunkt der Spannungen auseinanderlegte: „In this way the Union must be risked, to be preserved on the terms of its original foundation.“367 In Bluffton ging es für Rhett also nicht zuletzt darum, der als 364 Washington Spectator, 09.04.1844. Zum Slogan „Texas or Disunion“ vgl. Sinha, Counterrevolution of Slavery, 65. 365 Es muss hervorgehoben werden, dass für Calhoun „being a Southerner did not involve repudiating one’s American nationality; it did not force one to discover his origins and distinctive culture outside the American tradition, as did Cavalier nationalism“. Marmor, Career of John C. Calhoun, 214. Was Theodore Marmor hier etwas wage als „cavalier nationalism“ bezeichnet, kann mit Rhetts Bemühungen zur Umdeutung der südstaatlichen Nationalität auf eine ethnisch-primordiale Basis gleichgesetzt werden. Obwohl Rhett und Calhoun oft aufeinander angewiesen waren, ließ sich diese grundsätzliche Prämissendivergenz in ihrem Denken nie auflösen. 366 „Rhett came forth in a way which out-Calhouned Calhoun“, urteilt George Boucher. Boucher, Bluffton Movement in South Carolina, 17. 367 Rhett an Hunter, 30.08.1844, in: Ambler (Hg.), Correspondence of Hunter, 70–72, hier 70.
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miserabel empfundenen Gegenwart eine vage Vergangenheitsutopie entgegenzusetzen. Zugleich profilierte er sich in der Rolle des einsamen Mahners, der es in Kauf nahm, Spalter und Verräter genannt zu werden: „All men who have ever attempted to reform an evil […] have had such epithets to bear.“368 Der Bluffton-Aufstand sollte aber bei weitem nicht die gleichen Energien freisetzen wie die Annullierungskrise fünfzehn Jahre zuvor. Die Klangkraft von Calhouns Namen reichte aus, um der Bewegung den Wind aus den Segeln zu nehmen. Zwar musste Calhoun der Popularität dieses politischen Hitzkopfes Tribut zollen und gar dessen Rückkehr in den Kongress protegieren. Dennoch: Nach der Annullierungskrise war abermals ein Testlauf zur Sezession gescheitert. Für einen doktrinären Separatisten aus South Carolina legte Rhett nun eine erstaunliche Flexibilität an den Tag. Sein Verhältnis zu Calhoun sollte sich von der Kraftprobe in Bluffton zwar nie wieder ganz erholen. Dafür freilich erntete er Applaus von nahezu allen Kongressabgeordneten, als er am 21. Januar 1845 sein Plädoyer für die Annahme der Resolution zur Annexion von Texas ausnahmsweise nicht mit einer Sezessionsforderung verband, sondern geschickt in einen überparteilichen Appell an die südstaatlichen Gemeinsamkeiten aufgehen ließ.369 Der Separatist, der ausgerechnet im nationalen Parlament für seine Staatsfeindschaft zu werben versucht hatte, verzichtete hier auf radikale Zuspitzungen. Gleichwohl schürte Rhett die Ängste südstaatlicher Abgeordneter vor einer nordstaatlich dominierten Union und spendete seiner Sezessionsdoktrin damit gleichsam auf Umwegen Legitimität. Auf dem Höhepunkt einer erregten Zeit stilisierte er Texas zum Lackmustest für Eskalation oder Beruhigung, wobei er zusätzlich Anleihen an anglophoben Feindbildern nahm, die in sein Bild der neuenglischen Abolitionisten einflossen.370 Mit Blick auf die Nordstaatler stellte sich nach Rhett nun die entscheidende Frage: „[W]ould they go on with the agitations of the South which had been originated in the British Parliament, and then brought into this place?“371 Die Polemik dürfte sich auf die Aufhebung der seit 1836 gültigen Gag Rule bezogen haben, die im Dezember 1844 von einer Koalition aus NordWhigs und Nord-Demokraten beschlossen worden war.372 Im Hinblick auf die Texas-Krise richtete Rhett hier allerdings noch einmal den – ebenso abstrak368 Ebd., 71. 369 Vgl. Congressional Globe, 28th Congress 2nd Session, 21.01.1845, 166. 370 Rhett sollte dieses Bild in den folgenden Jahren verschiedentlich variieren. So sprach er 1848 im Rückblick auf die Texas-Krise von „[d]omestic traitors“, die „in combination with foreign emissaries, sought through Texas to disturb the peace, and […] the institutions of the South“. Speech of Hon. R. B. Rhett, Delivered at Hibernia Hall, before the Democratic Party of Charleston, 20.09.1848, in: Charleston Mercury, 23.09.1848. 371 Congressional Globe, 28th Congress 2nd Session, 21.01.1845, 167. 372 Rhett selbst hatte Monate zuvor die Gag Rule noch emphatisch verteidigt. Vgl. ebd., 11.01.1844, 174–175. Zu ihrer Aufhebung vgl. Congressional Globe, 28th Congress 2nd Session, 03.12.1844, 7. Vgl. auch Freehling, Road to Disunion I, 351.
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ten wie pathetischen – Appell an den Norden, vom englischen Irrweg abzukehren und die Republik der Gründerväter zu bewahren. Sollten die „freien“ Staaten ihre Agitation nicht einstellen und durch die Zustimmung zu der Resolution ein Deeskalationssignal aussenden, fielen sie endgültig von den Prinzipien der Verfassung ab. Weil Rhett die Abweichung von seiner engen Verfassungsinterpretation per se als Werk einer „unverantwortlichen Macht“ wertete und mit dem Etikett „Despotismus“ versah, konnten seine Einlassungen trotz ihres gemäßigten Tonfalles letztlich doch wieder als Sezessionsdrohung verstanden werden.373 Einigermaßen geschickt lavierte Rhett also nach dem Desaster seiner Bluffton-Rebellion zwischen einer pragmatischen und einer programmatischen Linie. Hierfür schöpfte er aus dem Reservoir von anglophoben wie anti-abolitionistischen Feindbildern, die nicht nur im Süden, sondern ebenfalls im Norden verfangen konnten, sofern sie sich nicht an ein explizites Sezessionsbekenntnis knüpften. Obwohl sich Rhett mit seinem Expansionsplädoyer an die Polk-Regierung annäherte und gar zu einer wichtigen Kontaktperson für den vormals so geschmähten Präsidenten heranwuchs374, liefen die Ausdehnungserfolge der Administration seinen radikal-partikularistischen Vorstellungen zuwider, vor allem auch deshalb, weil South Carolinas Einfluss auf die Bundespolitik durch die Demission Calhouns als Außenminister spürbar abgenommen hatte und keine Signale für einen wirklichen Kurswechsel in der Zollfrage zu vernehmen waren.375 Im Auftrag einer Lobby von Reispflanzern und Kaufleuten aus seinem Heimatstaat segelte er im August 1845 nach London, um über die Rückzahlungen überhöhter Reiszölle zu verhandeln, die britische Behörden in der Vergangenheit unrechtmäßig kassiert hatten. Es ist bemerkenswert, dass sich Rhett in dieser Situation ausgerechnet England als ein alternatives Repräsentationsforum erwählte, um die amerikanische Politik und seine eigene Rolle so darstellen zu können, wie es seinen Zielvorstellungen entsprach. Während er sich mit den Details der komplizierten Materie beschäftigte und damit zugleich seinen eigenen finanziellen Interessen diente, konnte er der Gelegenheit zur Selbstdarstellung vor einflussreichen englischen Persönlichkeiten nicht widerstehen. Obwohl er wusste, dass Präsident Polk keine Absichten zu einer substantiellen Zollminderung hegte, versicherte er anlässlich einer Audienz bei Lord Aberdeen genau das in wärmsten Worten. Darüber hinaus präsentierte er sich dem Außenminister als Architekt der Annullierungstheorie, 373 Alle Zitate: Congressional Globe, 28th Congress 2nd Session, 21.01.1845, 137. 374 Vgl. Lander, Reluctant Imperialists, 158, 167. 375 Polk hatte Calhoun nicht im Außenministerium gehalten, sondern ihm stattdessen die Gesandtschaft in England angeboten. Vgl. Niven, John C. Calhoun and the Price of Union, 288 f. Der Veteran aus South Carolina beugte dieser Entfernung vom Washingtoner Entscheidungszentrum durch seinen Rückzug vor. Vgl. Sellers, Continentalist, 127 f., 165 f., 179 ff., 198 f.
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die – „falls nötig“ – in der nächsten Konfliktsituation wieder zur Anwendung gelangen würde.376 Seine abenteuerlichen Ausführungen zur Handels- und Innenpolitik krönte Rhett schließlich mit der Andeutung, eine englische Konzession in der Reisfrage könne eine Deeskalationsmechanik in Gang setzen, die eine Minderung der Einfuhrzölle herbeiführen und einer Neuauflage der Annullierungskrise den Boden entziehen würde.377 Diese völlig unabgestimmte, aber selbstbewusst inszenierte Vorstellung im Foreign Office bietet ein Beispiel für die Kluft zwischen demonstrierter und tatsächlicher Macht, die er zeitlebens nicht hat überwinden können. Auf Lord Aberdeen verfehlte sie ihre Wirkung nicht.378 Wie er nach dem Treffen seine Eindrücke an Premierminister Peel weitergab, sei Rhett nicht nur ein geistreicher, sondern auch ein äußerst einflussreicher Mann.379 Da der Außenminister die Rechtmäßigkeit der amerikanischen Forderungen durchaus anerkannte, wurde die Problematik noch im September 1845 einvernehmlich gelöst – eine Entwicklung, die Rhetts posenreicher Auftritt in London wohl beschleunigt hat.380 Es ist davon auszugehen, dass James Henry Hammond eine solche Gelegenheit zur Selbst- und Fremdbestätigung ebenso dankbar genutzt hätte, wäre er im Rahmen seiner Englandreise von 1836 / 37 mit Regierungsvertretern in Kontakt gekommen. Aber nicht nur das sollte ihm unvergönnt bleiben. Während Rhett nach 1837 als Sprachrohr extremer Südstaaten-Interessen landesweit gehört wurde und sich sogar in London quasi-diplomatisch inszenieren durfte, fiel die Karriere des kaum minder ehrgeizigen Hammond Mitte der 1840er Jahre in eine tiefe Krise. Nur indem er sein Unabhängigkeitsideal kompromittierte und sich in das Politik- und Pressenetzwerk Rhetts einbinden ließ, konnte er 1842 seine Ambitionen auf den Gouverneurssitz im Staate South Carolina befriedigen. Zeitlebens einem Hang zur fatalen Theatralik nachgebend, leitete er sodann die Zerstörung seiner sozialen Respektabilität ein. Ein knappes Jahr nach Amtsantritt erhielt sein Schwager Wade Hampton II. Kenntnis von einem amourösen Verhältnis, das Hammond über Jahre hinweg mit seinen Nichten, Hamptons Töchtern, unterhalten hatte.381 Zwar konnte Hampton, einer der reichsten Pflanzer des Staates, den Gouverneur weder 376 Abdeen an Peel, 25.08.1845, in: Jones, Lord Aberdeen and the Americas, 76. 377 Vgl. ebd. 378 Wie William C. Davis Rhetts Gespräch mit Aberdeen pointiert kommentiert: „He [Lord Aberdeen, H. L.] was neither the first nor the last to be taken in by Rhett’s assumed air of authority and importance, when in fact he represented no power but himself.“ Davis, Rhett, 222. 379 Vgl. Jones, Aberdeen and the Americas, 77. 380 Vgl. Matthew Forster an Robert Barnwell Rhett, 29.12.1845, Robert Barnwell Rhett Papers, SCHS; Rhett an Abbot Lawrence, 07.01.1852, Robert Barnwell Rhett Papers, Wilson Library, UNC. 381 Vgl. Bleser (Hg.), Secret and Sacred, 09.12.1846, 175. Zum Hampton-Skandal vgl. unter Einbeziehung der politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Aspekte Faust, Ja-
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zum Duell fordern noch den Skandal öffentlich machen, wollte er seine Töchter nicht unwiderruflich diskreditieren. Die Erwartung einer als sicher vorausgesetzten Vergeltung bereitete Hammond in den Jahren 1843 und 1844 aber ernste Sorgen.382 Dieses Doppelbewusstsein von politischer Abhängigkeit und drohender sozialer Vernichtung äußerte sich in einer umfassenden Radikalisierung, die durch anti-egalitäre Feindbilder artikuliert wurde.383 Im Verlauf des Jahres 1844 gelangte er zu der Überzeugung, ein deutliches Signal an die Welt jenseits der Grenzen South Carolinas senden zu müssen. So teilte er die Unruhe Calhouns und unterstützte dessen expansionistische Position in der TexasFrage. Großbritanniens Politik bot nach seinem Dafürhalten eine Chance, den Sklavenhaltern die akuten Gefahren für ihre Stellung aufzuzeigen: „These dangers are accumulating so rapidly that a crisis seems to me inevitable and political events seem to march in concert to the same point.“384 Texas böte dem Süden nun die Gelegenheit zur Sammlung hinter der alten Annullierungs- und States Rights-Doktrin: „There never was such unanimity on any question before, or such determination to act.“385 Die Bringschuld liege eindeutig beim Norden, der gezwungen werden müsse, den Wert der Union abzuwägen, weil sie sonst zwangsläufig in einen Bürger- oder gar einen Rassenkrieg hinabgerissen werden würde (obgleich er die letztere Möglichkeit pflichtschuldig als unwahrscheinlich zurückwies). Angesichts solch prekärer Aussichten nahm Hammond, seiner damaligen Radikalisierungsphase entsprechend, die Entwicklung bereits vorweg und prognostizierte die Sezession.386 Hierfür verzichtete er auf die machtkritische Terminologie, derer er sich immer dann bediente, wenn es die Gefahren anzuprangern galt, die dem Süden von seinen feindlichen Nachbarn in der Union und in der atlantischen Welt drohten. Ganz im Gegenteil schwärmte er von einem durch Texas arrondierten Freihandels- und Sklavenhalterimperium, das sich als „first rate power“ unter den Staaten der Erde würde etablieren können. Nur eine einzige Prämisse, so Hammond, müsse akzeptiert werden: „The North and South cannot exist united.“387
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mes Henry Hammond, 241 ff. Vgl. die Affäre eher grobmaschig „into the Southern psychology“ einwebend McPherson, War of Southern Aggression, 44 f. Vgl. Bleser (Hg.), Secret and Sacred, 09.12.1846, 171. Vgl. besonders plastisch Hammond an Henry Bailey, 05.12.1844, Henry Bailey Papers, SCHS. Hammond an Calhoun, 07.06.1844, in: Brooks / Broucher (Hg.), Correspondence Addressed to Calhoun, 237–238, hier 237. Ebd. (Hervorhebung im Original). Vgl. Hammond an Rhett, 11.11.1844, Robert Barnwell Rhett Papers, Wilson Library, UNC. Hammond an Calhoun, 10.05.1844, in: Jameson (Hg.), Calhoun Correspondence, 953 (Hervorhebung im Original).
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Im privaten Austausch mit Calhoun begrüßte er also eine Sektionalisierung der Texas-Politik. Die Möglichkeiten seiner Einflussnahme blieben aber begrenzt. Als der Annexionsvertrag der Tyler-Regierung im Senat vorerst scheiterte und sich Calhoun für den Mehrheitsdemokraten Polk aussprach, beschlich ihn die Angst, die schicksalhafte Texas-Frage könne zwischen Parteienkämpfen und persönlichen Ambitionen zerrieben werden.388 Daher unterstützte er den Aufstand von South Carolinas Radikalen in Bluffton und fand sich sogar zu einem Schulterschluss mit seinem Rivalen Robert Barnwell Rhett zusammen.389 Anders als Rhett verfügte er aber nicht über die Macht, um das Scheitern des Bluffton Movement unversehrt zu überstehen. Ganz im Gegenteil machte Wade Hampton nach dem Ende von Hammonds Gouverneurszeit nun seinen Einfluss zur Demontage seiner Laufbahn geltend. In der Isolation der Plantage Silver Bluff suchte Hammond zum Jahresbeginn 1845 nach Mitteln und Wegen, um seiner Beunruhigung angemessenen Ausdruck zu verleihen. Nicht untypisch für südstaatliche Politiker, die sich nicht mehr von Amts wegen zu öffentlichen Themen äußern konnten, verfiel er hierfür in Pose und Duktus des Intellektuellen.390 Die Gelegenheit fand er anlässlich der Folgen eines Falls von illegaler Hilfeleistung für eine entflohene Sklavin, den er als Gouverneur zu beurteilen gehabt hatte. Eigentlich ein Routinefall in South Carolina (zumal Hammond den vermeintlichen Fluchthelfer begnadigte), sorgte die Angelegenheit für Aufruhr in atlantischen Abolitionistenkreisen und veranlasste sogar das House of Lords zu einer Stellungnahme. Aus den zugesandten Kommentaren erwählte er das Schreiben des englischen Abolitionisten Thomas Clarkson391, um in Form einer kritischen Replik eine Pro Slavery-Vision zu entwerfen, die sicherlich auch den Effekt der PakenhamNote Calhouns bestätigen und untermauern sollte.392 388 Vgl. Hammond an Marcellus Hammond, 25.08.1844, James Henry Hammond Papers, LC, Reel 4. Vgl. extrem kritisch gegenüber Calhoun Hammond an George McDuffie, 27.12.1844, ebd. 389 Vgl. Rhett an Hammond, 03.11.1844, James Henry Hammond Papers, LC, Reel 6. 390 Zur Rolle Hammonds im Geisteszirkel des Südens vgl. Faust, Sacred Circle. Zu Hammond als Pro Slavery-Intellektuellen vgl. Ericson, Debate over Slavery, 120–151. 391 Zu Clarkson vgl. die frühe Arbeit von Griggs, Thomas Clarkson. Vgl. hingegen verbindlicher Wilson, Thomas Clarkson. 392 Vgl. Hammond, Two Letters on the Subject of Slavery. Hammond hatte zu einem früheren Zeitpunkt im Juni 1844 ein ähnliches Schreiben an den Vorsteher der Free Church of Glasgow verfasst, das bereits zum Klassiker der Pro Slavery-Literatur avanciert war, bevor er sich im Januar 1845 bemühte, seine Gedanken zu diesem Thema systematischer zu ordnen. Hierbei antwortete er übrigens nicht auf eine individuelle Zuschrift Clarksons, aus dessen Umfeld ihm nur eine gedruckte Version eines Aufrufes an Abolitionisten im Norden geschickt worden war. Vgl. Bleser (Hg.), Secret and Sacred, 08.02.1845, 142. Vgl. ebenfalls Wilson, Thomas Clarkson, 187. Dass sich dieses berühmte Traktat auf einen britischen Abolitionisten konzentiert, passt in die von Maurie McInnis beobachtete Tendenz, dass „[w]ith an eye more to Britain than to the North,
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Tatsächlich avancierte der Essay, den er in Form zweier Briefe an Clarkson vom Januar und März 1845 geschlossen publizierte, zu einem viel gelesenen und heftig umstrittenen Traktat der radikal-apologetischen Sklavereiliteratur.393 Hammonds Two Letters on the Subject of Slavery können gewissermaßen als intellektuelle Unterfütterung des politisch motivierten Englandhasses aus Calhouns Brief an Richard Pakenham gedeutet werden. Verfasst im Umfeld der Texas-Kontroverse und auf einem Höhepunkt südstaatlicher Zukunftsunsicherheit in den 1840er Jahren, legen beide Schriftstücke Zeugnis ab von den Erregungsschüben einer Zeit, in der radikalisierte Politiker und Intellektuelle mit dem Pro Slavery Argument eine Antwort auf Zukunftsentwürfe zu finden versuchten, die innerhalb der atlantischen Welt scheinbar maßgeblich von England bestimmt wurden. Hammond – dieser nervöse, von Ehrgeiz und Selbstzweifeln zerfressene Aufsteiger aus South Carolina – investierte seine geistige Energie in die Verteidigung einer rassischen Gesellschaftsutopie, die sich im wesentlichen durch eine Abgrenzung gegenüber Großbritannien und der atlantischen Welt auszeichnete. Dafür entledigte er sich gleich mehrer Prämissen, die seinen Reflexionen und Standortbestimmungen im Wege stehen konnten. So nahm er eingangs demonstrativ Abstand von der Absicht, die Meinung der englischen Abolitionisten über die Südstaaten-Sklaverei zu verändern.394 Mit dem Überlegenheitsanspruch des Südstaatlers, der die englische Gesellschaft aus eigener Anschauung heraus studiert hatte, diskreditierte er ihre Stellungnahmen als provinziell, erfahrungsunabhängig und ideologisch borniert.395 Ähnlich wie Calhoun es bereits in seinem Schlagabtausch mit Rives im Jahre 1837 gehalten hatte, legitimierte er die Sklaverei nicht in abstrakten Kategorien, sondern bezog sich auf die vermeintlichen Segnungen ihrer konkreten Existenz. „I do not like to deal in abstractions“, gab er im Tonfall einer lebenserfahrenen Geistesgröße zu verstehen: „It seldom leads to any ends.
much of the proslavery literature from South Carolina responded directly to British criticism“. McInnis, Politics of Taste Antebellum Charleston, 185. Vgl. ferner O’Brien, Conjectures of Order, 953 ff. 393 Hammond selbst bezeichnete seine Briefe an Clarkson als „the best thing I have ever written“ und strebte die Publikation offensiv an. Ebd. Zur Rezeption der Schrift vgl. Faust, James Henry Hammond, 278 ff.; dies., Sacred Circle, 116. Zum Stellenwert innerhalb der Proslavery-Schule vgl. Freehling, Road to Disunion II, 28. 394 Vgl. Hammond, Two Letters on the Subject of Slavery, 115. 395 Vgl. ebd., 174 f. Dem Abolitionisten warf er vor, sein „picture of slavery“ resultiere aus „your own excited imagination. […] I am not aware that you have ever visited this country“. Dabei war ihm das Zusammenspiel von selektiver Wahrnehmung und determinierter Auslegung keineswegs fremd. Wie er in einer verräterischen Wendung konzedierte: „I know the power of self-delusion. I have not the least doubt that you think yourself the very best informed man alive on this subject.“ Ebd., 175.
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There are few universal truths. I do not now remember any single moral truth universally acknowledged.“396 So war Hammond das intellektuelle Rüstzeug an die Hand gegeben, um die anti-demokratischen und anti-egalitären Ressentiments, die in seiner Gedankenwelt mit der Sklavereiverteidigung verbunden waren, auf eine neuerliche Spitze zu treiben. Das Postulat der Abolitionisten, alle Menschen seien von Natur aus gleich beschaffen, wollte er nicht gelten lassen. Damit stand er im direkten Gegensatz zu den sozialen und philosophischen Kernaussagen der Declaration of Independence, die er als „lächerlich absurd“ betrachtete – als „much-lauded but nowhere accredited dogma“.397 Bereits gut zehn Jahre früher hatte Hammond im Kongress das Ideal einer tugendhaft-republikanischen Sklavenhalteraristokratie skizziert.398 Sicherlich auch aus der Perspektive eines weit gereisten Kenners der atlantischen Welt fühlte er sich nun bemüßigt, die Vorzüge seiner Utopie durch den Vergleich mit den Nachteilen der britischen Gegenwelt hervorzuheben: „[I]n Great Britain the poor and laboring classes of your own race and color, not only your fellow-beings, but your fellow-citizens, are more miserable and degraded, morally and physically, than our slaves.“399 Hiermit löste er seine Sozialkritik aus ihrem empirischen Tarngewand heraus und überführte sie in die gleiche Form des rassistischen Denkens, wie es bereits Calhouns Pakenham-Brief charakterisiert hatte. Anders als Calhoun arrangierte er sein Material aber um eine Reihe von Thesen, die er mit offiziellen – und daher kaum angreifbaren – Dokumenten aus England unterfütterte. Aus diesen Zutaten entstand ein in düsteren Farben gezeichnetes Bild der englischen Industriemoderne. Den 1842 veröffentlichten Report of the Children’s Employment Commission400 zur Kinderarbeit in Kohlengruben und Minen zitierend, stellte Hammond eine Reihe drastischer Beispiele vor, die wiederum Rückschlüsse auf seine Sklavenhalterutopie zuließen: So hob sich der unmenschliche Unternehmer vom gütigen Plantagenherrn ebenso ab wie der geschundene Kinderarbeiter vom allenfalls milde getadelten Sklaven.401 Armut und Elend der arbeitenden Bevölkerung in England entspra396 Ebd., 119 f. 397 Ebd., 126. Zu seinem Bemühen, die Naturrechtslehre als Methode der Sklavereikritik zu widerlegen, vgl. überdies Hammond, Laws of Nature – Natural Rights – Slavery, undadiertes Manuskript [Januar 1847], Tucker Family Papers, Colonial Williamsburg Foundation. Auch Calhoun bezeichnete den Gleichheitsbegriff Jeffersons in allerdings gewählteren Worten als „hypothetical truism“. Congressional Globe, 30th Congress 1st Session, 27.06.1848, 876. Vgl. zur negativen Einstellung der Pro Slavery-Aktivisten gegenüber der Unabhängigkeitserklärung Finkelman, Defending Slavery, 39. 398 Vgl. o. 130 f. 399 Hammond, Two Letters on the Subject of Slavery, 154. 400 Vgl. British Parliamentary Papers, Industrial Revolution / Children’s Employment, Bd. 6; Children’s Employment Commission, First Report of the Commissioners, Mines. 401 Vgl. Hammond, Two Letters on the Subject of Slavery, 139, 149.
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chen weder den saturierten Lebensumständen der Schwarzen noch denen der unabhängigen weißen Farmer im amerikanischen Süden. Wer sich über die Passagen zur Sittenverwilderung und den sexuellen Missbrauch von Kinderarbeitern empörte, sollte an intakte Familienstrukturen in den Sklavenquartieren der Plantagen denken.402 Das katastrophale Bildungsniveau der englischen Arbeiterschicht setzte schließlich den Kontrapunkt zur Republik geistig beschlagener Yeomen, in denen schon Jefferson die Träger der politischen Tugend entdeckt hatte.403 In dieser fundamentalen Englandkritik betonte Hammond die Unterschiede zwischen einer organisch-kompakten und benevolenten Sklavenhaltergesellschaft und einer zügellos-zynischen „freien“ Gesellschaft, die im Kreise modernisierungsskeptischer Neo-Jeffersonianer als white slavery gebrandmarkt worden war.404 Hierfür verwendete er eine Sprache der Künstlichkeit, in der sich kapitalismuskritische Topoi mit dem Unbehagen an der Frühmoderne vermischten: Among the innovations of modern times […] has been the creation of a new system of slavery. The […] sacred and natural system […] exists among us. It has been almost everywhere else superseded by […] the dominion of Capital – a monster without a heart – cold, stern, arithmetical – […] working up human life with Engines, and retailing it out by weight and measure.405
Paradoxerweise flüchteten sich Rhett und Hammond, die späteren Programmatiker der Konföderationsdiplomatie, während der Antebellum-Jahrzehnte aber auch immer wieder in die Illusion, sie würden die südstaatliche und die englische Entwicklung für die Bewahrung ihrer Sozialutopien zusammenführen können. Große Hoffnungen investierten sie vor allem in die Freihandelspolitik, mit der bereits Jefferson sein arbeitsteiliges Ideal begründet hatte, England möge amerikanische Rohstoffe in seinen Fabriken verarbeiten und somit die agrarische Republik von der Verschmutzung der Industrialisierung bewahren. Selbst in den anglophoben Verschwörungstheorien der States
402 Vgl. ebd., 134, 136. 403 Vgl. mit einschlägigen Zitaten ebd., 158. Zur Theorie der Hebung der Bildungsstandards unter den Weißen aufgrund der Sklaverei vgl. ebd., 127. 404 Vgl. O’Sullivan, White Slavery, in: Democratic Review 11 (1842), 260–272. Thomas Hietala hat die These unterbreitet, dass Advokaten der Expansion wie John O’Sullivan die Territorialausdehnung vor allem deshalb forderten, um im Sinne ihrer modernisierungskritischen Reflexe die agrarische Reinheit der Republik zu wahren. Diesem Impuls lag notwendigerweise ein negatives Bild der englischen Gesellschaft zu Grunde. Vgl. Hietala, Manifest Design, 95–104. 405 Hammond, Two Letters on the Subject of Slavery, 185 f. (Hervorhebung im Original). John P. Daily bezeichnet die Sozialkritik als „konservative“ Strömung der Pro SlaveryLehre. Vgl. Daily, when Slavery was called Freedom. Vgl. auf die kapitalismuskritischen Motive bei Hammond hinweisend Davis, Inhuman Bondage, 191.
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Rights-Aktivisten fand der Freihandel als Lösung sämtlicher Zukunftsprobleme stets seinen Platz.406 Die später insbesondere von Robert Barnwell Rhett vertretene Ansicht, auf der Interessensidentität von amerikanischen Sklavenhaltern und englischen Freihändlern ließe sich die Außenpolitik einer unabhängigen Südstaaten-Nation gründen, hing allerdings mit einer Reihe von kulturellen Fehlperzeptionen zusammen. Ihr dominierendes Negativbild vom eigen- und profitsüchtigen England verführte die South Carolina-Partikularisten zu der Überzeugung, dass die britische Politik die nur vorgeschobene Philanthropie fallen lassen würde, sobald sie nicht mehr ihren eigentlichen Interessen diene. Darüber hinaus vermochten sie kaum zu reflektieren, dass die Öffnung der englischen Wirtschaft für den Freihandel, die ausgerechnet Sir Robert Peels konservative Regierung damals vorbereitete, einem ganz anderen Gesellschaftsbegriff zu Grunde lag. Mit dem komplizierten und schmerzhaften Prozess, der nicht zuletzt die Einheit seiner eigenen Partei kostete407, bezweckte Peel weniger den Schutz agrarischer Traditionen, sondern war bemüht, die Zukunft unter den Bedingungen der Gegenwart gestalten zu können. Ginge es um die Erfindung „neuer Gesellschaften“, schrieb er im Juli 1842 einmal nieder, würde er aus moralischen und sozialen Gründen die Kornfelder den Baumwollspinnereien vorziehen und eine agrarische statt einer industriellen Gesellschaft wählen: „But our lot is cast, and we cannot recede.“408 Peels großes Experiment von aufeinander abgestimmten Zoll- und Steuerreduktionen, das schließlich in der Aufhebung der Kornzölle mündete, stand im Dienste der gesamtwirtschaftlichen Konsolidierung. Die Förderung von Industrie und Unternehmertum, so erklärte er sich im Februar 1845 vor dem Parlament, „will be the benefit for all classes of the community, whether they are directly or indirectly connected with commerce, manufactures, or agriculture.“409 Nichts konnte weiter entfernt von der Weltsicht südstaatlicher Partikularisten sein als dieses Bekenntnis zur nationalen Erholung und sozialen Integration.410 Die Theoretiker und Akteure der konföderierten Außenpolitik aus 406 Wie Duff Green 1842 in London dieser Ansicht Ausdruck verliehen hatte: „England believes that she has no alternative but to render the continental powers of Europe dependent upon her for the raw material by increasing the cost in the United States, Brazil & Cuba above the price by which she can sell the product of the East Indies, purchased by her manufactures, or to reduce the cost of her manufactures by an abolition of the corn law & a repeal of her protecting duties.“ Green an Abel P. Upshur, 24.01.1842, in: Merk, Slavery and the Annexation of Texas, 190–192, hier 191. 407 Vgl. hierzu Newbould, Sir Robert Peel and the conservative party. 408 Sir Robert Peel an J. W. Croker, 27.07.1842, in: Parker, Private Papers, Bd. 2, 528–531, hier 529. 409 Hansard’s Parliamentary Debates, 3rd Ser., Bd. LXXVII, 14.02.1845, 454–498, hier 496 f. 410 Tatsächlich ging es für Peel bei der Aufhebung der Kornzölle auch um die Entschärfung
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South Carolina und Virginia – Hammond und Rhett, Mason und Hunter – beriefen sich vielmehr auf eine radikale, durch die Sklavereiapologie angereicherte Variante der Jeffersonschen Agrartradition. Wie ihre Reflexionen und Standortbestimmungen rund um die Texas-Krise zeigen, konturierten sie damals die Bilder, Prämissen und Annahmen, mit denen der Süden nach 1861 in der atlantischen Welt auftrat. Die Sprache der Versöhnung: Reflexionen über England und Oregon Während der 1840er Jahre formulierten die Calhoun-Schüler aus Virginia und South Carolina ihre Zukunftssorgen durch eine Sprache des Englandhasses, in der sich ihre rassisch-elitären Gesellschaftsvorstellungen nahezu ungefiltert niederschlugen. Mit bemerkenswerter Geschmeidigkeit verwandelten sich die Kriegsfalken aber in Friedenstauben, als nach dem Texas-Beitritt die Frage von Krieg und Frieden an einem anderen Schauplatz aufgeworfen wurde, der kein zusätzliches Sklaventerritorium in die Union einzubringen versprach: Oregon.411 Unter Berufung auf den nationalen Expansionspakt, der Polk den Weg ins Weiße Haus geebnet hatte, drängte eine starke Fraktion der westlichen und nordwestlichen Staaten auf die Erweiterung der Union in den pazifischen Raum. Die Grenzen ihrer Ansprüche wurden großzügig bis zum 54. Breitengrad ausgelegt und umfassten damit auch die nördlichen Einzugsgebiete des Columbia-Flusses, die seit 1818 unter gemeinsamer anglo-amerikanischer Verwaltung standen. Bei näherer Betrachtung war die bei den Demokraten populäre Forderung nach einer „Re-Annektierung“ Oregons zwar ziemlich widersinnig.412 Fragen der völkerrechtlichen Feinabstimmung wurden allerdings im Strudel der Manifest Destiny-Euphorie hinweggespült oder für die öffentliche Meinungsschlacht nur dann herangezogen, wenn sie die vermeintliche Schicksalsfügung der Amerikaner auf ihrem Kontinent zu untermauern versprachen. sozialer Konfliktstoffe und um eine Statussicherung für die ländliche Aristokratie. Vgl. Stewart, Foundation of the Conservative Party, 201. 411 Zur Oregon-Krise vgl. Merk, Oregon Question. Vgl. im Kontext der anglo-amerikanischen Beziehungen Jones, Prologue to Manifest Destiny, 151–175, 233–265; Pletcher, Diplomacy of Annexation, 312–351. Vgl. neueren Datums auch Rakestraw, Honor or Destiny. 412 Die britische Landnahme in Oregon setzte im frühen 18. Jahrhundert und somit lange vor der Amerikanischen Revolution ein. Die Ansprüche auf das Territorium südlich des 49. Breitengrades ließen sich durch die Westexpedition von Merriwether Lewis und William Clark hingegen relativ gut begründen. Vgl. die rechtlichen Defizite der Washingtoner Ansprüche auf das nördliche Oregon hervorhebend Merk, Monroe Doctrine and American Expansionism, 67 f.; Leonard, James K. Polk, 87.
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Die Demokraten hatten im Wahlkampf ihre Maximalforderungen mit der Parole Fifty-Four Forty or Fight! unterlegt und so Motive der Ehre in die Debatte eingestreut, die den diplomatischen Spielraum einzuengen drohten. Tatsächlich verfolgte Polk, der die Außenpolitik nicht mit derselben sektionalen Vorsicht wie Calhoun betrachtete, zunächst einen Kurs der brinkmanship und äußerte die markante Ansicht, man könne mit John Bull nur dann erfolgreich verhandeln, wenn man ihm direkt in die Augen blicke.413 In seiner Inaugurationsansprache hieß es klipp und klar: „Our title to the country of Oregon is ‚clear and unquestionable’.“414 Kaum dass die scharfen Worte des Präsidenten in England bekannt geworden waren, erntete Lord Aberdeen Ovationen im House of Lords, als er die Legitimität der britischen Präsenz im pazifischen Nordwesten unterstrich und seinen Friedenswillen unter Vorbehalt stellte: „But our honour is a substantial property that we can certainly never neglect, and most assuredly we may owe it to ourselves to adopt a course contrary to all our desires – to all our inclinations.“415 Weil Oregon also auf beiden Seiten des Atlantiks zum Problem der nationalen Ehre hochgeredet wurde, spitzte sich der Konflikt in einem Maße zu, das dem wirtschaftlichen und geostrategischen Wert des Territoriums kaum gerecht wurde. Einige Monate nach seiner Amtseinführung ließ Polk durch Außenminister James Buchanan einen Teilungsvorschlag entlang des 49. Breitengrades lancieren, der allerdings hinter den Vorschlägen früherer Präsidenten zurückblieb, was die nicht unerhebliche Frage der Navigationsrechte auf dem Columbia-Fluss in der südlichen Zone anging.416 Als der britische Gesandte Pakenham diese Sondierungen ablehnte, bezog Polk eine harte Haltung und erteilte in seiner Kongressbotschaft vom 2. Dezember 1845 der Übertragung europäischer Gleichgewichtspolitik auf den amerikanischen Kontinent im Sinne der Monroe-Doktrin eine glatte Absage.417 Polk kam auch den Interessen seiner westlichen Wählerschaft entgegen, indem er jetzt ausdrücklich Ansprüche auf das ganze Oregon formulierte. Zugleich forderte er den Kongress auf, eine Resolution zur Beendigung der Verwaltungskonven-
413 Vgl. Quaife, Diary of James K. Polk, Bd. 1, 155. Vgl. dazu auch Pratt, James Knox Polk and John Bull; Rakestraw, Honor or Destiny, 71–91; Bergeron, Presidency of James K. Polk, 126. 414 James K. Polk, Inaugural Address, 04.03.1845, in: Richardson (Hg.), Messages and Papers of the Presidents, Bd. 4, 373–382, hier 381. 415 Hansard’s Parliamentary Debates, 3rd Ser., Bd. LXXIX, 04.04.1845, 115–124, hier 123. 416 Vgl. Merk, Oregon Question, 339 f.; Sellers, Continentalist, 248 ff.; Klein, President James Buchanan, 179. 417 Vgl. James K. Polk, First Annual Message, 02.12.1845, in: Israel (Hg.), State of the Union Messages, 634–664, hier 647. Vgl. ferner Leonard, James K. Polk, 105, 110 f.; Hanyes, Expansionist Impulse, 119.
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tion mit Großbritannien zu verabschieden, die binnen Jahresfrist in Kraft treten und eine verbindliche Lösung des Territorialdisputs erzwingen sollte.418 Öffentlich sekundiert wurde sein aggressives Auftreten durch eine Reihe von nordstaatlichen Zeitungen, vor allem John O’Sullivans Democratic Review, die den Anspruch auf Oregon aus derselben nationalen Perspektive wie die Annexion von Texas begründete.419 Auch im Kongress war noch zum Ende der Tyler-Administration ein All Oregon-Momentum in Gang gekommen, das den auf Texas versteiften Außenminister Calhoun in ziemliche Verlegenheit gebracht hatte, da er sich gerade in Verhandlungen mit dem britischen Gesandten Pakenham über eine Dauerteilung des Territoriums befand. Für Calhoun stand fest, dass den Briten an einer Eskalation des Problems nicht gelegen war und die Amerikaner so lange abwarten konnten, bis der anschwellende Siedlerstrom nach Oregon eine Lösung in ihrem Sinne erzwingen würde.420 Unter umgekehrten Vorzeichen schieden sich die Geister am Umgang mit der Oregon-Frage ebenso wie am Texas-Problem. Kein Südstaatler gab sich über die möglichen Folgen von Polks rabiater Diplomatie besorgter als Calhoun, der beim Präsidenten für eine konziliantere Politik plädierte.421 Calhouns Partikulardoktrin hatte ihn bereits mehrfach die Präsidentschaft gekostet, und auch jetzt stellte er sich vornehmlich aus sektionalen Motiven gegen die Forderung nach All Oregon. Wie er im Mai 1845 an John Young Mason aus Virginia schrieb, befürchtete er, die Engländer könnten die Oregon-Frage nutzen, um die Texas-Krise militärisch eskalieren zu lassen: „[I]f England intends to make a belligerent stand against us, Oregon will be the pretext.“422 Nicht ganz zu Unrecht verortete Calhoun im fernen Westen, wo die Territorialintegrität des Empire unmittelbar betroffen war, eine größere Kriegsgefahr als im texanischen Süden – obwohl es nicht der Ironie entbehrte, dass Polk kurze Zeit später genau dort den Krieg gegen Mexiko beginnen sollte, der die Union bis an den Pazifik vorstoßen ließ. Mit seiner exponierten Haltung drohte dem Veteranen aus South Carolina ein ernsthafter Einflussverlust. Kurz nachdem er im Dezember 1845 in den Senat zurückgekehrt war, beriet er sich in einem langen Gespräch mit Robert M. T. Hunter über die Forderung des Präsidenten, der Kongress möge die Intention zur Auflösung der anglo-amerikanischen Oregon-Verwaltung ver418 James K. Polk, First Annual Message, 2.12.1845, in: Israel (Hg.), State of the Union Messages, 634–664, hier 647 419 Zu O’Sullivan vgl. Sampson, John O’Sullivan and his times. 420 Während der gesamten Debatte war Calhoun davon überzeugt, dass die Zeit auf Seiten der Union war und der fortgesetzte Status quo Großbritannien schließlich zu einer Teilungskonzession zumindest entlang des 49. Breitengrades bewegen würde. Vgl. Niven, John C. Calhoun and the Price of Union, 284. 421 Vgl. Calhoun an Francis W. Pickens, 06.05.1845, in: Jameson (Hg.), Calhoun Correspondence, 653; Calhoun an T. G. Clemson, 22.05.1845, in: ebd., 656–657. 422 Calhoun an John Y. Mason, 30.05.1845, in: ebd., 659–663, hier 660.
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künden. Obwohl Hunter ihn zu überreden versuchte, eine aggressivere Tonart gegenüber Großbritannien anzuschlagen, hielt Calhoun an seiner passiven Politik fest und rang seinem Protégé aus Virginia schließlich sogar das Versprechen ab, im Repräsentantenhaus eine Allianz der expansionskritischen Kräfte zu schmieden.423 Dennoch gab sich Calhoun skeptisch, ob der atlantische Friede zu erhalten sein würde.424 Als die Kongressdebatten über die Verwaltungskonvention im vollen Gange waren, verfiel er in eine pessimistische Betrachtung und sah bereits sämtliche Konsolidierungserfolge in Texas zunichte gemacht: „To defeat the War, in my opinion, is to gain everything, and to fail to defeat it is to lose all.“ Wo der Schwerpunkt seiner Kriegsfurcht lag, fügte er umstandslos hinzu: „It would leave us of the South little worth having.“425 So fanden sich also die Whigs mit den Calhouniten zu einem Bündnis gegen einen südstaatlichen Präsidenten und Sklavenhalter aus Tennessee zusammen: „The chivalry of the West goes hot and strong for 54–40“, kommentierte der New York Herald die merkwürdige Allianz, „while the ardent South, and the calculating East, coalesce, for once, on this point, and quietly and temperately call for 49.“426 Einer der wenigen Südstaatler, die auf der Reise von Texas nach Oregon nicht die Pferde wechseln mussten, war William Cabell Rives. Während der Senator aus Virginia seine Zurückhaltung gegenüber dem texanischen Beitritt verfassungsrechtlich begründet und damit seine Sorge um die republikanische Union hervorgehoben hatte427, stellte er anlässlich Oregons die Bewahrung des atlantischen Friedens in den Vordergrund. Seine gleichmäßig verteilte Kompromissphilosophie in den Texas- und Oregon-Krisen musste die NordDemokraten ebenso verprellen wie den Southern Rights-Flügel der Partei, mit dem er durch seine sklavereikritischen Äußerungen und die Leugnung des Sezessionsrechtes ohnehin schon verfeindet war. Kaum überraschend ist es also, dass sich seine Parlamentskarriere dem Ende entgegenneigte, als die Demokraten Mitte der 1840er Jahre den Whigs den Rang abliefen. 1845 nach Virginia auf seine Plantage Castle Hill zurückgekehrt, ließ ihn das Wechselspiel der Politik genauso wenig los wie zahllose andere Süd423 Vgl. Fisher, Statesman of the Lost Cause, 109 f. 424 Vgl. Calhoun an Thomas G. Clemson, 26.12.1845, in: Jameson (Hg.), Calhoun Correspondence, 674–675, hier 674. 425 Calhoun an James Edward Calhoun, 16.01.1846, in: ebd., 675–677, hier 676. An anderer Stelle äußerte sich Calhoun wieder optimistischer über das Ziel der Kriegsvermeidung. Vgl. Calhoun and Hammond, 23.01.1846, in: ebd., 678–679. Weil es hier aber darum ging, die politische Stimmung für seinen Kurs in South Carolina zu mobilisieren, mag man in der privat gefällten negativ-fatalistischen Äußerung das authentischere Bekenntnis vermuten. Zum linkage zwischen Texas und Oregon in Calhouns Denken vgl. auch Leonard, James K. Polk, 99. 426 New York Herald, 06.04.1846, zit. n. Graebner, Empire on the Pacific, 137. 427 Vgl. o. 165 f.
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staatler, die sich unter vielfältigen Erleichterungsbezeugungen auf ihre Farmen zurückgezogen hatten, nur um dort ein Leben im Unruhestand zu führen. Gleichwohl wurde Rives, der fast ein Vierteljahrhundert in Washington verbracht hatte, weder vom persönlichen Ehrgeiz Hammonds getrieben noch vom streng ideologischen Impuls Rhetts geleitet. Insofern war es durchaus glaubwürdig, als er sich im Februar 1846 in klassisch-republikanischer Manier an die Öffentlichkeit wendete und verkündete, es sei ihm unmöglich gewesen, zur entscheidenden Frage von Krieg und Frieden zu schweigen.428 Legalistisch präzise widerlegte er die Rechtsansprüche auf All Oregon und hob seine ehrenvolle Renegatenrolle durch die Bemerkung hervor, dass er an seiner Position festhalte, obwohl sie im Mehrheitsdiskurs der Politik als unwürdig galt.429 Aufschlussreicher noch als der Verweis auf seine republikanische Unabhängigkeit erscheinen aber die geistigen Quellen, aus denen er sein anglo-amerikanisches Friedenspostulat ableitete. Ein Krieg gegen England musste der anglophilen Kultur des amerikanischen Volkes zuwiderlaufen, ja geradezu „seine Menschlichkeit und Intelligenz entehren“. Zur Konstruktion einer friedensverpflichtenden atlantischen Identität verwendete Rives eine Reihe von primordialen Metaphern, die das Außergewöhnliche des amerikanischen Charakters über seine englischen Ursprünge definierten. Die Oregon-Falken schätzten den Rest ihrer Landsleute völlig falsch ein, taten ihnen sogar grobes Unrecht an: It is no less to dishonor their humanity and intelligence to suppose that they cherish unchristian and inexpiable resentments against the land of their fathers, from which we have derived our own freeborn spirit, and the whole circle of our own freeborn spirit, and the whole circle of our moral, social, and political characteristics. They know full well it is through our rich inheritance of Anglo-Saxon freedom and Anglo-Saxon energy and enterprise that we are all what we are – presenting in the eyes of mankind an example of progress and development hitherto unparalleled in the history of the world.430
Rives interpretierte die Prämissen des Jeffersonschen Europabildes also vollständig neu und beschrieb die Vorzüge der Union nicht in dem, was sie von England abgestoßen, sondern was sie bewahrt hatte. Seine Anglophilie lässt sich bis auf die ersten Berührungen mit der Alten Welt in den frühen 1830er Jahren zurückdatieren. Trotz ihrer Überspitzung im Angesicht der drohenden Kriegsgefahr entsprach sie auch seinem Ideal vom sektionalen Frieden im Inneren und einer ehrenhaften Gleichberechtigung in den internationalen Beziehungen. Nach dem Ausbruch des Mexikanischen Krieges überschütterte 428 Vgl. Letter from William C. Rives of Virginia to a Friend in Washington, 05.02.1846, William Cabell Rives Biography, William Cabell Rives Papers, LC, Box 104. Zur Veröffentlichung des Briefes vgl. National Intelligencer, 11.02.1846. 429 Vgl. Letter from William C. Rives of Virginia to a Friend in Washington, 05.02.1846, William Cabell Rives Biography, William Cabell Rives Papers, LC, Box 104. 430 Ebd.
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er Präsident Polk mit Vorwürfen, in denen sich machtkritische Topoi von der Korruption des Parteiengeistes bis zur Aneignung monarchischer Vollmachten bündelten.431 Wo die republikanische Tradition den Vergleich zwischen der präsidialen Machtpolitik und der Tyrannei von 1776 nahe gelegt hätte, verfiel Rives in die Apotheose der britischen Amerika-Freunde und ließ beispielsweise Lord Chatham mit der „Majestät eines frei geborenen Briten“ als Gegenbeispiel zur Korruption der Macht auftreten, der für den Krieg damals wie später verantwortlich zeichnete.432 Für den südstaatlichen Unionisten Rives, der seine Sehnsucht nach Einheit sogar in eine Zeit der Spaltung – die Revolutionsära – zurückprojizierte, liefen anglophiles Denken und Nationalprimat harmonisch zusammen. Widersprüchlicher hingegen erscheinen die Strategien, mit denen die extremen Partikularisten unter dem Banner der Friedenswahrung ihre Furcht vor einer Kräftigung der nördlichen Kontinentalunion verschleierten. Hierfür mussten sie eine Expansionspolitik diskreditieren, die sie im Falle von Texas nicht nur enthusiastisch begrüßt, sondern regelrecht erzwungen hatten. Weil sowohl in Texas als auch in Oregon Großbritannien als primärer Feind der Expansionisten auftrat, wechselten sie – der Umkehr ihrer Ziele gemäß – von einer anglophoben in eine anglophile Sprache. Soeben wieder in den Kongress eingezogen, entschied sich der renitente Sezessionist Robert Barnwell Rhett für eine Unterstützung der Oregon-Politik Calhouns, mit dem er sich an anderer Stelle einmal wieder überworfen hatte.433 Aus einer vergleichsweise unabhängigen Position heraus agierend, brachte er es in einer zwischen Friedenspose und Polemik schwankenden Rede vor dem Repräsentantenhaus fertig, Calhouns Passivitätspolitik mit Argumenten zu verteidigen, die sein radikal-destruktives Temperament normalerweise eher noch anfachten. Hatte er im Laufe seiner Karriere wiederholt versucht, South Carolina ohne erkennbare Zukunftsplanung und gegen den nationalen Mehrheitswillen von der Republik abzutrennen, so mahnte er jetzt an: „[I]n all the contests in which the United States engage, it is important that she should act defensively, and that her course should be just not only in her own eyes, but those of the civilized world.“ Wie derselbe Politiker, der die Union über Jahrzehnte hinweg mit machtkritischen Anfeindungen überzogen hatte, nun feststellte, könne sie als „Hort der Freiheit“ nämlich nur 431 Vgl. Rives an Robert Allen u.a., 04.01.1847, William Cabell Rives Biography, William Cabell Rives Papers, LC, Box 104. Vgl. ebenfalls Rives’ Rede an der Universität von Virginia, in: Richmond Whig, 19.05.1847. Vgl. dazu auch Schroeder, Mr. Polk’s War, 123. 432 Vgl. Rives an Robert Allen u.a., 04.01.1847, William Cabell Rives Biography, William Cabell Rives Papers, LC, Box 104, 3, 5. 433 Vgl. Lander, Reluctant Imperialists, 19. Grundsätzlich musste Rhett in Washington an einem Ausgleich mit Calhoun gelegen sein, der sich in der Oregon-Frage auch programmatisch anbot. Vgl. hierzu und über die Motive Rhetts spekulierend Davis, Rhett, 224 f.
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dann bewahrt werden, wenn sie sich nicht durch die Machtpolitik der Alten Welt korrumpieren ließe.434 Hieran anschließend vermied er es aber, seine Auffassung von der exzeptionalistischen Position Amerikas durch negative Englandbilder schärfer herauszuarbeiten.435 Stattdessen unternahm er den gegenteiligen Schritt und projizierte in seine Wunschvorstellungen vom Süden englische Charakterzüge hinein. Die Union könne keinen siegreichen Krieg gegen Großbritannien führen, so hob er an, weil sich die beiden Völker in ihren herausragenden Eigenschaften einander zu ähnlich seien: You must humble the British lion in the dust; you must tear down the pillars which support the vast structure of the British empire – the most magnificent that the world ever behold […] Does any man here doubt the spirit of the British people any more than of our own people, who are descended of a common stock, and partake of the same blood?436
Einerseits ließ sich die Idee einer atlantischen Wesensgleichheit mit einem Friedensplädoyer verbinden, das an die Vernunft aller Parteien im Inneren wie im Äußeren appellierte. Andererseits nutzte er sein anglophiles Bild, um die Amerikaner in zwei Klassen einzuteilen. Auf eine dieser Klassen schien die Tugend von anglo-amerikanischen Ehrenleuten nicht zuzutreffen: Ihr Ruf nach Krieg im Namen der Ehre verkannte das Wesen der Ehre, so hielt er den All Oregon-Befürwortern vor, weil er die Ehre zu selbstsüchtigen Zwecken instrumentalisierte (und damit im eigentlichen Sinne unehrenhaft war).437 Wie auch seinen Zuhörern aufgefallen sein muss, klangen solche Worte aus dem Munde eines South Carolina-Sezessionisten, der sich seit Jahrzehnten auf die Erfordernisse der Ehre berief, um einen Keil in die Union zu treiben, eher schal.438 Tatsächlich verwendete er die Englandbilder instrumental zur Verteidigung der Sklavenstaateninteressen. Aber trotz aller Verstellungskunst, die Rhett hier bis an die Grenze des Zynischen praktizierte, verweisen 434 Congressional Globe, 20th Congress 1st Session, 05.01.1846, 142. 435 Ganz im Gegenteil verzichtete er auf solche Legitimitätsstrategien und lehnte die Auffassung ab, dass ein Krieg gegen Großbritannien „in behalf of republican institutions against the monarchial systems of the Old World“ geführt werden würde. Ebd. Rhetts Argumente muten abenteuerlich an, war doch genau dieser Systemgegensatz von Seiten südstaatlicher Expansionisten bemüht worden, um die Annexion eines neuen Sklavenstaates in die Union zu begründen. An dieser Stelle vermochte er sich mit dem Verweis auf die Kriegsmotive zu behelfen, die einer Mischung aus schnöder Landgier und doktrinärer Mission entspringen würden und damit den Französischen Koalitionskriegen gleichen müssten. Vgl. ebd., 142 f. Hierin lag die Annahme versteckt, dass die Intentionen des Texas-Beitritts legitim gewesen seien und im Zweifelsfall auch eine gewaltsame Eskalation gerechtfertigt hätten. 436 Ebd., 142. 437 Vgl. ebd., 143. 438 Rhett erntete scharfe Repliken auf seine Rede, unter anderem von John Quincy Adams, der sich gefährlich nah am ehrverletzenden Vorwurf der Lüge bewegte. Vgl. ebd., 143 f.
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seine Ausführungen zur Oregon-Frage auf die Idee einer Ehrverwandtschaft zwischen dem Süden der USA und England. Für seine Annahme, England würde eine unabhängige Südstaaten-Konföderation aus Interesse und Affinität gleichermaßen in der atlantischen Welt willkommen heißen, sollte das noch eine wichtige Rolle spielen. Dass die radikalen Unionskritiker aus South Carolina schlichtweg nicht bereit für einen nationalen Krieg waren, sofern die südstaatlichen Belange nicht unmittelbar berührt waren, belegen auch die sorgenvollen Äußerungen James Henry Hammonds, der das Geschehen von Silver Bluff aus mitverfolgte. Sicherlich in Erinnerung an seine eigenen verstörenden Erfahrungen in England, begründete er die Notwendigkeit für den Frieden nicht mit dem Ideal einer atlantischen Ehrgemeinschaft. Vielmehr eignete er sich eine zynische Sicht der Oregon-Krise an und nahm sie zum Anlass für eine Kritik am Populismus der beteiligten Politiker: „The people of both nations hate one another and the Politicians has [sic] raised this Phantom question in which neither the honor nor the real interests of either nation are concerned, merely for popularity sake.“439 Weil sie sich gegenseitig zu übertrumpfen suchten und letztlich auf die Kriegsunwilligkeit der Briten zählten, verstiegen sich Whigs und Demokraten zu einer aggressiven Sprache – mit fatalen Konsequenzen: „Thus they give England more credit than ourselves for wisdom, calmness, and Christian magnanimity. So wars are ever brought on, by folly, rash committals, and cowardly calculations.“440 Seine Empörung darüber, dass die gehassten Engländer die Ehre auf ihrer Seite hätten und sich ihnen gar die Gelegenheit zur Demonstration von Staatskunst böte, linderte Hammond mit der Gewissheit, eine vergleichbare Korrumpierung der auswärtigen Politik in South Carolina sei nicht zu fürchten.441 Passend dazu stilisierte er den betont unabhängigen Südstaatler Calhoun zum „Ajax der Friedenspartei“.442 Anders als im Falle Rhetts, dessen anglophile Friedensrhetorik in der Oregon-Krise seine Staatsfeindschaft in keinerlei Hinsicht abmilderte, gingen seine Kompromissvorstellungen mit einer gewissen Annäherung an die Union einher.443 Denn Calhoun wollte die Union nicht per se vernichten und artikulierte daher seine ehrlich empfunde439 Tagebucheintrag v. 14.02.1846, in: Bleser (Hg.), Secret & Sacred, 153. Vgl. ähnlich Hammond an W. B. Hodgsen, 01.01.1846, James Henry Hammond Papers, Perkins Library, Duke University. 440 Tagebucheintrag v. 19.02.1846, in: Bleser (Hg.), Secret & Sacred, 154. Wie Hammond nicht vergaß hinzuzufügen: „Such is the blindness and malice of party.“ Ebd. 441 Vgl. Hammond an W. B. Hodgsen, 24.01.1847, James Henry Hammond Papers, Perkins Library, Duke University. 442 Tagebucheintrag v. 14.02.1846, in: Bleser (Hg.), Secret & Sacred, 153. 443 Vgl. so ausdrücklich und mit Verweis auf die dann erfolgte Beilegung der Oregon-Krise Hammond an N. B. Tucker, 19.12.1846, Tucker Family Papers, Colonial Williamsburg Foundation. Vgl. Hammond an W. B. Hodgsen, 08.12.1846, 24.01.1847, James Henry Hammond Papers, Perkins Library, Duke University. Andererseits wandelte er sich aber
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nen Sorgen über die Politik Polks, die er auf einen Zweifrontenkrieg gegen Mexiko und Großbritannien hinauslaufen sah.444 Authentischer als von den streitbaren Bluffton-Veteranen, die nach wie vor Wert darauf legten, nicht als „blinde Gefolgsleute“445 des Meisters zu gelten, wurden diese Befürchtungen von einem anderen Zögling Calhouns artikuliert, der im Gegensatz zu Hammond dafür auch ein Mandat besaß: Robert M. T. Hunter. Zwar war der Virginier erst wenige Wochen vor seinem Auftritt im Kongress am 10. Januar 1846 auf einen passiven Kurs in der Oregon-Politik eingeschwenkt. Dennoch beschreiben seine Darlegungen über die Gebote von Legitimität und Ehre in den auswärtigen Beziehungen einen Zusammenhang, der für die südstaatliche Sicht auf die atlantische Welt äußerst aufschlussreich ist. Hunters Plädoyer für Mäßigung gegenüber Großbritannien war darauf angelegt, den Falken in Regierung und Kongress die Deutungshoheit über den Begriff der nationalen Ehre zu entreißen, den sie im Sinne des Manifest Destiny-Gedankens für eine rücksichtslose Expansion vereinnahmt hatten. Der exzeptionalistischen Tradition Jeffersons verpflichtet, hob sich die Union in seiner Vorstellung zwar einerseits von der restlichen Welt ab, war ihr andererseits aber doch zugehörig und auch Rechenschaft schuldig. Sollte der Kongress die seit Jahrzehnten gültige Verwaltungskonvention für Oregon einseitig aufkündigen und damit einen Krieg gegen England vom Zaun brechen, „the world will be apt to regard us as the aggressors“.446 Der Appell an die ethische Dimension der Außenpolitik klang aus Hunters Mund glaubwürdiger als aus Rhetts, weil er im Gegensatz zu dem Sezessionisten zwar eine spezifische – und sehr begrenzte – Vorstellung von der amerikanischen Nationalität hegte, sie aber nicht offen heraus ablehnte. Denn nur wer sich grundsätzlich zur Nation bekannte, konnte die Ethik ihrer inneren Staatsräson plausibel auf die Außenbühne übertragen und die Grenzen der Toleranz dort ziehen, wo „nationale Rechte und nationale Ehre“447 verletzt wurden. Während Robert Barnwell Rhett es nicht über sich gebracht hatte, einen gemeinsamen Ehrbegriff für Nord und Süd zu postulieren448,
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nicht zu einem Unionsnationalisten per se, sondern behielt sich das Sezessionsrecht des Südens in den 1850er Jahren vor. Vgl. Calhoun an James Buchanan, 30.08.145, in: Curtis, Life of James Buchanan, Bd. 1, 576–577, bes. 577. Vgl. zu Calhouns Befürchtungen auch Bartlett, John C. Calhoun, 330 f. Hammond an N. B. Tucker, 24.01.1847, Tucker Family Papers, Colonial Williamsburg Foundation. Congressional Globe, 29th Congress 1st Session, Appendix, 10.01.1846, 90. Hunter blieb dieser Linie treu, als er sich später für eine Mäßigung der Kriegsziele im Konflikt mit Mexiko aussprach. Vgl. ebd., 31st Congress 1st Session, 07.02.1848, 310, 311. Congressional Globe, 29th Congress 1st Session, Appendix, 10.01.1846, 92. In seiner Oregon-Rede vom 5. Januar 1846 hatte Rhett die Anklage erhoben, der Norden missbrauche den Begriff der Ehre für seine kriegslüsternen Motive und diskredi-
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scheute Hunter nicht vor der Feststellung zurück, dass die Wahrung der Nationalehre über allen anderen Fragen stehen müsse, sollte es durch eine inakzeptable Ehrverletzung je zum Casus belli kommen.449 Indem er die Ehre zu einem Legitimitätsprinzip der Staatenwelt erhob und sie zugleich von der Oregon-Problematik ablöste, steckte Hunter den Rahmen ab, den Calhoun am 16. März vor den vollbesetzten Rängen des Senats ausfüllen konnte. Der Senator aus South Carolina hatte der vorwaltenden Stimmung zur Ankündigung der Konventionsauflösung nachgegeben, die Vorlage aber mit einem Zusatz versehen, der die Regierung auf eine Kompromisslösung entlang des 49. Breitengrades festlegte, wofür er auf britischer Seite Zustimmung zu finden glaubte. Ausgehend von dieser Konzession, vermochte er seinem Publikum eindringlich darzulegen, dass der Krieg als eine Art „positive evil“ zwar bisweilen unvermeidlich und gerechtfertigt sei, der Frieden als „positive good“ aber grundsätzlich vorgezogen werden müsse.450 Calhoun stellte sich hier in eine Tradition republikanischen Denkens, das die Friedenspolitik zur eigentlichen Staatsräson erhob: „I am against war because peace – peace is pre-eminently our policy. There are nations in the world who may resort to war […]; but that nation is not ours.“451 Was Hunter grobmaschig entworfen hatte, konnte Calhoun nun rhetorisch in Stein meißeln: I cling to peace so long as it can be preserved consistently with the national safety and honor; and I am against war so long as it can be avoided without a sacrifice of either. I am opposed to war in this case, because neither of these exingencies exist: it may be, as I conceive, avoided without sacrificing either the national honor or the national safety.452
Nur wenige Monate später musste Calhoun zwar die bittere Lektion lernen, dass sich auch eine Republik dem Geist des Bellizismus verschreiben konnte und dass ausgerechnet das Heraufziehen eines anderen Krieges – des gegen Mexiko – dazu beitrug, den befürchteten Krieg gegen England zu vermeiden.453 Im Kontext seiner Senatsrede entfalteten diese Argumente aber erhebliche Wirkung, weil sie einen Waffengang wegen Oregon als ungerechtfertigt
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tiere zugleich die Ehrkultur des Südens: „It is not from the South that this cry of honor comes, else it would be denounced as extravagant and idle. […] There were gentlemen who joined in this outcry for war – war for honor – that would consider a man worthy of a felon’s death who would call to private combat a fellow citizen in such a quarrel like this. […] To kill in a duel, they would denounce as murderous; to wage a bloody and desolating war, they would call heroic.“ Congressional Globe, 29th Congress 1st Session, 05.01.1846, 142. Vgl. Congressional Record, 29th Congress 1st Session, Appendix, 10.01.1846, 92. Congressional Globe, 29th Congress 1st Session, 16.03.1846, 504. Ebd., 505. Zur Idee der amerikanischen Friedensgesellschaft als Gegenteil der europäischen Kriegsnation vgl. Hendrickson, Peace Pact. Congressional Globe, 29th Congress 1st Session, 16.03.1846, 504. Vgl. klassisch Singletary, Mexican War; Bauer, Mexican-American War. Vgl. neueren
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und damit als unehrenhaft, antirepublikanisch sowie als unamerikanisch stigmatisierten. Calhoun begnügte sich aber nicht damit, seinen Gegnern das Ehrargument für den Krieg zu entringen, sondern diagnostizierte auch eine pauschale Gefahr für die republikanische Integrität. Sicherlich um des dramaturgischen Effekts willens schilderte er einen Krieg gegen England als großen Flächenbrand: „[F]lames will be all around us; it will be a war on the Pacific and a war on the Atlantic; it will rage on every side, and fill the land.“ Dennoch ist aus seinen Prognosen, Indianer und Mexikaner würden für die Briten zu den Waffen greifen (schwarze Sklaven erwähnte er bezeichnenderweise nicht), eine authentische Sorge herauszulesen. Krieg, so räsonierte er in einer der stärksten Passagen seiner Rede, habe schwerwiegende Folgen für ein freies Volk: „[I]t works a social and political change in the people themselves, and in the character of their institutions.“454 Seit nunmehr fast zwanzig Jahren fürchtete Calhoun die Transformation der Union in eine „konsolidierte Republik“.455 Was er hier mit kalkuliertem rhetorischem Effekt gegen einen Oregon-Krieg ins Feld führte, hätte ihn andererseits sicher dazu bewogen, für die Annexion von Texas den Waffengang zu wagen, wäre Großbritannien mit einer interventionistischen oder gar abolitionistischen Politik offen hervorgetreten.456 Insofern lässt sich Calhouns Warnung vor einem englischen Krieg, der den Süden nicht festigen, sondern verwunden würde, als Chiffre für den großen amerikanischen Krieg begreifen, der gleichfalls Stürme der Veränderung heraufzubeschwören drohte, sollte der Süden nicht endlich die Parteiendifferenzen überwinden und sich zu einer Einheitsfront gegen den Norden zusammenschließen.457
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Datums Winders, Crisis in the Southwest. Zu Calhouns Opposition vgl. Schroeder, Mr. Polk’s War, 23 ff., sowie vor allem McPherson Lander, Reluctant Imperialists. Alle Zitate: Congressional Globe, 29th Congress 1st Session, 16.03.1846, 504 f. Ebd., 505. Seine kompromisslose Haltung in der Texas-Frage ließ sein Mäßigungsplädoyer mit Blick auf Oregon in einem zweifelhaften Licht erscheinen. Calhoun sprach dieses Glaubwürdigkeitsproblem zum Ende seiner Rede auch offen an: „I have been charged with having more inclination for the annexation of Texas than for the retention of Oregon; and it has been said that my partialities are strong for the South, but very weak in comparison for the North.“ Etwas gewunden flüchtete er sich in die Behauptung, er habe Texas nie als „particularly connected with the Southern States“ betrachtet, sondern als a „means of perfecting and consummating the Union of our great Western world. I never knew that Texas was confined to a southern latitude“. Congressional Globe, 29th Congress 1st Session, 16.03.1846, 505. Noch im Vorfeld der Annexion 1844 hatte er jedoch an Hunter geschrieben: „The idea that Texas will afford as many non holding States, as Slave holding is perfectly idle.“ Unter Heranziehung der Trennlinie zwischen Sklaven- und Freistaaten aus dem Missouri-Kompromiss kam er zu dem Schluss: „The part of Texas north of it is a small zone of worthless land.“ Calhoun an Hunter, 30.07.1844, in: Jameson (Hg.), Calhoun Correspondence, 602–603, hier 602. Zu diesem Ziel Calhouns vgl. Silbey, John C. Calhoun and the Limits of Southern Con-
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Wenn seine parteienkritische Einheitsvision das Auseinanderbrechen der Union auch nicht verhindern konnte, feierten die Zeitgenossen seine Friedensrede vom März 1846 doch als großen Erfolg458, und Calhoun konnte einige Tage später stolz verkünden, der Regierung eine Brücke für eine Teilungslösung geschlagen zu haben.459 Obwohl er sich nun mit Polk vollends überwarf und dessen berechnende Motive auch nach wie vor nicht wirklich verstand, zeigte er die Kompromissräume auf, in denen die Oregon-Krise schließlich beigelegt werden sollte.460 Nachdem die Aufkündigungsvorlage im April 1846 den Kongress passiert hatte, bewahrheitete sich Calhouns Vorhersage, dass London eher eine Verhandlungsoption wählen würde, als sich für den Krieg zu entscheiden. Innenpolitisch in der Diskussion um die Abschaffung der Kornzölle aufgerieben, verständigte sich die Peel-Regierung auf eine Territorialspaltung entlang der Linie des 49. Breitengrades, die auch von Aberdeens Nachfolger im Foreign Office, dem in amerikanischen Fragen oft intrasingenten Lord Palmerston, akzeptiert wurde. Sehr zum Verdruss des Friedensadvokaten Calhoun kam der im Juni 1846 ratifizierte Oregon-Vertrag für den Präsidenten gerade zur rechten Zeit, um wegen der texanischen Gebietsansprüche bis zum Rio Grande jenen Mexikanischen Krieg zu beginnen, der seine vorrangigen Expansionsziele – Kalifornien und den pazifischen Westen – grandios verwirklichte.461 Als der Abgeordnete David Wilmot aus Pennsylvania im August 1846 ein Sklavereiverbot in den neuen Südwesterritorien forderte und damit den Unmut der Nordstaaten-Demokraten über das „Einknicken“ Polks in der Oregon-Frage zum Ausdruck brachte, kündigte sich bereits an, dass sich die Republik mit der mexikanischen Zession gleichsam übernehmen würde.462 Durch die Verknüpfung der Sklavereifrage mit der Zukunft des Westens erhielten die Debatten der 1850er Jahre ihr Leitmotiv. Insofern war Calhoun letztlich doch mit dem Ver-
gressional Unity. 458 Vgl. Niven, John C. Calhoun and the Price of Union, 299. Vgl. die Rede als „one of the ablest speeches of his career“ bezeichnend auch Pletcher, Diplomacy of Annexation, 248. Vgl. ähnlich positiv im Urteil Rakestraw, Honor or Destiny, 156. 459 Vgl. Calhoun an Thomas G. Clemson, 23.03.1846, in: Jameson (Hg.), Calhoun Correspondence, 685–687, hier 686. 460 Zur Beilegung der Oregon-Krise vgl. Leonard, James K. Polk, 121; Bergeron, Presidency of James K. Polk, xiii, 134 f.; Sellers, Continentalist, 415. Vgl. kritisch gegenüber Polk Jones, Prologue to Manifest Destiny, 234; Rakestraw, Honor or Destiny, 2; Haynes, Expansionist Impulse, 194. 461 Vgl. dies herausstreichend Stephanson, Manifest Destiny, 36. Zur Fixierung Polks auf den Pazifik und die Integration der Oregon-Politik in diese Zielsetzung vgl. noch immer Graebner, Empire on the Pacific, bes. 103–123, 220 ff. 462 Zum Wilmot Proviso und der damit ausgelösten Kontroverse vgl. Morrison, Wilmot Proviso Controversy. Die Unzufriedenheit der Nord-Demokraten mit Polks Politik, die der Eingabe Wilmots zugrunde lag, wird konzise herausgearbeitet bei McPherson, Für die Freiheit sterben, 46 f.
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such gescheitert, in Oregon jene Dämonen wieder einzufangen, die er in Texas entfesselt hatte. Die Reflexionen und Standortbestimmungen der Südstaatler aus Virginia und South Carolina, die für die Außenpolitik der Antebellum- und der Bürgerkriegsära mitverantwortlich zeichneten, drehten sich in den 1840er Jahren vor allem um anglo-amerikanische Krisen. Abhängig von Herkunft und politischer Gesinnung, befleißigten sie sich dabei eher einer anglophoben oder anglophilen Sprache – einer Sprache der Konfrontation oder der Versöhnung. Bisweilen vermischten sie auch deren Dialekte und entlarvten so die Spannungen zwischen ihren konkurrierenden Englandbildern: Während der entwurzelte Virginia-Republikaner Rives im Webster-Ashburton-Vertrag seine Utopie einer geeinten Union zum Ausdruck brachte, funktionierte der jüngere States Rights-Whig Hunter als Sprachrohr Calhouns und gab dessen Vorgaben wieder, die für Texas unversöhnliche und für Oregon versöhnliche Töne vorsahen. Ebenso wie Hunter bewegten sich auch Hammond und Rhett außerhalb der Parteiendisziplin und stellten ihre Überlegungen ins Zeichen sektionaler Dogmen. Obwohl Hammond unionspolitisch auf einen Kurs der Mäßigung einschwenkte, sparte er in seinem Tagebuch nicht mit Radikalismen und galligen Bemerkungen über Engländer, Abolitionisten und Berufspolitiker. Die groteske Dimension der Territorialdebatten wird schließlich dadurch verdeutlicht, dass der Sezessionist Robert Barnwell Rhett mit Texas einen Hebel zur Zerstörung der Union umlegen wollte, Oregon hingegen für die Beschwörung ihrer republikanischen Tugenden heranzog, die er auf verquere Weise über einen primordialen Identitätsbezug zur ansonsten so verhassten englischen Gesellschaft illustrierte. In der enthemmten, von parteipolitischen Zwängen weitgehend losgelösten und auf den sektionalen Primat verpflichteten Perspektive der späteren Konföderationselite bündeln sich also jene folgenreichen Ungereimtheiten, Widersprüche und Ambivalenzen, die das Verhältnis der Südstaaten zur atlantischen Welt von 1861 bis 1865 bestimmen sollten. 4. PRÄGUNGEN: TIEFER SÜDEN Nichts entlarvt die irrealen Züge von Jeffersons Agrarromantik brutaler als die soziale Realität im Tiefen Süden. Der dritte US-Präsident hatte von einer harmonischen Zivilisierung der im Louisiana Purchase erworbenen Gebiete geträumt, in deren Weiten sich auch die Sklaverei gleichsam von selbst auflösen sollte. Tatsächlich aber wurde der Baumwollgürtel in einer Kette von Kriegen und Umwälzungen geformt, an deren Ende die Rassenknechtschaft so tief in der Gesellschaft festsaß, dass sie nur durch einen Bürgerkrieg herausgerissen werden konnte.
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Innerhalb der atlantischen Welt waren „Terror und Gewalt“463 die eigentlichen Geburtshelfer des Tiefen Südens: Santo Domingos Sklavenunruhen am Ausgang des 18. Jahrhunderts ebneten den Pflanzern im Küstenbecken Louisianas den Zugang zum nordamerikanischen Zuckermarkt, der bis dahin von der prosperierenden Karibikkolonie beherrscht worden war.464 Im „zweiten Unabhängigkeitskrieg“ gegen England mit seinem spektakulären Schlusspunkt in der Schlacht von New Orleans wurden nationalistische Energien freigesetzt, die das Zugehörigkeitsgefühl zur Union festigten. Zugleich dezimierten die Operationen Andrew Jacksons im Creek War von 1812 / 13 die eingeborenen Stämme und öffneten den Siedlungsraum für Tausende von Farmern aus dem Osten.465 Als Bindeglied zwischen dem Golf- und dem alten Atlantiksüden fiel dem östlich gelegenen Bundesstaat Georgia hierbei eine besondere Rolle zu. Obwohl er bereits zu den dreizehn ursprünglichen Kolonien gehört hatte, die sich 1776 gegen Englands Herrschaft erhoben, lassen sich Wirtschafts- und Sozialsystem eher dem Tiefen Süden zuschlagen.466 Mehr noch als die Politik war im Tiefen Süden nämlich die Wirtschaft das Schicksal. Der Aufstieg der britischen Textilindustrie erzeugte einen schier unersättlichen Bedarf an Rohbaumwolle, den die Golfregion dank ihrer Bodenfruchtbarkeit und ihres subtropischen Klimas zu decken verstand.467 Während der Aufschwungjahre zwischen 1790 und 1820 füllte sich der Baumwollgürtel mit zwangsverkauften Sklaven. Von den beinahe zweieinhalb Millionen Menschen, die beim Ausbruch des Bürgerkrieges die Golfregion bevölkerten, befand sich die Hälfte in lebenslanger Sklaverei; ein Drittel der südstaatlichen Sklaven lebte und arbeitete auf den Plantagen der Baumwollstaaten.468 Ähnlich wie in South Carolina erwuchsen diese Machtbeziehungen zu einem bestimmenden Moment der Lebenskultur, dem sich weder Sklavenhalter noch Versklavte entziehen konnten. Obwohl ungleich weniger bekannt als die späteren Aufstandsversuche Denmark Veseys in South Carolina und Nat 463 Rothman, Slave Country, 219. 464 Vgl. Fiehrer, Louisiana’s Caribbean Connection; Dessens, From Saint Domingue to Louisiana. Zur Sklavenrevolution auf Santo Domingo vgl. klassisch Genovese, From Rebellion to Revolution. Vgl. ferner Knight, Haitian Revolution. 465 Vgl. diesen Migrationprozess als identitätsstiftenden Faktor für den sklavenhaltenden Süden beschreibend Miller, South by Southwest. 466 Vgl. maßgeblich Coleman u.a., History of Georgia. Zur politischen Partikulartradition vgl. die frühe Arbeit von Phillips, Georgia and States Rights; Ware, Constitutional History of Georgia. Vgl. ferner DeBats, Elites and Masses; Carey, Parties, Slavery, and the Union in Antebellum Georgia. 467 Vgl. so für Mississippi Scarborough, Heartland of the Cotton Kingdom; Loewen / Sallis, Conflict and Change, 90. Zu den ökonomischen Grundlagen vgl. auch kompakt Johnson, Early American Republic, 89 ff. 468 Vgl. Rothman, Slave Country, 220. Zur Verwurzelung der Sklaverei im Tiefen Süden vgl. auch Berlin, Generations of Captivity, 140–157.
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Turners in Virginia, wurde das Tiefland Louisianas bereits 1811 von der größten Rebellion der amerikanischen Geschichte erschüttert, als fast dreihundert Sklaven die Zuckerplantagen entlang des Mississippi-Ufers verwüsteten, bevor eine Miliz den Aufstand niederschlug.469 Dass die Unruhen begrenzt blieben, war vor allem der Präsenz des USMilitärs geschuldet, das die Südwestgrenze der Republik und ihr strategisches Einfallstor New Orleans bewachte. Mit Begeisterung begrüßten die meisten Pflanzer daher im Jahre 1812 den Ausbruch des Krieges gegen Großbritannien, von dem sie sich nicht nur das Ende von Exportrestriktionen für ihre Baumwolle, sondern auch die Bestätigung ihrer Unabhängigkeit versprachen.470 Für diese Ziele überwanden sie die von den frischen Erinnerungen geschürten Bedenken, Sklaven und Indianer könnten sich in einer Neuauflage ihrer Bündnisse aus dem Revolutionskrieg mit den gegnerischen Briten verbünden.471 Der Schutz durch die amerikanischen Waffen sowie die in den Kriegsjahren vollzogene Vertreibung der Indianer stabilisierte die Zwangsarbeit unter dem Dach der Union. Ganz im Sinne der traditionellen Dialektik des Südens, in der die (schwarze) Sklaverei die (weiße) Freiheit garantierte, versahen sich die Golfstaaten mit einem für damalige Verhältnisse recht demokratischen Anstrich. Zwar sicherte die kreolische Pflanzerschicht im altbesiedelten Louisiana ihre Macht beim Übergang in die Republik 1812 weitgehend ab und bewahrte damit eine Fülle von Ungleichheiten. Die Verfassungen der aus dem Mississippi-Territorium herausgeschnittenen Staaten Mississippi und Alabama von 1817 und 1819 wurden jedoch einige Jahre später revidiert und verfügten nun das allgemeine Wahlrecht für männliche Weiße, die Abschaffung der Besitzstandsqualifikation zur Ausübung politischer Ämter sowie eine ausgewogene Bezirksrepräsentation.472 Louisiana zog 1845 mit einer kontrovers verhandelten Verfassungsreform nach.473 Abgesehen von Louisiana mit seinen komplizierten französisch-angelsächsischen Kultureinflüssen474 setzte sich der Baumwollgürtel aus vergleichsweise neuen Siedlergesellschaften zusammen. Es verwundert auch 469 Zur Sklavenrebellion im Louisiana-Territorium von 1811 liegt keine monographische Abhandlung vor. Vgl. aber Dorman, Persistent Specter, sowie Dillon, Slavery Attacked, 73 f. 470 Vgl. Rothman, Slave Country, 120. 471 Zur Unterstützung der Briten durch die Indianer im Unabhängigkeitskrieg vgl. Merrel, Indians and the new republic, 392 f. 472 Zu Alabama vgl. Rogers u.a., Alabama; Thornton, Politics and Power in a Slave Society. Zur Verfassungsgebung in Mississippi vgl. Fortune, Formative Period; Skates, Mississippi, 77 f., 87. Zur sozioökonomischen Entwicklung vgl. Moore, Emergence of the Cotton Kingdom. Über die Zäsur des Bürgerkriegs hinaus interessiert ist Bond, Political Culture in the Nineteenth-Century South. Zur Ehrkultur vgl. Olsen, Political Culture and Secession in Mississippi. 473 Vgl. Sacher, Perfect War of Politics, 109–116. 474 Vgl. Tregle, Louisiana in the Age of Jackson, 23–42.
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kaum, dass die nationalen Themen nicht umstandslos dort aufgegriffen wurden, wo lokale Belange eine Politik beherrschten, die viel eher von Personen und Machtrivalitäten als von Programmdebatten gekennzeichnet war.475 Erst nach der Präsidentschaftswahl von 1824, als Jackson das Weiße Haus John Quincy Adams überlassen musste, wurde intensiver über bundespolitische Themen diskutiert und allmählich die Formierung organisierter Parteien in Gang gesetzt. Kaum dass sich das Parteiensystem im Tiefen Süden durchgesetzt hatte, wurde seine Elastizität durch die Territorialkrisen der 1840er und 1850er Jahre überstrapaziert. Die Fragmente der zerstörten Parteienlandschaft gingen in eine streng sektionale Southern Rights-Strömung über. Bereits der Wettbewerb zwischen Whigs und Demokraten hatte im Baumwollgürtel auf einem besonderen sektionalen Konsens beruht. Im Oberen Süden, nicht zuletzt in Virginia, tendierten die Whigs zu einer sklavereikritischen Haltung. In South Carolina, wo kein öffentlicher Zweifel an der Sklaverei geduldet wurde, brach die Zweiparteienstruktur zusammen, nachdem die Calhouniten die örtliche Whig-Partei zerstört hatten. In den Golfstaaten hingegen konnten sich die Parteipolitiker erst gar nicht über jene heiklen Themen streiten, die das Selbstverständnis des Südens betrafen, besonders nicht über die Sklaverei.476 So sehr sie das England ihrer Tage auch hassten und fürchteten, so wenig konnten sich aristokratisch gesinnte Ostküstensüdstaatler der Faszination romantischer Englandbilder entziehen, welche die Wunden ihres krisengeschüttelten Selbstbewusstseins mit Vorstellungen feudaler Würde und chevaleresker Tollkühnheit linderten. Von James Henry Hammond wird gar berichtet, er sei außer sich vor Wut gewesen, als ihm ein eigens engagierter Ahnenforscher aus London mitteilte, dass er nicht dem altenglischen Adel, sondern einer mittleren Kaufmannsfamilie entstammte.477 Aufs Ganze gesehen, ergibt sich für den Tiefen Süden ein abgewandeltes Bild. Es waren vor allem Grenzfarmer walisisch-schottischer Herkunft, wie die Eltern des späteren Konföderationspräsidenten Jefferson Davis, Samuel Emory Davis und Jane Crook478, die im ersten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts in das Louisiana-Territorium einwanderten. Ihr ausgeprägter Traditions- und Vergangenheitsstolz verband sich gerade nicht mit nostalgischer Englandromantik, sondern speiste sich aus anglophoben Quellen. So begriffen sie das rigorose Unabhängigkeitsideal, wie es das gefährliche Leben an der damals noch ungesicherten Südwest-Frontier hervorbrachte, als Erbe jahrhunderte-
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Vgl. Coleman u.a., History of Georgia, 129 f. Vgl. MacCormick, Second Party System, 294. Vgl. Faust, James Henry Hammond, 327. Zur Genealogie der Davis-Familie vgl. Genealogy of Jefferson Davis, in: Monroe / McIntosh (Hg.), Papers of Jefferson Davis, Bd. 1, 509–530.
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langer Resistenz gegen englische Eroberung und Okkupation.479 Sozialisiert mit einer tiefen Skepsis, ja einem Hass auf alles Englische, verfielen sie einem nationalistischen Taumel, als Jackson im Jahre 1815 die britischen Angreifer von den Südufern des Mississippi zurückschlug.480 Das anglophobe Denken bildete ein konstitutives Element für die Unionsloyalität in den jungen Siedlergesellschaften des Baumwollsüdens. Der Krieg von 1812 hatte mit Andrew Jackson einen zweiten George Washington hervorgebracht, der als nationale Heroengestalt verehrt wurde und dessen Name mythologisch behaftet blieb, obwohl sich seine interventionistische Präsidentschaft mit dem gängigen Partikularprimat kaum vereinbaren ließ.481 In diesem Milieu wurden die maßgeblichen Kabinettsmitglieder und Diplomaten der Konföderation sozialisiert. Nicht zuletzt aus Proporzgründen, welche die Machtverhältnisse zum Zeitpunkt der Sezession widerspiegeln, entstammten sie jeweils den verschiedenen Staaten des südwestlichen Baumwollgürtels: Robert Toombs aus Georgia, William Lowndes Yancey aus Alabama, Jefferson Davis aus Mississippi und Judah Philip Benjamin aus Louisiana. Toombs, Yancey und Davis – erster Außenminister, erster Englandgesandter sowie erster und einziger Präsident des Südens von 1861 bis 1865 – lösten sich fast zeitgleich aus der Staatenpolitik und betraten um 1844 / 45 die bundespolitische Sphäre. Aus dem engeren Kreise der Konföderationselite rückte nur Judah P. Benjamin nach 1850 auf den Washingtoner Kapitolhügel nach. Mit Ausnahme Benjamins, der in vielerlei Hinsicht eine Persönlichkeit sui generis darstellt, sammelte kaum einer dieser zwischen 1808 und 1814 geborenen, im Baumwollgürtel verwurzelten Südstaatler persönliche Eindrücke im Ausland.482 Politisch sozialisiert in einer sich rasant entwickelnden Frontier-Gesellschaft, erschließen sich ihre frühen Englandbilder vornehmlich im Kontext innerstaatlicher Auseinandersetzungen. Anders als im Falle der Englandkenner aus Virginia und South Carolina fehlen bei den aufstre479 Vgl. Wyatt-Brown, Southern Honor, 38. Bertram Wyatt-Brown unterstreicht die Persistenz kultureller Prägungen von schottischen und vor allem irischen Einwanderern, auch wenn ihre Loyalitäten schnell in dem südstaatlich-amerikanischen Gemeinschaftsgefühl aufgingen. Obwohl Vorsicht vor diesbezüglichen Pauschalurteilen geboten ist, deckt sich dieser Befund mit regionalhistorischen Forschungen, die bereits für die Grenzgebiete der Kolonialzeit von rauen Individualgesellschaften ausgehen, in denen sich ethnisch-kulturelle Spezifika der Alten Welt bewahrt hätten. Vgl. so am deutlichsten formuliert bei Fischer, Albion’s Seed. Vgl. explizit ein keltisches Kulturerbe im Südwesten postulierend McWhiney, Cracker Culture. Vgl. dazu im historiographischen Kontext Zuckerman, Regionalism, 321. 480 Zum Jackson-Kult im Tiefen Süden vgl. Buchanan, Jackson’s Way. 481 Zur Anglophobie als Katalysator des amerikanischen Nationalismus nach 1815 vgl. Zuehlke, For Honor’s Sake, 382 f. 482 Vgl. am Beispiel von Jefferson Davis den Provinzialismus der Südstaatler aus dieser Region konstatierend Johnson, History of the American People, 542.
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benden Politikern des Tiefen Südens die privaten Reisezeugnisse, aus denen sich authentische Erlebnisse in der Alten Welt rekonstruieren lassen. Daher müssen die anglophilen oder anglophoben Bezüge ihres Denkens zunächst im regionalen Kontext ermittelt werden. Von der regionalen auf die nationale Ebene wechselnd, hatten Robert Toombs, William L. Yancey und Jefferson Davis ihre Englandbilder anhand der Oregon-Frage zu erläutern. Neben den inhaltlichen Positionen sind vor allem der Stil und die rhetorischen Strategien zu beachten, mit denen sie ihre Haltung zu legitimieren trachteten. Gemeinsam mit den Nationalisten und Partikularisten aus Virginia und South Carolina – mit William Cabell Rives und Andrew Stevenson, Robert M. T. Hunter und James Murray Mason, Robert Barnwell Rhett und James Henry Hammond – rundet dieser Kreis den Personenzirkel ab, der die Außenpolitik in der Antebellum-Zeit mitbestimmte und sodann versuchte, eine unabhängige Südstaaten-Nation unter den Nationen der atlantischen Welt diplomatisch zu etablieren. Georgia: Robert Toombs Im Staate Georgia überschnitten sich der alte Atlantiksüden und der Baumwollgürtel nicht nur geographisch, sondern auch historisch. Zur Zeit der Amerikanischen Revolution noch immer eine dünnbesiedelte Grenzkolonie, war Georgia im 18. Jahrhundert vor allem auch bei der flächendeckenden Einführung der Sklaverei dem übermächtigen Einfluss South Carolinas ausgesetzt gewesen.483 Während der Antebellum-Jahrzehnte profitierte es jedoch vom Aufschwung des Südwestens und ließ den Nachbarn sowohl ökonomisch als auch demographisch hinter sich.484 Baumwolle und Sklaven verknüpften Georgia mit den Golfküstenstaaten, und es ist bezeichnend, dass Andrew Jacksons Indianerfeldzüge von 1813 bis 1815 neben Alabama auch das südliche Georgia den eingeborenen Creeks entrissen. Anders als in South Carolina kam es in dieser White Men’s Democracy zu einer ausgewogenen Konkurrenz zwischen Whigs und Demokraten.485 Während sich die Demokratische Partei aus dem Jackson-Unionismus der 1830er Jahre entwickelte und ihre Wählerschaft vor allem in Grenzbezirken und rückständigen Regionen fand, setzten sich die Georgia-Whigs aus den Elementen der States Rights-Opposition gegen den föderalen Geltungsanspruch zusammen. Grob gesprochen, rekrutierten sie ihre Anhänger und ihr
483 Vgl. dazu umfassend Wood, Slavery in Colonial Georgia. 484 Vgl. im Überblick Edgar, South Carolina, 275–277, bes. 277, Tabelle 13.1. 485 Zur Typologie der Parteien in Georgia vgl. Coleman u.a., History of Georgia, 135 f.; DeBats, Elites and Masses, 15–85.; Carey, Parties, Slavery, and the Union in Georgia, 119 ff. Vgl. Georgia als „White Men’s Democracy“ kategorisierend ebd., 1–19.
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Alexander H. Stephens (1812–1883)
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Robert Augustus Toombs (1810–1885)
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Personal aus wohlhabenden Plantagenbezirken und Handelszentren.486 Exemplarisch für die Vitalität der Partei in Georgia stehen ihre beiden herausragenden Vertreter, die sich so sehr voneinander unterschieden, dass es verwundert, wie eng sie persönlich und politisch zusammenfanden: Alexander Stephens und Robert Toombs.487 Streng genommen lassen sich die Karrieren von Stephens und Toombs kaum separat schildern, beruhte ihre Allianz doch auf einer ebenso intimen wie turbulenten Freundschaft, die in den Jahren vor dem Bürgerkrieg geschichtsmächtig wurde und in einem pointierten Wortspiel als „Union That Shaped the Confederacy“ bezeichnet worden ist.488 Stephens und Toombs waren ein unlikely couple. Stephens, Sohn eines Schulmeisters aus dem ländlichen Georgia, der zeitlebens kaum über hundert Pfund wog und unter periodischen Depressionsanfällen litt489, erschien als das glatte Gegenteil von Toombs, dessen „großer Kopf mit kräftigen Zügen […] auf einem massigen Körper“ saß und der sein Publikum mit „elastische[r] Kampfeslust“ zu unterhalten verstand.490 Für die Geschicke des Südens nach 1861 gewannen beide unterschiedliche Bedeutung: Der zögernde Unionist Stephens bekannte sich erst spät zur südstaatlichen Unabhängigkeit und überwarf sich als Vizepräsident heillos mit dem autoritätsbewussten Jefferson Davis, woraufhin er den formalen Rahmen seines Amtes nutzte und sich weitgehend ins Privatleben zurückzog.491 Toombs hingegen, auf dem Gründungskonvent der Konföderation in Montgomery selbst als Präsidentschaftsanwärter gehandelt, wurde im Frühjahr 1861 mit dem Posten des südstaatlichen Chefdiplomaten vertröstet. Für einige turbulente Monate, als die Haltung der Staatenwelt zum eskalierenden Konflikt in Amerika noch im Fluss war, zeichnete dieser impulsive Politiker und Pflanzer aus Georgia für die Außenpolitik verantwortlich. 486 Zu den Whigs in Georgia vgl. noch immer Murray, Whig Party in Georgia. Vgl. auch Ware, Constitutional History of Georgia, 109. 487 Für Toombs liegt eine alte, in apologetischer Tendenz vom frühen Nestor der Südstaaten-Historiographie Ulrich B. Phillips verfasste Biographie vor. Vgl. Phillips, Life of Robert Toombs. Vgl. ausgewogener Thompson, Robert Toombs of Georgia. Die neueste Darstellung ist eine Studie über die Verbindung zwischen Toombs und Stephens. Vgl. Davis, Union That Shaped the Confederacy. 488 Vgl. Davis, Union That Shaped the Confederacy. Zu Stephens vgl. Schott, Alexander Stephens. 489 Für eine behutsame Charakterisierung der komplexen Persönlichkeitsstruktur Stephens’ vgl. Howe, Political Culture of the American Whigs, 239 ff. Zu den Gebrechen vgl. Abrahamson, Men of Secession and Civil War, 91 f. 490 Schurz, Lebenserinnerungen, Bd. 2, 27. 491 Stephens’ Bedeutung in der Antebellum-Zeit kann somit rückblickend höher veranschlagt werden als die Vizepräsidentschaft in der Konföderation, vor allem im Hinblick auf außenpolitische Fragen. Im Folgenden findet er vor allem als Bundesgenosse (und späterer Gegner) von Toombs Erwähnung. Für die Jahre 1861 bis 1865 wird sein Wirken jedoch ausgeklammert.
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Mit Toombs wird das Personenspektrum der konföderierten Staatselite um einen impulsiven, „kriegerischen Thypus“492 ergänzt. Erscheinen selbst Rhett oder Hammond in ihrer Radikalität oft kühl kalkulierend, so verwirrt im Falle von Toombs eine spezifische Unstetigkeit, die mit seinem schwankenden Verhältnis zur Union korrespondierte und es nicht einfach macht, die Evolution seines (außen-)politischen Denkens in der Vorkriegszeit nachzuvollziehen. 1810 als Sohn eines aus Virginia eingewanderten ehemaligen Revolutionsoffiziers geboren, der mit Baumwolle und Sklavenarbeit in Georgia ein moderates Vermögen gemacht hatte, brach seine aufbrausende Persönlichkeit frühzeitig durch. Einerseits zeichnet er sich damit als Paradebeispiel der südstaatlichen Kulturgebote von Unabhängigkeit und Ehre aus, andererseits produzierte er aber auch Reibungskonflikte in einer von hierarchischen Konventionen durchzogenen Gesellschaft. So wurde er nach wiederholten Regelverstößen im Jahre 1828 des Franklin College in Athens verwiesen und sah sich gezwungen, seine humanistische Ausbildung in New York zu beenden, woran er noch weitere Rechtsstudien an der renommierten Universität von Virginia anschloss.493 Seine extrovertierten Charakterzüge sowie seine tiefsitzende Abneigung gegen Vorschriften und Unterordnung ließen ihn jedoch nie zu höheren akademischen Weihen gelangen.494 Toombs’ Anfänge in der Politik fielen in die Zeit der bewegten Debatten um Andrew Jacksons Präsidentschaft und die Wirtschaftskrise von 1837. Sozialisiert als treuer Jackson-Demokrat, hatte der junge Anwalt noch für eine zweite Amtszeit des Präsidenten votiert, war über den Eklat der Annullierungskrise jedoch zu einer regierungskritischen States Rights-Haltung gelangt.495 Anders als sein Studienfreund Robert M. T. Hunter blieb Toombs auf Distanz zu Calhoun, dessen anti-protektionistischen Forderungen er ablehnend gegenüberstand. Bemerkenswert ist, dass er die den Jackson-Demokraten so verhasste Nationalbank favorisierte und den Bundesprimat des Präsidenten anprangerte.496 1840 schließlich stieß er zu den Whigs, die in ihrer südstaatlichen Ausformung als Cotton Whigs sowohl seinem States RightsDenken als auch seinen Vorstellungen von einer konservativen Fiskalpolitik entsprachen.
492 Schurz, Lebenserinnerungen, Bd. 2, 27. 493 Vgl. Phillips, Life of Robert Toombs, 12 ff. Auf dem Campus der von Thomas Jefferson gestifteten University of Virginia schloss er mit dem Kommilitonen Robert M. T. Hunter Freundschaft, der ihm über dreißig Jahre später ins konföderierte Außenministerium nachfolgen sollte. 494 Davis, Union That Shaped the Confederacy, 26. 495 Zur States Rights-Bewegung in Georgia und ihrem Einfluss auf die lokalen Whigs vgl. Phillips, Georgia and States Rights, 143 f.; Coulter, Nullification Movement in Georgia. 496 Vgl. Davis, Union that Shaped the Confederacy, 30, 32.
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1844 wurde Toombs in den Kongress gewählt, obwohl er mit seinen moderat-protektionistischen Positionen in der Zollpolitik und seiner expansionskritischen Haltung in der Texas-Frage keineswegs populäre Überzeugungen vertrat. Insbesondere seine Befürchtung, dass die Annexion die südstaatlichen Whigs zu zersprengen drohte, ließ sich öffentlich kaum kommunizieren, wollte er nicht als Parteipolitiker gelten, der die Belange der Nation engstirnigen Partikularinteressen unterordnete.497 Zugleich untersagte seine harte States Rights-Linie Kongressinterventionen in die inneren Verhältnisse der Staaten und verschloss somit die Tür für die erprobten Grenzkompromisse, wie sie bereits aus der Missouri-Krise von 1819 / 20 bekannt waren.498 Solche Erwägungen legten ihn in der Territorialpolitik auf eine defensive Status Quo-Position fest. Kaum, dass Toombs und sein Intimus Stephens ihre Sitze im Repräsentantenhaus eingenommen hatten, gerieten sie in den Strudel der Redeschlachten um die großen Fragen der Expansion im Nordwesten, die sich durch die ersten Wochen des im Dezember 1845 zusammengetretenen Kongresses zogen. Toombs’ Stellungnahmen sind von Interesse, da sie nicht nur sein negatives Englandbild illustrieren, sondern auch Aufschluss über sein schwankendes Verhältnis zur Unionsnationalität geben. Die Aggressivität, mit welcher der frischgebackene Abgeordnete das Wort ergriff, erinnert an den jungen James Henry Hammond des Jahres 1836, der den Kongress mit seinem Verbotsantrag für abolitionistische Petitionen ins Chaos gestürzt hatte. Anders als im Falle des kompromisslos radikalen Debütanten aus South Carolina markierte Toombs mit seinen Einlassungen zur Oregon-Frage aber keine eindeutige Position. So kann nicht die Rede davon sein, dass er in einer großen Friedenspose auftrat und Präsident Polks 54–40-Parole rundheraus ablehnte.499 Ganz im Gegenteil plädierte er für die Aufkündigung der anglo-amerikanischen Gebietsverwaltung, verlangte stürmisch nach einer dynamischen Politik und sprach sich gegen die passive Linie Calhouns aus.500 Ein klares Bekenntnis zur Maximalgrenze entlang des 54. Breitengrades, wie Polk es in seiner Kongressbotschaft vom Dezember 1845 vorgelegt hatte, mochte er zwar nicht abgeben. Dennoch schätzte er die 497 Vgl. Toombs an Stephens, 16.02.1845, in: Phillips (Hg.), Correspondence of Toombs, Stephens, and Cobb, 63–65, hier 64. Toombs’ Skepsis entsprang nicht etwa Toleranz gegenüber dem Norden. Er erkannte auch durchaus den Wert, den ein weiterer Sklavenstaat innerhalb der Union für den Süden besitzen musste. Deutlicher als den Expansionisten um Calhoun war ihm aber der Konnex zwischen Texas und dem möglichen Ausbruch eines Krieges gegen Mexiko bewusst, den er zu verhindern wünschte und später auch beharrlich ablehnte. 498 Vgl. Toombs an Stephens, 24.01.1845, in: ebd., 60–61, hier 61 f. 499 Vgl. so indes Davis, Union That Shaped the Confederacy, 39. 500 Vgl. Congressional Globe, 29th Congress 1st Session, Appendix, 12.01.1846, 131–133, hier 131.
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amerikanischen Ansprüche fundierter ein als die Englands und bezeichnete eine Teilung am 49. Breitengrad als Erfordernis der nationalen Ehre.501 Hierdurch machte sich Toombs eine dezidiert nationale Perspektive zu eigen, sprach gar davon, dass „America ought to belong to the Americans“, und dass er von den anti-britischen Einlassungen seiner Kollegen zwar Abstand nähme, ihre Motive jedoch ehre und respektiere: „They are national – American.“502 In seiner ersten großen Selbstdarstellung im Kongress beschrieb er seine Unionsloyalität durchweg in anglophoben Metaphern. Er entwarf die Republik als Gegenmodell zu den Gesellschaften der Alten Welt, leugnete die verbindenden Traditionen zwischen den Kontinenten oder erkannte sie nur dort an, wo sie über eine negative Folie sinnstiftend wirkten: It [die Union, H. L.] has achieved the glorious victory of equality: but it has neither forgotten its oppression nor its oppressors. It is this human voice, thus elevated, stimulated by these recollections of its wrongs, its sufferings, and its deliverance, which is ever struggling […] to hurl back across the ocean wave its stern defiance to its ancient suppressors.503
Das Pathos dieser dramatisch inszenierten Englandanklage schien die Verlässlichkeit seiner nationalen Haltung in der Oregon-Frage zu unterstreichen. Umso erstaunlicher muten seine privaten Äußerungen zu ihrer sektionalen Dimension an, die weite Teile seines Kongressauftrittes als aufgesetzte Pose entlarven. Umstandslos prognostizierte er in einem nur wenige Wochen später verfassten Brief an den Georgia-Whig George Crawford, dass ein aggressives Auftreten zu einer Kompromissteilung entlang des 49. Breitengrades führen würde.504 Eine solche Beilegung der lästigen, aus südstaatlicher Sicht kaum Erfolg versprechenden Krise konnte ihm gar nicht schnell genug zustande kommen: „I don’t [care] a fig about any of Oregon, and would gladly get rid of the controversy by giving it to anybody else but the British if I could with honor.“ Typisch für die Prioritäten des Tiefen Südens begründete er seine Haltung mit den Argumenten eines sklavenhaltenden Whig: „The country is too large now, and I don’t want a foot of Oregon or an acre of any other country, especially without ‚niggers’.“505
501 Zur Relativierung der Maximalforderung und der Geringschätzung des englischen Rechtsanspruches auf Oregon vgl. ebd., 132. 502 Ebd., 133. 503 Congressional Globe, 29th Congress 1st Session, Appendix, 12.01.1846, 133. 504 Vgl. Toombs an George W. Crawford, 06.02.1846, in: Phillips (Hg.), Correspondence of Toombs, Stephens, and Cobb, 72–75. Sowohl Toombs als auch Stephens stimmten allerdings schließlich gegen die Aufkündigungsresolution, da sie fürchteten, Polk könne den Bogen überspannen und einen Krieg herbeiführen. Vgl. Schott, Alexander Stephens, 69. 505 Toombs an George W. Crawford, 06.02.1846, in: Phillips (Hg.), Correspondence of Toombs, Stephens, and Cobb, 72–75, hier 74 (Hervorhebung im Original).
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Hatte er sich im Kongress noch als moderat-nationaler Expansionist profiliert, so ging es ihm in Wirklichkeit um eine reine Schadensbegrenzung für die Sklavenstaaten. Als authentische Verbindung zwischen diesen so unterschiedlichen Standpunkten erscheinen einzig seine Anglophobie und seine Negativassoziationen der Alten Welt. Darin trafen sich Toombs’ Bedenken mit jenen der Calhouniten, die sich ebenfalls gegen die Unionserweiterung um sklavenfreies Territorium sträubten. Zudem fiel er lauthals in ihre Klagen über den Mexikanischen Krieg ein506 und mahnte im Zusammenhang mit dem Wilmot Proviso sogar drohend an, dass der Süden entweder auf der Basis absoluter Gleichberechtigung oder überhaupt nicht in der Union verbleiben würde.507 Obwohl sich Toombs hier in die streng sektionale Abstimmungsfront von Süd-Whigs und Süd-Demokraten einreihte508, stand er mit seinem Wunsch, zugunsten der inneren Stabilität auf jede Expansion zu verzichten, dem nationalen Mehrheitslager der Whig-Partei näher als den Unionsskeptikern um Calhoun, die ihre Territorialphilosophie im Falle von Texas sehr offensiv ausgelegt hatten.509 Aber auch in dem Beharren auf einer moderat protektionistischen Zollpolitik, die nach seinem Dafürhalten die Abhängigkeit der amerikanischen Exportwirtschaft von der verarbeitenden Industrie Großbritanniens lockern würde, hielt er Abstand zu den States Rights-Demokraten. Einmal abgesehen davon, dass er als Georgia-Whig selbstverständlich vom Vorrang der Einzelstaatenrechte ausging, wurde Toombs kaum von den Fragen umgetrieben, die den älteren Südstaatler John C. Calhoun beschäftigten, nämlich wie sich Jeffersons republikanisches Erbe unter den Bedingungen einer dynamischen Marktgesellschaft erhalten ließ.510 Während Calhoun und sein Adlatus Hunter die Antwort hierauf im Freihandelsliberalismus fanden, rief Toombs zum Schutze heimischer Industrien unbefangen nach der regulierenden Hand des Staates. Schon seit Mitte der 1840er Jahre lassen sich bei Toombs isolationistische bzw. protektionistische Positionen in der Außen- und Wirtschaftspolitik nachweisen. Sein Verhältnis zur Union blieb ambivalent und unbestimmt, keineswegs aber überskeptisch oder per se feindlich. Ein zukunftsfroher Manifest Destiny-Expansionist war er sicherlich nicht, eher ein verunsicherter Südstaaten-Unionist, der die Kernpunkte seiner sektional definierten Nationalitätsvorstellung vornehmlich aus anglophoben Bezügen definierte. Gemeinsam mit Judah P. Benjamin mag Toombs als rätselhafteste Figur unter den späteren Konföderationspolitikern gelten. Während seiner stürmischen Vgl. Congressional Globe, 30th Congress 1st Session, 21.12.1846, 61. Vgl. ebd., 29th Congress 2nd Session, 08.01.1847, 140–142, hier 142. Zum sektionalen Streit um das Wilmot Proviso vgl. Silbey, Shrine of Party, 89 f. Vgl. Toombs an Stephens, 16.02.1845, in: Phillips (Hg.), Correspondence of Toombs, Stephens, and Cobb, 63–65, hier 64. 510 Vgl. dazu Ford, Political Economy of John C. Calhoun, bes. 406 f., 413 f.
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Anfänge in Washington erschien seine Entwicklung zum Partikularisten oder Nationalisten, zum Sezessionisten oder Unionsbewahrer noch offen, und tatsächlich sollte er nach seinem Sprung auf einen Senatssitz für Georgia 1853 immer wieder zwischen diesen Polen hin- und herschwanken. Auch sein Blick auf England oszillierte zwischen romantisch-historischer Verklärung und anglophobem Ressentiment – ein Spannungsverhältnis, das 1855 während einer Reise über den Ozean zum Ausdruck kam. Die überlieferten Zeugnisse deuten darauf hin, dass sich in seiner Gedankenwelt bis zum Zeitpunkt der Atlantikfahrt im Sommer 1855 ein extrem negatives, ja feindseliges Englandbild verfestigt hatte. Angesichts der großen Krisen seiner Zeit assoziierte er die englische Macht immer dogmatischer mit den Kampagnen gegen die Sklaverei. Zwei Jahre zuvor hatte er vor den Mitgliedern der Few- und Phi Gamma-Gesellschaften am Emory College in einer Grundsatzrede zur Sklavenfrage Stellung bezogen.511 Konzipiert für ein Publikum südstaatlicher Intellektueller, zogen seine Einlassungen die politischen, sozialen und ideologischen Aspekte der Sklavereiapologie zu einem programmatischen Bekenntnis zusammen, das zugleich einen erhellenden Blick auf sein Englandbild erlaubt.512 Eingangs dramatisierte Toombs die Lage der Sklaverei mit der Behauptung, der Süden müsse sich vor einem Tribunal amerikanischer und englischer Abolitionisten verteidigen, das dem Tenor einer aufgepeitschten Weltöffentlichkeit entspreche und weder Staatsgrenzen noch Rechtsgarantien respektiere.513 Die beißenden Passagen seiner Kritik richteten sich aber vornehm511 Vgl. Toombs, Slavery in the United States; its consistency with Republican Institutions, and its effect upon the Slave and Society. An Oration, delivered before the Few and Phi Gamma Societies, of Emory College, at Oxford, Augusta / Georgia, Juli 1853. Auf Anfrage des Correspondence Comittee der Few Society wurde Toombs’ Rede kurz darauf publiziert. Vgl. W. H. Hill u.a. an Robert Toombs, 20.07.1853, ebd., 4; Robert Toombs an W. H. Hill u.a., 20.07.1853, ebd. 512 Im Jahre 1856 (also nach seiner Europareise) hielt Toombs einen vergleichbaren Vortrag im baptistischen Tremont Temple zu Boston. Während der letzte Teil des Skripts – die weltanschauliche und soziale Apologie der Sklaverei – im Wesentlichen gleich geblieben ist, wurde der Anfang, der die Reflexionen über die englische Politik enthält, für das zweite Referat durch eine ausführliche Passage über die verfassungsrechtliche Legitimität der Sklaverei ersetzt. Diese neue Akzentsetzung dürfte aber weniger mit einem gewandelten Englandbild Toombs’ zusammenhängen, sondern sich durch seine Intention erklären, einem sklavereifeindlichen Neuenglandpublikum den Schutz der Institution durch die Bundesverfassung in Erinnerung zu rufen. In diesem Sinne vermerkte er spitzzüngig einige Tage später, er sei in Boston gewesen, „to lecture the Yankees“. Toombs an Thomas W. Thomas, 09.02.1856, in: Phillips, Correspondence of Toombs, Stephens, and Cobb, 359–361, hier 359. Vgl. Toombs, Slavery in the United States – its relation to the Federal Constitution, and its influence on the well-being of the Slavery and Society. A Lecture, delivered in the Tremont Temple, Boston, Massachusetts, on the 26th January, 1856. 513 Vgl. Toombs, Slavery in the United States (1853), 5.
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lich gegen die britische Regierung, die sich seiner Ansicht nach mit machiavellistischer Verstellungskunst an den Zeitgeist anpasste: „She joins in this crusade under the cry of Religion, Humanity and Liberty, while her whole history proves that she has never, in her public policy, had the slightest regard for either.“514 Hiervon ausgehend, entfaltete Toombs ein Panorama negativer Englandbilder, die sowohl bei der Anglophobie Thomas Jeffersons als auch beim sozialkritischen Ansatz des Pro Slavery-Intellektuellen Hammond Anleihen nahmen. Jefferson hatte sein Tyrannenverdikt für George III. aus dem Freiheitsverständnis der republikanischen Ideologie heraus entwickelt und mit einer vermeintlichen Fehlentwicklung der englischen Geschichte seit der normannischen Invasion begründet – eine Lesart, der auch Robert Toombs beipflichtete. Anders als Jefferson berief er sich zwar nicht auf das aristokratische England der Revolutionsära, sondern das abolitionistische England seiner eigenen Tage. Dennoch bediente er sich der gleichen machtkritischen Denkfiguren, um die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit in der englischen Politik aufzudecken. Wie die republikanischen Sklavereikritiker vor ihm vergaß auch der Georgia-Whig nicht darauf hinzuweisen, dass es die Engländer gewesen seien, die Zwangsarbeit und Sklaverei in den Kolonien eingeführt hätten. Für Toombs diente dieser Topos freilich nicht zur moralischen Entlastung der Sklavenhalter, sondern galt ausschließlich als Beleg für eine freiheitsfeindliche Tradition englischer Politik, die er am Beispiel der Unterwerfung Irlands, Indiens und Chinas weiter auszumalen versuchte.515 Die anglo-türkische Krimkriegsallianz gegen Russland schließlich lieferte ihm den aktuellen Beleg für die Heuchelei eines „Verteidigers der Christenheit“, der bereit sei, „to maintain the Koran against the Bible, and the slavery of both white and black races in Turkey, to preserve the balance of power in Europe“.516 Toombs übertrug die moralische Sprache Jeffersons auf die internationalen Verhältnisse in der Mitte des 19. Jahrhunderts und verstieg sich zu einer ätzenden Englandkritik, ohne dem freilich eine ähnlich robuste Vorstellung amerikanischer Nationalität entgegenhalten zu können, wie sie der Autor der Declaration of Independence in seine berühmten Worte gefasst hatte. Der schwankende Unionist aus Georgia verteidigte nicht das ganze Amerika gegen die britischen Anmaßungen, sondern nur noch den Süden, in den er nun die republikanischen Attribute projizierte, die er dem Norden nicht mehr vorbehaltlos zugestand: „Stability, progress, order, peace, content and prosperity, reign throughout our borders. The desire for organic change nowhere mani-
514 Ebd., 6. 515 Für sämtliche Verweise vgl. ebd. 516 Ebd., 7.
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fests itself.“517 Zugleich hob er die englischen Anfänge dieser idealtypischen Gesellschaft explizit hervor. „African slavery existed in all the colonies of the revolution. […] England and the Christian world had long since settled that question for us.“518 Während er einerseits in der Tradition Jeffersons die Kolonisten vom bewussten Akt der Sklavereieinführung freisprach, attestierte er ihnen andererseits das Verdienst, beim Übergang zur Unabhängigkeit die vorhandene Institution in einen neuartigen Sklavenhalter-Republikanismus überführt zu haben, der die „Position der afrikanischen Rasse“ in historisch einmaliger Weise aufwertete.519 Toombs untermauerte diese Vorstellung mit einer anglophoben Sozialkritik, die in vielerlei Hinsicht an die Englandbilder in James Henry Hammonds Two Letters on the Subject of Slavery erinnert. Großbritanniens Arbeiterklasse musste sich seiner Vorstellung nach einer Form der Lohnsklaverei unterwerfen, die neben der despotischen Regierungsform und dem zynischen Machtkalkül in der auswärtigen Politik gewissermaßen die dritte Negativkomponente seines Englandbildes beschreibt.520 Während in den Nordstaaten das Beispiel aus der Alten Welt Schule mache und die Arbeit der Herrschaft des Kapitals unterworfen werde, besäße der südstaatliche Sklave klare Vorteile gegenüber dem englischen Arbeiter, weil seine Lebensressourcen stets gesichert seien und nicht von den entfesselten Marktkräften aufgezehrt werden könnten.521 Bis Mitte der 1850er Jahre hatte sich die politische Sprache von Robert Toombs also mit einem extrem anglophoben Vokabular durchsetzt, in dem die republikanische Machtskepsis eine spezifische Verbindung mit kapitalismuskritischen Topoi und den Sozialvorstellungen der Pro Slavery-Theoretiker einging. Dass in seiner Gedankenwelt freilich auch Raum für schwärmerische Englandassoziationen vorhanden gewesen sein muss, verdeutlichen 517 Ebd., 8. Wenn Toombs der südstaatlichen Gesellschaft sogar das Bedürfnis nach organischem Wandel absprach, so stellte er die Gefahren eines revolutionären Bruchs um so konsequenter in Abrede: „For nearly twenty years our domestic enemies have struggled by pen and speech to excite discontent among the white race, and insurrection among the black; their efforts have shaken the national government to its deep foundation […]. Yet the objects of their attacks – the slaveholding states – responding in the confidence of their strength, have scarcely felt the shock. […] Not a single soldier is to be found in our widely extended domain, to overawe or protect society.“ Betrachtet man die südstaatliche Sensibilität in der Territorialproblematik oder die Furcht vor Sklavenaufständen, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass diese offensive Selbstversicherung gewissermaßen zwanghafte Züge trug. 518 Ebd. 519 Ebd. 520 In diesem Zusammenhang stellte Toombs die abstruse These auf, Englands Armeen zu Lande und zu Wasser dienten nur zur Verhinderung einer inneren Revolution und seien „the sole guarantee of her social order“. Ebd., 19. Vgl. auch ders., Slavery in the United States (1856), 14. 521 Vgl. Toombs, Slavery in the United States (1853), 18.
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seine Reiseeindrücke vom Sommer 1855. Die dort anklingende Englandromantik deutet auf ein Bedürfnis hin, das krisengeschüttelte Selbstbild an die englische Vergangenheit und Teile der englischen Gegenwart zu knüpfen, die sich mit den Attributen von Stabilität, Ehre und Größe assoziieren ließen. Die einzige überlieferte Quelle für Toombs’ Aufenthalt auf der britischen Insel – ein am 21. Juni 1855 hastig heruntergeschriebener Brief an Alexander Stephens – vermag darüber annäherungsweise Aufschluss zu geben.522 Durchaus vergleichbar mit den Erfahrungen anderer Englandreisender aus der Neuen Welt, bemühte er sich zunächst um eine betont nüchterne und distanzierte Einordnung der ersten Eindrücke.523 Nach seiner Ankunft in London überwog freilich das Staunen über „the grandeur and magnificence of this capitol of the world. It is much greater than I had ever pictured to my imagination, and one is bewildered with the wealth, the magnificence, the beauty, and the thousand objects of grandeur and interest which arrest him at every turn“. Wie aus der Schilderung seines Besuchs in der Westminsterabtei anklingt, fesselten ihn die historischen Erinnerungen, „which cluster within its old walls“.524 Obwohl Toombs durch die Londoner Impressionen wohl nicht mit der gleichen Wucht überwältigt wurde, wie es knapp zwanzig Jahre zuvor bei Hammond der Fall gewesen war, gab er sich in seinem Brief an Stephens doch sichtlich bemüht, die überschäumende Begeisterung durch einige herabwürdigende Bemerkungen zur politischen Klasse Englands unter Kontrolle zu bringen. So vermerkte er über seinen Aufenthalt auf der Zuhörertribüne des Parlaments: „The speaking was poor, very poor, the matter commonplace, and the style perfectly genteel but perfectly insipid.“525 Toombs’ Selbstzeugnis gibt seine Impressionen recht ungefiltert und authentisch wieder. Unklar bleibt, inwieweit dieser prominente Südstaatler auch Gelegenheit erhielt, politische Kontakte im Ausland aufzubauen.526 Selbst wenn die dürftige Quellenüberlieferung für die England522 Vgl. Toombs an Stephens, 21.06.1855, in: Phillips (Hg.), Correspondence of Toombs, Stephens, and Cobb, 353–354. 523 Vgl. ebd., 353. 524 Ebd., 354. 525 Ebd. Mit dem deutlichen Anspruch, die amerikanischen Staatsmänner würden eine überlegene Rhetorik pflegen, legte er gegenüber Stephens noch nach: „You could not have stood it half an hour. I braced myself up to listen to them three mortal hours.“ Im Lichte dieser (vermeintlichen) Qualen erscheint seine abschließende Absichtserklärung bemerkenswert: „I shall go again this evening.“ Ebd. 526 Mit äußerster Vorsicht wird seine im Abstand von sechsundzwanzig Jahren abgegebene Aussage zu bewerten sein, er habe im Sommer 1855 sowohl mit Gladstone und Palmerston in England als auch mit Napoleon III. in Frankreich Gespräche über die Sklavereifrage geführt. Diese Bemerkung ließ Toombs 1881 gegenüber einem Reporter fallen, um sich von dem außenpolitischen Kurs der Davis-Regierung von 1861 bis 1865 zu
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reise in Rechnung gestellt wird, lässt sich das Urteil vertreten, dass sie seine programmatische Anglophobie um romantisch-primordiale Englandbilder anreicherte. Weder eine irrationale Englandromantik noch ein übersteigerter Englandhass, weder Verachtung noch Mythos dürften einer realistischen Einschätzung der britischen Außenpolitik im Schlüsseljahr 1861 sachdienlich gewesen sein. Alabama: William Lowndes Yancey Mit ihrer harschen Kritik am Mexikanischen Krieg erzürnten die GeorgiaWhigs expansionistische Demokraten im Tiefen Süden, die zusätzliche Sklaventerritorien begehrten und den Waffengang deshalb unterstützten. Wie hoch die Wellen der Erregung damals schlugen, wurde deutlich, als der Kongressabgeordnete William Lowndes Yancey seinen Kollegen Alexander Stephens mehr oder minder eindeutig als Landesverräter beschimpfte und sich dafür umgehend eine Duellforderung einhandelte.527 Nur durch die Vermittlung von Toombs und den beauftragten Korrespondenten Yanceys konnte ein Treffen abgewendet werden.528 Von nicht minder aufbrausendem Temperament als die Georgia-Kollegen Toombs und Stephens, wurde im 28. Kongress von 1844 / 45 mit William Lowndes Yancey eine schillernde Persönlichkeit eingeführt, die aus dem an Exzentrikern nicht gerade armen Kreis der späteren Konföderationsdiplomaten herausragt.529 Anders als Toombs und Stephens hatte sich Yancey, der in einem Zeitalter großer Rhetoriker als einer der stürmischsten Redner überhaupt galt, damals bereits auf ein radikal-partikularistisches Programm festgelegt. Dies ließ ihn in den kommenden Jahren gewissermaßen zu einem Robert Barnwell Rhett des Baumwollgürtels mutieren. Entwickelten Rhett und Hammond ihre Radikalismen unter dem Eindruck des Niedergangs im ländlichen Umfeld South Carolinas, wurden die Grundlagen der fanatischen Südstaatenloyalität Yanceys in der Ferne gelegt. 1814 als Sohn eines erfolgreichen Anwalts und Jugendfreunds Calhouns im östlichen Georgia geboren, verlebte er die formativen Jahre seiner Jugend nach
distanzieren, gegen den er vehemente Bedenken angemeldet hätte. Zeitungsartikel v. 27.06.1881, Robert Toombs Papers, Perkins Library, Duke University. Die Aussage ist eher im Kontext seines dauerhaften Zerwürfnisses mit Jefferson Davis zu sehen und kann nicht durch zeitgenössisches Material gestützt werden. 527 Vgl. Congressional Globe, 29th Congress 1st Session, 16.06.1846, 950–953, bes. 953. 528 Zu diesen Vorgängen vgl. Davis, Union That Shaped the Confederacy, 39 f.; Schott, Alexander Stephens, 72 f. 529 Die einzige Arbeit über Yancey war lange Zeit DuBose, Life and Times of Yancey. Vgl. die Einzelstudien von Draughon, From Unionist to Secessionist; Walther, Fire-Eaters, 48–82. Vgl. jetzt ders., William L. Yancey and the Coming of the Civil War.
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William Lowndes Yancey (1814–1863)
dem frühen Tode des Vaters im Herzland des Abolitionismus und unter dem Dach eines der führenden Sklavereifeinde. Nachdem seine Mutter den presbyterianischen Prediger Nathan Beman geehelicht hatte, siedelte die Familie 1823 nach Troy im Staate New York über, wo er in einem von familiärer Zerrüttung und religiösem Eifer geprägten
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Umfeld aufwuchs. Bereits damals bildeten sich in seiner Gedankenwelt die Umrisse eines kritischen Nordstaaten-Bildes heraus, das vor allem durch die Person Bemans bestimmt wurde, der sich Mitte der 1820er Jahre an einer religiösen Erneuerungsbewegung beteiligte und bald darauf in der American Anti-Slavery Society engagiert war. Trotz der Spannungen im Verhältnis zu seinem Stiefvater, dessen evangelikaler Furor ihn sozusagen ex negativo prägte, profitierte Yancey von der Ausbildung an verschiedenen Schulen in New York und Massachusetts, die Beman ihn angedeihen ließ.530 Ähnlich unstet wie der junge Toombs531, brach er seine akademische Laufbahn im Norden 1833 unvermittelt ab und begann stattdessen eine juristische Schulung bei dem Unionisten Benjamin Perry in South Carolina, der im alten Federalist-Milieu geprägt worden war. So nahm Yancey die zehn Jahre zuvor unterbrochene Sozialisation wieder auf und strebte nun zügig nach den Insignien der Pflanzerklasse, wie aus seiner 1835 geschlossenen Ehe ersichtlich wird, die ihm den Besitz von 35 Sklaven einbrachte. Obwohl die Annullierungskrise im Palmetto State damals kaum verebbt war und ältere Politiker wie Hammond und Rhett hinlänglich radikalisiert zurückgelassen hatte, bezog Yancey – wohl unter dem Einfluss seines Mentors Perry – streng unionistische Positionen, die im Lichte seiner späteren Entwicklung bemerkenswert wirken. Im Unionsverteidiger der South CarolinaJahre waren die Züge eines „politischen Moralisten“532 freilich bereits angelegt. Zur vollen Entfaltung gelangten sie erst durch den Umzug nach Alabama, wo die Gesellschaft von der Idee der Sklaverei geradezu besessen war.533 Unter den Pflanzern Alabamas hielt die Praxis der Rassensklaverei eine immer wieder artikulierte Angst vor Freiheitsverlust am Leben. Die Assoziationen lebenslanger Sklaverei, wie sie als Kampfvokabeln den politischen Diskurs beherrschten, besaßen eine ganz plastische Dimension. Zugleich transformierten die Reformen der Jacksonian Democracy in den 1830er Jahren den alten republikanischen Freiheitsbegriff, der die Unabhängigkeit der „natürlichen Aristokratie“ in einem klassisch-elitären Sinne bezeichnet hatte, in ein Ideal der individuellen Autonomie, auf das die (weiße) Gesellschaft als Ganzes Anspruch erheben durfte. Die von Hammond und anderen Pro Slavery-Advokaten vertretene Integrationstheorie, wonach die Versklavung und Entehrung der Schwarzen konfliktbereinigend und stabilisierend wirkte, 530 Zu Bemans Einflüssen auf Yancey und die Entwicklung seiner politischen Rhetorik vgl. aufschlussreich Peterson, Divine Discontent, 95–111. Vgl. Walther, William L. Yancey and the Coming of the Civil War, 25; Draughon, Young Manhood of William L. Yancey, 34. Vgl. jetzt ebenfalls Freehling, Road to Disunion II, 4 ff. 531 Für einen frühen Hinweis auf „William’s wild notions“ vgl. Louisa Cunningham an Benjamin C. Yancey, 06.08.1833, Benjamin C. Yancey Papers, Southern Historical Collection, Wilson Library, UNC. 532 Thornton III, Art. „William Lowndes Yancey, in: ANB, Bd. 24, 105. 533 Vgl. die diesbezügliche Kernthese von Thornton III, Power and Politics in a Slave Society.
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klang in der weit verbreiteten Auffassung an, die Sklaverei sei ein unverzichtbares Bollwerk der Freiheit. Auf dem Humus der Sklavenhaltergesellschaft gedieh eine nervöse, übersteigerte Ehrkultur, die vor dem Hintergrund der Erschließungsgeschichte des Tiefen Südens auch einen besonders gewalttätigen Zug annahm. Wie sehr sich der auswärts sozialisierte Südstaatler Yancey in dieses kulturelle Klima einfügte, wurde bereits 1838 deutlich, als er auf einer Reise nach South Carolina wegen einer Petitesse mit dem Cousin seiner Ehefrau in Streit geriet und kurze Zeit später dessen Vater im Handgemenge niederschoss. Yanceys Mordprozess, der in einer zunächst einjährigen, sodann auf drei Monate reduzierten Haftstrafe endete, behinderte seine Karriere keineswegs, sondern sicherte eher die öffentliche Verbreitung seines Selbstbildes als furchtlosem Ehrverteidiger. Noch aus der Gefängniszelle schrieb er an seinen Bruder, er habe seiner „Pflicht als Mann“ Genüge getan und eine Warnung für all jene hinterlassen, „who may feel like browbeating a Yancey“.534 Wie zahlreiche Sprachexzesse im Kongress und eine Duellaffäre mit dem Abgeordneten Thomas Clingman aus North Carolina von 1844 belegen, kultivierte er die Reputation eines leidenschaftlichaufbrausenden Ehrenmannes auch auf der Bühne der Bundespolitik.535 Nach einigen Fehlschlägen etablierte er sich zunächst als Zeitungsherausgeber in Wetumpka, wo er unter dem Eindruck der nationalen Finanzkrise immer mehr dem demokratischen Parteilager zuneigte und den politischen Gegner unter einen pauschalen Konsolidierungsverdacht stellte.536 Sein publizistisches Engagement für die Demokraten führte 1841 zu seiner Wahl in das Repräsentantenhaus des Staates Alabama. Vornehmlich befasst mit innenpolitischen und lokalen Reformfragen, profilierte er sich als Politiker in einer weißen Gesellschaft, die durch die Rassensklaverei ihren egalitären Charakter zu sichern glaubte.537 Ungefähr zeitgleich mit Toombs, Stephens und Jefferson Davis bewerkstelligte Yancey 1844 den Karrieresprung in den 28. Kongress. Dennoch neigte dieser in Schüben radikalisierte Partikularist bereits mehr dem konditionalen Unionsbegriff Calhouns zu als die anderen Debütanten aus dem Tie-
534 Yancey an Benjamin C. Yancey, 08.09.1838, William Lowndes Yancey Papers, ADAH. Man gewinnt den Eindruck, dass er das leidenschaftliche Temperament seines Charakters zu dem Zweck inszenierte, in der Öffentlichkeit als furchtloser und respektierter Ehrenmann aufzutreten. Vgl. auch Draughon, From Unionist to Secessionist, 72 ff.; Walther, Fire-Eaters, 51 f.; ders., William L. Yancey and the Coming of the Civil War, 47 ff. 535 Vgl. Memoranda of the Late Affair of Honor between T. L. Clingman, of North Carolina, and William L. Yancey, Alabama, undatiert, William Lowndes Yancey Papers, ADAH, Reel 4. In den Yancey Papers findet sich bezeichnenderweise auch der 1838 publizierte Regelkodex John L. Wilsons für Ehrduelle. Vgl. Wilson, Rules for the Government of Principals and Seconds in Dueling, ebd. 536 Vgl. hierzu mit Beispielen Walther, Fire-Eaters, 53. 537 Zu Yanceys Karriere im Alabama-Parlament vgl. Rogers u.a., Alabama, 153.
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fen Süden.538 In seinen Einlassungen zur Texas- und zur Oregon-Frage durchmischte er die Motive von nationaler Ehre und anglophobe Ressentiments mit dem gleichen Kalkül, das auch die Auftritte von Calhoun und dessen Anhänger durchzog. Anders aber als Calhoun, der nach Mitteln und Wegen zur Bewahrung der Südstaaten-Rechte innerhalb der Union suchte, zeichnete Yancey anlässlich seiner Jungfernrede zur Texas-Annexion am 7. Januar 1845 das Bild einer Republik, die seit geraumer Zeit an innerer Entfremdung litt. Für Yancey demaskierten sich die Nordstaatler endgültig als Verräter der Amerikanischen Revolution, zeigten sich „vergesslich gegenüber ihren Vätern“ und trachteten danach, „die Bande der Union zu schwächen“. Die Territorialfrage mit dem Sklavereiproblem verknüpfend, warf er den abolitionistischen Neuengländern vor, um ihrer ideologischen Ziele willen die britische Karte zu spielen: „Pictures had had [sic!] been made to represent the South in the most odious light; and England, our ancient enemy, had been invited to our shores to make the South more moral.“539 Yancey teilte also die Anglophobie der Calhouniten und schürte auch ihre Angst vor einem abolitionistischen Einfall an der Südwestflanke der Republik. Es fällt aber auf, dass er im Unterschied zu Calhoun weniger die englische Bedrohung per se in den Mittelpunkt stellte, sondern vielmehr ihre Instrumentalisierung durch den feindlich gesinnten Norden. Ausgehend von dieser Feindbildfusion zwischen dem „alten“ und „neuen“ England, transferierte er den äußeren Gegner gleichsam in die Union hinein, woraus sich die logische Frage ergab, ob und wie lange der Süden unter ihrem Dach noch in Sicherheit würde existieren können. Obwohl Yancey das noch nicht offen aussprach, konnten seinen Zuhörern die sezessionistischen Implikationen der Rede nicht entgangen sein.540 Der Norden, nicht der Süden, entferne die Union von dem, was sie einst gewesen sei und ginge dafür sogar einen Pakt mit dem englischen Erzfeind ein, von dem sich Nord und Süd 1776 vereint getrennt hatten. Indem er den Süden als eigentlichen Bewahrer des Revolutionserbes proklamierte, zeigte er auch an, dass eine unabhängige SüdstaatenNation die anglophoben Bezugspunkte des republikanischen Gründungsmythos für sich beanspruchen würde.541 Soweit war es in den wenigen Kongressjahren Yanceys von 1844 bis 1846 aber noch nicht. Ebenso wie die radikalen Calhouniten wusste er seine Auftritte flexibel und politisch effektiv zu inszenieren. Als er sich auf den Tag genau ein Jahr nach seinem Debütauftritt in die Diskussion um die Auflösung 538 Vgl. Congressional Globe, 29th Congress 1st Session, 20.04.1845, 652. 539 Ebd., 102. 540 Vgl. so auch Yancey an John O. Kellog u.a., 25.01.1846, William Lowndes Yancey Papers, ADAH. 541 Vgl. Congressional Globe, 28th Congress 2nd Session, 07.01.1845, 102. Für die Befindlichkeiten des Tiefen Südens traf Yancey damit genau den richtigen Ton. Vgl. New Orleans Picayune, 15.01.1845.
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der anglo-amerikanischen Oregon-Verwaltung einschaltete, ähnelten seine Einlassungen der Friedensbotschaft, die Rhett, Hunter und Calhoun damals verbreiteten.542 Er, der in den vergangenen Jahren den Ruf eines stürmischen Ehrpolitikers erworben hatte, warnte nun vor einem „schrecklichen Konflikt“ mit England, der hochgerüsteten „Herrscherin der Meere“.543 Damals wie später befragte Yancey die Probleme der Außenpolitik an erster Stelle nach ihrem Nutzen für den Süden.544 Dass der Erwerb von sklavenfreien Gebieten am Nordwestpazifik im Tiefen Süden keineswegs als profitabel, sondern geradezu als Gefahr betrachtet wurde, war in Washington ein offenes Geheimnis. Dennoch stieß Yancey hier an die Grenzen des öffentlich Sagbaren: Keinesfalls durfte er als Vertreter einer partikularistischen Diplomatie erscheinen, sofern er nicht seinen Anspruch untergraben wollte, im Namen des Südens für die eigentlichen Gründerwerte der Union zu sprechen. Umso mehr noch galt das angesichts der Tatsache, dass sich mit Yancey ein Meister der gleichermaßen authentischen wie politisch inszenierten Anglophobie im Kern für einen anglo-amerikanischen Verständigungskurs auszusprechen hatte. Penibel vermied er alle Worte, die ihn als Englandfreund hätten ausweisen oder gar den Gedanken heraufbeschwören können, er argumentiere aus einer Position der Schwäche gegenüber der englischen Übermacht heraus.545 Aber gerade seine These, ein Krieg gegen England um das im Grunde genommen nachrangige Oregon müsse unbedingt verhindert werden, ließ genau diesen Eindruck entstehen. Es verwundert somit kaum, dass Yancey nun die Ehre zum entscheidenden Kriterium über Krieg und Frieden erhob. Anders als Rives und sogar Calhoun, die den Frieden grundsätzlich als ehrenwerten Zustand zwischen den Nationen begriffen und für Krieg nur dann optierten, wenn sie einen ehrenwerten Frieden für unmöglich hielten, war Yanceys Ehrbegriff bellizistischer Natur, die Ehre vergleichbar mit einem „blood-stained god at whose red altar sit war and homicide’.“546 Wenn die Ehre also per se zum Krieg tendierte und ein Oregon-Krieg gegen England dennoch unehrenhaft sei, wie er durch eine Fülle praktischer und legalistischer Argumente herauszuarbeiten versuchte, dann konnte es aus seiner Perspektive gar keine gewichtigeren Gründe gegen eine risikobereite Politik geben.547
542 Vgl. o. 183 f., 186–189. 543 Congressional Globe, 29th Congress 1st Session, 07.01.1846, 86, 87. 544 Noch 1838 hatte sich Yancey für eine Inbesitznahme ganz Oregons ausgesprochen. Vgl. Walther, William L. Yancey and the Coming of the Civil War, 44. Während seines Kongressauftrittes acht Jahre später war davon nichts mehr zu spüren. Vgl. Congressional Globe, 29th Congress 1st Session, 07.01.1846, 88. 545 Vgl. die anglophoben Appelle bei Congressional Globe, 29th Congress 1st Session, 07.01.1846, 86. 546 Ebd., 87. 547 Ein Kernpunkt dieser Argumentation war die Auffassung, ein nur unzulänglich zum
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Mit dieser bemerkenswerten Dialektik schloss der Ehrfanatiker und Southern Rights-Doktrinär aus Alabama die Kluft zwischen seiner anglophob grundierten Nordstaatenkritik und dem Friedenskurs gegenüber England. Obwohl er in der Sache mit den Calhouniten übereinstimmte, waren seine Motive sui generis: Die ausgewogene, anti-expansionistische Harmonierhetorik von Whigs wie Rives entsprang einer authentischen Unionsloyalität.548 Selbst ein Cotton Whig aus dem Tiefen Süden wie Toombs schwankte zwischen sektionalem Kalkül und nationalem Schicksalsbekenntnis.549 Calhoun verfocht eine harte Haltung in der Texas-Frage, eine weiche und passive in der pazifischen Krise.550 Zu einem vergleichsweise frühen Zeitpunkt, noch bevor die Territorialkrisen im Anschluss an den Mexikanischen Krieg das Nord-Süd-Klima so fatal vergifteten, ging Yanceys Unionsfeindschaft bereits einen entscheidenden Schritt weiter. Seine Argumente für den atlantischen Frieden in der Oregon-Krise konnten die Feindschaft gegenüber dem Norden, den er mit der englischen Politik im Bündnis sah, kaum verhüllen.551 Wie die kommenden Jahre aber zeigen sollten, war der Weg zur Auflösung der Union äußerst dornig, blieb die Zahl der überzeugten Sezessionisten ebenso beschränkt wie ihr Gestaltungsspielraum, der sich öffnete und schloss, ohne dass sie es nachhaltig beeinflussen konnten. Die wichtigsten Foren der Fire-Eaters lagen daher außerhalb des politischen Washington, in den Staaten, den lokalen Parteistrukturen und der Presse. Yancey erkannte das früher als sein Bundesgenosse Rhett, der den Kongress erst 1852 endgültig verließ. Nach nur zwei stürmischen Jahren verabschiedete er sich von der Hauptstadtbühne. Die Winkelzüge und Wechselbündnisse, wie sie die Parteiendemokratie auszeichneten, mussten einen Ideologen vom Typ Yanceys, der Politik gleichermaßen unabhängig wie kompromisslos betreiben wollte, zwangsläufig abstoßen. Bis auf weiteres wählte er daher die Karriere des „außerberuflichen Agitators“552 und eröffnete 1846 gemeinsam mit John A. Elmore, einem Verwandten Rhetts, eine Anwaltskanzlei in Montgomery, Alabama.553 Während der Kongressjahre hatte sich sein Nationalitätsbegriff auf eine imaginierte Republik versteift, die er mit den Mängeln der Gegenwart ab-
548 549 550 551
552 553
Krieg gerüstetes Amerika müsse sich durch den Waffengang zwangsläufig selbst entehren. Vgl. ebd., 86. Vgl. o. 181–183. Vgl. o. 200 f. Vgl. o. 162–164, 187–190. Ähnlich wie Calhoun artikulierte Yancey hier die Sorge, ein äußerer Krieg würde den republikanischen Charakter der Union verändern und sie in eine zentralisierte Republik verwandeln, in der die States Rights keine Rolle mehr spielten. Vgl. Congressional Globe, 29th Congress 1st Session, 07.01.1846, 87. Zu Calhouns diesbezüglicher Furcht vgl. o. 188. Walther, Fire-Eaters, 56. Vgl. Abrahamson, Men of Secession and Civil War, 56.
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glich. Dass sich dieser utopische Entwurf, der in den Prämissen seines Südstaaten-Nationalismus aufgehen sollte, stark aus der Sehnsucht nach heroischen Führungsgestalten und anglophoben Feindbildern speiste, belegen seine Anmerkungen zum Tode Andrew Jacksons vor einer Bürgerversammlung in Wetumpka im Juli 1845 und ein knappes Jahr später vor der Jackson Monumental Convention in Baltimore.554 Yanceys Verhältnis zu Jackson war ambivalent; es schwankte zwischen der Zustimmung zur demokratischen Reformpolitik und der Verteidigung des States Rights-Primats, den Jackson in der Annullierungskrise so eklatant geleugnet hatte. Der Nekrolog klammerte die kritischen Aspekte seiner interventionistischen Präsidentschaft einfach aus und pries ihn als mythischen Helden: „One of the great heads of the American family are gone. – The last link in that living chain of distinguished heroes, which connected us with the past, is at length severed.“555 Ausgerechnet in den Annullierungsfeind Jackson projizierte Yancey nun ein primordiales Nationalverständnis hinein, das die republikanischen Institutionen eben nicht absolut setzte, sondern die Bindekräfte einer Kultur in ethnischen Kategorien beschrieb. Jacksons „gute Qualitäten“, so Yancey, seien dem „noblen Stock“ seiner iroschottischen Ahnen entsprungen.556 Gleichsam geboren mit einem Hass auf alles Englische, formte sich das Leben von Yanceys Held durch die Konfrontationen mit britischer Machtanmaßung. Keine Anekdote aus den anglophoben Gründungsmythen der Republik, die sich mit Jacksons Vita verbinden ließ, wurde hier ausgespart: Von den Abenteuern des jungen Kriegsgefangenen, der eine verweigerte Demütigung vor einem englischen Offizier beinahe mit dem Leben bezahlte, bis zum Triumph in der Schlacht von New Orleans war diese Heldensaga ein einziger Kampf gegen „British licentiousness and British tyranny“.557 Weil er Jacksons Leben in anglophoben Bezügen durchdachte, konnte er sich – dem Anlass angemessen – noch einmal zu einem nationalen Pathos emporschwingen und „Englands Löwen“ vor dem „harten und schnellen Sturzflug“ des „Amerikanischen Adlers“ straucheln lassen.558 Dieser Abgesang, der sich ja auch expressis verbis auf eine vergangene Zeit bezog, deckte sich aber kaum noch mit der Union, wie Yancey sie in seiner eigenen Gegen554 Vgl. Yancey, Oration on the Life and Character of Andrew Jackson, 1845; ders., Oration on the Life and Character of Andrew Jackson, 1846, beide in: William Lowndes Yancey Papers, ADAH. Obwohl die Publikation der zweiten, in Baltimore gehaltenen Rede umfangreicher ist als der ein Jahr zuvor veröffentlichte Beitrag, variiert Yancey hier wie dort die gleichen Motive und Aussagen. Bisweilen sind die Passagen auch vollständig identisch. 555 Yancey, Oration on the Life and Character of Andrew Jackson, 1845, 3. 556 Ebd., 4. Yancey bezog sich hier auf die anti-englischen Aufstände von William Wallace und Robert the Bruce aus dem 13. und 14. Jahrhundert. 557 Yancey, Oration on the Life and Character of Andrew Jackson, 11. 558 Ebd., 12. Yancey nahm hier Bezug auf Jacksons Sieg gegen die Briten bei New Orleans im Jahre 1815.
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wart bewertete. Der Widerspruch, den er mehr oder minder elegant umschiffte, lag sicherlich darin, dass gerade Jackson die Partikulardoktrin der Annullierer unter Androhung von Gewalt in die Schranken gewiesen hatte. Yanceys Gesinnungsgenossen in South Carolina waren daraufhin dazu übergegangen, die Politik des Präsidenten mit der föderalistischen und letztlich britischen Oppression in eins zu setzen. Insofern war die tyrannische Union, die Yancey fürchtete und gegen die er heftig polemisierte, nicht zuletzt auch ein Werk seines großen Idols, das die amerikanische Ehre gegen die Übergriffe Englands behauptet hatte. Mit den Ungereimtheiten seiner Argumentation hielt sich Yancey aber nicht länger auf. Wenn er das geistige Fundament der vorgestellten Südstaaten-Nation schon nicht auf dem Bundesprimat Jacksons bauen konnte, so operierte er hierfür doch andere Elemente aus der Jacksonschen Ideologie heraus: ihr egalitäres Gesellschaftsverständnis, ihren aggressiven Ehrbegriff und nicht zuletzt ihre tief sitzende Anglophobie. Mississippi: Jefferson Davis Einem Politiker wie Jefferson Davis, der 1808 in einer Blockhütte in Kentucky zur Welt gekommen war, gereichten die Umstände seiner Herkunft keineswegs zum Nachteil.559 Vielmehr ließ sich dieses Leben als beispielhafte Gewinnerbiographie in einer prosperierenden Region präsentieren, wo Siedler aus kleinen Verhältnissen binnen kurzer Zeit zu Großgrundbesitzern und Sklavenhaltern aufzusteigen vermochten.560 So ergab sich in Mississippi das paradoxe Bild, dass soziale Egalisierungsprozesse und die Verfassungsreform von 1832 zwar einerseits die Grenze zwischen aufstrebenden Farmern und Großpflanzern verwischten. Andererseits behielt eine schmale Schicht von ElitePflanzern, die den meisten Land- und Sklavenbesitz in ihrer Hand vereinte, die Kontrolle über politische Angelegenheiten und sicherte sich die Respektreferenzen der übrigen Gesellschaft.561 Besonders in der wohlhabenden 559 Lange Zeit führte die Davis-Forschung eher ein Randdasein in der Historiographie und war angewiesen auf Strode, Jefferson Davis, 3 Bde. Inzwischen lässt sich jedoch ein stetig ansteigendes Interesse an dem Konföderationspräsidenten verzeichnen. Die 1991 erschienene, zwischen Respekt und Kritik schwankende Biographie von William C. Davis hat sich als Standardwerk etabliert. Vgl. Davis, Man and His Hour. In weiten Teilen ähnlich angelegt, aber stärker auf die späten Jahre konzentriert und neuere Literatur verarbeitend ist Cooper, Jr., Jefferson Davis. Vgl. aus der Reihe der aktuellen Biographien eher in hagiographische Muster zurückfallend Allen, Unconquerable Heart. Auf die Konföderationspräsidentschaft beschränkt sich Hattaway / Beringer, Confederate President. Noch immer wichtig ist Escott, After Secession. 560 Zu den sozialen Hintergründen der Senatoren und Kongressabgeordneten für Mississippi vgl. Jordan, Mississippi’s Antebellum Congressmen, 159, 177. 561 Vgl. Busbee, Mississippi, 108.
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III. Der Süden, die atlantische Welt und der Niedergang der Union
Jefferson Davis (1808–1889)
Umgebung von Natchez am Ufer des Mississippi ähnelte der Lebensstil der Baumwollpflanzer eher dem englischen Landadel oder preußischen Junkertum als den Schollenfarmern der Jeffersonschen Agrarromantik. Einmal zu Reichtum gekommen, ließen sie – in historischer Analogie zu den TidewaterPflanzern im kolonialen Virginia – ihre Geschäfte durch Agenten in New Orleans und Liverpool abwickeln, die auch den Import von Konsumgütern und Einrichtungsgegenständen für den gehobenen Lebensstil besorgten.562 562 Vgl. zu dieser Typologie der Großpflanzerschicht in Mississippi Stakes, Mississippi,
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Abgesehen von kurzfristigen Universitätsbesuchen erlebte die überwiegende Mehrheit der konföderierten Diplomaten, Politiker und Intellektuellen die formative Phase ihrer Karrieren aus der Provinzperspektive ihres Heimatstaates. Nur Yancey hatte sich einer Nordstaaten-Erziehung unterziehen müssen, die ihn aber nicht mit einer belastbaren Unionsloyalität versorgte, sondern ganz im Gegenteil in eine sezessionistische Haltung mündete. Jefferson Davis war der einzige, der zu einem prägenden Lebenszeitpunkt in einer nationalen Institution par excellence sozialisiert wurde, dem US-Militär. Als er 1824, sechzehnjährig, durch ein Arrangement seines älteren Bruders auf die Offiziersakademie West Point im Staate New York geschickt wurde, nahm sich seine Laufbahn dort freilich alles andere als glänzend, sondern eher durchwachsen und teilweise sogar problematisch aus. Neben einem frühen Hang zur rechthaberisch-legalistischen Argumentation lassen sich bei seinen wiederkehrenden Übertretungen des Autoritätskodexes von West Point auch frühe Anzeichen seines rigorosen Stolzes beobachten, der über den gängigen Habitus südstaatlicher Ehrkultur hinaus auch tief im Persönlichen seines Charakters wurzelte.563 Dass sich damals, nach seinem Abschluss in West Point 1828, als die Annullierungskrise die Republik erschütterte, eine dezidiert politische Sicht auf die Beziehung zwischen dem Süden und der übrigen Nation ausbildete, ist nicht wahrscheinlich. Einerseits verzögerte sich die typische Pflanzersozialisation bis Mitte der 1830er Jahre, als er in einem Alter nach Mississippi zurückkehren sollte, in dem Toombs und Yancey bereits ihre Sitze im Staatenparlament von Georgia und Alabama eingenommen hatten. Andererseits blieb ein Politisierungsschub in der Militärzeit auch deshalb aus, weil Davis seinen größtenteils ereignislosen Dienst in den fernen Prärien der Westterritorien verbrachte.564 1835 siedelte er sich in der Nachbarschaft seines Bruders Joseph Davis an, der es mit seiner Plantage Hurricane zu einem der reichsten Pflanzer der Region gebracht hatte.565 Joseph stellte seinem Bruder das an seine Besitzungen angrenzende, in einer Flussschleife des Mississippi gelegene Brierfield zur Verfügung und stattete ihn mit den notwendigen Geldmitteln für den Ankauf von Sklaven aus.566 Beide Davis-Brüder betrachteten sich als treue
563
564 565 566
68 f. Vgl. auch Clark / Guice, Old Southwest, 184 f.; Loewen / Sallis, Conflict and Change, 80 ff. Vgl. Proceedings of a General Court Martial – Fifth Day Trial of Jefferson Davis, 04.08.1825, in: Monroe / McIntosh (Hg.), Papers of Jefferson Davis, Bd. 1, 39–41, hier 40. Vgl. Proceedings of a General Court Martial, 12.–19.02.1835, in: ebd., 357–382. Zu Joseph Davis vgl. Hermann, Joseph E. Davis. Davis war unter den zehn Pflanzern, welche landesweit die höchste Anzahl von Sklaven besaßen. Vgl. ebd., ix. Für eine Übersicht über die Davis-Plantagen am Mississippi vgl. Cooper, Jefferson Davis, 80. Zur Sklavenhalterpraxis vgl. Hermann, Pursuit of a Dream, 3–37. Vgl. ferner Collins, Death and Resurrection of Jefferson Davis, 2–4.
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III. Der Süden, die atlantische Welt und der Niedergang der Union
Anhänger der Demokratischen Partei, hoben allerdings den Vorrang der States Rights gegenüber der Bundesunion so stark hervor, dass es mit dem Bundesprimat Jacksons kaum vereinbar war.567 Ohne den Nimbus des im Tiefen Süden populären Kriegshelden zu schmälern, befanden sie sich in dieser Frage voll auf der Linie Calhouns, der nach dem Ende der Jackson-Präsidentschaft fürs Erste wieder in die Reihen der Demokraten zurückgekehrt war. Diese ideologische Flurbereinigung erlaubte die klare Identifikation der Calhounschen Partikulardoktrin mit dem republikanischen Erbe der Gründerunion, wie es Jefferson und Madison in den Virginia and Kentucky Resolutions 1798 niedergelegt hatten. Obwohl die Whigs in Mississippi durchaus nennenswerte States Rights-Elemente in ihrer Opposition integrierten, erschienen sie in den Augen der Pflanzer-Brüder von Davis Bend als die eigentlichen Widergänger Hamiltons und Repräsentanten eines High Federalism, der für machtstaatliche Interventionen und Missachtung regionaler Freiheitsrechte stand.568 Jefferson Davis’ erste öffentliche Stellungnahmen im Umfeld der Präsidentschaftswahl von 1845 griffen die strittigen Themen der Bundespolitik direkt auf. Die Zusammenhänge, in denen er auch seine frühen Äußerungen zu England platzierte, waren fast durchweg innenpolitischer Natur. Als Delegierter auf dem Demokratischen Nominierungskonvent in Jackson zählte er im Januar 1844 seine Standpunkte auf, die ihn viel stärker einer Kandidatur John C. Calhouns zuneigen ließen als derjenigen Martin Van Burens.569 Hierin fand sich die unmissverständliche Forderung zur Annexion der texanischen Republik, ein „point of vital importance to the south, and demanding, by every consideration, prompt action. Daily are we becoming relatively weaker, and with equal step is the advance of that fanatical spirit which has for years been battering in breach the defences with which the federal constitution surrounds our institutions“.570 Trotz des erhitzten Debattenklimas, in dem Davis diese Annexionsforderung artikulierte, besteht – wie im Fall der Calhouniten – kein Grund daran zu zweifeln, dass ihr eine authentische Bedrohungswahrnehmung zu Grunde lag. Es entsprach ganz und gar der Gefahrendialektik Calhouns, wenn er im Anschluss an seine kaum verhüllte Abolitionismuskritik das Verhalten der (nordstaatlichen) Mehrheit gegenüber der (südstaatlichen) Minderheit problematisierte und sich dabei insbesondere auf ein Thema der nationalen Solida567 Über Davis’ zeitgenössische Einschätzung der Annullierungskrise sind keine Zeugnisse bekannt. Vgl. aber regierungskritisch Davis an W. B. Tebo, 22.08.1849, in: Rowland (Hg.), Jefferson Davis, Constitutionalist, Bd. 1, 245–246. 568 Vgl. Cooper, Jr., Jefferson Davis, 91. 569 Vgl. Notice of the Proceedings of the State Democratic Convention – Speech Recommending John C. Calhoun, 08.01.1844, in: McIntosh (Hg.), Papers of Jefferson Davis, Bd. 2, 68–76, bes. 72. Davis ließ an seiner Präferenz für Calhoun keinen Zweifel, beugte sich aber dem weisungsgebundenen Mandat seines Bezirkes. 570 Ebd., 73.
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rität einschoss, nämlich die vermeintliche Vernachlässigung der Schutzpflicht gegenüber dem äußeren Erzfeind England. Zwanzig Jahre zuvor hatten die ultraorthodoxen States Rights-Republikaner aus Virginia gegen das American System Henry Clays gekämpft – vor allem gegen die Infrastrukturmaßnahmen des Bundes.571 Die gewandelten Interessen der Siedlergesellschaften im Baumwollgürtel reflektierend, warf Davis der Regierung in Washington nicht die Investition von Bundesmitteln als solches vor, sondern ihre eigennützige und ungerechte Verteilung.572 Indem sie die Gelder vornehmlich für die Fortifikation der Häfen am Nordatlantik und an den Großen Seen aufgewendet habe, sei die Südküste der Baumwollstaaten bis zur Mississippi-Mündung den „Batterien Großbritanniens“ schutzlos ausgeliefert worden. Gerade die historische Lektion von New Orleans im Jahre 1815, so Davis weiter, „should have proved a sufficient reason to all who loved their country more than sectional interest, to have guarded against the recurrence of such contingency“.573 Sicherlich waren diese Zuspitzungen auf den politischen Effekt einer Rede abgestellt, die aus ihrer Abneigung gegenüber dem Nord-Demokraten Van Buren keinen Hehl machte und für eine enge Abstimmung der Partei mit den südstaatlichen Bedürfnissen eintrat. Hier auf die virulente Bedrohung durch die britische Kolonialmacht zu verweisen, die sich gerade im Tiefen Süden aus vergleichsweise frischen Erinnerungen speiste, lag auf der Hand. Im Gegensatz zu radikaleren Zeitgenossen, wie Yancey und Rhett, postulierte Davis aber (noch) kein abgestimmtes nordstaatlich-englisches Vorgehen, sondern nutzte das bedrohliche Bild vom imperialen England eher dazu, die Interessen des Baumwollgürtels herauszustellen, in diesem Fall die Forderung nach dem Aufbau einer Bundesflotte. Obgleich schon damals als Southern Rights-Demokrat auf eine sektionale Weltsicht verpflichtet, vermittelte Davis durch seine anglophoben Assoziationen keine Entfremdung von der Unionsnationalität, sondern zeigte die Notwendigkeit inneramerikanischer Solidarität gegen die feindliche Macht an. Viel unbefangener – und in der historischen Analyse auch widerspruchsfreier – als Yancey konnte er daher die Leitgedanken seines Nationalgefühls aus der Vita Andrew Jacksons ableiten.574 Typisch für Südstaatler walisischer 571 Vgl. o. 91–93. 572 Vgl. Notice of the Proceedings of the State Democratic Convention – Speech Recommending John C. Calhoun, 08.01.1844, in: McIntosh (Hg.), Papers of Jefferson Davis, Bd. 2, 74. 573 Ebd. Das von Davis umrissene Gebiet bezeichnete die britische Einflusssphäre und Marinepräsenz vom nördlichen Venezuela bis zu den Seewegen zwischen Florida und Kuba. Vgl. ebd., 100, Anm. 93. 574 Vgl. Davis, Eulogy on the Life and Character of Andrew Jackson, 28.06.1845, in: ebd., 266–282. Die aus dem Vicksburg Sentinel vom 15. Juli 1845 übernommene Fassung der Rede hatte Davis mit Datum vom 1. Juli an die Zeitungsherausgeber geschickt. Vgl. Davis an Thomas Green u.a., 01.07.1845, in: ebd., 265–266.
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bzw. iroschottischer Herkunft, setzte Davis die Freiheitsliebe seines Idols mit der Leidensgeschichte der Iren in Beziehung und illustrierte so ihren Widerstand gegen den „progress of British aggression“. Der Machtanspruch dieser Tyrannei habe sich nicht auf die Alte Welt beschränkt, sondern greife naturgemäß immer weiter aus: „[T]he English system of exclusive privileges, and salaried sinecures, requires that the hand of plunder should be stretched wherever there is prey.“575 Ausgehend von diesem überhöhten Freiheitskampf gegen Großbritannien, verbreitete Davis die bekannten Anekdoten vom Revolutionskrieg bis zur Verteidigung von New Orleans. Anders als Yancey ging seine anglophob akzentuierte Vergangenheitsdeutung aber in einem kräftigen Bekenntnis zur amerikanischen Nationaleinheit auf, vor allem anlässlich der New OrleansSchlacht von 1815, die er mit Worten bedachte, wie sie auch bei den Festreden zum Unabhängigkeitstag üblich waren.576 So klammerte Davis die Präsidentschaft Jacksons nicht verlegen aus wie der Radikalpartikularist Yancey. Vielmehr hob er seine außen- und innenpolitischen Verdienste hervor, rechtfertigte sogar die harte Haltung gegen South Carolina in der Annullierungskrise und machte sich seinen Unionsprimat explizit zu eigen.577 Sicherlich stand dieses Bekenntnis dem klaren Vorrang der Einzelstaaten in seinem politischen Denken entgegen. Gleichwohl bezeugt es einen zwar eng definierten und von sektionalen Prioritäten durchzogenen, aber unter diesen Bedingungen ehrlich empfundenen Unionsnationalismus, der sich in klassisch-republikanischer Tradition aus der Abgrenzung zur Alten Welt und insbesondere zum ehemaligen Mutterland speiste. Nicht nur in seinen Geschichtsreflexionen oder Nationalbekenntnissen war Davis’ politische Sprache mit einem anglophoben Vokabular durchsetzt. Anti-englische Ressentiments, zum Teil härtester Natur, finden sich bei ihm auch in den feinen Verästelungen der lokalen Parteipolitik wieder. Tatsächlich wurden die Kampagnen der späten 1830er und frühen 1840er Jahre vor575 Davis, Eulogy on the Life and Character of Andrew Jackson, 28.06.1845, in: ebd., 266– 282, hier 266 f. 576 Vgl. ebd., 274. Diese Glorifizierung des Krieges von 1812, der im Tiefen Süden – anders als im Osten, wo britische Truppen Washington plünderten und das Weiße Haus anzündeten – stärker mit Motiven von nationalem Ruhm und militärischer Glorie assoziiert werden konnte, lässt sich bei Davis bis auf die frühen Momente seiner regionalen Sozialisation zurückführen. Vgl. den Hinweis auf den ehrenhaften Kampf Mississippis im Krieg von 1812 bei Speech at Fayette, 11.7.1851, in: Christ / Dix / Beringer (Hg.), Papers of Jefferson Davis, Bd. 4, 183–218, hier 185; Speech at Mississippi City, 02.10.1857, in: Christ / Dix (Hg.), Papers of Jefferson Davis, Bd. 6, 138–157. Noch in einer 1889 erschienenen Memoiren-Skizze hob er den Dienst seiner Brüder im Kampf um New Orleans explizit hervor. Vgl. Autobiographical Sketch, 1889, in: Monroe / McIntosh (Hg.), Papers of Jefferson Davis, Bd. 1, lxvii-lxxxiv, hier lxix. 577 Vgl. Davis, Eulogy on the Life and Character of Andrew Jackson, 28.06.1845, in: McIntosh (Hg.), Papers of Jefferson Davis, Bd. 2, 266–282, hier 279.
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nehmlich von der Finanz- und Bankenkrise beherrscht.578 Kaum ein anderer Staat der Union litt in der Depressionszeit nach 1837 schwerer als das bankenreiche Mississippi. Einer kurzsichtigen Strategie folgend, hatte das Parlament zur Geldwertkonsolidierung eine neue Bank – die Union Bank – lizenziert, die ihre Tätigkeit allerdings bereits im Juli 1840 wieder einstellen musste, als sie einer ultimativen Aufforderung des Gouverneurs, ihre Verbindlichkeiten in harter Währung zu begleichen, nicht nachzukommen vermochte.579 Um die Behandlung der Obligationen des erloschenen Geldhauses entbrannte daraufhin ein heißer Parteienstreit. Gemäß ihrer bankenfeindlichen Tradition sprachen sich die Demokraten für eine Zurückweisung aus und bedienten somit eine weit verbreitete Stimmung, die ihnen schon bei den Staatswahlen 1839 den Sieg gesichert hatte und 1841 abermals eine Mehrheit einbrachte. Noch im gleichen Jahr verabschiedete das Parlament die Nichtanerkennung der Schuldscheine und fügte damit der Kreditwürdigkeit des Staates Mississippi schweren Schaden zu.580 Für die Politik stellte sich aber nach wie vor das Problem, ob nicht auch die Schuldner der Bank von ihren Verpflichtungen zu befreien seien. 1842 legte der demokratische Abgeordnete Parmenas Briscoe einen entsprechenden Gesetzesentwurf vor, der zwar im Folgejahr das Repräsentantenhaus passierte, von den Whigs im Senat aber dahingehend abgeändert wurde, dass die Schulden beglichen werden sollten, um den Gläubigern doch noch Rechtssicherheit für die Rückzahlung ihrer Kapitalinvestitionen zu garantieren.581 1843 in Kraft getreten, hatte die veränderte Gesetzgebung bis 1845 sämtliche Eingaben am Obersten Berufungsgericht Mississippis überstanden. Dennoch hielt die überwiegende Mehrheit der Demokraten aus Gründen der Parteiräson an der ursprünglichen, die Bankschuldner entlastenden Briscoe Bill fest.582 Eine der wenigen Gegenstimmen kam ausgerechnet von Jefferson Davis, der sich zu dem Zeitpunkt, als die Debatte erneut entbrannte, gerade mitten im Wettkampf um die parteiinterne Nominierung für einen Sitz im Washingtoner Repräsentantenhaus befand.583 Bezeichnend für seine Eigenschaft, auch unpopuläre Standpunkte zu vertreten, erklärte sich Davis in einem Brief an den Vicksburg Sentinel vom 5. Juli 1845. Auf unmissverständliche Weise sprach er sich für die Verbindlichkeit von Krediten sowohl auf der Gläubiger- als 578 Vgl. zur Relevanz der Bankendebatte im Überblick Busbee, Mississippi, 93–96; Bond, Political Culture in the Nineteenth-Century South, 82. 579 Vgl. dazu ausführlich Lowry / McCardle, History of Mississippi, 287 ff. 580 Vgl. Gonzales, Flush Times, Depression, War, and Compromise, 293 f. Vgl. ferner Sharp, Jacksonians versus the Banks, 55–89. 581 Zur Briscoe Bill vom 11.01.1842 vgl. Editorial Note, in: McIntosh (Hg.), Papers of Jefferson Davis, Bd. 2, 283. 582 Vgl. zum Kampf der Demokraten für die Entlastung der Bankschuldner im Sinne Briscoes Sharp, Jacksonians versus the Banks, 85. Zur scharfen Abgrenzung gegenüber den Whigs vgl. auch Bond, Political Culture in the Nineteenth-Century South, 86 ff. 583 Vgl. Cooper, Jefferson Davis, 113; Allen, Unconquerable Heart, 120.
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auch der Schuldnerseite aus. Das mit der modifizierten Briscoe Bill in Kraft getretene Verfahren, die Aktiva der liquidierten Bank zu sammeln und an ihre Gläubiger auszuschütten, fand seine volle Zustimmung.584 Dass Davis in der heißen Phase der Kongresskandidatur den Bankenkurs der Whigs guthieß, war politisch gefährlich. Wohl nicht zuletzt aus Gründen der öffentlichen Absicherung unterlegte er seine Erklärungen mit harten anglophoben Bildern. Durch eine ersatzlose Verwirkung der Finanzobligationen, so hob er in einer sachlich schiefen, seinem Publikum aber durchaus eingängigen Analogie hervor, würde die Republik in ein System feudaler Herrschaft zurückfallen. Gerade aber die Anerkennung von Besitzverhältnissen und Transaktionen, zu denen auch die Bankgeschäfte zählten, sei eine Errungenschaft der Revolution: „[I]t is anti-American to seize the property of individuals; it is the plundering practice of British confiscation.“585 Durch die Metapher vom räuberischen England, die sich tief in das Kollektivgedächtnis der Kriegs- und Nachkriegsgeneration des Tiefen Südens eingebrannt hatte, ließ Davis seinen umstrittenen Standpunkt in einer Eloge auf den amerikanischen Nationalcharakter aufgehen. Völlig unvermittelt beendete er sein Schreiben nach der Darlegung der finanzpolitischen Gesichtspunkte mit einer anglophoben Grundsatzerklärung, wie sie Thomas Jefferson nicht griffiger hätte formulieren können: My thoughts, my feelings, are American; to England, the robber nation of the earth, whose history is a long succession of wrongs and oppressions, whose tracks are marked by the crushed rights of individuals – to England, I cannot go for lessons of morality and justice.586
Auch wenn er sich in der Bankenfrage von der Mehrheit der Mississippi-Demokraten distanzierte, traf er durch solche und andere Zuspitzungen im Wahlkampf fast durchweg den richtigen Ton. Einerseits forderte er nach dem Abschluss der Texas-Verhandlungen die Fortsetzung der Westexpansion, explizit auch die Vereinnahmung ganz Oregons.587 Andererseits integrierte er seine nationalen Standpunkte in einem Programm sektionaler Verlässlichkeit, gab 584 Vgl. Davis an John Jenkins, 05.07.1845, in: McIntosh (Hg.), Papers of Jefferson Davis, Bd. 2, 283–288, hier 286. 585 Ebd. 1846 sollte sich die demokratische Dominanz schließlich durchsetzen und die ursprüngliche Gesetzesvorlage Briscoes in Kraft treten. Vgl. dazu und zur Positionierung von Davis gegen die Mehrheitsmeinung der Partei Sharp, Jacksonians versus the Banks, 86. 586 Davis an John Jekins, 05.07.1845, in: McIntosh (Hg.), Papers of Jefferson Davis, Bd. 2, 283–288, hier 287. 587 Vgl. Note of a Political Meeting, 02.09.1845, in: ebd., 324–326, hier 324. Im Rahmen seines exzessiven Wahlkampfprogramms bekannte sich Davis mehrfach zur Texas-, Kalifornien- und Oregon-Annexion und sprach dabei, der Terminologie sendungsbewusster Manifest Destiny-Expansionisten verpflichtet, von der Besiedlung dieser Territorien durch die „hardy sons of the Anglo-Saxon race“. Notice of a Political Meeting – Speech by Jefferson Davis, 15.09.1845, in: ebd., 337–338, hier 338.
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sich ganz als Mann des Südens, für Freihandel streitend und die Verfassung nach konservativen Prinzipien auslegend. Ein freundlich gesonnener Kommentator bezeichnete ihn als künftigen „Calhoun Mississippis“.588 Tatsächlich erwuchs dieser berühmte Partikularist nach dem Tode Jacksons zu seinem politischen Idol. Ohne den Calhoun der 1840er, so ist geurteilt worden, hätte der Davis der 1850er nicht existiert.589 Eine Reihe von Politikern und Intellektuellen der Konföderation – von Hammond im Jahre 1836 über Toombs und Yancey im Jahre 1844 – inszenierten ihre ersten Auftritte im Kongress als erinnerungswürdiges Spektakel. Nachdem er zusammen mit seiner zweiten Ehefrau Varina Howell Davis590 am Potomac Quartier bezogen hatte, erwarb sich auch Davis rasch einen Namen in der Hauptstadt. Das Unionsbild, das er in seinen ersten Kongressreden entwarf, orientierte sich an bürgerlich-republikanischen, weniger an primordialen Nationalitätsvorstellungen. Sein säkularer Begriff der Nation arbeitete die Trenngräben innerhalb der atlantischen Welt heraus und definierte ganz im Jeffersonschen Sinne das als amerikanisch, was nicht englisch war.591 Daher zeigte er sich auch weniger empfänglich für primordiale Englandbilder, die genealogische Verbindungen aus der Kolonialzeit mythologisierten und eine verlorene Zeit vermeintlich aristokratischer Würde betrauerten. Diese in der Tat sehr grundsätzliche Haltung mag erklären, warum Davis nicht auf die kulturellen Verbindungen zwischen den englischsprachigen Völkern abzielte, als er im Februar 1846 für die Bewahrung des atlantischen Friedens eintrat. Mehr noch als in den bisher untersuchten Ausführungen zur Oregon-Krise erscheint die eigentlich außenpolitische Thematik hier als Reflexionsrahmen für das innere Verhältnis zwischen Nord und Süd. Unabhängig davon gehörte Davis’ Ansprache vom 6. Februar zu den moderaten und zielführenden Kommentaren während der Kongressdebatten über die Auflösung der Oregon-Konvention.592 Von seinen All Oregon-Parolen aus dem erst wenige Monate zurückliegenden Mississippi-Wahlkampf Abstand nehmend, befürwortete er zwar die Beendigung der anglo-amerikanischen Gebietsverwaltung, knüpfte dies aber an einen Teilungskompromiss entlang des 49. Breitengrades.593 588 Notice of a Political Meeting – Speeches by Jacob Thompson and Jefferson Davis, 01.11.1845, in: ebd., 355–356, hier 356. 589 Vgl. Davis, Man and His Hour, 117. Vgl. ähnlich Johnson, History of the American People, 450. 590 Zur ihr vgl. jetzt Cashin, First Lady of the Confederacy. 591 Vgl. Speech on the Naturalization Laws and the Native American Party, 18.12.1845, in: McIntosh (Hg.), Papers of Jefferson Davis, Bd. 2, 388–393, hier 391; Speech on the Resolution to Terminate the Joint Occupation of Oregon, 06.02.1846, in: ebd., 437– 466, hier 457. 592 Vgl. Speech on the Resolution to Terminate the Joint Occupation of Oregon, 06.02.1846, in: McIntosh (Hg.), Papers of Jefferson Davis, Bd. 2, 437–467. 593 Vgl. ebd., 458. Vgl. die Darlegung seiner Motive vor einem Mississippi-Publikum am
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Während Robert Toombs aus Georgia, der letztlich die gleiche Lösung ansteuerte, vor dem Kongressplenum als beherzter Oregon-Annexionist aufgetreten war594, wog Davis die Chancen eines England-Krieges gegen dessen Risiken für die übrigen Expansionsprojekte im pazifischen Westen ab, vor allem für Kalifornien. Desgleichen erkannte er, dass die Frage, ob der Kongress die Beendigung der anglo-amerikanischen Verwaltung beschließen solle oder nicht, kein Ehrproblem im eigentlichen Sinne war, sondern bloß einen formalen und jederzeit legitimen Rechtsakt darstellte, der allerdings unter dem Gesichtspunkt der „Zweckmäßigkeit“ betrachtet werden müsse.595 In Anbetracht der militärischen Machtverhältnisse konnte von rationaler Kriegspolitik der unterlegenen Union nicht die Rede sein. Wenn der Konflikt aber friedlich zu schlichten sei, müsse die amerikanische Diplomatie Augenmaß beweisen und ihre Forderungen nach denselben Zumutbarkeitskriterien ausrichten, die sie für sich beanspruche: „Sir, we cannot expect, we should not require, our adversary to submit to more than we would bear.“596 Der Gedanke eines nüchtern kalkulierten quid pro quo, wie Davis es gegenüber England empfahl, beschreibt einerseits ein Verständnis von Außenpolitik als der Kunst, durch Aneignung und Reflexion auswärtiger Interessen das Mögliche zu erreichen.597 Er deutet hier auch eine Ehrbezeugung gegenüber England an, dem als gleichberechtigter Gegenüber keine entehrende Haltung zugemutet werden konnte – dass Davis in anderen Kontexten das „räuberische England“ per se als ehrlose Nation beschrieb, wird davon nicht berührt. Darüber hinaus konnte seine Ausgleichsformel auch als Plädoyer für ein geregeltes Miteinander zwischen den Staaten innerhalb der Union begriffen werden, wie er selbst unterstrich, als er zum Abschluss seines Oregon-Plädoyers die sektionale Dimension der Expansionskrisen beklagte. Unverhüllt äußerte er den Vorwurf, dass die nordstaatlichen Gegner der Annexion von 13.07.1846, in: McIntosh (Hg.), Papers of Jefferson Davis, Bd. 3, 3–11, hier 7. 594 Vgl. o. 201. 595 Vgl. Speech on the Resolution to Terminate the Joint Occupation of Oregon, 06.02.1846, in: McIntosh (Hg.), Papers of Jefferson Davis, Bd. 2, 437–467, hier 441. Wie Davis nicht zu Unrecht bemerkte, hatte die Diskussion über die Oregon-Frage in ein regelrechtes Ehrdilemma geführt: „On the one hand, we are told, not to give notice to terminate the Oregon convention is a dishonorable retreat; on the other, that to give the notice will probably lead to war, and that would be dishonor.“ So nutzte er ein mühsam erarbeitetes Detailwissen zur Geschichte Oregons, um die These zu belegen, dass hier überhaupt keine Ehrfrage verhandelt wurde. Vgl. Allen, Unconquerable Heart, 131. 596 Speech on the Resolution to Terminate the Joint Occupation of Oregon, 06.02.1846, in: McIntosh (Hg.), Papers of Jefferson Davis, Bd. 2, 437–467, hier 459. Vgl. auch Davis, To a Gentleman in Vicksburg, 12.05.1846, in: ebd., 589–591, hier 590. 597 Davis’ Biograph hat diese Reflexion als „one of the best examples of dispassionate, even-handed treatment of an issue“ bezeichnet, „that he ever would display“. Davis, Man and His Hour, 122.
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Texas – „a country graciously offered to us“ – nun einer gewaltsamen Eroberung der britischen Provinzen in Kanada entgegenfieberten. Hieraus sprächen eine Doppelzüngigkeit und eine Veränderungswut, die den Süden zu einem Machtwettlauf zwangen, den er keinesfalls wollte: „Sir, the doctrine of a political balance between different sections of our Union, is not of southern growth.“598 Davis’ Äußerung widerspricht zwar dem Umstand, dass die Motive der Texas-Expansionisten um Ex-Präsident Tyler und Calhoun sehr wohl einem inneramerikanischen Gleichgewichtsdenken entsprungen waren. Dennoch ließ sich über den Vorwurf sektionaler Borniertheit ein spezifischer Unionsbegriff besetzen, aus dem er eine Lesart der amerikanischen Geschichte entwickelte, die den Süden als eigentlichen Träger der Nationalidee identifizierte und das vor dem Hintergrund der englischen Herausforderungen zu belegen trachtete: In 1776, the rights of man were violated in the outrages upon the northern Colonies, and the South united in a war for their defense. In 1812, the flag of our Union was insulted, our sailor’s rights invaded; and though the interests infringed were mainly northern, war was declared, and the opposition to its vigorous prosecution came not from the South. We entered it for the common cause, and for the common cause we freely met its sacrifices. If, sir, we have not been the ‘war party in peace’, neither have we been ‘the peace party in war’, and I will leave the past to answer for the future.599
In einer sehr selektiven Betrachtung verwischte er die südstaatlichen Interessen am Krieg von 1812 und dramatisierte den Konflikt als eine der entbehrungsreichen Vorleistungen, die der Süden für die Union erbracht hatte. Auf diese Weise vermochte er die Geschichte des Südens und die nationale Geschichte Amerikas in der gemeinsamen Erinnerung an zwei Kriege gegen Großbritannien idealtypisch zusammenzuführen. Wie kaum ein anderer Südstaaten-Politiker sollte er in den 1850er Jahren dieses republikanisch-anglophobe Unionsideal verteidigen und später – das englische Ressentiment auf das nordstaatliche Feindbild übertragend – in seiner Konföderationsloyalität aufgehen lassen. Fürs Erste jedoch bekannte er sich mit einer starken Geste zum Unionsnationalismus. Nach dem Ausbruch des Mexikanischen Krieges im Juli 1846 legte er sein Abgeordnetenmandat nieder und meldete sich zum Militär. Der Kriegsdienst beeinflusste den Verlauf seiner Karriere ganz entscheidend. Zur landesweiten Bekanntheit gelangte er wegen seines waghalsigen Regimentsmanövers bei Buena Vista, wo ein zahlenmäßig unterlegenes US-Heer unter Zachary Taylor die Truppen Santa Annas zurückschlug.600 Danach absolvierte er als Senator und Kriegsminister
598 Speech on the Resolution to Terminate the Joint Occupation of Oregon, 06.02.1846, in: McIntosh (Hg.), Papers of Jefferson Davis, Bd. 2, 437–467, hier 460. 599 Ebd., 462. 600 Vgl. dazu ausführlich Davis, Man and His Hour, 149–168; Cooper, Jefferson Davis, 131–169.
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einen steilen politischen Aufstieg, der 1861 auf einen nicht antizipierten, durchaus auch als tragisch empfundenen Höhepunkt zusteuerte. Louisiana: Judah Philip Benjamin Ausgerechnet eine der Schlüsselfiguren konföderierter Außenpolitik entzieht sich dem historischen Urteil, wird als politischer Charakter kaum fassbar und bleibt in ihrer Komplexität letztlich unergründlich: Judah Philip Benjamin.601 Robert Toombs und Robert M. T. Hunter, die aufeinander folgenden Außenminister der Konföderation der Jahre 1861 / 62, gelangten in den Anfängen einer großen Krise in ihr Amt, als der diplomatische Spielraum noch größer war als in der Zeit danach. Gleichwohl harrten sie doch jeweils nur für einige Monate auf ihren Posten aus. Benjamin hingegen, der als enger Vertrauter von Jefferson Davis dem State Department bis zum bitteren Ende vorstand, erscheint als eigentlicher Programmatiker und Gestalter der Außenpolitik, soweit das unter den sich verschärfenden Umständen des Krieges überhaupt möglich war. Im Gegensatz zu den übrigen Kabinettsmitgliedern, die eine reichhaltige Korrespondenz hinterließen und später mit zum Teil giftiger Feder ihre Memoiren niederschrieben, hat Benjamin vor der Flucht aus Richmond im Jahre 1865 seine persönlichen Briefe verbrannt und sich in den verbleibenden zwanzig Jahren in England, wo er zu einem geachteten Juristen aufstieg, so gut wie gar nicht über seine Zeit in der konföderierten Regierung geäußert.602 Bei Benjamin gab es eine Diskrepanz zwischen „his early hunger for recognition and fame and the utter secrecy and privacy of his later life“.603 Im Jahre 1811 auf der damals zu Britisch-Westindien gehörenden Insel St. Croix geboren, stammte er mütterlicherseits von einer alten Familie sephardischer 601 Vgl. die mysteriösen Züge von Benjamins Charakter in etwas zu klischeehafter Manier beschreibend Kaplan, Judah P. Benjamin, 75. Nicht nur vor dem Hintergrund ihrer jüdischen Herkunft, sondern auch aufgrund der Schnittmengen ihres konservativen Denkens sind Judah P. Benjamin und Benjamin Disraeli in der Forschung miteinander verglichen worden. Vgl. Gorin, Anglo-American Conservative Response. 602 Die Benjamin-Forschung hat mit dieser spezifischen Quellenarmut bis heute zu kämpfen. Eine frühe, zum Teil noch auf Zeitzeugenaussagen beruhende und nicht nur deshalb wertvolle Biographie ist Butler, Judah P. Benjamin. Vgl. auch Gruss, Judah Philip Benjamin. Vgl. sodann die 1943 publizierte und bis heute wichtige Darstellung von Meade, Judah P. Benjamin. Die neueste Arbeit über Benjamin hat Eli Evans im Jahre 1988 verfasst. Das Problem dieses glänzend geschriebenen Buches liegt vornehmlich darin, dass es im Hinblick auf Benjamins politische Biographie den älteren Arbeiten Butlers und Meades wenig hinzuzufügen hat. Evans’ eigentlicher Gegenstand, der jüdische Kulturhorizont, lässt sich anhand der vorhandenen Quellen nur schwer rekonstruieren. Vgl. Evans, Jewish Confederate, bes. 10–14, 28 f. 603 Evans, Jewish Confederate, xix.
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Juden ab, deren Zweige über Generationen hinweg nach Portugal, die Niederlande und England zurückreichten. Während die übrigen Angehörigen in reiche westindische Pflanzerfamilien einheirateten, blieben die Lebensumstände von Benjamins Eltern, die 1807 in London geheiratet hatten und kurz darauf in die Karibik ausgewandert waren, bescheiden und bisweilen auch kritisch. Um der Verarmungsspirale zu entkommen, ließen sie sich um 1813 bei einem wohlhabenden Verwandten in North Carolina nieder. Die prägenden Eindrücke seiner Jugend empfing Benjamin allerdings weiter südlich in Charleston, wo sein Vater ab 1821 den von vielerlei Fehlschlägen gekennzeichneten Versuch unternahm, geschäftlich Fuß zu fassen. Charlestons jüdische Gemeinde, lange Zeit eine der größten ihrer Art überhaupt in den Vereinigten Staaten, zeichnete sich durch eine rege Lebendigkeit aus.604 Als nichtpraktizierender Jude zeitlebens außerhalb der organisierten Religionsformen stehend, konvertierte er nie zu einem anderen Bekenntnis, obgleich sein Judentum den öffentlichen Aufstieg ein ums andere mal erschwerte.605 So war er denn gewissermaßen ein Außenseiter sowohl in der jüdischen als auch in der nichtjüdischen Welt.606 Eine Erfahrung, die jede Kindheit in Charleston unabhängig von der Religionszugehörigkeit begleitete, war der tagtägliche Umgang mit der Sklaverei.607 In der Karibik hatten die Benjamins einige Haussklaven besessen; als Gewerbetreibende, die sich kaum über der Existenzgrenze hielten, verband sie mit der großgrundbesitzenden Sklavenhalterschicht South Carolinas jedoch nur wenig. Dass die Sklaverei aber auch tief in das Leben derer eingriff, die keine oder nur wenige Sklaven hielten, erfuhren sie schon wenige Monate nach ihrer Ankunft in Charleston. Im Sommer 1822 wurde die Stadt von der Hysterie um die in letzter Sekunde aufgedeckte Sklavenverschwörung um den freien Schwarzen Denmark Vesey erschüttert. Die bis in seine unmittelbare Nachbarschaft hineinreichenden Schauhinrichtungen, inszeniert in einem Klima der Angst und der Denunziation, dürften einen tiefen Eindruck hinterlassen haben. Wie genau dieses Erlebnis sein Sklavereibild und seine politische Einstellung insgesamt geprägt hat, ist nicht sicher auszumachen.608 Auch wenn er nie in den Tenor der rassistischen Pro Slavery-Apologeten vom Schlage Hammonds oder Calhouns einfiel und später sogar (vermeintlich) sklavereikritische Töne anschlug, betrachtete er den Erwerb und Besitz von Sklaven doch als Eintrittsvoraussetzung in eine Oberschicht, in die er als ungeliebter Außenseiter mit Macht hineindrängte.
604 Vgl. Reznikoff, Jews of Charleston, bes. 65–173. Vgl. neueren Datums Hagy, This Happy Land. 605 Vgl. so Evans, Provincials, 62 f. 606 Evans, Jewish Confederate, 13. 607 Vgl. Kaplan, Judah P. Benjamin, 78. 608 Vgl. in dieser Hinsicht stark spekulativ Meade, Judah P. Benjamin, 14.
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In der Tat lässt sich im Streben nach einem sozialen Profil das eigentliche Leitmotiv der frühen Jahrzehnte Benjamins ausmachen.609 Als mittelloser Jude im Antebellum-Süden war er nicht in die familiären Netzwerke eingebunden, die den Söhnen der eingesessenen Pflanzerdynastien den Besuch der höheren Bildungseinrichtungen ermöglichten. Das Kapital für den gesellschaftlichen Aufstieg war sein Intellekt, der aus den Kreisen der Charlestoner Gemeinde gezielt gefördert wurde.610 Finanziert durch die Gelder eines jüdischen Kaufmanns, absolvierte er ab 1825 seine akademische Ausbildung an der Yale University, wohin damals die reichen Pflanzersöhne aus dem gesamten Süden strömten. Im fernen New Haven, zeitlebens sein einziger längerer Aufenthaltsort im Norden, adaptierte er – zumindest selektiv – den Habitus der reicheren Eliteschüler, denen er intellektuell oftmals überlegen war. Als beliebtes Forum zur Demonstration geistiger Statur und rhetorischer Schlagfertigkeit boten sich die studentischen Debatiergesellschaften an, in deren Rahmen sich Benjamin lebhaft engagierte und auch bereits zu politischen Themen Stellung nahm.611 Der universitäre Mikrokosmos war von den Nachbeben der MissouriKrise von 1819 / 20 nicht ausgenommen. Benjamins Loyalität in den Sprachgefechten galt eindeutig dem Süden, und er definierte diese Loyalität auch bereits in sektionalen Dimensionen: Als die Runde einen Nordstaatler zum Präsidenten wählte und die Sklavenemanzipation zum Debattenthema erklären wollte, optierten die südstaatlichen Studenten gleichsam für die Sezession und riefen einen separaten Redeclub ins Leben, dem auch Benjamin beitrat.612 Weil der entwurzelte Sohn aus jüdischer Familie in Yale sowohl persönlichen Anschluss fand als auch akademische Reputation erntete, muten die Umstände seines vorzeitigen Abganges nach nur zwei Jahren rätselhaft an.613 Jedenfalls sah er sich zu einem tiefen biographischen Einschnitt veranlasst. Ohne Rücklagen brach er 1828 nach Louisiana auf, um dort über Umwege das Sozialprestige zu erlangen, das ihm von den Ostküsteninstitutionen verwehrt worden war. Keine Stadt im Süden schien dafür besser geeignet als New Orleans, das „Athen des Südens“.614 Kaum fünfundzwanzig Jahre nach dem Louisiana Purchase bot der kulturelle Schmelztiegel und das rasant wachsende Kommerzzentrum am Küstendelta des Mississippi ein Gegenbild zur verfallenden Aristokratenresidenz 609 Wie Benjamin Kaplan etwas zugespitzt formuliert, blieb Benjamin zeitlebens neben seinen Erfolgen als Jurist und in der Politik ein „fanatical proponent of the dream of southern grandeur“. Kaplan, Judah P. Benjamin, 83. 610 Vgl. Hagy, This Happy Land, 71 f.; Mapp, Frock Coats and Epaulets, 334. 611 Zur studentischen Debattenkultur und zur Stellung jüdischer Studierender an der Universität liegt eine umfangreiche Studie vor. Vgl. Oren, Joining the Club. 612 Vgl. hierzu Evans, Jewish Confederate, 17. 613 Vgl. Oren, Joining the Club; Evans, Jewish Confederate, 18–22. 614 Pollard, Hints on Southern Civilization, in: Southern Literary Messenger 4 (1861), 308–313, hier 312: „New Orleans – The Athens of the South.“
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Charleston.615 Während die kreolische Elite ihre sozialen Privilegien erbittert verteidigte, strömten immer mehr Einwanderer in die Stadt und setzten in einem komplizierten Integrationsprozess die Verschiebung der Machtverhältnisse in Gang (Benjamin selbst ist ein gutes Beispiel hierfür).616 Obwohl die Verfassung Louisianas mit ihren restriktiven Bestimmungen die alten Eliten stützte, bot das urbane Milieu von New Orleans arbeitswilligen und begabten Aufsteigern Möglichkeiten für den Einstieg in die Politik. So waren es Zugezogene, wie der New Yorker John Slidell, die ihre von der Ostküste erprobten Polit-Techniken auf die Metropole am Mississippi übertrugen und ein Netzwerk von rivalisierenden Fraktionen aufbauten.617 In einer Zeit, als die meisten der bisher behandelten Südstaatler bereits durch die Annullierungskrise politisiert wurden, gelang dem völlig mittellosen Benjamin in diesem Milieu innerhalb von nur zehn Jahren eine der bemerkenswertesten Karrieren überhaupt. Nicht lange nach seiner Ankunft heiratete er in eine katholische Kreolen-Familie ein, etablierte sich als Jurist mit Schwerpunkt auf handels- und zivilrechtlichen Fragen und kompilierte nebenbei die Digesten aller Urteile der Obersten Gerichtshöfe von Louisiana seit der Territorialära.618 Im März 1833 verhandelte der Zweiundzwanzigjährige seinen ersten Fall vor dem Louisiana Supreme Court. Unter den Konföderierten, die über eine rechtswissenschaftliche Ausbildung in die Politik gelangten, war Benjamin sicherlich der brillanteste Anwalt. Auf lange Sicht gesehen, diente auch ihm die Juristerei als Vorspiel für politische Weihen. Durch Thomas Slidell, der ihn bei der Herausgabe der Gerichtsurteile unterstützt hatte, geriet er Mitte der 1830er Jahre in engeren Kontakt mit dessen Bruder John, der damals zum demokratischen „Boss“ Louisianas aufstieg.619 Vor dem Hintergrund seiner Aufsteigerbiographie verwundert es nicht, dass es Benjamin allerdings in das Lager der konservativen Whigs trieb, die insbesondere die Großpflanzer- und Geschäftsinteressen vertraten.620 Unproportional bevorteilt durch die restriktive Verfassung von 1812, besaßen die Whigs eine relativ starke Position im Staat und bündelten ihre Kräfte sowohl gegen die demokratische Bankenpolitik als auch gegen die Annexion von Texas, die sie primär unter ökono615 Vgl. McKinney, New Orleans, 11–29; Garvey / Widmer, Beautiful Crescent, 77–119; Tregle, Louisiana in the Age of Jackson, 23–37. 616 Zum urbanen Milieu in den späten 1820er Jahren – einer „period of transition“ – vgl. Meade, Judah P. Benjamin, 31 f.; Gorin, Anglo-American Conservative Response, 46 f. 617 Vgl. Sacher, Perfect War of Politics, 304 f. 618 Vgl. Butler, Judah P. Benjamin, 32–64; Meade, Judah P. Benjamin, 37; Evans, Jewish Confederate, 18–28; Gruss, Juhah Philip Benjamin, 978 f. 619 Zu Slidell vgl. noch immer Sears, John Slidell. Zur Senatorenzeit in Washington von 1853 bis 1861 vgl. Diket, Senator John Slidell. Slidells Tätigkeit als konföderierter Frankreichgesandter untersucht Wilson, John Slidell and the Confederates in Paris. 620 Vgl. zu den Louisiana-Whigs Garvey / Widmer, Beautiful Crescent, 114. Vgl. Benjamins Hinwendung als logische Konsequenz seiner wirtschaftlichen Interessen und seines politischen Denkens interpretierend Gorin, Anglo-American Conservative Response, 55.
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mischen Gesichtspunkten betrachteten und als Gefahr für ihre Hegemonie auf dem amerikanischen Zuckermarkt ablehnten.621 Wie bereits erwähnt, bestand zwischen den Parteien im Tiefen Süden aber kein Dissens über die Sklavereifrage. Auch Benjamin komplettierte seine Sozialisation als südstaatlicher self-made man, indem er sich in die MississippiPlantage Bellechase einkaufte und bei dieser Transaktion 140 Sklaven erwarb.622 Zeitlebens kein eingefleischter Pro Slavery-Rassist und allem Anschein nach ebenso wie Jefferson Davis ein human-paternalistischer Sklavenhalter, verteidigte er die Sklaverei als Grundlage der südstaatlichen Sozialordnung und fügte sich ansonsten in die pragmatische Attitüde, dass er „akzeptierte, was er nicht ändern konnte“.623 Überhaupt tendierten die öffentlichen Einlassungen des Juristen, Politikers und Zuckerpflanzers Benjamin weder in der einen noch in der anderen Richtung zur Radikalität, sondern waren durchweg von einem vernunft- und zweckorientierten Kompromissprimat geprägt. Daraus ergeben sich auch Hinweise auf die eigentlich relevante Frage nach dem Verhältnis Benjamins zur atlantischen Welt, speziell nach seinen Vorstellungen über England. Grundsätzlich dürfte dieser in verschiedenen Küstenzentren Amerikas sozialisierte Südstaatler ausgiebiger auf Reisen gewesen sein als alle anderen Konföderationspolitiker. Als sich seine extravagante Frau im Jahre 1845 entschloss, der Einsamkeit ihres Plantagenlebens den Rücken zu kehren und mit der gemeinsamen Tochter nach Paris zu emigrieren (freilich ohne die Ehe aufzulösen), pendelte sich im Lebensrhythmus Benjamins ein „fast jährlicher“624 Aufenthalt in Frankreich ein. Dass er bei seinen vielen Europareisen von 1845 bis 1860 auch England besuchte, kann als sehr wahrscheinlich gelten, ist aber nicht zu belegen. Wer die englischen Referenzen in seinem politischen Denken sucht, muss sich also auf eine regionale Perspektive beschränken und die legalistische Rhetorik des ehrgeizigen Anwaltes in New Orleans näher betrachten. Im Jahre 1842 verhandelte er einen Fall, der für internationales Aussehen sorgte und insbesondere im Süden hohe Wellen schlug – die Sklavenmeuterei auf der Brigg Creole. Die gewaltsame Kommandoübernahme auf dem zwischen US-Häfen verkehrenden Frachter war zum Politikum geworden, weil britische Behörden in Nassau die meisten Sklaven in die Freiheit entlassen hatten. Auf diesen Vorfall, der das Scheitern der Verhandlungen Andrew Stevensons über die schiffbrüchigen Sklaven um das Tabuthema der Skla621 Vgl. Sacher, Perfect War of Politics, 83–87. Zur Diskussion über die Texas-Frage in Louisiana vgl. Winston, Louisiana and the Annexation of Texas. 622 Vgl. Benjamins wirtschaftlichen Erfolg hervorhebend Follet, Sugar Masters, 34. 623 Evans, Jewish Confederate, 37. Vgl. ähnlich Gorin, Anglo-American Conservative Response, 50. 624 Der Hinweis hierauf findet sich in einem Porträt Benjamins im New Orleans Delta anlässlich seiner Senatswahl 1852. Vgl. New Orleans Delta, 07.02.1852. Vgl. ferner Evans, Jewish Condeferate, 103; Mapp, Frock Coats and Epaulets, 339.
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venrebellion anreicherte625, reagierten die Südstaatler mit einer Flut von Vorwürfen und anglophoben Ressentiments, derer sich renommierte Englandkritiker wie John C. Calhoun auch politisch zu bedienen wussten.626 Judah P. Benjamin, der in dieser Zeit gerade erst am Anfang seiner Karriere stand, begutachtete und kommentierte den Fall primär in rechtlicher Hinsicht. Als Vertreter der Versicherungsgesellschaften, die sich der Zahlungsaufforderungen geschädigter Sklavenhalter gegenübersahen, schlug er vor dem Obersten Gerichtshof Louisianas erstaunliche, der öffentlichen Mehrheitsmeinung entgegenlaufende Töne an. Weil er in seinem Plädoyer die Entschädigungsklage als solches zu entkräften hatte, wies er die Verantwortung für die CreoleRebellion weniger den aufständischen Sklaven als vielmehr ihren Besitzern und Händlern zu, vor allem deshalb, weil sie ihre menschliche „Fracht“ auf engem Raum zusammengepfercht und damit eine Meuterei geradezu provoziert hätten.627 Zur Untermauerung seiner Argumente zog Benjamin eine Auffassung von der Humanität der Schwarzen hinzu, die in den Pro Slavery-Diskursen der Antebellum-Zeit so selten geworden war: What is a slave? He is a human being. He has feeling and passion and intellect. His heart, like the heart of the white man, swells with love, burns with jealousy, aches with sorrow […], boils with revenge and ever cherishes the desire for liberty. His passions and feelings in some respects may not be as fervid and as delicate as those of the white, nor his intellect as acute; but passions and feelings he has, and in some respects, they are more violent and consequently more dangerous […]. Considering the character of the slave […], he is prone to revolt […], and ever ready to conquer his liberty where a probable chance presents itself.628
Diese auf ihren emotional-dramaturgischen Effekt hin gewählten Worte erinnern an die Metaphern der republikanischen Sklavereikritik, wie sie Thomas Jeffersons verwendet hatte.629 Selbst wenn Benjamins Plädoyer von den gleichen Rassestereotypen durchzogen war, die auch das Unbehagen der Gründerväter an der Sklaverei auszeichneten, ist doch bemerkenswert, dass mit dem Vorwurf an die Sklavenhalter eine Entlastung der britischen Befreier einherging. Ganz anders nämlich als südstaatliche Politiker von Stevenson bis Calhoun immer wieder betonten, vermochten sich die Amerikaner nach Benjamin keineswegs auf die juristische Legitimation ihrer Standpunkte zu berufen. Weil die Sklaverei den Naturrechtsprinzipien erklärtermaßen zuwider laufe und daher auch nicht als Tatbestand des Völkerrechts gelten könne, besäße sie nur landesrechtliche Verbindlichkeit.630 Die Befreiung der Sklaven 625 Vgl. o. 109, Anm. 120. 626 Vgl. o. 104. 627 Unter den gegebenen Bedingungen verortete Benjamin damit das Risiko beim Versicherten und nicht beim Versicherer. Vgl. Meade, Judah P. Benjamin, 40 f. 628 McCargo vs. New Orleans Insurance Company, zit. n. Evans, Jewish Confederate, 38 f. 629 Vgl. besonders Jefferson, Notes on the State of Virginia, 137–143. 630 Vgl. McCargo vs. New Orleans Insurance Company, zit. n. Evans, Jewish Confederate, 38.
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auf der Creole, so Benjamin, war daher keine unzulässige Intervention eines Staates in die Souveränität eines anderen, sondern befand sich im Einklang mit natur- und völkerrechtlichen Grundsätzen, gegen die kein Versicherungsanspruch erhoben werden konnte.631 Nach diesen Prinzipien besaßen die Briten das „Recht“, Sklaven, die sich der Kontrolle ihrer Herren entzogen hatten, als freie Rechtssubjekte willkommen zu heißen. Die legalistische Bestimmtheit, mit der die Argumente des Südens hier aus den Angeln gehoben wurden, ist erstaunlich. Aus dem Munde eines Einwanderers von der Ostküste, der in New Orleans nach öffentlicher Anerkennung strebte, klingt sie gar verwegen. Trotzdem lässt sie sich schwerlich auf die Protesthaltung eines unangepassten Außenseiters zurückführen, der sich dem soziokulturellen Milieu der Pflanzerelite in Louisiana verschloss. Benjamins Worte lagen im Kalkül des erfolgsorientierten Juristen, der vor Gericht einen wichtigen Fall vertrat und gewinnen wollte. Tatsächlich ging er siegreich aus den Creole-Verhandlungen hervor und sicherte sich damit erstmals einen überregionalen Bekanntheitsgrad.632 So dürfen keine voreiligen Schlüsse in die Richtung gezogen werden, seine Rechtfertigung der britischen Aktion verweise im Zusammenspiel mit den sklavereikritischen Einschüben auf eine Nähe zu abolitionistischen Ideen.633 Auch wenn er sich nie in einen übersteigerten Englandhass oder eine radikale Sklavereiapologie hineinredete, wurde er bis zu seinem Eintritt in die Bundespolitik 1852 vom Umfeld des Tiefen Baumwollsüdens geformt. Davor wie danach blieb er aber, wie unlängst festgestellt worden ist, ein „ultimativer Pragmatiker“.634 5. KOMPROMISS UND KRISE: ENGLANDBILDER UND INNENPOLITIK, 1848–58 Nach dem Ende des Mexikanischen Krieges ernteten die Amerikaner „die bitteren Früchte der manifest destiny“.635 Bereits 1819 / 20, als die Sklavereifrage im Zuge der Missouri-Krise zum bundespolitischen Streitthema geworden war, hatte Jefferson besorgt geschrieben: „[T]his momentous ques631 Vgl. Butler, Judah P. Benjamin, 42 f. Dass Benjamin naturrechtliche Argumente gegen die Sklaverei anführte, war ebenso bemerkenswert wie der Umstand, dass er Völkerrecht so eindeutig vor Landesrecht stellte – eine Auffassung, die der südstaatlichen Position in den internationalen Verhandlungen diametral entgegenstand. 632 Vgl. Butler, Judah P. Benjamin, 43; Meade, Judah P. Benjamin, 42; Evans, Jewish Confederate, 39. 633 Ganz im Gegenteil profilierte sich Benjamin während seiner Senatskarriere als energischer Verteidiger der Sklaverei und artikulierte das auch in den gängigen anglophoben Topoi der Zeit. Vgl. dazu u. 248. 634 Davis, Vorwort zur Neuausgabe von Meade, Judah P. Benjamin, xii. 635 Wilentz, Rise of American Democracy, 577–601. Vgl. ähnlich bereits Nevins, Fruits of Manifest Destiny.
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tion, like a fire-bell in the night, awakened and filled me with terror.“636 Mit dem Wilmot Proviso von 1846 schien sich diese Furcht zu bestätigen. Und für einige kritische Monate im Frühjahr und Sommer 1850 drohte der Streit um die Sklaverei in Kalifornien die Republik endgültig zu zersprengen. Während die Unionsfeinde um Rhett auf einem separaten Südstaatenkonvent die Sezession zu erzwingen versuchten, rangen in Washington jene Senatoren mit ihrem nationalen Gewissen, die elf Jahre später dann tatsächlich die Aufgabe übernehmen sollten, eine unabhängige Südstaaten-Regierung zu etablieren. 1850 fanden die künftigen Konföderierten aber zu keiner einheitlichen Position zusammen. Die eigentlichen Erben Calhouns – Hunter, Mason und auch Davis – waren nicht bereit, für den Erhalt der Union ein Sklavereiverbot in Kalifornien in Kauf zu nehmen und lehnten den Kompromiss daher ab. Toombs und Stephens aus Georgia betrachteten die kalifornische Frage hingegen als Teil der Verhandlungsmasse, um die Sezession zu vermeiden. Auch Benjamin, der die große Politik damals freilich noch von Louisiana aus verfolgte, plädierte für Mäßigung und Deeskalation. Die Redeschlachten, die auf dem Kapitolhügel in diesem aufreibenden Jahr geschlagen wurden, gehören zu den bekanntesten der amerikanischen Geschichte und lassen sich als Ringen um den richtigen Patriotismusbegriff interpretieren.637 Außenpolitische Stellungnahmen nahmen im 31. Kongress naturgemäß keine zentrale Position ein. Gleichwohl koppelten die Südstaatler ihre Positionen überraschend oft an Englandbilder und ließen Referenzen an die englische Gegenwart oder Vergangenheit in ihre Argumente eingehen. Nach den Funktionen, die diese auswärtigen Vergleichs- und Kontrastfolien im innenpolitischen Zusammenhang erfüllten, kann unter mehreren Gesichtspunkten gefragt werden: Auf welche Art und mit welcher Intention flochten sie die Englandreferenzen ein? Lässt sich eine Verbindung zwischen anglophilen bzw. anglophoben Tendenzen eines solchen Bildes und den jeweiligen Zielen in der Kompromissdebatte feststellen? Welche langfristigen Folgen hatte die Grenzerfahrung von 1850 für die Evolution ihres (außen-)politischen Denkens? Trotz der unleugbaren Offenheit der Geschichte markierte die Krise den Auftakt für ein turbulentes Jahrzehnt, das mit innerer Logik in der Sezession endete.638 Der so genannte Kompromiss vermochte die strittigen Themen nicht 636 Thomas Jefferson an John Holmes, 22.04.1820, in: Peterson (Hg.), Portable Jefferson, 567–569, hier 567 f. 637 Vgl. Wilson (Hg.), Papers of John C. Calhoun, Bd. 28, 187–225; Congressional Globe, 31st Congress 1st Session, 07.03.1850, 476–483. 638 Vgl. im Überblick Walther, Shattering of the Union; Holt, Political Crisis of the 1850s. Vgl. noch immer Nevins, Fruit of Manifest Destiny; ders., House Dividing; ders., Douglas, Buchanan, and Party Chaos; ders., Prologue to Civil War. Wichtig ist ferner Potter, Impending Crisis. Vgl. die Relevanz der Sklavereifrage betonend Sewell, House Divided. Kenneth Stampp hat den originellen Versuch unternommen, die Tendenzen der Dekade im Schlüsseljahr 1857 zu bündeln. Vgl. Stampp, America in 1857.
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zu einem großen Lösungsentwurf zusammenzubinden und glich eher einem Stillstand, der den endgültigen Zusammenbruch allenfalls verzögerte.639 Die Vorboten der Krise und die Verschmelzung der Feindbilder In den Jahren 1848 bis 1850 stilisierten die Südstaatler den pazifischen Westen zum Lackmustest für die Zukunft der Sklavenstaaten. Die Probleme waren derart einschneidender Natur, dass die Diskussion im Juni 1848 ausgerechnet um die Organisation des Oregon-Territoriums entbrannte, wo sich die Frage nach der Einführung von Sklavenarbeit praktisch gar nicht stellte. Durch den Friedensvertrag von Guadalupe Hidalgo, der einen immensen Landgewinn für die Union bedeutete, gewann der Rechtsstatus der Sklaverei für Oregon aber symbolische Brisanz.640 Zwei Jahre zuvor hatten die Südstaatler über Parteigrenzen hinweg versucht, einen anglo-amerikanischen Krieg um das Nordwest-Territorium zu verhindern – nicht zuletzt deshalb, weil sein Erwerb im Wettstreit der Sektionen keine strategischen Vorteile versprach. Als Senator John Hale aus New Hampshire einen Antrag auf ein formales Sklavereiverbot für Oregon stellte, brachte der 1847 in den Senat gewählte Jefferson Davis eine Gegenvorlage ein, die das Gebiet für die Sklaverei zumindest theoretisch offen halten sollte.641 Als landesweit populärer Kriegsheld vertrat Davis eine unionistische Strömung unter den Southern Rights-Demokraten des Tiefen Südens. Deshalb durchsetzte er die Verteidigung seines Oregon-Antrages vor dem Senat am 12. Juli 1848 mit Verweisen auf „the lofty patriotism and enlightened statesmanship which, disregarding the passions of the hour, look to the general welfare and the permanent good“.642 Allerdings koppelte er dieses nationale Bekenntnis an klare sektionale Prämissen. Davis führte soziale wie religiöse Argumente zur Apologie der Sklavenhaltergesellschaft an und ordnete 639 Zur Krise von 1850 vgl. kompakt Waugh, Brink of Civil War. Vgl. aus der älteren Literatur Rozwenc, Compromise of 1850. David Potters These, dass die Regelungen weniger als Kompromiss im wörtlichen Sinne, sondern eher als „armistice“ gedeutet werden können, ist zuzustimmen. Vgl. Potter, Impending Crisis, 90–121. Vgl. auch Ransom, Conflict and Compromise, 111; Wilentz, Rise of American Democracy, 633; Bender, Nation among Nations, 120. Vgl. etwas abgeschwächter Reid, Origins of the American Civil War, 397. Für die ältere und problematische Deutung vgl. Hamilton, Prologue to Conflict. 640 Wie William C. Davis vermerkt, ging es aus südstaatlicher Perspektive nicht darum, „to force slavery into Oregon“, sondern „only to prevent slavery from being forced out“. Davis, Man and His Hour, 179. 641 Vgl. Editorial Note, in: McIntosh / Christ / Dix (Hg.), Papers of Jefferson Davis, Bd. 3, 332. Vgl. umfassend Cooper, Jr., Jefferson Davis, 181–187. 642 Davis, Speech on the Oregon Bill, 12.07.1848, in: McIntosh / Christ / Dix (Hg.), Papers of Jefferson Davis, Bd. 3, 332–373, hier 333.
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sich so einer von den Calhouniten etablierten Richtung des Pro Slavery Argument zu.643 Anders als während seiner Frühzeit in Mississippi verschmolzen hierbei englandfeindliche Ressentiments und Nordstaatenkritik zu einem gemeinsamen Feindbild. Die abolitionistische Politik erschien nun als äußerer Anstoß für eine Kette von Verschwörungen im Innern.644 Das Thema einer von Großbritannien angeregten und den Nordstaaten fortgeführten Anti-Sklaverei-Verschwörung eignete sich gut zur Stilisierung des Südens in einer Opferrolle, von der aus in die Pose des Klägers gewechselt werden konnte. So hielt er den nordstaatlichen Senatoren vor: „We have heard you denounce [slavery] in the coarsest abuse. We have seen you unite with our foreign enemies to defame us, and join those who, for commercial purposes, have warred against slavery as the cause of our supremacy in the cotton market of the world.“645 Hier deutete Davis nicht nur seine Zweifel an der Solidarität des Nordens an, sondern referierte auch das materialistische Kredo der Calhouniten, wonach die philanthropischen Ziele der britischen Politik nur zur Bemäntelung machtpolitisch-ökonomischer Interessen dienten. Seine Skepsis musste sich noch vertiefen, als der Kongress im August die Staatserhebung Oregons ohne Verweis auf den Missouri-Kompromiss vornahm, womit zumindest die Territorien südlich des 36. Breitengrades für die Sklaverei offen gehalten worden wären.646 Voller Sorge verfolgte er daraufhin die Debatte um die Gebietsgewinne aus dem Mexikanischen Krieg.647 Vor der Zuspitzung der Territorialkrise hatte Davis seinen Hass auf England mit nationalpatriotischen Bekenntnissen verbunden. Das sollte sich nun ändern: Zwar verwendete er seine negativen Englandbilder noch immer als eine Art Spiegel, in den die Amerikaner hineinblickten, um Aufschluss über den Stand ihrer inneren Geschlossenheit zu erhalten. Allerdings nutzte er seine anglophobe Sprache nicht mehr, um den Zwiespalt zu verdecken, sondern legte die Risse frei und prangerte den Verrat des Nordens an. Tatsächlich lag in der Territorialpolitik die Gefahr einer Majorisierung der Sklavenstaaten. Weil das Sklavereiverbot die Sklavenhalter von den neuen Territorien fernhielt, würden sich die dortigen Siedler überwiegend aus nordstaatlichen Sklavereifeinden zusammensetzen und später auch ihresgleichen in den Kongress schicken. Dies wiederum musste zwangsläufig zu einer Mehrheit gegen den Süden und die südstaatlichen Interessen führen.648 Die 643 Vgl. ebd., 360 f., 362. 644 Vgl. ebd., 364. 645 Ebd., 365. Vgl. ähnlich auch Davis an Malcolm F. Haynes, 18.08.1849, in: Christ / Dix / Beringer (Hg.), Papers of Jefferson Davis, Bd. 4, 26–46, hier 33. 646 Vgl. Cooper, Jefferson Davis, 185. 647 Vgl. Davis an Malcolm F. Haynes, 18.08.1849, in: Christ / Dix / Beringer (Hg.), Papers of Jefferson Davis, Bd. 4, 26–46, hier 27. 648 Vgl. Davis, Man and His Hour, 178 f.: „In Davis’s mind, as in the minds of most slave-
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Brisanz, die Davis dem Territorialproblem beimaß, lässt sich daran ermessen, dass er sich den Vorstellungen von einer konzertierten anglo-nordstaatlichen Verschwörung gegen die Sklaverei anschloss, wie sie in den radikal-partikularistischen Lagern seit längerem kursierten. Den Abolitionisten unterstellte er eine ideologisch verzerrte Wahrnehmungsperspektive, die orientiert sei an den „horrible narratives and disgusting pictures, which has excited the public mind of England against African slavery“.649 Der typische Topos, wonach das ferne England seine Dogmen nur aus Unkenntnis der südstaatlichen Lebensverhältnisse gewinnen konnte, galt für die Nachbarn im Norden allerdings nicht. Umso schwerer wog die Anklage, dass sich auch jene der abolitionistischen Agitation angeschlossen hätten, welche die Wahrheit eigentlich kennen müssten.650 So machte sich der Unionist Davis die Verschwörungsideen der South Carolina-Partikularisten und der Sezessionisten zu Eigen. Obgleich seine Unionsphilosophie durchaus Raum für Kompromisse vorsah, verboten die ideologischen Prämissen in der Territorialfrage substantielle Konzessionen beim Thema Sklaverei. Während der Redeschlachten vom Frühjahr 1850, als sich mit der Staatlichkeit Kaliforniens die Frage nach der Zukunft der Union insgesamt zu stellen schien, reihte er sich daher in die Reihen derer ein, die jede Form der Sklavereibeschränkung am Pazifik ablehnten und auch bereits von Sezession sprachen.651 Dennoch begriff sich Davis nicht als Sezessionist und empfand die Bezeichnung gar als Ehrverletzung.652 Sein republikanisches Staatsverständnis definierte sich geradezu über das ultimative Recht auf Widerstand, woraus die Idee erwuchs, eine gerechte und alles andere als leichtfertig kalkulierte Sezession mit dem anti-britischen Freiheitsmythos der Amerikanischen Revolution zu vergleichen: The Declaration of Independence recognized the right of secession under circumstances of oppression and injustice. He [Davis, H. L.] wanted to see the man who would come forward with arguments to show that if a country has a right to secede from an oppres-
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holders, it was only a short reach to the conclusion that such a majority would then attack slavery where it legally existed. That constituted nothing less than the virtual destruction of Southern economy, culture, lifestyle, and social structure – the destruction of the South.“ Davis an Malcolm F. Haynes, 18.08.1849, in: Christ / Dix / Beringer (Hg.), Papers of Jefferson Davis, Bd. 4, 26–46, hier 32. Vgl. ebd., 33. Weiter heißt es über „our Northern brethren“: „They struck hands with the stranger and entered into league with the foreigner against us.“ Vgl. Remarks on Henry Clay’s Resolutions, 29.01.1850, in: ebd., 62–70; Remarks on the Admission of California, 14.3.1850, in: ebd., 87–91; Amendment and Remarks on the Compromise Bill, 15.05.1850, in: ebd., 101–108. Vgl. Davis, Speech in Fayette, Mississippi, 11.07.1851, in: Cooper, Jr. (Hg.), Essential Writings, 95–99, hier 96.
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III. Der Süden, die atlantische Welt und der Niedergang der Union sive government, as the United States did from Great Britain, why States had no right to secede from the federal government under similar circumstances.653
Im Denken von Jefferson Davis rechtfertigte der anglophobe Gründungmythos also sowohl die Bewahrung der Republik als auch die Sezession, sollten es die Belange der Südstaaten erforderlich machen. Das Englandbild zwischen Sezessionsappell und Kompromissplädoyer in der Territorialkrise von 1850 Das Ringen um den Kompromiss in Washington wurde überschattet von einem überregionalen Konvent der Sklavenstaaten in Nashville, Tennesse, wo der Süden erstmals eine geschlossene Front zu bilden versuchte.654 Robert Barnwell Rhett, der seit der Annullierungskrise auf eine solche Gelegenheit gewartet hatte, war fest entschlossen, diese Veranstaltung für eine koordinierte Sezession der Staaten zu nutzen. In den dreizehn Jahren, die er nun bereits im Repräsentantenhaus saß, war er zwischen offener Rebellion und taktischer Anpassung hin- und hergeschwankt. Im Frühjahr 1850 ließ er die Maske fallen und reiste nach Nashville, um von dort aus die Kompromissbemühungen in Washington zu torpedieren. Nur lose gezügelt von dem anderen South Carolina-Delegierten James Henry Hammond, verfasste er eine am 8. Juni verlesene Grundsatzerklärung, die ihren Effekt mit jener Mischung aus harter Ehrsprache und dem Appell an südstaatliche Urängste erzielte, wie er sie in der Vergangenheit immer wieder erprobt hatte.655 Weil seine Botschaft aber keine explizite Sezessionsforderung enthielt und sich Rhett in der Debatte tags darauf mit Mühe zurückhielt, gelang es Hammond, im Resolutionsausschuss eine einhellige Verabschiedung auf Basis des Textes durchzusetzen.656 Als die Delegierten aus Nashville abreisten, schien sich der Süden auf eine gemeinsame Plattform verständigt zu haben. Dieser Zusammenschluss erwies sich allerdings als nicht belastbar. Kaum dass Rhett nach Charleston zurückgekehrt war, sprach er am 21. Juni bei einem Festbankett über die Ergebnisse des Konvents. Sicherlich auch berauscht durch das Hochgefühl seines Erfolges, gewährte er nun Einsicht in seine wahren Motive und proklamierte den Beginn einer Revolution. So wie er es seit den Tagen der Annullierungskrise immer wieder gehalten hatte, legitimierte er seinen Revolutionsanspruch durch den Bezug auf den anglophoben Gründungsmythos der Republik. Zugleich führte er die Fusion von vergangenem und gegenwärtigem Feindbild auf die Spitze: „[The] 653 654 655 656
Ebd., 97. Zum Nashville-Konvent vgl. Jennings, Nashville Convention. Für den Text der Ansprache vgl. Charleston Mercury, 20.06.1850. Vgl. Resolutions and Address Adopted by the Southern Convention, held at Nashville, Tennessee. June 3–12, 1850, 3–9.
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North [was] the exact counterpart of British statesmen in our Revolution, who would heed nothing and learn nothing, until the thunders of Revolution burst upon their heads.“657 So wie die Kolonisten von 1776 an der Reform des Imperiums verzweifelt seien, hätten die Angriffe auf die Sklaverei sämtliche Hoffnungen zunichte gemacht, die verwandelte Union auf ihre Gründerprinzipien zu verpflichten. Bis hierhin zeigte Rhett nur das hohe Maß an Kontinuität an, mit der sich sein politisches Denken in den vergangenen zwei Jahrzehnten entwickelt hatte. Weil er sich seinem Ziel aber scheinbar so nahe wähnte wie nie zuvor, entwarf er auch konkretere Vorstellungen für die Zeit nach der Spaltung und hob insbesondere den Wert einer südstaatlichen Agrarnation für die Belieferung der europäischen Industriegesellschaften hervor. Die inhärenten Widersprüchlichkeiten fielen in seinem geschlossenen Weltbild nicht ins Gewicht: Begründete er die Forderung nach einer „zweiten“ Unabhängigkeit einerseits damit, dass sich der Norden nach britischem Vorbild verwandele, so wollte er sie andererseits durch einen Freihandelspakt mit dem einstmaligen Tyrannen stabilisieren.658 Unter politischen Gesichtspunkten erwies sich Rhetts Schwelgen in einer revolutionären Sprache als schwerer Fehler. Wie Hammond verärgert an den Dichter William Gilmore Simms schrieb, spielte er damit den moderaten Kräften in die Hände und beschädigte das Bild maßvoller Entschlossenheit, das die Delegierten in Nashville nach außen hatten vermitteln wollen.659 Wenige Wochen später traf Rhett sogar mit Yancey auf einer Versammlung in Macon, Georgia, zusammen und versprach ein bis zum Pazifik und nach Mexiko ausgreifendes Südstaatenimperium, sollte der Staat Georgia nur den Mut besitzen, die Sezession als Erster zu wagen.660 Diese exzessive Rhetorik trug dazu bei, die Nashville-Resolutionen zur Makulatur werden zu lassen. Als die Beratungen im November erneut eröffnet wurden, fand sich nur noch ein Bruchteil der vormals versammelten Delegierten zusammen. Rhetts Bestreben, die Sezession erstmals in Kooperation mit den übrigen Sklavenstaaten herbeizuführen, endete in einem Desaster. Nach wenigen Tagen ging der Konvent ergebnislos auseinander.
657 Speech of the Honorable Robert Barnwell Rhett […] at Hibernian Hall, 21.06.1850, in: Charleston Mercury, 20.07.1850. 658 Der Rhett nahe stehende Charleston Mercury tat sogar die Ansicht kund, dass Großbritannien die Sezession aus ökonomischen Gründen explizit begehre: „Great Britain […] is directly and greatly interested in breaking up this Union, for the sake of […] securing a more profitable reciprocal trade, and a more perfectly amicable alliance with the great Cotton-producing country.“ Charleston Mercury, 15.02.1850. 659 Vgl. Hammond an William Gilmore Simms, 27.06.1850, James Henry Hammond Papers, LC, Reel 10. 660 Vgl. Speech of the Honorable Robert Barnwell Rhett, delivered at he Mass Meeting at Macon, Georgia, 22.08.1850, in: Charleston Mercury, 25.09.1850.
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III. Der Süden, die atlantische Welt und der Niedergang der Union
In South Carolina auf einer Welle der Popularität reitend, wurde Rhett im Dezember trotzdem auf den Senatssitz des verstorbenen Calhoun gewählt. Die Unvereinbarkeit dieses Amtes mit sezessionistischer Wühlarbeit war aber zu offenkundig. Als die Spannungen nach 1850 der Erleichterung über den gefundenen Kompromiss wichen, geriet er auch bei den anderen Südstaatlern ins Kreuzfeuer der Kritik. Nur kurzfristig vermochte er sich seiner schwierigen Situation im Herbst 1851 durch eine Geschäftsreise nach England zu entziehen.661 1852 zog er schließlich die Konsequenz, zu der sich Yancey schon sieben Jahre zuvor durchgerungen hatte, und kehrte der Hauptstadt den Rücken zu, um außerhalb der nationalen Institutionen für die Sezession zu werben.662 Dass die separate Zusammenkunft der Südstaaten in Nashville überhaupt möglich geworden war, hing mit dem Klima des Misstrauens zusammen, von dem der Kapitolhügel bei der Eröffnung des 31. Kongresses im Dezember 1849 beherrscht wurde. Zunächst brach die sektionale Feindschaft im Repräsentantenhaus hervor. Weil sich Demokraten, Whigs und die dreizehn Abgeordneten der sklavereifeindlichen Free Soil-Partei663 wechselseitig blockierten, vermochten sie in mehr als sechzig Wahlgängen keinen Speaker zu wählen. Paradoxerweise wurde die Krise in diesen Monaten ausgerechnet von einem südstaatlichen Präsidenten auf die Spitze getrieben. Seit März 1849 amtierte der Louisiana-Pflanzer und Kriegsgeneral Zachary Taylor im Weißen Haus.664 Obwohl er durch massive Unterstützung der Südstaaten-Whigs ins Amt gelangt war, stellte Taylor seine nationale Loyalität klar über die sektionale Verbundenheit. Im Dezember legte er dem Repräsentantenhaus einen Territorialplan vor, nach dem das durch den Goldrausch bevölkerte Kalifornien ohne Verzögerung in die Union aufgenommen werden sollte (was nach Lage der Dinge einem Sklavereiausschluss gleichgekommen wäre).665 An dieser Stelle wurde im Senat die Kompromissmechanik in Gang gesetzt. Am 29. Januar 1850 präsentierte der Whig-Veteran Henry Clay acht Resolutionen, 661 Vgl. Rhett an Matthew Forster, 01.02.1851, Robert Barnwell Rhett Papers, SCHS. Eindrücke über die Reise selbst sind nicht überliefert. Vgl. Davis, Rhett, 304 ff. 1855 reiste Rhett noch einmal aus gesundheitlichen Gründen nach Europa. Vgl. Rhett an Andrew Burnet Rhett, 15.08.1855, Robert Barnwell Rhett Papers, SCHS. 662 1857 erwarb Rhett die vollen Besitzrechte am Charleston Mercury und baute die Zeitung gemeinsam mit seinem Sohn zum profiliertesten Sezessionsorgan der Republik aus. Vgl. Abrahamson, Men of Secession, 36. 663 Zur 1848 gegründeten Free Soil-Partei, die aus nordstaatlichen Conscience Whigs und dem anti-expansionistischen Flügel der Demokratischen Partei entstanden war, vgl. Blue, The Free Soilers. 664 Zu Taylor vgl. Bauer, Zachary Taylor. Zur Präsidentschaft vgl. Smith, Presidencies of Zachary Taylor & Millard Fillmore, 1–159. Vgl. Taylor als „unpolitischen Präsidenten“ beschreibend Nagler, Zachary Taylor. Zur Entwicklung der Whig-Partei bis 1848 vgl. Holt, Winding Roads to Discovery. 665 Vgl. Congressional Globe, 31st Congress 1st Session, 24.12.1849, 69–72.
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mit denen er zwar die Aufnahme Kaliforniens als freien Staat zugestand, dafür aber den Status der übrigen Südwestterritorien offen ließ, die Sklaverei im District of Columbia garantierte und ein verschärftes Gesetz zur Rückführung flüchtiger Sklaven vorsah.666 Wie die folgenden Monate zeigen sollten, hatten die sektionalen Spannungen die Integrationskräfte des Parteiensystems bereits so weit geschwächt, dass über diese im Mai zu einem Resolutionspaket zusammengefasste Omnibus Bill kein Konsens mehr erzielt werden konnte. Erst als Präsident Taylor am 9. Juli überraschend verstarb und Clays Paket von Senator Stephen Douglas aus Illinois wieder aufgeschnürt wurde, ließen sich in separaten Abstimmungen und mit wechselnden Mehrheiten jene Vorlagen durch den Kongress bringen, die als „Kompromiss von 1850“ bekannt geworden sind.667 Diese Wendungen, die von der tiefsten Krise in den (scheinbar) glücklichsten Kompromiss mündeten, waren in den ersten Monaten des Jahres 1850 freilich noch nicht absehbar. Während sich der Senat im Februar mit Clays Resolutionen beschäftigte, verrannte sich das Repräsentantenhaus in eine hitzige Debatte um die Empfehlung Präsident Taylors, Kalifornien auf Basis einer Anti-Sklaverei-Verfassung unverzüglich aufzunehmen.668 An die Spitze der Opposition gegen die Vorlage stellten sich Robert Toombs und Alexander Stephens aus Georgia, die Taylors Karriere früher noch vehement gefördert hatten.669 Um seinen Wechsel plausibel zu machen, reflektierte Toombs im Senat über die Erosion von Vertrauen in anglophilen und anglophoben Metaphern. Aus der Perspektive der Amerikaner, die sich sowohl über ihre englischen Ursprünge als auch über den Bruch mit England definierten, konnte er den Englandbezug hier beispielhaft anführen: The sight of the flag of England once caused every Anglo-Saxon heart on this continent to leap with joy and gladness. Then the power which it represented was used to shield and protect them. Foolish tyrants made it the emblem of degeneration. Loyalty was converted into hate – the rest is history. Profit by its teachings. I demand to-day that protection for my constituents which we have never withheld from you. It is the price of our allegiance.670
Toombs verglich den Vertrauensverlust zwischen Nord und Süd mit dem anglo-amerikanischen Trennungsprozess im 18. Jahrhundert, der ebenfalls von 666 Vgl. ebd., 29.01.1850, 244–252. 667 Vgl. Milton, Stepahn A. Douglas Takes Charge. Für das Abstimmungsverhalten sind sektionale Loyalitäten wichtiger als parteipolitische Erwägungen gewesen. Vgl. Ransom, Conflict and Compromise, 113–116; Hamilton, Prologue to Conflict, Appendix B, 191 f. 668 Vgl. hierzu im Detail Phillips, Robert Toombs of Georgia, 73 ff. Zu Taylors Kalifornienpolitik vgl. auch Bauer, Zachary Taylor, 291 f. 669 Vgl. Waugh, Brink of Civil War, 54 ff.; Howe, Political Culture of the American Whigs, 244; Levine, Half Slave and Half Free, 190 f.; Stegmaier, Texas, New Mexico, and the Compromise of 1850, 158 ff. 670 Congressional Globe, 31st Congress 1st Session, 13.02.1850, 199.
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III. Der Süden, die atlantische Welt und der Niedergang der Union
einer Konfliktsituation zwischen Loyalität und Empörung gekennzeichnet gewesen war. Vor diesem Hintergrund erschien das Bekenntnis zur Sezession ebenso folgerichtig wie das Bekenntnis zum Revolutionsrecht, das Jefferson in der Declaration of Independence niederlegt hatte. Ganz anders als es seine erregten Grundsatzreden vor dem Kongress suggerierten, erhob Toombs die Zulassung der Sklaverei in Kalifornien aber keineswegs zur conditio sine qua non für den Erhalt der Union.671 Stattdessen schwenkten er und Stephens auf die Kompromisslinie der Clay-Resolutionen ein, fochten sodann für die „Volkssouveränität“ der Siedler und gründeten zwischenzeitlich sogar eine eigene Constitutional Union Party, um den aufkeimenden Southern Rights-Extremismus in Georgia in die Schranken zu weisen. Gemeinsam mit dem Demokraten Howell Cobb konsolidierten Toombs und Stephens die unionistischen Kräfte daheim und setzten schließlich die Verabschiedung der Georgia Platform durch, mit der sich der Staat auf ein konditionales Unionsbekenntnis verpflichtete.672 Mit ihrer Ausgleichsarbeit fanden sich die Kompromissverfechter aus Georgia nicht nur in Frontstellung zu der sklavereifeindlichen Koalition zwischen Nord-Whigs und Nord-Demokraten wieder, sondern auch gegenüber denjenigen Stimmen, die Toombs dem „Calhoun-Flügel des Südens“ zurechnete.673 Der Kompromissappell der Georgia-Whigs befremdete jene Südstaatler aus Virginia und dem Baumwollgürtel, welche die Union zwar im Sinne Calhouns bewahren wollten, mit den Lösungsvorschlägen Clays aber nicht einverstanden waren. Neben Jefferson Davis waren das vor allem die VirginiaCalhouniten Mason und Hunter. Hunter hatte die Texas-, Oregon- und Mexiko-Debatten als Gewährsmann Calhouns ausgetragen und sich dafür einer nationalen Sprache bedient, von der im Jahre 1850 nicht mehr viel übrig blieb.674 Als er am 25. März vor den Senat trat, um seine Ablehnung eines „freien“ Kalifornien zu begründen, nutzte er die Gelegenheit für eine ausführliche Dokumentation der südstaatlichen Zukunftsängste. Dabei kehrte er seinem territorialpolitischen Anliegen recht unvermittelt den Rücken zu und konzentrierte sich ganz auf die Entfaltung von Negativstereotypen, mittels derer er sein Unbehagen über die Zeitströmungen in der atlantischen Welt artikulierte. Als zugkräftiges Beispiel diente ihm die britische Sklavenbefreiung in den Westindien-Kolonien. Prä671 Vgl. Toombs an Linton Stephens, 22.03.1850, in: Phillips (Hg.), Correspondence of Toombs, Stephens, and Cobb, 188–189. 672 Zu Cobb vgl. Simpson, A Biography of Howell Cobb. Zur Georgia Platform vgl. DeBats, Elites and Masses, 100 ff.; Carey, Parties, Slavery, and the Union in Georgia, 168 ff., 171 ff. 673 Toombs an Linton Stephens, 22.03.1850, in: Phillips (Hg.), Correspondence of Toombs, Stephens, and Cobb, 188–189, hier 188. Zu Toombs’ Rivalität mit Calhoun vgl. Holt, Rise and Fall of the American Whig Party, 386 f. 674 Zu seinem emphatischen Oregon-Plädoyer von 1846 vgl. o. 186.
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pariert mit Statistiken aus der Kongressbibliothek, suchte er das vermeintliche Desaster zu belegen, in das die fehlgeleitete Philanthropie der Briten vormals prosperierende Karibikinseln wie Jamaika, Britisch-Guayana oder Trinidad gestürzt habe.675 Diese Kritik griff ein ökonomisches Verfallsmotiv auf und drehte sich um eine Art von kapitalistischem Sklavereibegriff, die Vorstellung also, dass die befreiten Sklaven nicht wirklich frei, sondern in eine alternative Form der Knechtschaft – die Lohnsklaverei – gezwungen worden seien. Darüber hinaus bediente sie sich gängiger Pro Slavery-Stereotypen, welche die Schwarzen als Opfer ihrer aufgezwungenen Freiheit darstellten. Der Strukturen und Bezugspunkte ihrer Plantagenwelt beraubt, gerieten sie als Arbeitssklaven in die Mühlen eines unpersönlichen, nach kapitalistischen Gesetzen funktionierenden Systems.676 Für den Publizisten James D. B. DeBow waren die antienglischen Einlassungen, die Hunter hiermit verband, „the most thorough vindication of negro slavery ever produced in any deliberative body“.677 Ähnlich wie Hammond in seinen Two Letters on the Subject of Slavery erging er sich in den Schreckensbildern von Kinderarbeitern, die „mit Hundeketten an Karren festgekettet“ waren und sich durch die „dunklen, feuchten und engen Gänge“ der englischen Kohlegruben quälten. Frauen mussten wie „Lasttiere“ schuften und wurden schlechter als „Kutschenpferde“ behandelt. Zweifelsohne seine eigenen Sozialressentiments widerspiegelnd, schilderte Hunter die Fabrikarbeiter Englands als tumbe, ignorante Masse, die sich in ihrer vollständigen wirtschaftlich-geistigen Abhängigkeit nur um den „Erlass des Arbeitgebers“ kümmerte und – hier in der gleichsam verräterischen Wortwahl eines Sklavenhalters – seine „Peitsche“ fürchtete. Für Hunter stand es außer Frage, dass die Sklaven im amerikanischen Süden eine überlegene „moralische Kultur“ und einen besseren „physischen Komfort“ genossen als die Lohnarbeiter in England.678 Der britische Abolitionismus erschien so nicht nur als heuchlerisch, sondern als Menschheitsverbrechen, das die Errungenschaften der Zivilisationen den Kräften von Anarchie und Barbarei preisgab.
675 Vgl. Congressional Record, 31st Congress, 1st Session, 25.03.1850, Appendix, 380. Hunters Beschreibung der Sklavenemanzipation in Westindien ist größtenteils historisch inkorrekt. Bereits vor 1833 hatten sich die Verhältnisse der dortigen Plantagenkolonien verschlechtert, so dass die Pflanzer dem politischen Abolitionismus wenig entgegenzusetzen hatten. Vgl. im Überblick Richardson, Caribbean in the wider World, 70 f.; Carrington, United States and the British West Indian Trade, 343 f.; Burnard, Freedom, Migration, and the American Revolution, 298 f.; Dunn, Sugar and Slaves, 335 f.; British Caribbean in the Age of Revolution, 294; Onuf / Gould, Empire and Nation, 13 f. 676 Vgl. Congressional Record, 31st Congress, 1st Session, 25.03.1850, Appendix, 381. 677 DeBow’s Review 8 (1858), 492. 678 Alle Zitate: Congressional Record, 31st Congress, 1st Session, 25.03.1850, Appendix, 380.
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III. Der Süden, die atlantische Welt und der Niedergang der Union
Hunters Englandbild speiste sich aus dem politischen Denken Calhouns, das den Süden global wie national in der Defensive wähnte und darauf mit einer aggressiven Vorwärtsverteidigung der Sklaverei reagierte. Im Hinblick auf die Sezession, die Calhoun nie wollte und die sein Schüler aus Virginia im Jahre 1850 doch für wahrscheinlich hielt679, formulierte der spätere Außenminister der Konföderation auch bereits die ökonomischen Grundzüge der Südstaaten-Außenpolitik. Für ihn beruhte die Wirtschaft der Welt auf dem Fundament der Sklaverei. Durch den Atlantik seien sklavenhaltende Rohstoffproduzenten und sklavereifeindliche Abnehmerländer unauflöslich zusammengebunden. Sollte der abolitionistische Geist von 1833 die ganze westliche Hemisphäre erfassen, drohe der europäischen Industrie ein Desaster unvorstellbaren Ausmaßes: „[T]he entire loss of one cotton crop in the United States would produce more misery and ruin in Europe than any two of Napoleon’s most destructive campaigns.“680 Aus diesen Worten sprechen die Prämissen der ökonomischen Vergeltungspolitik Jeffersons und Madisons. Hunter, ein radikalisierter Interpret ihrer Denkfiguren, schlug damit gleichsam die Brücke zu der Idee, die James Henry Hammond aus South Carolina acht Jahre später im Kongress prägnant zusammenfassen sollte: Der Süden konnte die Geschicke von Staaten und Nationen über das Mittel der Baumwollpolitik beeinflussen, wenn nicht gar bestimmen.681
Anglophile Referenzen, anglophobe Bilder und der Konflikt um Kansas, 1854–1857 Wie Hunters Ausführungen belegen, mehrte der Kalifornien-Streit von 1850 die Zweifel selbst jener partikularer Unionisten, die den Zusammenbruch der Republik nicht wünschten. Die große Krise der Jahrhundertmitte entzündete sich freilich nicht am Pazifik, sondern in Kansas. Obwohl auch hier die tief sitzenden Probleme der Sklaverei in den Westterritorien berührt wurden, eskalierte der Kansas-Konflikt weniger zielgerichtet, sondern entstand aus einer fatalen Verknüpfung von persönlichen Ambitionen und politischer Berechnung. Zu Beginn des Jahres 1854 sann der umtriebige Senator Stephen A. Douglas aus Illinois nach Mitteln und Wegen, um eine Kongressmehrheit für die Erschließung des Nebraska-Territoriums zu organisieren.682 Als Lockreiz für die Unterstützung der südstaatlichen Se679 Vgl. Hamilton, Prologue to Conflict, 85; Fisher, Statesman of the Lost Cause, 119 ff. 680 Congressional Record, 31st Congress, 1st Session, 25.03.1850, Appendix, 381. Hunter bezog sich hier auf den anonymen Brief eines Südstaatlers aus Alabama, machte sich die Analogie im Senat aber voll zu Eigen. 681 Vgl. u. 272–274. 682 Vgl. dazu Potter, Impending Crisis, 161 f.; Capers, Stephen A. Douglas, 96; Milton, Eve
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natoren schlug er vor, die bereits früher diskutierte Doktrin der „Volkssouveränität“ (popular sovereignty) in seinen Gesetzesentwurf einzuspeisen und damit dem Kongress faktisch das Recht vorzuenthalten, über den Status der Sklaverei in den Territorien zu entscheiden.683 Nachdem er sich für die förmliche Zurückweisung des Missouri-Kompromisses von 1820 ausgesprochen und auch zugestanden hatte, aus der Landmasse ein separates Kansas-Territorium herauszuschneiden, knüpfte eine Gruppe einflussreicher Südstaaten-Senatoren Kontakt zum Weißen Haus.684 Seit 1853 amtierte dort Franklin Pierce aus New Hampshire, trotz seiner Neuenglandherkunft ein ausgesprochener Freund des Südens, der sich mit Jefferson Davis aus Mississippi einen profilierten Southern Rights-Demokraten als Kriegsminister ins Kabinett geholt hatte.685 Mason und Hunter führten Douglas am 21. Januar 1854 zunächst zu Davis, der ein Gespräch mit dem Präsidenten vermittelte, in dessen Verlauf es der Gruppe gelang, ihn für den Kansas-Nebraska Act in der vorliegenden Form zu gewinnen.686 In den passionierten Versuchen der Südstaatler, das Gesetz durch den Kongress zu bringen, äußerten sich auch die Hoffnungen und Ängste, die sie mit der Zukunft in der Union verbanden. Die Wirkungen der am 30. Mai 1854 verabschiedeten Vorlage waren freilich verheerend.687 Nicht nur, dass sich die Whigs aus freien und aus sklavenhaltenden Staaten im Streit zerwarfen und als Partei endgültig auseinanderbrachen.688 Aus ihren Resten erwuchs auch eine neue Republikanische Partei, die sklavereifeindliche WhigElemente und abolitionistische Strömungen in sich aufnahm und die Ausdehnung der Sklaverei in sämtliche Westterritorien kategorisch ablehnte.689 Nachdem es 1854 unter dem Deckmantel der „Volkssouveränität“ für den Zuzug von Sklavenhaltern geöffnet worden war, wurde das Kansas-Territorium seit 1855 von einem blutigen Kampf zwischen „freien“ und „sklavereifreundlichen“ Siedlern heimgesucht, die vornehmlich aus Arkansas und
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of Conflict, 116; Johannsen, Stephen A. Douglas, 414 f. Douglas war an der raschen Erschließung des Territoriums aufgrund seiner Pläne für den Bau einer transkontinentalen Eisenbahnlinie interessiert. Vgl. Morrison, Slavery and the American West, 126–157. Zur so genannten F Street Mess vgl. u. 257 f. Zum Einfluss von Davis auf Pierce vgl. Nevins, House Dividing, 42 ff. Zu Franklin Pierce vgl. noch immer Nichols, Franklin Pierce. Zur Präsidentschaft vgl. Gara, Presidency of Franklin Pierce. Zum Kansas-Nebraska Act vgl. Etcheson, Bleeding Kansas, 9–28. Das Treffen im Weißen Haus schildert Potter, Impending Crisis, 161 f. Vgl. Rawley, Race and Politics, 58–79. Vgl. Sewell, House Divided, 50–56. Zur Desintegration der Whig-Partei vgl. umfassend Holt, Rise and Fall of the American Whig Party, 804–987. Vgl. kompakter ders., Mysterious Disappearance of the American Whig Party. Robert Toombs und Alexander Stephens traten daraufhin dem Lager der Demokraten bei. Vgl. DeBats, Elites and Masses, 111; Carey, Parties, Slavery, and the Union in Georgia, 195 f. Vgl. Gienapp, Origins of the Republican Party.
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III. Der Süden, die atlantische Welt und der Niedergang der Union
Missouri über die Grenze einfielen, um dem künftigen Staat Kansas die Sklaverei aufzuzwingen.690 Dieser „kleine“ Krieg im Frieden, der den „großen“ Krieg bereits um Jahre vorwegnahm, radikalisierte selbst jene Südstaatler, die das Szenario einer Sezession keineswegs leichfertig durchdachten. Dennoch sahen sie sich gezwungen, ihre Zugehörigkeit in der Trümmerlandschaft des untergegangenen Parteiensystems neu zu definieren. Das prägnanteste Beispiel hierfür ist Judah P. Benjamin, der Pragmatiker unter den späteren Konföderationspolitikern. 1852 als Repräsentant der vermögenden Whig-Wählerschaft aus Louisiana in den Kongress gewählt, tendierte er in den folgenden Jahren zusehends zum Lager der Demokratischen Partei. In einem Akt ausgedehnter Selbstreflexion erklärte er sich am 2. Mai 1856 zur Kansas-Krise.691 Gerade weil Benjamin seine Anmerkungen nicht in dem gleichen scharfzügigen, auf persönliche Ehrverletzungen abzielenden Tonfall vortrug, wie er in der Debattenkultur der späten Antebellum-Zeit keine Seltenheit war, überrascht die Klarheit, mit der er seine Unionstreue relativierte und den Belangen des (Tiefen) Südens unterordnete. Nach seiner Lesart zeigte das Kansas-Desaster endgültig auf, dass sich die Ausgleichspolitik der letzten Jahrzehnte verbraucht hatte. Nicht unzutreffend deutete er den Konflikt im Mittleren Westen als eine Art Stellvertreterkrieg, bei dem die Machtbalance in der ganzen Union auf dem Spiel stand: „The motive is a struggle for power – for political power. […] The struggle is for power here, on this floor.“692 In der Tat drehten sich die Sorgen der Sklavenstaaten vor allem um die Verschiebung der Repräsentationsgewichte im Senat, wo jeder Staat unabhängig von Größe und demographischem Gewicht zwei Sitze zugewiesen bekam. Eine Grundsatzrede wie die zur eskalierenden Kansas-Krise erforderte harte Programmbestimmungen, die dem pragmatischen Politikstil Benjamins eigentlich zuwiderliefen. Neben dem Bekenntnis zum Sezessionsrecht der Staaten brandmarkte er die Territorialkompromisse der Vergangenheit als verfassungswidrig und sprach dem Kongress die Zuständigkeit ab, in die Verhältnisse der Territorien einzugreifen.693 Mit seinen Einlassungen zeigte er seinen Wandel zu einem Southern Rights-Demokraten an, der sich zwar dem nationalen Lager zurechnete, die Union aber grundsätzlich zur Disposition zu stellen bereit war.694 Wie schon Davis und Hunter es bei früheren Gelegen690 Zum Bleeding Kansas vgl. Rawley, Race and Politics; Goodrich, War to the Knife; Etcheson, Bleeding Kansas; Nichols, Bleeding Kansas. 691 Zur Relevanz der Rede vgl. Butler, Judah P. Benjamin, 151; Fehrenbacher, Slavery, Law, and Politics, 95 f. 692 Congressional Globe, 34th Congress 1st Session, 02.05.1856, 1094. 693 Vgl. ebd., 1092. 694 Zu Benjamins Parteienwechsel vgl. Sacher, Perfect War of Politics, 259; Gorin, Anglo-American Conservative Response, 61 f. Die Rede wurde in Benjamins Heimatstaat weithin rezipiert. Ein Teilabdruck findet sich in DeBow’s Review 8 (1856), 209–212.
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heiten gehalten hatten, untermalte er seine Nordstaatenkritik mit Englandbildern, die es erlauben, seine politische Standortbestimmung im Mai 1856 genauer zu rekonstruieren. In der Tradition Calhounscher Mehrheitsskepsis entwarf er das Szenario eines abolitionistisch-republikanischen Blocks innerhalb der Union, der die Verfassungsbestimmungen unterwanderte und ihre Gleichheitsprinzipen zum Schaden des Südens demontierte. Schon Jeffersons Aufzählung der Fälle amtlichen Machtmissbrauchs in der Declaration of Independence habe gezeigt: „There is scarcely one of them that is the assumption of an unconstitutional power; every one of them is the abuse of an admitted constitutional power.“695 Die Rechtsverfehlungen, wie sie sich die Briten bis zum Jahre 1776 hatten zu Schulden kommen lassen, glaubte er im Jahre 1856 auf Seiten der Nordstaaten erneut zu beobachten. Bemerkenswerterweise verschärfte Benjamin diese Analogie nicht durch anglophobe Assoziationen, sondern verweilte in einer tendenziell anglophilen Gedankenwelt und führte gar ein Beispiel an, das als Lob der Selbstreinigungskräfte im britischen Verfassungsleben zu deuten war.696 Für seine Mahnung, die Machttektonik eines Gemeinwesens könne sich auch ohne direkten Verfassungsbruch so weit verschieben, bis der ursprüngliche Gründungsimpuls pervertiert worden sei, ließ sich Großbritannien als das Land heranziehen, „from which we derive most of our ideas of law and liberty“.697 In Bezug auf seine staatsphilosophischen Idealvorstellungen hielt Benjamin mit dieser Referenz den Senatoren und der Öffentlichkeit einen Spiegel vor. Durch den Englandvergleich demonstrierte er den Amerikanern, was ihre Republik zwar sein sollte, seiner Meinung nach aber nicht mehr war. Wo er aus den Sphären abstrakter Verfassungsüberlegungen hinabstieg und sich in die ideologischen Fragen der Kansas-Debatte hineinwarf, ver695 Congressional Globe, 34th Congress 1st Session, 02.05.1856, 1093. 696 Benjamin bezog sich auf die damals in England ausgetragene Debatte um die Schaffung einer life peerage für den Richter Sir James Parke, Baron Wensleydale. Die Auseinandersetzung um die Auslegung des königlichen Prägorativrechts endete im Juli 1856 mit der Kreation einer erblichen Peerwürde für Lord Wensleydale. Zum Zeitpunkt seiner Rede, knapp zwei Monate vor dieser endgültigen Klärung, legte Benjamin den Fall gemäß seiner eigentlichen politischen Botschaft aus: „[A]n attempt was made by the Queen to appoint to the House of Lords a single peer, with a peerage for life. The power of the Crown to appoint peers was undoubted; the Ministry advised the appointment; and yet opposition was made in the House of Lords, and the proposition was advanced […], that, although the prerogative of creating peers existed, the exercise of it, by the creation of a life peerage, was an abuse, and contrary to the fundamental constitution of the kingdom. The Crown yielded, and the Lords triumphed.“ Congressional Globe, 34th Congress 1st Session, 02.05.1856, 1093. Zu der Debatte über die life peerage im Jahre 1856 vgl. detailliert Pike, Constitutional History of the House of Lords, 376– 379. Unabhängig von seiner spezifischen Auslegung beweist Benjamins Hinweis auf den Fall seine sachkundige Auseinandersetzung mit dem englischen Recht und der englischen Verfassungspraxis. 697 Congressional Globe, 34th Congress 1st Session, 02.05.1856, 1093.
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III. Der Süden, die atlantische Welt und der Niedergang der Union
drehten sich die herangezogenen Englandbilder prompt vom Positiven ins Negative. Ohne in die Rassenpolemik der Pro Slavery-Verfechter zu verfallen, rückte er von seinen früheren Einlassungen ab, die auf Denkfiguren der republikanischen Sklavereikritik beruhten. Vierzehn Jahre zuvor hatte Benjamin im Falle der meuternden Sklaven auf der Creole die britische Emanzipationspraxis verteidigt, den Freiheitsdrang der Sklaven plastisch geschildert und die Sklaverei selbst aus dem Legitimationsrahmen des Völkerrechts entfernt.698 Als Senator, Sklavenhalter und frischgebackener Southern RightsDemokrat des Jahres 1856 verkehrte er diese Standpunkte in ihr glattes Gegenteil. Die Doktrin, „that slavery is an outlaw under the law of nations“, ging nun auf eine inakzeptable Begründung des Durchsuchungsrechts durch Großbritannien zurück. Vielmehr hätten die höchsten richterlichen Instanzen diesseits und jenseits des Atlantiks die Lehrmeinung bestätigt, „that slavery was not an outlaw under the law of nations; that slavery was projected under the law of nations; nay sir, that the horrible slave trade […] is protected by the law of nations“.699 Benjamins Meinungsumschwung spricht für sich genommen schon dafür, dass auch die gemäßigten Südstaatler aus Anlass der Kansas-Krise auf eine aggressive Southern Rights-Haltung einschwenkten. Ungleich gereizter noch verteidigte er die Sklavenhalterutopie von einer organischen, harmonisch geregelten Plantagenwelt. In einer Sprache, die nun tatsächlich an die Sozialutopien der Pro Slavery-Theoretiker erinnert, erregte sich Benjamin über die vermeintliche Fehlwahrnehmung des Nordens, wo man den literarischen Schreckensbildern aus Harriet Beecher Stowes Uncle Tom’s Cabin eher Glauben zu schenken schien als amtlichen Angaben, die seiner Meinung nach das Wohlergehen der Sklaven im Süden empirisch-quantitativ belegten.700 Vom politischen Machtkampf um Kansas ging er somit zu einer Verteidigung der Sozialpraxis im Süden über, die das Selbstbild der Sklavenhalter und nicht zuletzt auch ihre Ehre berührte. Die Züchtigungsmaßnahmen für die Sklaven auf den Plantagen seien auf ein Mindestmaß dessen beschränkt, was zur Ahndung von Regelverstößen innerhalb der Sklavengemeinschaften notwendig sei: „Let a southern slave on a plantation commit burglary […] – steal the little petty treasures that his fellow-slave may have accumulated in his cabin; his master, in discovering it, will order him to be whipped, and there the whole procedure will have ended.“ Bagatellvergehen wie diese würden in den Nordstaaten mit langjähriger Inhaftierung bestraft, und im „philanthropischen England“ drohe dem Delinquenten sogar die Deportation in 698 Vgl. o. 231–233. 699 Alle Zitate: Congressional Globe, 34th Congress 1st Session, 02.05.1856, 1094. 700 Vgl. ebd., 1095. Zu den politischen Folgen des 1852 veröffentlichten Romans Uncle Tom’s Cabin vgl. McPherson, Für die Freiheit sterben, 81 ff. Zur Entstehungsgeschichte vgl. Kirkham, The Building of Uncle Tom’s Cabin. Vgl. auch Lowance / Westbrook / De Prospo, The Stowe Debate.
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eine entlegene Strafkolonie, also die Entwurzelung aus seinem familiären, kulturellen und nationalen Umfeld. Daraus leitete Benjamin eine verwerfliche Doppelzüngigkeit der Abolitionisten ab: „[T]he American slaveholder, who has had his slave whipped for breaking into and robbing the neighboring slave’s cabin, is held up to the gaze of the civilized world as a monster of guilt; while British philanthropy chuckles in self-complacency.“701 Auf dem Höhepunkt der Spannungen um Kansas verfiel Benjamin in eine anglophobe Sprache, die der radikal-partikularen South Carolina-Kritik an den „freien Gesellschaften“ im Norden und in England ähnelte. Obwohl sich der kühl kalkulierende Jurist aus New Orleans kaum dieser eifernden Denkschule zuordnen lässt, griff er unter dem gefühlten Druck des Konfliktes auf Feindbilder zurück, in denen die Black Republicans des Nordens mit den englisch-atlantischen Abolitionisten zu einer einheitlichen Front verschmolzen. Weitere Eskalationsschübe in der Innenpolitik trugen dazu bei, dass diese Bedrohungswahrnehmung zusätzlich verschärft wurde. Im Dezember 1857 zwangen sklavereifreundliche Siedler in Lecompton dem Kansas-Territorium ihren Verfassungsentwurf auf und beantragten auf dessen Basis die Aufnahme von Kansas als Staat in die Union.702 Trotz seiner wiederholten Versprechen, auf dem korrekten Ablauf des Verfahrens zu bestehen, legte der seit dem Vorjahr amtierende demokratische Präsident James Buchanan die LecomptonVerfassung im Februar 1858 dem Kongress vor.703 Nach den harten Debatten von 1850 und 1854 trieb das Zerwürfnis über diese Vorlage den Keil der Spaltung noch tiefer in die Union hinein. Benjamin verteidigte die Lecompton-Verfassung gemäß seiner Legalitätsdoktrin für Sklaverei. Mit der Autorität des Juristen bestritt er die Auffassung der Beitrittsgegner, dass der Sklavenbesitz weder durch die Verfassung der Verneigten Staaten noch durch das Völkerrecht anerkannt werde.704 Sollte er über das Maß der üblichen Debattenpolemik hinaus ernst genommen werden, bedurfte dieser apodiktische Satz freilich einer guten Begründung. Zwar konnte sich Benjamin für seine Lesart der US-Verfassung auf die – heftig
701 Congressional Globe, 34th Congress 1st Session, 02.05.1856, 1095. 702 Zur Lecompton-Verfassung in Kansas vgl. kompakt Etcheson, Bleeding Kansas, 139–167; Rawley, Race and Politics, 202–223; Sewell, House Divided, 63 f. Vgl. auch Potter, Impending Crisis, 297–328. 703 Zu dieser Zeit existierten in Kansas zwei rivalisierende Parallelregierungen. Neben den von der sklavereifreundlichen Minderheit in Lecompton durchgesetzten Organen hatte sich in Topeka die Vertretung der Sklavereifeinde etabliert. Obwohl sie durch Betrug und Einschüchterung durchgesetzt und im Januar 1858 bei einem neuerlichen Referendum mehrheitlich abgelehnt worden war, fühlte sich James Buchanan an die vermeintlich demokratisch legitimierte Lecompton-Verfassung gebunden. Vgl. Jones, Limits of Liberty, 208. Zum öffentlichen Druck des Südens auf Buchanan vgl. Etcheson, Bleeding Kansas, 158 f. 704 Vgl. Congressional Globe, 35th Congress 1st Session, 11.03.1858, 1066.
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III. Der Süden, die atlantische Welt und der Niedergang der Union
umstrittene – Dred Scott-Entscheidung des Supreme Court stützen.705 Dennoch war kaum erkennbar, wie er die Sklaverei als einen gängigen Rechtstatbestand in der atlantischen Welt zu konstruieren gedachte, wo sie doch von maßgeblichen Akteuren illegalisiert, bekämpft und zurückgetrieben worden war. Weil er die Verhältnisse der Gegenwart nur schwer nach seinen Vorstellungen auszulegen vermochte, verlegte er seine Argumentation in die Vergangenheit. In einem historischen Exkurs stellte er dem Senat die These vor, dass sich die Sklaverei in England ebenso wie in Amerika als anerkannte Rechtsform gleichförmig herausgebildet hatte: „I say, then, that down to the very moment when our independence was won, slavery, by the statute law of England, was the common law of the old thirteen colonies.“706 Die rechtliche Beschneidung der englischen Sklaverei, wie sie das Somerset-Urteil des King’s Bench von 1772 eingeläutet hatte, erschien ihm als Ergebnis fanatischen Denkens, welches das gewachsene Gewohnheitsrecht untergrub.707 Diesem Rekurs auf das englische Common Law, dessen selektive Rezeption in der Kolonialzeit den rechtlichen Rahmen für die Sklaverei in Amerika gebildet hatte708, lag die Vorstellung von einem verbindenden angelsächsischen Erbe in der atlantischen Welt zugrunde. Benjamin bediente sich an dieser Stelle eben nicht der exzeptionalistischen Englandbilder, sondern postulierte ausgerechnet in der Sklavereifrage eine englische Rechtstradition, die er als Argument für die Aufnahme von Kansas als Sklavenstaat heranzog.709 Sobald der politische Kampf nicht mit sozialen oder ideologischen Zuspitzungen, sondern durch rechtliche Reflexionen ausgetragen wurde, vermochte ein intellektuell versierter Pragmatiker wie Benjamin auf die historischen Kontinuitäten zu verweisen, die England und Amerika miteinander verbanden. Hier brach er mit einer Jeffersonschen Tradition der Englandkritik, welche die Urheberschaft für die Sklaverei in den Kolonien ebenfalls dem Mutterland zuschrieb, daraus freilich eine Entlastung der Sklavenhalter 705 Zur Dred Scott-Entscheidung des Obersten Bundesrichters Roger Taney, welche die Sklaven höchstrichterlich auf den Status rechtlosen Besitzes degradierte und ihre „Mitnahme“ in sämtliche Unionsterritorien für verfassungskonform erklärte, vgl. umfassend Fehrenbacher, Slavery, Law, and Politics; ders., Dred Scott Case. 706 Congressional Globe, 35th Congress 1st Session, 11.03.1858, 1066. 707 Vgl. ebd., 1067. 708 Vgl. dazu Morris, Slavery and the Law, 6, 7; O’Neil, English Common Law in England and the American Colonies, 498; Finkelman, Centrality of Slavery in American Legal Development, 15; Bush, British Constitution and the Creation of American Slavery, 405. 709 Benjamins Argumentation scheint im Senat durchaus Eindruck hinterlassen zu haben, unternahmen die nordstaatlichen Sklavereikritiker doch keinen Versuch, seine gewohnheitsrechtliche Argumentation außer Kraft zu setzen. Vgl. Gorrin, Anglo-American Conservative Response, 72 f.
6. Englandbilder und Außenpolitik, 1849–1859
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selbst ableitete. Zum Ausklang der Antebellum-Ära war die Zeit hierüber hinweggegangen. Noch im Mai 1860 sollte James Murray Mason vor dem Senat erklären: [W]hen the first African slave was landed in Virginia […] there was no law in the colony of Virginia than the common law of England […]. Upon the plainest principles of international law known to all civilized communities […]. When a negro was brought from the coast of Africa with the condition of property attached to him there, that condition was recognized by the common law in Virginia, and he was as much the property of the owner as if it was a horse that has been brought from England.710
Aufs Ganze gesehen ist für die innenpolitischen Auseinandersetzungen festzuhalten, dass die Südstaatler auf die Eskalation der Sklavereifrage in den Westterritorien mit einer verbalen Radikalisierung reagierten, die sich durch die vielfältige Verwendung anglophober Bilder auszeichnete. Damit konnten sie nicht nur eine als neuartig empfundene Bedrohung in altbekannte Worte fassen, sondern auch eine politische Basis mobilisieren. Die unterschiedlichen Perspektiven der Unionisten Jefferson Davis und Judah P. Benjamin fanden so mit denen der Virginia-Partikularisten James Murray Mason und Robert M. T. Hunter zusammen. Beileibe nicht nur, aber eben auch durch ihre polemische, bisweilen irreal-überzogene Englandkritik artikulierten sie ihr Unbehagen in einer Zeit, die sich in der Dialektik von Krise und Zerfall auf die Katastrophe des Jahres 1860 zu bewegte. 6. KRISE UND ZERFALL: ENGLANDBILDER UND AUSSENPOLITIK, 1849–1859 Im Verlauf der 1850er Jahre richtete sich der außenpolitische Expansionsimpuls immer stärker auf die zentralamerikanischen Staaten, wo die Südstaatler ein „Imperium für die Sklaverei“ (James M. McPherson) zu errichten hofften, das ihre Zukunft inner- oder außerhalb der Union sichern sollte. Die Minderheit der programmatischen Sezessionisten wollte die neuen Sklavenstaaten im Golf von Mexiko in einer unabhängigen SüdstaatenNation aufgehen lassen (und damit nicht zuletzt auch deren Lebensfähigkeit sicherstellen). Größtenteils verband das Establishment mit den Expansionsplänen jedoch die Hoffnung, die Verhältnisse so zu ordnen, dass eine Abspaltung gerade vermieden werden konnte.711 Jeweils abhängig davon, ob sie eine sezessionistische, partikularistische oder unionistische Perspektive ein710 Congressional Globe, 36th Congress 1st Session, 18.05.1860, Appendix, 321. 711 Zu den tropischen Expansionsunternehmen der 1850er Jahre vgl. May, The South and the Tropics; ders., Southern Dream of a Caribbean Empire. Wie Robert May herausgearbeitet hat, ist die Bewegung im Wesentlichen unionistisch und nicht sezessionistisch geprägt gewesen. Zugleich hatten die Südstaatler eine dauerhafte Stärkung bzw. Dominanz der Sklavenstaaten in der Republik vor Augen.
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III. Der Süden, die atlantische Welt und der Niedergang der Union
nahmen, gingen die Meinungen der Südstaatler darüber auseinander, mit welchen Methoden die Kontrolle über die Reste des spanischen Kolonialimperiums zu erlangen seien. In Großbritannien hatten sie freilich alle den gefährlichsten Gegner in der Region ausgemacht. Die Palette der Krisenherde reichte von Nikaragua über Santo Domingo bis nach Kuba. Einige der prominentesten Diplomaten und Senatoren des Südens – namentlich William Cabell Rives, James Murray Mason, Jefferson Davis, Judah P. Benjamin und John Slidell – schärften bei diesen Debatten ihr politisches Profil. Weil sie nur wenige Jahre später die Englandpolitik der Südstaaten-Konföderation zu entwerfen hatten, erscheint ihre Positionierung in dieser Zeit von besonderem Interesse. Zugleich erlebten die Südstaatler in den Jahren vor dem Bürgerkrieg einen spektakulären Anstieg ihrer Baumwollexporte. Das Bewusstsein wirtschaftlicher Stärke (ver-)führte sie zu Reflexionen über das Verhältnis von Ökonomie und Macht, aus denen die so genannte King Cotton-Doktrin entstand, die Idee also, durch die Kontrolle der Rohstoffausfuhr das politische Handeln anderer Staaten (insbesondere Englands) bestimmen zu können. Betrachtungen und Kommentare, wie sie vor allem der South Carolina-Diplomat und Historiker William Henry Trescot verfasste, bestätigten diese Auffassung und lieferten damit gleichsam die außenpolitische Absicherung der Sezession. Zusammengenommen erschließen sich so die Charakteristika einer Zeit, die sich im dialektischen Zusammenspiel von Krise und Zerfall auf die „Zerschmetterung der Union“712 zu bewegte. Das idealistische Englandbild: Vorsondierungen für den Clayton-Bulwer-Vertrag Im Hinblick auf Großbritanniens Politik in Mittelamerika waren die 1850er Jahre von polemischen und feindseligen Stellungnahmen geprägt. Gerade deshalb ist es bemerkenswert, dass zu Beginn des Jahrzehnts ausgerechnet ein Südstaatler das Terrain für eine anglo-amerikanische Verständigung sondierte. 1845, auf dem Höhepunkt der Oregon-Krise, war William Cabell Rives aus dem öffentlichen Leben ausgeschieden. Von seiner Plantage Castle Hill bei Charlottesville aus knüpfte er enge Kontakte nach Boston und New York, die seinem Ansehen daheim Schaden zufügten, bis er schließlich – zumindest unter den radikaleren Southern Rights-Advokaten – als Verräter gebrandmarkt wurde.713
712 Walther, Shattering of the Union. 713 Vgl. McCoy, Last of the Fathers, 339. Zu den vor allem familiär bedingten Nordstaaten-Kontakten vgl. Sowle, Trials of a Virginia Unionist, 6; Dingledine, Education of a Virginia Planter’s Son.
6. Englandbilder und Außenpolitik, 1849–1859
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Mit der Wahl des Whig-Präsidenten Zachary Taylor 1848 kehrte Rives noch einmal für einige Jahre in die Politik zurück. Obwohl ihn sein außenpolitisches Erfahrungsprofil für hohe diplomatische Posten auswies, wurde er weder mit dem State Department noch mit der englischen Gesandtschaft betraut.714 Stattdessen ging er 1849 ein weiteres Mal nach Paris und geriet von dort aus in Kontakt mit der Politik und Kultur Englands.715 Seine Reise auf den alten Kontinent führte ihn zunächst nicht in die französische Hauptstadt, sondern in diplomatischer Mission nach London. Anders als bei seinem ersten Besuch auf der Insel im Jahre 1832 wurde Rives diesmal mit einem delikaten Problem vorstellig, das die anglo-amerikanischen Beziehungen empfindlich zu stören drohte.716 Lord Palmerston, der 1846 als Außenminister erneut in die britische Regierung eingetreten war, hatte erkannt, dass der Westwärtsdrang der Union mit den Mitteln klassischer Gleichgewichtspolitik nicht mehr einzufangen war.717 Die Bestandsaufnahme der außenpolitischen Interessen gebot aber zumindest die Begrenzung ihres Einflusses in Mittelamerika. Während sich die Stellung der Vereinigten Staaten dort noch vergleichsweise schwach ausnahm, konnten sich die Briten auf eine Kette von Empire-Stützpunkten über Belize bis an die Küste Honduras’ und Nikaraguas stützen.718 Ausgerechnet Nikaragua jedoch, das als unabhängige Republik aus den Überresten des spanischen Kolonialreiches und der nachfolgenden Föderation hervorgegangen war, beflügelte seit Mitte der 1840er Jahre die Phantasien der Amerikaner. Die Massenwanderung von Goldsuchern nach Kalifornien weckte das Interesse von Investoren am Bau eines Kanals zwischen Greytown (San Juan de la Norte) an der Mosquito-Küste und dem Lago de Nicaragua in der Nähe des Pazifiks, um den beschwerlichen Landweg durch eine Seepassage zu ersetzen.719 714 Vgl. Judith Walker Rives an Francis Rives, 07.03.1849, William C. Rives Papers, LC, Box 29. 715 Ein aufschlussreiches Beispiel hierfür sind seine Eindrücke vom Besuch der Londoner Weltausstellung im Jahre 1851. Vgl. Rives an Alfred Rives, 30.09.1851, William C. Rives Papers, Library of Congress, Box 29. Der diesbezügliche Bericht wurde in den USA auch an prominenter Stelle publiziert. Vgl. New York Times, 31.10.1851. 716 Rives verhandelte in London anstelle des zurückberufenen Gesandten George Bancroft. Vgl. Smith, Presidencies of Zachary Taylor & Millard Fillmore, 78. 717 Vgl. Bourne, Foreign Policy of Victorian England, 56 f. 718 Zur anglo-amerikanischen Rivalität in Zentralamerika und dem Isthmusproblem vgl. noch immer Williams, Anglo-American Isthmian Diplomacy. Vgl. auch Alstyne, Central American Policy of Lord Palmerston; Bourne, Britain and the Balance of Power in North America, 176 ff. Naylor, British Role in Central America, betont die ökonomischen Interessen der britischen Mittelamerikapolitik und schwächt ihren geopolitischen Charakter etwas ab. Vgl. ähnlich Smith, Illusions of Conflict, 3 ff. Zum Informal Empire in Latein- und Südamerika vgl. Cain / Hopkins, British Imperialism 1688–1914, 276– 314. 719 Die treibende Kraft hinter dem Kanalprojekt war der amerikanische Dampfschifffahrtspionier Cornelius Vanderbilt. Vgl. Hielscher, Der Pionier, 46–52.
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III. Der Süden, die atlantische Welt und der Niedergang der Union
Nicht nur im Sinne der Monroe-Doktrin reagierte Washington daher äußerst gereizt, als die Briten nach Palmerstons Amtsantritt aus ihrer überlegenen Stellung heraus begannen, nach Basen am mittelamerikanischen Isthmus zu suchen. Konkret entzündete sich der Streit am Protektorat Englands über das Königreich der Mosquito-Indianer, das eine günstige Landenge abdeckte und unter dem Druck der nikaraguanischen Behörden stand, die mit dem Segen Washingtons an die Küste strebten. 1848 schließlich wurden britische Kriegsschiffe in Kämpfe um den Schlüsselhafen Greytown verwickelt, den zu halten Palmerston bereits deshalb fest entschlossen war, weil er demonstrieren wollte, dass Großbritannien die Monroe-Doktrin nicht anerkannte.720 Einerseits wünschten beide Parteien einen Krieg zu verhindern und wollten ihre Einflusssphären friedlich abstecken. Andererseits verbanden sich in dem Isthmusproblem ökonomische Interessen mit Prestigepolitik. Die Gefahren des Konflikts schöpften sich vor allem aus psychologischen Faktoren, aus nationalen Ressentiments, kulturellen Stereotypen und dem daraus resultierenden Misstrauen gegenüber den Absichten der anderen Seite.721 In dieser schwierigen Situation barg die Entsendung eines Südstaatlers nach London Risiken, drängte doch gerade der Süden auf eine aggressive Territorialpolitik in der Karibik und Mittelamerika. Mit den anglophoben Expansionisten hatte Rives aber wenig gemein.722 Sein unbedingter Unionsprimat, der ihn von der Generation seiner republikanischen Lehrmeister ebenso abhob wie von den nachgerückten States Rights-Eiferern, tendierte vielmehr zu einer anglophilen Weltsicht. So absolvierte Rives seinen Besuch in Whitehall frei von dem gemeinhin üblichen Misstrauen gegenüber der britischen Politik. Es bleibe abzuwarten, berichtete er nach seiner Ankunft in London an das State Department, ob Englands Regierung wirklich die Kontrolle über den Nikaragua-Isthmus anstrebe, „or whether it aims simply, by measures of
720 Vgl. so Ridley, Lord Palmerston, 455. R. A. Humphreys bezeichnet die britische Kanonenbootdiplomatie zwar als „high-handed“, schätzt ihren Einflussradius aber als geringer ein, als viele Zeitgenossen, insbesondere in Amerika, annahmen. Humphreys, Diplomatic History of British Honduras, 51. 721 Zur Brisanz der Mosquito-Frage vgl. besonders Abbott Lawrence an Rives, 08.12.1849, William C. Rives Papers, LC, Box 45. Es war damals eine weit verbreitete Ansicht in den USA, dass sich Großbritannien den Isthmus sichern wollte. Umgekehrt ging der britische Konsul in Guatemala, Frederick Chatfield, davon aus, dass die Union ihr Territorium nach dem Ende des Mexikanischen Krieges noch weiter in die mittelamerikanische Sphäre auszudehnen bestrebt war. Vgl. Naylor, British Role in Central America, 378–381. Zu Chatfield vgl. Rodriguez, Palmerstonian Diplomat. Zur Furcht der USA vor Ausdehnung des Informal Empire in Mittelamerika vgl. Brauer, British Imperial Expansion, 31 f. 722 Vgl. Rives an William C. Rives, Jr., 10.09.1851, 17.09.1851, William C. Rives Papers, LC, Box 29.
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precaution, to prevent the monopoly and exclusive control of the Nicaragua lake route by others“.723 Während der Verhandlungen mit Lord Palmerston demonstrierte er ein Diplomatieverständnis, das sich stark aus den personalen Bezügen seines Südstaatenumfeldes herleitete. Die Beziehungen zwischen Staaten und Personen, so legte er dem Außenminister dar, funktionierten nach dem gleichen Muster – und könnten auch nach dem gleichen Muster bereinigt werden: „[N]ations as well as individuals, […] under the influence of a mutual but unfounded distrust, were often committed in serious opposition to each other, when a frank and unreserved communication […] would have brought them to co-operate heartily in the pursuit of a common end.“724 Als versierter Diplomat dürfte Rives seine Worte bewusst gewählt und strategisch platziert haben. Zugleich verweisen sie jedoch auch auf das Ethos der südstaatlichen Ehrkultur – auf ihre idealtypische Ordnungsmaxime, ihren Gleichberechtigungsanspruch und die Konsequenz ihrer Handlungsgebote. Lord Palmerston, der mit den atmosphärischen Details der Diplomatie gut vertraut war, gewährte Rives die notwendige Ehrerbietung. In der Sache selbst widersprach er seinem Gegenüber freilich ganz entschieden. Nicht nur, dass er das Protektorat über die Mosquitos wortreich verteidigte. Stellenweise ließ er sogar durchblicken, wie er die Angelegenheit wirklich bewertete, als er zu verstehen gab, die USA seien von der nikaraguanischen Führung in den Konflikt hineingezogen und instrumentalisiert worden.725 Dennoch hatte er von Anfang an nicht die Absicht gehegt, den Isthmus-Konflikt eskalieren zu lassen, geschweige denn einen Krieg zu riskieren.726 Wunschgemäß versicherte er daher im Hinblick auf das immer wieder aufflackernde Rekolonisierungstrauma der Amerikaner, solche Befürchtungen entbehrten der „geringsten Grundlage“.727 Zum wiederholten Male nach 1832 gestaltete Palmerston den Empfang für Rives nach jenen Regeln, die sowohl der Idee der nationalen Ehre als auch dem Selbstverständnis eines südstaatlichen Gentleman entsprachen. Das Gespräch mit dem Außenminister, berichtete er zufrieden nach Washington, 723 Rives an John Clayton, 14.09.1849, ebd., Box 81. 724 Rives an John Clayton, 25.09.1849, ebd. 725 Vgl. ebd. Palmerston spielte darauf an, dass der US-Gesandte in Guatemala, Elijah Hise, im Juni 1849 einen Vertrag mit der nikaraguanischen Republik geschlossen hatte, mit dem sich Nikaragua unter den Schutz der Vereinigten Staaten stellte und amerikanischen Unternehmen ein Exklusivrecht zur Erschließung eines Kanals sicherte. Tatsächlich war dieses Abkommen vor allem das Resultat der nikaraguanischen Bemühungen, den britischen Einfluss in Zentralamerika zurückzudrängen. Palmerstons Vorwurf entbehrte also nicht der Grundlage. Vgl. Rodriguez, Palmerstonian Diplomat, 300. 726 Vgl. Palmerston an Lord John Russell, 30.01.1848, in: Alstyne, Central American Policy of Lord Palmerston, 358–369; Bourne, Britain and the Balance of Power in North America, 177. 727 Rives an John Clayton, 25.09.1849, William C. Rives Papers, LC, Box 81.
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III. Der Süden, die atlantische Welt und der Niedergang der Union
sei von uneingeschränkter Offenheit gewesen. Palmerston, der wie kaum ein zweiter englischer Staatsmann im 19. Jahrhundert die amerikanische Republik und ihre Daseinsidee verabscheute, hinterließ bei diesem anglophilen Südstaatler den Eindruck, er handle im „most conciliatory and friendly spirit towards the United States“.728 In seinem Gesprächsbericht an das State Department kam er zu dem Ergebnis, dass die Engländer keinen hegemonialen Zugriff auf die Landenge anstrebten. Nach seinem idealistischen Englandbild, das die Erklärung des Außenministers als Wort der Ehre für verpflichtend erklärte729, deckten sich Londons Intentionen auch mit der eigenen Haltung und waren getragen vom „spirit of frankness which ought ever to characterise the intercourse […] between two such nations as the United States and Great Britain“.730 Tatsächlich mündeten die ersten Verhandlungssondierungen zwischen Rives und Palmerston einige Monate später in einem bilateralen Abkommen. Der Vertrag, den US-Außenminister John Clayton und der britische Gesandte William Bulwer am 19. April 1850 in Washington unterzeichneten, verpflichtete beide Mächte in vager Sprache auf die Respektierung ihrer gegenseitigen Ansprüche, schloss die Exklusivkontrolle über eine interozeanische Verbindung aus und regte sogar den gemeinsamen Bau eines neutralen Isthmuskanals an. Für die Briten markierte das Abkommen insofern einen Erfolg, als der US-Expansion nach Zentralamerika vorerst ein Riegel vorgeschoben wurde.731 Wie illusionär die Vorstellung war, dass nicht nur menschliche Beziehungen, sondern auch der Verkehr zwischen Staaten den Regeln der Ehre gehorchten, zeigt sich in einem Brief Palmerstons, den er später an Lord Clarendon schrieb: „The Yankees are most disagreeable Fellows to have to do with about any American Question; They are on the Spot, strong, deeply interested in the matter, totally unscrupulous and dishonest and determined 728 Ebd. 729 Wie Rives die britischen Motive gegenüber dem State Department deutete: „The British Government has been, with its usual forecast, gradually extending and fortifying the Mosquito claim, but with no view, we are bound to believe by the frank and manly declarations of Lord Palmerton […], to use it as an instrument of monopoly for their own advantage.“ Rives an John Clayton, 25.09.1849, William C. Rives Papers, LC, Box 46. 730 Ebd. 731 Die allerdings nur temporäre Entspannung durch das Abkommen betont Baumgart, Europäisches Konzert und nationale Bewegung, 474. Zur Ambiguität des Vertragstextes vgl. Humphreys, Diplomatic History of British Honduras, 52 f. Insgesamt bedeutete der Clayton-Bulwer-Vertrag den Anfang vom Ende der britischen Hegemonialstellung in Mittelamerika. Vgl. Naylor, British Role in Central America, 381. Zu seiner Rolle in der Isthmuspolitik während der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vgl. Smith, Illusions of Conflict, 80 ff. Vgl. den Vertrag in langfristiger Perspektive daher als amerikanischen Erfolg wertend Rodriguez, Palmerstonian Diplomat, 323 f.; LaFeber, American Age, 117.
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somehow or other to carry their Point.“ Im Hinblick auf die Persistenz des Vertragsgedankens, wie Rives ihn so enthusiastisch formuliert hatte, gab er sich betont nüchtern bis zynisch: „The Clayton-Bulwer Treaty opposes a barrier to North American advance, by stopping the Yankees out of Central America, and therefore they all hate and detest the Treaty.“ 732 Räume der Bedrohung: Krimkrieg, Mächtepolitik und die karibische Flanke, 1852–1858 Von den Mitgliedern des Kongresses beschäftigte sich kaum ein anderer Südstaatler derart intensiv mit dem englischen Einfluss in der Welt wie James Murray Mason. Nachdem er seine Kongresskarriere 1847 wieder aufgenommen hatte, etablierte sich Mason gemeinsam mit Hunter als Mitglied in einem der einflussreichsten Netzwerke Washingtons, das aus den südstaatlichen Ausschussvorsitzenden im Senat bestand und aufgrund des gemeinsamen Wohndomizils in der F Street als F Street Mess bekannt geworden ist.733 In dieser Allianz sammelten sich die Kräfte des Southern Rights-Lagers, um die Interessen der Sklavenhalter in der Hauptstadt zu vertreten. Obwohl sich die F Street Mess in erster Linie auf die Innenpolitik konzentrierte734, brachte sie den künftigen Außenminister der Konföderation und den künftigen England-Gesandten auch im Hinblick auf außenpolitische Fragen zusammen. Insbesondere Mason, der großen Wert auf zeremoniellen Aufwand legte, gab sich zeitweise bestrebt, die Mess zu einem informellen diplomatischen Austauschforum auszubauen. So organisierte er im Jahre 1848 einen Empfang in der F Street, zu dem der britische Generalgouverneur von Kanada, Lord Elgin, die Gesandten Englands und Frankreichs sowie die Mitglieder des Kabinetts geladen waren. Zwar hielt sich Hunter bei solchen Gelegenheiten eher im Hintergrund.735 Dennoch stimmten er und Mason ihre 732 Palmerston an Clarendon, 31.12.1857, in: Bourne, Foreign Policy of Victorian England, 334–337, hier 334 f. Vgl. auch Hickson, Palmerston and the Clayton-Bulwer Treaty, bes. 302 f. 733 Neben Mason für die Auswärtigen Beziehungen und Hunter für die Finanzen gehörten der F Street Mess noch Andrew P. Butler aus South Carolina sowie David R. Atchison aus Missouri an. Butler saß dem Ausschuss für das Gerichtswesen vor, während Atchison als Senatspräsident pro tempore fungierte. Zur F Street Mess vgl. McPherson, Für die Freiheit sterben, 112; Young, Defender of the Old South, 53 f.; Gara, Presidency of Franklin Pierce, 76 f. Vgl. die Gruppe als „locus of power“ bezeichnend Rawley, Race and Politics, 28. 734 Ihre bedeutsamste Wirkung erlangte sie 1854 im Zusammenhang mit dem Kansas Nebraska Act. Vgl. o. 245. 735 Wie er im Zusammenhang mit dem Diplomatenempfang in der F Street schrieb: „I rather think it will not go off very well, but I do not care much about it. I will help him [Mason, H. L.] out as well as I can.“ Hunter, Memoir, 101.
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Positionen aufeinander ab. Bei allen Gemeinsamkeiten pflegten diese für die Südstaaten-Politik nach 1861 wichtigsten Virginier unterschiedliche Stile. Anders als sein introvertierter Landsmann ging Mason in einem exzentrischen Habitus auf, der auch in die Inszenierung seiner öffentlichen Auftritte einfloss und von dem kritischen Beobachter Carl Schurz wenig schmeichelhaft als „anmaßende[r] Eigendünkel“ abgetan wurde.736 Von den Konföderationspolitikern des Ostküstensüdens war Mason der einzige, der die erste Hälfte der 1840er Jahre außerhalb Washingtons verbracht hatte. Dennoch verfügte er über ein außergewöhnlich scharfes sektionales Profil. Der Enkel des republikanischen Revolutionsidols George Mason betrachtete die Nord-Süd-Fragen aggressiver und unversöhnlicher als sein früherer Mentor Rives. Mason, der selbst nur wenige Sklaven besaß, verinnerlichte das legalistische Denken von Rives ebenso sehr wie die Rassendoktrin Calhouns.737 Darüber hinaus nahm er die Sklaverei ebenso wie Calhoun (und anders als Rives) als einen Stabilitätsfaktor wahr, der die Freiheit und Unabhängigkeit der Südstaaten garantiere. Weil er in ihr ein zivilisatorisches Gut und einen politischen Faktor sah, verstand er sie innerhalb der nationalen Kompromissfindung als einen nicht verhandelbaren Punkt. Zu den Territorialdebatten des Jahres 1850 hatte Mason einen besonders schwerwiegenden Beitrag beigesteuert – das Sklavenfluchtgesetz, welches ihm im Norden den Ruf eines fanatischen Repräsentanten der Slave Power bescherte.738 Wie Mason die Kritik an dem Gesetz zusammenfasste, schien das innere Gefüge Amerikas aus dem Gleichgewicht geraten zu sein, wurde hier doch eine tief verwurzelte Institution des Südens als „Verbrechen“ stigmatisiert.739 In Reaktion darauf bezeichnete er die Sklaverei als ein hohes moralisches Gut und verknüpfte ihre Verteidigung mit dem Begriff der Ehre.740 Für die 736 Schurz, Lebenserinnerungen, Bd. 2, 27. Das Urteil des Sklavereifeindes Schurz über Mason fiel wenig vorteilhaft aus: „Es zeigte sich in ihm […] die mürrische Anmaßung eines beschränkten Menschen, etwas Besseres sein zu wollen als andere, von denen er verlangte, dass sie sich seiner Aristokratie und allen ihren Ansprüchen beugen sollten.“ Ebd., 27 f. 737 Vgl. Congressional Record, 30th Congress 1st Session, 06.07.1848, 886; ebd., 32nd Congress 1st Session, 23.08.1852, 1073; ebd., 35th Congress 1st Session, 05.05.1858, 1967. 738 Das Sklavenfluchtgesetz sollte die Umsetzung einer ursprünglich in der Verfassung festgehaltenen Klausel bestärken und die Bundesinstitutionen zur Rückführung von in den Norden geflohenen Sklaven verpflichten. Zu Masons Autorenschaft vgl. Sewell, House Divided, 33; Young, Defender of the Old South, 51. Zum Slave Power-Topos vgl. Richards, Slave Power; Rothman, Slave Power. 739 Congressional Record, 31st Congress 1st Session, 08.01.1850, 121. Vgl. ferner Mason an William C. Rives, 04.02.1850, William C. Rives Papers, LC, Box. 81; Mason an David Hedrick u.a., 23.07.1850, in: Mason, Public Life and Diplomatic Correspondence, 76–77. 740 Vgl. Congressional Globe, 34th Congress 1st Session, Appendix, 20.05.1856, 546.
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Genese seines Englandbildes war das von entscheidender Bedeutung. 1851 zum Vorsitzenden des Senatausschusses für Auswärtige Angelegenheiten gewählt, waltete er über acht Jahre hinweg als eine Schlüsselfigur der US-Außenbeziehungen. In dieser Zeit erarbeitete er sich ein detailliertes Wissen über die Geschichte und Gegenwart Europas, ohne freilich jemals die Reise über den Ozean anzutreten. Seine Beunruhigung über den Eifer der Nordstaaten – kurz: die Erwägungen der Innenpolitik – ließen ihn zu dem Schluss kommen, dass seine Bestimmung nicht im Ausland, sondern im Senat liege.741 Die erodierende Unionstreue dieses Virginia-Partikularisten spiegelt sich in seinen außenpolitischen Einlassungen wider. Seine Forderungen für den Umgang zwischen den Nationen waren gekoppelt an seine Vorstellungen für die Ehre zwischen den Regionen und speisten sich schließlich auch aus seinem Kredo für das respektvolle Miteinander zwischen den Personen, die im Namen der Staaten in Washington Politik betrieben. Obwohl er in der Innenpolitik kräftig Öl ins Feuer goss, beurteilte Mason außenpolitische Fragen fast immer aus einer nationalen Perspektive heraus. Zwischen den Redeschlachten über Kansas und die Sklaverei, zu denen nicht wenige Senatoren bewaffnet im Kongress erschienen, erstattete er dem Senat regelmäßig Bericht über diplomatische Angelegenheiten: vom zentralamerikanischen Isthmusproblem742 über die Kubapolitik743 bis zur Reform des diplomatischen Dienstes744 oder den Repräsentationsaufwand für den Empfang des Vizeadmirals der türkischen Marine.745 Zumeist nüchtern und geschäftsmäßig vorgetragen, gewannen seine Reden in der Regel dann an Leidenschaft, wenn er über England sprach. Masons „Begegnungen“ mit der britischen Weltmacht im Senatsaal waren bisweilen von anglophiler Nostalgie, öfters aber von aggressiven Reflexen gekennzeichnet. Lässt sich auch auf den ersten Blick kein einheitliches Muster erkennen, so werden sie doch durch die Idee von Gleichberechtigung als Ehrbezeugung miteinander verbunden. Weil er diese kulturellen Prämissen nicht ablegen konnte, wandelte sich der Yankee-Hasser aus Virginia zum Fürsprecher nordstaatlicher Interessen, als britische Kriegsschiffe im Jahre 1852 Fischereigründe vor der Küste Neufundlands versperrten, die von amerikanischen Seeleuten seit der Unabhängigkeit auf umstrittener Rechtsbasis mitbenutzt worden waren.746 Zwar legte 741 Vgl. Mason an William C. Rives, 23.11.1852, William C. Rives Papers, LC, Box 83. 742 Vgl. Congressional Record 32nd Congress 1st Session, 19.07.1852, 1833; ebd., 32nd Congress 2nd Session, Appendix, 01.02.1853, 134 ff. 743 Vgl. ebd., 32nd Congress 2nd Session, 23.12.1852, 139 f. 744 Vgl. ebd., 34th Congress 1st Session, 01.04.1856, 785 f. 745 Vgl. ebd., 35th Congress 1st Session, 16.02.1858, 718. 746 Zur Geschichte der anglo-amerikanischen Auseinandersetzung über die Fischereirechte vgl. Bemis, John Quincy Adams, 278–300, bes. 298 f.; Dowty, Limits of American Isolation, 35 f.
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sich Mason nicht auf einen klaren juristischen Standpunkt fest, sondern verwies zur Klärung auf die bilateralen Gespräche.747 Absolut inakzeptabel erschien ihm aber, dass Großbritannien die Amerikaner vor der „Mündung der Kanone“ an den Verhandlungstisch zwingen wollte, anstatt im offiziellen diplomatischen Verkehr eine Änderung der Vertragsauslegung anzuzeigen, was „comity, ordinary comity, national courtesy would have required“. So blieb nichts anderes als festzustellen: „[I]t strikes me as a far higher offence than a breach of national courtesy – as one of insult and indignity to the American People.“748 Hier erschließt sich die Substanz seines Denkens mehr über die Sprache als über den Inhalt. In einer Zeit sektionaler Verwerfungen verband einen Pro Slavery-Advokaten aus Virginia wenig bis gar nichts mit den Rechten von Fischern aus dem äußersten Nordosten. Dass er sich für sie einsetzte, lag an den Erfordernissen der Ehrkultur, die für die inneren und äußeren Verhältnisse der Union stets Gültigkeit hatte. Masons Klage über den Mangel an Respekt und Höflichkeit war keine Floskel, sondern ist im wörtlichen Sinne zu deuten. Wenn die Ehre der Nation von außen beschädigt wurde, antwortete er – trotz innerer Entfremdung – in einer nationalen Sprache. Dennoch verweist die Heftigkeit seine Ausfälle auf einen südstaatlichen Kulturzusammenhang. Die Nordstaatler, so schrieb er im November 1852 an William Rives nach Paris, besäßen weder das richtige Gespür noch die Nervenstärke, um die Ehre der Nation nach außen zu verteidigen.749 Der Senator, den so unterschiedliche Lehrmeister wie Rives und Calhoun auf den gemeinsamen Nenner von Ehre und Unabhängigkeit geschult hatten, verstand das Formelle in der Diplomatie als einen Wert an sich, als ein Mittel der kulturellen Kommunikation, durch das sich die Nationen ihre wahre Meinung voneinander mitteilten.750 Mit Genugtuung begrüßte er deshalb 1854 die endgültige Regelung der Fischereifrage, in der die Prinzipien strikter Gleichberechtigung und Reziprozität dominierten.751 Die Bedeutungsbelegungen seines Englandbildes orientierten sich also an Leitideen seines Politikbegriffs, nicht umgekehrt. In der Fischereifrage kam ihm die britische Regierung als notorischer Störenfried vor, der sich in ehrverletzender Manier über lang erprobte Regelungen und geltende Verträge hinwegsetzte. Das musste seinen anglophilen Neigungen aber keineswegs widersprechen. In den Sphären von Kunst, Wissenschaft und Literatur habe das alte England mehr geleistet als jede andere Nation, wie er 1857 einmal schrieb – und als Angehörigem der so genannten Kavalierskultur Virginias 747 748 749 750 751
Vgl. Congressional Record, 32nd Congress 1st Session, 12.08.1852, Appendix, 911. Ebd., 23.07.1852, 1890. Vgl. Mason an William C. Rives, 23.11.1852, William C. Rives Papers, LC, Box 83. Vgl. hierzu Young, Defender of the Old South, 64 f. Vgl. ausführlich Allen, Great Britain and the United States, 448 ff.; Nichols, Franklin Pierce, 343.
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fiel es ihm nur zu leicht, sich mit diesem Teil der englischen Vergangenheit Amerikas zu identifizieren.752 Die prägnantesten Urteile über England fällte Mason im Zusammenhang mit den karibischen und mittelamerikanischen Krisenschauplätzen. Wie die Jahre nach 1850 zeigten, konnte der von Rives mit idealistischem Überschwang vorbereitete Clayton-Bulwer-Vertrag die Spannungen in der Region keineswegs beseitigen. Sein früherer Schüler Mason brachte kein Verständnis für die britische Auslegung des Vertragstextes auf: Nicht nur, dass die Empire-Kolonien entlang der Mosquito-Küste und in Belize erhalten blieben – sogar die Proklamation neuer Besitzungen war möglich, wie die Regierung des Earl of Derby im März 1852 demonstrierte, als sie eine Inselkette vor Honduras zur „Colony of the Bay Islands“ ernannte.753 Mason stimmte der Kritik der Demokraten zu, die dem Whig-Präsidenten Millard Fillmore – Amtsnachfolger des 1850 verstorbenen Zachary Taylor – vorwarfen, er hätte nicht energisch genug auf die Durchsetzung der Vertragsbestimmungen gepocht.754 Und in der Tat verschärfte sich der amtliche Tonfall gegenüber England erst, als durch den Regierungswechsel von 1853 auch die geistigen Grundlagen der Außenpolitik abgeändert wurden. Mit dem Einzug von Franklin Pierce ins Weiße Haus schlug die Stunde der demokratischen Young America-Nationalisten, die sich von ihren Regierungsposten aus daran machten, die Welt mit ihrem idealistischen Amerikabild zu konfrontieren.755 Selbst gemäßigte Anhänger der Bewegung, wie der neue Außenminister William Marcy aus New York756 oder der Gesandte in England, James Buchanan aus Pennsylvania, waren Befürworter eines nach außen getragenen Americanism, der das republikanische Selbstbild gegenüber den Monarchien Europas zum Ausdruck bringen sollte. Es verwundert kaum, dass der ClaytonBulwer-Vertrag in diesem Klima an Ansehen verlor. Als das Foreign Office Buchanan im Sommer 1854 zu verstehen gab, der Vertrag besäße keine rück752 Vgl. Mason an George Dallas, 15.10.1857, Mason Family Papers, Gunston Hall Library: „She has done more than any other nation to foster and create, in arts, in science, and in literature, and to extend their influences, albeit at time through conquest[,] carnage and oppression.“ Der Sklaverei-Verfechter Mason äußerte sich hier bestürzt über den Sepoy-Aufstand in Indien und klammerte die Empire-Kritik – ansonsten ein wesentlicher Bestandteil seines negativen Englandbildes – zu diesem Zweck vollständig aus: „The Lord preserve poor old England – for with all her faults we can sympathize with her troubles.“ 753 Vgl. Congressional Record, 32nd Congress 2nd Session, Appendix, 26.01.1853, 132. 754 Vgl. hierzu May, Southern Dream of a Caribbean Empire, 88; Nichols, Franklin Pierce, 260. 755 Die Young America-Bewegung ist noch nicht Gegenstand einer neueren Untersuchung geworden. Vgl. aber Spencer, Louis Kossuth and Young America, 11–29. Zum außenpolitischen Expansionismus der Young Americans und ihrer damit einhergehenden Anglophobie vgl. LaFeber, American Age, 122–127. 756 Zu Marcy vgl. die ältere Arbeit von Spencer, The Victor and the Spoils.
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wirkende Gültigkeit und berühre daher nicht die existierenden Protektorate, sorgte das für einen Aufschrei der Empörung in den Vereinigten Staaten.757 Zwar stand Mason der Young America-Idee eher skeptisch gegenüber und war der Ansicht, die Überreste des spanischen Karibik-Imperiums würden von selbst in den Sog der Union geraten. Um diese Entwicklung nicht zu stören, müsse England aber mit allen Mitteln an einer Konsolidierung seines Einflusses gehindert werden, wie es das Clayton-Bulwer-Abkommen in seiner Lesart auch eigentlich vorgesehen hatte. 758 Abgesehen davon, dass die Angelegenheit nationale und sektionale Interessen betraf, kam Mason nicht umhin, die elastische Vertragsinterpretation der Briten als Ehrverletzung zu betrachten. Dieser Kulturbezug seines außenpolitischen Denkens ergibt sich aus den Worten, mit denen er am 29. Februar 1856 die „schwerwiegende Beleidigung“ der Londoner Regierung beklagte: I think, that a grave offence has been committed toward this Government by the Government of England. […] I understand an apology to be between nations what it is between gentlemen. If a gentleman in society finds that he has done wrong to another […] he first admits the wrong frankly […], and then tenders amends; and […] by his deportment as well as by his promise, evinces a firm and honorable purpose not to offend in the like manner again.759
Englands Handeln in Mittelamerika erschien ihm als ehrlos, da es von den Empire-Interessen angetrieben wurde, dem grenzenlosen Streben nach Macht- und Einflusszuwachs – von Motiven also, die einen jeden Südstaatler beunruhigen mussten, dessen Weltbild sich aus Jeffersons Machtkritik und Calhouns Belagerungshysterie speiste. Die britische Herrschaft beruhte in seinen Augen auf einem globalen Imperium mit Besitzungen an den Schlüsselstellen der Welt, die sich als Räume der Bedrohung um die amerikanische bzw. südstaatliche Sphäre zusammenzogen.760 Calhoun hatte vor dieser imperialen Macht gewarnt, weil er sie über das Einfalltor Texas auf die Zerstörung der Sklaverei hinwirken sah. Mason bemühte sich um eine optimistischere Beurteilung, was einer kulturell begründeten Anglophilie geschuldet gewesen sein mag, die Calhoun stets fremd geblieben war. Die „Regierung des Alten England“ bewunderte er als „great, mighty, and powerful, and not great, mighty, and powerful alone, but wise and sagacious“. Dennoch – oder gerade deshalb – stand für ihn außer Frage: „[T]his continent […] must be freed from the aggressions of England.“761
757 Vgl. William L. Marcy an James Buchanan, 12.06.1854, William L. Marcy Papers, LC, Box 50; Buchanan an Marcy, 25.08.1854, ebd. Vgl. ferner Allen, Great Britain and the United States, 434. 758 Vgl. Congressional Record, 32nd Congress 2nd Session, 23.12.1852, 139 f. 759 Ebd., 34th Congress 1st Session, 29.02.1856, 541. 760 Vgl. ebd., 32nd Congress 3rd Session, Appendix, 15.03.1853, 266. 761 Ebd.
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In Abgrenzung zum Missionsgedanken der Young Americans bekannte er sich zur isolationistischen Politik der Monroe-Doktrin, die aber sehr wohl aktive Züge annehmen konnte, sofern zu befürchten stand, dass die europäischen Mächte auf die amerikanische Seite des Atlantiks überzugreifen drohten. Hierfür verwies Mason den Senat im Februar 1855 auf den seit über einem Jahr tobenden Krimkrieg. Dieser Konflikt nährte sich seiner Ansicht nach aus den miteinander verwobenen Prinzipien des äußeren Gleichgewichts und der inneren Unterdrückung: All the countries of Europe now […] are under the absolute sway of despotism. The rulers look upon their countries as their domain – their private property. They look upon their people also a property belonging to them, with a right to govern and control them at pleasure, to parcel them out and divide and subdivide them, to add a little here and take of a little there, in order […] to maintain an equilibrium in the balance of power.762
Für Mason existierte ein offensichtlicher Zusammenhang zwischen der Verfasstheit eines Staates und seiner auswärtigen Politik. Auch wenn er England aus seinem Katalog der europäischen Despotien ausnahm763, beobachtete er die Teilnahme der Briten am Krieg doch mit höchsten Bedenken. Der Eintritt in den Dunstkreis machtstaatlicher Gleichgewichts- und Interventionspolitik, wie er ihn anhand des Krimkrieges studieren zu können glaubte, verwies auf ihre Wühlarbeit in der westlichen Hemisphäre. In warnenden Worten entwarf Mason das Szenario einer globalen Ausdehnung der anglo-französischen Krimkriegsallianz, die Lord Clarendon am 31. Januar 1855 in einer viel beachteten Rede vor dem House of Lords angedeutet hatte.764 Für den Augenblick erschien die Befürchtung allerdings insofern paradox, als die Verbündeten im Osten gebunden waren und ein so Vakuum vor der Haustür der Union schufen. In London urteilte James Buchanan gar optimistisch, die Briten könnten es sich nicht leisten, gegen die Amerikaner in den Krieg zu ziehen.765 Seine Einschätzung schien sich auch zu bestätigen, als im Juli 1854 ein übereifriger US-Offizier den nikaraguanischen Hafen Greytown bombardierte – und sich die britische Regierung erstaunlich ruhig verhielt. Wie die Südstaatler allerdings bald erfahren mussten, erwies sich diese Sicherheit als trügerisch. Im Juli hatte die Pierce-Administration den texani762 Ebd., 33rd Congress 2nd Session, 20.02.1855, 831. 763 Vgl. ebd.: „[A]ll the countries of Europe now, with the exception of England, are under the absolute sway of despotism.“ 764 Vgl. Hansard’s Parliamentary Debates, 3rd Series, CXXX, 31.01.1855, 43. Vgl. zum Wahrnehmungszusammenhang zwischen Krimkrieg und den mittelamerikanischen Krisenherden auch Baumgart, Crimean War, 49. Mason folgerte hieraus: „[I]f we are capable of reading the signs of the times […], we find […] they [die Briten, H. L.] are at their work on this continent.“ Congressional Globe, 33rd Congress 2nd Session, 20.02.1855, 831. 765 Vgl. Buchanan an William Marcy, 23.03.1854, William L. Marcy Papers, LC, Box 49.
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schen Kriegsveteranen William Leslie Cazneau in die Dominikanische Republik entsandt, um dort über den Verkauf der Samaná-Bucht zu verhandeln, an der auch Frankreich Interesse für den Bau eines Marinestützpunktes bekundete.766 Nachdem der Texaner die Gespräche im Oktober zu einem erfolgreichen Abschluss gebracht hatte, lieferte die Krimkriegsallianz eine Demonstration ihrer Stärke, als sie durch einen Flottenauflauf vor Santo Domingo eine Revision des Abkommens erzwang und es für die Amerikaner damit völlig entwertete.767 Zu allem Überfluss ergänzte der Senat in Santo Domingo den Vertrag um eine Klausel, nach der schwarzen Inselbewohnern in den Vereinigten Staaten die vollen Bürgerrechte gewährt werden müssten – eine für den Süden absolut inakzeptable Forderung.768 Cazneau, der mit seiner Expansionsrhetorik die Atmosphäre zusätzlich angeheizt hatte, leitete den Vertrag schließlich nicht nach Washington weiter und wurde im Dezember von Außenminister William Marcy abberufen. Erbitterten diese Ereignisse bereits den Nordstaatler Marcy so sehr, dass er an James Buchanan in London schrieb, ein Erfolg der Alliierten auf der Krim würde in den Vereinigten Staaten nicht als „gute Neuigkeit“769 aufgenommen, so besaßen sie für Mason eine noch viel abgründigere Dimension: Was ihn aus nationalen Motiven gegen Englands Politik in Stellung brachte, nämlich die Assoziationen von Empire und Machtpolitik, überschnitt sich hier mit seiner Empfindlichkeit beim Thema Sklaverei und Rassen(un)gleichheit. Im Februar 1855 legte er dem Senat eine Korrespondenz vor, die angeblich belegte, dass der englische und französische Konsul in Santo Domingo dem Präsidenten Pedro Santana das Angebot unterbreitet hätten, sich für eine friedliche Regelung der Beziehungen zur Nachbarrepublik Haiti einzusetzen, sofern seine Regierung vom Verkauf der Samaná-Bucht absehen würde.770 Allein der Gedanke, Briten und Franzosen paktierten zu Lasten der Union mit einer Republik ehemaliger Sklaven, wie sie in Haiti aus der Revolution 766 Vgl. hierzu Spencer, The Victor and the Spoils, 400 f. Zur Cazneau-Mission vgl. ausführlich Tansill, United States and Santo Domingo, 172–213. Zum französischen Interesse an der Dominikanischen Republik vgl. Blumenthal, Franco-American Relations, 48 f. 767 Vgl. hierzu Pons, Dominican Republic, 93; Rodman, Quisqueya, 67. 768 In der Union herrschte die Ansicht vor, Großbritannien habe die Regierung der Dominikanischen Republik in dieser Hinsicht beeinflusst. Wie Charles Tansill nachgewiesen hat, gab es von Seiten des britischen Konsuls tatsächlich Bemühungen, den Senat in Santo Domingo mit Verweis auf die Sklaverei gegen das Vertragswerk zu mobilisieren. Vgl. Tansill, United States and Santo Domingo, 195 f. 769 Marcy an Buchanan, 19.10.1854, William L. Marcy Papers, LC, Box 50. 770 Vgl. Congressional Record, 33rd Congress 2nd Session, 20.02.1855, 832. Tatsächlich wirkte das Londoner Außenministerium damals auf eine Bereinigung der gestörten Beziehungen zwischen Haiti und der Dominikanischen Republik hin, um Santo Domingo das Bedürfnis nach Anlehnung an die amerikanische Schutzmacht zu nehmen. Vgl. hierzu Logan, Diplomatic Relations, 285 f.
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von „schwarzen Jakobinern“771 hervorgegangen war, erschien ihm derart ungeheuerlich, dass er sich der Rassestereotypen aus Calhouns Pakenham-Brief bediente, um seiner Empörung Ausdruck zu verleihen: „After the whites where expelled from the Island, the negroes relapsed into a state of absolute savagism, which is paralleled only by the same race on the coast of Africa.“772 Seit den Tagen Jeffersons hatten die Südstaatler die haitianische Republik – Ergebnis der einzigen erfolgreichen Sklavenrebellion in der modernen Geschichte773 – als eine widernatürliche Schöpfung betrachtet, deren Existenz sie geradezu panisch ignorierten.774 Denn die „Selbstbefreiung der afrikanischen Sklaven von Saint-Domingue rang ihnen eine erzwungene Anerkennung […] ab, wenn auch nur in Form von Angst“.775 Obwohl mehr Vermutung als gesicherte Erkenntnis, betrachtete Mason die anglo-französische Konspiration schon deshalb mit Empörung, weil die Südstaatler fürchteten, dass das haitianische Beispiel ihre eigenen Sklaven zu Aufständen ermuntern könnte.776 Die vermeintliche Verschwörung der Alliierten fügte sich reibungslos in die Englandkritik Calhouns ein, wonach Großbritannien die Südstaaten an ihrer Peripherie zu umzäunen versuchte, um die Ausdehnung der Sklaverei zu verhindern und ihre endgültige Zerstörung herbeizuführen.777 Diese negative Beschichtung seines Englandbildes verhärtete sich weiter, als Großbritannien nach dem Ende des Krimkrieges seine Aktionen gegen den atlantischen Sklavenhandel zwischen Afrika und Kuba intensivierte.778 Bereits 1817 hatten die Engländer Madrid zur Unterzeichnung eines Vertrages genötigt, der den kolonialen Sklavenhandel zum Jahr 1820 verbot und ihnen das Durchsuchungsrecht für unter spanischer Flagge segelnde Schiffe zugestand.779 Weil sich die kubanischen Behörden von den Sklavenhändlern regelmäßig bestechen ließen, konnte der illegale Menschenverkehr in den 771 James, Schwarze Jakobiner. 772 Congressional Record, 33rd Congress 2nd Session, 20.02.1855, 832. 773 Vgl. so Turley, Slavery, 138. Zur Unabhängigkeit Haitis und den vorangegangenen Bürgerkriegen vgl. Dayan, Haiti, History, and the Gods, 143–187; Pons, Dominican Republic, 91–117. Vgl. zum Forschungsstand Fick, Making of a Haiti, 1–15; Fischer, Modernity Disavowed, bes. 11 ff. 774 Vgl. hierzu Hunt, Haiti’s Influence on Antebellum-America; Flounders, Cuba, Haiti and John Brown, 59 ff. 775 Buck-Morss, Hegel und Hatiti, 74. Vgl. hierzu auch Gegus, Impact of the Haitian Revolution, xf. 776 Vgl. den Freiheitsimpuls der haitianischen Revolution betonend Genovese, From Rebellion to Revolution, 82–125; Cox, British Caribbean in the Age of Revolution, 275 f.; Davis, Impact of the French and Haitian Revolutions; Blackburn, Force of Example; skeptischer Drescher, Limits of Example. 777 Vgl. Congressional Record, 33rd Congress 2nd Session, 20.02.1855, 832. 778 Vgl. noch immer ausführlich Soulsby, Right of Search, 138 ff. 779 Vgl. dazu Ettinger, Mission to Spain, 10.
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folgenden Jahrzehnten aber kaum unterbunden werden.780 Gemäß ihrer üblichen Haltung beteiligte sich die US-Regierung an keinem internationalen Verbotsabkommen und eröffnete ihren Staatsbürgern sogar eine rechtliche Grauzone für die Belieferung des kubanischen Sklavenmarkts. Als die englische Marine im Frühjahr 1858 amerikanische Handelsschiffe nicht mehr nur in afrikanischen Gewässern, sondern auch vor der Küste von Kuba und im Hafen von Havanna aufbrachte, verband sich das Durchsuchungsrecht wieder einmal mit dem Problem der nationalen Ehre und führte die anglo-amerikanischen Beziehungen auf einen neuerlichen Tiefpunkt.781 Am 29. Mai 1858 präsentierte Mason dem Senat eine Resolution, die dem Präsidenten eine Blankovollmacht zur Entsendung eines Flottengeschwaders erteilte, um die Souveränität der amerikanischen Flagge im Golf von Mexiko zu schützen.782 Gleichwohl verstand er diese Maßnahme als eher symbolischen Schritt. Dem Vorbild seiner Mentoren Calhoun und Rives folgend, geißelte Mason den Krieg unmissverständlich als „Zuflucht der Barbarei“ und definierte die republikanische Außenpolitik als Gegenteil europäischer Kriegspolitik.783 Zugleich fürchtete er die Auswirkungen des Sklavenhandelproblems für den atlantischen Frieden: „But even if it did not lead to war, the constant state of irritation, angry feeling, and disposition to recriminate or make reprisals, would necessarily bring the two countries into collision in some way.“784 Diese Einlassungen lassen sich auch als Parabel auf die schmerzhaften Nord-Süd-Beziehungen lesen. Außen- und Innenpolitik waren kaum noch voneinander zu trennen; äußere Feindbilder verschmolzen mit inneren Gegensätzen und gingen im Szenario einer ungewissen Zukunft auf. Der anglophobe Reflex und die Fixierung auf Kuba Aus der Sicht des Südens öffnete sich die karibische Flanke der englischen Bedrohung nirgends so deutlich wie auf Kuba. Seit der Westindien-Emanzipation in den 1830er Jahren hatte Großbritanniens Regierung wiederholt abolitionistisch gesinnte Konsuln nach Havanna entsandt, die Druck auf die örtlichen Behörden ausübten und sich um das Schicksal der freien Schwarzen kümmerten.785 Im März 1843 erschütterte eine Sklavenrebellion den westlichen Teil der Insel und löste eine Kette von Gewalttätigkeiten aus, die erst im 780 781 782 783 784 785
Vgl. Gott, Cuba, 60. Vgl. Landry, Slavery and Slave Trade in Atlantic Diplomacy, 200 ff. Vgl. Congressional Globe, 35th Congress 1st Session, 29.05.1858, 2493. Vgl. ebd., 07.06.1858, 2743. Vgl. ebd., 29.05.1858, 2493. Vgl. ausführlich Foner, History of Cuba, 201–209; Staten, History of Cuba, 25. Vgl. zur britischen Kubapolitik auch Ettinger, Mission to Spain, 11 ff.
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folgenden Jahr durch eine drakonische Strafaktion der Behörden beendet wurden. Diese so genannte Conspiración de la Escalera schürte unter den Pflanzern auf Kuba und in der Union eine kollektive Angst. Die Annahme, dass Großbritannien versuchen würde, die Sklavenbefreiung auf der Insel aus eigensüchtigen Motiven zu erzwingen, spielte dabei eine wichtige Rolle.786 Insbesondere Jefferson Davis betrachtete den humanitären Anspruch der Sklavereifeinde als Bemäntelung gefährlichen Machtstrebens.787 In den nächsten Jahren behielt er diese Linie bei. Nach seiner vergeblichen Opposition gegen den Kompromiss von 1850 fixierte er sich auf die Vereinnahmung Kubas, um durch die Außenpolitik das auszugleichen, was er als innere Schwächung des Südens begriff, jedoch nicht hatte verhindern können. Tatsächlich standen die Zeichen für eine Annexion nicht ungünstig: Die wirtschaftlichen Verbindungen Kubas zu den Vereinigten Staaten waren damals bereits enger als zum spanischen Mutterland oder zu Großbritannien. Zudem hatten kreolische Pflanzerfamilien nach den Rassenunruhen von 1843 / 44 ihren Annexionswunsch immer lauter artikuliert und durch einflussreiche Exilkubaner in die amerikanische Öffentlichkeit weitergetragen.788 Von solchen Anzeichen ermuntert, befehligte Narisco López – ein südamerikanischer Glücksritter mit bewegter Vergangenheit – in den Jahren 1849 und 1851 zwei Flottenexpeditionen zur Entfesselung einer pro-amerikanischen Revolution auf der Insel.789 Nach dem Scheitern seines ersten Anlaufes trug López dem Mexiko-Veteranen Davis das Kommando über ein Invasionsheer an, wurde allerdings abschlägig beschieden, da dieser zwar die Eingliederung Kubas wünschte, aber keine illegalen Freibeuterfahrten anzuführen bereit war.790 Daran dürfte er gut getan haben: López’ zweite Expedition endete in der Katastrophe und mit seiner öffentlichen Hinrichtung auf dem Marktplatz von Havanna. Ein neues Momentum baute sich erst wieder auf, als mit Franklin Pierce 1853 ein südstaatenfreundlicher Präsident ins Weiße Haus einzog. Pierce, der eine aggressive Territorialpolitik proklamiert hatte, schien auch keine Berührungsängste gegenüber weiteren Freibeuterabenteuern zu besitzen.791 Im Kongress wurden die Planungen von Senatoren wie John Slidell aus Louisiana befördert, der die Regierung von ihrer Neutralitätspflicht zu entbinden trachtete. Hierfür appellierte er an südstaatliche Ängste, die sich um die von 786 Vgl. Congressional Globe, 30th Congress 1st Session, 29.04.1848, Appendix, 590 ff. 787 Vgl. Davis, Remark on the Occupation of Yucatan, 05.05.1848, in: McIntosh / Christ / Dix (Hg.), Papers of Jefferson Davis, Bd. 3, 318–325, hier 320. 788 Die Netzwerke der Exilkubaner in Amerika und ihre publizistischen Verbindungen untersucht Gott, Cuba, 67. Zu den Annexionsströmungen innerhalb der kubanischen Sklavenhalterelite vgl. Staten, History of Cuba, 26. 789 Zu López und seinen Kuba-Expeditionen vgl. Chaffin, Fatal Glory. Vgl. auch Foner, History of Cuba, Bd. 2, 41–66. 790 Vgl. Christ / Dix / Beringer (Hg.), Papers of Jefferson Davis, Bd. 4, 59, Anm. 2. 791 Vgl. einschränkend May, U. S. Presidents and Filibustering, 26 f.
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einem anglo-französischen Mächtekonzert vorangetriebene „Afrikanisierung“ Kubas drehten.792 Auch der zweite Senator für Louisiana, Judah Philip Benjamin, warnte vor der „Etablierung eines Negerstaates“793 von Englands Gnaden, distanzierte sich als Jurist aber von rechtswidrigen Expeditionen.794 Mit seiner vorsichtigen Haltung ging Benjamin ein politisches Risiko ein. Zudem zwangen ihn die Verhältnisse daheim, in der Öffentlichkeit eine expansionistische Position zu vertreten, in der sich anglophobe und rassische Ressentiments verdichteten. Nachdem er am 24. Mai 1854 eine Resolution der Louisiana-Legislative im Senat verlesen hatte, die vor der „Opferung der weißen Rasse“ auf Kuba warnte und „energische Maßnahmen“ Seitens der Bundesregierung forderte, wollte er eine Diskussion vermeiden und die Vorlage an den Auswärtigen Ausschuss überweisen.795 Erst als sich die Debatte zwischen expansionskritischen und expansionistischen Senatoren verselbstständigt hatte, legte er die harten Äußerungen nach, die ein Repräsentant des Tiefen Südens zu diesem Thema von sich zu geben hatte. Obwohl er einräumte, die Behauptungen der Resolution nicht durch eine „mathematische Demonstration“ bestätigen zu können, postulierte er die „Absicht der britischen Regierung“, durch Druck auf die Spanier eine Emanzipation der kubanischen Sklaven herbeizuführen und die Rechtsgleichheit zwischen den Rassen herzustellen: „These will form a body of black troops to assist the Spanish troops against the white population of the island.“796 Davis und Benjamin sprachen zwar die anglophobe Sprache des Tiefen Südens, weigerten sich aber trotz der gegenläufigen Stimmung in ihren Heimatstaaten Mississippi und Louisiana, die Freibeuterfahrten zu unterstützen. Die Vorbereitungen für einen neuerlichen Anlauf schlugen dann auch gründlich fehl. Am 31. Mai 1854 entzog die Pierce-Administration der geplanten Invasion um den Mississippi-Sezessionisten John Quitman797 ihre Unterstützung und veröffentlichte eine Proklamation, die den Freibeutern strafrechtliche Verfolgung und Aburteilung nach dem Neutralitätsgesetz von 1818 androhte. Dieser unerwartete Dämpfer fiel mit dem Pyrrhussieg zusammen, den die Südstaatler mit der Verabschiedung des Kansas-Nebraska Act errungen hat-
792 Zur „Afrikanisierungsdebatte“ vgl. Chester, Sectionalism, Politics, and American Diplomacy, 81; Freehling, Road to Disunion II, 165 f. 793 Congressional Globe, 33rd Congress 1st Session, 01.05.1854, 1023. 794 Im Januar 1851 hatte er sich an der rechtlichen Aufarbeitung der Kuba-Abenteuer López’ beteiligt und den Bezirksanwalt von New Orleans in seiner Klage gegen dessen amerikanische Hintermänner unterstützt. Vgl. New Orleans Delta, 24.01.1851. Vgl. ferner Butler, Judah P. Benjamin, 180–184; Evans, Jewish Confederate, 42 f. 795 Vgl. Congressional Globe, 33rd Congress 1st Session, 24.05.1854, 1298. 796 Alle Zitate: ebd., 1298, 1299. 797 Zu Quitman vgl. May, Old South Crusader.
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ten.798 Weil die Debatten um das Gesetz die Demokratische Partei zu zerreißen drohte, nahm die Regierung nun Abstand davon, durch eine Protektion von Freibeuterexpeditionen aus dem Tiefen Süden noch weiteres Öl ins Feuer zu gießen.799 Die enttäuschten Expansionisten verdächtigten Kriegsminister Davis, den Präsidenten gegen eine neuerliche Kuba-Fahrt aufgebracht zu haben, war doch bekannt, dass er direkten Zugang zu Pierce besaß und auch auf Fragen der Außenpolitik bestimmenden Einfluss nahm.800 Tatsächlich endeten sämtliche Bemühungen, welche die Pierce-Administration zur Akquirierung Kubas unternahm, im diplomatischen Desaster.801 Nach seinem Ausscheiden aus dem Kriegsministerium musste Davis, der sich mit selbstkritischen Reflexionen zeitlebens schwer tat, auf ein Bündel von Feindbildern zurückgreifen, um die magere Bilanz der Regierungszeit zu rechtfertigen. Für ihn hatte das Zusammenspiel feindseliger Kräfte im Äußeren und im Inneren den Erwerb Kubas verhindert.802 England, dem mit dem Clayton-Bulwer-Vertrag von 1850 erlaubt worden sei, seine mittelamerikanischen Stützpunkte zu behalten, sei hierfür letztlich verantwortlich.803 Nachdem ihm die Sklaveninsel in der Karibik verweigert worden sei, müsse der Süden nun um die existentiellen Voraussetzungen seiner Sicherheit bangen. Zwar verfiel Davis nicht in dem gleichen Maße einer konspirativen Weltsicht wie die Radikalpartikularisten und Sezessionisten um Yancey, Rhett und Hammond, die zwischen der nordstaatlichen und der englischen Bedrohung nicht mehr unterschieden. In seiner Deutung der jüngsten Entwicklungen 798 Zum Zusammenhang zwischen Kansas-Nebraska Act und dem Entzug der Unterstützung für die Freibeuter vgl. May, Old South Crusader, 282 ff. 799 Vgl. so McPherson, Für die Freiheit sterben, 100. 800 Vgl. May, Southern Dream of a Caribbean Empire, 73. 801 Das Außenministerium autorisierte den Gesandten am spanischen Königshof, Pierre Soulé aus Louisiana, 1854 zur Vorlage eines großzügigen Angebots und ermächtigte ihn in vager Sprache zu weiteren Schritten, sollten die Verhandlungen scheitern. Vgl. William Marcy an Pierre Soulé, 16.08.1854, in: Manning (Hg.), Diplomatic Correspondence, Inter-American Affairs, 1831–1860, Bd. 9, 193–194; Pierre Soulé an William Marcy, 15.10.1854, in: ebd., 824–825. Soulé zählte jedoch zum Typus des ehrfixierten und impulsiven Politikers. Anstatt seine Vollmachten umsichtig zu nutzen, traf er im Oktober 1854 mit seinen Gesandtschaftskollegen James Buchanan und John Young Mason in Ostende zusammen und überredete sie zur Unterzeichnung einer Proklamation, in der nicht nur das legitime Anrecht der Amerikaner auf Kuba herausgestrichen, sondern auch mehr oder minder unverhüllt mit Waffengewalt gedroht wurde. In Europa wie in Amerika produzierte das Ostende-Manifest einen veritablen Skandal und diskreditierte die weiteren Verkaufsbemühungen. Zu Soulé vgl. Moore, Pierre Soulé. Zur Genese des Ostend Manifesto vgl. Ettinger, Mission to Spain, 339–413. Vgl. ferner Binder, James Buchanan and the American Empire, 165, 200 ff.; Baker, James Buchanan, 64 ff.; DeConde, Presidential Machismo, 56. 802 Vgl. Davis, Speech at Vicksburg, 18.05.1857, in: Christ / Dix (Hg.), Papers of Jefferson Davis, Bd. 6, 117–119, hier 118. 803 Vgl. Davis, Speech at Jackson, 29.05.1857, in: ebd., 120–127, hier 121.
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entwarf freilich auch er eine Feindbilddialektik, in der sich die äußeren und inneren Fronten verwischten. In den 1850er Jahren hat kein anderes außenpolitisches Phänomen diesen Fusionsprozess mehr beschleunigt als die gescheiterte Fixierung auf Kuba, die von einem anglophoben Reflex begleitet worden war. Ökonomie und Macht: Reflexionen über das Regiment der Baumwolle In den 1850er Jahren begannen die Südstaatler zunehmend über die äußeren und inneren nach einer möglichen Sezession nachzudenken. Die ökonomischdemographischen Grundbedingungen, an die solche Überlegungen anknüpften, waren auf den ersten Blick alles andere als ermutigend: Während die Manufakturen des Nordens prosperierten, verharrte die Industrieproduktion in den Agrarstaaten auf einem verschwindend geringen Niveau; während der Immigrantenzustrom aus Europa die Bevölkerungszahl in der Union insgesamt steigen ließ, stagnierte die südstaatliche Population804; während ein engmaschiges Eisenbahnnetz die Neuenglandstaaten mit dem alten Nordwesten verband, mussten Reisende im infrastrukturell unterentwickelten Süden oft zeitraubende Umwege in Kauf nehmen.805 Das unbestreitbare Monopol der Sklavenstaaten in der Rohstofferzeugung täuschte nicht darüber hinweg, dass fast die gesamte Baumwollernte jeder Saison unbearbeitet ins Ausland oder die Manufakturen des Nordens exportiert wurde, aus denen der Süden wiederum einen Großteil seiner Textilien und Fertigwaren bezog.806 Modernisierungsanstrengungen, die durchaus unternommen wurden, kamen bis zum Ausbruch des Bürgerkrieges größtenteils zum Erliegen.807 Vergeblich beklagten die Reformer – denen seit 1846 mit der Review des New Orleans-Publizisten James D. B. DeBow ein viel gelesenes Organ zur Verfügung stand – in klassischer Ehrrhetorik die „degrading shackles of commercial dependence“.808 Weitgehend unbeschadet von der Spekulationskrise des Jahres 1857 blühte das Baumwollgeschäft auf und gab der Masse der kleineren Farmer ein soziales Aufstiegsmodell vor.809 Vor804 Vgl. Russel, Economical Aspects of Southern Sectionalism, 213 ff.; North, Economic Structure of the South, 152 f. 805 Zur Infrastruktur im Süden vgl. Russel, Antebellum Sectionalism, 199 ff.; Eaton, Old South, 366 ff.; Carlton / Coclanis, South, Nation, and the World, 21. 806 Vgl. North, Economic Structure of the South, 149; Parker, Cotton Economy, 1 ff. 807 Vgl. Genovese, Political Economy of Slavery, 124 ff., 180 ff.; McCardell, Southern Nation, 128. 808 Resolution des südstaatlichen Handelskonventes in Augusta vom Oktober 1837, zit. n. McCardell, Southern Nation, 91–141. 809 Vgl. Cohn, Life and Times of King Cotton, 87. Das Idealbild des vermögenden Plantagenbesitzers war Indikator einer durchaus vorhandenen sozialen Mobilität unter der weißen
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handenes Kapital wurde vor allem in Land und Sklaven investiert, was die Erntegewinne zwar erhöhte, für die Ansiedlung von Industrien aber ein ungünstiges Klima schuf.810 Deshalb und weil sich die Pflanzer vor den „Gefahren der Modernisierung“811 fürchteten, vollzog sich in den 1850er Jahren ein Wandel im südstaatlichen Selbstbild. Aus Angst wurde Aggressivität, aus Nervosität ein ausuferndes Triumphgefühl. Diese Verschiebung löste eine Neubewertung der Machtverhältnisse innerhalb der atlantischen Welt aus. Am Vorabend der Sezession deckten die Exporte aus den Vereinigten Staaten fast 80 Prozent des in britischen Manufakturen verarbeiteten Materialbedarfs812, etwa vier Millionen Menschen bezogen ihren Lebensunterhalt direkt oder indirekt aus der Textilproduktion. Die beispiellose Bindung eines derart wichtigen Industriezweiges an einen monopolistischen Rohstofflieferanten wurde von englischer Seite nicht ohne Sorge betrachtet. Allerdings scheiterten bis 1861 alle Versuche der einige Jahre zuvor in Manchester aus der Taufe gehobenen Cotton Supply Association813, die Abhängigkeit von den Baumwolllieferungen aus der Neuen Welt durch die Erschließung alternativer Bezugsquellen zu lockern.814 Aus diesen Quoten und Statistiken leiteten die Südstaatler eine politische Macht ab, an der sie sich bisweilen selbst berauschten. So hatte der Rechtsgelehrte und Schriftsteller Nathaniel Beverley Tucker aus Virginia schon auf dem Nashville-Konvent im Juni 1850 ausgerufen, „die Pfeiler der Welt würden erschüttert“, sollte ein Bürgerkrieg den Süden zwingen, seine Wirtschaftsverbindungen zum atlantischen Raum zu kappen: „Let but the loom stand still for one month, and there will not be one stone left standing on another, of the whole political and social fabric of England. The statesmen of England know this, sir, and this is it that governs the foreign policy of England.“815
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Bevölkerung des Südens. Gleichzeitig stabilisierte diese Ausrichtung der Karrieremodelle die politische Macht der Pflanzeraristokratie. Vgl. Genovese, World the Slaveholder Made, 33; Barney, Secessionist Impulse, 4. Vgl. von einer „relativen absence of class conflict in the Old South“ sprechend Crofts, Politics in the Antebellum South, 178. Vgl. Conrad / Meyer, Economics of Slavery, 174 f.; Foust / Swan, Antebellum Slave Labour, 39–61. Vgl. die Sklaverei als dezidiertes Industrialisierungshemmnis wertend Wright, Cotton South, 126. Hietala, Manifest Design, 95. Vgl. Rose, Firms, Networks and Business Values, 162; Jones, Long Live the King?, 166, 169; Brady, Reconsideration, 156; Schmidt, Wheat and Cotton during the Civil War, 406 ff.; Levine, Half Slave and Half Free, 21. Vgl. Henderson, Cotton Famine, 5 f., 35 f.; Earle, Egyptian Cotton and the American Civil War, 522. Vgl. Earle, Egyptian Cotton and the American Civil War, 525 ff.; Logan, Britain’s Substitute for American Cotton, 472 f.; Schmidt, Wheat and Cotton during the Civil War, 417; Longmate, Hungry Mills, 214 ff. Remarks of the Hon. Beverley Tucker, of Virginia, addressed to the Members oft the
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Gerade weil sie davon ausgingen, dass ein nüchtern-zynisches Kalkül in Downing Street und Whitehall dominierte, erregten sich Publizisten und Intellektuelle über den Moralismus der Briten in der Sklavereifrage und warfen ihnen vor, ihre wirtschaftliche Dynamik trotz aller philanthropischen Rhetorik mit der Sklavenarbeit zu verknüpfen. Im Southern Literary Messenger vom April 1853 rechnete die South Carolina-Poetin Louisa Susanna Cheves McCord dem „lieben philanthropischen Bruder John [Bull, H. L.]“ seinen Beitrag zu genau jener Sklaverei vor, die er so leidenschaftlich bekämpfte: „Are you not indeed daily licking your lips under the enjoyment? Do penance, dear brother. At least deny yourself the privilege of sharing in the results of this inequity. […] Touch not our cotton, brother: let your manufacturers go starve; let your empty ships return to rot in your docks.“816 Die Vorstellung, Baumwolle regiere die Staaten der Welt, wurde in den 1850er Jahren vor allem von den aggressiven Pro Slavery-Verfechtern aufgegriffen. Exemplarisch dafür steht das vom Universitätspräsidenten E. N. Elliot aus Mississippi 1860 herausgegebene Kompendium Cotton is King, and Pro Slavery Arguments. Zu einem Zeitpunkt, als der Zerfall der Union bereits absehbar war, stellte diese Anthologie einige der klassischen Sklavereitraktate unter das Regiment der Baumwolle.817 Durch die Einteilung in die Kategorien von Ökonomie, Recht, Statistik und politische Wissenschaft präsentierte sich das Werk als akademischer Beitrag zur Apologie der Sklavenhaltergesellschaft.818 Diese Ideen von der Beziehung zwischen Ökonomie und Macht, wie sie sich in den geistigen Milieus ausbildeten, wurden auch auf der politischen Bühne formuliert. Ausgerechnet James Henry Hammond, dessen Karriere weitgehend im Sande verlaufen war, erhielt dadurch die Gelegenheit für einen letzten großen Auftritt. Seit dem Ende seiner Gouverneurszeit in South Carolina 1844 hatte Hammond kein öffentliches Amt mehr bekleidet.819 Noch immer von seinem Ruf als einer der führenden Pro Slavery-Intellektuellen zehrend, blieben ihm allerdings die Verschleißerscheinungen erspart, die Rhett nach seinem ge-
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Southern Convention, during its session at Nashville […], July 9th, 1850, in: Southern Quarterly Review 9 (1850), 218–223, hier 219. McCord, Charity which does not Begin at Home, in: Southern Literary Messenger 4 (1853), 193–208, hier 193. Vgl. ferner dies., Uncle Tom’s Cabin, in: Southern Quarterly Review 1 (1853), 81–120. Zu Louisa S. McCord vgl. Fought, Southern Womanhood and Slavery. Zur hiermit angezeigten Akademisierung des Pro Slavery Argument vgl. O’Brien, Conjectures of Order, 965. Vgl. Elliot (Hg.), Cotton is King, 19–267. Unter dem Titel Slavery in the Light of Political Science platzierte der Herausgeber Hammonds Two Letters on the Subject of Slavery aus dem Jahre 1845 an prominenter Stelle. Vgl. ebd., 629–688. Vgl. o. 171, 185 f.
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scheiterten Sezessionsvorstoß von 1850 erlitt.820 Mit später Genugtuung konnte er zur Kenntnis nehmen, dass ihm das Staatenparlament im November 1857 nahezu einhellig die Nachfolge für den einige Monate zuvor verstorbenen Senator A. P. Butler antrug. Als er am 4. März 1858 zu seiner ersten Rede an das Pult des Senatssaals trat, bündelte er seine Sozialutopien, seinen Nordstaatenhass und nicht zuletzt auch seine Englandbilder in einem Bekenntnis zur Macht der Baumwolle. Hammond, der von der Annullierungskrise über die Texas-Frage bis zur Kompromissdebatte von 1850 immer wieder Furcht- und Bedrohungsszenarien geschürt hatte, entwarf nun das Bild einer kraftstrotzenden Sklavenhaltergesellschaft, die sich vor der Zukunft nicht zu fürchten brauchte. Die Summe aus seinen Pro Slavery-Lehren ziehend, behauptete er, der Süden sei im Inneren stabil, weil er eine „minderwertige“ Rasse zu seinen Diensten gefunden habe, um die „armseligen Pflichten“ und die „Plackerei des Lebens“ zu verrichten: „In all social systems there must be a class to the mean duties, to perform the drudgery of life. […] Such a class you must have, or you would not have that other class which leads progress, refinement, and civilization.“821 Aus der Sklavenarbeit erwuchs auch die wirtschaftliche Produktivität, um die sich Hammonds Einlassungen eigentlich drehten. Indem er dem Senat und der Öffentlichkeit vor Augen zu führen versuchte, über welche Macht die Baumwollstaaten durch ihre Agrarexporte verfügten, votierte er nicht offen oder verdeckt für die Sezession. Ganz im Gegenteil wollte er auf die Gründe verweisen, warum der Süden dem Norden keineswegs unterlegen, sondern (zumindest) gleichwertig sei, warum er sich nicht von den Entwicklungen in der Welt abgekoppelt habe und auch keinen gewaltsamen Umsturz fürchten musste.822 Unter Rückgriff auf eine populäre Machtmetapher umschrieb er diese ökonomische Sicherheitsgarantie als das Verdienst von „König Baumwolle“: But if there were no other reason why we should never have a war, would any sane nation make war on cotton? Without firing a gun, without drawing a sword, when they make war on us we can bring the whole world to our feet. […] What would happen if no cotton was furnished for three years? […O]ld England would topple headlong and carry the whole civilized world with her. No, sir, you dare not make war on cotton. No power on earth dares make war upon it. Cotton is king.823
820 Hammond hatte hier bewusst Zurückhaltung geübt. Vgl. Tagebucheintrag v. 30.11.1850, in: Bleser (Hg.), Secret & Sacred, 206. 821 Congressional Globe, 35th Congress 1st Session, 04.03.1858, 962. Zur so genannten Mudsill-Theorie Hammonds vgl. Ericson, Debate over Slavery, 141 f.; Freehling, Road to Disunion II, 39 f. 822 Vgl. zu diesem Motiv o. 141. 823 Congressional Globe, 35th Congress 1st Session, 04.03.1858, 961.
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Mit diesem Plädoyer der Stärke hinterließ Hammond sein politisches Vermächtnis. Obwohl in einem anderen Zusammenhang platziert, formulierte er nichts anderes als die diplomatische Doktrin der künftigen Konföderation. Die Vorstellung, eine agrarische Republik könne über die Regulierung ihrer Rohstoffexporte die Außenpolitik anderer Staaten beeinflussen, geht in ihren Ursprüngen bis auf Jefferson und Madison zurück. Vor dem Hintergrund der inneren Krise und des anhaltenden Baumwollbooms nahm die Idee nun eine entscheidende Wendung ins Aggressive, von wo aus sie sich bis zur Hybris einer alles beherrschenden ökonomischen Macht steigerte.824 Die King Cotton-Rede hatte angezeigt, gegen wen sich der Hochmut dieser Macht vor allem richten würde – England. William Henry Trescot und die außenpolitische Absicherung der Sezession Sowohl die erpresserische Baumwolldoktrin als auch die anglophobe Sozialkritik entsprangen einer Fülle von Selbstbezügen. England und die größere atlantische Welt wurden hier als Bausteine für die Fundierung einer spezifischen Südstaaten-Ideologie hinzugezogen. Außenpolitische Reflexionen über die Sezession finden sich in den Veröffentlichungen des Historikers und Diplomaten William Henry Trescot aus South Carolina.825 1822 in Charleston geboren, hatte Trescot eine juristische Laufbahn eingeschlagen und 1848 durch günstige Heirat eine Baumwollplantage bei Beaufort erworben, wo er sich dem Neigungsstudium der amerikanischen Diplomatiegeschichte hingeben konnte.826 Trescot artikulierte seine Positionen in einer ruhigen Sprache und präsentierte sie in einer klaren analytischen Struktur, die zwar gedämpfter als die Stellungnahmen Rhetts und Yanceys wirkte, aber kaum weniger radikal war. Im Krisenjahr 1850 votierte er in seiner viel beachteten Schrift The Position and Course of the South offen für die südstaatliche Unabhängigkeit. Als Lackmustest der Nord-Süd-Beziehungen, so Trescot, hätte der soeben gefundene Kompromiss die unüberwindbaren Differenzen innerhalb der Union aufgedeckt: „[T]he institution of the slaveholding States are peculiar in their
824 Vgl. so bereits Hammond, Address before the South Carolina Institute [The Progress of Southern Industry], in: DeBow’s Review 6 (1850), 501–522, hier 520 f. 825 Eine Biographie Trescots existiert nicht. Vgl. aber O’Brien, Conjectures of Order, 1176–1185. 826 Für Trescots historiographisches Werk vgl. Trescot, Diplomatic History of the American Revolution (1852); ders., Diplomatic History of the Administrations of Washington and Adams (1857). Zu Trescot als Historiker vgl. Moltke-Hansen, William Henry Trescot.
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nature, differing in most essential features of political character from the political system of the rest of the country.“827 Seine Reflexionen drehten sich um den Gedanken, der Norden sei „indeed a foreign power“.828 Einem Primat ökonomischen Denkens verpflichtet, definierte er die Beziehungsgeflechte in der atlantischen Welt über die Konkurrenz zwischen produzierenden und verarbeitenden Nationen. Während der Wettlauf um die Auslandsmärkte die Nordstaaten und Großbritannien in ständigem Gegensatz halten würde, besäße der Süden ein evidentes Interesse an der Produktionssteigerung der englischen Industrieunternehmer, den Abnehmern seiner Rohstofferzeugnisse. Weil der Weltbedarf an Baumwolle nur noch von jenen Volkswirtschaften zu decken sei, die ihr Fundament auf Sklavenarbeit abgestellt hätten, enthielten sich die Briten auch zwangsläufig der Einmischung in die inneren Verhältnisse der Sklavenhaltergesellschaft. Wie Trescot bissig formulierte: „And we say boldly that it would be as wise, as safe, as honourable, to trust our domestic institutions and our foreign interests to the Parliament of Great Britain as to a Congress with a northern majority. Nay, wiser and safer, for her colonial experience has taught England never again to sacrifice her profits to her philanthropy.“829 Zieht man den Umstand in Betracht, dass die Englandreflexionen während der 1840er und 1850er Jahre das Bild einer interventionistischen Großmacht zeichneten, die ihren Vernichtungsfeldzug gegen die Sklaverei in die westliche Hemisphäre hineintrug, erscheint dieses Urteil bemerkenswert. Gleichwohl gab Trescot aber die Prämisse einer öffentlichen Strategie vor, mit der die Sezessionisten das diffuse Krisengefühl ihrer Zeit in Visionen künftiger Stärke umdeuteten, um einen Wahrnehmungswandel zu ihren Gunsten zu befördern. Die internationale Absicherung einer Sezession sah er daher a priori als gegeben an: The formation of an independent Southern confederacy, would give to the South the control of its industrial Policy and its commercial connection; thus arming it, at the very outset of its national career, with diplomatic power, and at the same time, form the character of those interests, […] inviting the cordial alliance of European powers. The advantages of such a position are incalculable, and the most selfish interests of the foreign world would be prompted to a speedy recognition of our national independence.830
Position and Course of the South blieb die ausführlichste Stellungnahme Trescots zu den Nord-Süd-Beziehungen. Wie sehr seine außenpolitische Konzeption allerdings vom innenpolitischen Wandel beeinflusst wurde, zeigt eine Einordnung dieser Schrift in andere Bemerkungen zur Staatenwelt, die 827 828 829 830
Trescot, Position and Course of the South, 7. Ebd., 12. Ebd., 13. Trescot, Position and Course of the South, 17. Vgl. ähnlich auch Trescot, Oration Delivered before the Beaufort Volunteer Artillery, on the 4th of July 1850, in: Charleston Mercury, 02.08.1850.
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er davor und danach publizierte. In seiner ersten größeren Veröffentlichung, A Few Thoughts on the Foreign Policy of the United States von 1849, hatte er den Norden noch in die Einheit der anglo-amerikanischen Wirtschaftsinteressen einbezogen.831 Weil sie über ein verbindendes Erbe – eine „gemeinsame Sprache“ und eine „gemeinsame Abstammung“ – verfügten, müssten sich Amerika und England zu einer Allianz für die Erschließung der asiatischen Märkte und die Regulierung des europäischen Mächtegleichgewichts zusammenschließen.832 Während er ein knappes Jahr später unter dem Eindruck des Sklavereiverbots in Kalifornien die Nichtintervention zur klaren Doktrin der Außenpolitik erheben sollte833, träumte er damals noch vom direkten Eingriff in mediterrane und türkische Angelegenheiten, durch den sich Briten und Amerikaner eine weltweite Vorherrschaft sichern könnten.834 Unabhängig davon, dass er innerhalb nur eines Jahres von einer enthusiastisch-positiven zu einer kritischen Assoziation des Mächtekonzerts gelangt war, erarbeitete sich Trescot eine Reputation als Spezialist für internationale Angelegenheiten. Zwischen 1852 und 1854 als Legationssekretär an der USGesandtschaft in London tätig, konnte er die krisenhafte Entwicklung der englischen Außenpolitik vor Ort beobachten. 1854 legte er dem amerikanischen Publikum seine Analyse über die Ursachen und Folgen des Krimkrieges als An American View of the Eastern Question vor. Seine Pläne für die anglo-amerikanische Kooperation in der Weltpolitik waren einer deutlich skeptischeren Einschätzung gewichen: Die Pfeiler des europäischen Mächtesystems seien „zerbrochen“, „and the world trembles in apprehension of a bloodier convulsion and a wilder change than in their day rocked the thrones of ancient empires“.835 Dieses apokalyptische Zukunftsbild, das durch die innere Krise der Union sicherlich noch verstärkt wurde, ließ ihn zu einer Neubewertung des Faktors Großbritannien gelangen, den er als Schlüsselelement für eine künftige Südstaaten-Diplomatie eingeplant hatte. Als South Carolina-Intellektueller ohne831 Vgl. Trescot, Few Thoughts on Foreign Policy, 11. Trescots Schrift wurde landesweit rezipiert, stieß im Süden aber aufgrund ihres eher nationalen Bezugsrahmens auf Kritik aus dem sektionalen Lager. Vgl. Our Foreign Policy, in: Southern Literary Messenger 1 (1850), S- 1–6, bes. 6. 832 Vgl. Trescot, Few Thoughts on Foreign Policy, 11. 833 Vgl. Trescot, Position and Course of the South, 13. 834 Vgl. Trescot, Few Thoughts on Foreign Policy, 13 f. Diese Erklärung kam einer Absage an den Jeffersonschen Isolationismus gleich: „It is the mistaken pride of the present that we stand apart from the world […]; that our wisdom is the summary of the world’s experience, and our future independent of the world’s control.“ Trescot, Diplomacy of the Revolution (1852), 8 f. Bedenkenswert ist, dass solche Äußerungen eines Sezessionisten sicherlich auch Implikationen für eine antizipierte Südstaaten-Nation besaßen, die über die Baumwollpolitik ihren (bestimmenden) Platz in der atlantischen Ökonomie zu beanspruchen hatte. 835 Trescot, American View of the Eastern Question, 6.
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hin an einer „well ordered liberty“836 im Inneren interessiert, bescheinigte er nun ausgerechnet dem zaristischen Russland eine stringente Politik und eine gefestigte Ordnung. Den englischen Kriegszielen hingegen, die auf das Bedürfnis nach Sicherung des Türkeihandels und der Mittelmeerwege nach Indien sowie die Schwächung des Zarenreichs im Orient abzielten, attestierte er „a mercantile rather than a political character, and shifting her conduct to suit her interests, she has been forced to keep the police of Europe in the interest of Manchester and Liverpool“.837 Ähnlich wie Robert Toombs in seinen Vorlesungen über die Sklaverei von 1853 und 1856838 kritisierte er die Verwerflichkeit des anglo-türkischen Bündnisses. Hatte Toombs dies als Beleg für eine zynische Machtpolitik unter dem Vorwand der Humanität genommen, so postulierte Trescot einen Vorrang ökonomischer Interessen, der für die Amerikaner nur zur Abschreckung taugte: „[I]f there is any people in the world who should avoid the cant of English commercial conservatism, we are the people.“839 Der Krimkrieg hatte zu einem nicht unerheblichen Wandel von Trescots Englandbild geführt: 1849 waren ihm die Briten das Vorbild einer globalen Hegemonialkonzeption gewesen; im Jahr darauf bezeichnete er sie als Garanten und Partner einer unabhängigen Südstaatennation. 1854 hingegen erschien ihm jeder weitere Machtzuwachs Englands als „gefährlich für die Welt“, und er begrüßte mit Blick auf Russland die Etablierung einer europäischen Gegenmacht.840 Auch wenn die positive Konnotation der künftigen anglo-südstaatlichen Wirtschaftspartnerschaft eher schal geworden war, änderte sich an den Prämissen der Baumwolldoktrin erst einmal nichts. Ganz im Gegenteil: Weil er die englische Weltpolitik als Interessenvertretung von „herumziehenden Handelsvertretern“841 sah, die Märkte für die Industrieerzeugnisse aus Sheffield oder Manchester erschlossen, wog er sich um so mehr in der Gewissheit, dass die Agrarexporte ein verlässliches Pfand blieben, mit dem der Süden würde wuchern können. Außenpolitisch durfte die Sezession damit als gesichert gelten.
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Trescot, Position and Course of the South, 6. Trescot, American View of the Eastern Question, 12. Vgl. o. 204. Trescot, American View of the Eastern Question, 13 (Hervorhebung im Original). In Position and Course of the South hatte er Englands Wandel in ein liberales Handelsimperium noch als konsequenten Zukunftsweg beschrieben: „If England is to be an empire of the future, she must be the England of manufactures.“ Ders., Position and Course of the South, 5 f. Zu Trescots übersteigertem Ökonomismus vgl. O’Brien, Conjectures of Order, 1180. 840 Vgl. Trescot, American View of the Eastern Question, 57. 841 Ebd., 58.
IV. DIE KONFÖDERATION UND ENGLAND, 1861–1865 1. Unabhängigkeit, Regierungsbildung und die Anfänge der Außenpolitik 1861 fiel der Süden von der Union ab und versuchte sich als unabhängige Nation zu etablieren. Politiker, die im Laufe der Antebellum-Jahre zwar dezidierte Englandbilder entwickelt hatten, aber kaum operative Erfahrung in den auswärtigen Beziehungen besaßen, erhielten nun diplomatische Spitzenposten: Die Präsidentschaft fiel an Jefferson Davis, das State Department an Robert Toombs, Robert M. T. Hunter und Judah P. Benjamin (in dieser Reihenfolge), die Leitung der (ersten) Kommission in Europa an William Lowndes Yancey. Einzig James Murray Mason, der die (zweite) Gesandtschaft in Großbritannien zugesprochen bekam, hatte während der 1850er Jahre im Senat außenpolitische Kenntnisse gesammelt. Der zeitgleich mit Mason berufene John Slidell war für die Vertretung des Südens in Paris zumindest durch taktisches Geschick und gute Sprachkenntnisse qualifiziert. Hingegen entfremdete sich Vizepräsident Alexander Stephens schnell vom Rest der Regierung und verbrachte die längste Zeit des Krieges grollend in Georgia. Andere prominente Figuren der Antebellum-Zeit kamen aus verschiedenen Gründen nicht mehr zum Zuge: William Cabell Rives hatte sich bis zuletzt gegen die Sezession gesträubt und wurde (wohl auch aus Altersgründen) gar nicht erst für einen diplomatischen Posten gehandelt. Robert Barnwell Rhett verkalkulierte sich auf dem Gründungskonvent der Konföderation mit einem frühen Vorstoß für eine atlantische Freihandelspolitik. Hiermit besiegelte er das Ende einer Laufbahn, von der er angenommen hatte, sie würde nun ihrem Höhepunkt entgegensteuern. Sein alter Rivale James Henry Hammond war von solchen Ambitionen gar nicht erst mehr angetrieben worden. Zwar hatte er mit seiner Baumwollrede von 1858 den ideologischen Rahmen der Südstaaten-Außenpolitik abgesteckt, beobachtete ihre Ausführung aber von seiner heimischen Plantage in South Carolina aus, wo er im November 1864 verstarb, ohne den Untergang des von ihm so aggressiv verteidigten Old South noch zu erleben. Sezession Obwohl sie einem perplexen Beobachter wie Judah P. Benjamin als „tosender Strom der Leidenschaft“ vorkam1, fiel die Sezession des Südens beileibe nicht 1
Benjamin an Samuel L. Barlow, 09.12.1860, zit. n. McPherson, Für die Freiheit sterben, 226.
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IV. Die Konföderation und England, 1861–1865
aus heiterem Himmel, sondern war in den vorangegangenen Jahrzehnten mehrfach erhofft oder befürchtet, zumindest aber erwartet worden.2 1859 hatte der Überfall des radikalen Abolitionisten John Brown auf das Waffenarsenal Harper’s Ferry eine panische Verschwörungsangst im Süden ausgelöst.3 In diesem Klima trafen sich die Delegierten der Demokratischen Partei Ende April 1860 ausgerechnet in Charleston, der Hochburg des Sezessionismus, um sich auf eine Programmbasis und einen Kandidaten für die Präsidentschaftswahl zu einigen.4 Weit davon entfernt, ein Signal der Einigkeit ins Land hinauszusenden, zerstritten sich Nord- und SüdstaatenFlügel über die Annahme einer Reihe von Schutzresolutionen für die Sklaverei in den Westterritorien, die Jefferson Davis im Senat vorgelegt hatte.5 Als die Mehrheit der Norddemokraten die Aufnahme der Vorlagen in das Parteiprogramm ablehnte, verließen die südstaatlichen Delegierten unter der Führung von William Lowndes Yancey demonstrativ den Konvent.6 Damit war der Apostel der Sezession seinem Lebenstraum ein erhebliches Stück näher gekommen. Weil sie ihre bundesweite Einheit nicht bewahren konnten, disqualifizierten sich die Demokraten für die Wahl im November 1860, bei der vier Bewerber die Scherben der zersplitterten Parteienlandschaft aufzulesen hatten.7 Während die Kompromissbefürworter der Constitutional Union Party im Oberen Süden punkteten, reüssierte der Southern Rights-Demokrat John C. Breckinridge nur im Tiefen Süden. Stephen Douglas, seit dem Eklat über das „blutende Kansas“ ein Todfeind der Slave Power, vereinte zwar eine beachtliche Stimmenzahl auf seine Person, vermochte sie aber nirgends in nennenswerte Staatengewinne umzumünzen.8 So reichte das geschlossene Votum des Nordens aus, um den republikanischen Kandidaten Abraham Lincoln zum sechzehnten Präsidenten der Vereinigten Staaten zu küren.
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Eine neuere Gesamtdarstellung der Sezession in den Jahren 1860 / 61 liegt nicht vor. Vgl. noch immer Dumond, Secession Movement. Vgl. auch unter Einbeziehung verschiedener historiographischer Denkschulen Collins, Southern Secession. Zu Brown vgl. die mit einer nicht unproblematischen Affinität geschriebene Biographie von Reynolds, John Brown. Zu John Brown als Topos der amerikanischen Kriegskultur vgl. Nudelman, John Brown’s Body. Vgl. Dumond, Secession Movement, 35–55. Zu den Davis-Resolutionen vlg. Crenshaw, Slave States in the Presidential Election of 1860, 44 f. Vgl. Abrahamson, Men of Secession and Civil War, 49–63. Vgl. auch Walther, William L. Yancey and the Coming of the Civil War, 229–253; Venable, Role of Yancey in the Secession Movement, 19 ff. Vgl. hierzu mit Fokus auf die sezessionistischen Strömungen Freeling, Road to Disunion II, 269–243. Zu Breckinridge vgl. Davis, Breckinridge. Zum Gesamtergebnis vgl. McPherson, Für die Freiheit sterben, 221.
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Mit der Wahl eines Black Republican ins Weiße Haus gab es für South Carolina kein Halten mehr in der Union.9 Die Sezessionisten hatten ihre Lektion aus der Krise von 1850 gelernt. Anstatt auf eine überregionale Gesamtstrategie zu vertrauen, erzwangen sie das Schicksal nun durch eine Einzelstaatenaktion und setzten am 20. Dezember auf einem Sezessionskonvent die Austrittserklärung durch, woraufhin Robert Barnwell Rhett mit dem ihm eigenen Pathos vor Dankbarkeit auf die Knie sank.10 Obgleich es in den übrigen Sklavenstaaten durchaus Meinungsverschiedenheiten darüber gab, wann und wie die Sezession zu vollziehen sei, ging das Kalkül South Carolinas auf. Noch im Januar 1861 stimmten die Versammlungen im Tiefen Süden – namentlich in Mississippi, Florida, Alabama, Georgia, Louisiana und Texas – zugunsten der Spaltung.11 Die damit freigesetzte Dynamik glich in den Worten des eingangs schon zitierten Judah Philip Benjamin einer „Revolution der ungestümen Art“.12 Die meisten Südstaatler umschrieben ihr Handeln aber keineswegs in Begriffen revolutionärer Veränderung: Es sei „ein Sprachmissbrauch“13, die Sezession als Revolution zu bezeichnen, behauptete Jefferson Davis: „To save ourselves from a revolution which, in its silent but rapid progress, was about to place us under the despotism of numbers […] we determined to make a new association, composed of States homogeneous in interest, in policy, and in feeling.“14 Und James Henley Thornwell, Professor am South Carolina College in Columbia, ließ sich programmgemäß ein: „We are not revolutionists; we are resisting revolution. We are upholding the true doctrines of the Federal Constitution. We are conservative.“15 Zugleich wollten die Südstaatler aber nicht nur das schützen, worauf sie innerhalb der alten Republik ohnehin ein Anrecht zu besitzen glaubten, sondern auch die Geschwüre ausmerzen, die ihr in den vergangenen Jahrzehnten vermeintlich gewachsen waren. Sie hingen nicht mehr der Union als solches, sondern einer Idee von der Union an, die ihnen als verklärte Erinnerung an 9 10 11 12 13 14 15
Zur Sezession South Carolinas vgl. Channing, Crisis of Fear; Sinha, Counterrevolution of Slavery, 221–255. Vgl. Davis, Rhett, xiii. Zu den Sezessionskonventen des Südens vgl. Wooster, Secession Convents of the South. Benjamin an Samuel L. Barlow, 09.12.1860, zit. n. McPherson, Für die Freiheit sterben, 226. Davis, Inaugural Address of the President of the Provisional Government, 18.02.1861, in: Rowland (Hg.), Constitutionalist, Bd. 5, 49–63, hier 50. Davis, Inaugural Address, 22.06.1862, in: ebd., 198–206, hier 200. Thornwell, Our Danger and Our Duty, in: Palmer, Life and Letters of James Henley Thornwell, 581–590, hier 583. Vgl. in diesem Zusammenhang die einflussreiche These von der Sezession als „conservative revolution“ bei Thomas, Confederacy as a revolutionary experience, 1. Zur historiographischen Einordnung vgl. Duncan / Smith, Emory M. Thomas and the Confederate Imagination, 14 f.
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eine entschwundene Ära vor Augen stand. So gesehen wurde ihr Handeln von mehr als nur konterrevolutionärer Status quo-Sicherung bestimmt.16 Sie waren von der Sehnsucht nach einer romantischen Revolution getrieben, deren revolutionäre Implikationen darin lagen, dass sie in der Tat das Bestehende gegen etwas Anderes tauschen wollten – allerdings nicht gegen das Zukünftige, sondern das (idealisierte) Vergangene. Wenn sie auch keineswegs alle den übersteigerten Utopien Robert Barnwell Rhetts anhingen und zum Teil auch – wie Alexander Stephens – bis zuletzt an der Union festhielten, rangen die Südstaatler letztlich mit der entscheidenden Frage, ob sich ihre Vision einer „freiheitlichen Sklavenhalterrepublik“ eher außerhalb oder innerhalb des existierenden Staates verwirklichen lassen würde. Stephens’ Widerstand gegen die Sezession brachte ihn in einen scharfen Gegensatz zu seinem langjährigen Freund und Verbündeten Robert Toombs.17 Unter dem Eindruck einer drohenden republikanischen Präsidentschaft hatten Toombs und andere Georgia-Demokraten die Forderung nach einer Kongressgarantie für die Sklaverei in den Territorien unterstützt und dafür auch den Zusammenbruch ihrer Partei auf nationaler Ebene in Kauf genommen.18 Wenige Wochen vor der Präsidentschaftswahl von 1860 prallten die Argumente zwischen Unionisten und Sezessionisten im Staatenparlament aufeinander.19 Toombs, der Ambitionen auf hohe Ämter in einer neuen Konföderation hegte, trug den Abgeordneten am 13. November ein emotionales, in der harten Sprache der Ehre gehaltenes Sezessionsplädoyer vor. Inzwischen war er dort angekommen, wo Rhett vor Jahrzehnten begonnen hatte, nämlich bei der Auffassung, der Süden könne nicht mehr in der Union verbleiben, ohne seine Ehre zu kompromittieren: „We have not sought this conflict; we have sought too long to avoid it; our forbearance has been construed into weakness, our magnanimity into fear, until the vindication of our manhood, as well as the defence of our rights, is required at our hands.“20 Um die schwankenden Abgeordneten Georgias für die Sezession zu gewinnen, übertrug er die Essenz von Calhouns anglophoben Feindbildern aus den 1840er Jahren auf die Furcht vor einer sklavereifeindlichen Territorialpolitik der Republikanischen Partei. Für das selbstgefällige Vertrauen, das die Pro Slavery-Aktivisten in die Stabilität der Sklavenhaltergesellschaft bekun16 Zu dieser Deutung vgl. McPherson, Für die Freiheit sterben, 233. Als Modell dient hier Mayer, Dynamics of Counterrevolution in Europe, bes. 59–86. 17 Vgl. Davis, Union That Shaped the Confederacy, 51–83. Zu Stephens’ Unionismus in der Sezessionskrise vgl. Freehling, Road to Disunion II, 429–442. 18 Vgl. Toombs an Stephens, 10.02.1860, in: Phillips (Hg.), Correspondence of Toombs, Stephens, and Cobb, 461. 19 Vgl. hierzu im Kontext Johnson, Patriarchal Republic, 18. Vgl. die Ansprachen bei Freehling / Simpson (Hg.), Secession Debated. 20 Robert Toombs’s Secessionist Speech, 13.11.1860, in: Freehling / Simpson (Hg.), Secession Debated, 31–50, hier 32 f.
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deten, war in dieser Dramaturgie kein Platz mehr: „We must expand or perish. […] The North understands it better – they have told us for twenty years that their object was to pen up slavery within its present limits – surround it with a border of free States, and like the scorpion surrounded with fire, they will make it sting itself to death.“21 Diese apokalyptischen Zukunftswarnungen appellierten sowohl an die Rassenressentiments als auch an die materiellen Interessen der Pflanzerelite. Die zugkräftigere Idee für eine Südstaaten-Unabhängigkeit bewegte sich allerdings in der Fluchtlinie des Jeffersonschen Republikanismus. Obwohl die amtliche Ikonographie der Konföderation eher auf den Nationenvater George Washington als auf den Sklavereikritiker Jefferson zurückgreifen sollte22, artikulierten die Sezessionisten ihre Zukunftsvorstellungen in der anglophoben Sprache der Unabhängigkeitserklärung. Zwar hob Toombs den anti-revolutionären Impetus der Sezession deutlich hervor: „We need no declaration of independence. Above eighty-four years ago our fathers won that by the sword from Great Britain.“23 Dennoch legitimierte er die Trennung von der Republik auch durch den Bruch mit dem britischen Empire: „The arguments of tyranny as well as its acts, always reenact themselves. The arguments I now hear in favor of this Northern connection are identical in substance, and almost in the same words as those which were used in 1775 and 1776 to sustain the British connection.“ Diese Fusion der Feindbilder, die Verschmelzung von der vergangenen Despotie Großbritanniens mit der gegenwärtigen Tyrannei des Nordens, verlieh dem südstaatlichen Freiheitsentwurf eine emotionale Wucht und verband ihn mit der Wahrung der Ehre: „I would as lief surrender it [liberty, H. L.] back to the British crown as to the abolitionists. I will defend it from both.“24 Indem sie das Bild einer ursprünglich-reinen Republik besetzten und eine anglophobe Traditionslinie zwischen 1776 und 1860 / 61 etablierten, schmiedeten die Sezessionsbefürworter eine scharfe Klinge für das Duell mit den Unionisten. Allerdings schöpfte Alexander Stephens bei seinem Mäßigungsplädoyer ebenfalls aus einem spezifischen Reservoir von Englandbildern. Für eine Bewahrung der Republik auf der Kompromissbasis der Georgia Platform eintretend, versuchte er Toombs am folgenden Tag die Deutungshoheit über den Republikanismusbegriff zu entwinden. Die von Jefferson beschworenen Gefahren der Machtkorruption waren für ihn nirgends so vorbildlich domestiziert wie in Amerika: „But that this Government of our fathers, with all its defects, comes nearer the objects of all good governments than any 21 Ebd., 33. 22 Zum Washington-Kult in der Konföderation vgl. Faust, Confederate Nationalism, 24 f.; Rubin, Shattered Nation, 20 ff. 23 Robert Toombs’s Secessionist Speech, 13.11.1860, in: Freehling / Simpson (Hg.), Secession Debated, 31–50, hier 33. 24 Ebd., 48.
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other on the face of the earth, is my settled conviction.“25 Als Toombs aus dem Plenum heraus einwarf, er möge seine Behauptung durch den Vergleich mit England belegen, stilisierte er die Geburt der Union nicht zur fundamentalen Abkehr vom System britischer Tyrannei, sondern hob Momente von Kontinuität und Bereinigung hervor: England, my friend says. Well, that is the next best, I grant; but I think we have improved upon England. Statesmen tried their prentice hand on the Government of England, and then ours was made. Ours sprung from that, avoiding many of its errors; and from the whole our fathers constructed and built up this model republic, - the best which the history of the world gives any account of.26
Mit Hilfe einer anglophilen Assoziation versuchte dieser prominente Unionist aus Georgia den Eindruck zu zerstreuen, eine Sezession würde das republikanische Drama der Amerikanischen Revolution gleichsam neu aufführen. Trotz allseitiger Respektbezeugungen war seine Rede nicht von Erfolg gekrönt. Wenige Tage später beschloss die Staatenlegislative den Austritt aus der Union. Am Tage des Abfalls South Carolinas – am 18. Dezember 1860 – formte der Senat in Washington ein dreizehnköpfiges Krisenkomitee unter dem Vorsitz von John J. Crittenden aus Kentucky, dem unter anderem Jefferson Davis und Robert Toombs als Repräsentanten des Baumwollgürtels sowie Robert M. T. Hunter für Virginia angehörten.27 In die (zu) großen Fußstapfen Henry Clays tretend, scheiterte Crittenden mit einer Reihe von Schlichtungsvorschlägen, die in der Tradition der alten Territorialkompromisse standen.28 Es ist anzunehmen, dass diese Bemühungen die Dynamik der Sezession ohnehin nicht mehr hätten aufhalten können.29 Nachdem der Konvent in Mississippi mit großer Mehrheit den Bruch mit der Union beschlossen hatte, war die Frage für Jefferson Davis jedenfalls endgültig geklärt. Dennoch verblieb er noch für einige Zeit in der Hauptstadt, um den Sezessionsbescheid seines Staates abzuwarten und seine Kongresskarriere förmlich zu beenden. Aufgewühlt und gepeinigt von einer schmerzhaften Gesichtsneuralgie, sparte 25 Alexander H. Stephens’s Unionist Speech, 14.11.1860, in: ebd., 31–50, hier 59. Stephens bezog dieses Unionsbekenntnis natürlich auf eine gewisse Lesart südstaatlicher Bestandsgarantien innerhalb der Union. Wie er darlegte, würde er sofort auf die Sezession umschwenken, sollten diese durch die republikanische Administration verletzt werden: „My position, then, in conclusion, is for the maintenance of the honor, the rights, the equality, the security, and the glory of my native State in the Union if possible; but if these cannot be maintained in the Union, than I am for their maintenance, at all hazards, out of it.“ Ebd. 26 Ebd., 59 f. 27 Vgl. Congressional Globe, 36th Congress 2nd Session, 20.12.1860, 158. 28 Zu Crittenden und seiner Arbeit im Committee of the Thirteen vgl. Kirwan, Crittenden, 366–391. 29 Zur Sezession des Tiefen Südens am Beispiel von Mississippi und Alabama vgl. Barney, Secessionist Impulse.
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Davis in seiner Abschiedsrede am 21. Januar 1861 nicht mit melancholischen Kommentaren über die untergegangene Republik. Gerade deshalb aber gewähren seine Ausführungen über die Notwendigkeit der Sezession einen authentischen Einblick in seine Ideenwelt. So unterstrich er vor allem die Absicht, jene Rechte, „die unsere Väter uns vererbt haben“, außerhalb der Union wieder zur Geltung kommen zu lassen.30 Einen alten Gedanken der States Rights-Schule aufgreifend, bewertete Davis die Lebenskraft einer Nation über die Fähigkeit, ihre ursprünglichen Werte gegen den Wandel des Zeitgeists zu verteidigen. Im Übergang zwischen Zusammenbruch und Neubildung pochte er auf die Deutungshoheit über das Wesen der republikanischen Union und die Motive ihrer Gründergestalt, Thomas Jefferson: „[T]he sacred Declaration of Independence has been invoked to maintain the position of the equality of the races. That Declaration of Independence is to be construed by the circumstances and purposes for which it was made.“ Aus der Perspektive eines Mississippi-Politikers im Jahre 1861 bezog sich die Gleichheitsformel von 1776 nur auf „Männer der politischen Gemeinschaft“ und ließ sich in keinerlei Weise auf die Rassenbeziehungen übertragen. Wie sei es sonst zu erklären, so fragte er, dass Jeffersons Klageschrift gegen George III. auch genau den Punkt enthielt, den der Süden dem Norden in der heutigen Zeit zum Vorwurf machte – „to stir up insurrection among our slaves? Had the declaration announced that the negroes were free and equal, how was the prince to be arraigned for stirring up insurrection among them?“31 Auf diese Weise integrierte Davis die Versklavung der Schwarzen in den Freiheitskanon der Unabhängigkeitserklärung – und verteidigte damit auch bereits die Gründung einer republikanischen Konföderation auf dem Fundament der Rassensklaverei. Nun lässt sich zwar aus der anglophoben Machtkritik Thomas Jeffersons schwerlich eine Sklaverei-Apologie ableiten32, und tatsächlich hatten Pro Slavery-Vertreter und Englandfeinde wie Hammond oder Calhoun das Gleichheitspostulat von 1776 eher abschätzig kommentiert.33 Dennoch gelang Davis bei seinem letzten Auftritt auf der Unionsbühne ein doppeltes Kabinettstück: In einem ersten Schritt etablierte er einen Zu30 Davis, Farewell Address, 21.01.1861, in: Christ / Dix (Hg.), Papers of Jefferson Davis, Bd. 7, 18–23, hier 21. 31 Alle Zitate: ebd. 32 Ganz im Gegenteil lagen den Invektiven gegen George III. sklavereikritische Motive zu Grunde. Mit Blick auf das Freiheitsdekret, das der königliche Gouverneur Lord Dunmore für übergelaufene Sklaven in Virginia verkündet hatte, geißelte Jefferson vor allem die vermeintliche Heuchelei der Briten, die den Amerikanern die Sklaverei aufgezwungen und nun gegen sie einzusetzen trachteten. Insofern kann die These aufgestellt werden, dass Jefferson Davis – der die Rückkehr zu einer authentischen Deutung des republikanischen Gründungskonsenses anmahnte – die Sklavereipassagen der Declaration of Independence aus ihrem Zeitzusammenhang herausriss und ihren anglophoben Tenor in den Kontext seiner Pro Slavery-Sicht stellte. 33 Vgl. o. 175, Anm. 397.
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sammenhang zwischen dem britischen Despotismus und der Legitimität der Sklaverei. Sodann übertrug er genau diese Verbindung auf das Verhältnis zwischen Südstaatlern und Yankee-Republikanern, denen er – John Browns Überfall auf Harper’s Ferry noch lebhaft vor Augen – die gleiche Schurkenrolle zuwies wie Jefferson seinerzeit König George III. So wurde die Declaration of Independence – jenes Gründungsdokument des säkularen Nationalismus in Amerika – für die Vorstellung herangezogen, die Freiheitsfeinde aus England und ihre nordstaatlichen Widergänger seien per definitionem auch stets die großen Gegner der Sklaverei gewesen. Wenn sich eine solche Deutung des Gründungsmythos auf die Sezession anwenden ließ, dann würden selbst Südstaatler, die keine Sklaven hielten, im Falle eines Bürgerkrieges in der Überzeugung zur Waffe greifen, mit der Sklaverei ihre eigene Freiheit zu verteidigen. Indem er die Dialektik zwischen Sklaverei und Freiheit im republikanischen Denken bekräftigte und abschließend verkündete, „we but tread in the path of our fathers when we proclaim our independence“, entwarf Jefferson Davis schon die nationale Sprache für eine künftige Konföderation.34 Ebenso wie Davis hatte sich Judah P. Benjamin lange gegen die Sezession gesträubt und erst nach vollendeten Tatsachen die Konsequenzen gezogen, die in seinen politischen und sektionalen Positionen angelegt waren.35 Am 26. Januar 1861 verabschiedete ein Konvent in Louisiana die Auflösung der staatlichen Bande an die Union.36 Benjamin warf darauf hin im Kongress seine ganze rhetorische Eloquenz in die Waagschale, um den Abfall Louisianas nicht nur ex negativo zu begründen. Auch wenn seine Position in den vergangenen Jahren zusehends polarisiert hatte, galt Benjamin als eine der charismatischsten Figuren in Washington. Unter den prominenten Politikern des Baumwollgürtels war ihm stets eine gewisse Sonderstellung zugefallen. Anders als Toombs und Davis bekannte er sich nicht zu einem expliziten Pro SlaveryWeltbild und pflegte eine offene Affinität zum englischen Rechts- und Staatswesen. Gleichzeitig bewegte er sich aber zuverlässig auf der Linie des Southern Rights-Lagers und war mit heftigen anglophoben Ausfällen zur Stelle, wenn die Sklaverei vor abolitionistischen Invektiven oder den Verschwörungsplänen der Engländer in Mittelamerika beschützt werden musste.37 Nachdem der Abfall Louisianas weitere Kompromissbemühungen obsolet gemacht hatte, griff er auf die Revolutionsbilder von 1776 zurück und bezeichnete die Declaration of Independence kurzerhand als „our declaration of se-
34 Davis, Farewell Address, 21.01.1861, in: Christ / Dix (Hg.), Papers of Jefferson Davis, Bd. 7, 18–23, hier 22. 35 Vgl. Evans, Jewish Confederate, 108. 36 Zur Sezession Louisianas vgl. klassisch Caskey, Secession and Restoration of Louisiana, 16–45. Vgl. auch Wooster, Secession Conventions of the South, 101–121. 37 Vgl. o. 248 f., 268.
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cession from Great Britain“.38 Benjamin, der seine anglophilen Neigungen nie ganz unterdrücken konnte, verzichtete auf die volle Entfaltung der englandfeindlichen Ressentiments zugunsten der Sklaverei, wie sie etwa Davis ausgespielt hatte. Stattdessen ließ er vor dem geistigen Auge seiner Zuhörer nicht nur die englischen Bösewichte auferstehen, sondern auch die besonnenen, zur Konzilianz mahnenden Stimmen im Parlament: „Well, sir, the statesmen of Great Britain answered to Lord North’s appeal, ‚yield’. The courtiers and the politicians said, ‚punish’, ‚control’. The result is known. History gives you the lesson. Profit by its teachings!“39 Diese durch das englische Beispiel vorgetragene Mahnung zielte zunächst auf das Gewissen der nordstaatlichen Senatoren, denen er einen „achtungsvollen Abschied“ entbot. Gleichzeitig zeigte sie aber auch an, was nicht wenige in Nord und Süd damals dachten – dass es nämlich ebenso hoffnungslos wie irrsinnig sei, den Süden mit Waffengewalt wieder in die Union zurückzuzwingen: „What Imperial Britain, with the haughtiest pretensions of unlimited power over dependent colonies, could not […] even attempt […] is to be enforced in aggravated form, if you can enforce it, against independent States.“40 Mit einer Mischung aus Melancholie und Entschlossenheit besiegelten die Senatoren des Tiefen Südens das Ende der Union in ihrer alten Form. Die republikanische Sprache Thomas Jeffersons aufgreifend (und von ihren sklavereikritischen Untertönen bereinigend), artikulierten sie ihre Standpunkte auch durch eine Reihe von anglophoben Metaphern, die ihr Selbstbild an die Revolutionäre von 1776 knüpften und ihren Loyalitätswandel absichern sollten. Noch ambivalenter gestaltete sich dieser Prozess allerdings für die Repräsentanten Virginias. Zwar zog James Murray Mason nach der Wahl Lincolns die Konsequenzen aus seiner langjährigen Nordstaaten-Feindschaft und arbeitete hinter den Kulissen zielstrebig auf die Sezession seines Staates hin.41 Robert M. T. Hunter hingegen war als möglicher Präsidentschaftskandidat der Demokraten in den letzten Jahren auf eine betont unionistische Position eingeschwenkt, ohne die Forderung nach ungehinderter Westausdehnung der Sklaverei aufzugeben.42 Unter dem Eindruck von Harper’s Ferry hatte er im Januar 1860 den Spagat zwischen Unionstreue und sektionaler Empörung versucht. Durch eine Reihe von negativen Englandbildern deutete er damals an, 38 Congressional Globe, 36th Congress 2nd Session, 04.02.1861, 722. 39 Ebd. Beachtenswert ist hier die anti-monarchische und parteienkritische Gleichsetzung von „Höflingen“ und „Politikern“, von denen die staatsmännische Ethik abgesetzt wird. Das republikanische Vokabular Jeffersonscher Machtkritik bestimmte deutlich die Wortwahl der konföderierten Staatsgründer. 40 Alle Zitate: ebd. (Hervorhebung im Original). 41 Vgl. Young, Defender of the Old South, 100 f.; Shanks, Secession Movement in Virginia, 132; Golden, Secession Crisis in Virginia, 218. 42 Vgl. Link, Roots of Secession, 128 f., 198; Fisher, Statesman of the Lost Cause, 149–187.
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dass die sklavereifeindliche Politik des Nordens unweigerlich in die Sezession treiben müsse und unterstrich das durch ein Bekenntnis zur Macht der Baumwolle in der Außenpolitik: „So far as foreign alliances are concerned, who does not know that cotton is king – a king who can command alliances with the fleets of all the civilized world to keep open the ports through which they were to obtain the raw material that keeps alive their starving population?“43 Diese eindeutige Stellungnahme zur Baumwolldoktrin kam nicht aus dem Munde eines bekennenden Sezessionisten, der Zweifel an der Überlebensfähigkeit einer Südstaaten-Nation zu zerstreuen versuchte, sondern war die Rückversicherung eines Unionsdemokraten aus Virginia, der die Republikaner zu einer Revision ihrer Politik bewegen wollte. Auch nach dem Scheitern seiner Präsidentschaftsambitionen hielt Hunter dem Ausgleichskurs die Treue. Selbst als die Bemühungen des überparteilichen Crittenden-Komitees im Sande verliefen, strebte er eine Bestandsgarantie für die Sklaverei und ein Rekonstruktionskonzept an. Bis in den März hinein plädierte er für eine Beruhigung der Gemüter, um Amerikas Mission in der Welt, wie er sie als Gegenentwurf zur derzeitigen Krise sah, nicht in einem zerstörerischen Bürgerkrieg untergehen zu lassen.44 Erst nachdem der Krieg Virginia aus der Union herausgetrieben hatte, verschrieb er sich dem gleichen Unabhängigkeitsgedanken, dem sein Kollege Mason schon seit längerem anhing. Als einer der langjährigen Berufspolitiker des Old Dominion wurde er im April 1861 vom Virginia-Parlament zum Delegierten für den Provisorischen Konföderationskongress in Montgomery, Alabama, gewählt. Der Virginier, den die Krise von 1860 / 61 auf die wohl schwerste Probe stellte, gehörte einer noch in der frühen Republik sozialisierten Generation an – William Cabell Rives.45 Seit dem endgültigen Rückzug aus der Politik 1853 hatte sich Rives auf seiner Plantage Castle Hill historischen Studien gewidmet. Während sich die sektionalen Spannungen zum Ende der 1850er Jahre immer mehr verschärften, vertiefte er sich in die Epoche und das Leben James Madisons, der ihn über drei Jahrzehnte zuvor in die Politik eingeführt hatte.
43 Congressional Globe, 36th Congress 1st Session, 31.01.1860, Appendix, 106 f. Hunters Gewissheit speiste sich aus einem kapitalismuskritisch akzentuierten Englandbild: „When the laboring population increases faster than capital accumulates, fearful scenes of suffering often ensue, and these are only prevented by affording new outlets in which they may colonize the surplus population, or else by discovering and opening up new fields of industry; and to do this, has been the object of the constant care and forethought of the British statesman for the last three centuries. To accomplish it, he has become the great robber of the world, robbing by sea and by land, to obtain the means to feed his poor.“ Hieraus glaubte er die Notwendigkeit einer pro-südstaatlichen Außenpolitik Englands ableiten zu können. Ebd., 107. 44 Vgl. Congressional Globe, 36th Congress 1st Session, 11.01.1861, 332. 45 Vgl. Rives als den prominentesten Unionisten Virginias in der Sezessionskrise bezeichnend Golden, Secession Crisis in Virginia, 215.
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Im ersten Band der Madison-Biographie, den er im September 1859 vorlegte, entwickelte er eine bemerkenswerte Deutung des virginischen Freiheitsbegriffs. Sichtlich bemüht, seine konservativen Ordnungsideale mit den republikanischen Freiheiten zu versöhnen, zog er dafür ausgerechnet das „Kavalierselement in Virginia“ heran.46 Einer anti-sezessionistischen Lesart verpflichtet, stilisierte er den Mythos vom südstaatlichen Kavalier naturgemäß nicht zum Ausgangspunkt eines unlösbaren Nord-Süd-Konflikts, sondern bediente sich des Kunstgriffs, die Royalisten des 17. Jahrhunderts vom Makel monarchischer Tyrannei zu befreien und zu konservativen Aposteln republikanischer Freiheit umzudeuten. Die Kavalierskultur habe mit James Madison, George Washington und George Mason Revolutionäre im Namen der Tradition hervorgebracht, welche die Erschütterungen des Umbruchs in geordnete und stabile Bahnen umzulenken verstanden.47 Indem er das Freiheitsempfinden Virginias mit einer anglophilen Kavaliersassoziation verband, die nicht auf Radikalität und Spaltung, sondern Geduld und Mäßigung abzielte, lieferte er auch einen Beitrag zu den aktuellen Nord-Süd-Beziehungen. Der Englandmythos diente damit zwar zur Konstruktion einer regionalen Identität – aber eben innerhalb, nicht außerhalb der Union. Es verwundert nicht, dass Rives umgehend aktiv wurde, als die Sezession South Carolinas genau die große Krise heraufbeschwörte, die er seit nunmehr dreißig Jahren hatte verhindern wollen.48 Mitte Januar reiste er nach Washington, um dort mit Hunter und Mason, aber auch mit dem Radikalrepublikaner William Henry Seward Gespräche zu führen.49 Nach seiner Rückkehr aus der Hauptstadt kündigte er seine Teilnahme an einer für Anfang Februar geplanten Friedenskonferenz der Bundesstaaten an, die den „Geist der Loyalität“ außerhalb des vom „Parteiengeist“ verseuchten Kongresses restaurieren sollte.50 Rives sah dieser vom Virginia-Parlament einberufenen Versammlung verhalten optimistisch entgegen.51 Dennoch brachten die am 4. Februar 1861 unter dem Vorsitz von Ex-Präsident John Tyler in Washington zusammengetretenen Delegierten nichts Substantielles zustande. 46 Zum „Cavalier Element in Virginia“ vgl. Rives, Life and Times of Madison, Bd. 1, 76–86. 47 Zu Madisons Ursprüngen vgl. ebd., 3. Einen expliziten Kavaliershintergrund arbeitete er bei George Washington und George Mason heraus, dem Großvater James Murray Masons. Vgl. ebd., 79 f. Vgl. Rives’ Kavaliersthese treffend als „elitist version of the Cavalier myth“ deutend O’Brien, Conjenctures of Order, 317. 48 Vgl. Rives an William C. Rives, Jr., 29.11.1860, William Cabell Rives Papers, LC, Box 35. 49 Vgl. Judith P. Rives an William C. Rives, Jr., 14.01.1861, William Cabell Rives Papers, LC, Box 26. 50 William Cabell Rives an T. J. Wertenbaker u.a., 23.01.1861, William Cabell Rives Papers, LC, Box 90. 51 Vgl. Rives an William C. Rives, Jr., 29.01.1861, William Cabell Rives Papers, LC, Box 36. Vgl. auch noch Rives an William C. Rives, Jr., 11.02.1861, ebd.
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Zwar tat sich Rives mit einem respektablen Mäßigungsappell hervor und verglich die Kompromisslosigkeit der republikanischen Abgesandten mit der Verblendung der britischen Krone in den Tagen der Amerikanischen Revolution.52 Dennoch blieb in der Territorialfrage zu wenig Spielraum, als dass es der von Spöttern so benannten „Old Gentlemen’s Convention“ hätte gelingen können, den gordischen Knoten zu durchschlagen.53 Auch die Treffen zwischen Rives und dem Präsidentschaftsanwärter Lincoln brachten keinen Durchbruch.54 Die abgewandelte Fassung des Crittenden-Kompromisses, welche die Delegierten nach einigen Tagen auf den Kapitolhügel weiterleiteten, wurde schließlich im Kongress mit großer Mehrheit abgelehnt.55 Trotz dieser Enttäuschung setzte Rives seine Bemühungen um einen Verbleib Virginias in der Union während der Märzwochen des Jahres 1861 weiter fort. Seine Ehefrau Judith brachte die Hoffnungen, die ihr Mann in den Kavalierskonservatismus Virginias setzte, auf den Punkt: „I ‚rather’ think Virginia will be apt to stand still“, schrieb sie am 29. März an ihre Tochter, sei es doch „somewhat conservative, rather lazy, and more disposed to keep old fashions than set up new ones“.56 Als im Hafen von Charleston die erste Kanonade des Bürgerkrieges abgefeuert wurde, war für Rives allerdings die kritische Marke überschritten, an der Loyalität in Feindschaft umschlug.57 Nachdem ihn die Nachricht erreicht hatte, dass er zum Delegierten für den Provisorischen Kongress der Konföderation gewählt worden war, ergab er sich mit stoischem Fatalismus: „Providence often casts upon us, in spite of ourselves, duties, which it is [sic!] impossible to avoid.“58 In einem ebenso komplexen wie schwierigen Loyalitätstransfer wurde aus dem konservativen Unionisten Rives ein konföderierter Kongressabge52 Vgl. Remarks of Mr. Rives, 19.02.1861, in: Chittenden (Hg.), Debates and Proceedings of the Peace Convention, 134 ff. Zum Englandvergleich vgl. ebd., 136. 53 Vgl. Gunderson, William C. Rives and the „Old Gentlemen’s Convention“. 54 Vgl. William Cabell Rives an William Cabell Rives, Jr., 24.02.1861, William Cabell Rives Papers, LC, Box 36. 55 Vgl. Congressional Globe, 36th Congress 2nd Session, 27.02.1861, 1254 f. 56 Judith Page Walker Rives an Amelie Rives, 29.03.1861, Rives Family Papers, Alderman Library, UVA. 57 Zur Sezession Virginias vgl. Link, Roots of Secession, 239 ff.; Shank, Secession Movement in Virginia, 191–213. Zu Rives’ Reaktion auf den Kriegsausbruch vgl. Crofts, Reluctant Confederates, 336 f. 58 Rives an William C. Rives, Jr., 06.05.1861, William Cabell Rives, LC, Box 36: „It is well known […] that, as long as there was any hope of preserving the ancient union of the States on terms consistent with the rights and honor of the South, I adhered to it with the […] devotion which, from my earliest youth, I have ever cherished for the work of our fathers. But the commonwealth of Virginia – the mother to whom I owe everything worth of duty and affection – has decided […] that this can no longer be done. That decision I accept, as a loyal and faithful son, with all it’s consequences. There is no time for looking back, or for vain regrets.“ Vgl. auch Rives an John Yancey, 01.05.1861, ebd., Box 92.
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ordneter. Seine Reflexionen über die internationale Dimension der Sezessionskrise lassen sich allerdings nur schemenhaft rekonstruieren. Einerseits war Rives erfahrener Außenpolitiker und einer der besten Europakenner innerhalb des südstaatlichen Establishments. Andererseits ließ er sich in seinen Betrachtungen der Staatenwelt aber auch von Ehrvorstellungen und ethischidealistischen Prämissen anleiten. Es verwundert daher nicht, dass ihn die drohende Katastrophe in Amerika auf die Idee brachte, den „freundlichen Einfluss der christlichen Mächte Europas“ zu bemühen.59 Auf der Washingtoner Friedenskonferenz hatte er Kontakt zum preußischen Gesandten Friedrich von Gerolt geknüpft.60 Wie er am 19. April 1861 schrieb, könnten die Schlichtungsdienste des Barons möglicherweise zur Eindämmung der Feindseligkeiten herangezogen werden. Die Hoffnungen, die er an das Eingreifen nicht nur Preußens, sondern auch Englands und Frankreichs knüpfte, entsprangen aber weniger einer Reflexion der außenpolitischen und ökonomischen Interessen dieser Staaten. Über die Jahre hinweg war Rives zu einer primordialen Lesart der europäisch-amerikanischen Beziehungen gelangt, die das verbindende Erbe zwischen den Völkern der atlantischen Welt herausstellte. Nicht nur die akute Verzweiflung über den Ausbruch des „unnatürlichen Krieges“61, sondern eben auch diese tiefere kulturelle Prägung mögen ihn zu der gleichermaßen vagen wie illusionären Annahme verleitet haben, eine Vermittlungsinitiative der Mächte würde auf fruchtbaren Boden fallen, weil ihre Kulturen die ursprünglichen Bestandteile der amerikanischen Nationalität bildeten.62 So wurde in seinem familiären Umfeld denn auch eine baldige Intervention Großbritanniens angenommen. Wie ihm seine Frau am 20. Mai 1861 schrieb: „England seems to be gradually coming to the scene. If she takes decided ground the matter will soon be settled.“63 Zu diesem Zeitpunkt befand sich Rives freilich bereits in Montgomery. Als er die Reise nach Alabama antrat, um seinen Sitz im Provisorischen Kongress der Südstaaten einzunehmen, fuhren seine letzten Hoffnungen auf Frieden dahin. Zugleich bekannte er sich zu der Einsicht, dass der Untergang der alten Union auch den Bedeutungsverlust Virginias besiegelte.64 Während 59 Rives an H. B. Latrobe, 19.04.1861, ebd. 60 Vgl. ebd. Zu Gerolt vgl. Eimers, Preußen und die USA, 437–458. 61 Rives an G. W. Summers, 15.04. u. 19.04.1861, William Cabell Rives Papers, LC, Box 92. 62 Vgl. Rives an H. B. Latrobe, 19.04.1861, ebd. 63 Judith Page Walker Rives an Rives, 20.05.1861, Rives Family Papers, Alderman Library, UVA, Box 2. 64 Bereits im Anschluss an die Washingtoner Friedenskonferenz hatte Rives während einer Rede in Virginia darauf hingewiesen, dass Virginia im Falle seiner Sezession „the tail of a Southern Confederacy“ werden würde. Rives, Speech on the Proceedings of the Peace Conference and the State of the Union, Richmond, 08.03.1861, in: Wakelyn (Hg.), Southern Pamphlets on Secession, 349–375, hier 370.
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eines Zwischenstopps in Atlanta, Georgia, verlangte eine Menschenansammlung nach einer kurzen Ansprache, woraufhin er von seinem Zugabteil aus erwiderte: I feel highly complimented by this call from the citizens of Georgia to say a few words. I suppose you do not want to hear a speech form me, but that you do want to hear from Virginia. […] She is all right. I am most happy to inform you. She is heart and hand with Georgia in this struggle, and will faithfully do her part. You have been accustomed, in political matters, in time past, to follow our lead; but now we will follow your lead in this great movement of the rights and independence of the South and her institutions. Our rights and liberties are assailed, and must be defended. […] In the meantime, you may rely upon Old Virginia.65
Die Bildung einer Regierung und die Formulierung der Außenpolitik Im Februar 1861, als Kompromisspolitiker wie Rives noch verzweifelt für den Erhalt der Union kämpften, hob der Gründungskonvent der Konföderation in Montgomery, Alabama, einen neuen Staat aus der Taufe.66 Dass sich die Delegierten nach nur wenigen Tagen auf einen provisorischen Verfassungsentwurf einigten und am 11. März dann die endgültige Verfassung verabschiedeten, verwundert nur auf den ersten Blick.67 Ihrem Anspruch gemäß, die Union der Gründungsväter zu restaurieren, kopierten sie die US-Verfassung beinahe wortgetreu und ergänzten sie um ein Bekenntnis zur Staatenautonomie sowie das ausdrückliche Recht zum Sklaventransfer in alle künftigen Territorien.68 Schwieriger als die Verfassungsgebung war freilich die Aufgabe, die Regierungsmannschaft der neuen Konföderation zusammenzustellen. Die Sezessionisten vermochten für sich zu reklamieren, seit Jahrzehnten für das Zustandekommen des Staates gekämpft zu haben, dessen Ämter nun zu verteilen waren. Während William Lowndes Yancey in der Hauptstadt Alabamas 65 Unidentifizierbarer Zeitungsartikel, Mai 1861, William Cabell Rives Papers, LC, Box 36. 66 Zum Gründungskonvent der Konföderation vgl. Davis, Making of the Confederacy. 67 Vgl. Lee, Confederate Constitutions, 123–141; DeRosa, Confederate Constitution. 68 Diese entscheidenden Klauseln sind in der permanenten Verfassung ausformuliert. Unter Verzicht auf eine allgemeine Wohlfahrtsklausel versah das Dokument die Eingangsformel „We, the people of the Confederate States“ mit dem Zusatz: „each State acting in its sovereign and independent character“. Constitution of the Confederate States, in: Richardson (Hg.), Messages and Papers of the Confederacy, Bd. 1, 37. Zur Rechtsverankerung der Sklaverei in sämtlichen Territorien vgl. ebd., Article IV, Section 3, 51. Anders als in der US-Verfassung, die sich noch in diverse Euphemismen geflüchtet hatte, wurden Sklaverei und Sklaven in diesem Dokument klar benannt. Vgl. dazu den Überblick bei McPherson, Für die Freiheit sterben, 245.
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gleichsam ein Heimspiel genoss, reiste Robert Barnwell Rhett in der festen Erwartung nach Montgomery, nun die Früchte seines politischen Lebens zu ernten. Einem Bewegungsgesetz ihrer konservativen Natur folgend, distanzierte sich die südstaatliche Revolution aber sehr rasch von ihren extremistischen Geburtshelfern „and race[d] toward the center for strength and the geratest chance of survival“.69 Zudem wollte der Konvent ein Signal der Mäßigung in Richtung der (noch) unionstreuen Grenzstaaten des Oberen Südens entsenden, wo die Fire-Eaters aus South Carolina und dem Baumwollgürtel kaum weniger verhasst waren als die nordstaatlichen „Negerrepublikaner“. Die besten Chancen für die Präsidentschaft fielen Robert Toombs aus Georgia zu, der mit der Delegation seines Heimatstaates nach Montgomery gekommen war. Seit 1850 wiederholt durch impulsive Sezessionsdrohungen aufgefallen, hatte er zuletzt einen harten Kurs gesteuert. Obwohl an seiner Loyalität kein Zweifel bestand, schien der impulsiv-wankelmütige Politiker freilich nicht der ideale Mann für die heikle Aufgabe zu sein, die Grenzstaaten mit friedlichen Mitteln aus der Union hinaus zu dirigieren. Als Toombs bei einer abendlichen Festveranstaltung unter Alkoholeinfluss die Kontrolle über sich selbst verlor, schwand sein Rückhalt unter den Delegierten vollends dahin.70 Die Entscheidung lief damit beinahe zwangsläufig auf einen Kandidaten hinaus, der als verlässlicher Southern Rights-Verteidiger galt und den Zusammenbruch der Union dennoch bedauert hatte: Jefferson Davis. Es war gemeinhin bekannt, dass Davis nach seinem Abschied aus Washington kein politisches Amt mehr anstrebte und allenfalls ein Offizierskommando ins Auge fasste, sollte es zum Krieg mit dem Norden kommen.71 Insofern dürfte seine ambivalente Reaktion auf die Nachricht vom Votum des Provisorischen Kongresses einem ehrlichen Unwillen entsprungen sein.72 Als „zurückhaltender Steuermann“73 begab er sich aber willig in die klassische Rolle eines „republikanischen Helden“, der sich über den „Sumpf der Politik“ erhebt und demütig das „Gebot seiner Nation“ erwartet.74 Diese Pose republikanischer Selbstlosigkeit trifft einen vorwaltenden Zug seines Stils. Als Berufsoffizier, langjähriger Senator und Kriegsminister empfahl er sich gleichsam von selbst für das oberste Amt eines Staates, der seine Überlebensfähigkeit wohl direkt in einem Krieg unter Beweis stellen musste. Asketisch, ehrbewusst und auf ein distinguiertes Auftreten bedacht, verkörperte er das 69 70 71 72
Davis, Union That Shaped the Confederacy, x. Wie vermerkt worden ist: „He had drunk himself out of office.“ Ebd., 100. Vgl. Davis, Man and His Hour, 297 ff. Vgl. Davis, Memoir, Bd. 2, 18 f. Vgl. auch Davis an Alexander M. Clayton, 30.01.1861, in: Christ / Dix (Hg.), Papers of Jefferson Davis, Bd. 7, 27–29. Vgl. aus der Rückschau Davis, Rise and Fall, Bd. I, 197 f. 73 Wiley, Road to Appomattox, 1. 74 Dirck, Lincoln and Davis, 177. Vgl. zu dieser Attitüde auch Greenberg, Masters and Statesmen, 11.
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Idealbild des unabhängigen und tugendhaften Staatsmannes, wie es die politische Kultur des Antebellum-Südens hervorgebracht hatte. Anders als Abraham Lincoln, der damals allenfalls eine zweit- oder drittklassige Reputation besaß, war Davis auch im Norden als erfahrener und professioneller Berufspolitiker anerkannt.75 Sicherlich auf die Reihe der mittelmäßigen Amtsinhaber zurückblickend, die sich während des vergangenen Jahrzehnts im Weißen Haus die Klinke in die Hand gegeben hatten, urteilte William Cabell Rives im Hinblick auf Davis, er befinde sich „far above the average of the modern race of American Presidents“.76 Aus der Rückschau notierte Varina Howell Davis’ über ihren Mann: „[H]e did not know the arts of a politician, and would not have practiced them if understood.“77 Diese „unpolitischen“ Züge im politischen Charakter von Davis bezogen sich auf den Umstand, dass der ebenso stolze wie reizbare Mississippi-Pflanzer die Regeln der Ehrkultur bis in die kleinsten Verästelungen des Tagesgeschäfts übertrug. Während seiner Zeit in Washington war er mehrmals in Ehrdispute verwickelt worden und hatte sich einmal sogar eine Prügelei mit seinem Senatskollegen Henry Foote geliefert, bei der nur durch den raschen Eingriff von Unbeteiligten verhindert werden konnte, dass beide Politiker zur Pistole griffen.78 Seine übersteigerte Identifikation mit dem südstaatlichen Ehrenkodex sollte in der exekutiven Funktion, die er nun übertragen bekam, mancherlei Probleme aufwerfen: Wo er widerstrebende Interessen hätte zusammenführen müssen, schieden sich an seinem Stil die Geister. Mit detailversessener Genauigkeit regierte Davis selbst in nach geordnete Aufgabenbereiche hinein.79 Dass sein Augenmerk insbesondere militärischen Angelegenheiten galt, vermag angesichts der nur wenigen Friedensmonate, die er im Amt erlebte, nicht zu überraschen. Aber auch auf die Außenbeziehungen der Konföderation behielt der Präsident einen dominanten Einfluss.80 Wer die Abwesenheit 75 Die Zusammenführung der Davis- und Lincoln-Forschung auf vergleichender Basis ist trotz Chadwick, Two Presidents, noch immer ein Desiderat. Zur Historiographie vgl. Neely, Lincoln vs. Davis. Vgl. nach den nationalen Konzeptionen und Amerikabildern fragend Dirck, Lincoln and Davis. Vgl. auch ders., Abraham Lincoln, Jefferson Davis, and the National Meaning of War. Vgl. die verschiedenen Konzeptionen für das Zusammenleben von Schwarzen und Weißen untersuchend Escott, Abraham Lincoln, Jefferson Davis, and America’s Racial Future. 76 Rives an Judith Page Walker Rives, 18.05.1861, William Cabell Rives Papers, LC, Box 36. 77 Davis, Memoir, Bd. 2, 12. 78 Vgl. Tingley, Davis-Bissell Duel. Zur Prügelei mit Henry Foote vgl. Davis, Man and His Hour, 171 f. 79 Vgl. Wiley, Road to Appomattox, 15 ff.; Davis, The Cause Lost, 11; ders., Making of the Confederacy, 155. 80 Mit Recht ist darauf hingewiesen worden, dass der Präsident „from the first took a leading hand in the foreign relations of the Confederacy“. Davis, Man and His Hour, 384.
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einer klugen und flexiblen Strategie mit seiner „gleichgültigen Einstellung zur Diplomatie“81 abtut, verkennt die Rolle der kulturellen Fixierungen, die das Auftreten des Südens gegenüber der atlantischen Welt mitbestimmten. Bis zu einem gewissen Grade spiegelte sich die geistig-konzeptionelle Unbeweglichkeit der Außenpolitik der Konföderation in der ganz persönlichen Unbeweglichkeit ihres Präsidenten. Sowohl in den großen Fragen von Strategie und Taktik als auch im täglichen Entscheidungsprozess zeigte sich Davis oft uneinsichtig und kompromisslos.82 Positiv gewendet, vertrat er eine für richtig befundene Entscheidung selbst im Sturm öffentlicher Entrüstung.83 Negativ gewendet, sperrte er sich mit ausdauerndem Starrsinn gegen überfällige Kurskorrekturen.84 Was in einer frühen Skizze über Davis gesagt worden ist, trifft auf die Gesamtheit seiner politischen Ziele zu und besitzt im Speziellen Gültigkeit für seine Außenpolitik: „Er wurde zum Gefangenen einer Illusion. Je verzweifelter seine Situation, desto verbissener seine Illusion.“85 Auch Robert Barnwell Rhett musste in Montgomery schmerzhaft erkennen, dass er das Opfer einer lebenslangen Illusion gewesen war, der Illusion nämlich, er könne nach dem Zusammenbruch der Republik ein Amt in der Südstaaten-Konföderation übernehmen, das seiner hohen Vorstellung von sich selbst gerecht wurde. Bereits am 15. Dezember 1860, also noch einige Tage vor der Sezession South Carolinas, hatte er sich beim britischen Konsul in Charleston, Robert Bunch, eingefunden und ihm ein großes Panorama der künftigen anglo-südstaatlichen Beziehungen ausgemalt.86 Obwohl er mit einem eher mageren Ergebnis auf den Sezessionskonvent gewählt worden war, warf er sich abermals in die schon fünfzehn Jahre zuvor gegenüber Lord Aberdeen eingeübte Machtpose und präsentierte sich als Lenker der künftigen Außenpolitik.87 Das Feindbild vom abolitionistischen England, das die Antebellum-Sezessio81 Hubbard, Burden of Confederate Diplomacy, xvi. Vgl. ähnlich Eaton, Jefferson Davis, 171. 82 Vgl. Wiley, Road to Appomattox, 21 f.; Davis, Look Away!, 79, 395; Patrick, Davis and His Cabinet, 36; McPherson, Davis and Strategies, 161. 83 Vgl. Davis, Look Away!, 348 f., 395. Zu den Bemühungen um ein ausgewogenes Davis-Bild vgl. Rable, Civil War, 251 f. 84 Pointiert formuliert in diesem Kontext William C. Davis: „Better to make no decision than to risk a wrong one.“ Davis, The Cause Lost, 12. Vgl. auch Potter, Factors in Defeat, 105. 85 Stephenson, Theory of Jefferson Davis, 88. 86 Vgl. Despatch from the British Consul at Charleston to Lord John Russell, 15.12.1860, in: AHR XVIII (1912–13), 783–787. 87 Wie Konsul Bunch an Außenminister Russell berichtete, sei Rhett „a person of very considerable influence in this State [South Carolina, H. L.]. […] Now […] he enjoys the triumph of seeing the entire State a convert to his doctrines, and his influence is, at this moment very great“. Ebd., 783–787 hier 784. Zu Rhetts vergleichbarem Auftritt gegenüber Lord Aberdeen vgl. o. 170 f.
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nisten über Jahrzehnte hinweg propagiert hatten, verblasste nun vollends hinter der schillernden Vision einer atlantischen Freihandelsgemeinschaft. Wie Konsul Bunch an das Foreign Office berichtete, legte Rhett dar, „that the wishes and hopes of the Southern States centred in England.“88 Einen alten Gedanken Thomas Jeffersons aufgreifend, schwebte ihm ein arbeitsteiliges ökonomisches System vor, in dem England die Rolle als bevorzugter Abnehmer der südstaatlichen Baumwolle übernahm und seine Manufakturerzeugnisse im Gegenzug über den Atlantik zurückschickte. Durch den vertragsrechtlich fixierten Abriss der Zollbarrieren für Importgüter sollte diese Handelspartnerschaft auf eine dauerhafte Grundlage gestellt werden. War Jefferson noch von der Sehnsucht getrieben worden, die Einflüsse der europäischen Industriegesellschaften von Amerika fernzuhalten und den agrarischen Charakter der Republik zu wahren, so dachte Rhett allerdings an eine bewusste Integration in die atlantische Ökonomie und eine Orientierung an der britischen Vormachtstellung.89 Diese geistige Brücke zu schlagen, dürfte Rhett – der das kulturelle Selbstbild des Südens immer wieder durch positiv belegte Englandmythen artikulierte – nicht sonderlich schwer gefallen sein.90 Zudem hatten die Calhouniten stets die Auffassung vertreten, dass wirtschaftliche Interessen in London schwerer wogen als weltanschauliche Erwägungen.91 Als Konsul Bunch durchblicken ließ, seine Regierung würde auf eine Wiederbelebung des Sklavenhandels „mit Entsetzen“ reagieren, verlor er zwar kurzzeitig die Contenance, ruderte dann aber zurück und klammerte das strittige Thema aus.92 Anstatt die internationalen Reaktionen auf die Sezession annäherungsweise nüchtern-objektiv zu durchdenken, verfasste Rhett einen fiktiven Dialog zwischen einem Konföderierten (Confederate) und einem Engländer (Englishman), in dem Letzterer dem Ersteren die nötigen Stichworte liefert, um den Legitimationsanspruch des Südens vor der Welt zu artikulieren. Am Ende konzediert der Englishman die Stichhaltigkeit aller Thesen, die ihm der Confederate vorgelegt hat: die rechtliche und faktische Unabhängigkeit des Südens, den anti-revolutionären Impuls der Sezession, vor allem aber die 88 AHR XVIII (1912–13), 785. 89 Vgl. ebd. 90 Wie der 1861 in Charleston verweilende britische Journalist William Howard Russell vermerkte: „He [Rhett, H. L.] is fond of alluding to his English connections and predilections, and is intolerant of New England to the last degree.“ Russell, Diary North and South, 94. Das Zusammenspiel von romantischer Anglophilie und Nordstaatenhass in Rhetts Denken wird hier treffend charakterisiert. Vgl. bereits Rhett, Tract on Government, in: Southern Quarterly Review 4 (1854), 486–520, hier 491. 91 So gestand Rhett dem Konsul zwar zu, „that the feeling of the British Public was adverse to the system of Slavery, but he saw no reason why that sentiment should stand in the way of commercial advantages“. Despatch from the British Consul at Charleston to Lord John Russell, 15.12.1860, in: AHR XVIII (1912–13), 783–787, hier 786. 92 Vgl. ebd.
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Behauptung, die Sklaverei sei zwar äußerer Anlass, keineswegs aber tieferer Grund gewesen.93 Nicht auf Fakten und Informationen, sondern auf (Selbst-)Bildern und Vorstellungen baute Rhett also seine Strategie zur Etablierung der Konföderation in der atlantischen Welt.94 Seine hochfliegenden Erwartungen wurden aber umso bitterer enttäuscht, als sich in Montgomery ein Momentum zugunsten von Davis aufbaute und er am 9. Februar auf Druck der South Carolina-Delegation seine Stimme für den Politiker aus Mississippi abgeben musste.95 Neben persönlicher Frustration wurde er von der Furcht getrieben, der ehemalige Unionist Davis könne die Präsidentschaft nutzen, um in Verhandlungen mit der Lincoln-Regierung auf die Rekonstruktion der alten Republik hinzuarbeiten.96 Durch den am 12. Februar erlangten Vorsitz des Kongressausschusses für Auswärtige Angelegenheiten tat sich für Rhett eine Möglichkeit auf, die Außenpolitik der Konföderation vor der Inauguration des gewählten Präsidenten zu verfestigen. Tags darauf legte der Ausschuss unter seiner Federführung eine Resolution zur direkten Entsendung von Kommissaren nach England und Frankreich vor.97 Gemäß seiner Freihandelsphilosophie wollte er die Gesandten ermächtigen, Handelsverträge zu außerordentlich günstigen Konditionen abzuschließen – und zwar unabhängig von der Frage der diplomatischen Anerkennung der Konföderation.98 Vom Gedanken der Wirtschaftskooperation auf die Ebene politischer Bündnisse wechselnd, erweiterte Rhett den Instruktionsentwurf sogar noch um Verhandlungen über Offensiv- und Defensivpakte mit den europäischen Mächten, vor allem mit Großbritannien, dem er eine Sicherheitsgarantie für seine Kolonialbesitzungen in Kanada auszusprechen bereit war.99 93 Vgl. Rhett, Conservation occurring during the war, undatiert, Robert Barnwell Rhett Papers, Southern Historical Collection, UNC. Vgl. die Wiedergabe bei Davis, Look Away!, 44–47. 94 Einschränkend ist hier hinzuzufügen, dass sich Konsul Bunch in seinem Gespräch mit Rhett am 15. Dezember positiv zu dessen Freihandelskonzepten geäußert hatte. Diese Einlassungen waren aber ausdrücklich aus privater Sicht erfolgt und spiegelten nicht die offizielle Haltung der britischen Regierung wider. Vgl. Despatch from the British Consul at Charleston to Lord John Russell, 15.12.1860, in: AHR XVIII (1912– 13), 783–787, hier 786. 95 Vgl. Davis, Rhett, 432 f. 96 Vgl. Hubbard, Burden of Confederate Diplomacy, 22 ff. 97 Vgl. Journal of the Congress of the Confederate States of America, 13.02.1861, Bd. 1, 47–50, hier bes. 49. Diese Instruktionen sollten vom Kongress – also von Rhett selbst – verfasst werden. 98 Rhetts Vorstellungen zufolge sollten die Verträge zwanzig Jahre Gültigkeit beanspruchen und den Mächten einen maximalen Zolltarif von 20 Prozent ad valorem auf all ihre in die Konföderation exportierten Erzeugnisse in Aussicht stellen. Vgl. Yearns, Confederate Congress, 165. 99 Vgl. Davis, A Fire-Eater Remembers, 33, 124, Anm. 5.
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Dieser Plan blieb eine historische Episode. Dennoch ist es bemerkenswert, mit welcher Vehemenz Rhett die Außenpolitik aus dem Jeffersonschen Isolationismus und seiner Negativassoziierung des europäischen Mächtekonzerts herauslösen wollte. Die Vermutung, er sei willens gewesen, die Souveränität der Konföderation aus der schieren Not heraus in ein Netz von Abhängigkeiten zu überführen, geht freilich in die Irre. Rhett hatte die Prämissen seines extrem machtkritischen Denkens nie aufgegeben. Somit dachte er in keiner Weise daran, die Unabhängigkeit des neuen Staates – und damit auch seine Ehre – durch einseitige politische oder ökonomische Allianzen zu kompromittieren. Wie er seine Intentionen Jahre später wiedergab, standen Verflechtung und Gleichberechtigung in einem direkten Zusammenhang: „Our true course was, to tender Great Britain, and other Foreign nations a mutual dependency. Mutual dependency […] is no dependency at all. […] A real – terrible dependency on the North […] was the alternative to the Confederate States of the just and mutually beneficial dependency with Foreign nations.“100 Weil der Kongress Rhetts Vorlage zwar verabschiedete, die Entsendung der Kommission aber auf die Zeit nach der Regierungsbildung vertagte101, wurde sein kooperativer Ansatz in der Englandpolitik gar nicht erst diskutiert. Unabhängig von der Frage, ob eine Freihandelsoffensive die englische Haltung im Bürgerkrieg hätte beeinflussen können, entbehrt es doch nicht einer gewissen Ironie, dass diese unkonventionelle Idee ausgerechnet von einem doktrinären Südstaaten-Demagogen vorgetragen wurde. Der Präsident Jefferson Davis hingegen war ein orthodoxer Anhänger von „König Baumwolle“ und vertraute voll auf die politische Selbstentfaltung der Wirtschaftskraft. Eine flankierende Vertragsoffensive hielt er nicht für notwendig.102 Und weil er sich dafür entschied, Rhett kein Regierungsamt anzutragen, beendete er nicht nur dessen Karriere, sondern legte die auswärtige Politik 100 Ebd., 39. Rhetts fragmentarische Memoiren – voller Selbstgerechtigkeit, Halbwahrheiten und Fehlinformationen – erweisen sich unter der Bearbeitung von William C. Davis als wertvolle Quelle für Werdegang und Weltanschauung eines Sezessionisten per se. 101 Vgl. Journal of the Congress of the Confederate States of America, 13.02.1861, Bd. 1, 47–50, bes. 49. 102 Die im März 1861 von Regierungsseite formulierten Instruktionen für die europäische Kommission sahen zwar auch den Abschluss von Handelsverträgen vor – aber nur um den Preis der diplomatischen Anerkennung der Konföderation. William C. Davis weist darauf hin, dass die Gesandten angewiesen worden seien, „to ‘propose to negotiate a treaty of friendship, commerce, and navigation’ as soon as possible“. Davis, A Fire-Eater Remembers, 124, Anm. 10. Allerdings heißt es in den Instruktionen: „As soon as you shall be received officially by Great Britain you will propose a treaty of friendship, commerce, and navigation.“ Toombs an Yancey, Rost u. Mann, 16.03.1861, in: O.R.N., Ser. II, Bd. 3, 191–195, hier 194 (Hervorhebung durch den Verf.). Weil Rhett das Junktim zwischen diplomatischer Anerkennung und Freihandelsvertragsabschluss ja gerade hatte verhindern wollen, ist seine retrospektive Kritik an der DavisAdministration zumindest in diesem Punkt nachvollziehbar.
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der Konföderation auch auf einen Kurs fest, der in einer klassischen Darstellung als „King Cotton Diplomacy“ bezeichnet worden ist.103 Bei seiner Ankunft in Montgomery am 16. Februar 1861 wurde Jefferson Davis auf den Stufen des Kapitols vom profiliertesten Politiker Alabamas, William Lowndes Yancey, mit den Worten in Empfang genommen: „The Man and the Hour have met.“104 Tatsächlich herrschte während der ersten Monate der Konföderation der Eindruck vor, die Ereignisse der Zeit hätten den Mann und die Stunde in günstiger Konstellation zusammengeführt. Zwar blieb es nicht aus, dass sich der Präsident bei der Besetzung der Kabinettsposten den Zorn der Zukurzgekommenen zuzog. Auch hegten die meisten Südstaatler damals viel klarere Ideen darüber „wogegen sie waren als wofür sie waren“.105 Dennoch fand Davis eine nationale Sprache für die Konföderation, die aus dem Fundus der Unabhängigkeitsvokabeln von 1776 schöpfte und die Nationsgründung im Süden mit historischem Sinn versah.106 Die Staatsräson, so fasste er es in seiner Inaugurationsrede am 18. Februar 1861 zusammen, ziele darauf ab, „to preserve the Government of our fathers in its spirit. […] The Constitution formed by our fathers is that of these Confederate States […] and […] we have a light which reveals its true meaning“.107 Dass diese Unabhängigkeitsrhetorik in weiten Teilen der südstaatlichen Gesellschaft auf fruchtbaren Boden fiel, ist nicht zu bestreiten.108 Von Charleston über Savannah nach Montgomery gereist, berichtete der britische Journalist William Howard Russell nach London: „One great fact […] is unquestionable, the government has in its hand the souls, the wealth, and the heart of the people.“109 Davis wusste diese Ideologie der Unabhängigkeit auch sehr wohl mit den klassischen Motiven der Südstaatenkultur zu verbinden.110 Nur 103 104 105 106 107 108
109 110
Vgl. Owsley, King Cotton Diplomacy. Yancey zit. n. McCardell, Idea of a Southern Nation, 335. Rable, Confederate Republic, 19. Vgl. hierzu bereits Kohn, American nationalism, 109, 115 f. Vgl. ferner Current, Northernizing the South, 34 f.; Goldfield, Still Fighting the Civil War, 16 f. Davis, Inaugural Address, 18.02.1861, in: Christ / Dix (Hg.), Papers of Jefferson Davis, Bd. 7, 46–50, hier 47, 49 f. Vgl. hingegen Beringer u.a., Why the South lost, 6. Vgl. ähnlich Stampp, Imperiled Union; Coulter, Confederate States of America, 566; McWhiney, Southerners and Other Americans, 3 f. Vgl. dazu kritisch Vandiver, History of the Confederacy, 96; Thomas, Confederate Nation, 17–36; Faust, Confederate Nationalism, 4 ff.; Rable, Confederate Republic, 300. Vgl. vor allem McPherson, American Victory, American Defeat, 31. Vgl. ferner ders., What they fought for; ders., Cause and Comrades; Gallagher, Confederate War; ders., Fighting Myths. Vgl. im Kontext Grimsley / Simpson, Collapse of the Confederacy, 3 f. Vgl. neuerdings auch Rubin, Shattered Nation. Russell, Pictures of Southern Life, 08.05.1861, 15. Zur Publikation vgl. London Times, 30.05.1861. „Southerners’ understanding of nationalism […] as a form of political legitimation“, urteilt Drew Faust, „profoundly affected the way they conceived their own under-
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wenige Monate später, nach Ausbruch des Krieges in Charleston, artikulierte er sie in den sakralen Worten der Ehre: „We feel that our cause is just and holy; we protest solemnly in the face of mankind that we desire peace at any sacrifice save that of honor and independence.“111 Die hieraus abgeleitete Legitimationsformel – „all we ask is to be let alone“112 – richtete sich in erster Linie an den mobil machenden Norden. Darüber hinaus kann sie aber auch als Absage an eine diplomatische Offensivstrategie verstanden werden, um die Konföderation unter den Nationen der atlantischen Welt zu etablieren. Die Regeln der Ehre gaben die Regeln einer politischen Ethik vor, von der man glaubte, dass sie auch die Einstellung der europäischen Mächte gegenüber dem eigenen Nationalitätsanspruch bestimmen würde: „But we do not place ourselves before the bar of nations to ask for favors“, ließ Davis im September 1861 der britischen Regierung über Außenminister Hunter mitteilen, „we seek for what we believe to be justice not only to ourselves, but justice to the great interests of peace and humanity. If the recognition of our independence must finally come […] it seems to be the duty of each of the nations of the earth to throw the moral weight of its recognition into the scale of peace as soon as possible“.113 Im verbindlichen Tonfall forderte Davis von Großbritannien die höchste Form der Ehrbezeugung ein, die eine Nation einer anderen zu geben imstande war: die Anerkennung. Während der Antebellum-Jahre hatte er die Engländer aber durchweg als räuberisch, eigensüchtig und konspirativ – also in den Kategorien einer ehrlosen Nation – beschrieben. Die negativen Englandbilder des Präsidenten mögen ihn verleitet haben, unabhängig von seiner gestochenen Ehrrhetorik eine – den eigenen ethischen Ansprüchen entsprechend – zutiefst ehrlose Außenpolitik zu betreiben, von der er annahm, dass sie auf realistischen Prämissen beruhte. Gemäß der von Hammond 1858 proklamierten Baumwolldoktrin würden sich die europäischen Industriestaaten, allen voran England, dem wirtschaftlichen Druck des Südens beugen und dessen Unabhängigkeit aus nackter Staatsräson heraus sicherstellen. Unter Davis’ Federführung beschloss das Kabinett in Montgomery am 4. März 1861 eine defensive Position und unterstützte sogar einen allgemeinen Exportstopp für Baumwolle, der die Intertaking.“ Faust, Confederate Nationalism, 21. Den Südstaaten-Nationalismus über die Motive von Ehre und Unabhängigkeit zu definieren, lag somit auf der Hand. Die Sklaverei hingegen, der eigentliche Anlass für die Sezession, fiel aus diesem Kanon eher heraus. 111 Davis, Kongressbotschaft vom 29.04.1861, in: Richardson (Hg.), Messages and Papers of the Confederacy, Bd. 1, 63–82, hier 82. 112 Ebd. Vgl. hingegen diese Wendung als Ausdruck nationalistischer Ideenarmut deutend Beringer u.a., Why the South Lost, 73. Vgl. relativierend Rable, Confederate Republic, 75. 113 Robert M. T. Hunter an James M. Mason, 23.09.1861, in: O.R.N., Ser. II, Bd. 3, 257–264, hier 259.
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vention von Engländern und Franzosen noch beschleunigen sollte. Zwar mahnte Benjamin, den Davis als Justizminister in die Regierung geholt hatte, die Verschiffung der vorhandenen Erntebestände nach England an, um im Gegenzug die Einfuhr von dringend benötigtem Kriegsmaterial zu sichern.114 Sein Vorschlag fand jedoch keine Mehrheit unter den Ministern und wurde nicht zuletzt vom Präsidenten selbst abgelehnt. Aus der publizistischen Öffentlichkeit erhielt dessen Politik größtenteils Unterstützung.115 Zwar ließ Davis weitergehende Forderungen nach einer Embargogesetzgebung ins Leere laufen.116 Einen offenen Affront gegenüber den Europäern vermeidend, konnte er sich der Exekution der King Cotton-Politik in den Häfen und Verladestationen des Südens aber dennoch sicher sein. Über ein Jahr hielt die Regierung an dem Baumwollembargo fest – ein entscheidendes Jahr, in dem die erwiesene Durchlässigkeit der nordstaatlichen Hafenblockade den Güteraustausch noch vergleichsweise reibungslos ermöglicht hätte. Dass die britischen Baumwollspeicher nach den Rekordernten der vergangenen Zeit noch gefüllt waren, Englands Textilmagnaten fürs Erste also die Auswirkungen einer Rohstoffknappheit nicht zu fürchten brauchten, wurde überhaupt nicht berücksichtigt. Zudem blieb genügend Zeit, die Kultivierung alternativer Bezugsquellen energischer voranzutreiben.117 Obwohl ihre Erfolgsaussichten aus der Perspektive des Jahres 1861 nicht ganz aus der Luft gegriffen waren118, beruhte die Baumwolldiplomatie letztlich auf einer kulturellen Fehlwahrnehmung, nach der Englands Interessen in der Welt nicht von moralischen, sondern durchweg von übersteigert ökonomischen und machtpolitischen Motiven bestimmt wurden.119 Ein prominentes Sprachrohr fanden diese Stimmen in dem Schriftsteller William Gilmore Simms aus South Carolina, der eng mit James Henry Hammond befreundet war und vor dem Krieg immer wieder mit sezessionistischen Einlassungen auf sich aufmerksam gemacht hatte. Im Spätherbst 1861 veröffentlichte Simms in 114 Ein Sitzungsprotokoll über diese erste Kabinettssitzung existiert nicht, so dass sich die Quellengrundlage für den Vorschlag Benjamins in Äußerungen des damaligen Kriegsministers Leroy P. Walker gegenüber einem frühen Biographen erschöpft. Vgl. Butler, Judah P. Benjamin, 234. 115 Vgl. Owsley, King Cotton Diplomacy, 24 ff. Zur Rolle der Presse in der Sezessionskrise vgl. Reynolds, Editors Make War. Vgl. auch Schwab, Confederate States of America, 251 f.; Eaton, Confederacy, 62. 116 Vgl. Journal of the Congress of the Confederate States of America, 20.05.1861, Bd. 1, 249–257, bes. 249 f., 250 f. 117 Vgl. Earle, Egyptian Cotton and the American Civil War; Logan, Britain’s Substitute for American Cotton; Ellison, Cotton Trade, 141 ff.; McPherson, Ordeal, 217; Davis / Engerman, Naval Blockades, 128. 118 Vgl. darauf verweisend McPherson, Last Best Hope Abroad, 151. 119 Vgl. Charleston Mercury, 04.06.1861: „Our English friends may as well understand the true state of things at once. […] We are in no hurry to push on the game. The cards are in our hand, and we intend to play them out to every cotton factor in Great Britain and France, or the acknowledgement of our independence.“
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der DeBow’s Review ein Bekenntnis zur Baumwolldoktrin, das zugleich auch jede Form von Außenrepräsentation als solches für überflüssig erklärte. Mehr noch: Die Aufgabe der Diplomatie, in England für die Sache des Südens zu werben, erschien ihm mit der Ehre der neuen Nation nicht vereinbar: „Either we are capable of independence, or we are not. To endeavour to purchase its recognition by a sacrifice of right or principle, is a great blunder.“120 Im Hinblick auf die europäischen Mächte scheinbar einer illusionslosen Perspektive verpflichtet, ging Simms von der Prämisse aus, dass „[t]hese countries recognize facts only, not arguments“. Seine hyperrealistische Deutung der britischen Außenpolitik war an ein extrem negatives Englandbild gebunden und daher durchweg ideologisch begründet. Der von Simms entworfene John Bull spottete über den vorauseilenden Gehorsam der Konföderierten und würde sich in seiner Politik hiervon doch nicht beeinflussen lassen. Im Lichte der eigentlichen Interessen sei die abolitionistische Rhetorik nicht mehr als Theater: „A fiction! Slavery and the slave-trade! We are to ruin Europe for Exeter Hall, and the wretched old women […], who gather in that establishment to hearken philanthropic twattle [sic!], at which the Yankee grins.“121 Weil die Sklaverei für England ohnehin keine Rolle spiele, bräuchte die Konföderation auch keine Beauftragten über den Atlantik zu senden, „to teach that which, let alone, will teach itself – which these European pupils will themselves arrive at in due season; only proves our solicitude – our fears – our eager anxiety for support and sympathy“. Worauf die Engländer aufmerksam zu machen seien, das wüssten sie ohnehin: „They know the power of Cotton! They must and will have it.“122 Fernab vom Entscheidungszentrum in Richmond schätzte Simms die Hintergründe der amtlichen Außenpolitik falsch ein. Damals wie später waren die Beauftragten und Gesandten in Europa nämlich stets angehalten, zu bekunden, dass der Süden im Ausland nicht um Hilfe bat, sondern ein Recht einklagte.123 Ferner hatte sich die passive Lesart der Baumwolldoktrin, nach der King Cotton für die Entfaltung seiner Macht Zeit einzuräumen war, in der 120 Simms, Our Commissioners to Europe, in: DeBow’s Review 4 / 5 (1861), 412–419, hier 413. 121 Ebd., 414 (Hervorhebungen im Original). Exeter Hall in London war ein bekannter Versammlungsort für abolitionistische und philanthropische Vereinigungen. 122 Ebd., 415 (Hervorhebungen im Original). Zu seiner ambivalenten Haltung gegenüber England vgl. Simms, International Copyright Law, in: Southern Literary Messenger 1 (1844), 7–17. 123 So geben Hermann Hattaway und Richard Beringer das Selbstbild der konföderierten Außenpolitiker missverständlich wieder, wenn sie konstatieren, dass die Gesandten nach Europa geschickt wurden, „to beg for recognition of their fledgling nation“. Auch wenn das gewissermaßen die politische Substanz ihrer Mission beschreibt, sahen sie sich doch eben nicht als Bittsteller. Für das Verständnis ihres diplomatischen Handelns ist aber gerade diese Differenzierung von entscheidender Bedeutung. Hattaway / Beringer, Jefferson Davis, 50.
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kabinettsinternen Diskussion bereits durchgesetzt. Auf der politischen Ebene wurde Simms’ Deutung des Abolitionismus als Maskierung der nackten und leidenschaftslosen Macht weitgehend geteilt. Weil die Machtinteressen Englands nun scheinbar mit den Ansprüchen des Südens übereinstimmten, vermochte die Konföderation nach Simms auf die per se entwürdigende und korrumpierende Außenpolitik zu verzichten. Die hier anklingende Idee, eine tugendhaft-agrarische Republik könne die Beziehungsarithmetik zwischen Alter und Neuer Welt entscheidend verändern, ging auf Thomas Jefferson zurück. 1861 schlug sich das in dem selbstverhängten und wirtschaftlich unsinnigen Baumwollembargo nieder, das Jefferson Davis freilich nicht offiziell verkündete und William Gilmore Simms schon viel früher und härter hatte umgesetzt sehen wollen.124 Die operative Umsetzung der Außenpolitik erfolgte in einem kleinen Entscheidungszirkel. Am 21. Februar 1861 in Montgomery eingerichtet, wurde das Außenministerium später in einem großzügigen Regierungsgebäude an der Richmonder Main Street untergebracht, wo das Ministerbüro und der Arbeitsplatz des Präsidenten nur durch wenige Zimmer voneinander getrennt waren.125 Im Gegensatz zum Kriegsministerium verfügte der Auswärtige Dienst über einen äußerst begrenzten Mitarbeiterstab, wodurch eine relativ kompakte und abgeschirmte Diskussion über diplomatische Initiativen ermöglicht wurde.126 Anders als in der alten Union war der legislative Einfluss auf die Außenpolitik eher gering. Nach dem Scheitern von Rhetts Freihandelsvorstoß gingen weder vom Provisorischen noch vom Dauerhaften Kongress nennenswerte Impulse aus. Zwischen unkritischer Akklamation und bedingungsloser Feindschaft schwankend, vermochten Senatoren und Abgeordnete den Kurs der Exekutive de facto kaum zu beeinflussen. Zwar wurde im Juni 1863 mit William Cabell Rives ein „elder statesman of the Confederacy“127 zum Vorsitzenden des Außenausschusses gewählt, der über ein beträchtliches Erfahrungsprofil verfügte. Zu diesem Zeitpunkt war die internationale Lage für die Konföderierten Staaten aber bereits festgefahren. Darüber hinaus lieh Rives, der das Amt aus gesundheitlichen Gründen nur sporadisch versehen konnte, dem Präsidenten volle Unterstützung und griff – soweit erkennbar – konzeptionell nicht in die Außenpolitik ein.128 124 Vgl. Simms, Our Commissioners to Europe, in: DeBow’s Review 4 / 5 (1861), 412– 419, hier 418. 125 Vgl. Washington, Confederate State Department, 221. Dieser Artikel aus dem Independent vom September 1901 ist eine wichtige Quelle zur Organisation des State Department. Lucius Quinton Washington war seit November 1861 als Büroleiter im Außenministerium tätig. 126 Eine Besoldungsliste aus dem Jahr 1863 weist dem State Department gerade einmal sechs ständige Mitarbeiter zu. Vgl. den Abdruck bei Meade, Judah P. Benjamin, 246. 127 Warner / Yearns, Biographical Register of the Confederate Congress, 206. 128 Vgl. Rives an Judith Page Walker Rives, 11.04.1864, William Cabell Rives Papers,
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Sowohl im Hinblick auf die intime Arbeitsatmosphäre im Ministerium als auch auf die Abschirmung gegenüber dem Kongress bestanden gute Bedingungen für eine enge Kooperation zwischen Ressort- und Regierungschef. Erst mit dem Amtsantritt Benjamins, der mehrmals täglich mit Davis konferierte129, konnte sich diese allerdings wirklich entfalten. In den entscheidenden Anfangsjahren gab es im State Department keine personelle Kontinuität. Während Toombs und Hunter jeweils keine acht Monate im Amt überdauerten, leitete Benjamin die Amtsgeschäfte vom Februar 1862 bis zum Untergang der Konföderation im Jahre 1865.130 Am 18. Februar 1861 bot Davis William Lowndes Yancey einen Posten seiner Wahl an, woraufhin sich dieser Ex-Sezessionist und Pro Slavery-Radikale für die Sondierungskommission nach England und Frankreich entschied.131 Abgesehen von seiner Europareise im Jahre 1855, verfügte der als Chef des State Department vorgesehene Robert Toombs über wenig Erfahrung in der Außenpolitik und legte auch wenig Sympathie für das Amt an den Tag. Es musste Davis aber daran gelegen sein, dieses Schwergewicht in die Kabinettsdisziplin einzubinden. Toombs sah das Ministerium hingegen vor allem als Machtinstrument, gedachte er doch die Regierung zu kontrollieren und die verlorene Präsidentschaft in eine bloße Titularherrschaft umzuwandeln.132 Spannungen zwischen Präsident und Außenminister waren unvermeidbar. Mit wachsender Verärgerung nahm Toombs zur Kenntnis, wie Davis seinem Gestaltungswillen enge Grenzen setzte. Anstatt eine offensive Militärstrategie zu verfolgen und gar für eine Invasion auf Unionsterritorium vorzusorgen, wie er es anregte133, plante Davis eine Defensivverteidigung gegen den nordstaatlichen ‚Aggressor’.134 Innerhalb des Kabinetts rasch ins Abseits gedrängt, vermochte Toombs auch seiner Opposition gegen die passive
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LC, Box 36. Seine Nähe zu Jefferson Davis wird bezeugt durch Rives an Judith Page Walker Rives, 23.03.1864, ebd. Im März 1865 wurde Rives als Befürworter eines Friedensangebotes an den Norden aktiv. Vgl. Ballard, Long Shadow, 21 ff. Vgl. Washington, Confederate State Department, 2224. Der rasche Ministerwechsel setzte über die Jahre hinweg nicht nur dem Außenministerium zu, sondern plagte das gesamte Kabinett. Insgesamt zogen sich zwischen 1861 und 1865 zehn Minister von ihren Ressorts zurück. Dies ging zu einem guten Teil auf die Opposition des Kongresses zurück, hing aber auch mit der zwischenmenschlichen und politischen Disharmonie im Kabinett zusammen. Rembert Patrick, dessen Arbeit über die konföderierte Exekutive auch heute noch wichtig ist, tendiert dazu, das Verhältnis zwischen Jefferson Davis und seinen Ministern in einem zu weichen Licht zu zeichnen. Vgl. Patrick, Davis and His Cabinet, 59 f., 64. Zur Bestellung Yanceys vgl. Walther, William L. Yancey and the Coming of the Civil War, 297. Vgl. so Jenkins, War for the Union, Bd. 1, 11. Vgl. Jones, Rebel War Clerk’s Diary, 22.05.1861, 18. Vgl. Hendrick, Statesmen of the Lost Cause, 6; Crook, North, South, and the Powers, 25.
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Baumwollpolitik keinen nachhaltigen Ausdruck zu verleihen.135 Es hat den Anschein, als ob der Außenminister eher den Freihandelskonzepten Rhetts zugeneigt war und sich auf dessen Bitte hin im Mai 1861 für einen neuerlichen Vorstoß in diese Richtung einsetzte.136 Dennoch fand Toombs in der Außenpolitik – vornehmlich gegenüber England – keinen konzeptionellen Gegenentwurf zum Kurs des Präsidenten, der durch die anglophobe Kultur des Tiefen Südens geprägt worden war. Während Davis keine Vorbehalte empfunden haben dürfte, durch die Stillegung des Baumwollflusses die wirtschaftliche Lebensader von John Bull zu durchtrennen, lagen die Dinge bei Toombs komplizierter: Zwar hatte er seine schwankenden Standpunkte immer wieder mit anglophoben Metaphern unterlegt und sich insbesondere im Hinblick auf das Pro Slavery Argument als erbitterter Feind englischer Emanzipationspolitik gezeigt. Wie der britische Journalist William Howard Russell in seinem Tagebuch vermerkte, bündelten sich im Englandbild des Außenministers aber auch ambivalente Züge: „He is something of an Anglo-maniac, and an Anglo-phobist […] that is, he is proud of being connected with and descended from respectable English families and our mixed constitution, whilst he is an enemy to what is called English policy, and he is an ardent champion of slavery.“137 Toombs, der in den Worten eines Zeitgenossen nun einmal „kein Büromensch“138 war, verzweifelte an der Arbeit im State Department aus ganz handfesten Gründen.139 Entnervend waren vor allem die Kommunikationsprobleme mit den Abgesandten in Übersee.140 Diplomatische Papiere mussten damals noch über den Atlantik verschifft werden, was mehrere Wochen oder gar Monate in Anspruch nahm.141 Als sich der nordstaatliche Blockade135 Toombs stand der Embargopolitik von Davis skeptisch gegenüber. Die problematische Quellenlage für die Kabinettsdiskussion im März 1861 erschwert indes eine genauere Einschätzung seiner Opposition. Vgl. die unterschiedlichen Wertungen bei Patrick, Davis and His Cabinet, 59; Jenkins, Britain and the War for the Union, Bd. 1, 12; Davis, Union that Shaped the Confederacy, 111, 126. 136 Wie Rhett in seinen Memoiren schildert, habe er Toombs im State Department aufgesucht und ihn von der Vergeblichkeit der Mission überzeugt, da die Gesandten keine Autorität besäßen, Freihandelsverträge mit England und Frankreich abzuschließen. Der Außenminister sei daraufhin in die Vorbereitung einer neuerlichen Kongressresolution einbezogen worden. Vgl. Davis, A Fire-Eater Remembers, 37 f., 124, Anm. 12. Zu Rhetts Vorlagen vgl. Journal of the Congress of the Confederate States of America, Bd. 1, 13.05.1861, 214; 15.05.1861, 225. 137 Russell, Diary North and South, 132. 138 Washington, Confederate State Department, 2222. 139 Vgl. Leon, Four Years in Rebel Capitals, 82. 140 Vgl. Yancey, Rost u. Mann an Toombs, 15.07.1861, in: O.R.N., Ser. II, Bd. 3, 221–225, bes. 224; Yancey, Rost u. Mann an Toombs, 07.08.1861, in: ebd., 235–237, bes. 237. 141 So bestätigten die konföderierten Beauftragten in England den Empfang gleich mehrerer Depeschen des State Department vom 02., 22. und 26. April 1861 erst am 21. Mai. Vgl. O.R.N., Ser. II, Bd. 3, 216. Auf zwei auf den 18. und 24. Mai datierten Weisungen
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kordon fester um die Häfen des Südens schloss, geriet die Übermittlung von Depeschen nach Europa zusehends zum Abenteuer. Nicht selten wurden abgefangene Dokumente in der Presse des Nordens gedruckt. Ein regelmäßiger und aktueller Informationsaustausch gestaltete sich unter diesen Umständen äußerst schwierig. Alles in allem war das Außenministerium der Union seinem konföderierten Gegenpart personell und administrativ bei weitem überlegen. Unter Rückgriff auf den etablierten Apparat kommunizierte Secretary of State William Henry Seward mit dem Vereinigten Königreich über die akkreditierten Gesandten in London und Washington. Ein solches Netzwerk stand dem Süden nicht zur Verfügung. Seinen Abgesandten, die als inoffizielle Privatpersonen am Hofe von St. James vorsprachen, blieb der reibungslose Zugang zu den höchsten Regierungskreisen Großbritanniens verwehrt. England und die Sezession des Südens, 1860 / 61 Der Konflikt zwischen Nord- und Südstaaten verlängerte sich – bildlich gesprochen – bis in die englische Gesellschaft hinein; „in seinen Sympathien für die Sache des Nordens oder des Südens war das Land tief gespalten“.142 Auch im Parlament von Westminster schlugen die Wellen der Erregung hoch. Wie Premierminister Palmerston im Juli 1862 nach einer mehrstündigen Debatte vor den Abgeordneten bemerkte: „[W]e have had to-night the American war waged here, in words, by champions of both sides.“143 Zwar haben neuere Forschungen gezeigt, dass die Faktoren von Klassenzugehörigkeit und politischer Weltanschauung die Sympathieverteilung der Briten nicht derart holzschnittartig bestimmten wie bisher angenommen worden ist.144 An den jeweiligen Flügeln der Parteien verschafften sich dennoch prominente Stimmen Gehör. So engagierte sich mit John Bright ein Vorkämpfer liberaler Reformen als Fürsprecher der Union, weil die „existence of that free country and that free government has a prodigious influence upon freedom in Europe“.145 Hingegen kritisierte der unabhängige Konservative Alex-
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aus Richmond reagierten sie am 15. Juli. Vgl. ebd., 221. Und die am 29. Juli von Toombs verfasste Unterrichtung über den Erfolg des Südens bei Bull Run erreichte sie gar erst Anfang Oktober, also fast zwei Monate später. Vgl. ebd., 278. Die Nachricht über den Verlauf der Schlacht entnahmen die Beauftragten der amerikanischen und britischen Presse. Vgl. Yancey, Rost u. Mann an Toombs, 07.08.1861, in: ebd., 235–237, hier 236. Hildebrand, No Intervention, 95. Zur Haltung der britischen Gesellschaft gegenüber dem Amerikanischen Bürgerkrieg vgl. Blackett, Divided Hearts. Hansard’s Parliamentary Debates, Bd. CLXVIII, 18.07.1862, 570. Vgl. in diesem Sinne Campbell, English Public Opinion and the American Civil War. Bright zit. n. Lillibridge, Beacon of Freedom, 12. Vgl. Diaries of Bright, 252 ff. Vgl. Gwin, Campaign of John Bright, 406 ff.; Trevelyan, Life of Bright, 296–328; Zorn, Bright and British Attitude to the Civil War.
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ander Beresford Hope das Abgleiten der Nordstaaten-Republik in eine „miserable, gleichmacherische Demokratie“. Umso mehr lobte er den hierarchischen Freiheitsentwurf der Konföderation: „In the South […] the mob has not the same power.“146 Zwischen diesen Extrempositionen blieb freilich viel Raum für eine flexible, am Gang der Ereignisse orientierte Meinungsbildung. Als zum Ende des Jahres 1860 die Nachricht vom Abfall South Carolinas eintraf, überwog in der publizistischen Öffentlichkeit die Furcht vor einem zerstörerischen Krieg, der auch die (Wirtschafts-)Interessen Großbritanniens nicht unberührt lassen würde. Aus den ersten Reaktionen sprach daher die Empörung über die Sezession – weil er an der Wahlurne geschlagen worden sei, so urteilte etwa die National Review, habe sich der Süden in Verfassungsbruch und Prinzipienverrat geflüchtet.147 Naturgemäß räumten die Briten, deren Amerikabild jahrzehntelang von abolitionistischem Gedankengut beeinflusst worden war, der Sklavenfrage eine hohe Priorität ein. Daher reagierten sie zornig, als die neue Regierung in Washington keinerlei Anstalten machte, die Krise zu nutzen, um die Emanzipation zu erklären. Weil Lincolns innenpolitische Zwangslage148 nicht (an-) erkannt wurde, geriet seine Regierung in Großbritannien schnell in Misskredit.149 In dem Maße, wie sich das Bild des Nordens verdüsterte, erhellte sich jenes der Konföderation. Zwar machte Davis aus seiner Sklavereibejahung keinen Hehl. Vizepräsident Stephens hatte gar in einer Aufsehen erregenden Rede von der „großen Wahrheit“ gesprochen, „that the negro is not equal to the white man; that slavery – subordination to the superior race – is his natural and normal condition“.150 Dennoch spielte das Thema in der amtlichen Unabhängigkeitsrhetorik keine bestimmende Rolle.151 Im Hinblick auf die 146 Hope, American Disruption, 10, 13. Zu Beresford Hope vgl. Priestley, Batavian Grace. 147 Vgl. National Review 13 (1861), zit. n. Crook, Portents of War, 166. 148 Lincoln musste die Sklavereifrage von der Kriegszielagenda ausklammern, um Teile des Oberen Südens in der Union zu halten. Darüber hinaus verbot ihm sein Verfassungsprimat eine direkte Intervention in die inneren Verhältnisse der alten Sklavenstaaten. Zu guter Letzt war ihm bewusst, dass der Norden zwar für den Erhalt der Union in den Krieg ziehen würde, nicht aber für einen Kreuzzug zur Befreiung der Sklaven. Vgl. Donald, Lincoln, 282 ff.; Potter, Lincoln and Secession, 34; Ericson, Shaping of American Liberalism, 136 ff.; Foner, Politics and Ideology, 46 ff. 149 Mit Datum vom 21. Juni vermerkte Charles Francis Adams, der US-Gesandte in London, dass die Briten „do not unterstand Americans or their politics. They think this is a hasty quarrel, the mere result of passion […]. They do not comprehend the connection which slavery has with it, because we do not at once preach emancipation“. C. F. Adams an C. F. Adams, Jr., 21.06.1861, in: Ford (Hg.), Cycle of Adams Letters, Bd. 1, 13–15, hier 14. 150 Stephens, Speech Delivered on the 21st March 1861, in Savannah, known as the „the Cornerstone Speech“, in: Cleveland, Alexander H. Stephens, Letters and Speeches, 717–729, hier 721. 151 Vgl. Escott, Abraham Lincoln, Jefferson Davis, and America’s Racial Future, 6 f.
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Masse der „unwilligen Konföderierten“152 im Oberen Süden war die Vermeidung der Sklavenfrage eine kluge Maßnahme, die sich die Regierung leisten konnte, ohne ihre ideologisch-rassischen Prämissen in Frage zu stellen. In den vergangenen Jahren hatte aber vor allem Jefferson Davis auf die englische Sklavereikritik mit heftigen Pro Slavery-Bekenntnissen und anglophoben Invektiven geantwortet. Dass nun ausgerechnet sein Schweigen das Rezeptionsklima in England verbesserte, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Denn für die Außendarstellung der Konföderation war der Stimmungswandel von entscheidender Bedeutung: „The public mind here is completely opposed to the […] Confederate States […] on the question of slavery“, berichtete die Yancey-Kommission im Mai 1861 nach Richmond: „[T]he sincerity and universality of this feeling embarrasses the Government in dealing with our recognition“.153 Mit der Einsicht, dass die sklavereifeindlichen Stimmungen aus der Gesellschaft eben doch bis auf die Flure von Downing Street und Whitehall durchschlugen, musste zwar ein wichtiger Bestandteil der südstaatlichen Englandbilder hinterfragt werden. Nur wenige Monate später knüpften die Beauftragten aber wieder an ihre alten Prämissen an und verkündeten dem State Department: „We have reason to believe that the antislavery sentiment so universally prevalent here no longer interferes with a proper judgement of this contest.“154 Bis zur Emanzipationserklärung Lincolns im Herbst 1862 konnten die Sympathisanten der Konföderation glaubhaft verkünden, „that slavery is not at issue in the present struggle, the majority in the North being as willing, as the people of the South are resolute, to maintain it“.155 Im Verlauf des ersten Jahres verfestigte sich in publizistischen und politischen Kreisen also ein Bürgerkriegsbild, in dem die Südstaatler nicht für den Erhalt der Sklaverei, sondern um ihr Recht auf nationale Souveränität kämpften, während der Norden nicht für das Ende der Rassenknechtschaft stritt, sondern einen schnöden Eroberungs- und Rachefeldzug führte: „The contest is really for empire on the side of the North, and for independence on that of the South.“156 Während die öffentliche Reaktion und Sympathieverteilung stark von emotionalen Aspekten geprägt waren, versuchte die Regierung das wirtschaftliche und politische Risiko zu taxieren, das mit dem Kriegsausbruch in Amerika einherging. 152 Crofts, Reluctant Confederates. 153 Yancey u.a. an Toombs, 21.05.1861, in: O.R.N. Ser. II, Bd. 3, 214–216, hier 216. 154 Yancey u.a. an Toombs, 01.08.1861, in: ebd., 229–230, hier 229. Vgl. so auch schon Yancey u. Mann an Toombs, 15.07.1861, in: ebd., 221–225, bes. 222 f. 155 Spence, American Union, 165. James Spences viel beachtetes Legitimationstraktat für das Anliegen der Konföderation erlebte in kurzer Zeit vier Auflagen (zit. n. der zweiten Auflage von 1862). 156 The Times, 07.11.1861.
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Im Juni 1859 hatte Palmerston im Alter von 75 Jahren ein zweites Kabinett aus Whigs, Peelites und Radicals zusammengestellt.157 Palmerston, anlässlich seines Todes 1865 zum „most English Minister“158 proklamiert, verlieh der britischen Außenpolitik im 19. Jahrhundert gleichsam ein prägendes Antlitz. Ein Freund der Amerikaner war er nie gewesen: Während der 1830er Jahre hatte er als Dienstherr im Foreign Office Andrew Stevensons Rechtsund Ehrstandpunkte in den Verhandlungen über die schiffbrüchigen Sklaven zurückgewiesen. Kurze Zeit später bemühte er sich, die Territorialexpansion der Union durch die texanische Unabhängigkeit zu verlangsamen. Nach 1846 hatte er sodann eine aktive Isthmuspolitik in Mittelamerika betrieben und die Verdachtsmomente der nervösen Südstaatler gegen das englische Empire weiter genährt.159 Der Premierminister, der in seiner Sorge über den Aufstieg der amerikanischen Zukunftsmacht bisweilen auch „kriegerisch klingende Töne“160 anschlug, gilt als Verkörperung des ‚Realpolitikers’ im 19. Jahrhundert. Seine Methoden zur britischen Interessenwahrung beschränkten sich keineswegs nur auf die goldene Regel der No Intervention, sondern konnten auch aggressivere Züge annehmen. Im Amerikanischen Bürgerkrieg legte er sich weder auf die Neutralität noch auf die Intervention einseitig fest. Sofern die Dynamik der Ereignisse es ratsam erscheinen ließ, konnte die Neutralität ohne weiteres einer wie auch immer gearteten Form der Intervention weichen.161 Hinzu kam, dass er – die Liberalisierungstendenzen seiner Zeit skeptisch bis furchtsam betrachtend162 – dem südstaatlichen Sozialentwurf mehr Sympathie entgegenbrachte als der progressiven Republik des Nordens.163 So erwog er schon kurz nach der Wahl Lincolns, die Konföderation diplomatisch anzu157 Zum zweiten Palmerston-Kabinett vgl. Krein, Last Palmerston Government. Die klassischen und ausnehmend freundlichen Biographien über Palmerston sind Guedalla, Palmerston; Bell, Lord Palmerston; Southgate, Most English Minister. Einen kritischeren Ansatz hingegen wählen Ridley, Lord Palmerston; Judd, Palmerston. Vgl. die ausgewogene und kompakte Synthese bei Chamberlain, Lord Palmerston. Unter den neueren Arbeiten wieder mit Sympathie geschrieben ist Chambers, Palmerston. Vgl. die schwierige Verortung Palmerstons zwischen aristokratischer Bewahrung und liberaler Modernisierung betonend Ziegler, Palmerston. 158 Southgate, Most English Minister. 159 Vgl. o. 103, 155 f., 254. 160 Hildebrand, No Intervention, 94. 161 Henry Adams, der Sohn des nordstaatlichen Gesandten in London, schrieb über die Politik des Premiers gegenüber dem amerikanischen Krieg einmal wenig wohlmeinend, im Kern aber nicht ganz falsch: „As for Lord Palmerston, he will be on the winning side, and that is all that can be said of him.“ Henry Adams an Charles Sumner, 20.01.1862, in: Levenson (Hg.), Letters of Henry Adams, Bd. I, 276–277, hier 277. 162 Vgl. hingegen Steele, Palmerston and Liberalism. Vgl. kritisch dazu Franzen, Zivilisation und Konflikt, 8. 163 Zur Südstaaten-Sympathie Palmerstons vgl. Ridley, Palmerston, 550; Chamberlain, Lord Palmerston, 114; Judd, Palmerston, 152; Bell, Lord Palmerston, 274.
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erkennen, sofern sie Garantien für die Unterbindung des atlantischen Sklavenhandels abgeben würde.164 Zwar legte er den Plan nach der Eskalation der Krise rasch beiseite – die flüchtige Episode unterstreicht aber die wendige, am Fluss der Ereignisse orientierte Gangart seiner Nordamerikapolitik. Über das Verhältnis zwischen dem Regierungschef und seinem Außenminister, Lord John Russell, ist in der Forschung länger gestritten worden.165 Palmerston hatte von 1846 bis 1851 unter Russell als Außenminister gedient und damals wie später mancherlei Konflikte mit dem liberalen Reformer ausgetragen. Nach 1859 schlug sich diese Distanz bei der Ausführung ihrer Amtsgeschäfte nieder. In grundsätzlichen Fragen der Außenpolitik ließ Palmerston Russell aber für gewöhnlich gewähren. Der Sklaverei prinzipiell feindlich gesinnt, favorisierte der Hausherr im Foreign Office dennoch eine Teilung des amerikanischen Kontinents und gelangte so zu einer ambivalenteren Haltung gegenüber dem Krieg als der Premierminister. Die Reaktion Whitehalls an der Jahreswende 1860 / 61 war zunächst von unsicherer Vorsicht geprägt. Russells Sorgen wurden durch die Berichte des britischen Gesandten in Washington, Lord Lyons, noch bestärkt.166 Neben ersten Anzeichen für eine aggressive Außenpolitik, mit der die Lincoln-Regierung versucht sein würde, die innere Krise zu überwinden, berichtete Lyons vor allem über die kraftstrotzende Baumwollrhetorik, die jetzt überall im Süden zu vernehmen war. Einerseits dämmerte ihm schon früh: „[I]t will no doubt be very difficult for Great Britain, dependent as she is on the supply of Cotton from the Southern States, to remain an impartial spectator and take no part in the contest.“167 Andererseits tat er ihren „senseless cry that ‘Cotton is King‘“, als krasse außenpolitische Fehlkonzeption ab.168 Seine widersprüchlichen Urteile erklären sich aus der Schwierigkeit, von seinem isolierten Hauptstadtposten aus die Ereignisse im Blick zu behalten. So ging er zu Beginn der Krise fälschlicherweise von der Dominanz unionstreuer Elemente im Süden aus und deu-
164 Vgl. Palmerston an Russell, 08.12.1860, in: Bell, Lord Palmerston, Bd. II, 276. Die Bekämpfung des illegalen Sklavenhandels war ein wichtiges außenpolitisches Thema in der Ära Palmerston. Vgl. Thomas, Slave Trade, 655 f.; Mathieson, Slave Trade, 21; LeVeen, British Slave Trade Suppression Politics, 4; Howell, Slave Trade, 28; Kielstra, Slave Trade 149 ff. 165 Vgl. die Dominanz Palmerstons über Russell betonend Beales, England and Italy, 95 f., 100 ff.; Jenkins, War for the Union, Bd. I, 84 f.; Krein, Last Palmerston Government; Steele, Palmerston’s Foreign Policy, 65 ff. Vgl. hingegen revisionistisch Scherer, Partner or Puppet?; ders., Scherer, Lord John Russell, 298. Zu Russell vgl. klassisch Walpole, Life of Russell, Bd. II; Reid, Lord Russell. Vgl. kritischer Prest, Russell. 166 Russell an Lyons, 29.11.1860, in: BDFA, Teil I, Ser. C, Bd. V, 162. Zu Lyons vgl. Newton, Lord Lyons; Berwanger, British Foreign Service, 22–38. 167 Lyons an Russell, 04.02.1861, in: BDFA, Teil I, Ser. C, Bd. V, 162–165, hier 165. 168 Lyons an Russell, 18.12.1860, in: ebd., 169–170, hier 170.
1. Unabhängigkeit, Regierungsbildung und die Anfänge der Außenpolitik
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tete das Sezessionsgetöse South Carolinas als Zeichen innerer Schwäche.169 Nur zögernd gestand er sich ein, dass „the leaders of the Secession movement […] desire disunion, for its own sake and at any price, and have […] succeeded in silencing almost all opposition in the South“.170 Weil die Hoffnungen auf eine Rekonstruktion damit endgültig verschwunden waren, musste der englischen Politik nun an einem friedlichen Vollzug der Sezession gelegen sein. Nolens volens hieß das aber auch, wie Lord John Russell am 10. Januar 1861 darlegte, „that there should be separation – one Republic to be constituted on the principle of freedom […], the other on the principle of slavery“.171 Lyons und Russell wussten sehr wohl, dass die derzeitige Position der europäischen Mächte im Falle eines Krieges nicht zu halten sein würde.172 Es war dann mit aus britischer Sicht inakzeptablen Maßnahmen der Lincoln-Regierung zur Abriegelung der feindlichen Häfen zu rechnen. Sollte ausländischen Schiffen der Zugang zu den Anlegestellen des Südens widerrechtlich versperrt werden, so drohte der Gesandte in Washington, „the most simple, if not the only way, would be to recognize the Southern Confederacy“.173 Lyons vertrat im Umgang mit der Union eine feste Position und hoffte, die Anerkennungsfrage als Druckmittel zum Schutz der englischen Wirtschaftsinteressen einsetzen zu können.174 Wie er Russell nahe legte, dürfe den südstaatlichen Beauftragten in London deshalb auch nicht mit „too strong a rebuff“175 begegnet werden. Seine Strategie, die Konfliktparteien gegeneinander auszuspielen, um den eigenen Aktionsradius zu erhalten, erwies sich aber rasch als Chimäre. In Reaktion auf die Sezessionskrise entfesselte Lincolns Außenminister William Henry Seward ein Kriegsszenario gegen England, Frankreich und Spanien, das den Gesandten schließlich in die Defensive zwang.176 Auf den inneren Konsolidierungseffekt einer auswärtigen Konfrontation spekulierend, wollte Seward unionstreue Kräfte in den Südstaaten aktivieren, um die Sezession rückgängig 169 Vgl. Lyons an Russell, 16.11. u. 18.12.1860, in: ebd., 161–162, 169–170. 170 Lyons an Russell, 24.12.1860, in: ebd., 173–174, hier 174. Vgl. ferner Lyons an Russell, 15.01. u. 18.02.1861, in: ebd., 176–178, 181–182; ders. an dens., 12.02.1861, in: British and Foreign State Papers, Bd. LI, 176–177. 171 Russell an Lyons, 10.01.1861, in: Adams, British Proclamation, 203. 172 Vgl. Russell an Lyons, 30.03.1861, in: BDFA, Teil I, Ser. C, Bd. V, 188–192, hier 189. 173 Lyons an Russell, 26.03.1861, in: Newton, Lord Lyons, Bd. I, 31–34, hier 32. 174 Ebd., 33. Vgl. auch ders. an dens., 30.03.1861, in: BDFA, Teil I, Ser. C, Bd. V, 188–192, hier 189. 175 Lyons an Russell, 26.03.1861, in: ebd., Bd. I, 31–34, hier 34. 176 William Henry Sewards riskante Außenpolitik hat sicherlich einen entscheidenden Beitrag zur Neutralität des Auslandes im Amerikanischen Bürgerkrieg geleistet. Hierüber darf freilich nicht übersehen werden, dass sie bisweilen gerade wegen ihrer überzogenen Tonart die Intervention herbeigeführt hätte. Vgl. das positive Urteil in der Historiographie klassisch vorgebend Bancroft, Life of Seward; Van Deusen, Seward. Vgl. Ferris, Desperate Diplomacy; ders., Trent-Affair; Taylor, Seward.
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IV. Die Konföderation und England, 1861–1865
zu machen. Sodann plante er, die Provokationen an die Adresse der Europäer gerade noch rechtzeitig einzustellen, bevor sie sich zu einem Krieg ausweiteten.177 Auch wenn Abraham Lincoln diesen eigenmächtigen Aktivitäten Anfang April einen Riegel vorschob178, erbrachte Sewards foreign war panacea unerwartete Erfolge auf einem kritischen Feld der Außenpolitik: Es dämpfte die Empfänglichkeit der Briten für Avancen des Südens und sensibilisierte sie für die unabsehbaren Konsequenzen einer Intervention. Ein Krieg mit der Union schien dann nicht nur möglich, sondern gar wahrscheinlich. Letztlich besaßen die britischen Diplomaten ohnehin keinen Einfluss auf den Verlauf der Krise. Seine privaten Sympathien für die Union hintanstellend, vertrat Lyons nach außen weisungsgemäß strikte Unparteilichkeit.179 „Our friends are apparently going ahead on the road to ruin with their characteristic speed and energy“180, schrieb er mit trauriger Ironie, wobei der Süden, wie er an anderer Stelle vermerkte, scheinbar einmütiger sei, „it is more eager, and as it has more at stake, is more ready to make sacrifices“.181 Formuliert von einem Unionssympathisanten182, verweisen Lyons’ Worte auf das vorherrschende Bild im Ausland, die Unabhängigkeit der Konföderation habe sich bereits irreversibel verfestigt. Diese Auffassung nutzten die Sympathisanten des Südens aus, um die Verwerflichkeit des Krieges in drastischen Worten zu unterstreichen: „They may devastate it, they may sacrifice millions of treasure and a host of men, but they will never permanently subjugate the South against its will.“183 Ob man dies begrüßte oder bedauerte, hing vom Standpunkt des Betrachters ab. Die Annahme selbst aber wurde kaum in Frage gestellt. Kein anderer Kommentator kommunizierte das Bild der südstaatlichen Siegesgewissheit und Arroganz effektiver nach außen als William Howard Russell von der Times.184 In Charleston, der Hochburg anglophiler Lebenskultur, begegnete ihm zwar überall eine „admiration for monarchical institutions on the English model, for privileged classes, and for a landed ari177 Vgl. so Brauer, Seward’s „Foreign War Panacea“, 155; ders., Civil War Diplomacy, 195. Vgl. eine tatsächliche Kriegspolitik gegenüber Europa annehmend die älteren Urteile bei Rhodes, History of the Civil War, 8 f.; Bancroft, Life of Seward, Bd. II, 134; Van Deusen, Seward, 283. Vgl. aus der neueren Forschung ähnlich Jones, Union in Peril, 15; ders., New Birth of Freedom, 41; Mahin, One War at a Time, 7. Vgl. hingegen wieder der Brauer-These zuneigend Taylor, Seward, 152. 178 Vgl. Seward an Lincoln, 01.04.1861, in: Basler, Collected Works of Lincoln, Bd. V, 317, Anm. 1; Lincoln an Seward, 01.04.1861, in: ebd., 317–318. 179 Vgl. Russell an Lyons, 22.03.1861, in: British and Foreign State Papers, Bd. LI, 177. 180 Lyons an den Duke of Newcastle, 10.12.1860, in: Newton, Lord Lyons, Bd. I, 29. 181 Lyons an Russell, 30.03.1861, in: BDFA, Teil I, Ser. C, Bd. V, 188–192, hier 191. Vgl. auch ders. an dens., 12.03. u. 12.05.1861, in: ebd., 183–185, 221–222. 182 Vgl. pointiert Lyons an Russell, 21.11.1860, in: ebd., 161–162, hier 162. 183 Hope, American Disruption, 37. 184 Zu Russell, dem ersten modernen Kriegsberichterstatter, vgl. Hankinson, Man of Wars; Crawford, William Howard Russell and the Confederacy.
1. Unabhängigkeit, Regierungsbildung und die Anfänge der Außenpolitik
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stocracy“.185 Dennoch registrierte er auch eine Woge anglophober Ressentiments, die mit dem nationalen Selbstbehauptungsanspruch empor gespült wurde und das geistig-konzeptionelle Gerüst der Baumwolldoktrin abbildete: „We know John Bull very well“, bekam der Journalist in einem vornehmen Charlestoner Etablissement zu hören, „he will make a great fuss about nonintervention at first, but when he begins to want cotton he will come down off his perch“.186 Wie er (seinem später publizierten) Tagebuch anvertraute, glaubten die Konföderierten, dass für England nur die materiellen Interessen ins Gewicht fallen würden. Auf einem Empfang des britischen Konsuls in Charleston wurde gar verkündet: Why, sir, we have only to shut off your supply of cotton for a few weeks, and we can create a revolution in Great Britain. There are four millions people depending on us for their bread, not to speak of the many millions of dollars. No, sir, we know that England must recognize us.187
Ein ähnliches Bild vermittelte das konsularische Personal vor Ort nach London. In Charleston hatte Robert Bunch schon im Dezember 1860 eine Unterredung mit Robert Barnwell Rhett geführt.188 Die Berichte, die er drei Monate später über die Staatsgründung im Süden an das Foreign Office verfasste, verhießen nichts Gutes.189 Während Jefferson Davis von britischen Sympathisanten zum „bold, daring, yet politic statesman“190 verklärt wurde, schilderte Bunch ihn als Pro Slavery-Radikalen, von dem eine expansionisti-
185 Russell, Pictures of Southern Life, 30.04.1861, 3. 186 Russell, Diary North and South, 82. Mit besorgtem Unterton vermerkte Russell des weiteren: „Indeed there is some truth in it [der King Cotton-Doktrin, H. L.], in so far as we year after year […] have been working up a manufacture on which four or five millions of our population depend for bread and life, which cannot be carried on without the assistance of a nation, that may at any time refuse us an adequate supply, or be cut off from giving it by war […]. The dependence of such a large proportion of the English people on this sole article of American cotton is fraught with the utmost danger to our honor and to our prosperity. Here were these Southern gentlemen exulting in their power to control the policy of Great Britain, and it was small consolation to me to assure them they were mistaken; in case we did not act as they anticipated, it could not be denied Great Britain would plunge an immense proportion of her people - a nation of manufacturers - into pauperism, which must leave them dependent on the national funds, or more properly on the property and accumulated capital of the district.“ 187 Ebd., 92. 188 Vgl. dazu o. 295 f. 189 Zu Bunch und seinem guten Verhältnis zu Außenminister Russell vgl. Walther, William L. Yancey and the Coming of the Civil War, 301; Berwanger, British Foreign Service, 49 ff. 190 Vgl. Hope, American Disruption, 39. Zum englischen Davis-Bild vgl. auch Peyton, American Crisis, 39: „The comic papers represented Mr. Davis as a fine old English gentleman, only a little desiccated by the dry atmosphere of America, smoking his cigar and taking the world easy“ (Hervorhebung im Original).
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IV. Die Konföderation und England, 1861–1865
sche und aggressive Politik zu erwarten sei.191 Über Außenminister Toombs bemerkte er spitzzüngig, „his talents do not lie in the line of Diplomacy, as he is a violent and impulsive man“.192 Abgesehen vom Präsidenten erhebe sich keiner der südstaatlichen Politiker „above that dead level of mediocrity to which the popular institutions of this Republic seem to have condemned its political leaders“.193 Ließ er sich in seinen Betrachtungen also ohnehin schon von anti-amerikanischen Ressentiments leiten, musste ihn die Kraftmeierei der Konföderierten in auswärtigen Angelegenheiten umso mehr erregen: „Their exaggerated idea of the importance of the Southern States to Great Britain is really ludicrous. It actually amounts to the belief […] that to withhold the supply of cotton for one year, would be to plunge England into a revolution which would alter the whole condition of her existence.“194 Zweifellos waren Bunchs Einschätzungen aus dem Herzen des South Carolina-Extremismus durch Misstrauen, Abneigung und Sorge gekennzeichnet. Dennoch scheint er die Tatsache, dass der Süden seine Unabhängigkeit etabliert hatte, nicht hinterfragt zu haben.195 Es bleibt festzuhalten, dass sich die englische Wahrnehmung vom Konflikt in Amerika nach anfänglicher Verunsicherung und Empörung durchaus zugunsten der Südstaatler verschob. Die Ausklammerung der Sklaverei aus den Kriegszielen des Nordens spielte der Konföderation in die Hände, da sie so ihr Selbstbild als eine um Unabhängigkeit ringende Nation plausibler nach außen präsentieren konnte. Nachdem mit der Sklavenfrage eine moralische – oder besser: öffentlich besonders sensible – Komponente britischer Amerikapolitik fürs Erste in den Hintergrund getreten war, konzentrierte sich London auf die politisch-ökonomischen Probleme, die durch den Krieg aufgeworfen wurden. Zunächst überwogen solche Faktoren, die eine strikte Neutralität geboten erschienen ließen. „We have not been involved in any way in that contest“, konstatierte Lord John Russell am 2. Mai 1861 im House of Commons, „and, for God’s sake, let us if possible keep out of it!“196
191 Bunch an Russell, 28.02.1861, in: Adams, British Proclamation, 206–208, hier 206. 192 Ebd., 207. Bunch betrachtete ihn als „secessionist of the worst kind. I view his appointment as an unfortunate one, as it gives him practically the controul [sic!] of the foreign policy of the Confederacy“. Wie er zutreffend prognostizierte: „It is hoped, however, that he will not hold office long.“ 193 Ebd. 194 Bunch an Russell, 21.03.1861, in: Adams, British Proclamation, 208–210, hier 210. 195 Vgl. so Adams, British Proclamation, 212. 196 Lord John Russell, House of Commons, 02.05.1861, in: Hansard’s Parliamentary Debates, Bd. CLXII, 1379 (Hervorhebung durch den Verf.). Russell fügte aber einschränkend hinzu, dass „nothing but the imperative duty of protecting British interests in case they should be attacked justifies the Government in at all interfering“. Ebd., 1378 f.
2. 1861: Die Neutralität als Ehrverletzung
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2. 1861: DIE NEUTRALITÄT ALS EHRVERLETZUNG Auftakt: Die Yancey-Kommission in London Dass ausgerechnet der Sezessionist William Lowndes Yancey dazu berufen wurde, die Anerkennung der Konföderation in Europa entgegenzunehmen, quittierten skeptische Zeitgenossen – zumindest unter der Hand – mit Kopfschütteln. Mary Boykin Chesnut197, die Ehefrau des ehemaligen Senators und Davis-Beraters James Chesnut, notierte im August 1861: „Send a man to England who had killed his father-in-law in a street brawl! That was not knowing England or Englishmen, surely. Who wants eloquence? We want somebody who can hold his tongue. People avoid great talkers […] as they would fire, famine, or pestilence.“198 In Mary Chesnuts Kritik klang die Meinung an, eine Figur, die ihr Leben lang politische Leidenschaften geschürt hatte, sei für einen diplomatischen Posten kaum geeignet.199 Zudem war Yancey in den vergangenen Jahren immer wieder für die Legalisierung des atlantischen Sklavenhandels eingetreten. Für Jefferson Davis, der davon überzeugt war, die englischen Interessen würden die Anerkennung des Südens von selbst herbeiführen, überwog aber der Wunsch, diesen unberechenbaren Sezessionisten auf einen fernen Posten abzuschieben.200 In London sah man Yanceys Ankunft mit Skepsis entgegen. Konsul Bunch, auf dessen Urteil Außenminister Russell Wert legte, hatte schon vorab berichtet, er sei „impulsive, erratic and hot-headed; a rabid secessionist, a favourer of a revival of the slave trade and a ‘Filibuster’ of the extremest type of ‘manifest destiny’“.201 Auch die anderen Entscheidungen der Regierung sprechen nicht für eine überlegte Personalpolitik. John Slidell hatte dem Präsidenten zunächst eine Absage erteilt. So verfiel Davis neben Ambrose Dudley Mann – immerhin vormaliger Konsul und Außenamtsmitarbeiter unter Franklin Pierce – auf Pierre Rost aus Louisiana, mit dem er über seinen Bruder Joseph Davis lose bekannt war.202 197 Mary Chesnut gehörte während der Kriegsjahre zum engeren gesellschaftlichen Umfeld der Davis-Familie. Die klassischen Editionen ihres bemerkenswerten Tagebuches stammen von 1905 und 1949, beruhen jedoch auf einer Fassung, die erst in den 1880er Jahren zusammengestellt wurde. Die authentischen Dokumente aus der Kriegszeit sind ediert bei Vann Woodward (Hg.), Mary Chesnut’s Civil War. 198 Ebd., 177. Zu Yanceys Mordprozess vgl. o. 210. 199 „Diplomat Yancey seemed like an oxymoron.“ Walther, William L. Yancey and the Coming of the Civil War, 298. 200 Vgl. Walther, Fire-Eaters, 69 f., 217; Nevins, Prologue to Civil War, 34 ff.; McCardell, Southern Nation, 136 f. 201 Bunch an Russell, 21.03.1861, in: Adams, Proclamation, 208–212, hier 209. 202 Mit Blick auf Rost wurde Paul P. De Bellet, einem in Frankreich lebenden Südstaatler aus New Orleans, vorgehalten: „Has the South no sons capable of representing
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IV. Die Konföderation und England, 1861–1865
Gemäß ihrer Instruktionen vom 12. März 1861 sollten die Beauftragten von London über Paris nach Brüssel und Sankt Petersburg reisen, um die diplomatische Anerkennung dieser Staaten in Empfang zu nehmen. Zwar registrierte das State Department die herausragende Bedeutung Großbritanniens und stellte die Instruktionen ganz auf die Gesprächsstrategie in London ab. Dennoch glichen die Vorgaben weniger einem außenpolitischen Strategiekonzept als vielmehr einer ausführlichen Begründung des südstaatlichen Nationalitätsanspruchs: The Confederate States […] present themselves for admission into the family of independent nations and ask for that acknowledgment and friendly recognition which are due to every people capable of self-government and possessed of the power to maintain their independence. […] It is the confident expectation of the President and people of the Confederate States that the enlightened Government of Great Britain will speedily acknowledge our independence and welcome us among the nations of the world.203
Mit Verweis auf das britische Wohlwollen gegenüber der Einigung Italiens bekräftigte der Außenminister seine Forderung, das Anerkennungsrecht von Staaten dürfe nicht mit zweierlei Maß gemessen werden.204 Diese Ehrsprache ging allerdings nahtlos in die machiavellistischen Annahmen der Baumwolldoktrin über. Der Linie des Präsidenten folgend, wies Toombs die Beauftragten an, die Unterbrechung der Baumwolllieferungen mit einem „delikaten Hinweis“ anzudeuten.205 All ihrer Defizite zum Trotz war die Yancey-Kommission keineswegs von Beginn an zum Scheitern verurteilt.206 Bereits am 3. Mai erhielten die Gesandten Gelegenheit, ihre Sache in einem inoffiziellen Gespräch bei Lord John Russell vorzutragen.207 Charles Francis Adams, der neue US-Gesandte am Hofe von St. James, befand sich zu diesem Zeitpunkt noch auf dem Weg nach London, was den Konföderierten einen taktischen Vorteil bescherte. Bedeutsam war das, weil der Ausbruch der Feindseligkeiten die latente Bedrohung britischer Interessen nun akut werden ließ. Am 17. April, fünf Tage nach den Schüssen auf Fort Sumter, hatte Davis die Ausstellung von Kaper-
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your country?“ Hoole (Hg.), De Bellet, Diplomacy of the Confederate Cabinet, 30. Vgl. auch Van Doren Stern, When the Guns Roared, 42. Toombs an Yancey, Rost u. Mann, 16.03.1861, in: O.R.N., Ser. II, Bd. 3, 191–195, hier 193. Vgl. ebd., 195. Zur Unterstützung der italienischen Einigungsbewegung seitens der Palmerston-Regierung vgl. Beales, England and Italy. Für einen systematischen Vergleich zwischen Risorgimento und Südstaatennationalismus im 19. Jahrhundert vgl. Doyle, Nations Divided. Toombs an Yancey, Rost u. Mann, 16.03.1861, in: O.R.N., Ser. II, Bd. 3, 191–195, hier 195. Vgl. so Walther, William L. Yancey and the Coming of the Civil War, 302. Arrangiert wurde der frühe Gesprächstermin von William Gregory, einem der wichtigsten Unterstützer des Südens in Großbritannien. Zu Gregory vgl. Jenkins, Champion of the Confederacy; ders., William Gregory of Cole.
2. 1861: Die Neutralität als Ehrverletzung
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briefen für private Freibeuter verkündet, die weltweit Jagd auf nordstaatliche Handelsschiffe machen sollten.208 Kurz darauf proklamierte Lincoln die Absicht seiner Regierung, konföderierte Kaper als rechtlose Piraten zu betrachten und die Küste der Südstaaten mit einer Seeblockade zu belegen.209 Die Eskalation warf ökonomische und völkerrechtliche Probleme auf, die es für Russell ratsam erschienen ließen, die Haltung des Südens genauer kennen zu lernen. Yancey machte allerdings keine Anstalten, dem besorgten Außenminister eine Zusammenarbeit bei der Stabilisierung der atlantischen Handelsbeziehungen anzubieten, was überdies auch den Prämissen der Baumwolldoktrin widersprochen hätte. Anstatt auf die jüngste Zuspitzung einzugehen, referierte er die vom State Department aufgeschriebenen Argumente so detailgetreu, dass er noch nicht einmal vor der durch den Kriegsausbruch reichlich überholten Feststellung zurückschreckte, die konföderierte Regierung habe sich etabliert, „without shedding a drop of blood“.210 So waren seine Ausführungen einerseits von einem ethischen Politikverständnis durchzogen: „The disposition of our Government to act upon the defensive, and to cultivate peace and amity with the nations of the earth, were set before his lordship.“ Hieraus wurde der britischen Regierung die Pflicht auferlegt, „that it should recognize the independence of the Confederate States of America at an early date“. Andererseits scheint Yancey den „delikaten Hinweis“ auf die Baumwollfrage nicht ausgelassen zu haben. Zumindest leitete er die Anerkennungsforderung nicht nur aus den Geboten einer ethischen Politik, sondern auch aus den „industriellen Interessen insgesamt“ ab.211 Auf dem schmalen Grat zwischen Ehr- und Erpressungsrhetorik balancierend, boten die Ausführungen keinerlei kooperativen Ansatz, den die britische Regierung hätte aufgreifen können. Die kühle Reaktion Russells, der dem Vortrag „mit offensichtlicher Betretenheit“212 gefolgt war und schon eingangs darauf hingewiesen hatte, „dass er
208 Vgl. Proklamation Jefferson Davis’ v. 17.04.1861, in: Richardson (Hg.), Messages and Papers of the Confederacy, Bd. 1, 60–62. 209 Vgl. Lincolns Blockadeproklamation v. 19.04.1861, in: Basler (Hg.), Collected Works of Lincoln, Bd. 4, 338–339, hier 339. 210 Yancey u. Mann an Toombs, 21.05.1861, in: O.R.N., Ser. II, Bd. 3, 214–216, hier 214. 211 Alle Zitate: ebd., 215. 212 Peyton, American Crisis, 24. John Lewis Peyton, ein Jurist aus Virginia, stieß erst im Herbst 1861 als Mitarbeiter zur Kommission in London. Vgl. ebd., 2. Seine 1867 aufgeschriebene Schilderung des Gesprächs mit Russell dürfte auf die Überlieferung Yanceys oder Manns zurückgegangen sein (Rost hielt sich zu diesem Zeitpunkt in Paris auf). Peytons Schilderung deckt sich freilich nicht mit der optimistischen Einschätzung, wie sie unmittelbar nach dem Treffen wiedergegeben wurde. Vgl. Yancey u. Mann an Toombs, 21.05.1861, in: O.R.N., Ser. II, Bd. 3, 214. In seinem zeitnah niedergeschriebenen Tagebucheintrag notierte Yancey, er habe „günstige Eindrücke“ auf den Außenminister gemacht. Hoole (Hg.), William L. Yancey’s European Diary, 137. Möglicherweise ist Yanceys Überlieferung an Peyton vom Herbst 1861 unter dem Eindruck des
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unter den derzeitigen Umständen nur wenig zu sagen haben dürfte“213, gab denn auch keinen übertriebenen Anlass zur Ermutigung.214 Nur wenige Tage später, am 9. Mai, erhielten sie allerdings Gelegenheit zu einem zweiten – und wie sich zeigen sollte: letzten – Gespräch. Zwischenzeitlich waren sie in den Besitz eines Berichts gelangt, den Toombs unter dem Eindruck der Feindseligkeiten in Charleston am 24. April angefertigt hatte. Hierin bemühte sich der Außenminister aber nicht um eine Neubewertung der internationalen Lage oder gar eine Revision der bisherigen Strategie, sondern lieferte eine minutiöse Rekonstruktion der Sumter-Krise, um den Nachweis zu erbringen, dass der Krieg den Konföderierten Staaten „aufgezwungen“ worden sei.215 Als einzig verwertbare Information gab er die Garantie von sich, in der Formulierung der Kaperbriefe für konföderierte Freibeuter, wie sie Präsident Davis am 17. April angekündigt hatte, eine Passage für den Schutz neutraler Handelsschiffe einzuflechten.216 In der Audienz vom 9. Mai, die in die Vorbereitungen der britischen Neutralitätsproklamation fiel, deutete Lord John Russell an, mit den Regierungen in Washington und Montgomery über die Blockade und die Freibeuterproblematik verhandeln zu wollen.217 Anstatt die darin angelegte Statuserhöhung aufzugreifen und weiterzuentwickeln, wusste Yancey freilich nicht mehr zu tun, als Toombs’ weitschweifiges Rechtfertigungsschreiben wörtlich zu verlesen.218 Den ergebnislosen, im Lichte der ursprünglichen Erwartungshaltung sogar enttäuschenden Verlauf der beiden Gespräche erklärten sich die Südstaatler in den vertrauten Kategorien vom Machiavellismus und dem Eigennutz der Entscheidungsträger: „Our opinion is that the British cabinet have no settled policy as to the recognition of our Government“, berichteten sie am 1. Juni an das State Department. Zu der mit der Neutralität ausgesprochenen Zuerkennung des Kriegführendenstatus219 würden die Briten zwar stehen. Dennoch seien sie entschlossen, „[to] postpone a decision as to a recognition of the independence
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damals absehbaren Scheiterns der Mission zu bewerten, während die positiveren Einträge die Erfolgserwartung im Frühjahr widerspiegeln. Yancey u. Mann an Toombs, 21.05.1861, in: O.R.N., Ser. II, Bd. 3, 214–216, hier 214. Stattdessen verlieh der Außenminister seiner Sorge über eine mögliche Wiedereröffnung des afrikanischen Sklavenhandels Ausdruck. Im Bericht der Kommission an das State Department findet die Episode keine Erwähnung, wohl aber in der von Russell verfassten Zusammenfassung des Gesprächs für Lyons. Vgl. Russell an Lyons, 11.05.1861, in: BDFA, Teil I, Ser. C, Bd. V, 199. Toombs an Yancey, Rost u. Mann, 24.04.1861, in: O.R.N., Ser. II, Bd. 3, 198–202, hier 201. Vgl. ebd. Aufgrund der faktischen Autonomie dieser Kaper besaß das State Department aber keine wirklichen Sanktionsmittel, um eine solche Entwicklung zu unterbinden. Toombs’ Zusage hatte also kaum Gewicht. Vgl. Yancey, Rost u. Mann an Toombs, 01.06.1861, in: ebd., 219–221, hier 219. Vgl. ebd. Vgl. u. 323 f.
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of these States as long as possible, at least until some decided advantage is obtained by them or the necessity for having cotton becomes pressing“.220 Dass Yancey das Verhalten der Londoner Regierung mit negativen Englandbildern kommentierte, heißt aber keineswegs, er habe die Hoffnung auf eine Intervention der Briten aufgegeben.221 Ganz im Gegenteil: Seine Selbstsicherheit speiste sich aus der Überzeugung, das fait accompli der südstaatlichen Unabhängigkeit müsse aus machtpolitischen oder ökonomischen Gründen zur Anerkennung führen. Weil er in Whitehall die gewünschte Anerkennung nicht erhielt, artikulierte sich Yancey in den öffentlichen Foren, die ihm von englischen Südstaatenfreunden bereitgestellt wurden. Bereits am 9. Mai hatte er auf Einladung des Schifffahrtsmagnaten William S. Lindsay auf der Peer’s Gallery des House of Commons Platz genommen und war verschiedenen Parlamentsmitgliedern vorgestellt worden. Von diesen lieferte ihm einer allerdings ein Beispiel für die polarisierende Wirkung des Bürgerkrieges, als er zu verstehen gab, dass er die Sklaverei für eine „Sünde halte“ und glaube, Gott würde „seinen Unmut über den Süden“ zeigen.222 Die Aufnahme durch Sympathisanten scheint solche Invektiven aber ausgeglichen zu haben. Über Lindsay knüpfte Yancey Kontakte zu den Abgeordneten John Arthur Roebuck und John Laird, dessen Schiffsbaufirma 1862 den konföderierten Kriegskreuzer C. S. S. Alabama bauen sollte. Auch als ihn das Ausbleiben der Intervention im Jahresverlauf zusehends frustrierte, sprach er bei den gesellschaftlichen Anlässen, die zu seinen Ehren ausgerichtet wurden, eine andere Sprache als in seiner Korrespondenz mit dem Außenministerium. Im Herbst 1861 erhielt er die Einladung zu einem Abendessen in der Fishmonger’s Hall an der London Bridge.223 Auf einem Ehrenplatz zur Rechten des Prime Warden der Fischhändlergilde platziert, knüpfte Yancey in einer kurzen Rede das nationale Selbstbild des Südens an eine Reihe von anglophilen Assoziationen. Den Regeln der Ehrkultur gehorchend, brachte er für die Anerkennung des Südens als kriegführende Partei224 ein „tiefes Gefühl der Dankbarkeit“ zum Ausdruck: „From no other power could it have 220 Yancey, Rost u. Mann an Toombs, 01.06.1861, in: O.R.N., Ser. II, Bd. 3, 219–221, hier 220. Neun Tage später berichteten Yancey und Rost: „Our opinion is that the Government of England simply waits to see which shall prove strongest, and that it is sincere in its expressed design to be neutral.“ Yancey u. Rost, 10.06.1861, in: ebd., 221. 221 Vgl. so ganz deutlich Yancey u. Mann an Toombs, 15.07.1861, in: ebd., 221–225, bes. 223. 222 Hoole, Yancey’s European Diary, 138. Bei dem zitierten Sklavereikritiker handelt es sich um Edward Ball, Abgeordneter für Cambridgeshire. 223 Zum Anlass der Rede vgl. Peyton, American Crisis, 2–12. Nach eigenen Angaben traf Peyton sechs Monate nach Yancey in London ein, d. h. Mitte Oktober. Daher kann sie grob auf den Herbst 1861 datiert werden. Vgl. Peyton, American Crisis, 2. 224 Die Anerkennung des Kombattantenstatus für den Süden war Teil der Neutralitätsproklamation vom Mai 1861. Vgl. u. 324,
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come so gracefully. In this, ‚the old country’, the principle of self-government is recognised and practised, however blended with the prerogatives of the Crown and the privileges of the aristocracy.“225 Mit Hilfe solch primordialer Analogien konstruierte er eine anglo-konföderierte Interessengleichheit, die nur durch die Eroberungslust des Gegners gestört wurde: „The North, in its pride, will not admit that to be a fact […] which Old England, followed by the first Powers of Europe, has recognised.“226 Man gewinnt hier den Eindruck, Yancey habe die (erfolgte) Anerkennung des Kombattantenstatus und die (nicht erfolgte) diplomatische Anerkennung vorbehaltlos in eins gesetzt. Weil er das eine tatsächlich als notwendige Folge des anderen betrachtete, glaubte er Spielräume für eine nationale Ehrrhetorik zu besitzen, welche die Permanenz der südstaatlichen Unabhängigkeit betonte und die Rolle auswärtiger Mächte marginalisierte: „So much has been said about our efforts to obtain foreign intervention, that I may be allowed to declare emphatically that the Confederate States have neither sought nor desired it. They can maintain their independence intact by their own.“227 Aus Yanceys Bemerkungen spricht die Überzeugung, die Neutralität der Engländer sei nur vorübergehender Natur. Die Anerkennung des Kriegszustandes in Amerika las er als Ehrbezeugung, eine dauerhafte Neutralität hingegen als Ehrverletzung. Probleme der Neutralität „Wer neutral bleibt, muss sich den Hass des Unterlegenen und die Geringschätzung des Siegers zuziehen.“228 Tatsächlich entsprangen der britischen Neutralität Missverständnisse und Spannungen, welche die anglo-amerikanischen Beziehungen noch über Jahre hinaus vergiften sollten. Englands Unparteilichkeit gegenüber den verfeindeten Parteien geriet durch den Konflikt in Amerika mehrfach ins Wanken und musste immer wieder neu durchdacht werden. War sie politisch auch umstritten, so ruhte die Formulierung der Neutralität doch auf einem soliden völkerrechtlichen Fundament. Entscheidende Bedeutung fiel hier der Frage nach dem Charakter des Konfliktes zu. Naturgemäß leugnete die Union den Souveränitätsanspruch des Südens und begriff seine Staatsgründung als Rechtsbruch, dessen Ahndung nur der verfassungsmäßigen Autorität in Washington oblag. Das Völkerrecht orientierte sich bei der Definition eines Kriegszustandes jedoch zunächst an den Tatsachen und stellte Kriterien auf, die auch im Bürgerkrieg zwischen rechtlosem Aufruhr 225 226 227 228
Peyton, American Crisis, 4. Ebd., 8. Ebd., 7. Niccolò Machiavelli an Francesco Vettori, 10.12.1514, in: Leo (Hg.), Briefe des Machiavelli, 156–171, hier 168.
2. 1861: Die Neutralität als Ehrverletzung
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und organisiertem Waffengang unterschieden.229 Für letzteren Fall galt: „[T]he contending parties are legally entitled to be treated as if they are engaged in war waged by two sovereign States.“230 Die Mobilisierung der Armeen auf dem amerikanischen Kontinent ließ das Foreign Office zu dem Schluss kommen: „[C]ivil war […] has broken out between the several states of the late Union, for the present at least those States have separated into distinct Confederacies, and, as such, are carrying on war against each other.“231 Schon aus Gründen der juristischen Absicherung lag es für die Regierung nahe, auf diese Bestandsaufnahme mit der Erklärung strikter Neutralität bei gleichzeitiger Anerkennung der Kontrahenten als Kombattanten zu reagieren. Rasches Handeln war aber vor allem deshalb geboten, weil die Kriegseskalation völkerrechtliche Probleme aufwarf, die England in den Konflikt zu involvieren drohten. Gestritten wurde etwa über die Rechtsnatur der von Präsident Lincoln angekündigten Seeblockade.232 Wie in solchen Fällen üblich, lagen dem Plan zunächst einmal militärische Erwägungen zu Grunde.233 Das Blockadeinstrument hatte sich in der Staatenwelt seit dem ausgehenden 16. Jahrhundert zu einem obligatorischen Mittel der Seekriegsführung entwickelt.234 Es versperrte Handelsschiffen unter neutraler Flagge die Einfahrt in blockierte Häfen und lieferte ihre Ladung bei Beschlagnahmung der blockierenden Macht aus.235 Gerade die englische Regierung hatte sich dieser Methode immer wieder bedient. So erklärte die britische Marine feindliche Häfen für blockiert, ohne das vor Ort mit einer hinreichenden Flottenpräsenz auch durchzusetzen und brachte stattdessen neutrale Schiffe auf, die eines potentiellen Blockadebruchs auch nur verdächtig erschienen.236 Durch die Praxis solcher „fiktiven“ oder „papierenen“ Blockaden wurde der ökonomische Austausch in Kriegszeiten systematisch unterbunden und Konflikte zwischen kriegführenden und 229 Zu den rechtlichen Grundlagen für die Anerkennung eines Kriegszustandes mit Blick auf Bürgerkriege vgl. Vattel, Droit de gens, Buch III, Kap. XVIII, §§ 292, 293, 294, und Wheaton, Elements of International Law, Kap. IV, § 296. 230 Lauterpacht, Recognition in International Law, 175 (Hervorhebung durch den Verf.). 231 Russell an Lyons, 06.05.1861, in: BDFA, Teil I, Ser. C, Bd. V, 193–194, hier 193. 232 Lincoln hatte zunächst nur die Absicht proklamiert, eine solche Blockade zu installieren, die dann – wie Seward gegenüber Lyons am 2. Mai erläuterte – auf lokaler Ebene verkündet und implementiert werden sollte. Vgl. Lyons an Russell, 02.05.1861, in: British Parliamentary Papers, Bd. 16, 21–44, hier 23. Dennoch ergab sich aus der Perspektive Londons Handlungsbedarf, da für künftige Übergriffe auf die neutrale Schifffahrt eine eindeutige Rechtsposition vertreten werden musste. 233 Vgl. allgemein Heintschell von Heinegg, Neutralität im Seekrieg, 415. 234 Vgl. im Überblick jetzt Davis / Engerman, Naval Blockades in Peace and War. 235 Das galt auch unabhängig von der Konterbande-Eigenschaft der Fracht. Vgl. Vattel, Droit de gens, Buch III, Kap. VII, § 117. Vgl. auch Heintschell von Heinegg, Naval Blockade, 205; Johnson, Investment by Sea, 45. 236 Vgl. Graebner, Struggle for Neutrality, 49; Colombos, Internationales Seerecht, 605 f.; Hall, International Law, Teil I, Kap. IV, § 81; Pieper, Neutralität von Staaten, 158.
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neutralen Mächten geschürt.237 Erst im Jahre 1856 verständigten sich England und die kontinentaleuropäischen Mächte in Paris auf einen verbindlichen Kanon für die Regeln des Seekrieges. Die Pariser Seerechtsdeklaration stärkte die Position der Neutralen. Sie erklärte „Papierblockaden“ für völkerrechtswidrig und bestimmte stattdessen: „[B]lockades, in order to be binding, must be effective, that is to say, maintained by a force sufficient really to prevent access to the coast of the enemy.“238 Das Kriterium der Effektivität einer Blockade wurde damit zum Prüfstein ihrer Rechtmäßigkeit – eine genauere Definition dessen, was als effektiv anzusehen war, blieb jedoch aus. Da keine Flotte der Welt einen weitläufigen Küstenstrich wirklich ganz abzuriegeln in der Lage war, oblag die Beurteilung der rechtlichen Legitimität den neutralen Akteuren im jeweiligen Einzelfall.239 Dessen ungeachtet gab die Verhängung einer Seeblockade den Konflikten ein internationales Antlitz; sie implizierte die Anerkennung rechtlicher Standards, die sowohl Kriegführenden als auch Neutralen Pflichten auferlegten.240 Lincoln tat mit seiner Proklamation genau dies, wohl wissend, dass alles andere in den Augen der Briten „eine Papierblockade der schlimmsten Art“241 darstellen und eine Intervention zur Öffnung der südstaatlichen Häfen rechtfertigen würde. Diese Konzession an Zwänge der äußeren Politik widersprach freilich seiner Lesart der Krise – schließlich wurde im Sinne des Völkerrechts die Küste eines gegnerischen Staates blockiert, nicht die Häfen aufständischer Rebellen.242 Dies stellte die gesamte Argumentation der Union auf tönerne Füße. Politisches Ungemach versprach vor allem die Tatsache, dass die USMarine bei weitem noch nicht über die Flottenstärke verfügte, um die angekündigte Blockade effektiv umzusetzen.243 Hierin lag nicht nur eine offene Flanke der nordstaatlichen Rechtsposition, sondern ein schwerwiegendes Problem für die Absicherung der britischen Neutralität.
237 Zu den „Papierblockaden“ vgl. Woolsey, International Law, § 202; Jessup / Deák, Neutrality, Bd. I, 105–123. 238 Art. 4 der Pariser Seerechtsdeklaration, in: Moore, Digest of International Law, Bd. VII, 562. 239 Vgl. Heintschell von Heinegg, Neutralität im Seekrieg, 419; ders., Naval Blockade, 207. 240 Vgl. Stark, Abolition of Privateering, 375 f.; Soley, Blockade and the Cruisers, 30 f. 241 Lyons an Russell, 15.04.1861, in: Newton, Lord Lyons, Bd. I, 36–37, hier 36. 242 Vgl. Wheaton, Elements of International Law, Kap. IV, § 523; Falk, International Law of Civil War, 46 f. 243 Vgl. Lyons an Russell, 02.05.1861, in: British Parliamentary Papers, Bd. 16, 21–24, hier 23. Für die Kontrolle einer fast 3.600 Meilen langen Küste mit unzähligen Buchten, Flüssen und Meeresarmen konnte die U. S. Navy im April 1861 gerade einmal vierzig Dampf- und fünfzig Segelschiffe aufbieten, von denen ein guter Teil betriebsunfähig oder über die Weltmeere verstreut war. Vgl. ausführlich Owsley, Freedom of the Seas, 196 f.; Soley, Blockade and the Cruisers, 34 f.; Anderson, Blockade vs. Closing Confederate Ports, 191.
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Unklar war aus englischer Sicht auch der künftige Umgang mit den südstaatlichen Freibeutern, die sich bei der Plünderung ziviler Handelsschiffe auf regierungsamtliche Kaperbriefe aus Richmond berufen konnten und damit den völkerrechtlichen Schutzstatus in Anspruch nehmen würden, der sie vor der Verfolgung als Piraten und Verbrecher bewahrte.244 1856 hatten die Mächte in Paris verfügt: „[P]rivateering is, and remains, abolished.“245 Aus diesem Grund waren die Vereinigten Staaten, die als schwache maritime Macht ihr einziges Mittel für eine effektive Seekriegsführung nicht preisgeben wollten, der Vereinbarung ferngeblieben.246 1861 fühlte sich die Konföderation an das Freibeutergebot nicht gebunden und pochte auf das traditionelle Privileg, ihre Staatsbürger mit rechtskräftigen Kaperbriefen auszustatten. Umgekehrt stellte die Lincoln-Administration genau das in Abrede und bekundete ihre Absicht, die gefangenen Freibeuter notfalls mit dem Tode zu bestrafen. In den Augen der Engländer war die Rechtslage aber keineswegs so eindeutig. Welchen Status besaß ein Freibeuter, so fragten sie sich, der unter der Flagge einer nicht anerkannten Macht segelte?247 Lord John Russell beschrieb dieses Dilemma am 6. Mai im House of Commons folgendermaßen: „A Power or a community (call it which you will) which was at war with another, and which covered the sea with its cruisers, must either be acknowledged as a belligerent, or dealt with as a pirate.“ Angesichts der Überzeugung des Foreign Office, dass die Auseinandersetzungen in Amerika den Charakter eines de facto-Krieges angenommen hätten, lag letztlich doch nur eine Schlussfolgerung auf der Hand: „[T]he Southern Confederacy of America […] must be treated as a belligerent.“248 244 Vgl. Wheaton, Elements of International Law, Kap. IV, § 358. Vgl. Adams, Seward and the Declaration of Paris, 10; Bowles, Declaration of Paris, 93 f.; Bernard, Neutrality, 118 f. Vgl. auch Weitz, Confederacy on Tiral. 245 Art. 1 der Pariser Seerechtsdeklaration, in: Moore, Digest of International Law, Bd. VII, 562. 246 Washington forderte 1856 als Bedingung für einen Beitritt zur Seerechtsdeklaration die Immunisierung aller Handelsgüter auf hoher See, die nicht den üblichen Konterbande-Kriterien entsprachen. Weil das Durchsuchungsrecht auf den Meeren damit stark eingeschränkt worden wäre, stellte sich die Seemacht Großbritannien gegen diese Forderung. Infolgedessen verweigerten die USA die Unterschrift unter das Dokument und bestanden weiterhin auf der Anerkennung der Freibeuterei als legitimen Mittel der Seekriegsführung. Neben dem Effektivitätsprinzip für Blockaden wurde in der Deklaration verfügt, dass feindliche Güter auf neutralen Schiffen („Frei Schiff – Frei Gut“) für die Kriegführenden ebenso unantastbar waren wie neutrale Güter auf feindlichen Schiffen („Unfrei Schiff – Frei Gut“), sofern sie keinen Konterbande-Charakter aufwiesen. Zur Beschlagnahmung freigegeben blieb indes feindliche Ladung unter feindlicher Flagge. Vgl. Art. 2 u. 3 der Pariser Seerechtsdeklaration, in: Moore, Digest of International Law, Bd. VII, 562. 247 Vgl. Lyons an Russell, 12.04.1861, in: Newton, Lord Lyons, Bd. I, 225–227, hier 225. 248 Alle Zitate: Hansard’s Parliamentary Debates, Bd. CLXII, 06.05.1861, 1566.
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Innerhalb weniger Tage verdichtete sich diese Absichtserklärung des Außenministers zur zielstrebig ausgearbeiteten Regierungspolitik. Am 14. Mai wurde in der London Gazette die Neutralitätsproklamation Königin Viktorias offiziell verkündet.249 Alles in allem handelten die Briten äußerst rasch in der Hoffnung, so die rechtlichen Fährnisse des aufziehenden Krieges zur See unbeschadet zu überstehen. Die Neutralität als klar definierte Rechtsfigur sollte Unklarheiten vorzeitig beseitigen, englische Interessen bestmöglich schützen und zuallererst jedwede Involvierung in den Konflikt verhindern.250 Weder Nord- noch Südstaatler waren allerdings in der Lage, die Hintergründe der Neutralitätsproklamation zu erkennen. Auf dem amerikanischen Kontinent tobte ein Krieg der Ideologien und Prinzipien, in dem jede Seite für sich in Anspruch nahm, für ein höheres, abstraktes Recht zu streiten. Unionisten und Konföderierte „beteuerten, für die Freiheit zu kämpfen“.251 Ihr Konflikt war derart im Grundsätzlichen angesiedelt, dass sie der abseitigen Neutralität Englands mit Entrüstung begegneten und die wahren Motive ihrer Formulierung völlig falsch interpretierten. Sie sahen in der Neutralität nicht das, was sie wirklich war, nämlich einen grundsätzlichen Gegenentwurf zur Intervention, sondern begriffen sie vielmehr als deren Nährboden, als Auftakt und Vorstufe des Eingreifens in Form der diplomatischen Anerkennung des Südens. Die Nichtparteinahme in einem Krieg um Freiheit oder Tyrannei, das war eine Option, die sie einfach nicht durchdenken konnten. Um zu verstehen, warum der Norden von dieser Ausgangslage letztlich mehr profitierte als der Süden, muss die teils verwegene, auf jeden Fall aber flexiblere Außenpolitik Washingtons kurz umrissen werden. Zunächst war die Lincoln-Administration sehr verbittert über die scheinbar unfreundliche, ja feindselige Neutralitätserklärung.252 Einmal mehr einen aggressiven Tonfall anstimmend, verfasste Außenminister Seward am 21. Mai eine Depesche für Charles Francis Adams, die im Falle der Anerkennung des Südens ganz
249 Vgl. BDFA, Teil I, Ser. C, Bd. V, 203–205. 250 Die Anerkennung des konföderierten Kombattantenstatus entsprang keineswegs machiavellistischen Motiven, sondern war eine legitime Reaktion auf die Eskalation des Seekrieges: „When the war extends to the sea, it is almost inevtable that any state which possesses a mercantile marine will be compelled to make a decision for or against the recognition of the rebels. In such circumstances […] other states are within their rights in declaring themselves neutral, and since there can be no neutrals unless there are two belligerents, such a declaration is equivalent to the recognition of belligerency of both parties.“ Brierly, Law of Nations, 141 f. 251 McPherson, Für die Freiheit sterben, vii. Vgl. auch auf die zivilreligiöse Dimension des Nord- und Südstaatennationalismus hinweisend jetzt Stout, Upon the Altar of the Nation. 252 Vgl. Adams an Seward, 17.05.1861, in: Papers Relating to Foreign Affairs, 1861, 85–87; Adams an Seward, 21.05.1861, in: ebd., 90–96; Russell an Lyons, 21.05.1861, in: BDFA, Teil I, Ser. C, Bd. V, 218–219, hier 219.
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unverhohlen mit Krieg drohte.253 Die Aggressivität seiner „verzweifelten Diplomatie“254 wurde in der Vermittlung durch Adams aber erheblich abgemildert.255 Überhaupt war Adams als Gesandter am Hofe von St. James ein Glücksfall für die Union.256 Mit Augenmaß und Taktgefühl vertrat er den Standpunkt des Nordens in London, ohne es dabei an Entschlossenheit in der Sache vermissen zu lassen. So holte er von Außenminister Russell die Versicherung ein, dass die Neutralitätsproklamation in keinem kausalen Zusammenhang zu einer diplomatischen Anerkennung des Südens stehe. Mit Blick auf die konföderierten Beauftragten ließ Russell wahrheitsgemäß durchblicken, „that he had seen the gentlemen once some time ago, and once more some time since; he had no expectation of seeing them any more“.257 Diese Worte belegen, welch geringes Gewicht das Foreign Office den Repräsentanten des Südens beimaß. Dennoch hatten die anglo-amerikanischen Beziehungen 1861 und 1862 immer wieder harte Bewährungsproben zu durchstehen, die gewisse Spielräume für die konföderierte Außenpolitik eröffneten. Dass sich die Neutralität als brüchig erwies, lag aber weniger an etwaigen Ambitionen der Briten, sie durch die Intervention abzulösen, sondern vielmehr an den oft polternden Maßnahmen Washingtons, genau das zu verhindern. Nur zu leicht konnten Sewards starke Worte eine unkontrollierbare Eigendynamik begünstigen. Obwohl der Gedanke an einen großen Krieg den britischen Gesandten Lord Lyons mit ernsthafter Sorge erfüllte258, plädierte er für Standfestigkeit Londons im Umgang mit der amerikanischen Krise. Es sei den Falken in Washington deutlich aufzuzeigen: „[U]nwilling as the European Powers may be to go to war with the United States, there is a point beyond which forbearance cannot be carried.“259 Das implizierte auch die aktive und sichtbare Vorbereitung auf den militärischen Ernstfall, „even more than in ordinary cases“.260 Großbritanniens Insistieren auf seinen verbürgten Rechten als neutrale Macht wurde hier in die Sphäre des nationalen Prestiges gehoben. Die Gefahr, 253 Vgl. Seward an Adams, 21.05.1861, in: Papers Relating to Foreign Affairs, 1861, 87–90, hier 90. 254 Ferris, Desperate Diplomacy. 255 Vgl. Adams an Seward, 21.05.1861, in: Papers Relating to Foreign Affairs, 1861, 90–96. 256 Adams, Enkel des zweiten US-Präsidenten John Adams und Sohn des sechsten Präsidenten John Quincy Adams, verfügte über einen weit gefassten diplomatischen Erfahrungshorizont und war trotz gewisser Schwächen in der Wahrnehmung der repräsentativen Pflichten seines Amtes hervorragend für den Posten geeignet. Die maßgebliche Biographie ist Duberman, Charles Francis Adams. 257 Adams an Seward, 14.06.1861, in: Papers Relating to Foreign Affairs, 1861, 103–106, hier 104. 258 Vgl. Lyons an Russell, 20.05. u. 08.06.1861, in: BDFA, Teil I, Ser. C, Bd. V, 223–226, 244–245. 259 Lyons an Russell, 20.05.1861, in: ebd., 223–226, hier 224. 260 Ebd., 225.
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dass man den Krieg gleichsam herbeiredete, war nicht von der Hand zu weisen. Für den Ernstfall drängte sich Lyons’ eine Schlussfolgerung auf, die ihm derart widerwärtig erschien, dass er sie nur zurückhaltend vorbrachte. Es läge dann nämlich im Interesse britischer Politik, einen widerstandsfähigen Süden zu schaffen, der die Aggressivität des Nordens absorbieren würde.261 Selbst wenn sich diese Erkenntnis erst aus der Rückschau erschließt, bot die Neutralität für den Norden letztlich doch den probaten Rahmen, um die europäischen Mächte zwischen 1861 und 1865 vom Bürgerkrieg fernzuhalten. Die Seekriegsführung warf für den Süden nicht den erhofften Profit ab. Zwar hatten die Briten mit ihrer Neutralitätsverkündung die Legitimität der konföderierten Freibeuter anerkannt. Schon am 1. Juni schoben sie jedoch eine weitere Erklärung nach und verschlossen ihre Häfen für den Absatz gekaperter Prisen.262 Weil die Attraktivität der Freibeuterei damit erheblich eingeschränkt wurde, entwickelte sie während des Krieges nie die Schlagkraft, die sich die konföderierte Regierung von ihr versprochen hatte.263 Dennoch war das Freibeuterproblem bis zum Herbst 1861 ein Gegenstand erhitzter Debatten zwischen Washington und London. Die technischen Details der Diplomatie blieben den meisten Zeitgenossen zunächst verschlossen. Stattdessen erwarteten sie gebannt die Nachricht von der ersten militärischen Kraftprobe zwischen Nord und Süd, die Anfang August als spektakuläre Sensation in Großbritannien eintraf. Die Ehre des Krieges und die Schmach der Diplomatie: Die Schlacht von Bull Run und das Ringen um die Pariser Deklaration Für die Erwartungshaltung des Südens gegenüber der europäischen Politik galten gewissermaßen die gleichen Worte, mit denen William Cabell Rives seinen Loyalitätsumschwung zugunsten der Konföderation begründet hatte: „The times, and the nature of the contest, render it impossible for me to maintain a position of neutrality.“264 Obwohl ihre Englandbilder zwischen den idealistischen Kategorien der Ehrkultur und den hyperrealistischen Prämissen der Baumwolldoktrin hin- und herschwankten, gaben sich Yancey und 261 Vgl. ebd. Vgl. auch Lyons an Russell, 08.06.1861, in: BDFA, Teil I, Ser. C, Bd. V, 244–245, hier 245. 262 Vgl. Russell an Lord Commissioners of the Admiralty, 01.06.1861, in: ebd., 222. Die Verfügung verstieß aufgrund ihrer Geltung für alle Konfliktparteien nicht gegen die Auflagen der britischen Neutralität. Sie galt für alle Häfen im Empire. Vgl. hierzu Baxter, British Government and Neutral Rights, 11; Surdham, Confederate Naval Buildup, 9. 263 Vgl. Adams, Seward an the Declaration of Paris, 16 f.; Bailey, Diplomatic History, 326. Das profitable Geschäft mit den ökonomischen Bedürfnissen des Südens verlagerte sich infolgedessen auf die Praxis des Blockadebrechens. Vgl. hierzu umfassend Wise, Lifeline of the Confederacy. 264 Rives an William C. Rives, Jr., 06.05.1861, William Cabell Rives Papers, LC, Box 36.
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seine Kollegen überzeugt, dass der Krieg die Neutralität Großbritanniens bald aus den Angeln heben würde. Zwei Monate nach der Neutralitätsproklamation waren sie zu der Ansicht gelangt, für einen weiteren Vorstoß in Richtung Anerkennung auf ein „günstiges militärisches Ereignis“ in Amerika warten zu müssen.265 Im Einklang mit dem Bild vom zynisch-machiavellistischen England spekulierten sie auf machttaktische Überlegungen Palmerstons und Russells, die einen solchen Sieg zur Bestätigung der südstaatlichen Unabhängigkeit nutzen würden.266 Den Fall einer Niederlage scheinen die Beauftragen gar nicht eingeplant zu haben. Tatsächlich zeigt der Verlauf der Schlacht, die sich am Morgen des 21. Juli 1861 in der Wiesenlandschaft Nord-Virginias abspielte, dass beide Seiten überzeugt waren, den Krieg mit dem ersten Schlag für sich entscheiden zu können. Aus dem nur etwa 30 Meilen entfernten Washington strömten Kongressabgeordnete und Zeitungsleute an den Fuß der Blue Ridge Mountains, wo die Armeen von Nord und Süd zwischen dem Fluss Bull Run und der Manassas Junction fast gleichstark aufeinander trafen. Nach mehreren Stunden härtester Kämpfe wurden die nordstaatlichen Truppen in die Flucht geschlagen.267 Die Art und Weise, wie sich ihre Niederlage vollzog, war für die Union besonders demütigend: In kopfloser Panik warfen die Soldaten ihre Waffen davon und rannten den schaulustigen Politikern regelrecht in die Arme. Das heillose Durcheinander fand erst dann ein Ende, als die fliehenden Massen vor den Toren der amerikanischen Hauptstadt erschöpft innehielten.268 Die Schlacht von Bull Run markierte Höhepunkt und Abschluss eines phoney war, in dem sich für die meisten Rekruten das Bild vom Krieg in Exerzierübungen und Militärparaden erschöpft hatte.269 Schlagartig verloren Politik und Öffentlichkeit im Norden die Illusion von einer raschen Wiedervereinigung. Die psychologischen Folgen nahmen sich allerdings anders aus, als die ersten Eindrücke von Triumph und Niederlage eigentlich hätten suggerieren sollen.270 Zwar wurde Washington in den Tagen und Wochen nach dem Kampf von Trübsinn und Defätismus beherrscht. William Howard Russell, der die Amerikaner bisweilen besser verstand als sie sich selbst, vermerkte jedoch ganz richtig: „[T]his prick in the great Northern balloon will let out a quantity of poisonous gas, and rouse the people to a sense of the nature of the conflict on which they have entered.“271 Gezwungen, sich von der 265 Yancey u. Mann an Toombs, 15.07.1861, in: O.R.N., Ser. II, Bd. 3, 221–225. 266 Vgl. Yancey u. Mann an Toombs [zu diesem Zeitpunkt war Hunter bereits Secretary of State, H. L.], 01.08.1861, in: ebd., 229–230, hier 229. 267 Zur ersten Schlacht von Bull Run vgl. Davis, Battle at Bull Run; Hankinson, First Bull Run; MacDonald, „We shall meet again“. Vgl. zuletzt Rafuse, Single Grand Victory. 268 Vgl. hierzu die detaillierte Darstellung bei Russell, Diary North and South, 260–277. 269 Vgl. Vann Woodward, Mary Chesnut’s Civil War, 10.06.1861, 69. 270 Vgl. Doughty u.a., American Civil War, 9; Catton, Civil War, 49; ders., Coming Fury, 471 f.; Simpson, America’s Civil War, 39. 271 Russell, Diary North and South, 279.
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Idee eines Neunzig-Tage-Krieges zu verabschieden, konzentrierten sich die Nordstaatler nun auf den Aufbau einer effizienten Armee. So wie die Niederlage die Verlierer zusammenschweißte, entzweite der Triumph die Sieger. Organisatorisch war es um die südstaatlichen Truppen kaum besser bestellt als um die geschlagene Armee der Union.272 Von einem unmittelbaren Vorstoß auf Washington, der im Übrigen auch nicht der defensiven Legitimationsstrategie von Jefferson Davis entsprochen hätte, konnte deshalb keine Rede sein. Aber schon die Begleitumstände des Sieges von Bull Run ließen unter den ehrberauschten Südstaatlern kritische Stimmen laut werden, die der Regierung vorwarfen, sie hätte es versäumt, die „vergeltende Rache“273 nach Norden zu tragen. Nur wenige teilten die Skepsis William Henry Trescots, der gegenüber Mary Chesnut zu verstehen gab, dass sich der Siegesrausch zum Nachteil des Südens entwickeln würde: „This victory will be our ruin. It lulls us into a fool’s paradise of conceit at our superior valor. And the shameful farce of their [der Nordstaatler, H. L.] flight will wake every inch of their manhood.“274 Die Auswirkungen der Schlacht auf die Außenpolitik waren rein personeller Natur. Robert Toombs, der den diplomatischen Dienst nur noch widerwillig versehen hatte, räumte seinen Schreibtisch, um dem Ruhm einer militärischen Karriere hinterher zu jagen.275 Bei der Wahl seines Nachfolgers musste der wichtigste neue Staat der Konföderation berücksichtigt werden, Virginia. Deshalb zog jetzt der Routinier Robert M. T. Hunter ins State Department ein. Hunter war weniger impulsiv als Toombs und hätte der konföderierten Diplomatie durchaus eine gedämpftere Tonart verleihen können. Eine Reihe von Gründen stand dem freilich entgegen: Ebenso wie sein Vorgänger verfügte der langjährige Senator über keine administrative Erfahrung. Außenpolitischen Fragen begegnete der Finanzexperte Hunter ohne echtes Interesse. Bereits im Jahre 1850 hatte er – auf dem Höhepunkt der damaligen Unionskrise – ein Bekenntnis zur wirtschaftlichen Kraft des Südens innerhalb der atlantischen Welt abgelegt.276 Seine übrigen Äußerungen über England waren vornehmlich in innenpolitischen Kontexten gefallen und fast immer mit anglophoben Bildern unterlegt gewesen. Aufs Ganze gesehen, bewegte sich Hunter also im orthodoxen Bezugssystem der konföderierten Baumwoll-
272 Vgl. so Foote, Sumter to Perryville, 82; McPherson, Ordeal, 210 f. 273 Richmond Examiner, 24.07.1861. Zit. n. Daniel, Richmond Examiner during the War, 18–19, hier 19. Vgl. auch Jones, Civil War Clerk’s Diary, 24.08.1861, 43. 274 Vann Woodward (Hg.), Mary Chesnut’s Civil War, 111. 275 Vgl. Davis, Union That Shaped the Confederacy, 153. Im September 1862 kämpfte Toombs am Antietam Creek. Später nahm er einen Sitz im konföderierten Kongress ein. 276 Vgl. o. 244.
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doktrin. Im Hinblick auf die Anerkennungs- und Interventionsstrategie gegenüber Großbritannien setzte er daher keine neuen Akzente.277 Acht Tage nach Bull Run setzte Hunter sein erstes Schreiben an die Beauftragten in London auf. Noch ganz unter dem Eindruck der Ereignisse stehend, ließ er sich mit keinem Wort über Fragen der Außenpolitik ein, sondern entwarf eine ausführliche Schilderung des Schlachtenspektakels: This great military success has been hailed with universal joy by the people of the Confederate States. It has inspired the bold defenders of the country’s freedom and honour with renewed courage and vigour; it has removed the fears of the timid […] and it has proved beyond a doubt to all that the Confederate States can and will maintain their independence.
Nach den Regeln der Ehrkultur mussten die Staaten der Welt gerade die im Krieg errungene Ehre gleichsam automatisch anerkennen. Die Überzeugung, der diplomatische Erfolg würde als eine Art Nebenprodukt des militärischen Triumphs abfallen, wurde dadurch immens bestärkt. Folglich schloss der neue Außenminister eine Revision der Außenpolitik nachhaltig aus: „I see no reason to make any change in the instructions which you have already received and communicated to the President. The purpose and general policy of the Government […] remain unchanged.“278 Da Hunters Bericht zunächst verloren ging, erfuhren Yancey, Rost und Mann vom Ausgang der Schlacht durch die Lektüre von New Yorker Zeitschriften sowie der Times.279 Insofern mussten sie selbständig darüber entscheiden, wie die Nachricht in eine Anerkennungsoffensive einzubauen sei. Im Lichte der Neutralitätsbekräftigung, die Königin Viktoria anlässlich der Parlamentsvertagung am 6. August abgegeben hatte, setzte sich innerhalb der Kommission die Tendenz durch, die englische Politik in machiavellistischzynischen Kategorien zu interpretieren. Anders als in Richmond, wo Hunter und Davis die Anerkennung als Folge des Sieges antizipierten, hegten die Beauftragten über drei Monate nach ihrer Ankunft in London kaum noch Hoffnung, dass die offizielle Bestätigung der Unabhängigkeit in nächster Zeit erfolgen würde.280 Von einer ethischen zu einer primär ökonomischen Deutung englischer Außenpolitik wechselnd (beides war in den ambivalenten Englandbildern des Südens angelegt), informierten sie das State Department stattdessen über ihre Auffassung, Großbritanniens Interesse würde sich künf277 Allerdings fallen in Hunters Amtszeit die Anfänge der durchaus effektiven publizistischen Propagandaarbeit der Südstaaten in Großbritannien. Vgl. grundlegend Cullop, Confederate Propaganda in Europe. Die politische Entscheidung über Neutralität oder Intervention konnte hierdurch aber nicht beeinflusst werden. 278 Alle Zitate: Hunter an Yancey, Rost u. Mann, 29.07.1861, in: O.R.N., Ser. II, Bd. 3, 227–229, hier 227, 229. 279 Vgl. Yancey, Rost u. Mann an Toombs, 07.08.1861, in: ebd., 235–237, hier 236. 280 Ebd. Vgl. aber den grundsätzlichen Optimismus im Hinblick auf die künftige Entwicklung unterstreichend Owsley, King Cotton Diplomacy, 66.
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tig stärker auf das Blockadeproblem konzentrieren und die Anerkennungsfrage in der Schwebe lassen.281 Die Beauftragten scheinen sich darüber zerstritten zu haben, wie sie im Falle der Ablehnung eines Anerkennungsgesuches zu verfahren hätten. Schließlich ersuchten sie Earl Russell282 um eine inoffizielle Unterredung, die freilich von der Prämisse ausgehen sollte, „that the Confederate States of America are in such condition as entitles them to a recognition of their nationality“.283 Mit Verbitterung mussten sie zur Kenntnis nehmen, dass ihnen der Außenminister in einer knappen Replik die Audienz verwehrte und sie beschied, ihr Anliegen schriftlich vorzutragen.284 Ihren verletzten Stolz nur mühsam überwindend, verfassten sie daraufhin eine ausführliche Selbsterklärung für das Foreign Office, in der sie zunächst einmal die gleichen Argumente zur Wahrnehmung republikanischer Selbstbestimmung aufzählten, die Russell aus ihrem Munde ohnehin schon vernommen hatte.285 Sicherlich auch aufgrund ihrer Frustration über das, was sie als (Ehr-)Verletzung ihres nationalen Anspruchs verstanden, verliehen sie dem Schreiben einen recht aggressiven Tonfall. Zwar suchte Yancey eigentlich die Auffassung zu begründen, dass die Sklaverei für den Krieg keine Bedeutung besäße. Gleichwohl konnte er dem Impuls nicht widerstehen, dem Foreign Office eine selbstbewusste Sklavereiapologie vorzutragen. Nicht nur, dass er die Auffassung bekräftigte, der Freiheitsgedanke der Declaration of Independence sei für die „weiße Rasse allein“ reserviert gewesen.286 In seinem Anerkennungsplädoyer gegenüber dem britischen Außenminister, einem liberalen Reformer und bekennenden Sklavereifeind, bediente er sich sogar der anglophoben Denkfiguren Thomas Jeffersons, wonach die Sklaverei in Amerika durch das englische Gewohnheitsrecht schon vor der Unabhängigkeit verankert worden sei.287 281 Vgl. Yancey, Rost u. Mann an Toombs, 07.08.1861, in: O.R.N., Ser. II, Bd. 3, 235–237, hier 236. 282 Russell hatte im Juni 1861 einen Sitz im Oberhaus akzeptiert und den Titel eines Earls angenommen. 283 Yancey, Rost u. Mann an Toombs, 07.08.1861, in: O.R.N. Ser. II, Bd. 3, 235–237, hier 236. 284 Vgl. ebd., 238. 285 Vgl. Yancey, Rost u. Mann an Russell, 14.08.1861, in: ebd., 238–246. 286 Ebd., 244. 287 Vgl. ebd. Yancey hatte den Sklavereiabsatz des Schreibens mit der Grundsatzerklärung eröffnet: „[T]he question of morality of slavery is not for the undersigned to discuss with any foreign power“, nur um dann doch eine Reihe von Pro Slavery-Argumenten aufzuzählen. Ohne es zu ahnen, berührte er allerdings einen Punkt, der auch Earl Russell im Zusammenhang mit dem Amerikanischen Bürgerkrieg noch umtreiben sollte. Eine Umorientierung der nordstaatlichen Kriegszielpolitik auf das Sklavereithema, die Yancey durchaus für möglich hielt, würde die Entfachung von Rassenaufständen im Süden intendieren und somit das Gegenteil einer moralischen Politik beschreiben: „Whenever it shall be done […] the motive […] will not be that high philanthropic consideration which undoubtley beats in the hearts of many in England, but the baser fee-
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Obwohl Davis und Benjamin während der vergangenen Nord-Süd-Debatten ebenfalls auf diese Kampfvokabeln zurückgegriffen hatten, erkannten beide Politiker, dass sie für die Außendarstellung der Konföderation mehr als ungeeignet waren. Yancey hingegen streifte die Fesseln diplomatischer Rücksichtnahme vollständig ab. Dabei scheute er selbst davor nicht zurück, den guten Willen seiner Regierung zur Verschiffung der anstehenden Baumwollernte zu bekunden, sollte die Blockade (gewaltsam) aufgehoben werden. Weil die Durchlässigkeit des Blockaderings ebenso bekannt war wie der Umstand, dass die Konföderierten ihre Baumwolle gezielt zurückhielten, war dieser Versuch, politischen Druck zu erzeugen, äußerst durchsichtig. Berauscht von der Ehre des Krieges und der im Krieg demonstrierten Stärke, gipfelte das Schreiben in der Behauptung, der Süden könne unabhängig von der äußeren Welt seine Unabhängigkeit behaupten. Daher schloss es auch nicht mit einer formellen Bitte um Anerkennung, sondern forderte die Regierung trotzig auf, ihre Position im Lichte der Fakten und ihrer Handelsinteressen zu überdenken. Für die Seite des Südens wies Yancey pauschal jede Verantwortung für weiteres Blutvergießen zurück.288 Auf denkbar ungelenke Weise vermischten die Beauftragten hier moralische Argumente für die Anerkennung mit Versatzstücken ihrer rassischen Weltanschauung und kaum verhüllter ökonomischer Erpressung. Es würde sie freilich überrascht haben, wie sehr die britische Regierung selbst von der Kampfkraft der Konföderation überzeugt war: „The Defeat at Bull’s Run or rather at Yankee’s Run“, so lästerte Lord Palmerston, habe gezeigt: „[T]he North are fighting for an Idea chiefly entertained by professional politicians, while the South are fighting for what they consider rightly or wrongly vital interests.“289 Die Auffassung von der Schwäche der Union ging nicht zuletzt auf einen Bericht Lord Lyons’ zurück, der die Niedergeschlagenheit in Washington schonungslos offen legte. Mit einem klaren Blick für das Zusammenspiel von Kontingenz und Zwangsläufigkeit in Kriegen erkannte der Gesandte, dass die materielle Überlegenheit des Nordens nur unter bestimmten Bedingungen ausreichen würde, um die Union wiederherzustellen: „If the North should show as much constancy as the South, its numbers and resources, must […] prevail at last.“290 Als Vorbedingung für einen Frieden würde der Süden jedoch die ling of selfish aggrandisement not unmixed with a cowardly spirit of revenge.“ Ebd., 245. In der Tat nahm Yancey hier die unmittelbare Reaktion der Briten auf die Emanzipationsproklamation vom September 1862 vorweg. Vgl. dazu u. 371–373. 288 Vgl. Yancey, Rost u. Mann an Russell, 14.08.1861, in: O.R.N. Ser. II, Bd. 3, 238– 246, hier 246. 289 Minute of Lord Palmerston, 15.08.1861, in: Newton, Lyons, Bd. I, 48. Zur Reaktion des Premiers auf die Schlacht vgl. auch Guedalla, Palmerston, 427; Ridley, Palmerston, 551. 290 Lyons an Russell, 30.07.1861, in: BDFA, Teil I, Ser. C, Bd. V, 276–279, hier 278. Treffend erkannte er die Unkalkulierbarkeit der künftigen Entwicklung: „To judge from
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Anerkennung der nationalen Unabhängigkeit fordern. Die Spielräume für einen schnellen Kompromissfrieden seien denkbar gering. In ihrer Beurteilung der Kriegslage in Amerika kamen die Engländer den Konföderierten also erstaunlich weit entgegen. Keineswegs aber zeigten sie sich bereit, ihre Politik zwischen Neutralität und Intervention deshalb neu zu definieren. Zu diesem Zeitpunkt konnte Großbritannien mit der Aufgabe seiner bisherigen Haltung nichts gewinnen, aber umso mehr verlieren. Warum sollte ein großer anglo-amerikanischer Krieg riskiert werden, nur um eine Unabhängigkeit anzuerkennen, die ohnehin schon Wirklichkeit war? Mit der ersten Demonstration militärischer Schlagkraft lieferte die Konföderation den Briten keinesfalls einen Vorwand zur Intervention, sondern bestärkte sie in ihrer strikten Unparteilichkeit. Es fehlten die politischen Zwänge, die den Sieg zum Indikator einer Intervention hätten aufbauen können. Noch blieben die Zentren der Textilindustrie in Lancashire von den Auswirkungen einer Rohstoffknappheit verschont. Ob die viel beschworene cotton famine überhaupt je zu einem bestimmenden Faktor britischer Amerikapolitik aufsteigen würde, blieb abzuwarten. Im Sommer 1861 stellte sich diese Frage für die Regierung jedenfalls nicht mit letzter Bestimmtheit, weshalb Russell die Yancey-Kommission knapp beschied: Her Majesty will strictly perform the duties which belong to a neutral. Her Majesty can not undertake to determine by anticipation what may be the issue of the contest, nor can she acknowledge the independence of the nine States […], until the fortune of arms or the more peaceful mode of negotiation shall have more clearly determined the respective positions of the two belligerents.291
Russells Absage besiegelte das Ende von Yanceys diplomatischer Karriere. Ende August entschloss er sich zur Demission.292 In der zentralen Anerkennungsfrage hatte seine Kommission nichts erreichen können. Stattdessen fanden die anglo-konföderierten Diskussionen über die Außenpolitik während dieses Sommers nicht in London, sondern in Richmond und Charleston statt. Die eigentlichen Chancen für einen internationalen Durchbruch der Konföderation lagen in den bereits diskutierten Problemen der Neutralität. Wie den anglo-amerikanischen Spannungen ein politischer Impuls erwuchs, den die Südstaatler im Banne ihres Ehrdogmas nicht aufzugreifen vermochten, what has just occurred, another defeat would depress the North, […]; on the other hand it may be presumed that a victory would raise the war spirit again.“ 291 Russell an Yancey, Rost u. Mann, 24.08.1861, in: O.R.N. Ser. II, Bd. 3, 247–248, hier 248. 292 Zur offiziellen Kenntnisnahme vgl. Hunter an Yancey, 23.09.1861, in: ebd., 273. Es ist jedoch hervorzuheben, dass Yancey nach wie vor von einem ultimativen Erfolg des Südens in der internationalen Politik ausging. So vertrat er die Einschätzung, dass die Sklaverei keinerlei Rolle mehr in der britischen Wahrnehmung des Bürgerkriegs spiele und ökonomische Motive eine Anerkennung herbeiführen würde, sobald sich dies mit dem Ziel vereinbaren ließe, nicht in den Konflikt involviert zu werden. Vgl. Yancey an Ben Yancey, 25.08.1861, Benjamin Cudsworth Yancey Papers, ADAH.
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zeigt sich am Tauziehen um die Anerkennung der Pariser Seerechtsdeklaration von 1856. Bei Ausbruch der Feindseligkeiten hatte Außenminister Russell die Gefahr erkannt, die künftige Übergriffe der Unionsmarine auf die neutrale Handelsschifffahrt für den Frieden in der atlantischen Welt bedeuteten.293 Im Sinne einer vorauseilenden Deeskalation befürwortete er daher die Verpflichtung der Amerikaner auf die 1856 in Paris niedergelegten Prinzipien, nach denen neutrale Güter unter feindlicher Flagge sowie feindliche Ladung auf neutralen Schiffen von der Beschlagnahmung durch Kriegführende ausgenommen waren, sofern es sich hierbei nicht um Konterbande handelte.294 Das Foreign Office wies Lyons am 18. Mai an, einen solchen Vorschlag zur Beseitigung der rechtlichen Unklarheiten in Washington zu unterbreiten.295 Für Russell stand der Schutz englischer Handelsinteressen im Mittelpunkt. Dass er das in der Deklaration ebenfalls verfügte Freibeutereiverbot aus den Verhandlungen ausklammern wollte, vermag nicht zu verwundern: Mit der Neutralitätsproklamation hatte die britische Regierung bereits Position bezogen und die Legitimität der südstaatlichen Kaper anerkannt. Keineswegs könne die Lincoln-Administration erwarten, schrieb Russell an Lyons, dass London den Verzicht der USA auf die Freibeuterei akzeptieren würde, wenn dies mit einem gewaltsamen Vorgehen gegen die Konföderierten Staaten verbunden sein sollte. Eine solche Revision der englischen Politik, so hob er hervor, sei mit den eingegangenen Neutralitätspflichten unvereinbar und stünde nicht zur Debatte.296 Aber genau das hatte Washingtons Außenminister William Henry Seward im Sinn, als er den Beitritt zur Pariser Seerechtsdeklaration zu einem Leitziel seiner Außenpolitik erhob, wobei ihm explizit alle Passagen des Abkommens vorschwebten. An dieser Stelle legte er den Hebel an, um die Briten zur Rücknahme des südstaatlichen Kombattantenstatus zu bewegen. Sollte die Union das Freibeuterverbot förmlich bestätigen, so Sewards Kalkül, müsste sich Großbritannien ihrem Standpunkt doch noch anschließen und die Kaper des Südens nicht nur als rechtlose Piraten ansehen, sondern bei Zwischenfällen auf hoher See auch militärisch gegen sie vorgehen. Im Lichte des zu erwartenden Doppelgewinns war er bereit, die ohnehin antiquierte Freibeuterei als Instrument der Seekriegsführung aufzugeben.297 293 Vgl. Ferris, Desperate Diplomacy, 73; Jones, Union in Peril, 39 f. 294 Dies waren die Bestimmungen von Art. 2 und 3 der Seerechtsdeklaration. Vgl. o. 323, Anm. 246. 295 Vgl. Russell an Lyons, 18.05.1861, in: BDFA, Teil I, Ser. C, Bd. V, 210–212. Es ging hier explizit um eine einseitige Anerkennung der Vertragsgrundsätze und nicht um ein formelles Beitrittsverfahren, dem im Übrigen sämtliche Signatarmächte hätten zustimmen müssen. 296 Vgl. Russell an Lyons, 18.05.1861, in: BDFA, Teil I, Ser. C, Bd. V, 212–213, hier 213. 297 Vgl. Seward an Adams, 21.05.1861, in: Papers Relating to Foreign Affairs, 1861, 87–90, hier 89.
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Sewards Hintergedanken blieben Lord Lyons nicht verborgen. Als „ziemlich erheiternd“ schätzte er daher den Zeitpunkt der Offerte ein und vermerkte ironisch: „It would no doubt be very convenient if the Navies of Europe would put down the Privateers, and thus leave the whole Navy of the United States free to blockade the Ports against European Merchant Vessels.“298 Dies legte den Verhandlungen zwischen Amerikanern und Briten unüberwindbare Hindernisse in den Weg. Eine recht ungeschickte Verhandlungsführung auf beiden Seiten sowie wochenlange Verzögerungen bei der Übersendung von Instruktionen verlängerten die Gespräche bis in den September des Jahres 1861, als das Projekt zuletzt entnervt zu Grabe getragen wurde.299 Abermals sah sich Seward in seinem Misstrauen gegenüber den Briten bestätigt. Nach den Wünschen des Foreign Office sollten die Kriegsparteien eine Einverständniserklärung abgeben, mit der sie sich auf die Bestimmungen der Seerechtsdeklaration für den Schutz des neutralen Handels verpflichteten. Neben den – sicherlich wichtigeren – Verhandlungen mit der Union suchten die Briten nach Möglichkeiten, auch die Konföderation für die Achtung der Pariser Prinzipien zu gewinnen.300 Russell und Lyons waren sich über die Brisanz ihres Anliegens durchaus im Klaren. Jede formelle Kommunikation mit der Davis-Regierung musste in Washington als deren de facto-Anerkennung gewertet werden und „irgendeinen unangenehmen Ausbruch“301 zur Folge haben. Eine persönliche Reise des Gesandten nach Richmond war somit ausgeschlossen. Stattdessen delegierte Lyons die heikle Aufgabe weisungsgemäß an Konsul Robert Bunch in Charleston, der zusammen mit seinem französischen Kollegen den geheimen Gesprächsfaden aufzunehmen hatte.302 Abgesehen davon, dass solche quasi-diplomatischen Kontakte außerhalb der konsularischen Zuständigkeit lagen, war die Mission vor allem deshalb heikel, weil die Exequaturen der ausländischen Konsuln im Süden noch immer in den Zuständigkeitsbereich des State Department in Washington fielen.303 Sollten die Sondierungen Bunchs an die Öffentlichkeit gelangen, stand zu erwarten, dass Seward seine konsularische Zulassung aufheben und eine wichtige Möglichkeit britischer Interessenwahrung in den Südstaaten beenden würde. 298 Lyons an Russell, 27.04.1861, in: Adams, British Proclamation, 225–227, hier 226. Vgl. auch Lyons an Russell, 08.06.1861, in: BDFA, Teil I, Ser. C, Bd. V, 241–243, hier 242 f. 299 Zu den Verhandlungen vgl. detailliert Ferris, Transatlantic Misunderstanding. 300 Vgl. Russell an Lyons, 18.05.1861, in: BDFA, Teil I, Ser. C, Bd. V, 212–213, hier 213. 301 Lyons an Bunch, 05.07.1861, in: ebd., hier 263. 302 Vgl. ebd. Henri Mercier, der französische Gesandte in Washington, hatte zeitgleich identische Instruktionen aus Paris erhalten. Frankreichs Konsul in Charleston war damals Belligny de St. Croix, sein designierter Nachfolger, Durant de St. André, wurde ebenfalls zu den Gesprächen hinzugezogen. Zu Mercier vgl. Carroll, Mercier and the Civil War. Zur Mission der Konsuln vgl. ferner Spencer / Case, United States and France, 109 ff. 303 Vgl. Hubbard, Burden of Confederate Diplomacy, 30; Berwanger, British Foreign Service, 14. Zu den Konsuln vgl. ferner Lonn, Foreigners in the Confederacy, 412 ff.
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Nüchtern betrachtet, bot die Anfrage den Konföderierten eine Reihe von Vorteilen: Vom Schutz der neutralen Handelsschifffahrt konnte dem Süden, angewiesen wie er war auf den Import ausländischer Güter, nur profitieren. Die Bestätigung des Effektivitätsgebots für Seeblockaden versprach ihm eine scharfe diplomatische Klinge an die Hand zu geben. Nicht zuletzt musste der Richmonder Regierung daran gelegen sein, den ersten Artikel der Pariser Deklaration aus den Unterredungen auszuklammern und die Rechtsbasis der Freibeuterei unangetastet zu lassen. Damit hätte sie genau jenes Problem vermieden, das die Verhandlungen zwischen London und Washington später zum Scheitern brachte. Anstatt die gemeinsamen anglo-konföderierten Interessen auszuloten, beschwerte sich die Davis-Administration über den unorthodoxen Stil der Anfrage, der deutlich machte, wie sehr die Neutralität die nationale Ehre zu unterlaufen schien und damit nur als Ehrverletzung aufgefasst werden konnte.304 Bunch war von Lyons angewiesen worden, keinesfalls selbst nach Richmond zu reisen.305 Vor Ort in Charleston nahm er Kontakt zu einem der bekanntesten Außenpolitik-Experten des Landes auf, William Henry Trescot. In den 1850er Jahren vor allem mit historischen Studien und Betrachtungen über die Staatenwelt hervorgetreten306, hatte Trescot im Sommer 1860 als stellvertretender Außenminister in der Buchanan-Administration gewirkt. Weil er nach der Sezession von Präsident Davis nicht mit einem diplomatischen Posten betraut worden war, verbrachte er die ersten Kriegsmonate als Privatmann. Aus der Sicht der Konsuln, die nach einer ebenso diskreten wie renommierten Kontaktperson suchten, erschien er als ein idealer „channel of communication between us and the Government at Richmond“.307 Tatsächlich erkannte Trescot die Bedeutung der Offerte im persönlichen Gespräch mit Robert Bunch, Belligny de St. Croix und Durant de St. André am 19. Juli 1861 direkt an. Dennoch protestierte er gegen das vorgeschlagene Verfahren, einen Entschluss über den Umweg informeller und geheimer Drittvermittlung vorzubereiten. Wie er einen Monat später niederschrieb, weigerten sich die Konsuln, „to receive an official act which should be based on their request, thus giving the Confederate Government the advantage before the world of such an implied recognition as this would afford“.308 Legalismus und Ehrrhetorik miteinander verbindend, legte Trescot seinen Gesprächspartnern 304 Lyons hatte genau das vorausgesehen: „[T]he Southern Government will have to make as much fuss as possible about the matter; to represent themselves as engaged in negotiation with the British and French Governments, as on the eve of being recognized, and what not.“ Lyons an Bunch, 05.07.1861, in: BDFA, Teil I, Ser. C, Bd. V, 263. 305 Vgl. ebd. 306 Vgl. o. 274–277. 307 Memorandum der Konversation zwischen Trescot, Bunch, St. Croix und St. André, 19.07.1861, undatiert, in: AHR XXIII (1918), 827–830, hier 827. 308 Ebd., 828.
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auseinander, dass die Seerechtsdeklaration auf dem „Beitritt ‚der Mächte’ der Welt“ beruhe und die Vereinigten Staaten von Earl Russell auch „eindeutig ersucht“ worden seien, „beizutreten“.309 Wie also könne die Konföderation „with self respect […] volunteer to an adhesion and thus intrude among nations which refuse them recognition?“310 Zwar versuchten die Konsuln diese Einwände zu entkräften, indem sie vertraulich (wenn auch keineswegs wahrheitsgemäß) versicherten, die Anfrage sei „der Anstoß zur Anerkennung“ und die diskrete Vorgehensweise nur deshalb nötig, weil ihre Regierungen „diese Anerkennung schrittweise“ herbeizuführen trachteten.311 Eine „spontane Erklärung“ der Südstaaten-Regierung, wie sie Engländern und Franzosen vorschwebte, besaß für Trescot aber den Nachteil, dass sie den vorangegangenen Dialog zwischen gleichberechtigten Nationen nicht nach außen dokumentieren würde: „[T]he secrecy which you make the essential of your negotiation, deprives the Confederate Government of the very advantage which you urge upon them as a reason for acceptance. Such a negotiation would be recognition […], but you do not mean it as recognition atho[ugh] your believe it will lead to.“312 In Vorwegnahme der Reaktion von Präsident Davis taxierte Trescot den Nutzen der Angelegenheit ausschließlich mit Blick auf das Bild, das der Süden vor den Nationen der atlantischen Welt abgeben würde. Nach längerer Diskussion mit den Konsuln verfiel er daher auf die Idee, die europäischen Spuren der Initiative ganz zu verwischen und die Konföderation die Respektierung der Pariser Prinzipien in Eigenregie verkünden zu lassen.313 Weil die309 Ebd. (Hervorhebungen im Original). Wie aus dieser Gedankenführung deutlich wird, hatten die Konsuln Trescot die Weisung aus dem Foreign Office an Lord Lyons vom 18. Mai vorgelegt. Davon, dass die Vereinigten Staaten zu einem formellen Beitritt ersucht worden seien, kann aber keine Rede sein. 310 Ebd. Neben dem Argument der „Selbstachtung“ verwies Trescot auf den tatsächlich einleuchtenden Umstand, dass eine international nicht anerkannte Nation kaum in den Kreis der Signatarmächte würde treten können. Nun war ein offizieller Beitritt der Konföderation weder vorgesehen noch denkbar. Im Gespräch scheint Trescot aber davon ausgegangen zu sein, dass es sich um formale Beitrittsverhandlungen handeln würde – zumindest, wenn er das Ansinnen der Konsuln als „official act of adhesion“ umschrieb. Ebd., 828. 311 Ebd. 312 Ebd., 828 f. (Hervorhebung im Original). Vgl. Trescotts verhaltene Reaktion zu enthusiastisch einschätzend Hubbard, Burden of Confederate Diplomacy, 51. 313 Wie Trescot den Konsuln entgegenhielt: „You cannot expect that the Confederate Government should not derive all the benefit it can from this move consistent with good faith […]. All you can fairly ask is that ‚the official act’ you desire [also die Anerkennung der Prinzipien zur Seekriegsführung, H. L.] shall not commit your Government nor compromise you.“ Letztlich entsprach das aber genau dem Ansinnen, das die Konsuln von Anfang an vorgetragen hatten. Spontan formulierte Trescot einen möglichen Erklärungstext, der die Eigenständigkeit der konföderierten Entscheidung hervorhob und eine eher vage gehaltene Anerkennungsreferenz enthielt: „Whereas the powers of Europe have recognised the Confederate States in the character of Belligerents and whereas this Government has reason to know that it would be acceptable to the said
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ser Vorschlag seinem Verlangen nach einer „spontanen Erklärung“ äußerst nahe kam, stimmte Bunch direkt zu und bestätigte: „Nobody has a right to say that you received your knowledge through us. It might very well be supposed that you received it through your Commissioners in Europe.“314 Ob Trescot registriert hat, wie schonungslos Bunchs Bemerkung nicht nur die Ineffektivität der Südstaaten-Diplomatie offen legte, sondern auch den Substanzmangel benannte, der mit ihrer Fixierung auf auswärtige Ehrbestätigung einherging, ist nicht überliefert. Jedenfalls brach er schon am folgenden Tag nach Richmond auf, wo er zunächst mit Außenminister Hunter konferierte, um sodann mit einem Sonderpassierschein in Richtung des Schlachtfeldes von Bull Run zu reisen, auf dem sich Davis zu Besuch eingefunden hatte. Noch während der gemeinsamen Rückfahrt legte Trescot dem Präsidenten Form und Inhalt der anglo-französischen Anfrage auseinander.315 Wie nicht anders zu erwarten gewesen war, zeigte sich Davis enttäuscht darüber, „that a communication of such grave importance should be made in so irregular a manner“. Seinen ausgeprägt anglophoben Ressentiments entsprechend, die stets auf die ökonomischen und eigensüchtigen Motive Englands fokussiert waren, beschwerte er sich über einen Vorstoß, „which is not only wanting in that respect to which he feels the Government of the Confederate States to be fully entitled but which is in his opinion calculated rather to embarrass than to assist the final adjustment of important questions“.316 Soeben hatte Davis an der Manassas Junction einem überwältigenden Sieg beigewohnt.317 Nun aber wurde die Ehre des Krieges durch eine schmachvolle Geheimdiplomatie ent-
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powers, that as Belligerents we should adhere to the Articles of the Treaty of Paris, etc., etc., therefore, satisfied that a more formal recognition shall be the result of better knowledge, etc., etc., we in deference to these wishes, etc., do adhere, etc., etc.“ In dieser Wendung war nicht mehr von „Beitritt“ (adhesion) die Rede, sondern nur noch von der Absicht, „zu befolgen“ (to adhere). Es verwundert daher nicht, dass Bunch auf Trescots Frage – „would that satisfy you?“ – umgehend antwortete: „Certainly I think so.“ Memorandum der Konversation zwischen Trescot, Bunch, St. Croix und St. André, 19.07.1861, undatiert, in: AHR XXIII (1918), 827–830, hier 828. Ebd., 829. Vgl. Notizen William Henry Trescots, undatiert, in: ebd., 830. Am 26. Juli wurde sie im Kabinett diskutiert. Summary in shape of Instructions of Conversation with Mr. Hunter, undatiert, in: AHR XXIII (1918), 831–833, hier 831 f. An dieser Stelle wird aus einem Memorandum zitiert, das Außenminister Hunter in Trescots Gegenwart verlas und das dieser „considered as an Instruction as to the nature of the conversation which I should hold with the Consuls on my return [nach Charleston, H. L.]“. Am 3. August schrieb Trescot einen Bericht über die neuerliche Unterredung mit den Konsuln, bei der er ihnen den Regierungsstandpunkt mitteilte. Vgl. Trescot an Hunter, 03.08.1861, in: Richardson (Hg.), Messages and Papers of the Confederacy, Bd. 2, 54–56. Vgl. so rückblickend Davis, Rise and Fall, Bd. I, 311 f.
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wertet, die sich statt der offiziellen Kanäle in London privater Kontaktleute und verstohlener Hinterzimmertreffen bediente.318 Trotz seiner Empörung scheint der Präsident der Linie Trescots gefolgt zu sein. Innerhalb weniger Tage peitschte er eine Resolution durch den Kongress, mit der sich die konföderierte Seekriegsführung – mit Ausnahme des Freibeutereiverbots – zu den Artikeln der Seerechtsdeklaration bekannte.319 Dieser auf den ersten Blick überraschende Schritt entsprang aber keineswegs einer pragmatischen Anpassung an die Verhältnisse und war schon gar nicht als vertrauensbildende Maßnahme gegenüber Europas Mächten zu verstehen, die den Kurswechsel hin zu einer konstruktiven Diplomatie hätte einläuten können. Vielmehr begriff er sie als ehrenhafte Replik auf eine unehrenhafte Hinterlist, zu der ihn sein „Sinn für Gerechtigkeit“ veranlasst hatte, wie er noch viele Jahre später in seinen Erinnerungen vermerkte.320 In der besonderen Situation des Sommers 1861 speiste sich sein Ehrbewusstsein aus einem berauschenden Gefühl von Legitimität und Stärke: „Feeling this“, so ließ er den Konsuln über Trescot mitteilen, he can wait with patience and confidence the time when the nations of the world will recognise the truth and do full justice both to the motives and the acts of his Government. But knowing that the interests of Europe are deeply concerned with the […] result of the conflict he can only hope that an intelligent examination of these interests will convince the statesmen […] that it is the best for all the nations of Europe to recognise at the earliest moment the fact which has established itself without their recognition – that the Confederate States are and of right ought to be a free and independent nation.321
In einer Zeit, als Washington und London vor dem Scherbenhaufen ihrer atlantischen Diplomatie standen, forderte Davis, der eine ideologische, unflexible und anglophobe Außenpolitik betrieb, von den neutralen Mächten eine „vernünftige“ Evaluation ihrer eigenen Interessen. Das zaghafte Momentum, das sich durch das Ringen um die Pariser Deklaration entwickelt hatte, fiel in sich zusammen.322 Während Yancey in London keine Fortschritte in der An318 Vgl. Jenkins, War for the Union, Bd. 1, 140. 319 Zum Resolutionstext vgl. Charleston Mercury, 09.08.1861. Die vom Kongress gebilligte Vorlage verlegte die betreffenden Artikel der Seerechtsdeklaration von der Präambel in den ausführenden Teil und unterstrich noch expliziter die Ausklammerung des Freibeutereiverbots (Art. 1). Vgl. Journal of the Confederate Congress, Bd. 1, 13.08.1861, 341. Vgl. ferner Hunter an Trescot, 10.09.1861, u. W. M. Browne an Trescot, 14.08.1861, in: AHR XXIII (1918), 843–845. 320 Davis, Rise and Fall, Bd. II, 315. 321 Summary in shape of Instructions of Conversation with Mr. Hunter, undatiert, in: AHR XXIII (1918), 831–833, hier 833. 322 Allerdings muss offen bleiben, wie groß das Potential der Gespräche für die Anerkennungsfrage wirklich gewesen ist. Charles Hubbard hebt die Relevanz der versäumten Gelegenheit allzu sehr hervor. Vgl. Hubbard, Burden of Confederate Diplomacy, 53. Bunchs Anweisungen sahen eine klare Begrenzung der Verhandlungsziele vor und
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erkennungsfrage zu erzielen vermochte, wurde der über die Konsuln und Trescot hergestellte Kontakt eingefroren, bis er schließlich ganz abbrach.323 Aufgrund ihres kulturell übersteigerten Ehrverständnisses, das über die Ehrverletzung der Neutralität nicht geschmeidig hinweggehen konnte, verschlossen sich die Konföderierten den günstigen Konstellationen der internationalen Politik, die sich während des ersten Kriegsjahres durchaus ergaben. Dieser Ideologieprimat erhielt durch den militärischen Erfolg im Sommer 1861 weitere Nahrung. Trotz des Scheiterns der Yancey-Mission sahen Davis und Hunter daher keine Veranlassung, die Prämissen der Außenpolitik grundlegend zu überdenken. Die Schlüssigkeit ihres Konzeptes schien sich abermals zu bestätigen, als die atlantische Welt im November ganz unvermittelt von der schwersten Krise seit dem Krieg von 1812 heimgesucht wurde.324 Die Neutralität geriet nun ernsthaft auf den Prüfstand, und die Praxistauglichkeit einer Strategie, die auf den Pfeilern von Erpressung und Ehre gebaut war, musste sich erweisen.
Das Dogma der Ehre und die Realitäten der Außenpolitik: Der Süden, England und die Trent-Krise, 1861 / 62 Zum Jahresende 1861 schienen die Konföderierten Staaten für einige Wochen nicht nur auf die Anerkennung, sondern sogar auf eine Waffenallianz mit Großbritannien hoffen zu dürfen.325 Auslöser für diese dramatische Zuspitzung war paradoxerweise Davis’ Einsicht in das Scheitern der YanceyKommission. Als die britische Intervention auch nach dem Sieg von Bull Run ausblieb, rang sich der Präsident zu einer personellen und institutionellen Revision durch. Am 24. August verfügte er die Auflösung der Kommission und bestellte zwei bevollmächtigte Gesandte zur dauerhaften Interessensvertretung in London und Paris.326 Die Wahl für die englische Gesandtschaft fiel auf James Murray Mason aus Virginia. Mason pflegte zu Davis seit längerem gute Beziehungen und
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schlossen den Anerkennungskomplex kategorisch aus. Vgl. Lyons an Bunch, 05.07.1861, in: BDFA, Teil I, Ser. C, Bd. V, 263. Mitte August geriet Bunch ins Visier Washingtons, und sein Exequatur wurde schließlich widerrufen. Zur Bunch Affair vgl. Berwanger, British Foreign Service, 41 ff. Vgl. Ferris, Desperate Diplomacy, 97 ff., 104 ff.; Bohnam, British Consuls in the Confederacy, 29 ff., 36 ff. Zur Trent-Affäre vgl. klassisch Harris, Trent Affair. Vgl. Standpunkt und Handeln der USA grundsäztlich positiv bewertend Ferris, Trent Affair. Eine kritischere Perspektive gegenüber Washingtons Umgang mit der Affäre vertritt hingegen Warren, Fountain of Discontent. Vgl. Hubbard, Burden of Confederate Diplomacy, 55. Vgl. Davis an Königin Viktoria, 24.08.1861, in: ebd., 111–112; Davis an Napoleon III., 24.08.1861, in: ebd., 113.
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hatte ihm im Februar noch von Washington aus zur Präsidentschaft gratuliert.327 Als der Old Dominion dann zwei Monate später der Konföderation beitrat, stand der Regierung ein langjähriger Senator und Außenpolitiker zur Verfügung.328 Gleichwohl verfügte Mason weder über Reiseerfahrung in Europa noch über Kenntnisse der operativen Diplomatie. Zudem waren seine außenpolitischen Gedankengänge fast durchweg von sektionalen Ressentiments beeinflusst gewesen. Seine Englandassoziationen schwankten von der Anlehnung an den anglophilen Kavaliersmythos Virginias bis zu harten anglophoben Invektiven, die sich vornehmlich gegen die Empire-Politik oder die Sklavereifeindschaft Großbritanniens richteten. Obwohl er selbst nicht dem engeren Kreis der Fire-Eaters angehört hatte, teilte er ihr radikales politisches Profil.329 Im Hinblick auf den Londoner Posten stellte seine emphatische Verteidigung der Sklaverei eine Belastung dar.330 Zudem wies ihn sein polarisierendes Naturell nicht als idealen Kandidaten für den Posten aus: „My wildest imagination will not picture Mr. Mason as a diplomat“, kommentierte Mary Chesnut seinen pseudo-aristokratischen Habitus. „Over here, whatever a Mason does is right in his own eyes. He is above law.“331 Eine glücklichere Hand bewies Davis bei der Entscheidung für die Pariser Repräsentanz. John Slidell aus Louisiana war vor dem Krieg als demokratischer „Boss“ von New Orleans bekannt geworden und hatte in den 1850er Jahren gemeinsam mit Benjamin seinen Staat im Senat vertreten. In Washington genoss er einen Ruf als Meister des parteipolitischen Ränkespiels. Gerade diese „politischen“ Talente mochten ihm in Frankreich zum Vorteil gereichen. So beschrieb ihn William Howard Russell als „excellent judge of mankind, adroit, perceptive, and subtle, full of device and fond of intrigue“.332 In einem kreolischen Milieu aufgewachsen und fließend französisch sprechend, brachte Slidell günstige Vorbedingungen für seinen Start in Paris mit. Rückblickend zeigt sich jedoch, dass sein Engagement am Quai d’Orsay von Beginn an durch die Konstellationen der internationalen Politik behin-
327 Vgl. Mason an Davis, 12.02.1861, in: Christ / Dix (Hg.), Papers of Jefferson Davis, Bd. 7, 39–40. 328 Vgl. Mason an Davis, 21.04.1861, in: ebd., 113–115, hier 114. 329 In Masons Nachlass findet sich der Abdruck einer von Robert Barnwell Rhetts Brandreden aus dem Jahre 1838. Vgl. Rhett, Address [….] upon the Subject of Abolition, 15.01.1838, James Murray Mason Papers, LC, Bd. 1. 330 Vgl. so für die englische Perspektive urteilend Blackett, Divided Hearts, 130. 331 Vann Woodward (Hg.), Mary Chesnut’s Civil War, 170 f. Die kritische Mary Chesnut hob vor allem die apodiktischen Züge Masons hervor. „Mr. Mason is a high and mighty Virginian. He brooks no opposition to his will.“ So bekannte sie freimütig: „Well, this sending Mr. Mason to London is the maddest thing yet. Worse in some points of view than Yancey, and that was a catastrophe.“ Ebd., 121, 171. 332 The Times, 09.12.1861, zit. n. Hubbard, Burden of Confederate Diplomacy, 56.
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dert wurde.333 Zwar sympathisierte Kaiser Napoleon III. offen mit der südstaatlichen Sache und zeigte sich auch keineswegs abgeneigt, die Konföderation anzuerkennen.334 Zugleich hatte er aber stets darauf zu achten, die durch seine sprunghafte Außenpolitik hervorgerufenen Disharmonien im Verhältnis zu Großbritannien nicht zu vertiefen. Damals bereitete der Kaiser gemeinsam mit Engländern und Spaniern eine konzertierte Militäraktion zur Schuldeneintreibung in Mexiko vor.335 Palmerston unterstützte dieses Projekt nur zögernd, und Napoleon war daher bestrebt, das Misstrauen gegenüber seinen imperialen Ambitionen in der Neuen Welt abzubauen. Obwohl das anglofranzösische Konzert eine Reihe von Missverständnissen produzierte336, verpflichtete es den unruhigen Kaiser letztlich auf die europäische Neutralität. Wie John Slidell nach seinen ersten Sondierungsgesprächen notieren musste: „He does not feel strong enough to take, in his foreign policy, any important step that may not meet with the assent of Great Britain.“337 Die Berufung Masons und Slidells bedeutete keinen konzeptionellen Kurswechsel in der südstaatlichen Diplomatie. In den Instruktionen für die Gesandten ist von einer Neuausrichtung der auswärtigen Politik nichts zu sehen. Was das State Department im September 1861 aufsetzte, war einmal mehr eine Melange aus Moral und Machiavellismus, Politik und Weltanschauung, ökonomischer Erpressung und idealistischer Ehrrhetorik.338 Die einzig nennenswerte Innovation betraf die Fokussierung auf die Durchlässigkeit der nordstaatlichen Seeblockade. Tatsächlich war diese Strategieverschiebung eine durchaus plausible Konsequenz der Bunch-Trescot-Gespräche vom vergangenen Sommer. Nachdem die Konföderierten die Prinzipien der Seerechtsdeklaration größtenteils anerkannt hatten, bestanden sie nun gegenüber der britischen Regierung auf der Beachtung des Blockadeartikels: „If therefore we can prove the blockade to be ineffectual, we perhaps have a right to expect that the nations assenting to this declaration of the conference at Paris will not consider it to be binding.“339 Gemäß den Vorgaben ihres le333 Zur Gesandtschaft Slidells in Paris vgl. die ältere Arbeit von Willson, Slidell and the Confederates in Paris. 334 Vgl. Slidell an Hunter, 25.07.1862, in: O.R.N., Ser. II, Bd. 3, 481–490, hier 485. Slidell wurde regelmäßig vom Kaiser zu informellen Audienzen empfangen. 335 Zur Mexiko-Politik vgl. Hanna / Hanna, Naopleon the Third and Mexico. Vgl. zuletzt Cunningham, Mexico and the Foreign Policy of Napoleon III. 336 Von Nordstaaten-Seite wurde wiederholt gemutmaßt, die Entente zwischen London und Paris diene zur Abfederung einer gemeinsamen Intervention. Vgl. Adams an Seward, 31.01.1862, in: Papers Relating to Foreign Affairs, 1862, 19–20; Seward an Adams, 04.02.1861, in: ebd., 20–21; Dayton an Seward, 12.02.1862, in: ebd., 315–317. Vgl. auch Ferris, Seward and the Faith of a Nation, 167 f. 337 Slidell an Hunter, 26.02.1862, in: O.R.N., Ser. II, Bd. 3, 347–350, hier 348. 338 Vgl. Hunter an Mason, 23.09.1861, in: O.R.N., Ser. II, Bd. 3, 257–264; Hunter an Slidell, 23.09.1861, in: ebd., 265–273. 339 Hunter an Mason, 23.09.1861, in: ebd., 257–264, hier 263. Vgl. auch Davis, Mes-
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galistischen Denkens, das von den Handlungsgeboten der Ehrkultur noch bekräftigt wurde, betrachteten die Südstaatler die überfällige Intervention Großbritanniens als logische Folge dieser Rechtsverletzung – dann nicht unbedingt in Form der diplomatischen Anerkennung, sondern als Marineaktion gegen die nordstaatliche „Papierblockade“. Vorerst bleibt festzuhalten, dass die neue Initiative wenig mehr als eine taktische Verschiebung in einem beschränkten Ideensystem war. An den grundlegenden Prämissen änderte sich nichts. In keiner Zeile der Instruktionen wurde etwa die Schlüssigkeit der Baumwolldoktrin hinterfragt, die der als durchlässig angeprangerten Blockade den Anschein von Effektivität verliehen hatte.340 Mason sollte sich als treuer Adept der anglophoben Baumwolldiplomatie von Jefferson Davis erweisen.341 Danach klagte die Konföderation von den Mächten noch immer etwas ein, auf das sie zwar ein legitimes Anrecht besaß, das jedoch zur Sicherung der Unabhängigkeit von geringer Bedeutung war.342 Nur im personellen, nicht im konzeptionellen und programmatischen Bereich zog die Davis-Regierung die Konsequenz aus dem Scheitern ihrer bisherigen Europapolitik. Dass den Gesandten beinahe der Durchbruch gelungen wäre, lag nicht an ihrem eigenen Zutun. Unter abenteuerlichen Begleitumständen hatten Mason und Slidell in Charleston die Blockade durchbrochen und sich nach Havanna gerettet, von wo aus sie die weitere Reise auf einem neutralen Schiff fortzusetzen gedachten.343 Am 7. November bestiegen sie den britischen Postdampfer Trent, der zwischen Vera Cruz und St. Thomas verkehrte, ihrer letzten Zwischenstation vor Southampton.344 Zeitgleich kreuzte in den Bahamas-Gewässern die Schaluppe U. S. S. San Jacinto, deren Kommandant Charles Wilkes beabsichtigte, die Gesandten auf ihrem Weg nach England eigenmächtig aufzuhalten.345 Die Trent segelte unter neutraler Flagge, sie hatte ihre Reise in einem neutralen Hafen aufgenommen und steuerte einen neutralen Zielort an. Nicht nur, dass sie die Unversehrtheitsrechte der Neutralen für sich in Anspruch nehmen konnte. Ihre Aufbringung und Durchsuchung kam auch einer Anerkennung des vom Norden so vehement bestrittenen regulären Kriegszustandes nahe.346 Wilkes rechtfertigte sein Handeln mit dem Verweis auf das in-
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sage to the Provisional Congress, 18.11.1861, in: Richardson (Hg.), Messages and Papers of the Confederacy, Bd. 1, 136–144, hier 142 f. Vgl. Hunter an Mason, 23.09.1861, in: O.R.N., Ser. II, Bd. 3, 257–264. Vgl. Young, Defender of the Old South, 110. Vgl. Hunter an Mason, 23.09.1861, in: O.R.N., Ser. II, Bd. 3, 257–264, hier 264. Vgl. Mason an E. Mason, 14.10.1861, in: Mason, Life and Correspondence, 200– 201, hier 201. Vgl. J. M. Mason an E. Mason, 29.10.1861, in: ebd., 202–204, hier 203 f. Vgl. Long, Glory-Hunting off Havana; Warren, Fountain of Discontent, 13 f. Wilkes bezog sich in seinem Bericht an das Marineministerium eindeutig auf die Tatsache, dass die Konföderierten Staaten von Seiten der europäischen Mächte „were viewed, considered, and treated as belligerents […]. I […] felt no hesitation in boarding and
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ternationale Seekriegsrecht, das es einem Kombattanten erlaubte, diplomatische Depeschen des Feindes auf neutralen Schiffen als Konterbande zu beschlagnahmen.347 Zwar gestand er ein: „[T]hese gentlemen were not dispatches in the literal sense.“348 Da aber Mason und Slidell als akkreditierte Vertreter der konföderierten Regierung reisten, glaubte er sie als „Verkörperung von Depeschen“349 verhaften zu können. Das Argument von der ‚menschlichen Konterbande’ war juristisch höchst anfechtbar. Die Rechtswidrigkeit von Wilkes’ Aktion unterstreichend, inszenierten Mason und Slidell ihren Abgang von der Trent mit einigem Pathos. In sorgsamer Dramaturgie darauf bedacht, dass die übrigen Passagiere – inklusive eines britischen Marineoffiziers – diesen „schändlichen Akt der Piraterie“350 genau registrierten, verstanden sich die Gesandten erst unter vorgehaltenen Bajonetten zur Kooperation. Mason scheint die Folgen seiner Verhaftung bereits vor Ort überschlagen zu haben. Auf der Fahrt in die Bostoner Kerkerhaft, in der Slidell und er bis Januar 1862 verbleiben sollten, teilte er seinem Sekretär mit: „The report of this occurrence in England will produce a profound sensation. A sentiment of public indignation will be aroused, which nothing can resist, and no ministry could live an hour, which did not fully respond to it.“351 So zeigte er sich überzeugt, dass der öffentliche Druck sowie die Handlungsgebote der Ehre die kleinmütigen Motive der Politik hinwegfegen müssten. Die anglophobe Grundannahme des Südens, nach der Londons Blick auf die Welt nur von zynischer Interessenwahrung bestimmt sei, verblasste vorerst hinter der Überzeugung, die englische Großmacht könne auf diesen Affront nur mit Krieg antworten. Die überschäumende Reaktion im Norden schien Mason durchaus recht zu geben: „There is a storm of exultation sweeping over the land“352, vermerkte William Howard Russell in seinem Tagebuch. Nur eine Minderzahl besorgter Stimmen gab zu bedenken, dass die Briten eine solche Verletzung ihrer Neutralitätsrechte kaum hinnehmen würden. Die Mehrheit dürstete im Nachhall des Fiaskos von Bull Run nach einem vorzeigbaren Kriegserfolg.353 Im Jubel über die Verhaftung der südstaatlichen Diplomaten fanden
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searching all vessels of whatever nation I fell in with, and have done so“. Wilkes an [USMarineminster] Gideon Welles, 16.11.1861, in: O.R.N. Ser. I, Bd. 1, 143–145, hier 143. So nach Wheaton, Elements of International Law, Kap. IV, §§ 503, 504, wobei die Anwendung des Durchsuchungsrechts explizit die Anerkennung eines Kriegszustandes einschloss. Vgl. ebd., Kap. IV, § 524. Wilkes an Welles, 16.11.1861, in: O.R.N. Ser. I, Bd. 1, 143–145, hier 143. Ebd., 144. Masons Bericht über den Trent-Zwischenfall, undatiert, in: Mason, Life and Correspondence, 208–246, hier 218. Ebd., 222. Vgl. Russell, Diary North and South, 575. Der Kongress verabschiedete gar eine Belobigungsresolution für Wilkes, die seinem Handeln scheinbar retrospektive Autorisierung verlieh. Vgl. Welles an Wilkes,
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auch anglophobe Gefühlsregungen Gehör, die während der vergangenen Monate latent geschwelt hatten und sich nun an der Oberfläche entluden.354 Hierdurch wurde eine juristische Nachbereitung der Trent-Affäre verhindert und eine Mentalität trotzigen Starrsinns bekräftigt: „Having done wrong, stick to it!“, umschrieb Russell diese Stimmung und vermerkte besorgt: „Thus men’s anger blinds them, and thus come wars.“355 Die Befürchtungen des Journalisten waren nicht aus der Luft gegriffen. Als die Vorgänge an Bord der Trent am 27. November in England bekannt wurden, war die öffentliche Reaktion nicht minder heftig als in Amerika.356 Gestützt auf ein Gutachten der Kronanwälte, erklärte Russell den Vorfall zur „Beleidigung der nationalen Ehre“ Großbritanniens.357 Wie Mason vorausgesehen hatte, geriet die legitime Verteidigung völkerrechtlicher Grundsätze in den Strudel erregter Prestigepolitik: „[I]t appeared to the Cabinet that a gross outrage and violation of international law has been committed, and that your Majesty should be advised to demand reparation and redress.“358 In einer hastig einberufenen Krisensitzung hatte das Kabinett am 29. November über solche Kompensationsansprüche beraten und ein von Earl Russell vorgelegtes Papier gebilligt, das der Union die unverzügliche Freilassung Masons und Slidells sowie eine offizielle Entschuldigung abverlangte.359 Für den Fall einer negativen Replik wurde Lyons angewiesen, die Gesandtschaft in Washington zu räumen. Seine Entschlossenheit ließ Palmerston im Dezember durch sichtbare Kriegsvorbereitungen an der kanadischen Grenze unterstreichen.360 In diesem kritischen Augenblick schaltete sich jedoch die Krone mäßigend in den Entscheidungsprozess ein. Der todkranke Prinzgemahl selbst verbrachte eine Nacht über der sprachlichen Abrüstung des Entwurfes und schickte ihn tags darauf an das Kabinett zurück, ohne die inhaltlichen Positionen abgemildert zu haben.361 Palmerston akzeptierte die Modifikationen
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30.11.1861, in: British and Foreign State Papers, Bd. LV, 617–618. Vgl. Congressional Globe, 37th Congress 2nd Session, 04.12.1861, 13. Vgl. kritisch Lyons an Russell, 03.12.1861, in: BDFA, Teil I, Ser. C, Bd. V, 375–376, hier 376. Vgl. Lyons an Russell, 19.11.1861, in: BDFA, Teil I, Ser. C, Bd. V, 361–362, hier 362; Lyons an Russell, 22.11.1861, in: ebd., 370; Wheeler-Bennett, Trent Affair, 809. Russell, Diary North and South, 575. Vgl. Henry Adams an Charles Francis Adams, Jr., 30.11.1861, in: Levenson (Hg.), Letters of Henry Adams, Bd. I, 261–263. Russell an Lyons, 30.11.1861, in: BDFA, Teil I, Ser. C, Bd. V, 348–349, hier 349. Vgl. in diesem Sinne auch noch Russell, Recollections and Suggestions, 276. Palmerston an Königin Viktoria, 29.11.1861, in: Connell, Regina vs. Palmerston, 309 f. Das Memorandum ist abgedruckt bei Wheeler-Bennett, Trent Affair, 811. Vgl. Bourne, Preparations for War; ders., Britain and the Balance of Power in North America, 220 ff. Die Königin verlieh gegenüber Palmerston ihrem Wunsch nach der Betonung kooperativer Ansätze in Lyons’ Instruktionen deutlich Ausdruck. Vgl. Königin Viktoria an Palmerston, 29.11.1861, in: Connell (Hg.), Regina vs. Palmerston, 310.
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ohne Zögern, was darauf hindeutet, dass er eine Konfrontation mit den Vereinigten Staaten keineswegs um ihrer selbst willen anstrebte. Außenminister Russell wies Lyons sogar an, in seinen Verhandlungen mit Seward besonderes Taktgefühl obwalten zu lassen und „to abstain from anything like menace“.362 Obwohl das Foreign Office weiter auf der Rücknahme der Neutralitätsverletzung (also der Freilassung der Gefangenen) bestand, so deutete er an, würde sich hinsichtlich der formellen Entschuldigung Washingtons ein flexibler Ausweg finden lassen.363 Am Abend des 1. Dezember stach ein Eilbote der Königin mit diesen Anweisungen in See – gerade noch rechtzeitig, bevor die Nachrichten vom gehässigen Jubel der Union über den Trent-Zwischenfall in London eintrafen und weiteres Öl ins Feuer gossen.364 Nicht zuletzt deshalb, weil sie auf Verlauf und Ausgang der Krise keinerlei Einfluss genommen hat, ist die Reaktion des Südens auf die Trent-Affäre kaum beachtet worden.365 Anstatt diplomatisch in die Offensive zu gehen, ließen die Konföderierten die Gelegenheit verstreichen. Sowohl im Hinblick auf ihr nationales Selbstverständnis als auch auf die kulturell fundierte Erwartung, die Mechanik der Ehre würde das große Zerwürfnis in der atlantischen Welt von selbst produzieren, lässt sich ihre Haltung erklären. In den hektischen Wochen nach der Verhaftungsaktion, als die Leidenschaften zunächst entflammten und dann wieder abklangen, gerieten die Prämissen dieser passiven Ehrpolitik freilich in Widerspruch zu dem politischen Kapital, das die Krise für den Süden abzuwerfen versprach. Kaum jemand im Süden konnte sich den Aussichten verschließen, die sich mit der Trent-Krise verbanden. Unabhängig von der Frage, ob sich die Briten tatsächlich auf eine Waffenallianz mit der sklavenhaltenden Konföderation einlassen würden (man mag das mit Recht bezweifeln), hätte die Eröffnung einer zweiten (kanadischen) Front und die Sprengung der Blockade die südstaatliche Unabhängigkeit wohl festgeschrieben.366 Insofern war Wilkes’ un-
362 Russell an Lyons, 01.12.1861, in: Newton (Hg.), Lord Lyons, Bd. I, 62–63, hier 63. 363 Vgl. ebd. 364 Die erste offizielle Unterrichtung des Foreign Office – Lord Lyons Berichte vom 19. November – gingen erst einen Tag später, also am 2. Dezember in London ein. William Howard Russells Briefe aus Washington wurden am 3. und am 10. Dezember in der Times publiziert. 365 Norman Ferris widmet der südstaatlichen Presse-Reaktion auf den Trent-Zwischenfall ein paar Seiten. Vgl. Ferris, Trent Affair, 116 ff. Ebenso en passant handelt Gordon Warren die Attitüde der Konföderierten in der Krise ab. Vgl. Warren, Fountain of Discontent, 43 ff. Charles Hubbard hält eher pauschal fest, dass „the Trent affair caught the Confederates unprepared to respond. […] Their feeble attempts only served to further demonstrate Confederate diplomatic ineptness“. Hubbard, Burden of Confederate Diplomacy, 64. 366 Vgl. so die Einschätzung bei Jones, Union in Peril, 85; Nevins, Improvised War, 388.
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bedachtes Handeln „die beste Sache, die passieren konnte“, wie der zwischenzeitlich zum Kriegsminister promovierte Judah P. Benjamin vermerkte.367 Den Gesetzen der Ehre gehorchend, bediente sich Jefferson Davis in den öffentlichen Stellungnahmen zur Trent-Krise einer idealistischen Sprache und forderte die prompte Wiedergutmachung der Neutralitätsverletzung ein: „These gentlemen were as much under the jurisdiction of the British Government upon that Ship and beneath its flag as if they had been on its soil and a claim on the part of the United States to seize them in the streets of London would have been as well founded as that to apprehend them were they were taken.“368 Die logische Schlussfolgerung hieraus war die sofortige Überstellung der Gefangenen und die Deeskalation der Spannungen – also genau das, woran der Regierung auf dem Höhepunkt der Krise am wenigsten gelegen sein konnte.369 Weil die Unvereinbarkeit zwischen Ehre und Interesse kaum aufzulösen war, bekamen die Beauftragten in Großbritannien keine operativen Weisungen für ihr Auftreten in London an die Hand.370 Die – nun unfreiwillig verlängerte – Yancey-Kommission konnte zudem nur noch schriftlich mit Earl Russell verkehrten und wurde während der Beratungen der letzten Novembertage auch zu keinem Zeitpunkt konsultiert. Dennoch verfassten Yancey und seine Kollegen unmittelbar nach bekannt werden der Trent-Affäre einen Brief an das Foreign Office, in dem sie mit penibler Gründlichkeit die Rechtslage erläuterten und die sofortige Rückkehr von Mason und Slidell unter „den Schutz der britischen Flagge“ forderten.371 Hiernach klinkten sie sich aus der weiteren Diskussion weitgehend aus und versteiften sich auf eine Strategie, die sie den zwischenzeitlich in ihren Besitz gelangten Instruktionen Masons und Slidells entnommen hatten: die Klage gegen die Durchlässigkeit der nordstaatlichen Seeblockade.372 Am 29. November, als das britische Kabinett um die Formulierung des Ultimatums an Washington rang, stellten sie dem Foreign Office eine Liste aller 367 Jones, Rebel War Clerk’s Diary, 18.11.1861, 56. 368 Davis’ Kongressbotschaft v. 18.11.1861, in: Richardson (Hg.), Messages and Papers of the Confederacy, Bd. 1, 136–144, hier 142. 369 So erkannte William L. Yancey in London, dass „[i]f M[ason] and S[lidell] be given up, the Government here will […] postpone or refuse recognition“. Yancey an Hunter, 31.12.1861, in: O.R.N., Ser. II, Bd. 3, 312–313, hier 313. Sogar John Slidell selbst verlieh nach seiner Freilassung der Meinung Ausdruck, „that for myself, however irksome or perhaps dangerous our situation was, I should have preferred that our release had been refused, that the war with England (…) could not have lasted three months, and then everything would have been settled to our satisfaction“. Slidell an Hunter, 11.02.1862, in: ebd., 336–341, hier 340. 370 Vgl. Hunter an Yancey, Rost u. Mann, 20.11.1861, in: ebd., 296–298, hier 297. 371 Yancey, Rost u. Mann an Russell, 27.11.1861, in: BDFA, Teil I, Ser. C, Bd. V, 352– 353, hier 353. 372 Die Papiere Masons waren vom Postoffizier der Trent in Gewahrsam genommen und der Kommission zugestellt worden. Vgl. Yancey, Rost u. Mann an Hunter, 02.12.1861, in: O.R.N., Ser. II, Bd. 3, 304–306, hier 305.
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Blockadebrecher der letzten Monate zu.373 Ihnen scheint entgangen zu sein, dass die Briten keinen besseren Rechtsvorwand zur Intervention als das TrentDebakel würden finden können, wenn sie wirklich nach einem solchen gesucht hätten. In politischer Hinsicht war der formaljuristische Angriff auf die Blockade zu diesem Zeitpunkt eine Fehlkalkulation, die auf der Annahme beruhte, Englands Neutralität sei in Wahrheit nur Vorspiel zur unvermeidlichen Intervention, für die es höchstens noch eines passenden Anlasses bedürfe. Mitgerissen von dieser Illusion fanden die Beauftragten in den ersten Dezemberwochen zu neuem Optimismus: „At present there is a probability that our recognition by Her Britannic Majesty’s Government will not be much longer delayed.“374 Doch falls die Konföderationsdiplomaten angenommen hatten, die Krise würde ihnen die seit Monaten verschlossenen Türen zum Foreign Office wieder öffnen, sahen sie sich getäuscht. Eine gute Woche nach Übersendung der Blockadeliste setzte der Außenminister den verspäteten Schlussstrich unter das Scheitern ihrer Mission: „Lord Russell presents his compliments to Mr. Yancey, Mr. Rost, and Mr. Mann. He has had the honor to receive their letters […], but in the present state of affairs he must decline to enter in any official communications with them.“375 Während Russells Abfuhr die Wunschbilder der Beauftragten in London endgültig zerfallen ließ, kühlte sich die Euphorie in der Union merklich ab.376 Ein militärischer Konflikt mit Großbritannien, leuchtete es einer Mehrheit inzwischen ein, würde die Sezession faktisch besiegeln.377 So sah sich die Lincoln-Administration mit der Aufgabe konfrontiert, den berechtigten Forderungen nachzukommen, ohne im Innern das Gesicht zu verlieren. Im Angesicht dieses Dilemmas agierte die Regierung ziellos und unentschlossen. Der Präsident selbst war einer Freilassung der konföderierten Gesandten wenig zugeneigt und favorisierte stattdessen ein internationales Schiedsgerichtsverfahren, das ohne parteiliche Einflussnahme über die Rechtmäßigkeit des Vorgangs befinden sollte.378 Lincolns umständlicher Vorschlag verkannte die Dringlichkeit der Situation und brachte ihn in Gegensatz zu Seward, der nun in die ungewohnte Rolle eines anglo-amerikanischen Friedensbewahrers hineinwuchs. Obwohl er sich öffentlich wieder einmal recht aggressiv gebärdete379, zeigte er sich intern realistisch genug, um die Aus373 374 375 376 377
Vgl. Yancey, Rost u. Mann an Russell, 29.11.1861, in: ebd., 298–301. Mann an Hunter, 02.12.1861, in: ebd., 307. Russell an Yancey, Rost u. Mann, 07.12.1861, in: ebd., 310. Vgl. Ferris, Trent Affair, 35 f.; Dülffer u.a., Vermiedene Kriege, 80 f. Vgl. C. F. Adams, Jr., an H. Adams, 10.12.1861, in: Ford (Hg.), Cycle of Adams Letters, Bd. I, 79–81, hier 81; C.F. Adams, Jr., an C. F. Adams, 22.12.1861, in: ebd., 89–90. 378 Vgl. Donald, Lincoln, 320; Warren, Fountain of Discontent, 179; Sandburg, Abraham Lincoln, Bd. 1, 365. Vgl. grundsätzlich Ferris, Lincoln and the Trent Affair. 379 So drohte Seward Mitte Dezember auf einem Galaempfang in Washington für den
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weglosigkeit seiner Politik klar einzugestehen. In seiner schriftlichen Replik an Lyons unternahm er die schwierige Gratwanderung zwischen Deeskalation und Prestigewahrung, indem er die traditionelle Rolle der Vereinigten Staaten als Hüterin der Neutralitätsrechte im Seekrieg instrumentalisierte und somit die Forderung Großbritanniens nach Satisfaktion in den größeren Kontext amerikanischer Politik seit dem Unabhängigkeitskrieg stellte. Mit anderen Worten: „We are asked to do to the British nation just what we have always insisted all nations ought to do to us.“380 Seward gelang so die Wahrung der Ehre unter den realen Verhältnissen der Außenpolitik (was den Südstaatlern, die einem ungleich dogmatischeren und unflexibleren Ehrbegriff anhingen, nie möglich war). In einer abschließenden Kabinettssitzung am ersten Weihnachtsfeiertag schwenkte Präsident Lincoln auf den Kurs seines Außenministers um und teilte ihm anerkennend mit: „I found I could not make an argument that would satisfy my own mind and that proved me your ground was the right one.“381 Die Entscheidung zur Freilassung der konföderierten Gesandten beendete die akute Gefahr eines anglo-amerikanischen Krieges, und die allseitige Erregung über den Trent-Zwischenfall ebbte schnell wieder ab. Die knappe Vermeidung des Krieges wirkte wie ein reinigendes Gewitter im Verhältnis zwischen Amerika und England.382 Zwar war die Zeit der anglo-amerikanischen Verstimmungen keineswegs vorüber. Rückblickend markiert die Trent-Affäre aber zweifellos eine Zäsur: Selten zuvor und nie mehr danach sah sich die atlantische Welt der Gefahr einer militärischen Eskalation so unmittelbar ausgesetzt wie in den letzten Tagen des Jahres 1861. Gerade deshalb nahmen die misstrauischen Amerikaner befriedigt zur Kenntnis, dass England eben nicht in machiavellistischer Manier den ersten Vorwand zur Intervention genutzt hatte, während die Briten beruhigt feststellten, dass die Union die Neutralitätsrechte trotz ihrer militanten Rhetorik doch anerkannte. Leidtragender dieser Entspannung war der Süden. Als Gefangene ihrer eigenen Ehrrhetorik hatten die Konföderierten den Widerspruch zwischen Prinzip und Kalkül zu keinem Zeitpunkt auflösen können. So reagierten sie Fall eines anglo-amerikanischen Krieges: „We will wrap the whole world in flames! […] No power so remote that she will not feel the fire of our battle and be burned by our conflagration.“ Besorgt vermerkte der anwesende William Howard Russell, „that Mr. Seward means to show fight“. Gleichwohl versicherte ihm ein anderer Gast beruhigend: „That’s all bugaboo talk. When Seward talks that way he means to break down. He is most dangerous and obstinate when he pretends to agree a good deal with you.“ Russell, Diary North and South, 587. 380 Seward an Lyons, 26.12.1861, in: BDFA, Teil I, Ser. C, Bd. VI, 9–16, 15. 381 Lincoln zit. n. Donald, Lincoln, 323. 382 Vgl. C. F. Adams an C. F. Adams, Jr., 10.01.1862, in: Ford (Hg.), Cycle of Adams Letters, Bd. I, 99–100; H. Adams an C. F. Adams, Jr., 14.02.1862, in: Levenson (Hg.), Letters of Henry Adams, Bd. 1, 281–282; McPherson, Für die Freiheit sterben, 381; Adams, Britain and the American Civil War, Bd. I, 244.
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mit ungläubiger Empörung, als dem Prinzip der Ehre genüge getan wurde, ohne dass das politische Kalkül von Anerkennung und Allianz dabei aufging.383 Kurz nach dem Trent-Vorfall hatte der Kongressabgeordnete James Seddon aus Virginia dem Sezessionsveteranen Edmund Ruffin noch optimistisch prophezeit, das „stolze englische Volk und die Regierung“ würden „die schändliche Beleidigung ihrer Flagge“ kaum mit friedlichen Mitteln beantworten können.384 Ende Dezember begann Ruffin jedoch zu fürchten, dass genau dies möglich sei.385 Als die Nachricht von der Freisetzung Masons und Slidells am 3. Januar schließlich bekannt wurde, ereiferte er sich über eine „elendige Demütigung“ sondergleichen, wie sie von „irgendeiner zivilisierten Nation“ seit hundert Jahren nicht mehr begangen worden sei. Unabhängig von den konstatierten Ehrdefiziten blieb ihm aber nur die Erkenntnis: „This is a bad turn of affairs for us, as removing the otherwise certain occasion of England making war on our powerful & malignant enemy.“386 Die Beauftragten in London vermochten sich diese Wende der Dinge nur mittels anglophober Bilder zu erklären. Noch aus der Rückschau des Jahres 1867 entrüstete sich Kommissionssekretär John Peyton über die Substanzlosigkeit der anglo-südstaatlichen Kulturaffinität, aus der sich eine Intervention aus Gründen der Ehre hätte ableiten können: „[I]t was said that the Southerner was the undegenerated Anglo-Saxon, the pure type of our glorious race, one who preserved the fine traits of character of the old English gentlemen, and with whom the old English gentleman would delight to form the closest alliance.“387 Ob Peyton hier nicht eher den primordialen Kavaliersmythos des Südens auf das Südstaatenbild der Engländer übertrug? Jedenfalls fasste er die vermeintliche Selbstsucht und den Ehrverrat John Bulls in eine harte anglophobe Sprache: „Then, presto, change! Suddenly the cold, commercial policy of England, the policy of the Palmerston Government, of the Jews, money-changers, stockjobbers, and their newspaper organs began again to show itself. […] This was really the English of it.“388 Nur wenige im Süden besaßen die resignierende Weitsicht jenes Mannes, dessen Feldzüge Europas Großmächte in den kommenden Monaten doch noch an die Schwelle der Intervention führen sollten. „You must not build your hopes on peace on account of the United States going into a war with England“, schrieb Robert E. Lee am 25. Dezember, dem Tag der entscheidenden Kabinettssitzung in Washington. „Her rulers are not entirely mad, and if they find England is in earnest, and that war or a restitution of their captives must 383 384 385 386
Vgl. Jones, Rebel War Clerk’s Diary, 01.02.1862, 63. Scarborough (Hg.), Diary of Edmund Ruffin, Bd. 2, 21.11.1861, 172. Vgl. ebd., 28.12.1861, 201. Ebd., 21.11.1861, 206. Zu Ruffins Sicht auf die Trent-Krise vgl. Mitchell, Edmund Ruffin, 201. 387 Peyton, American Crisis, 108. 388 Ebd., 109 f. (Hervorhebung im Original).
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be the consequence, they will adopt the latter. We must make up our minds to fight our battles and win our independence alone. No one will help us.“389 3. 1862–1865: SCHEITELPUNKT UND SCHEITERN Die Initiative gegen die Blockade, Frühjahr 1862 Als Mason am 29. Januar 1862 in London eintraf, hatte die britische Neutralität ihre bis dahin härteste Belastungsprobe überstanden. In Anbetracht seines herzlichen Empfangs in der Hauptstadt gewann er jedoch den Eindruck, dass die öffentlichen Sympathien auch die Politik der Regierung nicht unbeeinflusst lassen könnten: „From all I can gather here, while the ministry seem to hang fire both as regards the blockade and recognition, the opinion is very prevalent and in best informed quarters, that […] the subject will be introduced into the House of Commons and pressed to a favourable vote.“390 Frühzeitig geriet Mason unter den Einfluss seiner Südstaaten-Freunde aus Politik und Wirtschaft. Neben William Lindsay und William Gregory vertraute er sich insbesondere dem Industrie- und Finanzmagnaten James Spence aus Liverpool an, der 1861 eine viel beachtete Streitschrift zum Amerikanischen Bürgerkrieg vorgelegt hatte.391 In den Beratungen mit diesen Lobbyisten wurde der Plan geboren, eine neuerliche diplomatische Initiative nicht auf die Anerkennungsfrage zu konzentrieren, sondern über das Parlament den Druck zur Aufhebung der Blockade zu erhöhen.392 Tatsächlich reagierte die britische Regierung auf den Blockadering um die Küste der Südstaaten zunehmend nervös, wie ihre Reaktion auf einen eigentlich eher nebensächlichen Zwischenfall im Hafen von Charleston belegt. Noch im November 1861 hatte Lyons das Foreign Office über Gerüchte informiert, dass die Unionsregierung diesen wichtigen Anlaufpunkt für Blockadebrecher 389 R. E. Lee an M. Lee, 25.12.1861, in: Lee (Hg.), Recollections and Letters, 58–60, hier 59. 390 Mason an Hunter, 02.02.1862, in: O.R.N., Ser. II, Bd. 3, 326–328, hier 328. 391 Vgl. Spence, American Union. Zu den pro-südstaatlichen Netzwerken in Großbritannien liegt jetzt eine aktuelle Studie vor. Vgl. Bennett, London Confederates. 392 Vgl. Mason an Hunter, 07.02.1862, in: O.R.N., Ser. II, Bd. 3, 330–332, hier 331. Gleichwohl wurde die Anerkennungsfrage nicht aus dem Blick verloren, wie Charles Hubbard suggeriert, wenn er festhält, dass „a denouncement of the blockade was considerably less than the goal of recognition“. Hubbard, Burden of Confederate Diplomacy, 67. Vielmehr erschien ihnen das eine als Mittel zur Erreichung des anderen. „The blockade question is one more easily carried in our favour just now than recognition“, schrieb Mason am 7. Februar 1862 an das State Department, fügte aber umgehend hinzu: „If that is done, recognition will speedily follow.“ Mason an Hunter, 07.02.1862, in: O.R.N., Ser. II, Bd. 3, 330–332, hier 331. Vgl. auch Slidell and Hunter, 11.02.1862, in: ebd., 336–341, hier 338.
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durch die Versenkung von Schiffswracks endgültig verriegeln wolle.393 Am 20. Dezember, inmitten des internationalen Wirbels um die Trent-Affäre, schickte die Unionsmarine vor der Küste South Carolinas eine mit Steinen beladene Walfängerflotte (stone fleet) auf den Meeresgrund.394 Die permanente Beschädigung eines natürlichen Hafens konnte als Unvermögen des Nordens gedeutet werden, die Maßstäbe der Pariser Deklaration für eine „effektive“ Seeblockade zu erfüllen. Mit ungewöhnlich scharfen Worten geißelte Earl Russell die Aktion als „Anschlag auf den Handel der Nationen“ und ein „der Barbarei würdiges Vorhaben“.395 An Maßnahmen der Union, welche die noch immer recht durchlässige Blockade faktisch verdichtet hätten, konnte den Briten letztlich nicht gelegen sein.396 In der Blockadefrage drohten politische und wirtschaftliche Interessen mit dem Völkerrecht in Gegensatz zu geraten. Das bedeutet zwar noch nicht, England habe von 1861 bis 1865 eine illegale Papierblockade anerkannt.397 Dennoch saßen die Konföderierten einer Fehlperzeption auf, wenn sie die Empörung über die Versenkung der stone fleet als günstiges Vorzeichen für einen Angriff auf die Blockade interpretierten.398 Am 10. Februar 1862 wurde Mason vom Außenminister zu einem persönlichen Gespräch auf seinem Privatanwesen empfangen. Anders als der Gesandte befürchtet hatte, scheint die Unterredung in einer höflich-formellen Atmosphäre vonstatten gegangen zu sein.399 Auf Druck seiner Berater unterließ er auch die Anspielung auf den britischen Baumwollbedarf, den die Konföderierten solange hervorgehoben hatten, „until England has become a little sensitive“. Dennoch gab sich Rus-
393 Vgl. Lyons an Russell, 29.11.1861, in: British Parliamentary Papers, Bd. 16, 135. 394 Die Versenkung der stone fleet blieb folgenlos, da die Schiffe von den Gezeitenströmungen aufgebrochen und im Sand vergraben wurden. Vgl. Crook, North, South, and the Powers, 172; Mahin, One War at a Time, 163 f. 395 Russell an Lyons 20.12.1861, in: British Parliamentary Papers, Bd. 16, 127. Vgl. ebenfalls ders. an dens., 16.01.1862, in: ebd., 143. 396 Vgl. Adams, Britain and the Civil War, Bd. 1, 258. 397 Tatsächlich ist die Wirksamkeit der Blockade und ihre Bedeutung für den Ausgang des Krieges bis heute ein Streitobjekt der Historiker. Die These Frank Owsleys von der Ineffektivität der Blockade ist in neuerer Zeit vom Autorenkolleg um Richard Beringer wieder aufgegriffen worden. Vgl. Owsley, King Cotton Diplomacy, 229–268; Beringer u.a., Why the South lost, 53–64. Vgl. hingegen Still, Jr., Naval Siege, 44; Surdham, The Blockade Reconsidered, 14. Zur Forschungsgeschichte vgl. Roark, Behind the Lines, 213. 398 Vgl. Yancey u. Mann an Hunter, 27.01.1862, in: O.R.N., Ser. II, Bd. 3, 319–321, hier 320; Yancey an Hunter, 27.01.1862, in: ebd., 321–322, hier 321; Mann an Davis, 01.02.1862, in: ebd., 323–324, hier 324. 399 Vgl. Mason an Hunter, 22.02.1862, in: ebd., 343–345, hier 343. Mason war vor der Attitüde Earl Russells gegenüber den Konföderierten gewarnt worden. Vgl. Mason an Slidell, 15.02.1862, James Murray Mason Papers, LC, Bd. 1.
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sell derart unverbindlich, dass Mason zu dem Schluss kam: „[H]is personal sympathies were not with us, and his policy is inaction.“400 Der Außenminister hatte seine Politik mit einer Rechtsauslegung verbunden, welche die Neutralität kurzfristig absicherte und zugleich die langfristigen Interessen an einer flexiblen Auslegung des Blockadekonzepts im Blick behielt. Die Legalität von Blockaden wurde nun auch in solchen Fällen anerkannt, in denen eine gewisse Zahl von Schiffen einen Hafen bewachte und eine Gewähr dafür bot, dass jeder Durchbruchsversuch mit einer „offenkundigen Gefahr“ verbunden sei.401 Russells evident danger-Doktrin bot einen noch größeren Auslegungsspielraum als das Effektivitätsprinzip der Pariser Deklaration, das ja schon alles andere als fest definiert gewesen war.402 Während die Union diese Rechtsdehnung als wichtigen Erfolg verbuchen konnte, erregte sich Mason gegenüber Slidell, der neue Standpunkt sei „little better than the old doctrine of paper blockade revived“. Dem Gesandten blieb jetzt nur noch das Vertrauen darauf, dass die Südstaaten-Lobby im Parlament die Regierung zu einer Revision ihrer Politik würde zwingen können: „If they don’t, there can be little present hope of the […] ineffective blockade being repudiated.“403 Masons Skepsis sollte sich als zutreffend erweisen. Am 7. März trug William Gregory den Abgeordneten im House of Commons ein ausführliches Plädoyer gegen die Blockade vor, das einschlägige Präzedenzfälle benannte und aus den Statistiken über Blockadebrecher zitierte, mit denen das Richmonder State Department seine Gesandtschaften in London und Paris versorgt hatte.404 Dass seine Ausführungen die Mehrheit der Abgeordneten nicht zu überzeugen vermochten, lag nicht nur an einigen ungeschickten Formulierungen, sondern ging vor allem auf die Widersprüche im außenpolitischen Konzept des Südens selbst zurück. So löste Gregory die Blockadefrage aus den verwandten Themen Intervention und Anerkennung heraus und gab vor, sie als Problem sui generis zu erörtern, „als Tatbestand und Zeugnis“405, die sich auf empirischer Basis würden bestimmen lassen. Ebenso wie es den konföderierten Diplomaten nie gelungen war, ihre legalistische Argumentation vor dem Überkippen in eine überhitzte Ehrsprache zu bewahren, 400 Alle Zitate: Mason an Hunter, 22.02.1862, in: O.R.N. Ser. II, Bd. 3, 343–345, hier 344. 401 Vgl. Russell an Lyons, 15.02.1861, in: BDFA, Teil I, Ser. C, Bd. VI, 42 f. Wie Russell darüber hinaus noch ausführte: „The fact that various ships may have successfully escaped […] will not, of itself, prevent the blockade from being an effective one by international law.“ 402 Russell griff auf die Bestimmungen der anglo-russischen Marinekonvention von 1801 zurück. Vgl. hierzu Wheaton, Elements of International Law, Kap. IV, § 512; Heintschell von Heinegg, Naval Blockade, 206. 403 Alle Zitate: Mason an Slidell, 29.02.1862, James Murray Mason Papers, LC, Bd. 1 404 Vgl. William Gregory, 07.03.1862, in: Hansard’s Parliamentary Debates, Bd. CLXV, 1158–1182, hier 1166 f., 1171 ff. 405 Ebd., 1170.
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wechselte aber auch ihr britischer Interessenvertreter von einer juristischen in eine ideologische Sprache und verkündete, „that secession was a right, that separation is a fact, and that reconstruction is an impossibility“.406 Als noch verhängnisvoller erwies sich der Versuch, die Klage gegen die „Papierblockade“ durch eine faktische Anlehnung an die konföderierte Baumwolldoktrin zu begründen. Mit ihrer Passivität in der Blockadefrage, so behauptete Gregory, mache sich die Regierung an der Arbeitermisere im Textilbezirk Lancashire mitschuldig.407 William E. Forster, Abgeordneter für Bradford408, der für die Beibehaltung der Neutralität eintrat, erkannte die Blöße, die sich der Südstaaten-Freund damit gegeben hatte. Es sei ja gerade die beklagenswerte Rohstoffknappheit in den Baumwollspinnereien, erklärte er, die einen klaren Beweis für die Effektivität der Seeblockade liefere. Insofern stelle das Foreign Office den Primat des Rechts klar über die Erwägungen der Innenpolitik.409 Daraufhin zog Gregory seinen Antrag zurück, bevor er förmlich niedergestimmt werden konnte. Der Fehlschlag der Parlamentsinitiative vom 7. März enthüllt einmal mehr die Unverträglichkeit zwischen den konkurrierenden Grundtatsachen der konföderierten Außenpolitik, zwischen ihrer Ehrrhetorik und dem anglophoben Fundament, auf dem sie letztlich doch beruhte. Überzeugt von der Unfehlbarkeit ihrer Baumwolldoktrin, hatten die Südstaatler im vorangegangenen Jahr ein Embargo über ihren wertvollsten Exportartikel verhängt und damit einer porösen Seeblockade den Anschein formaler Rechtmäßigkeit verliehen. Als sie nun deren „Ineffektivität“ beklagten und außenpolitisch nutzbar machen wollten, fiel die Erpressungsstrategie auf ihre Urheber zurück. Das Vertrauen auf den Zynismus und die Profitgier der Engländer, welche die Intervention einst hatte beschleunigen sollen, wurde so zu einem wichtigen Faktor für die Bewahrung der Neutralität.410 Dieser Misserfolg erhärtete Masons Überzeugung, die Briten würden ihre Neutralität nicht ohne Zwang aufgeben.411 In seinem Bericht an das State Department überprüfte er auch die Annahmen der King Cotton-Doktrin und stellte (korrekt) fest, dass die Übersättigung der Baumwollmärkte die Preise für Textilerzeugnisse gedrückt und damit den Druck auf die Regierung gering gehalten hätte. Die bisherige Entwicklung führte er freilich auf eine Reihe von unvorteilhaften Kontingenzen zurück, die jetzt – da der Baumwollnach-
406 Ebd., 1159. 407 Vgl. ebd., 1164. 408 Zu Forster, neben John Bright wohl der engagierteste Freund des Nordens unter Englands Politikern, vgl. Jackson, Education Act Forster. 409 Vgl. W. E. Forster, 07.03.1862, in: Hansard’s Parliamentary Debates, Bd. CLXV, 1187–1199, hier 1194. 410 Vgl. Blumenthal, Confederate Diplomacy, 157. 411 Vgl. Mason an Slidell, 15.03.1862, James Murray Mason Papers, LC, Bd. 1.
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IV. Die Konföderation und England, 1861–1865
schub spürbar versiegte – wegfallen würden.412 Daher sah auch er keine Notwendigkeit, von den Vorstellungen des gängigen Englandbildes abzurücken, wonach einzig und allein ökonomische Belange die Formulierung der Politik in Whitehall beherrschten. Bereits Anfang Mai gab er sich wieder zuversichtlich, die verschärfte Lage der Textilindustrie in Lancashire würde die Blockadefrage erneut auf die Tagesordnung bringen.413 Ein kritischeres Urteil über die Bilanz der bisherigen Arbeit fällte hingegen Henry Hotze, zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit im Ausland, der zeitgleich mit Mason in London eingetroffen war. Einige Tage vor Gregorys Auftritt im Parlament hatte Hotze ein Schreiben an Außenminister Hunter verfasst, das die Neutralität der Briten mit der „feigen Angst vor Krieg“ erklärte, aber auch auf ihre Sklavereifeindschaft zurückführte, die ein „Bestandteil des nationalen Bewusstseins“414 in Großbritannien sei. Dass die Diplomaten des Südens diese Tatsache bisher nicht erkannt hätten, erklärte er mit ihrer Neigung, vornehmlich im Kreise von Sympathisanten und Förderern zu verkehren.415 Tatsächlich ließ sich Mason von der Aufmerksamkeit, die ihm in London zu Teil wurde, derart beeindrucken, dass er die gehobene Gesellschaft mit den „Modellen der südstaatlichen gentlemen und ladies“ verglich und als „einfach, herzlich und schlicht“ beschrieb.416 Hotze hingegen fiel es schwer, „to restrain the expression of pain and indignation at the gross, callous, undisguised selfishness and almost brutal indifference with which the great spectacle on the other hemisphere is viewed on“.417 In dem Maße, wie die Frustration der Konföderierten in England stieg, verbesserte sich die Stimmung der Nordstaatenvertreter: „Recognition, intervention is an old song“, jubelte Henry Adams wenige Tage nach der fehlgeschlagenen Parlamentsinitiative.418 Was seinen Optimismus vollends beflügelte, waren die militärischen Neuigkeiten aus Amerika. Während der ersten Hälfte des Jahres 1862 schien sich das Blatt zugunsten der Union zu wenden. 412 413 414 415
Vgl. Mason an Hunter, 11.03.1862, in: O.R.N., Ser. II, Bd. 3, 358–360. Vgl. Mason an Slidell, 05.05.1862, James Murray Mason Papers, LC, Bd. 1. Henry Hotze an Hunter, 28.02.1862, in: O.R.N., Ser. II, Bd. 3, 352–354, hier 353. Vgl. ebd. Obwohl das private Notizbuch Masons diesen Vorwurf weitgehend stützt, sind Ausnahmen zu verzeichnen. Im Zeitraum vom Februar bis Juli 1862 war er fast wöchentlich auf Empfängen und Abendessen britischer Adelsvertreter eingeladen. Dennoch traf er auch liberale Sklavereifeinde wie Richard Cobden. Vgl. Extracts taken from Mr. Mason’s private Memorandum Book, in: Mason, Public Life and Diplomatic Correspondence, 340–342, hier 342. Aufs Ganze gesehen war die Netzwerkpflege des Gesandten sicherlich ein wichtiger Bestandteil seiner Tätigkeit. Henry Adams’ rückblickende Bemerkung, dass „[i]n London society he counted merely for one eccentric more“, ist mit Vorsicht zu bewerten. Adams, Education of Henry Adams, 185. 416 Mason an George Mason, 01.10.1862, in: Mason, Public Life and Diplomatic Correspondence, 342–343, hier 343 (Hervorhebungen im Original). 417 Henry Hotze an Hunter, 28.02.1862, in: O.R.N., Ser. II, Bd. 3, 352–354, hier 353. 418 H. Adams an C. F. Adams, Jr., 15.03.1862, in: Levenson (Hg.), Letters of Henry Adams, Bd. I, 284–286, hier 285. Zu Adams vgl. o. 309, Anm. 161.
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Auf dem westlichen Kriegsschauplatz, in Tennessee und Mississippi, schlug nun die Stunde Grants und Shermans, jener Generäle, die den „Destructive War“419 in das Herz des Südens tragen sollten. Von See her wurde die Eroberung des Mississippi-Flusses durch Vorstöße an der mexikanischen Golfküste flankiert, bis am 26. April die Unionsflagge wieder über den Dächern von New Orleans wehte, der größten Stadt auf konföderiertem Staatsterritorium.420 Obwohl die Europäer diese Bewegungen im Westen nicht übersahen, galt ihre Aufmerksamkeit vor allem den Ereignissen in Maryland und Virginia, wo sich die neu aufgestellte Potomac-Armee unter dem Kommando des charismatischen Generals George Brinton McClellan zum Vorstoß nach Richmond anschickte.421 Zutreffend erkannten Mason und Slidell, dass für einen erneuten Impuls in der Außenpolitik gerade in dieser kritischen Situation nichts dringender benötigt wurde als sichtbare Erfolge auf dem Schlachtfeld.422 Judah P. Benjamin im State Department Als sich die Neutralität der europäischen Mächte auch mit Beginn des zweiten Kriegsjahres noch immer nicht gelockert hatte, stellte die Regierung in Richmond die Grundrichtung ihrer Außenpolitik erstmals in Frage. Ausgelöst wurde diese Revision durch eine Regierungskrise, die aber bezeichnenderweise nicht mit dem Fehlschlag zusammenhing, die Anerkennung auch nur einer einzigen europäischen Macht – geschweige denn Englands – herbeizuführen. Unter dem Eindruck der Niederlagen auf dem westlichen Kriegsschauplatz hatte Präsident Davis am 22. Februar 1862 eine zweite Vereidigungszeremonie zu absolvieren, die seine bisher nur provisorische Regierung offiziell etablierte.423 Den einhundertdreißigsten Geburtstag George Washingtons zum Anlass nehmend, verglich er die Kriegsanstrengungen mit den „heroischen Tugenden“ des amerikanischen Gründungsvaters.424 Während er im Angesicht 419 Royster, Destructive War. Vgl. ähnlich auch Bailey, War and Ruin. 420 Vgl. Foote, Sumter to Perryville, 195 ff., 340 ff.; Nevins, War Becomes Revolution, 14 ff., 75 ff.; Williams, Lincoln Finds a General, 229 ff., 345 ff. Vgl. ferner McDonough, Shiloh; Engle, Struggle for the Heartland. 421 McClellan zählt zu den bemerkenswertesten, aber auch problematischsten Generälen des Bürgerkrieges. Vgl. Sears, Young Napoleon; Rowland, McClellan and Civil War History; Bonekemper, McClellan and Failure. 422 Vgl. Slidell an Hunter, 26.03.1862, in: O.R.N., Ser. II, Bd. 3, 372. Vgl. ferner Mason an Slidell, 10.04.1862, James Murray Mason Papers, LC, Bd. 1. 423 Zur Konstituierung der dauerhaften Regierung vgl. Cooper, Jefferson Davis, 400 ff. 424 Davis, Second Inaugural Address, 22.02.1862, in: Rowland (Hg.), Jefferson Davis, Constitutionalist, Bd. V, 198–203, hier 198. Davis trug seine Rede neben dem monumentalen Washington-Denkmal in Richmond vor. Die ideelle Bezugnahme auf den Un-
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der jüngsten Misserfolge die innere Einheit des Südens beschwor, brachten die außenpolitischen Bemerkungen seine Entrüstung über die als Ehrverletzung angesehene Neutralität zum Ausdruck. Erst wenn „die Unabhängigkeit der Konföderierten Staaten von den Nationen der Erde anerkannt“ sein würde, könne der Süden seinen natürlichen Platz in der atlantischen Ökonomie einnehmen, der Produzenten und Abnehmer gleichermaßen begünstige.425 In Davis’ durchweg negativen Englandbildern hatte das Motiv einer zynischen und selbstsüchtigen Interessenpolitik dominiert. Sein idealistischer Entwurf für eine künftige Freihandelsgemeinschaft wirkt daher eher aufgesetzt. Tatsächlich zeigte er sich auch nach der Inauguration keineswegs bereit, die anglophoben Prämissen der Baumwolldoktrin zu überdenken. Die außenpolitische Akzentverschiebung vom Frühjahr 1862 hing vielmehr mit der subtilen Überzeugungsarbeit des dritten (und letzten) Hausherrn im State Department zusammen: Judah Philip Benjamin. Davis und Benjamin, die sich als Senatoren in Washington einmal einen Ehrdisput mit anschließender Duellforderung geliefert hatten426, entwickelten im Bürgerkrieg eine enge politisch-persönliche Beziehung. Bei der Regierungsbildung in Montgomery hatte der Präsident den versierten Juristen aus Louisiana als Justizminister ins Kabinett geholt und ihn im September 1861 sogar das Kriegsministerium anvertraut, naturgemäß das Zentralressort der Regierung.427 Die Zusammenarbeit zwischen diesen beiden Männern ist einmal als „Maschine“ in der Herzkammer der Konföderation bezeichnet worden.428 Ihr reibungsloses Funktionieren war sicherlich auch darauf zurückzuführen, dass Benjamin die Autorität des Regierungschefs nie hinterfragte und dessen Kurs selbst gegen eigene Überzeugungen loyal unterstützte.429 Durch die Niederlagen im Westen rückte der Kriegsminister aber immer mehr ins Zentrum der öffentlichen Kritik430, und im März 1862 mehrten sich die Zeichen für eine Regierungsumbildung. Wohl in der Annahme, vom Senat aus seine Chancen auf die Nachfolge im Präsidentschaftsamt besser wahren zu können, hatte Hunter am 1. Februar seinen Rücktritt als Außenminister eingereicht.431 Daraufhin machte Davis aus der Not eine Tugend und übergab das Außenministerium am 17. März an Benjamin.
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abhängigkeitskrieg gegen England und die republikanische Staatsgründung wird durch diese besondere Symbolik noch unterstrichen. Ebd., 202. Zu den Hintergründen vgl. Allen, Unconquerable Heart, 242. Zu Benjamins Dienst im Kriegsministerium vgl. Meade, Judah P. Benjamin, 179–244. Vgl. Meade, Confederate Machine. Vgl. Mahin, One War at a Time, 18; Patrick, Davis and His Cabinet, 161; Butler, Judah P. Benjamin, 239. Zur antisemitischen Grundierung der Kampagne vgl. Richmond Examiner, 20.03.1862, in: Daniel, Richmond Examiner during the War, 44–45, hier 45. Vgl. auch ausführlich Evans, Jewish Confederate, 200 ff. Vgl. Fisher, Statesman of the Lost Cause, 229 f.
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Wie schon bei der Ernennung von Toombs und Hunter lagen auch dieser Personalie kaum außenpolitische Erwägungen zu Grunde. Im Unterschied zu seinen Vorgängern konnte Benjamin jedoch auf ein beträchtliches Wissen über die Staaten und Gesellschaften der Alten Welt zurückgreifen. Frühzeitig hatte er sich gegen das Baumwollembargo ausgesprochen und auch später noch Vorbehalte gegen die King Cotton-Doktrin angemeldet.432 Von seiner anti-abolitionistischen Englandkritik einmal abgesehen, die ohnehin zum Grundvokabular der Südstaaten-Sprache gehörte, kann er als der anglophilste unter den Konföderationspolitikern gelten, woraus sich eine Distanz zur Baumwolldiplomatie, die ja auf einer Reihe von anglophoben Prämissen beruhte, zum Teil erklärt. Seinem eher pragmatischen Politikbegriff entsprechend, dürfte ihm der Widerspruch zwischen dem idealistischen Selbstbild der Konföderation und ihrer machiavellistischen Außenpolitik nicht entgangen sein. Vor allem aber musste er zur Kenntnis nehmen, dass man die begrenzten Spielräume unnötig beschnitten und auf den Import wichtiger Kriegsgüter verzichtet hatte. Anstatt das „weiße Gold“ des Südens auf den Plantagen einzubehalten oder gar zu verbrennen, so insistierte Benjamin gegenüber Davis, solle es als kommerzieller Köder weniger gegenüber England als vielmehr gegenüber Frankreich eingesetzt werden, um dessen Intervention gleichsam zu „erkaufen“. In seinen Instruktionen für Slidell vom 12. April 1862 stellte er der französischen Regierung eine beträchtliche Baumwollmenge zum Vorzugspreis in Aussicht, wobei er keinen Zweifel daran ließ, dass sie eigenständige Schritte würde unternehmen müssen, um die Wiederaufnahme der atlantischen Baumwolllieferungen zu gewährleisten.433 So originell und viel versprechend die Initiative (zu einem früheren Zeitpunkt) hätte sein können, verkannte sie doch die Faktoren der europäischen Mächtepolitik, die Napoleon III. auf seine Neutralität verpflichteten. In seinen ersten Anweisungen für Mason in London blieb Benjamin bei den vertrauten Themen der Englandpolitik. Noch in Unkenntnis der gescheiterten Parlamentsanfrage Gregorys434, befasste er sich ausführlich mit der Blockadefrage und assoziierte das Verhalten der englischen Regierung mit mangelnder Vertragstreue, als er (durchaus zu Recht) darauf hinwies, dass Earl Russels evident danger-Doktrin gegen die von Großbritannien selbst befürworteten Regeln der Pariser Seerechtsdeklaration verstieß.435 Einen be432 Vgl. Benjamin an Davis, 12.03.1862, in: O.R.A., Ser. IV, Bd. 1, 987–989, hier 988. 433 Vgl. Benjamin an Slidell, 12.04.1862, in: O.R.N., Ser. II, Bd. 3, 386–390, hier 387. Darüber hinaus wurde Slidell ermächtigt, den Franzosen eine exklusive Freihandelsvereinbarung ohne jede Zollbeschränkung anzubieten. 434 Vgl. Benjamin an Mason, 08.04.1862, in: O.R.N., Ser. II, Bd. 3, 379–384, hier 379. Zu diesem Zeitpunkt hatte das State Department seit zwei Monaten nichts mehr von dem Gesandten aus London gehört. 435 Vgl. ebd., 380. Benjamin war mit dem internationalen Blockaderecht gut vertraut.
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merkenswerten Verantwortungstransfer vornehmend, warf er England und den europäischen Mächten sogar vor, sie hätten das Blockadeproblem selbst verschuldet, indem sie die Proklamation einer illegalen Papierblockade anerkannten und ihre Substanz niemals austesteten.436 Als Mason die Instruktionen nach monatelanger Verzögerung empfing, erregte er sich im gleichen Tenor über den eigennützigen Umgang mit Rechtsverpflichtungen, die „klar und endgültig“ niedergelegt worden seien. Der Gesandte, der die europäische Machtpolitik stets negativ betrachtet hatte, ordnete dieses Verhalten in anglophobe Kategorien ein und gab resignierend-zynisch zu verstehen: „Such is British faith.“437 Benjamins legalistischer Politikbegriff orientierte sich hingegen am Vorbild der englischen Rechtstradition. Mehrfach hatte er in früheren innenpolitischen Debatten auf Beispiele des Common Law und der British Constitution verwiesen.438 Der Umstand, dass gerade die Londoner Regierung das Völkerrecht jetzt so offenkundig beugte, mag zum entrüsteten Tonfall seiner Mason-Instruktionen beigetragen haben. Hierzu passen auch seine Invektiven gegen die Neutralität, die so weit gingen, das fortgesetzte Blutvergießen in Amerika mit der Weigerung der Neutralen zu begründen, „unsere unabhängige Existenz als eine Nation der Erde“ anzuerkennen.439 Wie sehr auch Benjamin die Neutralität als Ehrverletzung begriff, wird in einer anderen Wendung deutlich, die das gesamte Desaster des Krieges auf den Schultern der Europäer ablud: „So long as England as well as the other neutral powers shall continue practically to assert, as they now do, their disbelief of our ability to maintain our Government, what probability is there that our enemy will fail to rely on that very fact as the best ground for hope in continued hostilities?“440 Im Lichte der ansonsten so betonten Irrelevanz einer Intervention erscheint diese Erklärung als Offenbarungseid. Gerade der „Realist“ Benjamin zeigte die Grenzen der südstaatlichen „Realpolitik“ deutlich auf. Das politisch-kulturelle Klima des Südens vermochte schlichtweg keinen „Realpolitiker“ hervorzubringen, dem es möglich gewesen wäre, den Bann des Dogmas
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Bereits 1846 hatte er einen historischen Abriss zum Thema verfasst. Ironischerweise bezog er sich hier ausführlich auf die in der anglo-russischen Marinekonvention von 1801 festgelegte evident danger-Doktrin, nach der ein Hafen blockiert sei, wenn eine „evident danger in attempting to enter it“ bestehe. Benjamin, Blockade, in: DeBow’s Review 6 (1846), 499–503, hier 500. Seither war die völkerrechtliche Praxis durch die Pariser Seerechtsdeklaration neu definiert worden. Legalistisch betrachtet, war Benjamins Kritik an Russell nicht von der Hand zu weisen. Vgl. Benjamin an Mason, 08.04.1862, in: O.R.N., Ser. II, Bd. 3, 379–384, hier 382. Alle Zitate: Mason an Benjamin, 30.07.1862, in: ebd., 490–495, hier 491. Vgl. o. 247, 250. Benjamin an Mason, 12.04.1862, in: O.R.N., Ser. II, Bd. 3, 384–386, hier 385. Ebd., 386.
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zu durchbrechen, ohne damit die ideologische Fundierung des Krieges als solches ad absurdum zu führen.441 So hielten sich die konzeptionellen Spielräume in der Englandpolitik nach wie vor in engen Grenzen. Zwar intensivierte Benjamin die bereits laufenden Bemühungen um die öffentliche Sympathiewerbung in Großbritannien und entsandte mit dem Ex-Konsul Edwin de Leon einen weiteren Pressebeauftragten über den Atlantik.442 Zudem wurde im Sommer die Fertigstellung der konföderierten Kriegsschiffe C. S. S. Florida und C. S. S. Alabama abgeschlossen.443 Diese bedeutsamen Erfolge für die Seekriegsführung des Südens waren freilich vor allem den konspirativen Talenten des Beauftragten für den Bau der Kaperschiffe, James D. Bulloch, zu verdanken.444 Obwohl letztlich nur diese verdeckten Operationen fassbare außenpolitische Erfolge zeitigten, brachten sie dem Krieg keine entscheidende Wende. Auf der anderen Seite blieben die zentralen diplomatischen Ziele, nämlich Anerkennung und Intervention, in der Amtszeit Benjamins unerreicht, die keinen Paradigmenwechsel bewirkte. Aber auch die gegenüber Frankreich intendierte Abkehr von der King Cotton Diplomacy konnte ihr partnerschaftliches Potential nie voll entfalten. Zwar sorgten Berichte über eine Privatreise des französischen Konsuls Henri Mercier nach Richmond, wo er mit hochrangigen Regierungsmitgliedern sprach, für einiges Aufsehen.445 Weil Napoleon III. jedoch weder die Briten zum Handeln zwingen konnte noch zur eigenmächtigen Intervention bereit war, erwiesen sich alle Hoffnungen als Trugschluss. 441 Wie Frank Merli formuliert: „The failure of Confederate statesmen to exploit international support in their search for independence had tragic consequences for their dreams. Apparently, no one in the upper echelons of Richmond’s foreign policy elite had any sophisticated understanding of the nineteenth-century world of Realpolitik. Jefferson Davis, Judah P. Benjamin, James Mason […] suffered from misunderstandings and misperceptions about the world of Lord Palmerston, Lord Russell, and Louis Napoleon. […] The leaders of the new nation […] were victims of a warped worldview.“ Merli, The Alabama, British Neutrality, and the American Civil War, 156. 442 Vgl. DeLeon, Four Years in Rebel Capitals. 443 Zum konföderierten Schiffsbau in England vgl. klassisch Merli, Great Britain and the Confederate Navy. Vgl. ferner Spencer, Confederate Navy in Europe; Merli, The Alabama, British Neutrality, and the American Civil War. Zu den beiden bekanntesten Kaperschiffen vgl. Owsley, Jr., The Florida; Maynard, Plotting the Escape of the Alabama; Boykin, Ghost Ship of the Confederacy; Robinson, Shark of the Confederacy; Taylor, Confederate Raider. Zu den anglo-amerikanischen Entschädigungsverhandlungen nach dem Krieg vgl. Crook, Alabama Claims. Neben dem Schiffbau gehören vor allem die Material- und Kreditbeschaffungsmaßnahmen zum operativen Teil der Außenpolitik. Vgl. dazu Boaz, Guns for Cotton; Lester, Confederate Finance and Purchasing in Great Britain. Vgl. auch immer noch Schwab, Confederate States of America. 444 James Dunwoody Bulloch aus Georgia hat noch keinen wissenschaftlichen Biographen gefunden. Vgl. aber Roberts, Bulloch and the Navy. Bulloch selbst hat Memoiren hinterlassen. Vgl. Bulloch, Secret Service. 445 Vgl. Mason an Ambrose D. Mann, 11.05.1862, James Murray Mason Papers, LC, Bd. 2.
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In London haderte James Murray Mason mit der Erfolglosigkeit seiner Mission. Bereits im Mai hatte er sich über seine defizitäre Unterrichtung durch das State Department beklagt und um „Worte der Ermunterung und Hoffnung“ gebeten.446 Diese Beschwerden mögen seine Frustration darüber kaschiert haben, dass er sich inoffiziell und unakkreditiert in einem politisch abweisenden Umfeld bewegen musste – und dass ihm die englische Regierung bisher jene Form der Ehrbezeugung verweigert hatte, die er für sich und seine Nation in Anspruch nehmen zu können glaubte. Emanzipation mit dem Schwert? Die Vorboten der Sklavenbefreiung Im Verlauf des Jahres 1862 wandelte sich der in vielerlei Hinsicht „improvisierte“ Kampf um die Restauration der alten Union in einen Massenkrieg mit gravierenden Konsequenzen für das politisch-soziale Gefüge Amerikas.447 Im Frühjahr stieß die Potomac-Armee unter dem Kommando McClellans entlang der Küste nach Richmond vor.448 Noch während sich der Belagerungsring um die Hauptstadt schloss, wurde der verantwortliche Befehlshaber der Verteidigungstruppen verwundet. Daraufhin übergab Davis das Kommando an Robert E. Lee aus Virginia, der eine waghalsige Offensivtaktik praktizierte.449 In einem sieben Tage währenden Kampf schlug Lee die Invasionstruppen zurück und zwang sie zum Rückzug nach Norden.450 Unter dem Eindruck dieser dramatischen Wende wurde die auswärtige Politik des Südens wieder beflügelt.451 Am 18. Juli legten die Konföderationsfreunde unter Federführung William Lindsays dem britischen Parlament einen oft verschobenen Antrag zu einer europäischen Friedensinitiative auf Basis der Teilung vor. Da jedermann wusste, dass der Norden eine solche Offerte als unfreundliche Einmischung in innere Angelegenheiten zurückweisen
446 Mason an Benjamin, 15.05.1862, in: O.R.N., Ser. II, Bd. 3, 420–422, hier 420. 447 Die revolutionären Implikationen des Konfliktwandels betont McPherson, Second American Revolution, 14 ff. Vgl. auch Hagerman, American Civil War and the Origins of Modern Warfare. Charles Royster sieht in der ideologischen Unversöhnlichkeit das wesentliche Erklärungsmoment für die Zerstörungskraft des Krieges. Vgl. Royster, Destructive War, xxi; auch Doughty u.a., American Civil War, 61 ff., 93 ff.; McPherson, From Limited To Total War, 66 ff.; Simpson, America’s Civil War, 70–100. 448 Vgl. Sears, Gates of Richmond; Gallager, Richmond Campaign of 1862. 449 Vgl. McWhiney / Jamieson, Attack and Die, 9 ff., 73 ff., 161 ff. Zu Lee vgl. klassisch Freeman, R. E. Lee. Revisionistische Interpretationen bieten Connelly, Marble Man; Nolan, Lee Considered; Fellman, Making of Lee. Mit der Arbeit von Emory Thomas liegt eine „postrevisionistische“ Synthese vor. Vgl. Thomas, Robert E. Lee. 450 Zur Sieben-Tage-Schlacht vgl. Dowdey, The Seven Days. 451 Vgl. Mason an Slidell, 13.07. u. 18.07.1862, James Murray Mason Papers, LC, Bd. 1
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würde, ließ sich die Parteilichkeit der Aktion kaum verdecken.452 Insofern ist die knappe Replik des Premierministers zwar nicht in der Sache, wohl aber in der Form aufschlussreich. Gegen jede Art der Einmischung in die Amerikapolitik eintretend, befand Lord Palmerston, nur die Regierung sei befähigt, „den verschiedenen Fakten des Moments gemäß“ zu beraten und zu handeln: „[W]e should be perfectly justified in acknowledging the independence of the Southern States, provided only that that independence had been […] firmly and permanently established.“453 Die unklaren Informationen über McClellans Rückschlag vor Richmond reichten ihm dafür nicht aus. Weil die Kriegsgegner ihre Armeen auch weiterhin im Feld hielten und ungebrochenen Siegeswillen bezeugten, schien ihm der Zeitpunkt für eine Initiative eher ungünstig.454 Gleichwohl beruhte sein Einwand gegen die Intervention auf kontingenten Faktoren und war nicht prinzipiell begründet. Hierzu passt die abschließende Erklärung, das Kabinett würde zu gegebener Zeit sorgsam abwägen, „what can be done, when it can be done, and how it can be done“.455 Mason wählte für die Beschreibung der englischen Politik immer schärfere Worte.456 Die Handlungsgebote seines Ehrbegriffs stießen sich an der nüchtern praktizierten Realpolitik Palmerstons. Am 7. Juli, wenige Tage nach dem verspäteten Empfang der Instruktionen, hatte er Benjamins Argumente in einem Brief an das Foreign Office niedergelegt.457 So fügte es sich denn, dass dieselben Südstaatler, die darauf gesetzt hatten, dass der englische Primat der Ökonomie über das Recht und die Moral zur Intervention führen müsse, ihre Klage über das Ausbleiben dieser Intervention in einer legalistischen und moralischen Sprache artikulierten. In einer Audienzanfrage an Russell vom 24. Juli, die als Vorstufe eines formellen Anerkennungsgesuchs gedacht war, kam Mason nicht umhin zu betonen:
452 William Lindsay, der das Plädoyer für den Vermittlungsantrag im House of Commons hielt, gab sich auch wenig Mühe, dieses Kalkül zu verbergen, und betonte explizit, dass „the Southern States would be ready to receive [mediation] on the basis of separation and if the North declined, then he concluded that recognition of the Southern States […] would be perfectly justifiable“. William Lindsay, 18.07.1862, in: Hansard’s Parliamentary Debates, 1862, Bd. CLXVIII, 511–522, hier 522. 453 Viscount Palmerston, 18.07.1862, in: ebd., 571. Fritz Dickmann hat einmal von der „von Lord Palmerston vertretende[n] Ansicht“ gesprochen, „dass bei Bürgerkriegen jeder auswärtige Staat das Recht habe, sich mit einer der beiden Parteien zu verbünden“. Dickmann, Rechtsgedanke und Machtpolitik, 271. 454 Viscount Palmerston, 18.07.1862, in: Hansard’s Parliamentary Debates, 1862, Bd. CLXVIII, 570–573, hier 572. 455 Ebd., 573. Vgl. auch Palmerston an Königin Viktoria, 15.07.1862, in: Connell (Hg.), Regina vs. Palmerston, 329. 456 Vgl. Mason an Benjamin, 30.07.1862, in: O.R.N., Ser. II, Bd. 3, 490–495, hier 492. 457 Vgl. Mason an Earl Russell, 07.07.1862, in: ebd., 495–499. Diese Argumentation betraf sowohl die Verantwortung für die Blockade als auch die Verlängerung des Krieges.
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IV. Die Konföderation und England, 1861–1865 The Confederate States ask no aid from or intervention by, foreign powers. […] But if the principles and the morals of the public law be, when a nation has established before the world, both its capacity and its ability to maintain the government it has ordained, that a duty devolves on other nations to recognize such fact, then I submit that the Government of the Confederate States of America […] had furnished the world sufficient proof […] to entitle it to a place among the independent nations of the earth.458
Als Russell seinen Unterredungswunsch mit dem Argument ablehnte, er könne keinerlei „Nutzen“ darin erkennen459, war genau der Fall einer formellen Zurückweisung eingetreten, vor dem er sich gefürchtet hatte, weil die Konföderation nun als verprellter „Bittsteller“ dastand.460 Wie er in seinem Bericht an das State Department schrieb, wusste er nicht, welcher Weg nach dieser „offensichtlich unfreundlichen Absage“ noch beschritten werden sollte.461 Benjamin, der die Korrespondenz erst Monate später in Augenschein nahm, spitzte die Empörung über diese Ehrverletzung weiter zu: „It is lamentable that […] a nation so enlightened as Great Britain should have failed yet to discover that a principal cause of the dislike and hatred toward England […] is the offensive arrogance of some of the public men.“462 Mag sich der anglophile Außenminister das Verhalten der Briten mit einer Abkehr von ihren eigentlichen Tugenden erklärt haben, so bediente sich der Gesandte anglophober Ressentiments und bezichtigte das Kabinett, die Augen vor den Tatsachen zu verschließen.463 Bei ihm brach die Tendenz, das Ausbleiben der Anerkennung als Ausdruck von Feindschaft zu werten, nun vollends durch. Am 19. September beklagte Mason in einem veröffentlichten Brief: „We have fought our battles unaided and […] uncheered by the nations looking on.“ Im Sinne der Ehre ließ sich darauf nur mit einem trotzigen Autarkiebekenntnis antworten: „For the future we have no fears, nor would the recognition […] be of any value to us.“464 Während sich die Entscheidung über Neutralität oder Intervention immer mehr mit den Ereignissen in Amerika selbst verband, wurde in Washington der Boden für den revolutionären Gestaltwandel des Krieges bereitet. Die Vorboten der Sklavenbefreiung zeigten sich zunächst direkt an der militärischen Front, wo immer mehr Schwarze in die Lager der heranrückenden Unionstrup458 Mason an Earl Russell, 24.07.1862, in: ebd., 500–501, hier 501. 459 Earl Russell an Mason, 31.07.1862, in: ebd., 501. 460 Mason an Slidell, 19.06. u. 02.08.1862, James Murray Mason Papers, LC, Bd. 1. Vgl. auch Mason an Benjamin, 23.06.1862, in: O.R.N., Ser. II, Bd. 3, 444–446, hier 446. 461 Mason an Benjamin, 02.08.1862, in: ebd., 494. 462 Benjamin an Mason, 28.10.1862, in: ebd., 581–582, hier 581. 463 Vgl. Mason an Benjamin, 04.08.1862, in: ebd., 494–495, hier 495. Vgl. ferner Mason an Slidell, 03.08.1862, James Murray Mason Papers, LC, Bd. 1. Benjamin und Davis reagierten äußerst indigniert und stellten fest, „that there exists a feeling on the part of the British ministry unfriendly to this Government“. Benjamin an Mason, 31.10.1862, in: O.R.N., Ser. II, Bd. 3, 584–588, hier 587. 464 Mason an William Boon, 19.09.1862, James Murray Mason Papers, LC, Bd. 3.
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pen flohen. Auf der politischen Ebene meldeten sich nun konservative Mahner und radikale Drängler gleichermaßen zu Wort.465 Weitgehend unabhängig davon war Lincoln im Sommer 1862 zu der Erkenntnis gelangt, dass ihm der eskalierende Krieg einen über die Friedensbefugnisse hinausreichenden Verfassungsspielraum bot.466 Zwar ließ er keinen Zweifel aufkommen, dass er die Sklavenbefreiung als eine militärische Zweckmäßigkeitsentscheidung betrachtete. In einem berühmt gewordenen Brief an den Herausgeber der abolitionistischen New York Tribune vom 22. August erklärte er: „My paramount object in the struggle is to save the Union, and is not either to save or to destroy slavery. If I could save the Union without freeing any slave I would do it, and if I could save it by freeing all the slaves I would do it; and if I could save it by freeing some and leaving others alone, I would also do that.“467 Tatsächlich aber hatte sich der Präsident bereits für die Emanzipation entschieden und war lediglich dem Rat Sewards gefolgt, den offiziellen Befreiungserlass so lange zurückzuhalten, bis ein Erfolg auf dem Schlachtfeld der Proklamation die notwendige Glaubwürdigkeit verleihen würde.468 Mit einer Mischung aus Moralismus und Pragmatismus, die den Südstaaten-Außenpolitikern so nachhaltig abging, erläuterte er seine Motive gegenüber den Abgesandten einer abolitionistischen Vereinigung aus Chicago, die ihn am 13. September im Weißen Haus aufsuchten, um für die Verpflichtung der Politik auf die Sklavenemanzipation zu werben: „What good would a proclamation of emancipation from me do, especially as we are now situated? I do not want to issue a document that the whole world will see must necessarily be inoperative, like the Pope’s bull against the comet! Would my word free the slaves, when I cannot even enforce the Constitution in the rebel States?“469 Im gleichen Atemzug würdigte er aber den Umstand: „[S]lavery is the root of the rebellion, or at least its sine qua non. […] I will also concede that emancipation would help us in Europe, and convince them that we are incited by something more than ambition.“470 Die Sklavenbefreiung nahm eine wichtige Stellung in der außenpolitischen Strategie Washingtons ein. Paradoxerweise lösten aber schon ihre 465 Zur Warnung vor einer Emanzipationspolitik vgl. McClellan, McClellan’s Own Story, 487 f. Zum Druck des abolitionistischen Parteiflügels vgl. Williams, Lincoln and the Radicals, 168 f. 466 Vgl. Lincoln an August Belmont, 31.07.1862, in: Basler (Hg.), Collected Works of Abraham Lincoln, Bd. V, 350–351, hier 350. 467 Lincoln an Greely, 22.08.1862, in: ebd., Bd. V, 388–389, hier 388 (Hervorhebungen im Original). 468 Vgl. Randall, Lincoln the President, Bd. II, 155; Sandburg, Abraham Lincoln, Bd. 1, 582; Franklin, Emancipation Proclamation, 42 f.; Trefousse, Decision for Emancipation, 43 ff. Vgl. aus der neueren Literatur Guelzo, Lincoln’s Emancipation Proclamation. 469 Lincolns Antwort an die Chicago Christians of All Denominations, 13.09.1862, in: Basler (Hg.), Collected Works of Abraham Lincoln, Bd. V, 419–425, hier 420. 470 Ebd., 423.
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Vorboten den Anstoß zu genau jener Intervention aus, die Lincoln eigentlich hatte verhindern wollen. Nachdem Lyons wegen gesundheitlicher Probleme im Juni vorübergehend nach England zurückgekehrt war, oblagen seine diplomatischen Pflichten William Stuart, chargé d’affaires der britischen Gesandtschaft. Stuart besaß wenig Gespür für die Zusammenhänge der amerikanischen Politik und schätzte die Motive des Präsidenten in der Emanzipationsfrage völlig falsch ein.471 Weil er nicht verstand, dass die Eigendynamik des Krieges dieses Thema zum entscheidenden Faktor für die Bewahrung der Union befördert hatte, sah er im Kurswechsel der Regierung nur die Absegnung von Sklavenaufständen und einen Aufruf zur inneren Zerstörung der konföderierten Gesellschaft, an der die Waffen des Nordens scheinbar kläglich gescheitert waren.472 Stuarts apokalyptische Warnungen vor (Rassen-)Revolution und Anarchie auf dem nordamerikanischen Kontinent lösten im Foreign Office höchste Nervosität aus. Sie trafen Earl Russell zu einem Zeitpunkt, als er – trotz seiner Distanz zu Mason – über eine Neuausrichtung der britischen Diplomatie nachzudenken begann. Wie weite Teile der Öffentlichkeit betrachtete Russell die Spaltung der Union als vollendete Tatsache. Deshalb und weil die soziale Not in den Textilbezirken Großbritanniens immer drückender wurde, plädierte er für einen aktiveren Kurs. Zwar übte die cotton famine nie den von den Südstaatlern erwarteten Druck auf die englische Außenpolitik aus. Jedoch gewann allein schon die Annahme, dass es möglich sein könnte, die Wiederaufnahme der Baumwollimporte zu beschleunigen, für Russell wesentliche Bedeutung.473 Hiermit vermischten sich Reflexionen über die ethischen Aspekte des Massenkrieges in Amerika: „The carnage of the battle had raised the cry for intervention that rested on an armistice followed by a negotiated end to the war.“474 Es besteht kein Grund, die Substanz solcher moralischen Erwägungen 471 Vgl. Brauer, Slavery Problem, 462. 472 Vgl. Stuart an Russell, 21.07.1862, in: BDFA, Teil I, Ser. C, Bd. VI, 72. Lincoln hat soziale Unruhen im Süden keineswegs angestrebt, sondern im Gegenteil recht unbestimmt gehofft, dass die Sklaven ihre Plantagen verlassen und in den Norden flüchten würden. Vgl. Chase, Insider Lincolns Cabinet, 22.07.1862, 99. 473 Gegen Ende des Jahres 1862 hatten etwa 75 Prozent der Arbeiter in den Textilbezirken Lancashires ihre Beschäftigung verloren oder wurden im Teilzeitbetrieb eingesetzt. Das beträchtliche Elend unter den Arbeitern war jedoch nicht in erster Linie Folge von Embargo und Blockade, sondern hing mit der Übersättigung des englischen Baumwollmarktes durch die Rekordimporte der vergangenen Jahre zusammen. Der Bürgerkrieg in Amerika schürte die Erwartung eines künftigen Rohstoffengpasses, wodurch die bereits vorhandene Baumwolle zum überteuerten Spekulationsobjekt wurde. Vgl. grundlegend Brady, Reconsideration, 157 f. Vgl. ferner Sherwood, Historical Note, 164; Foner, British Labor and the Civil War, 4 f.; Longmate, Hungry Mills, 272 ff., sowie die ältere Arbeit von Henderson, Cotton Famine. 474 Jones, New Birth of Freedom, 84.
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zu bezweifeln, zumal sie nach Russells Dafürhalten fließend in den vitalen Interessen Großbritanniens aufgingen (ein Faktor, der für die „humanitären Interventionen“ in der Geschichte immer bestimmend gewesen ist475). In diese komplizierte Gemengelage von Interesse und Moral stieß im Juli 1862 das Angstbild von brandschatzenden Sklaven hinein, die ihre Herren lynchten und den Süden in einen öden Landstrich verwandelten, womit dann auch die letzten Baumwollbestände, die noch ihren Weg durch die Blockade fanden, der Vernichtung anheim gefallen wären. In deutlichen Worten verknüpfte Earl Russell in einer Depesche an Stuart vom 7. August das Gespenst des Rassenkrieges mit dem Auftakt zur Intervention: „I have to observe that the prospect of a servile war will only make other nations more desirous to see an end of this desolating and destructive conflict.“476 Die negativen Reaktionen der Briten auf die ersten Anzeichen der Sklavenbefreiung riefen in Washington Enttäuschung hervor. Wie war es möglich, erregte sich Seward in einem Schreiben an Adams, dass die Engländer die moralische Überlegenheit der nordstaatlichen Kriegsziele noch immer nicht anerkannten? Nichts, was die Union in dieser Hinsicht unternahm, schien Zynismus und Häme im Ausland lindern zu können: „At first the government was considered as unfaithful to humanity in not proclaiming emancipation, and when it appeared that slavery […] must suffer, and perhaps perish in the conflict, then the war had become an intolerable propagandism of emancipation by the sword.“477 Durch latente Skepsis, wechselseitiges Misstrauen und eine allzu drastische Wortwahl auf beiden Seiten war die Intervention abermals auf die Tagesordnung geraten. Verantwortung dafür trugen aber nicht nur Stuarts aufgeregte Briefe an das Foreign Office oder Russells Furcht vor einer „Emanzipation mit dem Schwert“. Bereits Wochen zuvor hatte die amerikanische Außenpolitik selbst den Eindruck entfesselter Radikalität geweckt. Ganz bewusst nämlich führte Seward das Rassenkriegsszenario zur präventiven Abwehr eines europäischen Eingreifens in die diplomatische Auseinandersetzung ein. Am 28. Mai, als der Halbinsel-Feldzug McClellans noch nicht entschieden war, drohte er in seinen Instruktionen für Adams mit unkontrollierbaren Sklavenrevolten, sollten die Mächte in diesem prekären Moment in irgendeiner Form intervenieren.478 Dass Russell zwei Monate später derart empfindlich auf die Vorboten der Emanzipation reagierte, verwundert daher nicht. Rückblickend betrachtet, spricht aber gerade das für die temporäre Natur einer Krise, die innerhalb weniger kritischer Wochen überstanden werden musste, bis sich die Folgen der Sklavenemanzipation auf Politik und Öffentlichkeit langfristig auswirken 475 476 477 478
Vgl. so Münkler, Neue Kriege, 226. Russell an Stuart, 07.08.1862, in: BDFA, Teil I, Ser. C, Bd. VI, 74. Seward an Adams, 28.07.1862, in: Foreign Relations, 1862, 154–158, hier 156. Vgl. Seward an Adams, 28.05.1862, in: ebd., 1862, 101–105, hier 105.
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konnten. Unabhängig davon drohten die sich überschlagenden Ereignisse auf dem Kriegsschauplatz diese moralische Dividende zunichte zu machen – mit desaströsen Konsequenzen für die Bewahrung der Union. Scheitelpunkt: Sklavenbefreiung und Interventionskrise, Herbst 1862 Wie sich rückblickend zeigt, brachten weder Mason und Slidell noch Benjamin oder Davis die konföderierte Außenpolitik an den Rand des großen Durchbruchs, sondern Robert E. Lee mit seinen Feldzügen vom August und September 1862. Nach dem Sieg über McClellan in der Sieben-Tage-Schlacht trug Lee das Kampfgeschehen ins nördliche Virginia, wo er die Unionsarmee auf dem alten Schlachtfeld von Bull Run am 29. und 30. August abermals schlug.479 Innerhalb weniger Wochen hatte sich die Kriegssituation zugunsten der Konföderation gewendet und ihre Truppen unversehens in die Offensive befördert. Zwar gab sich Präsident Davis davon überzeugt, den Willen der Union zur Fortführung des Krieges über kurz oder lang brechen zu können.480 Das Vertrauen des Präsidenten auf den „Faktor Zeit“ schlug sich in einer militärischen Defensivstrategie nieder481, die jedoch im Lichte der knapp vereitelten Katastrophe vor Richmond immer problematischer erschien.482 Tatsächlich arbeitete die Zeit nämlich für den stetig aufrüstenden Norden, der seine materielle Überlegenheit bei längerer Kriegsdauer voll würde entfalten können. Wenn der Süden also gewinnen wollte, so wusste General Lee, dann musste er das möglichst rasch tun – und zwar durch einen Vorstoß in nordstaatliches Territorium, der die politische Schwäche der Lincoln-Regierung nach ihren jüngsten Rückschlägen ausnutzen und sie zur endgültigen Aner479 Zur zweiten Schlacht von Bull Run vgl. Hennessy, Return to Bull Run. 480 Vgl. hierzu ausführlich Thomas, Visions of Victory, 32 ff.; Vandiver, Their Tattered Flags, 120 f. 481 Vgl. Davis, Man and His Hour, 373; Catton, Civil War, 28. 482 Ein Kernproblem im Spannungsverhältnis zwischen Politik und Krieg lag für die Konföderierten darin, dass die Intention ihrer Kriegsbemühungen ausschließlich auf die Bewahrung des Status quo ausgerichtet war. Wie der Universitätsprofessor James Henley Thornwell aus South Carolina formuliert hatte: „We can never become aggressive; we may absorb, but we can never conquest any neighbouring State.“ Thornwell, Our Danger and Our Duty, in: Palmer, Life and Letters of James Henley Thornwell, 581–590, hier 583. Die militärische Defensivstrategie fügte sich in die politische Definition der Kriegsziele reibungslos ein. Voraussetzung dafür war aber ebenjene Begrenzung des Krieges, die ab 1862 verloren ging. Dass die defensive Zielsetzung der Politik nur noch mit den offensiven Mitteln der Militärs erreicht werden konnte, war ein grundsätzlicher Widerspruch, der die Koordinierung der Kriegsführung zwischen den Generälen und den zivilen Verantwortlichen in Richmond immer wieder erschwert hat. Vgl. hierzu gedankenreich McPherson, Davis and Strategies, 159 ff.
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kennung der südstaatlichen Unabhängigkeit zwingen würde.483 Mit anderen Worten: „For Davis, the war could be won simply by not losing, for Lee […] it could be lost simply by not winning.“484 Ohne die Billigung des Präsidenten abzuwarten, überquerte Lees Armee Anfang September den Potomac und setzte in Maryland den Fuß auf gegnerischen Boden.485 Mit dem Auftakt zu dieser Invasion verknüpfte sich auch das weitere Schicksal des konföderierten Staates und seiner Außenpolitik. Die Nachricht vom Sieg der Südstaatler in der zweiten Schlacht von Bull Run sorgte in der britischen Öffentlichkeit für erhebliches Aufsehen. Mason, der an seiner Distanz zum amerikanischen Kriegsgeschehen zu leiden begann, empfand starke „Gefühle der Dankbarkeit“ und schöpfte neue Zuversicht, dass der französische Kaiser die Engländer nun doch noch zur Intervention würde bewegen können.486 Tatsächlich führte die Kunde vom Second Bull Run sogar den vorsichtigen Premierminister näher an die Intervention heran. Die Bundestruppen seien aufgerieben worden, schrieb er am 14. September an Russell, und es schien ihm nicht unwahrscheinlich, dass sogar die Hauptstadt Washington in die Hände der Konföderierten fallen könne: „If this should happen, would it not be the time for us to consider […] whether England and France might not address the contending parties and recommend an arrangement upon the basis of separation?“487 Im Einklang mit seiner Parlamentsaussage vom 18. Juli regte Palmerston nun vorbereitende Maßnahmen an, die weitere Schritte zur rechten Zeit absichern sollten.488 Eine Vermittlungsofferte war politisch riskant, musste sie doch von der Prämisse der staatlichen Teilung Amerikas ausgehen und somit auch die Anerkennung des Südens als souveräne Nation einkalkulieren.489 Um den zu erwartenden Zorn der Union an der vereinigten Front der europäischen Mächte abprallen zu lassen, befürwortete Palmerston gemeinsam
483 Vgl. Lee an Davis, 08.09.1862, in: O.R.A., Ser. I, Bd. 19, 600. Vgl. auch Thomas, Robert E. Lee, 256; Evans, Jewish Confederate, 189; Freeman, R. E. Lee, Bd. II, 350 f. 484 Woodworth, Davis and Lee at War, 157. 485 Vgl. Lee an Davis, 03.09.1862, in: O.R.A., Ser, I, Bd. 19, 590–591; Roland, Generalship of Lee, 39 f. 486 Mason an Benjamin, 18.09.1862, in: O.R.N., Ser. II, Bd. 3, 533. 487 Palmerston an Russell, 14.09.1862, in: Murfin, Gleam of Bayonets, Appendix E, 394. 488 Vgl. o. 361. 489 Russell brachte das in seiner Replik auf Palmerstons Schreiben deutlich zum Ausdruck: „I agree with you that the time is come for offering mediation to the United States Government, with a view to the recognition of the Independence of the Confederates. I agree further, that, in case of failure, we ought ourselves to recognise the Southern States as an independent State.“ Russell an Palmerston, 17.09.1862, in: Murfin, Gleam of Bayonets, Appendix E, 396–397, hier 397.
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mit Russell die Einbindung Frankreichs und auch Russlands in jede diplomatische Initiative.490 Die sich so formierende Phalanx der Interventionisten im Kabinett wurde ergänzt durch Schatzkanzler William Ewart Gladstone, der die Fakten des Krieges und ihre Rückwirkungen auf die britische Innenpolitik ähnlich bewertete wie Russell.491 Für Gladstone konnte die moralische Plausibilität einer Intervention nur durch rasches Handeln garantiert werden. Falls die Regierung zu lange zögere, schließlich aber doch noch intervenieren müsse, wäre der Eindruck amoralischer Interessenpolitik kaum zu verbergen.492 Es ist aufschlussreich, dass sich Gladstone und Russell von Perzeptionen und Andeutungen künftiger Zwänge leiten ließen. Zwar stieg die Baumwollnot nie zum beherrschenden Moment der britischen Amerikapolitik auf – aber allein die Furcht, dass es bald dazu kommen könnte, verwandelte sie in Befürworter der Intervention. Darin unterschieden sie sich vom Premierminister, der zwar auch ein baldiges Ende der Feindseligkeiten wünschte, jedoch die Gefahren einer direkten Involvierung in den Krieg skeptisch abwog.493 Nach wie vor konzentrierte sich seine Aufmerksamkeit auf die Ereignisse in Amerika selbst, so dass die diplomatische Maschinerie zur Vorbereitung der Vermittlungsinitiative abrupt zum Stillstand kam, als um den 20. September die Neuigkeiten von Lees Invasion in den Nordstaaten in London eintrafen.494 Nun schienen die Dinge plötzlich wieder in der Schwebe, und Palmerston verfiel abermals in die Rolle des vorsichtigen Beobachters, bis eine Entscheidungsschlacht ein günstigeres Klima für die Intervention herbeiführen würde.495 Es sei offensichtlich, schrieb er Russell am 23. September, that a great conflict is taking place to the north-west of Washington, and its issue must have a great effect on the state of affairs. If the Federals sustain a great defeat they may be at once ready for mediation, and the iron should be struck while it is hot. If, on the other hand, they should have the best of it, we may wait awhile and see what may follow.496
490 Vgl. ebd.; Palmerston an Russell, 23.09.1862, in: ebd., 399–400, hier 399; Palmerston an Russell, 02.10.1862, in: ebd., 400–401, hier 400. 491 Vgl. Gladstone an Palmerston, 25.09.1862, in: Guedalla, Gladstone and Palmerston, 233–236, hier 234. Vgl. auch Adams, England and the Confederacy, 214 f.; Graebner, European Interventionism, 41. Zur Haltung Gladstones vgl. Morley, Life of Gladstone, Bd. II, 69–86. Vgl. auch Magnus, Gladstone, 152 ff.; Jenkins, Gladstone, 236 f.; Matthew, Gladstone, Bd. 1, 133 f.; Reid, Gladstone’s ‘Insincere‘ Neutrality‘. 492 Vgl. Gladstone an Palmerston, 25.08.1862, in: Guedalla (Hg.), Gladstone and Palmerston, 233–236, hier 234 f. 493 Vgl. hierzu ausführlich Jones, New Birth of Freedom, 101 f. 494 Vgl. Ridley, Lord Palmerston, 558; Bell, Lord Palmerston, 328; Mahin, One War at a Time, 128. 495 Vgl. Graebner, European Interventionism, 41. 496 Palmerston an Russell, 23.09.1862, in: Murfin, Gleam of Bayonets, Appendix E, 399–400, hier 399 f.
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Als Palmerston diese Worte zu Papier brachte, war der konföderierte Maryland-Feldzug bereits entschieden. Sechs Tage zuvor, am 17. September, trafen Lees Truppen am Antietam Creek in der Nähe von Sharpsburg auf die Potomac-Armee unter dem Kommando McClellans und lieferten ihr eine Schlacht, die dem Krieg eine neue Dimension verlieh. Auf beiden Seiten verloren an einem Tag über 20.000 Soldaten ihr Leben oder wurden verwundet; an einem einzigen Tag starben mehr Amerikaner als im Krieg von 1812, dem Mexikanischen Krieg und dem Spanisch-Amerikanischen Krieg zusammengenommen.497 In militärischer Hinsicht erwies sich Antietam als Patt, streng genommen sogar als Punktgewinn für Lee, der am Abend des 17. September seine Position gegenüber den weit überlegenen Kräften der Unionsarmee hatte behaupten können.498 Dennoch blieb seinem zerrütteten Heer nichts anderes übrig, als die Invasion des Nordens abzubrechen und sich über den Potomac nach Virginia zurückzuziehen. Die Auswirkungen der Schlacht auf die internationale Politik sind bis heute umstritten.499 Fest steht, dass sie den Anstoß für die Verkündung der Sklavenbefreiung gab und die Furcht der britischen Interventionisten vor einem Rassenkrieg weiter schürte: Russell und Gladstone drängten jetzt immer nachhaltiger auf eine Initiative, während sich ein Großteil der restlichen Kabinettsmitglieder nicht minder deutlich für die Beibehaltung der bisherigen Politik aussprach.500 So verfestigte die Nachricht von Lees Rückschlag 497 Die Analogien zieht McPherson, Für die Freiheit sterben, 535. Die Schlacht von Antietam hat viel Aufmerksamkeit in der Forschung erfahren. James Murfin widmet sich ihr detailliert im Rahmen seines Buches über die Maryland-Kampagne von 1862. Vgl. Murfin, Gleam of Bayonets, 209–328. Einen Brückenschlag zwischen Militär-, Politik- und Diplomatiehistorie liefert Stephen W. Sears. Vgl. Sears, Landscape Turned Red. Vgl. ähnlich McPherson, Crossroads to Freedom. 498 Vgl. die Verlustübersicht bei Thomas, Robert E. Lee, 262. Vgl. auch McPherson, Ordeal, 285 f. 499 Die Mehrheit der Historiker beschreibt Antietam als Wendepunkt in der internationalen Geschichte der Bürgerkriegszeit, der das Interventionsprojekt der Engländer kurzfristig aufschob und damit auch langfristig zu Fall brachte. Vgl. Sears, Landscape Turned Red, 333 f.; Murfin, Gleam of Bayonets, 327; Thomas, Confederate Nation, 168; McPherson, Für die Freiheit sterben, 546 f.; ders., Davis and Strategies, 173; ders., Saratoga That Wasn’t. Howard Jones hat hingegen die These aufgestellt, dass die Schlacht die britischen Vermittlungspläne nicht hemmte, sondern sie im Gegenteil sogar beschleunigte. Vgl. Jones, History and Mythology; ders., Union in Peril, 162 ff.; ders., New Birth of Freedom, 83 ff. Man wird die Debatte dahingehend auflösen können, dass die Interventionstendenzen in Teilen des Kabinetts zwar kurzfristig bestärkt wurden, Palmerstons skeptisches Zögern aber letztlich den Ausschlag für die Ablehnung der Intervention gab. 500 Innerhalb des Kabinetts sympathisierten der Duke of Argyll (Lord Privy Seal), Thomas Milner Gibson (Board of Trade), Charles Pelham Villiers (Poor Law Board) und Sir George Grey (Chancellor of the Duchy of Lancaster) recht offen mit der Sache des Nordens. Als aktive Opponenten einer Interventionspolitik profilierten sich in den folgenden Wochen aber vor allem Sir George Cornwall Lewis (Secretary of War), Lord
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in Maryland zwar die Meinung derjenigen, die auch zuvor schon von der Vermittlungsnotwendigkeit ausgegangen waren, sie ließ aber keinen überzeugten Verfechter der Neutralität in das Lager der Interventionisten umschwenken. In dieser Situation war die Vorgehensweise Palmerstons von ausschlaggebender Bedeutung. Wie er Russell am 2. Oktober mitteilte, erschienen ihm die günstigen Voraussetzungen für ein Handeln der Europäer erst einmal verflogen: There is no doubt that the offer of Mediation upon the basis of Separation would be accepted by the South. Why should it not be accepted? It would give the South in principle the points for which they are fighting. The refusal […] would come from the North, who would be unwilling to give up the principle for which they have been fighting so long as they had a reasonable expectation that by going on fighting they could carry their point.
Antietam, so Palmerston, hätte der Union ihre Hoffnung auf den endgültigen Sieg nicht genommen, weshalb er den Aufschub weiterer Maßnahmen anregte: „The whole matter is full of difficulty, and can only be cleared up by some more decided events between the contending armies.“501 Zwar gab der Premierminister die wahrscheinlichen Reaktionen durchaus akkurat wieder, seine Einschätzung wurde der ideologischen Dimension aber nicht ganz gerecht. Die Schlacht stellte die Weichen für die Revolutionierung eines Krieges, in dem bald nicht mehr nur um Union oder Spaltung, um Einheit oder Sezession, sondern auch um Sklaverei oder Freiheit, um Bewahrung oder Vernichtung der südstaatlichen Rassengesellschaft gekämpft werden sollte. Unter diesen Umständen war eine Intervention der Briten nur mit schwerwiegenden Konsequenzen für die transatlantischen Beziehungen möglich. Anfang Oktober hatte Palmerston das intuitiv erfasst und sich vorerst von dem Vermittlungsprojekt distanziert. Allerdings war die Krise im Kabinett damit keineswegs ausgeräumt, sondern spitzte sich im Gegenteil noch weiter zu, als in London bekannt wurde, dass die Befreiung der Sklaven nun auf der Kriegszielagenda Washingtons stand. Obwohl die Unionsarmee in Sharpsburg keinen überzeugenden Sieg errungen hatte, waren die konföderierten Invasoren aus Maryland vertrieben worden. Lincoln nutzte den Anlass, um den seit Monaten vorbereiteten Schritt umzusetzen. Am 22. September verlas der Präsident vor dem Kabinett ein mehrfach redigiertes Schriftstück, das die Sklaven auf rebellischem Territorium mit Wirkung zum 1. Januar 1863 für frei erklärte.502 Zunächst einmal existierte die Verfügung freilich nur auf dem Papier, sie änderte am Status Granville (Lord President of the Privy Council) sowie der Duke of Newcastle (Colonial Secretary). 501 Palmerston an Russell, 02.10.1862, in: Murfin, Gleam of Bayonets, Appendix E, 400– 401, hier 400, 401. 502 Vgl. die vorläufige Emanzipationserklärung, 22.09.1862, in: Basler (Hg.), g.), Collected Works of Lincoln, Bd. V, 433–436, hier 434. Vgl. hierzu klassisch Franklin,
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quo der Sklaverei im Süden recht wenig und nahm darüber hinaus auch die unionstreuen Grenzstaaten explizit aus. Trotzdem bereitete sie den Nährboden für soziale Umwälzungen in einer künftigen Rekonstruktionsära, projektierte sie doch die langfristige Zerstörung der Sklaverei in sämtlichen Staaten der Union, auch in ihren loyalen Grenzbereichen, wo sie sowieso nicht derart tief verankert war wie im konföderierten Süden.503 Viele Zeitgenossen im In- und Ausland reagierten auf diese Vorzeichen revolutionärer Neuerung besorgt. Dennoch ist die Aggressivität, mit der die britische Presse das Emanzipationsedikt verdammte, bemerkenswert.504 „Where he has no power Mr. Lincoln will set the negros free; where he retains the power he will consider them as slaves“, polemisierte die Times in Verkennung der verfassungsrechtlichen Verhältnisse.505 Fast alle wichtigen Blätter verurteilten die Proklamation als Akt zynischer Machtpolitik. Das Satiremagazin Punch verlieh dieser Ansicht bildhaften Ausdruck, als es in seiner Ausgabe vom 18. Oktober eine Karikatur abdruckte, in der ein grimmig blickender Lincoln seine letzte Trumpfkarte – ein schwarzes Pik As in Form eines menschlichen Kopfes – auf das Pulverfass der Sklavenrebellion schleuderte.506 Eine derart bedeutsame Maßnahme wie die Befreiung der Sklaven konnte ihr moralisches Kapital nur dann entfalten, wenn sich die Regierung bei ihrer Verkündung in einer Position offenkundiger Stärke befand, wenn sie also (überzeugend) zeigen konnte, dass sie über alle taktischen Optionen verfügte, dass sie aus eigenem Antrieb und keinesfalls aufgrund innerer oder äußerer Zwänge handelte. Nur dann würde die humanitäre Dimension ihrer Politik auch die ausländische Anerkennung ernten, auf die sie ursprünglich angelegt worden war. Die Schlacht am Antietam Creek hatte diese Kriterien in keinerlei Hinsicht erfüllt, ganz im Gegenteil: Ihr Ausgang erschien vielen Engländern symptomatisch für den gesamten Krieg, der sich anscheinend in einer
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Emancipation Proclamation. Vgl. die Proklamation als Schlüsselmoment für die Totalisierung des Krieges deutend Stout, Upon the Altar of the Nation, 182–190. Vgl. Oates, Journey to Emancipation, 80 ff.; Jaffa, New Birth of Freedom, 79. Über den historischen Stellenwert der Proklamation im Gesamtkontext der Sklavenbefreiung äußern sich kritisch Harding, There Is a River, 231 ff.; Fields, Who Freed The Slaves?; Fellman, Emancipation, 36 ff. Vgl. hingegen Lincolns zentrale Rolle positiv betonend McPherson, Who Freed The Slaves?; Kolchin, Slavery and Freedom, 247 ff.; zuletzt Striner, Father Abraham. Vgl. die um einen ausgewogenen Zugang bemühten Beiträge bei Dirck (Hg.), Lincoln Emancipated. Vgl. hierzu Heckman, British Press Reaction to Emancipation Proclamation. London Times, 07.10.1862. Lincoln handelte im Rahmen seiner Vollmachten als Kriegspräsident, die ihm zwar die Beschlagnahmung gegnerischer „Ressourcen“ gestatteten, für eine umfassende Emanzipation jedoch keine Handhabe boten. Vgl. Franklin, Emancipation Proclamation, 48 ff.; Randall / Donald, Civil War and Reconstruction, 382 ff. Vgl. Abe Lincoln’s Last Card; or, Rouge-Et-Noir, in: Maurer, Punch on Slavery and Civil War, 24.
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Sackgasse festgefahren zu haben schien – ein Eindruck, den die Verkündung der Emanzipation zu diesem Zeitpunkt sogar noch unterstreichen musste. In dieser Situation trat Gladstone am 7. Oktober in Newcastle an die Öffentlichkeit. „We may have our own opinions about slavery, we may be for or against the South, but there is no doubt that Jefferson Davis and other leaders of the South have made an army; they are making, it appears, a navy; and the have made what is more than either – the have made a nation.“507 Die Aufsehen erregende Rede war mit den übrigen Kabinettsmitgliedern nicht abgestimmt und gab auch keineswegs die mehrheitliche Auffassung unter den Ministern wieder.508 Dennoch ließ sie den Eindruck entstehen, dass sich ein nachhaltiger Kurswechsel in der britischen Amerikapolitik anbahnte. Schmerzlich wie nie zuvor verspürte Mason während der ersten Oktoberwochen die Bedeutungslosigkeit seiner Präsenz in London.509 In Anbetracht der jüngsten Ereignisse schrieb er hoffnungsvoll an seinen in Texas verweilenden Sohn: „England stands amazed at the courage, constancy, and selfsacrificing spirit of the South; and notwithstanding the supineness of the Government in refusing acknowledgement of our independence, the public judgement of the English mind is that independence is established.“510 Für die Konföderierten war der Krieg durch die Sklavenbefreiung auf existentielle Weise zugespitzt worden. Im Hinblick auf die Reaktion der Briten musste sich nun entscheiden, ob der Moralismus der Sklavereifeinde oder die politisch-wirtschaftlichen Motive dominieren würden, den Süden vor der Zerstörung zu bewahren. Über Jahrzehnte hinweg hatten die Südstaatler die Stabilität ihrer Rassengesellschaft beschworen und die abolitionistischen Invektiven als fundamentale Ehrverletzung zurückgewiesen. Insofern konnten sie in diesem kritischen Augenblick keinen Versuch unternehmen, das sensible Thema in eine diplomatische Strategie einzuflechten. Am 4. November erläuterte Mason dem Earl of Donoughmore, das „Schicksal des Südens“ sei mit der Sklaverei „unauflöslich verbunden“, weshalb „unsere Sicherheit“ es geböte, dass „niemand in irgendeiner Weise eingreift“.511 In einer Zeit, als die Emanzipation schon seit Wochen auf der Kriegsagenda des Nordens stand, führte Mason die traditionellen Abwehrreflexe an, um das Fundament der südstaatlichen Rassengesellschaft vor äußeren Zugriffen zu schützen. Tatsächlich besaß er keinerlei Instruktionen darüber, ob und wie der Sklavereikomplex gegenüber den Engländern präsentiert werden sollte. In einem ausführlichen Bericht vom 26. September hatte Benjamin 507 Gladstone’s Rede in Newcastle v. 07.10.1862, zit. n. Jones, Union in Peril, 182. 508 Vgl. Matthew, Gladstone, 133; Merli / Wilson, British Cabinet and the Confederacy, 239 ff. 509 Vgl. Mason an Slidell, 18.10.1862, James Murray Mason Papers, LC, Bd. 1. 510 Mason an George Mason, 01.10.1862, in: Mason, Public Life and Diplomatic Correspondence, 342–343, hier 342. 511 Mason an Benjamin, 04.11.1862, in: O.R.N., Ser. II, Bd. 3, 597–598, hier 598.
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zwar die Kriegsereignisse der letzten Wochen wiedergegeben, die Befreiungserklärung aber mit keinem Wort erwähnt.512 Grundsätzlich herrschte im State Department die Einschätzung vor, die (vermeintliche) Amoralität des US-Präsidenten würde die englische Politik von selbst zu einem Kurswechsel bewegen. Die allgemeine Empörung über das Dekret schien diese Prognose auch zunächst zu bestätigen.513 Ambrose Dudley Mann, der sich seit der Auflösung der Yancey-Kommission in Brüssel aufhielt, vertraute auf den Propagandagewinn, den der Erlass für den Süden abwerfen würde: „This measure will be regarded, even by European abolitionists, as infinitely more fiendish than human. […] This act must silence even the Brights and the Cobdens of Great Britain in their advocacy of the North.“514 Von einer einheitlichen Haltung innerhalb der britischen Regierung konnte freilich keine Rede sein. Mitte Oktober trat Earl Russell aus der Deckung und legte konkrete Vorschläge für eine diplomatische Initiative vor. Die Berichte aus Washington hatten den Außenminister in seinen Ängsten vor den Folgen der Sklavenbefreiung bestärkt: „There is no pretext of humanity about the proclamation. It is cold, vindictive, and entirely political.“515 Seine verzerrte Lesart verleitete ihn gar zu dem Schluss, dass sie direkt zum Sklavenaufstand ermutige und in der Tradition der „schlimmsten Exzesse der Französischen Revolution“ stehe.516 Russells Memorandum, das er am 13. Oktober unter seinen Kabinettskollegen zirkulieren ließ, wertete die Emanzipationsproklamation als Freibrief für „acts of plunter, of incendiarism, and of revenge“.517 Freilich verkannte der Außenminister (noch immer), dass jede Form von Intervention einen Lebensnerv der Union treffen und sie daher auch jede auswärtige Initiative aggressiv ablehnen würde. Sewards Neigung zum brinkmanship hatte das in der Vergangenheit mehrfach gezeigt. Wollte die englische Außenpolitik dann nicht vollends das Gesicht verlieren, müsste sie Maßnahmen für die Anerkennung des Südens einleiten und einen Krieg mit der Union mitunter doch noch in Kauf nehmen. Gewichtige Gründe sprachen also auch weiterhin für die Beibehaltung der Neutralität. Als ihr energischster Verteidiger trat jetzt Kriegsminister George Cornwall Lewis hervor. Am 14. Oktober hielt Lewis eine viel beachtete Rede in Hereford, die nach außen deutlich machte, dass die Regierung über die Frage von Neutralität oder Intervention nicht entschieden hatte.518 512 513 514 515 516 517
Vgl. Benjamin an Mason, 26.09.1862, in: ebd., 537–541. Vgl. Mason an Benjamin, 07.11.1862, in: ebd., 600–601, hier 600. Mann an Benjamin, 07.10.1862, in: ebd., 549–551, hier 550, 551. Stuart an Russell, 26.09.1862, zit. n. Mahin, One War at a Time, 133. Stuart an Russell, 09.09.1862, zit. n. Jones, New Birth of Freedom, 115 Memorandum Earl Russells, 13.10.1862, in: BDFA, Teil I, Ser. C, Bd. VI, 91–96, hier 95 f. 518 Vgl. Rede George Cornwall Lewis’ in Hereford, 14.10.1862, in: Adams, Jr., Crisis in
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IV. Die Konföderation und England, 1861–1865
Drei Tage später brachte er seine Argumente in einem kabinettsinternen Zirkular auf den Punkt. Sowohl aus humanitären als auch aus ökonomischen Gründen müsse der Krieg ein schnelles Ende finden. Zugleich deutete Lewis zwar an, dass der Konflikt aller Wahrscheinlichkeit nach die Unabhängigkeit des Südens bringen würde. Aus seiner Perspektive überwogen jedoch die unkalkulierbaren Gefahren einer Initiative den humanitären Nutzen: „Looking to the probable consequences of this philanthropic proposition, we may doubt whether the chances of evil do not preponderate over the chances of good and whether it is not Better to endure the ills we have / Than fly to others that we know not of.“519 Sowohl Interventionisten als auch die Verfechter der Neutralität bewerteten die Fakten des Krieges also in beinahe identischer Art und Weise; sie handelten nicht aufgrund entgegengesetzter Prämissen, sondern waren sich in dem, was sie wünschten und anstrebten, weitgehend einig. Ihr Dissens bezog sich auf die unmittelbaren Anforderungen, die ihre gemeinsame Analyse an die britische Politik stellte. In Palmerstons Augen war Lewis’ skeptische Kosten-Nutzen-Abwägung einer diplomatischen Initiative stringenter als Russells diffuses Memorandum, das zu viele Fragezeichen und Unabwägbarkeiten enthielt. Die Sicht des Premierministers auf den Bürgerkrieg hatte sich durch die Emanzipationsproklamation nicht wesentlich gewandelt: „The Northerners would say that the only condition of arrangement would be the restoration of the Union; the South would say their only condition would be an acknowledgment by the North of Southern independence.“ Deshalb plädierte er für die Rückkehr zu einer Politik des aufmerksamen Abwartens, die im Bedarfsfall die Gunst der Stunde nutzen würde: „I am very much come back to our original view to the matter, that we must continue merely to be looker-on till the war shall have taken a more decided turn.“520 1863–1865: Scheitern Rückblickend betrachtet, markierte Palmerstons Entscheidung nicht nur eine Wasserscheide in der Interventionskrise vom Herbst 1862, sondern auch in der Geschichte der Neutralität im Bürgerkrieg insgesamt.521 Zwar wurde die Debatte im November abermals angeheizt, als Napoleon III. die Staaten Europas zu einer gemeinsamen Vermittlungsinitiative aufforderte. Nach mehrtäDowning Street, 407. 519 Lewis’ Memorandum v. 17.10.1862, zit. n. ebd., 407 f. 520 Alle Zitate: Palmerston an Russell, 22.10.1862, in: Gooch (Hg.), Later Correspondence of Russell, 327–328, hier 328. Vgl. hierzu auch Adams, England and the Confederacy, 216. 521 Vgl. Graebner, European Interventionism, 43.
3. 1862–1865: Scheitelpunkt und Scheitern
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giger Beratung wies das britische Kabinett diesen Plan jedoch mit den gleichen Argumenten zurück, die in den Wochen zuvor bereits intern diskutiert worden waren.522 Entscheidend ist, dass Palmerstons pragmatisch kalkulierte Diplomatie die Neutralität in einer kritischen Phase bewahrte. Langfristig warf die Sklavenbefreiung nämlich doch noch das außenpolitische Kapital ab, das sich die Lincoln-Administration schon als unmittelbaren Effekt erhofft hatte. Nachdem die allseits befürchteten Sklavenunruhen größtenteils ausblieben, gingen die Engländer dazu über, den Krieg in der Lesart der Union als Kampf um Sklaverei und Freiheit zu begreifen.523 Hierdurch erhielt die Sache des Nordens einen öffentlichen Sympathieschub.524 Wie Henry Adams am 23. Januar 1863 aus London berichtete: „The Emancipation Proclamation has done more for us here than all our former victories and all our diplomacy. It is creating an almost convulsive reaction in our favour all over this country.“525 Damit verfestigte sich Englands Neutralität in einer Zeit, als auch realpolitische Argumente gegen die Intervention sprachen. So war die Rolle der Sklavenbefreiung für die internationale Geschichte des Bürgerkrieges doppelbödig: Aufgrund transatlantischer Wahrnehmungsprobleme beflügelte sie die interventionistischen Tendenzen, nur um dann mit noch stärkerer Vehemenz die Unparteilichkeit der europäischen Staaten zu gewährleisten. Die Verbindung der Emanzipation mit dem Anspruch auf Bewahrung der nationalen Einheit erschien ausländischen Beobachtern jetzt eben nicht mehr als Ausdruck zynischen Kalküls, sondern verlieh den Kriegszielen des Nordens eine moralische Legitimität, welcher der Süden nichts Vergleichbares entgegensetzen konnte.526 Mit der Interventionskrise vom Herbst 1862 hatte die Geschichte der konföderierten Englandpolitik ihren Scheitelpunkt überschritten. Von da an kann sie als lang gezogener Prozess des Scheiterns interpretiert werden. Seine Kongressbotschaft vom Januar 1863 für eine Abrechnung mit den europäischen Mächten nutzend, verurteilte Jefferson Davis die Neutralität als faktische Bevorteilung der Vereinigten Staaten. In den Monaten nach ihrer Formulierung im Mai 1861 waren die ehrfixierten Südstaatler nicht in der Lage gewesen, zu begreifen, dass die neutrale Haltung tatsächlich eine dauerhafte Option der englischen Außenpolitik sein könnte. Stattdessen hatte stets die Auffassung dominiert, die Briten würden die mit der Neutralität einhergehende Anerkennung des Kombattantenstatus bei der nächsten günstigen Gelegenheit zur formellen Nationalanerkennung aufwerten. Die gegenteilige Erkenntnis empfand Davis als schwerwiegende Ehrverletzung: Es hätte 522 523 524 525
Vgl. ausführlich Spencer / Case, United States and France, 347–373. Vgl. St. Clair, Slavery as a Diplomatic Factor, 241. Vgl. McPherson, Last Best Hope Abroad, 145 f. H. Adams an C. F. Adams, Jr., 23.01.1863, in: Levenson (Hg.), Letters of Henry Adams, Bd. 1, 326–327, hier 327. 526 Vgl. hierzu ausführlich Jones, New Birth of Freedom, 146–162.
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IV. Die Konföderation und England, 1861–1865
„nicht den hohen moralischen Verpflichtungen des internationalen Kodex“ entsprochen, dass die Europäer ihrer „Pflicht“ zur Anerkennung nicht nachgekommen seien.527 Nach zwei Kriegsjahren ohne Anerkennung hielt es der Präsident für angezeigt, den Eindruck zu vermitteln, die Konföderation sei auf keinerlei Hilfe angewiesen und würde ihre Kontakte mit dem Ausland nur auf Basis der formellen Gleichberechtigung beibehalten.528 Die Widersinnigkeit, von einer als zynisch-selbstsüchtig gesehenen Macht eine moralische Politik zu erwarten, tritt aus diesen Worten ebenso deutlich hervor wie der Unwille, die Implikationen der Nicht-Anerkennung weiter hinzunehmen. Bereits am 31. Oktober 1862 hatte Benjamin den Zorn des Präsidenten über das vermeintlich entwürdigende Verhalten der britischen Regierung in seinen Anweisungen an Mason zum Ausdruck gebracht.529 In London schöpfte der Gesandte zwar zunächst wieder Hoffnung, dass der spektakuläre Sieg Lees bei Fredericksburg den Kaiser der Franzosen zu einer Vermittlungsinitiative ermutigen würde.530 Seine im Januar und Februar 1863 abgeschickten Protestnoten über die Blockade liefen aber ins Leere, weil sich Earl Russell unter dem langfristigen Eindruck der Sklavenbefreiung von seinen Interventionsplänen verabschiedet hatte.531 Nachdem die ersten Sklaven tatsächlich ihre kriegsbedingte Freiheit erlangten, war eine Anerkennung der Konföderation für die Regierung nicht mehr denkbar. So musste auch der nach Gregorys Blockadeinitiative und Lindsays Vermittlungsresolution dritte Vorstoß scheitern, den der konservative Abgeordnete John Roebuck am 30. Juli 1863 im House of Commons unternahm.532 Die Kriegsrückschläge bei Vicksburg und Gettysburg bestärkten die Neutralität schließlich ganz entscheidend.533 Zu diesem Zeitpunkt war Davis endgültig zur Überzeugung gelangt, dass die Palmerston-Regierung genug Beweise für ihre Absicht geliefert hatte, den 527 Davis, Message to Congress, 12.01.1863, in: Richardson (Hg.), Messages and Papers of the Confederacy, Bd. 1, 268–297, hier 280. 528 Vgl. ebd., 287: „ Proudly self-reliant, the Confederacy […] felt no need to appeal for the maintenance of its rights to other earthly aids.“ 529 Vgl. Benjamin an Mason, 31.10.1862, in: O.R.N., Ser. II, Bd. 3, 584–588. 530 Vgl. Mason an ?, 18.01.1863, in: Mason, Public Life and Diplomatic Correspondence, 371–374, hier 371 f.; Mason an Benjamin, 15.01.1863, in: O.R.N., Ser. II, Bd. 3, 653–654. Zum Sieg über den Unionsgeneral Ambrose T. Burnside bei Fredericksburg am 13.12.1862 vgl. Rable, Fredericksburg! Fredericksburg! 531 Vgl. Mason an Russell, 03.01.1863, in: Richardson (Hg.), Messages and Papers of the Confederacy, Bd. 2, 394–397; Russell an Mason, 10.02.1863, in: ebd., 445–446; Mason an Russell, 16.02.1863, in: ebd., 446–448; Mason an Russell, 18.02.1863, in: ebd., 448–451; Russell an Mason, 24.02.1863, 451–452; Mason an Russell, 02.03.1863, in: ebd., 452. Vgl. auf den redundanten Charakter von Masons Eingaben hinweisend Young, Defender of the Old South, 153. 532 Zu Roebuck’s Motion vgl. Hubbard, Burden of Confederate Diplomacy, 137–148. 533 Vgl. aus der neueren Literatur Shea, Vicksburg is the Key; Ballard, Vicksburg; McPherson, Hallowed Ground; Sears, Gettysburg.
3. 1862–1865: Scheitelpunkt und Scheitern
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Konföderierten Staaten die Behandlung als ebenbürtige Nation zu verweigern. Am 4. August wurde Mason vom State Department angewiesen, seine Mission in London zu beenden.534 Als dieser das Foreign Office am 21. September von seiner Demission in Kenntnis setzte, beschied ihn Earl Russell mit dem knappen Kommentar, die Gründe für die Nichtanerkennung seien bekannt, „and it is not necessary to repeat them“.535 Mit „diesem finalen Schlag für seine Südstaaten-Ehre“536 verließ Mason die britische Hauptstadt und siedelte zu Slidell nach Paris über.537 Im Verlauf des Jahres 1864 nahm der Krieg für den Süden katastrophale Ausmaße an. Während William Tecumseh Sherman Atlanta eroberte und auf seinen berühmt-berüchtigten „Marsch ans Meer“ das Herzland der Konföderation vollends zerriss538, lieferten sich Grant und Lee ein erbittertes Stellungsgefecht in den Vorbezirken Richmonds.539 In dieser Existenzkrise verfiel das State Department auf die Idee, den europäischen Mächten im Tausch für ihre Intervention die offizielle Sklavenbefreiung anzubieten. Die Anregung für die Initiative ging auf Duncan F. Kenner aus Louisiana zurück, der zu den größten Sklavenhaltern im Süden gehörte und sowohl Benjamin als auch Slidell von früheren Verbindungen her kannte.540 Am 27. Dezember 1864 setzte Benjamin die Gesandten in Europa über Kenners Vollmachten ins Bild. Mit Bitternis und Verzweiflung niedergeschrieben, liest sich diese letzte Depesche überhaupt wie ein Abgesang auf eine gescheiterte Außenpolitik. Die Konföderation, so klagte er an, habe sich nicht nur gegen einen übermächtigen Gegner zu behaupten gehabt, sondern sei auch von den Europäern verraten worden, die ihre Pflichten mit kalter Gleichgültigkeit missachtet hätten. Dennoch vermochte Benjamin nicht zu verstehen, 534 Vgl. Benjamin an Mason, 04.08.1863, in: Richardson (Hg.), Messages and Papers of the Confederacy, Bd. 2, 539–540. In einem beigefügten Privatschreiben autorisierte Benjamin den Gesandten, die Anweisungen zu ignorieren, sollten sich zwischenzeitlich neue Bedingungen ergeben haben. Vgl. Benjamin an Mason, Private, 04.08.1863, in: ebd., 540. 535 Vgl. Mason an Russell, 21.09.1863, in: ebd., 574; Russell an Mason, 25.09.1863, in: ebd., 588. 536 Hubbard, Burden of Confederate Diplomacy, 148. 537 Darüber, ob Mason nach Amerika zurückreisen oder in Europa verweilen sollte, enthielt Benjamins Weisung keine Angaben. In Absprache mit Slidell beschloss er, vorerst in Paris zu bleiben. Vgl. Mason an Davis, 02.10.1863, in: Richardson (Hg.), Messages and Papers of the Confederacy, 574–576. 538 Vgl. McDonough, War so terrible; Davis, Atlanta will fall; Glathaar, March to the Sea and Beyond; Marszalek, Sherman’s March to the Sea. Vgl. ganz aktuell und kompakt Smith, Sherman’s March to the Sea. 539 Vgl. Dowdey, Lee’s Last Campaign; Frassanito, Grant and Lee; Rhea, Cold Harbour. 540 Zur Kenner-Mission vgl. Bauer, Last Effort. Eine neuere Biographie Kenners liegt vor mit Bauer, A Leader among Peers. Kenner kannte Europa von früheren Reisen und vertrat durchaus ein positives Englandbild. Vgl. Ranney, European Travel Diaries of Duncan Farrar Kenner, 1833–1834.
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IV. Die Konföderation und England, 1861–1865
warum sie direkte Hilfestellung dazu leisteten, „to enforce our submission to a hateful union“.541 Kenners Reise war nach seinem Dafürhalten der letzte Versuch, die Gründe hierfür zu eruieren und aus der Welt zu schaffen: „[N]o sacrifice is to great, save that of honor.“542 Im Hinblick auf die Agenda der Kenner-Mission heißt das aber: Die Sklaverei, welche die hysterische Ehrkultur des Antebellum-Südens so nachhaltig geprägt hatte, definierte nun nicht mehr zwingend die Ehre der Nation.543 Die Ausführung der Mission stieß in Europa auf Widerstand. Zunächst sträubten sich Slidell und vor allem Mason gegen die Verbindung des Sklavereithemas mit der Außenpolitik. Nur mühsam konnte Kenner die beiden Gesandten zur Mitarbeit bewegen. Als er in den ersten Märztagen des Jahres 1865 gemeinsam mit Mason von Paris nach London reiste, um das Angebot Lord Palmerston persönlich vorzutragen, zögerte Mason das Unterredungsgesuch für einige Tage heraus, obwohl die Nachricht vom Kriegsende täglich einzutreffen drohte. Dass sich Palmerston bereit erklärte, den so lange ignorierten Südstaaten-Diplomaten privat zu empfangen, hatte wohl mit dem Verlangen nach konservativer Unterstützung für seine Politik in der SchleswigHolstein-Krise zu tun.544 Das Gespräch, für das Mason den Premierminister am 14. März in Cambridge aufsuchte, nahm jedenfalls einen recht surrealen Verlauf. Unwillens, die Sklaverei im Tausch für die Anerkennung zu opfern, handelte Mason gegen den Geist der Kenner-Instruktionen und trug das Emanzipationsangebot nicht direkt vor.545 Stattdessen sprach er immer wieder von einem verborgenen „Einfluss“ (cooperating influence), der das Ausland von der Anerkennung der Südstaaten abhalte und nun offen benannt werden müsse, um aus der Welt geschafft werden zu können.546 Während der 1850er Jahre hatte sich Masons ambivalentes Englandbild vornehmlich an die Assoziationen bedrohlicher Imperialpolitik gebunden. 541 Vgl. Benjamin an Mason, 27.12.1864, in: ebd., 694–697, hier 696 (Hervorhebungen im Original). 542 Ebd., 697 (Hervorhebungen im Original). 543 Den Umstand, dass der Süden in höchster Not ein Angebot unterbereitete, das nur wenige Jahre zuvor absolut undenkbar gewesen wäre, versuchte Benjamin hinter einer Reihe von negativen Europabildern zu verstecken, welche die verwerflichen Folgen der Neutralität darlegen sollten. Davon ausgehend, stellte er die prinzipielle Frage, ob es „objections not made known to us“ gebe, „which have for four years prevented the recognition of our independence“ (Hervorhebungen im Original). Ebd., 696. Ohne den Willen zur Preisgabe der Sklaverei offen zu benennen, sollte den Engländern und Franzosen die Gelegenheit gegeben werden, diesen Punkt als Vorbedingung der Anerkennung anzusprechen. Vgl. ebd., 697. 544 Vgl. so Chambers, Lord Palmerston, 493. 545 Kenner war bei der Unterredung mit Palmerston nicht persönlich anwesend. Vgl. Hubbard, Burden of Confederate Diplomacy, 171. 546 Minutes of a conversation held with Lord Palmerston at Cambridge, 14.03.1865, in: Richardson (Hg.), Messages and Papers of the Confederacy, Bd. 2, 711–717, hier 715. Vgl. so auch Mason an Slidell, 20.03.1865, James Murray Mason Papers, LC, Bd. 1.
3. 1862–1865: Scheitelpunkt und Scheitern
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Großbritanniens Vorgehen in der Welt entsprang für ihn nicht der Moral, sondern dem Streben nach Macht. Als Lord Palmerston zu verstehen gab, dass sämtliche Bedenken offen ausgesprochen worden waren, schien sich diese Auffassung zu bestätigen. Tatsächlich erteilte ihm der greise Premierminister, der nur wenige Monate später im Amt verstarb, eine politische Lektion über die Vereinbarkeit von unmittelbaren mit langfristigen Interessen: Großbritannien habe die Durchlässigkeit der Blockade in den ersten Kriegsjahren nicht weiter verfolgt, so führte er aus, weil es als Kombattant in künftigen Konflikten kein Interesse daran habe, die Rechte der Neutralen zu stärken.547 Solange der Norden die Anstrengungen zur Restauration der Union nicht einstelle, besäße seine Regierung keine Grundlage, die Permanenz der Unabhängigkeit im völkerrechtlichen Sinne zu konstatieren. Überhaupt lasse das Ausmaß des Krieges eine Friedensregelung auf Basis der Teilung als unwahrscheinlich erscheinen.548 Obwohl dieses Gespräch die letzte und ultimative Form der Ehrverletzung darstellte, welche die Südstaatler in der Leugnung ihres Selbstbildes durch die Engländer erfahren hatten, war es Palmerston doch gelungen, Mason mit einem versöhnlichen Gesamteindruck zu entlassen.549 Selbst als die Konföderation nach langem Kampf schließlich zusammenbrach550, konnte der Virginier eine Prämisse seines Englandbildes bewahren, die auch sein nationales Selbstbild entscheidend mitbestimmte: Die Sklaverei, für ihn das Fundament einer gesunden Gesellschaftsordnung, spielte weder für die Außenwahrnehmung des Krieges noch für den Krieg selbst eine entscheidende Rolle. Am 26. März – zwei Wochen vor Lees Kapitulation im Appomattox Court House551 – unterhielt sich Mason mit dem Earl of Donoughmore, der ihm auf dem Höhepunkt der Interventionskrise im Herbst 1862 die Relevanz der Sklavereifrage für die Politik Großbritanniens vor Augen zu führen versucht hatte.552 Als der Earl andeutete, seiner Meinung nach hätte die Regierung den Süden zwei Jahre zuvor anerkannt, wäre die Sklaverei nicht im Wege gewesen, griff Mason das Angebot der Kenner-Mission theoretisch auf und fragte seinen Gesprächspartner, ob er eine Anerkennung für möglich halte, sollte die Konföderation auf eine offizielle Emanzipationspolitik umschwenken:
547 Zu diesem Kalkül der britischen Amerikapolitik zwischen 1861 und 1865 vgl. Baxter, Neutral Rights, 517. Vgl. auch Bernath, Squall Across the Atlantic, 6; Beloff, Britain and the Civil War, 505. 548 Vgl. Minutes of a conversation held with Lord Palmerston at Cambridge, 14.03.1865, in: Richardson (Hg.), Messages and Papers of the Confederacy, Bd. 2, 711–717, hier 714. 549 Vgl. Mason an Benjamin, 31.03.1865, in: ebd., 709–711, hier 710 f. 550 Vgl. Ballard, Long Shadow; Davis, Honorable Defeat; Grimsley / Simpson (Hg.), Collapse of the Confederacy. 551 Vgl. dazu klassisch Catton, Stilness at Appomattox. 552 Vgl. Mason an Benjamin, 04.11.1862, in: O.R.N., Ser. II, Bd. 3, 597–598, hier 598.
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IV. Die Konföderation und England, 1861–1865
„He replied that the time had gone by now, especially that our fortunes seemed more adverse than ever.“553 Im Hinblick auf die Gesamtheit der konföderierten Außenpolitik zogen die Worte des Earls den Schlussstrich unter die Geschichte eines Scheiterns. Fixiert wie sie waren auf das Ringen um Ehre und Anerkennung, hatten die Südstaatler nie ausgetestet, ob die Sklaverei das britische Verhalten gegenüber ihrem Unabhängigkeitsanspruch beeinflusste, oder ob ihre Annahme zutraf, dass die Macht den Engländern stets vor die Moral ging. Wie Mason nun allseits bescheinigt bekam, konnte die Befreiungskonzession nichts mehr ausrichten. Sogar das Scheitern schien sich in die Prämissen des südstaatlichen Englandbildes einzufügen. Mason und die Konföderierten hatten eine Idee behauptet und eine Nation verloren.
553 Minutes of a conversation held with the Earl of Donoughmore, 26.03.1865, in: Richardson (Hg.), Papers and Messages of the Confederacy, Bd. 1, 717–718, hier 717.
V. SCHLUSSBETRACHTUNG Der Amerikanische Bürgerkrieg wurde auf dem Schlachtfeld entschieden, nicht in der Außenpolitik – an Orten wie Sharpsburg, Gettysburg und Vicksburg, nicht in den Kanzleien von London und Paris.1 Dass die europäischen Staaten unter Englands Führung nicht intervenierten, sondern neutral blieben, war indes eine entscheidende Voraussetzung dafür, dass die Union ihre Kriegsmaschinerie überhaupt erst siegreich entfalten konnte.2 Der Norden kämpfte nämlich nicht, wie einmal im literarischen Überschwang formuliert wurde, mit einer Hand hinter dem Rücken, jederzeit bereit, das ungleiche Ringen mit einem letzten Kraftakt zu beenden.3 Wie das für die meisten Kriege gilt, stand auch der Ausgang des Bürgerkrieges „zumindest vorübergehend auf Messers Schneide“ und hätte „durch unerwartete Faktoren“4 in eine ganz andere Richtung gelenkt werden können. Wer für die Jahre 1861 bis 1865 nach den „Scheidewegen in der amerikanischen Geschichte“5 sucht, gewinnt ein Gespür dafür, wie nahe der Süden dem Gewinn seiner Unabhängigkeit in manchen Momenten gekommen ist.6 Zwar lassen sich die Kontingenzen des Kriegsgeschehens nicht unbesehen auf die Zusammenhänge der internationalen Politik übertragen: Im Grunde ist Lee der Rettung der Konföderation in Gettysburg näher gekommen als es Yancey und Mason in London jemals vermocht hätten. Selbst wenn die konföderierte Regierung keine doktrinären Ideologen, sondern versierte Diplomaten nach Europa geschickt hätte, um im kooperativ-konzilianten Ton für die Anerkennung zu werben, hätte das allein die Neutralität kaum zu Fall gebracht. Die durch den Krieg hervorgerufenen Spannungen in der atlantischen Welt schufen aber zumindest vorübergehend Spielräume für außenpolitische Fortschritte, die der Süden zu keinem Zeitpunkt auszuloten imstande war. Die Gründe dafür, so ist argumentiert worden, lagen weniger in der ebenso sprichwörtlichen wie unspezifischen „Torheit der Regierenden“ (Barbara Tuchman), 1 2
3 4 5 6
Vgl. so Hubbard, Burden of Confederate Diplomacy, 77. Wie Adam I. P. Smith konstatiert: „The blalance sheets of Union and Confederate strength and weakness could have been transformed by foreign intervention.“ Smith, Civil War, 76. Vgl. Men at War. An Interview with Shelby Foote, in: Ward, Civil War, 272. Demandt, Ungeschehene Geschichte, 48. McPherson, Days of Destiny. Crossroads in American History. Vgl. McPherson, Für die Freiheit sterben, 853–862; ders., American Victory, American Defeat; ders., How the Confederacy Almost Won; zuletzt ders., Could the South Have Won? Vgl. ferner Gallagher, Confederate War; ders., Generals; ders., Lee and His Army in Confederate History. Vgl. auch Roark, Behind the Lines, 203.
382
V. Schlussbetrachtung
sondern wurzeln im Kulturellen und erklären sich aus den Englandbildern, die tief in den „Geist des Südens“7 hineingewebt waren. Auf welche Weise die Englandbilder in das politische Handeln einflossen, wird durch die spezifischen Kulturkräfte verständlich, welche die Region seit der Kolonialzeit formten und ihr besonderes Verhältnis zu England mitbestimmt haben. Die Wiege der Antebellum-Kultur liegt an der Chesapeake. 1607 gründeten die englischen Siedler an den Ufern des James eine fragile, von äußeren Krisen und inneren Unruhen geplagte Kolonialgesellschaft, die erst durch die Einführung der Tabakwirtschaft auf ein stabiles sozioökonomisches Fundament gestellt wurde. Tatsächlich gab der Tabak nicht nur den Alltagsrhythmus der Pflanzer vor, sondern prägte auch ihre Vorstellungswelten und Selbstbilder. In der Abgeschiedenheit ihrer Farmen entwickelten sie ein Verständnis von persönlicher Autarkie und Ungebundenheit, das sich später auf die politische Sphäre übertrug und im Freiheitsbegriff der Amerikanischen Revolution aufging. Die politische Kultur Virginias formte sich freilich weniger aus einer positiven Definition von Unabhängigkeit als aus negativen Erfahrungen und Krisenreflexionen. Was ihnen an ihrer Lebensform provinziell und rückständig vorkam, illustrierten die Siedler über den Vergleich mit England. In der gesamten Kolonialära blieb die Treue zum und auch die Sehnsucht nach dem Mutterland ungebrochen. Obwohl die Kolonisten die empfundenen Defizite ihrer Provinzkultur mit einer Fülle von Feindbildern kompensierten, lassen sich diese doch keineswegs als per se anti-englisch oder als vom Vorbild des Mutterlandes abgewandt bezeichnen. Ganz im Gegenteil: Nicht nur durch Nachahmung und Adaption, sondern selbst bei den Techniken der Abgrenzung schöpften sie aus dem Reservoir dessen, was man als englische „Leitkultur“ beschreiben könnte. Ein besonders schwieriges, ja gerdeazu belastendes Erbe der englischen Besiedlung in Amerika war die Sklaverei. Wie die neuere Forschung nachgewiesen hat, gab es zwischen den in England bekannten Formen unfreier Arbeit und der amerikanischen Rassensklaverei einen kulturellen Zusammenhang. Im Hinblick auf die Besiedlungstradition und den demographischen Stellenwert der Sklaverei bestanden zwar signifikante Unterschiede zwischen der Chesapeake und South Carolina. Was die beiden wichtigsten Südkolonien jedoch miteinander verband, war die Dialektik von (schwarzer) Sklaverei und (weißer) Freiheit, die der Historiker Edmund Morgan am Beispiel Virginias herausgearbeitet hat.8 Weder in Williamsburg noch in Charleston wurde die Sklaverei als Bruch mit den Imperativen der englischen (Leit-)Kultur verstanden. Ungeachtet ihrer schon früh nachweisbaren Ängste vor Rassenunruhen und Aufständen, praktizierten die Kolonisten den Kauf und Verkauf 7 8
Cash, The Mind of the South. Vgl. auch Eaton, Mind of the Old South; ders., Freedom-of-Thought-Struggle. Vgl. Morgan, American Slavery, American Freedom.
V. Schlussbetrachtung
383
von Menschen als „gedankenlose“9 Fortentwicklung der europäischen Tradition auf amerikanischem Boden. Aus dem Spannungsverhältnis zwischen Sklaverei, einer aggressiven Individualkultur und der fortgesetzten Englandorientierung formte sich ein Phänomen, durch das die Politik in den Antebellum-Südstaaten erheblich strukturiert wurde – die Ehre. Nach der Gründung der Republik gingen die traditionellen Bedeutungsbelegungen der Ehre in eine kulturelle Kraft sui generis über, welche die Hierarchien der südstaatlichen Agrargesellschaft mit der Dynamik einer sich öffnenden Gesellschaft verband. Obwohl auf dem politischen Massenmarkt durchaus mit dem Pfund der Ehre gewuchert wurde, sie also der Meinungsmobilisierung und der Machtsicherung diente, war ihr anti-egalitärer Grundgedanke doch vormodernen Ursprungs. Wer im Süden Anspruch auf Ehre erhob, hätte sich streng genommen aus sämtlichen sozialen Bindungen herauslösen müssen, da es möglichst glaubwürdig zu demonstrieren galt, ebenso ungebunden wie unbestechlich, ebenso unverschuldet wie unabhängig zu sein. Paradoxerweise trug die Ehrkultur aber gerade nicht zur Sicherung der individuellen Entscheidungsfreiheit bei, die für das republikanische Gemeinwohl als unerlässlich galt. Auf äußere Bestätigung und wechselseitige Respektbezeugung angelegt, erzeugte sie im Gegenteil eine Fülle von Zwängen und Verpflichtungen. Wie der Historiker Edward Ayers schreibt: „In fact honor might be defined as a system of beliefs in which a person has exactly as much worth as others confer upon him.“10 Dass die Regeln der Ehre weniger Freiheiten als vielmehr Abhängigkeiten schufen, besaß in einer Sklavenhaltergesellschaft eine ganz besondere Brisanz. Ob und in welchem Maße sich der Herrschaftsanspruch Einzelner über Viele durchsetzen lässt, hängt vom Grad des „Legitimitätsglaubens“ und der Frage ab, ob die Beherrschten den Anspruch auf Herrschaft als rechtmäßig akzeptieren oder nicht.11 Für die Pflanzer, die ihre Sklaven in gleichsam absoluter Manier zu beherrschen versuchten, war jeder offen artikulierte Zweifel an ihrem Selbstbild gefährlich. Zwar wurde den Sklaven selbst nicht die Fähigkeit zugesprochen, Ehre zu empfangen oder zu bezeugen (die Ehre war ein Geschäft von Gleichen unter Gleichen). Der Verlust von Ehre in der weißen Gesellschaft konnte allerdings auch den umfassenden Herrschaftsanspruch innerhalb der Plantagenwelt kompromittieren. Vom Einzelnen ins Kollektive gewendet, legt die Angst der Sklavenhalter vor Rassenunruhen dafür ein beredtes Zeugnis ab. Die offenkundige Leugnung ihres Selbstbildes durch die Abolitionisten war insofern eine Ehrverletzung von bedrohlichen Ausmaßen. 9
Vgl. im Zusammenhang mit der Etablierung und Verfestigung der Rassensklaverei von „unthinking decisions“ sprechend Jordan, Unthinking Decisions; ders., White over Black. 10 Ayers, Art. „Honor“, in: Wilson (Hg.), Encyclopedia of Southern Culture, 1483. 11 Die Kategorie des „Legitimitätsglaubens“ als Analysekategorie für das Verständnis von Herrschaftsdurchsetzung findet sich bei Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 28.
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V. Schlussbetrachtung
Verschärft wurde das noch durch die Unverträglichkeit zwischen den Machtbeziehungen innerhalb der Sklavenhaltergesellschaft und den Prinzipien der republikanischen Machtkritik, auf die sich die Revolutionäre von 1776 so eloquent beriefen. Thomas Jefferson und seine Gefolgschaft von sklavereikritischen Sklavenhaltern glaubten die korrumpierende Natur der Macht zu kennen. Für sie war die Sklaverei, die sie selbst praktizierten und tagtäglich erlebten, die Antithese zur Freiheit. George Washington, der einer illusionsloseren Weltsicht anhing als der abstraktionsverliebte Jefferson, schrieb im Juli 1774 sogar unverblümt, die britische Gewaltherrschaft „will make us as tame, & abject Slaves, as the Blacks we Rule over with such arbitrary Sway“.12 Aus diesem Geburtsmakel der Freiheit in Amerika erklären sich auch die spannungsvollen Ambivalenzen des republikanischen Denkens zwischen Ehre und Sklaverei: Sofern die Ehre Unabhängigkeit und Interessenlosigkeit einforderte (de facto produzierte sie umso nachhaltigere Machtstrukturen), harmonierte sie mit der republikanischen Staatskritik. Weil sie aber in Verbindung mit der Sklaverei auch die Ausübung von zügelloser Macht legitimierte, stand sie in einem direkten Gegensatz zu den republikanischen Tugendidealen. Ehre und Republikanismus, Sklaverei und Machtkritik: Die Ideenstränge, die den Süden zu einer kulturellen Region verknüpften, waren voller Konflikte. Keine Figur der Revolutionsepoche und der frühen Republik verkörpert dieses Spannungsverhältnis so sinnfällig wie Thomas Jefferson. Kaum ein anderer Amerikaner hat auch die Anglophobie seiner Zeit in so plastische Bilder gefasst: Als Revolutionär goss er den kolonialen Widerstand gegen England in ein politisch-ideologisches Fundament, als Parteiführer überführte er die anglophoben Stimmungen seiner Landsleute in die anti-föderalistische Propaganda der 1790er Jahre, als Präsident stellte er sie seiner Innen- und Außenpolitik leitmotivisch voran. Durch die Mechanik von Exklusion und Inklusion lieferte ihm die Anglophobie das Vokabular für die „Sprache der amerikanischen Souveränität“ (Peter Onuf), wie er sie in den politischen Diskurs der jungen, noch ungefestigten Union einführte. Die republikanische Machtkritik auf den innenpolitischen Gegner übertragend, geißelte er die Föderalisten als Pseudo-Aristokraten und Monarchisten, die im Bündnis mit England die Errungenschaften der Revolution zunichte machen wollten. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund dieser Bedrohungswahrnehmung versteifte sich Jefferson auf eine agrarromantische Kontinentalvision, nach der sich eine autarke und selbstgenügsame Republik den korrumpierenden Einflüssen der Alten Welt gleichsam entziehen und sich gegen ihre inneren Feinde verteidigen könne. Aus solchen Vorstellungen resultierte auch die größte außenpolitische Fehlentscheidung sei12 George Washington an Bryan Fairfax, 24.08.1774, in: Runge (Hg.), The Papers of George Washington, Colonial Series, Bd. 10, 154–156, hier 155.
V. Schlussbetrachtung
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ner Präsidentschaft – das Embargogesetz von 1807 und der bewusst herbeigeführte Boykott des atlantischen Handels. Jeffersons Entscheidung für das Embargo entsprang eben nicht einer realistischen Einschätzung ökonomischer Zusammenhänge, sondern einer kulturellen Prägung, die von der Annahme ausging, die republikanische Tugend Amerikas würde den Sieg über die korrupt-dekadenten Staaten Europas davontragen. Die Überzeugung vom Vorrang der Ökonomie in den internationalen Beziehungen ist das wichtigste Bindeglied zwischen der republikanischen und der konföderierten Außenpolitik. Aber auch in anderen Bereichen von Politik und Kultur des Antebellum-Südens haben diese frühen Selbst- und Fremdbilder ihre Spuren hinterlassen, sind abgewandelt, umgedeutet und zum Teil in anderen Kontexten neu verwendet worden. Als die Konföderierten diese Bilder im Jahre 1861 zum Fundament einer diplomatischen Doktrin ausformten, erfanden sie keine neue Ideologie, sondern gaben einen weit verbreiteten Zeitgeist wieder. Dennoch hatten die Mitglieder der Davis-Administration den politischen Diskurs der Vorkriegszeit (auch) durch die Verwendung spezifischer Englandbilder maßgeblich mitgeprägt. Unter den besonderen Bedingungen des Bürgerkrieges besaßen sie sodann einen erheblichen Gestaltungsspielraum für die Konzeption der Außenpolitik – dass diese Politik an äußeren und nicht beeinflussbaren Gründen letztlich scheiterte, bleibt davon unberührt. Gruppenbiographisch gesehen, nähert man sich den Mitgliedern des (außen-)politischen Establishments der Südstaaten am besten über die Frage nach ihren Gemeinsamkeiten und ihren Differenzen. Was sie über die regionalen Milieus hinaus verband, war erstens ihre Zugehörigkeit zur sklavenhaltenden Pflanzerklasse. Virginia und South Carolina, gekennzeichnet von Traditionsbewusstsein, starren Gesellschaftsstrukturen und tradierten Familiennetzwerken, erlebten einen umfassenden ökonomisch-demographischen Abwärtstrend, der die Pflanzerelite zwischen nostalgischer Verklärung und aggressiver Zukunftsangst schwanken ließ. Im Gürtel der Baumwollstaaten hingegen etablierte sich eine kleine Schicht von aufstrebenden Plantagenbesitzern, die ihren Geltungsanspruch seit den späten 1830er Jahren auch in der Bundespolitik zusehends deutlicher artikulierten. Wenn sich die Südstaaten-Elite erstens über die soziale Zugehörigkeit zur Land- und Sklavenbesitzerschicht definierte, so teilte sie zweitens die kulturelle Fixierung auf den Kodex der Ehre – gerade in Fragen der Politik. Die Mehrzahl der späteren Konföderierten wurde während ihrer AntebellumKarriere in Ehrdispute verwickelt, die zwar nicht zwangsläufig gewaltsam enden mussten (und es auch nur selten taten), aber durchaus konnten. Sicherlich ist der „Militant South“13, jene spezifisch südstaatliche Kultur der Gewalt, 13 Franklin, Militant South. Vgl. hierzu auch Bruce, Violence and Culture in the Antebellum South.
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V. Schlussbetrachtung
inzwischen zu einem rezeptionsgeschichtlichen Klischee mutiert. Wer die Weltbilder der Konföderationspolitiker zu entschlüsseln versucht, darf die wichtige Rolle ihres personenbezogenen, posenreichen und eben auch aggressiven Politikstils aber nicht verkennen.14 Dieser Stil wurde von der individuellen auf die kollektive Ebene, von den Beziehungen zwischen Menschen auf die Beziehungen von Staaten übertragen. Was Yancey in einer drastischen Sprache formulierte, teilten im Kern auch moderatere Zeitgenossen: „Nations should be actuated by the same high sense of honor as individuals. If a man spits me in my face, I will strike him, though he may trash me.“15 Als Landbesitzer und Sklavenhalter besaßen die Außenpolitiker der Konföderation erstens einen gemeinsamen sozioökonomischen Hintergrund, als Anhänger des Ehrenkodexes sprachen sie zweitens die gleiche politische Sprache. Drittens stimmten sie ihre Positionen durch ein Geflecht von persönlichen Netzwerken ab, das ihren Zusammenhalt auch überregional beförderte. Die einflussreichsten Personenverbindungen dieser Art fanden sich naturgemäß in der Hauptstadt – und dort vor allem auf dem Kapitolhügel, wo sich das prominenteste Forum für Posen, Inszenierungen, aber auch die Artikulation von Bildern bot. In den späten 1830er und den 1840er Jahren sammelten sich jüngere Kongressabgeordnete aus South Carolina und Virginia unter der Führung John C. Calhouns. James Murray Mason geriet auf diese Weise in Berührung mit Jefferson Davis, der seine Karriere als expliziter Bewunderer des späten Calhoun begann. Nach dessen Tod wurden die Netzwerke der Hauptstadt neu geknüpft. Während der 1850er Jahre, als die „schwachen“ Präsidenten Fillmore, Pierce und Buchanan im Weißen Haus regierten, bündelten die südstaatlichen Ausschussvorsitzenden ihre Kräfte in der nach ihrem geteilten Wohndomizil benannten F Street Mess. Diese Gruppe mag das bedeutendste SüdstaatenNetzwerk in Washington gewesen sein, sie war aber beileibe nicht das einzige. Wie am Beispiel Masons und Robert M. T. Hunters für Virginia deutlich geworden ist, kooperierten die Senatoren aus einzelnen Staaten naturgemäß besonders eng miteinander. Robert Toombs und Alexander Stephens aus Georgia bildeten ein ebenso enges Gespann wie Judah P. Benjamin und John Slidell aus Louisiana. Nach 1861 sollten sich diese Konstellationen in der personellen Aufstellung für die konföderierte Außenpolitik wieder finden. Was die schriftliche Überlieferung angeht, ist der Austausch von Bildern und Ideen in den intellektuellen Zirkeln des Südens expliziter nachzuvollziehen als in der politischen Hintergrundkorrespondenz. In der Tradition Jeffersons sahen sich Figuren wie Calhoun, Rives, Hammond oder auch Benjamin als Männer der Politik und des Geistes (und wurden auch so wahrgenommen). So brachten sie ihre jeweilige geistig-moralische Reflexion der Skla14 Vgl. in diesem Sinne Fry, Dixie Looks Abroad, 50. 15 Late Southern Convention at Montgomery, in: De Bow’s Review 6 (1858), 574– 606, hier 587.
V. Schlussbetrachtung
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venhaltergesellschaft in den politischen Diskurs ein. Trotz ihrer identitätsstiftenden Gemeinsamkeiten – sozialer Hintergrund, kultureller Kodex, persönliche Verbindungen – übersetzten sie ihre Weltsicht in unterschiedlich akzentuierte Englandbilder. Die Englandbilder, welche die Milieus Virginias, South Carolinas und des Tiefen Südens bis zum Ende der Antebellum-Zeit hervorgebracht hatten, waren trotz gemeinsamer Motive von einer verwirrenden Vielschichtigkeit, bisweilen auch Widersprüchlichkeit gekennzeichnet. Um zu verstehen, welche Topoi nach Kriegsausbruch in die konföderierte Außenpolitik eingingen, ist es aber dennoch sinnvoll, die dominierenden Vorstellungen zu kategorisieren und in verschiedene Ideenfelder einzuteilen, aus denen sich das politische Handeln – oder zumindest der Versuch politischen Handelns – direkt ableiten lässt. Romantische Englandbilder, wie sie vor allem unter den Eliten des Ostküstensüdens kursierten, kompensierten durch ihre Fixierung auf den historischen Mythos den Verlust ökonomischer und politischer Größe. Während die Kavalierskonstruktion in Virginia durchaus das Selbstbild einer traditionsreichen, veränderungsfeindlichen und im gemäßigten Sinne konservativen Gesellschaft stärkte, wurde sie in South Carolina fast durchweg als Teilungsmythologie propagiert, die den „aristokratischen“ Stamm der Südstaaten-Kavaliere von den „nivellierten“ Yankee-Puritanern absonderte. Inwieweit diese Geschichtsutopien auch auf die gegenwärtige Englandwahrnehmung übergegriffen haben, ist schwer auszumachen, da sich das zeitgenössische und das vergangene England tendenziell voneinander abstießen. Dennoch vermochten Reisende wie James Henry Hammond oder Robert Toombs ihre Faszination über das prunkvolle England beziehungsweise das aristokratische England kaum einzuordnen. Durch einen äußerst selektiven Zugriff operierten sie diese Bestandteile aus ihren negativen Gegenwartsbildern heraus und unterfütterten damit ihr Bild vom Süden als hierarchisch geordnete, traditionsreiche und distinguierte Pflanzergesellschaft. Indes: Selbst dort, wo das kulturelle Klima die Verbreitung romantischer Englandbilder beförderte, existierten anglophile Romantik und anglophobe Assoziationen als antagonistische Ideensysteme nebeneinander – eine Widersprüchlichkeit, die sich zwar benennen lässt, von den Zeitgenossen aber als solches nicht wahrgenommen wurde. Negative Englandbilder fokussierten vor allem auf das abolitionistische England. Die sklavereifeindlichen Strömungen in der Öffentlichkeit wurden als substantielle Zurückweisung des südstaatlichen Gesellschaftsentwurfes begriffen und besaßen die Qualität von inakzeptablen Ehrverletzungen (die Diskussion über die Stevenson-O’Connell-Affäre von 1838 ist ein frühes Beispiel dafür). Anglophobe Invektiven, die während der 1840er und 1850er Jahre entwickelt wurden, zeichneten das industrielle England als eine Stätte der sozialen Verwüstung und klagten das heuchlerische England an, seine wirtschaftliche Dynamik trotz aller philanthropischen Rhetorik mit der Sklavenarbeit zu verknüpfen.
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V. Schlussbetrachtung
Davon ausgehend, stellte sich die zentrale Frage, ob der abolitionistische Zeitgeist auch die Außenpolitik Großbritanniens leitete, wie die Emanzipation in den westindischen Kolonien 1833 nahe zu legen schien. Aus verständlichen Gründen tendierten die Südstaatler dazu, diese Frage negativ zu beantworten. Obwohl Calhoun eine abolitionistische Politik Londons in Texas ebenso fürchtete wie sich seine Erben über die „Afrikanisierung“ Kubas beunruhigten, definierten sie doch die Macht, nicht die Ideologie als das Leitmotiv britischen Handelns in der Welt. Das imperiale England, wie es in ihrer Vorstellung bedrohliche Dimensionen annahm, trieb die Erweiterung seines Einflusses in der westlichen Hemisphäre mit kühlem Machiavellismus voran. Der Abolitionismus war ein operativer Bestandteil dieser Politik, durch den sich Macht- und Wirtschaftsinteressen bemänteln ließen, keineswegs aber ein Antriebsmoment sui generis, das den eigentlichen Zielen gleichgeordnet war oder ihnen gar den Rang streitig machen konnte. In dem Maße, in dem die Baumwolle ihren Siegeszug auf den europäischen Märkten antrat, tendierten die Südstaatler sodann zu einer Überbetonung der ökonomischen Antriebskräfte britischer Außenpolitik. In dieser Perzeptionskategorie verschmolz das räuberische England mit dem Topos vom kapitalistischen England, das den Profit zur Staatsräson erhoben hatte und dessen auswärtige Politik von Zynismus und Unehrlichkeit gekennzeichnet war. Eine damit korrespondierende Annahme war die Behauptung, in Großbritannien sei die Politik eine Sklavin der Wirtschaft, da nur die Erschließung neuer Absatzmärkte den revolutionären Druck in der Gesellschaft kontrollieren könne. Äußere Feindbilder setzen für gewöhnlich innere Integrationseffekte frei. Das Bild vom bedrohlichen England musste daher nicht per se einen Keil zwischen Nord- und Südstaaten treiben. Vor allem den Politikern aus dem Tiefen Süden, deren nationale Loyalität sich unter dem Eindruck des Krieges von 1812 herausgebildet hatte, erschien England zunächst als äußerer Feind, nicht als Verbündeter eines inneren Gegners. Es war gewissermaßen die Tragödie der Union, dass sich diese Perzeption im Laufe der 1850er Jahre zu wandeln begann. Unter dem Eindruck der Territorialdebatten und des „blutenden Kansas“ verschärfte sich das Gefühl einer fundamentalen Unsicherheit innerhalb der Republik. Pläne für den Erweb neuer Sklavenstaaten in der Karibik und in Mittelamerika, wo sich die Feindbilder vom imperialen und sklavereifeindlichen England zusammenzogen, liefen samt und sonders ins Leere. Sie entblößten einen hinter aggressiven Posen zutiefst verunsicherten Süden, der mehr und mehr in seine Rolle als „bewusste Minderheit“ hineinwuchs.16
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Vgl. so die ältere Arbeit von Carpenter, The South as a conscious minority. Vgl. auch von einem „southern sense of embattlement“ sprechend Fry, Dixie Looks Abroad, 65.
V. Schlussbetrachtung
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Wie vor allem bei Jefferson Davis gut zu beobachten ist, läßt sich die Fusion von englischem und neuenglischem Feindbild als ein Gradmesser der inneren Entfremdung von der Union interpretieren. Einen vergleichbaren Vorgang hatte es in der Zeit der frühen Republik gegeben, als die Federalists in der Vorstellungswelt von Thomas Jefferson zu den Protagonisten einer englischen Verschwörung auf amerikanischem Boden mutierten. Zwar war die Furcht vor dem monarchischen England nach dem Krieg von 1812 zusehends verblasst und zu einer reinen Kampfvokabel der Innenpolitik verkommen. Im Zusammenspiel mit der zunehmenden Entfremdung vom Norden zielte die Provokation durch das abolitionistische England jedoch derart tief in das Selbstverständnis des Südens hinein, dass die Barrieren der nationalen Loyalität zusehends poröser wurden und schließlich ganz zerbrachen. Die Verschmelzung der Feindbilder vom Alten und Neuen England war die kulturelle Manifestation dieses Prozesses, also eher Ergebnis denn Ursache. Bei Ausbruch des Bürgerkrieges erwuchs dann die Anglophobie zum bestimmenden Element der südstaatlichen Außenpolitik. Spuren anglophiler Schwärmerei, wie sie insbesondere das Ostküsten-Establishment in der Antebellum-Ära geprägt hatte, sind bei einzelnen Kabinettspolitikern und Gesandten zwar noch zu finden. Insgesamt brachen jetzt jedoch die englandfeindlichen Bilder des Tiefen Südens durch und wurden in einem engeren Sinne geschichtsmächtig. Die Negativstereotypen, die sich in den letzten beiden Jahrzehnten der Antebellum-Ära immer schärfer herauskristallisiert hatten, gingen 1860 / 61 in die Formulierung der Baumwollpolitik ein. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass dieser vermeintlich realistischen Perzeption in Wirklichkeit ein ideologiegesättigter Hyperrealismus zu Grunde lag, der das „Bild des Anderen“ nicht aus einer reflektierend-distanzierten Auswertung fremder Interessen, Standpunkte und Strategien gewann. Zur eigentlichen „Kunst“ der Diplomatie, „andere Nationen mit deren Augen zu sehen“17, fanden die Konföderierten keinen Zugang. So war die Außenpolitik von 1861 bis 1865 durch tief gehende Ambivalenzen gekennzeichnet: Mit ihrem Anspruch auf Anerkennung verbanden die Konföderierten auch die Bezeugung von Ehre; zugleich gründeten sie ihren Auftritt in der atlantischen Welt auf einer erpresserischen Strategie, in der ihre ganze Abscheu vor dem britischen Gesellschaftsmodell zum Ausdruck kam. Bedenkt man, wie unverhüllt das Regiment von King Cotton in den Monaten nach der Sezession beschworen wurde, war das streng genommen eine Ehrverweigerung gegenüber der gleichen Macht, von der sie die Anerkennung als Ehrbezeugung einforderten. Als Großmacht von vergangener und gegenwärtiger Größe sollte England den nationalen Selbstbestimmungsanspruch der Konföderation im Sinne der Ehre bestätigen, als kapitalistisch17 Kornelius, Der verblendete Befreier, in: Süddeutsche Zeitung, 29. / 30.03.2003.
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V. Schlussbetrachtung
degenerierte Gesellschaft am Rande der sozialen Revolution sollte es zur Anerkennung gezwungen werden. Die auswärtige Politik des Südens beruhte auf den Fundamenten von utopischem Idealismus und überzogenem Materialismus – der ehrenhafte Gentleman und der ungehobelte John Bull waren die verschiedenen Gesichter desselben Engländers. Jefferson Davis betrachtete weder die Anerkennung noch irgendeine andere Art der ausländischen Intervention als integralen Bestandteil der Kriegszielstrategie. Ganz im Gegenteil wurde sowohl in den offiziellen als auch in den internen Verlautbarungen immer wieder hervorgehoben, dass der Süden den Krieg unabhängig vom Verhalten des Auslands zu gewinnen in der Lage sei. Penibel waren die Südstaatler darauf bedacht, den Eindruck zu vermeiden, auf auswärtige Hilfe angewiesen zu sein. Die Frage der Anerkennung wurde also nicht unter strategischen Gesichtspunkten, sondern als Ehrproblem behandelt. Die Regeln der Ehre gaben die Regeln einer politischen Ethik vor, von der man glaubte, dass sie auch die Einstellung der europäischen Mächte gegenüber dem eigenen Nationalitätsanspruch bestimmen würde. Anders gewendet: Der Frage, ob England und Frankreich die Konföderation nun anerkannten oder nicht (früher oder später würden sie es tun, weil sie es tun mussten), maßen sie keine kriegsentscheidende Bedeutung zu. Um den – ehrverletzenden – Eindruck zu vermeiden, die südstaatlichen Diplomaten würden in London und Paris um die Anerkennung bitten, hatten sie vom State Department Weisung, zu betonen, dass sie etwas einforderten, auf das sie ein Recht besaßen, das sie aber nicht lebensnotwenig brauchten. Während der ersten anderthalb Kriegsjahre wurde diese fatale Illusion durch eine Reihe von äußeren Faktoren genährt, die der Konföderation zwar kurzfristig Auftrieb verschafften, langfristig jedoch zur Beschneidung ihres außenpolitischen Spielraums beitrugen. Bei Ausbruch der Feindseligkeiten verhängte die Union eine Blockade über die südstaatliche Küste und geriet damit gefährlich nahe an die juristische Anerkennung eines zwischenstaatlichen Kriegszustandes, der ihrem Bild von der Einheit der Nation fundamental zuwiderlief. Dass die britische Regierung darauf mit der Erklärung der Neutralität antwortete, betrachteten Nord- und Südstaatler als Vorspiel zur Intervention. Die Gründe für diese bemerkenswerte Fehlperzeption lagen in der Ideologisierung des Krieges. Wie Abraham Lincoln im Jahre 1864 richtig erkannte: „We all declare for liberty; but in using the same word we do not all mean the same thing.“18 Beide Parteien waren schlichtweg nicht in der Lage, die Neutralität als dauerhafte Option zu begreifen: „Wo ein Krieg als Rechtsexekution und mit dem Anspruch geführt wird, der Gerechtigkeit zum
18 Lincoln, Address at Sanitary Fair, Baltimore, Maryland, 18.04.1864, in: Basler, Collected Works of Abraham Lincoln, Bd. VII, 301–302 (Hervorhebungen im Original). Zu den unterschiedlich belegten Freiheitsbegriffen im Amerikanischen Bürgerkrieg vgl. Fischer, Liberty and Freedom, 308–340.
V. Schlussbetrachtung
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Durchbruch zu verhelfen, ist Neutralität moralisch anrüchig geworden.“19 Gerade die Konföderierten, die das selbstsüchtige Moment der englischen Politik zu kennen glaubten, konnten diesen realpolitisch vernünftigen Schritt weder einordnen noch verstehen. Die Fehleinschätzung der Neutralität zeigt einmal mehr, dass ihr Hyperrealismus in der Außenpolitik einem spezifischen Wahrnehmungsmuster entsprang, das ihr Bild von sich selbst (ehrenhaft, unabhängig) durch negative Englandbilder (unehrenhaft, abhängig) kontrastierte. Was die Südstaatler während der frühen Kriegsmonate in ihrem Glauben an die Unvermeidlichkeit der Intervention bestärkte, war darüber hinaus das paradoxe Schweigen beider Kriegsparteien zur Sklaverei. Aus innenpolitischen Gründen scheuten sowohl Lincoln als auch Davis davor zurück, die Sklavereifrage in den Vordergrund ihrer Legitimitätsrhetorik zu stellen. Der Krieg wurde damals noch um Bestand oder Teilung der amerikanischen Republik geführt, nicht um die Abschaffung der Rassensklaverei. Weil die sklavereifeindlich gesinnten Engländer das mit Missmut registrierten, bewerteten sie den Konflikt zunächst auf eine Art und Weise, die dem Selbstbild der Konföderierten als ein für die Unabhängigkeit kämpfendes Volk recht nahe kam. Umgekehrt verband sich mit dem Einheitsprimat des Nordens die Assoziation von diktatorischer Herrschaft und Tyrannei. Die Gesandten um Yancey und später auch Mason vermochten den anomalen Charakter dieser verschobenen Wahrnehmungskonstellation nicht zu erkennen. Ganz im Gegenteil brachten sie den befriedigenden Befund mit den Topoi der südstaatlichen Englandbilder in Verbindung, wonach die abolitionistischen Leidenschaften der Engländer ihren Kommerzinteressen stets untergeordnet seien. Daraus leiteten sie auch die Schlussfolgerung ab, in Whitehall und Downing Street würde nur nach politischen und ökonomischen Gesichtspunkten entschieden, nicht aber wegen Stimmen aus der publizistischen Öffentlichkeit oder gar einer authentischen Ablehnung der Sklaverei. Bis in die letzten Kriegstage hinein dominierte dieses Bild die Gedankenwelt der men on the spot in Europa, Mason und Slidell. Außenminister Benjamins verzweifelter Versuch vom Frühjahr 1865, die Engländer durch das Angebot der Sklavenbefreiung zur Anerkennung zu bewegen, wurde von ihnen nur widerwillig mitgetragen und war naturgemäß zum Scheitern verurteilt. Zwei Grundannahmen, so lässt sich festhalten, zeichneten die auswärtige Politik der Konföderation vor allem in der ersten Kriegshälfte aus: die Überzeugung, Großbritannien müsse intervenieren, um den lebenswichtigen Baumwollnachschub für seine Textilindustrie sicherzustellen, und die Auffassung, die moralische Dimension der Sklavereifrage sei dem untergeordnet, sofern sie überhaupt eine Rolle spiele. Auf diesen Prämissen, die trotz Zweifeln und Schwankungen während der entscheidenden Kriegsphasen Bestand 19 Münkler, Neue Kriege, 114.
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V. Schlussbetrachtung
hatten, formulierten die Konföderierten eine Außenpolitik der Ehre, in der das Fortdauern der Neutralität – oder die Verweigerung der Anerkennung im wörtlichen Sinne – als Ehrverletzung gedeutet wurde. Abgesehen von operativen Projekten, wie der Kreditbeschaffung oder dem illegalen Schiffbau, waren sie nicht bereit, das Kommunikationspotential gegenüber den Engländern ernsthaft auszubauen, solange die Anerkennung – als äußere Bestätigung ihres nationalen Selbstbildes – nicht offiziell ausgesprochen wurde. Anhand von zwei prägnanten Fällen kann dieser Zusammenhang nachvollzogen werden. Im Sommer 1861 ließ das Foreign Office über den in Charleston ansässigen Konsul Robert Bunch sondieren, ob die konföderierte Regierung bereit sei, eine einseitige Erklärung für den Schutz des neutralen Handels nach der Pariser Seerechtsdeklaration von 1856 abzugeben. Obwohl in wichtigen Fragen der Seekriegsführung ein anglo-südstaatlicher Konsens zulasten der Union herrschte, betrachteten Davis und der damalige Außenminister Hunter die britische Geheimdiplomatie als Affront und Ehrverletzung, zumal der Süden in der ersten Schlacht von Bull Run am 21. Juli 1861 einen spektakulären Sieg über die Unionstruppen errungen hatte, welcher der Welt die Kraft zur Behauptung der Unabhängigkeit seiner Ansicht nach ein für allemal demonstrierte. Ein noch eklatanteres Beispiel dafür, wie die Dogmen der Ehre jede außenpolitische Dynamik im Keim erstickten, ist die Trent-Affäre von 1861 / 62. Während nicht wenige Beobachter darauf hofften, die widerrechtliche Gefangennahme Masons und Slidells würde einen Krieg zwischen der Union und England heraufbeschwören, forderte Präsident Davis in seiner Botschaft an den Kongress die Freilassung der Gesandten. Weil die Konföderierten in diesem Falle ihr eigenes Ehrverständnis in die (ansonsten eher als ehrlos apostrophierten) Engländer hineinprojizierten, operierten sie von der Annahme aus, Großbritannien könne gar nicht anders, als die offene Verletzung seiner Neutralitätsrechte mit einer Kriegserklärung zu beantworten. Das Krisenmanagement der Union entlarvte den Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit in der konföderierten Außenpolitik allerdings mit brutaler Deutlichkeit – den Anforderungen der Ehre wurde genüge getan, ohne dass ein politischer Mehrwert dabei abfiel. Zwar vermochten die Konföderierten, die soeben noch von einer Waffenbrüderschaft mit England geträumt hatten, direkt wieder auf ihre anglophoben Bilder zurückzugreifen, um sich das zu erklären, was sie als unwürdiges und sprunghaftes Verhalten John Bulls betrachteten. Dennoch: Wer verstehen möchte, warum der Süden seine Chancen nicht nutzte, muss die geistigen Schranken des Ehrdogmas begreifen. Obwohl in der Sprache der Ehre von Freiheit und Unabhängigkeit gesprochen wurde, schuf sie Verstrickungen, Abhängigkeiten und Zwänge, in denen gleichsam das Augenmaß verloren ging, von dem George Washington in seiner Farewell Address von 1796 gesprochen hatte: „The nation which indulges toward another an habitual hatred or an habitual fondness is in some degree a slave.
V. Schlussbetrachtung
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It is a slave to its animosity or to its affection, either of which is sufficient to lead it astray from its duty and its interest.“20 Weil sie die personalen Verflechtungen der Ehrbeziehungen auf die Ebene des Nationenverkehrs hoben, vermochten die Südstaatler England, von dem sie abgestoßen und angezogen zugleich waren, nur zu hassen oder zu lieben. Sie waren gleichsam Gefangene – oder besser: Sklaven – ihrer eigenen Ehre, die sie in einem „eisernen Griff“ kultureller „Konformität“21 gefangen hielt. Wo, so bleibt abschließend zu fragen, befindet sich der Ort des Antebellum-Südens und seiner Englandbilder in den größeren Abläufen der Geschichte? Der amerikanische Nationalcharakter, so hat es der Politikwissenschaftler Anatol Lieven zugespitzt ausgedrückt, sei von seiner ganzen Natur her ambivalent. Demnach führten die Vereinigten Staaten einerseits „ein glanzvolles und einladendes Haus“, hielten aber andererseits „eine Familie von Dämonen“ im Keller.22 Ihre offene, helle und einladende Seite zeige sich in einer „Reihe von großen demokratischen, rechtlichen und individualistischen Überzeugungen“, die das „Fundament des amerikanischen bürgerlichen Nationalismus“ bilde. Dieser säkular-progressiven Grundidee, die Lieven als das progressiv-republikanische „Bekenntnis“ (American Creed) bezeichnet, stehe ein aus ethno-kulturellen Quellen gespeister Chauvinismus gegenüber (Antithesis), der unter der Oberfläche des „Bekenntnisses“ ruhe und in Zeiten innerer oder äußerer Krisen hervorbreche.23 Auf den ersten Blick scheinen sich die pathologischen Englandbilder der Antebellum-Südstaatler reibungslos in diese „zwei Seelen des amerikanischen Nationalismus“ einzufügen. Im heutigen Süden weisen protestantische Fundamentalisten „nicht das Bekenntnis als solches zurück“, dafür aber das „zeitgenössische Amerika“ und sogar „Schwerpunkte der Moderne selbst“.24 Auch die Konföderierten des Jahres 1861 verabscheuten die Wandlungen der Union 20 Washington, Farewell Address, 17.09.1796, in: Richardson (Hg.), Messages and Papers of the Presidents, Bd. 1, 213–224, hier 221. 21 Wie Bertram Wyatt-Brown formuliert: „A slavish dedication to the precepts of honor that held southerners in the iron grip of communal conformity inhibited free expression and turned disenchantment and alienation toward enemies abroad and not toward self-examination.“ Wyatt-Brown, hearts of darkness, 36 f. 22 Lieven, America Right or Wrong, 1. Vor einigen Jahren hat Walter McDougall in einem thesenfreudigen Essay eine ähnliche Dichotomie für die Ebene der US-Außenbeziehungen postuliert. Als „Promised Land“ verfolgte die Republik im späten 18. und 19. Jahrhundert eine unilaterale und bündnisfreie Außenpolitik, die der Kontinentalausdehnung und der Wahrung der inneren Freiheit diente. Nach 1898 sei der „Crusader State“ indes auf einen aggressiven Internationalismus umgeschwenkt, der die Welt nicht mehr durch die Kraft des Beispiels, sondern den Zwang der Macht zu transformieren trachtete. Vgl. McDougall, Promised Land, Crusader State. 23 Lieven, America Right or Wrong, 5. 24 Ebd., 4, 8.
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V. Schlussbetrachtung
und kämpften für die Restauration einer Utopie, die sie sowohl durch die Verklärung des vergangenen Englands als auch durch die beißende Kritik am gegenwärtigen England artikulierten. Aus historischer Perspektive greift es freilich zu kurz, den vermeintlich positiven Nationalismus einer fortschrittlichen gegen den vermeintlich negativen Nationalismus einer reaktionären Elite auszuspielen. Dass Lieven seine chauvinistische „Antithese“ auf den Jackson-Nationalismus der 1830er Jahre zurückführt, der ein „starkes Bewusstsein für weiße Identität und eine gewalttätige Feindschaft gegen andere Rassen“ hinterlassen habe, vermag nur bedingt zu überzeugen.25 Zum einen reichten die „ausschließenden Ursprünge des Nationalismus“26 in Nordamerika bis in die Kolonialzeit zurück, in der die Dialektik von Sklaverei und Freiheit den Zugang zum Status eines freien Engländers (und später eines freien Bürgers der Republik) reguliert hatte. Zum anderen formte gerade die Jacksonian Democracy den egalitären Charakter der (weißen) Union und trug zur Verwirklichung dessen bei, was in der Zeit Thomas Jeffersons noch ein latentes Versprechen gewesen war und den Kern des republikanischen „Bekenntnisses“ ausmachte. Weil die frühe Artikulation des „Bekenntnisses“ von den rassisch-chauvinistischen Ausschlusskriterien der „Antithese“ wesentlich strukturiert wurde, weil der Republikanismus damals in weiten Teilen ein pathologischer Sklavenhalter-Republikanismus war, sollte man sich für die Antebellum-Zeit davor hüten, eine Tradition als Königsweg und die andere als Abirrung vom „wahren“ amerikanischen Charakter zu begreifen. In den Ambivalenzen der südstaatlichen Englandbilder nahm dieses Spannungsverhältnis geradezu explosive Formen an. Durch den Bürgerkrieg, der nicht nur das Schicksal der Sklaverei und der Sezessionsideologie besiegelte, sondern auch einen Zentralisierungs- und Nationalisierungsschub hervorbrachte27, wurde es zwar nicht vollständig aufgehoben, aber doch in entscheidenden Punkten relativiert und in andere Bahnen gelenkt. Nach 1865 verschmolzen die weißen Südstaatler ihren States Rights-Primat mit der Lost Cause-Ideologie28, womit sie ihre Ehre restaurierten, ohne den nationalen Zusammenhalt noch einmal in Frage zu stellen (freilich auch ohne ihr rassistisches Denken aufzugeben). Primordiale Englandbilder, die eine kulturelle Identität abseits der Nordstaaten oder sogar außerhalb der Union konstruierten, schwächten sich damit 25 Ebd., 96. 26 Marx, Faith in Nation. Exclusionary Origins of Nationalism. 27 Für den Norden vgl. Lawson, Patriot Fires. Forging a New American Nationalism in the Civil War North. 28 Zur Erinnerungskultur im Nachkriegssüden vgl. Foster, Ghosts of the Confederacy; Wilson, Baptized in Blood; Hunter, Immortal Confederacy; Blight, Race and Reunion, 255–300; Goldfield, Still Fighting the Civil War, 15–43; Nolan, Anatomy of the Myth, 17 f. Vgl. auch Horwitz, Confederates in the Attic. Zur Rezeptionsgeschichte des Bürgerkrieges vgl. jetzt Kaufman, Civil War in American Culture.
V. Schlussbetrachtung
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ebenso ab wie sich die Kritik am abolitionistischen England gleichsam von selbst erledigte. Durch den Zusammenbruch der Konföderierten Staaten wurden die Spuren der südstaatlichen Englandbilder allerdings nicht ausgelöscht. Nach der Aussöhnung mit der Union vermochten sich die Südstaatler wieder jener kulturellen Anglophilie zu öffnen, die stets ein Bestandteil ihres Englandbildes geblieben war. Die Denkfiguren der republikanischen Machtkritik, wie sie aus dem Erbe der Revolution entstanden waren, hatten sich während der Antebellum-Zeit auf den universalen Geltungsanspruch des britischen Abolitionismus konzentriert. In der Generation nach der Abschaffung der Sklaverei verschob sich der machtkritische Impuls verstärkt auf die Ablehnung aggressiv-autoritärer Systeme. Mit dieser Transformation trat seit der Jahrhundertwende vor allem das Deutsche Reich anstelle Englands in den Fokus der Negativwahrnehmung.29 Obgleich die anglophoben Reflexe keineswegs ganz aus dem Weltbild der Amerikaner verschwanden, hing nicht nur das neuenglische, sondern auch das südstaatliche Establishment der Idee von einer verbindenden angelsächsischen Rassen- und Kulturidentität an.30 Walter Hines Page aus North Carolina – während des Ersten Weltkrieges Botschafter in London – war in seiner Kindheit durch den Bürgerkrieg geprägt worden und hatte seine regionale Loyalität in einen überregionalen Patriotismus aufgehen lassen.31 Als progressiver Sozialreformer wies er so gut wie keine Berührungspunkte mit den Sklavenhaltern der Antebellum-Zeit auf. Dennoch pflegte er eine Form der Englandromantik, die im Süden Tradition besaß und sich bis auf anglophile Virginier wie William Cabell Rives oder John Randolph of Roanoke zurückführen lässt. Page, der Amerika einmal öffentlich als „englisch geführt und englisch beherrscht“ bezeichnete, wurde nicht müde zu betonen: „The English language, English law, English freedom, English literature, etc., are our heritage and the foundation of our civilization.“32 Wenige Wochen vor Ausbruch der Feindseligkeiten kam er zu dem emphatischen Schluss: „Only the British lands and the United States have secured liberty.“33 Im Verlauf des Krieges verfestigte sich seine Auffassung, dass einzig und allein „ein hervorragendes Einvernehmen zwischen den englischsprachigen Völkern“ die „Räubernationen“ Europas „unter Kontrolle“ halten könne.34 Im 29 Vgl. Sedlmaier, Deutschlandbilder und Deutschlandpolitik, 20 f. 30 Vgl. Martellone, Anglo-American Discourse, 1880–1920. 31 Vgl. Hendrick, Life and Letters of Walter H. Page, Bd. I, 1–10; Cooper, Walter Hines Page. The Southerner as American. 32 Walter H. Page an Woodrow Wilson, 23.01.1914, in: Hendrick, Life and Letters of Walter H. Page, Bd. II, 89–90, hier 89. 33 Walter H. Page and Edward M. House, 02.01.1914, in: ebd., Bd. I, 282–283, hier 283. 34 Walter H. Page an Edwin Alderman [Präsident der UVA, H. L.], 22.06.1916, in: ebd., Bd. II, 142–147, hier 144.
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V. Schlussbetrachtung
Einklang mit diesen Grundüberzeugungen, die der isolationistischen Tradition amerikanischer Außenpolitik fundamental zuwiderliefen, unterstützte er die Kriegsanstrengungen der Engländer gegen die Mittelmächte mit einer Leidenschaft, die für die Regierung zusehends zum Problem wurde.35 Woodrow Wilson selbst, der sich – ebenso wie Botschafter Page – an den Bürgerkrieg als prägendes Erlebnis seiner Kindheit in Virginia und Georgia erinnerte36, „liebte die englische Politik und die englischen Staatsmänner“.37 Nachdem er im Dezember 1918 als erster amtierender Präsident überhaupt die Reise in die Alte Welt angetreten hatte, sprach er auf einem von Lloyd George ausgerichteten Abendessen von dem „seltsamen Umstand“, dass „England und die Verneigten Staaten niemals zuvor Seite an Seite gekämpft haben“: „We have fought two wars against each other, while in the several controversies which each other has had in its own household, or with a third power, the other often looked on with an unfriendly interest.“ Auch wenn dieser letzte Hinweis als späte Verärgerung über die britische Neutralität von 1861 bis 1865 gelesen werden mochte, hatte die Weltkriegsallianz die anglo-amerikanischen Beziehungen auf das Fundament gestellt, das ihnen kulturell gebührte: „Heretofore, the tie that bound us was one of language. Hereafter, we shall be one race.“38 Wilsons Anglophilie harmonierte mit einem konservativen Grundzug seines progressiven Denkens, der seine Südstaaten-Herkunft nicht verleugnen konnte. Traditionen seien nun einmal verpflichtendes Erbe eines Volkes, schrieb der frisch gekürte Präsident im Jahre 1913: „You cannot take a new sheet of paper and determine what your life shall be to-morrow. You must knit the new into the old. You cannot put a new patch on an old garment without ruining it; it must be not a patch, but something woven into the old fabric, of practically the same pattern, of the same texture and intention.“39 In der Außenpolitik wurde Wilsons Mischung aus Traditionalismus und Progressivismus mit einem politischen Moralismus unterlegt, der das Kollektivverhalten von Staaten mit dem Individualverhalten von Menschen in eins setzte. So vermerkte der Präsidentenberater Colonel Edward M. House aus Texas im Sommer 1914, ein „fundamentaler Fehler in den internationalen Sitten“, der den Zerfall der Staatenordnung herbeigeführt habe, liege darin, dass sie sich „auf einer von den individuellen Sitten getrennten Ebene“ bewegten: „It has been entirely legitimate to lie, deceive, and be cruel in the name of patriotism. I endeavored to point out that we could not get very far a 35 Vgl. Devlin, Too Proud to Fight, 148 f. 36 Zur Südstaaten-Prägung Wilsons vgl. Clements, Presidency of Woodrow Wilson, 2–5. 37 Sedlmaier, Deutschlandbilder und Deutschlandpolitik, 35. 38 Wilson, Remarks at a Stag Dinner, 28.12.1918, in: Link (Hg.), Papers of Woodrow Wilson, Bd. 64, 490–492, hier 491. Als einzige Ausnahme benannte Wilson die gemeinsame Reaktion auf den Boxer-Aufstand in China. 39 Wilson, The New Freedom, 40.
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proper international understanding until one nation treated another as individuals treat one another.“40 Obwohl solche Denkfiguren stets einen Teil der Selbstbeschreibung bildeten, mit der sich das republikanische Amerika als Ganzes von den Nationen der restlichen Welt abgehoben hat, sind sie doch durch die Ehrkultur des Antebellum-Südens auf die Spitze getrieben worden. Die Gleichsetzung von Individual- und Staatenmoral war ein zentrales Element ihres außenpolitischen Ehrverständnisses gewesen. Nach 1917 und vor allem nach 1945, so ließe sich der weitere Geschichtsverlauf in der „Südstaaten-Lesart“ zusammenfassen, war kaum noch ein Staat in der atlantischen Welt in der Lage, sich dem Sog des amerikanischen „Kolosses“ (Niall Ferguson) zu entziehen, den Amerikanern also die Anerkennung ihres Selbstbildes und damit die wichtigste Form der Ehrbezeugung zu verweigern. Als Amerika in die Weltpolitik eintrat, war es nicht mehr die tief gespaltene Nation der Antebellum-Zeit. Die Bilder von England und Europa, zerrissen wie sie waren (und sind) zwischen Affinität und Sonderbewusstsein, entspringen nicht mehr radikal-partikularistischen Milieus, die den Bestand der Union als solches in Frage stellen. Von 1861 bis 1865 hatten die Konföderierten ihren separaten Nationenentwurf auf der internationalen Bühne vorgestellt. Mit dem Untergang der „Welt von gestern“ (Stefan Zweig) verlöschte dieser Strang in der Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika.
40 Edward M. House, undatierter Tagebucheintrag v. 1914, in: Seymour (Hg.), Intimate Papers of Colonel House, Bd. 1, 294 f.
DANKSAGUNG Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich um die gekürzte Fassung meiner Dissertation, die im Wintersemester 2007 / 08 an der Philosophischen Fakultät der Universität Bonn eingereicht worden ist. Jetzt, da sie als Buch vorliegt, möchte ich allen danken, ohne die das Projekt nicht hätte verwirklicht werden können. Mein Dank gilt in erster Linie meinem Doktorvater Prof. Dr. Klaus Hildebrand, der meinen akademischen Werdegang geprägt, begleitet und großherzig gefördert hat. Sowohl menschlich als auch fachlich war meine Zeit als Assistent an seinem Bonner Lehrstuhl von einer besonderen Atmosphäre gekennzeichnet, an die ich mich stets gerne erinnern werde. Dr. Christoph Studt danke ich für viele Hinweise und interessante Gespräche. Prof. Dr. Joachim Scholtyseck hat sich freundlicherweise bereit erklärt, das Zweitgutachten zu übernehmen. Die letzten Monate sind von einer schweren Erkrankung Professor Hildebrands überschattet worden. Seiner weiteren Genesung gelten die Wünsche aller, die mit ihm zusammenarbeiten. Johannes von Karczewski, Eberhard Rosenthal und Claudia Waibel haben Teile des Textes in verschiedenen Phasen gelesen und kommentiert. Patrick Bormann scheute nicht davor zurück, das gesamte Manuskript einer akribischen Lektüre zu unterziehen, von der die Arbeit immens profitiert hat. Ihnen allen danke ich ebenso wie Dr. Riccardo Bavaj, Peter Beule, Nina Schnutz und Johannes Tröger, die von Lehrstuhlkollegen zu Freunden geworden sind. Bei EDV-Problemen war André Strack mit Hilfsbereitschaft und unerschütterlicher Langmut zur Stelle. Freundschaftlich verbunden fühle ich mich Dr. Christoph Strupp, der mir in Washington zeitweise Quartier gewährt hat. Die gemeinsamen Ausflüge zu den historischen Originalschauplätzen waren eine willkommene Ergänzung zur reinen Archivarbeit, die ich nicht missen möchte. Die Konrad-Adenauer-Stiftung hat die Dissertation mit einem Graduiertenstipendium gefördert, das unter anderem einen längeren Archivaufenthalt in den USA ermöglichte. Dem Deutschen Historischen Institut Washington, das ich im Rahmen eines Praktikums im Jahre 2001 erstmals kennen lernte, bin ich in mehrfacher Hinsicht zu Dank verpflichtet: 2005 gewährte mir das DHI ein Promotionsstipendium, mit dem ich Reisen in verschiedene Südstaaten-Archive finanzieren konnte. Schließlich wurde die Arbeit zur Veröffentlichung in die Schriftenreihe Transatlantische Historische Studien aufgenommen. Meinem zuständigen Lektor Dr. Philipp Gassert danke ich für die her-
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Danksagung
vorragende Betreuung des Publikationsvorgangs, Oliver Mallick für die Detailkorrektur des Manuskripts. Bryan Hart hat sich um die Klärung der Abbildungsrechte gekümmert. Andrea Holzinger vom Franz-Steiner-Verlag danke ich für die geduldige Zusammenarbeit bei der abschließenden Buchproduktion. Verena Voß hat an der Entstehung der Arbeit lebhaften Anteil genommen, vieles angeregt und manches hinterfragt. Hierfür, aber beileibe nicht nur hierfür, bin ich ihr sehr dankbar. Seit den frühen Tagen des Studiums habe ich von meinen Eltern kontinuierliche Unterstützung, Anregung und Ermutigung erhalten. Insofern verdankt das Buch ihnen eigentlich am meisten. Ihnen sei es daher auch gewidmet.
ABBILDUNGSNACHWEIS Library of Congress, Washington, D.C. S. 51: S. 70: S. 71: S. 72: S. 86: S. 87: S. 114: S. 145: S. 147: S. 157: S. 196: S. 197: S. 208:
Thomas Jefferson, LC-DIG-ppmsca-15708 John C. Calhoun, LC-USZ62-5125 Henry Clay, LC-USZ62-109953 John Randolph, LC-USZ62-45114 William Cabell Rives, LC-USZ62-14961 Andrew Stevenson, LC-USZ62-45930 Robert Barnwell Rhett, LC-USZ62-129740 James Murray Mason, LC-USZ62-109846 Robert M. T. Hunter, LC-USZ62-109936 Duff Green, LC-DIG-cwpbh-00011 Alexander H. Stephens, LC-DIG-cwpb-04947 Robert Augustus Toombs, LC-USZ62-9011 William Lowndes Yancey, LC-USZ62-127613
National Archives and Record Administration, College Park, Maryland 216: Jefferson Davis, NWDNS-111-B-4146 226: Judah P. Benjamin, NWDNS-111-B-2458 University of North Carolina at Chapel Hill, Wilson Library S. 116: James Henry Hammond
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REGISTER A Few Thoughts on the Foreign Policy of the United States (1849) 276 A Summary View of the Rights of British America (1774) 53–56, 90 Aberdeen, George Hamilton-Gordon, 4th Earl of 150, 170f., 179, 189, 295 Abbeville, SC 74f. Adams, Charles Francis 316, 324f., 365 Adams, Henry 354, 375 Adams, John 57–59, 61, 63f., 66, 129 Adams, John Quincy 92, 95, 119, 123, 129, 158, 193 Adams, Samuel 124 Alabama 14, 112, 192, 194f., 208–215, 217, 281, 291f., 299 Allestree, Richard 34 American Anti-Slavery Society 209 American System 89, 92, 146, 219 Amerikanische Revolution 9f., 12, 16, 21, 29f., 41, 44, 46, 49, 63, 99, 101, 112, 121–123, 146, 183, 192, 195, 211, 222, 225, 237, 239, 247, 284–287, 299, 348, 382, 384, 395 An American View of the Eastern Question (1854) 276 Annullierungskrise 96, 104, 112, 120–125, 132, 167, 169, 199, 209, 217, 220, 230, 238, 273 Antietam, Schlacht am (17.9.1862) 369f., 371, 381 Appomattox Court House 279 Arkansas 245 Armitage, David 13 Ashburton, Alexander Baring, 1st Baron 150, 152f. Athens, Ga. 199 Atlanta, Ga. 292, 377 Ayers, Edward 383 Bahamas 151, 342 Baltimore, Md. 9, 164, 214 Bankrupt Bill 89–91 Barbados 38 Baumwolldoktrin (s. King Cotton-Doktrin)
Beaufort, SC 115, 121, 274 Beaufort College 115 Belgien 142 Belize 253, 261 Beman, Nathan 208f. Benjamin, Judah Philip 194, 202, 226–234, 246–252, 268, 279, 281, 286f., 301, 331, 340, 346, 356–359, 361f., 366, 372f., 376–378, 386, 391 Berkeley, Sir William 32 Beverley, Robert 31 Birmingham 106, 108 Blackfriars Bridge 59 Blair, James 33f. Blockade 301, 305f., 317f., 321f., 330f., 335, 341f., 345–347, 350–353, 357f., 365, 376, 379, 390 Bluffton Movement 168–170, 173 Bolingbroke, Henry St. John, 1st Viscount 35 Boston, Mass. 9, 252, 343 Boston Atlas 108 Bradford 353 Brasilien 160 Breckinridge, John C. 280 Bright, John 306, 373 Briscoe Bill 221f. Briscoe, Parmenas 221 Britisch-Guyana 243 Brown, John 280, 286 Brüssel 316, 373 Buchanan, James 179, 249, 261, 263f., 335, 386 Buena Vista, Schlacht von (23.2.1847) 225 Bull Run, erste Schlacht von (21.7.1861) 327–329, 331, 337, 339, 343, 392 Bull Run, zweite Schlacht von (29./30.8. 1862) 366f. Bulwer, William 256 Bunch, Robert 295f., 313–315, 334–337, 392 Burke, Peter 23 Butler, Andrew Pickens 273 C. S. S. Alabama 319, 359
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Register
C. S. S. Florida 359 Calhoun, John Caldwell 50, 70–76, 79–81, 94, 100, 104f., 123–125, 127, 131–134, 138, 144, 149, 151, 153, 158, 162–165, 167–170, 172–175, 178–181, 183, 185–190, 199f., 202, 207, 210–213, 223, 225, 228, 232, 234, 240, 242, 247, 260, 262, 265f., 282, 386, 388 Cambridge 378 Carmarthen, Francis Osborne, 5th Duke of Leeds, Marquess of 57 Cavalier Myth 32, 99, 146, 289, 340, 387 Cazneau, William Leslie 264 Charleston, SC 39f., 63, 73, 112, 115, 118f., 122, 131, 228f., 230, 238, 274, 280, 290, 295, 299, 312f., 318, 332, 334f., 342, 350f., 382, 392 Charleston Mercury 9 Charlottesville, Va. 252 Chatham, William Pitt, 1st Earl of, 78, 80, 183 Chesapeake 29f., 32, 35, 38, 41, 83, 111, 382 Chesnut, James 315 Chesnut, Mary Boykin 9, 315, 328, 340 China 204 Clarendon, George Villiers, 4th Earl of 256, 263 Clarkson, Thomas 173f. Clay, Henry 71, 75f., 81, 89, 91–93, 95, 100, 125, 138, 164, 166f., 219, 240– 242, 284 Clayton, Henry, 256 Clayton-Bulwer-Vertrag 256f., 261f., 269 Clingman, Thomas 210 Cobb, Howell 242 Cobden, Richard 373 Coles, Edward 88 Coles, John 88 College of William and Mary 33f., 86, 88, 117, 146 Columbia, SC 111f., 117, 119, 121, 123f., 139, 167, 281 Connecticut 73 Conspiración de la Escalera 266f. Constitutional Union Party 242, 280 Corn Laws 150, 189 Cotton Famine 332, 364, 368 Cotton is King, and Pro Slavery Arguments (1860) 272
Cotton Supply Association 271 Crawford, George 201 Creek War 191, 195 Creole-Meuterei 109, 151, 231–233, 248 Crittenden, John J. 284, 290 Crook, Jane 193 Curtin, Philip 19 Davis, Jefferson 50, 69, 148, 193–195, 198, 210, 215–227, 231, 234–238, 242, 245f., 251f., 267f., 279–281, 284–286, 293–295, 297–301, 304, 307f., 313, 315f., 318, 328f., 331, 334–340, 342, 346, 355–357, 366f., 372, 375f., 385f., 389–392 Davis, Joseph 217, 315 Davis, Samuel Emory 193 Davis, Varina Howell 223, 294 DeBow, James Dunwoody Brownson 243, 270 DeBow’s Review 270, 302 Declaration of Independence 44, 53, 55f., 175, 204, 237, 242, 247, 283, 285f., 330 Democratic Republicans (Jeffersonian) 46f., 49, 61, 63f., 73, 78, 84, 89, 93, 95, 102 Democratic Review 180 Democrats (Jacksonian) 18, 84, 95, 97, 137, 143, 146, 148f., 158, 161–164, 167– 169, 181, 185, 189, 193, 195, 202, 207, 210, 218f., 221f., 240, 242, 246, 248, 261, 269, 280, 282, 287f. Derby, Edward Smith-Stanley, 14th Earl of 261 Dew, Thomas 158 District of Columbia (s. Washington, DC) Dominikanische Republik 264 Donoughmore, Richard John Hely-Hutchinson, 4th Earl of 372, 379f. Douglas, Stephen 241, 244, 280 Elgin, James Bruce, 8th Earl of 257 Eliott, Stephen 112 Elliot, Charles 156 Elliot, E. N. 272 Ellis, Joseph 16, 68 Emancipation Proclamation 308, 370f., 373–375 Emanzipation (Britisch-Westindien) 105, 159, 242–244, 266, 388
Register Embargo Act 52, 67–69, 75, 80, 92, 385 Emory College 203 England and the United States (1842) 161 Englischer Bürgerkrieg 32, 145 Era of Good Feelings 91 Erster Weltkrieg 395f. Everett, Edward 159 Evident Danger-Doktrin 352, 357 Exeter Hall 302 F Street Mess 257, 386 Federalists 61–63, 66, 74, 95, 102, 148, 209, 218, 384 Ferguson, Niall 397 Fillmore, Millard 94, 261, 386 Filmer, Sir Robert 133f. Fischer, David Hackett 32, 36 Fitzsimmons, Catherine 118 Florida 14, 39, 281 Foote, Henry 294 Force Bill 125 Forster, Willam E. 353 Fort Sumter 316, 318 Fox-Genovese, Elisabeth 26 Franklin, Benjamin 59, 128 Franklins College 199 Frankreich 59, 61, 63, 68, 78, 90, 96f., 132, 141, 151, 257, 264, 297, 304, 311, 340, 357, 367, 390 Französische Revolution 61, 78, 80 Fredericksburg, Schlacht von (11.–15.12. 1862) 376 Free Soilers 240 Fry, Joseph 26 Gag Rule 105, 131f., 169 Gallatin, Albert 66 Garrison, William Lloyd 128 Genovese, Eugene 26 Gentleman’s Calling (1673) 35 George III. 53, 55f., 58, 66, 204, 285f. Georgia 14, 83, 191, 194–197, 207, 217, 224, 234, 239, 241f., 279, 281f., 284, 292, 386, 396 Georgia Platform 242, 283 Gerolt, Friedrich von 291 Gettysburg, Schlacht von (1.–3.7.1863) 376, 381 Gladstone, William Ewart 368f., 272 Grant, Ulysses Simpson 355, 377
463
Green, Duff 158–162 Greenberg, Kenneth S. 41 Gregory, William 350, 352–354, 357, 376 Greytown (San Juan de la Norte) 253f., 263 Griffith, David 46f. Grimké, Thomas 117 Guadalupe Hidalgo, Vertrag von 235 Haiti 264f. Halbinsel-Feldzug (März-August 1862) 360, 365 Hale, John 235 Hamilton, Alexander 61, 64f., 218 Hamilton, James 107f., 156 Hammond, James Henry 112f., 117f., 126– 132, 135–144, 159, 167f., 171–176, 178, 182, 185f., 190, 193, 195, 199f., 204f., 207, 209, 228, 238f., 243f., 269, 272–274, 279, 285, 300f., 386f. Hampden, John 80 Hampton II., Wade 171, 173 Harper’s Ferry 280, 286f. Harrison, William Henry 144 Harvard University 34 Havanna 266f., 342 Henry, Patrick 53, 123f. Hereford 373 Hobbes, Thomas 48 Hobsbawm, Eric 22 Honduras 253, 261 Hope, Alexander Beresford 307 Horn, James 32 Hotze, Henry 354 House, Edward M. 396f. House of Commons 40, 139, 319, 323, 352, 376 House of Lords 137–139, 173, 179, 263 Houston, Sam 143 Hubbard, Charles M. 26 Huizinga, Johan 136 Hunter, Robert Mercer Taliaferro 144, 148f., 166–168, 178, 180f., 186f., 190, 195, 199, 202, 212, 227, 234, 242f., 245f., 251, 257f., 279, 284, 287, 289, 300, 304, 328f., 337, 339, 354, 356f., 386, 392 Illinois 241 Indiana 132
464
Register
Indien 204, 277 Irland 141f., 204 Italien 132, 141 Jackson, Andrew 50, 84, 92, 94–96, 98, 100, 104, 123, 125, 127, 132, 143, 146, 149, 158, 191, 193–195, 199, 218–220, 223, 394 Jackson, Miss. 218 Jackson, William 129 Jacksonian Democracy 209, 394 Jamaika 243 Jamestown 30, 33, 382 Jay, John 63 Jay-Vertrag 63 Jefferson, Thomas 17, 30, 33f., 41, 44, 46– 69, 70, 73, 78, 80, 84–88, 90f., 93, 95– 99, 110, 117, 123f., 127, 130, 133, 148, 153, 176, 178, 182, 190, 202, 204f., 216, 222f., 232f., 242, 244, 247, 250, 262, 265, 283, 285, 286f., 296, 298, 303, 330, 384–386, 389, 394 Jones, Hugh 31, 45 Kalifornien 189, 224, 234, 237, 240–242, 244, 253, 276 Kanada 143, 150, 225, 257, 297 Kansas-Konflikt 244–247, 259, 280, 388 Kansas-Nebrasca Act 245, 268 Kavaliermythos (s. Cavalier Myth) Kenner, Duncan F. 377–379 Kentucky 14, 75, 215, 284 Kentucky Resolution 50 King Cotton-Doktrin 141, 252, 273f., 288, 298f., 300–305, 310–313, 317, 326, 328f., 342, 353, 356f., 359, 389 Kompromiss von 1850 234f., 241, 267, 273 Krieg von 1812 80f., 86, 88, 118, 121, 133, 149, 191f., 194, 220, 225, 339, 369, 388f. Krimkrieg 204, 263–265, 276f. Kuba 160, 252, 265–270 Lafayette, Marie-Joseph-Paul-Yves-RochGilbert du Motier, Marquis de 60 Lago de Nicaragua 253 Laird, John 319 Lancashire 332, 353f. Lecompton, KS 249
Lee, Robert Edward 349f., 360, 366–369, 376f., 381 Leon, Edwin de 359 Lewis, Sir George Cornwall 373f. Liberator 128 Lieven, Anatol 393f. Lincoln, Abraham 105, 149, 155, 280, 287, 290, 294, 297, 307–310, 317, 321–324, 333, 347f., 363f., 366, 370f., 375, 390f. Lindsay, William S. 319, 350, 360, 376 Litchfield, Conn. 73 Liverpool 135, 137, 216, 277, 350 Locke, John 35, 80 London 9, 12, 30, 33, 47, 55f., 58f., 62f., 65, 73, 89, 97, 101, 107, 110, 137–141, 150, 154, 158f., 170f., 189, 206, 228, 253f., 256, 262, 264, 296, 299, 306, 311, 314–316, 319, 325f., 329, 332f., 335, 338f., 345–347, 349–354, 357, 368, 370, 372, 376, 378, 381, 388f., 395 London Gazette 324 López, Narisco 267 Louisiana (Staat) 14, 112, 143, 192, 194, 227–234, 240, 246, 267f., 281, 286, 315, 340, 356, 377, 386 Louisiana (Territorium) 39, 191, 193 Louisiana Purchase 52, 190, 228 Lyndhurst, John Singleton Copley, 1st Baron 138 Lyons, Richard Bickerton Pemell, 1st Viscount 310–312, 324f., 331, 333–335, 344f., 348, 350, 364 Macon, Ga. 239 Madison, James 30, 66, 68f., 73, 80, 84f., 88, 92, 94f., 117, 135, 165, 244, 288f. Madrid 265 Maine 150 Manchester 271, 277 Manifest Destiny 29, 143, 178, 186, 202 Mann, Ambrose Dudley 315, 329, 373 Marcy, William 261, 264 Maryland 83, 158, 355, 369f. Mason, George 145 Mason, George (Gunston Hall) 48, 144, 258, 289 Mason, James Murray 144–149, 178, 195, 234, 242, 245, 251f., 257–266, 279, 287,
Register 289, 339–344, 346, 349–355, 358, 360– 362, 366, 372, 376–381, 386, 391f. Mason, John Young 180 Massachusetts 23, 57, 129, 209 McClellan, George Brinton 355, 360f., 365f., 369 McCord, Louisa Susanna Cheves 272 McPherson, James M. 251 Melbourne, William Lamb, 2nd Viscont 150, 156, 159 Mercier, Henri 359 Mexikanischer Krieg 81, 143, 180, 182, 187, 189, 202, 207, 225, 233, 236, 369 Mexiko 143, 156, 186, 239, 242, 341 Milton, John 35 Mississippi 14, 112, 143, 192, 194, 215– 227, 236, 245, 272, 281, 284f., 294, 297, 355 Missouri 14, 85, 158, 246 Missouri-Krise 118, 128, 200, 229, 233, 236, 245 Monroe, James 30, 34, 84, 88, 92 Monroe-Doktrin 179, 254, 263 Montgomery, Al. 198, 288, 291–293, 297, 299f., 303, 318, 356 Morgan, Edmund 35f., 382 Morning Chronicle 108 Murphy, William 163 Napoleon I. 52, 67, 73, 78f., 96, 153, 244 Napoleon III. 341, 357, 359, 367, 374, 376 Napoleonische Kriege (s. Napoleon I.) Nashville Convention 238–240 Nassau 109, 151, 231 Natchez, Miss. 216 National Review 307 Nebraska (Territorium) 244 Negro Seaman Law 118–120 New Haven 229 New Jersey 59 New Orleans 151, 191f., 216, 229f., 231, 233, 249, 270, 340, 355 New Orleans, Schlacht von (08.01.1815) 191, 194, 214, 219f. New York (Staat) 143, 217, 261 New York (Stadt) 150, 199, 230, 252 New York Herald 181 New York Men’s Republican Union 23 New York Tribune 363 Newcastle 372
465
Newton, Sir Isaac 78, 80 Niederlande 228 Nikaragua 252–254 North, Frederick, 2nd Earl of Guilford 287 North Carolina 14, 210, 228, 395 Notes on the State of Virginia (1781/84) 48, 59 O’Brien, Michael 27 Observations on the Commerce of the American States (1783) 58 O’Connell, Daniel 105–109, 156, 387 Österreich 151 Old Republicans 77, 89, 91, 93 Omnibus Bill 241 Onuf, Peter 93, 384 Oregon-Krise 81, 144, 148, 155, 164, 178– 190, 195, 200–202, 211–213, 222–224, 235–238, 242, 252 O’Sullivan, John 180 Owsley, Frank Lawrence 25 Page, Walter Hines 395f. Paine, Thomas 47, 127 Pakenham, Sir Richard 163, 165, 169, 173– 175, 179f., 265 Palmerston, John Henry Temple, 3rd Viscount 101f., 109f., 139, 150f., 154– 156, 161, 189, 253–257, 306, 309f., 327, 331, 341, 344f., 349, 361, 367– 370, 374–376, 378f. Paris 96f., 100, 161, 231, 253, 260, 279, 316, 339f., 352, 377f., 381, 390 Pariser Seerechtsdeklaration 322f., 333– 339, 341f., 351f., 357, 392 Patriarcha (1680) 133 Peel, Sir Robert 150f., 156, 159, 160f., 171, 177, 189 Peelites 309 Pennsylvania 261 Perry, Benjamin 209 Peyton, John 349 Pierce, Franklin 245, 261, 263, 267–269, 315, 386 Pinckney, Henry Laurens 131 Polk, James Knox 164, 170, 173, 178–180, 189 Portugal 228 Preußen 151, 291 Pro Slavery Argument 69, 109, 131, 133f.,
466
Register
143, 151, 153f., 163, 165, 173f., 204f., 209, 228, 231f., 236, 243, 248, 260, 272, 282, 285f., 304f., 308, 313 Punch 371 Quincy, Josiah 40 Quitman, John 268 Rable, George 25 Radicals 309 Randolph, John 72, 77–81, 89, 91, 93, 98, 147f., 395 Ranger, Terence 22 Report of the Children’s Employment Commission (1842) 175f. Report on Relations with Great Britain (1811) 76f. Republican Party 105, 245, 282, 288f. Rhett, Robert Barnwell 112–117, 120–126, 144, 167–171, 173, 176–178, 182–186, 190, 195, 199, 207, 209, 212f., 219, 234, 238–240, 269, 272, 279, 281f., 294–298, 303 Rhett, William 115 Richmond, Va. 9, 146, 148, 227, 302f., 308, 323, 329, 332, 334f., 337, 352, 355, 359–361, 366, 377 Richmond Enquirer 107–109 Ritchie, Thomas 107–109 Rives, Judith Page Walker 87, 97, 290f. Rives, William Cabell 34, 84–89, 91–94, 96–99, 100, 118, 132–135, 137, 139, 142, 144, 146, 149, 152–155, 158f., 165f., 174, 181f., 190, 195, 212, 252– 258, 260f., 266, 279, 288–292, 294, 303, 314, 326, 386, 395 Roebuck, John Arthur 319, 376 Rost, Pierre 315, 329 Ruffin, Edmund 349 Russell, John, 1st Earl 139, 161, 310, 314– 318, 323, 325, 327, 330, 332–334, 336, 344–347, 351f., 357, 364f., 367–369, 373f., 377 Russell, William Howard 40, 299f., 305, 312f., 327, 340, 343 Russland 151, 204, 277, 368 Rutledge, Edward 124 Sachsen-Coburg und Gotha, Albert von 110, 344
Sankt Petersburg 316 Santa Anna, Antonio Lopez de 225 Santana, Pedro 264 Santo Domingo 191, 252 Savannah, Ga. 299 Schottland 141f. Schurz, Carl 138, 258 Scott, Dred 250 Second Bull Run (s. Bull Run, zweite Schlacht von) Seddon, James 349 Seeblockade (s. Blockade) Seward, William Henry 289, 306, 311f., 324f., 333f., 345, 347f., 363, 373 Shakespeare, William 78 Sharpsburg, Schlacht von (s. Antietam) Shay’s Rebellion 57 Sheffield, John Baker-Holroyd, 1st Earl of 58 Sherman, William Tecumseh 355, 377 Siebenjähriger Krieg 45, 47 Sieben-Tage-Schlacht (25.6.–1.7.1862) 360, 365 Simms, William Gilmore 239, 301–303 Sklavenfluchtgesetz 258 Slave Codes 39 Slave Power 258 Slidell, John 230, 252, 267, 279, 315, 340– 344, 346, 349, 355, 366, 378, 386, 391f. Slidell, Thomas 230 Smith, Anthony D. 22 Smith, Barnwell (s. Rhett, Robert Barnwell) Smith, Thomas 115 Somerset-Urteil 250 South Carolina 9, 14, 18, 38–41, 63, 73–75, 79f., 83, 94f., 104, 107, 111–143, 146, 151, 156, 162, 166–168, 170–174, 177f., 183–185, 187, 190f., 193–195, 207, 209f., 220, 228, 237f., 240, 244, 249, 252, 272, 274, 276, 279, 281, 284, 289, 293, 295, 297, 301, 307, 311, 314, 351, 382, 385–387 South Carolina Association 120 South Carolina College 111f., 117, 281 Southampton 342 Southern Literary Messenger 151, 272 Southern Times 126 Spanien 90, 267, 311 Spanisch-Amerikanischer Krieg 369
Register Spectator 107 Spence, James 350 St. André, Durant de 335 St. Croix, Belligny de 335 St. Croix 227 St. Thomas 342 Stapelton, John 125f. Stephens, Alexander Hamilton 198, 206f., 209, 241f., 279, 282–284, 386 Stevenson, Andrew 34, 84, 88–91, 100–111, 118, 135, 139f., 142, 148–151, 156, 159, 195, 231f., 387 Stevenson, Sarah Coles 88, 110, 156 Stone Fleet 351 Stowe, Harriet Beecher 248 Straffordshire 145 Stuart, William 364f. Sumner, Charles 23 Swift, Jonathan 35 Sydney, Algernon 35
467
Tucker, Nathaniel Beverley 9, 158, 162, 271 Turner, Nat 84, 128, 191 Two Letters on the Subject of Slavery (1845) 174–176, 205, 243 Tyler, John 144, 150, 155–157, 159, 161– 163, 165, 173, 180, 225, 289 200, 307, 95f., 144, 234,
Tarif of Abominations 121 Taylor, Zachary 225, 240f., 253, 261 Tennessee 14, 164, 181, 355 Texas 281, 272 Texas-Krise 143f., 148, 155f., 162, 164– 178, 180, 183, 188, 190, 200, 202, 211, 218, 222, 225, 230, 242, 262, 309, 388 The Position and Course of the South (1850) 274f. The Times 312, 329, 371 The Whole Duty of Man (1658) 34 Thornwell, James Henley 281 Tipton, John 132 Toombs, Robert Augustus 194–207, 209f., 213, 217, 223f., 227, 234, 241, 277, 279, 282–284, 286, 304f., 314, 316, 318, 328, 357, 386f. Tories (GB) 137f., 159 Trent-Krise 339–350, 392 Trescot, William Henry 274–277, 328, 335– 339 Trinidad 243 Troy, NY 208 Tuchman, Barbara 381 Tucker, Henry St. George 148 Tucker, John Randolph 9
Unabhängigkeitskrieg (s. Amerikanische Revolution) Uncle Tom’s Cabin (1852) 248 University of Virginia 9, 148, 199 Upshur, Abel 156f., 160, 162, 163 Van Buren, Martin 100, 143f., 146, 148, 164, 167, 218f. Vera Cruz 342 Vesey, Denmark 119, 191, 228 Vicksburg (19.5.–4.7.1863) 376, 381 Vicksburg Sentinel 221 Victoria I. 110, 324, 329 Virginia 9, 14, 17f., 30–38, 44f., 48, 53, 56, 63, 65, 76f., 83–112, 127, 144, 146, 149, 151, 159, 166, 178, 180f., 190, 192–195, 216, 219, 242, 244, 251, 259f., 271, 287–292, 327f., 339, 349, 355, 360, 369, 382, 385–387, 396 Virginia and Kentucky Resolutions 218 Virginia Declaration of Rights 48 Walpole, Sir Robert 61 Walterborough, SC 121f. Warwick Castle 136f., 141 Warwickshire 136 Washington, DC 14, 18, 47, 61, 75, 89, 96, 106, 112, 119, 121, 128, 131, 139, 144, 148f., 150, 167, 182, 194, 203, 212f., 219, 223, 234, 238, 240f., 254–259, 264, 289, 291, 293, 306, 318, 320, 324–328, 331, 333–335, 338, 340, 344–346, 349, 362, 365, 367, 369, 373, 386 Washington, George 30, 61, 63f., 194, 254, 283, 289, 355, 384, 392f. Washington Spectator 168 Webster, Daniel 100, 138, 144, 150, 152f., 158, 166 Webster-Ashburton-Vertrag 150, 152, 155, 165, 190 West Point 217
468
Register
Westminster Abbey 206 Wetumpka, Al. 210 Whigs (GB) 137f., 150f., 162, 309 Whigs (US) 18, 84, 94, 129, 144, 149f., 155f., 158–167, 169, 181, 185, 190, 193, 195f., 199–202, 204, 207, 213, 218, 221f., 230, 240, 242, 245f., 253, 261 Wilhelm der Eroberer 34 Wilkes, Charles 342f., 345 Williamsburg, Va. 33, 53, 55, 382 Wilmot, David 189 Wilmot Proviso 189, 202, 234 Wilson, John 120
Wilson, Woodrow 396 Winchester, Va. 148 Wirt, William 119 Wise, Henry 158 Yale University 34, 73, 229 Yancey, William Lowndes 50, 194f., 207– 215, 217, 219f., 223, 239f., 269, 279f., 292, 299, 304, 308, 315–320, 326, 329–332, 338f., 346f., 373, 381, 386, 391 Young America 261–263 Zweig, Stefan 397