Arbeitszeitverkürzung und sozialer Wandel: Der Kampf um die Achtstundenschicht in der deutschen und amerikanischen Eisen- und Stahlindustrie 1880–1929 9783110854985, 9783110104837


178 86 52MB

German Pages 654 [660] Year 1986

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VORWORT
INHALT
TABELLENVERZEICHNIS
EINLEITUNG
ERSTES KAPITEL. Der Stand der Arbeitszeitfrage vor dem Ersten Weltkrieg
ZWEITES KAPITEL. Struktureller Wandel im Ersten Weltkrieg: Staatsintervention und Emanzipation der Arbeiterschaft
DRITTES KAPITEL. Die Rückkehr zur Friedenswirtschaft: Fortschritt oder Umkehr?
VERGLEICHENDE SCHLUSSBETRACHTUNG. Unterschiede und Gemeinsamkeiten in der Auseinandersetzung um die Achtstundenschicht in den USA und im Deutschen Reich
QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS
SACHREGISTER
PERSONENREGISTER
ORTS- UND LÄNDERREGISTER
FIRMEN-/WERKSREGISTER
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Arbeitszeitverkürzung und sozialer Wandel: Der Kampf um die Achtstundenschicht in der deutschen und amerikanischen Eisen- und Stahlindustrie 1880–1929
 9783110854985, 9783110104837

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V E R Ö F F E N T L I C H U N G E N DER

H I S T O R I S C H E N KOMMISSION ZU BERLIN BAND 65

BEITRÄGE ZU INFLATION

UND

IN DEUTSCHLAND

WIEDERAUFBAU UND EUROPA

1914—1924

Herausgeber GERALD D. FELDMAN CARL-LUDWIG HOLTFRERICH GERHARD A. RITTER PETER-CHRISTIAN WITT

BAND

6

W DE C Walter de Gruyter • Berlin • New York 1986

IRMGARD

STEINISCH

ARBEITSZEITVERKÜRZUNG UND SOZIALER WANDEL Der Kampf um die Achtstundenschicht in der deutschen und amerikanischen Eisen- und Stahlindustrie 1880—1929

w DE

G Walter de Gruyter • Berlin • New York 1986

G e d r u c k t mit U n t e r s t ü t z u n g des Stifterverbandes der Deutschen Wissenschaft, Essen Die Schriftenreihe der Historischen Kommission zu Berlin erscheint mit U n t e r s t ü t z u n g des Senators f ü r Wissenschaft und Forschung, Berlin.

Lektorat

der

Schriftenreibe

Christian Schädlich

ClP-Kurztitelaufhahme der Deutschen Bibliothek Steinisch, Irmgard: Arbeitszeitverkürzung und sozialer Wandel : d. Kampf um d. Achtstundenschicht in d. dt. u. amerikan. Eisen- u. Stahlindustrie 1880 - 1929 / Irmgard Steinisch. - Berlin ; New York : de Gruyter, 1986. (Veröffentlichungen der Historischen Komission zu Berlin ; Bd. 65 : Beiträge zu Inflation und Wiederaufbau in Deutschland und Europa 1914 - 1924 ; Bd. 6) ISBN 3-11-010483-0 NE: Historische Kommission «Berlin, West»: Veröffentlichungen der Historischen

©

1986 by Walter de G r u y t e r & Co., Berlin 30 Printed in Germany Alle Rechte des Nachdrucks, der photomechanischen Wiedergabe, der Herstellung von Mikrofilmen — auch auszugsweise — vorbehalten. Satz und U m b r u c h : Historische Kommission zu Berlin Druck: Werner Hildebrand, Berlin 65 Einband: Lüderitz & Bauer, Berlin 61

VORWORT Die vorliegende Studie wurde im Wintersemester 1981/82 von der Ludwig-Maximilians-Universität München als Dissertation angenommen und für die Drucklegung überarbeitet und erweitert. Begonnen wurde sie mit der Zielsetzung, am Beispiel des Arbeitszeitproblems die politischen Konsequenzen der durch den Ersten Weltkrieg eingetretenen sozialen Veränderungen zu untersuchen. Maßgeblich dafür war mein Interesse an der für die Geschichte der Weimarer Republik zentralen Frage nach deren politischen Uberforderung durch die besondere sozialstaatliche Verpflichtung, die der Republik aus der Revolution 1918/19 erwachsen war und die damals im internationalen Vergleich einmalig war. Aus diesem Grund galt mein Hauptaugenmerk zunächst der hochgradigen Politisierung des Arbeitszeitproblems sowohl in der deutschen als auch in der amerikanischen eisen- und stahlerzeugenden Industrie nach Kriegsende. Gerade wegen des deutlich unterschiedlichen politischen und sozio-ökonomischen Stellenwerts, der diesem Problem im nationalen Rahmen zukam, versprach ein komparatistischer Ansatz Ergebnisse, die über die nationale Erfahrung hinausweisen würden. So ließen sich durch den Vergleich zum einen alternative Lösungsmodelle für sozialen Konflikt aufzeigen, die unter der Berücksichtigung des machtpolitischen Gewichts der sozialen Kontrahenten vor allem auch für den Prozeßcharakter der gesellschaftlichen und politischen Konsensbildung aufschlußreich sein konnten. Zum anderen bot der Vergleich die Möglichkeit, die Andersartigkeit der nationalen politischen Kulturen und sozio-ökonomischen Entwicklungen gegenüberzustellen, um so die Rahmenbedingungen für die Bewältigung der nach Kriegsende anliegenden sozialen Neuordnung offenzulegen. Im Verlauf des Lernprozesses, den jede Untersuchung dieser Art für den Verfasser mit sich bringt, erweiterten sich jedoch Fragestellung und Konzeption. Das Problem der Arbeitszeitverkürzung nach Kriegsende, das ich nicht zuletzt wegen meiner vorangegangenen Forschungen über den Ersten Weltkrieg und den Ausbruch sowie Verlauf der Deutschen Revolution 1918/19 zuerst vorrangig auf der politischen Ebene angesiedelt hatte, bekam zusehends eine starke wirtschaftspoli-

VI

Vorwort

tische und sozialgeschichtliche Ausrichtung. Aus der politischen Perspektive ließ sich nämlich die entscheidende Frage, warum im Gegensatz zum englischen Beispiel der Widerstand der deutschen und amerikanischen eisen- und stahlerzeugenden Industrie gegen die Einführung achtstündiger Schichtzeiten so unverhältnismäßig hart und anhaltend war, nicht hinreichend beantworten. Bedingt durch die Einsicht, daß die Besonderheiten des beeindruckenden wirtschaftlichen Erfolges der deutschen und amerikanischen eisen- und stahlerzeugenden Industrie im 19. Jahrhundert von nachhaltig prägender Bedeutung bis weit in das 20. Jahrhundert waren, galt es daher auch, die Unterschiede und Gemeinsamkeiten der deutschen und amerikanischen Industrialisierungserfahrung aufzuarbeiten. Ich glaube, daß sich die Mühen, die dieser erweiterte methodische Zugriff mit sich brachte, ausgezahlt haben, und zwar nicht nur hinsichtlich des problemreichen Komplexes Arbeitszeitverkürzung. Vielmehr ist es vor allem auch meine Absicht, durch diese ausgreifendere vergleichende Analyse die Bedeutung von politischer Tradition und etablierten gesellschaftlichen Machtpositionen herauszustellen und auf dieser Grundlage das Spannungsverhältnis zwischen technologischer Innovation, Bürokratisierung und wirtschaftlichem Wachstum einerseits, sozialem Wandel, Wirtschaftsmacht und Einfluß auf die gesellschaftliche Meinungsbildung und sozialpolitische Normsetzung andererseits aufzuzeigen. Ich hoffe, dadurch die Dynamik und gleichzeitige Schwerfälligkeit sozialer Anpassungsprozesse durchsichtiger gemacht zu haben, deren erfolgreiche Bewältigung, wie das Arbeitszeitproblem in der deutschen und amerikanischen eisen- und stahlerzeugenden Industrie in nahezu klassischer Weise demonstriert, für die politische Stabilität einer Gesellschaft von zentraler Bedeutung ist. Die Anregung für diese vergleichende Studie erhielt ich während meines langen Aufenthalts in den U S A und meiner Tätigkeit als Forschungsassistentin für H e r r n Professor D r . Gerald D . Feldman an der University of California, Berkeley. Während die Beschäftigung mit den Problemen der Weimarer Republik meine tägliche Arbeit war, besuchte ich gleichzeitig Vorlesungen und Seminare zur amerikanischen Geschichte. Besonders zu erwähnen ist dabei das von Herrn Professor D r . David Brody abgehaltene Seminar über neue Entwicklungen und Fragestellungen in der amerikanischen Sozial- und Arbeitergeschichte, von dem ich sehr profitiert habe. O h n e das Verständnis, daß ich bei H e r r n Professor Feldman gefunden habe, wäre diese Arbeit jedoch schwerlich begonnen worden. Ihm verdanke ich nicht nur vielzählige

Vorwort

VII

Anregungen durch seine dauerhafte Bereitschaft zur Diskussion, umfassende Einblicke in die deutsche Archiv- und Forschungslage, nicht zuletzt durch die großzügige Erlaubnis der Einsichtnahme in seine ausgedehnte Materialsammlung zur Weimarer Republik, sondern auch ständige Ermunterung für meine Arbeit. Für die gute Zusammenarbeit, seine geduldige Unterstützung und die vielen freundschaftlichen R a t schläge m ö c h t e ich mich deshalb an dieser Stelle ganz besonders herzlich bedanken. D a ß es mir überhaupt vergönnt war, eine längere Zeit in den U S A zu verbringen, verdanke ich Herrn Professor D r . Reinhard R ü r u p an der Technischen Universität Berlin. M i t seiner Hilfe gelang es mir, nach dem Staatsexamen an der Freien Universität Berlin ein Stipendium für das Studium der amerikanischen Geschichte an der University of Indiana, Bloomington, zu bekommen. Ferner vermittelte er auch die Forschungsassistentenstelle bei Herrn Professor Feldman in Berkeley und half später, daß ich dank eines Graduiertenstipendiums weitere notwendige Archivstudien für diese Arbeit durchführen konnte. Für seine dauerhafte Unterstützung sei ihm hier ausdrücklich gedankt. H e r r Professor D r . Gerhard A. R i t t e r am Institut für Neuere Geschichte an der Universität München hat diese Studie als Doktorarbeit betreut. Ihm gilt mein ganz besonderer Dank. Er hat die zeitraubende Mühe auf sich genommen, das Manuskript in den verschiedenen Stadien bis zur druckfertigen Fassung mit mir kritisch zu besprechen. Seinen Ratschlägen verdankt diese Arbeit wesentliche Verbesserungen. Als Assistentin an seinem Lehrstuhl habe ich zudem in vielfältiger Weise Unterstützung für meine Arbeit erfahren. H i e r möchte ich deshalb auch meinem Kollegen, Herrn Privatdozent D r . Klaus T e n felde, für seine freundschaftliche Ermunterung in schwierigen Zeiten und kritische Durchsicht von Teilen dieser Arbeit danken. Sehr profitiert habe ich von der Mitarbeit an dem von der Stiftung Volkswagenwerk finanzierten internationalen Forschungsprojekt „Inflation und Wiederaufbau in Deutschland und Europa 1 9 1 4 — 1 9 2 4 " , da dessen interdisziplinäre und national übergreifende Ausrichtung meinen wissenschaftlichen Interessen entgegenkam. Die Teilnahme sowie das Privileg, meine Arbeit in der von der Historischen Kommission zu Berlin betreuten Publikationsreihe dieses Projekts veröffentlichen zu können, verdanke ich ebenfalls in erster Linie der Förderung durch Herrn Professor Ritter, doch gilt mein Dank auch den übrigen Mitgliedern des Lenkungsausschusses des Projekts, den Herren Professoren Gerald D . Feldman, Carl-Ludwig Holtfrerich und Peter-Christian W i t t sowie Herrn Professor Dr. O t t o Büsch von der Historischen Kommission zu Berlin.

Vili

Vorwort

Jede Arbeit dieser Art, die mit einem breitgestreuten Quellenfundus zu kämpfen hat, ist in ganz besonderem Maße auf die Hilfestellung von Archiven und Bibliotheken angewiesen. An dieser Stelle all denen namentlich zu danken, die mir den Zugang zu Archivbeständen und schwer zugänglicher Literatur ermöglichten oder erleichterten, ist mir angesichts der Vielzahl der besuchten Institutionen nicht möglich. Stellvertretend möchte ich deshalb nur einige Archive nennen, die von zentraler Bedeutung für meine Arbeit waren und wo mir zum T e i l sehr unbürokratische Hilfe zuteil wurde. So fahndeten die Bibliothekare der National Archives in Washington, die mich betreuten, nach Beständen, die für mich relevant sein konnten, selbst wenn diese manchmal schwer aufzufinden waren. D e m Direktor T h o m a s T . Thalken und dem Vizedirektor R o b e r t W o o d der H e r b e r t H o o v e r Presidential Library danke ich dafür, daß sie meinen Aufenthalt in W e s t Branch, Iowa, nicht nur ertragreich, sondern auch so angenehm wie möglich machten. Gleiches gilt für meinen Besuch der Pennsylvania Historical Collections an der Pennsylvania State University in University Park. Dem Verständnis und Entgegenkommen von Herrn Gottschall von der juristischen Abteilung der J o n e s & Laughlin Steel Corporation in Pittsburgh verdanke ich einen guten Einblick in wahrscheinlich typische Archivierungspraktiken der amerikanischen Industrie. E r ermöglichte mir, da es ein Firmenarchiv im deutschen Sinne nicht gab, den Besuch der in einem alten Bergwerksstollen untergebrachten Registratur. Zudem sorgte er dafür, daß ich die Pittsburgher Werke besichtigen durfte. W e n n diese Werksbesichtigung auch beträchtliche Ähnlichkeiten zu der in O b e r hausen aufwies, galt dies zum Glück nicht für die Archivbestände und Arbeitsmöglichkeiten im Historischen Archiv der Gutehoffnungshütte, das für meine Arbeit eine wahre Fundgrube war. Dem Leiter, Herrn Bodo H e r z o g , danke ich deshalb besonders herzlich für seine Hilfe und großzügige Erlaubnis, daß ich ohne Einschränkungen die umfangreichen und überaus ergiebigen Bestände auswerten durfte. G r o ß e n Dank schulde ich auch Frau D r . Hedwig Behrends, ohne deren private Initiative mir das Archiv der Friedrich-Wilhelms-Hütte verschlossen geblieben wäre. Bei H e r r n D r . T h o m a s T r u m p p vom Bundesarchiv Koblenz bedanke ich mich für seine vielen nützlichen H i n weise und vor allem für sein stets freundliches Interesse. Abschließend möchte ich noch der Stiftung Volkswagenwerk für die finanzielle Unterstützung danken, die mir durch ein Reisestipendium in die U S A sowie bei der Teilnahme an den Symposien des Inflationsprojekts zuteil wurde. Besonderen Dank schulde ich auch dem Stifter-

IX

Vorwort

verband der deutschen Wissenschaft, der durch einen großzügigen Druckkostenzuschuß erst die Veröffentlichung dieser Arbeit ermöglichte.

München, im März 1985

Irmgard

Steinisch

INHALT VORWORT des A u t o r s

V

TABELLENVERZEICHNIS

XIII

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS

XV

EINLEITUNG

1

ERSTES KAPITEL

Der Stand der Arbeitszeitfrage vor dem Ersten Weltkrieg Wachstum und Organisation der deutschen und amerikanischen eisen- und stahlerzeugenden Industrie Technologischer Wandel, Arbeitsplatzveränderung und Belegschaftsumschichtung Bedingungen gewerkschaftlicher Organisation und Arbeitszeitverkürzung Der Kampf um gesetzliche Arbeitszeitverkürzung „Unamerikanische" Arbeitszeiten und die Existenz „guter" Trusts Die Ökonomie der langen Arbeitszeiten

24

30 49 72 96 146 204

Z W E I T E S KAPITEL

Struktureller Wandel im Ersten Weltkrieg: Staatsintervention und Emanzipation der Arbeiterschaft Segnungen und Gefahren der amerikanischen Neutralität im Krieg Der Kriegseintritt der Vereinigten Staaten: Produktionszwang und Arbeitszeitverkürzung Unter dem Druck der amerikanischen Kriegswirtschaftspolitik Kriegserschöpfung und Radikalisierung der Arbeiterschaft: Die deutsche eisenund stahlerzeugende Industrie in der Kriegswirtschaft Das Ubergreifen von Arbeiterprotest und Arbeitszeitverkürzung auf die deutsche eisen- und stahlerzeugende Industrie Arbeiterrevolution und soziale Partnerschaft: Die Einführung des Achtstundentags

221 224 241 270 302 332 358

Inhalt

XII

DRITTES KAPITEL

Die Rückkehr zur Friedenswirtschaft: Fortschritt oder Umkehr? Der Streik der amerikanischen Eisen- und Stahlarbeiter von 1919

377 380

Der Ubergang zum Dreischichtsystem in der amerikanischen eisen- und stahlerzeugenden Industrie Ende 1923

394

Das deutsche Experiment mit dem Achtstundentag unter den Bedingungen von Inflation und Wiederaufbau

428

Währungsstabilisierung und Abschaffung des „schematischen" Achtstundentages Ende 1923

464

Tarifbeziehungen und staatliche Zwangsschlichtung in der deutschen eisen- und stahlerzeugenden Industrie

489

VERGLEICHENDE SCHLUSSBETRACHTUNG

Unterschiede und Gemeinsamkeiten in der Auseinandersetzung um die Achtstundenschicht in den USA und im Deutschen Reich 530

Q U E L L E N - UND LITERATURVERZEICHNIS

577

SACHREGISTER

621

PERSONENREGISTER

634

O R T S - UND LÄNDERREGISTER

637

FIRMEN-/WERKSREGISTER

639

TABELLENVERZEICHNIS TABELLE 1: Roheisenerzeugung der wichtigsten Länder in 1000 metr. Tonnen, 1880 bis 1914 TABELLE 2: Flußstahlerzeugung der wichtigsten Länder in 1000 metr. Tonnen, 1880 bis 1914 TABELLE 3: Die größten amerikanischen Industriebetriebe: 1900 TABELLE 4: Die deutsche Roheisenerzeugung: 1910 TABELLE 5: Produktionswachstum in den Hochofen-, Stahl- und Puddelbetrieben in Deutschland, 1883—1909 TABELLE 6: Produktionswachstum in den Hochofen-, Stahl- und Walzwerken der Vereinigten Staaten, 1869—1909 TABELLE 7: Belegschaftszusammensetzung eines großen Hüttenwerkes nach Betriebsabteilungen TABELLE 8: Anstieg der Überstunden und Arbeiterzahl: 1910 bis 1913 TABELLE 9: Anstieg der Überstunden und Arbeiterzahl: 1910 bis 1913 TABELLE 10: Zahl und Dauer der Überarbeitsfälle in Prozent aller Überarbeitsfälle: 1910 bis 1913 TABELLE 11: Dauer der regelmäßigen Schichtzeit (einschließlich Pausen) in den Regierungsbezirken Düsseldorf, Arnsberg, Oppeln und Trier, 1910—1913... TABELLE 12: Dauer der regelmäßigen Arbeitszeit einschließlich der Pausen: 1913 (Königreich Preußen) TABELLE 13: Die Überstundenleistung in den einzelnen Betriebsarten im Jahre 1912 (Königreich Preußen) TABELLE 14: Altersstruktur der Eisen- und Stahlarbeiter im Vergleich zur Industriearbeiterschaft (1912/1907) TABELLE 15: Altersstruktur der Eisen- und Stahlarbeiter im Regierungsbezirk Düsseldorf: 1912 TABELLE 16: Altersstruktur der Arbeiter in den Reparaturwerkstätten und im Maschinenbau: 1912 TABELLE 17: Unfallentwicklung im Bergbau und in der rheinisch-westfälischen eisen- und stahlerzeugenden Industrie: 1905—1913 TABELLE 18: Arbeiterfluktuation und Unfallhäufigkeit: 1906 bis 1910 TABELLE 19: Tatsächliche Arbeitszeit pro Schicht in Stunden TABELLE 20: Die Dauer der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit in den einzelnen Betriebsarten im Untersuchungsmonat Mai 1910 TABELLE 21: Die Dauer der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit der Produktionsarbeiter, der berufsmäßig nicht industriespezifischen Arbeiter sowie der Arbeiter in den Nebenbetrieben (Untersuchungsmonat Mai 1910)

32 33 36 40 60 61 66 104 105 106 108 109 111 115 116 117 120 122 130 173

176

XIV

Tabellenverzeichnis

TABELLE 22: Dauer und U m f a n g der Überstundenleistung in neun großen Eisen- und Stahlwerken ( U n t e r s u c h u n g s z e i t r a u m 16. bis 31. Mai 1910)

178

TABELLE 23: D i e U b e r s t u n d e n l e i s t u n g an S o n n - und W e r k t a g e n in den einzelnen Betriebsarten in neun großen Eisen- und Stahlwerken (Untersuchungszeitraum 16. bis 31. Mai 1910)

182

TABELLE 24: Jährlicher h ö c h s t e r und niedrigster Belegschaftsstand in einem großen Eisen- und Stahlwerk: 1905—1910

195

TABELLE 25: D e r Arbeiterwechsel in einem großen Eisen- und Stahlwerk 1905 bis 1910

196

TABELLE 26: Die A l t e r s s t r u k t u r der Arbeiter in der amerikanischen eisen- und stahlerzeugenden Industrie im J a h r 1908

199

TABELLE 27: D i e A l t e r s s t r u k t u r in einem großen Eisen- u n d Stahlwerk im J a h r 1910

201

TABELLE 28: P r o d u k t i o n u n d E x p o r t von Eisen- u n d Stahlerzeugnissen, 1913— 1919

227

TABELLE 29: Ertragslage der U S S C , 1913 bis 1919

228

TABELLE 30: Zahl der Einwanderer in die Vereinigten Staaten 1910 bis 1919

233

TABELLE 31: Preissteigerungen der wichtigsten E i s e n r o h s t o f f e , R o h - , H a l b - und Fertigfabrikate, 1914—1918: 1914 = 100 P r o z e n t

308

TABELLE 32: E r t r a g s l a g e verschiedener großer Eisen- und Stahlunternehmen während des Krieges TABELLE 33: Gewinne der Industrie während des Krieges

309 310

TABELLE 34: D i e Mitgliederentwicklung des C h r . M A V u n d des D M V während des Krieges, 1914 bis 1918

322

TABELLE 35: L e b e n s h a l t u n g s k o s t e n u n d D u r c h s c h n i t t s v e r d i e n s t e p r o Schicht der erwachsenen männlichen A r b e i t e r bei der Fa. K r u p p während des Krieges (1913 = 100) TABELLE 36: Die P r o d u k t i o n s l e i s t u n g während des Krieges

326 344

TABELLE 37: Belegschafts- u n d U m s a t z e n t w i c k l u n g der Maschinenfabrik T h y s sen

345

TABELLE 38: Alter A r b e i t e r s t a m m und neue A r b e i t s k r ä f t e in den H o c h o f e n - , Stahl- und Walzwerken während des Krieges

346

TABELLE 39: D a s Verhältnis der N a h r u n g s m i t t e l r a t i o n i e r u n g z u m Friedensverbrauch

348

TABELLE 40: T ä g l i c h e effektive A r b e i t s z e i t in den H o c h o f e n - , Stahl- und Walzwerken des D e u t s c h e n R e i c h e s 1924

491

TABELLE 41: Zahl der berufsgenossenschaftlich versicherten Beschäftigten in der deutschen eisen- und stahlerzeugenden Industrie, 1913 bis 1930

519

TABELLE 42: D i e tatsächliche wöchentliche A r b e i t s z e i t in der deutschen Industrie einschließlich Ü b e r s t u n d e n , 1. bis 6. O k t o b e r 1928

528

TABELLE 43: D i e regelmäßige Wochenarbeitszeit ausschließlich S o n n t a g s a r b e i t u n d Ü b e r s t u n d e n in der rheinisch-westfälischen eisen- und stahlerzeugenden Industrie. S t a n d 1. M a i 1929

529

TABELLE 44: P r o d u k t i o n s l e i s t u n g in achtstündiger gegenüber zehnstündiger Schicht (ausschließlich Pausen), G H H , W a l z w e r k O b e r h a u s e n , T r ä g e r - u n d G r o b s t r a ß e 1919 bis 1921

542

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS ADGB

Allgemeiner Deutscher Gewerkschaftsbund

AFL

American Federation of Labor

AISI

American Iron and Steel Institute

Arbeitnordwest (Arbeno)

VDESI

AZS BA

Abteilung für Zurückstellungswesen Bundesarchiv

BDI BSC CDI

Bund Deutscher Industrieller Bethlehem Steel Corporation

Arbeitgeberverband für den Bezirk der nordwestlichen Gruppe des

Centraiverband Deutscher Industrieller

Chr. M A V

Christlicher Metallarbeiter-Verband

CND

Council of National Defense

DGB DMV

Deutscher Gewerkschaftsbund Deutscher Metallarbeiter-Verband

DNVP

Deutschnationale Volkspartei

DVP EFC

Deutsche Volkspartei Emergency Fleet Corporation

FAES GHH

Federated American Engeneering Societies Gutehoffnungshütte

KRA Langnam-

Kriegsrohstoffabteilung Verein zur Wahrung der gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen in

verein MICUM

Rheinland und Westfalen Mission Interalliée de Contrôle des Usines et des Mines

MLR

Monthly Labor Review

MSOC NAM

Midvale Steel & Ordnance Company National Association of Manufacturers

NICB

National Industrial Conference Board

NL

Nachlaß

NWLB

National War Labor Board

NWLPB RDI

National War Labor Policies Board Reichsverband der Deutschen Industrie

RG SPD

Record Group Sozialdemokratische Partei Deutschlands

USPD

Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands

USSB

United States Shipping Board

USSC VDA

United States Steel Corporation Vereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände

VDEH VDESI

Verein Deutscher Eisenhüttenleute Verein Deutscher Eisen- und Stahlindustrieller

Wumba

Waffen- und Munitionsbeschaffungsamt

EINLEITUNG Die Einführung des Achtstundentages als des gesetzlich verbindlichen Normalarbeitstages im November 1918 war ein grundlegender Akt für die erste parlamentarische Demokratie Deutschlands, der zu einer schweren Bürde werden sollte. Augenfälliger als andere sozialpolitische Maßnahmen demonstrierte die allgemeinverbindliche Einführung des Achtstundentages die durch die Revolution 1918 eingetretenen veränderten machtpolitischen Verhältnisse und die besondere Verpflichtung der neuen Republik gegenüber der Arbeiterschaft. Deshalb interpretierten die Zeitgenossen damals — und die Historiker tun dies heute noch — die gesetzliche Abschaffung des Achtstundentages nach Hyperinflation und Ruhrkampf im Dezember 1923 kaum zu Unrecht als eine erneute Umkehrung der machtpolitischen Verhältnisse, als das sichtbarste Zeichen für die seit der Revolution wieder eingetretene eklatante Schwäche der organisierten Arbeiterschaft und vor allem der sozialistischen Arbeiterbewegung. 1 Darüber hinaus deutete das Unvermögen, trotz vieler Anläufe und Gesetzentwürfe die Demobilmachungsverordnung über die Arbeitszeit vom 23. November 1918 durch ein auf dem normalen parlamentarischen Weg verabschiedetes Gesetz abzulösen, statt diese durch eine neue Verordnung zu ersetzen, wie es in der Krisensituation Ende 1923 schließlich geschah, auf den in der Weimarer Republik fehlenden sozialen Grundkonsens hin, der ein System von staatlichen Zwangsverordnungen und staatlicher Zwangsvermittlung der sozialen Gegensätze nötig machte. 2

1 Vgl. z. B. Robert R. Kuzcynski, Postwar Labor Conditions in Germany (= Bulletin of the U.S. Bureau of Labor Statistics, N o . 380), Washington, D. C. 1925, S. 93, und Gerald D. Feldman/Irmgard Steinisch, Die Weimarer Republik zwischen Sozial- und Wirtschaftsstaat. Die Entscheidung gegen den Achtstundentag, in: Archiv für Sozialgeschichte (im folgenden AfS zitiert), Bd. 18 (1978), S. 353—439. 2 Vgl. dies., Notwendigkeit und Grenzen sozialstaatlicher Intervention. Eine vergleichende Fallstudie des Ruhreisenstreits in Deutschland und des Generalstreiks in England, in: AfS, Bd. 20 (1980), S. 57—117; Hans-Hermann Hartwich, Arbeitsmarkt, Verbände und Staat 1918—1933. Die öffentliche Bindung unternehmerischer Funktionen in der

2

Einleitung

Diese Notwendigkeit der sozialstaatlichen Intervention wurde durch das Scheitern der während der Revolution gebildeten Arbeitsgemeinschaft zwischen Industrie und Arbeiterschaft unterstrichen. Letztere konnte ihren Anspruch auf eine wirtschaftlich und politisch dominierende Einflußnahme im Staat nicht einlösen, und zwar ungeachtet ihrer weitgreifenden Pläne, diesen Anspruch durch eine umfassende korporativistische Organisation von Industrie und Wirtschaft auf eine dauerhafte Basis zu stellen. Im Kampf um den Achtstundentag, dessen Einführung zusammen mit der Anerkennung der Gewerkschaften als gleichberechtigter Sozialpartner neben dem Unternehmertum die Grundlage der Arbeitsgemeinschaft gebildet hatte, erwies sich ihr aus den Revolutions- und Demobilmachungswirren resultierender Notgemeinschaftscharakter. Ihr Zusammenbruch unter den veränderten machtpolitischen Verhältnissen der wirtschaftlichen und politischen Krisensituation der Jahre 1923/24 zeigte deutlich, daß große Teile des Unternehmertums in der Zwischenzeit weder von dem Nutzen einer engen Zusammenarbeit mit der organisierten Arbeiterschaft überzeugt waren noch sich langfristig mit dem Gewerkschaftsmonopol der kollektiven Interessenwahrung der Arbeiterschaft abgefunden hatten. 3 Deshalb war der Achtstundentag in der Weimarer Republik sowohl ein Symbol der politischen Machtergreifung der Arbeiterschaft als auch ein Symbol für das Ende des sozialpartnerschaftlichen Experiments zwischen Industrie und organisierter Arbeiterschaft, während die fortdauernde Auseinandersetzung über die Arbeitszeitfrage zu einem Prüfstein der sozialstaatlichen Bindung der Weimarer Republik wurde und damit signalisierte, inwieweit die staatliche Konfliktvermittlung, trotz der kaum überbrückbaren Gegensätze zwischen Indu-

Weimarer Republik (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, Bd. 23), Berlin 1967, sowie Uwe Oltmann, Reichsarbeitsminister Heinrich Brauns in der Staats- und Währungskrise 1923/24. Die Bedeutung der Sozialpolitik für die Inflation, den Ruhrkampf und die Stabilisierung, Diss. Kiel 1969. 1 Vgl. Heinrich Potthoff, Gewerkschaften und Politik zwischen Revolution und Inflation (= Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, Bd. 66), Düsseldorf 1979, bes. S. 177ff., und Gerald D. Feldman/Irmgard Steinisch, Industrie und Gewerkschaften 1918—1924: Die überforderte Zentralarbeitsgemeinschaft (= Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Nr. 50), Stuttgart 1985, sowie Heinrich August Winkler, Von der Revolution zur Stabilisierung. Arbeiter und Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik 1918 bis 1924 (= Geschichte der Arbeiter und der Arbeiterbewegung in Deutschland seit dem Ende des 18. Jahrhunderts, hrsg. von Gerhard A. Ritter), Berlin-Bonn 1984.

Einleitung

3

strie und Arbeiterschaft, beide Interessenparteien zufriedenzustellen und politisch zu integrieren vermochte. Ein zentrales Anliegen dieser vergleichenden Studie ist es deshalb herauszuarbeiten, inwieweit die Hinterlassenschaft des Krieges das Integrationspotential der Weimarer Republik von vornherein entscheidend einschränkte und zum Beispiel die Bürde der Reparationen auf dem Hintergrund des vorangegangenen wirtschaftlichen und politischen Zusammenbruchs im November 1918 nicht nur ein entscheidendes Hemmnis für eine Kompromißlösung in der Arbeitszeitfrage darstellte, sondern sich auch als ein zentrales Hindernis für den sozialen und politischen Ausgleich zwischen Bürgertum und Arbeiterschaft erwies. Schließlich war die Frage, wer die Kosten des verlorenen Krieges bezahlen sollte und wie diese überhaupt erwirtschaftet werden konnten, voller innenpolitischer Brisanz, deren sozial und politisch polarisierenden Auswirkungen anhand der Arbeitszeitfrage nachgegangen werden soll. Dabei ist zu untersuchen, inwieweit die Konfliktverzögerung durch die aufschiebende Wirkung der inflationären Wirtschaftsentwicklung in und nach dem Krieg eher noch verschärfend wirkte und im Falle des Arbeitszeitproblems zu einer untrennbaren Verknüpfung mit dem außenpolitischen Problem der Reparationsregelung führte. Denn die Frage, ob sich das Deutsche Reich unter der Bedingung volkswirtschaftlicher Verarmung durch Kriegsniederlage und Reparationsverpflichtungen die im internationalen Vergleich kürzeste Arbeitszeit eines allgemeinverbindlichen Achtstundentages leisten konnte, mußte die organisierte Arbeiterschaft, falls sie uneingeschränkt am Achtstundentag festhielt, unter dem Druck von Währungsbankrott und Wirtschaftskrise einerseits und nicht länger aufschiebbarer Reparationsregelung andererseits Ende 1923 notwendigerweise in die Defensive und in die politische Isolation drängen. Hinzu kam, daß auch die Siegermächte wenig Bereitschaft zeigten, durch rasches Vorantreiben eines internationalen Abkommens über die Einführung des Achtstundentages dem deutschen Beispiel zu folgen, vielmehr trugen die Versuche einer internationalen Regelung des Achtstundentags zur Verschärfung der Auseinandersetzungen um die gesetzliche Regelung der Arbeitszeit in Deutschland auch in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre bei. In dem Kampf um Arbeitszeitverkürzung beziehungsweise Verlängerung hatte die deutsche Schwerindustrie — Kohle, Eisen und Stahl — die führende Rolle inne, und sie trug maßgeblich die Verantwortung für

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Einleitung

die krisenhafte Verschärfung des Arbeitszeitkonflikts. 4 Mit ihrer kompromißlosen Haltung in der Arbeitszeitfrage setzte sie gewissermaßen ihre traditionelle Funktion als Bollwerk gegen soziale Modernisierung und politische Demokratisierung im Kaiserreich in modifizierter Form fort. Insofern war es eine fatale Entwicklung, daß die Schwerindustrie ihre traditionelle Spitzenstellung und ihren führenden Einfluß wirtschaftlich und damit auch politisch durch Krieg und Inflation noch hatte ausbauen können und ihre vor allem aus wirtschaftlichen Schwierigkeiten resultierende destruktive Vetoposition auch in der zweiten Hälfte der Weimarer Republik spürbar blieb, obwohl ihr Einfluß in disproportionalem Verhältnis zu ihrer tatsächlichen wirtschaftlichen Bedeutung stand. 5 T r o t z d e m wäre es verfehlt, einen eindeutigen Interessengegensatz zwischen der Schwerindustrie und der verarbeitenden Industrie in der Weimarer Republik ausmachen zu wollen, vielmehr zeigt sich an der Arbeitszeitfrage und dem endgültigen Zusammenbruch der Arbeitsgemeinschaft zwischen Industrie und organisierter Arbeiterschaft, daß stärker die Verfahrensweise und weniger die Ziele und Inhalte der von der Schwerindustrie vertretenen Politik die Ursache für die Differenzen im industriellen Lager waren. 6 Zudem war die 4 Vgl. dazu bes. U. Oltmann, Reichsarbeitsminister Heinrich Brauns..., sowie Hans Henning Herzog, Ökonomie und Politik des Achtstundentages in der Weimarer Republik. Eine empirisch-theoretische Studie zur staatlichen Arbeitszeitregulierung 1918—1926, Diss. Marburg/Lahn 1975. 5 Vgl. Gerald D. Feldman, Iron and Steel in the German Inflation 1916—1923, Princeton, N . J . 1977, und ders./Heidrun Homburg, Industrie und Inflation. Studien zur Politik der deutschen Unternehmer 1916—1923, Hamburg 1977, sowie Bernd Weisbrod, Schwerindustrie in der Weimarer Republik. Interessenpolitik zwischen Stabilisierung und Krise, Wuppertal 1978. 6 Das zeigt in aller Deutlichkeit: Ulrich Nocken, Interindustrial Conflicts andAlliances in the Weimar Republik: Experiments in Societal Corporatism, Diss. Berkeley, Cal. 1979, während die These des aus wirtschaftlich konfligierenden Interessen resultierenden scharfen politischen Gegensatzes zwischen der angeblich demokratie- und gewerkschaftsfreundlichen verarbeitenden Industrie im Vergleich zu der antidemokratischen und gewerkschaftsfeindlichen Schwerindustrie jüngst von David Abraham in einer neuen Variante wiederbelebt wurde, dessen Studie The Collapse of the Weimar Republic. Political Economy and Crisis, Princeton, N . J . 1981, jedoch aufgrund zahlreicher Fehler wenig zuverlässig ist. Danach suchten die wachstumsbegünstigten, exportorientierten Industrien angeblich nach einem Bündnis mit der organisierten Arbeiterschaft als Gegengewicht zu der wirtschaftspolitischen Dominanz der Schwerindustrie, die wiederum ihr traditionelles Bündnis mit den Agrarinteressen erneuerte. Allerdings sei der Versuch einer Achsenbildung zwischen verarbeitender Industrie und Arbeiterschaft in der Wirtschaftskrise Ende der zwanziger Jahre an der Tatsache gescheitert, daß dessen

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Schwerindustrie selbst nicht frei von Dissens und Richtungskämpfen, eine Tatsache, die gern übersehen wird, da die geographische Konzentration von Kohle, Eisen und Stahl in Rheinland und Westfalen nach Kriegsende durch den Verlust von Lothringen und Teilen Oberschlesiens noch stärker hervortrat und das hohe Ausmaß der Unternehmensverflechtung und Konzentration sowie die ausgeprägte Verbandsbildung nicht nur den Eindruck einer Einheitsfront a priori suggerierten, sondern auch in vielen Fällen erfolgreich verhinderten, daß Konflikte bis an die Öffentlichkeit drangen. In diesem Zusammenhang stellt sich deshalb die Frage, inwieweit dieser Prozeß der internen Vorklärung anliegender Entscheidungen und deren verbandsmäßige Fixierung nicht nur in der Arbeitszeitfrage, sondern allgemein die Inflexibilität im Arbeitgeberlager verstärkte und damit die Anpassung an die neuen sozialen und politischen Realitäten der Weimarer Republik entscheidend erschwerte. In vieler Hinsicht bildet der Arbeitszeitkonflikt, der die Weimarer Republik während der gesamten Zeit ihres Bestehens beschäftigte, eine Art Brennpunkt, in dem sich die vielfältigen Probleme bündelten, mit denen sie belastet war. Folgerichtig zieht sich die Arbeitszeitfrage wie ein roter Faden durch die umfassende Literatur über die Weimarer Republik, findet nicht nur ausführliche Erwähnung in Darstellungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung, der Wirtschafts- und Sozialpolitik, sondern auch in Studien zur Innen- und Außenpolitik, vor allem wenn sie sich mit der Problematik der Regierungsbildung, Regierungsfähigkeit und Regierbarkeit des Weimarer Staatswesens befassen und den Einfluß von Parteien und Verbänden untersuchen. 7 Explizit oder sozialpolitische Kosten nicht länger wirtschaftlich verkraftbar gewesen seien. In dem Streit um die Beibehaltung bzw. Abschaffung und Rückkehr des Achtstundentages in der Weimarer Republik zeigt sich jedoch sehr klar, daß der verarbeitenden Industrie kaum minder daran gelegen war, sich wieder größere sozialpolitische Dispositionsfreiheit zu verschaffen und den Gewerkschaftseinfluß zurückzudrängen. Vielmehr basierte ihr Interesse an einer Arbeitsgemeinschaft mit den Gewerkschaften auf der Voraussetzung, daß letztere die im Zentralarbeitsgemeinschaftsabkommen vom November 1918 zugestandenen Forderungen nach verbindlichen Tarifabschlüssen und unzweideutiger Anerkennung als Tarifpartner wieder aufgaben. Auf dieser Grundlage waren noch nicht einmal die christlichen Gewerkschaften bereit, die Arbeitsgemeinschaft mit den Arbeitgebern zu erneuern. Vgl. dazu auch die in Anm. 2 genannte Studie von Hartwich, die die politische Unverzichtbarkeit der staatlichen Zwangsschlichtung auch für die Berliner Metallindustrie klar herausarbeitet. 7 Vgl. exemplarisch: Michael Stürmer, Koalition und Opposition in der Weimarer Republik 1924 bis 1928 (= Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der

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i m p l i z i t liegt d e n m e i s t e n dieser S t u d i e n die F r a g e n a c h d e r p o l i t i s c h e n Stabilität d e r W e i m a r e r R e p u b l i k , nach den U r s a c h e n für ihren Z u s a m m e n b r u c h und für den Aufstieg des Nationalsozialismus zugrunde. D a s gilt i n s b e s o n d e r e f ü r d i e U n t e r s u c h u n g e n , d i e s i c h speziell m i t d e r eisen- und s t a h l e r z e u g e n d e n Industrie beziehungsweise d e r d e u t s c h e n S c h w e r i n d u s t r i e a u s e i n a n d e r s e t z e n , d e r e n R o l l e als K o n f l i k t - u n d K r i senherd u n t e r s u c h e n und wegen deren politisch und sozial unverkennb a r a u t o r i t ä r e n A u s r i c h t u n g n a c h d e r V e r a n t w o r t u n g dieses I n d u s t r i e z w e i g s f ü r d a s S c h e i t e r n v o n R e g i e r u n g s k o a l i t i o n e n u n d die U n t e r m i nierung d e r p a r l a m e n t a r i s c h e n D e m o k r a t i e fragen.8 A u s dieser Pers p e k t i v e ist d e r A r b e i t s z e i t k o n f l i k t in d e r d e u t s c h e n e i s e n - u n d s t a h l e r z e u g e n d e n I n d u s t r i e n o t g e d r u n g e n i m m e r z u g l e i c h a u c h ein p o l i t i s c h e r K o n f l i k t m i t d e u t l i c h destabilisierenden F o l g e n , da e r l e t z t l i c h auf ein Kräftemessen der Industrie nicht nur mit der organisierten Arbeiterschaft, s o n d e r n auch m i t d e m W e i m a r e r Staat hinauslief, dessen sozials t a a t l i c h e s F u n d a m e n t in F r a g e g e s t e l l t w u r d e .

politischen Parteien, Bd. 36), Düsseldorf 1967; Günther Arns, Regierungsbildung und Koalitionspolitik 1919—1924, Diss. Tübingen 1971; Karl Dietrich Bracher, Die Auflösung der Weimarer Republik. Eine Studie zum Problem des Machtverfalls in der Demokratie, 4. Aufl., Villingen 1964; Rudolf Morsey, Die deutsche Zentrumspartei 1917—1923, Düsseldorf 1966; Karl Heinrich Pohl, Weimars Wirtschaft und die Außenpolitik der Republik 1924—1926. Vom Dawes-Plan zum Internationalen Eisenpakt, Düsseldorf 1979; Michael Schneider, Unternehmer und Demokratie. Die freien Gewerkschaften in der unternehmerischen Ideologie der Jahre 1918—1933, Bonn/Bad Godesberg 1975; Emil Leckebusch, Entstehung und Wandlungen der Zielsetzung, der Struktur und der Wirkungen von Arbeitgeberverbänden, Berlin 1966. 8 Siehe die Untersuchungen von G. D. Feldman, ders./H. Homburg, G. D. Feldman/I. Steinisch, B. Weisbrod und U . Nocken [wie Anm. 1, 3, 5 u. 6]; ferner Kurt Goßweiler, Großbanken, Industriemonopole, Staat. Ökonomie und Politik des staatsmonopolistischen Kapitalismus in Deutschland 1914—1932, Berlin 1971; Henry A. Turner, Faschismus und Kapitalismus in Deutschland. Studien zum Verhältnis zwischen Nationalsozialismus und Wirtschaft, Göttingen 1972; ders., German Big Business and the Rise of Hitler, Oxford 1985; Dirk Stegmann, Die Silverberg-Kontroverse. Unternehmerpolitik zwischen Reform und Restauration, in: Sozialgeschichte heute. Festschrift für Hans Rosenberg zum 70. Geburtstag, hrsg. von Hans-Ulrich Wehler, Göttingen 1974, S. 594—610; ders., Zum Verhältnis von Großindustrie und Nationalsozialismus 1930—1933. Ein Beitrag zur Geschichte der sog. Machtergreifung, in: Aß, Bd. 13 (1973), S. 399—482; Reinhard Neebe, Großindustrie, Staat und NSDAP1930—1933. Paul Silverberg und der Reichsverband der Deutschen Industrie in der Krise der Weimarer Republik, Göttingen 1981; ders., Unternehmerverbände und Gewerkschaften in den Jahren der Großen Krise 1929—1933, in: Geschichte und Gesellschaft, 9. Jg. (1982), S. 302—330; Heinrich August Winkler, Unternehmerverbände zwischen Ständeideologie und Nationalsozialismus, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Bd. 17 (1969), S. 341—371.

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Ganz anders liegt der Fall dagegen auf amerikanischer Seite, wo die Abschaffung des zwölfstündigen Doppelschichtsystems 1923/24 ohne gesetzlichen Zwang die Stabilität des amerikanischen Gesellschaftsund Regierungssystems deutlich untermauerte und daher die Frage nach den sozialen Voraussetzungen politischer Stabilität in demokratischen Gesellschaftsordnungen zwar im Kontext der zeitgenössischen Diskussion eine gewisse Rolle spielte, sich danach und bis heute jedoch weitgehend auf den Problembereich der „labor relations" verengte. Das gilt sowohl für die Geschichte der Arbeiterbewegung als auch für die Unternehmensgeschichte. Beide interessieren sich in erster Linie für die Rückwirkung des technisch-industriellen Fortschritts auf die Lage der Arbeiterschaft und für die spezifischen Faktoren und Rahmenbedingungen, die sozialen Wandel bewirken. Während in der Geschichte der Arbeiterbewegung der Schwerpunkt auf den strukturellen Voraussetzungen für eine gewerkschaftliche Organisierung der Arbeiterschaft liegt, deren Erfolg oder Mißerfolg als prägende Kraft für das soziale Antlitz der Industrie bewertet wird, 9 diskutiert die Unternehmensgeschichte den Kampf um kürzere Arbeitszeiten wie überhaupt die Verbesserungen der Lohn- und Arbeitsbedingungen im Zusammenhang mit der Ausbildung des „welfare capitalism" nach der Jahrhundertwende und begreift beides als eine parallele Entwicklung zur „bürokratischen Revolution" in der Wirtschaft aufgrund zunehmender Unternehmenskonzentration und der Ausbildung des modernen Managements, was erst die Einsicht in die Kostenträchtigkeit schlechter Arbeitsbedingungen eröffnete. 1 0 Mit anderen Worten: Die politische Qualität des Arbeitszeitkonflikts in der amerikanischen eisen- und stahlerzeugenden Industrie tritt deutlich in den Hintergrund und be-

9 David Brody, Steelworkers in America. The Nonunion Era, 2. Aufl., New YorkLondon 1969; ders., Labor in Crisis: The Steel Strike of 1919, Philadelphia-New York 1965; David Harvey Kelly, Labor Relations in the Steel Industry: Management's Ideas, Proposals, and Programs, 1920 to 1950, Diss. Bloomington 1976; Irving Bernstein, The Lean Years. A History of the American Worker, 1920—1933, Boston 1960; Philip Taft, TheAFL in the Times of Gompers, New York 1957; James O. Morris, Conflict within the AFL. A Study of Craft Versus Industrial Unionism, 1901—1938, Ithaka, N. Y . 1958. 10 So Alfred D. Chandler, Jr., The Visible Hand. The Managerial Revolution in American Business (1977), 6. Aufl., Cambridge, Mass.-London 1981; vgl. ferner Stuart D. Brandes, American Welfare Capitalism, 1880—1940, Chicago-London 1976, und Daniel Nelson, Managers and Workers. Origins of the New Factory System in the United States, 1880—1920, Madison, Wise. 1975; Stephen Scheinberg, The Development of Corporation Labor Policy, 1900—1940, Diss. University of Wisconsin 1967.

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schränkt sich größtenteils auf die Untersuchungen, die die Streikwelle in den Vereinigten Staaten während der unmittelbaren Nachkriegszeit in den Kontext der politisch-sozialen Reaktion einordnen 11 oder die Bemühungen nachzeichnen, den sozialen Konflikt durch staatlichvoluntaristische Vermittlung und sozialreformerische Fortschrittskonzepte mit stark technokratischem Einschlag einzudämmen, wie das Herbert Hoover als Secretary of Commerce in der ersten republikanischen Nachkriegsregierung, aber auch schon vorher beispielhaft vorexerzierte. 12 Der Unterschied in der historischen Rezeption und konzeptionellen Verarbeitung des Arbeitszeitkonflikts in der eisen- und stahlerzeugenden Industrie beider Länder signalisiert deutlich dessen ungleichgewichtigen politischen Stellenwert im jeweiligen nationalen Rahmen, was notwendigerweise zu der Frage nach der Vergleichbarkeit des Problems und dem Nutzen eines solchen Vergleiches führt. Kurz zusammengefaßt, bewogen sowohl die Ähnlichkeiten, wie sie sich in der intransigenten Haltung der deutschen und amerikanischen eisen- und stahlerzeugenden Industrie gegenüber dem achtstündigen Dreischichtsystem im Gegensatz zum überkommenen zwölfstündigen Zweischichtsystem manifestierten, als auch die zeitliche Überlappung der Konfliktaustragung in beiden Ländern zu diesem Vergleich, während es dessen Ziel und Zweck ist, zum einen zu erklären, warum sich die Arbeitszeitfrage in diesem Industriezweig überhaupt zu einem politischen Problem entwickeln konnte und wo die Ursachen für den Widerstand der Industrie gegen die Einführung des achtstündigen Schichtsystems liegen, zum anderen offenzulegen, warum die von außen oktroyierte Arbeitszeitverkürzung im amerikanischen Fall einen Adaptionsprozeß einleitete, während sich das gegenteilige Resultat auf deutscher Seite einstellte. Methodisch stellte sich deshalb die Frage, ob die industriespezifischen Probleme der Arbeitszeitfrage in der eisenund stahlerzeugenden Industrie den Fokus des Vergleichs bilden sollten oder den politischen und sozio-ökonomischen Rahmenbedingungen der Vorrang gebührt, ob also ein an den technisch-wirtschaftlichen,

" Vgl. Robert K. Murray, Red Scare: A Study in National Hysteria, 1919—1920, Minneapolis 1955, und David Mitchell, 1919: Red Mirage, London 1970, bes. S. 285ff. 12 Vgl. Charles Hill, Fightingthe Twelve Hour Day in the American Steel Industry, in: Labor History, vol. 15 (1974), No. 1, S. 19—35, und Robert H . Zieger, Republicans and Labor, Lexington, Ky. 1969, sowie Lawrence E. Gelfand (ed.), Herbert Hoover. The Great War and its Aftermath 1914—23, Iowa City 1979.

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betriebs- und unternehmensorganisatorischen oder arbeitsmarktpolitischen Problemen orientierter thematisch struktureller Ansatz dem Vergleich besser gerecht werden würde als eine den qualitativen politisch und gesellschaftlich determinierten Wandel des Arbeitszeitkonflikts nachzeichnende Darstellung. Die Entscheidung fiel zugunsten der politischen und sozio-ökonomischen Rahmenbedingungen und einer dadurch bedingten engeren Anlehnung an die chronologischen Orientierungslinien aus, obwohl die jüngeren Forschungen, die über die konkrete Analyse des technisch-sozialen Wandels am Arbeitsplatz oder einen arbeitsmarkttheoretischen Ansatz die Dynamik des sozialen Wandels im industriellen Entwicklungsprozeß zu erfassen versuchen, wertvolle Hilfestellung für die diesen Vergleich strukturierenden Fragestellungen lieferten. 13 Da es jedoch die Absicht dieser Untersuchung ist, ein strukturell grundsätzlich ähnliches Problem in seinen spezifisch nationalen Ausformungen zu analysieren, kommt es vor allem darauf an, die Wechselbeziehungen zwischen wirtschaftlicher Entwicklung, gesellschaftlichem Bewußtsein und staatlichem Handlungsvermögen deutlich zu machen, das heißt der jeweilig bedeutsamsten Entscheidungsebene Priorität einzuräumen. Ausschlaggebend war deshalb die Tatsache, daß die Problematisierung der Arbeitszeitfrage nicht innerhalb der deutschen und amerikanischen eisen- und stahlerzeugenden Industrie stattfand, sondern die Forderung nach kürzeren Arbeitszeiten stets von außen an sie herangetragen wurde, was den eigentlichen Kern des Problems ausmacht. Vorweg ist daran zu erinnern, daß die Komplexität des Arbeitszeitproblems allgemein in der eisen- und stahlerzeugenden Industrie erstens aus der betriebstechnisch bedingten kontinuierlichen Produktionsweise resultiert. Durch sie war eine allmähliche, stufenweise Arbeitszeitverkürzung, wie sie für andere Industriezweige charakteristisch ist, ausgeschlossen. Konkret bedeutete das vor dem Zweiten Weltkrieg die Wahl zwischen dem zwölfstündigen Doppelschichtsystem und dem achtstündigen Dreischichtsystem, und da seit der

13 Vgl. z.B. Harry Braverman, Labor and Monopoly Capital. The Degradation of Work in the Twentieth Century, New York-London 1974; David Montgomery, Workers Control in A merica. Studies in the History of Work, Technology, and Lahor Struggle, Cambridge, Mass.-London-New York 1979; Toni Pierenkemper/Richard Tilly (Hrsg.), Historische Arbeitsmarktforschung. Entstehung, Entwicklung und Probleme der Vermarktung von Arbeitskraft (= Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Bd. 49), Göttingen 1982.

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Jahrhundertwende zwölfstündige und längere Arbeitszeiten sowohl in den USA als auch im Deutschen Reich schon mehr die Ausnahme als die Regel bildeten, aber der Achtstundentag und die 48-Stundenwoche erst nach dem Ersten Weltkrieg zu einer Art Arbeitszeitnorm für die westlichen Industrieländer wurden, die national recht unterschiedlich in der Praxis zum Tragen kam, hatte die eisen- und stahlerzeugende Industrie die Wahl, sich entweder für Fortschritt oder Rückschritt zu entscheiden. Warum im Gegensatz zum englischen Beispiel sowohl im amerikanischen als auch im deutschen Fall die Entscheidung eindeutig gegen den das zwanzigste Jahrhundert kennzeichnenden sozialen Fortschritt und für die entschiedene Verteidigung der Arbeitsbedingungen, wie sie sich im 19. Jahrhundert etabliert hatten, ausfiel, versucht diese Untersuchung aufzuzeigen. Damit eng verknüpft ist die Frage nach der sozialen Weichenstellung von technischen Innovationen. In diesem Zusammenhang wird untersucht werden müssen, inwieweit die spezifische technologische Entwicklung der deutschen und amerikanischen eisen- und stahlerzeugenden Industrie das Problem der Arbeitszeitverkürzung in besonderem Maße komplizierte. Das bedeutet, daß der Prozeß der Dequalifikation der Arbeit ebenso wie die dadurch bedingte Umstrukturierung der Arbeiterschaft untersucht und insbesondere hinsichtlich der gestaltenden Kraft sowohl am Arbeitsplatz als auch für die Organisation von Unternehmertum und Arbeiterschaft analysiert werden muß. Daraus aber ergibt sich die weiterführende Frage, ob nicht die Ursache für die schon vor dem Ersten Weltkrieg einsetzende Politisierung der Arbeitszeitfrage in der deutschen und amerikanischen eisen- und stahlerzeugenden Industrie vorrangig in der wirtschaftlichen Leistungsstärke und Bedeutung sowie in der für diesen Industriezweig typischen fortgeschrittenen Unternehmenskonzentration, Trustifizierung beziehungsweise Kartellierung zu suchen ist. Zum einen trat dadurch das machtpolitische Ungleichgewicht zwischen organisiertem Unternehmertum und hilflos abhängiger Arbeiterschaft besonders krass zutage, was ebenfalls die Frage nach den strukturellen Defiziten der deutschen und amerikanischen Gewerkschaftsbewegung aufwirft, die vor allem das Gros der ungelernten Industriearbeiterschaft nicht erreichten. Zum anderen führte die Tatsache, daß die enorme wirtschaftliche Leistungsfähigkeit beider Industrien, die um die Jahrhundertwende zu den führenden Weltproduzenten aufgestiegen waren, mit hohen sozialen Kosten verbunden war, die einseitig auf die Arbeiterschaft abgewälzt werden konnten und damit letztlich zu Lasten der Gesellschaft

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gingen, gemäß der staatlich interventionistischen Tradition im deutschen Reich schon relativ früh zu ersten Versuchen, auf gesetzlichem Wege Abhilfe zu schaffen, während sich in den USA die politische Diskussion über die Legitimität von Trusts um die Komponente der sozialen Verantwortung erweiterte. Mit anderen Worten: Die Problematisierung der Arbeitszeitfrage setzte sowohl in der deutschen als auch in der amerikanischen eisen- und stahlerzeugenden Industrie unter massivem Druck von außen ein und bedingte ein gesellschaftliches Bewußtsein, das durch den Trend zu kürzeren Arbeitszeiten im Zuge der industriellen Entwicklung die sozialen Kosten überlanger Arbeitszeiten höher veranschlagte als die wirtschaftlichen Kosten kürzerer Arbeitszeiten. Obwohl jede Arbeitszeitverkürzung grundsätzlich zugleich auch immer eine Lohnfrage ist, war dieses Problem angesichts der kontinuierlichen Produktionsweise der eisen- und stahlerzeugenden Industrie notwendigerweise von zentraler Bedeutung. Die Tatsache, daß beim Ubergang vom zwölfstündigen Doppelschichtsystem zum achtstündigen Dreischichtsystem drei statt zwei Schichtbelegschaften nötig wurden, bildete ohne Zweifel das entscheidende Hindernis für eine Arbeitszeitverkürzung. Denn zumindest rein theoretisch bedingte die Einführung der Achtstundenschicht eine Aufstockung der Belegschaften um die Hälfte der Arbeiter, was unter der Voraussetzung eines gleichbleibenden Schichtlohnes für den einzelnen Arbeiter immerhin eine 50 %ige Erhöhung der Lohnkosten bedeutete. Allerdings stellt sich die Frage, ob diese rein rechnerische Annahme überhaupt realistisch und nicht vielleicht in erster Linie nur eine Schutzbehauptung der Arbeitgeber war, um sich andere tatsächliche oder vermeintliche Vorteile der Zwölfstundenschicht zu erhalten. Neben der Frage nach der Arbeitsproduktivität und den Möglichkeiten einer Arbeitsverdichtung durch kürzere Arbeitszeiten, den besonderen Erfordernissen des natürlichen Betriebsganges in den Hochofen-, Stahl- und Walzwerken sowie nach der Höhe des Lohnkostenanteils an den gesamten Produktionskosten ist deshalb weiter ausgreifend zu untersuchen, was die arbeitsmarktpolitischen Folgen der langen Arbeitszeiten waren und inwieweit sich das interindustrielle Ordnungsgefüge in Deutschland und den Vereinigten Staaten hinsichtlich der Arbeitszeitlänge und Lohnhöhe eher als Hemmnis denn als Hilfe für eine Arbeitszeitverkürzung erwies. So spielte die Tatsache der stärkeren Exportorientierung der deutschen im Vergleich zur amerikanischen Industrie eine wichtige Rolle, da dadurch die Frage nach der Wellenwirkung von Arbeitszeit-

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Verkürzungen sehr schnell zu einer Diskussion über die Notwendigkeit wurde, im internationalen Wettbewerb konkurrenzfähig zu bleiben. Dieser kurze Problemaufriß sollte auf die enge Einbindung der Arbeitszeitfrage in den spezifischen Werdegang dieses Industriezweiges aufmerksam machen, der, wie diese Untersuchung zeigen wird, grundlegend für den Prinzipiencharakter des Widerstandes der Industrie gegen Arbeitszeitverkürzung war. Allerdings erhielt das Arbeitszeitproblem durch die Erfahrung des Krieges eine neue Qualität, da das wirtschaftliche und politische Emanzipationsstreben der Arbeiterschaft sich nicht nur als das Recht auf gewerkschaftliche Organisation und Interessenvertretung artikulierte, sondern auch in der Forderung nach kürzeren Arbeitszeiten und Anerkennung des Achtstundentages als der gängigen Arbeitszeitnorm zum Ausdruck kam. Deshalb drohte durch die staatsdirigistische Lenkung der Kriegswirtschaft und den erstmals politisch unverzichtbaren staatlichen Protektionismus gegenüber der organisierten Arbeiterbewegung die etablierte Arbeiterpolitik sowohl der deutschen als auch der amerikanischen Industrie in Gefahr zu geraten, während die Höchstleistungen an Produktion, die beide Industrien unter den Zwängen der Kriegswirtschaft vollbrachten, wenig Anlaß dazu gaben, Zweifel an der Leistungsfähigkeit ihrer traditionellen sozialen und wirtschaftlichen Organisation auszulösen. Deshalb muß in dieser Untersuchung besonders auch der Frage nachgegangen werden, inwieweit sich das Arbeitszeitproblem dadurch entscheidend komplizierte, daß die Kriegserfahrung die Ablehnung der deutschen und amerikanischen eisen- und stahlerzeugenden Industrie gegenüber jeder sozialen Einmischung von außen verstärkte und zugleich auch ihre ohnehin schon ausgeprägte Gewerkschaftsfeindlichkeit noch intensivierte. Wie das Beispiel der amerikanischen eisen- und stahlerzeugenden Industrie zeigen wird, war eine wichtige Voraussetzung für die dauerhafte Lösung des Arbeitszeitproblems in der Nachkriegszeit die erfolgreiche Trennung der Arbeitszeit- von der Gewerkschaftsfrage. Vielleicht aber war noch wichtiger, daß sich der Ubergang zum achtstündigen Dreischichtsystem unter den günstigen Bedingungen wirtschaftlicher und politischer Stabilität vollzog, was verhinderte, daß sich angebliche wirtschaftliche Notwendigkeiten untrennbar mit politischen Absichten vermischten, wie das auf deutscher Seite durch den verlorenen Krieg und die Revolution von 1918 zur Regel wurde, und zwar in einem Maße, daß die Arbeitszeitfrage zu einem Prüfstein für die Legitimität staatlichen Handelns und die Legitimation der Weimarer Re-

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publik sowie zu einem politischen Machtkampf zwischen Industrie und organisierter Arbeiterschaft werden konnte. Der Feststellung, daß die Abschaffung des zwölfstündigen Zweischichtsystems die „Achillesverse" des Arbeitszeitkonflikts in der Weimarer Republik darstellte und der Kampf für oder gegen den Achtstundentag auch im Bewußtsein der Beteiligten und Betroffenen in erster Linie eine „politische Machtfrage" war,14 ist deshalb uneingeschränkt zuzustimmen. Dennoch wird danach zu fragen sein, inwieweit die vergleichende Analyse das „Politikum" des Achtstundentages ebenso relativiert wie die einseitige kausale Anbindung des Arbeitszeitkonflikts an die traditionelle Gewerkschaftsfeindlichkeit, an die sozial und politisch reaktionäre Grundhaltung der deutschen eisen- und stahlerzeugenden Industrie, die allerdings, und darüber kann kein Zweifel bestehen, durch den ständigen Arbeitszeitkonflikt erheblich intensiviert wurde. Pointiert ausgedrückt, wird deshalb hier untersucht werden müssen, ob Ursache und Ausgangspunkt des Arbeitszeitkonflikts tatsächlich originär in der reaktionären Ausrichtung der Industrie begründet lagen oder ob deren Gewerkschaftsfeindlichkeit mit allen daraus resultierenden politischen und wirtschaftlichen Konsequenzen nicht vielmehr durch die konkreten und vermeintlichen Vorteile erheblich verschärft wurde, die das zwölfstündige Doppelschichtsystem diesem Industriezweig wegen des spezifischen Produktionscharakters bot. Die Frage nach dem Primat von politischen gegenüber wirtschaftlichen Gründen und umgekehrt ist daher für diese Untersuchung von zentraler Bedeutung. Dabei ist zu berücksichtigen, daß unter den wirtschaftlichen, sozialen und politischen Rahmenbedingungen der Weimarer Republik die Chancen für einen Lernprozeß hinsichtlich der positiven Auswirkungen kürzerer Arbeitszeiten denkbar schlecht waren und in gewisser Weise das Anpassungsvermögen der Industrie vielleicht sogar überforderten, wenn man den hartnäckigen Widerstand der amerikanischen eisen- und stahlerzeugenden Industrie trotz ungleich günstigerer Bedingungen zum Vergleichsmaßstab nimmt. Deshalb ist es auch sehr kennzeichnend, daß die publizistische Schlacht um die kostenmäßigen Vor- und Nachteile, höhere oder niedrigere Produktivität der zwölfstündigen gegenüber achtstündigen Schichten in den USA zu einer Domäne der wissenschaftlichen Betriebsführung wurde und sich auf die Frage der Effizienz von Werkslei-

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Vgl. B. Weisbrod, Schwerindustrie...,

S. 305f. u. 332.

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tung und Belegschaft zuspitzte, 15 während in Deutschland mit Statistiken über Produktionshöhe und Arbeitsleistung operiert wurde, die samt und sonders höchst fragwürdigen Beweischarakter besitzen und zum Teil relevanter sind für den wirtschaftlichen Raubbau an Mensch und Maschine während des Krieges und den dadurch bedingten Produktionsabfall nach Kriegsende als für die Klärung des Verhältnisses zwischen Arbeitszeitlänge und Arbeitsleistung. 16 Damit stellt sich die generelle Frage nach den Schwierigkeiten eines internationalen Vergleichs aufgrund der unterschiedlichen Quellenlage. 17 Auf deutscher Seite involvierte die Arbeitszeitfrage nicht zuletzt wegen der ausgeprägten Tradition der Staatsintervention und, wie noch nachzuweisen sein wird, ihres wesentlich höheren politischen Stellenwertes die Regierung und eine Reihe staatlicher Instanzen und Institutionen ebenso wie die einzelnen Unternehmen, Unternehmerverbände und Gewerkschaften. Entsprechend gut, und zwar sowohl in bezug auf die publizierten Quellen als auch hinsichtlich des Archivmaterials ist das Spektrum des Spannungsverhältnisses, in dem die Arbeitszeitfrage angesiedelt war, abgedeckt. Als besonders ergiebig erwiesen sich die Akten der Reichskanzlei, die mittlerweile ediert sind, ferner die Sitzungsprotokolle und Rundschreiben des VDESI sowie anderer Unternehmerverbände und vor allem die Korrespondenzen, Statistiken und Verhandlungsberichte in den Archiven der verschiedenen Industrieunternehmen, während man für die Gewerkschaften in erster Linie auf die zahlreichen publizierten Quellen zurückgreifen muß. Demgegenüber nimmt sich das Quellenmaterial auf amerikanischer Seite sowohl für die Gewerkschafts- als auch für die Unternehmensseite überaus spärlich aus, ein Umstand, der zum einen aus der Unzugänglichkeit der amerikanischen Industriearchive beziehungsweise deren Nichtexistenz resultiert, zum anderen aber auch die Folge der Tatsache ist, daß die amerikanische eisen- und stahlerzeugende Industrie erst in den 1930er Jahren gewerkschaftlich organisiert wurde und die amerika15 Vgl. exemplarisch: Federated American Engineering Societies, Committee on Work-Periods in Continuous Industry, The Twelve-Hour Shift in Industry, New York 1922, sowie Edwin T. Layton, The Revolt of the Engineers. Social Responsibility and the American Engineering Profession, Cleveland-London 1971.

" Vgl. bes. Karl Knackfuß, Die Arbeitszeitfrage in der rheinisch-westfälischen Eisenund Stahlindustrie, Diss. Köln 1927, und O t t o Hoffmann, Arbeitsdauer und gewerbliche Produktion Deutschlands nach dem Weltkriege. Eine wirtschaftspolitische Studie (= Schriften der deutschen Gesellschaft für soziales Recht, H. 8), Stuttgart 1922. 17 Siehe den ausführlichen Archivbericht im Anhang.

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nische Gewerkschaftsbewegung in den zwanziger Jahren einen drastischen Bedeutungsverlust erlitt. Dieses Defizit an Archivmaterialien wird teilweise durch die zahlreichen publizierten Quellen ausgeglichen, die den verschiedenen Untersuchungen des amerikanischen Kongresses und der Tätigkeit des U . S . Bureau of Labor zu verdanken sind. Zudem erlaubt der voluminöse Nachlaß des Stahlindustriellen William B. Dickson zumindest einige Einblicke in Unternehmensstrategien und -denkweisen. Besonders informativ aber sind die ausführlichen Berichte und Dokumentationen, die von Sozialreformern und kirchlichen Kreisen herausgegeben wurden, denn diese befaßten sich häufig über einen längeren Zeitraum hinweg mit der sozialen Lage der Eisen- und Stahlarbeiter und sehr spezifisch auch mit der Arbeitszeitfrage. Die Urmaterialien dieser Studien sowie entsprechende Korrespondenzen sind bruchstückhaft in verschiedenen Nachlässen zu finden, während das letzte Stadium des Arbeitszeitkonflikts im Nachlaß des Präsidenten Herbert Hoover gut dokumentiert ist. Alles in allem wirft daher die unterschiedliche nationale Quellenlage keine schwerwiegenden methodischen Probleme auf, obwohl es unzweideutig ein Mangel ist, daß auf deutscher Seite die Klärungsprozesse im Unternehmerlager besser erfaßbar sind, während man sich für die amerikanische Seite vorwiegend mit schon auf die Öffentlichkeit zielenden Aussagen begnügen muß. T r o t z der sehr unterschiedlichen Perzeption des politischen Stellenwertes der eisen- und stahlerzeugenden Industrie sowie der Relevanz ihrer wirtschaftlichen und sozialen Probleme in der amerikanischen und deutschen Forschung profitierte diese Untersuchung entscheidend von verschiedenen Studien über diesen Industriezweig. Allerdings existieren nur wenige vergleichende Untersuchungen, die sich zudem auf bestimmte Unterschiede in der produktionstechnischen und betriebsorganisatorischen Entwicklung beschränken und daraus teilweise Erklärungsmuster für Produktivitätsdivergenzen ableiten. 18 Ein Versuch, die Arbeiterfrage oder die Arbeitsverhältnisse, wie sie sich in diesem Industriezweig darstellen, einmal vergleichend zu analysieren und so der durch den spezifischen technischen und wirtschaftlichen Entwicklungsgang bedingten besonderen sozialen Problematik dieser Industrie nachzuspüren, fehlt bisher, und diese Lücke soll die vorlie18

Vgl. David S. Landes, The Unbound Prometheus: Technological Change and Industrial Development in Western Europefrom 1750 to the Present, Cambridge, Mass. 1969, 3. Aufl., 1972; Norman J. G. Pounds, Coal and Steel in Western Europe. The Influence of Resources and Techniques on Production, Bloomington, Ind. 1957.

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gende Untersuchung über das Arbeitszeitproblem unter anderem schließen helfen. Überaus wertvolle Kenntnisse über die Entwicklung der Arbeitsverhältnisse und den Prozeß der Umstrukturierung der Arbeiterschaft in der amerikanischen eisen- und stahlerzeugenden Industrie vermittelt die Studie von David Brody, der aufzeigt, wie sich im Verlauf des Ubergangs der Industrie zu einer hochtechnisierten und -mechanisierten Großindustrie die Arbeiterfrage immer stärker auf die Lohnkostenfrage reduzierte und wie trotz erheblicher Protestbereitschaft der Arbeiterschaft diese zunehmend machtpolitisch in eine hoffnungslos unterlegene Position geriet. 1 9 Die Tatsache, daß die Industrie frühzeitig nicht nur auch zu einer Industrie der ungelernten Arbeiter wurde, sondern dadurch vor allem zu einer Industrie der ost- und südeuropäischen Einwanderer, was die Arbeitsbedingungen und Arbeitsbeziehungen in diesem Industriezweig nachhaltig prägte, wird noch plastischer durch die mittlerweile vorliegenden Lokal- und Regionalstudien, die sich intensiv mit der Situation der Immigranten auseinandersetzen, deren Chancen für ethnische Selbstbehauptung ausloten und trotz unverkennbarer Assimilierungsprozesse der These vom amerikanischen „melting p o t " durchweg kritisch gegenüberstehen, nicht zuletzt wegen der wirtschaftlichen und sozialen Diskriminierung, die für die Einwanderer aus Süd- und Osteuropa eine ebenso allgemeine Erfahrung war wie für die schwarzen Arbeiter, wenn auch nicht in einer so dauerhaften und scharfen Form. 2 0 Wesentlich eingehender als Brody, dessen Studie ebenfalls noch die Zeit des Ersten Weltkrieges und der Demobilmachung miteinschließt, behandelt Melvyn I. Urofsky das Spannungsverhältnis zwischen Industrie und Staat unter der Regierung des Präsidenten Woodrow Wilson 1912 bis 1920 und macht deutlich, daß die Bemühungen der Industrie, zu einem positiven Verhältnis zur Regierung zu kommen und auf diesem Wege das leidige Antitrustproblem zu entschärfen, sich allein auf den wirtschaftlichen Bereich erstreckten, während man einer ähnlichen Kooperation der Regierung mit der organisierten Arbeiterbewegung mit entschiedenem Mißtrauen gegenüberstand und deshalb ver" D. Brody, Steelworkers...

(wie Anm. 9).

Vgl. John Bodnar, Immigration and Industrialization. Ethnicity in an American Mill Town, 1870—1940, Pittsburgh 1977; ders./Roger Simon/Michael Weber, Lmes of Their Own: Blacks, Italians, and Poles in Pittsburgh, 1900—1960, Urbana-ChicagoLondon 1982; Frank H. Serene, Immigrant Steelworkers in the Monangahela Valley: Their Communities and the Development of a Lahor Class Consciousness, Diss. Pittsburgh 1979. 20

Einleitung

17

suchte, alle staatlichen Eingriffe in die Arbeiterangelegenheiten nach Möglichkeit zu verhindern. 21 Dabei wird deutlich, wie sehr die amerikanische Regierung in der Kriegswirtschaft gerade auf den hohen O r ganisationsgrad und den ausgebildeten bürokratischen Apparat der Großindustrie angewiesen war. Diese Tatsache führte letztlich zur Legitimierung der oligopolistischen Wirtschaftskonzentration, während die erstarkte M a r k t m a c h t von Arbeiterschaft und Gewerkschaften während des Krieges mit dem schnellen Rückzug der Regierung aus der Wirtschaft nach Kriegsende nicht nur in sich zusammenbrach, sondern es der Industrie allgemein ermöglichte, die „Kriegsgewinne" der Arbeiterschaft wieder rückgängig zu machen. Sehr klar zeigen daher sowohl Brody als auch Urofsky, um wie vieles stärker die eisenund stahlerzeugende Industrie — wie die Großindustrie allgemein — aus dem Ersten Weltkrieg hervorging, während die sich anbahnende ähnliche Entwicklung einer allgemeinen Anerkennung von Arbeiterorganisation und Gewerkschaften infolge der staatlichen Enthaltsamkeit dagegen wieder rückgängig gemacht werden konnte. Im Unterschied zu zeitgenössischen Betrachtern, vor allem im Lager der Sozialreform, sparen jedoch beide, Brody und Urofsky, die Frage nach der politischsozialen Notwendigkeit eines relativen Kräftegleichgewichts zwischen Industrie und Arbeiterschaft, die sich gerade im Kampf um die Abschaffung der Zwölfstundenschichten stellte, weitgehend aus. Deshalb messen sie der Arbeitszeitfrage gegenüber dem mißglückten Versuch einer gewerkschaftlichen Organisation der Arbeiterschaft in der eisenund stahlerzeugenden Industrie nur untergeordnete Bedeutung bei und sehen in der politisch erzwungenen Einführung des achtstündigen Dreischichtsystems 1923 eine Art Trostpflaster, das die Arbeiterschaft in erster Linie der zähen Rührigkeit einiger Sozialreformer und bekannter Persönlichkeiten zu verdanken hatte. 2 2 Die Zeit von der Gewerkschaftsniederlage 1919/20 bis zum „golden Age" der Stahlarbeitergewerkschaft nach dem Zweiten Weltkrieg untersucht David Kelly, der die Lohn- und Arbeitszeitentwicklung in den zwanziger Jahren nur kurz skizziert, sich ansonsten aber darauf konzentriert darzulegen, wie schwer sich die eisen- und stahlerzeugende Industrie als Block t r o t z der progressiven Führungsrolle der U S S C in

21

Vgl. Melvyn I. Urofsky, Big Steel and the Wilson Administration. A Study in Business-Government Relations, Columbus, Ohio 1969; Gerald D. Feldman, Army, Industry and Labor, Princeton, N . J . 1966. 22 So auch Ch. Hill, Fighting..., in: Labor History, vol. 15 (1974), No. 1, S. 19—35.

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den dreißiger Jahren tat, die Umkehr vom Wohlfahrtskapitalismus zur Anerkennung der Gewerkschaften und eine Regelung der Arbeitsverhältnisse durch Tarifvertrag zu vollziehen. 23 Ohne die staatliche Protektion durch die New Deal-Gesetzgebung und den Rüstungsboom des Zweiten Weltkrieges wären die Erfolgschancen für eine durchgreifende gewerkschaftliche Organisation dieses Industriezweigs in der T a t sehr gering gewesen, wie er zu R e c h t feststellt, denn wie vor und nach dem Ersten Weltkrieg bestanden verschiedene Konzernleitungen unnachgiebig auf ihrer uneingeschränkten Dispositionsfreiheit vor allem im sozialen Bereich und wehrten sich entschieden gegen die ihnen mittels staatlicher Protektion oktroyierte „Gewerkschaftsherrschaft", von der sie sich nur Nachteile, aber keine Vorteile versprachen. Daß die deutsche eisen- und stahlerzeugende Industrie trotz ihrer extrem gewerkschaftsfeindlichen Tradition aus Selbsterhaltungstrieb während der Revolution 1918 sehr schnell zu einer engen Kooperation mit den Gewerkschaften fand und von diesem Zweckbündnis in den ersten Jahren der Weimarer Republik nicht unmaßgeblich profitierte, zeigen die Studien von Gerald D. Feldman über diesen Industriezweig im und nach dem Ersten Weltkrieg. 24 Dabei wird deutlich hervorgehoben, in welchem Ausmaß die wirtschaftlichen Interessen dieser Industrie ihre wirtschaftlich-politische Allianzenbildung determinierten, was sowohl die Flexibilität als auch die Rücksichtslosigkeit ihres politischen Handelns verursachte und darüber hinaus erklärt, wieso die Industrie trotz ihrer Bollwerkfunktion gegen alle staatlichen Versuche einer integrativen politischen und sozialen Öffnung gegenüber der organisierten Arbeiterschaft während des Krieges zu einer der ersten und wichtigsten Vertragspartner der Gewerkschaften bei Kriegsende werden konnte. Gleiches gilt auch für ihre allerdings weit weniger überraschende erneute Wende gegen die organisierte Arbeiterschaft, als sich das Ende der Inflation abzeichnete und die Industrie sich erheblichen wirtschaftlichen Schwierigkeiten ausgesetzt sah. Die Rücksichtslosigkeit, mit der die Industrie gegen die durch die Inflation und den Ruhrkrieg geschwächten Gewerkschaften vorging, um diese wegen ihrer geringen Nachgiebigkeit gleichzeitig mit dem Achtstundentag wieder zu Fall zu bringen, führte nach Feldman zu einer nachhaltigen Vergiftung des politischen und sozialen Klimas in der Weima-

25

Siehe Anm. 9.

24

Vgl. Anm. 5 und 13.

19

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rer Republik. 2 5 Während die Untersuchungen von Feldman mit dem Paradigma der politischen Ökonomie operieren und die wechselnde Stärke der verschiedenen Interessengruppen in ihrer Allianzenbildung sowie hinsichtlich ihres Einflusses auf den Ordnungsfaktor Staat untersucht wird, stellt die Studie von Hans-Henning Herzog über die Ö k o nomie und Politik des Achtstundentages von 1918 bis 1926 die Arbeitszeitkämpfe in dieser Zeit in die Dichotomie des Klassenkampfes hinein. 26 Dadurch erhält die Arbeitszeitfrage einen fast fatalistischen Charakter, vor allem was die Handlungsmotivation der Arbeitgeber anbelangt, so daß die Komplexität des Arbeitszeitkonflikts unangemessen reduziert wird. Dennoch ist seine Studie im politischen Detail recht kenntnisreich, greift aber aufgrund der Voraussetzung, daß eine Arbeitszeitverlängerung grundsätzlich eine höhere Verwertung des Kapitals bedeutet, erneut zu kurz, denn nicht allen Industriezweigen war gleichermaßen an einer Arbeitszeitverlängerung gelegen, wohl aber an einer Abschaffung des Achtstundentages, wie vor allem Ulrich Nocken in seiner Untersuchung der Interessenkonvergenzen und -divergenzen zwischen verarbeitender Industrie und Schwerindustrie in der zweiten Hälfte der Weimarer Republik kurz ausführt. 27 Außerhalb der Schwerindustrie und der Textilindustrie ging es vor allem um größere Flexibilität bei der Regelung der Arbeitszeit, da zum Beispiel in der Elektround metallverarbeitenden Industrie die hohe Arbeitsintensität und Arbeitsqualität eine Ausweitung der Arbeitszeit wenig sinnvoll erscheinen ließen. 28 Das Mißverhältnis zwischen erfolgreichem wirtschaftlichen Wiederaufbau und hohen Produktivitätsgewinnen in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre einerseits und der rigorosen Beibehaltung einer Konfrontationspolitik in der Arbeitszeitfrage und gegen die Gewerkschaften andererseits, veranlaßt Bernd Weisbrod dazu, 29 der unnachgiebigen Haltung der Schwerindustrie in der Arbeitszeitfrage in erster Linie politische Motive zuzuschreiben, die aufgrund der Einbindung der organisierten und sozialistischen Arbeiterschaft in den Weimarer Staat sowie infolge der antidemokratischen Tradition dieses

25 Vgl. G. D. Feldman, Iron and Steel..., Kap. 6, sowie G. D. Feldman/I. Steinisch, Die Weimarer Republik..., in: Aß, Bd. 18 (1978), S. 353—439. 26 Siehe Anm. 4. 27 Siehe Anm. 6. 28 Vgl. Jürgen Bönig, Technik, Rationalisierung und Arbeitszeit Republik, in: Technikgeschichte, Bd. 47 (1980), S. 303—324. 29 Siehe Anm. 5.

in der

Weimarer

20

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Industriezweigs sich letztlich gegen die Republik richteten. In der T a t zeichnet Weisbrods überaus fundierte und interessante Studie akribisch die Diskrepanz nach zwischen den tatsächlichen Gründen für die wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Schwerindustrie und deren Einschätzung als angeblich durch politische Ursachen bedingt durch die Industrie selbst. Gleichzeitig wird deutlich, wie sehr die Schwerindustrie ihre wirtschaftspolitische Dominanz und ihr verbandspolitisches Schwergewicht rigoros für eine einseitige Interessenpolitik auszunutzen verstand und beständig versuchte, ihre wirtschaftlichen Probleme auf den Staat und die gesamte Wirtschaft abzuwälzen, was mit unterschiedlichem Erfolg auch gelang. In dieser Hinsicht war die Arbeitszeitfrage ohne Zweifel vorrangig eine politische Frage, deren Ursprünge allerdings wirtschaftlicher und betriebstechnischer Natur waren, eine Tatsache, die infolge der Brisanz der öffentlich-politischen Diskussion über den Achtstundentag und die ständige Uberlagerung der Tarifverhandlungen durch das Arbeitszeitproblem leicht aus dem Blickfeld gerät. Abschließend ist noch anzumerken, daß die Untersuchungen über die langfristige Entwicklung der Arbeitszeitlänge in Industrie und Wirtschaft lediglich für den allgemeinen Trendverlauf, den interindustriellen Vergleich relevant waren, während für die spezifische Situation in der eisen- und stahlerzeugenden Industrie die dort aufzufindenden Durchschnittswerte die Realität unzureichend widerspiegeln, da sie naturgemäß weder die Variationen in der Arbeitszeitlänge für die verschiedenen Arbeiterkategorien noch die Uberstunden und komplexen Pausenregelungen berücksichtigen. 3 0 Gleiches gilt für das Verhältnis der Untersuchungen über längerfristige Lohnentwicklungen zu der realiter sehr differenzierten Lohnregelung aufgrund der Gemengelage von Zeitlohn und Prämien- sowie Akkordsystemen, Tariflohn und Zusatzvergütungen. Deshalb mußte sich diese Untersuchung damit begnügen, die Lohnfrage auf den Lohnkostenanteil an den Produk-

30 Detaillierte Angaben zur Literatur finden sich in den jeweiligen Kapiteln. Hier soll deshalb nur auf die wenigen wichtigen statistischen Uberblickswerke verwiesen werden. Vgl. Ruth Meinen, Die Entwicklung der Arbeitszeit in der deutschen Industrie 1820— 1956, Diss. Münster 1958; Jürgen und Marguerite Kuczynski, Die Lage des deutschen Industrie-Arbeiters, Berlin 1931, ferner den neuesten historischen Überblick von Michael Schneider, Streit um A rbeitszeit. Geschichte des Kampfes um A rbeitszeitverkürzung in Deutschland, Köln 1984, sowie U. S. Bureau of the Census, Historical Statistics of the United States. Colonial Times to 1957, Washington, D. C. 1960.

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t i o n s k o s t e n u n d d e n L o h n a u s g l e i c h bei A r b e i t s z e i t v e r k ü r z u n g z u r e duzieren.31 D e n n o c h soll k u r z a u f die j ü n g s t e d e u t s c h e F o r s c h u n g s d e b a t t e h i n g e w i e s e n w e r d e n , d i e v o n K n u t B o r c h a r d t in G a n g g e b r a c h t w u r d e u n d die v o n s e i n e r u m s t r i t t e n e n T h e s e a u s g e h t , d a ß — k n a p p z u s a m m e n g e f a ß t — a u f d e u t s c h e r S e i t e d i e L o h n e n t w i c k l u n g die P r o d u k t i v i t ä t s e n t w i c k l u n g ü b e r h o l t e u n d d e s h a l b d i e I n v e s t i t i o n s s c h w ä c h e u n d die w i r t schaftlichen

Schwierigkeiten der W e i m a r e r

Republik

ihre

Ursache

m ö g l i c h e r w e i s e in e i n e m z u h o h e n L o h n n i v e a u h a t t e n , w a s n i c h t z u l e t z t auf die dirigistischen s t a a t l i c h e n Eingriffe m i t t e l s des Schlicht u n g s s y s t e m s z u r ü c k z u f ü h r e n s e i . 3 2 D i e s e T h e s e z i e l t in d i e g l e i c h e R i c h t u n g w i e d i e B e h a u p t u n g e n u n d K l a g e n , d i e d i e A r b e i t g e b e r in d e r z w e i t e n H ä l f t e d e r z w a n z i g e r J a h r e u n e n t w e g t v o r b r a c h t e n u n d die i n s b e s o n d e r e a u c h die d e u t s c h e eisen- u n d s t a h l e r z e u g e n d e Industrie s t ä n d i g e r h o b . A l l e r d i n g s z e i g t d i e U n t e r s u c h u n g v o n W e i s b r o d , 3 3 wie

31 Vgl. bes. Walther G. Hoffmann, Die branchenmäßige Lobnstruktur der Industrie. Ein intertemporaler und internationaler Vergleich, Tübingen 1961; ferner Rainer Skiba/ Hermann Adam, Das westdeutsche Lohnniveau zwischen den beiden Weltkriegen und nach der Währungsreform, Köln 1974; Gerhard Bry, Wages in Germany 1871—1945, Princeton, N. J . 1960; Paul H . Douglas, Real Wages in the United States, 1890—1926, 1930, Nachdruck: New York 1966. Aufschlußreich dagegen für Vergleiche mit der Arbeitszeitproblematik heute: Claus Offe/Karl Hinrichs/Helmut Wiesenthal (Hrsg.), A rbeitszeitpolitik. Formen und Folgen einer Neuverteilung der A rbeitszeit, Frankfurt/M.New York 1982. 32 Knut Borchardt, Zwangslagen und Handlungsspielräume in der großen Wirtschaftskrise der frühen dreißiger Jahre. Zur Revision des überlieferten Geschichtsbildes, in: Jahrbuch der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 1979, S. 85—132, wiederabgedruckt in: ders., Wachstum, Krisen, Handlungsspielräume der Wirtschaftspolitik. Studien zur Wirtschaftsgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts (= Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Bd. 50), Göttingen 1982, S. 165—182. Siehe demgegenüber die These von Theo Balderston, The Origins of Economic Instability in Germany 1924—1930. Market Forces versus Economic Policy, in: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Bd. 69 (1982), H. 4, S. 488—514, daß die staatliche Schlichtung keine entscheidenden Verzerrungen in der Lohnentwicklung bewirkt habe, sondern letztere weitgehend marktorientiert verlaufen sei. Vgl. ferner die sehr aufschlußreiche Kritik an Borchardts These und methodischem Vorgehen von Carl-Ludwig Holtfrerich, Alternativen zu Brünings Wirtschaftspolitik in der Weltwirtschaftskrisef, in: Historische Zeitschrift, Bd. 235 (1982), H. 3, S. 605—631, und vor allem ders., Zu hohe Löhne in der Weimarer Republikf Bemerkungen zur Borchardt-These, in: Geschichte und Gesellschaft (im folgenden G G zitiert), 10. Jg. (1984), H. 1, S. 122—141; ferner Claus-Dieter Krohn, „Ökonomische Zwangslagen" und das Scheitern der Weimarer Republik, in: GG, 8. Jg. (1982), S. 415— 426, sowie die Antwort von Borchardt, in: G G , 9. Jg. (1983), S. 124—137.

Vgl. im folgenden B. Weisbrod, Schwerindustrie..., S. 87. 33

bes. Kap. I und S. 53 ff. sowie

22

Einleitung

auch die zeitgenössische, großangelegte Wirtschaftsenquete der Regierung schon nachwies,34 daß in dem speziellen Fall der eisen- und stahlerzeugenden Industrie die Lohnentwicklung nicht mit der enormen Produktivitätsentwicklung in diesem Industriezweig Schritt hielt und daß, wie Weisbrod nicht ohne Erstaunen vermerkt, die Klagen der Industrie hinsichtlich der zu hohen und angeblich ständig steigenden Sozialbelastungen erheblich durch die Tatsache relativiert werden, daß die freiwilligen sozialen Leistungen der Industrie zwischen 1925 und 1929 wesentlich stärker zunahmen als die staatlicherseits auferlegten Soziallasten. Ferner ist das angeblich zu hohe Lohnniveau im Zusammenhang mit dem nachfragebestimmten Auslastungsgrad der Industrie zu sehen, denn das Lohnproblem in diesem Industriezweig und damit zum Teil auch der Arbeitszeitkonflikt resultierte in erster Linie aus den hohen fixen Kosten, aus den kapitalmäßigen Belastungen, die aus dem disproportionalen Verhältnis von Kapazitäts- und Absatz- sowie ungünstiger Preisentwicklung resultierten. Gerade aber der besondere Fall der eisen- und stahlerzeugenden Industrie gibt wegen ihres wirtschaftlichen und politischen Gewichts Anlaß zu der Frage, inwieweit Fehlinvestitionen in der Perspektive einer volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung nicht auch das Ergebnis von hochkonzentrierter Wirtschaftsmacht sind, wie es für die eisen- und stahlerzeugende Industrie durch hohe Unternehmenskonzentration und extensive Kartellbildung der Fall war. Mit anderen Worten: Es sollte ebenfalls berücksichtigt werden, inwieweit durch sehr starke Monopolgruppen in der Wirtschaft bei gleichzeitig unzureichender öffentlichstaatlicher Kontrolle dieser monopolistischen Tendenzen Krisensituationen entstehen können oder geschaffen werden, die sich nicht nur in einem verschärften Verteilungskonflikt, sondern auch in mangelnder Investitionsfähigkeit anderer Industrien mit marktmäßig besseren Wachstumschancen niederschlagen. Im Fall der deutschen eisen- und stahlerzeugenden Industrie wären zum Beispiel konkret die Auswirkungen eines beengten Kapitalmarkts sowie der künstlichen Uberteuerung der Eisen- und Stahlerzeugnisse durch die Kartellstruktur dieses

34

Ausschuß zur Untersuchung der Erzeugungs- und Absatzbedingungen der deutschen Wirtschaft, Die deutsche eisenerzeugende Industrie. Verhandlungen und Berichte des Unterausschusses für Gewerbe (III. Unterausschuß), Berlin 1930, sowie die detaillierte Analyse der Enquete-Berichte in Jakob Strohe, Der Streit um den Enquetebericht über die Eisen schaffende Industrie (mit besonderer Berücksichtigung der Bilanz-, Kapazitäts-, Lohn- und Preisfragenj, Diss. Köln 1936, bes. S. 76—110 u. 180 ff.

Einleitung

23

Industriezweiges zu untersuchen. Z u m Schluß sei noch kurz angemerkt, daß für die amerikanische eisen- und stahlerzeugende Industrie und noch stärker für die amerikanische Industrie insgesamt eine stark steigende Produktivitätsentwicklung gegenüber einer fast stagnierenden Nominallohnentwicklung in den zwanziger Jahren festzustellen ist und daraus die Schlußfolgerung gezogen wurde, daß eine der Ursachen der sich seit Ende 1928 in den U S A anbahnenden Wirtschaftskrise, die sich zur Weltwirtschaftskrise entwickelte, vielleicht in der allzu einseitigen staatlichen Begünstigungspolitik von „Big Business" zu suchen ist. Wie der Generaldirektor der zum Stinneskonzern gehörenden DeutschLuxemburgischen Bergwerks- und H ü t t e n A G Albert Vogler 1919 sicherlich in ernster Uberzeugung feststellte, hatte „die Arbeiterschaft der W e l t " zwar den Krieg gewonnen, 3 5 doch k o n n t e sie die Ernte erst nach dem Zweiten Weltkrieg in die Scheuer einfahren. Das galt hinsichtlich der Legitimität von Gewerkschaften als eines notwendigen wirtschaftlichen und machtpolitischen Gegenpols ebenso wie in bezug auf die wirtschaftliche Einsicht, daß kürzere Arbeitszeiten und ein vergleichsweise hohes Lohnniveau den technisch-industriellen Fortschritt beschleunigen können und sich deshalb nicht nur gesellschaftlich und politisch bezahlt machen, sondern auch wirtschaftlich auszahlen. W e n n man daher politisch argumentiert, was zulässig ist, sollte man gesellschaftlich und wirtschaftlich notwendige Anpassungen an neue Arbeitsmethoden nicht unnötig durch Inflexibilität bei der Regelung der Arbeitsbedingungen erschweren. Es bleibt zu hoffen, daß das gegenwärtige Zeitalter der „elektronischen Revolution" sich diese mühselig erworbenen und überaus kostspieligen Einsichten aus der „industriellen Revolution" schneller zu eigen macht.

55

Siehe Denkschrift vom 12. 7. 1919, Historisches Archiv der Gutehoffnungshütte Oberhausen (im folgenden H A / G H H zitiert), Nr. 3000030/17.

ERSTES KAPITEL

Der Stand der Arbeitszeitfrage vor dem Ersten Weltkrieg

Im Februar 1906 erhob der Gewerkschaftsführer des sozialistischen Bergarbeiterverbandes Otto Hue im Reichstag öffentlich Anklage gegen die unmenschlichen Arbeitsbedingungen in der deutschen eisenund stahlerzeugenden Industrie. Hauptangriffspunkt bildeten die überlangen Arbeitszeiten, das heißt das System der zwölfstündigen Doppelschicht mit seiner 14täglich wiederkehrenden 24stündigen Wechselschicht sowie das Uberstundenunwesen, das auch vor Sonn- und Feiertagen nicht haltmachte. Um keinen Zweifel darüber zu lassen, in welchem Ausmaß die Arbeiterschaft in der eisen- und stahlerzeugenden Industrie zu reinen Arbeitssklaven degradiert wurde, gab er ein Beispiel: Im Eisen- und Stahlwerk Hoesch in Dortmund hatte ein Arbeiter im Monat Februar des vorangegangenen Jahres 42 Schichten a 12 Stunden abgeleistet. Auf den Monat Februar entfielen insgesamt 29 Tage oder 696 Stunden, davon hatte der Arbeiter ganze 21 Tage oder 504 Stunden im Werk zugebracht. 1 Diese horrende Zahl von Arbeitsstunden, die dem betroffenen Arbeiter in der Tat noch nicht einmal hinreichend Zeit zu erholsamem Schlaf ließ, war ein Extrembeispiel, jedoch kein Einzelfall in der deutschen eisen- und stahlerzeugenden Industrie, und nicht nur in dieser. In den Vereinigten Staaten von Amerika, dem vor dem Deutschen Reich größten Eisen- und Stahlproduzenten, standen sich die Arbeiter dieser Industrie eher noch schlechter. Dort betrug die regelmäßige Arbeitszeit für ein Fünftel der Arbeiter 84 oder mehr Wochenstunden, für 43 % 72 oder mehr Wochenstunden. 2 Das bedeutete nichts anderes als die Preisgabe selbst eines 1 Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages, 11. Legislaturperiode, II. Session 1905/6, Bd. 2: 36. Sitzung vom 6. 2. 1906, S. 1057. 2 Report on Conditions of Employment in the Iron and Steel Industry in the United States, ed. by U. S. Bureau of Labor (= 62nd Congress, Ist Session, Senate Document,

Stand der Arbeitszeitfrage vor dem Ersten Weltkrieg

25

arbeitsfreien T a g e s in der Woche. Den Unwillen über die langen Arbeitszeiten artikulierte der Sozialreformer J o h n Fitch, der mit seinen 1907 begonnenen Untersuchungen z u m ersten Mal die Aufmerksamkeit einer breiteren Öffentlichkeit auf die Arbeitsbedingungen in der eisen- und stahlerzeugenden Industrie lenkte, mit den folgenden Worten: „In einer Industrie, die vom Schutzzoll profitiert, sollte es nicht angehen, daß die Arbeiter für den Unterhalt ihrer Familien 7 T a g e in der Woche schuften müssen." 3 Seine Kritik fand ein Echo, doch stand die amerikanische eisen- und stahlerzeugende Industrie den Bemühungen um eine Arbeitszeitverkürzung kaum verständnisvoller gegenüber als ihr deutsches Gegenstück. Beide Industrien gerieten aber zunehmend in Zugzwang, da der seit 1890 in Deutschland und den Vereinigten Staaten unverkennbare T r e n d zur Arbeitszeitverkürzung tägliche Arbeitszeiten von zwölf Stunden und mehr immer stärker zu einem Relikt aus der Zeit der Frühindustrialisierung stempelte. In den Vereinigten Staaten arbeiteten 1909 nur noch ca. 3 % der Industriearbeiterschaft 72 Stunden oder länger in der Woche, wobei der größte Anteil auf die Arbeiter in der eisen- und stahlerzeugenden Industrie entfiel. 4 Dagegen betrug die reguläre Arbeitszeit schon für 7,9 % der Industriearbeiter 48 und weniger Wochenstunden, 22,7 % arbeiteten über 48 Wochenstunden, aber nicht mehr als 54 Wochenstunden, 30,2 % zwischen 54 und 60 Wochenstunden, 30,5 % 60 Stunden und nur 8,7 % mehr als 60 Stunden in der Woche. Mithin hatten fast 61 % der amerikanischen Industriearbeiter 1909 eine kürzere als zehnstündige Arbeitszeit. 5 Als Faustregel galt, daß die kürzesten Arbeitszeiten in den kleineren Betrieben zu finden waren, die hauptsächlich gelernte Arbeiter beschäftigten, welche meist gewerkschaftlich organisiert waren. Hier herrschte, wie zum Beispiel im Baugewerbe, schon der Achtstundentag als Arbeitszeitnorm. 6 Eine neunstündige N o . 110), vol. 1: Wages and Hours of Labor, Washington D. C . 1911, S. X V I I (im folgenden Report on Conditions of Employment zitiert). 3 J o h n A. Fitch, The Steelworkers S. 181.

(= Pittsburgh Survey, vol. 3), N e w York 1910,

4 Leifur Magnusson, Hours of Labor in Continuous Industries, zusammengestellt 1914, National Archives Washington D . C . , Department of Labor, N N F S 74—33, Bl. 2.

5 Regular Weekly Hours of Work in Manufacturing Industries of the United States, 1909, 1914, and 1919, in: Monthly Labor Review (im folgenden MLR zitiert), ed. by U . S . Bureau of Labor Statistics, vol. 15 (1922), S. 319. 6 Arthur Shadwell, Industrial Efficiency. A Comparative Study of Industrial Life in England, Germany and America, vol. 2, London-New Y o r k 1906, S. 92 ff.; U . S . Bureau of the Census, Historical Statistics..., Series D 589—602.

26

I. Stand der Arbeitszeitfrage vor dem Ersten Weltkrieg

Arbeitszeit hatte zudem ein Großteil der gelernten Arbeiter, vor allem in der Metallverarbeitung, während für die überwiegende Zahl der ungelernten Arbeiterschaft der Zehnstundentag die Regel war. 7 Trotz aller regionalen Unterschiede in der Länge der Arbeitszeit und großer Alltäglichkeit der Uberstundenleistung lassen die Zahlen erkennen, daß sich die Arbeitszeitlänge in den Vereinigten Staaten beschleunigt auf die Etablierung des Neun- und Achtstundentages als Arbeitszeitnorm zubewegte. 1914 arbeiteten immerhin schon 51 % der Industriearbeiter 54 oder weniger Stunden in der Woche. 8 Den Trend zum Achtstundentag verstärkte zumindest indirekt die staatliche Gesetzgebung. Da Arbeitszeitgesetze für die Privatindustrie verfassungswidrig waren und sich selbst die Arbeitszeitschutzgesetze für Frauen und Kinder nur mühsam bei Gericht hatten durchsetzen lassen, beschränkte sich die staatliche Intervention auf das gute Vorbild. Gegen den heftigen Widerstand der Privatindustrie und vor allem auch der eisen- und stahlerzeugenden Industrie erließ die amerikanische Bundesregierung am 19. Juni 1912 eine verbesserte Auflage der gesetzlichen Arbeitszeitregelung für alle Arbeiter, die direkt oder indirekt im Staatsdienst beschäftigt waren. Für sie galt der Achtstundentag. Obwohl das Gesetz ausreichend Lücken für seine Umgehung durch die Privatindustrie aufwies, die insoweit betroffen war, als sie bei Regierungsaufträgen den dabei beschäftigten Arbeitern den Achtstundentag konzedieren mußte, hatte die amerikanische Bundesregierung immerhin ein Zeichen gesetzt, indem sie den Achtstundentag zum Arbeitszeitstandard erklärte. 9 So weit war die Entwicklung in Deutschland noch nicht gediehen. Zwar war ein längerer als zehnstündiger Arbeitstag auch hier schon mehr die Ausnahme als die Regel, und durch den um sich greifenden Brauch eines frühen Arbeitsschlusses am Samstag fiel die wöchentliche Arbeitszeit schon merklich unter die 60-Stundenwoche, doch lag selbst in den stark organisierten Gewerben die tägliche Arbeitszeit nicht bei acht, sondern eher bei neun bis zehn Stunden. Lediglich im Kohlenbergbau galt allgemein die achteinhalbstündige Schichtzeit. 10 Die Ar7

FAES, The Twelve-Hour Shift in Industry..., S. 28. Regulär Weekly Hours..., in: MLR, vol. 15 (1922), S. 319. 9 Über die bundesstaatliche Arbeitszeitgesetzgebung vgl. Marion Cotter Cahill, Shorter Hours. A Study of the Movement since the Civil War, New York 1932, S. 66—94; siehe auch die Kommentare i n / r o « / I g e vom 29.2.1912, S. 531; vom 21. 3.1912, S. 714; vom 27. 6. 1912, S. 1572. 10 Siehe R. Meinert, Die Entwicklung der Arbeitszeit..., S. 21—30, und Jürgen 8

Stand der Arbeitszeitfrage

vor dem Ersten

Weltkrieg

27

beitszeitavantgarde bildete, wenn man von den Buchdruckern einmal absieht, wie in den Vereinigten Staaten das stark gewerkschaftlich organisierte Baugewerbe mit einem überwiegend neunstündigen Arbeitstag. Auch in der Holzindustrie hatte sich 1913/14 der Neunstundentag durchgesetzt, der sich in den nicht gewerkschaftlich organisierten Großbetrieben der Chemieindustrie nach 1905 ebenfalls langsam einbürgerte, obwohl gerade diese Industrie mit dem Hindernis belastet war, daß der in den kontinuierlich produzierenden Betriebsabteilungen beschäftigte Teil ihrer Belegschaft weiterhin im zwölf stündigen Doppelschichtrhythmus arbeitete." Anstöße zur Arbeitszeitverkürzung von Seiten der deutschen Regierung, die anders als die amerikanische Regierung in der sozialen Reglementierung der Privatindustrie verfassungsgemäß ungebunden war, beschränkten sich in erster Linie auf den sanitären Arbeitsschutz. Der Maximalarbeitstag für Frauen und Jugendliche, der seit 1892 elf beziehungsweise zehn Stunden und seit 1908 zehn Stunden betrug, dürfte sich vor allem auf Branchen wie die Textilindustrie oder die Nahrungs- und Genußmittelindustrie arbeitszeitverkürzend ausgewirkt haben, da diese ein großes Kontingent von Arbeiterinnen beschäftigten. Dort belief sich die wöchentliche Arbeitszeit nach der Jahrhundertwende auf 54 bis 60 Stunden. Auch die Einführung des Neunstundentages in den staatlichen Eisenbahn- und Reichsmarinewerkstätten 1906 folgte eher einem schon vorhandenen Trend. Eine achteinhalb- bis neuneinhalbstündige Arbeitszeit bildete für die Mehrheit der tarifvertraglich gesicherten Arbeiter in der Metallverarbeitung die Regel, während in den schwach gewerkschaftlich orKuczynski, Die Geschichte der Lage der Arbeiter unter dem Kapitalismus, T . 1, Bd. 4: Darstellung der Lage der Arbeiter in Deutschland von 1900 bis 1917/18, Berlin [Ost] 1967, S. 385—389; ferner Wilhelm Heinz Schröder, Die Entwicklung der Arbeitszeit im sekundären Sektor in Deutschland 1871 bis 1913, in: Technikgeschichte, Bd. 47 (1980), N r . 3, S. 252—302, der den Versuch macht, durch einen detaillierten Vergleich verschiedener statistischer Quellen zur Arbeitszeitentwicklung gleichzeitig die Trends wie die Faktoren für die Auslösung von Arbeitszeitverkürzungen aufzuzeigen. Vgl. ferner: Karl-Heinz Ludwig, Arbeit, Technik und Arbeitszeit im Geschichtsverlauf. Eine Einfuhrung, in: Technikgeschichte, Bd. 47(1980),Nr. 3, S. 181—193; Hildegard Stemler/ Erich Wiegand, Zur Entwicklung der Arbeitszeitgesetzgebung und der Arbeitszeit in Deutschland seit der Industrialisierung, in: Erich Wiegand/Wolfgang Zapf (Hrsg.), Wandel der Lebensbedingungen in Deutschland. Wohlfahrtsentwicklung seit der Industrialisierung, Frankfurt-New York 1982, S. 17—63. 11 Siehe Ilse Costas, Studien zu den Auswirkungen der Konzentration und Zentralisation des Kapitals auf die Arbeiterklasse in Deutschland 1880 bis 1914, Diss. Berlin 1978, S. 272—281, sowie R. Meinert, Die Entwicklung der Arbeitszeit..., S. 91 ff., 99 ff., 104.

I. Stand der Arbeitszeitfrage

28

vor dem Ersten

Weltkrieg

ganisierten Großbetrieben dieses Industriezweigs noch der Zehnstundentag üblich war. 12 Wie die amerikanische so stand auch die deutsche eisen- und stahlerzeugende Industrie den staatlichen Vorstößen zur Arbeitszeitverkürzung scharf ablehnend gegenüber; denn solche Maßnahmen trugen dazu bei, den Abstand zwischen den in ihrer Industrie bestehenden Arbeitszeiten und der allgemeinen Arbeitszeitentwicklung zu vergrößern. Uberhaupt sahen die deutschen Eisen- und Stahlindustriellen die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie durch die Gewerbeordnungsnovelle vom 1. Juni 1891 schon als hinreichend gefährdet an, die für alle produzierenden Gewerbe prinzipiell eine 24stündige Sonntagsruhe gesetzlich verfügte. 13 Durch die verschiedenen Ausführungsvorschriften, die den Erfordernissen der jeweiligen Industriebranche Rechnung trugen, hielt sich die arbeitszeitverkürzende Wirkung jedoch in Grenzen, insbesondere im Falle der eisen- und stahlerzeugenden Industrie. Die durchgehende Arbeitsweise in den Hochofenwerken wurde nicht angetastet, und lediglich in allen anderen Betriebsabteilungen mußte die produktive Arbeit an jedem Sonntag für mindestens 24 Stunden eingestellt werden, ebenso an weiteren neun gesetzlichen Feiertagen. 14 Den amerikanischen Produktionsfluß unterbrachen dagegen nur zwei legale Feiertage, der erste Weihnachtstag und der 4. Juli, der Unabhängigkeitstag. Auf den Sonntag mußte keine Rücksicht genommen werden. 15 Trotzdem blieb die auf deutscher Seite mit einem stets wachen Auge auf die amerikanische Konkurrenz monierte Wettbewerbsbenachteiligung gering. 16 Schließlich war die regelmäßige Ar-

12 A.a.O., S. 24 ff., 60ff., 72 ff.; I. Costas, Studien..., S. 266—272, 277—279; ferner M. Schneider, Streit um Arbeitszeit..., bes. S. 48—88, der die zentrale Rolle der Gewerkschaften stark betont. 13 Gewerbeordnung für das Deutsche Reich, mit Erläuterungen und ausführlichem Sachregister, hrsg. von F. Steinbach, München-Berlin 1910, 105 a—b; siehe ferner Peter Rassow/Karl Erich Born, Akten zur staatlichen Sozialpolitik in Deutschland 1890—1914 (= Historische Forschungen, Bd. 3), Wiesbaden 1959, Dok. Nr. 1, S. 1—5. 14 Gewerbeordnung für das Deutsche Reich..., 105 c—f, und Bekanntmachung des Reichskanzlers, betr. A usnahmen von dem Verbote der Sonntagsarbeit im Gewerbebetriebe vom 5. Februar 1895, in: A.a.O., S. 371—374. Nicht unter das Verbot fielen Arbeiten, die für die Wiederaufnahme des geregelten Produktionsbetriebes notwendig waren, sowie Notfälle. Wurde in mehr als zwei Schichten pro Tag gearbeitet, reduzierte sich die sonntägliche Ruhezeit auf 12 Stunden. Bei zwei aufeinanderfolgenden Feiertagen erhöhte sich die Sonntagsruhe auf 36 bis 48 Stunden. 15 16

J. A. Fitch, The Steelworkers..., S. 177. Siehe den Sitzungsbericht über die Vorstands- und Generalversammlung des

Stand der Arbeitszeitfrage vor dem Ersten Weltkrieg

29

beitszeit in den deutschen u n d amerikanischen H o c h o f e n w e r k e n dieselbe. H i e r herrschte die zwölfstündige Doppelschicht mit 24stündiger Wechselschicht uneingeschränkt, was f ü r die H o c h o f e n a r b e i t e r ohne U b e r s t u n d e n l e i s t u n g eine 72-Stundenwoche in der Tagschicht, dann eine 24stündige R u h e p a u s e mit nachfolgendem Ubergang zur N a c h t schicht mit 96 W o c h e n s t u n d e n b e d e u t e t e . Etwas besser stand sich ein Teil der A r b e i t e r in den Stahl- u n d Walzwerken, wo die regelmäßige Arbeitszeit ohne U b e r s t u n d e n 72 W o c h e n s t u n d e n betrug, da hier die 24stündige Wechselschicht nicht die Regel war. In diesen P r o d u k t i o n s b e t r i e b e n r u h t e nicht n u r zwangsweise auf deutscher, sondern auch herkömmlicherweise auf amerikanischer Seite sonntags die p r o duktive Arbeit, d e n n in dieser Zeit wurden die n o t w e n d i g e n Reparaturen an den O f e n , W a l z e n usw. d u r c h g e f ü h r t . 1 7 Das aber war auf deutscher Seite ebenfalls üblich und möglich durch die f ü r die eisen- und stahlerzeugende Industrie geltenden zahlreichen Ausnahmebestimm u n g e n über die V e r r i c h t u n g notwendiger Sonntagsarbeiten, ganz abgesehen von den vielen Ü b e r t r e t u n g e n , die sich die Industrie zuschulden k o m m e n ließ. 18 D a m i t lag der amerikanische Vorteil weniger in einer deutlich längeren Arbeitszeit als vielmehr in einer größeren Flexibilität bei der Arbeitszeitverteilung, der durch die gesetzliche Sonntagsruhe in D e u t s c h l a n d gewisse Schranken gesetzt waren. Das traf insbesondere auch auf die vielen U b e r s t u n d e n zu, die auf deutscher und amerikanischer Seite f ü r die eisen- u n d stahlerzeugende Industrie typisch waren u n d das A r b e i t s z e i t m a ß f ü r den einzelnen Arbeiter über die regulär schon e x t r e m lange Arbeitszeit hinaus weiter beträchtlich e r h ö h t e n . D e r K o n t r a s t zu der allgemeinen Arbeitszeitentwicklung in Deutschland wie in den Vereinigten Staaten wurde dadurch n u r noch schärfer. Die staatliche A n e r k e n n u n g des A c h t s t u n d e n t a g e s als der wünschenswerten A r b e i t s z e i t n o r m sowie dessen teilweise Realisierung m a c h t e n deutlich, daß die eisen- u n d stahlerzeugende Industrie in den Vereinigten Staaten noch stärker mit dem T r e n d z u r Arbeitszeitverk ü r z u n g aus dem Gleichschritt geraten war als in Deutschland. H i e r hielt sich dank des stärkeren Vorherrschens des Zehnstundentages, der

VDESI vom 18. 3. 1903, HA/GHH, Nr. 300 1241/OA, sowie die Ausführungen Dr. Kinds auf der Hauptversammlung des VDESI vom 5. 11. 1913, Bundesarchiv Koblenz (im folgenden BA zitiert), R. 13 1/179, Bl. 52—56. 17 J. A. Fitch, The Steelworkers..., S. 174 ff. 18 Siehe dazu ausführlich nachfolgende Diskussion auf S. 96 ff.

30

I. Stand der Arbeitszeitfrage vor dem Ersten Weltkrieg

sich mit einer üblichen Pausenzeit von zwei Stunden zu einem zwölfstündigen Arbeitstag addierte, der Abstand in etwas erträglicheren Grenzen, wenn man die vielen Uberstunden unberücksichtigt läßt. Angesichts des Widerstandes, den sowohl die amerikanische als auch die deutsche eisen- und stahlerzeugende Industrie jedem Versuch der Arbeitszeitverkürzung entgegensetzte, sah man offensichtlich keinerlei Notwendigkeit, sich dem allgemeinen Arbeitszeitfortschritt anzupassen. Ein Grund dafür liegt auf der Hand. Die kontinuierliche Produktionsweise schloß eine allmähliche Verkürzung der Arbeitszeit wie in anderen Industrien aus. Schon die Beseitigung der 24stündigen Doppelschicht stellte organisationstechnisch ein komplexes Unterfangen dar, weil eine besondere Ablöseschicht rekrutiert werden mußte. Bei weitergehender Arbeitszeitverkürzung blieb für den Großteil der Belegschaft nur die Alternative des Wechsels zum achtstündigen Dreischichtsystem übrig. Das bedeutete aber nicht nur einen erheblichen Arbeitszeitsprung, der die Industrie mit einem Schlag zur nationalen und internationalen Avantgarde des Arbeitszeitfortschritts gemacht hätte, sondern mußte durch das Erfordernis einer dritten Schicht sofort Bedenken in bezug auf die Beschaffung der notwendigen Arbeitskräfte und die damit verbundenen Kosten wecken. Aus dieser Perspektive reichten soziale Erwägungen für eine Arbeitszeitverkürzung kaum aus, es sei denn, daß entweder die betroffene Arbeiterschaft durch starke gewerkschaftliche Organisation ihre Berücksichtigung erzwang oder sich ein gesellschaftspolitischer Konsens darüber bildete, die hohen sozialen Kosten extrem langer Arbeitszeiten nicht länger tolerieren zu wollen. Von der Industrie selbst konnte dagegen eine Initiative erwartet werden, sobald sie erstens ihre Anziehungskraft auf dem Arbeitsmarkt gefährdet sah und zweitens bei der berechtigten Annahme einer Produktivitätssteigerung aufgrund kürzerer Arbeitszeiten. Beide Motivationsfaktoren stellten sich in der eisen- und stahlerzeugenden Industrie nicht ein, da hier gerade der Charakter der technischen Innovationsschübe sowie die spezifische wirtschaftlichsoziale Entwicklung den Weg zur Selbsterkenntnis der Vorteile kürzerer Arbeitszeiten weitgehend blockierten.

Wachstum und Organisation eisen- und stahlerzeugenden

der deutschen und Industrie

amerikanischen

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts verfügten weder Deutschland noch die Vereinigten Staaten über eine nennenswerte Eisen- und

Industrielles

Wachstum

und

Organisation

31

Stahlproduktion. 19 Noch 1880 war die beherrschende Stellung Großbritanniens auf diesem Sektor ungebrochen, doch wurde die englische eisen- und stahlerzeugende Industrie in wenigen Jahren von dem sprunghaften Wachstum der amerikanischen Konkurrenz eingeholt und um die Jahrhundertwende von der deutschen eisen- und stahlerzeugenden Industrie auf den dritten Platz verwiesen. 20 (Siehe die TABELLEN 1 und 2 auf Seite 32 und 33.) Die rapide Expansion der deutschen und amerikanischen Eisen- und Stahlerzeugung vollzog sich im wesentlichen in drei großen technologischen Innovationsschüben. Die Erschmelzung von Roheisen im Kokshochofen sowie die Herstellung schmiedbaren Eisens im Puddelverfahren und die Zurückdrängung des Schmiedens durch das Walzen legten in den 1840er Jahren das Fundament für die großbetriebliche Produktion. Allerdings gab es nur wenige Betriebe mit mehr als 100 oder sogar 500 bis 800 Beschäftigten. 21 Der Durchbruch zum modernen Großbe-

" Uber die Anfänge und die Entwicklung der deutschen eisen- und stahlerzeugenden Industrie berichten ausführlich: Ludwig Beck, Geschichte des Eisens in technischer und kulturgeschichtlicher Beziehung, Bd. 1—5, Braunschweig 1884—1903; Wolfgang Mühlfriedel, Die Geschichte des Eisenhüttenwesens in Westdeutschland von 1870 bis 1900, Leipzig 1970; N. J . G. Pounds, Coal and Steel..., bes. S. 19—75, 105—126, 210—246, und jüngst Wilfried Feldenkirchen, Die Eisen- und Stahlindustrie des Ruhrgehietes 1879—1914 (= Zeitschrift für Unternehmensgeschichte, Beih. 20), Wiesbaden 1982; für die amerikanische Seite vgl. William T . Hogan, Economic History of the Iron and Steel Industry in the United States, 5 vols., Lexington, Mass.-Toronto-London 1971, und Peter Temin, Iron and Steel in Nineteenth Century America. An Economic Inquiry, Cambridge/Mass. 1964. 20 Siehe dazu die vergleichende Analyse von Duncan Burn, The Economic History of Steelmaking, 1867—1931: A Study in Competition, Cambridge 1940; David S. Landes, The Unbound Prometheus..., bes. S. 249—269; Donald N. McCloskey, Economic Maturity and Entrepreneurial Decline: British Iron and Steel, 1870—1913 (= Harvard Economic Series, vol. 142), Cambridge/Mass. 1973. Aufschlußreich ist ferner die jüngste Debatte im Journal of Economic History (im folgenden JEH zitiert) über die unterschiedliche Gewichtung von Rohstoffangebot, Technologie, Struktur des Arbeitsmarktes etc. für das Produktivitätswachstum der deutschen, englischen und amerikanischen eisen- und stahlerzeugenden Industrie. Siehe bes. R o b e r t C . Allen, The Peculiar History of American Blast Furnaces, 1840—1913, in: A.a.O., vol. 37 (1977), no. 3, S. 605—633, sowie Steven B. Webb, Tariffs, Cartels, Technology, and Growth in the German Steel Industry, 1879 to 1914, in: A.a.O., vol. 40 (1980), no. 2, S. 309—329, ferner Stefi Jersch-Wenzel/Jochen Krengel, Die Produktion der deutschen Hüttenindustrie 1850— 1914. Ein historisch-statistisches Quellenwerk (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, Bd. 43), Berlin 1984. 21

Vgl. W. T . Hogan, Economic

History...,

vol. 1, S. 91, und Hans Ehrenberg, Die

32

I. Stand der Arbeitszeitfrage

vor dem Ersten Weltkrieg

TABELLEl

Roheisenerzeugung

Jahr

Deutsches Zollgebiet

1880 1885 1888 1889 1890 1891 1892 1893 1894 1895 1896 1897 1898 1899 1900 1901 1902 1903 1904 1905 1906 1907 1908 1909 1910 1911 1912 1913 1914

2729 3 687 4337 4 525 4 658 4641 4937 4986 5 380 5 465 6373 6 881 7313 8143 8 521 7 880 8 530 10086 10104 10988 12 478 13 046 11814 12918 14 793 15579 17869 19309 14 390

1

der wichtigsten Länder in 1000 metr. 1880 bis 1914

Deutsches Luxemburg Reiche ohne ElsaßLothringen —

2 835 3 270 3 399 3459 3 461 3 616 3 702 3 896 3 941 4644 5080 5 373 5 870 6026 5517 5822 6894 6 836 8451 8 595 9049 8 332 9050 10387 10942 12323 12891 10123



420 524 562 559 545 587 558 680 695 809 873 946 983 971 916 1080 1218 1198 1368 1460 1485 1300 1553 1683 1729 2397 2548 1827

Tonnen

Vereinigte Staaten

Großbritannien

Gesamterzeugung aller Länder1

3897 4109 6594 7 725 9350 8412 9304 7238 6764 9597 8 761 9807 11962 13 839 14010 16132 18106 18 297 16 761 23360 25712 26194 16191 26208 27740 24028 30203 31462 23 706

7873 7 534 8127 8456 8031 7525 6817 7089 7 546 7827 8 798 8937 8 747 9572 9103 8056 8818 9078 8 833 9762 10347 10276 9202 9684 10172 9679 8 891 10650 9067

18547 19 792 24016 26030 27631 26230 26860 24229 26059 29858 31010 33520 36419 39723 40199 40889 44 558 47022 45419 54 055 59166 60680 48 507 61213 66352 63 252 75000 80000 60000

Geschätzt.

Quelle: Gemeinfaßliche Darstellung des Eisenhüttenwesens, Eisenhüttenleute, 12. Aufl., Düsseldorf 1923, S. 274.

hrsg. vom Verein deutscher

Industrielles

Wachstum und

Organisation

33

TABELLE 2

Flußstahlerzeugung

Jahr

Deutsches Zollgebiet 1

1880 1885 1888 1889 1890 1891 1892 1893 1894 1895 1896 1897 1898 1899 1900 1901 1902 1903 1904 1905 1906 1907 1908 1909 1910 1911 1912 1913 1914

624 894 1299 1425 1614 1841 1977 2231 2 608 2830 3 463 3863 4353 4 820 6646 6 394 7781 8 802 8930 10067 11308 12064 11186 12050 13 699 15019 17302 18935 14946

der wichtigsten Länder in 1000 metr. 1880 bis 1914

Deutsches Reich ohne ElsaßLothringen —

864 1240 1 356 1530 1 750 1872 2112 2 462 2664 3 275 3633 4078 4 520 6311 5 974 7274 8168 8214 9 258 10339 11043 10195 10976 12 462 13611 15610 15312 12299

Luxemburg

— —

1 6 14 18 18 26 34 35 37 49 58 66 69 77 91 136 200 215 261 269 267 315 376 430 547 1336 1 136

Tonnen

Vereinigte Staaten

Großbritannien

Gesamterzeugung aller Länder 3

1267 1739 2946 3 440 4 346 3 967 5006 4084 4483 6213 5 366 7271 9076 10810 10 351 13689 15186 14 768 14082 20344 23 773 23 736 14 248 24 338 26512 24055 31751 31802 23889

1321 2020 3 775 3 605 3637 3 208 2967 2983 3260 3312 4 306 4 560 4 639 4933 5131 4983 4988 5115 5107 5 905 6 566 6627 5380 5976 6476 6 565 7786 7960

4274 6276 10241 10575 12 451 12097 12019 12 094 12786 16659 17581 20 979 24061 27 543 28 342 31035 36 480 36 336 34 252 44 295 50258 52143 50958 53 500 60 200 61000 72000 75000 60000

1 Für das gesamte deutsche Zollgebiet bis 1899 und für Luxemburg bis 1912 Erzeugung von Flußeisenfertigerzeugnissen, von da an und für die übrigen Länder Erzeugung von Rohstahl. 2 Geschätzt.

Quelle: Gemeinfaßliche

Darstellung,,S.

276.

34

I. Stand der Arbeitszeitfrage vor dem Ersten Weltkrieg

trieb und zur Massenproduktion gelang in beiden Ländern erst in den siebziger und achtziger Jahren. Die Stahlherstellung in dem nach seinem englischen Erfinder benannten Bessemer-Konverter (1856) und seine metallurgische Weiterentwicklung durch den T h o m a s - K o n v e r t e r (1878) und den Siemens-Martin-Ofen (1865) revolutionierten die Industrie, da dieses Windfrischverfahren die äußerst mühsame Erzeugung von Puddeleisen schnell verdrängte. Während das von schwerer Handarbeit geprägte Puddelverfahren sich den Versuchen einer Mechanisierung erfolgreich widersetzt hatte, schuf die neue Methode der Stahlherstellung und die Schnelligkeit, mit der durch chemischen Prozeß R o h eisen in Stahl verwandelt wurde, ungeahnte Möglichkeiten der Produktionsexpansion und Kostenersparnis durch innerbetriebliche Integration. D e r dritte Innovationsschub konzentrierte sich daher auf die Schaffung und Verbesserung eines möglichst nahtlosen Verbundsystems zwischen den drei Produktionsstufen der Roheisengewinnung, Stahlerzeugung und Formgebung im Walzwerk oder der Gießerei. Seine markantesten Merkmale waren die konsequente Ausnutzung energiewirtschaftlicher Vorteile, Verwertung der Nebenprodukte wie der Hochofengase und vor allem die weitgehende Mechanisierung der verschiedenen Arbeitsprozesse. 2 2 Nach der Jahrhundertwende schwächte sich der rapide technologische Wandel in der eisen- und stahlerzeugenden Industrie ab, obwohl fortschreitende Rationalisierung durch Mechanisierung und Automatisierung weiterhin charakteristisch blieben. Grundlegend neue Technologien wie Stahllegierungen und das Aufkommen von Elektrostahl standen in den 1920er Jahren

Eisenhuttentechnik und der deutsche Hüttenarbeiter (= Münchener Volkswirtschaftliche Studien, Bd. 80), Stuttgart-Berlin 1906, S. 55. 22 Diese kurze Skizze des technologischen Wandels soll nicht implizieren, daß eine genaue Parallelität zwischen der deutschen und amerikanischen Entwicklung bestanden hat, vielmehr sollen lediglich die Grundtendenzen herausgearbeitet werden. Zum Beispiel verfügte die eisen- und stahlerzeugende Industrie in den Vereinigten Staaten schon frühzeitig über einen beachtlichen Vorsprung beim Grad der Mechanisierung, während die deutsche Seite sich stärker auf einen rationellen Ausbau der Wärmewirtschaft sowie auf die Nutzung der Nebenprodukte konzentrierte. Vgl. P. Temin, Iron and Steel..., S. 154—163, und Erhard Hübener, Die deutsche Eisenindustrie, ihre Grundlagen, ihre Organisation und ihre Politik, Leipzig 1913, S. 124—128, ferner Ulrich Troitzsch, Die Einführung des Bessemer-Verfahrens in Preußen — ein Innovationsprozeß aus den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts, in: Innovationsforschung als multidisziplinäre Aufgabe. Beiträge zur Theorie und Wirklichkeit von Innovationen im 19. Jahrhundert, redigiert von Frank R. Pfetsch, Göttingen 1975, S. 209—240.

Industrielles

Wachstum

und

35

Organisation

erst in den Anfängen und erhielten nur langsam ihre heutige Bedeutung. 23 Die Umbrüche im technischen Produktionsfluß zogen entscheidende wirtschaftliche und soziale Veränderungen nach sich. „Economies of scale" und hohe Kapitalisierung führten frühzeitig zur hohen Unternehmenskonzentration, zur Umwandlung von Privatbetrieben in Aktiengesellschaften und zur Ausbildung von Riesenbetrieben. Die Durchschnittsbelegschaft eines kombinierten Hüttenwerkes (Hochofen-, Stahl- und Walzwerk) im Deutschen Reich um die Jahrhundertwende betrug schätzungsweise zwischen 4000 und 5000 Mann. 24 1907 beschäftigten die 50 größten Werke 45 % der in Hochofen-, Stahl- und Walzwerken arbeitenden Personen. 25 Zu dieser Zeit arbeiteten aber erst knapp 5 % aller Arbeiter in Industrie und Handwerk (ohne Bergbau und Salinen) in Betrieben mit über 1000 Beschäftigten, über die Hälfte (57,6 %) jedoch noch in Betrieben mit weniger als 50 Beschäftigten. 26 Nicht viel anders sah es in den Vereinigten Staaten aus. 23 Handbuch der deutschen Wirtschafts- und Sozialgeschichte, hrsg. von Hermann Aubin und Wolfgang Zorn, Bd. 2, Stuttgart 1976, S. 548 f.; N . J . G. Pounds, Coaland Steel..., S. 269 f. Durch die große Bedeutung der Automobilindustrie in den Vereinigten Staaten hatten der Elektrostahl sowie verschiedene Stahllegierungen hier in den zwanziger Jahren schon einen größeren Marktanteil gewonnen. Siehe Horace B. Davis, Lahor and Steel, New York 1933, S. 120. 24 O t t o Neuloh, Die deutsche Betriebsverfassung und ihre Sozialformen bis zur Mitbestimmung, Tübingen 1956, S. 130. 25 Handbuch der deutschen Wirtschafts- und Sozialgeschichte..., Bd. 2 , S . 548. Gemäß der Statistik des Deutschen Reichs, Bd. 418, Berlin 1930, S. 194, verlief die Entwicklung der Beschäftigtenzahlen in der deutschen eisen- und stahlerzeugenden Industrie nach Betriebsgrößenklassen wie folgt:

Zahl der beschäftigten

1—5 1875

1720

1895 1907 1925

942 1155 1250

% 6—10 1,1 0,4 0,3 0,3

147927 1993 2 091 2 751

Personen in den Betrieben mit...

% 98,9

11—50

% 51—200

Personen:

% 201—1000

% über 1000



0,9 18600 0,6 26641 0,6 40515

% —

8,5 47044 82247 7,3 9,0 117787

21,5 78026 22,5 156375 26,2 184 515

35,6 42,8 41,1

72 399 97045 102698

26 Sozialgeschichtliches Arbeitsbuch. Materialien zur Statistik des Kaiserreichs 1870— 1914, hrsg. von Gerd Hohorst, Jürgen Kocka und Gerhard A. Ritter, München 1975, S. 75.

33,1 26,5 22,8

I. Stand der Arbeitszeitfrage

36

vor dem Ersten

Weltkrieg

TABELLE 3 Die größten amerikanischen

Beschäftigtenzahl 8000 — 6000— 4000— 3 000— 2000—

10000 8000 6000 4000 3000

Industriebetriebe:

1900

Industriebetriebe insgesamt

Eisen- und stahlerzeugende Industrie

4 10 8 9 39

3 3 0 1 9

Quelle: Daniel Nelson, Managers and Workers. Origins of the New Factory System in the U.S., 1880—1920, Madison 1975, S. 6—8.

Hier führten um die Jahrhundertwende drei kombinierte Hüttenwerke die Liste der Industriebetriebe mit der höchsten Beschäftigtenzahl an, und die Belegschaftsziffern lassen die „Monster-Dimensionen" 2 7 erahnen, die die eisen- und stahlerzeugende Industrie seit den 1880er Jahren zunehmend charakterisierten. Damit bleibt das Bild von der tatsächlichen Machtfülle dieser Industrie jedoch immer noch recht unvollständig. Durch vertikale und horizontale Konzentration erlangten die großen kombinierten Hüttenwerke sowohl in Deutschland als auch in den Vereinigten Staaten eine marktbeherrschende Stellung, die sich zusammen mit der Schutzzollpolitik beider Länder zum Nachteil der .reinen', das heißt nicht integrierten Werke auswirkte. 28 Allerdings verliefen die Konzentrationsbewegungen in der deutschen und amerikanischen eisen- und stahlerzeugenden Industrie sehr unterschiedlich,

So W. T . Hogan, Economic History..vol. 1, S. 93. Für die deutsche Seite vgl. Wilhelm Leiße, Wandlungen in der Organisation der Eisenindustrie und des Eisenhandels seit dem Gründungsjahr des Stahlwerksverbandes, München-Leipzig 1912, S. 85—115, und Rolf Sonnemann, Die Auswirkungen des Schutzzolls auf die Monopolisierung der deutschen Eisen- und Stahlindustrie 1879—1892, Berlin [Ost] 1960, S. 55—57, 73 f. Auf amerikanischer Seite war der Schutzzoll nach 1890 nicht mehr von allzu großer Bedeutung für die Entwicklung der eisen- und stahlerzeugenden Industrie. Gegen den nur teilweisen Protest der Industrie traten verschiedentlich Zollsenkungen ein. Vgl. W. T . Hogan, Economic History..., vol. 1, S. 343—347, vol. 2, S. 791—798, und F. W. Taussig, The Tariff History of the United States, 8th ed., New York-London 1931, unveränd. Nachdruck 1966, bes. S. 222f., 237—250, 300—303, 342—348, 440 f. 27

28

Industrielles

Wachstum und

Organisation

37

was nicht zuletzt die Folge gegensätzlicher gesetzlicher Rahmenbedingungen und sehr unterschiedlicher Absatzmärkte war. Wesentlich früher als die amerikanischen Unternehmen expandierten die deutschen Hüttenwerke in die vor- wie nachgelagerten Industriezweige. Die Firma Friedrich Krupp AG, ein Pionierunternehmen der deutschen eisen- und stahlerzeugenden Industrie, stellte in ihrem Stammwerk, der Gußstahlfabrik Essen, nicht nur verschiedene Stahlsorten und Legierungen her, sondern produzierte Guß-, Walz- und Schmiedestücke verschiedenster Art für den Schiffs- und Maschinenbau sowie militärische Rüstungsgüter. Neben den Stahl-, Walz- und Hammerwerken mit ihren Reparaturwerkstätten, den Gießereien und Maschinenbaubetrieben umfaßte die Gußstahlfabrik eigene Wasser-, Gas- und Elektrizitätswerke, eine Kokerei und Ziegelei, eine werkseigene Eisenbahn- und Telegraphenanlage sowie Schießplätze und eine chemisch-physikalische Versuchsanstalt. 1910 beschäftigte allein die Gußstahlfabrik 37 848 Arbeiter und Beamte, während sich die Gesamtzahl der Beschäftigten bei der Firma Krupp auf rund 70 000 Personen belief. Diese verteilten sich auf die firmeneigenen Kohlenzechen und Eisensteingruben (14 798 Personen), die Hütten-, Stahl- und Walzwerke (7767 Personen), die Weiterverarbeitungsbetriebe wie das Grusonwerk in Magdeburg (3939 Personen) und die Germaniawerft in Kiel (4504 Personen) sowie die Reederei in Rotterdam (49 Personen). 29 Obwohl Krupp das größte Unternehmen der Industrie mit einem Aktienkapital von rund 180 Millionen Mark war, vermittelt es dennoch einen guten Eindruck von der Komplexität und Größenordnung der kombinierten Hüttenwerke, die nach der Jahrhundertwende durch Fusionen und Bildung von Interessengemeinschaften durchweg einen hohen Grad vertikaler Unternehmenskonzentration und Produktionsdiversifikation erreicht hatten. 30

" Die Zahlen geben den Stand der Beschäftigten am 1. Mai 1910 an. Vgl. Die Schwereisenindustrie im deutschen Zollgebiet, ihre Entwicklung und ihre Arbeiter. Nach vorgenommenen Erhebungen im Jahre 1910, bearb. u. hrsg. vom Vorstand des Deutschen Metallarbeiterverbandes, Stuttgart 1912, S. 220—223. 50 Für einen guten Uberblick mit gewichteter Statistik siehe Jürgen Kocka/Hannes Siegrist, Die hundert größten deutschen Industrieunternehmen im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert. Expansion, Diversifikation und Integration im internationalen Vergleich, in: Recht und Entwicklung der Großunternehmen im 19. und frühen 20. Jahrhundert, hrsg. von Norbert Horn und Jürgen Kocka (= Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Bd. 40), Göttingen 1979, S. 55—122, bes. S. 69—72. Für Gründe und Verlauf der Entwicklung der Konzentration vgl. Arnold Troß, Der Aufbau der Eisen-undeisenver-

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I. Stand der Arbeitszeitfrage

vor dem Ersten

Weltkrieg

Daneben war es seit Bestehen des Schutzzolles 1879 verstärkt zur Bildung von Preis- und Produktionskartellen gekommen, die vor allem bei konjunkturellen Abschwüngen den ,ruinösen' Wettbewerb des freien Marktes einschränken sollten. Obwohl von wechselnder Bestandsdauer und unterschiedlichem Erfassungsradius, hatte die mehr oder minder effektive Marktkontrolle dieser Kartelle unter anderem die Wirkung, die Unabhängigkeitsbestrebungen reiner Werke zu forcieren und diese zur vertikalen Integration zu drängen. Nach der Jahrhundertwende beherrschten die großen kombinierten Hüttenwerke die wichtigsten Syndikate und Kartelle. 31 Dem 1899 aus den Roheisenkartellen für das Siegerland, Lothringen-Luxemburg und RheinlandWestfalen hervorgegangenen Roheisensyndikat in Düsseldorf oblag der gesamte Absatz der Roheisenproduktion der Mitgliederwerke im In- und Ausland. 1908 zerbrach das Syndikat an der Konkurrenz der Außenseiter, vor allem der oberschlesischen Hüttenwerke. Nach einem heftigen Preiskrieg kam es jedoch durch die Initiative der großen rheinisch-westfälischen Produzenten 1911 zu einer Erneuerung des Roheisenverbands, und 1912 war die Syndizierung der gesamten Roheisenproduktion im Deutschen Reich erreicht. 32 Einen weiteren Höhepunkt der Kartellentwicklung bildete die Gründung des Stahlwerksverbandes am 1. März 1904, der eine ganze Anzahl kleinerer Verbände unter seinem Syndikatsdach vereinigte. Er unternahm den An- und Verkauf der Gesamtproduktion der Mitgliederwerke an sogenannten A-Produkten (Halbzeug, das ist vorgewalztes Material, Eisenbahnoberbaumaterial und Formeisen), die sich durch große Uniformität auszeichneten. Schwieriger war die Syndizierung der Vielfalt an Fertigfabrikaten, den B-Produkten (zum Beispiel Stabeisen, Walzdraht, Bleche, Guß- und Schmiedestücke), für die man sich

arbeitenden Industrie-Konzerne Deutschlands. Ursachen, Formen und Wirkungen des Zusammenschlusses unter besonderer Berücksichtigung der Maschinen-Industrie, Berlin 1923, bes. S. 3—20. Ebenfalls sehr informativ sind die verschiedenen Einzeldarstellungen zur Unternehmensentwicklung wie z. B. Erich Maschke, Es entsteht ein Konzern. Paul Reusch und die GHH, Tübingen 1969, bes. S. 30 ff., und Wilhelm Treue, Die Feuer verlöschen nie! August Thyssen Hütte 1890—1926, Düsseldorf-Wien 1966, S. 68 ff. I. Costas, Studien..., S. 73—103. Arthur Klotzbach, Der Roheisen-Verband. Ein geschichtlicher Rückblick auf die Zusammenschlußbewegungen in der deutschen Hochofen-Industrie, Düsseldorf 1926, bes. S. 135—202; zur Kartellentwicklung allgemein vgl. Hans Pohl (Hrsg.), Kartelle und Kartellgesetzgebung in Praxis und Rechtsprechung vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Stuttgart 1984. 51

32

Industrielles Wachstum und

Organisation

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lediglich auf die Festsetzung von Produktionsquoten für das Inland ohne Preisbindung einigen konnte, so daß für die B-Produkte eine ganze Reihe separater Kartelle bestehen blieb beziehungsweise neu gegründet wurde. Die Folge war eine wesentlich stärkere Produktionsexpansion bei den Fertigfabrikaten als beim Halbzeug. Bei jeder Verlängerung des zeitlich befristeten Syndikatsvertrages setzte, wie es für alle Kartelle und Syndikate typisch war, jeweils ein heftiger Kampf um die Erhöhung der Beteiligungsziffern zwischen den Mitgliederwerken ein, weshalb die weitere Existenz dieser Verbände stets unsicher war. Allerdings überlebte der Stahlwerksverband bis nach dem Ersten Weltkrieg, nicht zuletzt dank des massiven Drucks einiger Großbanken und seitens der Reichsregierung. 3 3 Mit dem Beitritt der Oberschlesischen Stahlwerksgesellschaft m b H 1907 umfaßte der Stahlwerksverband 31 Mitglieder, die alle große kombinierte Hüttenwerke waren und 1910 zusammen eine Kapitalmasse von rund 1 3/4 Milliarden Reichsmark repräsentierten. Damit war der Stahlwerksverband das größte privatwirtschaftliche Unternehmen im Deutschen Reich. 3 4 Seine Mitgliedswerke produzierten 1911 ca. 80 % der deutschen Gesamtproduktion an Fertigfabrikaten und 57 % der auf dem freien Markt gehandelten Halbfabrikate. Insgesamt betrug die Jahreserzeugung der Mitglieder des Stahlwerksverbandes über 95 % der gesamten deutschen R o h stahlproduktion. 3 5 Geographisch konzentrierte sich die Eisen- und Stahlerzeugung auf die preußischen Provinzen Rheinland und Westfalen, wie T A B E L L E 4 auf nachfolgender Seite deutlich macht. Hochwertige Kohlevorkommen bildeten die Grundlage für das rapide Wachstum der rheinisch-westfälischen eisen- und stahlerzeugenden Industrie, die mit dem Kohlebergbau unternehmerisch und interessenpolitisch eng verflochten war. 36 Mit der kommerziell rentablen Verhüttung phosphorhaltiger Erze im T h o m a s - P r o z e ß begann der Auf33 Gerald D. Feldman, The Collapse of the Steel Works Association, 1912—1919, in: Sozialgeschichte heute. Festschrift für Hans Rosenberg, hrsg. von Hans-Ulrich Wehler, Göttingen 1974, S. 575—590, bes. S. 580 ff. 34 W. Leiße, Wandlungen..., S. 50—67; Die Schwereisenindustrie im deutschen Zollgebiet. .., S. 83. 35 S. B. Webb, Tariffs..., in: JEH, vol. 40 (1980), no. 2, S. 314; W. Leiße, Wandlungen. .., S. 57. 36 Für die besondere Bedeutung des Ruhrgebiets vgl. Paul Wiel, Wirtschaftsgeschichte des Ruhrgebietes. Tatsachen und Zahlen, Essen 1970, bes. S. 192—214; siehe auch den Überblick bei W. Leiße, Wandlungen ...,S. 13—27.

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I. Stand der Arbeitszeitfrage

vor dem Ersten Weltkrieg

TABELLE 4

Die deutsche Roheisenerzeugung:

19101

Gesamtproduktion in t | % Rheinland-Westfalen, ohne Saarbezirk und ohne Siegerland Siegerland, Lahnbezirk und Hessen-Nassau Schlesien Mittel- und Ostdeutschland Bayern, Württemberg und Thüringen Saarbezirk Lothringen und Luxemburg Das deutsche Zollgebiet 1

6 514946

44,04

773 814 900985 766598 245 220 1197688 4 394074

5,23 6,09 5,18 1,66 8,10 29,70

14 793 325

100,00

Zusammengestellt nach VDESI.

Quelle: Wilhelm Leiße, Wandlungen in der Organisation der Eisenindustrie und des Eisenhandels seit dem Gründungsjahr des Stahlwerksverbandes, München-Leipzig 1912, S. 14.

stieg Lothringen-Luxemburgs mit seinen reichen Minettevorkommen zum zweitgrößten deutschen Produzenten. Ostlich davon, im Saarrevier, blieb dagegen der industrielle Fortschritt begrenzt. Obwohl hier Kohle und Erz nebeneinander abgebaut wurden, war ihre Qualität zu schlecht, so daß man auf die Einfuhr von Ruhrkohle und Minetten nicht verzichten konnte. Das traditionsreiche Siegerland, Lahn- und Dillrevier büßten ihre ehemalige Bedeutung mit dem fortschreitenden Siegeszug des Bessemer- und Thomas-Verfahrens ein, da sich ihre manganhaltigen Erzlager besonders gut zur Erzeugung von Puddeleisen und Qualitätsstahl eigneten. Oberschlesien, ebenfalls ein sehr traditionsreiches Gebiet der Eisenerzeugung im östlichen Reichsgebiet, litt dagegen unter hohen Transportkosten und zu großer Entfernung von den Absatzmärkten sowie der Erschöpfung seiner Erzvorkommen. Diese Nachteile konnten auch nicht durch die sehr reichhaltigen Kohlenvorräte kompensiert werden. Wichtigstes schwerindustrielles Zentrum war und blieb das rheinisch-westfälische Industriegebiet, dessen wirtschaftliche Dominanz nicht zuletzt wegen der geographischen Dichte seiner Industrie auch interessenpolitisch besonders deutlich hervortrat, einmal durch die beherrschende Stellung der rheinisch-

Industrielles Wachstum und

Organisation

41

westfälischen Unternehmen in den Syndikaten und Kartellen für Kohle, Eisen und Stahl, zum anderen durch die engen Verknüpfungen zwischen den verschiedenen Unternehmerverbänden. Der kurz nach der deutschen Reichsgründung im März 1871 aus der Taufe gehobene Verein zur Wahrung der wirtschaftlichen Interessen in Rheinland und Westfalen, kurz Langnam-Verein genannt, erfaßte die größeren Unternehmungen aller Industriezweige in diesem Gebiet und entwickelte sich schnell zum einflußreichsten regionalen Unternehmerverband. 37 Zwecks Förderung seiner schutzzöllnerischen Interessen gab er mit den entscheidenden Anstoß zur Gründung des Vereins Deutscher Eisen- und Stahlindustrieller (VDESI) 1874, der die gesamte deutsche Eisen- und Stahlindustrie interessenpolitisch vereinigte. Seine stärkste Untergruppe bildete die rheinisch-westfälische eisen- und stahlerzeugende Industrie, die sogenannte Nordwestliche Gruppe, deren Geschäftsführung mit der des Langnamvereins durch Personalunion verbunden war. Von hier erging wiederum aus schutzzöllnerischem Anliegen die weiterreichende Initiative zur Gründung des Centraiverbandes Deutscher Industrieller (CDI) 1876, dem sich aus verschiedenen Industriezweigen große Unternehmen sowie wirtschaftliche und interessenpolitische Verbände anschlössen. Nicht zuletzt aufgrund des Finanzierungsmodus konnte sich die Schwerindustrie den entscheidenden Einfluß sichern, so daß ihre wirtschafts- und sozialpolitischen Anschauungen diesen Gesamtverband der deutschen Industrie entscheidend prägten. Weitere Anstöße zur unternehmerischen Verbandsbildung gingen von der zunehmenden gewerkschaftlichen Organisation der Arbeiterschaft aus.38 Die 1904 gegründete Hauptstelle

37 Siehe Josef Winschuh, Der Verein mit dem langen Namen. Geschichte eines Wirtschaftsverbandes,, Berlin 1932; einen informativen Uberblick einschließlich weiterführender Literatur gibt der Artikel Unternehmerverbände (Geschichte) von Dirk Stegmann im Handwörterbuch der deutschen Wirtschaftswissenschaften (im folgenden HdWW zitiert), 14. Lfg., Bd. 8, Stuttgart-New York 1980, S. 155—171; vgl. ferner: H a r t m u t Kaelble, Industrielle Interessenpolitik in der wilhelminischen Gesellschaft. Der Centraiverband Deutscher Industrieller 1895—1914, Berlin 1967, und Hans Peter Ulimann, Der Bund der Industriellen. Organisation, Einfluß und Politik klein- und mittelbetrieblicher Industrieller im Deutschen Kaiserreich 1895—1914 (= Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, 21), Göttingen 1976.

" Für die scharfe Gegenreaktion auf Seiten der Schwerindustrie siehe Klaus Saul, Staat, Industrie, Arbeiterbewegung im Kaiserreich. Zur Innen- und Sozialpolitik des Wilhelminischen Deutschland 1903—1914 (= Studien zur modernen Geschichte, Bd. 16), Düsseldorf 1974, S. 51—58.

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I. Stand der Arbeitszeitfrage vor dem Ersten Weltkrieg

Deutscher Arbeitgeberverbände stand dem C D I nahe, während der im gleichen Jahr entstandene Verein deutscher Arbeitgeberverbände zum Bund der Industriellen tendierte, der 1895 als rivalisierender Spitzenverband zum C D I entstanden war und vorwiegend die kleineren und mittleren Industrien mit starker Exportorientierung repräsentierte. 1913 schlössen sich beide sozialpolitischen Spitzenverbände zur Vereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände(VDA) zusammen. Vergleichsweise spät, erst 1904, sahen sich die rheinisch-westfälischen Eisen- und Stahlindustriellen zur Gründung einer sozialpolitischen Interessenvertretung veranlaßt, doch machte sich der Arbeitgeberverband für den Bezirk der nordwestlichen Gruppe des V D E S I (Arbeitnordwest) mit seinem extremen Herr-im-Hause-Standpunkt und einer kompromißlos antigewerkschaftlichen Politik bald einen Namen. 3 9 Obwohl ebenfalls ein entschiedener Befürworter staatlicher Schutzzollpolitik für den heimischen Eisen- und Stahlmarkt und wohl kaum antigewerkschaftlicher als ihr deutsches Gegenstück, verfügte die amerikanische eisen- und stahlerzeugende Industrie nicht über die vielfältigen korporativen Zusammenschlüsse, die es den deutschen Eisen- und Stahlindustriellen ermöglichte, zumindest nach außen hin eine geeinte Front aufzubauen und ihren wirtschafts- und sozialpolitischen Interessen dominierende Geltung zu verschaffen. 40 In der 1895 gegründeten National Association of Manufacturers ( N A M ) mit starker antigewerkschaftlicher Spitze waren gelegentlich einzelne Stahlindustrielle, nicht jedoch die Industrie als Block vertreten. 41 Gleiches galt für die Arbeitgeberverbände, die sich produktmäßig mit der eisen- und stahlerzeugenden Industrie berührten, wie zum Beispiel die National Founders' Association oder die National Erectors' Association. Lediglich im American Iron and Steel Institute (AISI) besaß die eisen- und stahler-

39 Einen unmittelbaren Eindruck von den wirtschafts- und sozialpolitischen Anschauungen der rheinisch-westfälischen Schwerindustrie vermitteln die Verbandsmonographien. Siehe 25 Jahre Arbeitnordwest, 1904—1929, hrsg. vom Arbeitgeberverband für den Bezirk der nordwestlichen Gruppe des VDESI, Berlin 1929, sowie J . Winschuh, Der Verein... 40 Vgl. Clarence E. Bonnett, History of Employers' Association in the United States, New York 1956, für einen informativen Uberblick über die Entwicklung des industriellen Verbandswesens in den Vereinigten Staaten. 41 Für die Organisationsinitiativen verschiedener Stahlindustrieller vgl. Robert H. Wiebe, Businessmen and Reform. A Study of the Progressive Movement, Chicaco 1962, S. 22—41; ferner Albert K. Steigerwalt, Jr., The National Association of Manufacturers, 1895—1914: A Study in Business Leadership, Ann Arbor, Mich. 1964, passim.

Industrielles

Wachstum

und

Organisation

43

zeugende Industrie seit 1909 eine einem interessenpolitischen Spitzenverband ähnliche Institution, die seit dem Anschluß der American Iron and Steel Association 1912 die gesamte eisen- und stahlerzeugende Industrie erfaßte. Aus einer zunächst recht informellen Organisation für den wirtschaftspolitischen Meinungsaustausch entwickelte sich das AISI sowohl zum Zentrum der technisch-wissenschaftlichen Information — vormals das Hauptanliegen der in der American Iron and Steel Association zusammengeschlossenen kleineren Produzenten — als auch zum einflußreichsten Forum der gemeinsamen Planung wirtschafts- und sozialpolitischer Strategien. 42 Voraussetzung dafür waren einschneidende Strukturveränderungen innerhalb der eisen- und stahlerzeugenden Industrie, die sich von einem wettbewerbsintensiven Wirtschaftszweig in eine Industrie mit deutlich monopolistischen Zügen verwandelte. Bestrebungen zur Bildung von Preis- und Produktionskartellen setzten auch in der amerikanischen eisen- und stahlerzeugenden Industrie schon in den 1870er Jahren ein, waren im Gegensatz zur deutschen Situation jedoch durchweg erfolglos. Ohne die in Deutschland bestehende Möglichkeit, Vertragsbrüchige Kartellmitglieder gerichtlich belangen und haftbar machen zu können, lebten die sogenannten „Pools" von dem Augenblicksopportunismus der Mitgliedswerke und brachen, kaum aus der Taufe gehoben, meist wieder zusammen. 43 Seit einer Gerichtsentscheidung von 1898 waren „Pools" wegen ihrer wettbewerbsbehindernden Intention überhaupt ungesetzlich. Die rechtliche Grundlage bildete das Sherman-Antitrustgesetz von 1890, das das bis dahin nur grundsätzlich verbürgte Recht der uneingeschränkten Handels- und Gewerbefreiheit konkretisierte. Allerdings war es in bezug auf die monopolistische Marktbeherrschung durch zunehmende Trustifizierung der amerikanischen Wirtschaft weniger eindeutig. 44 Der harte Wettbewerb auf dem amerikanischen Markt und die damit 42 Seit dem Anschluß der American Iron and Steel Association übernahm das AISI dessen statistische Arbeiten und ebenfalls die Herausgabe der Fachzeitschrift Iron Age, siehe Iron Age vom 23. 5. 1912, S. 1263 und vom 31. 10. 1912, S. 1044. 43 Siehe Wallace Belcher, Industrial Pooling Agreements, in: Quarterly Journal of Economics, vol. 19 (1904), no. 1, S. I l l — 1 2 3 , u. Leonard W. Weiss, Economics and American Industry, New York-London 1961, S. 277f. 44 Zum gesetzlichen Hintergrund einschließlich der wichtigsten Gerichtsentscheidungen siehe A. D. Neale, The Antitrust Laws ofthe United States of America. A Study of Competition Enforced by Law, Cambridge, Mass. 1960, bes. die Einleitung, S. 1—30, sowie Kap. 4.

44

I. Stand

der Arbeitszeitfrage

vor dem Ersten

Weltkrieg

verbundenen konjunkturellen Wechsellagen mit ihren extremen Preisfluktuationen stimulierten seit dem Ende der 1880er Jahre Fusionsbewegungen neuer Größenordnung, zunächst allerdings vornehmlich in horizontaler Richtung. 45 Die 1889 mit einem Kapital von 25 Millionen Dollar gegründete Illinois Steel Co. war das größte Eisen- und Stahlwerk der Welt. Es vereinigte fünf kombinierte Hüttenwerke mit ca. 10000 Beschäftigten, besaß eigene Kohlengruben und Erzvorkommen und kontrollierte durch Aktienmehrheit eine Eisenbahnlinie.46 Trotzdem verfügten die vier größten Unternehmen der amerikanischen eisen- und stahlerzeugenden Industrie 1892 nur über 18 % der gesamten Produktionskapazitäten für Roheisen und 28 % für Walzwerksprodukte. 47 Zwischen 1898 und 1900 befiel die Industrie jedoch extremes Fusionsfieber. Am Ende dieser dreijährigen Konzentrationsbewegung teilten die 12 größten Unternehmen 45 % der gesamten Produktionskapazitäten für Roheisen, Flußstahl und Halbfabrikate (primary products) untereinander auf.48 Ähnlich sah es im Bereich der Erzeuger von Fertigfabrikaten aus. Zum Beispiel verfügte die 1899 organisierte National Tube Co. mit 13 Werken über 75 % der Röhrenfabrikation (wrought tubing), die American Steel and Wire Co. über 8 0 % der Drahtproduktion und die American Sheet and Steel Co. über 70 % der Produktionskapazitäten für Stahlbleche. 49 Die wechselseitige Abhängigkeit zwischen den Riesenunternehmen der Erzeuger von Halbfabrikaten auf der einen und von Fertigfabrikaten auf der anderen Seite drohte um die Jahrhundertwende zu einem kapitalvernichtenden Konkurrenzkampf zu führen, da beide Seiten sich anschickten, durch die Angliederung von Hüttenwerken beziehungsweise weiterverarbeitenden Betrieben diese Abhängigkeiten zu beseitigen.50 Unter der FederEine genaue Durchleuchtung der Hintergründe der Konzentrationsbewegung, die auf breitem statistischem Material beruht, findet sich in dem Report of the Commissioner of Corporations on the Steel Industry, T . 1: Organization, Investment, Profits, and Position of United States Steel Corporation, ed. by the U.S. Department of Commerce and Labor, Washington D. C. 1911, bes. S. 61—110. 45

46 47

Vgl. W . T . Hogan, Economic History..., L. W. Weiss, Economics..., S. 277f.

48 Siehe Report of the Commissioner S. 79. 49

vol. 1, S. 240.

of Corporations

Siehe die Tabelle 7.3 in: L. W . Weiss, Economics...,

on the Steel Industry...,

T . 1,

S. 279.

Vgl. G. Warren Nutter, The Extent of Enterprise Monopoly in the United States, 1899—1939, Chicago 1959, S. 44 f. und 129, Tabelle 37; für eine persönlichkeitsbezogene Darstellung siehe Joseph F. Wall, Andrew Carnegie, New York 1970, Kap. 20, S. 765— 793. 50

Industrielles Wachstum und

Organisation

45

führung des international bekannten Bankhauses J . P. Morgan & Co., das finanziell stark bei der mit einem Aktienkapital von fast 100 Millionen Dollar ausgestatteten Federal Steel C o . engagiert war, wurde aus dem Krieg der Stahlriesen jedoch die Geburt des „ T r u s t der T r u s t s " . 5 1 A m 1. April 1901 entstand durch ein Ubereinkommen zwischen den drei größten Produzenten von Halbfabrikatserzeugnissen (Federal Steel C o . , Carnegie Steel C o . , und National Steel C o . ) sowie fünf der größten Produzenten von Fertigfabrikaten (American Steel and Wire C o . , American T i n Plate C o . , American Steel H o o p C o . , American Sheet and Steel C o . , National T u b e Co.) die United States Steel Corporation ( U S S C ) . Mit einem Gründungskapital von rund 1400 Millionen Dollar und einem Beschäftigtenheer von ca. 168000 Personen war dieses Unternehmen das größte der Welt und rief nicht nur in den Vereinigten Staaten sehr gemischte Bewunderung hervor. 52 N o c h im gleichen Jahr gliederten sich zudem zwei weitere Konzerne der Fertigfabrikation an (American Bridge C o . und Shelby Steel T u b e Co.) sowie eine Erzförderungsgesellschaft und eine Schiffahrtslinie (Lake Superior Consolidated Iron Mines, Bessemer Steamship Co.). Mit einem Marktanteil von 43,2 % der gesamten amerikanischen Roheisenproduktion (pig iron), 66 % der gesamten Flußstahl- und Formeisenproduktion (steel ingots and castings), 59 % der Schienenerzeugnisse und 85 % der Draht- und Röhrenfabrikation (wire and wireproducts, tubes and pipe) dominierte die U S S C die amerikanischen eisen- und stahlerzeugende Industrie in einem Ausmaß, daß die wenigen konkurrenzstarken und weiterhin unabhängigen Konzerne wie die J o n e s & Laughlin C o . , die Republic Iron and Steel C o . , Bethlehem Steel Corporation (1904), Youngstown Sheet and T u b e C o . usw. wettbewerbsmäßig keine Gefahr darstellten. 5 3

M Vgl. dazu und im folgenden: Report of the Commissioner Industry..., T . 1, S. 7—14.

of Corporations

on the Steel

Beschäftigtenzahlen für 1902 aus Charles A . Gulick, Labor Policy of the United States Steel Corporation, N e w Y o r k 1924, S. 57. Für die Reaktion der Öffentlichkeit vgl. Frederick Lewis Allen, The Lords of Creation. The Story of the Great Age of American Finance, London 1935, S. 32f. 52

53 Report of the Commissioner of Corporations on the Steel Industry, T 1, S. X I I I . Für das Kräfteverhältnis zwischen den unabhängigen Konzernen und der U S S C siehe Gertrude G . Schroeder, The Growth of Major Steel Companies, 1900—1950 (- T h e J o h n H o p k i n s University Studies in Historical and Political Science, Series 70, no. 2), Baltimore, Md. 1952, bes. S. 196—209, Anhang Tabelle 9, S. 224 f.

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I. Stand der Arbeitszeitfrage

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Weltkrieg

Im Vergleich zum Stahlwerksverband, „einem Orchester ohne Dirigenten", und den deutschen Kartellen und Syndikaten im allgemeinen verkörperte die USSC „ein einziges Musikinstrument". 54 Als Dachgesellschaft der eingebrachten Unternehmen organisiert, ging die zentrale Leitung von ihren Vorstandsgremien (Board of Directors, Executive und Finance Committee) aus. Diese bestimmten die allgemeine Politik der USSC einschließlich der Preis- und Lohnpolitik, während bei den Tochtergesellschaften lediglich die technische Werks- und Produktionsleitung verblieb. Im Gegensatz dazu handelte der Stahlwerksverband auf Anweisung seiner Mitglieder, die ängstlich darauf bedacht waren, ihre Eigenständigkeit nicht zu verlieren. Die lose Verbindung durch Syndizierung machte es lebensnotwendig, für etwaige zukünftige Kämpfe auf einem erneut freien Markt gerüstet zu sein, weshalb zum Beispiel eine arbeitsteilige Spezialisierung unter den Mitgliederwerken des Stahlwerksverbandes nur in Ansätzen durchführbar war, dagegen konnte die USSC ihre Auftragsverteilung nach dem Gesichtspunkt der größtmöglichen Kostenersparnis vornehmen. Dadurch vergrößerte sich der natürliche Wettbewerbsvorsprung der amerikanischen eisenund stahlerzeugenden Industrie noch, die sowieso schon über den Vorteil einer fast ausschließlichen Produktion für einen relativ produkthomogenen heimischen Markt verfügte, während die deutsche eisenund stahlerzeugende Industrie auf den Export angewiesen war, eine größere Vielfalt an Produktspezifikationen in Kauf nehmen mußte und auch aufgrund ihrer Organisation nicht in der Lage war, zu der in den Vereinigten Staaten üblichen und kostengünstigeren Massenfabrikation überzugehen. Darüber hinaus baute die USSC ihre marktbeherrschende Stellung mit der Einverleibung der Tennessee Coal, Iron & Railroad Co. während der amerikanischen Finanzpanik 1907 weiter aus und verschaffte sich dadurch auch in der Versorgung mit den beiden wichtigsten Rohstoffen, Kohle und Erz, eine uneinnehmbare Position. 55 Dank dem Zusammenspiel von dominierenden Produktionskapazitäten bei breitester Produktdiversifikation, hoher Unternehmensintegration sowie Marktnähe und billigen Transportkosten durch dominierende Besitzanteile an verschiedenen Eisenbahn- und Schiffahrtslinien konnte die USSC die Preise auf dem amerikanischen Eisenmarkt bestimmen, da 54 Herbert Bogner, Die Wandlungen in der Organisation der deutschen Stahlindustrie und ihre Ursachen, Diss. Heidelberg 1929, S. 129, im folgenden S. 94 f. 55 Report of the Commissioner of Corporations on the Steel Industry..T. 1, S. XIII f.

Industrielles

Wachstum

und

Organisation

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sie, falls notwendig, jeden Konkurrenten zumindest temporär unterbieten und auf dessen Konkurs warten konnte. Auf dieser Grundlage der monopolistischen Marktbeherrschung durch die U S S C funktionierte zum ersten Mal eine Preiskartellbildung trotz deren Illegalität. 56 Während des drastischen Konjunktureinbruchs von 1907, der 1908 einen Produktionsrückgang auf 41 % der Gesamtkapazität der Industrie zur Folge hatte, 5 7 inaugurierte der Leiter und Vorstandsvorsitzende der U S S C , Judge Elbert H . Gary, der als ehemaliger Präsident der Federal Steel C o . die Interessen des Bankhauses Morgan vertrat, seine Politik der Marktstabilisierung durch stabile Preise. 58 Auf den berühmten Gary-Dinners, aus denen das A I S I hervorging, dessen Präsident Gary wurde, trafen die Industriellen informelle Preisabsprachen, statt sich wie bisher Preiskriege zu liefern, um ihre Produktionskapazitäten auszulasten. 59 Die Führungsrolle der U S S C war unbestritten, und bald bestimmte sie nicht nur die Preispolitik der Industrie, sondern auch deren Lohnpolitik, da die geographische Konzentration der eisenund stahlerzeugenden Industrie ihre Dominanz noch wirkungsvoller machte. 6 0 In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatte sich die amerikanische eisen- und stahlerzeugende Industrie westwärts bewegt. Um 1900 produzierten die sich wie ein Gürtel um die Großen Seen im Norden der Vereinigten Staaten legenden sechs Bundesstaaten Pennsylvania, Ohio, West Virginia, Indiana, Illinois und Wisconsin 85 % der gesamten amerikanischen Eisen- und Stahlerzeugung. Das Herzstück der Industrie bildete das westliche Pennsylvania mit seinen reichen Kohlevorkommen und der schwerindustriellen Metropole Pittsburgh. Der Staat Pennsylvania allein produzierte um die Jahrhundertwende 47 % 56 Siehe Abraham Berglund, The United States Steel Corporation and Prize Stabilization, in: Quarterly Journal of Economics, vol. 38 (1923), no. 1, S. 1—30, bes. S. 14 f. 57 W. T . Hogan, Economic History..., vol. 2, S. 362. 58 Zur Person Garys vergleiche die allerdings sehr schönfärberische Biographie von Ida Tarbeil, The Life of Elbert H. Gary. A Story of Steel, New York-London 1926, hier bes. S. 124f. " Siehe die Berichte in Iron Age vom 28. 11. 1907, S. 1549 und vom 10. 6. 1909, S. 1862f., in denen u. a. die positiven Auswirkungen des Stahlwerksverbandes auf die deutsche eisen- und stahlerzeugende Industrie besonders hervorgehoben werden. Vgl. ferner Maurice H. Robinson, The Gary Dinner System: An Experiment in Cooperative Price Stabilization, in: Southwestern Political Science Quarterly, vol. 7 (1926), no. 2, S. 137—161. 60 Siehe L. W. Weiss, Economics..., S. 278f., und Arundel Cotter, The Authentic History of the United States Steel Corporation, New York 1916, S. 124 ff.

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I. Stand der Arbeitszeitfrage vor dem Ersten Weltkrieg

des Roheisens, 80 % des Siemens-Martin-Stahl, 52 % des Bessemer Stahls und 56 % der fertigen Walzprodukte in den Vereinigten Staaten. Es folgten in der Rangordnung der westliche Nachbarstaat Pennsylvanias, Ohio, und dann Illinois mit seiner schwerindustriellen Region um Chicago. 6 1 In diesem geographischen Bereich konzentrierten sich die Werke der U S S C , die mit der Absorption der Tennessee Coal, Iron & Railroad C o . ihre Vormachtstellung auch auf das schwerindustrielle Zentrum im Süden der Vereinigten Staaten um Birmingham im Staate Alabama ausdehnte, der an vierter Stelle in der Rangfolge der eisen- und stahlerzeugenden Bundesstaaten stand. Damit bildete die U S S C auch geographisch die Klammer, die die amerikanische eisen- und stahlerzeugende Industrie, wenn auch mit unterschiedlichem Erfolg, interessenpolitisch zusammenhielt. Für die Entwicklung der Arbeitszeitfrage in der deutschen und amerikanischen eisen- und stahlerzeugenden Industrie war die Tatsache des hohen wirtschaftlichen Organisations- und Konzentrationsgrades, den dieser Industriezweig nach der Jahrhundertwende erreicht hatte, zusammen mit dem sehr erfolgreichen Wirtschaftswachstum in dreierlei Hinsicht von Bedeutung. Der relative Abstieg der englischen eisen- und stahlerzeugenden Industrie bestärkte besonders die deutsche Seite in ihrem Kurs einer monopolistischen Marktbeherrschung unter dem Schutzmantel von Einfuhrzöllen bei gleichzeitiger Insistenz auf absoluter Vorrangigkeit hoher Produktivität, die durch Gewerkschaftsherrschaft und kürzere Arbeitszeiten in Großbritannien angeblich nicht mehr durchsetzbar war. Deshalb brachte man den Ubergang zum achtstündigen Dreischichtsystem von Teilen der englischen eisen- und stahlerzeugenden Industrie in direkte Verbindung mit deren verminderter Wettbewerbsfähigkeit. 6 2 Der zweite Schlüssel zum Erfolg lag in einer Politik der stabilen Preise, die destruktiven Konjunkturabschwüngen und vernichtenden Konkurrenzkämpfen entgegenwirken sollte. In dieser Hinsicht besaß die deutsche eisen- und stahlerzeugende Industrie durch die staatliche Sanktionierung der Kartelle und Syndikate einen Vorsprung gegenüber der amerikanischen Konkurrenz, was letztere stets aufs neue neidvoll und mit vorwurfsvoller Blickrichtung auf die amerikanische Regierung konstatierte. 6 3 Allerdings hatte die fortge-

W. T . H o g a n , Economic History..., vol. 1, S. 192f. Siehe Rundschreiben des V D E S I v o m 15. 4. 1912, B A , R 13 1/177. 63 Vor allem Gary nutzte jede Gelegenheit, die deutsche Fortschrittlichkeit sowohl was den hohen Zollschutz als auch die legalisierte Preiskartellbildung betraf, lobend zu 61

62

Technologischer Wandel

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schrittene monopolistische Struktur und Marktbeherrschung der deutschen und amerikanischen eisen- und stahlerzeugenden Industrie auch ihre Kehrseite. Ihr weitausgreifender Einfluß in der Wirtschaft durch Kartell- und Syndikatsbildung beziehungsweise Trustifizierung sowie der engen Verflechtung mit den ihr vor- und nachgelagerten Industrien ließen in öffentlichen und politischen Kreisen Bedenken nicht nur über die wirtschaftlichen, sondern auch sozialen Folgen einer derartigen Machtzusammenballung aufkommen. Im Rampenlicht der öffentlichen Aufmerksamkeit aber mußten sich beide Industrien auch eine Durchleuchtung ihrer Arbeitsbedingungen gefallen lassen. Davon profitierte die Arbeiterschaft einerseits, andererseits stellten der technologische Wandel, die fortschreitende Mechanisierung und Rationalisierung des Arbeitsprozesses, das rapide Betriebs- und Unternehmenswachstum sowie die geographische Dichte dieses Industriezweigs fast natürliche und kaum überwindbare Barrieren für eine Selbstbehauptung der Arbeiterschaft dar. Ein Zeichen dieser Hilflosigkeit war die Arbeitszeitregelung in der deutschen und amerikanischen Eisen- und Stahlerzeugung, wo sich die Arbeitszeit nicht wie in den anderen Industriezweigen verkürzte, sondern eher verlängerte.

Technologischer Wandel, Arbeitsplatzveränderung und Belegschaftsumschichtung Die durchgehende Produktionsweise, die den Charakter der Arbeitsbedingungen in der eisen- und stahlerzeugenden Industrie bestimmt, ist grundsätzlich nur für die Erblasung des Roheisens im Hochofen eine metallurgische Notwendigkeit. Stahl- und Walzwerke haben die Produktionsweise rund um die Uhr allein aus Gründen erheblicher Kostenersparnis übernommen, die sich aus energiewirtschaftlicher Rationalisierung, gleichbleibender Produktionsqualität und beständiger Nutzung der kapitalintensiven Betriebsanlagen erwirtschaften lassen. J e stärker daher der technische Fortschritt die nahtlose Verzahnung des Produktionsflusses zwischen Hochofenbetrieb und Stahl- und Walzwerken möglich und wünschenswert machte, desto allumfassender wurde das System der zwölfstündigen Doppel-

erwähnen, um damit gleichzeitig auf die Benachteiligung der amerikanischen eisen- und stahlerzeugenden Industrie besonders im Außenhandel hinzuweisen. Siehe z. B. Iran Age vom 1 9 . 4 . 1906, S. 1 3 2 4 f f . , vom 16. 8. 1906, S. 419 und vom 1 0 . 6 . 1909, S. 1862f.

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I. Stand der Arbeitszeitfrage

vor dem Ersten

Weltkrieg

schichten mit einer vierzehntäglich wiederkehrenden Wechselschicht in allen Bereichen der eisen- und stahlerzeugenden Industrie. In den Anfängen der großbetrieblichen Eisenerzeugung waren der Hochofenbetrieb, die Herstellung von schmiedbarem Eisen im Puddelverfahren und das Walz- oder Hammerwerk noch deutlich voneinander getrennte Produktionseinheiten mit verschiedenem Arbeitsrhythmus. Vom Hochofenbetrieb gelangte das nicht für den G u ß bestimmte Roheisen im erstarrten Zustand in das Puddelwerk, wo es erneut eingeschmolzen und dann unter ständigem Rühren von Hand mittels langer Stangen und Zangen je nach chemischem Zusatz in schmiedbare Eisen- oder Stahlballen umgewandelt wurde. Nach weiterem Erhitzen und Ausquetschen der Schlacke entstand schließlich das Endprodukt, die Luppen, die häufig schon in vorgewalzter Form als Luppenknüppel in das Walzwerk weiterwanderten. Hier wurde Puddeleisen oder -stahl in sogenannten Schweißöfen auf die nötige Walztemperatur gebracht und dann je nach Walzenart zu Schienen, Blöcken, Knüppeln, Blechen etc. verarbeitet. Während der Hochofen der beständigen Wartung bedurfte und sich deshalb die Produktionsarbeiter dort im Zwölf-Stunden-Rhythmus ablösten, bestimmte eine festgelegte Produktionshöhe in Form einer fixen Anzahl von Chargen die Schichtzeit der Puddler und Walzer, so daß je nach reibungslosem Produktionsgang und Qualität des Materials die Arbeitszeitlänge trotz Tag- und Nachtschicht variierte und weniger als zwölf Stunden betragen konnte. Demgegenüber arbeiteten die Tagschichter, die als reine Hilfsarbeiter mit dem Heranschaffen und dem Abtransport der verschiedenen Rohmaterialien beschäftigt waren, zum Teil länger als zwölf Stunden, so daß sie sich arbeitszeitlich noch schlechter standen als die Produktionsarbeiter in den Hochofenwerken, die Schmelzer und Gichtsetzer. 6 4 Charakteristisch für diesen frühen Stand der Produktionstechnik in der Eisen- und Stahlerzeugung war nicht nur die schwere, meist unter extremen Temperaturen zu leistende Handarbeit, sondern auch die herausragende Stellung der Facharbeiter. Von den Kenntnissen, der Erfahrung und Geschicklichkeit der Meisterstellung besitzenden Ersten Schmelzer, Ersten Puddler, Ersten Schweißer und Ersten Walzer hingen der reibungslose Produktionsablauf ebenso ab wie die Qualität der Eisenprodukte. Ihre Rekrutierung verlief ohne formalisierte Lehre 64

nik...,

Vgl. J . A. Fitch, The Steelworkers..., S. 37f. u. 55f.

S. 91 f.; H. Ehrenberg, Die Eisenhüttentecb-

Technologischer

Wandel

51

oder Ausbildung, vielmehr dienten sie sich in der Arbeitskolonne vom Hilfsarbeiter empor, um über die Position des Zweiten Schmelzers, Puddlers etc. in die Meisterstellung zu gelangen. Mehr noch in den Vereinigten Staaten als in Deutschland demonstrierte sich deren unabhängige Stellung zum einen in der Bezahlung nach erbrachter Produktionsleistung, zum anderen in der selbständigen Auswahl ihrer Zuarbeiter. Teilweise bezahlten sie ihre Arbeitskolonne auch in eigener Regie. 65 Diese Arbeitsorganisation zerbrach in den 1880er Jahren mit der Verdrängung des Puddelverfahrens durch die Stahlerzeugung im Bessemer-, Thomas- und Siemens-Martin-Verfahren und der damit einhergehenden Verwissenschaftlichung und Mechanisierung der Produktionsprozesse. Aus den Facharbeitern als den eigentlichen Produzenten wurden Aufsichtsbeamte und Befehlsempfänger der chemischen und technischen Beamten. Die eisen- und stahlerzeugende Industrie verwandelte sich in eine Industrie der an- und ungelernten Arbeiter, deren steigende Produktions- und Produktivitätserfolge von einer stetig verbesserten Maschinenleistung abhingen. 66 Zwischen 1850 und 1900 wuchs das Produktionsvolumen eines Hochofens in Deutschland auf ungefähr das Zwölffache, stieg von ca. 24 t auf rund 240 t, und statt des früher üblichen vier bis fünfmaligen Roheisenabstichs wurden nun sechs bis zehn Roheisenabstiche innerhalb von 24 Stunden notwendig. Dank der für die amerikanische Hochofentechnik typischen Methode des ,fast driving' lagen die dortigen Produktionskapazitäten noch höher. 6 7 Während 1895 zwei Hoch-

45

A.a.O.,

S. 43ff., 77ff. u. 9 6 f . Zur Verbreitung und Abschaffung des sogenannten

Akkordmeistersystems in Deutschland siehe ferner O t t o Jeidels, Die Methoden Arbeiterentlöhnung

in der rheinisch-westfälischen

der

Eisenindustrie,

Berlin 1907, S. 3 0 — 3 4 ;

für die amerikanische Seite vgl. J. A. Fitch, The Steelworkers...,

S. 9 9 f . und bes. auch

Daniel J . Walkowitz, WorkerCity, Troy and Cohoes, New York, 66

Company

1855—1884,

Town. Iron and Cotton-Worker

Protest in

Urbana-Chicago-London 1978, S. 19 ff.

Z u diesem Umbruchprozeß siehe die sehr informativen Darstellungen in: Report on

Conditions

of Employment...,

ers and Employees,

vol. 3: Working

Conditions and the Relations of

376; ferner H . Ehrenberg, Die Eisenhüttentechnik..., rer, Einfluß

Employ-

Washington D. C . 1913, S. 3 3 — 3 8 , bes. aber Kap. 12 u. 13, S. 2 8 7 —

des technischen

Vereins für Sozialpolitik

Fortschritts

in Wien, 27.—29.

S. 8 5 — 1 4 0 , sowie O t t o Kamme-

auf die Produktivität, September

in: Verhandlungen

des

1909 (= Schriften des Vereins für

Sozialpolitik, Bd. 132), Leipzig 1910, S. 3 9 0 — 4 2 5 . Mein kurzer Überblick über die Auswirkungen der technischen Veränderungen stützt sich, wenn nicht anders angemerkt, auf diese drei Darstellungen. 67

Darunter versteht man die Verkürzung der Garzeit durch erhöhte Windzufuhr.

Vgl. R . C . Allen, Peculiar History...,

i n : J E H , vol. 37 (1977), no. 3, S. 6 0 5 — 6 3 3 .

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I. Stand der Arbeitszeitfrage

vor dem Ersten

Weltkrieg

öfen mit einer Belegschaft von 194 Leuten rund 508 t pro Tag produzierten, entfielen 1910 auf vier Hochöfen mit 420 Beschäftigten 1904 t, das heißt, die Durchschnittsproduktion eines Arbeiters war von 2,6 t auf 4,5 t gestiegen.68 Obwohl sich bei der Roheisenerschmelzung prinzipiell wenig verändert hatte, stellte das enorme Kapazitätswachstum der Hochöfen große Anforderungen in bezug auf die zu bewegenden Mengen an Rohmaterialien. Die Einführung eines werkseigenen Eisenbahnnetzes für die Heranschaffung von Koks und Erz sowie für den Abtransport des Roheisens und der Schlacke reduzierte die Zahl der ungelernten Transportarbeiter erheblich, die zuvor mit der Schubkarre die Unmengen der Rohstoffe an- und wegschleppen mußten. Ahnlich erging es den Gichtsetzern mit der Einführung des kippbaren Gichtaufzuges, der die gefährliche und schwere Arbeit der Beschickung des Hochofens mit Koks und Erz von Hand beseitigte, so daß einige wenige Maschinenarbeiter die sich mit dem ansteigenden Produktionsvolumen der Hochöfen ebenso stetig vermehrenden Gichtarbeiter ersetzten. Allerdings war diese mechanische Vorrichtung vordem Ersten Weltkrieg nur in wenigen deutschen Großbetrieben zu finden, während sie in den Vereinigten Staaten schon durchaus die Regel darstellte. Gießpfanne und Roheisenmischer, die schon vor der Jahrhundertwende allgemein in Gebrauch kamen, erleichterten die Arbeit der Schmelzer und der ihnen unterstehenden Arbeitskolonnen erheblich. Durch den Abstich des für das Stahlwerk bestimmten Roheisens direkt in die Gießpfanne und den sofortigen Weitertransport des flüssigen Roheisens zum Roheisenmischer wurden nicht nur die extremen Hitzeentwicklungen in den Hochofen werken verringert, sondern es erübrigte sich auch die schwere Handarbeit des Roheisenbrechens im noch glühenden Zustand sowie seine Verladung. Gleiches galt für die rationellere Beseitigung der flüssigen Schlacke. Mit der Stichlochmaschine, die den Verschluß des Abstichlochs erheblich beschleunigte und erleichterte, war eine weitere Reduzierung der schweren Handarbeit der Feuerarbeiter verbunden. Kräne, automatische Verladevorrichtungen und Eisenbahnwagen beherrschten das Bild eines modernen Hochofenwerks, während sich in den älteren Hochofenbetrieben die Arbeiter drängten. In der Gutehoffnungshütte zum Beispiel reduzierte sich die Zahl der Hochofenarbeiter an den neuen gegenüber den alten Hochöfen von 52 auf sechs Arbeiter plus sechs Maschinisten. 69 68

Report on Conditions of Employment..vol. 3, S. 510. Stenographisches Protokoll der Vorstandssitzung des VDESI vom 5.11.1913, BA, R 13 1/141, Bl. 33. 69

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Wandel

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Auch im Stahlwerk ergaben sich die größten Arbeitserleichterungen durch mechanische Transport- und Beschickungsanlagen. Bei den Kupolöfen, in denen die erstarrten Roheisenmasseln für den Einlaß in die Bessemer- oder Thomasbirne eingeschmolzen wurden, hatten die kippbaren Gichtaufzüge die gleiche arbeitsplatzeinsparende Wirkung wie im Hochofenbetrieb. Zudem nahm die Bedeutung der Kupolöfen mit der Einführung des Roheisenmischers ab, der das Roheisen verschiedener Abstiche flüssig hielt, das dann in chemisch erwünschter Zusammensetzung von dort direkt in den Konverter gelangte. Das anfängliche Fassungsvermögen der Konverter von drei bis fünf Tonnen hatte sich nach der Jahrhundertwende auf 15 bis 25 t erhöht, gleichzeitig hatte sich auch die Anzahl der Chargen vermehrt. Die maximale Wochenproduktion eines Bessemerkonverterpaares an Rohstahlblöcken in einem amerikanischen Stahlwerk betrug 1870 noch 254 t, 1880 schon 3433 t und 1903 immerhin 15 704 t. 70 Ohne mechanische Beschickungs- und Konverterkippvorrichtungen durch spezielle Krananlagen sowie eine erheblich verbesserte Wärmewirtschaft hätte eine so gewaltige Produktionssteigerung kaum erreicht werden können. Von besonderer Bedeutung war die Aufstellung der Konverter in einer Reihe statt der früher üblichen kreisförmigen Anordnung, da dadurch neben produktionstechnischen Vorteilen auch die Hitzeentwicklung gemäßigt wurde und sich bessere Möglichkeiten der Entlüftung vor allem bei der Entleerung der Konverter durch den Stahlabguß in die auf einem Wagen vorbeifahrende Gießpfanne boten. Die zuvor gebräuchliche Methode des Stahlabgusses in eine gemeinsame Gießpfanne in der Mitte der Konverterrunde, die durch einen eben dort sich befindenden Kran bewegt wurde, machte die Arbeit der für den Guß zuständigen Pfannenleute zu einem unerträglichen Inferno und beeinträchtigte durch die entstehenden sengenden Temperaturen auch die anderen Arbeiter im Stahlwerk. Eine ebenso wichtige, wenn auch gleichfalls ungelernte Arbeiterkategorie waren die Konverterleute, die von einer niedrigen und einer höheren Plattform aus den Konverter bedienten. Sie waren einmal zuständig für seine Beschickung, für die Reinigung der Konverteröffnung und das Stopfen der Bodenlöcher, zum anderen kontrollierten sie den chemischen Prozeß durch die Regelung der Windzufuhr, das rechtzeitige Kippen des Konverters, durch die Entnahme von Schöpfproben und den nötigen Zusatz bestimmter chemi70

H . Ehrenberg, Die Eisenhüttentechnik..., ment..., vol. 3, S. 301.

S. 98; Report on Conditiom of Employ-

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Weltkrieg

scher Stoffe. Ihre Arbeit in der unmittelbaren Nähe der Konverter blieb trotz aller maschineller Einrichtungen körperlich sehr anstrengend, vor allem da die beschleunigte Abfolge von Chargierung und Entleerung der Birne deren pausenlose Bedienung erforderlich machte. Unter extremer Hitzeeinwirkung litt ebenfalls die dritte große Kategorie der Produktionsarbeiter eines Bessemer- oder Thomasstahlwerks, die sogenannten Kokillenarbeiter, die den flüssigen Stahl von der Gießpfanne in Blockformen gössen. Während sich in den Vereinigten Staaten nach der Jahrhundertwende überwiegend der Wagenguß durchgesetzt hatte, der den sofortigen Abtransport der mit flüssigem Stahl gefüllten Kokillen zum Walzwerk erlaubte, herrschte in Deutschland die Gießhalle vor. D o r t lief der flüssige Stahl von der Gießpfanne durch einen Trichter über verschiedene Kanäle in die Kokillen. Nach Abkühlung des Rohstahls mußten Kokille und Rohstahlblock voneinander getrennt und letzterer auf einen für das Walzwerk bestimmten Wagen geladen werden. J e nach dem Stand der Krantechnik war dieser Prozeß eine extrem schwere und äußerst gefährliche Arbeit. Bei einfachen Kranvorrichtungen bewegten sich die Gießgrubenarbeiter zwischen den glühenden Kokillen und Rohstahlblöcken, da sie Zangen- und Hakenführung vornehmen mußten und gelegentlich heftiges Hämmern notwendig war, um den Rohstahlblock von der Kokille zu lösen. Ein kombinierter Stripperkran dagegen machte den größten Teil der Gießgrubenarbeiter überflüssig, da er sowohl die Kokillen aufstellte, nach dem G u ß den Roheisenblock aus der Kokille hob und für das Walzwerk verlud. Genau wie im Hochofenwerk konnten daher je nach technischem Stand der Anlage die Arbeitsbedingungen im Bessemerund Thomasstahlwerk erheblich voneinander differieren. Gleiches galt für das Siemens-Martin-Stahlwerk, das in den Vereinigten Staaten seit der Jahrhundertwende das Bessemerverfahren zurückdrängte, 71 während aufgrund der Erzbeschaffenheit die Produktion von Thomasstahl in Deutschland überwog und das Siemens-MartinVerfahren vor allem der Herstellung von Qualitätsstahl und der Schrottverarbeitung diente. Erhebliche Produktionssteigerungen wurden bei diesem Herdschmelzverfahren möglich durch die Einführung elektrischer Beschickungskräne um die Jahrhundertwende, die die vorgeheizten Öfen mit Koks, Roheisen und Schrott füllten. Zuvor hatten Arbeiter mit Schubkarre und Schaufel die Ofen chargiert und

71

W. T. Hogan, Economic History...,

vol. 2, S. 363.

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extreme Arbeitsleistungen vollbringen müssen, da sie direkt der Glut des Ofens ausgesetzt waren. Diese Handbeschickung blieb seit der Einführung der Chargierkräne auf den Zusatz der chemischen Zuschläge beschränkt, das heißt, ein Arbeiter nach dem anderen rannte zum Beispiel mit einer Schaufel voll Kalk auf die Ofenöffnung zu und warf diesen so in das glühende Stahlbad, daß der Kalk sich möglichst gleichmäßig verteilte. Wegen der Hitzeeinwirkung war dieser Arbeitsvorgang kaum eine leichte Arbeit, und das Beispiel macht deutlich, daß der Kapazität eines Siemens-Martin-Ofens sozusagen natürliche Grenzen gesetzt waren, solange die Ofenbeschickung ausschließlich von Hand erfolgte. Während das maximale Fassungsvermögen eines Siemens-MartinOfens nach der Jahrhundertwende in Deutschland bei 80 t lag, waren es in den Vereinigten Staaten bei kippbarer Ofenkonstruktion 800 t. 72 Obwohl erhebliche Arbeitserleichterungen mit der Produktionssteigerung parallel gingen, blieben die Arbeitsbedingungen im SiemensMartin-Stahlwerk aufgrund der extremen Hitzeeinwirkung körperlich sehr anstrengend. Nach jedem Abstich mußte die Innenverkleidung des Ofens ausgebessert werden, das Stichloch gereinigt und wieder verstopft sowie die Abstichrinne erneuert werden. Bei dieser Tätigkeit gab es kein Entrinnen vor der Hitze des immer noch glühendheißen Ofens. Abgesehen von der ebenfalls schweren und gefährlichen Arbeit an den Gasmaschinen, wo durch Stochen der Gasöfen die Siemens-MartinÖfen oder die Konverter auf die richtige Hitze gebracht wurden und die Arbeiter in regelmäßigen Abständen den Staub aus den Generatoren und Gasleitungen entfernen mußten, unterschied sich die Arbeitsorganisation im Siemens-Martin-Stahlwerk insofern, als der Produktionsfluß den Arbeitern verschiedene Arbeitsgänge auferlegte, während im Hochofenwerk und im Bessemer- und Thomasstahlwerk die Produktionsarbeiter für deutlich getrennte Phasen des Produktionsprozesses zuständig waren und ihre Arbeitsverrichtungen stets die gleichen blieben. Allerdings ergab sich dadurch kaum eine Differenz in der Belegschaftsstruktur. Hier wie dort bedienten vorwiegend angelernte Arbeiter die Maschinen, während ungelernte Arbeiterkolonnen zuarbeiteten. Lediglich der Erste Schmelzer im Siemens-Martin-Stahlwerk mußte über eine gewisse Qualifikation und Erfahrung verfügen, da es ihm nicht wie dem Ersten Konvertermann im Bessemer- oder Thomas-

72

E. Hübener, Die deutsche Eisenindustrie...,

S. 23.

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I. Stand der Arbeitszeitfrage vor dem Ersten Weltkrieg

Stahlwerk möglich war, mit Hilfe eines Spektroskops den richtigen Zeitpunkt des Abstichs zu bestimmen. Vielmehr bedurfte es wiederholter Schöpfproben und gelegentlicher Ausschmiedungen, um die Stahlqualität festzustellen. Ansonsten jedoch konzentrierte sich die Meister- und Vorarbeiterfunktion im Siemens-Martin-Stahlwerk ebenso wie im Hochofenwerk oder Bessemer- und Thomasstahlwerk auf die Garantie eines reibungslosen Produktionsablaufs durch ständige Überwachung der Belegschaft, deren Unachtsamkeit t r o t z aller Gleichförmigkeit und Simplizität, wenn auch nicht physischen Leichtigkeit der Arbeitsverrichtungen schwere Betriebsstörungen verursachen konnte. Während die Eigendynamik der chemischen Prozesse bei der Eisenund Stahlgewinnung die Abhängigkeit zwischen Arbeitsleistung auf der einen, Produktionshöhe und Produktqualität auf der anderen Seite fast gänzlich verschleierte, blieb diese Verbindung im Walzwerk t r o t z aller Mechanisierung und Dequalifikation der menschlichen Arbeitskraft wesentlich präsenter, obwohl die Steigerung der Arbeiterproduktivität auch hier in erster Linie vom technischen Stand des Betriebes abhing. Arbeitsplatzeinsparung und Arbeitserleichterung sowie Energieersparnis resultierten in dem dem Walzwerk vorgeschalteten Wärmebetrieb aus der Fortentwicklung der Schweißöfen und dem Ubergang zu Wärmegruben, die auf ein enges Verbundsystem zwischen Stahl- und Walzwerk angewiesen waren. D a die Wärmegruben auf dem Prinzip des Wärmeausgleichs beruhten, eliminierten sie vor allem die Gefahr einer Verbrennung des Rohstahls oder Roheisens bei seiner Wiedererhitzung auf Walztemperatur. J e t z t wanderten die noch glühenden Rohstahlblöcke mittels besonderer Kranvorrichtungen in die Wärmegruben und dann nach langsamer und gleichmäßiger Abkühlung sofort weiter zu den Walzenstraßen. Abgesehen von den Kranführern, erforderte dieser Arbeitsprozeß nur Handlangerarbeit, und dazu noch in sehr geringem Umfang. Weggefallen war die auch bei den neuen Wärmeöfen immer noch recht verantwortungsvolle Position der Ersten und Zweiten Schweißer, die für die richtige Walztemperatur der Rohstahlblöcke sorgen mußten, sowie die harte Arbeit des Ofenstochens und der Ofenwartung. Beide Tätigkeiten wurden durch die Einführung von Gasöfen statt der Koksöfen und die Maschinisierung des Einsetzens und Aushebens der Rohstahlblöcke wesentlich erleichtert, da sich die Rauchentwicklung, Hitzeeinwirkung und die Transportarbeiten erheblich reduzierten. Die durch die neue Ofentechnik garantierte kontinuierliche Versorgung des Walzwerks mit Rohstahlblöcken

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führte in letzterem wiederum zu Produktivitätssteigerungen, denn unliebsame Wartepausen fielen jetzt weg. Zudem erhöhte sich die Schnelligkeit des Auswalzens beträchtlich, da erstens mechanische Vorrichtungen an den Walzstraßen die schwere Handarbeit des ständigen Anhebens des Walzgutes und seiner Hin- und Herbeförderung übernahmen, zweitens ein starker elektrischer Kraftantrieb die Walzenumdrehungen beschleunigte und drittens die Walzstraßen kontinuierlich angeordnet waren. Durch diese Verbesserung entfiel die früher notwendige wiederholte Erhitzung des Walzgutes, denn jetzt wurde in „einer H i t z e " durchgewalzt, was in hohem Maße Arbeiterund Energie einsparte. Der Grad der Mechanisierung des Walzvorgangs hing dabei nicht zuletzt von dem gewünschten Endprodukt ab, und dementsprechend differierten die Arbeitsbedingungen in den Walzbetrieben für die Produktion von Halbzeug, Schienen, Drähten, Blechen usw. Grundsätzlich bestand die Arbeitserleichterung durch verbesserte Walztechnik jedoch in allen Walzwerkbetrieben in der weitgehenden Beseitigung der physisch extrem schweren Arbeit der Handbeförderung mittels Zangen, Stangen und Schubkarren, die das Bild des bis in die 1880er Jahre herkömmlichen Duowalzwerkes bestimmten. Mit der Einführung der Triowalzen und der Reversierstraße sowie der Installation von mechanischen Hebevorrichtungen, Laufkränen und Förderbändern, worin die amerikanische eisen- und stahlerzeugende Industrie gegenüber der deutschen einen bedeutenden Vorsprung aufwies, veränderte sich nicht nur die Belegschaftsstruktur in den Walzwerken, sondern es erhöhten sich auch der Umfang und das Gewicht der einzelnen Walzstücke. Ein Rohstahlblock von einer Tonne Gewicht stellte für ein modernes Grobwalzwerk mit Reversierstraße, maschinengetriebenen Rollgängen und Umkehrwalzen kein großes Problem dar. 73 Allerdings bedienten Roll- und Walzmaschinisten sowie Schraubensteller für die Profile diese Walzstraßen statt der herkömmlichen Walzwerkarbeiter. An den meisten Fertigstraßen dagegen, wo die Spezifikationen für das Walzgut komplizierter und vielfältiger waren, konnte auch nach der Jahrhundertwende noch nicht auf die Arbeit des InsKaliber-Führens des Walzstückes durch die Vor- und Hinterwalzer verzichtet werden, während sogenannte Stangenleute oder Hebeler sich an der Seite der Walzstraße in Warteposition befanden für den Fall, daß das Walzgut aus der vorgeschriebenen Bahn springen sollte.

73

Report on Conditions of Employment...,

vol. 3, S. 356 f.

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I. Stand der Arbeitszeitfrage vor dem Ersten Weltkrieg

Früher hatten letztere die Vor- und Hinterwalzer bei der körperlich sehr anstrengenden Arbeit der Führung des Stahl- oder Eisenstückes durch die Walzen unterstützt, doch beschränkte sich seit der Einführung mechanischer Schlepp-, Kipp- und Hebevorrichtungen an den Walzen ihre Handarbeit auf die eintretenden Ausnahmefälle, so daß sich ihre Zahl im modernen Walzwerk erheblich reduzierte. T r o t z aller technischen Innovationen blieb die Arbeit im Walzwerk äußerst anstrengend, einmal durch die mit der fortschreitenden Mechanisierung einhergehenden Steigerung der Produktion und Arbeitsintensität, zum anderen allein schon durch die Hitze, die das glühende Walzgut ausstrahlte und der die Kran- und Maschinenführer ebenso ausgesetzt waren wie die eigentlichen Walzwerkarbeiter. Zudem konnten Unachtsamkeiten in der Maschinenbedienung oder ein falscher Handgriff vor allem der Vor- und Hinterwalzer tödliche Gefahr bedeuten, zumindest aber kam es sofort zu einer mehr oder minder schweren Betriebsstörung. 74 Diese zu beheben und anfallende Reparaturen auszuführen, die seit dem Einzug der Mechanisierung nicht mehr wie ehedem von den Produktionsarbeitern selbst vorgenommen werden konnten, war die Aufgabe der sogenannten Reparaturhandwerker, meist Schlosser, Schmiede, Dreher und Mechaniker sowie Maurer für den Ofenbetrieb. Ihre Zahl vermehrte sich mit dem technischen Fortschritt und der wachsenden Betriebsgröße. Seit der Jahrhundertwende war es in der amerikanischen und deutschen eisen- und stahlerzeugenden Industrie die Regel, daß jeder Produktionsbetrieb über seine eigenen Reparaturhandwerker sowie eine mechanische Werkstätte verfügte, wo ebenfalls überwiegend gelernte Arbeiter hauptsächlich aus dem Maschinenbau und der Metallverarbeitung die notwendigen Ersatzteile herstellten. Außerdem besaßen die meisten Werke eine eigene Gießerei, die für den Eigenbedarf produzierte. Neben einigen Schreinern bildeten das Gros der Belegschaft dort die Former, die seit der Einführung der Formmaschine immer mehr von hochqualifizierten Facharbeitern zu einfachen angelernten Arbeitern wurden. Kraftzentralen und Eisenbahnbetrieb sorgten für weitere Vielfalt in der Berufsskala, die für größere Hüttenwerke typisch war. 75 74 Vgl. Friedrich Syrup, Die soziale Lage der seßhaften Arbeiterschaft eines oberschlesischen Walzwerkes (= Schriften des Vereins für Sozialpolitik, Bd. 153), München-Leipzig 1915, S. 169—174. 75 Für eine Auflistung der in den verschiedenen Betriebsabteilungen anzutreffenden Berufe siehe U.S. Bureau of Labor Statistics, Bulletin no. 218: WagesandHoursof Labor

Technologischer

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Wie tiefgreifend die Veränderungen am Arbeitsplatz und in der Belegschaft waren, zeigen mittelbar auch die auf den nachfolgenden Seiten abgedruckten Statistiken, die einen Überblick über das Verhältnis zwischen Produktionsexpansion und Belegschaftswachstum geben. 76 Infolge des unterschiedlichen Zahlenmaterials sind solche statistischen Vergleiche zwischen der deutschen und amerikanischen eisenund stahlerzeugenden Industrie zwar nur mit äußerster Zurückhaltung möglich und müssen sich in erster Linie auf den Hochofenbetrieb beschränken, doch werden der zeitliche Entwicklungsverlauf, das Größenverhältnis sowie der technologische Abstand umrißhaft deutlich. Für beide Industrien stellten die 1880er und 1890er Jahre die Zeit des schnellsten Produktions- und Produktivitätswachstums dar. Das deutsche Beispiel zeigt, wie schnell das Puddelverfahren verdrängt wurde, während die Produktions- und Belegschaftsziffern in der Stahlerzeugung explodierten; insgesamt ist dabei der Produktivitätsvorsprung der amerikanischen Industrie unverkennbar. 1909 war die Produktivität je Arbeiter in den amerikanischen Hochofenwerken doppelt so hoch wie in den deutschen. Abgesehen von Faktoren einer qualitativ besseren Rohstoffversorgung und der Technik des schnelleren Garens ohne Rücksicht auf die Lebensdauer eines Hochofens, beruhte der Produktivitätsvorsprung der amerikanischen Industrie insbesondere auf einer zügigeren und konsequenteren Mechanisierung, deren hoher Stand in Deutschland zum Teil erst nach dem Ersten Weltkrieg erreicht wurde. So entfielen in der amerikanischen eisen- und stahlerzeugenden Industrie schon 1899 7 PS auf jede beschäftigte Person, 1909 waren es sogar 11 PS, während es auf deutscher Seite noch 1907 erst wenig mehr als 3 PS waren. 77 J e nach dem Grad der Mechanisierung

in the Iron and Steel Industry, 1907 to 1915, Washington D. C. 1917, S. 467—526, sowie Jack Stieber, Tbe Steel Industry Wage Structure, Cambridge, Mass. 1959, der die tarifliche Regelung der komplizierten J o b - und Lohnhierarchien untersucht. Für die deutsche Seite vgl. Die deutsche Schwereisenindustrie und ihre Arbeiter, hrsg. vom Vorstand des Deutschen Metallarbeiter-Verbandes, Stuttgart 1925, S. 68 f. 76 Es ist zu berücksichtigen, daß die angegebenen Zahlen auch die jeweilige Konjunkturlage widerspiegeln; z. B. war 1904 für die amerikanische eisen- und stahlerzeugende Industrie ein ausgesprochenes Krisenjahr. 77 U.S. Department of Commerce, Bureau of the Census, 14th Census of the United States, Taken in the Year 1920, vol. 10: Manufacturers 1919. Reports for Selected Industries, Washington D. C. 1923, S. 310; Statistik des Deutschen Reichs, Bd. 413, III, Berlin 1930, S. 6.

60

I. Stand der Arbeitszeitfrage

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