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German Pages 184 Year 2006
Staatskirchenrechtliche Abhandlungen Band 45
Die Religionsfreiheit im Verfassungsrecht der USA Historische Entwicklung und Stand der Verfassungsrechtsprechung
Von
Thomas Gerrith Funke
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
THOMAS GERRITH FUNKE
Die Religionsfreiheit im Verfassungsrecht der USA
Staatskirchenrechtliche Abhandlungen Herausgegeben von Otto Depenheuer · Alexander Hollerbach · Josef Isensee Joseph Listl · Wolfgang Loschelder · Hans Maier · Paul Mikat Stefan Muckel · Wolfgang Rüfner · Christian Starck
Band 45
Die Religionsfreiheit im Verfassungsrecht der USA Historische Entwicklung und Stand der Verfassungsrechtsprechung
Von
Thomas Gerrith Funke
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
Die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn hat diese Arbeit im Jahre 2002 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
D5 Alle Rechte vorbehalten # 2006 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7247 ISBN 3-428-11379-9 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort Thomas Jefferson, der dritte Präsident der Vereinigten Staaten, ließ auf seinem Grabstein eine Inschrift anbringen, die ihn als Verfasser der Unabhängigkeitserklärung, als Gründer der University of Virginia und als Initiator des virginischen Gesetzes zur Herstellung der Religionsfreiheit ausweist. Gemeinsam mit James Madison, der ihm im Amt des Präsidenten nachfolgte, ist er der geistige Vater der Religionsfreiheit in der Verfassung der USA. Die Darstellung des vor allem auf Jefferson und Madison zurückgehenden amerikanischen Verfassungsrechts zum Verhältnis von Staat und Religion in seiner durch Verfassungsgebung und Rechtsprechung getragenen Entwicklung ist Gegenstand dieser Arbeit. An der Spitze des amerikanischen Grundrechtskataloges heißt es im ersten Zusatzartikel zur Bundesverfassung, dem „First Amendment“: „Congress shall make no law respecting an establishment of religion or prohibiting the free exercise thereof“. Diese Verfassungsnorm weist Ähnlichkeiten auf mit einem architektonischen Merkmal des Spätwerkes von Thomas Jefferson, nämlich der University of Virginia, der ersten staatlichen Universität der USA. Der Staatsmann selbst entwarf die Bauten, die noch heute den Kern einer der führenden Hochschulen Nordamerikas bilden. Auf dem Gelände der Universität befinden sich die „Serpentine Walls“. Dabei handelt es sich um dünne Backsteinmauern, die wellenförmig gebaut sind. Diese „Schlangenmauern“ trennen die Zuwege zum Hauptgebäude von den Gärten. Jefferson erkannte die drei Vorteile des Konstruktes. Erstens sind diese Mauern aufgrund der Wellenform besonders stabil. Zweitens benötigt man für íhren Bau relativ wenige Steine, da die Mauer wegen der Schlangenform auch bei ausgesprochen geringer Dicke genügende Festigkeit bietet. Außerdem wirken die Serpentinenmauern als optischer Blickfang, der den Besucher damals wie heute zur Auseinandersetzung mit dem kuriosen Bauwerk anregt. Diese drei Eigenschaften der Serpentinenmauer lassen sich, wie schon A. Howard in „The Wall of Separation“ feststellte, auf das First Amendment übertragen: Das First Amendment gehört zu den beständigsten Normen in der westlichen Verfassungsgeschichte und zu den ältesten noch in Kraft befindlichen Grundrechten. Die Kürze der amerikanischen Verfassung von 1787 und des vier Jahre später angefügten Grundrechtskataloges („Bill of Rights“) hat dazu beigetragen, daß der Verfassungstext über zwei Jahrhunderte hinweg ein tragfähiger Unterbau für die Staatsorganisation und das gesellschaftliche Miteinander in Nordamerika sein konnte. Wie die Serpentinenmauer ist auch das First Amendment aus vergleichsweise wenigen Steinen gebaut. Die sprachliche Kürze der Verfassungsnorm läßt vielfältige Auslegungen zu. Bei der Interpretation ist zu unterscheiden zwischen dem er-
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Vorwort
sten Halbsatz, der die weltanschauliche Neutralitätspflicht des Staates regelt („Establishment Clause“), und dem zweiten Halbsatz, der die Religionsausübungsfreiheit beinhaltet („Free Exercise Clause“). Diese beiden Regelungsbereiche ergeben die zwei Seiten der Serpentinenmauer. Einerseits ist die Religionsausübungsfreiheit zu betrachten, und damit der Umgang des Staates mit dem Wunsch seiner Bürger, ihrem jeweiligen Glauben gemäß leben zu wollen. Andererseits ist das Verhältnis des Staates zu den Glaubensgemeinschaften und seine Position gegenüber den Weltanschauungen zu untersuchen. Das First Amendment postuliert eine strenge Neutralitätspflicht und stellt insofern eine Trennmauer zwischen Staat und Kirche dar. Diese „wall of separation“ (Jefferson) verläuft jedoch nicht geradlinig, sondern wellenförmig. Bei allem Bedarf nach Stabilität und Respekt für Verfassungstraditionen hat sich aufgrund der gesellschaftlichen Veränderungen in den USA vielfach auch die Notwendigkeit für eine Anpassung im Umgang mit der Religionsfreiheit in der amerikanischen Rechtspraxis ergeben. Die ersten Bögen im Verlauf der Serpentinenmauer liegen noch im Bereich der kolonialen Rechtssetzung. Nach dem Erlaß der Unionsverfassung von 1787 wurde der Religionsfreiheit zunächst nur ein mäßiger Rang innerhalb der Rechtsordnung zugebilligt. Erst nach dem 2. Weltkrieg urteilte der Supreme Court, daß nur aufgrund eines zwingenden öffentlichen Interesses in die Religionsfreiheit eingegriffen werden darf. Diese Rechtsprechung wurde 1990 in einer erneuten Wende faktisch aufgegeben. Der Kongreß und die Parlamente der Einzelstaaten versuchen seither wiederum, diese Entwicklung durch legislative Maßnahmen zu korrigieren. Nach all diesen Bogenschwüngen ist zu Beginn des 21. Jahrhunderts kein einheitlicher Verlauf der „serpentine wall“ mehr festzustellen aufgrund einer Zersplitterung des Grundrechtsschutzes durch Maßnahmen auf Bundes- und Landesebene sowie durch eine uneinheitliche Rechtsprechung. Dies mag überraschen angesichts der Bemühungen um eine Vereinheitlichung des Grundrechtsschutzes in Europa. Andererseits zeugt die aktuelle Entwicklung in den USA von der fortgesetzten politischen Brisanz der Thematik. Von der Frage, wie die amerikanische Verfassung den Konflikt von ewigem und weltlichem Gebot regelt und mit dem Bürger verfährt, der seinem Staat untertan und gleichzeitig seinem Gott gehorsam sein will, hat sich der Verfasser ebenso fesseln lassen wie von dem inzwischen über zweihundertjährigen Versuch einer mehrheitlich aus religiösen Bürgern bestehenden Demokratie, selbst weltanschaulich neutral zu sein. Es ist das Ziel der folgenden Betrachtung, für den deutschen Sprachraum erstmals die Ereignisse bis zur amerikanischen Verfassungsgebung und vor allem die Rechtsprechung des Supreme Court bis zum Beginn des 21. Jahrhunderts nachzuzeichnen, und damit die windungsreiche Entwicklung der Religionsfreiheit im Verfassungsrecht der USA. Die Forschungsarbeiten wurden während eines Sommerkurses an der University of California in Berkeley und vor allem im Zusammenhang mit einem Master-Stu-
Vorwort
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dium an der University of Virginia durchgeführt. In erster Linie stützt sich die Arbeit auf maßgebliche Urteile des Supreme Court, anhand derer sich die Entwicklung der Verfassungsauslegung in den verschiedenen gesellschaftlichen Spannungsfeldern von den Anfängen der amerikanischen Republik bis in das 21. Jahrhundert chronologisch und unmittelbar nachvollziehen läßt. Hieraus ergibt sich als Schwerpunkt die Darstellung und Analyse der Verfassungsrechtsprechung bis hin zu den jüngsten Entscheidungen. Die Arbeit wurde zunächst im Frühjahr 2002 abgeschlossen und nach ihrer Annahme durch die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn anläßlich der Drucklegung aktualisiert. Meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Löwer, danke ich sehr für die freundliche Betreuung meiner Arbeit. Herrn Prof. Dr. Hillgruber danke ich für die zeitnahe Erstellung des Zweitgutachtens. Weiterhin gilt mein Dank der Fakultät der University of Virginia School of Law, der Deutsch-Amerikanischen Fulbright-Kommission und (last, but certainly not least) meinen Eltern, deren vielfältige Förderung es mir ermöglicht hat, in den Vereinigten Staaten die erforderlichen Kenntnisse und Materialien zu gewinnen. Bonn, im Sommer 2004
Thomas Gerrith Funke
Inhaltsverzeichnis 1. Kapitel Von den Pilgervätern bis zur Bill of Rights
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A. Religion in den Kolonien der Neuen Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Europa als Erfahrungshintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
15
1. Europa nach der Reformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
15
2. Reformatorische Theologie und der Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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II. Die Siedler der Neuen Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1. Die Puritaner in Neuengland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
19
2. Toleranz in Rhode Island und Pennsylvania . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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3. Katholiken und Protestanten in Maryland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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4. Die Anglikanische Kirche in Virginia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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III. Gesamtschau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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B. Die Entstehung der Verfassung der USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Vom Kontinentalkongreß zur Unionsverfassung von 1787 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1. Der Continental Congress . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
30
2. Die Declaration of Independence . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
30
3. Die Constitutional Convention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
31
4. Die Unionsverfassung von 1787 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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II. Bill of Rights . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1. Die Erarbeitung des Verfassungstextes im Kongreß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2. Folgerungen aus der Genese des Ersten Zusatzartikels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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III. Staat und Religion nach Inkrafttreten der Bill of Rights . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
38
1. James Madison und die Detached Memoranda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
38
2. Die Präsidenten Washington und Adams . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
40
3. Jefferson und die Danbury Baptist Association . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
40
C. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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10
Inhaltsverzeichnis
2. Kapitel Religionsfreiheit und Religionsbegriff in der frühen Rechtsprechung des Supreme Court
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A. Die frühen Auslegungen des First Amendment . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
45
I. Der Erste Zusatzartikel bis zum Ende des Bürgerkrieges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
45
1. Die Religionsfreiheit bei Joseph Story . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2. Die Geltung der Unionsverfassung in den Einzelstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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II. Die Religionsfreiheit zwischen Bürgerkrieg und 1. Weltkrieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1. Gerichte und innerkirchliche Streitigkeiten: „The law knows no heresy“ . . . .
49
2. Grundrechtsschranken und die Mormonen: „A law unto himself“ . . . . . . . . . . .
50
III. Die Religionsfreiheit bis zum Ende des 2. Weltkrieges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
51
1. Schriftenmission als geschützte Aktivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2. Religionsfreiheit und Jugendschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
53
3. Ernsthafthaftigkeit der religiösen Überzeugung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
55
B. Der Begriff der Religion im First Amendment . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Der Begriff „religion“ im Wortlaut der Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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II. Der Religionsbegriff in der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1. Glaube an ein Moralsystem als Religion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2. „Religion“ und die Relevanz der Selbsteinschätzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
59
III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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3. Kapitel Die Free Exercise Clause in der Nachkriegszeit
61
A. Der Weg zum „Compelling Interest Test“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
61
I. Der niedrige Schutzstandard in den frühen Urteilen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
61
II. Die Entscheidung Sherbert v. Verner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
62
III. Zur Bedeutung des neuen Schutzstandards . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
63
B. Der „Compelling Interest Test“ in der Anwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
64
I. Religionsfreiheit und Schulpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis
11
II. Religionsausübung in den Streitkräften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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III. Nutzung öffentlicher Grundstücke zur Religionsausübung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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C. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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4. Kapitel Die Establishment Clause in der Nachkriegszeit
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A. Grundsätze der weltanschaulichen Neutralität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
73
I. Die Klagebefugnis in Establishment-Clause-Prozessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
73
II. Everson als Grundsatzentscheidung zur Neutralitätspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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B. Die Neutralität in bezug auf Schulen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Unterstützung für Schüler, nicht für Schulen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1. Zurverfügungstellung von Schulbüchern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
78
2. Staatliche Zuschüsse und der „Lemon-Test“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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3. Steuerliche Absetzbarkeit von Schulgebühren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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II. Gebete in öffentlichen Schulen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1. Gebet im Unterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
81
2. Gebet bei Abschlußfeiern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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III. Staatliche Schulen und religiöse Unterweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
84
1. „Shared-Time“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
84
2. „Released-Time“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
86
IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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C. Der „Everson / Lemon-Test“ in anderen Konfliktbereichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Staatlicher Festtagsschmuck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
88
1. Verfassungsgemäße Weihnachtskrippe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
89
2. Verfassungswidrige Weihnachtskrippe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
89
II. Parlamentsgeistliche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
90
III. Militärseelsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
92
D. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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12
Inhaltsverzeichnis
5. Kapitel Die Religionsfreiheit zu Beginn des 21. Jahrhunderts
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A. Die Neuinterpretation der Free Exercise Clause . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Vorbehalt der allgemeinen Gesetze nach Smith . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
95
II. Keine versteckte Diskriminierung durch Einzelfallgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
96
III. Kritische Stellungnahme zur Neuinterpretation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
97
B. Der Religious Freedom Restoration Act von 1993 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 I. Die Zielsetzung des Religious Freedom Restoration Act (RFRA) . . . . . . . . . . . . . . . 101 II. Der „Compelling Interest Test“ des RFRA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 1. Zwingendes öffentliches Interesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 2. Keine weniger einschneidende Maßnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 3. Anwendungsfälle nach Inkrafttreten des RFRA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 III. Der Begriff „substantial burden“ im RFRA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 1. Theoretische Betrachtung des „Substantial Burden Requirement“ . . . . . . . . . . . 104 2. Das „Substantial Burden Requirement“ in der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . 106 IV. Der Begriff der „free exercise of religion“ im RFRA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 C. Die teilweise Verfassungswidrigkeit des RFRA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 I. Die Nichtanwendbarkeit des RFRA gegenüber Einzelstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 II. Die Anwendbarkeit des RFRA im Bundesrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 1. Kein Verstoß gegen die Gewaltenteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 2. Kein Verstoß gegen die weltanschauliche Neutralitätspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . 112 III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 D. Das Ringen um den Compelling-Interest-Standard . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 I. Religionsfreiheit in den Verfassungen der Einzelstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 1. Spezielle Verfassungszusätze („RFRA-Amendments“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 2. Interpretation von allgemeinen Verfassungsbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 II. State Religious Freedom Restoration Acts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 III. Religious Land Use and Institutionalized Persons Act (RLUIPA) . . . . . . . . . . . . . . . 118 1. RLUIPA als Reaktion auf die Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119
Inhaltsverzeichnis
13
2. Der Regelungsgehalt des RLUIPA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 3. Die Gesetzgebungskompetenz für RLUIPA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 E. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122
6. Kapitel Die Establishment Clause zu Beginn des 21. Jahrhunderts
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A. Die Situation bis zum Beginn der 90er Jahre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 I. Grundsätze der Neutralitätspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 II. Religionsunterricht und Kooperationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 III. Förderung von Schülern, nicht von Schulen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 IV. Schulgebet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 B. Neubewertung der räumlichen Trennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 I. Religiöse Gruppen in öffentlichen Schulen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 1. Christliche Schülerinitiative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 2. Filmvortrag einer Kirchengemeinde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 3. Bibelgruppe für Grundschüler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 II. Öffentliche Kräfte in kirchlichen Schulen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 III. Folgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 C. Neue Wege der Förderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 I. Förderunterricht: Agostini v. Felton . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 II. Unterrichtsmaterialien: Mitchell v. Helms . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 1. Abwandlung des Lemon-Tests . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 2. Prüfung des „Principal Effect“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 3. Folgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 III. Der „Faith-based“-Aktionsplan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 D. Gebet bei Schulveranstaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 I. Grundsätze zum Schulgebet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 II. Gebet vor einer Sportveranstaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 III. School Prayer Amendment . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 IV. Folgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 E. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141
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Inhaltsverzeichnis
7. Kapitel Resümee mit vergleichenden Aspekten
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A. Zur Historie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 I. Der Weg zum First Amendment . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 II. Der lange Weg zum Grundgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 B. Religionsfreiheit und ihre Schranken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 I. Schutzbereich der Religionsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 II. Schranken des First Amendment . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 III. Schranken des Art. 4 I, II GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 1. Positionen in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 2. Deutungen in der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 3. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 C. Zur weltanschaulichen Neutralität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 I. Der modifizierte Lemon-Test in den USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 II. Die grundgesetzliche Neutralitätspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 1. Nichtidentifikation, Parität und Toleranz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 2. Positive Neutralität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 3. Neutralität und Ausgleich zwischen Religionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 III. Vergleichende Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180
1. Kapitel
Von den Pilgervätern bis zur Bill of Rights A. Religion in den Kolonien der Neuen Welt Europa war der geistesgeschichtliche Quellgrund, aus dem die ersten Siedler der Neuen Welt ihre Vorstellungen zum Verhältnis von Staat und Kirche schöpften.1 Die in den jeweiligen Heimatländern gemachten Erfahrungen dienten dabei zum Teil als Vorbild, oft aber auch als Gegenpol zu den Idealbildern der Kolonisten.
I. Europa als Erfahrungshintergrund Mehr als alle anderen Kontinente, aus denen Menschen nach Amerika einwanderten, hat Europa die Geistesgeschichte der Neuen Welt geprägt.2 Das Verhältnis von Staat und Kirche in den 13 Kolonien, die sich später zu den Vereinigten Staaten von Amerika zusammenschlossen, ist also vor dem Hintergrund des frühneuzeitlichen Europa zu betrachten.
1. Europa nach der Reformation Infolge der Reformation war das Europa des 16. Jahrhunderts in protestantische und katholische Herrschaftsgebiete geteilt. Das Spannungsverhältnis von Papst und Kaiser verlor unter dem Eindruck der konfessionellen Gegensätze der einzelnen Herrscher, die Europa in langjährige Kriege führten, an Bedeutung.3 Neben weltlichem Machtstreben trieb zum militanten Eifer auch die jeweilige Überzeugung, die einzig wahre Religion zu vertreten.4 Andersgläubige zu nötigen, sich dieser Religion anzuschließen, erschien dabei legitim, bedeutete es doch lediglich, diese zu ihrem Glück zu zwingen, da diesseitige Gewaltanwendung das geringere Übel darstellte gegenüber den ewigen Qualen für die Seele im Jenseits.5 Die Hutson, Religion and the Founding, S. 3. Stokes / Pfeffer, Church and State, S. 3; Noonan, Individual Rights, S. 139 f.; Boldt, Deutsche Verfassungsgeschichte Bd. 2, S. 17. 3 Hattenhauer, Europäische Rechtsgeschichte, S. 362 f. 4 von Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 13. 5 Hutson, Religion and the Founding, S. 3. 1 2
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1. Kap.: Von den Pilgervätern bis zur Bill of Rights
Pflicht weltlicher Obrigkeit, für den rechten Gottesdienst zu sorgen, war nicht in Frage gestellt.6 Für Deutschland brachte der Augsburger Religionsfriede von 1555 kein umfassendes Recht zur freien Konfessionswahl.7 Der Landesherr allein wählte die Konfession und legte sie damit für alle Einwohner fest. Zur Tolerierung von Minderheiten war er nicht verpflichtet, lediglich die Auswanderung mußte er ihnen gestatten (ius emigrandi).8 Die Formel „Cuius regio, eius religio“ bot religiösen Minderheiten also kaum Schutz. Sie führte eher zur Glaubenszweiheit als zur Glaubensfreiheit.9 Im Westfälischen Frieden von 164810 wurde neben dem römisch-katholischen und dem lutherischen auch das reformatorische Bekenntnis anerkannt, sowie ein Recht zum Verbleib bei der bisherigen Konfession im Falle eines Übertritts des Landesherrn.11 Neben das Auswanderungsrecht trat ein Toleranzgebot, das ein Recht zur Hausandacht vermitteln sollte.12 Auch dieses beschränkte sich auf die drei Hauptkonfessionen, so daß etliche Minderheiten weiterhin schutzlos blieben.13 So wurden etwa die Anabaptisten in Deutschland wie in den Niederlanden verfolgt und das Mennonitentum in der Schweiz nahezu ausgelöscht.14 In Frankreich führte 1685 die Aufhebung des Toleranzediktes von Nantes15 durch Ludwig XIV.16 zur Auswanderung zahlreicher Hugenotten.17 Nicht weniger bedeutsam für die Entwicklungen in der Neuen Welt waren religiöse Spannungen in England. Indem Heinrich VIII. verkündete, daß für England nicht der Papst, sondern er selbst Stellvertreter Christi und damit das Haupt der Kirche sei, gründete er die Anglikanische Kirche.18 Der König nahm für sich auch 6 von Campenhausen, Religionsfreiheit, HdbStR VI 369, 373; Hattenhauer, Europäische Verfassungsgeschichte, S. 357 f. 7 Text bei Buschmann, Texte und Dokumente zur Verfassungsgeschichte, S. 215 ff. 8 von Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 16. 9 von Campenhausen, Religionsfreiheit, HdbStR VI 369, 373 f. 10 Text bei Buschmann, Texte und Dokumente zur Verfassungsgeschichte, S. 285 ff. 11 Art. V. §§ 31, 32 Instrumentum Pacis Osnabrugense. Die bayerische Oberpfalz und die österreichischen Erblande waren von dieser Einschränkung des ius reformandi ausgenommen, Art. V. §§ 39 ff., und konnten so katholisiert werden. Vgl. Hutson, Religion and the Founding, S. 3 u. 5. 12 Art. V. §§ 31 – 34 Instrumentum Pacis Osnabrugense. 13 Art. V § 34 Instrumentum Pacis Osnabrugense. 14 Marnell, First Amendment, S. 23, vgl. Stokes / Pfeffer, Church and State, S. 3. 15 Hierzu vgl. Hattenhauer, Europäische Rechtsgeschichte, S. 365 f. 16 Der Worlaut des (Aufhebungs-)Ediktes von Fontainebleau ist abgedruckt bei Hattenhauer, Europäische Rechtsgeschichte, S. 444. 17 Press, TRE XVIII 381, 383. 18 Der Klerus wurde gezwungen, anzuerkennen: „Ecclesia Anglicana cuius singularem protectorem, unicum et supremum dominum, et quantum per Christi legem licet, etiam caput, ipsius maiestatem recognoscimus.“ Zitiert nach Bewersdorf, Prinzip der Trennung, S. 55.
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in Anspruch, über Unterschiede in der Schriftauslegung zu urteilen, und setzte sich damit als Oberhaupt einer Staatskirche ein.19 Seine Tochter, Elisabeth I., fand sich bald im Spannungsfeld zwischen dem papsttreuen Teil der Bevölkerung und der wachsenden Bewegung, die sich zum Ziel gesetzt hatte, die Church of England von Elementen katholischer Theologie zu reinigen (Puritaner).20 Diese Gruppierung gründete sich auf die Theologie von Johannes Calvin und des John Knox, der in Schottland gegen Königin Maria I. opponierte. Die Protestanten zweifelten die Rechtmäßigkeit der Kirchenherrschaft der englischen Königin an, die – nicht zuletzt mit Blick auf die katholischen Nachbarstaaten Frankreich und Schottland – zögerte, die Form der Messfeier zu verändern. Elisabeth I. reagierte mit der blutigen Puritanerverfolgung von 1590. Ihr Sohn Jakob I. wollte gleichfalls keine Zweifel an seinem Herrschaftsanspruch dulden.21 Seine Verfolgungen fürchtend, zog 1608 eine Gruppe von Puritanern in die Niederlande, um dann 1620 an Bord der Mayflower in die Neue Welt aufzubrechen, wo sie eine Siedlung errichteten, in der sie nach ihrem Glauben leben konnten.22
2. Reformatorische Theologie und der Staat Nicht nur die Erfahrung politischer Konflikte, sondern auch das Gedankengut der Reformatoren prägte die ersten Siedler Nordamerikas. In der Gedankenwelt des Mittelalters waren Staat und Kirche nicht identisch, aber doch untrennbar als Vollzieher des göttlichen Willens.23 Wer sich außerhalb der Kirche stellte, stellte sich damit auch außerhalb der zivilen Gesellschaft.24 Der Papst hatte das Recht zur Zurechtweisung aller Gläubigen,25 die Fürsten waren hiervon nicht ausgenommen. Dieses Primat wurde aber bereits von Marsilius von Padua angezweifelt, der in „Defensor Pacis“ (1324) unter Berufung auf Aristoteles ausführt, daß das Volk zuständig sei für die Gesetzgebung in weltlichen Dingen, und daß ein separater, aus Laien und Priestern zusammengesetzter Rat innerkirchliche Streitfragen entscheiden solle, ohne aber eine weltliche Vollzugsgewalt zur Durchsetzung der Entscheidungen zu haben.26 19 Marnell, First Amendment, S. 38; vgl. Bewersdorf, Prinzip der Trennung, S. 55: „Only Supreme Head in Earth of the Church of England“. 20 Hattenhauer, Europäische Rechtsgeschichte, S. 463; Hutson, Religion and the Founding, S. 3. 21 Marnell, The First Amendment, S. 45. 22 Der „Mayflower Compact“ ist abgedruckt bei Commager, Documents of American History, S. 15. 23 Moraw, TRE XVIII 374, 375. Hiergegen wendet sich die Zweireichelehre Martin Luthers. Vgl. Luther, WA XVIII, 389 f. 24 Marnell, First Amendment, S. 3. Vgl. auch den Zusammenhang zwischen Reichsacht und Kirchenbann. 25 Vgl. Hattenhauer, Europäische Rechtsgeschichte. S. 219 ff.
2 Funke
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1. Kap.: Von den Pilgervätern bis zur Bill of Rights
Der Reformator Martin Luther nahm solches Gedankengut auf, ohne unmittelbar auf die Gründung einer neuen Kirche hinzuzielen. In seinem Wunsch, die bestehende Kirche von innen zu verändern, zielte er nicht auf Spaltung, sondern auf Einheit. In „Von Weltlicher Überkeyt“27 trennt Luther nach dem geistlichen Herrschaftsanspruch Gottes und der weltlichen Obrigkeit in der Form, daß die Kirche Gehorsam in geistlichen Dingen und der Fürst in weltlichen Angelegenheiten verlangen darf. Wo der Fürst nicht das Gesetz Gottes zur Anwendung bringt, ist seine Tyrannei in stillem Widerstand zu erdulden.28 Zwar darf Cäsar nicht verlangen, was Gott gebührt,29 doch ein Aufbegehren gegen die staatliche Ordnung lehnt der Reformator ab.30 Inwiefern diese vor allem in „Wider die Mörderischen und Räuberischen Rotten der Bauern“ ausgedrückte Verurteilung der aufständischen Bauern aus politischem Kalkül Luthers geschah, kann hier offen bleiben. Wichtiger erscheint, daß der Fürst als Umsetzer des göttlichen Gesetzes auch für den Erhalt der Kirchen zuständig war, in denen das Wort Gottes gepredigt wurde. Philip Melanchthons „De Officio Principum“ (1539) geht in diesem Punkt insofern weiter, als daß es die Pflege des religiösen Lebens der Gesellschaft als die vornehmliche Aufgabe des Fürsten beschreibt. Insofern wird die Kirche dem Staat zwar nicht unter-, aber doch in den Staat eingeordnet. Dieses Modell läßt sich als „Staatskirche“ bezeichnen. Das politische Denken von Johannes Calvin wurzelt in der Erkenntnis, daß nicht alle Menschen das Angebot der Sündenvergebung in Christus annehmen. Die Verdammnis trifft alle, die nicht zum Ewigen Leben auserwählt sind. Die Gesellschaft ist somit geteilt in Erlöste und Verdammte. Diese Trennung hat nachhaltige Auswirkungen auf die Gestaltung der Gesellschaft. Der Staat hat, wie auch bei Luther, die Aufgabe, Stätten der wahrhaftigen Predigt zu fördern.31 Welche Predigt aber wahrhaftig ist, ist allein durch die Kirche zu beurteilen. Auch kann nur die Kirche entscheiden, welche Lebensformen gottgefällig und damit förderungswürdig sind.32 Weicht der Fürst von dem ab, was vor Gott Recht ist,33 so ist der Gläubige zum Ungehorsam gegenüber der weltlichen Obrigkeit verpflichtet.34 Vor diesem 26 Zuck, NJW 1995, 2903, 2903; Marnell, First Amendment, S. 8; Moraw, TRE XVIII 374, 379. 27 Luther, WA XI, 245 – 281. 28 Hattenhauer, Europäische Rechtsgeschichte, S. 358. 29 Luther, WA XI 277 ff.; vgl. das Evangelium nach Matthäus, Kapitel 22, 21. 30 Luther, WA XIX, S. 641 f. und WA XXX, S. 152. 31 Calvin, Institutio Christiane Religionis III. Der Text ist abgedruckt bei Kurland / Lerner S. 44; vgl. Hattenhauer, Europäische Rechtsgeschichte, S. 359. Vgl. auch das Evangelium nach Johannes, Kapitel 3, 16 – 19. 32 Calvin, Institutio Christianae Religionis IV und XXXII. Der Text ist abgedruckt bei Kurland / Lerner, S. 44. Im Gegensatz hierzu vgl. Luther WA XI 271, 11. 33 Vgl. Apostelgeschichte 5, 29: „Man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen.“ 34 Wie stark dieser Gedanke die Verfassungsväter in Amerika prägte, zeigt etwa die Tatsache, daß Thomas Jefferson und Benjamin Franklin als Motto für das Großsiegel der USA vorschlugen „Rebellion to Tyrants is Obedience to God“, vgl. Hutson, Religion and the
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Hintergrund wurden die staatlichen Funktionen im Zuge der Reformation in Genf zunehmend in die Kirche eingeordnet.35 Für das Verhältnis von Staat und Kirche nach Calvin bietet sich mithin die Bezeichnung „Kirchenstaat“ an.
II. Die Siedler der Neuen Welt Auf die Entdeckung der Neuen Welt durch Christoph Columbus im Jahre 1492 folgten bald erste Siedlungen auf dem amerikanischen Festland. Die ersten Kolonien wurden im 16. Jahrhundert errichtet. Viele der Siedler hofften darauf, auf der anderen Seite des Ozeans ihr Leben vollständig an ihrem Glauben ausrichten zu können. Schon 1766 stellte Patrick Henry fest: „The free exercise of religion hath stocked the Northern part of the continent with inhabitants.“36 Als Grundtypen für die unterschiedlichen staatskirchenrechtlichen Konzepte, die auf dem amerikanischen Kontinent entstanden, sollen nachfolgend die Strukturen in Massachusetts (Neuengland), Pennsylvania, Rhode Island und Maryland (Mittlere Kolonien) sowie Virginia (Südliche Kolonien) dargestellt werden.
1. Die Puritaner in Neuengland Zu den ersten und bekanntesten Siedlern der Neuen Welt gehörten die Pilger, die 1620 mit der Mayflower nach Massachusetts segelten.37 Sie gehörten zu den Puritanern, die, auf dem Gedanken Calvins und Knox’ von der Pflicht zur Gehorsamsverweigerung aufbauend, gegen die englische Krone opponiert hatten und nun den Zorn des Königs Jakob I. fürchten mußten.38 Ziel der Emigranten war es, in Amerika Siedlungen aufzubauen, in denen ihr Glaube das ganze Leben bestimmen konnte. Die Hoffnung auf eine hinreichende Reformation der anglikanischen Kirche hatten sie aufgegeben.39 Doch hielten sie an dem Gedanken fest, daß es die eine wahre Religion gebe. Das Ziel der Pilgerväter war also nicht ein Gemeinwesen, in dem jeder nach seiner individuellen Weise glauben und leben konnte, sondern eines, in dem der einzig wahre Glaube praktiziert werden sollte.40 Deshalb wurden in Neuengland abFounding, S. 51. Nicht ohne Grund war das calvinistisch-puritanisch geprägte Boston einer der ersten Orte, in dem offen gegen die Erhebung von Steuern durch die englische Krone rebelliert wurde (Boston Tea Party). 35 Marnell, First Amendment, S. 28. 36 Patrick Henry, Religious Tolerance, abgedruckt bei Kurland / Lerner, S. 58. 37 Der „Mayflower Compact“ ist abgedruckt bei Commager, Documents of American History, S. 15. 38 Hutson, Religion and the Founding, S. 5. 39 Marnell, First Amendment, S. 53; Hutson, Religion and the Founding, S. 4. 2*
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weichende Weltanschauungen keineswegs toleriert. Wer den Sonntag nicht heiligte, wurde mit weltlichen Strafen belegt.41 Der Glaube an einen anderen Gott als den der Bibel war ebenso mit der Todesstrafe bedroht wie Hexerei und absichtliche Blasphemie.42 Die Kirche dominierte den Staat,43 entsprechend wurde der Gottesdienstraum auch für weltliche Regierungsfunktionen genutzt.44 Ähnlich wie in Genf hatten nur die „durch die Gnade Gottes Geretteten“ Anteil an der Leitung der Siedlung,45 so daß sich für das Verhältnis von Staat und Kirche in Anknüpfung an die Theologie Calvins die Verwendung des Begriffs „Kirchenstaat“ anbietet.46 Bis 1642 zogen 20.000 Puritaner das Wagnis der Ozeanüberquerung der Anpassung an die anglikanischen Riten vor.47 Zum Erhalt des einheitlichen Glaubens in Neuengland wurden Presbyterianer und Baptisten aus Massachusetts verbannt, und mehrere Quäker zwischen 1659 und 1661 sogar hingerichtet.48 Die Entwicklung in Massachusetts bestätigt die Auffassung von Montesquieu, nach der Verfolgte oft ihrerseits zu Verfolgern werden.49 Der auf Calvin aufbauende Kongregationalismus der Puritaner prägte das Verhältnis von Staat und Kirche in Neuengland bis in das 19. Jahrhundert hinein. Zwar wurden die theokratischen Systeme, die das Leugnen von Glaubensinhalten oder das Fernbleiben vom Gottesdienst unter Strafe stellten, mit der Zeit abgemildert.50 40 Siehe Abschnitt 95 des „Body of Liberties of the Massachusetts Colony in New England“ von 1641, abgedruckt bei Kurland / Lerner, S. 46. Vgl. Smith, Public Prayer, S. 19; Hutson, Religion and the Founding, S. 7. 41 Hattenhauer, Europäische Rechtsgeschichte, S. 442. 42 Vgl. Abschnitt 94 des „Body of Liberties of the Massachusetts Colony in New England“ von 1641, abgedruckt bei Kurland / Lerner S. 46. 43 Marnell, First Amendment, S. 52; Stokes / Pfeffer, Church and State, S. 7; Quaas, Staatliche Hilfe, S. 26. 44 Stokes / Pfeffer, Church and State, S. 5. Pfeffer weist aber auch darauf hin, daß es unter den Puritanern in Neuengland durchaus Differenzen darüber gab, ob lediglich die anglikanische Kirche oder auch die Herrschaft des Königs insgesamt abzulehnen sei. Nicht nur insofern unterschieden die Puritaner sehr wohl zwischen Staat und Kirche als getrennten Einheiten, vgl. Smith, Public Prayer, S. 18. 45 Smith, Public Prayer, S. 17. Insofern ist die Verwendung des Begriffs „Demokratie“ für die Beschreibung der Staatsform in Massachusetts nicht wirklich treffend. 46 Marnell, First Amendment, S. 58, weist darauf hin, daß die Siedlung von Plymouth, die am strengsten theokratisch organisiert war, bald von der liberaler strukturierten Siedlung an der Bucht von Massachusetts in Größe und politischer Bedeutung übertroffen wurde. 47 Hutson, Religion and the Founding, S. 4. 48 Lindt, 38 USQR 415, 416; Hutson, Religion and the Founding, S. 8; vgl. die Strafbestimmungen in Abschnitt 94 des „Body of Liberties of the Massachusetts Colony in New England“ von 1641, abgedruckt bei Kurland / Lerner, S. 46: „If any man after legall conviction shall have or worship any other god, but the lord god, he shall be put to death.“ 49 Montesquieu, De l’esprit des lois, Libre 25, 9. Der Text ist auszugsweise abgedruckt bei Kurland / Lerner, S. 56. 50 Quaas, Staatliche Hilfe, S. 26.
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Dennoch behielten die Kirchen eine herausragende Stellung in der politischen Gestaltung der kolonialen Gesellschaft im Norden Amerikas. In Massachusetts wurden ab 1692 Pfarrer, die von den Bürgern gewählt wurden, aus Steuergeldern bezahlt. Dies führte zu einer Etablierung der Kongregationalistischen Kirche der Puritaner, die in nahezu allen Siedlungen die Mehrheit der Bürger bildeten.51 Ab 1727 sollten auch die Baptisten- und Quäkerkirchen durch diese Steuergelder finanziert werden, es gelang den Quäkern aber 1731, eine Befreiung von der Steuerpflicht zu erreichen. Erst 1780 wurden alle christlichen Bekenntnisse unter den Schutz der Gesetze gestellt, und alle „protestantischen Lehrer von Frömmigkeit, Religion und Moral“ sollten aus dem Staatshaushalt finanziert werden.52 In Connecticut war bereits 1708 allen protestantischen Gruppen das Recht zur freien Religionsausübung zuerkannt worden.53 In New Hampshire wurden mehrere Denominationen durch Steuergelder gefördert.54 In New York, wo zunächst die Holländisch-Reformierte Kirche, dann die Römisch-Katholische und dann die Episkopalkirche mit staatlichen Mitteln unterstützt worden waren, wurde 1777 beschlossen, keine Konfession mehr unmittelbar zu finanzieren.55 Dem Kirchensteuersystem der Bundesrepublik Deutschland ähnelt ein Gesetz des Staates Vermont von 1786, nach dem jede Glaubensgemeinschaft von ihren Mitgliedern Steuern erheben konnte.56 Diese Lockerungen können nicht verdecken, daß die Verbindung von Staat und Kirche in Neuengland besonders eng war. Selbst über das Inkrafttreten des ersten Zusatzartikels zur Unionsverfassung hinaus hielt Massachusetts am Staatskirchentum fest, erst 1833 kam es zur Trennung von Staat und Kirche.57
51 Levy, Establishment Clause, S. 17, weist zudem darauf hin, daß für Boston eine Ausnahmeregelung galt, die Angehörige anderer Denominationen von der Steuerpflicht ausnahm. 52 Swomley, Religious Liberty, S. 27. 53 Smith, Public Prayer, S. 20. 54 Swomley, Religious Liberty, S. 30, fügt hinzu, daß die Erfahrung der Verschiedenheit der Bekenntnisse in New Hampshire die Abgeordneten dieses Staates beim ersten Kontinentalkongreß zu dem Vorschlag bewegt haben dürfte, die Formulierung „Congress shall make no laws touching religion or to infringe the rights of conscience“ vorzuschlagen, die als Wegbereiter des tatsächlich verabschiedeten 1. Verfassungszusatzes bezeichnet werden kann. 55 Swomley, Religious Liberty, S. 29. 56 Vgl. Levy, Establishment Clause, S. 50. In Vermont wurde die Steuer allerdings nicht durch staatliche Behörden, sondern durch kirchliche Stellen erhoben, die aber mit der Macht staatlicher Steuereinnehmer ausgestattet waren. Die „Vermont Constitution“ von 1786 ist auszugsweise abgedruckt bei Kurland / Lerner, S. 85. 57 Stokes / Pfeffer, Church and State, S. 77.
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1. Kap.: Von den Pilgervätern bis zur Bill of Rights
2. Toleranz in Rhode Island und Pennsylvania Zu den von den Puritanern aus Massachusetts Vertriebenen gehörte Roger Williams.58 Überzeugt davon, daß „erzwungener Gottesdienst in den Nasenlöchern Gottes stinkt“,59 machte er Rhode Island zu einer Zufluchtsstätte für religiös Verfolgte.60 Er umschrieb seine Vorstellung vom Verhältnis von Staat und Kirche mit dem Bild eines Auswandererschiffes, auf dem sich Angehörige verschiedener Bekenntnisse befinden. Auf einem solchen Schiff sollte der Kapitän wohl den Kurs des Schiffes bestimmen sowie für Gerechtigkeit, Frieden und Ordnung sorgen, nicht aber sollte er irgendjemanden zur Teilnahme an Gebeten oder Gottesdiensten zwingen.61 In seinem 1644 veröffentlichten Werk „The bloody tenent, of persecution for cause of conscience“ sieht Roger Williams eine Trennung von Staat und Kirche vor.62 Der Staat habe nicht die Aufgabe, jemanden zum rechten Glauben zu führen. Dies könne nicht mit dem Schwert, sondern nur durch Gottes Wort geschehen. Eine einheitliche Religion aller Bürger sei auch nicht erforderlich für das Staatswesen.63 Bemerkenswert ist, daß Roger Williams daher auch Katholiken, Juden und Muslimen Schutz gewährte, die der überzeugte Protestant für innerlich fehlgeleitet hielt.64 Als erster wollte er auch diese am Aufbau des Staatswesens teilhaben lassen.65 Die auf der Trennung von Staat und Kirche basierende Religionsfreiheit von Rhode Island stellt ein ideengeschichtliches Fundament dar, auf dem 150 Jahre später die Verfassungsväter der USA aufbauten.66 Nicht weniger bedeutsam ist das Beispiel der Trennung von Staat und Kirche in Pennsylvania, wo der Quäker William Penn (1644 – 1718) in seinem „Frame of Government“ von 1682 bestimmte, daß kein Bürger, der an Gott glaube, wegen seiner religiösen Überzeugung oder Praxis bedrängt werden, und auch nicht zur 58 Bewersdorf, Prinzip der Trennung, S. 57; Kramnick / Moore, Godless Constitution, S. 47. 59 „Forced worship stinks in God’s nostrils.“ Zitiert nach Bonomi, Under the Cope of Heaven, S. 35. 60 Hattenhauer, Europäische Rechtsgeschichte, S. 442. 61 Brief des Roger Williams an die Stadt Providence vom Januar 1655, abgedruckt bei Kurland / Lerner S. 50. Es sei angemerkt, daß Williams sich nicht etwa gegen vom Kapitän des Schiffes organisierte Gottesdienste im allgemeinen wandte, sondern lediglich gegen einen Zwang zur Teilnahme („that none . . . be forced to come to the ship’s prayers or worship, if they practice any“). Vgl. Smith, Public Prayer, S. 25. 62 Roger Williams, The bloody tenent, of persecution for cause of conscience, auszugsweise abgedruckt bei Kurland / Lerner, S. 48. 63 Roger Williams, The bloody tenent, of persecution for cause of conscience, Auszug bei Kurland / Lerner S. 48, 49. 64 Stokes / Pfeffer, Church and State, S. 14; Bewersdorf, Prinzip der Trennung, S. 59. 65 Kramnick / Moore, Godless Constitution, S. 55, führen aus, daß Williams somit als geistiger Urheber des Art. VI § 3 der Unionsverfassung betrachtet werden kann. 66 Quaas, Staatliche Hilfe, S. 28.
A. Religion in den Kolonien der Neuen Welt
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Teilnahme an bestimmten Gottesdiensten oder zur Unterstützung von Predigtstätten gezwungen werden dürfe.67 Lediglich die Beachtung moralischer Standards durfte die Obrigkeit forcieren. Nur vier Jahre nachdem Charles II. (1630 – 1685) William Penn die Charta von 1681 für die Provinz Pennsylvania ausgestellt hatte,68 hatten sich bereits 8.000 Quäker dort angesiedelt.69 Hinzu kamen ab 1683 Mennoniten und Lutheraner aus Deutschland, den Niederlanden und der Schweiz, deren Nachfahren bis heute die Kultur des „Amish Country“ um Lancaster prägen.70 Die geistige Freiheit legte den Grundstein für die wirtschaftliche Prosperität Pennsylvanias und das Aufblühen seiner Hauptstadt Philadelphia zu einem der bedeutendsten Zentren der Neuen Welt. Sie veranlaßte Benjamin Franklin zu der Annahme, daß die Erfahrung von Verfolgung erst recht zur Gewähr von Toleranz verpflichte.71 Die liberalen Prinzipien des William Penn hatten Pennsylvania schon frühzeitig zu einem „Vielkonfessionenstaat“ gemacht. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts bestand der Großteil der Bevölkerung zu gleichen Teilen aus Quäkern, deutschstämmigen Lutheranern und Presbyterianern schottischer und irischer Herkunft.72 Von der religiösen Toleranz profitierten auch Katholiken und nichtchristliche Glaubensgemeinschaften. Der Staat akzeptierte unterschiedliche religiöse Überzeugungen, war deshalb aber nicht areligiös oder indifferent. Der abweichende Glaube wurde bewußt toleriert, ohne daß damit christliche Glaubensgrundsätze in Zweifel gezogen werden sollten.73 So garantieren die Verfassungen Pennsylvanias von 1776 und 1790 zwar Religionsfreiheit für alle, jedoch werden nur Christen für öffentliche Ämter zugelassen.74 Die Verfassung von Delaware folgte insofern dem Vorbild Pennsylvanias und bestimmte: „That all Men have a natural and unalienable Right to worship Almighty God according to the Dictates of their own consciences and understan67 „That no person . . . who shall confess and acknowledge one Almighty God . . . shall in no wayes be molested or prejudiced for his, or her religious Perswasion [sic, T.F.] or Practice in matters of Faith and Worship, nor shall they be compelled at any time to frequent or maintain any Religious Worship, Place or Ministry whatever.“ Zitiert nach Hutson, Religion and the Founding, S. 11. Der Text wurde mit weitgehend identischem Wortlaut, an dem jedoch die (für damalige Verhältnisse ungewöhnliche, aber der auf Gleichstellung von Mann und Frau bedachten Theologie der Quäker entsprechende) geschlechtsneutrale Formulierung auffällt („nor shall hee or shee“), von einer Versammlung als Gesetz für die Provinz angenommen. Siehe Stokes / Pfeffer, Church and State, S. 19. 68 Der Text der Pennsylvania Charter ist auszugsweise abgedruckt bei Kurland / Lerner, S. 52. 69 Hutson, Religion and the Founding, S. 11. 70 Marnell, First Amendment, S. 83; Hutson, Religion and the Founding, S. 12. 71 Franklin, Letter to the London Packet, abgedruckt bei Kurland / Lerner, S. 58. 72 Smith, Public Prayer, S. 29. 73 Smith, Public Prayer, S. 31. 74 Die „Declaration of Rights“ zur „Pennsylvania Constitution“ von 1776 ist auszugsweise abgedruckt bei Kurland / Lerner, S. 71; vgl. Stokes / Pfeffer, Church and State, S. 80.
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1. Kap.: Von den Pilgervätern bis zur Bill of Rights
dings; . . . That all Persons professing the Christian Religion ought forever to enjoy equal Rights and Privileges in this State, unless, under Colour of Religion, any Man disturb the Peace, the Happiness or Safety of Society.“75
3. Katholiken und Protestanten in Maryland Im südlich von Pennsylvania gelegenen Maryland versuchte George Calvert (1580 – 1632) eine Fluchtstätte für die verfolgten Katholiken Englands zu errichten.76 Doch auch Quäker, Hugenotten und Lutheraner siedelten sich an. Mit dem „Toleration Act“ von 1649 sollte religiöse Diskriminierung verhindert werden.77 Bald aber waren die protestantischen Siedler in der Mehrheit, und die anfänglich praktizierte Toleranz78 zwischen den Angehörigen der verschiedenen Bekenntnisse schwand. Die Glorreiche Revolution von 1689 im englischen Mutterland führte in Maryland schließlich zur Anwendbarkeit der englischen Strafgesetze, die Katholiken von öffentlichen Ämtern ausschlossen, und zur Etablierung der Anglikanischen Kirche.79 Die Verfassung von Maryland aus dem Jahr 1776 gewährt in Artikel XXXIII die Religionsfreiheit jedermann, macht aber in Artikel XXXIV den Zugang zu einem öffentlichem Amt abhängig von einem Bekenntnis zur „Christian religion“. Auch sieht Artikel XXXIII die Erhebung von Steuern zur Unterstützung der christlichen Religion vor.80
4. Die Anglikanische Kirche in Virginia Virginia war nicht aus religiösen, sondern aus wirtschaftlichen Motiven gegründet worden. Die Siedler hier waren nicht Pilger, sondern Arbeiter, die im Dienst der Virginia Company of London die Investitionen der Gesellschaft in die Kolonie in Profit umwandeln sollten.81 Zur religiösen Betreuung der meist jungen Männer wurden englische Priester in die Kolonie gesandt, die der bischöflischen Aufsicht im fernen London unterstan75 Die relevanten Artikel der „Delaware Declaration of Rights and Fundamental Rules“ sind abgedruckt bei Kurland / Lerner, S. 70. 76 Stokes / Pfeffer, Church and State, S. 11; Quaas, Staatliche Hilfe, S. 27. 77 Der Wortlaut ist abgedruckt bei Commager, Documents of American History, S. 31, sowie bei Kurland / Lerner, S. 49. 78 Pfeffer, 38 USQR 337, 337; Rubenstein, Back Door, S. 38. 79 Marnell, First Amendment, S. 69; Hutson, Religion and the Founding, S. 15. 80 Die relevanten Artikel der „Declaration of Rights“ der „Maryland Constitution“ von 1776 sind abgedruckt bei Kurland / Lerner, S. 70. 81 Hutson, Religion and the Founding, S. 16.
A. Religion in den Kolonien der Neuen Welt
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den.82 Wenn auch durch Freibriefe Jakobs I. bereits zu Beginn des 17. Jahrhunderts die anglikanische Kirche als Staatskirche eingeführt wurde,83 ließen doch die räumliche Distanz zu Europa und die besonderen Verhältnisse in der Kolonie die Errichtung eines Staatskirchentums nicht zu, das mit der Situation in England vergleichbar gewesen wäre.84 Die Priester bemühten sich nicht nur um die Siedler, sondern auch um die Missionierung der Ureinwohner des Kontinents,85 wie etwa die Taufe der Häuptlingstochter Pocahontas zu Beginn des 17. Jahrhunderts zeigt.86 An die Vorstellung anknüpfend, daß der Staat für die Pflege der rechten Religionsausübung zuständig sei, verabschiedete das „House of Burgesses“ im Jahr 1632 ein Gesetz, das die uniforme Verwendung der anglikanischen Gottesdienstordnungen vorsah. Die Einheitlichkeit im Glauben sollte dem öffentlichen Frieden dienen.87 Quäker waren daher ab 1659 mit der Todesstrafe bedroht.88 Anders als in Neuengland, wo die Kirche den Staat beherrschte, dominierte mithin in Virginia der Staat die Kirche.89 Der Status der anglikanischen Kirche in den fünf südlichen Kolonien war eng verknüpft mit der Macht der britischen Krone. Während der Frühzeit der Kolonien wurde die religiöse Uniformität gefördert durch die Stellung der anglikanischen Kirche als Staatskirche, sowie durch Gesetze, die abweichende Praktiken verboten. So war die anglikanische Kirche die einzige etablierte Glaubensgemeinschaft in South Carolina, bis die Verfassung von 1778 in ihrem Artikel XXXVIII die „christlich-protestantische Religion“ zur Staatsreligion erklärte.90 Zwei Jahre später wurde dieses System des „multiple establishment“, in dem mehrere Glaubensgemeinschaften staatlich anerkannt und gefördert werden, abgeschafft.91 In Georgia führte die Zuwanderung von Nicht-Anglikanern („Dissenters“) zu Protesten gegen die Monopolstellung der anglikanischen Kirche. Aber selbst die Verfassung Georgias von 1789 verbot die Erhebung von Steuern zugunsten von Kirchen nicht, jedoch gewährte sie Religionsfreiheit einschließlich des Rechts, die Zahlung der Kirchensteuer aus Glaubensgründen verweigern zu können.92 Stokes / Pfeffer, Church and State, S. 7. Der Wortlaut ist abgedruckt bei Commager, Documents of American History, S. 12; vgl. Bewersdorf, Prinzip der Trennung, S. 57. 84 Marnell, First Amendment, S. 63; Smith, Public Prayer, S. 33; Quaas, Staatliche Hilfe, S. 26. 85 Lindt, 38 USQR 415, 417. 86 Hutson, Religion and the Founding, S. 17. 87 Smith, Public Prayer, S. 32. 88 Hutson, Religion and the Founding, S. 18. 89 Quaas, Staatliche Hilfe, S. 26. 90 Die relevanten Artikel der „South Carolina Constitution“ von 1778 sind abgedruckt bei Kurland / Lerner, S. 76. 91 Swomley, Religious Liberty, S. 37. 92 Swomley, Religious Liberty, S. 33. 82 83
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1. Kap.: Von den Pilgervätern bis zur Bill of Rights
Nach der amerikanischen Revolution mußte die anglikanische Kirche in Amerika („Episcopal Church“) ihre bisherige Stellung verlieren, weil ihr Oberhaupt der Monarch war, von dem sich die Kolonisten losgesagt hatten.93 Während des Revolutionskrieges war die englische Krone sogar mit dem Bösen schlechthin gleichgesetzt worden, manche sahen den König als „Antichrist“ und wollten die Kolonien aus der „babylonischen Gefangenschaft“ oder aus „Ägypten“ herausführen.94 Ein solches Selbstverständnis der Amerikaner zeugt vom Gedanken einer Widerstandspflicht des Christen, und greift damit eher Ideen des von John Knox weiterentwikkelten Calvinismus auf als der von Martin Luther vertretenen Pflicht zur stillen Duldung. Von entscheidender Bedeutung für die Unionsverfassung wurde schließlich die Entwicklung in Virginia, wo Thomas Jefferson und James Madison mit Patrick Henry um das Verhältnis von Staat und Kirche rangen. In der Virginia Bill of Rights heißt es bereits: „That religion, or the duty which we owe to our Creator, and the manner of discharging it, can be directed only by reason and conviction, not by force and violence; and therefore all men are equally entitled to the free exercise of religion, according to the dictates of conscience; and that it is the mutual duty of all to practice Christian forbearance, love, and charity towards each other.“95 Hier wurde die Freiheit der (christlichen) Religion verbunden mit einer Bürgerpflicht zur Nächstenliebe. Nach der Unabhängigkeitserklärung waren in Virginia außerdem Angehörige religiöser Minderheiten von der Zahlung von Kirchensteuern befreit und die Strafgesetze, die sich gegen die Ausübung einer anderen als der christlich-anglikanischen Religion gerichtet hatten, aufgehoben worden.96 Eine weitergehende Trennung von Staat und Kirche forderte Thomas Jefferson ein. Der Sohn eines Plantagenbesitzers und spätere U.S.-Präsident aus der Gegend von Charlottesville im Herzen Virginias, der im Alter von 33 Jahren die Unabhängigkeitserklärung verfaßt hatte, brachte 1779 einen Gesetzesentwurf in das Parlament von Virginia ein, der ein umfassendes Recht auf Religionsfreiheit festschreiben sollte. Die Behandlung von Jeffersons „Bill for Establishing Religious Freedom“ wurde aber jahrelang verschoben.97 McLoughlin, 38 USQR 319, 329. McLoughlin, 38 USQR 319, 321. Hutson, Religion and the Founding, S. 43, enthält die Abbildung einer Revolutionsflagge mit dem Wappenspruch „Resistance to Tyrants is Obedience to God.“ Benjamin Franklin und Thomas Jefferson schlugen 1776 als Siegel der Vereinigten Staaten vor den Spruch „Rebellion to Tyrants is Obedience to God“, kombiniert mit einer Abbildung der im Roten Meer ertrinkenden Armee des den Israeliten nachstellenden Pharaos. Siehe Hutson, Religion and the Founding, S. 51; Federer, God and Country, S. 322. Gegen die Identifizierung von Amerika mit dem biblischen Volk Israel verwehrte sich schon Roger Williams, in „The Bloody Tenent, of persecution for cause of conscience“ (1644), auszugsweise abgedruckt bei Kurland / Lerner, S. 48. Über die Weiterentwicklung des Selbstverständnisses vieler Amerikaner als von Gott erwählter Nation vgl. McLoughlin, 38 USQR 319, 333 f. sowie Beckford, Sociology of Religion, S. 27 f. 95 Der Text ist abgedruckt bei Commager, Documents of American History, S. 1103 f. 96 Hierzu näher Stokes / Pfeffer, Church and State, S. 69. 93 94
A. Religion in den Kolonien der Neuen Welt
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Im Jahr 1784 sollte schließlich ein Gesetz verabschiedet werden, das die Erhebung einer Steuer zum Zwecke der Förderung des Christentums vorsah.98 Das Christentum sollte als Staatsreligion festgeschrieben werden, und jeder Bürger sollte einer christlichen Glaubensgemeinschaft seiner Wahl einen Steuerbetrag zukommen lassen.99 Was eine christliche Glaubensgemeinschaft ausmachte, sollten staatliche Stellen entscheiden.100 Zu den einflußreichen Befürwortern dieser Gesetzesinitiative von Patrick Henry gehörten George Washington, Richard Henry Lee und John Marshall.101 Sie stießen auf den entschiedenen Widerstand von James Madison (1751 – 1836). Nach Ansicht des späteren U.S.-Präsidenten sollte Religion nicht mehr als Vehikel der öffentlichen Ordnung dienen.102 In seinem berühmten „Memorial and Remonstrance against Religious Assessments“ von 1785 forderte er ein Ende jeder Form von Kirchensteuer, die Gleichbehandlung aller Bekenntnisse und umfassende Religionsfreiheit.103 Die beabsichtigte Vermischung von Staat und Kirche, so Madison, korrumpiere den Staat und erniedrige die Religion.104 Madisons Stellungnahme wurde im Druck verbreitet und erfreute sich in der Bevölkerung bald großer Popularität,105 so daß sich die Auffassung durchsetzte, daß ein Staatskirchentum generell eher hinderlich als förderlich für die Verbreitung des Evangeliums sei.106 Die Gesetzesinitiative von Patrick Henry wurde im Parlament abgelehnt. Stattdessen wurde Thomas Jeffersons „Bill for Establishing Religious Freedom“ von 1779 aufgegriffen und verabschiedet. Dieser Text lehnt eine Einmischung des Staates in Angelegenheiten des Glaubens mit scharfen Worten ab und beschreibt die Religionsfreiheit als unabänderliches Recht des Menschen:107 „Almighty God hath Der Text der Gesetzesvorlage („Bill“) ist abgedruckt bei Kurland / Lerner, S. 37. „That the people of this Commonwealth, according to their respective abilities, ought to pay a moderate tax or contribution annually, for the support of the Christian religion, or of some Christian church, denomination or communion of Christians, or of some form of Christian worship.“ Zitiert nach Stokes / Pfeffer, Church and State, S. 69. 99 Malbin, Religion and Politics, S. 23; Smith, Public Prayer, S. 46. 100 Smith, Public Prayer, S. 48. 101 Marnell, First Amendment, S. 107. 102 Levy, Establishment Clause, S. 63. 103 Der Text ist abgedruckt bei Kurland / Lerner, S. 82. 104 Handy, 38 USQR 301, 305 f.; Levy, Establishment Clause, S. 63; Kurland, Faith and Freedom, S. 163. 105 Malbin, Religion and Politics, S. 24; Marnell, First Amendment, S. 108. 106 Hutson, Religion and the Founding, S. 73; Levy, Establishment Clause, S. 64 f. 107 Der Wortlaut des gegenüber der Vorlage („Bill“) nur unwesentlich abgeänderten Gesetzes („Act“ oder „Statute“) ist abgedruckt in Stokes / Pfeffer, Church and State, S. 69 ff. sowie Commager, Documents of American History, S. 125. Für wie bedeutsam Jefferson selbst dieses Gesetz ansah, wird daraus deutlich, daß er auf seinem Grabstein eine Inschrift anbringen ließ, die ihn als Autor des Bill for Establishing Religous Freedom, Verfasser der Declaration of Independence und Gründer der University of Virginia ausweist. Das Grabmal kann heute auf dem Anwesen Jeffersons („Monticello“, südlich von Charlottesville in Virginia) besichtigt werden. 97 98
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1. Kap.: Von den Pilgervätern bis zur Bill of Rights
created the mind free, and manifested in his supreme will that free it shall remain by making it altogether insusceptible of restraint; that all attempts to influence it by temporal punishment, or burthens, or by civil incapacities, tend only to beget habits of hypocrisy and meanness, and are a departure from the plan of the holy author of our religion, who being lord both of body and mind, yet chose not to propagate it by coercions on either, as was his Almighty power to do, but to extend it by influence on reason alone.“108 Seit 1786 besteht in Virginia aufgrund dieses Gesetzes ein Verbot der Diskriminierung wegen religiöser Überzeugung, ein Recht zur Glaubens- und Religionsausübungsfreiheit sowie ein Verbot der Erhebung von Steuern zur Förderung einer Weltanschauung.109 Bald wurde der „Statute for Establishing Religious Freedom“ zum Vorbild für die Gesetzgebung in anderen Staaten, wie auch für die Bundesverfassung.110
III. Gesamtschau Die drei Grundtypen von Kirchen-Staat, Trennungsmodell und Staats-Kirche verfestigten sich im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts zu rechtlichen Strukturen, die für die meisten der 13 Kolonien eine Förderung einer oder mehrerer etablierter Kirchen durch den Staat bedeuteten. Bis zum Ende der britischen Herrschaft in Nordamerika läßt sich somit eine dreifache koloniale Tradition feststellen,111 die nach dem Unabhängigkeitskrieg Einfluß auf die Verfassungsgebung in den Einzelstaaten wie auch auf Bundesebene haben sollte. Die Gewährung von Religionsfreiheit wurde in Nordamerika zunächst oft von der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Konfession abhängig gemacht. Nach der Unabhängigkeitserklärung legten sich fünf einzelstaatliche Verfassungen auf „Protestantismus“ fest, zwei weitere verlangten „Christentum“.112 Ein Recht auf Religionsfreiheit konnten nur die freien Menschen in Anspruch nehmen. Es ist Teil der amerikanischen Verfassungsgeschichte, daß die Sklaven in den südlichen Staaten von den ideengeschichtlichen Errungenschaften lange nicht profitierten. Erst nach dem Bürgerkrieg galten die Grundfreiheiten für alle Menschen in den USA
108 Zitiert aus der Präambel des Gesetzes, abgedruckt bei Commager, Documents of American History, S. 125; vgl. Kurland, Faith and Freedom, S. 165; Stokes / Pfeffer, S. 69. 109 Der Text ist abgedruckt in Commager, Documents of American History, S. 125, sowie bei Kurland / Lerner, S. 84. 110 Marnell, First Amendment, S. 108; Malbin, Religion and Politics, S. 20. 111 Stokes / Pfeffer, Church and State, S. 3. 112 Pfeffer, 38 USQR 337, 338; Stokes / Pfeffer, Church and State, S. 81; vgl. Marnell, First Amendment, S. 110.
B. Die Entstehung der Verfassung der USA
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In neun der ursprünglichen 13 Staaten wurde die koloniale Praxis der Finanzierung etablierter Staatskirchen durch Steuermittel zunächst fortgeführt.113 Dies sollte zunehmend tolerabel gestaltet werden durch ein plurales Staatskirchentum („multiple establishment“), in dem mehrere unterschiedliche Glaubensgemeinschaften durch staatliche Geldzuwendungen gefördert werden. Zur Zeit der ersten verfassungsgebenden Versammlung wurde dieses System in sechs Staaten praktiziert. Erst unmittelbar vor Verabschiedung des ersten Verfassungszusatzes im Jahre 1791 wurde in der Mehrheit der Staaten keine spezielle Steuer für religiöse Zwecke mehr erhoben, was aber eine Förderung von Kirchen aus allgemeinen Haushaltsmitteln nicht ausschloß.114 Bereits im Vorfeld der amerikanischen Revolution wurden die engen Bande zwischen Staat und Kirche gelockert. Dies läßt sich einerseits damit erklären, daß sich durch die Wellen neuer Einwanderer wie auch durch die inneramerikanische Migration die ursprüngliche konfessionelle Ausrichtung der Siedlungen verwischte. Hinzu kam die Wirkung von John Lockes „Two Treatises on Government“ und „An Essay Concerning Human Understanding“ (1690) sowie Thomas Paines „Common Sense“ (1776), die, vom Gedankengut der Aufklärung geprägt, das Individuum und die Freiheit seines Gewissens verstärkt in das Bewußtsein der amerikanischen Intellektuellen rückten.115 In seinem „Letter Concerning Toleration“ (1689) wandte sich Locke ausdrücklich gegen staatlichen Zwang in Glaubensfragen, jedoch auch gegen eine Toleranz von Atheisten, weil diesen die Grundlage zum Eingehen von Verträgen und Bündnissen und somit die Basis für den Bau einer zivilen Gesellschaft fehle.116 Überdies verstärkte die Erweckungsbewegung in der Mitte des 18. Jahrhunderts („Great Awakening“), während der Wanderprediger alle Bürger zur Umkehr zum Evangelium aufforderten und auf das Erfordernis der geistlichen Wiedergeburt („New Birth in Christ“)117 hinwiesen, die Ansicht vom individuellen und privaten Charakter religiöser Erfahrung.118
B. Die Entstehung der Verfassung der USA Die Regelung des Verhältnisses von Staat und Kirche auf Bundesebene vollzog sich in mehreren Schritten, von denen der bedeutsamste die Verabschiedung der Bill of Rights mit dem Ersten Zusatzartikel zur Unionsverfassung war. Handy, 38 USQR 301, 303. Swomley, Religious Liberty, S. 38 f. 115 Stokes / Pfeffer, Church and State, S. 68; Handy, 38 USQR 301, 305; Pfeffer, 38 USQR 337, 339; Bewersdorf, Prinzip der Trennung, S. 60. 116 Locke, A letter concerning toleration, abgedruckt bei Kurland / Lerner, S. 52. 117 Vgl. das Evangelium nach Johannes, Kapitel 3. 118 Smith, Public Prayer, S. 22; Hutson, Religion and the Founding, S. 26; vgl. McLoughlin, 38 USQV 319, 320 f. 113 114
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1. Kap.: Von den Pilgervätern bis zur Bill of Rights
I. Vom Kontinentalkongreß zur Unionsverfassung von 1787 Die Verfassungsgebung auf Bundesebene wurde durch den Kontinentalkongreß (Continental Congress) eingeleitet, der die Declaration of Independence verabschiedete.119 Die Erarbeitung der Bundesverfassung oblag dann der Verfassungsgebenden Versammlung (Constitutional Convention). Die Entscheidungen dieser in Philadelphia tagenden Gremien begründeten Wertverständnisse und Traditionen auch hinsichtlich des Verhältnisses von Staat und Kirche. Diese wurden zur Grundlage für das Selbstverständnis der jungen Nation und werden seither, wie nachfolgend darzulegen sein wird, in der Verfassungsrechtsprechung berücksichtigt.
1. Der Continental Congress Als der erste Kontinentalkongreß 1774 in Philadelphia zusammentrat, wurde bereits in seiner ersten Sitzung mehrheitlich beschlossen, die Verhandlungen jeweils mit einem Gebet zu eröffnen.120 Zwei Jahre später wurde erstmals ein „Congressional Chaplain“, also ein Parlamentspfarrer, von den Abgeordneten gewählt.121 Bald wurden mehrere Geistliche verschiedener Denominationen als gleichberechtigte Seelsorger bestellt.122 Die Freiheit von Religion und Gewissen beschreiben die Delegierten in einem gemeinsamen Brief als gottgegebenes Recht, das unabhängig von der englischen Krone bestehe.123 Zur Pflege von Glaube und Moral der Soldaten, die für die Unabhängigkeit kämpften, wurde die Abhaltung von Feldgottesdiensten vorgeschrieben.124 Geistliche begleiteten die Truppen, und der Kongreß wie auch der Armeeführer George Washington riefen die Bevölkerung mehrfach auf, durch Fasten und andere Bußhandlungen die Gnade Gottes für den militärischen Erfolg zu erflehen.125
2. Die Declaration of Independence Die amerikanische Unabhängigkeitserklärung von 1776 enthält neben naturrechtlichem Gedankengut vier transzendentale Aussagen. Neben einer Erwähnung der „Göttlichen Vorhersehung“ wird Gott benannt als der „Gott der Natur“, als der Der Text ist abgedruckt bei Commager, Documents of American History, S. 100. Hutson, Religion and the Founding, S. 48. 121 Stokes / Pfeffer, Church and State, S. 83; Hutson, Religion and the Founding, S. 51. 122 Hutson, Religion and the Founding, S. 52. 123 Continental Congress to the Inhabitants of the Province of Quebec, abgedruckt bei Kurland / Lerner, S. 61. 124 Stokes / Pfeffer, Church and State, S. 86. 125 Hutson, Religion and the Founding, S. 55. 119 120
B. Die Entstehung der Verfassung der USA
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„Schöpfer“ und „Oberster Richter der Welt“.126 Durch die Bezugnahme auf unabänderliche Freiheiten des Menschen wurde hier zwar eine Grundlage für den späteren Grundrechtskatalog geschaffen, eine konkrete Regelung von Religions- oder Gewissensfreiheit enthält das Dokument aber nicht.127
3. Die Constitutional Convention Nach der Unabhängigkeitserklärung von 1776 traten Delegierte der 13 Staaten zusammen, um eine Verfassung für die junge Nation zu erarbeiten. Die „Constitutional Convention“ setzte die Tradition der Sitzungseröffnung mit Gebet nicht fort,128 was unter anderem damit erklärt wird, daß in der von den Quäkern geprägten Stadt Philadelphia öffentliches Gebet verpönt war und der Konstituante keine finanziellen Mittel zur Bezahlung eines Geistlichen zur Verfügung standen.129 Jedoch besuchten die Abgeordneten regelmäßig Gottesdienste, vor allem in der noch heute zu besichtigenden Christ Church,130 einer Episkopalkirche, aber auch in einer katholischen und einer lutherischen Gemeinde.131
4. Die Unionsverfassung von 1787 Die Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika, die nach ihrer Ratifizierung am 17. September 1787 in Kraft trat,132 regelt das Verhältnis von Staat und Kirche nicht grundlegend. Der Hauptgrund hierfür wird darin gesehen, daß auf nationalstaatlicher Ebene nur wenige Kompetenzen angesiedelt werden sollten.133 Eine einheitliche Regelung des Staatskirchenrechts wurde für unnötig gehalten,134 Der Text ist abgedruckt bei Commager, Documents of American History, S. 100. Stokes / Pfeffer, Church and State, S. 85. 128 Heideking, S. 107 ff. 129 Stokes / Pfeffer, Church and State, S. 84; Levy, Establishment Clause, S. 81. 130 Die Mitarbeiter der Christ Church berichten Besuchern, wie auch der Autor persönlich erfuhr, daß es während der Sitzungswochen zum guten Ton gehörte, an den Gottesdiensten teilzunehmen, und daß die Abgeordneten darum bemüht waren, die Belange aller größeren Konfessionen bei der Veranstaltung der gemeinsamen Gottesdienste zu berücksichtigen. Es war mithin nicht so, daß sich die Delegierten stets ihrem eigenen Bekenntnis entsprechend auf die verschiedenen Kirchen Philadelphias verteilt hätten, sondern sie besuchten vielfach einen ausgewählten Gottesdienst gemeinsam. 131 Vgl. Hutson, Religion and the Founding, S. 52. 132 Der Text ist abgedruckt bei Commager, Documents of American History, S. 138. 133 Vgl. Heideking, S. 132 ff. 134 Levy, Establishment Clause, S. 83, und Quaas, Staatliche Hilfe, S. 32, zitieren James Madison:, „There is not a shadow of right in the general government to meddle with religion.“ Eine ähnliche Äußerung schreibt Hutson, Religion and the Founding, S. 77, John Adams, zu: „Nothing is more dreaded than the national government meddling with religion.“ 126 127
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1. Kap.: Von den Pilgervätern bis zur Bill of Rights
sie hätte wohl auch die Konsensfindung über die Unionsverfassung erschwert in einer Zeit, in der die Verfassungen der einzelnen Staaten höchst unterschiedliche Regelungsmodelle für das Verhältnis von Staat und Kirche vorsahen.135 Ein Antrag George Masons auf Einfügung eines Grundrechtskataloges in die Verfassung wurde demnach mit den Argumenten abgelehnt, der Unionsregierung fehle mit der Kompetenz für die Beschränkung von Freiheiten auch das Recht zu deren Sicherung, und die sich aus den einzelstaatlichen Verfassungen ergebenden Grundrechte seien hinreichend.136 Eine Berufung auf Gott, wie sie in der Unabhängigkeitserklärung zu finden ist, fehlt in der Unionsverfassung. Jedoch enthält sie in Artikel VI, Abschnitt 3 die Bestimmung,137 daß die Zugehörigkeit zu einem religiösen Bekenntnis nicht zur Voraussetzung für die Bekleidung eines öffentlichen Amtes gemacht werden kann.138 Damit gibt sich die Bundesverfassung liberaler als die einzelstaatlichen Bestimmungen, die meist noch ein Bekenntnis zum Protestantismus oder zum Christentum forderten.139 Deshalb fand diese Verfassungsbestimmung nicht nur Zuspruch,140 sondern wurde vor allem in der Ratifikationsphase auch zum Anlaß für Kritik.141 Allerdings widersprach die neue Verfassung damit nicht der im 18. Jahrhundert weit verbreiteten Ansicht, daß der Staat die Religion im Interesse der Allgemeinheit zu fördern habe.142 Als der aufgrund der neuen Verfassung gewählte 1. Kongreß der Vereinigten Staaten im Frühjahr 1789 zusammenkam, bestellte er zwei Marnell, First Amendment, S. 111. Smith, Public Prayer, S. 73; Quaas, Staatliche Hilfe, S. 31; Levy, Establishment Clause, S. 82 f. 137 Der Text ist abgedruckt bei Commager, Documents of American History, S. 138. 138 Art. VI § 3: „ . . . no religious test shall ever be required as a Qualification to any Office or public Trust under the United States.“ Vgl. zur Entstehungsgeschichte Levy, Establishment Clause, S. 80. Nach Kramnick / Moore, Godless Constitution, S. 55, kann der Grundgedanke dieser Bestimmung bis auf Roger Williams zurückgeführt werden, der auch Juden und Muslime am Staatswesen von Rhode Island teilhaben ließ. 139 Noonan, Individual Rights, S. 141, weist darauf hin, daß die Verfassung von New Hampshire noch 1870 Agnostikern, Katholiken oder Juden verbot, Abgeordnete im Landtag zu werden. Siehe auch Rubenstein, Back Door, S. 38. 140 Zur Verteidigung dieser Bestimmung durch den Vorsitzenden Richter des Supreme Court, Oliver Ellsworth, im Jahre 1787 siehe Kurland, Faith and Freedom, S. 159. 141 Vgl. hierzu Kramnick / Moore, Godless Constitution, S. 32 f.; Marnell, First Amendment, S. 112. Die Bestimmung der Bundesverfassung wurde noch 1961 angewandt, als der Staat Maryland einem Notar die Bestellung verweigerte, weil dieser es ablehnte, einen Glauben an Gott öffentlich zu bezeugen. Der Supreme Court stellte klar, daß die Bestimmungen des Staates Maryland, die das Ablegen eines Glaubensbekenntnisses vorschreiben, im Widerspruch zur Bundesverfassung stehen: Torcaso v. Watkins, 367 U.S. 488 (1961). 142 Hutson, Religion and the Founding, S. 78, beschreibt Politiker, die sich weiterhin als „nursing fathers of the church“ verstanden, und zeigt auf, daß auch Madison und Jefferson sich während ihrer jeweiligen Präsidentschaft um eine generelle Förderung des Christentums bemühten. 135 136
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Pfarrer als Parlamentsgeistliche und knüpfte somit an die Tradition des Kontinentalkongresses an.143 In demselben Jahr beschloß der Kongreß die Einrichtung eines Feiertages, an dem das amerikanische Volk Gott für seine Gnade und Bewahrung danken sollte. Nur zwei Abgeordnete waren der Ansicht, daß das Parlament nicht für eine solche religiöse Angelegenheit zuständig sei.144 Mit großer Mehrheit wurde dieser Buß- und Danktag eingerichtet, der als „Thanksgiving Day“ bis heute einer der wichtigsten Feiertage in den Vereinigten Staaten ist.
II. Bill of Rights Sechs Staaten ratifizierten die Unionsverfassung nur unter dem Vorbehalt der Schaffung eines bundesrechtlichen Grundrechtskataloges.145 Dieser Forderung, die unter anderem von Virginia, New York und Massachusetts erhoben wurde,146 kam der 1. Kongreß der Vereinigten Staaten auf Drängen James Madisons nach.147 Im Laufe des Jahres 1789 wurde ein Grundrechtskatalog (Bill of Rights) erarbeitet und in der Form von zehn Verfassungszusätzen (Amendments) an den ursprünglichen Verfassungstext angefügt.148 Der als „Bill of Rights“149 bekannte Grundrechtskatalog trat Ende 1791 in Kraft.150 Die Religionsfreiheit ist im ersten Zusatzartikel zur Unionsverfassung geregelt, der auch die Meinungs-, Versammlungs-, Petitions- und Pressefreiheit enthält. In den „religion clauses“ heißt es: „Congress shall make no law respecting an establishment of religion, or prohibiting the free exercise thereof.“ Dieser Text geht vor allem auf einen Formulierungsvorschlag des Staates New Hampshire zurück.151 Der knappe Wortlaut kann nur vor dem Hintergrund seiner Entstehung gedeutet werden. Die Debatte um die genaue Fassung des Grundrechtstextes läßt Rückschlüsse auf die Intentionen der Verfassungsväter zu, weshalb im folgenden zunächst die Erarbeitung des Wortlautes und anschließend die hieraus möglichen Folgerungen dargestellt werden sollen. 143 Hutson, Religion and the Founding, S. 79. Bei den Seelsorgern handelte es sich um einen anglikanischen (bzw. Episkopal-)Bischof und einen Pfarrer der Holländisch-Reformierten Kirche. 144 Hutson, Religion and the Founding, S. 80. 145 Smith, Public Prayer, S. 74; Bewersdorf, Prinzip der Trennung, S. 61. 146 Quellen bei Commager, Documents of American History, S. 149 ff. 147 Quellen bei Kurland / Lerner, S. 88 ff.; vgl. Swomley, Religious Liberty, S. 43; Levy, Establishment Clause, S. 95; Malbin, Religion and Politics, S. 4; Quaas, Staatliche Hilfe, S. 32; Heideking, S. 814 ff. 148 Grundlage für dieses Verfahren der Verfassungsänderung durch Zusatzartikel ist Art. 5 der Unionsverfassung. 149 Der Text ist abgedruckt bei Commager, Documents of American History, S. 146. 150 Bewersdorf, Prinzip der Trennung, S. 64; McDougal / Littel, The Americans, S. 186. 151 In diesem hieß es: „Congress shall make no laws touching religion or to infringe the rights of conscience“, vgl. Malbin, Religion and Politics, S. 4.
3 Funke
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1. Die Erarbeitung des Verfassungstextes im Kongreß Aus den Texten, die von den Einzelstaaten vorgeschlagen worden waren, hatte James Madison einen ersten Entwurf der Bill of Rights vorgelegt. In diesem sollte es heißen: „The Civil Rights of none shall be abridged on account of religious belief or worship, nor shall any national religion be established, nor shall the full and equal rights of conscience be in any manner, nor on any pretext infringed.“152 In der parlamentarischen Debatte wurde aber die Verwendung des Begriffs „national“ abgelehnt,153 da die Verwendung einer solchen Formulierung (die in dem Verfassungstext von 1787 bewußt vermieden wurde) den Anklang der Schaffung einer zentralistischen Nationalregierung vermittelt hätte.154 Dies hätte in einer Zeit, in der um die Machtbalance im amerikanischen Föderalismus heftig gestritten wurde, die Akzeptanz des Grundrechtskataloges in den Einzelstaaten gefährdet. Daher griffen die Abgeordneten auf die Textvorlage aus New Hampshire zurück. Hinsichtlich des Verhältnisses von Staat und Kirche bestand allerdings Einigkeit darüber, daß die Einführung einer Einheitsreligion oder Staatskirche der Union ausgeschlossen werden sollte.155 Das Repräsentantenhaus legte dem Senat schließlich folgenden Text vor: „Congress shall make no law establishing religion, or prohibiting the free exercise thereof, nor shall the rights of conscience be infringed.“156 Auch im Senat beschränkte sich die Diskussion im wesentlichen auf die Regelung des Verhältnisses von Staat und Kirche. Zunächst wurden Abänderungsanträge abgelehnt, die darauf zielten, allein die Etablierung einer bestimmten Konfession als Nationalreligion zu verbieten. Anschließend wurde beschlossen, den letzten Halbsatz des vorgelegten Textes zu streichen. Aufgrund dieser Abänderung, für die in den Verhandlungsprotokollen kein Grund angegeben wird,157 wurde die Gewissensfreiheit im Verfassungstext nicht ausdrücklich geregelt.158 Später änderte 152 Zitiert nach Swomley, Religious Liberty, S. 45; Smith, Public Prayer, S. 75; Malbin, Religion and Politics, S. 4; Bewersdorf, Prinzip der Trennung, S. 62. 153 Das Verhandlungsprotokoll ist abgedruckt bei Kurland / Lerner, S. 92. 154 Smith, Public Prayer, S. 85; vgl. Levy, Establishment Clause, S. 97 f. 155 Malbin, Religion and Politics, S. 10. 156 Zitiert nach Stokes / Pfeffer, Church and State, S. 97; Levy, Establishment Clause, S. 102; Swomley, Religious Liberty, S. 46. Die Formulierung geht im wesentlichen auf den Abgeordneten Fisher Ames aus Massachusetts zurück, der vorgeschlagen hatte: „Congress shall make no law establishing religion, or to prevent the free exercise thereof, or to infringe the rights of conscience“. Vgl. Malbin, Religion and Politics, S. 11. Der Vorschlag wurde stilistisch korrigiert, wohl um die umständliche Folge von Gerundium („establishing“) und AcI („to prevent . . . to infringe“) aufzulösen. Die Unterschiede zwischen beiden Fassungen übersehen Smith, Public Prayer, S. 87, und Quaas, Staatliche Hilfe, S. 33. 157 Swomley, Religion and Politics, S. 47; Smith, Public Prayer, S. 91. 158 Dies sollte später zu Schwierigkeiten bei der Abgrenzung des Schutzbereiches der Religionsfreiheit führen, insbesondere bei der Wehrdienstverweigerer-Rechtsprechung. Siehe United States v. Seeger, 380 U.S. 163 (1965); Welsh v. United States, 398 U.S. 333 (1970).
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der Senat den Text in „Congress shall make no law establishing articles of faith or a mode of worship, or prohibiting the free exercise of religion.“159 Das Repräsentantenhaus wies diesen Vorschlag des Senates zurück. In einem Treffen von Vertretern beider Parlamentskammern, unter ihnen James Madison, einigte man sich schließlich auf den heute gültigen Text:160 „Congress shall make no law respecting an establishment of religion or prohibiting the free exercise thereof; or abridging the freedom of speech, or of the press; or the right of the people peaceably to assemble, and petition the government for a redress of grievances.“161 In diesem Entwurf verknüpften die Delegierten die Bestimmungen zur Religion erstmals mit den Grundrechten der Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit, sowie mit einem Petitionsrecht. Diese Kommunikationsgrundrechte sollten ursprünglich in einem eigenständigen Artikel geregelt werden. Der Entwurf wurde in dieser Fassung vom Kongreß beschlossen und gemäß Artikel V der Unionsverfassung von den Einzelstaaten ratifiziert.162 So wurde dieser Text an der Spitze der „Bill of Rights“ zum „First Amendment“, dem Ersten Zusatzartikel der Verfassung der Vereinigten Staaten.163
2. Folgerungen aus der Genese des Ersten Zusatzartikels Der Teil des Ersten Zusatzartikels, der die Religion betrifft, besteht aus zwei Halbsätzen, deren erster die Grundlage für das Verhältnis von Staat und Kirche darstellt („establishment clause“) und deren zweiter die Religionsfreiheit im engeren Sinne betrifft („free exercise clause“). Da die Religionsfreiheit in der parlamentarischen Debatte kaum behandelt wurde, lassen sich aus der Entstehungsgeschichte des Textes vor allem Aussagen über die Intentionen des Kongresses hinsichtlich des Verhältnisses von Staat und Kirche ableiten. Anstelle des Verbotes der Einführung bestimmter „articles of faith“ oder eines „mode of worship“164 entschieden sich die Abgeordneten für die Verwendung des Malbin, Religion and Politics, S. 13. Der Text ist abgedruckt bei Commager, Documents of American History, S. 146; vgl. Stokes / Pfeffer, Church and State, S. 99 f.; Bewersdorf, Prinzip der Trennung, S. 64. 161 Brugger, Grundrechte und Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 471, verwendet folgende Übersetzung: „Der Kongreß darf kein Gesetz erlassen, das die Einführung einer Religion zum Gegenstand hat, die freie Religionsausübung beschränkt, die Rede- und Pressefreiheit oder das Recht des Volkes einschränkt, sich friedlich zu versammeln und die Regierung durch Petition zur Abstellung von Mißständen zu ersuchen.“ 162 Von den (nach der Aufnahme Vermonts in die Union) nötigen elf Ratifizierungen erfolgten neun binnen sechs Monaten. Am 15. Dezember 1791 trat die Bill of Rights in Kraft. Massachusetts, Connecticut und Georgia ratifizierten den Grundrechtskatalog erst 1939. Vgl. Levy, Establishment Clause, S. 106. 163 Der Text ist abgedruckt bei Commager, Documents of American History, S. 146. 164 So der Vorschlag des Senates, siehe oben. 159 160
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1. Kap.: Von den Pilgervätern bis zur Bill of Rights
allgemeineren Begriffes „establishment of religion“.165 Diese Formel kann in der deutschen Sprache am ehesten mit „Einführung einer Staatsreligion“ oder „Institutionalisierung einer Religion“ wiedergegeben werden.166 Damit zielt der Kongreß jedenfalls gegen die Begründung der Stellung einer Kirche als Inhaberin eines staatlich institutionalisierten weltanschaulichen Monopols. Weder sollte der Staat eine Kirche, noch eine Kirche den Staat kontrollieren.167 Bedeutsam erscheint weiterhin, daß dem Kongreß Gesetze „respecting an establishment of religion“ verboten werden. Die Wahl des unbestimmten Artikels „an“ anstelle des bestimmten Artikels „the“ bewirkt, daß nicht so sehr die Einführung bzw. Förderung von Religion generell (also „establishment of religion“ im allgemeinen), sondern vielmehr ein Verbot der Einführung einer bestimmten Religion (also eines konkreten „establishment of religion“) betont wird.168 Diese Abweichung vom Formulierungsvorschlag des Repräsentantenhauses läßt sich dahingehend deuten, daß sich bei der Erarbeitung des Kompromißvorschlages die Ansicht durchsetzen konnte, daß zwar nicht die Förderung einer bestimmten Konfession, wohl aber von Religion im allgemeinen169 zulässig sein sollte.170 Gegen diese Ansicht läßt sich mit gleicher Berechtigung anführen, daß nicht ein „establishment of a religion“, sondern umfassender ein „establishment of religion“ ausgeschlossen wird.171 Weiter wird angeführt, daß ein Recht des Staates zur Förderung von Religion nicht Gegenstand der Überlegungen gewesen sein kann, da es sich bei der Bill of Rights um einen Grundrechtskatalog handele, der die Kompetenzen des Kongresses nicht erweitern, sondern beschränken sollte.172 Der Kongreß habe ohnehin keine Befugnis gehabt, eine Kirche für die USA zu etablieren.173 Diese Kritik wirkt umso schwerer, wenn man bedenkt, daß der Wortlaut „Congress shall make no law respecting an establishment of religion“ auch geSwomley, Religious Liberty, S. 51; Malbin, Religion and Politics, S. 14. Vgl. Brugger, Grundrechte und Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 471. Die Übersetzung der International Communication Agency von 1980, die in der von der Botschaft der USA in Deutschland herausgegebenen Ausgabe der amerikanischen Verfassung Verwendung findet, gebraucht den Begriff „Einführung einer Staatsreligion“. 167 Swomley, Religious Liberty, S. 48 f. 168 Smith, Public Prayer, S. 92. 169 Dies bedeutet in der Geisteswelt der Vereinigten Staaten von Amerika im ausgehenden 18. Jahrhundert wohl zunächst das Christentum. 170 Malbin, Religion and Politics, S. 14. Gegen eine grammatikalisch orientierte Auslegung wendet sich Levy, Establishment Clause, S. 118: „The principles embodied in the First Amendment’s clauses, not some misunderstanding based upon a grammarian’s niceties, command our constitutional respect.“ Hieran zeigt sich erneut, welches besondere Gewicht die historische Interpretation für die Verfassungsauslegung in den USA besitzt. 171 Smith, Public Prayer, S. 81, weist aber darauf hin, daß die Weglassung des Artikels „a“ vor „religion“ insofern kaum bewußt geschehen sein kann, als daß etwa in der Parlamentsrede Madisons der Entwurf mehrfach mit dem Artikel, und damit fehlerhaft, zitiert wird. 172 Swomley, Religious Liberty, S. 51; Levy, Establishment Clause, S. 105 f. 173 Levy, Establishment Clause, S. 99. 165 166
B. Die Entstehung der Verfassung der USA
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wählt wurde, damit der Text – anders als der Vorschlag des Repräsentantenhauses – nicht nur das Verbot der Einführung einer nationalen Staatskirche impliziert, sondern auch beinhaltet, daß der Kongreß überhaupt keine Gesetze mit Bezug auf Staatskirchen erlassen darf, und deshalb den Einzelstaaten auch nicht durch Bundesgesetz verbieten kann,174 regionale Staatskirchen zu etablieren.175 Hinzu kommt, daß der Kongreß nicht lediglich „articles of faith“, sondern ein „establishment“ verhindern wollte, und damit einen allgemeinen Begriff gewählt hat. Dies läßt darauf schließen, daß dem Kongreß jegliche Maßnahmen verboten sein sollten, die auf die Etablierung einer Nationalreligion zielen könnten.176 Andererseits hatte der Staat bislang nicht nur auf Unionsebene, sondern auch in allen Einzelstaaten, und vorher in den Kolonien, die Religionsausübung in der ein oder anderen Weise unterstützt. Die im 18. Jahrhundert in den jungen Staaten zu beobachtende Entwicklung gibt Beispiele für die Abschaffung von bevorzugten Staatskirchen und für die Erhebung einer speziellen Steuer zur Unterstützung von Religionsgemeinschaften, 177 aber kaum für das Verbot von allgemeiner, konfessionsunabhängiger Religionsförderung. Auch die Gründungsgeschichte der USA enthält im folgenden noch darzustellende Indizien, die auf eine positive Grundhaltung der Verfassungsväter zur Religiosität schließen lassen. Weiterhin geht die Kritik, jede Art von Religionsbevorzugung hätte eine Ausweitung der Bundeskompetenzen bedeutet,178 insofern fehl, als daß hier nicht die Zulässigkeit einer Förderung von Religion unter föderalen Gesichtspunkten zur Debatte steht, sondern deren Inbegriffenheit in das Verbot des Ersten Zusatzartikels. Die Ansicht, daß im First Amendment die generelle Förderung von Religion nicht verboten wird, bedeutet keineswegs, daß eine solche nicht aus anderen Gründen unrechtmäßig sein kann. Und wie das Beispiel der Befreiung für Religionsgemeinschaften von Bundessteuern zeigt, ist eine generelle Förderung von Religion seitens der Union vorstellbar, durch die Interessen der Einzelstaaten nicht berührt werden. Eine unzulässige Ausweitung von Bundeskompetenzen kann nämlich kaum darin gesehen werden, daß der Kongreß von der Ausübung eines ihm eingeräumten Rechtes zugunsten der allgemeinen Förderung von Religion Abstand nimmt. 174 Nach damaliger Ansicht galten die Grundrechte der Bill of Rights nur gegenüber der Union, nicht aber gegenüber den Einzelstaaten. Noch 1845 urteilte der Supreme Court, daß die Bundesverfassung für die Staaten hinsichtlich des Schutzes der Religionsfreiheit keinerlei Verpflichtungen beinhalte, ein Grundrechtsschutz gegenüber dem Einzelstaat konnte nur durch dessen Gesetze begründet werden (Permoli v. First Municipality No. 1 of New Orleans, 3 How. 589, 609), vgl. Stokes / Pfeffer, Church and State, S. 106 f. Erst durch den 14. Zusatzartikel zur Verfassung, der 1868 in Kraft trat, wurde die Geltung der Bill of Rights auf das Recht der Einzelstaaten ausgeweitet. Siehe Marnell, First Amendment, S. 148 f. 175 Quaas, Staatliche Hilfe, S. 35; Malbin, Religion and Politics, S. 15. 176 Malbin, Religion and Poltics, S. 16; vgl. Swomley, Religious Liberty, S. 52. 177 Vgl. die vorstehend beschriebene Entwicklung in Virginia. Hier wurde die Erhebung einer Kirchensteuer abgelehnt, damit aber nicht die immaterielle Förderung oder die nichtdiskriminierende Bezuschussung aus allgemeinen Haushaltsmitteln. 178 Levy, Establishment Clause, S. 114; Quaas, Staatliche Hilfe, S. 35.
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Diese Interpretation der Absichten der Verfasser der Bill of Rights wird dadurch gestützt, daß der Kongreß noch 1789 (also im selben Jahr) die Bereitstellung von Grundstücken für Schulen im neuen Nordwest-Territorium179 verfügte, die „religion, morality, and knowledge“ verbreiten sollten.180 Diese Förderung religiöser Erziehung legt trotz aller Einwände, die sich aus der Beschränktheit der Bundeskompetenzen ergeben, nahe, daß dem Staat nach Ansicht der Gründerväter die allgemeine und nichtdiskriminierende Begünstigung von Religion nicht grundsätzlich verboten sein sollte.181
III. Staat und Religion nach Inkrafttreten der Bill of Rights Aus der Entstehung des First Amendment läßt sich bereits begründen, daß nicht alle denkbaren Formen der staatlichen Förderung von Religion ausgeschlossen werden sollten. Da aber, wie vorstehend dargelegt, auch gewichtige Argumente gegen diese Sichtweise vorgebracht werden, sollen aus der politischen Praxis der ersten Jahre nach Inkrafttreten des First Amendment weitere Indizien für die Intentionen der Verfassungsväter gesammelt werden.
1. James Madison und die Detached Memoranda Kein anderer Politiker hatte einen so großen Einfluß auf die Entwicklung der Religionsfreiheit in der Verfassung der USA wie James Madison, der spätere vierte Präsident der Vereinigten Staaten. Nach Madisons Absichten sollte vor allem die Etablierung einer Nationalreligion verhindert werden, wie sich an seinen Stellungnahmen im virginischen Parlament und am Wortlaut seiner dem Kongreß vorgelegten Entwürfe ablesen läßt.182 Darüber hinaus kann er kaum angestrebt haben, daß Kirchen durch die landesweite Erhebung einer speziellen Steuer begünstigt werden sollen, denn er hatte gegen ein solches System in Virginia gekämpft und wußte sicher auch daher, daß der Union eine Kompetenz zur Erhebung einer solchen Steuer gar nicht zukam.183
179 D. i. das Gebiet, auf dem später die Staaten Ohio, Michigan, Indiana, Illinois, Wisconsin und Minnesota entstehen sollten. 180 So der Kongreß in Bestätigung der Northwest Ordinance von 1787. Vgl. Malbin, Religion and Politics, S. 14 f.; McDougal / Littel, The Americans, S. 158; Bewersdorf, Trennung von Staat und Kirche, S. 76. Man beachte, daß hier gerade die Förderung religiös geprägter Schulen ausdrücklich befürwortet wird. 181 Vgl. Wallace v. Jaffree, 472 U.S. 38, 98 ff. (Rehnquist, C. J., dissenting). 182 Vgl. die Quellen bei Kurland / Lerner, S. 88. 183 Madisons Streitschrift „Memorial and Remonstrance against Religious Assessments“ ist abgedruckt bei Kurland / Lerner, S. 82.
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In seinen politischen Memoiren, den „Detached Memoranda“,184 notierte Madison nach Ende seiner Präsidentschaft, daß die Verfassung alles in der Art der Einführung einer Nationalreligion verbiete.185 Aus dieser Quelle läßt sich aber nicht schließen, daß Madison Einwendungen gegen eine nichtdiskriminierende Förderung des Christentums im allgemeinen durch die Unionsregierung gehabt hätte.186 Vielmehr nahm Madison an den Gottesdiensten teil, die im Kapitol abgehalten wurden, und proklamierte in Wiederaufnahme der unter Washington und Adams begründeten (aber von Jefferson unterbrochenen) Tradition nationale Bußund Danktage.187 Hinsichtlich der Religionsausübungsfreiheit ist bemerkenswert, welches Gewicht Madison dem Recht des Gläubigen beimißt, dem Willen Gottes gemäß zu leben. In seinem „Memorial and Remonstrance“, mit dem er in Virginia gegen die Kirchensteuer und für den Gesetzentwurf Jeffersons stritt, schrieb er „It is the duty of every man to render to the Creator such homage, and such only, that he believes to be acceptable to him. This duty is precedent both in order and in degree of obligation, to the claims of Civil Society.“188 Damit spricht Madison an, daß der Mensch als Bürger und Glaubender sowohl der staatlichen Rechtsordnung als auch den Geboten Gottes unterworfen ist, und daß sich hier Konflikte zwischen beiden Normensystemen ergeben können. Madison beschränkt die Religionsfreiheit hier nicht auf das im Rahmen der allgemeinen Gesetze Erlaubte, sondern räumt der Lebenstreue zur religiösen Überzeugung einen Vorrang vor der staatlichen Ordnung ein.189 Einen unmittelbaren Niederschlag in den Gesetzen Virginias oder der Union fand diese Überzeugung allerdings nicht.190 184 Madison hat diese Niederschriften nicht publiziert, sie sind aber in der Library of Congress erhalten. Die Analysen von Hutson, Religion and the Founding, S. 78, beruhen auf den Originaldokumenten. Der Text ist überdies abgedruckt bei Kurland / Lerner, S. 103. 185 „The constitution forbids everything like a national establishment of religion“, Kurland / Lerner, S. 103; vgl. Hutson, Religion and the Founding, S. 78. 186 Vgl. Smith, Public Prayer, S. 111. 187 Smith, Public Prayer, S. 99; Hutson, Religion and the Founding, S. 96. Quaas, Staatliche Hilfe, S. 39, übersieht, daß Madison insofern religiöse Zwecke aktiv gefördert hat. Die in Madisons Spätwerk „Detached Memoranda“, Text abgedruckt bei Kurland / Lerner, S. 103, enthaltene Ansicht, der Staat solle solche Praktiken nicht vorschreiben, begründet der vormalige Präsident mit der Befürchtung, daß das Bekenntnis der jeweiligen religiösen Mehrheit damit gegenüber Minderheitskonfessionen bevorteilt werden könne. Vgl. hierzu Smith, Public Prayer, S. 101. 188 Der Text ist abgedruckt bei Kurland / Lerner, S. 82; vgl. Malbin, Religion and Politics, S. 26. Noonan, 84 Va.L.Rev. 459, 461 führt ein Zitat Madisons an, nach dem die Religionsfreiheit „unalienable“ ist, „because it is a duty towards the creator.“ An anderer Stelle schreibt Madison:, „Before any man can be considered as a member of Civil Society, he must be considered as a subject of the Governor or the Universe. . . . To God, therefore, not to man, must an account of it be rendered“, Text bei Federer, God and Country, S. 410. 189 Quaas, Staatliche Hilfe, S. 38 f., übersieht in seiner Analyse, daß Madison hier über Locke hinausgeht. 190 Malbin, Religion and Politics, S. 37.
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2. Die Präsidenten Washington und Adams Der erste Präsident der Vereinigten Staaten, George Washington, hatte schon als Anführer der Revolutionsarmee öffentlich zur Fürbitte für Amerika aufgerufen.191 Als Präsident nahm er die Anregung des Kongresses auf, einen Buß- und Danktag als Feiertag zu bestimmen. Seine bekannteste öffentliche Äußerung zum Verhältnis von Staat und Kirche ist in der Abschiedsrede enthalten, die er zum Ende seiner zweiten Amtszeit im Jahre 1796 hielt.192 In dieser erklärte er, daß Religion die Grundlage für Moral, und Moral die Basis für eine funktionierende Demokratie sei: „Reason and experience both forbid us to expect that national morality can prevail in exclusion of religious principle. It is substantially true, that virtue or morality is a necessary spring of popular government.“193 Washingtons Nachfolger, John Adams, sprach ähnlich über das Verhältnis von Religion, Moral und Demokratie. In seinem Aufruf zum Beten und Fasten von 1799 ließ er verkünden, daß die Anerkennung der göttlichen Vorhersehung und der Verantwortlichkeit der Menschen vor Gott sowohl der Freude und Rechtschaffenheit von Einzelnen als auch dem Wohlergehen von Gemeinschaften diene.194
3. Jefferson und die Danbury Baptist Association Das bekannteste Dokument, in dem die Bedeutung der Religion Clauses behandelt wird, ist ein Brief Thomas Jeffersons an die Danbury Baptist Association in Connecticut.195 In diesem Schreiben von 1802 führt der dritte Präsident der Vereinigten Staaten aus, daß Religion allein eine Sache zwischen Gott und Mensch sei. Die Macht des Staates erstrecke sich nicht auf religiöse Ansichten, und mit dem ersten Zusatzartikel habe das amerikanische Volk eine „Mauer der Trennung“ zwischen Kirche und Staat errichtet.196 Diese Formulierung wird oft herangezogen, Hutson, Religion and the Founding, S. 80; vgl. Heideking, S. 774 ff. und 711 ff. Der Text ist abgedruckt bei Commager, Documents of American History, S. 169. 193 Vgl. auch Hutson, Religion and the Founding, S. 80 f. 194 „ . . . that a deep sense and full acknowledgment of the governing providence of a Supreme Being and the accountableness of men to Him as the searcher of hearts and the righteous distributor of rewards and punishments are conductive equally to the happiness and rectitude of individuals and the well-being of communities.“ Zitiert nach Hutson, Religion and the Founding, S. 82. 195 Der Text ist abgedruckt bei Kurland / Lerner, S. 96. 196 „Believing with you that religion is a matter which lies solely between man and his god, that he owes account to none other for his faith or his worship, that the legitimate powers of government reach actions and not opinions, I contemplate with sovereign reverence that act of the whole American people which declared that their legislature should make no law respecting an establishment of religion, or prohibiting the free exercise thereof, thus building a wall of separation between church and state.“ Das Originaldokument ist abgebildet in Hutson, Religion and the Founding, S. 85. 191 192
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um jedwede staatliche Bevorzugung von Religiosität gegenüber der Irreligiosität auszuschließen.197 Neuere Untersuchungen des handschriftlichen Dokumentes haben ergeben, daß Jefferson ursprünglich sogar von einer „Mauer der ewigen Trennung“ geschrieben, das Wort „eternal“ dann aber gestrichen hat.198 Dies läßt sich in der Form deuten, daß Jefferson sich eigentlich für eine umso schärfere Trennung einsetzen wollte, aber auch in der Weise, daß die Streichung eine Abschwächung des Trennungsgedankens bedeutet. Der Aussagewert des Briefes relativiert sich allerdings, wenn man bedenkt, daß Jefferson Ängste auf Seiten des Adressaten zerstreuen wollte. Auf die Frage aus Danbury, weshalb Jefferson keine landesweiten Bußtage proklamiere, antwortete der Präsident mit der Metapher von der Mauer, um daran zu erinnern, daß die Aufzwingung uniformer Religionsausübung negativere Folgen für religiöse Menschen haben kann als die Unterlassung von Bußproklamationen. Damit richtete sich Jefferson nicht so sehr gegen die Unterstützung von Religion im allgemeinen, sondern vornehmlich gegen jedwede Bevormundung der Kirchen durch staatliche Stellen sowie die Bevorzugung religiöser Mehrheiten gegenüber weltanschaulichen Minderheiten durch den Staat.199 Damit wollte er für Verständnis werben bei den Baptisten, die (nicht nur in Virginia, sondern auch in Connecticut) leidvolle Erfahrungen gemacht hatten als Minderheiten in Staaten, die eine bestimmte Konfession und damit eine einheitliche religiöse Praxis nachdrücklich förderten. Die These, Jefferson habe einen strengen Separationismus befürwortet, wird überdies dadurch in Frage gestellt, daß er während seiner Präsidentschaft verschiedenen christlichen Gemeinschaften öffentliche Gebäude für die Abhaltung von Gottesdiensten zur Verfügung stellte.200 Auch kann der Brief nur bedingt zur Auslegung der Intention der Verfassungsväter herangezogen werden. Jefferson war zwar einer der Pioniere der Religionsfreiheit in Amerika, aber an der Erstellung der Bill of Rights war er wegen seiner Tätigkeit als Botschafter der USA in Paris gar nicht beteiligt.201 Weiterhin verdient Beachtung, welchen Rang Jefferson der Religionsfreiheit in dem Brief einräumt. Der Präsident stellt einerseits fest, daß der Staat keine Rechenschaft über den Glauben oder die Ansichten der Bürger fordern kann.202 Auch 197 Vgl. Howard, The Wall of Separation, sowie Boston, Priority Mail, in: Church&State Magazine, January 2002, einzusehen unter http://www.au.org / churchstate / cs1023.html. 198 Hutson, Religion and the Founding, S. 85. 199 Smith, Public Prayer, S. 98; Federer, God and Country, S. 325. Auch Quaas, Staatliche Hilfe, S. 41, erkennt an, daß Jefferson keine religionsfeindlichen Motive hatte. 200 Hutson, Religion and the Founding, S. 89. 201 Federer, God and Country, S. 325. 202 Nicht nur der Brief an die Baptisten von Danbury ist in diesem Zusammenhang zu beachten. Garrett Epps, 30 Ariz.St.L.J. 563, 571, führt ein Zitat Jeffersons an, nach welchem Religionsfreiheit „independent of the powers of government“ sei. Vgl. auch Noonan,
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1. Kap.: Von den Pilgervätern bis zur Bill of Rights
„worship“, also Anbetung und Gottesdienst, ist von der staatlichen Einflußsphäre ausgenommen. Andererseits stellt Jefferson fest, daß der Staat zwar nicht an Meinungen, wohl aber an Handlungen Folgen knüpfen kann.203 Hier präsentiert sich bereits das Konfliktfeld der Abgrenzung des Schutzbereiches der Religionsfreiheit. Mit „worship“ sind Handlungen angesprochen, und insofern eine Ausnahme von dem Grundgedanken, daß die Religionsfreiheit vornehmlich Ansichten schützt. Wie weit aber Handlungen, mit denen Gott verehrt werden soll, von diesem Begriff „worship“ umfaßt sein sollen, wird nicht deutlich. Dies ist insbesondere dann schwer abzugrenzen, wenn bestimmte Handlungen teilweise religiös motiviert sind, oder wenn (etwa im Sinne von Römer 12, 1) das gesamte Leben als Gottesdienst verstanden wird.204 Anderen Äußerungen Jeffersons kann man entnehmen, daß der Verfasser der Unabhängigkeitserklärung dazu tendierte, das Ausleben religiöser Ansichten eher dem Bereich der allgemeinen Handlungen als der Anbetung zuzuschreiben.205 Wie aus dem von Jefferson entworfenen Gesetz zur Herstellung der Religionsfreiheit in Virginia hervorgeht, sollte die Religionsfreiheit nach Ansicht des dritten Präsidenten der USA unter dem Vorbehalt der öffentlichen Ordnung stehen.206 Jefferson selbst änderte sein Verhältnis zur christlichen Religion im Laufe seines Lebens. Als Sohn eines virginischen Plantagenbesitzers lernte er die Episkopalkirche, also die anglikanische Theologie, kennen. Während seiner frühen politischen Tätigkeit bezeichnete er sich als „Deist“,207 später bekannte er sich zum Christentum. Darunter verstand Jefferson die Philosophie und Morallehre des Jesus von Nazareth.208 In Jeffersons „The Life and Morals of Jesus“209 von 1804 finden 84 Va.L.Rev. 459, 461, der eine Handschrift Jeffersons zitiert: „Individual cannot surrender – answerable to God. If is unalienable right . . . is Religious.“ 203 Vgl. hierzu Martin Luther, Von weltlicher Obrigkeit, wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei (1523): „Das weltliche Regiment“, so Luther, erstreckt sich nur „über Leib und Gut und was äußerlich ist auf Erden. Denn über die Seele selbst kann und will Gott niemanden lassen regieren denn sich selbst allein.“ Zitiert nach von Campenhausen, Religionsfreiheit, S. 373. 204 Vgl. zur Rechtslage in Deutschland die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur „Aktion Rumpelkammer“, in der eine kirchliche Jugendgruppe eine Altkleidersammlung durchführte, der wegen der religiösen Motivation der Schutz des Art. 4 GG zugebilligt wurde, BVerfGE 24, 236, 250 f. 205 Malbin, Religion and Politics, S. 34 f., weist darauf hin, daß Jefferson zwar einerseits (im Gegensatz zu Locke) öffentliche Zweifel an der Existenz Gottes schützen, andererseits aber Äußerungen politischen Inhaltes im Rahmen einer Predigt von der staatlichen Zugriffsgewalt keineswegs ausnehmen wollte. 206 In diesem heißt es: „That it is time enough for the rightful purpose of civil government . . . to interfere when principles break out into overt acts against peace and good order . . .“ Text bei Kurland / Lerner, S. 84. Vgl. Malbin, Religion and Politics, S. 27. Quaas, Staatliche Hilfe, S. 42, übersieht, daß hier ein Unterschied zwischen Jeffersons Gesetzesentwurf und Madisons „Memorial and Remonstrance“, abgedruckt bei Kurland / Lerner, S. 82, besteht. 207 Bewersdorf, Trennung von Staat und Kirche, S. 74 f.
C. Zusammenfassung
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sich keinerlei Bezüge etwa zur Auferstehung Christi. Wohl aber hielt er während seiner Präsidentschaft Religion für förderlich für die Gesellschaft, er spendete für mehrere Kirchen210 und nahm regelmäßig an den Gottesdiensten teil, die sonntags im Kongreßgebäude abgehalten wurden.211
C. Zusammenfassung Religion war für viele Menschen ein entscheidender Beweggrund für die Übersiedlung in die Neue Welt. Entsprechend spielte der Glaube in den kolonialen Gesellschaften eine große Rolle. Dies wirkte sich auch auf das Verhältnis von Staat und Kirche aus. Vereinfacht kann man drei Grundmodelle unterscheiden. In den puritanisch geprägten Neuenglandstaaten entwickelten sich Kirchenstaaten calvinistischer Prägung. Im Süden dominierte der Staat die Kirche, das anglikanische Bekenntnis wurde zur Staatskirche erhoben. In Rhode Island und Pennsylvania, zeitweise auch in Maryland, waren die Gründerväter zwar überzeugte Anhänger und Förderer einer bestimmten Konfession, trennten aber weltliches und geistliches Regiment und gewährten den Bürgern weitgehende Religionsfreiheit.212 Im 18. Jahrhundert gab es meist eine enge Bindung zwischen Staat und Kirche. In der Mehrzahl der Kolonien gab es Staatskirchen, die von der Regierung unmittelbar gefördert wurden. Diese Monopolstellungen wurden bis zum 19. Jahrhundert vielfach durch ein „multiple establishment“ ersetzt, in dem mehrere Kirchen in gleicher Weise gefördert wurden. Die Entwicklung in Virginia ist beispielhaft für die weitergehende Bestrebung, Staat und Religion institutionell vollständig zu trennen. Sie steht nicht im Widerspruch dazu, daß während des Unabhängigkeitskrieges Patriotismus und Religion eng verbunden waren.213 In den nachrevolutionären Vereinigten Staaten ist eine positive Grundhaltung der Verfassungsväter zur Religion erkennbar.214 Schon die Konstituante, aber auch das neu geschaffene Parlament und die ersten Präsidenten förderten die christliche Religion im allgemeinen. Doch aus der Überzeugung heraus, daß Religion sich ohne staatliche Einmischung besser entwickeln könne, sowie mit Rücksicht auf die Vielgestaltigkeit der Bekenntnisse in den Einzelstaaten, wurde eine säkulare Re208 Hutson, Religion and the Founding, S. 83. Zu den unitarischen Tendenzen in Jeffersons Verständnis von dem, was christlicher Glaube sei, vgl. Little, 38 USQR 401, 405. 209 Als Nachdruck unter dem Titel „The Jefferson Bible“ im amerikanischen Buchhandel erhältlich. 210 Hutson, Religion and the Founding, S. 95. 211 Hutson, Religion and the Founding, S. 84. Die Praxis der Gottesdienstfeier im Parlamentsgebäude endete erst in der Mitte des 19. Jahrhunderts. 212 Die vorstehend näher erörterten Quellen sind abgedruckt bei Kurland / Lerner sowie bei Commager, Documents of American History. 213 Vgl. Hutson, Religion and the Founding, S. 114. 214 Vgl. Lindt, 38 USQR 415, 418 f.; Heideking, S. 711 ff.
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1. Kap.: Von den Pilgervätern bis zur Bill of Rights
gierungsform gewählt.215 Die Union erhielt keinerlei Kompetenzen zur Festschreibung einer Nationalregierung. Sie darf auch kein bestimmtes Bekenntnis favorisieren. Inwiefern der Staat aber Religion gegenüber der Nichtreligion bevorzugen darf, ist umstritten. Eine separationistische Ansicht argumentiert, Religion dürfe überhaupt nicht Gegenstand der Bundesgesetzgebung sein. Die Nonpräferentialisten hingegen führen die Geschichte als Beleg dafür an, daß religiös motiviertes Verhalten besonders geschützt und gefördert werden darf, solange die Union ihre Kompetenzen dabei nicht überschreitet und keine Konfession gegenüber einer anderen bevorzugt.216 Weiterhin eröffnet der erste Zusatzartikel zur Verfassung ein weitgehendes Recht auf Glaubensfreiheit, das aber zunächst nur gegenüber dem Bundesgesetzgeber, nicht gegenüber den Einzelstaaten wirkt.217 Welche Schranken für dieses Recht gelten, ist aus dem Wortlaut der Verfassung nicht unmittelbar ersichtlich und blieb zwischen James Madison und Thomas Jefferson umstritten. In „Democracy in America“ schreibt Alexis de Tocqueville 1835: „I do not know whether all the Americans have a sincere faith in their religion; for who can search the human heart? But I am certain that they hold it to be indispensable to the maintenance of republican institutions. This opinion is not peculiar to a class of citizens or to a party, but it belongs to the whole nation, and to every rank of society.“218
Kurland, Faith and Freedom, S. 155 f.; Pierard, Evangelical Assault, S. 69. Smith, Public Prayer, S. 101. 217 Kurland, Faith and Freedom, S. 152. 218 Alexis de Tocqueville, Democracy in America, zitiert nach Hutson, Religion and the Founding, S. 114; vgl. Noonan, Individual Rights, S. 144. 215 216
2. Kapitel
Religionsfreiheit und Religionsbegriff in der frühen Rechtsprechung des Supreme Court A. Die frühen Auslegungen des First Amendment Lediglich aus 16 Worten besteht der Teil des ersten Verfassungszusatzes, der sowohl die Religionsfreiheit als auch das Verhältnis von Staat und Kirche regelt.1 Aus der Kürze des Verfassungswortlautes ergibt sich, wie bereits oben angedeutet, ein erheblicher Interpretationsbedarf.2 In der Knappheit der amerikanischen Verfassung liegt zwar der Vorteil der Anpassungsfähigkeit begründet, welcher dem Text aus dem 18. Jahrhundert seine Funktionsfähigkeit bis in die heutige Zeit ermöglicht. Die Interpretationsbedürftigkeit ist aber auch der Hauptgrund für die mangelnde Vorhersehbarkeit der Verfassungsauslegung durch die Judikative. Thomas Jefferson bemerkte daher schon 1819: „The Constitution is a mere thing of wax in the hands of the judiciary, which they may twist and shape into any form they please.“3
I. Der Erste Zusatzartikel bis zum Ende des Bürgerkrieges In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gab es nur wenige Streitfälle zur Religionsfreiheit, die den Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten erreichten. Dies lag zum einen daran, daß die relative Homogenität der meist christlich orientierten Bevölkerung eine Reihe von potentiellen Konflikten noch nicht zutage treten ließ, die im 20. Jahrhundert die Gerichte beschäftigen sollten. Auch war es den Sklaven in den südlichen Staaten bis zum Ende des Bürgerkrieges verwehrt, sich auf die Verfassung zu berufen. Überdies war der Anwendungsbereich der Bill of Rights bis 1868 auf das Bundesrecht beschränkt, die Einzelstaaten waren zunächst nicht Adressaten des Grundrechtskataloges.
Der Text ist abgedruckt bei Commager, Documents of American History, S. 146. Vgl. Kurland, Faith and Freedom, S. 149: „Each writer on the Constitution has all the true meanings of the Constitution at his command.“ 3 Zitiert nach Federer, God and Country, S. 330. 1 2
46 2. Kap.: Religionsfreiheit und Religionsbegriff der Rechtsprechung des Supreme Court
1. Die Religionsfreiheit bei Joseph Story In der Frühzeit der amerikanischen Republik war Joseph Story der herausragende Ausleger der Verfassung von 1787 sowie der Bill of Rights. Im Alter von 32 Jahren wurde er 1811 von James Madison zum Richter am Supreme Court der USA ernannt, und Story blieb dort bis 1845 tätig.4 In seinem 1833 erschienenen Kommentar schreibt er zum First Amendment: „Probably at the time of the adoption of the constitution, . . . the general, if not the universal sentiment in America was that Christianity ought to receive encouragement from the State, so far as was not incompatible with the private right to religious worship.“5 Story vertritt damit die Ansicht, daß die christliche Religion im allgemeinen durchaus Unterstützung durch den Staat verdiene, solange dabei die Rechte des Einzelnen wie auch der Staaten gewahrt bleiben und der Staat keine Konfession bevorzugte. Dies verdeutlicht auch ein weiterer Auszug aus dem Werk des Verfassungsrichters: „The real object of the (first) amendment was, not to countenance, much less to advance Mahometanism, or Judaism, or infidelity, by prostrating Christianity; but to exclude all rivalry among Christian sects, and to prevent any national ecclesiastical establishment.“6 In einem der ersten Fälle mit Bezug zur Religionsfreiheit, die dem Supreme Court zur Entscheidung vorlagen, verfaßte Joseph Story das Urteil. Ein Bürger Pennsylvanias hatte in seinem Testament bestimmt, daß ein Teil seines Vermögens für die Errichtung einer Schule verwendet werden solle, in der Religion nicht unterrichtet werden durfte und Priester nicht Lehrer sein konnten. Die Erben griffen diese Verfügung ohne Erfolg an. Das Urteil führt aus, daß die Religionsfreiheit nach dem Recht des Staates Pennsylvania nicht nur das Christentum schützt, sondern sich auch auf „alle Sekten, seien sie Juden oder Untreue,“ erstreckt.7 Der Erblasser war mithin frei, eine solche Bestimmung für seinen Nachlaß zu treffen, das Testament blieb gültig.8
Smith, Public Prayer, S. 107. Joseph Story, Commentaries on the Constitution of the United States, § 1868, Text abgedruckt bei Kurland / Lerner, S. 109. 6 Joseph Story, 2 Commentaries on the Constitution of the United States, § 1877, zitiert nach Smith, Public Prayer, S. 108. Der moderne Supreme Court hat sich von dieser Sichtweise ausdrücklich distanziert, vgl. Wallace v. Jaffree, 472 U.S. 38, 52 – 55 (1985), sowie Fußnote 3 des Sondervotums der Richter Stevens, White und Powell zu Goldman v. Weinberger, 475 U.S. 503 (1986). 7 Vidal v. Girard’s Executors (1844), abgedruckt in Stokes / Pfeffer, Church and State, S. 106. 8 Wie nachfolgend dargestellt wird, war der Grundrechtskatalog der Bundesverfassung vor 1868 nicht gegenüber den Einzelstaaten anwendbar. Daher konnte das First Amendment in diesem Fall keine Wirksamkeit entfalten. Es ist aber vorliegend auch kein Grund ersichtlich, auf den sich bei unterstellter Anwendbarkeit der Bill of Rights ein anderes Ergebnis stützen ließe. 4 5
A. Die frühen Auslegungen des First Amendment
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2. Die Geltung der Unionsverfassung in den Einzelstaaten Mit einem weiteren Fall, in dem ein Bürger eine gesetzliche Bestimmung eines Einzelstaates angriff, befaßte sich der Supreme Court im Jahr 1845. Die Stadt New Orleans im Bundesstaat Louisiana hatte in einer Verordnung bestimmt, daß Trauergottesdienste nur in einer bestimmten katholischen Kapelle stattfinden durften. Ein Priester eines anderen Gotteshauses rief wegen dieses Monopols den Obersten Gerichtshof der USA an. Die Verfassungsrichter wiesen die Beschwerde ab. Ein Verstoß gegen die Unionsverfassung oder anderes Bundesrecht könne nicht festgestellt werden, da die Bürger vor Maßnahmen der Einzelstaaten nur durch deren Verfassungen geschützt seien, und die Bundesverfassung durch die Verordnung der Stadt New Orleans mithin nicht verletzt sein könne.9 Die Einzelstaaten waren folglich nicht Adressaten der Bill of Rights.10 Der Anwendungsbereich der Unionsverfassung wurde erst 1868 entsprechend erweitert. In diesem Jahr wurde der 14. Zusatzartikel an die Verfassung von 1787 angefügt, der bestimmt: „No state shall make or enforce any law which shall abridge the privileges or immunities of citizens of the United States, nor shall any state deprive any person of life, liberty or property without due process of law; nor deny to any person within its jurisdiction the equal protection of the laws.“ Ziel dieser Bestimmung war zunächst, den Afro-Amerikanern nach dem im Bürgerkrieg erkämpften Ende der Sklaverei einen hinreichenden Grundrechtsstandard zu sichern.11 Dieser sollte nicht von den Parlamenten der Südstaaten abhängen. Der Krieg (1861 – 65) hatte die Machtbalance zwischen Einzelstaaten und Union zugunsten der Bundesregierung verändert, und in der Folge sollten fortan die durch Bundesgesetz gewährten Freiheiten12 – darunter die Religionsfreiheit – auch gegenüber den Einzelstaaten gelten.13 Dies stellte der Supreme Court in seiner Auslegung des 14. Amendments fest.14 Nicht unumstritten ist, ob neben der „free exercise clause“, also dem eigentlichen Grundrecht auf Religionsfreiheit, auch die „establishment clause“ in den Geltungsbereich des 14. Zusatzartikels fällt, und insofern gegenüber den Einzelstaaten anwendbar ist. Die Entstehungsgeschichte des 14. Amendments gibt keine ausdrücklichen Hinweise auf den Einschluß der „establishment clause“. Für die Ansicht, daß die Be9 Permoli v. First Municipality of New Orleans (1845), 3 How. 589, 609; vgl. Stokes / Pfeffer, Church and State, S. 106 f. 10 Kurland, Faith and Freedom, S. 152. 11 Hay, Amerikanisches Recht, S. 35; Marnell, First Amendment, S. 152. 12 Vgl. die Verbindung der Motive Freiheit und Religion in der Rede von Präsident Abraham Lincoln anläßlich der Schlacht von Gettysburg (1863): „This nation, under God, shall have a new birth of freedom.“, siehe McDougal / Littel, The Americans, S. 351. 13 McDougal / Littel, The Americans, S. 363; Marnell, First Amendment, S. 149. 14 Zu der Rechtsprechung, in der die Anwendbarkeit der Grundrechte auf die due-processclause des 14. Zusatzartikels gestützt wird, vgl. Hay, Amerikanisches Recht, S. 36.
48 2. Kap.: Religionsfreiheit und Religionsbegriff der Rechtsprechung des Supreme Court
stimmung „Congress shall make no law respecting an establishment of religion“ keine vom 14. Amendment erfaßte Grundfreiheit beinhalte, wird aber historisch angeführt, daß im Jahr 1875 ein Entwurf für einen Verfassungszusatz vom Kongreß abgelehnt wurde, der den Staaten die Einführung einer Staatskirche ausdrücklich verbieten sollte. In dem von dem Abgeordneten James Blaine aus Maine vorgeschlagenen Text sollte es heißen: „No state shall make any law respecting an establishment of religion or prohibiting the free exercise thereof; and, no money raised by taxation in any state for the support of public schools, or derived from any public fund therefore, nor any public lands devoted thereto, shall ever be under the control of any religious sect, nor shall any money so raised or lands so devoted be divided between religious sects or denominations.“15 Gegen die Ansicht, die Ablehnung dieser Initiative lasse auf die Nichtgeltung der „Establishment Clause“ der Bill of Rights schließen, sind aber mehrere Argumente anzuführen. Zunächst scheiterte der von Blaine vorgeschlagene Text nicht aus Sorge um die Rechte der Staaten, sondern wegen der unklaren Detailregelungen am Ende des Entwurfs. Hinzu kommt, daß auch das Recht auf Religionsausübungsfreiheit in dem abgelehnten Text aufgegriffen wurde, obwohl kein Zweifel daran bestehen konnte, daß dessen Gültigkeit ohnehin bereits durch das 14. Amendment auf die Staaten ausgedehnt worden war.16 Das Aufgreifen der Establishment Clause im Entwurf von Blaine kann folglich nicht als Beleg dafür angeführt werden, daß diese nicht vom 14. Amendment erfaßt sei.17 Hinzu kommt, daß das Verbot für den Staat, sich mit einer bestimmten Religionsgemeinschaft zu identifizieren oder eine solche in besonderer Weise zu fördern, nicht nur als organisationsrechtliche, sondern auch als grundrechtsrelevante Regelung zu betrachten ist. Wo staatliche Mittel zur Förderung einer speziellen Religionsgemeinschaft verwendet werden, werden auch Bürger, die einen anderen Glauben haben, unfreiwillig zu Förderern dieser Religion.18 Aufgrund dieser Relevanz für die passive Religionsfreiheit ist ein Grundrechtsgehalt auch der Establishment Clause anzuerkennen. Da es das Ziel des 14. Amendments war, die Grundfreiheiten der Bürger gegenüber den Einzelstaaten zu sichern, ist folglich auch die Establishment Clause vom Anwendungsbereich der neuen Verfassungsnorm umfaßt. Folglich gelten seit dem Inkrafttreten des 14. Zusatzartikels sowohl die Free Exercise Clause als auch die Establishment Clause des First Amendment gegenüber den Einzelstaaten. Der Streit um die Trauerkapellen von New Orleans wäre nach 1868 mithin im Sinne des Beschwerdeführers zu entscheiden gewesen.
15 16 17 18
Zitiert nach van Alstyne, First Amendment, S. 858. Marnell, First Amendment, S. 151. van Alstyne, First Amendment, S. 859. Vgl. County of Allegheny v. ACLU, 429 U.S. 573 (1989) (Kennedy, J., concurring).
A. Die frühen Auslegungen des First Amendment
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II. Die Religionsfreiheit zwischen Bürgerkrieg und 1. Weltkrieg Es verging nahezu ein Jahrhundert nach dem Inkrafttreten der Bill of Rights, bis der Supreme Court die ersten grundlegenden Entscheidungen zur Religionsfreiheit der Bundesverfassung traf.
1. Gerichte und innerkirchliche Streitigkeiten: „The law knows no heresy“ Im Jahr 1872 stellte der Supreme Court klar, daß die Religionsfreiheit nicht nur ein Individualgrundrecht ist, sondern auch religiösen Gemeinschaften zusteht. Aus dieser kollektiven Religionsfreiheit ergibt sich ein Recht auf Unterlassung von staatlicher Einmischung in innere Angelegenheiten der Kirchen.19 Diese Feststellung enthält das Urteil Watson v. Jones (1872),20 dem ein Streit zwischen zwei Gruppen innerhalb der Presbyterianischen Kirche zugrundelag. In dem Disput ging es um die Frage, ob Sklaverei den Geboten Gottes widerspreche. Die Kontroverse erreichte die staatlichen Gerichte, weil einigen Kirchengemeinden, die von der Dogmatik der Kirchenleitung abwichen, von dieser das Recht zum Betreiben ihrer Kirchen abgesprochen wurde. Das Gericht stellte zunächst fest, daß das Recht auf Religionsfreiheit allen Bürgern zukommt. Der Staat kenne keinen wahren oder falschen Glauben, und deshalb könne kein staatliches Gericht über einen Disput urteilen, der im wesentlichen die Entscheidung einer theologischen Streitfrage zum Gegenstand hat.21 Aus diesem Grund könne man auch nicht die Entscheidung innerkirchlicher Gremien einer Revision durch staatliche Gerichte unterziehen. Vielmehr sollten die vorgesehenen innerkirchlichen Schiedsstellen theologische Fragen abschließend entscheiden.22 Die Grundsätze dieser oft zitierten Entscheidung gelten bis heute.23
Zur Rechtslage in Deutschland siehe Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 III WRV. Watson v. Jones, 13. Wall. 679, 20 L.Ed. 666 (1872). 21 Zur Rechtslage in Deutschland vgl. BVerfGE 33, 23, 30: „Dem Staat ist es verwehrt, derartige Glaubensüberzeugungen seiner Bürger zu bewerten oder gar als ,richtig‘ oder ,falsch‘ zu bezeichnen.“ 22 „In this country the full and free right to entertain any religious belief, to practice any religious principle, and to teach any religious doctrine which does not violate the laws of morality and property, and which does not infringe personal rights, is conceded to all. The law knows no heresy, and is committed to the support of no dogma, the establishment of no sect. . . . All who unite themselves to such a body do so with an implied consent to government, and are bound to submit to it. But it would be a vain consent and would lead to the total subversion of such bodies, if one aggrieved by one of their decisions could appeal to the secular courts and have them reversed. It is of the essence of these religious unions, and of their right to establish tribunals for the decision of questions araising among themselves, that those decisions should be binding in all cases of ecclesiastical cognizance, subject only to appeals as the organism itself provides for“, Watson v. Jones, 13 Wall. 679, 20 L. Ed. 666 (1872). 19 20
4 Funke
50 2. Kap.: Religionsfreiheit und Religionsbegriff der Rechtsprechung des Supreme Court
2. Grundrechtsschranken und die Mormonen: „A law unto himself“ In einem Urteil aus dem Jahr 1878 bestimmte der Supreme Court erstmals die Schranken der Religionsfreiheit. Ein Anhänger der „Church of Jesus Christ of Latter-Day Saints“, die gemeinhin als die Mormonenkirche bekannt ist, hatte eine zweite Ehefrau geheiratet und so gegen das Monogamiegesetz verstoßen. Zu seiner Verteidigung trug Mr. Reynolds vor,24 daß seine Religion für Männer die Polygamie als Lebensform vorschreibe. Dennoch wurde er vom erstinstanzlichen Gericht für schuldig befunden, den Tatbestand der Polygamie vorsätzlich, rechtswidrig und schuldhaft erfüllt zu haben. Gegen diese Verurteilung legte Reynolds Verfassungsbeschwerde ein. Der Supreme Court urteilte gegen ihn. In dem von Chief Justice Waite verfaßten Urteil wird zunächst festgestellt, daß dem Kongreß zwar jegliche Kompetenz fehle, um an religiöse Ansichten Folgen zu knüpfen. Hingegen enthält das First Amendment, so das Urteil, keine Beschränkung der staatlichen Gewalt im Hinblick auf Verhaltensweisen, die gegen die öffentliche Ordnung verstoßen.25 Gesetze dürften zwar nicht an religiöse Überzeugungen und Meinungen, wohl aber an Handlungen anknüpfen.26 Eine Regierung könne nicht funktionieren, so Chief Justice Waite, wenn Religion jedem Bürger gestatten würde, lediglich seinen eigenen Gesetzen untertan zu sein („to become a law upon himself“).27 In dieser Entscheidung trennt der Supreme Court scharf zwischen Glaubensfreiheit (forum internum) und Religionsausübungsfreiheit (forum externum). Während Glaube und Gedanken dem staatlichen Zugriff entzogen sind, werden religiös motivierte Verhaltensweisen nicht besonders geschützt. Was nach den allgemeinen Normen verboten ist, kann nicht aufgrund der Religionsfreiheit gerechtfertigt sein.28 Eine Güterabwägung findet nicht statt. Mit dieser Entscheidung folgt der 23 Vgl. United States v. Ballard, 322 U.S. 78 (1944); Presbyterian Church in the United States v. Blue Hull Memorial Presbyterian Church, 393 U.S. 440 (1969); Stokes / Pfeffer, Church and State, S. 108. Hingegen wurde der Schiedsspruch eines religiösen Schiedsgerichts von staatlicher Seit aufgehoben in einem Fall, in dem ein jüdisches Rabbinertribunal („Din Torah“) seine eigenen Verfahrensgrundsätze in massiver Form verletzte und sich dem Verdacht der Parteilichkeit aussetzte, Mikel v. Scharf 432 N.Y.S. 2d 602 (1980). Allerdings stand hier keine religiöse, sondern eine rein miet- und gesellschaftrechtliche Streitfrage im Mittelpunkt des Verfahrens. 24 Auch die veröffentlichten Versionen amerikanischer Urteile enthalten die ausgeschriebenen Namen der Prozeßbeteiligten. Wer dies aus Datenschutzgründen nicht wünscht, kann den Prozeß unter einem Pseudonym führen. 25 „Congress was deprived of all legislative power over mere opinion, but was left free to reach actions which were in violation of social duties or subversive of good order.“ 26 „Laws are made for the government of actions, and while they cannot interfere with mere religious belief and opinions, they may with practices.“ 27 Reynolds v. United States, 98 U.S. 145 (1878). 28 Hieran anknüpfend vgl. Employment Division, Department of Human Resources of Oregon v. Smith, 494 U.S. 872 (1990).
A. Die frühen Auslegungen des First Amendment
51
Gerichtshof nicht der von James Madison in „Memorial and Remonstrance“ vertretenen These, daß die empfundene Pflicht des Menschen gegenüber Gott Vorrang vor weltlichen Obligationen haben müsse.29 Vielmehr zitiert Chief Justice Waite die Überzeugung Thomas Jeffersons, nach der die weltliche Obrigkeit gegen religiös motiviertes Verhalten einzuschreiten habe, sobald der öffentliche Friede gestört werde.30 Das Urteil geht auf den inneren Konflikt des Menschen, der sich als Glaubender und als Bürger zwei widersprechenden Normen gegenübersieht, kaum ein. Auch sieht es darüber hinweg, daß der Erste Zusatzartikel von „free exercise“ spricht, also freier Ausübung der Religion, was der Auffassung von einem auf das forum internum beschränkten Schutz die Grundlage entzieht.31 Das Urteil im Fall Reynolds war das erste von mehreren, in denen den Mormonen der Schutz des First Amendment versagt blieb.32 Der Supreme Court hielt ein Gesetz des Staates Idaho für verfassungsmäßig, das Polygamisten vom Wahlrecht ausschloß. Auch ein Anti-Polygamiegesetz des Kongresses, durch das Ländereien der „Church of Jesus Christ of Latter-Day Saints“ enteignet wurden, verstieß nach Ansicht der Verfassungsrichter nicht gegen den Ersten Zusatzartikel.33
III. Die Religionsfreiheit bis zum Ende des 2. Weltkrieges Bis zum Ende des 2. Weltkrieges äußerte sich der Gerichtshof zu Fragen des Schutzmaßstabes für religiös motiviertes Handeln, zur Religionsausübung von Kindern und zur gerichtlichen Nachprüfbarkeit religiöser Überzeugungen. Damit stand die Free Exercise Clause bis 1945 im Zentrum der Rechtsprechung des Supreme Court zum Ersten Zusatzartikel.
29 „It is the duty of every man to render to the Creator such homage, and such only, that he believes acceptable to him. This duty is precedent both in order and in degree of obligation, to the claims of civil society.“ Zitiert nach Malbin, Religion and Politics, S. 26. 30 In dem von Jefferson entworfenen Gesetz zur Herstellung der Religionsfreiheit in Virginia heißt es: „That it is time for the rightful purposes of civil government . . . to interfere when principles break out into overt acts against peace and good order.“ Zitiert nach Malbin, Religion and Politics, S. 27. 31 Vgl. Epps, Free Exercise, 30 Ariz. St. L.J. 563, 574. 32 Stokes / Pfeffer, Church and State, S. 109; Noonan, Individual Rights, S. 142. Pierard, Evangelical Assault, S. 70, kritisiert daran vor allem, daß die protestantische Verhaltensethik der Mehrheit zu sehr zur allgemeinen Meßlatte dafür angesehen wurde, was vom Ersten Verfassungszusatz geschützt sein sollte. 33 Davis v. Beason (1890); Church of Jesus Christ of Latter-Day Saints v. United States (1890); vgl. die Übersicht bei Stokes / Pfeffer, Church and State, S. 109 ff.
4*
52 2. Kap.: Religionsfreiheit und Religionsbegriff der Rechtsprechung des Supreme Court
1. Schriftenmission als geschützte Aktivität Die Entscheidung im Fall Reynolds postuliert einen absoluten Schutz für das forum internum der Religionsfreiheit, läßt aber staatlichen Zugriff auf das forum externum zu, ohne einen genauen Schutzmaßstab für religiös motiviertes Verhalten zu definieren. Daß auch das Ausleben der Religion vom First Amendment geschützt ist, führte der Supreme Court grundlegend erst in einem Urteil aus dem Jahr 1940 aus.34 Newton Cantwell und seine beiden Söhne hatten in New Haven, Connecticut, um Spenden für die „Zeugen Jehovas“ gebeten und Bücher zum Kauf angeboten, in denen das römisch-katholische Bekenntnis angegriffen wurde. Dadurch verstießen sie gegen ein Gesetz, nach dem für solche Aktivitäten zunächst eine Genehmigung der Wohlfahrtsbehörde einzuholen war. Zudem wurden sie wegen Anstiftung zum „Bruch des öffentlichen Friedens“ verurteilt. Der Supreme Court führt in seinem Urteil unter Berufung auf den Präzedenzfall Reynolds zunächst aus, daß sowohl Ansichten als auch Verhaltensweisen von der Religionsfreiheit geschützt seien, und daß für erstere ein absoluter Schutz gelte, während letztere unter dem Vorbehalt des Schutzes der Öffentlichkeit stünden. Anschließend nimmt das Gericht aber eine Güterabwägung vor:35 Zwar müsse einerseits ein Betrug der Öffentlichkeit unter dem Vorwand der Religion verhindert werden, andererseits aber nicht mit Mitteln, die gegen grundrechtliche Freiheiten verstoßen.36 Das Erfordernis einer vorherigen Genehmigung an sich, so das Gericht, sei nicht zu beanstanden. Daß aber die Wohlfahrtsbehörde in ihrer Entscheidung über die Erteilung der Genehmigung völlig frei sei, käme einer Zensur von Religion gleich. Der Staat könne nicht willkürlich entscheiden, wann eine religiöse Motivation vorliege. Durch das freie Ermessen der Behörde sei die Religionsfreiheit verletzt. Weiter führt das Gericht aus, daß der allgemeine Hinweis auf eine Gefährdung des öffentlichen Friedens nicht hinreichende Grundlage für ein Verbot religiöser Werbung sein dürfe. Die Verurteilung der Straßenwerber wurde wegen Verletzung der Religions- und der Meinungsfreiheit aufgehoben: „In the absence of a statute narrowly drawn to define and punish specific conduct as constituting a clear and present danger to a substantial interest of the State, the petitioner’s communication, considered in the light of the constitutional guarantees, raised no such clear and present menace to public peace and order as to render him liable to conviction of the common law offense in question.“37 Cantwell v. Connecticut, 310 U.S. 296 (1940). Eine solche ist dem Reynolds-Urteil nicht zu entnehmen, das sich mit allgemeinen Aussagen gegen die Polygamie und das Mormonentum überhaupt begnügt. Siehe Reynolds v. United States, 98 U.S. 145 (1878). 36 „Conceding that this is so, the question remains whether the method adopted by Connecticut to that end transgresses the liberty safeguarded by the Constitution.“ 37 Cantwell v. Connecticut, 310 U.S. 296 (1940). 34 35
A. Die frühen Auslegungen des First Amendment
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Die Entscheidung bedeutet einen wesentlichen Fortschritt für den Schutz religiös motivierten Handelns. Zunächst wird festgestellt, daß weltanschaulich begründete Aktivitäten unter dem Schutz des First Amendment stehen. Weiterhin rechtfertigt nicht jedes staatliche Interesse eine Beschneidung der Religions- und der Meinungsfreiheit, sondern nur eindeutige und gegenwärtige Gefahren für ein erhebliches Interesse. Auch müssen die Mittel, mit denen das erhebliche öffentliche Interesse verfolgt wird, mit den Grundrechten in Einklang stehen, was einer Verhältnismäßigkeitsprüfung gleichkommt.
2. Religionsfreiheit und Jugendschutz Eine Gelegenheit zur Klärung der Frage, ob sich auch Minderjährige auf das Recht der Religionsfreiheit berufen können, bot sich dem Supreme Court im Jahr 1944. Der Entscheidung lag ein Sachverhalt zugrunde, nach dem Sarah Prince, eine Angehörige der Zeugen Jehovas, gemeinsam mit ihrer neunjährigen Pflegetochter Betty Simmons auf der Straße religiöse Zeitschriften zum Verkauf angeboten hatte. Mrs. Prince wurde vorgeworfen, damit gegen das Gesetz des Staates Massachusetts verstoßen zu haben, das Kinderarbeit verbietet.38 Zu ihrer Verteidigung wies die Beschwerdeführerin darauf hin, daß die Straßenmission in ihrem Glauben begründet liege, und daß das Mädchen sie auf eigenen Wunsch begleitet habe. Das Gericht sah es als das Recht der Pflegemutter an, Betty entsprechend ihrer persönlichen Überzeugung zu erziehen. Zudem erkannte es dem Mädchen das Grundrecht zu, gemäß ihrer eigenen religiösen Überzeugungen zu leben.39 Diesen Freiheiten gegenüber stehe aber das Interesse der Gesellschaft, das Wohlergehen der Kinder zu schützen. Die elterliche Erziehungsfreiheit habe vor diesem Interesse nicht grundsätzlich Vorrang.40 Sie müsse zurückweichen, wenn das Kind vor einer eindeutigen und gegenwärtigen Gefahr geschützt werden müsse. Kinderarbeit, so das Urteil, gefährde das Aufwachsen und Reifen von jungen Menschen zu mündigen und staatstragenden Bürgern. Es sei nicht Bestandteil der elterlichen Freiheit, Kinder zu Märtyrern zu machen. Aus diesen Gründen habe das staatliche Schutzinteresse Vorrang vor den Grundfreiheiten der Straßenwerber. An dem Urteil fällt auf, daß das Alter von Betty Simmons kaum problematisiert wird. Ihr wird ohne nähere Erörterung das Recht zugesprochen, entsprechend ihrer Überzeugung zu handeln. Inwiefern eine Neunjährige tatsächlich eigenständige Überzeugungen zu haben imstande ist, wird nicht erörtert. Dem Urteil ist das Erfordernis einer Grundrechtsmündigkeit nicht zu entnehmen. Vielmehr wird eine Prince v. Massachusetts, 321 U.S. 158 (1944). „Thus, two claimed liberties are at stake. One is the parent’s, to bring up the child the way he should go, which for appellant means to teach him the tenets and the practices of their faith. The other freedom is the child’s, to observe these; . . .“ 40 Vgl. schon Reynolds v. United States, 98 U.S. 145 (1878). 38 39
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Beschränkung der Grundrechte des Kindes unter Bezugnahme auf dessen mangelnde Einsichtsfähigkeit gebilligt („The state’s authority over children’s activities is broader than over like actions of adults“). Die Risiken der Kinderarbeit werden unter Bezugnahme auf „die Gefahren der Straße“ nur allgemein herausgestellt, und dem staatlichen Interesse am Schutz der Kinder auf dieser Grundlage der Vorrang vor den Grundfreiheiten der Beschwerdeführer eingeräumt. Hieran kritisiert der Verfassungsrichter Murphy in seinem abweichenden Votum, daß vorliegend eine eindeutige und gegenwärtige Gefahr für Betty Simmons nicht konkret nachgewiesen worden sei, sondern sich das Gericht mit dem Hinweis auf die „diverse influences of the street“ begnügt habe.41
3. Ernsthaftigkeit der religiösen Überzeugung Die Ernsthaftigkeit der weltanschaulichen Ansicht und deren Nachprüfbarkeit standen im Mittelpunkt der Entscheidung United States v. Ballard. Guy Ballard hatte sich als „göttlicher Botschafter“ von Jesus und George Washington ausgegeben und gegen Geld die übernatürliche Heilung von Krankheiten versprochen, bevor er in erster Instanz wegen Betruges verurteilt wurde.42 Vor dem Supreme Court war umstritten, ob sich der Betrug auf das Ausbleiben des Heilungserfolges oder auf die Überzeugung des selbsternannten Wunderheilers beziehen müsse. Das Gericht stellte fest, daß es darauf ankomme, ob Ballard an seine Behauptungen ernstlich geglaubt habe. Es könne nämlich nicht Gegenstand der gerichtlichen Untersuchung sein, den Wahrheitsgehalt der transzendentalen Versprechungen zu untersuchen, da die Frage nach der Richtigkeit einer Religion nicht vom Staat zu beantworten sei („Heresy trials are foreign to our Constitution“). Deshalb müsse auch Glaubensrichtungen, die der Mehrheit suspekt oder unglaubwürdig erscheinen, der Schutz des First Amendment zugebilligt werden. Entscheidend sei, ob Ballard ernstlich von dem überzeugt war, was er an seine Anhänger weitergab. Ob jemand eine religiöse Überzeugung habe, sei im Gegensatz zur Frage nach dem Wahrheitsgehalt dieser Überzeugung justiziabel. Ein Betrug könne mithin nur in einer Täuschung über seine religiöse Überzeugung liegen. Für eine solche bestanden im Fall des Guy Ballard aber keine Hinweise. Mit dem Verweis darauf, daß der Wahrheitsgehalt religiöser Dogmen nicht gerichtlich überprüfbar sei, greift das Gericht auf den Ansatz „The law knows no heresy“ von 1872 zurück.43 Die Religionsfreiheit des zweifelhaften Wunderheilers wird mithin respektiert. Problematisch ist aber, inwiefern es einem gerichtlichen Beweis überhaupt zugänglich ist, ob jemand von einer religiösen Ansicht ernsthaft
41 42 43
Prince v. Massachusetts, 321 U.S. 158 (1944) (Murphy, J., dissenting). United States v. Ballard, 322 U.S. 78 (1944). Siehe den bereits dargestellten Fall Watson v. Jones, 13 Wall. 679, 20 L.Ed. 666 (1872).
B. Der Begriff der Religion im First Amendment
55
überzeugt ist.44 Hier besteht sowohl die Gefahr, die Religionsfreiheit durch überhöhte Ansprüche an den Nachweis der Überzeugung auszuhöhlen, als auch das Risiko des Mißbrauchs der Religionsfreiheit für die Inanspruchnahme von Sonderrechten aus nichtreligiösen Motiven. Das Überzeugt-sein ist naturwissenschaftlich nicht nachweisbar, ein Gericht wird sich daher oft mit Behauptungen des Betroffenen begnügen müssen,45 an die allerdings der Anspruch einer gewissen Substantiierung zu stellen ist.46 Im Fall Ballard hatte über die Frage des Vorliegens einer religiösen Überzeugung in erster Instanz die Jury geurteilt, so daß eine nähere Behandlung dieses Punktes in den folgenden Instanzen nicht erfolgte.
IV. Zusammenfassung Nach Inkrafttreten des 14. Amendments im Jahr 1868 stieg die Anzahl der vom Supreme Court behandelten Fälle zur Religionsfreiheit allmählich an. Im Mittelpunkt standen dabei zunächst Kontroversen um die Polygamie, die von den Mormonen praktiziert wurde. Während im 19. Jahrhundert eine scharfe Trennung zwischen Glaubensfreiheit und Religionsausübungsfreiheit galt, wurde der Schutzstandard für religiös motivierte Verhaltensweisen bis zum Ende des 2. Weltkrieges verbessert. Oft standen Zeugen Jehovas im Zentrum der Rechtsstreitigkeiten,47 in denen der Supreme Court herausstellte, daß nur im Falle einer „clear and present danger“ für erhebliche öffentliche Rechtsgüter das Recht auf Religionsausübung zurückweichen muß, und auch dann nur im Fall einer verhältnismäßigen Maßnahme zur Verfolgung des staatlichen Interesses. Ein Mindestalter für die Wahrnehmung religiöser Grundrechte definierte das Gericht dabei ebensowenig wie den Begriff der Religion. Auch spielt die Interpretation der Establishment Clause, deren Geltungsbereich seit dem Inkrafttreten des 14. Amendment ebenfalls auf das Recht der Einzelstaaten ausgeweitet wurde, in der Rechtsprechung bis 1945 kaum eine Rolle.
B. Der Begriff der Religion im First Amendment Die Bill of Rights verwendet den Begriff „religion“ im Ersten Zusatzartikel, ohne ihn näher zu definieren. Der Bedeutungsgehalt des Begriffs ist daher nicht offensichtlich, doch können aus dem Verfassungstext immerhin einige Schlußfolgerungen gezogen werden. Der Supreme Court hat sich erst in der Mitte des 44 Vgl. United States v. Ballard, 322 U.S. 78 (1944) (Jackson, J., dissenting); Laycock / Thomas, 73 Tex.L.Rev. 209, 233. 45 Vgl. United States v. Seeger, 380 U.S. 163 (1965). 46 Vgl. zu diesem Erfordernis in Deutschland: Funke, JuS 1997, 1149. 47 Vgl. Stokes / Pfeffer, Church and State, S. 118; Noonan, Individual Rights, S. 141.
56 2. Kap.: Religionsfreiheit und Religionsbegriff der Rechtsprechung des Supreme Court
20. Jahrhunderts mit der näheren Bestimmung des Begriffes „religion“ auseinandergesetzt. Nachfolgend sollen im Anschluß an eine textbezogene Analyse die grundlegenden Entscheidungen des Supreme Court zum Begriff der Religion dargestellt werden.
I. Der Begriff „religion“ im Wortlaut der Verfassung Im Text der Bill of Rights wird der auf das lateinische „religare“ zurückgehende Begriff „religion“ nur einmal gebraucht: „Congress shall make no law respecting an establishment of religion or prohibiting the free exercise thereof“, heißt es im Ersten Zusatzartikel. Der Terminus „religion“ wird als Ergänzung zu „establishment“ gebraucht, zudem bezieht sich das Wort „thereof“ auf „religion“. Mithin wird das Wort nur einmal gebraucht, was nahelegt, daß der Bedeutungsgehalt von „religion“ in der Free Exercise Clause und der Establishment Clause identisch ist.48 Eine Definition des Begriffes findet sich aber weder durch einen Nebensatz noch durch die Aufzählung von Beispielen für Religion. Mithin könnte der Begriff der „religion“ in der Verfassung so zu verstehen sein, wie er allgemein in der englischen Sprache Verwendung findet. Im Wörterbuch von Webster wird „religion“ in folgender Weise definiert: „1. belief in a divine or superhuman power or powers to be obeyed and worshipped as the creator(s) and ruler(s) of the universe. 2. expression of this belief in conduct and ritual. 3. (a) any specific system of belief, worship, conduct etc., often involving a code of ethics and a philosophy; as, the Christian religion, the Bhuddist religion etc.; (b) loosely, any system of beliefs, practices, ethical values etc. resembling, suggestive of, or likened to such a system; as, humanism is his religion. 4. a state of mind or way of life expressing love for and trust in God, and one’s will and effort to act according to the will of God, especially within a monastic order or community; as, he achieved religion. 5. any object of conscientious regard and pursuit; as, cleanliness was a religion to him. 6. (a) the practice of religious observances or rites; (b) religious rites. 7. a religious order or state; a monestary.“49
Diese Beschreibung des Bedeutungsgehaltes enthält die typischen Merkmale weltanschaulicher Überzeugungen mit transzendentalen Elementen, die auch in der deutschen Sprache typischerweise mit dem Begriff der Religion verbunden werden. Das Wörterbuch ordnet aber zudem Überzeugungen ohne transzendentalen Inhalt ohne weiteres dem Begriff der Religion zu, während etwa der erwähnte Humanismus in Deutschland eher unter den Begriff der Weltanschauung, nicht so 48 49
Vgl. Everson v. Board of Education, 330 U.S. 1, 32 (1947) (Rutledge, J., dissenting). Webster’s New Universal Unabridged Dictionary, Second Edition (1983), S. 1527.
B. Der Begriff der Religion im First Amendment
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sehr aber unter den der Religion fallen dürfte. Die Abgrenzung religiöser Überzeugungen von nicht-transzendentalen Weltanschauungen und von allgemeinen persönlichen Ansichten war auch vor dem Supreme Court umstritten, wie im nachfolgenden Abschnitt dargelegt wird. Den Verfassungsvätern dürfte bei der Verwendung des Begriffs „religion“ in erster Linie das Christentum in seinen verschiedenen Ausprägungen, aber auch die jüdische Religion und vereinzelt der Islam vor Augen gestanden haben.50 Als gemeinsames Merkmal dieser Weltreligionen ist festzuhalten, daß sich der Glaubende einer transzendentalen Autorität, die außerhalb seiner eigenen Person liegt, verpflichtet fühlt. Der lateinische Ursprung des heutigen Begriffs „religion“, das Verb „religare“, drückt diesen Gedanken eines Gebunden-seins ebenfalls aus. Daher vertreten einige Autoren, daß unter den Schutz des First Amendment nur weltanschauliche Ansichten fallen, bei denen sich der Glaubende an die Normen einer transzendentalen Instanz gebunden fühlt.51 Bezugnehmend auf die vom religiösen Bürger empfundene Kollision von weltlicher und göttlicher Norm fordert ein weiterer Autor sogar, daß der Schutzbereich des First Amendment nur dort eröffnet sein soll, wo der Glaubende bei einem Verstoß gegen die religiöse Norm Konsequenzen für sein Seelenheil befürchtet.52 Für diese einschränkenden Interpretationen des Religionsbegriffs spricht, daß sie eine klare Abgrenzung zu allgemeinen persönlichen Meinungen schaffen. Außerdem wird durch die Betonung des inneren Zwiespalts des Menschen, der sich zwischen zwei sich widersprechenden Verhaltensgeboten gefangen sieht, ein hoher Schutzmaßstab für die Religionsfreiheit eingefordert – der Staat wird in die Pflicht genommen, das Befolgen einer höheren Ordnung als der weltlichen zu respektieren. Gegen diese enge Auslegung ist aber anzuführen, daß im Verfassungstext ursprünglich ein Halbsatz vorgesehen war, der die Gewissensfreiheit ausdrücklich regeln sollte. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, daß dieser Text gestrichen wurde, weil man die „rights of conscience“ nicht für wichtig gehalten hätte. Vielmehr liegt nahe, daß diese Rechte in dem Grundrecht auf Religionsfreiheit für hinreichend geschützt erachtet wurden.53 Dies spricht dagegen, den Schutzbereich der Religionsfreiheit auf Fälle zu beschränken, in denen sich der Bürger auf die Normen einer außerhalb seiner Person liegenden transzendentalen Instanz beruft. Vielmehr bietet sich eine Ausweitung des Bedeutungsgehaltes an auf Fälle, in denen eine innere Verpflichtung durch das eigene Gewissen oder eine nicht-transzendentale Weltanschauung empfunden wird, die in ihrer Ernsthaftigkeit einer seelischen Bindung an göttliche Gebote entspricht.54 50 Diese Religionen berücksichtigte schon Roger Williams im Jahr 1644, vgl. Stokes / Pfeffer, Church and State, S. 14; Bewersdorf, Prinzip der Trennung, S. 59. 51 McConnell, 103 Harv.L.Rev. 1409, 1488 (1990); Ingber, 41 Stan.L.Rev. 233 (1989). 52 Choper, 1982 U.Ill.L.Rev. 579. 53 Swomley, Religion and Politics, S. 47; Smith, Public Prayer, S. 91. 54 Welsh v. United States, 398 U.S. 333 (1979); United States v. Seeger, 380 U.S. 163 (1965).
58 2. Kap.: Religionsfreiheit und Religionsbegriff der Rechtsprechung des Supreme Court
II. Der Religionsbegriff in der Rechtsprechung Der Supreme Court nahm eine Bestimmung des Begriffs der Religion erst nahezu zwei Jahrhunderte nach dem Inkrafttreten der Verfassung vor. Wie vorstehend dargelegt, erlangt die Abgrenzung, welche Grundhaltungen, Überzeugungen oder Weltanschauungen vom Begriff der Religion gedeckt sind, ihre verfassungspolitische Bedeutung in den USA vor allem daher, daß eine allgemeine Gewissens- oder Weltanschauungsfreiheit im Wortlaut der Bundesverfassung nicht geregelt ist. Entsprechend wurde der Bedeutungsgehalt des Begriffs der Religion in der amerikanischen Rechtsprechung vor allem anläßlich von Sachverhalten diskutiert, die in anderen Ländern über das Grundrecht auf Gewissensfreiheit hätten entschieden werden können. 1. Glaube an ein Moralsystem als Religion In United States v. Seeger hatte der Supreme Court zu entscheiden,55 ob ein junger Mann, der zum (damals in den USA noch bestehenden) Wehrdienst eingezogen werden sollte, einen Anspruch auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer („conscientious objector“) hatte. Der Universal Military Training and Service Act sah vor, daß vom Wehrdienst freizustellen sei, wer aufgrund von religiöser Ausbildung oder Überzeugung die Beteiligung an jeder Form von Kriegen ablehnt.56 Den Begriff „religiöse Überzeugung“ definierte das Gesetz als „an individual’s belief in a relation to a Supreme Being involving duties superior to those arising from any human relation“, jedoch schloß es aus „essentially political, sociological or philosophical views or a merely personal code.“ In Seeger traf das Gericht auf einen jungen Mann, der einen tiefen Glauben an Güte und Tugend, aber nicht an einen personalisierten Gott bezeugte. Insofern bestand hier keine innere Bindung an die Gebote einer außerhalb seiner Person liegenden, transzendentalen Instanz. Jedoch konnte Seeger glaubhaft darlegen, daß es sich bei seiner Grundhaltung nicht um eine flüchtige persönliche Ansicht handelte, sondern um eine tiefgehende Überzeugung. Das Gericht stellte zunächst fest, daß unter den Begriff „religion“ auch Weltanschauungen fallen, die einen Glauben an einen Gott nicht lehren: „Among religions in this country which do not teach what would generally be considered a belief in the existence of God are Buddhism, Taoism, Ethical Culture, Secular Humanism and others.“57 Daher könne der Begriff der Religion nicht daran festgemacht werden, daß Gebote von einem personifizierten Gott ausgehen. Vielmehr gebiete der Erste Zusatzartikel eine breite Interpretation des Begriffs „religion“. Das Recht auf United States v. Seeger, 380 U.S. 163 (1965). § 6(j) Universal Military Training and Service Act, 50 U.S.C.App. § 456(j), in der Fassung von 1958. 57 United States v. Seeger, 380 U.S. 163, Fußnote 11 (1965). 55 56
B. Der Begriff der Religion im First Amendment
59
Wehrdienstverweigerung sei deshalb auch anzuerkennen in Fällen eines „sincere and meaningful belief which occupies in the life of its possessor a place parallel to that filled by the God of those admittedly qualifying for the exemption“. Vorliegend sei eine solche ernsthafte und tiefe Überzeugung anzuerkennen, weshalb im Fall Seeger bei verfassungskonformer Auslegung des Wehrdienstgesetzes ein Recht auf Verweigerung des Wehrdienstes anzuerkennen sei.
2. „Religion“ und die Relevanz der Selbsteinschätzung In einem ähnlich gelagerten Fall dehnte der Supreme Court im Jahr 1970 den Anspruch auf Freistellung vom Wehrdienst noch weiter aus.58 Elliott Welsh hatte auf dem Fragebogen, der für die Feststellung von glaubensbedingten Gründen für die Verweigerung verwandt wurde, angegeben, daß er die Teilnahme an kriegerischen Handlungen für falsch, unmoralisch, unethisch und böse hielt. Er konnte aber nicht angeben, an ein höheres Wesen zu glauben, und behauptete nicht, daß seine Überzeugung überhaupt religiöser Natur sei. Insofern unterschied sich Welsh von Seeger, der stets angeführt hatte, seine ethische Grundhaltung sei eine Religion. Die von Verfassungsrichter Black verfaßte Entscheidung geht zunächst darauf ein, daß die Selbsteinschätzung des Betroffenen hinsichtlich der Frage, ob eine Religion im Rechtssinne vorliegt, zwar wichtig sei. Sie könne aber nicht zur Beurteilungsgrundlage gemacht werden, wenn sich der Betroffene nicht darüber im klaren ist, wie weitläufig dieser Verfassungsbegriff zu verstehen sei. Die tiefgehenden Überzeugungen von Welsh seien sehr wohl als religiös zu verstehen. Letztlich seien all diejenigen vom Wehrdienst zu befreien, „whose consciences, spurred by deeply held moral, ethical or religious beliefs, would give them no rest or peace if they allowed themselves to become part of an instrument of war.“ Keinen Anspruch auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer habe hingegen, „whose beliefs are not deeply held and those whose objection to war does not rest at all upon moral, ethical, or religious principle but instead rests solely upon considerations of policy, pragmatism, or expediency.“59 Mit diesem Urteil dehnt das Gericht den Anwendungsbereich der Religionsfreiheit weiter aus. Zwar betont es die Voraussetzung, daß es sich um eine tiefgehende Überzeugung handeln müsse. Jedoch genüge es bereits für eine religiöse Motivation, wenn die Beweggründe nur zum Teil in einer moralischen, ethischen oder religiösen Grundhaltung wurzeln. Eine Aussage dazu, ob die Verfassung zwingend eine Möglichkeit der Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen erfordert, enthält das Urteil nicht. Der Ausnahmetatbestand, den sich der Kongreß zu schaffen entschlossen habe, müsse aber im Interesse der Gleichbehandlung weit ausgelegt werden, so das Gericht. 58 59
Welsh v. United States, 398 U.S. 333 (1970). Welsh v. United States, 398 U.S. 333 (1970).
60 2. Kap.: Religionsfreiheit und Religionsbegriff der Rechtsprechung des Supreme Court
In ihrem abweichenden Votum kritisieren die Verfassungsrichter White, Stewart und Burger, daß es nicht der Intention des Kongresses entsprochen habe, rein ethische oder moralische Überzeugungen für eine Anerkennung als Wehrdienstverweigerer ausreichen zu lassen. Nur religiösen Grundhaltungen, nicht aber solchen, die allein in persönlichen weltlichen Meinungen wurzeln, sei dieses Privileg zuzuerkennen. Das Argument, eine solche Interpretation könne eine Bevorzugung von Religion gegenüber Nicht-Religion darstellen, die mit der Establishment Clause nicht vereinbar sei, lehnt das Minderheitenvotum ab mit dem Hinweis darauf, daß sich aus der Bedenklichkeit einer Ausnahmeregelung für religiös motivierte Verweigerer jedenfalls kein Anspruch auf eine Ausweitung dieser Ausnahmeregelung auf moralisch oder ethisch motivierte Bürger ergebe.60
III. Zusammenfassung Der Begriff „religion“ wird in der Verfassung der USA weit ausgelegt. Nicht nur das Bekenntnis zu einer theistischen Religion wird geschützt, sondern auch der Glaube an Religionen, die nicht von der Existenz eines personalisierten Gottes ausgehen. Insofern wird das Gebot der Gleichbehandlung der verschiedenen Religionen respektiert. Weiterhin wurde der Begriff „religion“ in den Kriegsdienstverweigerer-Entscheidungen dahingehend ausgelegt, daß auch moralische und ethische Überzeugungen geschützt sind, wenn sie in ihrer Ernsthaftigkeit den Grundhaltungen entsprechen, deren Schutz den Verfassungsvätern vor Augen stand. Ist ein Verhalten nur teilweise religiös motiviert, so genügt dies für eine Betroffenheit des Schutzbereichs der Religionsfreiheit.
60
Welsh v. United States, 398 U.S. 333 (1970) (White, J., dissenting).
3. Kapitel
Die Free Exercise Clause in der Nachkriegszeit A. Der Weg zum „Compelling Interest Test“ Die Zeit von 1945 – 1990 ist durch eine Anhebung des Schutzstandards der Religionsfreiheit gekennzeichnet. Der Supreme Court urteilte, daß nur noch zwingende öffentliche Interessen eine Beschneidung religiöser Freiheit rechtfertigen könnten. Diese in einem Urteil aus dem Jahr 1963 erstmals verwandte Formel war bis 1990 die maßgebliche Richtschnur für die Rechtsprechung zur Religionsausübungsfreiheit. Die frühere Rechtsprechung hatte das forum externum der Religionsfreiheit nur in sehr eingeschränkter Weise geschützt. Unklarheiten hinsichtlich der Abwägung zwischen öffentlichem Interesse und dem betroffenen Grundrecht beseitigte der Supreme Court erst in der Entscheidung Sherbert v. Verner,1 in der das Gericht den Schutz der Religionsfreiheit auf eine neue Ebene anhob.
I. Der niedrige Schutzstandard in den frühen Urteilen Wie vorstehend dargelegt, war vom Supreme Court zunächst nur ein Schutz für das forum internum der Religionsfreiheit anerkannt worden.2 Erst 1940 führte das Gericht aus, daß auch Verhaltensweisen unter dem Schutz des First Amendment stehen.3 Allerdings sollte die Religionsausübungsfreiheit unter dem Vorbehalt von Maßnahmen zum Schutz der Allgemeinheit stehen, wobei die Maßnahme hinreichend eng auf den Schutz eines erheblichen öffentlichen Interesses vor einer eindeutigen und gegenwärtigen Gefahr zugeschnitten sein mußte.4 Der Supreme Court wandte diesen Prüfungsmaßstab allerdings nicht ausdrücklich an in einem Fall aus dem Jahr 1944, in welchem dem öffentlichen Interesse am Wohl eines Kindes Vorrang vor der Religionsfreiheit eingeräumt wurde, ohne daß eine drohende Gefahr konkret dargelegt worden wäre.5 Sherbert v. Verner, 374 U.S. 398 (1963). Reynolds v. United States, 98 U.S. 145 (1878). 3 Cantwell v. Connecticut, 310 U.S. 296 (1940). 4 „ . . . sufficiently narrowly drawn as to describe a clear and present danger to a substantial interest of the state.“ 5 Prince v. Massachusetts, 321 U.S. 158 (1944). 1 2
62
3. Kap.: Die Free Exercise Clause in der Nachkriegszeit
Das Erfordernis der Eindeutigkeit und Gegenwärtigkeit der Gefahr für ein öffentliches Rechtsgut wurde vom Supreme Court mithin nicht streng gehandhabt.6 Auch ist dieser älteren Rechtsprechung nicht zu entnehmen, welche öffentlichen Interessen erheblich („substantial“) sind. Für eine Abwägung zwischen Religionsausübungsfreiheit und öffentlichem Interesse bestand folglich kein hinreichend präziser Maßstab, der Entscheidungen prognostizierbar gemacht und damit Rechtssicherheit geschaffen hätte. Vielmehr bestand insbesondere für religiöse Minderheiten weiterhin die Gefahr, nicht nach ihren Überzeugungen leben zu dürfen.
II. Die Entscheidung Sherbert v. Verner Der Supreme Court revidierte seine bisherigen Aussagen zum Schutz der Religionsausübungsfreiheit im Jahr 1963 anläßlich des folgenden Sachverhaltes:7 Eine Sieben-Tages-Adventistin hatte Arbeitslosengeld beantragt. Der Staat South Carolina verweigerte ihr dies mit der Begründung, daß sie eine geeignete Arbeit abgelehnt hätte. Tatsächlich hatte es die Betroffene abgelehnt, bestimmte Tätigkeiten aufzunehmen, die zwar ihrer Qualifikation entsprochen, sie aber zur Arbeit am Samstag verpflichtet hätten, dem wöchentlichen Feiertag der Sieben-Tages-Adventisten. Die Antragstellerin machte geltend, die Verweigerung des Arbeitslosengeldes bedeute eine Verletzung ihrer Religionsfreiheit. Das Gericht prüfte zunächst die Betroffenheit der Religionsfreiheit. Das Urteil von Verfassungsrichter Brennan führt aus, daß die Sozialgesetze des Staates South Carolina niemanden dazu verpflichten würden, Sonntagsarbeit anzunehmen. Die Verpflichtung zur Samstagsarbeit stelle eine Diskriminierung der Sieben-TagesAdventistin dar, weil nur der Sonntag geschützt sei, also der Feiertag der Mehrheit. Daran ändere die Tatsache nichts, daß die Antragstellerin keineswegs rechtlich gezwungen werde, eine Arbeitsstelle anzunehmen. Die Verweigerung von Arbeitslosengeld sei ein erheblicher Nachteil, sie komme vorliegend einer staatlichen Gebühr auf den Samstagsgottesdienst gleich. Der von Seiten des Staates ausgeübte wirtschaftliche Druck stelle daher eine hinreichende Beschwernis für die Grundrechtsträgerin dar. Anschließend prüft das Gericht eine mögliche Rechtfertigung des Eingriffs. Hierfür verwendet der Supreme Court einen neuen Maßstab. Statt nach einer eindeutigen und gegenwärtigen Gefahr für ein erhebliches öffentliches Interesse zu fragen, prüft das Gericht das Vorhandensein eines zwingenden öffentlichen Interesses. Nur höchste Schutzgüter würden eine Beschneidung der Religionsfreiheit rechtfertigen.8 Als zu schützendes Gut der Allgemeinheit komme, so das Gericht, nur die Sorge vor tatsächlich arbeitsunwilligen Antragstellern, die unter dem Vor6 7 8
Prince v. Massachusetts, 321 U.S. 158 (1944) (Murphy, J., dissenting). Sherbert v. Verner, 374 U.S. 398 (1963). Vgl. Thomas v. Collins, 323 U.S. 516, 530.
A. Der Weg zum „Compelling Interest Test“
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wand der Religion die Aufnahme zugewiesener Tätigkeit verweigern, in Betracht. Der Staat habe aber nicht bewiesen, daß einem solchen Risiko nicht mit weniger einschneidenden Maßnahmen begegnet werden könne. Der zu beurteilende Sachverhalt unterscheide sich, so das Gericht, insofern von einem Urteil, in dem ein Ladenschlußgesetz eines Einzelstaates für verfassungsgemäß beurteilt wurde, das Sonntagsöffnungen verbot:9 in jenem Fall sei zwar Personen, die ihr Geschäft sonntags öffnen wollten, ein wirtschaftlicher Nachteil entstanden, dieser sei jedoch hinzunehmen für das überwiegende und nicht anders sicherzustellende Interesse an einem einheitlichen Ruhetag für die Bevölkerung. Zudem seien Ausnahmegenehmigungen für Anhänger von Religionen, die einen anderen Ruhetag begehen wollen, verwaltungstechnisch kaum handhabbar, und würden auch einen erheblichen wirtschaftlichen Vorteil gegenüber den Anhängern der religiösen Mehrheit mit sich bringen. Hinsichtlich der Arbeitsvermittlung stellten sich derartige Probleme nicht, folglich sei das Interesse an einem einheitlichen Ruhetag vorliegend nicht betroffen. Im Ergebnis gebiete es die Religionsfreiheit der Bundesverfassung, so der Supreme Court, daß der Begriff „angemessene Arbeit“ im Gesetz des Staates South Carolina in einer Weise angewandt wird, welche die religiöse Überzeugung des Antragsstellers bei der Beurteilung der Zumutbarkeit berücksichtigt.10
III. Zur Bedeutung des neuen Schutzstandards Die Entscheidung Sherbert v. Verner führt zunächst aus, daß auch indirekte Zwänge, insbesondere wirtschaftliche Nachteile, einen Eingriff in die Religionsfreiheit darstellen. Nicht nur Folgen, die vom Gesetzgeber unmittelbar an religiös motiviertes Verhalten geknüpft sind, seien grundrechtsrelevant. Die Verweigerung des Arbeitslosengeldes vergleicht das Urteil mit einer Gebühr auf den Samstagsgottesdienst, ohne zwischen grundrechtlicher Leistungs- und Eingriffsperspektive zu differenzieren. Weiterhin hebt der Supreme Court den Schutzstandard an, indem er eine Rechtfertigung von Eingriffen in die Religionsfreiheit nur dort zuläßt, wo zwingende öffentliche Interessen dies erfordern. Den Staat trifft mithin eine verschärfte Darlegungslast. Dem entspricht ein erhöhtes Maß an Freiheit für den Glaubenden, dessen Rechte nun nur noch aufgrund höchster Güter der Allgemeinheit eingeschränkt werden können.
9 Braunfeld v. Braun, 366 U.S. 599 (1961); ähnlich McGowan v. Maryland 366 U.S. 420 (1961). 10 Der Supreme Court bestätigte die Grundsätze der Entscheidung Sherbert v. Verner in dem ähnlich gelagerten Fall Frazee v. Illinois Department of Employment Security, 489 U.S. 829 (1987). Hier weigerte sich der Betroffene, an Sonntagen zu arbeiten.
64
3. Kap.: Die Free Exercise Clause in der Nachkriegszeit
Überdies betont das Gericht, daß eine Maßnahme nicht gerechtfertigt sein kann, wenn weniger grundrechtsbeschneidende Alternativen, also mildere Mittel, zur Verfügung stehen. Insofern entspricht der neue Prüfungsmaßstab einer Güterabwägung mit Verhältnismäßigkeitsprüfung.
B. Der „Compelling Interest Test“ in der Anwendung Die Grundsätze der Entscheidung im Fall Sherbert v. Verner prägten die amerikanische Rechtsprechung zum Ersten Zusatzartikel bis zum Ende der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts.11 Der Religionsfreiheit wurde in verschiedenen Bereichen ein verstärkter Schutz gewährt.
I. Religionsfreiheit und Schulpflicht Zu den bekanntesten Urteilen, in denen der „compelling interest test“ Anwendung fand, gehört die Entscheidung Wisconsin v. Yoder aus dem Jahr 1972.12 Der Staat Wisconsin hatte Jonas Yoder wegen eines Verstoßes gegen das Schulgesetz zur Zahlung von fünf Dollar verurteilt. Dieser wollte seine Kinder nur bis zum Abschluß der achten Klasse eine Schule besuchen lassen, obwohl in Wisconsin eine Schulpflicht bis zur Vollendung des 16. Lebensjahrs bestand. Yoder machte geltend, die Schulpflicht verletze ihn in seiner Religionsfreiheit. Yoder bekannte sich zur „Old Order Amish Religion“. Diese Glaubensrichtung hat ihre Wurzeln im deutschen, holländischen und schweizerischen Anabaptisten- und Mennonitentum.13 Ihre Anhänger verfolgen die urchristlichen Ideale von Güte und Gemeinwohl und leben in dörflichen Agrargemeinschaften mit strengen Verhaltensregeln. Aus der Überzeugung heraus, daß nicht in der Gleichstellung oder Integration, sondern in der klaren Trennung von der modernen Gesellschaft das Heil liegt,14 lehnen sie den Gebrauch von Maschinen oder anderen „weltlichen“ Errungenschaften ab.15 Yoder wollte seine Kinder nicht bis zum 16. Lebensjahr auf die öffentliche Schule schicken, weil er sie vor säkulären Einflüssen schützen wollte. Zwar hatten sie zuvor die örtliche Grundschule besucht, in der Kinder aus AmishSo noch in Frazee v. Illinois Department of Employment Security, 489 U.S. 829 (1987). Wisconsin v. Yoder, 406 U.S. 205 (1972). 13 Vgl. Hutson, Religion and the Founding, S. 12; Wisconsin v. Yoder, 406 U.S. 205, 207 (1972). 14 Vgl. 1. Brief des Johannes, Kapitel 2, 15 f.; Brief des Jakobus Kapitel 1, 27 und 4, 4. 15 Heute ziehen die bäuerlichen Siedlungen der „Amish“ zahlreiche Touristen an. Besonders in der Gegend von Lancaster (Pennsylvania) fühlen sich die Amerikaner in vergangene Zeiten versetzt. Auch in Europa wird die Lebensweise der „Plain People“ entweder romantisiert (so etwa in dem Film „Der einzige Zeuge“) oder als Sinnbild für Fortschrittsskepsis verstanden (so etwa in der Werbung für ein Modell des Renault Scénic). 11 12
B. Der „Compelling Interest Test“ in der Anwendung
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Familien die Mehrheit bildeten. Nach Abschluß der achten Klasse hätten seine Kinder aber auf eine weiterführende Schule in der Stadt gehen sollen, was Yoder ablehnte. Vielmehr sollten ihnen in der Dorfgemeinschaft durch praktisches Lernen handwerkliche Fähigkeiten sowie das Glaubens- und Wertsystem ihrer Vorfahren vermittelt werden. Der Supreme Court geht in seinem Urteil darauf ein, daß Yoders Verhalten auf religiösen Gründen beruht. Das Gericht führt aus, daß es sich nicht nur um eine philosophische oder persönliche Entscheidung handele, sondern daß die Lebensweise der Amish insgesamt auf tiefen religiösen Überzeugungen basiert. Yoder habe dargelegt, daß die Absonderung von der modernen Gesellschaft auf dem Bibelverständnis der Amish beruhe. Würde man den Anhängern dieser Glaubensrichtung verbieten, ihren Nachwuchs in der traditionellen Weise zu erziehen, würde dies den Fortbestand des Bekenntnisses der Amish in grundlegender Weise bedrohen. Die Entscheidung, ihre Kinder nach der Grundschule nicht weiter in den öffentlichen Schulen, sondern durch praktisches Lernen in der Dorfgemeinschaft zu erziehen, stelle daher ein religiös motiviertes Verhalten dar.16 Anschließend geht das von Chief Justice Burger verfaßte Urteil darauf ein, daß eine Betroffenheit der Religionsfreiheit nicht daran scheitert, daß der Eingriff in der Anwendung eines allgemeinen Gesetzes besteht, das in seinem Wortlaut nicht nach bestimmten Weltanschauungen unterscheidet. Auch in der Anwendung einer scheinbar neutralen Norm könne eine Verletzung der Religionsfreiheit liegen. Weiter prüft das Gericht, ob öffentliche Interessen vorliegend ein Zurückweichen der Religionsfreiheit erfordern. Nur Schutzgüter „of the highest order“ könnten einen Vorrang beanspruchen. Der Staat Wisconsin hatte (unter Bezugnahme auf Jefferson) geltend gemacht, daß eine Demokratie nur bestehen könne, wenn bei ihren Bürgern ein gewisses Maß an Bildung als Voraussetzung für eine effektive Teilnahme an politischen Prozessen vorhanden sei. Außerdem sei Erziehung nötig, um Kinder zu „self-reliant and self-sufficient participants of society“ zu machen. Der Supreme Court erkannte diese Argumente an, urteilte aber, daß die Schulpflicht in Wisconsin gegenüber der Erziehung im Sinne der Amish kaum Vorteile bei der Förderung dieser Ziele biete. Das Gericht führt aus, daß die Amish sich über 200 Jahre lang als gesetzestreue Bürger gezeigt hätten, und daß eine um ein oder zwei Jahre verlängerte Schulpflicht insofern keinen wesentlichen Vorteil aufweise, sondern sich die praktische Erziehung in der Dorfgemeinschaft als effektive Form der Erziehung von Kindern zu verantwortungsvollen Bürgern bewährt habe. Auch müsse man nicht um die Zukunft der Kinder fürchten. Sie würden nicht ausgebeutet, sondern in hervorragender Weise auf die handwerklichen und bäuerlichen Tätigkeiten der Amish vorbereitet. Auch für den Fall, daß ein junger Mensch der ländlichen Gemeinschaft den Rücken kehren wolle, biete – so das Urteil – die 16
Wisconsin v. Yoder, 406 U.S. 205 (1972).
5 Funke
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3. Kap.: Die Free Exercise Clause in der Nachkriegszeit
integrierte Erziehung der Amish die nötigen Voraussetzungen für eine berufliche Zukunft auch in der modernen Gesellschaft.17 Aus diesen Gründen könne Yoder nicht verpflichtet werden, seine Kinder nach Abschluß der Grundschule bis zum 16. Lebensjahr auf eine weiterführende Schule zu schicken. An der Entscheidung ist bemerkenswert, daß sich die Richter sehr konkret mit den abzuwägenden Gütern auseinandersetzen. Während man sich in Prince v. Massachusetts noch mit einem pauschalen Hinweis auf drohende „dangers of the street“ begnügte,18 diskutiert das Gericht vorliegend detailliert die Gefahren für die Religion der Amish einerseits und die Risiken für die Funktionsfähigkeit der Demokratie und das Wohl der Kinder andererseits. Nur so kann im Ergebnis festgestellt werden, daß der Religionsfreiheit der Vorrang eingeräumt werden kann, ohne daß im konkreten Fall öffentliche Interessen nachhaltig beeinträchtigt wären. Die Entscheidung setzt damit die in Sherbert v. Verner begonnene Linie fort, nach welcher der Religionsfreiheit ein größeres Gewicht beizumessen ist als in den Entscheidungen bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts. Im Vergleich mit Sherbert fällt jedoch auf, daß der Prüfungsmaßstab mit anderen Worten formuliert wird. Während in jener grundlegenden Entscheidung ein zwingendes öffentliches Interesse gefordert wird („compelling state interest“),19 fragt das Urteil im Fall Wisconsin v. Yoder nach höchsten öffentlichen Interessen („interests of the highest order“).20 Diese Formulierung läßt eine weitere Verschärfung des Rechtfertigungsmaßstabes für Eingriffe in die Religionsfreiheit vermuten. Tatsächlich trifft das Gericht aber keine Unterscheidung zwischen den beiden Ausdrücken, sondern verwendet den neuen genau in der Weise, wie es den bisherigen gebrauchte. Auch in folgenden Urteilen hat das Gericht die in Sherbert und in Yoder benutzten Formulierungen nicht als unterschiedlich, sondern als synonym verwandt.21 Auffällig ist weiterhin, daß sich das Gericht nicht zur Religionsfreiheit der Kinder äußert. In seinem teilweise abweichenden Votum bemängelt Verfassungsrichter Douglas, daß allein die religiösen Vorstellungen der betroffenen Schülerinnen und Schüler maßgeblich sein sollten. Die Mehrheit lehnt dies ab, weil in dem vorliegenden Rechtsstreit konkret über die Verfassungsmäßigkeit der Jonas Yoder auferlegten Geldstrafe zu entscheiden gewesen sei. Insofern sei die Religionsfreiheit 17 „There is nothing in this record to suggest that the Amish qualities of reliability, selfreliance, and dedication to work would fail to find ready markets in today’s society.“ 18 Prince v. Massachusetts, 321 U.S. 158 (1944). 19 Sherbert v. Verner, 374 U.S. 398 (1963). 20 Wisconsin v. Yoder, 406 U.S. 205, 215 (1972). 21 Vgl. insbesondere Employment Division, Department of Human Resources v. Smith, 494 U.S. 872 (1990) (O’Connor, J., concurring). Auch der Religious Freedom Restoration Act von 1993 bringt in Sec. 2 (b) (1) zum Ausdruck, daß es sich um ein und denselben Prüfungsmaßstab handelt. In Goldman v. Weinberger schrieb Verfassungsrichterin O’Connor noch, daß die beiden Standards ähnlich, aber nicht identisch seien, um sie dann aber doch synomym anzuwenden. Siehe Goldman v. Weinberger, 475 U.S. 503 (1986) (O’Connor, J., dissenting).
B. Der „Compelling Interest Test“ in der Anwendung
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des Beschwerdeführers, nicht die seiner Kinder relevant. Mithin stellt das Gericht erneut kein Kriterium der Grundrechtsmündigkeit auf.
II. Religionsausübung in den Streitkräften Der Sherbert-Standard beantwortet nicht die Frage nach dem Grundrechtsschutz in Situationen, in denen sich der Bürger in einem außergewöhnlichen Näheverhältnis zum Staat befindet. Die Frage nach dem Stellenwert der Religionsfreiheit für Angehörige der Streitkräfte während der Dienstzeit klärte der Supreme Court in Goldman v. Weinberger.22 Der Beschwerdeführer Simcha Goldman war als Psychologe im Rang eines Captain auf einer Basis der U.S.-Luftwaffe in Kalifornien stationiert. Während des Dienstes trug er eine Yarmulke, eine traditionelle Kopfbedeckung orthodoxer Juden. Damit verstieß er gegen eine Dienstverordnung, die das Tragen von Kopfbedeckungen innerhalb von Gebäuden untersagte. Gegen diese Kleiderordnung wehrte sich Goldman mit der Begründung, daß er als orthodoxer Jude sein Haupt vor dem allgegenwärtigen Gott ständig zu bedecken habe. In erster Instanz wurde der Air Force untersagt, die Bestimmung gegen den Kläger anzuwenden, in zweiter Instanz wurde dem mit der einheitlichen Kleiderordnung verfolgten Ziel der militärischen Disziplin der Vorrang eingeräumt. Der Supreme Court führte aus, daß bei der Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit von Normen, die für Angehörige der Streitkräfte gelten, eine größere Zurückhaltung der Gerichte angebracht sei. Der Rang der vom Ersten Zusatzartikel garantierten Grundrechte sei in diesem Bereich weniger hoch einzuordnen, weil nicht derselbe Bedarf für Toleranz und Pluralismus bestehe wie im normalen Staat-Bürger-Verhältnis.23 Vielmehr gebe es eine Notwendigkeit für Gehorsam, Einheit und Korpsgeist. Dies würde die Grundrechte nicht bedeutungslos machen, wohl aber müßten Gerichte der Einschätzung der Streitkräfte, ob eine Maßnahme von besonderer Wichtigkeit für ein militärisches Ziel sei, besonderes Gewicht zuerkennen.24 Diese Grundsätze wendet das Gericht in der Form an, daß es zunächst für unerheblich erklärt, welche konkreten Gefahren für den Verteidigungsauftrag vom TraGoldman v. Weinberger, 475 U.S. 503 (1986). „Our review of military regulations challenged on First Amendment grounds is far more deferential than constitutional review of similar laws or regulations designed for civilian society. The military need not encourage debate or encourage protest to the extent that such tolerance is required of the civilian state by the First Amendment . . .“. An dieser Wortwahl fällt auf, daß „military“ als Gegensatz zu „civilian state“ gebraucht wird, eine Formulierung, die in Deutschland die Frage aufleben ließe, ob das Militär denn Staat im Staate sein könne. 24 „In the context of the present case, when evaluating whether military needs justify a particular restriction on religiously motivated conduct, courts must give great deference to the professional judgment of military authorities concerning the relative importance of a particular military interest.“ 22 23
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3. Kap.: Die Free Exercise Clause in der Nachkriegszeit
gen der Kopfbedeckung ausgehen. Vielmehr seien nach Einschätzung der Militärbehörden alle Abweichungen vom uniformen Erscheinungsbild unerwünscht, weil sie die Einheitlichkeit der Streitkräfte in Frage stellen und damit die Disziplin der Truppe unterminieren würden. Die Militärbehörden hätten hinsichtlich des Tragens religiöser Symbole auf deren Sichtbarkeit abgestellt. Da sie insofern auf einem objektiven Kriterium beruht, so das Urteil, sei die Kleiderordnung angemessen. Die Beschwerde des Psychologen wurde damit zurückgewiesen. Das von Verfassungsrichter Rehnquist verfaßte Urteil wurde mit lediglich fünf zu vier Stimmen gefällt, der knappsten denkbaren Mehrheit. In seinem abweichenden Votum bemängelt Verfassungsrichter Brennan, daß die konkrete Notwendigkeit für Uniformität vom Gericht strenger hätte überprüft werden sollen. Die Einheitlichkeit des Militärs würde durch die kleine Kappe nicht bedroht, vielmehr würde sie positiv daran erinnern, daß die Streitkräfte aus Mitgliedern verschiedener Religionsgemeinschaften und Kulturen bestehen. Es sei ein Zirkelschluß zu behaupten, daß eine Abweichung vom einheitlichen Erscheinungsbild das einheitliche Erscheinungsbild gefährde. Überdies stelle die Yarmulke weder im regulären Dienst noch im Kampfeinsatz ein Risiko da, da sie sich – anders als ein Turban, lange Haare oder ein religiöses Gewand – kaum in Maschinen verfangen oder ein anderes Gefährdungspotential darstellen könne. In dem Minderheitenvotum von Verfassungsrichterin O’Connor wird darauf verwiesen, daß das Gericht denselben Prüfungsmaßstab wie in anderen Urteilen zur Religionsfreiheit hätte ausdrücklich heranziehen sollen. Eine Anwendung des Sherbert-Standards hätte die Bedeutung des Verteidigungsauftrages und den daraus resultierenden Bedarf für Disziplin und Korpsgeist hinreichend berücksichtigen können. Überdies hätte, da vorliegend keine konkrete Gefahr für die Disziplin in der Truppe oder das Vertrauen der Bevölkerung in die Streitkräfte aufgezeigt worden sei, der Religionsfreiheit des Beschwerdeführers der Vorrang eingeräumt werden müssen. Die Uneinigkeit der Richter bezieht sich mithin auf zwei Punkte. Zunächst ist strittig, ob der Sherbert-Standard Anwendung findet. Das Minderheitenvotum von Justice O’Connor vermißt insofern die ausdrückliche Formulierung eines Prüfungsmaßstabes für Fälle mit Militärbezug. Es verweist auf die übliche Güterabwägung. In der Tat kann das Urteil dahingehend verstanden werden, daß der „compelling interest test“ hinsichtlich der Streitkräfte keine Anwendung findet.25 In diesem Sinne läßt sich die Formulierung „Our review of military regulations challenged on First Amendment grounds is far more deferential than constitutional review of similar laws or regulations for civilian society“26 deuten. Die Entscheidung kann aber auch dahingehend interpretiert werden, daß der Prüfungsmaßstab zwar Anwendung findet, aber in dem Verteidigungsauftrag der Streitkräfte regelmäßig ein zwingendes Interesse zu sehen ist, vor dem die Freiheitsrechte der Soldaten zurückweichen müssen.27 25 26
Laycock / Thomas, 73 Tex.L.Rev. 209, 227. Goldman v. Weinberger, 475 U.S. 503 (1986).
B. Der „Compelling Interest Test“ in der Anwendung
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Im Ergebnis ist wenig bedeutsam, ob der Sherbert-Test nominell Anwendung findet, da das Urteil den Militärbehörden eine Einschätzungsprärogative hinsichtlich der Frage gewährt, ob der begehrten Ausnahmeregelung ein militärisches Interesse von hinreichender Wichtigkeit entgegensteht.28 Hier liegt der zweite Kritikpunkt der abweichenden Voten. Während in Wisconsin v. Yoder die Gefahren für die jeweiligen Rechtsgüter konkret abgewogen wurden, begnügt sich das Gericht vorliegend damit, das von den militärischen Bestimmungen gewählte Kriterium – die Sichtbarkeit des religiösen Symbols – als allgemein angemessen zu bezeichnen. Inwieweit das Tragen der Kopfbedeckung durch Captain Goldman innerhalb des Krankenhauses tatsächlich eine Gefahr für die Funktionsfähigkeit der Truppe darstellt, prüft das Gericht nicht nach. Eine effektive richterliche Kontrolle der Militärbehörde findet mithin nicht statt. Das von Verfassungsrichterin O’Connor vorgeschlagene Modell sieht einen angemesseneren Grundrechtsschutz (durch volle richterliche Überprüfbarkeit) und einen einheitlichen Prüfungsmaßstab (den „compelling interest test“) vor, weshalb ihrer Kritik an dem von Verfassungsrichter Rehnquist verfaßten Urteil beizupflichten ist.
III. Nutzung öffentlicher Grundstücke zur Religionsausübung Die weltanschauliche Vielgestaltigkeit der Bevölkerung der USA hat den Supreme Court auch zur Entscheidung von Fragestellungen geführt, die in Europa nie zur rechtlichen Diskussion standen. Die amerikanische Rechtsprechung ist davon gekennzeichnet, daß sehr unterschiedliche religiöse Gruppen sich auf das First Amendment berufen. Vor eine besondere Herausforderung stellte die Richter ein Fall aus dem Norden Kaliforniens, in dem sich mehrere Indianerstämme gegen den Ausbau einer Waldpiste zur Landstraße wehrten.29 Die „Northwest Indian Cemetery Protective Association“ trug vor, daß sowohl der Baulärm als auch der Fernverkehr die amerikanischen Ureinwohner bei religiösen Meditationen behindern würden. Das Praktizieren der Stammesreligion erfordere eine ungestörte Betrachtung von unberührter Natur. Die Ausübung der Religion würde insofern durch das Bauprojekt unmöglich gemacht, weshalb der Ausbau der Strecke zu untersagen sei. Das Gericht erkannte an, daß der Straßenbau den Bestand der örtlichen indianischen Religion fundamental bedrohen würde. Jedoch könne man das Handeln der Regierung nicht allein an den Konsequenzen für die spirituelle Entwicklung einEisgruber / Sager, 1997 Sup.Ct.Rev. 79, 99 und 131. „In the context of the present case, when evaluating whether military needs justify a particular restriction on religiously motivated conduct, courts must give great deference to the professional judgment of military authorities concerning the relative importance of a particular military interest.“ 29 Lyng v. Northwest Indian Cemetery Protective Association, 485 U.S. 439 (1988). 27 28
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3. Kap.: Die Free Exercise Clause in der Nachkriegszeit
zelner Bürger messen.30 Das von Justice Sandra Day O’Connor verfaßte Urteil stellt fest, daß bei der bisherigen Planung auf die religiösen Bedürfnisse der Stämme weitestgehend eingegangen wurde und eine Straßenführung, gegen die von indianischer Seite keine Bedenken bestehen würden, technisch nicht durchführbar wäre. Der Konflikt zwischen den Schutzgütern „Religionsfreiheit“ und „Nutzung öffentlichen Eigentums“ sei mithin unausweichlich. Die Verfassung würde der Regierung verbieten, Religionen zu benachteiligen, die bestimmte Orte für heilig erachten. Deshalb dürfe man den Indianern etwa den Zugang zu den auf staatlichem Grund befindlichen Meditationsstätten nicht verbieten. Aber die weitergehende Forderung der Ureinwohner, auf den Straßenbau vollständig zu verzichten, komme einem Verlangen nach Überlassung eines ganzen Landstrichs gleich. Eine derartige Einschränkung des staatlichen Nutzungsrechts entspräche einer materiellen Unterstützung der Stammesreligion. Deshalb müsse vorliegend das Eigentumsrecht des Staates Vorrang vor der Religionsausübung der Indianer haben.31 In ihrem gemeinsamen Minderheitenvotum gehen die Verfassungsrichter Brennan, Marshall und Blackmun darauf ein, daß die indianische Religion in ihrem Bestand bedroht wird und deshalb Vorrang haben müsse.32 Das Schutzbedürfnis der Indianer sei insofern gleichzustellen mit dem von Yoder, dem ebenfalls die Zerstörung seiner Religion und Lebensweise gedroht habe, und damit größer als das von Sherbert, deren Religionsausübung nur erschwert worden wäre. Das Urteil von Verfassungsrichterin O’Connor setzt sich in seinem Schlußteil mit diesem Argument auseinander. Es könne nicht allein maßgeblich sein, ob der Fortbestand einer Religion bedroht sei, weil dies die gerichtliche Klärung der Frage erfordern würde, was für den Erhalt einer Religion nötig sei. Was aber für eine Weltanschauung wesentlich oder unwesentlich sei, könne kaum abschließend beurteilt werden ohne eine tiefgehende Auseinandersetzung mit dem in Frage stehenden Glauben. Eine solche würde eine Bewertung des Bekenntnisses implizieren und deshalb eine Verletzung der weltanschaulichen Neutralität des Staates darstellen. Deshalb sei es nicht entscheidend für die Güterabwägung, ob etwas von zentraler Bedeutung für einen Glauben sei oder nicht.33 Wie noch darzustellen sein wird, steht die intensive Auseinandersetzung mit einem Bekenntnis tatsächlich stets im Verdacht, eine Verwicklung mit einer Religion („entanglement“) und damit eine Verletzung der Establishment Clause darzustel30 „ . . . the location of the line cannot depend on measuring the effects of a governmental action on a religious objector’s spiritual development.“ 31 „Whatever rights the Indians may have to the use of the area, however, those rights do not divest the Government of the right to use what is, after all, its land“ (Hervorhebung im Original). 32 Sprachlich fällt auf, daß sich das Urteil des Begriffs „Indians“ bedient, während das Minderheitenvotum politisch korrekt von „Native Americans“ spricht. 33 Ähnlich argumentiert Lupu, 20 U.Ark.Little Rock L.J. 575, 595.
C. Zusammenfassung
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len. Für einen Zentralitätstest, der zwischen wichtigen und unwichtigen Riten unterscheidet, ist daher im amerikanischen Verfassungsrecht kein Raum. Die Schwere der Auswirkungen auf die Religionsausübung des Betroffenen kann aber unter anderen Gesichtspunkten im Güterabwägungsprozeß berücksichtigt werden, da das öffentliche Interesse ja im konkreten Fall überwiegen muß. Ein absoluter Vorrang kann der Religion aber auch dort nicht eingeräumt werden, wo sie in ihrem Bestand bedroht ist.
C. Zusammenfassung In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Schutzstandard für die Religionsfreiheit erneut verbessert. Hatte der Supreme Court noch 1878 geurteilt, der Staat sei frei, Konsequenzen an religiös motiviertes Handeln zu knüpfen („Congress was deprived of all legislative power over mere opinion, but was left free to reach actions. . .“)34, so forderte er 1940 immerhin, daß eine die Religionsfreiheit einschränkende Maßnahme der Abwehr einer eindeutigen und gegenwärtigen Gefahr für ein wesentliches Interesse des Staates dienen müsse.35 Mit Sherbert v. Verner verschärft der Supreme Court die Voraussetzungen für eine Rechtfertigung von Eingriffen in die Religionsfreiheit weiter. Nur noch zwingende Interessen können in einer Güterabwägung dem Freiheitsrecht entgegengesetzt werden, und auch solche nur dann, wenn die dem öffentlichen Zweck dienende Maßnahme die am wenigsten einschneidende ist (Verhältnismäßigkeitsprüfung). Wie das Urteil in der Sache Wisconsin v. Yoder zeigt, sind dabei die Gefahren für die Religionsausübung einerseits und das öffentliche Rechtsgut andererseits konkret auf den Einzelfall bezogen abzuwägen.36 In dem Sonderfall, daß das Recht eines Angehörigen der Streitkräfte zur Religionsausübung während der Dienstzeit mit einer allgemeinen militärischen Dienstvorschrift kollidiert, ist das Schutzniveau reduziert. Der Supreme Court begnügt sich in einem mit knapper Mehrheit gefällten Urteil mit der Feststellung, daß die Militärbehörden in ihrer Kleiderordnung eine angemessene Grenze bezüglich des Tragens religiöser Symbole festgesetzt hätten, die der Disziplin der Truppe und damit der Verteidigungsbereitschaft dient. Die Einschätzung der Militärbehörde, nachdem ein zwingendes öffentliches Interesse vorliegend ein Zurückweichen der Religionsfreiheit erfordere, wird vom Gericht ohne detaillierte Nachprüfung akzeptiert.37 Ist die Nutzung öffentlichen Eigentums für die Ausübung einer Religion erforderlich, so kann dies die Regierung zwar verpflichten, Einschränkungen hinsicht34 35 36 37
Reynolds v. United States, 98 U.S. 145 (1878). Cantwell v. Connecticut, 310 U.S. 296 (1940). Wisconsin v. Yoder, 406 U.S. 205 (1972). Goldman v. Weinberger, 475 U.S. 503 (1986).
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3. Kap.: Die Free Exercise Clause in der Nachkriegszeit
lich der Ausübung ihrer Eigentumsrechte hinzunehmen. Jedoch erwächst einer Gruppe von Indianern hieraus nicht das Recht, dem Staat die wirtschaftliche Nutzung eines ganzen Landstrichs unmöglich zu machen. Dem Eigentumsrecht des Staates wurde in einem entsprechenden Urteil aus dem Jahr 1988 der Vorrang vor der Religionsfreiheit der Ureinwohner des amerikanischen Kontinents eingeräumt.38 Der „compelling interest test“ führte mithin zu einem verbesserten Schutz der Religionsfreiheit. Wie aber die Entscheidungen Goldman v. Weinberger und Lyng v. Northwest Indian Cemetery Protective Association zeigen, gebraucht der Supreme Court diesen Prüfungsmaßstab in einer Weise, der den Interessen des Staates durchaus Rechnung trägt. Die abweichenden Voten kritisieren die Entscheidungen als Benachteiligung religiöser Minderheiten und fordern eine strenge Anwendung des Sherbert-Standards in allen Bereichen. Diesem Anliegen wurde allerdings nicht Rechnung getragen. Vielmehr sind die beiden Entscheidungen aus den Jahren 1986 und 1988 bereits die Vorboten einer Änderung der Rechtsprechung zur Religionsfreiheit ab dem Jahr 1990.39 Die Grundsätze und Auswirkungen dieser weiteren Kehrtwende in der Rechtsprechung werden gemeinsam mit weiteren aktuellen Entwicklungen in einem eigenen Kapitel darzustellen sein.
Lyng v. Northwest Indian Cemetery Protective Association, 485 U.S. 439 (1988). Vgl. Employment Division, Department of Human Resources of Oregon v. Smith, 494 U.S. 872 (1990). 38 39
4. Kapitel
Die Establishment Clause in der Nachkriegszeit A. Grundsätze der weltanschaulichen Neutralität Der erste Teil des Ersten Zusatzartikels lautet „Congress shall make no law respecting an establishment of religion“. Während der folgende Halbsatz „or prohibiting the free exercise thereof“ die Religionsfreiheit im engeren Sinn regelt (Free Exercise Clause), bestimmt die vorangestellte Establishment Clause das Verhältnis von Staat und Kirchen. Die wenig detaillierte Verfassungsbestimmung wird dahingehend ausgelegt, daß der Staat sich nicht mit einer bestimmten Weltanschauung identifizieren darf.1 Wie vorstehend dargelegt, war der Geltungsbereich des First Amendment zunächst auf das Bundesrecht beschränkt. Dies und der anfängliche Grundkonsens über die Förderungswürdigkeit des Christentums im allgemeinen führten dazu, daß eine gerichtliche Auslegung dieser Verfassungsnorm lange auf sich warten ließ. Seit dem amerikanischen Bürgerkrieg ist, wie bereits ausgeführt, auch die Establishment Clause gegenüber den Einzelstaaten anwendbar. Doch erst als im 20. Jahrhundert die weltanschauliche Heterogenität in der amerikanischen Bevölkerung zunahm und der Grundkonsens über die Förderungswürdigkeit der christlichen Religion schwand, kam es zu zahlreichen Rechtsstreitigkeiten um die weltanschauliche Neutralität des Staates. Ausgangspunkt der Kontroversen um die Establishment Clause sind regelmäßig Maßnahmen des Staates, in denen einige Bürger die unzulässige Förderung einer oder mehrerer Religionen erblicken. Vor Gericht kann ein solcher Streit aber nur kommen, wenn die protestierenden Bürger eine Klagebefugnis (Right of Standing) haben. Hierzu trifft die Verfassung keine ausdrückliche Regelung. Darüber hinaus war es Aufgabe der Rechtsprechung, einen Prüfungsmaßstab für Verletzungen der staatlichen Neutralitätspflicht zu entwickeln. I. Die Klagebefugnis in Establishment-Clause-Prozessen Aus Art. III der Verfassung der USA geht hervor, daß ein Gerichtsverfahren nur anstrengen kann, wer eine bestimmte, materielle und nicht unwesentliche Rechtsverletzung geltend macht, von der er selbst in besonderer Weise betroffen ist.2 Hin1
Vgl. van Alstyne, First Amendment, S. 855.
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4. Kap.: Die Establishment Clause in der Nachkriegszeit
sichtlich der Religionsfreiheit ist von Bedeutung, daß ein Nachteil materiell und mehr als nur minimal sein muß. Diese Punkte sind insofern problematisch, als daß die Förderung von Religion meist mit der Begründung angegriffen wird, sie werde teilweise aus Steuergeldern des klagenden Bürgers finanziert. Der Kläger ist in diesen Fällen regelmäßig nicht anders betroffen als jeder beliebige Steuerzahler. Außerdem werden allenfalls Centbeträge aus seiner Steuerleistung für den fraglichen Zweck verwendet.3 In einem ersten Fall dieser Art trug die Klägerin vor, der Kongreß habe eine Maßnahme zu finanzieren beschlossen, die ihrer Ansicht nach gegen Art. I der Bundesverfassung, gegen die Due Process Clause des Fünften Zusatzartikels und gegen den Zehnten Zusatzartikel verstieß.4 Das Gericht wies ihre Klage jedoch wegen mangelnder Klagebefugnis ab: der Beschluß des Kongresses selbst betreffe die Klägerin gar nicht unmittelbar. Die Klägerin sei nicht anders als alle anderen Steuerzahler betroffen, und ohnehin würden allenfalls Centbeträge aus ihren Steuergeldern für das fragliche Projekt eingesetzt. Dieses Urteil aus dem Jahr 1923 verlor aber an Bedeutung, als Kläger eine Verletzung der Establishment Clause des Ersten Zusatzartikels geltend machten. Der Supreme Court urteilte in Flast v. Cohen,5 daß sich aus dem Verbot für den Kongreß, eine Religion per Gesetz zu etablieren, ein Schutzrecht für Steuerzahler ergebe. Die Establishment Clause stelle nämlich eine spezifische verfassungsimmanente Schranke für die Erhebung und Verwendung von Steuern dar. Aus diesem Verbot für den Gesetzgeber resultiere eine Klagebefugnis für Steuerzahler, die eine Verwendung von staatlichen Mitteln für eine verfassungswidrige Förderung einer Kirche halten. Mithin steht der Zulässigkeit einer Klage nicht mehr entgegen, daß der Kläger nicht anders betroffen ist als andere Steuerzahler, und daß aus seinen Steuerzahlungen nur äußerst geringfügige Beträge für die angeblich verfassungswidrige Maßnahme eingesetzt werden. Damit nimmt das Gericht einen Gedanken James Madisons auf,6 der in „Memorial and Remonstrance“ gemahnt hatte: „Who does not see van Alstyne, First Amendment, S. 851. Unerheblich ist für das amerikanische Recht in diesem Zusammenhang, daß eine Steuer regelmäßig ohne Zweckbindung erhoben wird. 4 Frothingham v. Mellon, 262 U.S. 447 (1923). 5 Flast v. Cohen, 392 U.S. 83 (1968). Der Supreme Court geht in diesem Urteil ausführlich auf die Klagebefugnis ein und grenzt den Fall von der Entscheidung Frothingham v. Mellon, 262 U.S. 447 (1923) deutlich ab. Der Grundgedanke, daß eine Verwendung von Steuergeldern, die der Establishment Clause widerspricht, zur Klage berechtigen kann, findet sich allerdings schon in Everson v. Board of Education, 330 U.S. 1 (1947). 6 Allerdings bezog sich Madison auf eine Steuer, die einem konkreten Zweck zugeführt werden sollte, nämlich der Unterstützung der Kirchen. Daß die in den modernen Gerichtsentscheidungen in Frage stehenden Steuerbescheide ohne Bindung an einen Zweck oder eine Gegenleistung ergehen, lassen die Gerichte bei der Bezugnahme auf Madison regelmäßig außer Betracht. 2 3
A. Grundsätze der weltanschaulichen Neutralität
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. . . that the same authority which can force a citizen to contribute three pence only of his property for the support of any one establishment, may force him to conform to any other establishment in all cases whatsoever?“7 II. Everson als Grundsatzentscheidung zur Neutralitätspflicht Seit der Verfassungsgebung war unbestritten, daß die Establishment Clause die Einführung einer Staatsreligion verbietet. Außerdem sollte die Bundesregierung nicht bestimmte Bekenntnisse gegenüber anderen bevorzugen oder benachteiligen. Wie bereits dargelegt, war jedoch umstritten, inwiefern eine allgemeine Förderung von Religion gestattet sein könne. Eine Grenzziehung in diesem Punkt steht unter der besonderen Problematik, daß eine Religionsgemeinschaft einerseits kaum als solche gefördert werden kann, weil damit regelmäßig die Förderung eines bestimmten Bekenntnisses verbunden ist. Andererseits dürfen Religionsgemeinschaften gegenüber vergleichbaren weltlichen Institutionen nicht deshalb benachteiligt werden, weil sie die Förderung einer Weltanschauung zum Ziel haben, da hierin zumeist eine Diskriminierung der Kirchen liegen dürfte. Aufgabe der Judikative ist mithin, die Position staatlicher Neutralität zwischen unzulässiger Förderung und unzulässiger Benachteiligung von Religionsgemeinschaften zu bestimmen. Die bis heute grundlegende Entscheidung in diesem Bereich ist Everson v. Board of Education aus dem Jahr 1947.8 In einem Schulbezirk im Bundesstaat New Jersey nutzten alle Schüler das örtliche Bussystem, um zu den öffentlichen und privaten Schulen innerhalb des Bezirks zu gelangen. Die für die Busfahrkarten entstehenden Kosten wurden den Eltern von der Schulbezirksverwaltung erstattet. Ein Steuerzahler namens Everson wehrte sich dagegen, daß auch Eltern von der Kostenerstattung profitierten, die ihre Kinder auf eine katholische Privatschule schickten. Hierin, so der Beschwerdeführer vor dem Supreme Court, liege eine verfassungswidrige Unterstützung der katholischen Kirche. Das Gericht geht in seinem Urteil ausführlich auf die historischen Erfahrungen der Amerikaner mit religiöser Intoleranz und die Geschichte der Religionsfreiheit ein. Die Verfassung der USA sei vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen zu sehen. Insbesondere sei der Schutzzweck des Ersten Zusatzartikels mit dem des Virginia Bill for Religious Liberty gleichzusetzen. Deshalb dürfe kein noch so geringer Steuerbetrag zum Zweck der Förderung einer religiösen Aktivität oder Institution oder für die Ausübung oder Verbreitung einer Weltanschauung erhoben werden.9 Entsprechend sei es auch New Jersey untersagt, Haushaltsmittel für die 7 Memorial and Remonstrance Against Religious Assessments, 2 Writings of James Madison, 183, 186, Text abgedruckt bei Kurland / Lerner, S. 82 und auszugsweise bei Van Alstyne, First Amendment, S. 854. 8 Everson v. Board of Education, 330 U.S. 1 (1947). 9 „No tax in any amount, large or small, can be levied to support any religious activities or institutions, whatever they may be called, or whatever form they may take to teach or prac-
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4. Kap.: Die Establishment Clause in der Nachkriegszeit
Unterstützung einer Einrichtung zur Verfügung zu stellen, die das Bekenntnis einer Kirche lehrt. Immerhin werde der Besuch der weltanschaulichen Einrichtung durch die Fahrtkostenerstattung erleichtert. Jedoch dürfe New Jersey andererseits die Anhänger einer bestimmten Religion nicht wegen ihres Glaubens von Vorzügen ausschließen, die nach den allgemeinen Gesetzen allen Bürgern zustehen. Die Eltern, die ihre Kinder auf eine kirchliche Schule schicken, dürften wegen ihres Glaubens nicht benachteiligt werden. Bei der Fahrtkostenerstattung handle es sich um eine allgemeine Dienstleistung des Staates, die so wenig eine Verletzung des Ersten Zusatzartikels darstelle wie die Versorgung einer kirchlichen Schule mit einem Anschluß an das Abwassersystem oder das Straßennetz. Der Staat habe sich neutral zu verhalten: „That Amendment requires the state to be a neutral in its relations with groups of religious believers and non-believers; it does not require them to be their adversary.“10 Die staatliche Macht dürfe weder zur Behinderung noch zur Bevorzugung der Religion eingesetzt werden. Hier werde durch die Fahrtkostenerstattung der sichere Transport von Kindern zur Schule gefördert, nicht eine Religion. Insofern sei vorliegend keine Lücke in die Staat und Kirche trennende Mauer gebrochen worden.11 In den abweichenden Meinungen der Verfassungsrichter Jackson, Frankfurter, Rutledge und Burton wird kritisiert, daß das Gericht der religionsfördernden Wirkung der Fahrtkostenerstattung zu wenig Bedeutung beimesse. Im Endeffekt sei unerheblich, ob den Eltern Geld erstattet oder der Schule unmittelbar zur Verfügung gestellt werde.12 In beiden Fällen werde die Verbreitung der katholischen Religion durch staatliche Mittel gefördert, was stets unzulässig sei. Eine Benachteiligung katholischer Eltern erscheint den vier Richtern eher hinnehmbar als eine Unterstützung der katholischen Kirche. In ihrer Stellungnahme kommt eine Haltung zum Ausdruck, die vordergründig einer strengen Neutralität verpflichtet ist. Tatsächlich würde sie sich aber zum Nachteil einer Glaubensgemeinschaft auswirken. Das Areligiöse würde gegenüber dem Religiösen bevorzugt. In den Worten des von Verfassungsrichter Black verfaßten Urteils würde dies nicht Trennung, sondern Feindschaft zwischen Staat und Kirche bedeuten. Die vorstehende Analyse der amerikanischen Verfassungsgeschichte zeigt, daß ein Verständnis vom First Amendment, wie es in den Minderheitenvoten vorgetragen wird, auch nicht im Sinne der Verfassungsväter gewesen wäre. tice religion.“ In dieser Analyse übersieht das Gericht, daß sich Madison in seinem „Memorial and Remonstrance“ gegen die Erhebung einer speziellen Steuer zur Förderung der Kirchen gewehrt hatte. Die Förderung von Religion aus allgemeinen Haushaltsmitteln ist dem nicht unbedingt gleichzusetzen. Sonst hätten Madison und Jefferson während ihrer jeweiligen Präsidentschaft der Zurverfügungstellung des Kapitols für Gottesdienste wohl kaum zugestimmt. 10 Everson v. Board of Education, 330 U.S. 1 (1947). 11 „The First Amendment has erected a wall between church and state. That wall must be kept high and impregnable. We could not approve the slightest breach. New Jersey has not breached it here.“ 12 Diese Ansicht hat im Supreme Court nie eine Mehrheit gefunden. Sie wurde auch in Wolman v. Walter, 433 U.S. 229 (1977) abgelehnt.
B. Die Neutralität in bezug auf Schulen
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Unumstritten zwischen den damals beteiligten Verfassungsrichtern13 und bis heute maßgebend ist allerdings folgende Deutung der Establishment Clause aus dem Everson-Urteil: „Neither a state nor the Federal Government can set up a church. Neither can pass laws which aid one religion, aid all religions, or prefer one religion over another. Neither can force nor influence a person to go or to remain away from church against his will or force him to profess a belief or disbelief in any religion. No person can be punished for entertaining or professing religious beliefs or disbeliefs, for church attendance or non-attendance. No tax in any amount, large or small, can be levied to support any religious activities or institutions, whatever they may be called, or whatever form they may adopt to teach or practice religion. Neither a state nor the Federal Government can, openly or secretly, participate in the affairs of any religious organizations or groups and vice versa. In the words of Jefferson, the clause against establishment of religion by law was intended to ‘erect a wall of separation between church and state’.“14 Damit greift das Gericht die verfassungsgeschichtlich gut belegte These auf, daß die Regierung nicht nur keine Staatsreligion einführen darf, sondern alle Bekenntnisse gleichmäßig behandeln muß. Weiterhin schließt das Urteil aus der Verabschiedung des von Madison und Jefferson unterstützten Gesetzes zur Einführung der Religionsfreiheit in Virginia, daß der Staat auch nicht allen Religionen in gleicher Weise helfen darf. Überdies verbietet es die Establishment Clause dem Staat, Anreize an bestimmte religiöse Handlungen oder Bekenntnisse zu knüpfen oder gar zur Teilnahme an Riten zu verpflichten, was letztlich einem Recht auf negative Religionsfreiheit entspricht. Demnach darf auch kein Bürger gezwungen werden, über seine Steuerzahlungen mittelbar eine Religion zu unterstützen. Der Staat darf sich in innerkirchliche Belange nicht einmischen. Vielmehr ist die von Jefferson beschworene „Trennmauer“ in jeglicher Hinsicht zu respektieren.
B. Die Neutralität in bezug auf Schulen Die in Everson v. Board of Education entwickelten Grundsätze fanden vor allem in Konflikten Anwendung, in deren Zentrum der Status der Religion in öffentlichen Schulen und das Verhältnis des Staates zu kirchlichen Privatschulen standen. Die Bedeutung der Schulen für die Verbreitung weltanschaulicher Ansichten hatte Justice Jackson in seinem Minderheitenvotum in Everson hervorgehoben: „Education is the rock on which the whole structure rests“.15 Entsprechend standen Schu13 Anders allerdings 38 Jahre später Verfassungsrichter Rehnquist in seinem abweichenden Votum zu Wallace v. Jaffree, 472 U.S. 38 (1985). Seiner Ansicht nach betrifft die Establishment Clause nur die Einführung einer Nationalkirche und die gleichmäßige Behandlung aller Bekenntnisse. 14 Everson v. Board of Education, 330 U.S. 1 (1947). Das Urteil zitiert Jeffersons Brief an die Danbury Baptist Association, dessen Text abgedruckt ist bei Kurland / Lerner, S. 96. 15 Everson v. Board of Education, 330 U.S. 1 (1947) (Jackson, J., dissenting).
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len regelmäßig im Mittelpunkt von politischen und rechtlichen Disputen um das Verhältnis von Staat und Kirche.
I. Unterstützung für Schüler, nicht für Schulen Aufbauend auf Everson v. Board of Education hat der Supreme Court eine detaillierte Rechtsprechung zur Förderung von Privatschulen entwickelt. Als Abgrenzungskriterium hinsichtlich der Zulässigkeit staatlicher Maßnahmen hat das Gericht vor allem darauf abgestellt, ob allein die Schüler und ihre Eltern oder in maßgeblicher Weise auch die Schulen und damit ihre kirchlichen Träger unterstützt werden. 1. Zurverfügungstellung von Schulbüchern Der Supreme Court wandte die Grundsätze aus Everson v. Board of Education zunächst in einem Fall aus dem Bundesstaat New York an.16 Ein Landesgesetz verpflichtete die Schulbehörden dazu, allen Schülern auf weiterführenden Schulen kostenlos Schulbücher zur Verfügung zu stellen. Auch Schüler kirchlicher Privatschulen bekamen ihre Bücher vom Staat gestellt, sofern es sich dabei um Titel handelte, die auch in öffentlichen Schulen als Lernmittel zugelassen waren. Das Gericht stellte fest, daß hier nicht die Schule (und damit die Religion), sondern die Schüler gefördert werden. Der Zweck des Gesetzes sei nicht die Förderung von Religion, sondern die Verbesserung der schulischen Erziehung. Dabei stellte das Gericht darauf ab, daß zwar Bücher eher als Fahrtkostenerstattung zur religiösen Indoktrination geeignet seien, daß aber vorliegend die fraglichen Bücher auch in öffentlichen Schulen hätten Verwendung finden können und der Staat insofern die Beschaffung von Unterrichtsmaterialien finanziere, die der allgemeinen Ausbildung der Schüler und nicht der religiösen Erziehung dienten. Insofern sei es nicht gerechtfertigt, Schüler aufgrund ihrer Entscheidung, eine kirchliche Schule zu besuchen, von einem allen Bürgern offenstehenden Angebot auszuschließen.17 In ihren abweichenden Voten kritisieren die Verfassungsrichter Black, Douglas und Fortas, daß die Stoffvermittlung an kirchlichen Schulen einen durchgehend religiösen Charakter habe und deshalb jeder staatliche Beitrag für den Unterricht eine unzulässige Förderung von Religion darstelle.18 Tatsächlich aber wurde hier Board of Education of Central School District v. Allen, 392 U.S. 236 (1968). Daß der Staat zwar die Schüler, nicht aber die kirchliche Schule selbst unterstützen darf und deshalb Lehrmittel für den individuellen Gebrauch zur Verfügung stellen bzw. finanzieren kann, legt der Supreme Court mit sehr ähnlicher Argumentation auch dar in Wolman v. Walter, 433 U.S. 229 (1977). 18 Es ist durchaus vorstellbar, daß eine Mehrheit der Richter in einem Free Exercise – Fall den gesamten Unterricht als Ausübung einer Religion angesehen hätte. Daß hier aber zwischen religiösem und allgemeinem Unterricht differenziert wird, läßt sich dahingehend 16 17
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die Everson-Doktrin konsequent angewandt. Auch Schüler an Privatschulen dürfen von allgemeinen Programmen profitieren, die primär einem weltlichen Zweck dienen und insofern keine ungebührliche Förderung von Religion darstellen.
2. Staatliche Zuschüsse und der „Lemon-Test“ Weiter konkretisiert wurde die Auslegung der Establishment Clause in Lemon v. Kurtzman.19 Die Staaten Rhode Island und Pennsylvania hatten beschlossen, Privatschulen bei der Wahrnehmung ihres Erziehungsauftrages zu unterstützen. Pennsylvania erstattete den Schulen Kosten für die Bezahlung der Lehrkräfte sowie für Bücher und andere Materialien für bestimmte Unterrichtsfächer. Rhode Island zahlte den an Privatschulen tätigen Lehrern einen Gehaltszuschuß von 15%. Bei der Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit der Vorschriften stellte der Supreme Court zunächst klar, daß die Establishment Clause vor drei Gefahren schützen solle, nämlich vor Befürwortung, finanzieller Unterstützung und aktiver Beteiligung des Staates an religiösen Aktivitäten. Ob ein Verfassungsbruch vorliege, sei anhand einer dreistufigen Prüfung zu ermitteln. – Zunächst müsse das fragliche Gesetz einem weltlichen Zweck zu dienen bestimmt sein, – weiterhin dürfe seine Hauptwirkung weder in der Förderung noch in der Behinderung von Religion bestehen, – und drittens dürfe das Gesetz nicht zu einer übermäßigen Verwicklung der Regierung mit Religion führen.20
Der Supreme Court erkannte die Verbesserung der Unterrichtsqualität an Privatschulen als legitimen weltlichen Zweck an. Ob eine unzulässige Förderung von Religion vorliege, so das von Chief Justice Burger verfaßte Urteil, könne dahingestellt bleiben, da jedenfalls eine übermäßige Verwicklung von Staat und Religion vorliege. Man könne von Lehrern an einer kirchlichen Schule nicht ohne weiteres erwarten, ihre religiösen Ansichten im Unterricht nicht zu verbreiten, obwohl sie deuten, daß in Establishment-Fällen ein engerer Religionsbegriff gilt als in Free ExerciseZusammenhängen. Dem steht allerdings die Formulierung des First Amendment entgegen. Das Wort Religion wird nur einmal gebraucht, die Free Exercise Clause bezieht sich grammatikalisch auf das Wort „religion“ in der Establishment Clause. Die Tatsache, daß das Wort „Religion“ nur einmal im First Amendment auftaucht, läßt die Annahme zweier unterschiedlicher Religionsbegriffe kaum zu. Vgl. auch vorstehend die Folgerungen aus der Genese des First Amendment. 19 Lemon v. Kurtzman, 403 U.S. 602 (1971). 20 „First, the statute must have a secular purpose; second, its principal or primary effect must be one that neither advances nor inhibits religion; finally, the statute must not foster an excessive entanglement with religion.“ Dieser Prüfungsmaßstab geht zurück auf Everson v. Board of Education, 330 U.S. 1 (1947); Board of Education v. Allen, 392 U.S. 236 (1968) und Walz v. Tax Commission, 397 U.S. 664.
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durch die staatlichen Zahlungen an sich zur Neutralität verpflichtet würden. Eine deshalb nötige Überprüfung, ob ein vom Staat finanziell unterstützter Privatschullehrer sich an das Gebot der Neutralität hält, würde eine unbotmäßige Verwicklung darstellen. Überdies entstünde die Gefahr, daß durch die politische Frage der Unterstützung kirchlicher Schulen das Wahlvolk entlang religiöser Präferenzen gespalten würde. Das Verfassungssystem der USA habe die Sphären von Staat und Kirche getrennt, und obgleich manche Kontakte unvermeidlich seien, sei hier die Grenze hinnehmbarer Vermischung überschritten.
3. Steuerliche Absetzbarkeit von Schulgebühren In Mueller v. Allen21 waren nicht die Lehrer oder die Schule, sondern die Eltern von Kindern, die eine Privatschule besuchten, die unmittelbaren Nutznießer eines staatlich gewährten Vorteils. Der Staat Minnesota räumte ihnen die Möglichkeit ein, Ausgaben für die Schulbildung ihrer Kinder, insbesondere Schulgeld und Ausgaben für nichtreligöse Bücher, bis zu einem Maximalbetrag22 von der Steuer abzuziehen. In Anwendung des in Lemon v. Kurtzman formulierten Dreistufentests prüfte der Supreme Court zunächst das Vorliegen eines weltlichen Zwecks. Das Gericht erkannte die Sicherung der Unterrichtsqualität in Privatschulen als förderungswürdiges Ziel des Programms an. Ausführlicher behandelt das von Verfassungsrichter Rehnquist verfaßte Urteil die Frage, ob die vornehmliche Auswirkung des Gesetzes in einer Förderung (oder Benachteiligung) von Religion bestehe. Der Besuch von kirchlichen Schulen würde durch die steuerliche Absetzbarkeit indirekt gefördert. Jedoch stelle das Gesetz allgemeine Kriterien auf, nach denen alle Eltern von Privatschulen besuchenden Kindern einen Vorteil haben sollen, und insofern nicht die Kirchen, sondern die Eltern unterstützt werden.23 Nach Ansicht des Gerichts stellt die steuerliche Absetzbarkeit einen angemessenen Ausgleich für die Vorteile dar, die der Allgemeinheit daraus entstehen, daß sich eine Reihe von Familien für den Besuch von Privatschulen entscheiden.24 Denn die Steuerzahlungen dieser Eltern würden den öffentlichen Schulen zugute kommen, ohne Mueller v. Allen, 463 U.S. 388 (1983). An diesem Urteil fällt auf, daß die Maximalhöhe des steuerlich geltend zu machenden Betrages nicht diskutiert wird. Wären nämlich Schulgelder in unbegrenzter Höhe abzugsfähig, könnte dies einen Anreiz für Religionsgemeinschaften darstellen, überhöhte Beträge als Schulgeld festzusetzen und so mit staatlicher Förderung zusätzliche Einnahmen zu erzielen, die dann für religöse Zwecke verwandt werden könnten. 23 Daß es entscheidend ist, ob die Schüler (bzw. deren Eltern) oder die Schulen gefördert werden, hatte der Supreme Court auch in Wolman v. Walter, 433 U.S. 229 (1977) geurteilt. 24 „More fundamentally, whatever unequal effect may be attributed to the statutory classification can be fairly regarded as a rough return for the benefits, discussed above, provided to the State and all taxpayers by parents sending their children to parochial schools.“ 21 22
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daß ihre Kinder diese in Anspruch nehmen würden.25 Auch würde die Existenz der Privatschulen einen Wettbewerb kreieren, der auch den staatlichen Schulen als Leistungsanreiz dienen könne. Folglich habe das fragliche Steuergesetz nicht den vornehmlichen Effekt der Förderung von Religion. Auch läge keine übermäßige Verwicklung von Staat und Kirche vor, da keine umfassende Kontrolle des Staates nötig sei, lediglich müsse zwischen religiösen und nichtreligiösen Schulbüchern differenziert werden. II. Gebete in öffentlichen Schulen Sowohl das Gebet im Schulunterricht als auch Gebete anläßlich von schulischen Feiern waren Gegenstand von höchstrichterlichen Urteilen, die in der amerikanischen Öffentlichkeit sehr kontrovers diskutiert wurden.
1. Gebet im Unterricht Zu den bekanntesten Entscheidungen des Supreme Court zur Establishment Clause gehört Engel v. Vitale, die Grundsatzentscheidung zum Schulgebet.26 Eine örtliche Schulbehörde im Bundesstaat New York hatte veranlaßt, daß in allen Schulklassen zu Beginn jedes Schultages das folgende Gebet gesprochen wurde: „Allmächtiger Gott, wir erkennen an, daß wir von Dir abhängig sind, und bitten um Deinen Segen für uns, unsere Eltern, unsere Lehrer und unser Land.“27 Die von zehn Eltern gegen diese Praxis vorgebrachte Verwaltungsklage blieb in erster und zweiter Instanz erfolglos: solange die Schule niemanden zwinge, an dem Gebet teilzunehmen, sei die Prozedur nicht zu beanstanden.28 Der Supreme Court setzt dem entgegen, daß das Vorschreiben bestimmter Gebete durch europäische Staaten29 einst viele Menschen zur Auswanderung nach Amerika bewegt hatte, und daß die leidvollen Erfahrungen der religiösen Minderheiten in den Kolonien letztlich zur Abschaffung von Staatskirchen in Nordamerika geführt habe. Mit dem First Amendment hätten die Verfassungsväter verhindern wollen, daß jemals wieder einem Amerikaner vorgeschrieben werde, welche Gebete er zu sprechen habe. Deshalb sei irrelevant, daß es sich bei dem Gebet um eines ohne konfessionsspezi25 Daß auch die Eltern der Kinder, die eine kirchliche Privatschule besuchen, Steuern entrichten, aus denen die strittigen Maßnahmen finanziert werden, hatte das Gericht in Everson v. Board of Education, 330 U.S. 1 (1947) betont. 26 Engel v. Vitale, 370 U.S. 421 (1962). 27 „Almighty God, we acknowledge our dependence upon Thee, and we beg Thy blessings upon us, our parents, our teachers and our country.“ 28 Diese Beurteilung weist Ähnlichkeiten mit der entsprechenden Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts auf, vgl. BVerfGE 52, 223, 240 f. 29 Das Gericht bezieht sich insbesondere auf die Verhältnisse in England und die dortige Unterdrückung von Katholiken und Puritanern.
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fische Inhalte handele, und daß es den Schülern freigestellt sei, die Worte mitzusprechen. Unter Verwendung einer Aussage Madisons, nach der eine Verbindung von Staat und Kirche stets drohe, die Regierung zu zerstören und die Religion zu degradieren, lehnt das Gericht die New Yorker Praxis als verfassungswidrig ab. In seinem separaten Votum30 spricht sich Verfassungsrichter Douglas gleichfalls gegen das Schulgebet aus. Er begründet dies allerdings damit, daß keine Unterrichtszeit auf religiöse Übungen verwandt werden solle, da dieser Zeit eine finanzielle Leistung des Staates entspreche, nämlich in Form des auf die Minuten des Schulgebets entfallenden Bruchteils der Lehrergehälter.31 Den Bedenken des Supreme Court, keinem Amerikaner solle von staatlicher Seite aus ein Gebet vorformuliert werden, versuchte ein Gesetz des Bundesstaates Pennsylvania Rechnung zu tragen. Es sah vor, daß in den Schulklassen täglich zehn Bibelverse zu lesen und das traditionelle – also nicht von einem staatlichen Organ formulierte – Gebet des Herrn („Vaterunser“) laut zu rezitieren war. Auf Antrag der Eltern konnten Kinder von der Teilnahme an dieser Übung befreit werden. Der Supreme Court wandte den auf die Entscheidungen Everson v. Board of Education und Lemon v. Kurtzman zurückgehenden Dreistufentest an. Hinsichtlich des Erfordernisses eines weltlichen Gesetzeszweckes hatte der Staat vorgebracht, daß durch die Lesung und das Rezitieren die Verbreitung moralischer Werte und die Kenntnis der Bibel als Teil der Weltliteratur gefördert werden solle. Das Gericht hielt aber für erwiesen, daß weniger der moralische oder literarische Wert der Bibel oder des Vaterunsers im Vordergrund stand, sondern daß es sich um eine religiöse Übung handele, mit der die christliche Religion bevorzugt werde. Auch dadurch, daß hier Religion überhaupt gefördert würde, verletze der Staat seine Neutralitätspflicht, was insbesondere gegenüber Kindern, die leichter zu beeinflussen seien als Erwachsene, nicht hingenommen werden könne.32 Dem Supreme Court wurde aus frommen und konservativen Kreisen vorgeworfen, mit diesen Entscheidungen einen Vorrang für das Antireligiöse zu begründen, der allen amerikanischen Traditionen und Wertvorstellungen widerspreche. Daß es aber nicht um Religionsfeindlichkeit gehe33 und daß auch der moralische oder lite30 Es handelt sich dabei um eine „concurring opinion“, also ein Sondervotum, welches das Ergebnis des Urteils mitträgt, aber eine abweichende Begründung vorträgt. Eine „dissenting opinion“, also ein im Ergebnis abweichendes Votum, hat Verfassungsrichter Stewart zu Engel v. Vitale abgegeben. Sie fußt darauf, daß allgemeine Gottesbezüge und kurze Gebete im öffentlichen Leben der USA seit der Revolutionszeit üblich sind. Diese Aspekte werden in einem eigenen Abschnitt behandelt und sind deshalb nicht an dieser Stelle zu erörtern, zumal Stewart außer Acht läßt, daß hier von staatlicher Seite aus Minderjährige angeregt werden, ein bestimmtes Gebet zu sprechen. 31 Lehrer sind in den Vereinigten Staaten zumeist nicht als Beamte tätig, sondern als Lohnoder Gehaltsempfänger. Mithin kann Douglas nicht entgegengehalten werden, daß Lehrer aufgrund des Alimentationsprinzips ohnehin nicht nach ihrer Arbeitszeit vergütet würden. 32 Abington School District v. Schempp, 374 U.S. 203 (1963). 33 „God has been removed from the classroom“ war eine Schlagzeile, mit der auf Engel v. Vitale reagiert wurde. Diese Formulierung taucht auch in dem populären Lied „Our turn
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rarische Wert der Bibel nicht in Zweifel gezogen werden solle, erwähnt das Urteil zu Abington School District v. Schempp ausdrücklich. Die Trennung der Sphären von Staat und Kirche in diesem Bereich wird aber weiterhin in Frage gestellt. So wurde von christlichen Gruppen vorgeschlagen, den Unterricht mit einem Moment der Stille zu beginnen,34 oder mit der Rezitierung einer Passage aus der Unabhängigkeitserklärung, die einen Gottesbezug enthält.35
2. Gebet bei Abschlußfeiern In einer jüngeren Entscheidung hielt der Supreme Court auch ein gemeinsames Gebet während einer Zeugnisfeier von High School-Absolventen für verfassungswidrig.36 Anläßlich der Übergabe der Abschlußzeugnisse in einer weiterführenden Schule in Rhode Island hatte ein Rabbiner ein Gebet und einen Segen gesprochen. Seine Worte waren so allgemein gewählt, daß sie sowohl jüdischen als auch christlichen Gottesvorstellungen entsprachen. Das Gericht sah hierin dennoch eine religiöse Übung, die durch den Staat dirigiert werde, und an der die Schüler faktisch teilzunehmen verpflichtet waren. Die Schule habe den Vorbeter ausgewählt und ihm Leitlinien für das Gebet an die Hand gegeben, und die Absolventen seien mit ihren Familien zur Teilnahme an dem Gebet genötigt worden. Solche subtilen Einwirkungen auf den Glauben junger Menschen müßten unterbleiben, so das mit knapper Mehrheit gefällte Urteil. In ihrer abweichenden Meinung lehnen die Verfassungsrichter Scalia, Rehnquist, White und Thomas das Ergebnis ab. Es sei eine Unterstellung, daß ein zeremonielles Gebet eine fühlbare Auswirkung auf den Glauben junger Menschen habe, oder daß ein unzulässiger sozialer Druck zur Teilnahme bestehe.37 Vor allem könne man nicht unterstellen, daß durch das Vortragen des Gebetes vom Podium aus alle Anwesenden zu Betenden würden. Durch einen einfachen Hinweis etwa im Programmheft könne man vor dem Gebet klarstellen, now“ der amerikanischen Rockband „Petra“ auf, das mit den Worten beginnt „The ball got dropped in ’62 / they would not let children pray in school / violent crime began to rise / the grades went down and the kids got high“ (Petra, Beyond Belief, 1991). Der Gedanke, daß sich eine ablehnende Haltung des amerikanischen Staates gegenüber Gott stets negativ auf das Wohlergehen der Bevölkerung auswirkt, läßt sich – wie bereits ausgeführt – bis auf die Erweckungsbewegungen des 18. Jahrhunderts und die ersten Proklamationen von Bußtagen während des Revolutionskrieges und der Anfangsjahre der Republik zurückführen. 34 Zum „Moment of Silence“ ergingen instanzgerichtliche Urteile, die diesen als verfassungswidrig einstuften, weil eine religiöse Zielsetzung offenkundig sei. 35 Dieser Vorschlag des Theological Education Institute wurde noch nicht in die Praxis umgesetzt, dem Autor sind keine diesbezüglichen Urteile bekannt. 36 Lee v. Weisman, 112 S. Ct. 2649 (1992). 37 An dieser Stelle sei angemerkt, daß die Absolventen amerikanischer High Schools meist 17 oder 18 Jahre alt sind, und insofern nicht mehr so leicht beeinflußbar oder unter Druck zu setzen sein dürften wie die Schülerinnen und Schüler der Grundschulen und weiterführenden Schulen, die im Mittelpunkt der Entscheidungen Engel v. Vitale und Abington School District v. Schempp standen. 6*
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so der Vorschlag der vier Verfassungsrichter, daß die aktive Teilnahme am Gebet freigestellt sei. Diesem Gedanken zufolge könnten die Besucher der Feier nicht mehr unfreiwillige Teilnehmer einer religiösen Übung werden, sondern allenfalls zu unfreiwilligen Beobachtern38 einer solchen. III. Staatliche Schulen und religiöse Unterweisung Ein dem deutschen Religionsunterricht vergleichbares Unterrichtsfach wird an amerikanischen Schulen nicht angeboten. Die Establishment Clause verbietet die Förderung der Verbreitung einer Weltanschauung mit staatlichen Mitteln, demnach können nicht Lehrer dafür eingestellt werden, die Grundsätze einer Religion an Schüler zu vermitteln. Es würde überdies eine übermäßige Verwicklung von Staat und Kirche darstellen, die Lehrinhalte eines Faches mit einer Religionsgemeinschaft abzustimmen. Mithin würde ein dem deutschen Religionsunterricht vergleichbares Schulfach nach dem Everson / Lemon-Maßstab gegen das First Amendment verstoßen. Aus diesem Grund bieten viele amerikanische Kirchen zur Unterweisung in den Grundsätzen ihres jeweiligen Bekenntnisses einen sonntäglichen Religionsunterricht in ihren Gemeindehäusern an („Sunday School“). Außerdem gibt es Kooperationen zwischen Kirchen und öffentlichen Schulen, die allerdings schon mehrfach zum Gegenstand von Verfassungsbeschwerden geworden sind. 1. „Shared-Time“ Ein solches Kooperationsprogramm bestand in Champaign im Bundesstaat Illinois. Dort war es Religionslehrern, die von privaten Gruppen eingestellt und bezahlt wurden, gestattet, während der regulären Unterrichtszeit auf das Schulgelände zu kommen und dort einen dreißigminütigen Religionsunterricht anzubieten. Die Schüler konnten sich dafür entscheiden, an einem dieser angebotenen Religionsunterrichte teilzunehmen oder auf dem Schulgelände ihren regulären Verpflichtungen39 nachgehen. Das Schulsekretariat kontrollierte die Anwesenheit der Schü38 Daß die bloße Konfrontation mit der Religionsausübung Dritter in freiheitlichen Demokratien nicht beanstandet werden kann, begründen Heckel, VVDStL 26, 5, 29 und Maunz / Dürig / Herzog / Scholz-Herzog, Art. 4 Rn. 119 ff. damit, daß vom Staat das Einschreiten zugunsten einer antireligiösen Haltung nur soweit verlangt werden kann, wie man von ihm auch die Ermöglichung einer Religionsausübung erwarten könne. Dies bezieht sich zwar nicht auf staatlich initiierte Verhaltensweisen, wird aber dort relevant, wo etwa Redner auf einer Schulfeier aus privater Initiative ein Gebet sprechen möchten. Vgl. auch Von Campenhausen, Religionsfreiheit, S. 428: „Nicht der Staat, sondern der einzelne aufgesuchte Staatsbürger muß den ihm lästigen Missionar von der Tür weisen. Für fehlende persönliche Zivilcourage gibt es keinen staatlichen Ersatz.“ 39 Der Sachverhalt nennt diesbezüglich keine Details, hier ist wohl vor allem an das Anfertigen von Hausaufgaben oder die Beschäftigung mit Projekten aus anderen Unterrichts-
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ler bei der Veranstaltung ihrer Wahl. Gegen diese Kooperation wehrte sich eine Steuerzahlerin. Der Supreme Court gab ihrer Beschwerde statt.40 Das Gericht leitete eine Verfassungswidrigkeit des Programms daraus ab, daß die Räumlichkeiten der Schule für den Religionsunterricht zur Verfügung gestellt und die Anwesenheit der Schüler bei den weltanschaulichen Kursen durch das Schulsekretariat überwacht wurden. Damit würde das staatliche Schulsystem die religiöse Unterweisung unterstützen, was nicht nur eine Beteiligung an derselben bedeute, sondern auch die Verwendung öffentlicher Mittel für weltanschauliche Zwecke.41 In seinem abweichenden Votum beruft sich Verfassungsrichter Reed auf eine Stellungnahme Thomas Jeffersons zur Stellung der religiösen Unterweisung auf der von ihm gegründeten University of Virginia.42 Diese staatliche Hochschule war nicht konfessionell geprägt, was Jefferson den Vorwurf eingebracht hatte, er habe eine „godless institution“ errichtet. Dem hatte Jefferson entgegnet, daß zwar die Universität keine religiöse Unterweisung anbieten werde, daß er aber selbstverständlich davon ausgehe, daß die verschiedenen Religionsgemeinschaften auf dem Gelände der Universität oder in dessen Nähe entsprechende Angebote schaffen würden, so daß jeder Student in seinem jeweiligen Glauben geschult werde.43 Hieraus, so Reed, ließe sich folgern, daß eine Kooperation wie die in Champaign nach Ansicht des Gründervaters nicht mit dem Prinzip der Trennung von Staat und Kirche unvereinbar sein sollte.
fächern zu denken. Jedenfalls war es denjenigen, die nicht an einem Religionsunterricht teilnehmen wollten, nicht gestattet, das Schulgelände zu verlassen. 40 Illinois ex rel. McCollum v. Board of Education of School District No. 71, Champaign County, Illinois, 333 U.S. 203 (1948). 41 „The foregoing facts . . . show the use of tax-supported property for religious instruction and the close cooperation between the school authorities and the religious council in promoting religious education. The operation of the State’s compulsory education system thus assists and is integrated with the program of religious instruction carried on by separate religious sects.“ 42 Illinois ex rel. McCollum v. Board of Education of School District No. 71, Champaign County, Illinois, 333 U.S. 203 (1948) (Reed, J., dissenting). 43 Jeffersons Vorschlag wurde in die Grundordnung der Universität wie folgt aufgenommen: „Should the religious sects of this state, or any of them, according to the invitation held out to them, establish within, or adjacent to, the precincts of this University, schools for instruction in the religion of their sect, the students of the University will be free, and expected to attend religious worship at the establishment of their respective sects, in the morning, and in time to meet their school in the University at its stated hour.“ Regulations of the University of Virginia of October 4, 1824, Ch. II, § 1. Der Anregung Jeffersons entsprechend, siedelten sich mehrere Kirchen in der Nähe des „academic village“ an. Noch heute bestehen mehrere Kirchen und Studentengemeinden in unmittelbarer Nähe zu dem von Jefferson entworfenen Hauptgebäude der Universität.
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2. „Released-Time“ Infolge des Urteils zum Religionsunterricht in Champaign wurden Kooperationsprogramme dahingehend verändert, daß staatliche Ressourcen für die Durchführung der weltanschaulichen Unterweisung nicht mehr eingesetzt wurden. Insbesondere wurde der von privater Seite organisierte und finanzierte Unterricht nicht mehr auf dem Schulgelände abgehalten, und dadurch auch räumlich eine Trennung zwischen staatlichen und kirchlichen Angeboten hergestellt. Auch wurde die Anwesenheit der Schüler am Religionsunterricht nicht mehr durch die Schulsekretariate, sondern durch die kirchlichen Veranstalter kontrolliert. Ein solches Konzept wurde auch für die Stadt New York im gleichnamigen Bundesstaat erarbeitet. Dennoch klagten mehrere Steuerzahler gegen das Programm. Der Supreme Court beurteilte es aber als verfassungsgemäß.44 Das Gericht hielt es für erwiesen, daß keine staatlichen Einrichtungen bzw. Gelder für den weltanschaulichen Unterricht eingesetzt wurden, und auch kein Druck auf die Schüler hinsichtlich der Teilnahme oder Nichtteilnahme an dem Programm ausgeübt wurde. Der Staat dürfe der Religion nicht feindlich gegenüberstehen. Vielmehr müßten staatliche Einrichtungen die religiösen Bedürfnisse der Bürger respektieren. Überdies, so das von Verfassungsrichter Douglas verfaßte Urteil, sei das amerikanische Volk ein religiöses Volk, und die demokratischen Institutionen der USA gingen von der Existenz eines höheren Wesens aus.45 Deshalb sei es nicht zu beanstanden, daß der staatliche Unterricht in angemessener Weise unterbrochen werde, um dem Bedürfnis nach religiöser Erziehung oder zum Gottesdienst nachzukommen.46 An der Entscheidung kritisiert Justice Jackson in seinem abweichenden Votum,47 daß ein Anreiz für die Schüler zur Teilnahme an religiöser Unterweisung immerhin darin bestehe, daß sie andernfalls in der Schule verbleiben müssen. SeiZorach v. Clauson, 343 U.S. 306 (1952). „We are a people whose institutions presuppose a Supreme Being. We guarantee the freedom to worship as one chooses. We make room for as wide a variety of beliefs and creeds as the spiritual needs of man deem necessary. We sponsor an attitude on the part of the government that shows no partiality to any one group and that lets each flourish according to the zeal of its adherents and the appeal of its dogma. When the state encourages religious instruction or cooperates with religious authorities by adjusting the schedule of public events to sectarian needs, it follows the best of our traditions. For then it respects the religious nature of our people and accomodates the public service to their spiritual needs. To hold that it may not would be to find in the Constitution a requirement that the government show a callous indifference to religious groups. That would be preferring those who believe in no religion over those who do believe.“ 46 „The government . . . may not coerce anyone to attend church, to observe a religious holiday, or to take religious instruction. But it can close its doors or suspend its operations as to those who want to repair to their religious sanctuary for worship or instruction. No more than that is undertaken here.“ 47 Zorach v. Clauson, 343 U.S. 306 (1952) (Jackson, J., dissenting). 44 45
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ner Ansicht nach ist nur die Wahl zwischen religiösem Unterricht und freier Zeitgestaltung verfassungsrechtlich annehmbar: die Schule sei sonst nichts als ein Gefängnis auf Zeit für Schüler, die nicht zur Kirche gehen möchten.48 Diese Kritik macht zwar deutlich, daß keine volle Freiheit hinsichtlich der Zeitgestaltung für die Schüler vorgesehen ist. Sie dürfte aber insofern fehlgehen, als daß die Möglichkeit zum vorzeitigen Erledigen der Hausaufgaben den Schülern vielfach reizvoller erscheinen mag als der Kirchgang.
IV. Zusammenfassung Die Dispute um die Auslegung der Establishment Clause entstanden in der Nachkriegszeit oft aus Konflikten zwischen fundamentalistischen protestantischen Gruppen und separationistischen Bewegungen, die sich gegen jede Berührung von Kirche und Staat wenden. Wo aber (wie in weiteren Fällen geschehen) die Finanzierung eines Gebärdendolmetschers aus staatlichen Mitteln für den gehörlosen Schüler einer kirchlichen Schule als Gefahr für die Distanz des Staates von religiöser Doktrin betrachtet wird,49 oder wo die Zulässigkeit eines Abschlußballs als Risiko für die moralische Reinheit der Schüler bezeichnet wird,50 drängt sich dem Betrachter der Eindruck auf, daß hier der Wettbewerb zwischen den Weltanschauungen mit politischen und gerichtlichen Mitteln fortgesetzt werden soll. Der Judikative verbleibt die Aufgabe, die widerstreitenden Interessen jeweils anhand neutraler Kriterien zu einer praktikablen Konkordanz zu bringen. Der vor allem in den Entscheidungen Everson v. Board of Education und Lemon v. Kurtzman entwickelte Dreistufentest stellt darauf ab, ob der Maßnahme ein weltlicher Zweck zugrundeliegt, ob die Hauptwirkung der Maßnahme eine Förderung (oder Behinderung) von Religion darstellt und ob es zu einer übermäßigen Verwicklung staatlicher und kirchlicher Belange kommt. In den oft mit knapper Mehrheit gefällten Urteilen ist von entscheidender Bedeutung, wie die staatlichen Maßnahmen konkret ausgestaltet sind. So können zwar kirchliche Schulen als solche kei48 „But it [the school, T.F.] serves as a temporary jail for a pupil who will not go to church.“ 49 So die Schulbehörde in Zobrest v. Catalina Foothills School District, 113 S.Ct. 2462 (1993). 50 van Alstyne, First Amendment, S. 966, berichtet von einem Fall aus Missouri, in dem konservative Protestanten ein generelles Verbot schulischer Tanzveranstaltungen durchsetzten. Danach gefragt, ob die offenkundige religiöse Motivation für die Entscheidung der Schulbehörde nicht das Prinzip der Trennung von Staat und Kirche verletze, antwortete ein Mitglied des zuständigen Verwaltungsgremiums: „Sie sollten besser hoffen, daß es nie eine Trennung von Gott und Schule geben wird.“ Der Fall wurde vom Supreme Court nicht angehört, ein Urteil des Court of Appeals for the Eighth Circuit wurde damit rechtskräftig: die Richter waren der Ansicht, es liege ein weltlicher Zweck für das Gesetz vor, und die Entscheidung der Verwaltungsbehörde sei im Ergebnis nicht zu beanstanden. Clayton v. Place, 884 F.2d 376 (1989).
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nesfalls gefördert werden, andererseits dürfen ihre Schüler nicht von allgemeinen Förderprogrammen des Staates ausgenommen werden. Deshalb ist es im Ergebnis mit dem First Amendment vereinbar, Schülern einer kirchlichen Schule individuelle Geographieatlanten oder Deutschbücher zur Verfügung zu stellen. Verfassungswidrig hingegen ist es, einer religiös geprägten Schule für den kollektiven Gebrauch etwa großformatige Landkarten oder Nachschlagewerke anzubieten.51 Hinsichtlich einer weltanschaulichen Unterweisung in öffentlichen Schulen ist festzuhalten, daß ein dem deutschen Religionsunterricht vergleichbares Fach aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht angeboten werden darf. Auch Kooperationen, bei denen weltanschaulicher Unterricht zwar von privater Seite organisiert, aber unter Nutzung staatlicher Einrichtungen durchgeführt wird („Shared-TimePrograms“), verstoßen gegen das First Amendment.52 Es ist lediglich gestattet, bei der Gestaltung des Stundenplans auf religiöse Anliegen in der Form Rücksicht zu nehmen, daß Schülern die Teilnahme an privat organisierten Gottesdiensten oder Religionsunterrichten ermöglicht wird („Released-Time-Programs“).53
C. Der „Everson / Lemon-Test“ in anderen Konfliktbereichen Nicht nur aus dem Konfliktfeld der öffentlichen und kirchlichen Schulen sind Streitigkeiten erwachsen, die zu kontroversen richterlichen Entscheidungen führten. Auch die Identifikation des Staates mit religiösen Symbolen an öffentlichen Gebäuden oder die Parlamentsseelsorge waren Anlaß für Entscheidungen des Supreme Court, die oft nur mit knapper Mehrheit gefaßt wurden.
I. Staatlicher Festtagsschmuck In den Vereinigten Staaten ist es üblich, in der Vorweihnachtszeit private Grundstücke wie auch öffentliche Gebäude mit Lichtern zu schmücken. Ob aber staatliche Einrichtungen auch mit Symbolen versehen werden dürfen, die auf den religiösen Anlaß für die Festtage hinweisen, war mehrfach Gegenstand von Prozessen. Mit zwei Fällen beschäftigte sich sogar der Supreme Court.
51 Dieses Beispiel ist sinngemäß dem Urteil Wolman v. Walter, 433 U.S. 229 (1977) entnommen. 52 Illinois ex rel. McCollum v. Board of Education of School District No. 71, Champaign County, Illinois, 333 U.S. 203 (1948). Vgl. zu dem Kriterium, daß keine Veranstaltungen auf dem Schulgelände selbst stattfinden dürfen, neuerdings die Entscheidung Agostini v. Felton, die nachfolgend noch zu erörtern sein wird. 53 Zorach v. Clauson, 343 U.S. 306 (1952).
C. Der „Everson / Lemon-Test“ in anderen Konfliktbereichen
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1. Verfassungsgemäße Weihnachtskrippe In der Stadt Pawtucket im Bundesstaat Rhode Island wurde eine Miniaturkrippe, in der die Geburt Christi dargestellt wurde, in einem Park ausgestellt. Der Park gehörte einem gemeinnützigen Verein, die Stadt aber war Eigentümerin der Krippe und sorgte zudem für deren Aufstellung und Pflege. Neben der Krippe wurden auch ein Weihnachtsmann im Rentierschlitten und ein Weihnachtsbaum dargestellt. Die Gerichte erster und zweiter Instanz werteten das Verhalten der Stadt als unzulässige Identifikation mit dem christlichen Glauben. Der Supreme Court zog das Verfahren an sich und hob das Urteil auf.54 In dem mit fünf zu vier Stimmen ergangenen Urteil von Chief Justice Burger wird ausgeführt, daß bei aller Notwendigkeit für eine Trennung von Staat und Kirche eine gewisse Beziehung zwischen beiden unvermeidbar sei. Die Metapher von der Trennmauer sei insofern nicht treffend, als daß kein Bereich der Gesellschaft völlig isoliert von anderen sein könne. Die Verfassung gebiete nicht nur eine Tolerierung der Religion, sondern auch eine entgegenkommende Behandlung des Religiösen durch den Staat.55 Dies zeige sich auch darin, daß staatliche Einrichtungen in Amerika die Rolle der Religion stets anerkannt hätten. So seien schon früh Bußund Danktage proklamiert oder das Kapitol für Gottesdienste zur Verfügung gestellt worden. Insofern sei nicht zu beanstanden, daß eine religiöse Komponente in der szenischen Darstellung vorkomme. Andererseits dürfe die Motivation für die Aufstellung der Krippe nicht allein in religiösen Beweggründen liegen. In Anspielung auf den Lemon-Test stellt das Gericht fest, daß hier ein weltliches Anliegen verfolgt wurde, nämlich der Hinweis auf den Ursprung eines Feiertages. Insofern bestehe auch die Hauptwirkung nicht in einer Förderung von Religion. Dies ergebe sich daraus, daß die Krippe in ein Gesamtbild einbezogen wurde, in dem auch nichtchristliche Symbole vorkommen. Das von Verfassungsrichter Brennan verfaßte abweichende Votum wirft der Mehrheit des Gerichts vor, eine selektive Wahrnehmung der amerikanischen Verfassungsgeschichte zu haben. Die Krippe stelle eine Werbung für den christlichen Glauben dar, die vom Staat nicht gefördert werden dürfe. 2. Verfassungswidrige Weihnachtskrippe Mit der Verfassungsmäßigkeit des Aufstellens einer Krippe befaßte sich der Supreme Court erneut im Jahr 1989.56 Im Treppenhaus eines Gerichtsgebäudes in Pittsburgh wurde eine Krippe aus Privatbesitz aufgestellt, über der ein Engel mit Lynch, Mayor of Pawtucket v. Donelly, 465 U.S. 668 (1984). „Nor does the constitution require complete separation of church and state; it affirmatively mandates accomodation, not merely tolerance, of all religions, and forbids hostility towards any.“ 56 County of Allegheny v. American Civil Liberties Union, 492 U.S. 573 (1989). 54 55
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einem Banner schwebte, auf dem „Gloria in excelsis Deo“ zu lesen war. Vor dem Gerichtsgebäude befanden sich ein geschmückter Weihnachtsbaum, ein „sign saluting liberty“ und eine Menorah.57 Nach Ansicht der Mehrheit der Richter stellte diese Szenerie eine Identifikation des Staates mit der christlichen Religion dar. Durch die zentrale Positionierung der Krippe im Gerichtsgebäude entstehe der Eindruck, hier solle nicht nur auf den Anlaß für einen Feiertag hingewiesen, sondern für eine Religion geworben werden. Einem Nichtchristen könne der Eindruck vermittelt werden, ein Bürger zweiter Klasse zu sein („feel as a lesser part of society“). Die außerhalb des Gebäudes befindlichen Symbole würden diesen Gesamteindruck nicht mindern. Die drei abweichenden Voten enthalten graduell unterschiedliche Bewertungen darüber, ob durch die Krippe Religion in unzulässiger Weise gefördert werde. Dogmatisch bedeutsam erscheint allein die Kritik von Verfassungsrichter Kennedy, der darauf hinweist, daß die Rechtsprechung den Grad zwischen entgegenkommender Behandlung und unzulässiger Bevorteilung von Religion recht schmal geformt habe, und daß dies die Gerichte zunehmend in die Rolle des Zensors dränge.58 In der Tat lassen die einzelnen Voten der Richter die Annahme zu, daß in künftigen Urteilen noch näher festgelegt wird, wie groß eine Krippe sein darf, und von wie vielen Weihnachtsmännern oder Tannenbäumen sie umgeben sein muß, um nicht unbotmäßig christlich zu erscheinen.59 Die Verfahren zeugen auch davon, daß in den Vereinigten Staaten keineswegs ein gesellschaftlicher Konsens über den Gebrauch christlicher Symbole oder Werte besteht.
II. Parlamentsgeistliche In Anbetracht einer sogar in Detailfragen wie dem Festtagsschmuck öffentlicher Gebäude ausgedrückten Sorge um die Wahrung der religiösen Neutraliät des Staates erscheint die nachfolgend zu untersuchende Facette der amerikanischen Verfassungswirklichkeit umso erstaunlicher. Seit der Zeit des Revolutionskrieges werden Sitzungen der Legislative auf Bundes- wie Einzelstaatsebene regelmäßig mit einem Gebet eröffnet, und viele Parlamente beschäftigen eigene Seelsorger. Gegen eine entsprechende Praxis im Bundesstaat Nebraska wandte sich eine Verfassungs57 Die Menorah ist ein Leuchter, der als Symbol auf das jüdische Chanukah-Fest hinweisen sollte. 58 County of Allegheny v. American Civil Liberties Union, Kennedy, J., dissenting, 492 U.S. 573 (1989). 59 Hingegen setzt sich das Gericht nicht mit der Frage auseinander, ob durch die Nebeneinanderstellung christlicher und nichtchristlicher Symbole vielleicht fromme Menschen in ihrem Glauben gekränkt werden. Hier stellt sich das Problem, daß eine Christusdarstellung, die für den Nichtchristen annehmbar unauffällig ist, für einen Christen vielleicht schon eine Blasphemie darstellt. Entsprechende Verfassungsbeschwerden sind dem Verfasser aber nicht bekannt geworden.
C. Der „Everson / Lemon-Test“ in anderen Konfliktbereichen
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beschwerde im Jahr 1983.60 Ein Steuerzahler wandte sich an den Obersten Gerichtshof, der es in seinem Urteil (anders als die Gerichte erster und zweiter Instanz) für mit der Verfassung vereinbar hielt, daß in Nebraska Geistliche aus öffentlichen Mitteln für die Betreuung der Parlamentarier und für das Sprechen von Gebeten zu Beginn jedes Sitzungstages bezahlt werden. Die von Chief Justice Burger verfaßte Entscheidung stützt sich allein auf historische Argumente und läßt dabei den Everson / Lemon-Prüfungsmaßstab völlig außer Acht. Die Eröffnung von Parlamentssitzungen mit Gebet entspreche einer amerikanischen Tradition, die in der Kolonialzeit begründet und während der Revolutionskämpfe verfestigt wurde und seither neben den Prinzipien von Religionsfreiheit und staatlicher Neutralität bestanden habe. Die Mitglieder des ersten Kongresses hätten 1789 innerhalb von drei Tagen sowohl den Wortlaut der Bill of Rights beschlossen und auch einen Parlamentspfarrer gewählt, was verdeutliche, daß nach Auffassung der Verfassungsväter die Beschäftigung von Seelsorgern nicht gegen den Ersten Zusatzartikel verstieß. Es entspreche den Grundsätzen der Rechtsprechung, daß zwar einerseits nicht ein Verfassungsbruch durch Zeitablauf zum Verfassungsrecht werden könne, aber andererseits eine ungebrochene Tradition bei der Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit nicht leichtfertig ignoriert werden dürfe.61 Deshalb sei die Eröffnung der Sitzungen mit Gebet so wenig zu beanstanden wie die Anstellung eines Geistlichen. Vorliegend bestünden auch keine Hinweise darauf, daß der Parlamentspfarrer von Nebraska in seiner Arbeit ein bestimmtes religiöses Bekenntnis in den Vordergrund gerückt hätte. Ein Verfassungsbruch sei daher nicht festzustellen. Die Verfassungsrichter Brennan und Marshall kritisieren in ihrem abweichenden Votum nicht nur das Ergebnis der Entscheidung, sondern auch die Methodik der Verfassungsauslegung. Unter Berufung auf die in Lemon v. Kurtzman62 formulierten Grundsätze zur Bedeutung der Establishment Clause legen sie dar, daß die Gebete einem nahezu ausschließlich religiösen Zweck dienen, Religiosität gegenüber Areligiosität bevorzugen und den Staat in unzulässiger Weise in weltanschauliche Fragen verwickeln. Die Gewissensfreiheit nichtchristlicher Abgeordneter würde verletzt, der Staat verwickle sich in theologische Angelegenheiten,63 und die Religion würde zum Instrument der Herstellung von Ruhe im Parlamentsraum degradiert. Der Verfassungsgeschichte dürfe man keinen unantastbaren Rang zuerkennen, am Beispiel der Rassentrennung zeige sich die Fehlbarkeit der VerfassungsväMarsh v. Chambers, 463 U.S. 783 (1983). Hierzu vgl. grundlegend Walz v. Tax Commission, 397 U.S. 664, 678 (1970). 62 Lemon v. Kurtzman, 403 U.S. 602 (1971). 63 In Fußnote 10 ihres Votums beschreiben die Verfassungsrichter Brennan und Marshall Beispiele von Kontroversen um das parlamentarische Gebet. So verließen vor dem Gebet eines Hinduisten mehrere Abgeordnete den Saal des Parlamentes von Oregon. Und auf den Antrag eines Abgeordneten des kalifornischen Senates, durch den der Parlamentspfarrer vom Gebrauch des Wortes „Christus“ abgehalten werden sollte, folgte eine wüste Beschimpfung durch einen Ortspfarrer, der Antragsteller sei ein gottloser Mensch. 60 61
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4. Kap.: Die Establishment Clause in der Nachkriegszeit
ter: „The Constitution is not a static document whose meaning on every detail is fixed for all time by the life experience of the Framers.“64 III. Militärseelsorge Nicht nur die Anstellung von Parlamentsgeistlichen gehört zu den traditionellen Durchbrechungen der „Trennmauer“ zwischen Staat und Kirche. Seit den Revolutionskriegen begleiten Pfarrer auch die amerikanischen Truppen. Entsprechend sind heute Militärseelsorger in den Streitkräften der Vereinigten Staaten beschäftigt. Sie sind nicht Angestellte der Kirchen, sondern unterstehen dienstrechtlich allein dem Staat.65 Allerdings besteht eine getrennte Verwaltungsstruktur für den Einsatz der Geistlichen, die auch gewährleisten soll, daß für die Soldaten Repräsentanten verschiedener Religionen und Konfessionen in angemessener Weise erreichbar sind. Dabei orientiert sich der Anteil der Geistlichen einer bestimmten Glaubensrichtung an dem Prozentsatz, mit dem das jeweilige Bekenntnis in der Bevölkerung vertreten ist.66 Die verfassungsrechtliche Beurteilung der Militärseelsorge muß sich an den Maßstäben des Urteils Marsh v. Chambers67 orientieren, in dem die Mehrheit der Verfassungsrichter die ungebrochene Tradition für ausschlaggebend erachtete. Bei seinen Aufenthalten in den Vereinigten Staaten ergab sich für den Verfasser zudem der Eindruck, daß der Sinn der Sicherstellung eines geistlichen Beistandes für die Angehörigen der Truppe politisch nicht angezweifelt wird und die Militärseelsorge gesellschaftlich völlig akzeptiert ist.68
D. Zusammenfassung Außerhalb des Konfliktfeldes der Schulen wächst die Akzeptanz für eine wohlwollende Haltung des Staates gegenüber der Religion. Marsh v. Chambers, Brennan and Marshall, JJ., dissenting, 463 U.S. 783 (1983). An diesem Beispiel zeigt sich, daß das amerikanische System keineswegs immer eine strengere Trennung von Staat und Kirche verlangt als die deutsche Verfassung. Vielmehr zeigt das Funktionieren der Militärseelsorge in den Vereinigten Staaten auch Perspektiven auf für die Diskussion um die Militärseelsorge in Deutschland, die vor allem auf Betreiben der ostdeutschen Gliedkirchen der EKD in Gang gesetzt wurde. Wenn in einem ethnisch und religiös so pluralistischen Staat wie den USA, in dem die Trennung von Staat und Kirche zudem in der politischen Diskussion so gegenwärtig ist, ein System funktionieren kann, in dem Militärpfarrer vom Staat angestellt werden, so sollte dies trotz aller Reminiszenzen an die NVA und ihren Umgang mit Religion eine Lösbarkeit der Problematik für das vereinte Deutschland aufzeigen. 66 Stokes / Pfeffer, Church and State, S. 473. 67 Marsh v. Chambers, 463 U.S. 783 (1983). 68 Auch Stokes / Pfeffer, Church and State, S. 471 nennen lediglich einige Appelle pazifistischer Gruppierungen, die auf eine Entflechtung von Religion und Militär abzielten. 64 65
D. Zusammenfassung
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So ist die Dekoration öffentlicher Gebäude mit religiösen Symbolen zulässig, solange damit an den Anlaß eines Feiertages erinnert wird und nicht der Eindruck entsteht, der Staat identifiziere sich mit einer bestimmten Weltanschauung. Hinsichtlich der Parlaments- und Militärseelsorge wird der von den Verfassungsvätern begründeten Tradition hohes Gewicht beigemessen. Überdies darf berücksichtigt werden, daß schulpflichtige Kinder durch das Abhalten von Gebeten leichter beinflußbar sind als Parlamentarier oder Soldaten. Jedenfalls zeigt sich, daß eine vollständige Trennung von Staat und Kirche in einem Land, dessen Bevölkerung vielfach religiös geprägt ist, praktisch kaum durchzuhalten ist. Schon der Respekt vor den Verfassungstraditionen, die eine einheitsstiftende Wirkung in dem „Flickenteppich“ der amerikanischen Bevölkerung entfalten können, erfordert gewisse religiöse Bezüge. So lautet das Motto der Vereinigten Staaten seit dem Bürgerkrieg „In God We Trust“,69 und im Fahneneid („Pledge of Allegiance“)70 werden die USA seit 1954 als „one nation under God“ bezeichnet.71
Vor dem Bürgerkrieg lautete es „E Pluribus Unum“. „I pledge allegiance to the flag of the United States of America, and to the republic for which it stands, one nation under God, indivisible, with liberty and justice for all.“ Dieser Schwur wird bei öffentlichen Anlässen und in den Schulen regelmäßig gesprochen. 71 Diese auf Francis Bellamy zurückgehende und 1954 in den Fahneneid eingefügte Formel wurde jüngst als Verstoß gegen die staatliche Neutraltiätspflicht angegriffen von dem Vater einer Schülerin, die den Fahneneid der von ihr besuchten staatlichen Schule regelmäßig rezitieren sollte. Die Klage wurde vom Supreme Court jedoch im Juni 2004 als unzulässig abgewiesen, da der Vater an Schultagen nicht das Sorgerecht für seine Tochter hatte, siehe Elk Grove Unified School District v. Newdow, einsehbar derzeit unter http://www.supremecourtus.gov. Die Frage, ob es sich bei der Formulierung um ein Bekenntnis handle, oder um eine durch die Tradition gerechtfertigte patriotische Übung ohne unzulässigen religiösen Gehalt, bleibt ungeklärt. Jedenfalls kann die Formulierung (anders als etwa die Institution der Militärgeistlichen) nicht das Argument der ununterbrochenen Verfassungstradition für sich in Anspruch nehmen, da die Worte „under God“ erst 1954 eingefügt wurden. 69 70
5. Kapitel
Die Religionsfreiheit zu Beginn des 21. Jahrhunderts A. Die Neuinterpretation der Free Exercise Clause Seit dem Inkrafttreten des Ersten Zusatzartikels hatte der Supreme Court in seiner Rechtsprechung der Religionsfreiheit eine zunehmende Bedeutung beigemessen. Hatte das Gericht noch 1878 geurteilt, der Staat sei frei, Konsequenzen an religiös motiviertes Handeln zu knüpfen („Congress was deprived of all legislative power over mere opinion, but was left free to reach actions . . .“)1, so forderte er im Jahr 1940, daß eine die Religionsfreiheit einschränkende Maßnahme der Abwehr einer eindeutigen und gegenwärtigen Gefahr für ein wesentliches Interesse des Staates dienen müsse.2 Nach dem Zweiten Weltkrieg verschärfte der Supreme Court die Voraussetzungen für eine Rechtfertigung von Eingriffen in die Religionsfreiheit weiter. Nur noch zwingende öffentliche Interessen können seither in einer Güterabwägung dem Freiheitsrecht entgegengesetzt werden, und dies nur dann, wenn sich die dem öffentlichen Zweck dienende Maßnahme als das mildeste Mittel darstellt. Wie das Urteil Wisconsin v. Yoder zeigt, sind dabei die Gefahren für die Religionsausübung einerseits und das öffentliche Rechtsgut andererseits konkret auf den Einzelfall bezogen abzuwägen.3 Der „compelling interest test“ führte mithin zu einem verbesserten Schutz der Religionsfreiheit. Wie aber die Entscheidungen Goldman v. Weinberger und Lyng v. Northwest Indian Cemetery Protective Association zeigen, maß der Supreme Court den Interessen des Staates bei der Anwendung dieses Prüfungsmaßstabes ein erhebliches Gewicht bei. Diese beiden Entscheidungen aus den Jahren 1986 und 1988 sind die Vorboten einer Änderung der Rechtsprechung zur Religionsfreiheit am Ende des 20. Jahrhunderts.4
Reynolds v. United States, 98 U.S. 145 (1878). Cantwell v. Connecticut, 310 U.S. 296 (1940). 3 Wisconsin v. Yoder, 406 U.S. 205 (1972). 4 Vgl. Employment Division, Department of Human Resources of Oregon v. Smith, 494 U.S. 872 (1990). 1 2
A. Die Neuinterpretation der Free Exercise Clause
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I. Vorbehalt der allgemeinen Gesetze nach Smith Im Jahr 1990 hatte der Supreme Court einen Fall zu entscheiden, in dem es um die Frage ging, ob der normalerweise gegen das Betäubungsmittelrecht verstoßende Gebrauch der Droge Peyote durch die Religionsfreiheit gerechtfertigt sein könne. Angehörige eines indianischen Stammes verwandten das Rauschmittel seit Generationen in einer religiösen Zeremonie. Die drogenhaltige Pflanze wird in der sakramentalen Feier der nordamerikanischen Ureinwohner als Verkörperung einer Gottheit betrachtet und als Ausdruck von Verehrung und Zugehörigkeit zu dieser Gottheit verzehrt.5 Ein Angehöriger eines Indianerstammes in Oregon hatte Peyote im Rahmen solcher Zeremonien konsumiert und daraufhin seine Arbeitsstelle verloren.6 Gegen die Entscheidung des Staates Oregon, ihm wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelrecht die Zahlung von Arbeitslosengeld zu verweigern, ging der Betroffene mit der Begründung vor, die Anwendung des Strafgesetzes verletze ihn in seiner Religionsfreiheit. In dem mit knapper Mehrheit gefällten Urteil7 führt der Oberste Gerichtshof aus, daß die Religionsfreiheit keinen Bürger der Verpflichtung entheben könne, sich an die allgemeinen Gesetze zu halten. Diese Verpflichtung könne nicht von der Religion des Einzelnen abhängig gemacht werden, da sonst ein individuelles Recht zur Nichtachtung geltenden Rechts anerkannt würde.8 Keine Gesellschaft könne sich den Luxus leisten, jedwede staatliche Regelung, die nicht einem zwingenden staatlichen Interesse dient, gegenüber einer religiösen Minderheit für unanwendbar zu halten. Allein der Versuch bedeute das Heraufbeschwören von Anarchie.9 Unter Verweis auf den Fall Reynolds von 1878 fügt das Urteil hinzu, kein Bürger könne seine eigenen Gesetze machen.10 Dies entspreche auch der ständigen Recht5 Die Beschreibung des Rituals weist Parallelen zur christlichen Abendmahlsfeier auf. Sie stammt aus dem Minderheitenvotum des Verfassungsrichters Blackmun zu Employment Division, Department of Human Resources of Oregon v. Smith, 494 U.S. 872 (1990). 6 Zum religiös motivierten Anbau und Konsum von Drogen in Deutschland vgl. BVerwG NJW 2001, 1365. 7 Die Majority Opinion wurde von Justice Scalia verfaßt und von den Verfassungsrichtern Rehnquist, White, Stevens, und Kennedy mitgetragen. Justice O’Connor schloß sich der Urteilsformel an, distanziert sich in ihrer Concurring Opinion aber scharf von den Entscheidungsgründen. Justice Blackmun verfaßte ein abweichendes Votum, dem sich die Verfassungsrichter Brennan und Marshall anschlossen. 8 Ähnlich äußert sich zur Rechtslage in Deutschland Müller-Volbehr, JuS 1997, 223. Kritisch dazu Funke, JuS 1997, 1149. 9 „Any society adopting such a system would be courting anarchy, but that danger increases in direct proportion to the society’s diversity of religious beliefs, and its determination to coerce or suppress none of them. . . . We cannot afford the luxury of deeming presumptively invalid, as applied to the religious objector, every regulation of conduct that does not protect an interest of the highest order.“ Employment Division, Department of Human Resources of Oregon v. Smith, 494 U.S. 872 (1990). 10 Reynolds v. United States, 98 U.S. 145, 167 (1878).
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5. Kap.: Die Religionsfreiheit zu Beginn des 21. Jahrhunderts
sprechung des Gerichts. Eine Ausnahme sei im Fall Sherbert nur für den Bereich der Arbeitslosenunterstützung anerkannt worden. Und die Yoder-Rechtsprechung beruhe allein darauf, daß neben der Religionsfreiheit noch ein zweites Grundrecht betroffen gewesen sei.11 Außerhalb dieser Bereiche sei der Schutz der Religionsausübungsfreiheit dem „politischen Prozeß“ unterworfen, also Mehrheitsentscheidungen zugänglich. In ihrem Sondervotum kritisiert Justice O’Connor, daß nach Ansicht der Mehrheit der Verfassungsrichter ein Gesetz schon dann nicht gegen die Religionsfreiheit verstoße, wenn es allgemein ist, sich also nicht gezielt gegen bestimmte Weltanschauungen richtet. Dieses Erfordernis sei durch eine allgemeine Formulierung der staatlichen Bestimmung leicht zu umgehen.12 Daher sei an den Grundsätzen der auf das Yoder-Urteil zurückgehenden Rechtsprechung festzuhalten. Der Schutz der Religionsfreiheit könne nicht Gegenstand des politischen Prozesses sein, da es sich eben um ein Minderheitengrundrecht handle. Vorliegend sei ein Abweichen vom Compelling-Interest-Test zum Erreichen des Ergebnisses auch gar nicht erforderlich, weil der Kampf gegen den Drogenkonsum und die Begleitkriminalität ein hinreichendes staatliches Interesse darstelle, das die Einschränkung der Religionsausübungsfreiheit rechtfertige. Die abweichende Meinung des Verfassungsrichters Blackmun fordert ebenfalls das Festhalten am Compelling-Interest-Test. Jedoch besteht seines Erachtens im vorliegenden Fall keine Gefahr für öffentliche Interessen, die eine Beschränkung der Religionsfreiheit begründen könne. Der auf das religiöse Zeremoniell beschränkte Gebrauch von Peyote sei ungefährlich und einfach abzugrenzen von anderem Drogenkonsum und -handel. Daher sei bei einer konkreten Güterabwägung zugunsten der nordamerikanischen Ureinwohner zu entscheiden.
II. Keine versteckte Diskriminierung durch Einzelfallgesetze Die Entscheidung im Fall Smith reduziert den Schutz für religiös motiviertes Verhalten erheblich. Wie massiv eine religiöse Diskriminierung nunmehr sein muß, um nach der neuen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes eine Verletzung des First Amendment darzustellen, zeigt ein Fall aus dem Jahr 1993.13 In der Stadt Hialeah in Florida wollten Anhänger der Santeria-Religion ein Gemeindehaus errichten. Die Rituale dieser aus afrikanischen und katholischen Elementen bestehenden Religion beinhalten Tieropfer, deren Durchführung gegen die städtische Schlachtsatzung verstieß. Dieses Regelwerk war erst erlassen worden im Hinblick auf die angekündigte Niederlassung der Santeria-Gemeinde. Der 11 Im Fall Wisconsin v. Yoder, 406 U.S. 205 (1972), war auch die Erziehungsfreiheit betroffen. 12 Vgl. Eisgruber / Sager, 1997 Sup. Ct. Rev. 79, 130; Epps, 30 Ariz.St.L.J. 563, 580. 13 Church of the Lukumi Babalu Aye, Inc. v. City of Hialeah, 113 S. Ct. 217 (1993).
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Stadtrat hatte in einer Sondersitzung getagt und erklärt, sich für ein Verbot aller Handlungen religiöser Gruppen einsetzen zu wollen, die unvereinbar seien mit „öffentlicher Sitte, Frieden oder Sicherheit“. Anschließend war die Schlachtsatzung erlassen worden, die das Töten von Tieren außerhalb der Schlachthäuser – mit Ausnahme jüdischen Schächtens – und vor allem das rituelle Opfern von Tieren verbot. Der Supreme Court stellte fest, daß es das vorrangige Ziel des Stadtrates gewesen sei, das Praktizieren der Santeria-Religion in der Stadt unmöglich zu machen. Zahlreiche im Sitzungsprotokoll festgehaltene Äußerungen machten dies ebenso konkret deutlich wie der Wortlaut des Regelwerkes, der Santeria-Rituale faktisch verbot, aber großzügige Ausnahmen etwa für das Schächten in Synagogengemeinden beinhaltete. Daher handle es sich nicht um eine allgemeine Norm, sondern um eine gegen eine bestimmte Minderheit gerichtete Einzelfallregelung. Mithin verstoße die kommunale Satzung gegen das First Amendment. Das Hialeah-Urteil zeigt zwar, daß auch nach Smith noch ein Anwendungsbereich für die Religionsfreiheit verbleibt. Sie gibt aber auch ein Beispiel dafür, daß Minderheitenschutz im politischen Prozess nicht immer hinreichend beachtet wird. Die Diskriminierung der Santerias wurde nicht einmal notdürftig kaschiert (was, wie Justice O’Connor in ihrem Sondervotum zu Smith andeutet, durchaus möglich gewesen wäre). Die politische Mehrheit fühlte sich durch die neue Rechtsprechung des Supreme Court regelrecht ermutigt, über die religiösen Bedürfnisse der betroffenen Minderheit hinwegzugehen, ohne eine Güterabwägung vorzunehmen.14 Die Befürchtung, daß es sich dabei nicht um einen Einzelfall handelt, muß auch deshalb zugelassen werden, weil die Mitglieder gesetzgebender Gremien ihre Wähler überwiegend in den Reihen weltanschaulicher Mehrheiten suchen. Insbesondere im Süden der Vereinigten Staaten ist es bislang nicht selten, daß Lokalpolitiker ihre Popularität zu fördern versuchen, indem sie Maßstäbe der Mehrheitsreligion unmittelbar auf die Politik anzuwenden versuchen, und dabei Minderheiteninteressen übergehen.15 Insofern erscheint „der politische Prozeß“ keinesfalls als hinreichender Garant für den Schutz der Religionsfreiheit.
III. Kritische Stellungnahme zur Neuinterpretation Das von Verfassungsrichter Antonin Scalia verfaßte Smith-Urteil des Supreme Court ist vielfältiger Kritik ausgesetzt. So verkennt der Ansatz von Justice Scalia, nach dem die Religionsfreiheit weitgehend dem politischen Prozess ausgesetzt und damit Mehrheitsentscheidungen unterworfen ist, den Charakter der ReligionsfreiEisgruber / Sager, 1997 Sup. Ct. Rev. 79, 130; Epps, 30 Ariz.St.L.J. 563, 580. So stellte im Fall Church of the Lukumi Babalu Aye, Inc. v. City of Hialeah, 113 S.Ct. 217 (1993) einer der Ratsherren während der fraglichen Ratssitzung unter dem Jubel der anwesenden Öffentlichkeit fest, die Bibel erlaube solche Riten nicht. 14 15
7 Funke
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5. Kap.: Die Religionsfreiheit zu Beginn des 21. Jahrhunderts
heit als Individual- und Minderheitengrundrecht.16 Insofern steht die Urteilsbegründung auch im Widerspruch zu der Ansicht Thomas Jeffersons, nach der die Religion der staatlichen Gewalt gerade nicht unterworfen sein sollte („independent of the powers of government“).17 Die Begründung Scalias, eine heterogene Gesellschaft wie die der USA könne einen höheren Schutzmaßstab nicht anlegen, da ansonsten eine Überlastung der Gerichte durch eine „Parade der Schrecklichkeiten“ (Scalia) zu befürchten sei, ist unter rechtsstaatlichen Aspekten untragbar. Der Rang eines Grundrechtes kann nicht von der Arbeitslast der Richterschaft abhängig gemacht werden, zudem erscheint die These von einer überschwappenden Prozeßwelle18 zweifelhaft in Anbetracht der zwar erheblichen, aber doch überschaubaren Anzahl von Entscheidungen vor Smith.19 Der Argumentation von Justice Scalia zufolge müßten Richter untätig bleiben, wenn eine demokratische Mehrheit in einem allgemeinen Gesetz den Konsum von Wein verbieten und damit die Feier eines christlichen Abendmahls unter Strafe stellen würde.20 Weiterhin erscheint der Versuch mißlungen, Smith als in Einklang mit der Sherbert-Entscheidung stehend darzustellen. Die Begründung Scalias, mit der bisherigen Rechtsprechung werde nicht gebrochen, da der Compelling-Interest-Test seit jeher nur auf Fälle aus dem Bereich der Arbeitslosenunterstützung zu beziehen gewesen sei, entbehrt jeder Grundlage. Eine Beschränkung der Anwendung dieses Prüfungsmaßstabes auf einen bestimmten Bereich ist weder dem Urteil zu Sherbert noch den nachfolgenden Entscheidungen zu entnehmen.21 Auch ist kein Grund ersichtlich, weshalb bei der Gewähr von staatlichen Geldleistungen ein für den Bürger günstigerer Maßstab anzulegen sein sollte als bei einem schlichten Verbot des religiös geprägten Verhaltens. Dies gilt umso mehr, als daß ein Verbot zumeist einschneidender wirken dürfte als das Versagen von Geldzahlungen. Ebenso schlägt der Versuch fehl, Smith als in Einklang mit Yoder darzustellen. Die Erklärung, der Compelling-Interest-Test sei in Yoder nur angewandt worden, Laycock, 1990 Sup. Ct. Rev. 1, 68. Zitiert nach Epps, 30 Ariz.St.L.J. 563, 571. Vgl. Noonan, 84 Va.L.Rev. 459, 461. 18 Hierzu vgl. Eisgruber / Sager, 1997 Sup. Ct. Rev. 79, 102. 19 Auch sei der Hinweis erlaubt, daß in anderen Staaten wie der Bundesrepublik Deutschland, mögen sie auch nicht so weltanschaulich heterogen sein wie die USA, ein dem Compelling-Interest-Test vergleichbar hoher Standard nicht zu einer Überlastung der Gerichte geführt hat. 20 Vgl. Laycock / Thomas, 73 Tex.L.Rev. 209, 216. 21 Die Fälle aus dem Bereich der Arbeitslosenunterstützung, in denen die Grundsätze des Sherbert-Urteils bestätigt wurden, sind Thomas v. Review Bd. of the Indiana Empl. Sec. Division, 450 U.S. 707 (1981), Hobbie v. Unemployment Appeals Commission of Florida, 480 U.S. 136 (1987), Frazee v. Illinois Dept. of Empl. Sec., 489 U.S. 829 (1989). In den Entscheidungen Goldman v. Weinberger, 475 U.S. 503 (1986), und Lyng v. Northwest Indian Cemetery Protective Association, 485 U.S. 439 (1988), die nicht im Zusammenhang mit Arbeitslosenunterstützung stehen, wurde der Compelling-Interest-Test zwar nicht ausdrücklich als solcher benannt, aber in seinen Prüfungsschritten angewandt, vgl. Laycock / Thomas, 73 Tex.L.Rev. 209, 227. 16 17
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weil dort ein zweites Grundrecht betroffen war,22 ist denklogisch kaum zu halten. Denn der Schutzbereich der Religionsfreiheit kann nicht davon abhängen, ob im Einzelfall ein zweites Grundrecht betroffen ist: eine staatliche Maßnahme kann nicht deshalb eine Verletzung der Religionsfreiheit darstellen, weil sie ein weiteres Grundrecht verletzt.23 Auch würde die Forderung Scalias nach einem zweiten betroffenen Grundrecht religiöse Rituale als solche praktisch ungeschützt lassen,24 was umso widersinniger erscheint, als daß der Verfassungswortlaut eben von der „free exercise of religion“ spricht. Vor allem aber verkennt das Urteil mit der Begründung, daß sich jeder an die allgemeinen Gesetze halten müsse, weil sonst jeder zu seinem eigenen Gesetz würde,25 die Beweggründe für religiöses Verhalten. Dieses wurzelt eben nicht in einer persönlichen Präferenz, vergleichbar einer politischen Ansicht, sondern zumeist in der Überzeugung, durch eine göttliche Ordnung gebunden zu sein.26 Der Betroffene stellt gerade keine eigenen Regeln auf, er wird nicht zu seinem „eigenen Gesetz“ (Scalia), vielmehr will er Gebote befolgen, von denen er überzeugt ist, daß sie von einer Instanz außerhalb seiner selbst gesetzt wurden. Für einen Glaubenden, der sich durch ein Gebot seines Gottes gebunden fühlt, kann das Befolgen einer widerstreitenden weltlichen Norm unmöglich sein, oder doch zumindest sein Seelenheil gefährden. Justice Scalia würdigt das innere Dilemma des Betroffenen, eines von zwei entgegengesetzten Geboten brechen zu müssen, nicht hinreichend. Ohne eine nähere Güterabwägung vorzunehmen, überläßt er dem Menschen die Wahl zwischen „weltlichen“ und „ewigen“ Konsequenzen. Die Berücksichtigung dieses Konfliktes durch den Staat bedeutet aber – entgegen Scalia – weniger das Heraufbeschwören von Anarchie als vielmehr eine souveräne Anerkennung der Tatsache, daß der betroffene Mensch gleichzeitig seinem Gott und seiner Regierung untertan ist,27 also sowohl ein Bürger seines Staates als auch ein Anhänger einer himmlischen Ordnung.28 Hieraus resultierende Konflikte im Rahmen von Güterabwägungen besonders zu respektieren und Minderheiten zu schützen gebührt dem demokratischen Staat, der im antitotalitären Bekenntnis zur Dieser Ansatz wird als „hybridization of fundamental rights“ bezeichnet. Vgl. Kissinger v. Board of Trustees, Ohio State University, 5 F.3d 177, 180 (6th Cir, 1993). 24 Epps, 30 Ariz.St.L.J. 563, 580. 25 Mit der Formulierung „to become a law upon himself“ bezieht sich das Urteil auf die Entscheidung Reynolds v. United States, 98 U.S. 145 (1878). 26 Vgl. Swanner v. Anchorage Equal Rights Commission, 874 P2d 274, 291 (1994). 27 Zur Zwei-Reiche-Lehre Martin Luthers siehe Luther WA XI, 245 ff. 28 In diesem Sinne schon die Virginia Bill of Rights von 1776: „That religion, or the duty which we owe to our Creator, and the manner of discharging it, can be directed only by reason and conviction, not by force and violence; . . .“ Text abgedruckt bei Commager, Documents of American History, S. 1103 f. Vgl. auch Noonan, 84 Va.L.Rev. 459, 461, der Madison zitiert mit den Worten, die freie Ausübung der Religion sei eine „Pflicht gegenüber dem Schöpfer“. 22 23
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Relativität seiner Macht anerkennt, daß letztlich weder der einzelne Mensch noch der Staat bezüglich der Bedingungen seiner Existenz souverän ist.29
B. Der Religious Freedom Restoration Act von 1993 Infolge der Smith-Entscheidung ergingen mehrere Urteile, in denen die Rechte religiöser Minderheiten beschnitten wurden. So wurden Autopsien entgegen den Überzeugungen der Hinterbliebenen angeordnet,30 und Strafgefangenen wurde sogar der Besitz von Rosenkränzen untersagt.31 Doch nicht nur Minderheiten wandten sich gegen den „gottlosen Gerichtshof“. Ein breit gefächerter Verbund aus unterschiedlichen religiösen Gruppen setzte sich für die Wiedereinführung des Compelling-Interest-Tests ein.32 Eine Einflußnahme von Regierung oder Kongreß auf die Verfassungsrichter mit dem Ziel, diese zu einer Rückkehr zu den Grundsätzen ihrer bisherigen Rechtsprechung zu bewegen, würde nach amerikanischem Recht gegen die Gewaltenteilung, insbesondere gegen den Grundsatz der Unabhängigkeit der Gerichte, verstoßen. Auch war nicht zu erwarten, daß der Supreme Court aus freien Stücken von der Smith-Doktrin abkehren würde. Die Richter sind auf Lebenszeit ernannt, und mehrere Verfechter der Entscheidung innerhalb des Gerichts gehören zu den jüngeren Richtern, so daß eine erneute Kehrtwende in der Rechtsprechung in absehbarer Zeit nicht zu erwarten war. Rechtlich möglich hingegen wäre das Festschreiben des Compelling-InterestTest in der Unionsverfassung. Eine solche Änderung des Verfassungstextes würde der Verfassungsrechtsprechung den Boden entziehen. Dabei entspricht es der amerikanischen Verfassungstradition, nicht den Text der Verfassungsväter unmittelbar zu verändern, sondern diesen durch Anhänge zu modifizieren. Eine Verfassungsänderung bedarf jedoch nach Artikel V der Unionsverfassung nicht nur einer Mehrheit von mindestens zwei Dritteln in beiden Häusern des Kongresses, sondern auch der Ratifikation durch wenigstens drei Viertel der Einzelstaaten. Deshalb sind Verfassungsänderungen in den USA langwierig, nur wenige der eingebrachten Amendments sind je in Kraft getreten.33 Diese Erfordernisse bieten einen hohen Bestandsschutz für die älteste noch in Kraft befindliche demokratische Verfassung der Welt. Sie bedeuten aber auch einen Mangel an Flexibilität, der den Weg der Verfassungsänderung zur Korrektur der Rechtsprechung durch die Legislative als meist unpraktikabel erscheinen läßt. von Mangoldt / Klein / Starck-Starck, Präambel Rn. 25 f. Yang v. Sturner, 750 F.Supp. 558, 560 (D.R.I. 1990). 31 Friend v. Kolodzieczak, 923 F.2d 126, 128 (9th Cir. 1991). 32 Eine Liste aller unterstützenden Organisationen ist abgedruckt bei Laycock / Thomas, 73 Tex.L.Rev. 209, 210. 33 Vgl. Braunstein, 66 Fordham L.Rev. 2333, 2369. 29 30
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Jedoch besteht weiterhin die Möglichkeit, die Rechtslage durch ein Parlamentsgesetz unterhalb der Verfassungsebene zu verändern. Mit dem Ziel, die Gerichtsentscheidung durch Gesetzgebung zu „revidieren“, oder zumindest ihre Auswirkungen durch Änderung der materiellen Rechtslage zu beschränken, erließ der Kongreß im Jahr 1993 nahezu einstimmig den „Religious Freedom Restoration Act“ (RFRA). Dieser stellt keine Änderung des First Amendment dar, sondern soll den bisherigen Grundrechtsstandard in einfachgesetzlicher Form festschreiben.
I. Die Zielsetzung des Religious Freedom Restoration Act (RFRA) In § 2 (a) (4) bezieht sich das Gesetz ausdrücklich auf das Smith-Urteil als faktische Beseitigung jedes Rechtfertigungserfordernisses für Eingriffe in die Religionsausübungsfreiheit. Zur Wiederherstellung des Schutzstandards soll der „compelling interest test as set forth in Sherbert . . . and Yoder“ (§ 2 (b) (1) RFRA) nunmehr durch Gesetz festgeschrieben werden. Entsprechend legt § 3 RFRA fest, daß der Staat die Religionsausübungsfreiheit nicht wesentlich beeinträchtigen darf, auch nicht indirekt durch eine allgemeine Norm,34 außer in Fällen, in denen ein zwingendes öffentliches Interesse35 besteht und die Maßnahme die am wenigsten einschneidende36 ist. Der Wortlaut des Gesetzes übernimmt die Kernformulierungen der SherbertEntscheidung,37 was auf die Zielsetzung des Kongresses schließen läßt, den Compelling-Interest-Test als Rechtfertigungsschwelle für Eingriffe in die Religionsfreiheit festzuschreiben. Formal ergibt sich das Grundrecht der Religionsausübungsfreiheit für einen Kläger, der sich auf den RFRA beruft, aus diesem einfachen Gesetz, nicht aus der Verfassung. Es wird keine Interpretation des First Amendment durch das Parlament festgeschrieben, vielmehr beschränkt der Gesetzgeber durch den RFRA die staatliche Gewalt zugunsten der Einräumung eines Rechtes durch einfaches Parlamentsgesetz. Die staatliche Eingriffstiefe wird insofern limitiert, die Position des Bürgers entsprechend gestärkt. Daneben verbleibt der Grundrechtsschutz durch die Verfassung, für den allerdings nach der restriktiven Auslegung des First Amendment in Smith kein eigenständiger Anwendungsbereich verbleibt. Da es sich bei dem RFRA nicht um eine Interpretation der Verfassung, sondern um eigenständige Grundrechtsnormen handelt, ist durch Auslegung zu klären, welche Rechte sich für die Grundrechtsträger ergeben.
34 „Government shall not substantially burden a person’s exercise of religion even if the burden results from a rule of general applicability“. 35 „In furtherance of a compelling governmental interest“. 36 „The least restrictive means“. 37 Sherbert v. Verner, 374 U.S. 398 (1963).
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II. Der „Compelling Interest Test“ des RFRA Durch die ausdrückliche Bezugnahme auf Sherbert und Yoder verdeutlicht der Gesetzgeber, daß der RFRA im Sinne dieser Urteile des Supreme Court interpretiert werden soll. Der Religious Freedom Restoration Act kodifiziert damit lediglich den Prüfungsmaßstab für die Rechtfertigung von Eingriffen in die Religionsausübungsfreiheit, nicht aber Ergebnisse für bestimmte Fallgruppen.38 Der Gesetzeswortlaut enthält keine detaillierten Regelungen und spricht auch nicht bestimmte Bereiche der Religionsausübung an. Dem Anliegen mehrerer Abgeordneter, Sonderregelungen für die Religionsausübung im Rahmen des Strafvollzugs einzufügen, wurde nicht entsprochen.39 Somit wurde die umfassende Anwendbarkeit des RFRA auf alle Bereiche religiös motivierten Verhaltens sichergestellt.40 Einer Mindermeinung zufolge sollen zur Auslegung des neuen Gesetzes alle Präzedenzfälle herangezogen werden, in denen der Compelling-Interest-Test angewandt wurde.41 Dies würde bedeuten, daß der Prüfungsmaßstab des RFRA sich auch an Entscheidungen wie Goldman42 oder Lyng43 orientieren müßte, in denen einem öffentlichen Interesse der Vorrang vor der Religionsausübungsfreiheit eingeräumt wurde. Für diese Ansicht spricht, daß in § 2 (a) (5) allgemein auf „prior Federal court rulings“ Bezug genommen wird. Jedoch dient diese Formulierung eher der Vermeidung einer wortwörtlichen Wiederholung der ausdrücklichen Bezugnahme auf Sherbert und Yoder. Die Tatsache, daß allein zwei Entscheidungen namentlich erwähnt werden, in denen der Religionsfreiheit der Vorrang eingeräumt wurde, könnte – expressio unius et exclusio alterius – sogar dahingehend verstanden werden, daß der Kongreß die Heranziehung von Entscheidungen, in denen ein zwingendes öffentliches Interesse anerkannt wurde, für die Auslegung des RFRA vermeiden wollte. 1. Zwingendes öffentliches Interesse Obwohl der RFRA keine Legaldefinition für „compelling interest“ enthält, so macht doch die Bezugnahme auf die Leitentscheidungen Sherbert und Yoder die Intention des Gesetzgebers deutlich. Zu einer Rechtfertigung eines Eingriffs in die Religionsfreiheit genügt nicht ein allgemeines öffentliches Interesse, vielmehr muß es sich um ein Ziel von außerordentlicher Wichtigkeit handeln. In einer Entscheidung kurz vor der Verabschiedung des RFRA durch den Kongreß hatte der Supreme Court den Begriff „compelling interest“ dahingehend definiert, daß die 38 39 40 41 42 43
Laycock / Thomas, 73 Tex.L.Rev. 209, 218. Braunstein, 66 Fordham L.Rev. 2333, 2359. Laycock / Thomas, 73 Tex.L.Rev. 209, 227. Eisgruber / Sager, 1997 Sup.Ct.Rev. 79, 102. Goldman v. Weinberger, 475 U.S. 503 (1986). Lyng v. Northwest American Cemetery Protective Association, 485 U.S. 439 (1988).
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Maßnahme einem öffentlichen Interesse „von höchstem Rang“ dienen und eng auf die Verfolgung dieses Interesses zugeschnitten sein müsse.44 Dieses Kriterium ist jedenfalls erfüllt, wo ein Vorrang der Religionsfreiheit eine Bedrohung für zentrale Verfassungswerte darstellen würde.45 Dabei muß das öffentliche Interesse nicht nur allgemein überwiegen, sondern auch einer Ausnahme für den konkret betroffenen Gläubigen zwingend entgegenstehen.46 Bei der Abwägung, ob eine Nichtanwendung der allgemeinen Norm auf den religiös motivierten Verweigerer im konkreten Fall angezeigt ist, darf ein Gericht aber die Möglichkeit einer Vielzahl betrügerischer Verweigerungen berücksichtigen.47 2. Keine weniger einschneidende Maßnahme Weiterhin ist der Eingriff nur dann gerechtfertigt, wenn die am wenigsten einschneidende aller denkbaren Maßnahmen gewählt wird, also das mildeste verfügbare Mittel (§ 3 (b) (2) RFRA). Auch diese Voraussetzung geht auf das SherbertUrteil zurück, in dem der Supreme Court festgestellt hatte, daß staatliches Handeln nur dann in den Schutzbereich der Religionsfreiheit eingreifen darf, wenn keine weniger belastende Handlungsalternative mit gleicher Wirksamkeit für das öffentliche Interesse zur Verfügung steht.48 Im Rahmen von Güterabwägungen ist berücksichtigt worden, ob solche Handlungsalternativen verfügbar, faktisch umsetzbar oder kostenintensiv waren.49 3. Anwendungsfälle nach Inkrafttreten des RFRA In den Jahren nach dem Inkrafttreten des RFRA gab es eine Reihe von richterlichen Entscheidungen, in denen der Religionsfreiheit aufgrund der Anwendung des Compelling-Interest-Test der Vorrang eingeräumt wurde. So wurden staatliche Strafverfolgungsinteressen zurückgestellt gegenüber der Unverletzlichkeit des Beichtgeheimnisses.50 In einem anderen Urteil wurde das Interesse am Tierschutz als nachrangig angesehen gegenüber dem Wunsch eines Indianers, bestimmte Federn für ein religiöses Ritual durch die Jagd eines Adlers erwerben zu können.51
44 Church of the Lukumi Babalu Aye, Inc. v. City of Hialeah, 1113 S.Ct. 2217, 2233 (1993). 45 Diese an das deutsche System einer Abwägung zwischen kollidierenden Verfassungsgütern erinnernde Auslegung stammt von Laycock / Thomas, 73 Tex.L.Rev. 209, 226. 46 Berg, http://www.c-r-f.org / ST / pap5.htm, S. 7. 47 Hernandez v. Commissioner of Internal Revenue, 490 U.S. 680, 699 f. (1989); Gillette v. United States, 401 U.S. 437, 461 f. (1971). 48 Sherbert v. Verner, 374 U.S. 398 (1963). 49 Lupu, 20 U.Ark. Little Rock L.J. 575, 596. 50 Mockaitis v. Harcleroad, 104 F.3d 1522 (9th Cir. 1997).
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Dennoch wurden die Erwartungen des Kongresses hinsichtlich der Anhebung des Grundrechtsstandards in der richterlichen Praxis nicht durchgehend erfüllt. Die Gründe hierfür lagen jedoch weniger in der Anwendung des CompellingInterest-Test, sondern in dem Erfordernis eines „erheblichen“ Eingriffs in die Religionsfreiheit.52
III. Der Begriff „substantial burden“ im RFRA Der RFRA stellt nicht an jeden Eingriff die Anforderung, daß er einem zwingenden öffentlichen Interesse dienen muß. Vielmehr wird der Compelling-InterestTest nur dort angewandt, wo ein „substantial burden“, also ein erheblicher Eingriff, vorliegt. Durch die Einführung dieses Erfordernisses brauchen die Gerichte dort keine langwierige Güterabwägung vorzunehmen, wo lediglich ein völlig unwesentlicher Eingriff in die Religionsausübungsfreiheit besteht. Hier ist vor allem an Fälle zu denken, in denen lediglich ein entfernter Zusammenhang mit der Religion des Grundrechtsträgers anzuerkennen ist, oder in denen eine offensichtlich mißbräuchliche Klage vorliegt.53
1. Theoretische Betrachtung des „Substantial Burden Requirement“ Mit der Formulierung „substantial burden“ verzichtete der Kongreß auf ein weitergehendes Erfordernis, nämlich darauf, daß der Eingriff sich auf ein Verhalten beziehen müsse, das eine zentrale Bedeutung für die Religionsausübung des Grundrechtsträgers hat.54 Für die Einbeziehung eines solchen „central issue test“ 51 United States v. Gonzalez, 957 F.Supp. 1225 (D. N.M. 1997). Demgegenüber vgl. als ähnlich gelagerten Fall, in dem RFRA jedoch nicht zur Anwendung kam, United States v. Hugs, 109 F.3d 1375 (9th Cir. 1997). Zur Religionsfreiheit als gegenüber dem Tierschutz vorrangigem Individualgrundrecht in Deutschland vgl. Funke, JuS 1997, 1149. 52 Lupu, 20 U.Ark. Little Rock L.J. 594 f. führt aus, daß von den zulässigen Klagen, die bis 1997 auf RFRA gestützt wurden, lediglich 15% Erfolg hatten, und daß 70% der Klageabweisungen auf der mangelnden Erheblichkeit des Eingriffs basierten. 53 Laycock / Thomas, 73 Tex.L.Rev. 209, 228 zählen Lyng zu diesen Fallgruppen. Dies ist insofern nicht nachvollziehbar, als daß dort eben kein nur mittelbarer und entfernter Zusammenhang mit der Religionsausübung der betroffenen Stämme vorlag. Der Bau der geplanten Straße stellte, so der Supreme Court, eine existentielle Bedrohung für den Fortbestand der örtlichen indianischen Religion dar. Insofern ist sehr wohl von einem „substantial burden“ auszugehen. Das Lyng-Urteil fußt vielmehr auf der Überlegung, daß ein Vorrang der Religionsfreiheit hier in der faktischen Enteignung der Waldeigentümer resultieren würde und insofern ein hinreichendes öffentliches Interesse bestand, hinter dem die Religionsfreiheit zurücktreten mußte. 54 Der Gedanke eines „central issue test“ wird zurückgeführt auf Lyng v. Northwest American Cemetery Protective Association, 485 U.S. 439 (1988). Er wurde – allerdings entgegen den Intentionen des Gesetzgebers – auch verwandt in Bryant v. Gomez, 46 F.3d 948, 949 (9th Cir. 1995).
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hätte gesprochen, daß Eingriffe in bestimmte Bereiche des Bekenntnisses als weniger belastend empfunden werden als andere und insofern eher zuzumuten sein könnten. Ein solcher Prüfungsmaßstab hätte es aber erforderlich gemacht, die Weltanschauung des Betroffenen näher zu analysieren, um feststellen zu können, ob denn ein zentraler Aspekt der jeweiligen Religion betroffen ist.55 Eine solche Wertung ist nicht nur faktisch schwer durchführbar. Sie müßte sich auch entweder an dem Selbstverständnis des Betroffenen orientieren, oder an vermeintlich „objektiven“ Kriterien. Jedenfalls würde eine solche Bewertung durch die Gerichte eine staatliche Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Glaubenssystem voraussetzen, die mit der Establishment Clause wegen übermäßiger Verwicklung von Staat und Kirche („excessive entanglement“) 56 nicht zu vereinbaren wäre.57 Vielmehr ist das Erfordernis eines erheblichen Eingriffs dahingehend zu verstehen, daß einem Grundrechtsträger zugemutet werden kann, ein verfügbares Alternativverhalten zu wählen, das den Geboten seiner Religion genügt und mit staatlichen Regelungen nicht kollidiert. Wo eine solche Alternative besteht, die den Glaubenden nicht in den Konflikt zweier widerstreitender Normen bringt, besteht kein hinreichendes Schutzbedürfnis für die Anwendung des Compelling-InterestTest. So hat ein Gericht den RFRA dahingehend interpretiert, daß einer kirchlich betriebenen mobilen Suppenküche auch ohne Vorliegen eines zwingenden öffentlichen Interesses zugemutet werden kann, an einen neuen, um wenige Straßenzüge entfernten Standort zu wechseln, an dem kommunale Vorschriften einem solchen Betrieb nicht entgegenstehen.58 Das Erfordernis eines „substantial burden“ besagt jedoch nicht, daß lediglich von der Religion zwingend gebotenes Verhalten vom Schutzbereich des RFRA umfaßt ist. Vielmehr ist nach der Intention des Kongresses jegliche von einem ernsthaften Glauben motivierte Handlung vom RFRA gedeckt.59 Wo aber eine Alternative zu dem religiös motivierten Verhalten existiert, die dem Glaubensanliegen ebenfalls gerecht wird und die nicht staatlich sanktioniert ist, erscheint die Forderung, auf dieses Alternativverhalten zurückzugreifen, nicht als erheblicher Eingriff in die Religionsfreiheit.
55 So schon das Minderheitenvotum der Verfassungsrichter Brennan, Marshall, und Blackmun zu Lyng v. Northwest Indian Cemetery Protective Association, 485 U.S. 439 (1988). 56 Dieser Begriff geht zurück auf die bereits dargestellten Urteile Everson v. Board of Education, 330 U.S. 1 (1947), Board of Education v. Allen, 392 U.S. 236 (1968), Walz v. Tax Commission, 397 U.S. 664 und Lemon v. Kurtzman, 403 U.S. 602 (1971). 57 Lupu, 20 U.Ark. Little Rock L.J. 575, 595. 58 Daytona Rescue Mission, Inc. v. City of Daytona Beach, 885 F.Supp. 1554, 1560 (1995). 59 Entsprechende Auszüge aus der parlamentarischen Debatte sind abgedruckt bei Laycock / Thomas, 73 Tex.L.Rev. 209, 232. So äußerte sich etwa der Abgeordnete Solarz, einer der Initiatoren des RFRA: „I would be reluctant to limit it to actions which are compelled by religion, as distinguished from actions which are motivated by a sincere belief.“
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Im übrigen sind an das Erfordernis eines „burden“ keine zu hohen Maßstäbe anzulegen. Alles andere wäre mit der großzügigen Interpretation dieses Begriffs in der Rechtsprechung zur Establishment Clause kaum in Einklang zu bringen.60
2. Das „Substantial Burden Requirement“ in der Rechtsprechung Eine statistische Analyse von Entscheidungen in den ersten vier Jahren nach Inkrafttreten des RFRA macht deutlich, daß sich Gerichte das Erfordernis der Erheblichkeit des Eingriffs oft zunutze machten, um eine Güterabwägung zu vermeiden. Von 143 erfolglosen Klagen wurden 101 mangels eines erheblichen Eingriffs für unbegründet befunden.61 Zu diesen Entscheidungen gehören auch solche, welche die Erheblichkeit des Eingriffs – entgegen den Intentionen des Kongresses – ablehnten, weil das fragliche Verhalten von der Religion nicht zwingend geboten, sondern lediglich von einem ernsthaften Glauben motiviert war.62 Die Rechtsprechung dazu, wann ein „substantial burden“ vorliegt, ist keinesfalls einheitlich. So ist zwischen den Gerichten umstritten, ob einem Vermieter aufgrund von Anti-Diskriminierungsgesetzen zuzumuten ist, entgegen seiner religiösen Überzeugung an ein unverheiratetes Paar vermieten zu müssen.63 Einer Auslegung des Bundesrichters Posner zufolge ist zwischen Verboten („prohibitions“) und Erschwerungen („inhibitions“) zu differenzieren.64 Der RFRA soll vor allen Verboten eines religiös motivierten Verhaltens schützen, während reine Erschwerungen (zumeist finanzielle Belastungen) nur dann vom Schutzbereich erfaßt sein sollen, wenn sie Praktiken betreffen, die für den Glauben von zenBerg, http://www.c-r-f.org / ST / pap5.htm, p. 11. Lupu, 20 U.Ark. Little Rock L.J. 575, 594. 62 Vgl. Laycock / Thomas, 73 Tex.L.Rev. 209, 232. 63 Für eine Zumutbarkeit: Smith v. Fair Employment and Housing Commission, 12 Cal 4th 1143, 1175. In einem ähnlich gelagerten Fall wurde zwar ein „substantial burden“ anerkannt, aber auch ein zwingendes öffentliches Interesse festgestellt, Swanner v. Anchorage Equal Rights Commission, 874 P2d 274, 279 (Annahme der Verfassungsbeschwerde vom Supreme Court abgelehnt, 513 U.S. 979). Dies kommentieren Laycock / Thomas, 73 Tex.L.Rev. 209, 223 wie folgt: „Sex outside of marriage has gone from misdemeanor to compelling state interest within one generation, and religious believers who resist the change must be crushed.“ Diese Bewertung verdeutlicht die politische Brisanz der Entscheidung, verkennt aber, daß das Gericht in Swanner nicht nur staatliche Interessen, sondern auch die Grundrechte der Wohnungssuchenden berücksichtigte. In Attorney General v. Desilets, 636 N.E.2d 233, 241, forderte der Supreme Judicial Court von Massachusetts in einem vergleichbaren Fall den Staat auf, konkrete Belege für ein zwingendes öffentliches Interesse beizubringen, oder das religiös motivierte Verhalten des Vermieters aufgrund von Art. 46 der Staatsverfassung von Massachusetts hinzunehmen. 64 Mack v. O’Leary, 80 F.3d 1175, 1179 (7th Cir. 1996). Die Entscheidung wurde aufgehoben und zur Neuentscheidung unter Berücksichtigung von City of Boerne v. Flores, 117 S.Ct. 2157 (1997), zurückverwiesen in O’Leary v. Mack, 118 S.Ct. 36 (1997). 60 61
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traler Bedeutung sind. Diese Unterscheidung berücksichtigt zwar zu Recht die Schwere des Eingriffs in den Schutzbereich,65 im übrigen findet sie aber keine Stütze im Wortlaut des Gesetzes. Überdies ist die Wahl zwischen finanziellen Nachteilen und der Religionsausübung kaum anders zu beurteilen als eine staatliche Gebühr auf die Feier eines Gottesdienstes.66 Zudem übersieht Posner, daß auch rein faktische Erschwernisse eine erdrosselnde Wirkung haben und damit die Religionsausübung unmöglich machen können.67
IV. Der Begriff der „free exercise of religion“ im RFRA Aus den Beratungen zum RFRA im Kongreß geht hervor, daß jede von einem ernsthaften Glauben motivierte Handlung in den Schutzbereich des Gesetzes fällt. Daraus folgt, daß eine religiöse Überzeugung für die Verhaltensweise von entscheidender Bedeutung sein muß. Andere Beweggründe mögen hinzutreten, dürfen aber nicht ausschlaggebend für das Verhalten gewesen sein.68 Damit ist jedoch nicht definiert, was eine religiös motivierte Verhaltensweise ausmacht. In § 5 (4) RFRA wird lediglich darauf verwiesen, daß der Begriff „exercise of religion“ im RFRA so auszulegen ist wie im First Amendment. Die Subsumtion unter den Begriff der Religionsausübung bereitet die grundsätzliche Schwierigkeit, daß die einfache Behauptung eines Grundrechtsträgers, sein Verhalten basiere auf einer Glaubensüberzeugung, einerseits nicht zur alleinigen Grundlage der richterlichen Entscheidung gemacht werden sollte (dies würde zum Mißbrauch einladen), andererseits aber auch nicht übergangen werden kann, ohne eine Bewertung zu erfordern, die mit der staatlichen Neutralitätspflicht unvereinbar sein kann. Daher darf zwar nicht die objektive Richtigkeit einer Glaubensüberzeugung gerichtlich beurteilt werden, wohl aber das Vorliegen von Beweggründen für ein Verhalten sowie der religiöse Charakter dieser Beweggründe.69 Dabei muß dem Vortrag des Grundrechtsträgers jedoch „großes Gewicht beigemessen werden.“70 Von dem Grundrechtsträger ist nicht ein Beweis für seine Überzeugung zu verlangen, wohl aber erscheint es angebracht, eine gewisse Plausibilität seiner Behauptung zu fordern, etwa durch den Verweis auf das einschlägige Bekenntnis seiner Glaubensgemeinschaft.
Eisgruber / Sager, 1997 Sup.Ct.Rev. 79, 105. Ähnlich äußerte sich schon Justice Brennan im Sherbert-Urteil, 374 U.S. 398: „Government imposition of such a choice (zwischen der Religion und dem Verzicht auf staatliche Vorteile, T.F.) puts the same kind of burden upon the exercise of religion as would a fine imposed on . . . worship.“ 67 Lupu, 20 U.Ark. Little Rock L.J. 575, 595. 68 Laycock / Thomas, 73 Tex.L.Rev. 209, 233. 69 United States v. Ballard, 322 U.S. 78 (1944). 70 United States v. Seeger, 380 U.S. 163 (1965). 65 66
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Die Abgrenzung von Religionsausübung gegenüber sonstigem Verhalten ist im amerikanischen Verfassungsrecht von besonderer Brisanz, da in der Unionsverfassung ein Grundrecht der Gewissensfreiheit nicht besteht und insofern kein Auffanggrundrecht für Fälle religionsähnlicher Beweggründe existiert. Aus diesem Grund und aus der Sorge vor einem Verstoß gegen die weltanschauliche Neutralitätspflicht des Staates hat der Supreme Court den Begriff der Religion bislang großzügig ausgelegt. In der Kriegsdienstverweigererentscheidung United States v. Seeger bezeichnet Justice Clark neben den theistischen Bekenntnissen auch Buddhismus, Taoismus und sogar ethische Kultur („Ethical Culture“) und säkulären Humanismus („Secular Humanism“) als Religionen im Sinne der Verfassung.71 Ein Glaube an ein personifiziertes höheres Wesen ist demnach nicht erforderlich, vielmehr genügt es, wenn die Überzeugung für den Grundrechtsträger einen dem ernsthaften Glauben an Gott vergleichbaren Stellenwert einnimmt.72 Dies ist nach Auffassung des Supreme Court dann der Fall, wenn eine tiefgehende Überzeugung „moralisch und ethisch in Ursprung und Inhalt ist und eine Gewissenspflicht auferlegt.“73 Diese weitgehende Interpretation ist Kritik aus der Lehre ausgesetzt. Wie die Verfassungsgeschichte verdeutlicht, sollten nach dem Willen der Verfassungsväter staatliche Regelungen und Sanktionen nur in Fällen zurückweichen, wo sich ein Bürger einem entgegenstehenden Gebot seines Schöpfers, also einer außerhalb seiner selbst stehenden Instanz, verpflichtet fühlt.74 Für dieses Verständnis vom Begriff „Religion“ spricht auch die lateinische Ursprungsbedeutung „an etwas gebunden sein“. Noch weiter geht eine Auffassung, nach welcher religiös motiviertes Verhalten eine Sorge um das ewige Seelenheil voraussetzt.75 Jedoch würde eine historisch orientierte Auslegung in der Verfassungswirklichkeit des 21. Jahrhunderts zu schwer tragbaren Ergebnissen führen. Wenn auch eine Aufweichung des Religionsbegriffes zu verhindern ist und insofern die Einbeziehung von „Ethical Culture“ und „Secular Humanism“ bedenklich wirkt, so erscheint es schon aus Gründen der weltanschaulichen Neutralität angezeigt, auch nicht-theistische Religionen als vom Schutzbereich umfaßt zu betrachten. Die Ausübung der Religion muß gemäß § 3 (2) (c) RFRA durch eine „Person“ erfolgen. Nähere Bedingungen, etwa hinsichtlich eines Mindestalters, nennt das 71 Die Aufzählung befindet sich in der Fußnote 11 des Urteils United States v. Seeger, 380 U.S. 163 (1965). 72 United States v. Seeger, 380 U.S. 163 (1965). 73 Welsh v. United States, 398 U.S. 333. 74 McConnell, 103 Harv.L.Rev. 1409, 1488; vgl. Ingber, 41 Stan.L.Rev. 233. 75 Choper, 1982 U.Ill.L.Rev. 579. Diese Auffassung begegnet selbst hinsichtlich der Ausübung der christlichen Religion erheblichen Bedenken. Wenn der Mensch nichts zu seiner Errettung beitragen kann als sich der Gnade Gottes zu öffnen, so hängt sein Seelenheil gar nicht von seinem Verhalten ab (vgl. Römer 3,23 – 26). Entsprechend könnte (zumindest ein protestantischer) Christ bei Zugrundelegung der Definition von Professor Choper keine Religionsausübung betreiben.
C. Die teilweise Verfassungswidrigkeit des RFRA
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Gesetz nicht.76 Die allgemeine Formulierung spricht gegen eine Annahme des Erfordernisses einer Grundrechtsmündigkeit. Ebenso ist die Anwendbarkeit des Gesetzes nicht auf natürliche Personen beschränkt, der offene Wortlaut läßt die Inanspruchnahme von RFRA auch durch „moral persons“ (juristische Personen) zu, sofern sie religiöse Ziele verfolgen.77
C. Die teilweise Verfassungswidrigkeit des RFRA Die Verfassungsmäßigkeit des RFRA war schon bald nach seinem Inkrafttreten angezweifelt worden.78 Zu ungewöhnlich erschien der Versuch, eine Änderung der Verfassungsrechtsprechung durch ein einfaches Bundesgesetz ungeschehen zu machen. Im Jahr 1997 entschied der Supreme Court, daß der RFRA mit der Unionsverfassung nicht vereinbar sei.79 In der Leitentscheidung City of Boerne v. Flores hatte sich eine Kirchengemeinde, der eine Baugenehmigung für die Erweiterung ihres Gottesdienstraumes aus Gründen des Denkmalschutzes verweigert worden war, auf den RFRA berufen. Nach Ansicht des Gerichtshofes war der RFRA unanwendbar, da der Kongreß nie die Kompetenz hatte, dieses Gesetz zu erlassen.
I. Die Nichtanwendbarkeit des RFRA gegenüber Einzelstaaten Der Kongreß hatte den RFRA auf eine im 5. Abschnitt des 14. Zusatzartikels zur Unionsverfassung enthaltene Gesetzgebungskompetenz gestützt, nach der Bundesgesetze erlassen werden können, um unrechtmäßige Eingriffe in Grundrechte zu verhindern. Auf diese Gesetzgebungskompetenz wurden bislang vor allem Normen gestützt, die zur Beendigung der Diskriminierung von Afro-Amerikanern und anderen Minderheiten beitragen sollten. Diese Gesetzgebungskompetenz hat insofern einen Ausnahmecharakter, als daß der Kongreß auf dieser Grundlage nur handeln darf, wenn die Grundrechte durch Maßnahmen der Einzelstaaten bedroht oder jedenfalls nicht hinreichend geschützt werden.80 Der Supreme Court urteilte, daß diese Voraussetzungen im Fall des RFRA nicht vorlagen. Dem von Justice Kennedy verfaßten Urteil zufolge war das Gesetz nicht als Reaktion auf einen nicht anderweitig zu beseitigenden verfassungswidrigen Zustand aufzufassen. Damit habe der Kongreß seine Kompetenzen gegenüber den Einzelstaaten überschrit76 Ein Mindestalter für eine Grundrechtsmündigkeit hat auch der Supreme Court für das First Amendment nie aufgestellt, vgl. Prince v. Massachusetts, 321 U.S. 158 (1944) und das Sondervotum von Justice Douglas zu Wisconsin v. Yoder, 406 U.S. 205 (1972). 77 Laycock / Thomas, 73 Tex.L.Rev. 209, 234. 78 van Alstyne, S. 67 des Beiheftes 1997. 79 City of Boerne v. Flores, 117 S.Ct. 2157 (1997). 80 Vgl. den 2. Satz des 1. Abschnitt des 14. Amendments („due process clause“).
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ten.81 Folglich ist der RFRA gegenüber den Einzelstaaten nicht anwendbar, Bürger können sich gegenüber einzelstaatlichen Maßnahmen nicht auf die darin enthaltenen Rechte berufen. Das Gericht hat nicht geprüft, ob der Kongreß den RFRA aufgrund einer anderen Gesetzgebungskompetenz hätte erlassen können. Insofern wäre an die Interstate Commerce Clause zu denken, nach welcher der Kongreß alle Bereiche regeln darf, die eine Auswirkung auf den Handel zwischen den Einzelstaaten haben, und die seit jeher großzügig zugunsten des Bundesgesetzgebers interpretiert wird. Ob Religionsausübung hinreichende wirtschaftliche Auswirkungen haben kann, erscheint zweifelhaft, mit Blick etwa auf das gescheiterte Bauvorhaben der in Boerne betroffenen Kirchengemeinde aber zumindest nicht abwegig.82
II. Die Anwendbarkeit des RFRA im Bundesrecht Da der Supreme Court mit dem Überschreiten der Bundesgesetzgebungskompetenz eine Unanwendbarkeit des RFRA gegenüber der texanischen Stadt Boerne feststellte, brauchte das Gericht bislang nicht zu klären, ob das Gesetz auch aus anderen Gründen gegen die Unionsverfassung verstößt. Dies ist insofern relevant, als daß der RFRA gegenüber Bundesbehörden weiterhin anwendbar sein könnte, denn diesbezüglich hat das Überschreiten der Gesetzgebungskompetenz mangels eines Eingriffs in Rechte der Einzelstaaten keine Auswirkungen. Der Supreme Court hat diese Fragen bislang nicht ausdrücklich geklärt. Deshalb ist zu prüfen, ob das Gesetz insgesamt verfassungswidrig ist, oder ob sich Grundrechtsträger gegenüber Maßnahmen des Bundes weiterhin auf den RFRA stützen können. In den ersten Urteilen nach der Entscheidung zum Fall Boerne haben Gerichte die Frage der Anwendbarkeit des RFRA gegenüber Bundesbehörden unterschiedlich beantwortet, ohne allerdings Gründe für ihre Positionen anzugeben. Das Berufungsgericht für den Third Circuit ging davon aus, daß der RFRA gegenüber der Bundesregierung anwendbar sei.83 Demgegenüber vertrat der U.S. Bankruptcy Court for the Western District of New York ohne nähere Erörterung, daß der RFRA vom Supreme Court für verfassungswidrig erklärt worden sei und sich deshalb keine der Parteien auf dieses Gesetz berufen könne.84
City of Boerne v. Flores, 117 S.Ct. 2157 (1997). Lupu, 20 U.Ark. Little Rock L.J. 575, 578. 83 Adams v. Commissioner of Internal Revenue, 1999 U.S. App. LEXIS 3379, 99 – 1 U.S. Tax Cas (CCH), S. 50, 307 (bei II.A.). Keine der Parteien hatte die Anwendbarkeit von RFRA bestritten. 84 In Re: Gates Community Chapel of Rochester, Inc., 212 B.R. 220, 1997 Bankr. LEXIS 1349 (bei III.A.). 81 82
C. Die teilweise Verfassungswidrigkeit des RFRA
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1. Kein Verstoß gegen die Gewaltenteilung Ein Urteil des Berufungsgerichts für den Eighth Circuit setzt sich mit der Frage der Anwendbarkeit des RFRA gegenüber Maßnahmen der Bundesregierung auseinander unter dem Aspekt, daß der Erlaß des Gesetzes einen Verstoß gegen den Verfassungsgrundsatz der Gewaltenteilung darstellen und der RFRA aus diesem Grund auch gegenüber Bundesbehörden unanwendbar sein könnte.85 In seiner Analyse stellt Bundesrichter Magill zunächst fest, daß der Supreme Court sich lediglich mit der Anwendbarkeit des RFRA gegenüber den Einzelstaaten auseinandergesetzt habe. Der Kongreß, so Magill, hätte den RFRA auch in Kenntnis einer mangelnden Regelungskompetenz gegenüber den Einzelstaaten erlassen, und zwar beschränkt auf die Anwendbarkeit gegenüber Maßnahmen der Bundesregierung. Daher sei die Frage der sonstigen Verfassungsmäßigkeit des RFRA nicht durch das Boerne-Urteil des Supreme Court geklärt.86 Jedoch habe der Supreme Court geäußert, daß es nicht Sache der Legislative, sondern allein der Judikative sei, die Verfassung zu interpretieren.87 Daher dürfe der Kongreß nicht durch einfache Parlamentsgesetze in die Verfassungsauslegung des Supreme Court eingreifen.88 Dies sei vorliegend aber auch nicht geschehen, da der RFRA keine Interpretation des First Amendment festschreibe, sondern ein eigenständiges Grundrecht enthalte, das weiter reicht als der von der Verfassung vorgesehene Minimalstandard.89 In seiner abweichenden Meinung argumentiert der Bundesrichter Bogue gegen diese Mehrheitsauffassung.90 Seines Erachtens stellt der RFRA eine Umgehung der Verfassungsrechtsprechung durch den Kongreß dar. Für diese Ansicht läßt sich anführen, daß der Kongreß das Normengefüge als Reaktion auf das Smith-Urteil erließ und dementsprechend als „Restoration Act“ benannte.91 Zudem bezieht sich der Gesetzestext ausdrücklich auf die frühere Verfassungsrechtsprechung. Das abweichende Votum findet aber keine hinreichende Stütze im BoerneUrteil. Der Hinweis auf die Beschränkung der gesetzgebenden Gewalt durch den Grundsatz der Gewaltenteilung bezieht sich nämlich auf die vertikale Gewaltenteilung. Verfassungsrichter Kennedy argumentiert mit Hinweis auf das 14. Amendment, daß der Kongreß seine Befugnisse gegenüber den gesetzgebenden Körperschaften der Einzelstaaten nicht selbst definieren könne.92 Wenn auch unbestritten ist, daß die Auslegung der Verfassung den Gerichten zusteht, so folgt doch 85 86 87 88 89 90 91 92
Young v. Chrystal Evangelical Free Church, 141 F.3d 854, 856. Young v. Chrystal Evangelical Free Church, 141 F.3d 854, 859. Vgl. City of Boerne v. Flores, 117 S.Ct. 2157, 2168 (1997). Vgl. den III. Artikel der Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika. Young v. Chrystal Evangelical Free Church, 141 F.3d 854, 860. Young v. Chrystal Evangelical Free Church, 141 F.3d 854, 864, Bogue, J., dissenting. Vgl. Blatnik, 98 Colum.L.Rev. 1410. City of Boerne v. Flores, 117 S.Ct. 2157, 2168 (1997).
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daraus nicht, daß den Bürgern durch einfache Gesetze nicht Rechte eingeräumt werden könnten, die über die Mindestanforderungen der Verfassung hinausgehen.93 Dies gilt umso mehr, als daß der Supreme Court in Smith ausdrücklich auf Schutzmöglichkeiten durch den „politischen Prozeß“ hingewiesen und damit zu Gesetzesinitiativen ermutigt hat.94 Vielfach sind in der Geschichte der USA Antidiskriminierungsgesetze erlassen worden, durch die eigenständige Grundrechte eingeführt wurden. Eine Ausweitung von Minderheitenschutz oder Grundrechten im allgemeinen über das verfassungshalber erforderliche Minimum hinaus ist jedenfalls dann nicht zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber dadurch allein die Macht des Staates beschränkt, ohne gleichzeitig die Rechte Dritter zu beeinträchtigen. Aus diesen Gründen ist dem von Bundesrichter Magill verfaßten Urteil zuzustimmen. Der RFRA verstößt nicht gegen den Grundsatz der Gewaltenteilung. Das Gesetz stellt keine Interpretation der Verfassung dar, sondern eine Modifikation des Bundesrechtes, durch die der Schutzstandard für religiös motiviertes Verhalten über das von der Verfassung gebotene Minimum hinaus verbessert wird.
2. Kein Verstoß gegen die weltanschauliche Neutralitätspflicht Die Anwendbarkeit des RFRA gegenüber Maßnahmen der Bundesregierung wird auch mit der Begründung angezweifelt, das Gesetz sei unvereinbar mit der Establishment Clause des 1. Verfassungszusatzes. In seinem separaten Votum zum Fall Boerne argumentiert Verfassungsrichter Stevens, der RFRA stelle eine „rechtliche Waffe“ dar, die kein Atheist oder Agnostiker zur Verfügung habe.95 Insofern bestehe eine Bevorzugung von Religiösität gegenüber Irreligiösität. Stellt der RFRA eine im Sinne des Lemon-Urteils unzulässige Bevorteilung von Religion durch den Staat dar? Das Boerne-Urteil bietet keine Stütze dafür, daß die hauptsächliche Auswirkung des RFRA in einer Förderung der Religion besteht und deshalb nach den vom Supreme Court aufgestellten Grundsätzen ein Verstoß gegen das Gebot der weltanschaulichen Neutralität des Staates vorliegt. Eine solche Sichtweise würde bedeuten, daß die in der Rechtsprechung zur Free Exercise Clause über Jahrzehnte angewandten Grundsätze mit der Establishment Clause unvereinbar wären. Vor allem würde verkannt, daß der RFRA nicht eine Förderung von religiösen Übungen zum Gegenstand hat, sondern lediglich den Bürgern gestattet, ihre Religion frei von staatlicher Einflußnahme zu praktizieren. Hierin liegt keine unzulässige Beihilfe, sondern eine Rücksichtnahme auf den Wunsch einzelner Bürger, ihrem Glauben 93 Dieser Gedanke spiegelt sich in dem texanischen Entwurf eines einzelstaatlichen RFRA, vgl. Texas Senate Bill 138 Sec. 100.008. 94 Berg, 20 U.Ark. Little Rock L.J. 715, 739. 95 City of Boerne v. Flores, 117 S.Ct. 2157, 2172 (1997), Stevens, J., concurring.
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gemäß zu leben.96 Dies ist nach dem Lynch-Urteil des Supreme Court nicht zu beanstanden, nach dem die Verfassung dem Staat gebietet, gegenüber der Religion nicht nur Toleranz, sondern Rücksichtnahme zu üben.97 Soweit einige Glaubensrichtungen aufgrund des RFRA dennoch indirekte oder entfernte Vorteile erzielen sollten, ergibt sich daraus nicht dessen Verfassungswidrigkeit, da nicht jeder „indirect, remote and incidental benefit“ eine Verletzung der Establishment Clause bedeuten kann. Andernfalls würde nicht ein höherer Grad an Neutralität erreicht, sondern eine unzulässige Bevorzugung des Säkularismus gegenüber den Religionen. Der RFRA ist daher mit der Establishment Clause vereinbar. III. Zusammenfassung Der Kongreß reagierte auf das Smith-Urteil des Supreme Court mit dem Erlaß eines Bundesgesetzes, das auf die Wiederherstellung des vorherigen Schutzstandards („Sherbert-Test“) abzielte. Durch den Religious Freedom Restoration Act von 1993 (RFRA) wurde eine neben der Verfassung eigenständige Grundlage für das Grundrecht der Religionsfreiheit geschaffen. Dieses Gesetz wurde durch den Supreme Court im Boerne-Urteil von 1997 für verfassungswidrig erklärt, soweit es die Rechte der Einzelstaaten verletzt. Entsprechend ist der RFRA gegenüber den Einzelstaaten nicht anwendbar. Gegenüber Maßnahmen der Bundesbehörden können sich Grundrechtsträger aber weiterhin auf das Gesetz berufen. Die Folge der Meinungsverschiedenheiten zwischen Supreme Court und Kongreß ist, daß in den USA seit Boerne kein einheitlicher Schutzstandard für religiös motiviertes Verhalten mehr besteht. Durch Bundesrecht darf in die Religionsfreiheit nur eingegriffen werden, wenn es ein zwingendes öffentliches Interesse erfordert und die eingreifende Maßnahme das mildeste Mittel zur Verfolgung dieses Interesses darstellt. Für Maßnahmen der Einzelstaaten hingegen gilt die im Smith-Urteil formulierte Auslegung des First Amendment, nach welcher ein Eingriff lediglich auf eine allgemeine Norm gestützt werden muß. Der Kongreß ist hinsichtlich der Maßnahmen von Einzelstaaten nicht befugt, einen höheren Schutzstandard festzulegen. Ein solcher kann sich nur aus dem Recht des jeweiligen Staates ergeben.
D. Das Ringen um den Compelling-Interest-Standard Das Urteil City of Boerne v. Flores98 setzt sich nicht mit der Frage des Schutzes der Religionsfreiheit durch Landesrecht auseinander. Zwar hielt es der Supreme Chemerinsky, http://www.c-r-f.org / ST / pap7.htm, S. 6. Lynch, Mayor of Pawtucket v. Donelly, 465 U.S. 668 (1984). Dort heißt es : „[The constitution] affirmatively mandates accomodation, not merely tolerance, of all religions, and forbids hostility towards any.“ 98 City of Boerne v. Flores, 117 S.Ct. 2157 (1997). 96 97
8 Funke
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Court für mit der Verfassung unvereinbar, daß der Kongreß in die Gesetzgebungskompetenz der Einzelstaaten eingriff. Daraus läßt sich jedoch nicht folgern, daß der Erlaß von einfachgesetzlichen Normen, die ein Freiheitsgrundrecht über das von der Verfassung gebotene Minimum hinaus ausweiten, der Legislative generell verboten ist. Deshalb ist der RFRA nur gegenüber Maßnahmen der Einzelstaaten nicht anzuwenden, im Bereich des Bundesrechts bleibt das Gesetz wirksam. Gegenüber Maßnahmen der Einzelstaaten kann demnach ein Schutz, der über den des First Amendment nach der Auslegung in Smith hinausgeht, nur durch einzelstaatliches Recht herbeigeführt werden. Entsprechend haben sich Grundrechtsträger gegenüber einzelstaatlichen Maßnahmen auf die Verfassungen der Einzelstaaten berufen oder den Erlaß von „state RFRAs“ gefordert, also Gesetzen, die inhaltlich dem RFRA von 1993 entsprechen, aber von dem Parlament des jeweiligen Einzelstaates erlassen werden.
I. Religionsfreiheit in den Verfassungen der Einzelstaaten Die Landesverfassungen der 50 Einzelstaaten stehen gemäß Art. VI der Unionsverfassung in ihrem Rang unterhalb des Bundesrechts („Supremacy Clause“), aber an der Spitze des jeweiligen Landesrechts. Vor Eingriffen durch einzelstaatliche Maßnahmen können Grundrechte, die in der jeweiligen Landesverfassung enthalten sind, mithin wirksamen Schutz bieten.
1. Spezielle Verfassungszusätze („RFRA-Amendments“) Der höchste Grad an Sicherheit für einen Grundrechtsträger läßt sich durch eine spezielle Normierung des „Compelling-Interest-Test“ im Verfassungstext erzielen. Ein Zusatzartikel (Amendment) zu einer Landesverfassung, der den Schutzstandard für die Religionsfreiheit detailliert beschreibt, schützt vor einer Änderung in der Verfassungsrechtsprechung, wie sie der Supreme Court in Smith vorgenommen hat. Außerdem bietet ein Amendment gegenüber einem einfachen Parlamentsgesetz den Vorteil, daß es nicht mit einfacher Mehrheit geändert werden kann. Aus diesen Gründen verabschiedete das Parlament von Alabama ein Amendment zur Landesverfassung, das von der Bevölkerung in einer Abstimmung im November 1998 angenommen wurde.99 Sein Wortlaut ist für eine Verfassungsnorm ungewöhnlich detailliert und entspricht im wesentlichen dem des RFRA von 1993. Im Unterschied zu dem Bundesgesetz verlangt die Verfassung von Alabama jedoch nicht, daß der Eingriff erheblich sein muß.100 Diese Auslassung indiziert, daß in 99 100
1998 Al. ALS 409, 1998 Al. SB 604; vgl. http://www.c-r-f.org / ST / AL.htm. Statt des Ausdrucks „substantial burden“ gebraucht der Text nur den Begriff „burden“.
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Alabama die Ergebnisse der vorstehend dargestellten Rechtsprechung zum Bundes-RFRA vermieden werden sollten, in der Beschwerdeführer vielfach scheiterten, weil der in Frage stehende Eingriff als nicht erheblich angesehen wurde.
2. Interpretation von allgemeinen Verfassungsbestimmungen Häufiger als der Erlaß neuer Verfassungszusätze wird ein dem des RFRA entsprechender Schutzstandard im Landesrecht durch die Interpretation bestehender Verfassungsnormen erzielt. Grundrechtskataloge sind seit jeher Bestandteil der Landesverfassungen, entsprechend sind dort auch Bestimmungen zur Religionsfreiheit enthalten. Das Verfassungsgericht von Michigan stellte kurz nach der Smith-Entscheidung des Supreme Court heraus, daß die Landesverfassung der Religionsfreiheit einen höheren Rang beimißt als die Unionsverfassung. Der 1. Artikel der Landesverfassung bestimmt in seinem 16. Abschnitt: „The right of every man to worship God according to the dictates of his own conscience shall never be infringed . . . but the liberty of conscience hereby secured shall not be so construed as to excuse acts of licentiousness or justify practices inconsistent with the peace or safety of the state.“ Das Landesverfassungsgericht nahm eine Güterabwägung vor und gab der Religionsfreiheit den Vorrang vor der Sicherheit im Straßenverkehr, so daß einem zur Bevölkerungsgruppe der Amish gehörenden Bürger gestattet wurde, am Heck seiner Kutsche statt des vorgeschriebenen orangefarbenen Plastikdreiecks ein reflektierendes Band zu befestigen.101 In einem ähnlichen Fall urteilte das Verfassungsgericht von Wisconsin, daß kein zwingendes öffentliches Interesse bestehe, welches den Zwang zum Gebrauch eines Plastikdreiecks entgegen den religiösen Überzeugungen eines amishen Kutschenbesitzers rechtfertigen würde. Anders als die Entscheidung aus Minnesota basiert dieses Urteil jedoch nicht auf einer reinen Abwägung zwischen den betroffenen Verfassungsgütern. Vielmehr stellte das Gericht heraus, daß dem öffentlichen Interesse durch ein milderes Mittel Genüge getan werden könne, nämlich den Gebrauch eines reflektierenden Bandes.102 Auch der 11. Abschnitt des 1. Artikels der Landesverfassung von Washington, welcher der Bestimmung in der Verfassung von Minnesota nachgebildet ist, wird so interpretiert, daß Eingriffe in die Religionsfreiheit nur aufgrund eines zwingenden öffentlichen Interesses gerechtfertigt sein können. Der Compelling-InterestTest sei auch dort anzuwenden, wo eine Vorschrift nur mittelbar in die Religionsfreiheit eingreift.103
101 102 103
8*
State v. Hershberger, 462 N.W.2d 393, 396 (Minn. 1990). State v. Miller, 549 N.W.2d 235 (Wisc. 1996). First Covenant Church v. Seattle, 840 P.2d 174 (Wash. 1992).
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Die Verfassung von Massachusetts ist seit jeher so ausgelegt worden, daß ein zwingendes öffentliches Interesse erforderlich ist. Der 2. Artikel der Massachusetts Declaration of Rights sieht vor, daß die Kundgabe und das Ausleben religiöser Bekenntnisse nur beschränkt werden darf, wenn es den öffentlichen Frieden oder die Religionsausübung anderer stört. Dabei wird der Begriff des öffentlichen Friedens – anders als der Begriff der öffentlichen Ordnung in Europa – so verstanden, daß eine Güterabwägung nach Art des Compelling-Interest-Test erforderlich ist.104 Der Supreme Court of Vermont hat ausdrücklich festgestellt, daß die Landesverfassung der Religionsfreiheit denselben Rang beimißt wie es im RFRA vorgesehen war.105 Dabei fällt auf, daß die Verfassung von Vermont die Religionsfreiheit deutlich schärfer formuliert als das First Amendment: „No authority can, or ought to be vested in, or assumed by, any power whatever, that shall in any case interfere with, or in any manner control, the rights of conscience, in the free exercise of worship“.106 Auch das Verfassungsgericht von Maine setzte sich von der Smith-Entscheidung des Supreme Court ab, indem es in einem Fall von religiös motiviertem Drogenkonsum die Landesverfassung dahingehend auslegte, daß nur zwingende öffentliche Interessen einen Eingriff in die Religionsfreiheit zu rechtfertigen vermögen.107 Ein Berufungsgericht des Staates Kansas wandte bei der Interpretation der Landesverfassung gleichfalls den Compelling-Interest-Test an.108 Deren siebter Abschnitt bestimmt, daß „the right to worship . . . shall never be infringed; . . . nor shall any control or interference with the rights of conscience be permitted.“ Die vorgenannten Entscheidungen räumen der Religionsfreiheit einen hohen Schutz ein. Sie überzeugen in ihrer Abgrenzung zum Smith-Urteil des Supreme Court, weil sich der Wortlaut der herangezogenen Landesverfassungen maßgeblich von der vagen Formulierung des First Amendment unterscheidet. Demgegenüber verwundert ein Urteil des Verfassungsgerichts von Michigan, in dem zunächst die Religionsfreiheit der Unionsverfassung gemäß der Smith-Rechtsprechung herangezogen und dann eine Verletzung der Landesverfassung gemäß dem Compelling-Interest-Test geprüft wird.109 Die Landesverfassung gestaltet die Religionsfreiheit dem Wortlaut nach nämlich eher schwächer aus als das First Amendment, sie bestimmt lediglich, daß jedermann „at liberty“ sein müsse, seine Religion auszuüben, und daß Rechte und Pflichten aufgrund der Religion weder beschränkt noch erweitert werden dürfen. 104 Society of Jesus of New England v. Boston Landmarks Commission, 564 N.E.2d 571, 573 (Mass. 1990). 105 Hunt v. Hunt, 648 A.2d 843, 853 (Vermont 1994). 106 Constitution of the State of Vermont, Ch. 1, Art. 3rd. 107 Rupert v. Portland, 605 A.2d 63, 65 (Maine 1992). 108 State of Kansas v. Evans, 796 P.2d 178, 180 (Kansas Ct. App. 1990). 109 McCready v. Hoffius, 459 Mich. 131, 143 (1998).
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Zwei weitere Landesverfassungsgerichte wenden bei der Auslegung der Landesverfassungen den Compelling-Interest-Test an, obwohl die Religionsfreiheit dort mit denselben Worten beschrieben ist wie in der Unionsverfassung. Der Supreme Court of Alaska prüfte den wörtlich mit dem First Amendment übereinstimmenden 4. Abschnitt des 1. Artikels der Landesverfassung dahingehend, daß Eingriffe nur durch ein zwingendes öffentliches Interesse gerechtfertigt sein können.110 Auch der Supreme Court of Montana wandte den Compelling-Interest-Test an, obwohl der 5. Abschnitt des 2. Artikels der Landesverfassung dem Wortlaut nach mit der Free Exercise Clause der Unionsverfassung identisch ist.111 Der föderale Aufbau der Vereinigten Staaten von Amerika, die streng nach Landes- und Bundesgerichten trennende Gerichtsorganisation und die überlappenden Regelungsbereiche von Landes- und Bundesrecht lassen derartige Ergebnisse zu. Jedoch ist es schwer vermittelbar, daß identisch lautende Bestimmungen von verschiedenen Gerichten unterschiedlich ausgelegt werden. Im Ergebnis entwickelt sich ein immer feiner gemustertes Patchwork, in welchem die an ein religiös motiviertes Verhalten geknüpften Rechtsfolgen für den Bürger immer schwerer abzusehen sind.112 II. State Religious Freedom Restoration Acts Mehrere Staaten haben in den vergangenen Jahren einfachgesetzliche Regelungen zum Schutz der Religionsfreiheit erlassen, die in ihrem Inhalt weitgehend dem in City of Boerne v. Flores für teilweise verfassungswidrig erklärten113 RFRA von 1993 entsprechen. Noch vor dem Erlaß des Bundes-RFRA haben die Staaten Connecticut und Rhode Island Statuten erlassen, die ebenfalls den Compelling-Interest-Test durch einfaches Parlamentsgesetz festschreiben. Die Landesgesetze erfordern jedoch keinen wesentlichen Eingriff („substantial burden“), vielmehr beziehen sie sich auf alle „restrictions“ (Rhode Island)114 bzw. jegliche „burdens“ (Connecticut).115 Jedweder Eingriff muß demnach einem zwingenden öffentlichen Interesse dienen, um nach den Landes-RFRAs gerechtfertigt zu sein. 110 Swanner v. Anchorage Equal Rights Commission, 868 P.2d 274 (Alaska 1994). In dem Fall hatte sich ein Vermieter dagegen gewehrt, nach den Antidiskriminierungsgesetzen des Staates Alaska an ein unverheiratetes Paar vermieten zu müssen. Das Gericht hielt das Interesse an einem gleichberechtigten Status von Unverheirateten auf dem Wohnungsmarkt für ein zwingendes öffentliches Interesse. 111 Davis v. The Church of Jesus Christ of Latter Day Saints, 852 P.2d 640 (Montana 1993). 112 Vgl. Braunstein, 66 Fordham L.Rev. 2333, 2374. 113 City of Boerne v. Flores, 117 S.Ct. 2157 (1997). 114 Rhode Island General Laws, Title 42, Chapter 80.1, Sec. 42 – 80.1 – 3 (b). 115 Connecticut General Statutes, Title 52, Chapter 915, Sec. 52 – 571b (b).
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Mehrere Staaten haben Landes-RFRAs als unmittelbare Reaktion auf das Boerne-Urteil erlassen, nachdem sich zahlreiche Interessengruppen landesweit für eine Wiederherstellung des alten Schutzstandards eingesetzt hatten.116 So fügte Florida im Jahr 1998 eine neue Vorschrift in sein Bürgerrechtsgesetz ein, welche vorsieht: „Government shall not substantially burden a person’s exercise of religion, even if the burden results from a rule of general applicability, except . . . if it demonstrates that the application of the burden to the person (a) is in furtherance of a compelling governmental interest; and (b) is the least restrictive means of furthering that compelling governmental interest.“117 Auffallend ist dabei, daß nur vor erheblichen Eingriffen geschützt wird. Insofern ähnelt die Regelung eher dem Bundes-RFRA als den Landesgesetzen von Rhode Island und Connecticut. Ein solches „substantiality requirement“ enthält auch der „Act Concerning Religious Freedom“ des Staates Illinois.118 Dieses Landesgesetz bezieht sich in seinem § 10 ausdrücklich auf die Urteile Sherbert und Yoder und bezeichnet diese Leitentscheidungen als praxisfähige Grundlage für eine Abwägung von Religionsfreiheit und öffentlichen Interessen. Tennessee hat keinen allgemeinen Landes-RFRA erlassen, sondern ein Gesetz, das speziell die Religionsausübung in öffentlichen Schulen regelt.119 Der „Student Religious Liberty Act“ von 1997 grenzt sich von der bisherigen Praxis ab, indem er allgemein feststellt: „Judicial decisions concerning religion, free speech and public education are widely misunderstood and misapplied . . . Neutrality to religion does not require hostility to religion. The establishment clause does not prohibit reasonable accomodation of religion, . . .“.120 Das Gesetz gestattet Schülern, auf dem Schulgelände religiöse Aktivitäten durchzuführen (hier ist etwa an Bibel-, Gebets- oder Meditationskreise zu denken), soweit diese nicht in Rechte anderer Personen eingreifen oder die Ordnung, Disziplin oder erzieherische Aufgabe der Schule stören.
III. Religious Land Use and Institutionalized Persons Act (RLUIPA) Auch auf bundesstaatlicher Ebene hat der Gesetzgeber einen neuen Versuch unternommen, die Rechte religiöser Minderheiten über den vom Supreme Court in 116 Braunstein, 66 Fordham L.Rev. 2333, 2380. Eine Auflistung der Gruppen, die sich für den Erlaß von RFRAs einsetzten, findet sich bei Eisgruber / Sager, 1997 Sup.Ct.Rev. 79, 81. 117 Florida Title XLIV Civil Rights, Chapter 761 Religious Freedom, Sec. 761.03 (1). 118 1997 Illinois ALS 806; 1997 Illinois HB 1997, Sec. 10 (6). Das Gesetz trat in Kraft, nachdem das Veto des Gouverneurs am 2. Dezember 1998 mit der erforderlichen Mehrheit überstimmt worden war. 119 1997 Tennessee S.B. 1792. 120 Section 49 – 6-1013 (1) des Student Religious Liberty Act.
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der Smith-Entscheidung121 festgestellten Mindeststandard der Verfassung hinaus zu schützen. Am 9. September 2000 trat der „Religious Land Use and Institutionalized Persons Act“ in Kraft (RLUIPA).122 Dieser schreibt den Compelling-InterestStandard durch einfaches Parlamentsgesetz fest, beschränkt sich dabei aber im Gegensatz zum „Religious Freedom Restoration Act“ auf bestimmte Anwendungsbereiche, nämlich den Gebrauch staatlicher Ländereien und die Rechte von Menschen, die in geschlossenen Anstalten betreut oder inhaftiert sind.
1. RLUIPA als Reaktion auf die Rechtsprechung Das Gesetz stellt sich nicht nur als Reaktion auf die Urteile Smith123 und City of Boerne124 dar, sondern reflektiert auch die juristische und politische Debatte, die sich an den bereits dargestellten Urteilen Lyng v. Northwest Indian Cemetery Protective Association125 und Friend v. Kolodzieczak126 entzündet hatte.127 In Lyng hatten amerikanische Ureinwohner vergeblich den Bau einer Straße durch ein ihnen heiliges Gebiet zu verhindern versucht, und in Friend war einem Häftling verboten worden, einen Rosenkranz in seiner Zelle zu haben.128 Auf diese Debatten reagierte der Kongreß über die Partei- und Glaubensgrenzen hinweg durch die einstimmige Verabschiedung des RLUIPA. Daß dies ohne politischen Widerstand erfolgte, erstaunt insofern, als daß wenige Jahre zuvor im Rahmen der Diskussion um den Religious Freedom Restoration Act noch Ausnahmen für die Rechte von Häftlingen gefordert worden waren. Mehrheitlich waren solche Beschränkungen aber schon 1993 abgelehnt worden.129 Zudem läßt das neue Gesetz die Sicherheitsbestimmungen, die 1995 im Prison Litigation Reform Act einheitlich kodifiziert wurden, unangetastet (§ 4 [e] RLUIPA).
121 Employment Division, Department of Human Resources of Oregon v. Smith, 494 U.S. 872 (1990). 122 Der „Religious Land Use and Institutionalized Persons Act of 2000“, Senate Bill 2869, wurde am 22. 09. 2000 von Präsident Clinton unterzeichnet und damit zum Public Law No. 106 – 274. 123 Employment Division, Department of Human Resources of Oregon v. Smith, 494 U.S. 872 (1990). 124 City of Boerne v. Flores, 117 S.Ct. 2157 (1997). 125 Lyng v. Northwest Cemetery Protective Association, 485 U.S. 439 (1988). 126 Friend v. Kolodzieczak, 923 F.2d 126, 128 (9th Cir, 1991). 127 Vgl. Braunstein, 66 Fordham L. Rev. 2333, 2359. 128 Die Fälle unterscheiden sich jedoch insofern, als daß in Lyng der Compelling-InterestTest zumindest nominell noch Anwendung fand, während Friend, erst nach Smith, entschieden wurde. 129 Vgl. Braunstein, 66 Fordham L. Rev. 2333, 2359; Laycock / Thomas, 73 Tex. L. Rev. 209, 227.
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2. Der Regelungsgehalt des RLUIPA Der RLUIPA sieht vor, daß Bestimmungen zur Nutzung staatlicher Ländereien die Religionsfreiheit von Einzelnen oder von Glaubensgemeinschaften nur dort in erheblicher Weise beschränken dürfen, wo sie einem zwingenden öffentlichen Interesse dienen und das mildeste Mittel darstellen. Damit nimmt das neue Gesetz die Terminologie der Sherbert / Yoder-Rechtsprechung des Supreme Court und auch des RFRA auf. Mit identischen Worten schützt das Gesetz weiterhin die Religionsfreiheit von Menschen, die in einer Einrichtung leben oder dort untergebracht sind. Der Begriff der Einrichtung richtet sich dabei nach § 2 des „Civil Rights of Institutionalized Persons Act“130, vor allem sind hier Pflegeheime, Gefängnisse und geschlossene Heilanstalten gemeint. Der Begriff der Religionsausübung wird in § 8 Abs. 7 RLUIPA definiert: „The term ‘religious exercise’ includes any exercise of religion, whether or not compelled by, or central to, a system of religious belief.“ Damit greift der Gesetzgeber die Frage auf, ob jedes religiös motivierte Handeln geschützt sein soll oder lediglich von der Religion zwingend gebotene Verhaltensweisen. Im Anschluß an die von der Mehrheit der Verfassungsrichter im Lyng-Urteil vertretene Auffassung131 lehnt der Kongreß einen Gebotenheits- oder Zentralitätstest 132 ab und schützt jedes religiös motivierte Verhalten. Damit vermeidet es der Gesetzgeber, von den Gerichten eine detaillierte und wertende Analyse des Glaubenssytems des Betroffenen vornehmen zu lassen, die mit der Establishment Clause kaum zu vereinbaren wäre.133 Weiterhin greift das Gesetz die Debatte um die Beweislast auf. Schon in dem bereits dargestellten Urteil United States v. Ballard hatte der Supreme Court festgehalten, daß zwar nicht der Wahrheitsgehalt einer religiösen Überzeugung dem gerichtlichen Beweis zugänglich sei, wohl aber die Frage, ob der Betroffene überhaupt eine religiöse Überzeugung als Grundlage für sein Verhalten hatte.134 Hier besteht eine Spannung zwischen dem Schutz des Freiheitsrechtes und dem der staatlichen Ordnung. Weder darf die Religionsfreiheit eines Betroffenen durch überhöhte Anforderungen an den Nachweis seines Glaubens unterspült werden, noch darf das Vorschieben angeblich religiöser Motive zur uferlosen Inanspruchnahme von Sonderrechten führen.135 Der RLUIPA bestimmt in § 4 (b), daß die Beweislast auf den Staat übergeht, sobald der Kläger einen Beweis des ersten Anscheins für eine Verletzung seiner Religionsfreiheit geführt hat. Dieser Beweislastwechsel umfaßt alle Tatbestandsmerkmale, mit der bedeutsamen Ausnahme des Abgedruckt unter 42 U.S.C. 1997. Lyng v. Northwest Cemetery Protective Association, 485 U.S. 439 (1988). 132 Hierfür das Bundesgericht des 9th Circuit in Bryant v. Gomez, 46 F.3d 948 (9th Cir. 1995). 133 Vgl. Lupu, 20 U. Ark. Little Rock L. J. 575, 595. 134 United States v. Ballard, 322 U.S. 78 (1944). 135 Laycock / Thomas, 73 Tex. L. Rev. 209, 233. 130 131
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Nachweises eines erheblichen Eingriffs in die Religionsausübungsfreiheit des Klägers.136 Es bleibt abzuwarten, welche Anforderungen die Gerichte an die Beweislast stellen werden. Hinsichtlich des Vorhandenseins einer religiösen Überzeugung sollte jedoch (schon wegen der mangelnden naturwissenschaftlichen Beweisbarkeit) eine Glaubhaftmachung genügen.
3. Die Gesetzgebungskompetenz für RLUIPA Der Kongreß hat die Anwendbarkeit des RLUIPA beschränkt auf Fälle, in denen die eingreifende Maßnahme im Rahmen eines zumindest teilweise aus Bundesmitteln finanzierten Programms getroffen wird, oder in denen der Eingriff oder dessen Fortfall den Handel zwischen den Einzelstaaten, mit indianischen Stämmen oder Drittstaaten beeinträchtigt. Damit verweist das Gesetz auf die Verfassungsnormen, aus denen sich die Kompetenz für den Bundesgesetzgeber zum Erlaß des RLUIPA ergeben soll, und begrenzt gleichzeitig den Anwendungsbereich auf Fälle mit hinreichendem Bezug zu den genannten Gebieten der Bundesgesetzgebung. Der Verweis auf die „interstate commerce clause“ im 8. Abschnitt des 1. Artikels der Unionsverfassung soll gewährleisten, daß das neue Gesetz nicht wie der RFRA von 1993 mangels einer Bundesgesetzgebungskompetenz vom Supreme Court als verfassungswidrig eingestuft wird.137 Aber während die Kompetenz des Kongresses zur Regelung von staatlichen Maßnahmen, die wenigstens teilweise aus Bundesmitteln finanziert werden, kaum zu bestreiten ist, so bestehen doch Zweifel an der Kompetenz zum Erlaß des RLUIPA als Regelung des zwischenstaatlichen und internationalen Handels. Zwar wurde schon in der Diskussion um die Verfassungswidrigkeit des RFRA die Ansicht vertreten, der Kongreß hätte ein Gesetz zur Religionsfreiheit aufgrund der „interstate commerce clause“ erlassen können.138 Ob aber ein hinreichender Bezug der Regelungsmaterie zum zwischenstaatlichen oder gar internationalen Handel besteht, mag trotz der traditionell extensiven Auslegung dieser Kompetenznorm bezweifelt werden. Neben der Frage, ob der RLUIPA überhaupt verfassungsgemäß ist, werden Gerichte auch klären müssen, in welchen Einzelfällen tatsächlich ein hinreichender Bezug zum zwi136 „If a plaintiff produces prima facie evidence to support a claim alleging a violation of the Free Exercise Clause or a violation of Section 2 (des RLUIPA, T.F.), the government shall bear the burden of persuasion of any element of the claim, except that the plaintiff shall bear the burden of persuasion on whether the law (including a regulation) or government practice that is challenged by the claim substantially burdens the plaintiff ’s exercise of religion.“ 137 Der RFRA war auf die „remedial powers clause“ im 5. Abschnitt des 14. Zusatzartikels gestützt worden. Der Supreme Court urteilte in City of Boerne v. Flores, 117 S.Ct. 2157 (1997), daß kein hinreichender Bezug des Gesetzes zu einem verfassungswidrigen Verhalten der Einzelstaaten bestand, welches ein Tätigwerden des Bundesgesetzgebers erforderlich gemacht hätte. 138 Lupu, 20 U. Ark. Little Rock L.J. 575, 578. Der Supreme Court hatte diese Frage in City of Boerne v. Flores, 117 S.Ct. 2157 (1997) offengelassen.
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schenstaatlichen oder internationalen Handel besteht, der die Anwendbarkeit des RLUIPA auslöst. Die praktische Relevanz dieser Frage wird aber dadurch eingeschränkt, daß eine Gesetzgebungskompetenz und eine Anwendbarkeit des RLUIPA jedenfalls dann besteht, wenn sich die eingreifende Maßnahme als Bestandteil eines wenigstens teilweise aus Bundesmitteln finanzierten Projektes darstellt. Dies gilt umso mehr, als daß in den hier geregelten Bereichen der Landnutzung und der Anstaltsfürsorge häufig Mittel aus dem Bundeshaushalt Verwendung finden.
E. Zusammenfassung Die Religionsfreiheit ist im First Amendment mit knappen Worten geregelt. Dies gibt der Judikative einen erheblichen Gestaltungsraum für die Auslegung dieser zentralen Verfassungsnorm. Seit den Entscheidungen Sherbert v. Verner und Wisconsin v. Yoder wurde über Jahrzehnte hinweg ein Prüfungsmaßstab angewandt, nach dem Eingriffe in die Religionsfreiheit nur gerechtfertigt sein konnten, wenn sie einem zwingenden öffentlichen Interesse zu dienen bestimmt waren und das mildeste verfügbare Mittel darstellten.139 Diese Rechtsprechung wurde im Jahr 1990 mit der Entscheidung Employment Division, Department of Human Resources of Oregon v. Smith faktisch aufgegeben.140 Nunmehr soll die Religionsfreiheit unter dem Vorbehalt der allgemeinen Gesetze stehen und der frühere CompellingInterest-Test nur noch dort Anwendung finden, wo ein zweites Grundrecht mitbetroffen ist. Als politische Reaktion auf die Änderung der Verfassungsrechtsprechung erließ der Kongreß im Jahr 1993 den Religious Freedom Restoration Act (RFRA). Durch dieses einfache Parlamentsgesetz wird ein Bürgerrecht der Religionsfreiheit gewährt, das neben dem durch die Verfassung garantierten Grundrecht existiert. Während jedoch die in der Verfassung verankerte Religionsfreiheit nach der neuen Rechtsprechung des Supreme Court unter dem Vorbehalt der allgemeinen Gesetze steht, kann in das durch den RFRA eingeführte Recht nur aufgrund eines zwingenden öffentlichen Interesses eingegriffen werden. Somit wurde der frühere Grundrechtsstandard durch den Gesetzgeber wieder eingeführt. Der RFRA wurde aber 1997 vom Supreme Court für teilweise verfassungswidrig erklärt und ist nur noch gegenüber Maßnahmen von Bundesbehörden anwendbar. In City of Boerne v. Flores urteilten die Richter, die vom Kongreß angeführte Gesetzgebungskompetenz stelle keine hinreichende Grundlage für den Erlaß des RFRA dar.141 Daher sei durch den Erlaß des Bundesgesetzes in die RegelungsbeSherbert v. Verner, 374 U.S. 398 (1963); Wisconsin v. Yoder, 406 U.S. 205 (1972). Employment Division, Department of Human Resources of Oregon v. Smith, 494 U.S. 872 (1990). 141 City of Boerne v. Flores, 117 S.Ct. 2157 (1997). 139 140
E. Zusammenfassung
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fugnisse der Einzelstaaten eingegriffen worden. Gegenüber diesen dürfe der RFRA folglich keine Anwendung finden. Die Frage der Anwendbarkeit im Bundesrecht wird in dem Urteil nicht ausdrücklich behandelt. In der Folge haben zahlreiche Einzelstaaten den Compelling-Interest-Test in ihrem Landesrecht verankert. Dies geschah teilweise durch Urteile der Landesverfassungsgerichte, in denen die Landesverfassungen so ausgelegt wurden wie früher das First Amendment in den Entscheidungen Sherbert und Yoder. Anderweitig wurden die Landesverfassungen geändert und die Anwendung des Compelling-Interest-Test dort festgeschrieben. Mehrere Landesparlamente haben einfachgesetzliche Vorschriften nach dem Vorbild des Bundes-RFRA erlassen. Der Schutz der Religionsausübungsfreiheit wird demnach zunehmend dort geregelt, wo er in der amerikanischen Geschichte einmal seinen Ursprung nahm, nämlich auf der Ebene der Einzelstaaten. Auch der Kongreß hat ein weiteres Gesetz zum Schutz der Religionsfreiheit erlassen. Der „Religious Land Use and Institutionalized Persons Act“ vom September 2000 schreibt die Anwendung des Compelling-Interest-Standards in Konfliktsituationen vor, die bei der Nutzung öffentlicher Ländereien und für in Anstalten wohnende oder untergebrachte Menschen entstehen.142 Die Anwendbarkeit wurde, um eine Zuständigkeit des Bundesgesetzgebers zu begründen, auf Fälle beschränkt, in denen die eingreifende Maßnahme aus einem zumindest teilweise aus Bundesmitteln finanzierten Projekt resultiert oder in denen der Eingriff den Handel zwischen den Staaten, mit indianischen Stämmen oder ausländischen Staaten beeinflußt. Im Ergebnis ist eine Zersplitterung des Grundrechtsstandards festzustellen. Im Bereich des Bundesrechts gilt der Compelling-Interest-Standard aufgrund des RFRA. Gegenüber den Einzelstaaten können sich Anstaltsinsassen und Menschen, die staatliche Ländereien für ihre Religionsausübung nutzen wollen, aufgrund des RLUIPA auf denselben Standard berufen, soweit dieses neue Bundesgesetz anwendbar ist (Bundeszuschüsse oder Bezug zum grenzüberschreitenden Handel). Ansonsten können die Bürger gegenüber den Einzelstaaten Rechte aus den Landesverfassungen oder aus einfachen Landesgesetzen („state RFRAs“) ableiten. Nur, wenn keine dieser Normen die Anwendung des weitergehenden Compelling-Interest-Standards vorschreiben, kommt das First Amendment zum Tragen, das aber seit Smith eben nur noch einen sehr eingeschränkten Schutz bietet (Schranke der allgemeinen Gesetze). Die kritischen Reaktionen auf das Smith-Urteil verdeutlichen, wie bedeutsam der Bereich der Religionsfreiheit in der politischen Auseinandersetzung in den Vereinigten Staaten bis heute geblieben ist. Sie unterstreichen den Mangel an Popularität des von Justice Scalia verfaßten Urteils, nach dem es die steigende Heterogenität der amerikanischen Gesellschaft am Ende des 20. Jahrhunderts angeblich un142
Religious Land Use and Institutionalized Persons Act, Public Law No. 106 – 274.
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5. Kap.: Die Religionsfreiheit zu Beginn des 21. Jahrhunderts
möglich macht, religiös motiviertes Verhalten stärker zu schützen. Diese zweifelhafte Begründung entfernt die Religionsfreiheit jedoch von denjenigen geistesgeschichtlichen Wurzeln, nach welchen das Recht, seinem Glauben entsprechend zu leben, unabänderlich und von Mehrheitsentscheidungen unabhängig sein soll.143
143 So heißt es schon in Jeffersons „Bill for Establishing Religious Freedom“ von 1779, wie bereits ausgeführt ein wesentliches Vorbild für die Entwicklung der Unionvsverfassung: „Almighty God hath created the mind free, and manifested in his supreme will that free it shall remain by making it altogether insusceptible of restraint; that all attempts to influence it by temporal punishment, or burthens, or by civil incapacities, tend only to beget habits of hypocrisy and meanness, and are a departure from the plan of the holy author of our religion, who being lord both of body and mind, yet chose not to propagate it by coercions on either, as was his Almighty power to do, but to extend it by influence on reason alone.“ Der Wortlaut des gegenüber der Vorlage („Bill“) nur unwesentlich abgeänderten Gesetzes („Act“ oder „Statute“) ist abgedruckt in Stokes / Pfeffer, Church and State, S. 69 ff. sowie Commager, Documents of American History, S. 125.
6. Kapitel
Die Establishment Clause zu Beginn des 21. Jahrhunderts A. Die Situation bis zum Beginn der 90er Jahre In der Zeit seit dem Zweiten Weltkrieg spiegelt die Rechtsprechung zur Establishment Clause die zum Teil heftigen politischen Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Weltanschauungen wider. Im Mittelpunkt stehen vielfach Konflikte zwischen fundamentalistischen protestantischen Gruppen und atheistischen oder separationistischen Bewegungen, die jegliche Berührung zwischen Kirche und Staat für unzulässig halten. Der Judikative verbleibt die Aufgabe, bei der Auslegung der Verfassung die widerstreitenden Interessen jeweils anhand neutraler Kriterien zu einer praktikablen Konkordanz zu bringen. Als Grundlage für die Darstellung der aktuellen Entwicklungen der vergangenen zehn Jahre soll zunächst die Ausgangsposition des Supreme Court summarisch zusammengefaßt werden. Den vorstehend bereits ausführlicher dargestellten Urteilen lagen meist Streitfälle aus dem Bereich der allgemeinbildenden Schulen zugrunde.
I. Grundsätze der Neutralitätspflicht Der vor allem auf die Entscheidungen Everson v. Board of Education und Lemon v. Kurtzman zurückgehende Dreistufentest stellt darauf ab, ob der fraglichen Maßnahme ein weltlicher Zweck zugrundeliegt („secular purpose“), ob die Hauptwirkung der Maßnahme eine Förderung von Religion darstellt („primary effect of advancement of religion“) und ob es zu einer übermäßigen Verwicklung staatlicher und kirchlicher Belange kommt („excessive entanglement“). 1
II. Religionsunterricht und Kooperationen Bezüglich einer weltanschaulichen Unterweisung in öffentlichen Schulen wurde bereits dargestellt, daß ein dem deutschen Religionsunterricht vergleichbares Fach 1 Everson v. Board of Education, 330 U.S. 1 (1947); Lemon v. Kurtzman, 403 U.S. 602 (1971). Der Dreistufentest wird in der amerikanischen Fachliteratur meist als „Lemon-Test“ bezeichnet, obwohl die Dogmatik schon auf das wesentlich ältere Everson-Urteil zurückgeht.
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6. Kap.: Die Establishment Clause zu Beginn des 21. Jahrhunderts
aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht angeboten werden darf. Dieses würde eine unzulässige Förderung der Religion darstellen. Auch Kooperationen, bei denen weltanschaulicher Unterricht zwar von privater Seite organisiert, aber unter Nutzung staatlicher Einrichtungen durchgeführt wird („Shared-Time-Programs“), verstoßen nach der älteren Rechtsprechung gegen das First Amendment.2 Beim Auftreten von Theologen auf dem Schulgelände, so die Verfassungsrichter, entstünde der Eindruck einer Identifikation des Staates mit der jeweiligen Glaubensrichtung. Es ist lediglich gestattet, bei der Gestaltung des Stundenplans auf religiöse Anliegen in der Form Rücksicht zu nehmen, daß Schülern die Teilnahme an privat organisierten Gottesdiensten oder am Religionsunterricht außerhalb der Schule ermöglicht wird („Released-Time-Programs“).3
III. Förderung von Schülern, nicht von Schulen Nach den oft nur mit knapper Mehrheit gefällten Urteilen ist entscheidend, wie die staatlichen Maßnahmen konkret ausgestaltet sind. So können zwar kirchliche Schulen als solche keinesfalls gefördert werden, andererseits dürfen ihre Schüler nicht von allgemeinen Förderprogrammen des Staates ausgenommen werden. Deshalb ist es der Nachkriegsrechtsprechung zufolge mit dem First Amendment einerseits vereinbar, Schülern einer kirchlichen Schule individuelle Lehrbücher zur Verfügung zu stellen, andererseits aber verfassungswidrig, einer religiös geprägten Schule umfangreiche Nachschlagewerke für den kollektiven Gebrauch anzubieten.4
IV. Schulgebet Zur Vermeidung einer unzulässigen Identifikation des Staates mit einer Weltanschauung ist auch das Abhalten von Gebeten im Rahmen von Schulveranstaltungen nicht gestattet, soweit das Gebet der Schule zugerechnet werden kann oder eine Teilnahme zumindest faktisch erzwungen wird. Daher kann die Schule weder im Unterricht noch bei Abschlußfeiern ein Gebet vorschreiben.5 2 Illinois ex rel. McCollum v. Board of Education of School District No. 71, Champaign County, Illinois, 333 U.S. 203 (1948). Vgl. aber zu dem Kriterium, daß keine Veranstaltungen auf dem Schulgelände selbst stattfinden dürfen, neuerdings die Entscheidung Agostini v. Felton, die nachfolgend erörtert wird. 3 Zorach v. Clauson, 343 U.S. 306 (1952). 4 Dieses Beispiel ist sinngemäß dem Urteil Wolman v. Walter, 433 U.S. 229 (1977) entnommen. Vgl. auch Meek v. Pittenger, 421 U.S. 349 (1975). 5 Engel v. Vitale, 370 U.S. 421 (1962); Lee v. Weisman, 112 S.Ct. 2649 (1992).
B. Neubewertung der räumlichen Trennung
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B. Neubewertung der räumlichen Trennung Die Rechtsprechung zum Ausgang des 20. Jahrhunderts enthält Urteile, welche der Gleichbehandlung von religiösen mit nichtreligiösen Grundrechtsträgern den Vorrang einräumen vor einer strikten Trennung von Staat und Religion. Drei Urteile des Supreme Court aus den Jahren 1990 – 1993 verdeutlichen, daß die Verfassungsrichter die „wall of separation“ heute als durchlässiger betrachten als in der unmittelbaren Nachkriegszeit.
I. Religiöse Gruppen in öffentlichen Schulen Zunächst urteilte der Supreme Court, daß nicht jede Art von weltanschaulich geprägten Aktivitäten auf dem Gelände staatlicher Schulen mit der Verfassung unvereinbar ist. 1. Christliche Schülerinitiative Eine Gruppe von Schülern der Westside High School in Omaha, Nebraska, wollte einen „Christian Club“ gründen. Ähnlich wie andere Schülerinitiativen sollte sich diese Gruppe außerhalb der Unterrichtszeiten auf dem staatlichen Schulgelände treffen können. Ohne Leitung oder Aufsicht durch ein Mitglied des Lehrkörpers wollten die Schüler zu Lektüre und Diskussion der Bibel zusammenkommen. Die Anerkennung als Schülerinitiative und damit auch die Nutzung eines Klassenraumes wurde ihnen jedoch versagt unter Hinweis auf das Verfassungsgebot der Trennung von Staat und Kirche.6 Vergleichbare Interessengruppen oder Arbeitsgemeinschaften existieren an den meisten weiterführenden Schulen der USA. Anders als in Europa bilden nicht private Vereine, sondern an die Schulen gebundene Veranstaltungen den Mittelpunkt für die meisten sportlichen und sozialen Aktivitäten junger Menschen. Die Anerkennung als Schülerinitiative an der jeweiligen Schule ist mithin von erheblicher Bedeutung für die Durchführbarkeit einer geplanten Aktivität. Daher hat der Kongreß im „Equal Access Act“ von 1984 bestimmt, daß eine diskriminierungsfreie Zulassung aller Schüler-Aktivitäten geboten ist, unabhängig von deren inhaltlicher Ausrichtung.7 Dieses Gesetz war im vorliegenden Fall anwendbar, da die Schule finanzielle Zuwendungen aus Bundesmitteln erhielt. Der Supreme Court urteilte, daß der Equal Access Act nicht gegen die Establishment Clause verstößt und dem Westside Community Board of Education v. Mergens, 496 U.S. 226 (1990). Der Equal Access Act bestimmt in 20 U.S.C. 4071 (a): „It shall be unlawful for any public secondary school which receives Federal financial assistance and which has a limited open forum to deny equal access or a fair opportunity to, or discriminate against, any students who wish to conduct a meeting within that limited open forum on the basis of the religious, political, philosophical, or other content of the speech at such meetings.“ 6 7
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6. Kap.: Die Establishment Clause zu Beginn des 21. Jahrhunderts
„Christian Club“ daher dieselben Rechte gewährt werden müssen wie anderen Schülerinitiativen.8 In dem von Verfassungsrichterin Sandra Day O’Connor verfaßten Urteil findet der Lemon-Test Anwendung. Zunächst wird festgestellt, daß der Equal Access Act einem weltlichen Zweck zu dienen bestimmt ist, nämlich der allgemeinen Förderung von extracurricularem Engagement. Dies ergibt sich aus der von dem Gesetz vorgesehenen Gleichbehandlung von religiösen und nichtreligiösen Initiativen.9 Weiterhin, so das Urteil, besteht auch die vornehmliche Wirkung des Gesetzes nicht in einer Förderung von Religion. In der Zulassung des „Christian Club“ liege erkennbar nicht eine Befürwortung christlicher Inhalte durch die Schule, da die Initiative ausschließlich von Schülern getragen und die Zusammenkünfte außerhalb der Unterrichtszeiten liegen würden. Mithin handle es sich um private Aktivitäten, deren inhaltliche Anliegen der Schule nicht zugerechnet werden könnten.10 Auch bestehe keine Gefahr der übermäßigen Verwicklung von Staat und Religion. Eine Anwesenheit von Lehrern sei gerade nicht vorgesehen. Eine inhaltliche Kontrolle oder Bewertung könne nicht in der Zulassung, sondern eher in der Nichtzulassung der Initiative gesehen werden.11
2. Filmvortrag einer Kirchengemeinde Eine weitere Entscheidung bestätigt die neue Tendenz in der Rechtsprechung, weltanschaulich geprägte Aktivitäten auf dem Gelände staatlicher Schulen zuzulassen. Im Bundesstaat New York ist es den Schulbehörden erlaubt, privaten Gruppen von Bürgern die Nutzung schulischer Einrichtungen außerhalb der Unterrichtszeiten zur Verfolgung bestimmter Zwecke zu gestatten. Im Schulbezirk Moriches hatte man die Schulräume für staatsbürgerliche, soziale und sportliche Veranstaltungen freigegeben. Eine Kirchengemeinde verlangte unter Hinweis auf das Gebot der Gleichbehandlung ebenfalls die Zulassung, um eine Filmreihe über Kindererziehung aus christlicher Sicht zu zeigen. Dies wurde ihr mit der Begründung versagt, religiöse Veranstaltungen könnten wegen der weltanschaulichen Neutralität des Staates nicht auf dem Schulgelände stattfinden. Der Supreme Court urteilte, daß eine Zulassung der kirchlichen Veranstaltung keine Verletzung der Establishment Clause darstellen würde und sogar aufgrund des Grundrechts auf Meinungsäußerungsfreiheit geboten sei.12 Zunächst sei es verfassungswidrig, daß die Filmreihe wegen ihrer religiös geprägten Sichtweise nicht Westside Community Board of Education v. Mergens, 496 U.S. 226 (1990). Westside Community Board of Education v. Mergens, 496 U.S. 226, 248 (1990). 10 Westside Community Board of Education v. Mergens, 496 U.S. 226, 250 (1990). 11 Westside Community Board of Education v. Mergens, 496 U.S. 226, 252 (1990). 12 Lamb’s Chapel v. Center Moriches School District, 508 U.S. 385 (1993). 8 9
B. Neubewertung der räumlichen Trennung
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vorgeführt werden durfte. Wenn der Schulbezirk Veranstaltungen von Bürgergruppen auf dem Schulgelände gestatte, müsse er über die Zulassung aufgrund neutraler Kriterien entscheiden. Eine Nichtzulassung aufgrund der Tatsache, daß über das Thema Kindererziehung eben von einem religiösen Standpunkt aus berichtet werde, stelle eine unzulässige Diskriminierung dar.13 Eine solche Ungleichbehandlung werde auch nicht durch die Establishment Clause gerechtfertigt, weil eine Nichtzulassung verfassungsrechtlich nicht geboten sei. Da die Filme öffentlich und außerhalb der Unterrichtszeiten gezeigt werden und die Schule nicht als Veranstalter oder Sponsor auftreten sollte, bestehe keine hinreichende Gefahr, daß die religiösen Inhalte als Äußerungen des Schulbezirkes aufgefaßt werden könnten. Mit der Einbeziehung verschiedener Bürgergruppen werde ein weltlicher Zweck verfolgt (Förderung sozialer und bildender Veranstaltungen in der Gemeinde), zudem bestehe die wesentliche Wirkung nicht in einer Förderung von Religion, und auch eine unzulässige Verwicklung des Staates in religiöse Angelegenheiten sei nicht erkennbar. Nach dem Lemon-Test sei demnach die Vorführung der Filmreihe durch die Kirchengemeinde auf dem Schulgelände verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.14 Das einstimmig ergangene Urteil verdeutlicht, daß in bestimmten Fällen eine räumliche Trennung zwischen „staatlich-neutralem Territorium“ und „privat-religiöser Sphäre“ nicht mehr erforderlich ist. Allein darin, daß eine christliche Veranstaltung auf dem Gelände einer staatlichen Schule stattfindet, liegt noch keine unzulässige Förderung von oder Identifikation mit Religion.15 Daher besteht eine Pflicht zur Gleichbehandlung religiöser und nichtreligiöser Veranstalter.
3. Bibelgruppe für Grundschüler Den Anfang der 90er Jahre neu begründeten Beurteilungsstandard für kirchliche Aktivitäten auf dem Gelände staatlicher Schulen entwickelte der Supreme Court in einem Urteil vom 11. Juni 2001 weiter.16 Die Milford Schule im Bundesstaat New York erlaubte privaten Vereinen, das Schulgebäude in den Nachmittags- und Abendstunden für gemeinnützige Veranstaltungen zu nutzen. Der „Good News Club“, eine landesweite Organisation von christlichen Kindergruppen, wollte nach Schulschluß wöchentlich eine Bibelgruppe für Kinder anbieten. Dabei sollten biblische Geschichten erzählt, gesungen Lamb’s Chapel v. Center Moriches School District, 508 U.S. 385, 390 f. (1993). Lamb’s Chapel v. Center Moriches School District, 508 U.S. 385, 395 f. (1993). 15 Anders noch der Supreme Court in Illinois ex rel. McCollum v. Board of Education of School District No. 71, Champaign County, Illinois, 333 U.S. 203 (1948). 16 Good News Club v. Milford Central School, Urteil vom 11. Juni 2001, Aktenzeichen 99 – 2036, einzusehen unter http://laws.findlaw.com / us / 000 / 99 – 2036.html. 13 14
9 Funke
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6. Kap.: Die Establishment Clause zu Beginn des 21. Jahrhunderts
und gebetet werden. Dies wurde ihr wegen des religiösen Charakters der Veranstaltung nicht gestattet. Der Supreme Court stellte zunächst heraus, daß die Öffnung des Schulgebäudes für private Veranstaltungen nur rechtmäßig sei, wenn die Zulassung einzelner Gruppen unter neutralen Auswahlkriterien erfolge.17 Ähnlich wie in Lamb’s Chapel v. Center Moriches Union Free School District sei vorliegend eine Gruppe unzulässigerweise ausgeschlossen worden, weil sie einen religiösen Standpunkt vertrete.18 Dabei mache es keinen Unterschied, ob über ein allgemeines Thema wie Kindererziehung von einem religiösen Standpunkt aus referiert werde, oder ob sich eine christliche Prägung unmittelbar aus dem Erzählen biblischer Geschichten ergebe. Jede noch so religiöse Veranstaltung könne nämlich auch als Behandlung eines allgemeinen Themas wie Moral oder Ethik von einem bestimmten (christlichen) Standpunkt betrachtet werden. Die Nichtzulassung des Good News Club ist auch nicht durch die Establishment Clause geboten, so das von Verfassungsrichter Thomas verfaßte Urteil. Die Kindergruppe sollte sich nach Schulschluß treffen und allen Schülern offenstehen. Daher bestehe keine hinreichende Gefahr, daß die Äußerungen des Clubs der staatlichen Schule zugerechnet werden könnten. Nach dem Lemon-Test sei die Nichtzulassung daher verfassungsrechtlich nicht geboten. Vielmehr gebiete es die weltanschauliche Neutralität des Staates, seine Einrichtung möglichst verschiedenen Gruppen zugänglich zu machen.19 Durch den Ausschluß christlicher Gruppen könne der falsche Eindruck einer religionsfeindlichen Haltung des Staates entstehen.20 Die Kritik an dem mit 5 : 3 Stimmen ergangenen Urteil geht dahin, daß die Grundschüler nicht genügend zwischen dem (staatlichen) Schulunterricht und der unmittelbar folgenden (privaten) Bibelgruppe unterscheiden könnten. Es bestehe ein erhebliches Risiko, daß dem Staat die christliche Botschaft zugerechnet werden könne.21 Überdies müßten die Veranstaltungen des Good News Club wegen ihres gottesdienstähnlichen und missionarischen Charakters22 anders beurteilt werden als die Filmvorführungen im Fall Lamb’s Chapel.23 17 Good News Club v. Milford Central School, Urteil vom 11. Juni 2001, Aktenzeichen 99 – 2036, einzusehen unter http://laws.findlaw.com / us / 000 / 99 – 2036.html. 18 Lamb’s Chapel v. Center Moriches Union Free School District, 508 U.S. 385 (1993). 19 In seinem separaten Votum schreibt Verfassungsrichter Scalia zu dem Grundgedanken, daß eine religiöse Gruppe genauso für ihre Ansichten werben dürfe wie eine sportliche oder politische Organisation: „A priest has as much liberty to proselytize as a patriot.“ Good News Club v. Milford Central School, Urteil vom 11. Juni 2001, Aktenzeichen 99 – 2036, Scalia, J., concurring, einzusehen unter http://laws.findlaw.com / us / 000 / 99-2036.html. 20 Good News Club v. Milford Central School, Urteil vom 11. Juni 2001, Aktenzeichen 99 – 2036, einzusehen unter http://laws.findlaw.com / us / 000 / 99-2036.html. 21 So die Verfassungsrichter Souter, und Ginsburg in ihrem abweichenden Votum. Good News Club v. Milford Central School, Urteil vom 11. Juni 2001, Aktenzeichen 99 – 2036, Souter, J., and Ginsburg, J., dissenting, einzusehen unter http://laws.findlaw.com / us / 000 / 99–2036.html.
B. Neubewertung der räumlichen Trennung
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4. Zusammenfassung Mit diesem Urteil stellt der Supreme Court eine neue religionsfreundliche Kontinuität in der Beurteilung kirchlicher Aktivitäten auf dem Schulgelände her. Die Urteile Westside Community Board of Education v. Mergens (1990),24 Lamb’s Chapel v. Center Moriches School District (1993)25 und Good News Club v. Milford Central School (2001)26 betonen im Gegensatz etwa zu Illinois v. Champaign County (1948)27 die Sicherung weltanschaulicher Neutralität gerade durch die Gleichbehandlung religiöser und nichtreligiöser Gruppen. Wo öffentliche Schulgebäude privaten Vereinen zugänglich gemacht werden, dürfen kirchliche Gruppen nicht wegen ihrer religiösen Ansichten benachteiligt werden. Die Zulassung kirchlicher Veranstaltungen auf dem Schulgelände stellt nicht in jedem Fall eine unzulässige Förderung von Religion dar. Zwar müsse schon der Anschein einer Identifikation des Staates mit weltanschaulichen Inhalten vermieden werden. Andererseits dürfe nicht der Eindruck einer generell religionsfeindlichen Haltung des Staates entstehen.
II. Öffentliche Kräfte in kirchlichen Schulen Eine zunehmend religionsfreundliche Rechtsprechung hinsichtlich staatlicher Maßnahmen zur Förderung von Schülern kirchlicher Schulen leitet ein Urteil aus dem Jahr 1993 ein. Der von Geburt an gehörlose James Zobrest hatte aufgrund des „Individuals with Disabilities Act“ einen Gebärdendolmetscher durch den Staat gestellt bekommen, solange er eine staatliche Schule besuchte. Als er sich aus Glaubensgründen entschied, auf eine katholische Schule zu wechseln, weigerte sich die Kommunalverwaltung, ihm diese Dienstleistung weiterhin anzubieten. Der Supreme Court wandte erneut den Lemon-Test an.28 Ein weltlicher Zweck für die Förderung liege offenkundig in der Kompensation der Nachteile, die dem Jugendlichen aus seiner Körperbehinderung entstanden. Eine Förderung von Religion sei in der Zurverfügungstellung eines Dolmetschers auch nicht zu sehen, da 22 Zu den Zielen des Good News Club vgl. Amanda Ripley, Saving the 7-Year-Old, Time Magazine vom 29. Mai 2001. 23 So Verfassungsrichter Stevens, in seinem abweichenden Votum. Good News Club v. Milford Central School, Urteil vom 11. Juni 2001, Aktenzeichen 99 – 2036, Stevens, J. dissenting, einzusehen unter http://laws.findlaw.com / us / 000 / 99–2036.html. 24 Westside Community Board of Education v. Mergens, 496 U.S. 226 (1990). 25 Lamb’s Chapel v. Center Moriches School District, 508 U.S. 385 (1993). 26 Good News Club v. Milford Central School, Urteil vom 11. Juni 2001, Aktenzeichen 99 – 2036, einzusehen unter http://laws.findlaw.com / us / 000 / 99–2036.html. 27 Illinois ex rel. McCollum v. Board of Education of School District No. 71, Champaign County, Illinois, 333 U.S. 203 (1948). 28 Zobrest v. Catalina Foothills School District, 113 S. Ct. 2462 (1993).
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6. Kap.: Die Establishment Clause zu Beginn des 21. Jahrhunderts
hier nicht die Schule von einer Leistungspflicht entbunden werde, sondern einem Schüler eine allgemein zugängliche Unterstützung zuteil werde.29 Auch sei ein Gebärdendolmetscher, anders als etwa ein Lehrer, nicht als Instrument religiöser Indoktrination anzusehen, da er lediglich übersetze und keinen eigenständigen Anteil an der Prägung einer religiösen Überzeugung habe.30 Dies zu gewährleisten sei auch ohne exzessive Kontrollmaßnahmen möglich, die eine unbotmäßige Verwicklung von Staat und Kirche darstellen würden. Diese Entscheidung setzt zunächst die Rechtsprechung fort, nach der individuelle Fördermaßnahmen für bestimmte Schüler unabhängig davon zulässig sind, ob diese eine staatliche oder weltanschaulich ausgerichtete Schule besuchen.31 Andererseits gibt das Urteil jedoch die Auffassung auf, nach der zur Vermeidung des Anscheins einer Verwicklung des Staates in religiöse Angelegenheiten öffentlich finanzierte Kräfte auf dem Gelände kirchlicher Schulen nicht tätig werden durften.32 Eine räumliche Überschneidung bedeutet nicht mehr notwendigerweise eine unzulässige Identifikation des Staates mit einer Religionsgemeinschaft. Dies macht vorliegend umso mehr Sinn, als daß ein Gebärdendolmetscher weniger eigene Inhalte vermittelt als vielmehr nur eine technische Übermittlungsleistung erbringt. Wäre dies aus Gründen der weltanschaulichen Neutralität unzulässig, so müßte man für die Dauer des Besuchs einer kirchlichen Schule auch das Abschalten eines aus Wohlfahrtsmitteln finanzierten Hörgerätes oder das Absetzen einer Brille fordern.33 III. Folgerung Die frühere Rechtsprechung des Supreme Court, nach der es regelmäßig eine unzulässige Identifikation des Staates mit einer Religionsgemeinschaft darstellte, wenn auf dem Gelände einer staatlichen Schule religiös motivierte Gruppen Veranstaltungen abhielten,34 wurde in den vergangenen Jahren aufgegeben.35 Die Sorge 29 „The IDEA [Individuals with Disabilities Act, T.F.] creates a neutral government program dispensing aid not to schools but to individual handicapped children.“ 30 Daß diese Frage überhaupt den Supreme Court erreichen konnte, zeugt von einer beinahe hysterisch wirkenden Besorgnis um die Standfestigkeit der Trennmauer zwischen Staat und Kirche, die insbesondere von separationistischen Bewegungen wie der „American Civil Liberties Union“ geschürt wird. 31 Vgl. Wolman v. Walter, 433 U.S. 229 (1977); Mueller v. Allen, 463 U.S. 388 (1983). 32 Illinois ex rel. McCollum v. Board of Education of School District No. 71, Champaign County, Illinois, 333 U.S. 203 (1948). 33 So argumentierte dem Verfasser gegenüber der Verfassungsrechtler Prof. Robert O’Neil, University of Virginia, in einem Gespräch vom 5. April 1999. 34 Illinois ex rel. McCollum v. Board of Education of School District No. 71, Champaign County, Illinois, 333 U.S. 203 (1948). 35 Westside Community Board of Education v. Mergens, 496 U.S. 226 (1990); Lamb’s Chapel v. Center Moriches School District, 508 U.S. 385 (1993).
C. Neue Wege der Förderung
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davor, daß christliche Inhalte dem Staat zugerechnet werden könnten, tritt zurück hinter das Gebot der Gleichbehandlung. Dies gilt sowohl für Aktivitäten von Schülern der entsprechenden Schule als auch für Veranstaltungen von Bürgern. Nicht in jedem Fall ist der Austausch religiöser Meinungen auf dem Gelände öffentlicher Schulen unzulässig. Überdies wurde in Zobrest eine Fallgruppe anerkannt,36 in der staatlich bezahlte Kräfte auf dem Gelände einer kirchlichen Schule tätig sein können. Auch hier sieht der Supreme Court zuvorderst die Pflicht zur Gleichbehandlung. Eventuelle Bedenken, daß ein staatlich bezahlter Dolmetscher bei der Übermittlung weltanschaulicher Botschaften mitwirken würde, müssen vernünftigerweise dahinter zurückstehen. Eine strenge räumliche Trennung wird demnach nicht mehr für zwingend erforderlich gehalten, um dem Gebot der Nichtidentifikation des Staates mit einer Weltanschauung gerecht zu werden.
C. Neue Wege der Förderung Die Neubewertung des Elements der räumlichen Trennung gab Anlaß zu weiteren Prozessen, in denen der Supreme Court seine Stellungnahme zur Förderung von Schülern an kirchlichen Schulen weiter präzisierte. I. Förderunterricht: Agostini v. Felton Der Bundesstaat New York finanzierte gemäß dem „Elementary and Secondary Education Act“ von 1965 ein Programm zur Förderung lernschwacher Schüler, in dessen Rahmen besondere Kurse angeboten wurden. Dieses Angebot erstreckte sich auch auf kirchliche Schulen. Staatlich bezahlte Lehrkräfte unterrichteten die Förderkurse auf dem Gelände der Privatschulen. Eine vergleichbare Finanzierung war vom Supreme Court in einem früheren Urteil schon einmal für verfassungswidrig erklärt worden mit der Begründung, staatliche Kräfte dürften nicht auf dem Gelände kirchlicher Schulen tätig werden.37 Nachdem der Supreme Court ab 1990 das Gebot einer räumlichen Trennung zunehmend aufgeweicht hatte, nahm New York das Programm jedoch wieder auf. Bei der erneuten Betrachtung im Jahre 1997 hielt der Supreme Court die Fördermaßnahmen für verfassungsgemäß.38 Die Mehrheit der Verfassungsrichter urteilte, daß keine Förderung der Privatschulen, sondern der Schüler vorliege. Zwar werde hier, anders als im Fall Zo36 37 38
Zobrest v. Catalina Foothills School District, 113 S. Ct. 2462 (1993). Aguilar v. Felton und Grand Rapids v. Ball, 473 U.S. 373 (1985). Agostini v. Felton, 521 U.S. 203 (1997).
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brest,39 nicht ein einzelner Schüler gefördert, sondern eine Gruppe. Diese sei aber anhand von neutralen Kriterien definiert, die auf staatliche und private Schulen in gleicher Weise Anwendung finden. Zudem diene das Programm der Kompensation spezifischer Nachteile dieser Schüler, nämlich ihrer Lernschwäche. Die Schule profitiere daher von dem Programm nicht in einer Weise, die als Förderung religiöser Unterweisung anzusehen sei.40 Dem halten vier Verfassungsrichter in ihren abweichenden Voten entgegen, daß es der Schule immerhin erspart bleibe, selbst Förderkurse41 für lernschwache Schüler anzubieten und zu finanzieren.42 Weiterhin sei, so das Urteil, bei Anwendung des Lemon-Tests43 keine übermäßige Verwicklung des Staates in religiöse Angelegenheiten zu erkennen. Zwar würden staatlich bezahlte Lehrkräfte auf dem Gelände einer kirchlichen Schule tätig. Es gebe aber keinerlei Hinweise dafür, daß diese sich dem Umfeld anpassen und den Schülern weltanschauliche Inhalte vermitteln würden. Auch bestehe kein hinreichender Anschein, der den Eindruck einer staatlichen Förderung von Religion oder eines engen Einvernehmens zwischen Staat und Kirche erwecke. Die Forderung nach einer strengen räumlichen Trennung religiöser und staatlicher Aktivitäten habe das Gericht aufgegeben.44 Das Urteil im Fall Agostini stellt eine konsequente Weiterentwicklung der Rechtsprechung zur Establishment Clause dar. Unter Hinweis auf Urteile aus den Jahren 1990 – 1993 wiederholt das Gericht, daß eine räumliche Überschneidung nicht mehr notwendigerweise eine Verfassungsverletzung darstellt. Dabei geht das Gericht insofern über Zobrest hinaus, als daß nicht lediglich ein Übersetzer in der Privatschule tätig wird, sondern Lehrkräfte, die eigenständige Inhalte gestalten. Ein Eindruck (insbesondere auf junge Menschen), daß zwischen Staat und Kirche ein enges Einvernehmen besteht, könnte in einem solchen Fall sicherlich leichter entstehen. Auch erschwert die Zulässigkeit der Förderung ganzer Gruppen die Abgrenzung zwischen einer zulässigen Hilfe für Schüler und einer unzulässigen Unterstützung der Schule. Dennoch ist die Entwicklung zu begrüßen, da das Urteil hinreichende Abgrenzungskriterien enthält (Anwendung des Programms auf SchüZobrest v. Catalina Foothills School District, 113 S. Ct. 2462 (1993). Vgl. Witters v. Washington Department of Service for the Blind, 474 U.S. 481. In diesem Fall wurde die Förderung eines blinden Theologiestudenten als verfassungsgemäß beurteilt, obwohl die Stipendienleistung direkt vom Staat an die kirchliche Hochschule gezahlt wurde. 41 Der Verfassungsrechtler Prof. A.E. Howard, University of Virginia, vertrat dem Verfasser gegenüber in einem Gespräch am 7. März 1999 die Auffassung, daß eine Abgrenzung zwischen Förderkursen und allgemeinem Unterricht kaum zu treffen und daher eine Gleichbehandlung aller Unterrichtsformen geboten sei. 42 Die beiden abweichenden Voten zu Agostini v. Felton, 521 U.S. 203 (1997), wurden verfaßt von Justice Souter und Justice Ginsburg und mitgetragen von Justice Stevens und Justice Breyer. 43 Lemon v. Kurtzman, 403 U.S. 602 (1971). 44 Vgl. Zobrest v. Catalina Foothills School District, 113 S. Ct. 2462 (1993). 39 40
C. Neue Wege der Förderung
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ler staatlicher wie privater Schulen, Ziel der Kompensation spezifischer Nachteile, Förderung einer abgrenzbaren Gruppe von Schülern). Überdies wäre nicht einzusehen, weshalb Kinder von einem allgemeinen staatlichen Förderprogramm, das auch aus den Steuermitteln ihrer Eltern finanziert wird, ausgeschlossen werden sollten, nur weil sie eine kirchliche Schule besuchen.
II. Unterrichtsmaterialien: Mitchell v. Helms In einem Urteil des Supreme Court aus dem Jahr 2000 wurde sogar die Zurverfügungstellung von Unterrichtsmaterialien für verfassungsmäßig befunden.45 Durch den „Education Consolidation and Improvement Act“ von 1981 werden Mittel aus dem Bundeshaushalt an Behörden in den Einzelstaaten vergeben, die Computer, Bücher, Software und andere Medien anschaffen und dauerhaft an örtliche Schulen verleihen. Die Kläger wandten sich dagegen, daß in ihrem Landkreis in Louisiana etwa 30% dieser Mittel (kirchlichen) Privatschulen zur Verfügung gestellt wurden. Das erstinstanzliche und das Berufungsurteil hielten das Programm für verfassungswidrig. Mit Bezug auf die Urteile Meek46 und Wolman47 führten die Richter aus, daß lediglich individuelle Lernhilfen für einzelne Schüler staatlich gesponsert werden dürften, nicht aber Geräte, die von der Schule insgesamt genutzt werden können.48 Der Supreme Court hingegen hielt das Programm unter Verweis auf die Urteile Zobrest49 und Agostini50 für verfassungsgemäß.51
1. Abwandlung des Lemon-Tests Die Prüfung der Frage, ob eine Verletzung der Establishment Clause vorliegt, wurde allerdings nicht gänzlich nach dem Lemon-Test vorgenommen. Die Feststellung des erstinstanzlichen Gerichts, daß das angegriffene Programm auf einer gesetzlichen Grundlage basiert, die einem neutralen Zweck zu dienen bestimmt ist, war weder vor dem Berufungsgericht noch vor dem Supreme Court angegriffen worden. Daher sahen es die Verfassungsrichter als vorgegeben an, daß der Staat einen weltlichen Zweck verfolgte.
45 46 47 48 49 50 51
Mitchell v. Helms, 120 S.Ct. 2530 (2000). Meek v. Pittenger, 421 U.S. 349 (1975). Wolman v. Walter, 433 U.S. 229 (1977). Helms v. Mitchell, 151 F.3d 347 (Fifth Circuit, 1999). Zobrest v. Catalina Foothills School District, 113 S.Ct. 2462 (1993). Agostini v. Felton, 521 U.S. 203 (1997). Mitchell v. Helms, 120 S.Ct. 2530 (2000).
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6. Kap.: Die Establishment Clause zu Beginn des 21. Jahrhunderts
Vielmehr beschränkte sich der Supreme Court auf die Prüfung der Frage, ob die vornehmliche Wirkung des Programms in einer Förderung52 von Religion bestehe. Hingegen wurde der dritte Prüfungspunkt des Lemon-Tests, die Frage der übermäßigen Verwicklung des Staates in religiöse Angelegenheiten, nicht mehr eigenständig behandelt, sondern lediglich als Indiz für die Beurteilung der Hauptwirkung der Maßnahme, also des zweiten Prüfungspunktes, angesehen. Insofern hat der Supreme Court die Kriterien für die Beurteilung von Establishment-Clause-Fällen formell abgeändert.53 Diese Entwicklung deutete sich bereits im Agostini-Urteil an, in dem die Frage nach der Verwicklung von Staat und Kirche nicht mehr in einem eigenständigen Abschnitt behandelt wurde. Jedoch distanziert sich das Urteil zu Agostini in der inhaltlichen Prüfung der Verfassungsverletzung keineswegs von den hergebrachten Kriterien: „To be sure, the general principles we use to evaluate whether government aid violates the Establishment Clause have not changed . . .“.54 2. Prüfung des „Principal Effect“ Die mithin zentrale Frage, ob die vornehmliche Wirkung der angegriffenen Maßnahme in einer Förderung (oder Behinderung) von Religion liegt („principal effect“), beantwortet der Supreme Court unter Rückgriff auf frühere Urteile55 anhand von drei Kriterien. Zunächst sei zu untersuchen, ob die den Schulen gewährte Hilfe zu einer weltanschaulichen Indoktrination durch den Staat führe (result of governmental indoctrination). Zweitens sei entscheidend, ob das Programm den Kreis der Unterstützungsempfänger im wesentlichen nach neutralen Kriterien oder nach deren Religionszugehörigkeit bestimme (definition of recipients by reference to religion). Schließlich dürfe die Maßnahme nicht zu einer übermäßigen Verwicklung von Staat und Kirche führen (excessive entanglement). 56 Im vorliegenden Fall, so die Verfassungsrichter, sei die Establishment Clause nicht verletzt, da die Wirkung des angegriffenen Förderprogramms nicht im wesentlichen in einer Förderung von Religion bestehe. Die Zurverfügungstellung der Videorekorder und anderen Unterrichtsmittel führe nicht zu einer staatlichen Indoktrination. Die Geräte und Bücher würden vom Staat ausgewählt und seien als solche nicht weltanschaulich geprägt. Das Förderprogramm ergänze die Bildungsmaßnahmen der Schule, ohne sie zu ersetzen. Weiterhin sei der Kreis der Empfän52 Die Mehrheit der Richter gebraucht die Formel „primary effect of advancing or inhibiting religion“, etwa in Mitchell v. Helms, während Verfassungsrichterin O’Connor auch von „endorsement of religion“ schreibt, etwa in Agostini v. Felton, 521 U.S. 203, 235 (1997). 53 Wisenberg, Summary and Analysis of Mitchell v. Helms, http://laws.findlaw.com / us / 000 / 98–1648.html. 54 Agostini v. Felton, 521 U.S. 203, 222 (1997). 55 Vgl. zuletzt Agostini v. Felton, 521 U.S. 203, 222 f. und 234 (1997). 56 Mitchell v. Helms, 120 S.Ct. 2530 (2000).
C. Neue Wege der Förderung
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ger nach neutralen Kriterien abgegrenzt, eine spezielle Unterstützung für kirchliche Schulen liege nicht vor. Schließlich sei auch kein unbotmäßiger Einfluß des Staates auf die Kirche oder der Kirche auf den Staat zu erkennen.
3. Folgerung In Mitchell modifiziert der Supreme Court den Lemon-Test dahingehend, daß der frühere dritte Prüfungspunkt der unbotmäßigen Verwicklung von Staat und Kirche, also die Frage nach „excessive entanglement“, seine eigenständige Bedeutung verliert und nunmehr nur noch eines von drei Kriterien innerhalb des zweiten Prüfungspunktes ist. Damit kommt der Frage, ob die Hauptwirkung der angegriffenen Maßnahme in einer Förderung (oder Behinderung) von Religion besteht, eine zentrale Bedeutung in der Beurteilung von Establishment-Clause-Fällen zu. Überdies hat der Supreme Court in Mitchell erstmals ein Programm als verfassungsgemäß beurteilt, in dem Mittel nicht einzelnen Schülern (wie in Zobrest) oder einer eng beschränkten Gruppe (wie in Agostini) dienen, sondern in dem eine Förderungsleistung für alle Schüler eines Bezirks gewährt wird. Zwar müssen die Unterstützungsempfänger weiterhin nach neutralen Kriterien bestimmt sein. Jedoch kann das Argument, der Staat gewähre nur eine zusätzliche Förderung, welche die kirchliche Schule nicht in ihrem zentralen und privat zu finanzierenden Erziehungsauftrag entlastet, kaum mehr Anwendung finden, wo eine Pro-Kopf-Hilfe gewährt wird, die der Gesamtheit der Schüler zugute kommt.
III. Der „Faith-based“-Aktionsplan Die von Präsident George W. Bush geplante Reform des Wohlfahrtssystems umfaßt einen Plan, kirchliche soziale Einrichtungen aus dem Bundeshaushalt zu unterstützen, der als „Community Solutions Act“ im Kongreß verhandelt wird.57 Er sieht vor, daß religiöse Gruppen zur Durchführung sozialer Hilfsprogramme (wie etwa Suppenküchen und Obdachlosenunterkünfte) vom Staat finanzielle Zuwendungen erhalten können.58 Die Leistungsfähigkeit des amerikanischen Wohlfahrtssystemes soll dadurch gesteigert werden, daß diakonisch engagierte Gruppen zum Einsatz für die Benachteiligten finanziell besser befähigt werden. Der als „Faith-based Initiative“ bezeichnete Plan wird als unzulässige staatliche Förderung von Religion kritisiert.59 Seit Jeffersons „Bill for Establishing Religious 57 Der Wortlaut und der aktuelle Stand der Behandlung des Community Solutions Act (H.R. 7) ist einzusehen unter http://thomas.loc.gov. 58 Die neuen Vorschriften sollen unter der Überschrift „Charitable Choice“ als Sec. 1991 eingefügt werden in die Revised Statutes of the United States, Title XXIV. 59 So etwa in der Stellungnahme von „Americans United for the Separation of Church and State“, http://www.au.org / press / pr71901.html.
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Freedom in Virginia“ gehört es zum Kernbereich der weltanschaulichen Neutralität des Staates, daß Steuermittel für religiöse Zwecke nicht erhoben oder verwendet werden dürfen.60 Auch wird bemängelt, daß sich die religiösen Gruppen (anders als sonst bei Empfängern staatlicher Fördermittel üblich) nicht an die allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsätze halten müßten und daher Angehörige einer bestimmten Konfession bevorzugt beschäftigen dürfen. Diese Kritik übersieht jedoch, daß lediglich eine Gleichstellung kirchlicher Diakonie mit anderen Anbietern von Sozialdiensten erfolgen soll. Nichtreligiöse Dienstleister können derartige staatliche Fördermittel für bestimmte Programme, etwa zur Drogenprävention oder Obdachlosenbetreuung, bereits erhalten. Auch sollen die Mittel den Kirchen nicht allgemein, sondern nur zweckgebunden zur Verfügung gestellt werden. Der Supreme Court hat in einem Urteil vom 11. Juni 2001 festgehalten, daß Neutralität nicht Religionsfeindlichkeit bedeuten könne und daher kirchliche Gruppen nicht wegen ihrer Religiosität benachteiligt werden dürften.61 Weiterhin hat er im Mitchell-Urteil ein Förderprogramm für verfassungsgemäß gehalten, in dem der Staat auch kirchlichen Schulen diverse Unterrichtsmaterialien zur Verfügung stellt.62 Soweit ein allgemeines Förderprogramm die Unterstützungsempfänger nach neutralen Kriterien definiert und dies nicht zu einer übermäßigen Verwicklung von Staat und Kirche führt, ist eine Unterstützung auch von Maßnahmen kirchlicher Einrichtungen nicht ausgeschlossen. Das im Gesetzgebungsverfahren befindliche Programm dürfte insofern einer Überprüfung durch den Supreme Court standhalten.
D. Gebet bei Schulveranstaltungen Auch mit der Zulässigkeit von Gebeten im Rahmen von Schulveranstaltungen befaßte sich der Supreme Court im Jahr 2000 erneut. I. Grundsätze zum Schulgebet Schon zu Beginn der 60er Jahre des 20. Jahrhunderts hatten die Verfassungsrichter unter Anwendung der allgemeinen Kriterien63 festgestellt, daß es mit der Ver60 Dieser Gedanke geht, wie eingangs näher dargestellt, nicht nur auf das von Jefferson entworfene virginische Gesetz, sondern auch auf James Madisons Streitschrift „Memorial and Remonstrance“ von 1785 zurück. 61 Good News Club v. Milford Central School, Urteil vom 22. Juni 2001, Aktenzeichen 99 – 2036, einzusehen unter http://laws.findlaw.com / us / 000 / 99–2036.html. 62 Mitchell v. Helms, 120 S.Ct. 2530 (2000). 63 Everson v. Board of Education, 330 U.S. 1 (1947); später konkretisiert in Lemon v. Kurtzman, 403 U.S. 602 (1971).
D. Gebet bei Schulveranstaltungen
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fassung unvereinbar ist, den Schulunterricht mit einem gemeinsamen Gebet einzuleiten.64 Auch wurde das regelmäßige Rezitieren von Bibelversen zu Beginn des Schultages für unzulässig erachtet, da die Schule offenkundig nicht nur eine Auseinandersetzung mit einem Werk der Weltliteratur herbeiführen wollte, sondern eine weltanschaulich geprägte Besinnung.65 Überdies urteilte der Supreme Court, daß ein Geistlicher nicht von einer High School eingeladen werden dürfe, um im Rahmen einer Zeugnisübergabefeier ein öffentliches Gebet zu sprechen.66 Die Schule hatte unzulässigerweise auf den Inhalt des Gebetes eingewirkt, seine Abhaltung organisiert und die Veranstaltungsteilnehmer zur Teilnahme genötigt.
II. Gebet vor einer Sportveranstaltung Auch die jüngste Entscheidung betrifft einen Fall, in dem im Rahmen einer schulischen Großveranstaltung ein Gebet über Mikrofon gesprochen wurde. Die Schulleitung der Santa Fe High School im Bundesstaat Texas rief die Schüler zu einer Abstimmung darüber auf, ob vor den Heimspielen der Football-Schulmannschaft ein Gebet gesprochen werden sollte. Nach einem positiven Abstimmungsergebnis wollte die Schule dann einen Schüler wählen lassen, der während der Saison für das Sprechen der Gebete zuständig sein sollte. Hiergegen wehrten sich mehrere Schüler und ihre Eltern. Der Supreme Court beurteilte die Praxis an der Santa Fe High School mit fünf gegen drei Richterstimmen als verfassungswidrig.67 Die Verfassungsrichter wiesen die Ansicht der Schulleitung zurück, nach der es sich bei den Gebeten um private Äußerungen handle. Die Gebete fänden anläßlich einer Schulveranstaltung auf dem Schulgelände statt, und zwar in Folge einer von der Schulleitung organisierten Wahl. Daher seien die Gebete der Schule zuzurechnen. Weiterhin sei nur ein Schüler für die gesamte Saison berechtigt, ein Gebet zu sprechen. Minderheiten könnten nicht zum Zug kommen, so daß kein Forum vorliege, das allen Weltanschauungen offen stehe.68 Daher stelle die Praxis an der Santa Fe High School eine Förderung von Religion durch den Staat dar. Hieran ändere die Tatsache nichts, daß der Besuch der Sportveranstaltung freiwillig sei. Zunächst, so das Urteil, sei die Teilnahme für die beteiligten Sportler verpflichtend.69 Aber auch den Schülern, die dem Spiel zuschauen möchten, Engel v. Vitale, 370 U.S. 421 (1962). Abington School District v. Schempp, 374 U.S. 203 (1963). 66 Lee v. Weisman, 112 S.Ct. 2649 (1992). 67 Santa Fe Independent School District v. Doe, 120 S.Ct. 2266 (2000). 68 Anders insofern Rosenberger v. Rector and Visitors of the University of Virginia, 515 U.S. 819 (1995). 69 Die Beteiligung an einer Schulmannschaft und die Teilnahme an Wettkämpfen derselben gilt an den meisten amerikanischen Schulen als Unterrichtsveranstaltung, die auch be64 65
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könne in Anbetracht der herausragenden sozialen Funktion von Sportveranstaltungen nicht zugemutet werden,70 sich zwischen der unfreiwilligen Teilnahme an einem religiösen Ritual und dem Verzicht auf das Football-Spiel entscheiden zu müssen.71 III. School Prayer Amendment Um Gebete in der Schule zu ermöglichen hat der republikanische Kongressabgeordnete Ernest Istook am 20. Dezember 2001 den Entwurf eines neuen Verfassungszusatzes im Repräsentantenhaus eingebracht. Das „School Prayer Amendment“ soll Gebete in staatlichen Einrichtungen, insbesondere in Schulen, ermöglichen. Nach dem vorgeschlagenen Wortlaut soll zwar der Staat nicht Gebete formulieren oder zur Teilnahme an religiösen Veranstaltungen zwingen, jedoch sollen auf privater Initiative beruhende religiöse Aktivitäten in öffentlichen Gebäuden grundrechtlich geschützt werden: „Neither the United States nor any State shall establish any official religion, but the people’s right to pray and to recognize their religious beliefs, heritage, and traditions on public property, including schools, shall not be infringed. The United States and the States shall not compose school prayers, nor require any person to join in prayer or other religious activity.“72 Das von der Schülerschaft getragene Gebet vor dem Football-Spiel der Santa Fe High School wäre demnach verfassungsrechtlich nicht mehr zu beanstanden.73 Auch das Aufstellen religiöser Symbole wie z. B. von Weihnachtskrippen oder des Dekalogs in öffentlichen Gebäuden würde erleichtert. Die Praxis im Bundesstaat New York, die bis 1962 das Beten eines staatlich vorgegebenen Textes vorsah und zur Grundsatzentscheidung des Supreme Court führte, bliebe jedoch verfassungswidrig.74 Der vorliegende Gesetzesentwurf ist bereits die dritte Initiative des Abgeordneten Istook zur Wiedereinführung des Schulgebetes. Im Juni 1998 verfehlte sein Antrag (H. J. Res. 78) die erforderliche Zweidrittelmehrheit im Abgeordnetenhaus. notet wird. Sie ersetzt für die „Spitzensportler“ unter den Schülern den allgemeinen Sportunterricht. 70 In den Vereinigten Staaten werden in zahlreichen Sportarten regelmäßig Wettkämpfe zwischen den Schulen ausgetragen, die von den Schülern gerne besucht werden. Insbesondere für die Sportarten American Football und Basketball leuchtet die Sichtweise des Verfassungsgerichts ein, daß die Veranstaltungen eine bedeutende soziale Funktion haben. 71 „For many others, however, the choice between whether to attend these games or to risk facing a personally offensive religious ritual is in no practical sense an easy one.“ Santa Fe Independent School District v. Doe, 120 S.Ct. 2266 (2000). 72 Der Wortlaut von H.J. Res. 81 und der jeweilige Stand des Gesetzgebungsverfahrens ist einzusehen unter http://thomas.loc.gov, einem nach Thomas Jefferson benannten Informationsdienst von Kongreß und Kongreßbibliothek. 73 Santa Fe Independent School District v. Doe, 120 S.Ct. 2266 (2000). 74 Engel v. Vitale, 370 U.S. 421 (1962).
E. Zusammenfassung
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Der zweite Antrag (H. J. Res. 66) vom 15. 9. 1999 gelangte nicht zur Abstimmung im Plenum. Seine dritte Gesetzesinititative wurde am 14. Januar 2002 an einen Unterausschuß des Abgeordnetenhauses verwiesen. Es erscheint zweifelhaft, ob sie die notwendige Zweidrittelmehrheit in beiden Häusern des Kongresses sowie die Ratifikation von drei Vierteln der Staaten erreichen wird.75
IV. Folgerung Während in anderen Anwendungsbereichen der Establishment Clause in den vergangenen Jahren nachhaltige Änderungen in der Rechtsprechung des Supreme Court festzustellen sind, so bleibt die Dogmatik zum Gebet in der Schule unverändert. Gebete bleiben wegen der besonderen Beeinflußbarkeit junger Menschen im Rahmen von Schulveranstaltungen verfassungswidrig, wenn sie durch staatliche Stellen eingeleitet oder in irgendeiner Weise organisiert werden. Dies gilt besonders dann, wenn Schüler zur Teilnahme rechtlich oder faktisch gezwungen sind.
E. Zusammenfassung In den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts weist die Rechtsprechung des Supreme Court zur Establishment Clause eine zunehmend religionsfreundliche Tendenz auf. Darin kommt auch ein Respekt vor den Intentionen der amerikanischen Verfassungsväter zum Ausdruck, denen zwar an einer deutlichen Trennung gelegen war (Jefferson: „Wall of Separation“), nicht aber an einer religionsfeindlichen Haltung des Staates. Vordergründig erscheint es, als wolle der Supreme Court die Kirchen und Glaubensgemeinschaften durch eine wohlwollende Establishment-Clause-Rechtsprechung entschädigen für den seit 1990 stark abgesenkten Schutzstandard im Bereich der Free Exercise Clause.76 Vielmehr kennzeichnet aber ein gemeinsames Merkmal die Entwicklung in der Rechtsprechung, nämlich eine Zurückhaltung der Judikative gegenüber demokratischen Mehrheitsentscheidungen. Im Bereich der Free Exercise Clause soll, so Justice Scalia im Smith-Urteil, eben im Rahmen des demokratischen Meinungsbildungsprozesses auf die Bedürfnisse von Minderheiten Rücksicht genommen werden. Dem entspricht es, wenn im Bereich der Establishment Clause die Gerichte zurückhaltender sind bei der Bewertung von demokratisch legitimierten Förderprogrammen. Unbefriedigend bleibt jedoch, daß ein hinreichender Schutz gerade für Minderheiten in politischen Mehrheitsentscheidungsprozessen schwer zu erzielen ist. 75 Der jeweilige Stand des Gesetzgebungsverfahrens ist einzusehen unter http://thomas. loc.gov. 76 Employment Division, Department of Human Resources of Oregon v. Smith, 494 U.S. 872 (1990).
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Im einzelnen hat der Supreme Court die Position aufgegeben,77 nach der es regelmäßig eine unzulässige Identifikation des Staates mit einer Religionsgemeinschaft darstellte, wenn auf dem Gelände einer staatlichen Schule religiös motivierte Gruppen Veranstaltungen abhielten.78 Nicht in jedem Fall ist der Austausch religiöser Meinungen auf dem Gelände öffentlicher Schulen unzulässig. Sobald der Staat ein Forum eröffnet für die Äußerung von erkennbar privaten Ansichten, so kann er Gruppen von diesem Forum nicht mit der Begründung ausschließen, daß diese religiös geprägt seien.79 Das Gebot der staatlichen Neutralität umfaßt auch das Gebot, religiöse Ansichten gegenüber nicht-religiösen Standpunkten nicht zu benachteiligen. Neutralität verbietet antireligiöse Positionen des Staates.80 Überdies wurde in Zobrest eine Fallgruppe anerkannt,81 in der staatlich bezahlte Kräfte auf dem Gelände einer kirchlichen Schule tätig sein können. Auch hier sieht der Supreme Court zuvorderst die Pflicht zur Gleichbehandlung. Weiterhin darf der Staat anhand von neutralen Kriterien bestimmte Gruppen von Schülern fördern, etwa indem aus Steuermitteln bezahlte Lehrkräfte Förderunterricht an allen Schulen, einschließlich der kirchlichen Privatschulen, anbieten.82 Dies kann auch auf dem Gelände der konfessionellen Schulen geschehen. Eine strenge räumliche Trennung wird demnach nicht mehr für zwingend erforderlich gehalten, um dem Gebot der Nichtidentifikation des Staates mit einer Weltanschauung gerecht zu werden. Der Verfassungsmäßigkeit eines Förderprogrammes steht es nicht entgegen, wenn alle Schüler eines Schulbezirks in den Kreis der Geförderten gelangen.83 Die Neuinterpretation der Establishment Clause führt zu unveränderten Ergebnissen im Bereich des Schulgebets. Gebete im Rahmen von schulischen Veranstaltungen sind verfassungswidrig, wenn sie durch staatliche Stellen eingeleitet oder in irgendeiner Weise organisiert werden, vor allem wenn junge Menschen zur Teilnahme rechtlich oder faktisch gezwungen sind. Zur Beurteilung der Frage, ob eine staatliche Maßnahme gegen die Establishment Clause verstößt, wendet der Supreme Court zum Ende des 20. Jahrhunderts 77 Westside Community Board of Education v. Mergens, 496 U.S. 226 (1990); Lamb’s Chapel v. Center Moriches School District, 508 U.S. 385 (1993). 78 Illinois ex rel. McCollum v. Board of Education of School District No. 71, Champaign County, Illinois, 333 U.S. 203 (1948). 79 Westside Community Board of Education v. Mergens, 496 U.S. 226 (1990); Lamb’s Chapel v. Center Moriches School District, 508 U.S. 385 (1993); Rosenberger v. Rector and Visitors of the University of Virginia, 515 U.S. 819 (1995). 80 Good News Club v. Milford Central School, Urteil vom 11. Juni 2001, Aktenzeichen 99 – 2036. Das bislang nicht im Druck erhältliche Urteil ist einzusehen unter http://laws. findlaw.com / us / 000 / 99–2036.html. 81 Zobrest v. Catalina Foothills School District, 113 S. Ct. 2462 (1993). 82 Agostini v. Felton, 521 U.S. 203 (1997). 83 Mitchell v. Helms, 120 S.Ct. 2530 (2000).
E. Zusammenfassung
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einen modifizierten Zweistufentest an, der vor allem auf die Urteile Everson84, Lemon,85 Agostini86 und Mitchell87 zurückgeht. Demnach muß die angegriffene Maßnahme zunächst einem weltlichen Zweck zu dienen bestimmt sein. Zudem kontrolliert das Gericht, ob die vornehmliche Auswirkung der Maßnahme in einer Förderung (oder Behinderung) von Religion besteht. Dabei kann es genügen, wenn der Anschein einer Förderung erweckt wird. Im Rahmen dieses zweiten Prüfungspunktes ist entscheidend, ob das Verhalten zu einer religiösen Indoktrination durch den Staat führt, ob der Kreis der Zuwendungsempfänger nach neutralen Kriterien bestimmt wird und ob die Maßnahme zu einer übermäßigen Verwicklung von staatlichen und kirchlichen Angelegenheiten führt.
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Everson v. Board of Education, 330 U.S. 1 (1947). Lemon v. Kurtzman, 403 U.S. 602 (1971). Agostini v. Felton, 521 U.S. 203 (1997). Mitchell v. Helms, 120 S.Ct. 2530 (2000).
7. Kapitel
Resümee mit vergleichenden Aspekten A. Zur Historie Das First Amendment gehört zu den beständigsten Normen in der westlichen Verfassungsgeschichte und zu den ältesten noch in Kraft befindlichen Grundrechten. Die Kürze der amerikanischen Verfassung von 1787 und des vier Jahre später angefügten Grundrechtskataloges („Bill of Rights“) hat dazu beigetragen, daß der Verfassungstext über zwei Jahrhunderte hinweg ein tragfähiger Unterbau für die Staatsorganisation und das gesellschaftliche Miteinander in Nordamerika sein konnte. I. Der Weg zum First Amendment Der Stellenwert der Religionsfreiheit ergibt sich nicht nur aus der Position im Verfassungstext. Er liegt auch in historischen Erfahrungen im Umgang staatlicher Gewalt mit der Religion begründet. Der Mangel an religiöser Freiheit im nachreformatorischen Europa veranlaßte zahlreiche Menschen zur Auswanderung in die Neue Welt. Dort setzte sich schon Ende des 18. Jahrhunderts die Auffassung durch, daß eine Trennung von Staat und Kirche für die Wahrhaftigkeit des Gottesdienstes wie für das politische Miteinander am förderlichsten sei. Die nach virginischem Vorbild geschaffenen Bestimmungen der Unionsverfassung und zahlreicher State Constitutions bilden seit über 200 Jahren den Rahmen für das Verhältnis von Staat und Kirche und die Freiheit der Religionsausübung. Die Sklaven in den Südstaaten waren bis zum Ende des Bürgerkrieges, welches die Aufhebung der Unterscheidung in Freie und Unfreie bedeutete, von diesen Rechten ausgeschlossen. Seit 1787 kann in den USA gemäß Art. VI Abschnitt 3 der Verfassung der Zugang zu einem öffentlichen Amt nicht von einem religiösen Bekenntnis abhängig gemacht werden.1 Die Bill of Rights von 1791 sichert individuelle und kollektive Religionsfreiheit.2 Demgegenüber haben sich die staatsbürgerliche und politische Gleichbehandlung unabhängig vom Bekenntnis wie auch das Recht, sich zu Religionsgemein1 2
Der Text ist abgedruckt bei Commager, Documents of American History, S. 138. Der Text ist abgedruckt bei Commager, Documents of American History, S. 146.
A. Zur Historie
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schaften ohne staatliche Anerkennung frei zusammenschließen zu dürfen, in Deutschland erst im 19. Jahrhundert durchgesetzt. Auch wurde die Religionsausübungsfreiheit als Individualgrundrecht in Deutschland später anerkannt als in den USA. Insofern erscheint die amerikanische Entwicklung umso bemerkenswerter, wenn man sie mit der (hier freilich nicht in toto darzustellenden) Verfassungsgeschichte der Religionsfreiheit in Deutschland kontrastiert.
II. Der lange Weg zum Grundgesetz Verfassungsgeschichtliche Wurzeln der Religionsfreiheit in Deutschland finden sich im Augsburger Religionsfrieden von 1555.3 Die Formel „Cuius regio, eius religio“ fand ihre Einschränkung im Recht zur Auswanderung (ius emigrandi).4 Erst der Westfälische Friede von 16485 gewährte das Recht zum Verbleib bei dem bisherigen Bekenntnis im Falle des Konfessionswechsels des Landesherrn sowie das Recht zur Hausandacht.6 Der Reichsdeputationshauptschluß vom 25. Februar 1803 gab dem Landesherrn in Art. 63 überdies das Recht, andere Konfessionen als seine eigene zu dulden und Andersgläubigen die staatsbürgerliche Gleichberechtigung zu gewähren.7 Vor allem war Art. 63 die Grundlage für die Säkularisierung der geistlichen reichsunmittelbaren Fürstentümer.8 Als Entschädigung für den Zugriff auf die kirchlichen Güter wurden die annektierenden Staaten zu Geldleistungen verpflichtet, den bis heute fortdauernden Staatsleistungen.9 Das Preußische Allgemeine Landrecht von 179410 bestimmte in Teil II, Titel II, § 2: „Jedem Einwohner im Staate muß eine vollkommene Glaubens- und Gewissensfreyheit gestattet werden“. Damit war zunächst eine innere Freiheit gemeint. Die Religionsausübung stand weiterhin unter staatlicher Kontrolle. Die Kirchen waren gemäß Teil II, Titel II, § 13 verpflichtet, „ihren Mitgliedern Ehrfurcht gegen die Gottheit, Gehorsam gegen die Gesetze, Treue gegen den Staat und sittlich gute Gesinnungen gegen ihre Mitbürger einzuflößen.“ Die Ausbreitung von Bekenntnissen, die diesen Anforderungen nicht entsprachen, konnte der Staat verbieten.11 Text bei Buschmann, Texte und Dokumente zur Verfassungsgeschichte, S. 215 ff. von Campenhausen, Religionsfreiheit, HdbStR VI 369, 373 f. 5 Text bei Buschmann, Texte und Dokumente zur Verfassungsgeschichte, S. 285 ff. 6 Art. V. §§ 31 – 34 Instrumentum Pacis Osnabrugense. 7 Diese Freiheit beschränkte sich freilich auf die im Westfälischen Frieden anerkannten großen Bekenntnisse (römisch-katholisch, lutherisch, reformiert). 8 Der Text des Reichsdeputationshauptschlusses ist abgedruckt bei E.R. Huber, Dokumente zur Deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1, S. 1 ff. 9 Hierzu näher: von Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 29 ff. und S. 325 ff. 10 Hierzu näher Hattenhauer, Europäische Rechtsgeschichte, S. 472. 11 Zu früheren Zeichen religiöser Toleranz siehe die Ausführungen zum Toleranzedikt von Potsdam (1685) bei Hattenhauer, Europäische Rechtsgeschichte, S. 444 f. 3 4
10 Funke
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7. Kap.: Resümee mit vergleichenden Aspekten
Die Deutsche Bundesakte vom 8. Juni 1815 stellte in Art. 16 klar, daß die politischen Rechte unabhängig davon bestanden, welcher der drei großen Konfessionen (römisch-katholisch, lutherisch und reformiert) ein Bürger angehörte: „Die Verschiedenheit der christlichen Religions-Partheyen kann in den Ländern und Gebieten des deutschen Bundes keinen Unterschied in dem Genusse der bürgerlichen und politischen Rechte begründen.“12 Der Grundgedanke, daß die staatsbürgerlichen Rechte aufgrund des Bekenntnisses weder erweitert noch beschränkt werden, findet sich nachfolgend auch in Art. 12 der preußischen Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850 und in Art. 135 der Weimarer Reichsverfassung vom 11. August 1919. Die Frankfurter Paulskirchenverfassung vom 28. März 184913 sah in ihrem Art. V überdies ein Recht zur freien Religionsausübung im Rahmen der Gesetze vor. Kirchen sollten sich frei bilden und ihre Angelegenheiten selbständig regeln können. Keine Kirche sollte durch den Staat gegenüber anderen bevorzugt werden.14 Die Verfassung des Norddeutschen Bundes wie auch die Reichsverfassung vom 18. April 1871 enthielten keinen Grundrechtskatalog.15 Jedoch wurde mit einem Gesetz des Norddeutschen Bundes vom 3. Juli 1869, das 1871 als Reichsgesetz übernommen wurde, die Gleichberechtigung Aller ohne Unterschied des Bekenntnisses festgeschrieben.16 Die Weimarer Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919 sah in Anknüpfung an die Bestimmungen der Paulskirchenverfassung eine Freiheit der 12 Ähnlich auch die Verfassung für das Königreich Bayern vom 26. Mai 1818 in § 9: „Jedem Einwohner des Reichs wird vollkommene Gewissens-Freyheit gesichert; die einfache Haus-Andacht darf daher Niemandem, zu welcher Religion er sich bekennen mag, untersagt werden.“ 13 Näher hierzu Boldt, Deutsche Verfassungsgeschichte Bd. 2, S. 142. 14 Abschnitt VI Artikel V sah im einzelnen vor (Quellentext abgedruckt bei von Münch / Kunig – Mager, Art. 4 vor Rn. 1): „§ 144. Jeder Deutsche hat volle Glaubens- und Gewissensfreiheit. Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren. § 145. Jeder Deutsche ist unbeschränkt in der gemeinsamen häuslichen und öffentlichen Uebung seiner Religion. Verbrechen und Vergehen, welche bei Ausübung dieser Freiheit begangen werden, sind nach dem Gesetze zu bestrafen. § 146. Durch das religiöse Bekenntniß wird der Genuß der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte weder bedingt noch beschränkt. Den staatsbürgerlichen Pflichten darf dasselbe keinen Abbruch thun. § 147. Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig, bleibt aber den allgemeinen Staatsgesetzen unterworfen. Keine Religionsgesellschaft genießt vor anderen Vorrechte durch den Staat; es besteht fernerhin keine Staatskirche. Neue Religionsgesellschaften dürfen sich bilden; einer Anerkennung ihres Bekenntnisses durch den Staat bedarf es nicht. § 148. Niemand soll zu einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit gezwungen werden.“ 15 Näher hierzu Boldt, Deutsche Verfassungsgeschichte Bd. 2, S. 180 f. 16 von Campenhausen, Religionsfreiheit, HdbStR VI 369, 385 f.
A. Zur Historie
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Religionsausübung unter dem Vorbehalt der allgemeinen Gesetze vor.17 Diese galt nicht nur für Deutsche, sondern für alle Einwohner des Reiches. Art. 135 lautet: „Alle Bewohner des Reichs genießen volle Glaubens- und Gewissensfreiheit. Die ungestörte Religionsausübung wird durch die Verfassung gewährleistet und steht unter staatlichem Schutz. Die allgemeinen Staatsgesetze bleiben hiervon unberührt.“18 Die staatskirchenrechtlichen Artikel 136, 137, 138, 139 und 141 der Reichsverfassung von Weimar sind gemäß Art. 140 GG Bestandteil des Grundgesetzes. Durch diesen Kompromiß zum Status der Kirchen in der Bundesrepublik wurden entsprechende Bestimmungen überflüssig, die im Entwurf des Redaktionsausschusses des Parlamentarischen Rates ursprünglich als Art. 4 Absätze III und IV GG vorgesehen waren.19 Ebenfalls gestrichen wurde vom Parlamentarischen Rat die in Art. 4 Absatz II Satz 2 des Entwurfes vorgesehene Einschränkung: „Die allgemeinen Gesetze bleiben unberührt.“20 Die Freiheit der Religionsausübung sollte nach der Erfahrung der nationalsozialistischen Diktatur21 besonders geschützt werden.22 Artikel 4 des Bonner Grundgesetzes vom Mai 1949 bestimmt in seinen Absätzen I und II: „(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich. (2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.“ Das Grundgesetz schützt also die innere Freiheit zu glauben wie auch die Freiheit, sich diesem Glauben entsprechend zu verhalten. Dabei ist umstritten, inwiefern die Betätigung der religiösen Überzeugung unter die grundgesetzlichen Begriffe der Glaubensfreiheit,23 der Bekenntnisfreiheit,24 oder der Religionsausübungsfreiheit25 zu fassen ist. Nach dem vom Bundesverfassungsgericht26 und einem Teil der Literatur27 vertretenen Ansatz handelt es sich 17 Zu Einzelheiten zum Weimarer Verfassungsrecht, auch während der nationalsozialistischen Herrschaft: von Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 38 ff. 18 Die staatkirchenrechtlich relevanten Passagen der Weimarer Reichsverfassung sind abgedruckt unter anderem bei von Münch / Kunig-Mager, Art. 4 vor Rn. 1. 19 von Campenhausen, Religionsfreiheit, HdbStR VI 369, 390 f.; BK-Wernicke, Art. 4 Rn. 1. 20 Dieser Beschluß und die ihn tragenden Erwägungen sind protokolliert in JöR 1951, 74 f. 21 Zum nationalsozialistischen Kirchenregime vgl. von Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 43 ff. 22 Zum Gang dieser Beratungen im Parlamentarischen Rat vgl. näher Fehlau, JuS 1993, 441, sowie AK-Preuß, Art. 4 Rn. 7. Die Protokolle sind abgedruckt in JöR 1951, 74 f. 23 BVerfGE 32, 98, 106. 24 von Mangoldt / Klein / Starck-Starck, Art. 4 Rn. 4. 25 Maunz / Dürig / Herzog / Scholz-Herzog, Art. 4 Rn. 99. 26 BVerfGE 24, 236, 245. 27 von Campenhausen, Religionsfreiheit, HdbStR VI 369, 392; Jarass / Pieroth-Jarass, Art. 4 Rn. 1; Hesselberger, Art. 4 Rn. 7; Pieroth / Schlink, Rn. 560.
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7. Kap.: Resümee mit vergleichenden Aspekten
um ein einheitliches Recht, dessen Ausprägungen einzeln aufgezählt werden. Die ungestörte Religionsausübung soll lediglich einen hervorgehobenen Bestandteil des einheitlichen Grundrechts der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit darstellen. Dem Textverständnis der Gegenmeinung zufolge sind die Bereiche der Glaubens-, Bekenntnis- und Ausübungsfreiheit hinreichend abgrenzbar. Art. 4 Abs. I und II GG enthalten nach dieser Ansicht mehrere Grundrechte.28 Für die zweite Ansicht spricht die Trennung des Artikels in mehrere Absätze.29 Im Verfassungstext läßt sich das exercitium religionis von der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit syntaktisch trennen. Die Begriffsinhalte überschneiden sich jedoch. So werden missionarische Aktivitäten als Ausübung der Religion zu verstehen sein, jede Ausübung des Glaubens erfordert aber auch eine innere Überzeugung, auf der sie fußt, und stellt überdies ein religiöses Bekennntnis dar. Weiterhin verkennt die zweite Auffassung, daß der Verfassungsgeber die Freiheiten grundlegender religiöser und areligiöser Überzeugungen in gleichem Umfang schützen wollte.30 Beide drängen in vergleichbarer Weise zur Umsetzung dessen, was aus tiefster Überzeugung als richtig empfunden wird. Da Absatz II nur von religiöser Betätigung spricht, muß eine auf einer nicht-transzendentalen Weltanschauung basierende Verhaltensweise von der Freiheit des weltanschaulichen Bekenntnisses gedeckt sein. Diese ist in Absatz I geregelt, und dort der religiösen Glaubens- und Bekenntnisfreiheit gleichgestellt. Folglich sind nicht nur religiöse Auffassungen, sondern auch deren Umsetzung schon von Absatz I geschützt. Die ersten beiden Absätze des Art. 4 GG enthalten demnach ein einheitliches Grundrecht. Absatz II knüpft im Wortlaut an frühere verfassungsrechtliche Gewährleistungen an und stellt klar, daß die Glaubensfreiheit nicht nur den Gedanken, sondern auch das glaubensgeleitete Handeln einschließt. Das „Bekenntnis“ umfaßt zunächst die Möglichkeit, Inhalte des Glaubens privat oder öffentlich zu bekunden oder die Zugehörigkeit zu einer Glaubensgemeinschaft zu demonstrieren,31 sowie die kommunikative Einwirkung auf Andere zum Zweck der Werbung für eine religiöse bzw. weltanschauliche Überzeugung. Letztere darf jedoch nicht in einer die Menschenwürde verletzenden Weise geschehen.32 Auch die demonstrative Ablehnung einer Glaubensrichtung durch einen Kirchenaustritt wird umfaßt.33 Der Begriff „Religionsausübung“ umfaßt zunächst kultische Handlungen, wie etwa Gottesdienste.34 Einzelnen Personen wie religiösen Gruppierungen wird erlaubt, ihrer Überzeugung entsprechende Gebräuche – wie die Durchführung von Prozessionen oder Glockengeläut – zu praktizieren. Die gesamte Lebensführung 28 von Mangoldt / Klein / Starck-Starck, Art. 4 Rn. 3; von Münch / Kunig (4. Aufl.) – von Münch, Art. 4 Rn. 1. 29 Maunz / Dürig / Herzog / Scholz-Herzog, Art. 4 Rn. 64. 30 Pieroth / Schlink, Rn. 560. 31 Schmidt-Bleibtreu / Klein (7. Aufl.) – Klein, Art. 4 Rn. 1. 32 Steiner, JuS 1982, 157, 158; AK-Preuß, Art. 5 Rn. 19. 33 BVerfGE 30, 415, 423 f.; vgl. BVerfGE 44, 59, 66 f.; BVerfGE 55, 32, 36. 34 Pieroth / Schlink, Rn. 563.
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kann am Glauben ausgerichtet werden. Eine Unterscheidung nach öffentlicher und privater Übung (Hausandacht) findet nicht mehr statt. Umgekehrt ist aber auch die auf einer Glaubens- oder Gewissensentscheidung beruhende Ablehnung einer Weltanschauung geschützt. Aus dieser negativen Religionsfreiheit folgt auch das Recht, die Teilnahme an religiösen Handlungen zu verweigern.35 Die Verweigerung des Bekenntnisses ist von Art. 140 GG, 136 Abs. III WRV geschützt. Die negative Religionsfreiheit schützt vor allem gegenüber staatlichem Handeln. Die staatliche Pflicht zur Neutralität findet hier ihre grundrechtliche Entsprechung. Seit dem 3. Oktober 1990 gelten die genannten Freiheiten für das gesamte Deutsche Volk.36 Sie sind unmittelbarer Ausdruck des Menschenwürdegedankens: Die von Art. 1 des Bonner Grundgesetzes verbürgte Würde des Einzelnen wäre kaum vorstellbar, wenn die Bedeutung einer weitreichenden Gedankenfreiheit und das Bedürfnis des Menschen nach einer außerhalb seiner selbst liegenden Verankerung nicht in besonderer Weise respektiert würden.37 Überdies wird die Religionsfreiheit seit nunmehr 50 Jahren auch durch Art. 9 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) geschützt.38 Als weitere völkerrechtliche Norm ist zu nennen Art. 18 des Paktes über bürgerliche und politische Rechte.39 Den völkerrechtlichen Bestimmungen kommt in der Bundesrepublik jedoch wegen der umfassenden Gewährleistung durch Art. 4 GG bislang eine vergleichsweise untergeordnete Bedeutung zu.40
BVerfG NJW 1980, 575; Jarass / Pieroth-Jarass, Art. 4 Rn. 8. Vgl. Satz 3 der Präambel zum Grundgesetz. Die staatskirchenrechtlichen Bestimmungen des DDR-Verfassungsrechtes entziehen sich einer kurzgefaßten Darstellung. Der an die Weimarer Verfassungsartikel angenäherte Wortlaut stand in keinem engen Zusammenhang zur Verfassungswirklichkeit. Vgl. von Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 48; von Campenhausen, Staatskirchenrecht in den neuen Bundesländern, HdbStR XI § 207. 37 Maunz / Dürig / Herzog / Scholz-Herzog, Art. 4 Rn. 11. 38 BGBl. II 1952, 685. Hierzu näher Grabenwarter, Kontinuität und Wandel der EMRK; Grabenwarter, Menschenrechtskonvention und Grundrechte-Charta in der europäischen Verfassungsentwicklung (in: FS Steinberger); Herdegen, Europarecht, S. 14 ff.; Bleckmann, Von der individuellen Religionsfreiheit des Art. 9 EMRK zum Selbstbestimmungsrecht der Kirchen; Gonzalez, La Convention Européenne des Droits de l’Homme et la Liberté des Religions; Blum, Die Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit nach Art. 9 der EMRK; Conring, Korporative Religionsfreiheit in Europa. Zur Interpretation von Art. 9 EMRK vgl. auch das Manoussakis-Urteil des EGMR vom 26. September 1996 und die Besprechung von Laurence Burgogue-Larsen, abgedruckt in Actualité Juridique, 20. 4. 1997, S. 390. 39 BGBl. II 1973, 1533. Vgl. grundlegend hierzu Kimminich, Religionsfreiheit als Menschenrecht. 40 von Münch / Kunig-Mager, Art. 4 Rn. 8. Siehe aber das Urteil zum Unterrichten mit islamischem Kopftuch, EGMR NJW 2001, 2871 und die Besprechung von Goerlich, NJW 2001, 2862. 35 36
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7. Kap.: Resümee mit vergleichenden Aspekten
Erst leidvolle Erfahrungen mit totalitären Herrschaftssystemen haben die Bedeutung von Grundrechten im Bewußtsein des deutschen Volkes nachhaltig verankert. So steht die durch Kriege und grundlegende politische Veränderungen bedingte Sukzession von deutschen Verfassungen in markantem Gegensatz zur Beständigkeit der amerikanischen Demokratie.
B. Religionsfreiheit und ihre Schranken Sowohl in den Vereinigten Staaten als auch in der Bundesrepublik ist die Religionsfreiheit ein Grundrecht mit besonderem Stellenwert. In den Grundrechtskatalogen beider Verfassungen steht die Religionsfreiheit an vorderer Stelle. Bei der Schaffung beider Verfassungen waren vorangegangene Erfahrungen mit weltanschaulicher Intoleranz und Unterdrückung mitursächlich für den Wunsch, die Bildung und Ausübung religiöser Überzeugungen besonders zu schützen.
I. Schutzbereich der Religionsfreiheit Das Grundgesetz und die Bill of Rights schützen die Freiheit, ein religiöses Bekenntnis zu entwickeln, innezuhaben und es individuell oder kollektiv auszuleben. Jedoch nennt das Grundgesetz in seinem Art. 4 neben Glauben, religiösem und weltanschaulichem Bekenntnis und der Religionsausübung gesondert auch das Gewissen und die Kriegsdienstverweigerung. Das First Amendment hingegen nennt in diesem Bereich ausdrücklich nur die Freiheit der Religion. Um auch nicht-transzendentale Grundüberzeugungen zu schützen, mußte der Begriff „Religion“ im amerikanischen Recht sehr weit interpretiert werden. In zwei Fällen, in denen Kriegsdienstverweigerer keinen theistischen Glauben, sondern eine moralisch-seelische Überzeugung als Grund für ihre Verweigerung des Dienstes an der Waffe nannten, hielt der Supreme Court es für hinreichend, daß die Beschwerdeführer einen ernsthaften und bedeutsamen „Glauben“ besaßen, der in seiner Bedeutung für die menschliche Seele einem Glauben an einen Gott vergleichbar war.41 Genauere Vorgaben durch den gesetzlichen Wortlaut bestehen in Deutschland auch hinsichtlich der Frage, ab welchem Alter ein Kind selbständige religiöse Überzeugungen geltend machen kann. Das Gesetz über die religiöse Kindererziehung vom 15. Juli 1921 bestimmt, daß ein Kind ab dem 12. Lebensjahr nicht mehr gegen seinen Willen in einem anderen Bekenntnis als bisher erzogen werden darf. Ab dem 14. Lebensjahr darf der Jugendliche frei entscheiden, zu welchem religiösen Bekenntnis er sich halten will („Religionsmündigkeit“).42 Ein Mindestalter für 41 United States v. Seeger, 380 U.S. 163 (1965); Welsh v. United States, 398 U.S. 333 (1970). 42 RGBl. 1921, 939; von Münch / Kunig-Mager, Art. 4 Rn. 20.
B. Religionsfreiheit und ihre Schranken
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eine Grundrechtsmündigkeit besteht in den Vereinigten Staaten nicht, zumindest kann dort nach einem Urteil des Supreme Court schon eine Neunjährige einen eigenen Glauben geltend machen.43 Hingegen wird in beiden Ländern die Religionsfreiheit von Minderjährigen durch das Erziehungsrecht der Eltern begrenzt. Dieses umfaßt neben der bekenntnismäßigen Erziehung auch die Befugnis, das Kind zum Mitglied einer Kirche zu machen.44 Religiöse Überzeugungen verlangen konkrete Verhaltensweisen nicht nur anläßlich bestimmter Riten. Die Weltanschauung betrifft den ganzen Menschen. Dem trägt das Bundesverfassungsgericht Rechnung. In der „Gesundbeter-Entscheidung“ heißt es über die Glaubensfreiheit: „Sie umfaßt daher nicht nur die innere Freiheit, zu glauben oder nicht zu glauben, sondern auch die äußere Freiheit, den Glauben zu manifestieren, zu bekennen und zu verbreiten. Dazu gehört auch das Recht des Einzelnen, sein gesamtes Verhalten an den Lehren seines Glaubens auszurichten und seiner inneren Glaubensüberzeugung gemäß zu handeln.“45 Daher ist auch beispielsweise das Sammeln von Altkleidern zu karitativen Zwecken, die Verweigerung der Teilnahme am Schulsport aufgrund religiöser Bekleidungsvorschriften oder das glaubensbewegte Schächten von Tieren vom Schutzbereich der Glaubensfreiheit umfaßt.46 Auf Art. 4 GG berufen kann sich dabei nur, wer wegen seiner Überzeugung nicht ohne innere Not von seinem Handeln ablassen kann. Wenn sich ihm von seinem Glauben her mehrere gleichwertige Verhaltensalternativen anbieten, ist ihm die Wahl derjenigen Verhaltensweise zuzumuten, die für andere am wenigsten störend wirkt.47 Allerdings umspannt die Religionsfreiheit auch „religiöse Überzeugungen, die für eine konkrete Lebenssituation eine ausschließlich religiöse Reaktion zwar nicht zwingend fordern, diese Reaktion aber für das beste adäquate Mittel halten, um die Lebenslage nach der Glaubenshaltung zu bewältigen.“48 Nicht umfaßt sind hingegen Tätigkeiten, die lediglich bei Gelegenheit der Religionsausübung vorkommen, wie etwa der Verkauf von Kaffee und Kuchen nach einem Gottesdienst.49 Auch das amerikanische Verfassungrecht schützt nicht nur zwingend gebotenes Verhalten, sondern jede von einem ernsthaften Glauben motivierte Handlung. Wo aber zu der Verhaltensweise eine Alternative existiert, die dem GlauPrince v. Massachusetts, 321 U.S. 158 (1944). BFH NJW 1983, 2604, 2604 f.; Prince v. Massachusetts, 321 U.S. 158 (1944). 45 BVerfGE 32, 98, 106. 46 BVerfGE 24, 236, 250 f.; OVG Münster NVwZ 1992, 77, 78 f.; VGH Kassel NVwZ 1988, 951, 952; BVerfG Urteil vom 15. Januar 2002, Az. 1 BvR 1783 / 99; vgl. Funke, JuS 1997, 1149. 47 Jarass / Pieroth-Jarass, Art. 4 Rn. 9a; vgl. BVerfGE 32, 98, 106 f. Ähnlich zum amerikanischen Recht Daytona Rescue Mission, Inc. v. City of Daytona Beach, 885 F.Supp. 1554, 1560 (1995). 48 BVerfGE 32, 98, 106 f. 49 BVerfGE 19, 129, 133. 43 44
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7. Kap.: Resümee mit vergleichenden Aspekten
bensanliegen ebenfalls gerecht wird und die nicht staatlich sanktioniert ist, besteht die Pflicht, auf diese zurückzugreifen.50 Supreme Court und Bundesverfassungsgericht lehnen es grundsätzlich ab, die Richtigkeit einer religiösen Überzeugung zu beurteilen. Sie bewerten den Glauben des Betroffenen nicht, sie entscheiden nicht über den Wahrheitsgehalt transzendentaler Vorstellungen, sondern überlassen die Klärung theologischer Streitfragen den Religionsgemeinschaften. 51 Hingegen prüfen beide Gerichte unter Berücksichtigung des Selbstverständnisses des Betroffenen, ob überhaupt eine religiöse Überzeugung vorliegt.52 Es genügt nicht die bloße Behauptung religiös motivierten Verhaltens. Vielmehr muß die Ableitung des Verhaltens aus der religiösen oder weltanschaulichen Überzeugung objektiv nachvollziehbar sein. Die Definitionshoheit (Kompetenz-Kompetenz) verbleibt prinzipiell beim Staat,53 jedoch ist das Selbstverständnis des Handelnden zu berücksichtigen.54 Letzteres wird in der Regel durch die Grundsätze seiner Glaubensgemeinschaft objektivierbar sein,55 wobei auf die plausible Überzeugung der jeweiligen konfessionellen Strömung oder Teilgruppe abzustellen ist,56 und letztlich auf die des betroffenen Individualgrundrechtsträgers.57 Entsprechend unterliegt auch der Begriff der Religionsgemeinschaft letztlich der staatlichen Beurteilung,58 bei der aber die aktuelle Lebenswirklichkeit, die Kulturtradition und das religionswissenschaftliche (Selbst-)Verständnis berücksichtigt werden.59 Eine Einschränkung des Schutzbereichs hält das Bundesverfassungsgericht bei extremen Verhaltensweisen für geboten, die allgemeinen Ordnungsvorstellungen völlig widersprechen. In der „Tabak-Entscheidung“ heißt es: „Das Grundgesetz hat nicht irgendeine, wie auch immer geartete freie Betätigung des Glaubens schützen wollen, sondern nur diejenige, die sich bei den heutigen Kulturvölkern auf dem Boden gewisser übereinstimmender sittlicher Grundanschauungen im Laufe der geschichtlichen Entwicklung herausgebildet hat.“60 Damit sollen besonders unge50 Laycock / Thomas, 73 Tex.L.Rev. 209, 232; Daytona Rescue Mission, Inc. v. City of Daytona Beach, 885 F.Supp. 1554, 1560 (1995). 51 United States v. Ballard, 322 U.S. 78 (1944); BVerfGE 33, 23, 30. 52 United States v. Ballard, 322 U.S: 78 (1944); BVerfGE 24, 236, 247 f. 53 Maunz / Dürig / Herzog / Scholz-Herzog, Art. 4 Rn. 103 f. 54 Hillgruber, JZ 1999, 538, 541; Funke, JuS 1997, 1149. 55 BVerfG NJW 2003, 3111, 3112. 56 Urteil des BVerfG vom 15. Januar 2002, 1 BvR 1783 / 99, einzusehen auch unter http:// www.bundesverfassungsgericht.de; vgl. Kuhl / Unruh, DÖV 1991, 94, 101 f. sowie Discher, JuS 1996, 529, 531. 57 BVerfGE 33, 23, 29; BVerwG NJW 2001, 1225, 1226; Funke, JuS 1997, 1149. 58 Dies ist erforderlich, um nur religiös verbrämte allgemeinpolitische Aktivitäten von religiös gebundenen Verhaltensweisen zu trennen. Bei Weltanschauungen, die zwischen religiösem und „weltlichem“ Verhalten nicht differenzieren, ist die staatliche Kompetenz von besonderer Bedeutung. Vgl. Hillgruber, JZ 1999, 538, 542. 59 BVerfGE 83, 341, 353; BVerwG NVwZ 1996, 61.
B. Religionsfreiheit und ihre Schranken
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wöhnliche religiöse Praktiken wie etwa Menschenopfer aus dem Schutzbereich des Art. 4 GG herausgerückt werden. Da die Verfassungsinterpretation aber nicht gänzlich auf die Vorstellungen des historischen Verfassungsgebers beschränkt bleiben kann, ist diese „Kulturadäquanzformel“ zurückhaltend zu gebrauchen. Eine Bevorzugung traditioneller religiöser Ausdrucksformen kann als eine im neutralen Staat unangebrachte Bevorzugung des Althergebrachten erscheinen.61 Auch dürfte ein Konsens aller heutigen Kulturvölker über sittliche Grundanschauungen kaum zu ermitteln sein. Die „Kulturadäquanzformel“ wurde vom Bundesverfassungsgericht bereits dahingehend relativiert, daß das Grundgesetz keinen einheitlichen ethischen Maßstab nach Maßgabe der sittlichen Grundanschauung heutiger Kulturvölker festlege.62 In den Vereinigten Staaten entwickelte sich nach dem 2. Weltkrieg eine Rechtsprechung, nach der in die Religionsfreiheit nur aufgrund eines „compelling state interest of the highest order“ eingegriffen werden durfte.63 Dieses Erfordernis eines zwingenden öffentlichen Interesses von höchstem Rang ist im amerikanischen Verfassungsrecht der strengste Prüfungsmaßstab für Grundrechtseingriffe. Es wird durch eine Verhältnismäßigkeitsprüfung ergänzt, welche gewährleisten soll, daß der Eingriff das mildeste Mittel ist, durch das dem öffentlichen Interesse Rechnung getragen werden kann. Auch in der Bundesrepublik haben die Verfassungsrichter den strengsten Prüfungsmaßstab angelegt, um Eingriffe in die Religionsfreiheit zu beurteilen. Es bestehen nur Schranken, die sich aus der Verfassung selbst ergeben. Zwischen der Religionsfreiheit und anderen Verfassungsgütern ist im Wege der praktischen Konkordanz eine Abwägung vorzunehmen, und unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ein Ausgleich zu suchen.64 So haben deutsche wie amerikanische Gerichte nach entsprechenden Abwägungen festgestellt, daß die Religionsfreiheit im Einzelfall der Schulpflicht vorgehen kann.65 Auch sind die religiösen Überzeugungen eines Arbeitslosen bei der Beurteilung der Zumutbarkeit einer ihm angebotenen Arbeitsstelle in beiden Ländern zu berücksichtigen.66 Aktuell wird die Frage nach den Schranken der Religionsfreiheit in Deutschland wie in den USA politisch und rechtlich diskutiert.
60 61 62 63 64 65
BVerfGE 12, 1, 4. Fehlau, JuS 1993, 439, 443; vgl. Schlaich, Neutralität, S. 20. BVerfGE 41, 29, 50. Sherbert v. Verner, 374 U.S. 398 (1963). BVerfGE 32, 98, 108. Wisconsin v. Yoder, 406 U.S. 205 (1972); BVerwGE 42, 128, 130; BVerwGE 94, 82,
83 f. 66
Sherbert v. Verner, 374 U.S. 398 (1963); BSG NJW 1981, 1526.
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7. Kap.: Resümee mit vergleichenden Aspekten
II. Schranken des First Amendment Seit 1990 besteht in den Vereinigten Staaten kein einheitlicher Prüfungsmaßstab mehr für Eingriffe in die Religionsfreiheit. Die früheren Grundsätze wurden mit der Entscheidung Employment Division, Department of Human Resources of Oregon v. Smith faktisch aufgegeben.67 Nunmehr soll die Religionsfreiheit unter dem Vorbehalt der allgemeinen Gesetze stehen und der frühere Compelling-InterestTest nur noch dort Anwendung finden, wo ein zweites Grundrecht mitbetroffen ist. Kritische Reaktionen auf das Smith-Urteil des Supreme Court verdeutlichen, wie bedeutsam der Bereich der Religionsfreiheit in der politischen Auseinandersetzung bis heute geblieben ist. Als politische Reaktion auf die Änderung der Verfassungsrechtsprechung erließ der Kongreß im Jahr 1993 den Religious Freedom Restoration Act (RFRA). Durch dieses einfache Parlamentsgesetz wird ein Bürgerrecht der Religionsfreiheit gewährt, das neben dem durch die Verfassung garantierten Grundrecht existiert. Während die in der Verfassung verankerte Religionsfreiheit nach der neuen Rechtsprechung des Supreme Court unter dem Vorbehalt der allgemeinen Gesetze steht, kann nur aufgrund eines zwingenden öffentlichen Interesses in das durch den RFRA eingeführte Recht eingegriffen werden. Somit wurde der frühere Grundrechtsstandard durch den Gesetzgeber wieder eingeführt. Der RFRA wurde aber 1997 vom Supreme Court für teilweise verfassungswidrig erklärt und ist nur noch gegenüber Maßnahmen von Bundesbehörden anwendbar. In City of Boerne v. Flores urteilten die Richter, die vom Kongreß angeführte Gesetzgebungskompetenz stelle keine hinreichende Grundlage für den Erlaß des RFRA dar.68 In der Folge haben zahlreiche Einzelstaaten den Compelling-Interest-Test in ihrem Landesrecht verankert. Auch der Kongreß hat ein weiteres Gesetz zum Schutz der Religionsfreiheit erlassen. Der „Religious Land Use and Institutionalized Persons Act“ (RLUIPA) vom September 2000 schreibt die Anwendung des Compelling-Interest-Standards in Konfliktsituationen vor, die bei der Nutzung öffentlicher Ländereien und für in Anstalten lebende Menschen entstehen.69 Im Ergebnis ist eine Zersplitterung des amerikanischen Grundrechtsstandards festzustellen. Im Bereich des Bundesrechts gilt der Compelling-Interest-Standard aufgrund des RFRA. Gegenüber den Einzelstaaten können sich Anstaltsinsassen und Menschen, die staatliche Ländereien für ihre Religionsausübung nutzen wol67 Employment Division, Department of Human Resources of Oregon v. Smith, 494 U.S. 872 (1990). Ein vergleichbarer Sachverhalt liegt dem Urteil BVerwG NJW 2001, 1365 zugrunde. Auch hier wurden staatliche Interessen als vorrangig beurteilt und der religiös motivierte Drogenkonsum als unzulässig angesehen. Es fragt sich, ob der Konsum der Droge „Alkohol“ durch Minderjährige beim Konfirmations-Abendmahl ähnlich beurteilt würde. 68 City of Boerne v. Flores, 117 S.Ct. 2157 (1997). 69 Religious Land Use and Institutionalized Persons Act, Public Law No. 106 – 274.
B. Religionsfreiheit und ihre Schranken
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len, aufgrund des RLUIPA auf denselben Standard berufen, soweit dieses neue Bundesgesetz anwendbar ist (Bundeszuschüsse oder Bezug zum grenzüberschreitenden Handel). Ansonsten können die Bürger gegenüber den Einzelstaaten Rechte aus den Landesverfassungen oder aus einfachen Landesgesetzen („state RFRAs“) ableiten. Nur, wenn keine dieser Normen die Anwendung des weitergehenden Compelling-Interest-Standards vorschreiben, kommt das First Amendment zum Tragen, das aber seit Smith eben nur noch einen sehr eingeschränkten Schutz bietet (Schranke der allgemeinen Gesetze).
III. Schranken des Art. 4 I, II GG Der Wortlaut des Art. 4 GG enthält keine Aussage zu den Schranken der Religionsfreiheit. Dennoch gilt auch dieses Grundrecht nicht unbeschränkt. Neben dem Willen des Verfassungsgebers nach einem umfassenden Schutz auch von Minderheiten ist auch die Notwendigkeit zu berücksichtigen, den inneren Frieden und die grundgesetzliche Ordnung gegen unerträgliche Ausnutzungen des Schutzbereichs zu sichern.70 Inwiefern erlaubt die Verfassung dem Grundrechtsträger, Gott mehr zu gehorchen als dem Staat?
1. Positionen in der Literatur Einer Auffassung im Schrifttum zufolge soll der Staat die Religionsfreiheit einschränken können aufgrund von allgemeinen Gesetzen, die zwingenden Erfordernissen des friedlichen Zusammenlebens von Staat und Kirche in einem religiös und weltanschaulich neutralen politischen Gemeinwesen entsprechen.71 Diese Ansicht erinnert in der Formulierung an das Erfordernis eines „Compelling State Interest“ in der amerikanischen Verfassungslehre. Dogmatisch basiert sie aber auf dem Rechtsgedanken des Ordre-Public-Vorbehaltes aus Art. 6 EGBGB.72 Die Rechtsfigur des Ordre Public findet im Internationalen Privatrecht Anwendung, dem System des Grundrechtsschutzes im deutschen Verfassungsrecht hingegen ist sie fremd. Überdies ist die Abgrenzungsformel wenig definitionsscharf, da sie nicht nur den ausfüllungsbedürftigen Begriff des „zwingenden Interesses“ verwendet, sondern diesen auch noch in Relation zur weltanschaulichen Neutralität des Staates gebraucht. Ein Teil der Literatur knüpft schon zur Abgrenzung des Schutzbereichs eng an das Verständnis von Religion an, das zur Zeit der Ausarbeitung des Grundgesetzes bestand.73 Hiergegen spricht, daß Grundrechte für neue Entwicklungen offen sein 70 71 72
Vgl. Muckel, Religiöse Freiheit und Staatliche Letztentscheidung. Hollerbach, HdbStR VI, 471, 535 f. Hollerbach, HdbStR VI, 471, 536.
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7. Kap.: Resümee mit vergleichenden Aspekten
müssen, um effektiv Freiheitsräume zu gewährleisten. Eine Privilegierung von christlichen und ähnlichen Formen erschiene auch hinsichtlich der weltanschaulichen Neutralität des Staates bedenklich.74 Teilweise wird auch die Auffassung vertreten, die Schrankentrias des Art. 2 Abs. I GG sei auf alle Grundrechte anzuwenden.75 Die Anwendung der Schrankentrias des Art. 2 Abs. I GG erscheint heute insofern problematisch, als daß der Begriff der verfassungsmäßigen Ordnung nicht als Summe nur der Grundentscheidungen der Verfassung, sondern als Gesamtheit der im Einklang mit dem Grundgesetz stehenden Normen verstanden wird. Entscheidend kommt hinzu, daß das Grundrecht der Religionsfreiheit lex specialis gegenüber der allgemeinen Handlungsfreiheit ist.76 Hierauf wurde bereits im Parlamentarischen Rat hingewiesen.77 Schon von daher ist eine Übertragung von Schranken des Art. 2 Abs. I GG auf die Religionsfreiheit abzulehnen.78 Gemäß einer älteren Position in der Literatur soll der Schutz der Grundrechte dort keine Wirkung entfalten, wo der Schutzbereich „mißbraucht“ wird.79 Diese Mißbrauchsformel besitzt jedoch zu wenig Konturschärfe, um sich für die Bestimmung der Rechtmäßigkeit von Eingriffen in ein zentrales Grundrecht zu eignen. Der Gedanke des Grundrechtsmißbrauchs soll nach der Verfassung nur in den engen Grenzen des Art. 18 GG von Bedeutung sein.80
2. Deutungen in der Rechtsprechung Einem Teil der Lehre81 sowie einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. November 2000 zufolge82 enthalten Art. 140 GG, 136 Abs. I WRV eine Schranke für die Religionsfreiheit. Die bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte sollen nach dieser Norm durch die Ausübung einer Religion weder bedingt noch beschränkt werden. Diese Formulierung wird im Sinne eines allgemeinen Geset73 von Mangoldt / Klein / Starck, Art. 4 Rn. 34; Isensee, Essener Gespräche 19, 142, 144; BK – Zippelius, Art. 4 Rn. 85. 74 Fehlau, JuS 1993, 439, 444. 75 Maunz / Dürig / Herzog / Scholz-Herzog, Art. 4 Rn. 114; vgl. Fehlau, JuS 1993, 439, 439 sowie Hess StGH NJW 1966, 31, 31 f. 76 BVerfGE 32, 98, 107; vgl. von Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 69. 77 Die Äußerung des Abgeordneten von Mangoldt ist protokolliert wiedergegeben in JöR 1951, 75. 78 von Mangoldt / Klein / Starck-Starck, Art. 4 Rn. 45. 79 Gallwas, S. 17. 80 von Münch / Kunig – Krebs, Art. 18 Rn. 5. 81 Muckel, Religiöse Freiheit und staatliche Letztentscheidung S. 234; Hillgruber, JZ 99, 538, 543; AK – Preuß, Art. 4 Rn. 29 f.; Jarass / Pieroth-Jarass, Art. 4 Rn. 17; vgl. Herdegen, Gewissensfreiheit, sowie Schwabe, JuS 1972, 380, 383. 82 BVerwG NJW 2001, 1225.
B. Religionsfreiheit und ihre Schranken
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zesvorbehaltes verstanden. Zu den allgemeinen Gesetzen zählen solche nicht, die speziell die Ausübung der Religionsfreiheit zum Gegenstand haben und daran besondere Rechte oder Pflichten knüpfen.83 Die individuelle Seelennot des Betroffenen soll im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung Berücksichtigung finden.84 Generell soll niemand Privilegien aufgrund seiner Religion haben, auch nicht das Recht, den Gesetzen nicht folgen zu müssen. Für die Ableitung einer Schranke aus Art. 140 GG, 136 WRV spricht, daß eine Stütze im Wortlaut der Verfassung besteht. Die Verneinung einer Abhängigkeit der Rechte und Pflichten von einer religiösen Haltung läßt sich als Verweis auf die Gültigkeit der allgemeinen Gesetze auch für religiöse Überzeugungstäter deuten.85 Andererseits ist im Wortlaut des Art. 4 GG selbst, anders als in anderen Grundrechten, eben kein Gesetzesvorbehalt vorgesehen.86 Die in einem Entwurf des Art. 4 GG vorgesehene Einschränkung: „Die allgemeinen Gesetze bleiben unberührt“ wurde im Parlamentarischen Rat gestrichen.87 Auch unabhängig von der Streitfrage88 nach dem historischen Verständnis dieser Streichung steht fest, daß nach der Erfahrung totalitärer Herrschaft die Zulässigkeit religiösen Verhaltens – auch von Minderheiten – in der Bundesrepublik ganz besonders geschützt und unabhängig von den weltanschaulichen Auffassungen der Mehrheit beurteilt werden sollte.89 Im historischen Kontext ist auch zu berücksichtigen, daß die Weimarer Kirchenartikel primär zur Bestimmung des Status der Kirchen in das Bonner Grundgesetz aufgenommen wurden.90 Entsprechend hat das Bundesverfassungsgericht das Spannungverhältnis zwischen den Artikeln wie folgt gedeutet: „Der Grundgesetzgeber hat die Glaubensund Gewissensfreiheit aus dem Zusammenhang der Kirchenartikel der Weimarer Reichsverfassung gelöst und ohne jeden Gesetzesvorbehalt in den an der Spitze der Verfassung stehenden Katalog unmittelbar verbindlicher Grundrechte aufgenommen. Art. 136 I WRV ist daher im Lichte der gegenüber früher . . . erheblich verstärkten Tragweite des Grundrechts der Glaubens- und Gewissensfreiheit auszulegen; er wird nach Bedeutung und innerem Gewicht im Zusammenhang der grundgesetzlichen Ordnung von Art. 4 I GG überlagert.“91 BVerwG NJW 2001, 1225, 1226. BVerwG NJW 2001, 1225, 1227. 85 von Campenhausen, HdbStR VI, 369, 421. 86 Dies betont Hollerbach, Staatskirchenrecht, AöR 106, 218, 229. 87 Dieser Beschluß und die Beratungen hierzu sind protokolliert in JöR 1951, 74 f. 88 Hierzu ausführlich Hillgruber, JZ 1999, 538, 543; Muckel, Religiöse Freiheit und Staatliche Letztentscheidung, S. 224 ff. 89 Fehlau, JuS 1993, 439, 441; AK-Preuß, Art. 4 Rn. 7. 90 Dies belegen die Verhandlungen im Parlamentarischen Rat, die protokolliert sind in JöR 1951, 899 – 907. Hinweise auf einen Willen des Verfassungsgebers, durch diese Bestimmungen die Religionsfreiheit einzuschränken, finden sich dort nicht. Vgl. von Campenhausen, Religionsfreiheit, HdbStR VI 369, 390 f.; BK-Wernicke, Art. 4 Rn. 1. 91 BVerfGE 33, 23, 30 f. 83 84
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7. Kap.: Resümee mit vergleichenden Aspekten
Gemäß der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zählen die Grundrechte des Art. 4 GG zu den vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechten, in die lediglich zum Schutz kollidierender Verfassungsgüter gleichen oder höheren Ranges eingegriffen werden darf (Konkordanzformel). „Nur kollidierende Grundrechte Dritter und andere mit Verfassungsrang ausgestattete Rechtswerte sind mit Rücksicht auf die Einheit der Verfassung und die von ihr geschützte Wertordnung ausnahmsweise imstande, auch uneinschränkbare Grundrechte in einzelnen Beziehungen zu begrenzen.“92 Demnach ist im Einzelfall der Zusammenhang zwischen der jeweiligen Eingriffshandlung und dem entsprechenden Verfassungsgut herzustellen, dem sie Geltung verschaffen soll. Dessen Rang ist wiederum mit dem der Religionsfreiheit abzuwägen. Im Kollisionsfall wird also zwischen der Religionsfreiheit einerseits und dem betroffenen Grundrecht des Anderen bzw. dem beeinträchtigten Gemeinschaftswert abgewogen.93 Dabei geht das Bundesverfassungsgericht von einer dem Grundgesetz immanenten einheitlichen Wertordnung aus. Aus dieser läßt sich für den Einzelfall ein Rangverhältnis zwischen den einzelnen Schutzgütern ableiten, aus dem sich ergibt, welche Norm den Vorrang verdient.94 Nach dem Prinzip des schonendsten Ausgleichs darf der schwächere Wert aber nur so weit verdrängt werden, wie dies unbedingt notwendig erscheint (praktische Konkordanz).95 Daher war etwa das religiös gebotene Schlachten von Tieren (Schächten) in bestimmten Fällen trotz entgegenstehender einfachgesetzlicher Bestimmungen zum Tierschutz zu gestatten.96 Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts weicht sogar das Strafrecht zurück in Fällen, in denen sich der Täter in einem Konflikt zwischen Rechtstreue und Gottesgehorsam befindet und dieser Zwiespalt eine Strafe als unangemessen sowie als Verletzung der Menschenwürde erscheinen ließe.97 Das punktuelle Zurückweichen selbst allgemeiner Gesetze ist Ausdruck des antitotalitären Selbstverständnisses der Bundesrepublik, und erscheint in einzelnen Fällen hinnehmbar unter dem Aspekt des umfassenden Grundrechtsschutzes. Im übrigen bedeuten neben der Güterabwägung auch die Grenzen des Schutzbereichs sowie die Verbotsklausel aus Art. 9 Abs. II GG, die auch auf religiöse Vereinigungen anwendbar ist, wesentliche Sicherungen der Rechtsordnung vor religiösen Überzeugungstätern.98 Die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland erkennt an, daß viele Menschen sich nicht nur weltlichen Mächten unterworfen sehen. Dies wird auch im Wortlaut der Präambel deutlich. Sofern sie nicht höherrangigen Verfassungsgütern 92 93 94 95 96 97 98
BVerfGE 28, 243, 260 f.; zuletzt bekräftigt in BVerfG NJW 2003, 3111, 3112. Steiner, JuS 1982, 157, 162. Häberle, JuS 1969, 265, 271. BVerfGE 39, 1, 43; BVerfGE 41, 29, 50; BVerfGE 52, 223, 247. Urteil des BVerfG vom 15. Januar 2002, Az. 1 BvR 1783 / 99. BVerfGE 32, 98, 109. von Campenhausen, Religionsfreiheit, HdbStR VI, 369, 422.
B. Religionsfreiheit und ihre Schranken
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gefährlich wird, achtet der Staat die am Glauben ausgerichtete Lebensweise. Die religiöse Gebundenheit des Einzelnen wie von Glaubensgemeinschaften wird grundsätzlich respektiert.99 Insofern ist es nicht nur unter dem Aspekt der Rechtssicherheit bemerkenswert, daß das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil zum Schächten vom 23. November 2000 nunmehr einen Gesetzesvorbehalt aus Art. 140 GG, 136 WRV ableitet.100 Die Uneindeutigkeit des geltenden Grundrechtsstandards wird dadurch verstärkt, daß derselbe Senat des BVerwG in einem nur vier Wochen später ergangenen Urteil nicht deutlich Stellung nimmt und lediglich ausführt: „Keine Probleme wirft der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts auf, daß das Grundrecht auf Religionsfreiheit durch die verfassungsrechtliche Gewährleistung anderer Schutzgüter beschränkt werden kann.“101 Ob „auch“ oder „allein“ andere Verfassungsgüter die Religionsfreiheit einschränken können, bleibt hier offen. Die Unsicherheit in der Verfassungsinterpretation wird dadurch verstärkt, daß sich das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 15. Januar 2002 in einem ebenfalls das Schächten betreffenden Verfahren nicht deutlich zu den Schranken der Religionsfreiheit äußert.102 Im jüngsten Urteil zur Eignung einer Lehramtsanwärterin für die Einstellung als Grund- und Hauptschullehrerin, die aus religiösen Gründen ständig ein Kopftuch trägt, wird ohne Bezugnahme auf die dogmatische Streitfrage ausgeführt, daß die Glaubensfreiheit vorbehaltlos gewährleistet sei und sich Einschränkungen daher aus der Verfassung selbst ergeben müßten.103 3. Ausblick Eine Zersplitterung des Schutzstandards im Bereich der Religionsfreiheit, wie sie in den Vereinigten Staaten aktuell existiert, ist politisch schwer vermittelbar. Der Bürger kann die Rechtsfolgen für sein Handeln kaum einschätzen. Auch kann die amerikanische Zersplitterung als Mahnung verstanden werden gegenüber dem jüngsten Urteil des Bundesverfassungsgerichts, nach dem es der Regelung der Landesgesetzgeber überlassen ist, ob das ständige Tragens einer Kleidung, welche 99 Hierin liegt nicht nur ein anti-totalitäres Bekenntnis. Böckenförde führt aus,: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.“ Für den Zusammenhalt der freiheitlichen Gesellschaft sind auch religiöse Regulierungskräfte bedeutsam, die durch autoritatives rechtliches Gebot eher bedroht als gewährleistet werden. Vgl. Böckenförde, Recht, Staat, Freiheit, S. 112. 100 BVerwG NJW 2001, 1225. 101 BVerwG NJW 2001, 1365, 1366. 102 Das Gericht prüft als betroffenes Grundrecht lediglich die Berufsfreiheit des ausländischen Beschwerdeführers unter Berücksichtigung der Religionsfreiheit, also Art. 2 Abs. I in Verbindung mit Art. 4 GG. BVerfG, Urteil vom 15. Januar 2002, Az. 1 BvR 1783 / 99, einzusehen auch unter http://www.bundesverfassungsgericht.de. 103 BVerfG NJW 2003, 3111, 3112.
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7. Kap.: Resümee mit vergleichenden Aspekten
den Träger als Mitglied einer Religionsgemeinschaft identifiziert, durch Landesbeamte im Dienst zulässig sein soll.104 Eine Rückkehr zum Schutzstandard im Sinne des Compelling Interest Test unter Aufgabe der Smith-Rechtsprechung erscheint für die USA aus den dargestellten Gründen des effektiven Grundrechtsschutzes und der Rechtssicherheit wünschenswert, und in Anbetracht der aktuell knappen Stimmenmehrheiten unter den Richtern des Supreme Court durchaus vorstellbar. Ein Wechsel in der deutschen Verfassungsrechtsprechung würde eine Annäherung an den europäischen (Mindest-)Standard des Art. 9 EMRK bedeuten. Dennoch bleibt zu hoffen, daß die Entwicklung betreffend die Schranken der Religionsfreiheit in Deutschland nicht parallel zu der Zersplitterung des Grundrechtsstandards in den USA verlaufen wird. Auch in Zeiten weltanschaulicher Diversifizierung sollte ein demokratischer Rechtsstaat respektieren können, daß sich viele Menschen nicht nur weltlichen Mächten unterworfen,105 sondern auch von religiösen Geboten gebunden sehen.106 Der Staat sollte am Glauben ausgerichtete Verhaltensweisen schützen, soweit sie nicht höherrangigen Verfassungsgütern gefährlich werden.
C. Zur weltanschaulichen Neutralität Vom Wortlaut her verbietet das First Amendment jedwedes „Establishment of Religion“. Hiermit war zunächst die Ablehnung einer oder mehrerer Staatskirchen auf der Unionsebene gemeint, und damit die Absage an bestimmte staatskirchliche Modelle der Kolonialzeit. Unter dem Eindruck von Jeffersons Begriff der „Wall of Separation“ zwischen Staat und Kirche wurde die Verfassung zunehmend im Sinne einer umfassenden Neutralitätspflicht gedeutet.
I. Der modifizierte Lemon-Test in den USA Der vor allem in den Entscheidungen Everson v. Board of Education und Lemon v. Kurtzman entwickelte Dreistufentest stellt darauf ab, ob der Maßnahme ein weltlicher Zweck zugrundeliegt, ob die Hauptwirkung der Maßnahme eine Förderung 104 BVerfG NJW 2003, 3111, 3116. Zur Frage der Vorteile unterschiedlicher Regelungen der Bundesländer vgl. Sacksofsky, NJW 2003, 3297. 105 Dies verkennt Müller-Volbehr, JuS 1997, 223, 226. Vgl. zu diesem Aspekt Noonan, 84 Va.L.Rev. 459, 461 sowie Swanner v. Anchorage Equal Rights Commission, 874 P2d 274, 291 (1994). 106 So schon die Virginia Bill of Rights von 1776: „That religion, or the duty which we owe to our Creator, and the manner of discharging it, can be directed only by reason and conviction, not by force and violence; and that all men are equally entitled to the free exercise of religion . . .“ Text abgedruckt bei Commager, Documents of American History, S. 1103 f.
C. Zur weltanschaulichen Neutralität
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(oder Behinderung) von Religion darstellt und ob es zu einer übermäßigen Verwicklung staatlicher und kirchlicher Belange kommt. Die jüngste Rechtsprechung des Supreme Court zur Establishment Clause weist eine zunehmend religionsfreundliche Tendenz auf. Darin kommt auch ein Respekt vor den Intentionen der amerikanischen Verfassungsväter zum Ausdruck, denen zwar an einer deutlichen Trennung gelegen war, nicht aber an einer religionsfeindlichen Haltung des Staates. Wie bereits dargestellt kann diese Tendenz als Zurückhaltung der Judikative gegenüber demokratischen Mehrheitsentscheidungen interpretiert werden. Im einzelnen hat der Supreme Court die Position aufgegeben,107 nach der es regelmäßig eine unzulässige Identifikation des Staates mit einer Religionsgemeinschaft darstellte, wenn auf dem Gelände einer staatlichen Schule religiös motivierte Gruppen Veranstaltungen abhielten.108 Nicht in jedem Fall ist der Austausch religiöser Meinungen im Rahmen von Veranstaltungen auf dem Gelände öffentlicher Schulen unzulässig. Sobald der Staat ein Forum eröffnet für die Äußerung von erkennbar privaten Ansichten, so kann er Gruppen von diesem Forum nicht mit der Begründung ausschließen, daß diese religiös geprägt seien.109 Neutralität verbietet antireligiöse Positionen des Staates.110 Hingegen bleibt es bei der Haltung des Gerichtshofes, daß Gebete im Rahmen von schulischen Veranstaltungen verfassungswidrig sind, wenn sie durch staatliche Stellen eingeleitet oder in irgendeiner Weise organisiert werden, vor allem wenn junge Menschen zur Teilnahme rechtlich oder faktisch gezwungen sind. Zur Beurteilung der Frage, ob eine staatliche Maßnahme gegen die Establishment Clause verstößt, wendet der Supreme Court zum Ende des 20. Jahrhunderts einen modifizierten Zweistufentest an, der vor allem auf die Urteile Everson111, Lemon,112 Agostini113 und Mitchell114 zurückgeht. Demnach muß die angegriffene Maßnahme zunächst einem weltlichen Zweck zu dienen bestimmt sein. Zudem kontrolliert das Gericht, ob die vornehmliche Auswirkung der Maßnahme in einer Förderung (oder Behinderung) von Religion besteht. Dabei kann es genügen, wenn der Anschein einer Förderung erweckt wird. Im Rahmen dieses zweiten Prüfungs107 Westside Community Board of Education v. Mergens, 496 U.S. 226 (1990); Lamb’s Chapel v. Center Moriches School District, 508 U.S. 385 (1993). 108 Illinois ex rel. McCollum v. Board of Education of School District No. 71, Champaign County, Illinois, 333 U.S. 203 (1948). 109 Westside Community Board of Education v. Mergens, 496 U.S. 226 (1990); Lamb’s Chapel v. Center Moriches School District, 508 U.S. 385 (1993); Rosenberger v. Rector and Visitors of the University of Virginia, 515 U.S. 819 (1995). 110 Good News Club v. Milford Central School, Urteil vom 11. Juni 2001, Aktenzeichen 99 – 2036. Das Urteil ist einzusehen unter http://laws.findlaw.com / us / 000 / 99 – 2036.html. 111 Everson v. Board of Education, 330 U.S. 1 (1947). 112 Lemon v. Kurtzman, 403 U.S. 602 (1971). 113 Agostini v. Felton, 521 U.S. 203 (1997). 114 Mitchell v. Helms, 120 S.Ct. 2530 (2000).
11 Funke
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7. Kap.: Resümee mit vergleichenden Aspekten
punktes ist entscheidend, ob das Verhalten zu einer religiösen Indoktrination durch den Staat führt, ob der Kreis der Zuwendungsempfänger nach neutralen Kriterien bestimmt wird und ob die Maßnahme zu einer übermäßigen Verwicklung von staatlichen und kirchlichen Angelegenheiten führt.
II. Die grundgesetzliche Neutralitätspflicht Grundgesetz und Verfassung der Vereinigten Staaten sehen eine Trennung von Staat und Kirche vor, unterscheiden sich aber in ihrer jeweiligen Ausformung der weltanschaulichen Neutralität. „Es besteht keine Staatskirche.“ Mit diesen Worten unterstreicht Art. 140 GG, 137 Abs. I WRV die grundsätzliche Trennung von Staat und Kirche. Einem Staatskirchentum oder gar dem früheren landesherrlichen Kirchenregiment erteilt die Verfassung eine klare Absage. Die Trennung wurzelt jedoch weniger in einer Grundhaltung des Mißtrauens, als vielmehr in der Überzeugung, daß die wechselseitige Freiheit im beiderseitigen Interesse liegt.115
1. Nichtidentifikation, Parität und Toleranz Der Staat darf Bürger gemäß Art. 140 GG, 136 WRV nicht aufgrund ihrer Konfession bevorzugen oder benachteiligen. Auch darf er sich mit keiner Kirche identifizieren, vielmehr ist er nach dem Prinzip der Parität weitgehend zur Gleichbehandlung der Religionsgemeinschaften verpflichtet.116 Unter den in Art. 140 GG, 137 WRV genannten und einfachgesetzlich konkretisierten Bedingungen können sich Kirchen als Körperschaften des öffentlichen Rechts organisieren. Trotz dieser historisch bedingten Besonderheit und der damit verbundenen Begünstigung großer Religionsgemeinschaften kann die Bundesrepublik nicht als spezifisch christlicher Staat bezeichnet werden. Entsprechend darf sich der Staat auch nicht mit spezifisch christlichen Symbolen schmücken und so unter Ausgrenzung Andersgläubiger117 eine bestimmte Religion zu seiner Sache machen.118 Zwar beginnt die Präambel des Grundgesetzes mit den Worten „Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen“. Wenn hier auch ursprünglich das christliche (oder zumindest ein monotheistisches) Gottesverständnis zugrunde von Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 94 f. Grundlegend zum Gebot der Parität gegenüber den Kirchen vgl. Heckel, Gleichheit oder Privilegien?, sowie Maunz / Dürig / Herzog / Scholz-Herzog, Art. 4 Rn. 21 f. 117 Zu kritischen Aussagen von Ministern zu bestimmten Religionsgemeinschaften vgl. OVG Münster NVwZ 1985, 123; OVG Münster NVwZ 1986, 400. 118 So vor allem das „Kruzifix-Urteil“, BVerfGE 93, 1, 16 f. Zu diesem vgl. Flume, NJW 1995, 2904; Zuck, NJW 1995, 2903; Stricker, NJW 1996, 440; Czermak, ZRP 1996, 201; Renck, ZRP 1996, 205; Steiger, FS Kriele S. 105. 115 116
C. Zur weltanschaulichen Neutralität
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liegen mag,119 bedeutet die Formel vor allem ein antitotalitäres Bekenntnis zur Relativität staatlicher Macht, welches anerkennt, daß letztlich weder der einzelne Mensch noch der Staat bezüglich der Bedingungen seiner Existenz souverän ist.120 Der Verfassungsgeber des Bonner Grundgesetzes bekennt sich insofern zu einer begrenzten Funktion des Staates, die der Würde des Menschen verpflichtet ist.121 Hieraus resultiert auch die Verpflichtung zur Toleranz und zum Schutz von religiösen Minderheiten.122 Die Präsenz religiöser Symbole in staatlichen Räumen ist ein Prüfstein für die Neutralität des Staates. Der Staat kann eine Lehrerin gesetzlich anhalten, während des Unterrichts in einer öffentlichen Schule keine Kopfbedeckung zu tragen, die sie permanent als Anhängerin einer bestimmten Religion deutlich erkennbar macht.123 Ihre Eignung für den Schuldienst hängt davon ab, ob ihre weltanschaulichen Auffassungen mit den Grundwerten des Grundgesetzes in Einklang stehen.124 Umstritten ist eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, nach der Prozeßbeteiligte in ihrem Recht auf negative Religionsfreiheit verletzt sein können, wenn im Verhandlungssaal ein Kruzifix aufgestellt ist.125 Für Prozeßbeteiligte kann das Kreuz den Eindruck erwecken, es handle sich um eine Form staatlicher Selbstdarstellung, die Andersgläubige ausgrenzt und daher gegen das Gebot weltanschaulicher Neutralität verstößt.126 Nach anderer Ansicht darf der Staat ein religiöses Interesse in der Bevölkerung zum Anlaß nehmen, für Schwurhandlungen ein Kruzifix zur Verfügung zu stellen.127 Diese Rechtsprechung zum Kreuz in staatlichen Räumen findet ihre Fortsetzung in dem umstrittenen „Kruzifix-Urteil“ zu Kreuzen in bayerischen Schulräumen.128 Vgl. Isensee, Essener Gespräche 19, 142, 144. von Mangoldt / Klein / Starck-Starck, Präambel Rn. 25 f. 121 BK – Zippelius, Art. 1 Rn. 2. 122 So vor allem das „Kruzifix-Urteil“, BVerfGE 93, 1, 16 f. Zu diesem vgl. Flume, NJW 1995, 2904; Zuck, NJW 1995, 2903; Stricker, NJW 1996, 440; Czermak, ZRP 1996, 201; Renck, ZRP 1996, 205; Steiger, FS Kriele S. 105. 123 BVerwG NVwZ 1988, 938. So auch das Urteil zum Unterrichten mit islamischem Kopftuch, EGMR NJW 2001, 2871. Vgl. die Besprechung von Goerlich, NJW 2001, 2862, sowie VGH Mannheim NJW 2001, 2899. 124 Demgegenüber ist die Kündigung eines privatrechtlichen Arbeitsverhältnisses wegen des Tragens eines Kopftuches jedenfalls dann nicht gerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber nicht konkret darlegen kann, ob und in welcher Intensität die durch Art. 12 Abs. 1 GG grundrechtlich geschützte Unternehmerfreiheit betroffen ist, etwa durch betriebliche Störungen oder wirtschaftliche Einbußen, BAG NZA 2003, 483. Hierzu Thüsing / Wege ZEuP 2004, 399. 125 BVerfGE 35, 366, 375 f. 126 Fischer, NJW 1974, 1185, 1185 f.; Jarass / Pieroth-Jarass, Art. 4 Rn. 11. 127 Rüfner, NJW 1974, 491, 491 f.; von Mangoldt / Klein / Starck-Starck, Art. 4 Rn. 14. 128 BVerfGE 93, 1, 16 f. Hierzu vgl. Flume, NJW 1995, 2904; Zuck, NJW 1995, 2903; Stricker, NJW 1996, 440; Czermak, ZRP 1996, 201; Renck, ZRP 1996, 205; Steiger, FS Kriele S. 105. Soweit gegen das Urteil vorgebracht wird, bei einem Kreuz handle es sich um ein allgemeines Symbol abendländischer Tradition, wird dies weder dem Gebot staatlicher 119 120
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7. Kap.: Resümee mit vergleichenden Aspekten
2. Positive Neutralität Wenn sich auch der Staat mit keiner Religion identifizieren darf und die Religionsgemeinschaften gemäß Art. 140 GG, 137 Abs. III WRV ihre Angelegenheiten selbst regeln,129 erscheint doch eine vollständige Trennung staatlicher und kirchlicher Sphäre kaum möglich.130 Staat und Kirche in Deutschland wenden sich an dieselben Menschen. Die christlichen Kirchen wirken etwa durch ihre diakonische Tätigkeit maßgeblich an der Gestaltung des Gemeinwesens mit. Umgekehrt schafft die (keineswegs auf Laizismus verpflichtete)131 staatliche Gewalt mehr oder auch weniger geeignete Rahmenbedingungen für ein religiöses Leben derer, die sowohl Bürger als auch Glaubende sind. Zwar braucht er nicht konkrete Riten durch die Zurverfügungstellung finanzieller Mittel zu ermöglichen.132 Auch besteht kein Anspruch auf den Erhalt staatlich anerkannter Feiertage.133 Die staatliche Gewalt darf aber die notwendigen Voraussetzungen für die Religionsausübung nicht entziehen.134 Vielmehr hat der Staat den „Raum für die aktive Betätigung der Glaubensüberzeugung und die Verwirklichung der autonomen Persönlichkeit auf weltanschaulich-religiösem Gebiet zu sichern.“135 Daher sind Störungen Dritter, etwa durch Pfeifkonzerte, zu unterbinden.136 Folgerichtig werden die Störung der Religionsausübung und die Beschimpfung eines Bekenntnisses in §§ 166, 167 StGB mit Strafe bedroht. Vor dem Hintergrund der jahrhundertelangen Verflechtungen erscheint es wenig überraschend, daß die grundgesetzliche Ordnung eine vielfältige Kooperation von Staat und Kirche vorsieht. Der schulische Religionsunterricht ist einerseits ordentliches Lehrfach, andererseits wird er in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der jeweiligen Religionsgemeinschaft erteilt, Art. 7 Abs. III GG.137 Letzteres Erfordernis erschwert vielfach die Einrichtung von islamischem Religionsunterricht.138 Eine allgemeine UnterNeutralität noch der zentralen Bedeutung von Tod und Auferstehung Jesu Christi für die christliche Religion gerecht (vgl. auch die abweichende Meinung der Richter Jentsch, Di Fabio und Mellinghoff zur Kopftuch-Entscheidung, BVerfG 2003, 3111, 3118). 129 Zum hierauf aufbauenden kirchlichen Arbeitsrecht siehe von Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 197. 130 von Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 95 f. 131 Badura, S. 81 f. 132 BVerwGE 87, 115, 133. 133 BVerfG NJW 1995, 3378, 3379. 134 von Münch / Kunig-Mager, Art. 4 Rn. 62. 135 BVerfGE 41, 29, 49; BVerfGE 52, 223, 240 f. 136 BVerfGE 93, 11, 16. 137 Zum Religionsunterricht als versetzungserheblichem Fach siehe BVerwGE 42, 346. 138 Es besteht in Deutschland keine einheitlich organisierte muslimische Gemeinschaft mit einem Organ, das theologische Grundsätze verbindlich festlegen könnte. Etliche muslimische
C. Zur weltanschaulichen Neutralität
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weisung in Lebensgestaltung, Ethik und Religionskunde (LER) ist kein hinreichender Ersatz für einen konfessionellen Religionsunterricht.139 Die Seelsorge an den Angehörigen der Streitkräfte wird durch Militärgeistliche gewährleistet. Der Zugang von Geistlichen wird durch Art. 140 GG, 141 WRV garantiert. Vertraglich hat sich die Bundesrepublik überdies verpflichtet, Militärgeistliche als Beamte einzustellen. Die Militärseelsorge wird vom Staat organisiert und finanziert, sie erfolgt aber im Auftrag und unter Aufsicht der Kirchen.140 Der Zugang der Religionsgemeinschaften zu Strafanstalten, Krankenhäusern und anderen öffentlichen Anstalten zwecks Vornahme religiöser Handlungen wird durch Art. 140 GG, 141 WRV ebenfalls institutionell gewährleistet. Auch die theologischen Fakultäten an den staatlichen Hochschulen sind eine gemeinsame Angelegenheit von Staat und Kirche. Sie dienen als staatliche Einrichtungen zugleich der Erfüllung kirchlicher Aufgaben. Die Kirchen akzeptieren die staatlichen Ausbildungsstellen, dafür gewährt der Staat kirchlichen Einfluß bei der Besetzung der Stellen. Die Kirchen profitieren von der staatlichen Finanzierung, die sowohl eine Förderung der jeweiligen Konfession als auch einen Ausdruck allgemeiner staatlicher Kulturverantwortung darstellt.141 Überdies ermächtigt der Staat die körperschaftlich verfaßten Religonsgemeinschaften in Art. 140 GG, 137 Abs. VI WRV zur Erhebung von Steuern.142 Hierbei sind die Kirchen an die grundgesetzliche Ordnung gebunden.143 Durch die Einziehung der Kirchensteuer über die Finanzämter hilft der Staat den Religionsgemeinschaften bei ihrer Finanzierung.144 Außerdem leistet er Zuwendungen aus dem Haushalt gemäß Art. 140 GG, 138 WRV. Glaubensgemeinschaften, die gemäß Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. V WRV als Körperschaften des öffentlichen Rechts organisiert sind, zählen regelmäßig zu den juristischen Personen, die unmittelbar dem durch Art. 4 GG geschützten Lebensbereich zugeordnet sind. Sie wurzeln im außerstaatlichen Bereich und nehmen keine staatlichen Aufgaben Gruppen stehen zudem einer Kooperation mit dem deutschen Staat gerade hinsichtlich des Religionsunterrichtes grundsätzlich kritisch gegenüber. Zu dieser Thematik vgl. Korioth, NVwZ 1997, 1041 sowie Hillgruber, JZ 1999, 538, 543 f. 139 Lörler, ZRP 1996, 121. 140 Der Vertrag der Bundesrepublik Deutschland mit der Evangelischen Kirche in Deutschland zur Regelung der evangelischen Militärseelsorge ist abgedruckt im BGBl. II 1957, 702. Er wird gemäß dem Gesetz über die Militärseelsorge, BGBl. II 1957, 701, auf die katholischen Militärgeistlichen sinngemäß angewendet. Der Wunsch einiger evangelischer ostdeutscher Landeskirchen nach Aufkündigung dieses Systems ist wohl in erster Linie vor dem Hintergrund der Erfahrung der SED-Diktatur zu verstehen. 141 von Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 248. 142 Zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit des Kirchensteuersystems siehe BVerfGE 30, 415. 143 Beschluß des BVerfG vom 19. August 2002, 2 BvR 443 / 01. 144 Ausführlich zu rechtspolitischen Fragen betreffend das Kirchensteuersystem vgl. von Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 270 ff.
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7. Kap.: Resümee mit vergleichenden Aspekten
wahr. Daher haben sie trotz ihres (historisch bedingten) öffentlich-rechtlichen Status Anteil am Grundrechtsschutz.145 Art. 4 GG schützt neben der individuellen Freiheit auch das Recht, gemeinsam mit anderen Personen religiöse Haltungen zu entwickeln und auszuleben. Neben die Ausformung als Individualgrundrecht tritt die kollektive Religionsfreiheit,146 insbesondere in der Form der Religionsvereinigungsfreiheit.147 Insofern ist das durch Art. 140 GG, 137 Abs. II WRV garantierte Recht der Vereinigung zu Religionsgesellschaften eine Ausformung der Religionsfreiheit des Art. 4 Abs. I, II GG.148 Was eine Religionsgemeinschaft ausmacht, unterliegt der staatlichen Beurteilung im Rahmen der inhaltlichen Auslegung eines Verfassungsbegriffes. Bei dieser wird aber die aktuelle Lebenswirklichkeit, die Kulturtradition und das religionswissenschaftliche (Selbst-)Verständnis der jeweiligen Gemeinschaft berücksichtigt.149 Unabhängig davon, ob solche Personenverbände den Status einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft innehaben, sind sie Grundrechtsträger und können selbständig Verfassungsbeschwerde erheben. Die Religionsgesellschaften regeln ihre Angelegenheiten gemäß Art. 140 GG, 137 Abs. III WRV selbständig, wozu auch das Mitgliedschaftrechts sowie das kirchliche Dienst- und Arbeitsrecht zählen.150 Das kirchliche Arbeitsrecht ist nunmehr auch Gegenstand europarechtlicher Bestimmungen.151
3. Neutralität und Ausgleich zwischen Religionen Die weltanschauliche Neutralität wirkt sich auch auf die Rolle aus, welche der Staatsgewalt im Ausgleich zwischen religiösen Konflikten zwischen Privaten zukommt. Wo die positive Religionsfreiheit des einen Grundrechtsträgers mit der negativen Religionsfreiheit eines anderen kollidiert, ist nach Auffassung des Hessischen Staatsgerichtshofes regelmäßig der negativen Grundrechtskomponente der Vorrang einzuräumen, da diese nicht im Verdacht stehe, Rechte anderer zu verletzen.152 Eine derartige Privilegierung der negativen Religionsfreiheit würde jedoch zur Verbannung der Religion aus dem öffentlichen Leben führen. Jede reli145 BVerfGE 19, 1, 5; BVerfGE 21, 362, 374; BVerfGE 24, 236, 246 f.; von Mangoldt / Klein / Starck, Art. 4 Rn. 42; Steiner, JuS 1982, 157, 160. 146 Zur europäischen Dimension der Religionsvereinigungsfreiheit vgl. Conring, Korporative Religionsfreiheit in Europa; Bleckmann, Von der individuellen Religionsfreiheit des Art. 9 EMRK zum Selbstbestimmungsrecht der Kirchen. 147 BVerfGE 83, 341, 354 ff. 148 Schmidt-Bleibtreu / Klein (7. Aufl.) – Schmidt-Bleibtreu, Art. 140 Rn. 10. 149 BVerfGE 83, 341, 353; BVerwG NVwZ 1996, 61. 150 Näher hierzu von Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 162 ff. 151 Siehe Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000 / 78 / EG. Hierzu Reichold, NZA 2001, 1054. 152 Hess. StGH NJW 1966, 31, 24.
C. Zur weltanschaulichen Neutralität
167
giöse Betätigung könnte von sich gestört fühlenden Andersgläubigen (etwa Anwohnern eines Prozessionsweges) unterbunden werden. Eine solche Gewichtung widerspräche der Verpflichtung zum Schutz von Minderheiten und dem Prinzip weltanschaulicher Neutralität des Staates, die eben keine Verpflichtung zum Laizismus bedeutet.153 Nur soweit vom Staat verlangt werden kann, eine Glaubenshandlung durch Leistung zu ermöglichen, kann auch erwartet werden, daß er zugunsten einer areligiösen oder antireligiösen Überzeugung tätig wird.154 Negative Glaubensfreiheit und weltanschauliche Neutralität garantieren zwar, daß der Staat selbst nicht für eine Religion wirbt. Damit ist er aber nicht verpflichtet, bekenntnishafte Handlungen aus dem Wahrnehmungsbereich des Anders- oder Nichtgläubigen zu verbannen. In einer pluralistischen Gesellschaft ist die Konfrontation mit anderen Meinungen und Überzeugungen unvermeidbar. Da positive und negative Grundrechtskomponente somit in gleichem Maße geschützt sind,155 gilt es, ausgleichende Lösungen zu finden. In einer Weise, die beiden Aspekten gerecht zu werden sucht, wird etwa der militärische Befehl „Helm ab zum Gebet“ ausgelegt, der Teil des zeremoniellen „Großen Zapfenstreiches“ ist. Die Aufforderung zum Abnehmen der Kopfbedeckung soll nicht einen Appell zum Beten beinhalten, vielmehr soll auch der Betunwillige durch die befohlene Geste die gebotene Achtung vor der Religionsausübung der betenden Soldaten zum Ausdruck bringen.156 Für den Fall des Schulgebetes entschied das Bundesverfassungsgericht,157 daß bei entsprechender Prägung der Schule ein Gebet stattfinden darf. Bei dem von Lehrer und Schülern gesprochenen Gebet handle es sich lediglich um eine Maßnahme in der Schule, aber nicht der Schule.158 Betunwilligen Schülern ist eine nicht-diskriminierende Möglichkeit zur Nichtteilnahme unbedingt einzuräumen.
III. Vergleichende Anmerkungen Eine Trennung von Staat und Kirche wird sowohl durch die amerikanische als auch durch die deutsche Verfassung festgeschrieben. Beide abendländische Staaten sind zur weltanschaulichen Neutralität verpflichtet. von Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 101. Maunz / Dürig / Herzog / Scholz – Herzog, Art. 4 Rn. 119 – 121; von Mangoldt / Klein / Starck-Starck, Art. 4 Rn. 15; vgl. Heckel, VVDStL 26, 5, 29. 155 So ausdrücklich VG Gießen NJW 2003, 1265, 1268. 156 Wolf, NJW 1987, 36. 157 BVerfGE 52, 223, 240 f. 158 Diesen Aspekt vernachlässigt das Urteil des VG Gießen zum Fall des Gebetes in einem kommunalen Kindergarten, NJW 2003, 1265. 153 154
168
7. Kap.: Resümee mit vergleichenden Aspekten
In der Bundesrepublik159 wie in den USA160 sind öffentliche Räume nicht in einer Weise mit religiösen Symbolen zu dekorieren, die den Eindruck einer Identifikation des Staates mit einer bestimmten Religion nahelegt. Um den Eindruck staatlicher Identifikation mit einer Religion zu vermeiden, darf ein amerikanischer Militärarzt im Dienst keine jüdische Kopfbedeckung161 tragen. Auch in Deutschland können gesetzliche Bekleidungsvorschriften den Beamten das Tragen von Bekleidung verbieten, die sie ständig als Angehörige einer bestimmten Religionsgemeinschaft ausweisen würde. Jedoch hält das Bundesverfassungsgericht das Auftreten eines Beamten in erkennbar religiöser Kleidung nicht für schlechthin unvereinbar mit der staatlichen Neutralität, vielmehr erfordere ein Eingriff in dessen Religionsfreiheit eine spezielle gesetzliche Grundlage.162 Die Scheidung von Staat und Kirche ist jedoch nicht vollständig. Auf beiden Seiten des Atlantiks stellt die Militärseelsorge eine gemeinsame Aufgabe von Staat und Kirchen dar.163 Auch kann sich der Staat bei der Festsetzung einheitlicher Feiertage an der Weltanschauung der Bevölkerungsmehrheit orientieren.164 Gottesbezüge in der Unabhängigkeitserklärung wie in der Präambel des Grundgesetzes sind nach mehrheitlicher Auffassung nicht im Sinne der Identifikation mit einer Religion zu verstehen, sie erinnern vielmehr an die Begrenztheit des Staates und die weltanschaulichen Überzeugungen der Verfassungsväter.165 159 So vor allem das „Kruzifix-Urteil“, BVerfGE 93, 1, 16 f. Zu diesem vgl. Flume, NJW 1995, 2904; Zuck, NJW 1995, 2903; Stricker, NJW 1996, 440; Czermak, ZRP 1996, 201; Renck, ZRP 1996, 205; Steiger, FS Kriele S. 105. 160 County of Allegheny v. American Civil Liberties Union, 492 U.S. 573 (1989). 161 Goldman v. Weinberger, 475 U.S. 503 (1986). 162 BVerfG NJW 2003, 3111. Das Urteil bezieht sich auf das religiös motivierte Tragen eines Kopftuches durch eine Grundschullehrerin, für die es (im Gegensatz zu Angehörigen der Streitkräfte) keinen Uniformzwang gibt. Vgl. VG Stuttgart NVwZ 2000, 959;VGH Mannheim NJW 2001, 2899; EGMR NJW 2001, 2871, vgl. die Besprechung von Goerlich, NJW 2001, 2862 sowie BVerwG NVwZ 1988, 938. 163 Stokes / Pfeffer, Church and State, S. 473 f.; von Campenhausen, Staatskirchenrecht S. 230. 164 McGowan v. Maryland, 366 U.S. 420 (1961). 165 von Mangoldt / Klein / Starck-Starck, Präambel Rn. 25 f.; Noonan, Individual Rights, S. 144; Hutson, Religion and the Founding, S. 114. Der amerikanische Fahneneid enthält die Formulierung „one nation under God“. Diese auf Francis Bellamy zurückgehende und 1954 eingefügte Formel wurde jüngst als Verstoß gegen die staatliche Neutraltiätspflicht angegriffen von dem Vater einer Schülerin, die den Fahneneid der von ihr besuchten staatlichen Schule regelmäßig rezitieren sollte. Die Klage wurde vom Supreme Court jedoch im Juni 2004 als unzulässig abgewiesen, da der Vater an Schultagen nicht das Sorgerecht für seine Tochter hatte, siehe Elk Grove Unified School District v. Newdow, einsehbar derzeit nur unter http://www.supremecourtus.gov. Die Frage, ob es sich bei der Formulierung um ein Bekenntnis handle, oder um eine durch die Tradition gerechtfertigte patriotische Übung ohne unzulässigen religiösen Gehalt, bleibt ungeklärt. Jedenfalls kann die Formulierung (anders als etwa die Institution der Militärgeistlichen) nicht das Argument der ununterbrochenen Verfassungstradition für sich in Anspruch nehmen, da die Worte „under God“ erst 1954 eingefügt wurden.
C. Zur weltanschaulichen Neutralität
169
Das amerikanische Neutralitätsverständnis ist jedoch strenger als das deutsche. Das Bild von Jeffersons „wall of separation“166 entspricht nicht der deutschen Verfassungstradition, die Verflechtungen zwischen Staat und Kirche eher zuläßt. So wären die Finanzierung konfessioneller theologischer Studiengänge oder gar die Erteilung von bekenntnishaftem Religionsunterricht durch Landesbeamte unvereinbar mit dem amerikanischen Verfassungsgrundsatz, daß Steuergelder nicht zur Verbreitung einer Religion verwandt werden dürfen.167 Eine derartige Vermischung staatlicher und kirchlicher Angelegenheiten wäre mit dem Lemon-Test nicht vereinbar.168 Wenn auch religiöse Aktivitäten privater Gruppen auf dem Gelände staatlicher Schulen und Finanzhilfen im Rahmen bestimmter Förderprogramme zuletzt als verfassungsmäßig beurteilt wurden,169 so ist doch der Unterschied zum konfessionellen Religionsunterricht als ordentlichem Lehrfach und zur selbstverständlichen Förderung etwa kirchlicher Kindergärten in Deutschland weiterhin beträchtlich. Auch bleibt das Schulgebet in den USA verfassungswidrig,170 während es in der Bundesrepublik – jedenfalls einem Beschluß aus dem Jahr 1979 zufolge – unter bestimmten Bedingungen rechtlich unbedenklich ist.171 Wie in den USA lösen auch in Deutschland vor allem Entscheidungen zu Konflikten aus dem schulischen Bereich lebhafte Reaktionen aus, wie etwa der Streit um das „Kruzifix-Urteil“,172 die Kopftuch-Diskussion173 und die Debatte um den konfessionellen Religionsunterricht174 zeigen. Die im Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Tragen eines Kopftuches aus religiöser Überzeugung einer muslimischen Lehramtsanwärterin offengelassene Frage, ob eine weltanschaulich heterogene Bevölkerung dem Staat Anlaß gibt, eher mehr religiöse Symbole in der Schule zu tolerieren, oder ob solche Heteroge166 Dieser Begriff entstammt dem Brief Jeffersons an die Danbury Baptist Association, der Text ist abgedruckt bei Kurland / Lerner, S. 96. 167 Dieser geht, wie bereits dargelegt, schon auf Jeffersons „Bill for Establishing Religious Freedom in Virginia“ und Madisons „Memorial and Remonstrance Against Religious Assessments“ von 1785 zurück; Texte abgedruckt bei Kurland / Lerner, S. 82 ff. 168 Vgl. Lemon v. Kurtzman, 403 U.S. 602 (1971). 169 Good News Club v. Milford Central School, Urteil vom 11. Juni 2001, Az. 99 – 2036, einzusehen unter http://laws.findlaw.com / us / 000 / 99 – 2036.html. 170 Engel v. Vitale, 370 U.S. 421 (1962); Abington School District v. Schempp, 374 U.S. 203 (1963); Lee v. Weisman, 112 S.Ct. 2649 (1992); Santa Fe Independent School District v. Doe, 120 S.Ct. 2266 (2000). 171 BVerfG NJW 1980, 575. Ähnlich VG Gießen NJW 2003, 1265 zum Gebet in einem kommunalen Kindergarten. 172 BVerfGE 93, 1, 16 f. Zu diesem vgl. Flume, NJW 1995, 2904; Zuck, NJW 1995, 2903; Stricker, NJW 1996, 440; Czermak, ZRP 1996, 201; Renck, ZRP 1996, 205; Steiger, FS Kriele S. 105. 173 BVerfG NJW 2003, 3111; VG Stuttgart NVwZ 2000, 959;VGH Mannheim NJW 2001, 2899; EGMR NJW 2001, 2871, vgl. Goerlich, NJW 2001, 2862 sowie BVerwG NVwZ 1988, 938. 174 Vgl. Lörler, ZRP 1996, 121.
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7. Kap.: Resümee mit vergleichenden Aspekten
nität umso mehr zur Neutralität verpflichtet,175 beantwortet das U.S.-Verfassungsrecht seit Jefferson im letzteren Sinne. Dabei erfordert die „wall of separation“ keineswegs eine religionsfeindliche Haltung des Staates oder eine Identifikation mit dem Atheismus. Um der Freiheit aller Willen darf sich aber der antitotalitäre Staat die religiösen Auffassungen der Mehrheit seiner Bürger nicht zu eigen machen, er kann nicht zur weltanschaulichen Homogenität zwingen. Schließlich zeichnet die Häufigkeit, mit der sich U.S.-Gerichte mit religiösen Aktivitäten etwa in den Schulen befassen müssen, ein Bild von der amerikanischen Verfassungswirklichkeit, das bis heute von intensivem religiösem, insbesondere christlichem Engagement vieler Bürger geprägt ist. Dieses entfaltet auch bindende Kräfte und erscheint als eine der ideellen Voraussetzungen, auf denen der freiheitliche Staat basiert. Er kann diese nicht garantieren, doch wird er zum Erhalt seiner Grundordnung das eigene geistesgeschichtliche Erbe schützen, einschließlich des religiösen.176
BVerG NJW 2003, 3111, 3115 f. Vgl. Böckenförde S. 112 f. Ähnliches kommt in dem Entwurf für einen europäischen Verfassungsvertrag zum Ausdruck, in dem eingangs betont wird, die Europäische Union schöpfe (unter anderem) aus ihrem religiösen Erbe. 175 176
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12*
Sachverzeichnis Abschlußfeiern 83 Adams v. Commissioner of Internal Revenue 110 Adams, John 40 Agostini v. Felton 133 Aguilar v. Felton 133 Amish 23, 64, 115 Anstaltsinsassen 153 Anwendungsbereich 59 Arbeitslosengeld 62 Articles of faith 37 Augsburger Religionsfriede 16, 145
Danbury Baptist Association 40 Davis v. The Church of Jesus Christ of Latter Day Saints 117 De Tocqueville, Alexis 44 Declaration of Independence 30 Delaware 23 Detached Memoranda 38 Deutsche Bundesakte 146 Din Torah 50 Diskriminierung 129 Drogenkonsum 96 Due Process Clause 74
Bekenntnis 148 Bellamy, Francis 93 Bibelgruppe 129. Bill for Establishing Religious Freedom 26, 27 Bill of Rights 33 Blaine, James 48 Board of Education of Central School District v. Allen 78 Bryant v. Gomez 104, 118 Bundeskompetenzen 37
Elisabeth I. 17 Elk Grove Unified District v. Newdow 93 Employment Division, Department of Human Resources of Oregon v. Smith 95, 153 Engel v. Vitale 81 Entanglement 70, 105, 125, 135 Equal Acess Act 127 Establishment clause 35, 36 Ethical Culture 108 Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) 149 Everson v. Board of Education 74, 125
Calvert, George 24 Calvin, Johannes 18, 20 Cantwell v. Connecticut 52 Central issue test 104 Church of the Lukumi Babalu Aye, Inc. v. City of Hialeah 96 City of Boerne v. Flores 109, 110, 118 Clayton v. Place 87 Compelling interest 61, 64, 66, 102, 114, 152 Connecticut 21 Constitutional Convention 30, 31 Continental Congress 30 County of Allegheny v. American Civil Liberties Union 89
Fahneneid (Pledge of Allegiance) 93, 168 Fahrtkostenerstattung 76 Festtagsschmuck 88 Filmvortrag 128 First Amendment 35 Flast v. Cohen 74 Football 139 Förderkurse 133 Förderung von Religion 37 Frazee v. Illinois 63 Friend v. Kolodzieczak 118
Sachverzeichnis Gates Community Chapel of Rochester, Inc. 110 Gebärdendolmetscher 131 Gebet 83 Gebunden-sein 57 Gefängnisse 120 Gesetzesvorbehalt 157 Gesundbeter-Entscheidung 151 Gewaltenteilung 111 Gewissen 57 Gillette v. United States 103 Goldman v. Weinberger 67 Good News Club v. Milford Central School 129 Grand Rapids v. Ball 133 Grundrechtsmündigkeit 53, 67 Heinrich VIII. 16 Helms v. Mitchell 135 Henry, Patrick 27 Hernandez v. Commissioner of Internal Revenue 103 Heterogenität 169 f Humanismus 108 Hunt v. Hunt 116 Identifikation 168 Illinois ex rel. McCollum v. Board of Education of School District No. 71, Champaign County 85 Interstate commerce clause 118 Ius emigrandi 16 Jefferson, Thomas 5, 26, 27, 41, 42, 45, 85, 98, 124 Kirchenstaat 19, 20 Klagebefugnis 73 Knox, John 17 Kompetenz-Kompetenz 152 Kongregationalismus 20 Konkordanzformel 158 Kontinentalkongreß (Continental Congress) 30 Kopfbedeckung 67, 163, 167, 168 Kopftuch 159 Kriegsdienstverweigerer 58 Kruzifix 163 Kulturadäquanzformel 152
181
Ladenschlussgesetz 63 Laizismus 164 Lamb’s Chapel v. Center Moriches School District 128 Lee v. Weisman 83 Lebensweise 159 Lemon v. Kurtzman 79, 125, 161 Lemon-Test 79 Locke, John 29 Luther, Martin 18 Lynch, Mayor of Pawtucket v. Donelly 89, 113 Lyng v. Northwest Indian Cemetery Protective Association 69 Mack v. O’Leary 106 Madison, James 27, 34, 38, 46 Marsh v. Chambers 91 Marsilius von Padua 17 Maryland 24 Masons, George 32 Massachusetts 21, 116 Mauer 5, 41, 74, 169, 170 Mayflower 17, 19 McCready v. Hoffius 116 Meek v. Pittenger 135 Melanchton, Philip 18 Memorial and Remonstrance against Religious Assessments 27, 39, 74 Menorah 90 Menschenwürde 158, 163 Michigan 115 Mikel v. Scharf 50 Militärseelsorge 92, 165 Minderjährige 53 Missionar 84 Mitchell v. Helms 135 Montesquieu 20 Moralische Überzeugungen 60 Mormonen 50 Mueller v. Allen 80 Multiple establishment 29 Negative Religionsfreiheit 166 Neutralität 164 Nordwest-Territorium 38 Northwest Indian Cemetery Protective Association 69
182
Sachverzeichnis
O’Leary v. Mack 106 Ordre-Public153 Paine, Thomas 29 Parität 162 Parlamentspfarrer 30, 33, 91 Paulskirchenverfassung 146 Penn, William 22 Pennsylvania 22 Permoli v. First Municipalty of New Orleans 47 Peyote 95 Pfeifkonzert 164 Philadelphia 30, 31 Pledge of Allegiance 93, 168 Pocahontas 25 Polygamie 50 Positive Religionsfreiheit 166 Prince v. Massachusetts 53 Principal Effect 136 Privatschulen 80 Prozessionsweg 167 Puritaner 17 Quäker 23, 25 Religionsunterricht 84 Reichsdeputationshauptschluß 145 Released-Time 86 Religare 56 Religion 56, 79, 108, 150 Religionsausübung 148, 150, 164 Religious Freedom Restoration Act (RFRA) 100, 101, 114 Religious Land Use and Institutionalized Persons Act (RLUIPA) 118 Reynolds v. United States 50 Rhode Island 22, 117 Rosenberger v. Rector and Visitors of the University of Virginia 139 Rosenkranz 118 Rupert v. Portland 116 Säkularisierung 145 Santeria 96 Scalia 98 Schächten 97, 151, 158, 159 Schranken 155
Schulbücher 78 Schülerinitiative 127 Schulgebet 81, 126, 138, 140 Schulgelände 129 Schulgeld 80 Schulpflicht 64 Schutzbereich 150 Selbsteinschätzung 59 Separationismus 41 SerpentineWalls 5 Shared-Time 84 Sherbert v. Verner 61, 101, 122, 152 Sieben-Tages-Adventisten 62 Sklaverei 28, 47 Society of Jesus of New England v. Boston Landmark Commission 116 Sonntagsarbeit 62 South Carolina 25 Staatskirche 18, 162 State of Kansas v. Evans 116 State RFRAs 114 Steuer 37, 38, 80 Story, Joseph 46 Streitkräfte 67 Substantial burden 104 Sunday School 84 Swanner v. Anchorage Equal Rights Commission 117 Tabak-Entscheidung 152 Thanksgiving Day 33 Thomas v. Collins 62 Tieropfer 96 Tierschutz 103 Toleranzedikt von Nantes 16 Trauergottesdienste 47 Unabhängigkeitserklärung 30 Unionsverfassung 31 United States v. Ballard 50, 54 United States v. Gonzalez 104 United States v. Hugs 104 United States v. Seeger 58, 107 University of Virginia 5, 85,132 Unterrichtsmaterial 78, 135 Vaterunser 82 Verfassungsänderung 100
Sachverzeichnis Virginia 24, 28, 85, 132 Virginia Bill of Rights 26 Wall of Separation 6, 40, 74, 169, 170 Walz v. Tax Commission 79 Washington, George 40 Watson v. Jones 49 Wehrdienstverweigerung 59 Weihnachtskrippe 89 Weimarer Reichsverfassung 146 Welsh v. United States 59 Westfälischer Frieden 16 Westside Community Board of Education v. Mergens 127 Williams, Roger 22 Wisconsin v. Yoder 64, 122, 153
183
Witters v. Washington Department of Service for the Blind 134 Wolman v. Walter 76, 135 Worship 42 Würde des Menschen 158, 163 Yarmulke 68 Young v. Crystal Evangelical Free Church 111 Zentralitätstest 71 Zersplitterung 153, 159 Zeugen Jehovas 52 Zobrest v. Catalina Foothills School District 131 Zorach v. Clauson 86 Zusatzartikel XIV 47, 109