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German Pages [440] Year 2014
Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Salzburg
Herausgegeben von Robert Kriechbaumer · Franz Schausberger · Hubert Weinberger Band 47
Robert Kriechbaumer
»… ständiger Verdruss und viele Verletzungen.« Die Regierung Klima/Schüssel und die Bildung der ÖVP-FPÖ-Regierung. Österreich 1997–2000
2014 Böhlau Verlag Wien · Köln · Weimar
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Inhaltsverzeichnis
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 I. Unruhe in Kakanien. Die Politische Kultur am Ende des zweiten Jahrtausends.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Stadien des Wertewandels. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Indikatoren des Wandels und der neuen Unübersichtlichkeit . . . . . . . 3. Ehe, Familie, Religion(en), Heimat – Beispiele der neuen Lebenswelten . 3.1 Ehe und Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Religion(en) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Heimat, nationale Identität, Nationalgefühl. . . . . . . . . . . . . . .
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II. Ein politisches Erdbeben. Der Kauf der Creditanstalt- Bankverein AG durch die Bank Austria . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der österreichische Sparkassensektor in den achtziger und neunziger Jahren und die Bank Austria. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Privatisierung der CA 1991–1997 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Am Rande des Koalitionsbruchs.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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III. »Es gibt zu dieser Pensionsreform keine Alternative«. Der Torso der Pensionsreform 1997.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 IV. Zwischen Neutralität und WEU/NATO. Die Kontroverse über die Sicherheitspolitik . . . . . . . . . . . . . . . 90 1. Die geänderten Rahmenbedingungen der neunziger Jahre und die Fragwürdigkeit der Neutralität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 2. Nur mehr der kleinste gemeinsame Nenner. Der Bruch des sicherheitspolitischen Konsenses 1998/99 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 V. Auf halbem Weg.Budgetsanierung und Privatisierung . . . . . . . . 129 VI. Die kollektiven politischen Akteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 1. Die SPÖ.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141
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Inhaltsverzeichnis
1.1 »Eine gute Entscheidung«. Der Wechsel von Franz Vranitzky zu Viktor Klima 1997. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Auf der Suche nach neuen programmatischen Positionen 1997/99 . . . . 3.3 Zwischen Veränderung und Strukturkonservativismus. Die SPÖ im Jahr 1999.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die ÖVP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Zwischen Konflikt und Konsens und die Suche nach dem Profil. Die undankbare Rolle des Zweiten 1997/98. . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Eine Richtungsentscheidung. Das Jahr 1999. Oder : Das Wechselbad der Gefühl und Befindlichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die FPÖ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 »Nicht mehr der politische Würstelstand der Ausgegrenzten«. Trendsetter und der Bruch mit Traditionen – das neue Parteiprogramm 1997 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Turbulenzen und Krisen. Oder : Der Fluch der Ambivalenz 1998 . . . . . 3.2.1 Das Tiroler FPÖ-Chaos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2 Unter Kuratel – das Beispiel Salzburg. . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.3 Eine Landespartei in Nöten – die FPÖ Niederösterreich und der Fall Peter Rosenstingl. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.4 Der Sonderfall Kärnten. Oder : Wie Jörg Haider Spitzenkandidat wurde.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.5 Der versuchte Befreiungsschlag – Der Sonderparteitag in Linz am 4. Juli 1998 im Stil einer Samstagabendshow. . . . . . . . . . . 3.2.6 »Mit allen Varianten in die Wahl« – die FPÖ im Nationalratswahlkampf 1999. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Grünen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Aus den Turbulenzen in ruhigeres Fahrwasser 1996/97 . . . . . . . . . . 4.2 Stabilisierung und neue Attraktivität. Die Grünen unter Alexander van der Bellen 1998/99 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Das Liberale Forum (LIF). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Das Wahljahr 1999 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Landtagswahlen als bundespolitisches Stimmungsbarometer . . . . . 1.1 Ein politisches Erdbeben. Die Kärntner Landtagswahl am 7. März. . 1.2 Die Salzburger Landtagswahl am 7. März. Oder : Mit einem blauen Auge davongekommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Ein unverhoffter Sieg. Die Landtagswahl in Tirol am 7. März . . . . 1.4 Tektonisches Beben im Ländle. Die Landtagswahl in Vorarlberg am 19. September . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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. . 248 . . 248 . . 248 . . 259 . . 264 . . 269
Inhaltsverzeichnis
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2. »Wir müssen über alle Optionen nachdenken.« S chwarz-Blau zwischen politischer Bewegungsfreiheit und D ämonisierung . . . . . . . . . . . . . . . 273 3. »Kein Stein wird auf dem anderen bleiben.« Die Nationalratswahl am 3. Oktober . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 VIII. 4. Oktober bis 13. Dezember 1999 – politisches Schattenboxen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Eine neue politische Landschaft – unterschiedliche B efindlichkeiten . . . . . 2. Zwischen Besorgnis und Hysterie. Internationale und nationale Reaktionen . 3. Stillstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Sondierungsgespräche – ein Ausweg aus der Krise ?. . . . . . . . . . . . . . . IX. Zwischen Tabubruch und Alternativlosigkeit. Die Regierungsverhandlungen 1999/2000 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ideologische Differenzen. Von der Notwendigkeit struktureller Reformen und vom schwierigen Sprung über den eigenen Schatten. . . . . . . . . . . . 2. Eine neuerliche Pensionsreform als zentraler Bestandteil der Reformagenda. Der Widerstand der Gewerkschaft. Oder : Vom schwierigen Innenleben der SPÖ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ein umstrittenes Ergebnis. Die Ereignisse vom 18. bis 20. Jänner 2000. . . . 5. Das Scheitern der Koalitionsverhandlungen am 20./21. Jänner 2000 . . . . . 5. Der Bundespräsident und die Bemühungen um die Bildung einer SPÖ-Minderheitsregierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Ein Zwischenspiel mit Folgen. Die Stockholmer Holocaust-Konferenz und die drohende Isolierung Österreichs. Die Sanktionen der 14 EU-Staaten.. . 7. »Würsteln wären wir ! Und welcher Schaden für Europa !« Die Regierungsverhandlungen von ÖVP und FPÖ im Schatten der Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Quellennachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 426
Vorwort
Zwei Tage vor der Nationalratswahl am 3. Oktober 1999 bemerkte Anneliese Rohrer in einem Artikel zur Situation der seit 1986 existierenden zweiten Großen Koalition, die Beziehung zwischen SPÖ und ÖVP sei von »ständigem Verdruss und vielen Verletzungen« geprägt, wobei vor allem in der ÖVP eine tief sitzende Verstimmung über die SPÖ herrsche.1 Wenn man das metaphorische Bild der Ehe auf die Große Koalition des Jahres 1999 übertrug, musste man zu dem Schluss kommen, dass diese Beziehung vor dem Scheidungsrichter enden musste, sofern nicht noch ein Mediator das Wunder einer Versöhnung zustande brachte. Zu sehr hatten sich in der ÖVP Wut und Abneigung gegenüber der SPÖ angestaut. Seit 1986 existierte in Österreich eine nicht sozialistische Mehrheit und bestand die Möglichkeit der Bildung einer ÖVP-FPÖ-Koalition. Die ÖVP hatte 1986 durch einen völlig verunglückten Wende-Wahlkampf und mit einem bereits gesundheitlich angeschlagenen Spitzenkandidaten einen demoskopischen Vorsprung letztlich verspielt und war als enttäuschter Zweiter durchs Ziel gegangen. Die SPÖ konnte hingegen durch einen geschickten Wechsel von Fred Sinowatz zu Franz Vranitzkys die bereits sicher scheinende Niederlage ebenso abwenden wie die FPÖ, die sich mit der Wahl von Jörg Haiders auf dem turbulent verlaufenen Innsbrucker Parteitag aus dem drohenden Absturz in die politische Bedeutungslosigkeit rettete.2 Wenngleich das von der politikwissenschaftlichen und historischen Forschung als versäult und fragmentiert charakterisierte Parteiensystem zu erodieren begann und durch den erstmaligen Einzug der Grünen in den Nationalrat ein breiteres politisches Angebot existierte, so schien die politische Realität davon keine Kenntnis zu nehmen. Obwohl ÖVP-Obmann Alois Mocks für die Bildung einer Koalition mit der FPÖ eintrat, weil er die Auffassung vertrat, in einer solchen Konstellation die politischen Vorstellungen einer notwendigen Wende eher realisieren zu können, scheiterte er an den übermächtigen Strukturen des österreichischen Verbändestaates und der Sozialpartnerschaft. Wirtschafts- und Bauernbund votierten ebenso für eine Neuauflage der 1 Anneliese Rohrer: Rot-schwarze Ehe, ständiger Verdruss und viele Verletzungen. – In: Die Presse 1.10. 1999. S. 3. 2 Vgl. dazu Robert Kriechbaumer: Zeitenwende. Die SPÖ-FPÖ-Koalition 1983–1987 in der historischen Analyse, aus der Sicht der politischen Akteure und in den Karikaturen von Ironimus. – Wien/Köln/Weimar 2008.
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Vorwort
Großen Koalition unter der Führung der SPÖ wie die Mehrheit der ÖVP-Landeshauptleute. Lediglich die Landeshauptleute von Salzburg und Vorarlberg, Wilfried Haslauer und Herbert Sausgruber, plädierten für die Vorstellung Mocks.3 Eine Koalition mit der FPÖ wäre für die ÖVP bereits 1970 möglich gewesen, doch schreckte Josef Klaus vor diesem Schritt zurück, da er ein Wiedererwachen der Geister der Vergangenheit befürchtete.4 Sein Vorgänger Hubert Gorbach hatte 1964 dem SPÖVorsitzenden und Vizekanzler Bruno Pittermann anlässlich einer Gedenkfeier für den 12. Februar 1934 auf dem Wiener Zentralfriedhof die Hand zur Versöhnung gereicht und damit das Konsensklima der Politischen Kultur der Zweiten Republik symbolisch zum Ausdruck gebracht. Klaus wollte nicht das Gespenst eines neuerlichen »Bürgerblocks« wecken und lehnte die in der ÖVP diskutierte Möglichkeit der Bildung einer ÖVP-FPÖ-Koalition ab. Noch in der Wahlnacht des 1. März 1970 ergriff hingegen Bruno Kreisky die sich bietende Gelegenheit und bereitete in einem nächtlichen Gespräch mit FPÖ-Obmann Friedrich Peter in der Löwelstraße die Tolerierung einer SPÖ-Minderheitsregierung vor. Dabei erklärte er seinem Gesprächspartner, dass die SPÖ bereit sei, eine Änderung des die FPÖ benachteiligenden Wahlsystems durchzusetzen, gemeinsam den Zeitpunkt von Neuwahlen zu bestimmen und die FPÖ anschließend offiziell in eine Regierungskoalition mit der SPÖ aufzunehmen.5 Die folgenden Wahlsiege der SPÖ bescherten ihr drei Mal die absolute Mehrheit und begründeten die Ära einer sozialdemokratischen Dominanz mit ihren Auswirkungen auf die Politische Kultur des Landes. Bereits im Vorfeld der Nationalratswahl 1983 hatte Bruno Kreisky angesichts der Möglichkeit des Verlustes der absoluten Mehrheit insgeheim die Weichen in Richtung einer SPÖ-FPÖ-Koalition gestellt, wobei er vor allem von zwei Überlegungen geleitet wurde : Eine Koalition mit der FPÖ war der billigste politische Preis für eine Prolongierung der sozialdemokratischen Dominanz und bot zudem dem ambitionierten FPÖ-Parteiobmann Norbert Steger die Möglichkeit, in die Fußstapfen Friedrich Peters zu treten und die FPÖ nach dem Muster der deutschen FDP als Repräsentantin des politischen Liberalismus in Österreich zu positionieren. Kreisky führte 1983 nach dem Verlust der absoluten Mehrheit noch die Regierungsverhandlungen mit der FPÖ und übergab deren Ergebnisse seinem politischen Testamentsvollstrecker Fred Sinowatz. Die 3 Martin Eichtinger, Helmut Wohnout : Alois Mock. Ein Politiker schreibt Geschichte. – Wien/Graz/Klagenfurt 2008. S. 120. 4 Robert Kriechbaumer : Die Ära Klaus. Aufgeklärter Konservativismus in den »kurzen« sechziger Jahren in Österreich. – In : Ders. (Hg.) : Die Ära Josef Klaus. Österreich in den »kurzen« sechziger Jahren. – Wien/ Köln/Weimar 1998. S. 9–97. S. 86f. 5 Bruno Kreisky : Im Strom der Politik. Der Memoiren zweiter Teil. – Berlin 1988. S. 410 ; Robert Kriechbaumer : Die Ära Kreisky. Österreich 1970–1983 in der historischen Analyse, im Urteil der politischen Kontrahenten und in Karikaturen von Ironimus. – Wien/Köln/Weimar 2004 ; S. 44ff. Wolfgang Petritsch : Bruno Kreisky. Die Biografie. – St.Pölten/Salzburg 2010. S. 175ff.
Vorwort
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Prolongierung der Illusion von einer »Insel der Seligen« und sozialer Sicherheit im turbulenten Meer der internationalen Wirtschaftskrise endete Mitte der Achtzigerjahre mit der Krise der Verstaatlichten Industrie und der Unfinanzierbarkeit staatlicher Garantiesysteme. Die von der ÖVP unter ihrem neuen Obmann Alois Mock propagierte, die Gesetze des Marktes und der Freiheit berücksichtigende »andere Politik« und der vom Generalsekretär des Wirtschaftsbundes, Wolfgang Schüssel, mit dem auch in Buchform erschienenen Slogan »Mehr privat, weniger Staat« geforderte Abschied vom überbordenden Staat und vom unbeschränkten Staatsvertrauen erhielten politische Aktualität und stießen auf zunehmende Akzeptanz. Doch auch die SPÖ war zu einer ideologischen Kurskorrektur gezwungen und begann sich von bisher heiligen politischen Kühen, wenn auch zögerlich, zu verabschieden. Sie nahm damit wieder politischen Kurs auf und konnte die 1986 geschlossene Große Koalition mit der ÖVP als Reformpartnerschaft verkaufen, bei der man gegenüber einem allzu stürmischen Regierungspartner das soziale Gewissen präsentierte. Die Kalkulation der SPÖ ging auf. Die ÖVP war einerseits mit der angesichts der internationalen Konstellation einer Sisyphusarbeit gleichenden Verteidigung ihres Präsidentschaftskandidaten Kurt Waldheim beschäftigt und konnte andererseits ihre politischen Innovationen und Weichenstellungen auf dem Markt der politischen Aufmerksamkeit nicht platzieren. Die politische Wahrnehmung galt Franz Vranitzky, der sich angesichts des gesundheitlich angeschlagenen ÖVP-Obmanns und Außenministers Alois Mock als eigentlicher Außenminister des Landes inszenierte und damit die von Bruno Kreisky so heftig kritisierte Übergabe des Außenministeriums an die ÖVP zu einem erheblichen Teil auszugleichen vermochte. Lediglich bei den für das Land essenziellen Verhandlungen über den EU-Beitritt vermochte Mock auch innenpolitisch zu reüssieren. Dass der EU-Beitritt von der ÖVP vorangetrieben und der SPÖ erst mühsam abgerungen werden musste, blieb der allgemeinen Aufmerksamkeit und der damit verbundenen politischen Zuordnung weitgehend verborgen. Die SPÖ inszenierte als Demütigung der ÖVP den Abend der erfolgreichen EUAbstimmung als SPÖ-Fest, indem sich die gesamte Parteiführung am Balkon des Kanzleramtes versammelte. Die ÖVP musste in den neunziger Jahren zur Kenntnis nehmen, dass sie als Zweiter in der Koalition zwar für deren Misserfolge mitverantwortlich gemacht wurde, jedoch nicht von deren Erfolgen zu profitieren vermochte. Hinzu kam das Verhalten des SPÖ-Vorsitzenden und Bundeskanzlers Franz Vranitzky, der sein politisches visà-vis mit Kühlschranktemperatur behandelte. Gegen den staatsmännisch wirkenden Bundeskanzler und SPÖ-Parteivorsitzenden schien kein politisches Kraut gewachsen. Während Vranitzky unangefochten auf dem Ballhausplatz residierte, kamen und gingen die ÖVP-Obmänner und Vizekanzler : Alois Mock, Josef Riegler und Erhard Busek. Und Franz Vranitzky hatte durch einen äußerst geschickten, die moralische Argumentation benützenden Schachzug die politischen Optionen seines Koalitions-
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Vorwort
partners eingeschränkt, indem er der unter Jörg Haider ständig stärker werdenden FPÖ durch den Faschismusverdacht die Regierungsfähigkeit absprach.6 Die ÖVP schien damit an die SPÖ gebunden und konnte jederzeit, auch mit der Moralkeule, in eine Koalition mit der SPÖ »geprügelt« werden, wie es der Wiener Bürgermeister Michael Häupl unverblümt ausdrückte. Die politische Beweglichkeit der ÖVP war in den ersten zehn Jahren der zweiten Großen Koalition durch drei Faktoren eingeschränkt : 1. durch die (auch innerparteiliche) Macht der sozialpartnerschaftlich verankerten Bünde, d. h. Wirtschafts- und Bauernbund, sowie einiger Landeshauptleute ; 2. durch den innerparteilich wie durch und seitens der Medien erhobenen Anspruch an die staatspolitische Verantwortung der Partei, der sich angesichts der bevorstehenden Finalisierung der EU-Beitrittsverhandlungen und der folgenden Volksabstimmung in der Koalitionserklärung zugunsten der SPÖ (»ohne Wenn und Aber«) von Erhard Busek 1994 manifestierte und 3. durch die sowohl innen- wie außenpolitisch wirksame Faschismuskeule gegenüber der FPÖ, die als nicht koalitionsfähig zum politischen Paria gestempelt wurde. Die politischen Rahmenbedingungen sollten sich mit der Wahl von Wolfgang Schüssel zum neuen Parteiobmann der ÖVP und dessen Avancement zum Außenminister und Vizekanzler ändern. Schüssel hatte als langjähriger Generalsekretär des Wirtschaftsbundes und Wirtschaftsminister in der zweiten Großen Koalition nicht nur die Mühen des Regierens in einer Koalition, sondern auch die strukturellen Reformen konterkarierende Politik der SPÖ erfahren. Er war gewillt, angesichts der sich massiv verschärfenden Budgetprobleme 1995 den politischen Konflikt durch vorgezogene Neuwahlen zu suchen und die ÖVP aus der politischen Selbstfesselung zu befreien, indem er nicht nur einen stark ideologisch-themenbezogenen Wahlkampf im Sinne einer Richtungsentscheidung führte, sondern auch eine Koalitionsaussage zugunsten der SPÖ vermied. Schüssel schärfte das ideologische Profil der Partei, um dem Vorwurf der Einheitspartei und Austauschbarkeit der beiden Regierungsparteien zu begegnen und suchte andererseits, vor allem auch in Fernsehdiskussionen, die Konfrontation mit der FPÖ, vor allem Jörg Haider. Dabei griff er, wenn auch moderater und in differenzierenden Formulierungen, FPÖ-Themen auf, um ehemalige zur FPÖ abgewanderte ÖVP-Wähler zurückzugewinnen und neuerliche Verluste an die FPÖ zu vermeiden. Gleichzeitig blieb er aus zwei Gründen in der Koalitionsfrage bewusst offen. Zum einen konnte er sein Ziel, ehemalige zur FPÖ abgewanderte ÖVPWähler zurückzugewinnen, nicht mit einer Distanzierung von der FPÖ erreichen und zum anderen bot ihm nur das Offenhalten der politischen Optionen nach der Wahl politische Handlungsfreiheit. In allen taktischen Varianten war die ÖVP »mit einem strategischen Dilemma konfrontiert : Ihre Vorstellungen zur Budgetsanierung erschienen der Mehrheit der Wähler plausibler als jene der SPÖ, die sozialdemokra6 Zur Position Vranitzkys vgl. Franz Vranitzky : Politische Erinnerungen. – Wien 2004. S. 172ff.
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tische Linie des ›Hinunterspielens‹ der Budgetprobleme galt in der Öffentlichkeit als wenig glaubwürdig. Andererseits gab es keine Zustimmung für denkbare Alternativen zur bestehenden Regierungskonstellation. Auch die Wähler der ÖVP lehnten eine Koalition mit den Freiheitlichen mehrheitlich ab, zeigten jedoch zugleich nur wenig Sympathie für die Fortsetzung des Status quo. Potentielle ÖVP-Wähler aus dem Wählerreservoir der anderen Parteien zeichneten sich durch konträre Koalitionspräferenzen aus : potentielle ÖVP-Wähler aus den Reihen der Sozialdemokratie votierten für eine Fortführung der Großen Koalition und waren massiv gegen eine Zusammenarbeit ÖVP-FPÖ ; freiheitliche Anhänger, für die eine Wahl der ÖVP in Frage kam, präferierten eine Koalition unter Einschluss der FPÖ und sprachen sich gegen eine Große Koalition unter Führung der SPÖ aus. Eine Festlegung der ÖVP auf eine Neuauflage der Großen Koalition hätte somit aus Sicht der ÖVP-Strategen ›erneuerungswillige‹ Wähler abstoßen, die ›freiheitliche Option‹ wiederum eine Barriere gegen die ÖVP in breiten Bevölkerungskreisen (und den Meinungseliten) aufrichten und konfliktgeladene Friktionen in der eigenen Anhängerschaft auslösen können. Letztendlich entschied sich die ÖVP dafür, zwar den Anspruch auf die Kanzlerschaft zu stellen, die Koalitionsfrage de facto aber offen zu lassen.«7 Besondere Verärgerung bei der ÖVP löste der Wahlkampf der SPÖ aus, der unter dem Druck der sozialdemokratischen Arbeitnehmervertreter und gestützt auf demoskopische Erhebungen, jede strukturelle Veränderung im politischen Biedermeier ablehnte. Die SPÖ affichierte ein Kanzlerplakat mit dem jeder strukturellen Reform eine Absage erteilenden Slogan »Für Experimente ist unser Österreich zu kostbar« und versandte im Dezember den sogenannten »Pensionistenbrief«, in dem der Bundeskanzler allen Pensionisten bzw. Personen über 53 Jahren versicherte, er werde Eingriffe in das bestehende Pensionssystem verhindern. Den zweiten Schwerpunkt des SPÖ-Wahlkampfes bildete die Warnung vor einer ÖVP-FPÖ-Koalition mit Slogans wie »Nur wer SPÖ wählt, verhindert das ›Schwarz-Blaue Experiment‹ !« oder »Nur wer Vranitzky wählt, verhindert Haider !«. Die Wahlmotive zugunsten der SPÖ wurden von klassischen Issues bestimmt : neben dem Traditionsmotiv sowie der sozialen Interessenvertretung galt die SPÖ nach wie vor als Partei der Arbeiter bzw. der »kleinen Leute«. In diesem Kontext waren die Sicherung der Pensionen und der sozialen Transferleistungen, die Angst vor Veränderungen und vice versa die Sehnsucht nach Stabilität zentrale Wahlmotive zugunsten der SPÖ. Im Fall des Wechsels der Regierungskonstellation schien dies gefährdet, woraus die Ablehnung einer ÖVP-FPÖ-Regierung resultierte. 7 Fritz Plasser, Peter A. Ulram : Kampagnedynamik : Strategischer und thematischer Kontext der Wählerentscheidung. – In : Fritz Plasser, Peter A. Ulram, Günther Ogris (Hg.) : Wahlkampf und Wählerentscheidung. Analysen zur Nationalratswahl 1995. – Wien 1996. S. 13–46. S. 24ff. (Schriftenreihe des Zentrums für angewandte Politikforschung. Band 11).
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Vorwort
Wahlmotive pro SPÖ 1995: 8 Mögliche Gründe für eine Wahlentscheidung zugunsten der SPÖ
in Prozent
Die SPÖ sichert Pensionen und Arbeitsplätze auch in schwierigen Zeiten
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Die SPÖ setzt sich gegen einschneidende Kürzungen bei Pensionen und Sozialleistungen ein
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Die SPÖ hat mit Vranitzky einen starken Spitzenkandidaten
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Die SPÖ vertritt die Interessen der Arbeitnehmer und kleinen Leute
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Die SPÖ will eine schwarz-blaue Koalition in der Regierung verhindern
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Die Nationalratswahl vom 17. Dezember 1995 war durch eine deutliche Polarisierung und Mobilisierung der Wählerschaft gekennzeichnet und brachte eine, letztlich allerdings nur vorübergehende, Restabilisierung der beiden Regierungsparteien, während der kontinuierliche Aufstieg der FPÖ mit einem Verlust von 0,6 Prozent beendet zu sein schien. Die ÖVP vermochte jedoch den erhofften Erfolg nicht zu erzielen. Wenngleich sie 0,6 Prozent gewann, konnte die SPÖ einen Gewinn von 3,4 Prozent verzeichnen und damit ihren Vorsprung auf die ÖVP vergrößern.9 Die Fortführung der Großen Koalition bedeutete für die ÖVP letztlich die Fortführung eines taktischen Dilemmas. Wenngleich sich die SPÖ nach der Nationalratswahl unter dem Druck der Budgetentwicklung sowie der Teilnahme am Euro zu zaghaften Reformschritten entschloss, so erfolgten diese, vor allem unter dem massiven Einfluss der Fraktion sozialistischer Gewerkschafter, nur ungenügend und vermieden notwendige einschneidende, politisch unpopuläre, Maßnahmen. Der Strukturkonservativismus der Arbeitnehmervertreter führte nicht nur zu permanenten Spannungen mit der ÖVP, sondern auch in der SPÖ, die mit dem Rücktritt von Finanzminister Ferdinand Lacina ihren Höhepunkt erreichten. Der Rücktritt von Franz Vranitzky zu Jahresbeginn 1997 und die beginnende Kanzlerschaft von Viktor Klimas schienen, wenn auch nur kurzfristig, das Koalitionsklima zu verbessern. Der Verkauf der Creditanstalt Bankverein an die Bank Austria zu Jahresbeginn 1997 hinterließ jedoch nachhaltige Narben in den Beziehungen der beiden Koalitionsparteien, die noch durch die sich verschärfenden Gegensätze in der Frage der Pensionsreform, der Familien- und Sicherheitspolitik verstärkt wurden. Und auch die persönlichen 8 Plasser, Ulram : Kampagnedynamik : Strategischer und thematischer Kontext der Wählerentscheidung. S. 20. 9 Christoph Hofinger, Günther Ogris : Denn erstens kommt es anders … Die Gründe für das Überraschungsergebnis der Nationalratswahl vom 17. Dezember 1995. – In : ÖJP 1995. – Wien/München 1996. S. 55–72; Fritz Plasser, Peter Ulram, Franz Sommer : Restabilisierung der Traditionsparteien oder nur scheinbare Konsolidierung ? Analyse der Nationalratswahl 1995. – In : Ebda. S. 73–102; Christian Scheucher : Mut zur Veränderung : Der Nationalratswahlkampf der »NEUEN ÖVP« 1995. – In : Ebda. S. 103– 114. ; Plasser, Ulram, Ogris (Hg.) : Wahlkampf und Wählerentscheidung. Analysen zur Nationalratswahl 1995.
Vorwort
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Beziehungen näherten sich wiederum dem Gefrierpunkt. Zu unterschiedlich waren die Positionen in zahlreichen Politikfeldern, zu unterschiedlich ausgeprägt war die Bereitschaft zum Risiko, durch die Inangriffnahme – auch schmerzhafter – struktureller Reformen im Wirtschafts- und Sozialbereich einen Popularitätsverlust in Kauf zu nehmen. Am Ende der Legislaturperiode 1999 herrschte weitgehend Sprachlosigkeit in jeder Beziehung zwischen den bisherigen Regierungsparteien. Die Dramatik und das Ergebnis der so kontroversiell beurteilten Ereignisse zwischen dem 3. Oktober 1999 und dem 4. Februar 2000 erschließen sich der nicht von Emotionen geleiteten Beurteilung durch einen detaillierten Blick auf die Ereignisse der Jahre 1997–1999. Sie bilden das Präludium des Kommenden, der »wunderlichsten Wahl der Nachkriegszeit, die den Verlierer zum Bundeskanzler machte. Unvergesslich, den einen zur Freude, den anderen zum Leid, die Nationalratswahl im Oktober 1999.« Wolfgang Schüssel, der im Fall des Zurückfallens seiner Partei auf den dritten Platz den Gang in die Opposition angekündigt hatte, führte die ÖVP schließlich nach dem Eintreten dieser Konstellation nicht auf die harten Bänke der Opposition, sondern ins Kanzleramt. Dafür wurde er für die einen zur politischen Lichtgestalt, während ihn die anderen des nackten Machiavellismus und der Lüge ziehen. Er wurde für sie »der bestgehasste Kanzler seit der Jungsteinzeit«.10 Wissenschaft, vor allem die Historie, so Marc Bloch, denkt in und arbeitet mit dem Ursachenprinzip, d. h. den Fragen des »Warum« und »Weil«. Historische Erkenntnis »erfordert die Verwendung der Kausalbeziehung«.11 Historische Hermeneutik erfordert den Versuch, ein Ereignis in einem Kausalzusammenhang zu betrachten und zu erklären und mit dem von Leopold von Ranke formulierten Anspruch zu zeigen, wie es eigentlich gewesen ist. Ranke bemerkte, man habe der Geschichtswissenschaft oftmals das Amt des Richters über Vergangenes zum Nutzen künftiger Generationen zugewiesen. Diesem Anspruch könne und wolle er jedoch nicht gerecht werden, sondern er habe lediglich die Absicht, an Hand der ihm zur Verfügung stehenden Quellen den Ablauf historischer Ereignisse so präzise wie möglich darzustellen, ohne Partei zu ergreifen oder sich in das Schlachtengetümmel anhaltender oder wieder aufflammender Kontroversen zu werfen.12 Dies erfordert, so weit dies möglich ist, das Bemühen um Unparteilichkeit. Marc Bloch bemerkte zu diesem zentralen Thema historischer Forschung, es gebe »zwei Arten, unparteiisch zu sein : die des Gelehrten und die des Richters. Ihre gemeinsame Wurzel ist es, sich aufrichtig der Wahrheit zu unterwerfen. […] Es kommt jedoch der Augenblick, da sich ihre Wege trennen. Der Wissenschaftler beobachtet und erklärt. Danach hat er seine Aufgabe 10 Helmut A. Gansterer : Die Karawane bellt, der Hund zieht weiter. – In : Profil 52/1/2000. S. 26–34. S. 29. 11 Marc Bloch : Apologie der Geschichte oder Der Beruf des Historikers. – München1985. S. 145. 12 Leopold von Ranke : Geschichte der romanischen und germanischen Völker von 1494 bis 1514. 2. Aufl. – Leipzig 1874. S. VII.
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Vorwort
beendet. Dem Richter bleibt noch die Pflicht, das Urteil zu fällen.« Der Historiker sollte sich davor hüten, sich in Urteilen zu ergehen, denn der Blick in die Geschichte zeigt die von der Zeit und den jeweiligen Interessen abhängige Unbeständigkeit der Urteile, in denen Verdammung und Rehabilitierung oftmals abwechseln. Man sollte sich daher vor der Rolle des Richters hüten, denn »der Nachhall früherer Emotionen vermischt sich mit den Vorurteilen der Gegenwart, und das Ergebnis ist eine Schwarzweiß-Zeichnung […]«.13 Die vorliegende Untersuchung unternimmt den Versuch, aus einer – wenn auch noch geringen – zeitlichen Distanz einen analytischen Blick auf die österreichische Politik der Jahre 1997 bis 2000 zu werfen. Dieses Unternehmen ist keineswegs einfach, da noch immer die Nebelschwaden vergangener Kämpfe die Sicht zu behindern drohen, die Geschehnisse noch immer den Anlass zu kontroversen Diskussionen und Interpretationen bilden. Doch die Aufgabe des Historikers ist es, die Nebelschwaden zu durchdringen und den Blick frei zu machen für das Verstehen. Denn er ist nicht Richter, weder der Toten noch der Lebenden. Robert Kriechbaumer Salzburg, im Dezember 2013
13 Bloch : Apologie der Geschichte. S. 107f.
I.
Unruhe in Kakanien Die Politische Kultur am Ende des zweiten Jahrtausends
I.1 Stadien des Wertewandels Der von der politikwissenschaftlichen und zeithistorischen Forschung seit den bahnbrechenden Arbeiten von Gabriel Almond, Sidney Verba und Lucien Pye14 definierte Begriff der Politischen Kultur beschreibt die gesellschaftliche Fundierung eines politischen Systems, d. h. ein entweder in der Gesamtgesellschaft oder in gesellschaftlichen Großgruppen anzutreffendes System von Werten, Einstellungen und Haltungen gegenüber dem Gesamtstaat, dem politischen System und den politischen Parteien. In der Betrachtung der Parameter entlang einer Zeitlinie werden Kontinuitäten und Brüche im kollektiven Gedächtnis und den sich im Verhalten manifestierenden jeweiligen Lebenswelten als subjektive Heimaten (politische Partei, Religion, Familie, Heimat im engeren und weiteren Sinn usw.) deutlich. »Der Grad der Verbindlichkeit von Werten für alle Mitglieder lässt auf die Integration einer Gesellschaft schließen. Sie steht dabei in der Spannung zwischen drei Feldern : erstens dem, was ethisch und ein Stück weit unverrückbar und für alle Zeiten als ›gut‹ gilt ; zweitens dem, was in einer Gesellschaft gerade als Zeitgeist angesagt ist und alle so machen ; und drittens dem, was für das Individuum persönlich aufgrund seiner Lebenssituation und seiner individuellen Erfahrungen als erstrebenswert gilt. [… ] 14 Gabriel Almond : Comparative Political Systems. – In : Journal of Politics. Bd. XVIII/1956. S. 391–409 ; Lucien Pye, Sidney Verba : Political Culture and Political Development. – Princeton 1969; Gabriel Almond, Sidney Verba : The Civic Culture. Political Attitudes and Democracy in Five Nations. 3. Ed. – Newbury Park/London/New Delhi 1989; Gabriel Almond, Sidney Verba (Ed.) : The Civic Culture revisited. 2. Ed. – Newbury Park/London/New Delhi 1989 ; Max Kaase, Kenneth Newton : Beliefs in Government (Beliefs in Government Volume Five). – Oxford/New York 1995; Dirk Berg-Schlosser : Politische Kultur-Forschung – Rückblick und Ausblick. – In : Othmar Nikolai Haberl, Tobias Korenke (Hg.) : Politische Deutungskulturen. – Baden-Baden 1999. S. 77–92; Wolfgang C. Müller : Zum Konzept der Politischen Kultur. – In : Zeitgeschichte 12/1984. S. 26–35; Rudolf Bretschneider, Peter A. Ulram : Anmerkungen zur Politischen Kultur Österreichs. – In : Wolfgang Mantl (Hg.) : Politik in Österreich. – Wien 1992. S. 316–325; Peter Gerlich, Roman Pfefferle : Tradition und Wandel. – In : Herbert Dachs, Peter Gerlich, Herbert Gottweis, Helmut Kramer, Volkmar Lauber, Wolfgang C. Müller, Emmerich Tálos (Hg.) : Politik in Österreich. Ein Handbuch. – Wien 2006. S. 501–511; Peter A. Ulram : Politische Kultur der Bevölkerung. – In : Ebda. S. 512–524.
18
Unruhe in Kakanien
Weder der Zeitgeist noch individuelle Werte fallen einfach vom Himmel. Sie haben ihre Ursache in dem, was von einzelnen und einer Gesellschaft (im Unterschied zu früheren Zeiten) erlebt wird und wie es verstanden wird. Werte sind daher eng mit dem verbunden, was Menschen als Lebenswirklichkeiten erfahren, was ihnen widerfährt. Wenn sich Lebenswirklichkeiten ändern, hat das zwangsläufig Auswirkungen auf Werte. Manches wird neu bewertet, gewinnt oder verliert an Bedeutung. Anderes bleibt konstant, aber muss sich neue Wege suchen, um das zu erreichen, was gut und erstrebenswert erscheint.«15 Aus dem Blickwinkel der Politischen Kultur lassen sich in der Geschichte der Zweiten Republik Phasen definieren, die sich durch das jeweils dominante Werteset sowie die individuellen und politischen Beziehungsmuster unterscheiden :16 1. In der unmittelbaren Nachkriegszeit (1945–1949) erfolgte die Rekonstruktion des traditionellen Parteiensystems sowie der jeweiligen (sub)kulturellen Identifikationsmuster. Der dominante Konservativismus basierte auf traditionellen Normen und einem hohen Stellenwert hierarchischer Strukturen. 2. Die »langen« fünfziger Jahre (1950–1965/66) repräsentierten das goldene Zeitalter des Wirtschaftswunders, geprägt von einer klassenübergreifenden Kombination von Selbstbeschränkung, hoher Leistungsmoral und politisch-subkultureller Identifikation. Das politisch-ökonomische System und seine Regelungen fanden allgemeine gesellschaftliche Anerkennung. Die Befriedigung des materiellen Nachholbedarfs, Wohlstandsmehrung und Erhöhung der Lebenschancen – vor allem der Kinder – war die Devise, man wollte nach vorne. Dieses »vorne« hatte ein klassenund parteiübergreifenden Ziel : die Etablierung der Konsumgesellschaft, abgesichert durch den sich etablierenden Sozialstaat. Die hohen ökonomischen Zuwachsraten ließen nicht nur die von Helmut Schelsky diagnostizierte »nivellierte Mittelstandsgesellschaft« entstehen, sondern schufen auch ständig steigende soziale Standards und eine kontinuierliche Anhebung der Qualifikationsniveaus durch Bildung und technischen Fortschritt. Die zur politischen Selbstverständlichkeit avancierte Große Koalition hatte diese Ziele auf ihr politisches Banner geschrieben, wenngleich über deren Realisierung unterschiedliche Auffassungen bestanden, die in ideologischen Traditionen wurzelten. 3. Die von der neuen Jugendkultur der späten sechziger und frühen siebziger Jahre geprägte Phase der von der Emotionalität geprägten Moral, die den Sach-
15 Regina Polak, Christian Friesl, Ursula Hamachers-Zuba : »Werte« – Versuch einer Klärung. – In : Dies. (Hg.) : Die Österreicherinnen. Wertewandel 1990–2008. – Wien 2009. S. 13–36. S. 25f. 16 Vgl. Robert Kriechbaumer : Spurensuche oder vom Wechsel der kollektiven Befindlichkeiten – Ein zeitgeschichtlicher Essay. – In : Michael Fischer, Robert Kriechbaumer, Michaela Strasser : Trendlandschaften. Blicke in unsere Gesellschaft. – Graz 1997. S. 131–155.
Stadien des Wertewandels
19
verstand unter generellen Ideologieverdacht stellte,17 löste vor allem im Bereich der Politik eine sich beschleunigende Erosion subkultureller Bindungen aus, die bis in die Mitte der achtziger Jahre eine nachhaltige Neuformierung der Politischen Kultur bewirkte. »Die Jugendkultur wurde zur Matrix der kulturellen Revolution, im weiteren Sinn einer Revolution der Verhaltensweisen und Gewohnheiten, der Freizeitgestaltung und der kommerziellen Kunst, die immer mehr die Atmosphäre prägte, in der die städtischen Menschen lebten.«18 Der generationsspezifische Wandel dokumentierte sich in neuen Werten und der Interpretation der Welt, die sich von jenen der Elterngeneration deutlich unterschieden. Dieser Wandel signalisierte mehr als nur einen generationsspezifischen Wandel der Moden und ästhetischen Präferenzen, sondern einen grundlegenden Paradigmenwechsel im gesellschaftlichen Normengefüge. Die Jugend der Wohlstands- und Konsumgesellschaft entfernte sich vom lebensweltlichen Erfahrungshorizont ihrer Elterngeneration. Die Kluft zwischen den Generationen wuchs und erschütterte nachhaltig die kulturelle und politische Idylle der »langen« fünfziger Jahre, manifestierte sich in geänderten Beziehungsstrukturen zwischen den Geschlechtern und Generationen. Der zur Schau getragene Körperkult als Befreiung von als einengend empfundenen Konventionen, die Emanzipation der Frau und ihre neue Selbstdefinition als selbstbewusst und selbstbestimmend – auch über ihren eigenen Körper – verbanden sich mit dem Aufkommen einer neomarxistischen Heilsgewissheit und ihrer entsprechenden politischen Erweckungsphilosophie, die sich in zahlreichen »Anti-Ideologien« (Antiamerikanismus, Antikapitalismus, antiautoritär und emanzipatorisch/selbstbestimmt usw.) und egalitären Phantasien manifestierten. Emotionalität und Selbstkompetenz hatten Hochkonjunktur, der rationale Diskurs geriet ebenso unter einen generellen Ideologieverdacht wie Technik und Wissenschaft. Es waren jedoch nicht die politischen Parteien, die am stärksten vom Wertewandel betroffen waren, sondern die »traditionelle Familie und die traditionell organisierten westlichen Kirchen, deren Mitgliederzahlen im letzten Drittel des Jahrhunderts dramatisch zurückgingen. Der Zement, der die römisch-katholischen Gemeinden zusammengehalten hatte, zerbröckelte mit erstaunlicher Geschwindigkeit. […] Die Befreiung der Frau, oder genauer : die Forderung der Frauen nach Geburtenkontrolle und dem Recht auf Abtreibung und Ehescheidung, trieb den vielleicht tiefsten Keil zwischen die Kirche und dem im 19. Jahrhundert herausgebildeten Grundstock ihrer Gläubigen. […] Berufungen zum Priester oder zu anderen religiösen Lebensformen gingen jäh zurück, ebenso wie die Bereitschaft, tatsächlich oder zumindest für die Öffentlichkeit ein zölibatäres Leben zu führen. Kurzum : Die Moral der Kir17 Elisabeth Noelle-Neumann, Heinz Maier-Leibnitz : Zweifel am Verstand. Das Irrationale als die neue Moral. 2. Aufl. – Osnabrück 1989. 18 Eric Hobsbawm : Das Zeitalter der Extreme. Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts. – Wien 1995. S. 414.
20
Unruhe in Kakanien
che und ihre gewaltige Macht über die Gläubigen verschwand in einem schwarzen Loch, das sich zwischen ihren Lebensregeln und Moralvorstellungen und den Verhaltensrealitäten des späten 20. Jahrhunderts aufgetan hatte – wobei dahingestellt sei, ob dies nun gut oder schlecht war. [… ] Die materiellen Folgen der sich auflösenden Familienbande waren möglicherweise noch schwerwiegender. Denn die Familie war ja nicht nur das, was sie schon immer gewesen war – nämlich ein Mittel zur eigenen Reproduktion –, sondern außerdem eine Vorkehrung für soziale Kooperation.«19 Der Ausbau des Sozialstaates in den entwickelten Industrienationen schien »den Schutt des sozialen Auflösungsprozesses beiseite zu räumen. Ein alleinerziehender Elternteil zu sein (in der Mehrzahl alleinerziehende Mütter), war zwar noch immer die sicherste Garantie für ein Leben in Armut, doch in den modernen Wohlfahrtsstaaten war nun zumindest ein Minimum an Lebensstandard und Schutz gewährleistet. Renten, Sozialleistungen und am Ende auch Pflegeheime nahmen sich der isolierten Alten an, deren Söhne und Töchter sich nicht mehr um ihre dahinsiechenden Eltern kümmern konnten oder wollten. Und es schien völlig normal geworden zu sein, auch mit anderen Abhängigen, die einst Teil des Familienverbundes gewesen waren, auf solche Weise zu verfahren. Die Last der Verantwortung für Kleinkinder wurde von den Müttern auf staatliche Krippen und Kindergärten verlagert, was die Sozialisten ja schon immer für lohnarbeitende Mütter gefordert hatten.« Die Dramatik der Entwicklung betraf nicht so sehr die materiellen Belange, die in entwickelten Sozialstaaten auch vom Staat übernommen werden konnten, sondern die »Auflösung der alten Wertesysteme, Regeln und Konventionen, die einst das menschliche Verhalten geordnet hatten«.20 Dem allmählichen Verebben der neomarxistischen Konjunktur in den siebziger Jahren folgte jene der Ökologie, in der sich Teile der marxistischen 68er-Bewegung eine neue politische Heimat schufen und die sich als dauerhafter und politisch wirkungsvoller erweisen sollte. Wenngleich ein Teil der jugendlichen Revoltierer in den Schoß der traditionellen Parteien, vor allem der SPÖ, zurückkehrte, so etablierte sich ein neuer politischer Humus, der in den achtziger Jahren eine nachhaltige Änderung der traditionellen Parteienkonkurrenz und der Politischen Kultur des Landes bewirken sollte. Dennoch vermochten die traditionellen Parteien und die mit diesen verwobenen Sozialpartner mit dem Ausbau des sozialstaatlichen Leistungsangebots sowie ordnungspolitischen Maßnahmen im Bereich der Wirtschafts- und Finanzpolitik vor allem ihren Kernwählerschichten eine scheinbare Sicherheit zu suggerieren und damit eine wahlpolitische Stabilität bis Mitte der achtziger Jahre zu er-
19 Hobsbawm : Das Zeitalter der Extreme. S. 423f. 20 Ebda. S. 425ff.
Stadien des Wertewandels
21
reichen, sodass Anton Pelinka 1984 von einer politischen »Windstille« sprach.21 4. Die in den siebziger Jahren bei jüngeren Alterskohorten und Randwählerschichten sich abzeichnende Erosion der traditionellen Lagerbindungen wurde spätestens Mitte der achtziger Jahre zu einem Mainstream, der auf der Basis eines Wertewandels durch die Formulierung neuer Themenbereiche zu einer Neuformierung der politischen Landschaft und der politischen Wettbewerbslogik führte. Steigender Wohlstand und ein zur umfassenden Versorgungsagentur mutierter Wohlfahrtsstaat kreierten einen folgenschweren kulturellen Wandel, den, ausgehend von der Mangel- und Sozialisationstheorie, Ronald Inglehart in einer vergleichenden Analyse entwickelter Industrienationen als Postmaterialismus und Individualismus beschrieb. Sowohl die Mangel- wie auch die Sozialisationstheorie erklären den Wertewandel mit dem Hinweis, dass Generationen, die in einem bisher nicht gekannten materiellen Wohlstand aufgewachsen sind, den asketischen und Pflichtwerten ihrer Eltern- oder Großelterngeneration erheblich weniger Wert beimessen und neue Markierungen im Bereich postmaterialistischer und hedonistischer Werte, wie Umweltschutz, Lebensqualität, Lebensgenuss sowie individuelle Selbstverwirklichung, setzen.22 Die zunehmende »Entkollektivierung von Wirklichkeitsmodellen« führte zu einer Auflösung des »Bezugs des Denkens und Handelns zur Gesamtstruktur sozialer Milieus«. Allmählich verblasste »die alltagssoziologische Denkfigur einer gesamtgesellschaftlichen Großgruppenkonstellation, um einer Art Milieuethnozentrismus Platz zu machen«.23 In den achtziger Jahren bildete der Übergang von einem nomozentrischen zu einem autozentrischen Selbst- und Weltverständnis den Kerngehalt des Wertewandels. Dieses autozentrische Selbst- und Weltverständnis orientierte sich an der eigenen Person und nahm für diese auch die Individualrechte im umfassenden Sinn, d. h. auch die Sachkenntnis, in Anspruch.24 5. Prägten Postmaterialismus und Individualismus die achtziger Jahre, so erfolgte in der Post-Postmoderne der neunziger Jahre eine neue Dynamik der Unübersichtlichkeit in Form eines Puzzles, ein Nebeneinander autoritärer, ökologischemanzipatorisch-libertärer und postmoderner-autozentrischer Strömungen. Diese Aufsplitterung der Gesellschaft erfolgte nicht nur entlang der Generationenfolge, nach der »die Gruppe der Älteren (über 60) noch den starren Ordnungen der Nachkriegszeit nachtrauert, die 30- bis 60-Jährigen durch die sozialen Bewegungen der 21 Anton Pelinka : Windstille. Klagen über Österreich. – Wien/München 1985. 22 Ronald Inglehart : Kultureller Umbruch. Wertewandel in der westlichen Welt. – Frankfurt am Main/New York 1989. 23 Gerhard Schulze : Die Erlebnisgesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart. – Frankfurt am Main/New York 1993. S. 541. 24 Helmut Klages : Wertedynamik. Über die Wandelbarkeit des Selbstverständlichen. – Osnabrück 1988. S. 64ff.; vgl. ders.: Werden wir alle Egoisten ? Über die Zukunft des Wertewandels. – In : Politische Studien 336/1994. S. 35–43.
22
Unruhe in Kakanien
70er und 80er Jahre geprägt wurden (Studenten-, Frauen-, Friedens- und AntiAtombewegung), und dass die letzte Gruppe der Unter–30-Jährigen weder mit den engen und starren Grenzen der Großeltern noch mit dem moralischen Anspruch der Elterngeneration etwas anfangen können,«25 sondern auch innerhalb der jüngeren Alterskohorten. In diesen entwickelte sich ein entlang der Spannung zwischen Modernisierungsgewinnern und -verlierern, deren jeweiligem sozioökonomischen Umfeld und den damit verbundenen Lebenswelten ein tendenzieller Autoritarismus, der sich in der Befürwortung traditioneller Moral- und Kulturvorstellungen, Institutionen und deren Normen manifestierte. »Die Zeiten wachsender nichtautoritärer Haltung sind sichtlich vorüber. Wir leben in einer Nach–68er-Zeit. Offenbar ist die Balance zwischen Anforderung und Daseinskompetenz bei einer wachsenden Zahl von Menschen unseres Landes aus dem Gleichgewicht geraten.«26 Gender-Gap bei den Nationalratswahlen 1979–1999:27 Grüne
LIF
Gender-Gap (Punkte)
+ 1
–
–
2
+ 2
–1
–
5
–5
+ 5
–1
–
12
–5
–4
+ 8
–1
–
18
–2
–5
+11
–4
–2
24
1995
–5
–3
+11
–1
–1
21
1999
–4
–1
+11
–4
–1
21
M-F in Prozent
SPÖ
ÖVP
FPÖ
1979
–1
0
1983
–1
–1
1986
–1
1990 1994
Zudem zeichnete sich seit Mitte der achtziger Jahre eine akzentuierende geschlechtsspezifische Differenzierung des Wahlverhaltens ab. Konnten SPÖ und ÖVP 1986 noch 83 Prozent der Stimmen der berufstätigen Frauen auf sich vereinen, so sank dieser Anteil 1999 auf 58 Prozent. Bei den Frauen bildeten nur mehr die Pensionistinnen treue Wähler von SPÖ und ÖVP, während bei jüngeren Frauen eine sich ständig verstärkende Neuorientierung des Wahlverhaltens einsetzte, die auch deut25 Hermann Denz : Staat und Zivilgesellschaft : Widersprüche, Verwerfungen, Bruchlinien. – In : Ders., Christian Friesl, Regina Polak, Raimund Zuba, Paul M. Zulehner : Die Konfliktgesellschaft. Wertewandel in Österreich 1990–2000. – Wien 2001. S. 169–249. S. 172. 26 Denz : Staat und Zivilgesellschaft. S. 187f. 27 Unter gender-gap versteht man die Abweichung der Stimmenanteile bei Männern und Frauen in Prozent. Fritz Plasser, Gilg Seeber, Peter A. Ulram : Breaking the Mold : Politische Wettbewerbsräume und Wahlverhalten Ende der neunziger Jahre. – In : Fritz Plasser, Peter A. Ulram, Franz Sommer (Hg.) : Das österreichische Wahlverhalten. – Wien 2000. S. 55–116. S. 91 (Schriftenreihe des Zentrums für Angewandte Politikforschung. Band 21).
Stadien des Wertewandels
23
lich von jener der jüngeren Männer abwich. So betrug die Gender-Differenz Ende der neunziger Jahre beim Wahlverhalten im Vergleich zur Gruppe der jüngeren Männer 29 Prozent. Jüngere Frauen orientierten sich zunehmend in Richtung FPÖ, Grüne und Liberales Forum. Bei der Nationalratswahl 1995 wählten 31 Prozent der jüngeren Frauen die FPÖ, 20 Prozent die Grünen und 6 Prozent das Liberale Forum.28 Parallel zu dieser Spaltung der Gesellschaft entlang der Befürwortung traditioneller Ordnungsvorstellungen versus libertärer Einstellungen etablierte sich eine patchworkartige neue Unübersichtlichkeit, die widersprüchliche Wertvorstellungen zu einem »sowohl als auch« verband, bei der das »und« dominierte.29 »Ich will alles« sei, so Christian Friesl und Regina Polak, »das quer durch alle Lebensbereiche durchgängige Motiv. Die Mehrheit der Österreicher will sich nicht (mehr) auf traditionelle Werte-Ideologien festlegen lassen, sondern orientiert sich vor allem am persönlichen Wohl : ›Ich will alles und das sicher‹. […] Die Einstellungen der Menschen sind komplex und widersprüchlich. Verschiedenste Weltanschauungen und Werte können zugleich nebeneinander existieren […] Einstellungen entwickeln sich weder linear noch kausal. Nahezu jede Wertekombination ist möglich. […] Die Vielfalt der Kombinationsmöglichkeiten macht die Suche nach einer einzigen Deutung unmöglich. Ein und dasselbe Phänomen lässt sich auf verschiedene Weise interpretieren – je nach Perspektive kann die Bedeutung eines Wertes in das Gegenteil seiner selbst kippen.«30 Der Trend zum Ich und zur Freiheit verband sich mit der Sehnsucht nach Sicherheit, der im sinkenden Vertrauen vor allem in die katholische Kirche deutlich werdenden Säkularisierung korrespondierte eine starke Zunahme der Sinnsuche, der Zunahme des Glaubens an einen Gott, der allerdings mit dem christlichen Gott nur mehr wenig gemein hatte, sondern einer Gemengelage verschiedener metaphysischer Konzepte glich. Die Befürwortung von Freiheit, Selbstverwirklichung und -verantwortung verband sich mit dem Ruf nach einem Ausbau des Sozialstaates als omnipräsentes und starkes Sicherheitsnetz. Lebenslust und Weltoffenheit verbanden sich mit einem steigenden Wert von Ehe, Familie und Freunden sowie einer signifikant steigenden Ausländerfeindlichkeit ; zur Befürwortung und Hochschätzung der Demokratie kamen zunehmende Parteienverdrossenheit und Demokratieskepsis usw. 28 Fritz Plasser, Peter A. Ulram : Parteien ohne Stammwähler ? Zerfall der Parteibindungen und Neuausrichtung des österreichischen Wahlverhaltens. – In : Anton Pelinka, Fritz Plasser, Wolfgang Meixner (Hg.) : Die Zukunft der österreichischen Demokratie. Trends, Prognosen und Szenarios. – Wien . S. 169–202. S. 189f. (Schriftenreihe des Zentrums für Angewandte Politikforschung. Band 22) 29 Rudolf Richter : Pachtwork-Gesellschaft ? Ausdifferenzierung der Lebensstile. – In : Pelinka, Plasser, Meixner (Hg.) : Die Zukunft der österreichischen Demokratie. S. 63–83. 30 Christian Friesl, Regina Polak : Konflikte im Wertesystem. – In : Denz, Friesl, Polak, Zuba, Zulehner : Die Konfliktgesellschaft. S. 11–41. S. 17f.
24
Unruhe in Kakanien
I.2 Indikatoren des Wandels und der neuen Unübersichtlichkeit Wenngleich im Politikverständnis der österreichischen Bevölkerung die Parteien eine zentrale Rolle einnahmen, so basierte dieses auf einer sich dramatisch verringerten Bindung und Identifikation an die kollektiven politischen Akteure. Die die Politische Kultur der Zweiten Republik Jahrzehnte prägende Lagerkultur war in einer sich beschleunigenden Auflösung begriffen. Hatten in den fünfziger und sechziger Jahren noch drei Viertel der österreichischen Bevölkerung eine stabile Parteibindung, so fiel dieser Wert Ende der sechziger Jahre auf rund die Hälfte, wobei der Anteil der Personen mit einer starken Parteibindung von 71 auf 25 Prozent sank. Parallel dazu sank die Parteimitgliedschaft von einem stabilen Höchstwert in den fünfziger und sechziger Jahren von 29 bzw. 28 Prozent der Wahlberechtigten auf 13 Prozent 1996. Entwicklung der Parteimitgliedschaft 1956–1996. In Prozent der Wahlberechtigten sind Mitglieder einer politischen Partei:31 Jahr
in Prozent sind Mitglied einer Partei
1956
29
1969
28
1972
23
1979
22
1986
23
1990
18
1994
15
1996
13
31 Plasser, Ulram : Das österreichische Politikverständnis. S. 94.
25
Indikatoren des Wandels und der neuen Unübersichtlichkeit
Indikatoren der Parteiloyalität 1952–1998:32 Jahr
a
1954
73
b
71
1969
75
65
1972
c
d
e
f
g
h 28
76
8
66
16
23
61
1974
65
1979
63
30
61 7
9
1983
61
27
47
10
8
1986
60
21
39
16
16
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1990
49
19
34
17
14
18
1994
44
12
31
19
18
15
1995
49
13
28
22
13
1996
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1997
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56
58
26
44
44
46
44
22
31 15
28
a) Prozent der Befragten mit Parteiidentifikation b) Prozent der Befragten mit starker Parteiidentifikation c) Prozent der Befragten, die angeben, immer dieselbe Partei zu wählen, auch wenn sie nicht vollständig mit ihr zufrieden sind d) Prozent der Befragten, die angeben, immer dieselbe Partei gewählt zu haben e) Prozent der Befragten, die angeben, gelegentlich ihr Wahlverhalten zu ändern f) Prozent der exit poll Befragten, die angeben, eine andere Partei als bei der vergangenen Wahl gewählt zu haben g) Prozent der Wählerinnen und Wähler, die sich erst in den letzten Tagen vor dem Wahlsonntag definitiv auf die Partei ihrer Wahl festlegten. h) Prozent der Befragten, die angeben, Mitglied einer politischen Partei zu sein.
Vor allem die jüngeren Alterskohorten verabschiedeten sich aus den traditionellen politischen Milieus in Richtung neuer und alternativer politischer Angebote oder völliger Ungebundenheit.33 Waren 1980 noch elf Prozent der 14- bis 24-Jährigen Mitglied einer politischen Partei, so sank dieser Wert 2000 auf ein Prozent. Stimmten 1980 noch 36 Prozent der 14- bis 24-Jährigen in politischen Fragen mit ihren 32 Wolfgang C. Müller, Fritz Plasser, Peter A. Ulram : Schwäche als Vorteil, Stärke als Nachteil. Die Reaktion der Parteien auf den Rückgang der Wählerbindung in Österreich. – In : Peter Mair, Wolfgang C. Müller, Fritz Plasser (Hg.) : Parteien auf komplexen Wählermärkten. Reaktionsstrategien politischer Parteien in Westeuropa. – Wien 1999. S. 201–245. S. 206 (Schriftenreihe des Zentrums für angewandte Politikforschung. Band 20). 33 Zur sich entwickelnden Jugendkultur vgl. Beate Großegger, Bernhard Heinzlmaier (Hg.) : Trendpaket 1. – Graz/Wien 1997 ; Beate Großegger, Bernhard Heinzlmaier, Manfred Zehntner (Hg.) Trendpaket 2. – Graz/Wien 1998 ; Kurt Luger : Die Freizeitprofis. Jugendliche Lebensstile in den 90er Jahren. – In : SN 16.2.1991. S. IV (Beilage Leben heute).
26
Unruhe in Kakanien
Eltern überein, so waren es 1996 nur mehr 19 Prozent. Hatten bei der Nationalratswahl 1986 noch 72 Prozent der unter 30-Jährigen für SPÖ oder ÖVP gestimmt, so sank dieser Wert bei der Nationalratswahl 1995 auf 48 Prozent. 52 Prozent der unter 30-Jährigen tendierten zu einer der drei Oppositionsparteien und stellten bei den Grünen mit 52 Prozent sogar den größten Wähleranteil.34 Waren 1972 lediglich acht Prozent der Wahlberechtigten Wechselwähler (split-voters), so betrug deren Anteil 1999 bereits 46 Prozent.35 Dies hatte zur Folge, dass die beiden Traditionsparteien SPÖ und ÖVP eine zunehmende Überalterung ihrer Mitgliederstruktur aufwiesen. Hatten Mitte der siebziger Jahre die über 60-Jährigen noch rund 20 Prozent der Mitglieder betragen, so waren es Ende der neunziger Jahre bereits 33 Prozent. Aufgrund der Erosion der traditionellen politischen Milieus und der damit einhergehenden Parteibindungen (dealignment) wurde der Wählermarkt offener und mobiler. Selbsteinschätzung der österreichischen Bevölkerung auf einem Links-rechts-Kontinuum 1973–1998 (Frage: »Man spricht in der Politik immer wieder von links und rechts. Wie würden Sie sich da selbst einschätzen?«, Antworten in Prozent der Befragten):36 Jahr
1
1+2
3
4+5
4
5
k. A.
1973
na.
Na.
16
44
23
na.
na.
17
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3
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19
40
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5
15
1980
na.
na.
13
52
18
na.
na.
17
1983
2
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14
51
19
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3
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1985
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20
17
3
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1988
1
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13
47
14
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1
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1989
2
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1992
2
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15
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2
22
1993
1
10
11
55
13
12
1
21
1994
2
11
13
60
11
10
1
16
1995
2
14
16
65
12
11
1
8
1996
1
16
17
59
11
10
1
12
1998
1
15
16
63
12
11
1
9
1 sehr links ; 2 eher links ; 1+2 links ; 3 Mitte ; 4+5 rechts ; 4 eher rechts ; 5 sehr rechts
34 Kurier 11.5.1996. S. 3. 35 Fritz Plasser, Peter A. Ulram : Parteien ohne Stammwähler ? S. 179. 36 Ebda. S. 166.
27
Indikatoren des Wandels und der neuen Unübersichtlichkeit
Das Verblassen der ideologisch hoch aufgeladenen Lagerkulturen schlug sich auch in der Selbsteinschätzung der österreichischen Bevölkerung auf einem Links-rechtsKontinuum nieder. Während linke Positionen seit den siebziger Jahren in einer gewissen Schwankungsbreite gleich blieben, erfolgte eine deutliche Abnahme rechter Positionen zugunsten der Mitte. Die Erosion der politischen Lager manifestierte sich zudem in einer deutlichen Zunahme der politischen Unzufriedenheit und des Eindrucks des Politikversagens im Generellen sowie in einzelnen Teilbereichen. In den neunziger Jahren dominierte ein von emotionalem Ärger geprägtes negatives Politikbild, dem andererseits eine hohe Zufriedenheit mit der Demokratie und deren Funktionieren gegenüberstand. Ein wachsender Eindruck des Politikversagens basierte somit nicht auf einem grundlegenden oder gar steigenden Misstrauen gegenüber der Systemkultur der Demokratie. Eindruck des Politikversagens 1981–1996. In Prozent haben den Eindruck, dass die Politik in entscheidenden Fragen versagt:37 1981
1989
1996
dauernd bzw. oft
33
43
45
manchmal
50
48
49
selten bzw. nie
14
8
5
Politikbild der österreichischen Bevölkerung 1991–1996 (Frage: »Welche Gefühle ruft Politik bei Ihnen hervor?«, Antworten in Prozent):38 1991
1996
positive Assoziationen
37
36
distante Assoziationen
21
16
negative Assoziationen
43
50
37 Ulram : Politische Kultur der Bevölkerung. – In : Dachs u. a. (Hg.) : Politik in Österreich. S. 516. 38 Plasser, Ulram : Das österreichische Politikverständnis. S. 122.
28
Unruhe in Kakanien
Zufriedenheit mit dem Funktionieren der Demokratie in Österreich 1995–1999 (Antworten in Prozent):39 Jahr
sehr zufrieden
ziemlich zufrieden
nicht besonders zufrieden
überhaupt nicht zufrieden
1995
10
51
28
8
1996
9
49
34
7
1997
5
55
31
8
1998
8
60
30
5
1999
17
47
23
5
Einstellungen zum demokratischen Regime 1987–1999 (Antworten in Prozent):40
Jahr
Demokratie ist auf jeden Fall besser als eine Diktatur
Unter bestimmten Umständen kann Diktatur besser sein als Demokratie
Es ist egal, ob man in einer Demokratie oder Diktatur lebt
1987
91
5
3
1989
90
5
4
1996
90
5
5
1999
90
5
3
Der gesellschaftliche Wandel und der Wandel der gesellschaftlichen Orientierungen änderten die Parameter des politischen Wettbewerbs. In einer Cluster-Analyse verorteten Plasser, Seeber, Ulram sieben gesellschaftliche Grundtypen, die auch die Agenda des politischen Wettbewerbs bestimmten :41 1. Sozialstaatliche Traditionalisten : Sie »befürworten die Intervention des Staates bei sozialen Problemlagen und treten im Zweifelsfall für protektionistische Maßnahmen ein. Gleichheit und soziale Gerechtigkeit sind vorrangige gesellschaftliche Zielsetzungen, wie überhaupt verbindliche Werte und Normen deutlich vor individueller Freiheit und Selbstentfaltung rangieren …« 2. Wohlfahrtsstaatliche Chauvinisten : »Auch sie machen den Staat für die Lösung sozialer Probleme verantwortlich. Ihre sozialgarantistische Grundhaltung liegt aber kaum in verbindlichen Wertvorstellungen, sondern im Streben nach Schutz vor wirtschaftlichem Wettbewerb und in der Abwehr von Bedrohungen begründet.« 3. Integrierte Wertkonservative : Sie »betonen sowohl die Notwendigkeit verbindlicher Normen als auch die soziale Verantwortung des Staates. Zu ihren Grundwer39 Ebda. S. 126. 40 Ebda. S. 131. 41 Plasser, Seeber, Ulram : Breaking the Mold : Politische Wettbewerbsräume und Wahlverhalten Ende der neunziger Jahre. S. 60ff.
Ehe, Familie, Religion(en), Heimat – Beispiele der neuen L ebenswelten
29
ten zählen Toleranz, Demokratie und Weltoffenheit. Sie sind mit dem Zustand der österreichischen Demokratie weitgehend zufrieden und stehen moderatem Wandel nicht ablehnend gegenüber.« 4. Defensive Konservative : Sie zeigen »ein beträchtliches Ausmaß an Verunsicherung über die wirtschaftliche und politische Entwicklung, aber auch über die Infragestellung traditioneller soziokultureller Selbstverständlichkeiten. Man hofft auf den Staat und klare Anweisungen von oben, möchte sich selbst dafür politisch aber nur wenig engagieren.« 5. Systemverdrossene Rechte : »Hier verbinden sich rigide Abgrenzung gegen alles ›Fremde‹ […] mit einer starken Ablehnung egalitärer Tendenzen und sozialstaatlicher Intervention.« 6. Marktliberale Individualisten : Sie zeichnet eine »antietastische und antiegalitäre Grundhaltung, konsequent ausgeweitet auf die Ablehnung von wirtschaftspolitischem Protektionismus«, aus und sie sind »tolerant gegenüber Randgruppen, offen gegenüber Menschen mit anderer Nationalität und ihrer Lebensart« und treten »für eine Ausweitung der Demokratie ein«. 7. Libertäre Neue Linke : sie lehnen »Einschränkungen persönlicher Freiheit durch verbindliche Normen ab« und zeigen »ausgeprägte sozialstaatliche und protektionistische Orientierungen. Multikulturalismus, Partizipation und Ökologie werden hervorgehoben.« Die politischen Parteien waren in den Grundtypen unterschiedlichen verankert, die Mehrheitsfindung, soferne man nicht in der Position der One-issue-Partei verharren wollte, wurde zunehmend zu einem Ritt über den Bodensee, da die Öffnung zu neuen Wählermärkten gleichzeitig mit dem Risiko des Verlustes des bisherigen Klientels verbunden war. Der Wählermarkt wurde zwar offener und ermöglichte neue Wählerkoalitionen, gefährdete jedoch bisherige ideologische und strategische Positionen und beinhaltete zudem die Gefahr der Verwechselbarkeit. (Partei-)Politik erfolgte im Spannungsfeld des gesellschaftlichen Wandels, der Abnahme der Konstanz des Wahlverhaltens und der Zunahme des auch von kurzfristigen Faktoren beeinflussten Wahlverhaltens, der Bedeutung symbolischer Politik und deren Inszenierung. Trotz ihrer Professionalisierung wurden die erhofften Ergebnisse weniger planbar, blieb der Wettbewerb zunehmend ergebnisoffen.
I.3 Ehe, Familie, Religion(en), Heimat – Beispiele der neuen L ebenswelten I.3.1 Ehe und Familie Im Herbst 1991 meldeten die österreichischen Tageszeitungen mit Bezugnahme auf die Ergebnisse der neuesten Mikrozensus-Erhebung, der Einpersonenhaushalt
Ehe, Familie, Religion(en), Heimat – Beispiele der neuen L ebenswelten
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ten zählen Toleranz, Demokratie und Weltoffenheit. Sie sind mit dem Zustand der österreichischen Demokratie weitgehend zufrieden und stehen moderatem Wandel nicht ablehnend gegenüber.« 4. Defensive Konservative : Sie zeigen »ein beträchtliches Ausmaß an Verunsicherung über die wirtschaftliche und politische Entwicklung, aber auch über die Infragestellung traditioneller soziokultureller Selbstverständlichkeiten. Man hofft auf den Staat und klare Anweisungen von oben, möchte sich selbst dafür politisch aber nur wenig engagieren.« 5. Systemverdrossene Rechte : »Hier verbinden sich rigide Abgrenzung gegen alles ›Fremde‹ […] mit einer starken Ablehnung egalitärer Tendenzen und sozialstaatlicher Intervention.« 6. Marktliberale Individualisten : Sie zeichnet eine »antietastische und antiegalitäre Grundhaltung, konsequent ausgeweitet auf die Ablehnung von wirtschaftspolitischem Protektionismus«, aus und sie sind »tolerant gegenüber Randgruppen, offen gegenüber Menschen mit anderer Nationalität und ihrer Lebensart« und treten »für eine Ausweitung der Demokratie ein«. 7. Libertäre Neue Linke : sie lehnen »Einschränkungen persönlicher Freiheit durch verbindliche Normen ab« und zeigen »ausgeprägte sozialstaatliche und protektionistische Orientierungen. Multikulturalismus, Partizipation und Ökologie werden hervorgehoben.« Die politischen Parteien waren in den Grundtypen unterschiedlichen verankert, die Mehrheitsfindung, soferne man nicht in der Position der One-issue-Partei verharren wollte, wurde zunehmend zu einem Ritt über den Bodensee, da die Öffnung zu neuen Wählermärkten gleichzeitig mit dem Risiko des Verlustes des bisherigen Klientels verbunden war. Der Wählermarkt wurde zwar offener und ermöglichte neue Wählerkoalitionen, gefährdete jedoch bisherige ideologische und strategische Positionen und beinhaltete zudem die Gefahr der Verwechselbarkeit. (Partei-)Politik erfolgte im Spannungsfeld des gesellschaftlichen Wandels, der Abnahme der Konstanz des Wahlverhaltens und der Zunahme des auch von kurzfristigen Faktoren beeinflussten Wahlverhaltens, der Bedeutung symbolischer Politik und deren Inszenierung. Trotz ihrer Professionalisierung wurden die erhofften Ergebnisse weniger planbar, blieb der Wettbewerb zunehmend ergebnisoffen.
I.3 Ehe, Familie, Religion(en), Heimat – Beispiele der neuen L ebenswelten I.3.1 Ehe und Familie Im Herbst 1991 meldeten die österreichischen Tageszeitungen mit Bezugnahme auf die Ergebnisse der neuesten Mikrozensus-Erhebung, der Einpersonenhaushalt
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Unruhe in Kakanien
habe sich in Österreich erstmals als häufigste Lebensform etabliert. Österreichweit betrug der Anteil der Single-Haushalte bereits 29,7 Prozent und überholte damit den Zweipersonenhaushalt mit 27,8 Prozent, während der Dreipersonenhaushalt, d. h. die Familie mit Kind, deutlich abgeschlagen mit knapp 16 Prozent an dritter Stelle rangierte. In Wien betrug der Anteil der Single-Haushalte sogar 41 Prozent und auch in Salzburg, Tirol und Kärnten erwies sich der Single-Haushalt als häufigste Wohnform, wobei die Gruppe der 25- bis 29-Jährigen als Trendsetter galten.42 Abnehmende Beziehungstoleranz, die sich im Wunsch nach Karriere und Selbstverwirklichung manifestierende Auflösung alter Rollenvorstellungen, hohe Scheidungsraten als Ergebnis der Auflösung der alten Verpflichtungsethik und deren Ersatz durch den letztlich viel zuverlässigeren fürsorgenden Staat sowie der Wunsch der Jüngeren nach den eigenen vier Wänden wurden von der soziologischen Forschung als Gründe für diese Entwicklung genannt. Mit der Zunahme der Single-Haushalte, kinderloser oder Patchwork-Ehen, nichtehelicher Lebensgemeinschaften und alleinerziehender Elternteile stieg die Typenvielfalt des Begriffs Familie. Die klassische Form der Familie war zunehmenden Erosionsprozessen ausgesetzt und wurde zum Minderheitenprogramm, für das auch nicht die Liebe als Grundlage argumentativ ins Feld geführt werden konnte, denn Liebe war »auch in nichtehelicher Lebensgemeinschaft möglich, und umgekehrt steht auch in der ›legalisierten‹ Beziehung die affektive und erotische Dimension im Vordergrund. Aber Gefühle schwanken mehr als manches andere, gerade in einer reichen und mobilen Gesellschaft wie dieser, in der dem mobilen Mitbürger viele andere attraktive Partner begegnen. Die Lebensgemeinschaft wie die Ehe ist eine instabile Lebensform mit jeweils unbestimmter Zukunftsperspektive. Beide Formen, besonders aber die Lebensgemeinschaft, fordern zur dauernden Reflexion, zur ›Prüfung‹ der Beziehungen, auf. Kein Wunder, dass sich die meisten Jüngeren fragen, wozu sie denn überhaupt heiraten sollen : bestenfalls dann, wenn ein Kind erwartet wird, und dann auch nur aus dem Grund, weil der administrative Papierkram einfacher wird oder weil einige Verwandte mit veralteten Ansichten das gerne sehen. Selbst die Schwangerschaft ist für immer mehr Personen nicht unbedingt ein Grund, in den ehelichen Hafen zu streben. […] Die Fassade der Ehe ist die gleiche, der stillschweigende ›Vertragsinhalt‹ hat sich geändert. Die Ehe wird nicht mehr vollen Herzens als Versprechen, füreinander zu sorgen und treu zu sein bis zum Tode, eingegangen ; das sind einige Phrasen, die man mitschleppt. Sie wird begründet als eine relativ dauerhafte Beziehung, die man – zumindest für einige Jahre – aufrechtzuerhalten sucht : ein Versprechen, die nächsten paar Jahre sein Bestes zu tun. Dies schließt nicht aus, dass man später einmal den Partner wechselt. Das Eheversprechen ist eine Bemühungszusage. Man bleibt bei42 SVZ 30.10.1991. S. 13 ; Kronen Zeitung 30.10.1991. S. 9.
Ehe, Familie, Religion(en), Heimat – Beispiele der neuen L ebenswelten
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sammen, solange es gut geht. […] Die letzte Wahl bleibt offen. Liebe heißt nicht Ehe, heißt nicht Kind. Ehe heißt nicht lebenslang … […] Alles das bedeutet, dass die Kinder heute in eine ganz andere Institution hineingeboren werden als noch vor wenigen Jahrzehnten. […] Die Ehe ist ein unbeständige Institution geworden. Kinder können sich nicht darauf verlassen, mit denselben Erwachsenen aufzuwachsen. Die Wahrscheinlichkeit steigt, dass das ›Personal‹, das die Familienpositionen besetzt, wechselt.«43 Die von manchen Massenmedien erhobene Behauptung, die Familie sei »out«, das Single-Dasein und andere Lebensformen »in«, entsprach jedoch keineswegs den demoskopischen Erhebungen. Diese ergaben im Bereich des für den eigenen Lebensentwurf Gewünschten und Ersehnten ein völlig anderes Bild, bei dem die Kluft zwischen Wunsch und Wirklichkeit deutlich wurde. »In einer emotional tristeren Umwelt wird die Ehe mehr geschätzt als früher.«44 In einer IMAS-Umfrage 1994, die die Lebensziele der Österreicher erhob, rangierte der Wunsch nach einem harmonischen Familienleben mit 72 Prozent deutlich an der Spitze, gefolgt von eigenem Besitz (59 Prozent), einem freien Leben ohne Zwang sowie Sicherheit am Arbeitsplatz (jeweils 56 Prozent), Erfolg im Beruf (52 Prozent), gut verdienen (51 Prozent) und einem ausgeglichenen, ruhigen Leben (49 Prozent).45 Die Wertestudie über die neunziger Jahre ergab eine eindeutige Höchstbewertung des familiären Lebensraums, der von 89 Prozent als sehr wichtig, von zehn Prozent als wichtig und nur von einem Prozent als überhaupt nicht wichtig bezeichnet wurde. In der Kategorie »sehr wichtig« folgten mit deutlichem Abstand Arbeit (66 Prozent), Freunde (44 Prozent) und Freizeit (39 Prozent).46 Wenngleich die Ansicht, dass die Ehe eine überholte Einrichtung sei, zwischen 1990 und 1999 von 12 auf 20 Prozent zunahm, so fand, »entgegen einer für viele Menschen traurigen Realität, […] die Ansicht, dass ein Kind Vater und Mutter braucht, die beachtliche Zustimmung von 87 Prozent. Deutlicher können die Probleme unserer Tage nicht sichtbar werden. […] Bei der Breite der Zustimmung zum ›Zuhause mit beiden‹ darf aber nicht übersehen werden, dass diese Ansicht zu den Jüngeren hin an Boden verliert – bei Frauen noch mehr als bei Männern. Liegt die Zustimmung unter den über–60-jährigen Frauen bei 94 Prozent und den gleichaltrigen Männern bei 97 Prozent, stimmen diesem Grundsatz bei den unter–30-jährigen Männern nur noch 83 Prozent und bei den Frauen dieser Altersgruppe 79 Prozent zu.«47 43 Manfred Prisching : Die McGesellschaft. In der Gesellschaft der Individuen. 2. Aufl. – Graz/Wien/Köln 1999. S. 58ff. 44 Prisching : Die McGesellschaft. S. 59. 45 Kurier 8.7.1994. S. 20. 46 Paul M. Zulehner, Regina Polak : Leben und Arbeiten. – In : Denz, Friesl, Polak, Zuba, Zulehner : Die Konfliktgesellschaft. S. 43–97. S. 43. 47 Zulehner, Polak : Leben und Arbeiten. S. 56f.
32
Unruhe in Kakanien
Das Paradoxon der anhaltend hohen Wertschätzung von Ehe und Familie einerseits und der steigenden Scheidungszahlen und des massiven Anstiegs anderer gemeinschaftlicher Lebensformen andererseits erklärt sich aus dem Umstand, »dass die Menschen mehr von einer Heirat erwarten und fordern, dass sie von der Beziehung eine Kompensation für alle Versagungen erwarten, die ihnen eine moderne Gesellschaft auferlegt. Man geht ineinander auf. Die Gefühle sind so wichtig, dass auch Enttäuschungen über Verhaltensweisen des Partners unglaublich wichtig werden. Angesichts der Vorgabe, dass die Ehe, soll sie denn eine ›richtige‹ Ehe sein, ein dauernder sensationeller Gefühlszustand zu sein hat, sind die Partner zwangsläufig enttäuscht und neigen dazu, eine Beziehung zu beenden, die, gemessen an bescheideneren Erwartungen früherer Zeiten, noch als erträglich betrachtet worden wäre. Die Ehe scheitert an der Überschätzung der Ehe. Sie geht zugrunde, weil man von der Alltäglichkeit überrascht wird – und sie letztlich nicht erträgt.«48 Im Spannungsfeld zwischen Privatheit und Öffentlichkeit gewann letztere die Oberhand. Der zunehmende Einfluss der Gruppe der Gleichaltrigen auf das Konsumverhalten und das als wertvoll Gehaltene, die Expansion der Verschulung und damit des Aufenthalts der Kinder in öffentlichen Institutionen und die zahlreichen kommunalen oder staatlichen Hilfsangebote für Kinder und Jugendliche erodierten die Privatheit familiären Lebens. Manfred Prisching hat darauf hingewiesen, dass unter diesen Rahmenbedingungen Familienpolitik letztlich nicht konsensfähig ist. »Wenn sie versucht, die traditionelle Familie zu schützen, wirft man ihr – nicht zu Unrecht – Diskriminierung, Frauenfeindlichkeit und Hartherzigkeit vor. Denn die Bevorzugung der traditionellen Familie bedeutet eine Benachteiligung jener Notlagen, die in dieses Schema nicht passen ; und mit Recht kann argumentiert werden, dass etwa alleinerziehende Elternteile besonderer Hilfe bedürfen. Wenn die Politik hingegen versucht, für jene Härtefälle vorzusorgen, die durch den Zerfall der traditionellen Familie entstehen, wird ihr – nicht zu Unrecht – vorgeworfen, zur Beschleunigung ihrer Erosion beizutragen. Denn dann macht sie eine Situation attraktiver, in der nicht nur jene, die unvermutet und unverschuldet in sie geraten, nach kollektiver Hilfe suchen, sondern die auch für jene, die sie kalkuliert ansteuern, eine mögliche Lebensoption darstellt.«49 I.3.2 Religion(en) Österreichs Geschichte und Kultur ist vom Christentum und in der Neuzeit auch vom Judentum geprägt, wobei der Katholizismus seit dem Sieg der Gegenreformation im frühen 17. Jahrhundert prägend wurde. Die Erblande der Habsburgermon48 Prisching : Die McGesellschaft. S. 59. 49 Ebda. S. 63.
Ehe, Familie, Religion(en), Heimat – Beispiele der neuen L ebenswelten
33
archie wurden vom Katholizismus geprägt, der dem Betrachter in den historischen Landschaften deutlich vor Augen tritt. Die Kultur des Barocks repräsentierte nicht nur die »Ecclesia triumphans«, sondern auch den Triumph des Hauses Habsburg nach den siegreich beendeten Türkenkriegen. Erst der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einsetzende »Kulturkampf« als Variante der Religionskritik der französischen Aufklärung und der Französischen Revolution problematisierte diese Verbindung von Katholizismus und Staat. Die sich im späten 19. Jahrhundert bildenden politischen Lagerkulturen spalteten die Habsburgermonarchie auch entlang religiös-konfessioneller Scheidelinien, die sich auch in der Ersten und Zweiten Republik als prägend erweisen sollten. Repräsentierte die Christlichsoziale Partei in der späten Habsburgermonarchie und in der Ersten Republik den politischen Katholizismus, so repräsentierte die ÖVP in der Zweiten Republik, trotz der von der katholischen Kirche mit dem Mariazeller Manifest 1952 vorgenommenen Trennung von Kirche und (Partei-)Politik, den überwiegenden Teil des katholischen Lagers. Wenngleich Kardinal Franz König unter Hinweis auf das Mariazeller Manifest und das Zweite Vatikanische Konzil den Rückzug der Kirche aus der Parteipolitik, nicht jedoch aus der Politik als Handeln in der Welt (»Jedes Handeln und Wirken in der Öffentlichkeit, in der Welt, ist Politik«)50, betonte und eine in diesem Sinn »unpolitische« Kirche als »Illusion« bezeichnete, so bildeten praktizierter Katholizismus und Wahlverhalten zugunsten der ÖVP ebenso wie Gewerkschaftsmitgliedschaft und Wahlverhalten zugunsten der SPÖ eine der Konstanten der Politischen Kultur nicht nur der Ersten, sondern auch der ersten drei Jahrzehnte der Zweiten Republik. Der Katholizismus und dessen Organisationsstrukturen bildeten ein wichtiges zentrales Integrationsmilieu des christlich-sozialen Lagers und der ÖVP. Erst der in den sechziger und siebziger Jahren einsetzende gesellschaftliche Modernisierungsprozess führte in einem sich beschleunigenden Erosionsprozess zu einer Lockerung der traditionellen Parteibindungen und der Bindekraft der konfessionellen und säkularen soziokulturellen Identitäts- und Deutungsmilieus. Das Wahlverhalten von stark konfessionell gebundenen Wählern 1955–2000/01:51 In Prozent sind regelmäßige Kirchenbesucher ÖVP-Anhänger
SPÖ-Anhänger
1955
67
15
1972
55
14
1985
45
14
2000/01
33
14
50 Kardinal Franz König : Kirche und Politische Kultur. – In : Hans-Georg Heinrich, Alfred Klose, Eduard Ploier (Hg.) : Politische Kultur in Österreich. – Linz 1989. S. 76–83. S. 77. 51 Plasser, Ulram : Das österreichische Politikverständnis. S. 93.
34
Unruhe in Kakanien
Im scheinbaren Gegensatz dazu stieg der Index des religiös bestimmten Wahlverhaltens von 1969 bis 1994 von 30 auf 40 Prozent. Dieses Phänomen des statistischen Bedeutungsgewinns ist aus dem Abschmelzen der katholischen Milieus und des Rückgangs der ÖVP-Wählerschaft zu erklären. In Österreich votierten in den neunziger Jahren rund 60 Prozent der konfessionell gebundenen Wähler für die ÖVP und bildeten damit einen wichtigen Bereich der ÖVP-Kernwählerschichten.52 Hinzu trat der Umstand, dass das ehemalige antiklerikale Lager durch einen ideologischen Schwenk der FPÖ in den neunziger Jahren und eine dominant antiklerikale neue Partei wie die Grünen durch ihre sozial-, wirtschafts- und integrationspolitischen Forderungen zunehmenden Zuspruch aus dem katholischen Milieu erhielten. Parteipräferenz nach Kirchgang 1999:53 Angaben in Prozent
SPÖ
ÖVP
FPÖ
Grüne
LIF
mehrmals pro Woche
12
44
einmal pro Woche
14
46
8
4
einmal im Monat
17
24
18
4
1
Ostern/Weihnachten
24
19
15
9
7
andere Feiertage
22
22
13
8
1
einmal im Jahr
37
7
16
9
4
seltener
31
9
18
4
3
nie
22
4
15
15
4
10
Wenngleich in den neunziger Jahren der Jahreskalender nach wie vor von den katholischen Feiertagen geprägt war, deren religiöser Inhalt freilich dem allgemeinen Bewusstsein zunehmend entschwand und die zum Großteil nur mehr als willkommene Freizeit wahrgenommen wurden, so hatte der Katholizismus seine Rolle als Volkskirche verloren. Hatten sich 1970 noch 88 Prozent der österreichischen Bevölkerung als römisch-katholisch bekannt, so waren dies 1997, bewirkt durch den Säkularisierungsprozess, vor allem in den urbanen Zonen, sowie durch die massenhafte Immigration, nur mehr 74 Prozent, wobei dieser Prozentsatz in Wien unter die 50-Prozent-Marke sank. »Noch gibt es zahlreiche ›Lebensabschnitts-Katholiken‹, die bei Taufen, Erstkommunion, Firmung, Hochzeiten und Beerdigungen die Kirche als Kulisse und zur festlichen Verbrämung in Anspruch nehmen. Aber als Hort 52 Fritz Plasser, Peter A. Ulram : Konstanz und Wandel im österreichischen Wählerverhalten. – In : Wolfgang C. Müller, Fritz Plasser, Peter A. Ulram (Hg.) : Wählerverhalten und Parteienwettbewerb. Analysen zur Nationalratswahl 1994. – Wien 1995. S. 341–406. S. 373 (Schriftenreihe des Zentrums für angewandte Politikforschung. Band 8). 53 Paul M. Zulehner : Die Kirche und die neue Regierung. – In : ÖJP 1999. S. 229–242. S. 232.
Ehe, Familie, Religion(en), Heimat – Beispiele der neuen L ebenswelten
35
des Glaubens, als moralische Instanz und als Garant für die Kontinuität des im Glauben gesicherten Lebens wird sie nur mehr von wenigen verstanden.«54 Der durch innerkirchliche Krisen wie die »Causa Groër«, das Kirchenvolksbegehren und die Interventionen Roms55 beschleunigten Erosion des katholischen Milieus, der zunehmenden Distanz zur Institution Kirche56 und dem Rückgang der Verbindlichkeit kirchlicher Normen korrespondierte jedoch keineswegs eine areligiöse Säkularisierung, sondern eine auf Resakralisierung basierende Säkularisierung. Die Binde- und Prägekraft des Katholizismus wich der Vielzahl der religiösen Deutungsmuster, deren Bandbreite vom Glauben an einen persönlichen Gott über fernöstliche Religionen und Esoterik bis hin zu pseudoreligiösen Traumwelten reichte. Der Begriff »Religion« wurde zum Plural und »umfasst […] alle Orientierungssysteme und Gemeinschaften, die sich selbst als Religion bezeichnen oder als solche benannt werden, wie verschieden sie sich im übrigen nebeneinander ausnehmen vermögen«. In funktionaler Hinsicht vermitteln sie »alle in irgendeiner Weise Orientierung über das Ganze der Lebenswelt […]. Dabei sind alle Religionen daran beteiligt, Belastungen tragbar zu machen, Werte zu sichern, Verpflichtungen zu bekräftigen, 54 Rudolf Bretschneider, Johann Hawlik, Ruth Pauli : Maß genommen. Österreich in der Meinungsforschung. – Wien 1999. S. 99f. 55 Vgl. Paul M. Zulehner : 1995 : Ein heißes Eisen für Österreichs Kirche. – In : ÖJP 1995. – Wien/München 1996. S. 597–618 ; Ders.: Der neue Kirchenkurs : eine Prognose aus 1991. – In : ÖJP 1997. – Wien/München 1998. S. 267–276 ; Thomas Plankensteiner, Ingrid Thurner : Ohne Begehren stirbt die Liebe. Ziele und Absichten des »Kirchenvolks-Begehrens«. – In : ebda. S. 277–307 ; Heinrich Schnuderl : Ziele und Absichten des »Dialogs für Österreich«. – In : ebda. S. 309–318; Ulrich Schmotzer : Dialog für Österreich. Zur Aufgabenverteilung in der Katholischen Kirche. – In : ebda. S. 319–332. 56 Zu Beginn der neunziger Jahre ergab eine market-Umfrage folgende Negativwerte : An der Kirche stört/stören
Angaben in Prozent
die hohen Kirchenbeiträge
52
die Einstellung zur Empfängnisverhütung
51
dass keine Heirat von Priestern möglich ist
48
dass sie nicht nach dem lebt, was sie predigt
38
dass sie durch starre Dogmen behindert
37
die Intoleranz bei Scheidungen
35
der Einsatz der Kirchengelder
35
die Weltfremdheit (wirklichkeitsfremd)
34
die Einmischung in die Politik
33
die Ratschläge durch die Kirche
31
die starke Autorität des Papstes
28
dass sie zuwenig für die Armen tut
25
dass es keine klare Linie gibt (bietet keine Orientierung)
19
die Anpassung an Modeströmungen
11
(Werner Beutelmeyer, Astrid Koller, Birgit Starmayr : Die Stimmungslage des Homo Austriacus. – Linz 1991. S. 51)
36
Unruhe in Kakanien
Hoffnungs- und Handlungsperspektiven zu eröffnen usw.«57 Diese Entwicklung bestätigte den bereits 1967 von Thomas Luckmann formulierten Hinweis, dass eine oftmals umgangssprachlich vorgenommene Verengung des Religionsbegriffs auf kirchliche Organisationsformen die Realität gegenwärtiger Ausdifferenzierungen in zunehmend privatisierte Sinnsuchen und -welten nicht beachte. Säkularisierung bedeute zwar einen fundamentalen Wandel in der Sozialform der Religion, nicht jedoch deren generelles Verschwinden.58 Im Wechselspiel von Religion und Gesellschaft differenzierte sich, entsprechend der gesellschaftlichen Entwicklung, Religion in einen Plural, der der Vielfalt der lebensweltlichen Erfahrungen entsprach.59 1999 kamen Christian Friesl und Reinhard Zuba in der österreichischen Wertestudie über die Jahre 1990–1999 zu dem Ergebnis, dass sich 75 Prozent der Österreicher als religiös, 18 Prozent als nicht religiös und lediglich zwei Prozent als Atheisten bezeichneten. »Religiös zu sein hat offenbar nicht unbedingt mit Kirche zu tun : Auch mehr als 40 Prozent jener ÖsterreicherInnen, die nie einen Gottesdienst besuchen, bezeichnen sich selber als religiös. Die Gruppe der Religiösen unter den ›kirchlich Abstinenten« hat gegenüber 1990 um ein Viertel zugenommen.«60 Die in der Wertestudie 1990 aus den Variablen »Kirchgangfrequenz« und »Gottesbild« entwickelte sozioreligiöse Typologie definierte fünf Typen : Typ
Gottesbild
Kirchgangfrequenz
kirchlich
»Es gibt einen personalen Gott«
sonntäglich
kulturkirchlich
»Es gibt irgendein höheres Wesen«
sonntäglich
religiös
»Es gibt einen personalen Gott«
selten/nie
kulturreligiös
»Es gibt irgendein höheres Wesen«
selten/nie
unreligiös
»Ich weiß nicht, was ich glauben soll« oder »Ich glaube nicht, dass es einen Gott, irgendein höheres Wesen oder eine geistige Macht gibt«
selten/nie
Im Vergleich dieser fünf Typen ergab sich zwischen 1990 und 1999 eine deutliche Abnahme der Unreligiösen und eine deutliche Zunahme der Kulturreligiösen, also jener, die sich an Religion interessiert erklären, sich jedoch hinsichtlich ihrer religiösen Einstellung und ihrer Kirchenbindung nicht festlegen. 57 Hans Zirker : Religion. – In : Lexikon für Theologie und Kirche. 11 Bde. – Freiburg im Breisgau/Basel/ Wien 2009. Bd. 8. S. 1034–1036. S. 1035. 58 Thomas Luckmann : The Invisible Religion. – New York 1967 ; vgl. dazu auch Niklas Luhmann : Funktion der Religion. – Frankfurt am Main 1977. 59 Karl Gabriel : Religionssoziologie. – In : Lexikon für Theologie und Kirche. Bd. 8. S. 1070–1072 ; Joachim Matthes : Religionssoziologie. – In : Günter Endruweit, Gisela Trommsdorff (Hg.) : Wörterbuch der Soziologie. München/Stuttgart 1989. S. 535–543. 60 Christian Friesl, Reinhard Zuba : Die ÖsterreicherInnen und die Religion. – In : Denz, Friesl, Polak, Zuba, Zulehner (Hg.) : Die Konfliktgesellschaft. S. 99–167. S. 102.
Ehe, Familie, Religion(en), Heimat – Beispiele der neuen L ebenswelten
37
Sozioreligiöse Typen 1990–1999 (Angaben in Prozent):61 Sozioreligiöser Typ
1990
1999
kirchlich
14
14
kulturkirchlich
9
7
religiös
14
17
kulturreligiös
39
44
unreligiös
24
16
Die traditionell katholisch geprägte christliche Form der Religiosität trat zunehmend zugunsten einer dem Individualismus entsprechenden patchworkartigen Religiosität zurück, deren Inhalte und Bestandteile einander überlappen und im Verlauf der persönlichen Biografie wechseln konnten. I.3.3 Heimat, nationale Identität, Nationalgefühl Identität umfasst neben kognitiven vor allem bewertende und emotionale Elemente und ist in der individuellen und kollektiven Biografie variabel. »Der Begriff Identität ist auf Individuen ebenso anwendbar wie auf soziale Gruppen, Organisationen und globale Einheiten (Staaten, Nationen). Auch diese Einheiten stehen vor der Notwendigkeit, Identitäten zu entwickeln und unter geänderten Bedingungen neu zu definieren. […] Nationale Identität ist eine bewusste, intellektuell-geistig, wertend und emotional-affektiv begründete Bejahung der Zugehörigkeit zu einem politischen Gemeinwesen. […] Nachdem sich der Staat heute zu einer sämtliche gesellschaftlichen Bereiche durchdringenden, den gesamten Lebensablauf des Menschen bestimmenden Institution entwickelt hat, ist anzunehmen, dass nationale Identität einen potentiell sehr bedeutenden Teilaspekt von sozialer Identität darstellt […]«62 Österreich gehört, wenngleich es im Jahr 1996 sein tausendjähriges Bestehen feierte, zu den »jungen« Nationen. Der Untergang der Habsburgermonarchie und das Entstehen der Republik Österreich schuf, im Gegensatz zu den von den verschiedenen Nationen der Habsburgermonarchie nunmehr dominierten Nachfolgestaaten, keine österreichische Identität, sondern ein »Vakuum an Identität«,63 das aus einer Reihe von Ursachen resultierte : ein erheblicher Teil der Deutschsprachigen der 61 Friesl, Zuba : Die ÖsterreichInnen und die Religion. S. 123. 62 Max Haller : Nationale Identität in modernen Gesellschaften – eine vernachlässigte Problematik im Spannungsfeld zwischen Wirtschaft und Gesellschaft, Kultur und Politik. – In : Ders. (Hg.) : Identität und Nationalstolz der Österreicher. Gesellschaftliche Ursachen und Funktionen. Herausbildung und Transformation seit 1945. Internationaler Vergleich. – Wien/Köln/Weimar 1996. S. 9–60. S. 41ff. 63 Ernst Bruckmüller : Nation Österreich. Historische Aspekte ihrer Entwicklung. – Wien/Köln/Graz 1984. S. 201.
38
Unruhe in Kakanien
Habsburgermonarchie war nicht Mitglied der neu entstandenen Republik, sodass schwerlich von einem Nationalstaat gesprochen werden konnte, und die deutschen Österreicher hatten letztlich den Zerfall der Habsburgermonarchie nur widerstrebend zur Kenntnis genommen, beraubte er sie doch ihrer bisherigen Identität, die auf ihrer dominierenden politischen, ökonomischen und kulturellen Stellung im Vielvölkerreich beruhte. Diese Desorientierung löste keine Integration in das neue Staatsgebilde im Sinne einer Willensnation, sondern die Forderung nach dem Anschluss an Deutschland aus. Doch diese Anschlussforderung speiste sich aus völlig unterschiedlichen Motiven. Für das Gros der Bevölkerung dominierte die Sehnsucht nach einem neuen nationalen und wirtschaftlichen Großraum, in dem sich, trotz aller mentaler Unterschiede, die als so drückend empfundenen wirtschaftlichen Probleme leichter meistern ließen. Eine deutsche Identität bestand oder entwickelte sich nur bei Intellektuellen, Beamten und der Gruppe der Selbständigen bei den Großdeutschen. Der »denkmächtigste Apostel dieses Deutschland-Glaubens« war Otto Bauer, der bis zu seinem Tod an diesem festhielt.64 Den Bemühungen des Ständestaates um das große nationale Narrativ, die Schaffung einer österreichischen Nation, war aufgrund der politischen und ökonomischen Rahmenbedingungen nur bescheidener Erfolg beschieden. Der 1938 erfolgte Anschluss sollte, jenseits der aufgrund der hohen Erwartungshaltungen zunächst gegebenen hohen Zustimmungsraten, die deutsche Integration nicht bewirken. Aus einer Gemengelage von Motiven entstand, selbst bei Mitgliedern der NSDAP, eine wachsende Abneigung gegen die »Piefkes«. »Der (fast) vollkommenen Integration in die deutsche Nation folgte nach 1945 die (fast) vollkommene Flucht aus ihr. Der nationsbildende gemeinsame Weg war zu Ende, bevor er noch sehr weit gegangen war.«65 Die Erfindung der österreichischen Nation,66 die Schaffung des kollektiven biografischen Narrativs, sollte erst in der Zweiten Republik auch mit dem Mittel des Vergessens (Verdrängens) der Schattenseiten der jüngeren Vergangenheit, das Ernest Renan als eines der entscheidenden Elemente bei der Schöpfung einer Nation bezeichnete, gelingen.67 »Nicht, 64 Friedrich Heer : Der Kampf um die österreichische Identität. – Wien/Köln/Graz 1981. S. 341. 65 Bruckmüller : Nation Österreich. S. 216. 66 Benedict Anderson : Die Erfindung der Nation. Zur Karriere eines folgenreiches Konzepts. – Frankfurt am Main 1998. 67 Zur Entwicklung des Österreich-Bewusstseins nach 1938/45 vgl. Felix Kreissler : Der Österreicher und seine Nation. Ein Lernprozess mit Hindernissen. – Wien/Köln/Graz 1984 ; Ernst Bruckmüller : Österreichbewusstsein im Wandel. Identität und Selbstverständnis in den 90er Jahren. – Wien 1994 (Schriftenreihe des Zentrums für angewandte Politikforschung. Band 4) ; Peter Gerlich : Nationalbewusstsein und nationale Identität in Österreich. Ein Beitrag zur Politischen Kultur des Parteiensystems. – In : Anton Pelinka, Fritz Plasser (Hg.) : Das österreichische Parteiensystem. – Wien/Köln/Graz 1988. S. 235–269 (Studien zu Politik und Verwaltung. Hg. v. Christian Brünner, Wolfgang Mantl, Manfried Welan. Band 22) ; Anton Pelinka : Zur österreichischen Identität. Zwischen deutscher Vereinigung und Mitteleuropa. –
Ehe, Familie, Religion(en), Heimat – Beispiele der neuen L ebenswelten
39
wie von ›politisch korrekter‹ Seite beharrlich behauptet wird, in der sogenannten ›Verdrängung der Nazizeit‹ also (die wurde gar nicht ›verdrängt‹, sondern durch moralische Negation legitimatorisch benützt), sondern darin, dass dieses Anschlusstrauma nicht als projektive Inversion des älteren Anschlusstraumas anerkannt wird, liegt die eigentliche Vergangenheitsleistung der Zweiten Republik ; eine Verdrängungsleistung, die nationsbildend wurde !«68 In einer Studie der Sozialwissenschaftlichen Studiengesellschaft 1994 erklärten rund zwei Drittel der Befragten, dass die Bildung eines österreichischen Nationalbewusstseins erst nach 1945 eingesetzt habe. Beginn des österreichischen Nationalbewusstseins:69 Zeit
Angaben in Prozent
vor 1918
9
nach dem Zerfall der Monarchie
11
nach 1934
2
1938, nach dem Anschluss
3
1945, nach dem 2. Weltkrieg
23
1955, nach dem Abzug der Alliierten
26
in den 70er Jahren
8
erst in den letzten Jahren
8
Wenngleich die ab den achtziger Jahren geführte Debatte um die verdrängte Vergangenheit während der NS-Herrschaft gegen dieses Vergessen mobil machte, so erfolgte vor dem Hintergrund materiellen und sozialen Wohlstandes, der allgemein als politische Erfolgsgeschichte wahrgenommen wurde, und in Abgrenzung gegenüber den Nachbarstaaten, vor allem Deutschland, ein deutliche Ausprägung der Bejahung einer österreichischen Nation sowie eines ausgeprägten Nationalstolzes. Mitte der neunziger Jahre wiesen die Österreicher einen ausgeprägten Stolz auf das eigene Land aus. Rund drei Viertel stimmten der Aussage zu, sie seien lieber Bürger Österreichs als irgendeines anderen Landes auf der Welt, 65 Prozent jenen, im Großen und Ganzen sei Österreich ein besseres Land als die meisten anderen Länder und 55 Prozent vertraten die Meinung, die Welt wäre besser, wenn die Men-
Wien 1990 ; Dieter A. Binder, Ernst Bruckmüller : Essay über Österreich. Grundfragen von Identität und Geschichte 1918–2000. – Wien/München 2005. 68 Rudolf Burger : Staat und Nation in einem vereinigten Europa. Patriotische Gedanken zum Millennium. – In : NZZ 30.5.1996. S. B 21f. S. B 22. 69 Die Presse 17.5.1994. S. 9.
40
Unruhe in Kakanien
schen in anderen Ländern eher so wären wie die Österreicher.70 Der Nationalstolz der Österreicher basierte, so die Ergebnisse des »World Value Survey« 1990, vor allem auf den Bereichen Sport, Sozialstaat, Wirtschaft, Wissenschaft, Geschichte, Kunst und Demokratie, die für jeweils mehr als zwei Drittel von besonderer Bedeutung waren. Bemerkenswert an diesen Ergebnissen war der Umstand, dass sie der Erfolgsgeschichte der Zweiten Republik entsprachen, wobei Erfolge im Sport die Funktion des »Sekundärnationalismus« ausübten und die Waldheim-Debatte der späten achtziger Jahre kaum Einfluss auf die Einstellung zur eigenen Geschichte hatte. Allerdings artikulierte sich bereits zu Beginn der neunziger Jahre im Bereich der Einschätzung des demokratischen Systems ein erhebliches kritisches Potenzial und wurde damit eine Änderung in diesem Teilbereich der Politischen Kultur sichtbar. Nationalbewusstsein in Österreich 1956–1999 (Zustimmung zu den Aussagen in Prozent):71 Jahr
Die Österreicher sind eine Nation
Die Österreicher beginnen sich bald als Nation zu fühlen
Die Österreicher sind keine Nation
1956
49
1964
47
23
47 15
1970/1973
66
16
8
1980/1982
67
19
11
1987
75
16
5
1989
79
15
4
1990
74
20
5
1992
75
15
5
1993
80
12
5
1994
79
16
4
1996
78
15
5
1998
77
15
6
1999
83
7
7
70 Max Haller, Stefan Gruber : Die Österreicher und ihre Nation – Patrioten oder Chauvinisten ? Gesellschaftliche Formen, Bedingungen und Funktionen nationaler Identität. – In : Haller (Hg.) : Identität und Nationalstolz der Österreicher. S. 61–147. S. 100. 71 Plasser, Ulram : Das österreichische Politikverständnis. S. 173.
41
Ehe, Familie, Religion(en), Heimat – Beispiele der neuen L ebenswelten
Nationalstolz in Österreich 1970–1999 (Angaben in Prozent):72 Jahr
sehr stolz
ziemlich stolz
nicht sehr stolz
überhaupt nicht stolz
1970/1973
56
34
2
1
1980/1982
69
24
1
1
1985
65
26
3
1
1987
53
34
5
1
1989
53
35
7
2
1993
61
31
4
1
1996
54
40
5
1
1999
60
30
5
2
Besonders bedeutende Bereiche des österreichischen Nationalstolzes 1990 (Angaben in Prozent):73 sehr stolz
stolz
nicht sehr/überhaupt nicht stolz
Sport
44
39
11
Sozialstaat
37
43
16
Wirtschaft
24
53
17
Wissenschaft
34
43
11
Geschichte
37
40
15
Kunst
32
37
15
Demokratie
20
47
27
Nationalbewusstsein und Nationalstolz wurden in den neunziger Jahren zunehmend mit einer sich verstärkenden Migration von Ausländern konfrontiert und ließen ein zwischen wirtschaftlichen, humanitären und zunehmend ablehnenden Haltungen schwankendes ambivalentes Verhältnis, vor allem in den urbanen Ballungsräumen, entstehen, das in zunehmendem Ausmaß zum Gegenstand der (partei-)politischen Konfrontation wurde. Hatte Österreich in der Phase der Rezession sowie des Nachrückens der geburtenstarken Jahrgänge zwischen 1973/74 und 1984 die Zahl der ausländischen Arbeitskräfte von 227.000 auf 139.000 drastisch reduziert, so blieb aufgrund des Familiennachzugs der im Land verbliebenen Arbeitskräfte die Zahl der ausländischen Staatsbürger der Wohnbevölkerung mit 311.000 gegenüber 296.000 beinahe gleich. »Mit der demografischen Strukturänderung der ausländischen 72 Ebda. 73 Max Haller, Stefan Gruber : Der Nationalstolz der Österreicher im internationalen Vergleich. – In : Haller (Hg.) : Identität und Nationalstolz der Österreicher. S. 431–499. S. 449.
42
Unruhe in Kakanien
Wohnbevölkerung – von allein lebenden Männern zu Familien – veränderte sich auch die Sichtbarkeit im öffentlichen Raum. Die Zuwanderer verließen die Baracken am Stadtrand und zogen in die innerstädtischen Wohnbezirke mit preisgünstigen Wohnungen. In den gründerzeitlichen Wohnvierteln von Wien, Graz und Linz entstanden Wohnquartiere mit deutlichen Konzentrationen von türkischen oder jugoslawischen Gastarbeiterhaushalten. Viele Wiener und Wienerinnen erlebten den Wandel ihres früher kulturell homogenen Wohnviertels zu einem multikulturellen und multiethnischen Stadtteil und viele verstanden diese Entwicklung nicht.«74 Ab der Mitte der achtziger Jahre stieg die Zahl der ausländischen Arbeitskräfte erneut an und 1994 arbeiteten, begünstigt durch die positive Konjunkturentwicklung, wiederum 290.000 Ausländer, d. h. mehr als doppelt so viele wie 1984, legal in Österreich. Aufgrund des Transformationsprozesses in Ost- und Südosteuropa nach 1989, des Zerfalls des ehemaligen Jugoslawien erhöhte sich durch eine Welle von Kriegsflüchtlingen und Arbeitsemigranten der Anteil der ausländischen Wohnbevölkerung 1994 auf 670.000 und die Einwohnerzahl Österreichs stieg aufgrund der positiven Wanderungsbilanz zwischen 1991 und 2000 um circa 275.000.75 Durch ein restriktiver gefasstes Asylrecht und ein mit Jahresbeginn 1993 in Kraft tretendes Fremden- und Aufenthaltsgesetz76 versuchte man dieser immer mehr zum Politikum werdenden Entwicklung gegenzusteuern. Zunächst erfolgreich. Das kumulierte Wanderungssaldo sank von rund 63.000 Personen pro Jahr Anfang der neunziger Jahre zwischen 1994 und 1997 auf 2.600 Personen, um allerdings Ende der neunziger Jahre erneut deutlich anzusteigen. Betrug 1997 die Zahl der Asylwerber 2.720, so stieg diese 1999 auf 20.129, wobei es sich bei diesem Ansteigen nicht im klassischen Sinn um Flucht und Asyl, sondern um Wirtschaftsimmigration handelte, wodurch das menschenrechtlich abgesicherte Schutzinstrument des Asyls in der öffentlichen Wahrnehmung zunehmend problematisiert wurde. Die vor dem Hintergrund einer konjunkturellen Abschwächung neuerlich starke Zunahme der ausländischen Wohnbevölkerung – Österreich rangierte im Jahr 2000 innerhalb der EU mit einem Anteil an ausländischen Mitbürgern von 9,2 Prozent an zweiter Stelle – und das lange Ignorieren der entstehenden Problematik durch die Politik sowie deren oftmals problematische Thematisierung durch die Boulevardmedien ließen aufgrund 74 Heinz Fassmann : Migrations- und Integrationspolitik. – In : Robert Kriechbaumer, Franz Schausberger (Hg.) : Die umstrittene Wende. Österreich 2000–2006. – Wien/Köln/Weimar 2013. S. 695–712. S. 697f. (Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Salzburg. Hg. v. Robert Kriechbaumer, Franz Schausberger, Hubert Weinberger. Band 43) 75 Mathias Vogl : Integration in Österreich. – In : ÖJP 2001. – Wien/München 2002. S. 51–82. S. 53. 76 Wolfgang Bergmann : 1992 : Jahr der Bewährung für die österreichische Flüchtlings- und Asylpolitik. – In : ÖJP 1992. – Wien/München 1993. S. 431–455; Klaus Feldmann : Die Diskussion zur Asyl- und Ausländerpolitik Österreichs. – In : ebda. S. 457–474; Hubert Pirker : Die Migrationspolitik Österreichs und ihre Lösungen. – In : ebda. S. 475–486.
Ehe, Familie, Religion(en), Heimat – Beispiele der neuen L ebenswelten
43
sich immer deutlicher manifestierenden kulturellen Bruchlinien77 einen IdentitätsProblemhaushalt entstehen. In einer market-Umfrage im August 1991 erklärten zwei Drittel der Befragten, dass die Österreicher gegenüber Ausländern skeptisch eingestellt seien, während 32 Prozent den Österreichern Weltoffenheit und Toleranz attestierten. 70 Prozent vertraten sogar die Meinung, dass es in Österreich Angst vor Fremden gebe, während dies 30 Prozent verneinten. Die Ursachen der Fremdenangst (Antworten in Prozent):78 Zustimmung in Prozent von Personen mit Ausländerangst (70 % = 100 %) tragen zur Kriminalität bei
84
sind zu viele
67
kosten uns zu viel Geld
65
nützen den österreichischen Staat nur aus
59
wir sollten zuerst den Armen bei uns helfen und dann den Ausländern
56
nehmen den Österreichern Jobs weg
55
unterwandern die österreichische Kultur
28
Die ambivalente Haltung der Österreicher schwankte in den neunziger Jahren zwischen einer humanitären Grundhaltung, der Anerkennung der Arbeitsleistung der Ausländer in niedrigen Berufen und deren Unverzichtbarkeit für die österreichische Wirtschaft einerseits und der Angst um den Arbeitsplatz und vor der Zunahme der Kriminalität sowie dem Gefühl, dass es bereits zu viele Ausländer gäbe, andererseits. Das Ausländerthema rangierte in der Rangordnung der von der Bevölkerung als vordringlich zu lösenden politischen Probleme 1990 noch auf Platz 10, errang jedoch 1991 bereits Platz 3 und 1992 sogar Platz 2, um bis 1999 nach den klassischen Themen Arbeitsplatz- und Pensionssicherung, Budgetsanierung, Steuersenkung und Kampf gegen Verschwendung zwischen Platz 5 und 7 zu schwanken. Wenngleich die Koalitionsregierung 1992 unter dem Druck der zunehmenden Problematik – Wiens Bürgermeister Helmut Zilk verkündete einen Flüchtlingsstopp mit der Begründung einer »seelischen Erschöpfung« – und der öffentlichen wie auch veröffentlichten Meinung mit einem Maßnahmenpaket (Bundesbetreuungs-, Asyl-, Fremden- und Aufenthaltsgesetz) reagierte, stand die Ausländerfrage in grober Vernachlässigung der sich vermehrenden Problemlagen in der Folgezeit nicht mehr auf der politischen Agenda der Regierungsparteien. Da die Grünen in Zusammenarbeit mit verschiede77 Zu den kulturellen Bruchlinien vgl. Samuel Huntington : Kampf der Kulturen. Die Neugestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhundert. – Wien 1996. 78 Beutelmeyer, Koller, Starmayr : Die Stimmungslage des Homo Austriacus. S.43.
44
Unruhe in Kakanien
nen NGOs die Maßnahmen der Bundesregierung als zu restriktiv kritisierten und unter Hinweis auf die Menschenrechte für eine erheblich liberalere Handhabung des Asylrechts plädierten, bemächtigte sich die FPÖ des Themas. Im Oktober 1992 veröffentlichte sie die zwölf Punkte des von ihr initiierten Volksbegehrens »Österreich zuerst«, in dem sie sich mit der Behauptung, Österreich sei kein Einwandererland, nicht gegen Flüchtlinge nach der Genfer Konvention, jedoch gegen die illegale Zuwanderung sowie die zunehmende Immigration von Wirtschaftsflüchtlingen wandte. Wenngleich das von der FPÖ initiierte Volksbegehren auf heftige Ablehnung seitens der Kirche und der politischen Mitbewerber stieß, so bildete die Thematisierung des Ausländerthemas in den neunziger Jahren durch die FPÖ eine der zentralen Ursachen ihres politischen Erfolges. Die Lösung des Ausländerproblems wurde 1998 von etwas mehr als zwei Drittel der Österreicher für wichtig erachtet und 1999 von fast 60 Prozent, wobei den beiden Regierungsparteien, im Gegensatz zur FPÖ, nur geringe Lösungskompetenz zugesprochen wurde. Einstellung zu Ausländern 1990/91–1996 (Angaben in Prozent):79 Jahr
stimme überein
lehne ab
keine Antwort
Die meisten Ausländer machen Arbeiten, für die sich kaum mehr ein Österreicher findet
1991
83
16
1
1996
84
16
0
Ohne die vielen ausländischen Arbeitskräfte könnte die Wirtschaft in Österreich gar nicht mehr auskommen
1990
58
39
3
1996
58
41
1
Ausländer sind eine Bereicherung für das Land; das Land wird bunter, interessanter und weltoffener
1990
39
58
3
1996
55
43
2
Es sollten vermehrt Einwanderer mit Kindern aufgenommen werden, damit die Wirtschaft läuft und die Pensionen gesichert bleiben
1991
38
59
3
1996
25
72
3
Die vielen Ausländer nehmen den Österreichern die Arbeitsplätze weg
1991
49
47
4
1996
46
53
1
1991
62
35
3
1996
56
43
1
1990
67
29
4
1996
64
34
2
Mit den Ausländern kommt vor allem Kriminalität
Es gibt schon zu viele Ausländer in Österreich
79 Plasser, Ulram : Das österreichische Politikverständnis. S. 159.
45
Ehe, Familie, Religion(en), Heimat – Beispiele der neuen L ebenswelten
Wichtigkeit des Ausländerproblems und Lösungskompetenz 1998–1999 (»Dieser Bereich ist mir persönlich wichtig/diese Partei wird am ehesten in dieser Frage etwas weiterbringen«, Zustimmung zu dieser Aussage in Prozent):80 wichtig
SPÖ
ÖVP
FPÖ
keine Partei
1998
67
21
9
42
26
1999
59
18
5
49
27
Bei den Wahlmotiven der FPÖ-Wähler rangierte das Ausländerthema an zweiter Stelle noch vor der Persönlichkeit Jörg Haiders. Wahlmotive der FPÖ-Wähler 1990–1999 (in Prozent der FPÖ-Wähler):81 1990
1994
1995
1999
Die FPÖ kämpft ernsthaft gegen Skandale und Privilegien an
62
68
79
65
Die FPÖ vertritt in der Ausländerfrage den richtigen Standpunkt
39
49
51
47
die Persönlichkeit Jörg Haiders
42
39
38
40
den beiden Koalitionsparteien einen Denkzettel geben
44
39
32
36
Die Freiheitlichen vertreten meine Interessen am ehesten bzw. Tradition
26
34
34
48
Die Globalisierung und die dramatischen und irreversiblen Änderungen der globalen Rahmenbedingungen durch den Fall des Eisernen Vorhangs und durch den – zumindest territorial – an Dynamik gewinnenden europäischen Einigungsprozess modifizierten die politische, ökonomische und kulturelle Landschaft nachhaltig und schufen in sich widersprüchliche Szenarien, die von Trends und Gegentrends gekennzeichnet sind. Neben einer zunehmenden Internationalisierung und Weltoffenheit, einer McDonaldisierung im Sinne eines globalen Siegeszugs westlicher, vor allem amerikanischer, Alltags- und Populärkultur und dem Entstehen einer scheinbar uniformen Konsumgesellschaft erfolgte die Rückbesinnung auf die nationalen Identitäten, deren Geschichte und Kultur. Das Globale bildet keine Heimat, der sogenannte Weltbürger ist eine anthropologische Illusion. Die Öffnung zur Welt erfordert die Verankerung in mentalen und kulturellen Heimatprovinzen, egal, wie groß oder klein diese auch sein mögen. Diese bilden die Keimzelle der nationalen Bindung, die im Zeitalter der Europäisierung und Globalisierung keineswegs an Bedeutung verloren hat, im Gegenteil. So sehr Nationalstaaten, sofern sie nicht 80 Imma Palme : Issue-Voting : Themen und thematische Positionen. – In : Plasser. Ulram, Sommer (Hg.) : Das österreichische Wahlverhalten. S. 243–259. S. 254. 81 Wolfgang C. Müller : Wahlen und Dynamik des österreichischen Parteiensystems seit 1986. – In : Plasser, Ulram, Sommer (Hg.) : Das österreichische Wahlverhalten. S. 13–54. S. 44.
46
Unruhe in Kakanien
Großmächte sind, an nationalstaatlicher Steuerungskapazität verloren haben, so sehr gewinnt deren nationale Identität als Identifikationsfolie ihrer Bürger an Bedeutung. Zugehörigkeitsgefühl der Österreicher 1990–1999 (Antworten in Prozent):82 In erster Linie fühle ich mich zugehörig
1990
1999
zum Stadtteil/zum Ort, in dem ich lebe
34
35
zur Gegend, in der ich lebe
32
34
zu Österreich
27
24
zu Europa
4
4
zur ganzen Welt
3
3
zum Stadtteil/zum Ort, in dem ich lebe
16
16
zur Gegend, in der ich lebe
29
35
zu Österreich
41
37
zu Europa
9
8
zur ganzen Welt
4
3
In zweiter Linie fühle ich mich zugehörig
Das österreichische Nationalbewusstsein legte bis zu dem von allen demoskopischen Erhebungen konstatierten hohen Grad an Nationalstolz und Österreichpatriotismus einen langen und beschwerlichen Weg zurück. Österreich ist im Sinne von Helmut Plessner eine »verspätete Nation«, deren Loslösung vom historischen Ballast des habsburgischen Großreiches und der nach 1918 dominierenden Anschlusssehnsucht schließlich in der Akzeptanz des kleinstaatlichen Daseins und der vom Ständestaat entwickelten Österreich-Ideologie mündete. In der Finalisierung dieses Prozesses schuf die internationale Entwicklung neue Rahmenbedingungen, die die Nationsbildung in Form einer Staats- und Kulturnation vor neue Herausforderungen stellte und – gleichsam als List der Geschichte – die historischen Traditionen der Habsburgermonarchie wiederum lebendig werden ließ. Doch es war nicht nur das in der Literatur beschriebene »Kakanien«, sondern die größere, vor allem islamische, Welt, die in diesen Kleinstaat und dessen alpine Gemütlichkeit drängte und – durchaus verständliche – Ängste produzierte. Die in den neunziger Jahren entstehenden kulturellen Spannungslinien manifestierten sich im engeren Begriff von Heimat, dem Wohnviertel und dem Wohnort. Die Hochnäsigkeit und Überheblichkeit von der Immigration in ihrer unmittelbaren Lebenswirklichkeit und ihrem nationalkulturellen Selbstverständnis nicht betroffenen und liberalen Bürgerlichen, die die sogenannten »Modernisierungsverlierer« als »Autoritaristen« und für rechtspopulistische Slogans Anfällige abqualifizierten, widersprach den lebensweltlichen Wirk82 Friesl, Polak, Hamachers-Zuba (Hg.) : Die Österreicherinnen. Wertewandel 1990–2008. S. 276.
Ehe, Familie, Religion(en), Heimat – Beispiele der neuen L ebenswelten
47
lichkeiten der unmittelbar Betroffenen. Der intellektuelle Diskurs der neunziger Jahre – und auch des beginnenden 20. Jahrhunderts – wurde und wird von jenen bestimmt, die sich jenseits dieser kulturellen Trennlinien befinden und deren Handeln mit ihren Appellen so oft in Widerspruch steht. Die Konfrontation mit der zunehmenden Immigration erfolgte für einen Teil der Österreicher im zentralen Bereich ihrer kulturellen und nationalen Identität und ihres Heimatbewusstseins, in ihrem Wohnhaus, Stadtteil oder Ort. 1999 vertraten daher 75 Prozent der Österreicher die Auffassung, dass sich Zuwanderer der Gastgesellschaft anpassen sollten und 2008 äußerten 94 Prozent die Meinung, dass Zuwanderer »Deutsch sprechen« und »Österreichs politische Institutionen und Gesetze respektieren« sollten, um Österreicher zu werden.83 Das Thema der nationalen Identität im Spannungsfeld von gewünschter Zuwanderung, Wirtschaftsflüchtlingen, Asylsuchenden und der Gefahr von subkulturellen Milieus angesichts der von Österreich nicht beeinflussbaren globalen Entwicklung stand seit den neunziger Jahren auf der politischen Agenda.
83 Ebda. S. 274.
II.
Ein politisches Erdbeben Der Kauf der Creditanstalt-Bankverein AG durch die Bank Austria
II.1 Der österreichische Sparkassensektor in den achtziger und neunziger Jahren und die Bank Austria 1981 geriet die der roten Reichshälfte zugerechnete Länderbank84, die ein Jahr zuvor noch ihr hundertjähriges Jubiläum gefeiert hatte, in massive Schwierigkeiten. Drei ihrer Großkunden – die Österreichische Klimatechnik GesmbH.der Kameraproduzent Eumig und der Faserplattenhersteller Funder – hatten ihr massive Verluste gebracht, sodass die Republik durch ein eigenes Bundesgesetz mit 4,2 Milliarden Schilling die Bank auffangen musste. Die eingetretenen massiven Verluste resultierten nicht nur aus unternehmerischen Fehlleistungen, sondern waren auch das Ergebnis politischer Interventionen. Eumig und Klimatechnik galten für die Regierung Kreisky als wirtschaftsrelevante Unternehmen und damit als Unternehmen, die nicht sinken durften und deren Alimentierung durch Bankkredite zudem der Arbeitsplatzsicherung diente. Die unter den Generaldirektoren Franz Vranitzky (bis 1984) und Gerhard Wagner (bis 1990) unternommenen Sanierungsschritte konnten jedoch die problematische Position der Bank, vor allem aufgrund der Belastungen aus den inländischen Industriebeteiligungen und dem Auslandsgeschäft, nicht grundlegend ändern.85 Ende der achtziger Jahre wurde vom Wiener Finanzstadtrat Hans Mayr und dem ehemaligen ÖVP-Obmann Josef Taus angesichts der problematischen Bankenstruktur Österreichs – zu viele und zu kleine Banken – ein Plan zur Bereinigung der zersplitterten österreichischen Bankenstruktur erarbeitet. Der großkoalitionären Logik folgend, sollte die CA mit der Ersten Österreichischen Sparkasse und
84 Zur Geschichte der Länderbank vgl. Alois Piperger : 100 Jahre Österreichische Länderbank. – Wien 1981 ; Ders (Hg.) : Die Österreichische Länderbank im ersten Jahrzehnt ihres zweiten Jahrhunderts 1980–1990. – Wien 1990 ; Manfred Drenning : Die Österreichische Länderbank, oder : Eine Geschichte von Erfolgen und Niederlagen. – In : Erwin Frasl, René Alfons Haiden, Josef Taus (Hg.) : Österreichs Kreditwirtschaft. Von der Reichsmark über den Schilling zum Euro. – Wien/Graz 2007. S. 21–28. 85 Vgl. dazu Kriechbaumer : Die Ära Kreisky. S. 253ff.; Vranitzky : Politische Erinnerungen. S. 69ff.
Der österreichische Sparkassensektor in den achtziger und neunziger Jahren und die Bank Austria
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die Länderbank mit der Zentralsparkasse der Gemeinde Wien86 fusioniert werden. Eine Novellierung des Sparkassenrechts ermöglichte die Umwandlung des gesamten Geschäftsbetriebs einer Sparkasse in eine Aktiengesellschaft mit der Sparkasse als Eigentümerin. 1990 machte die Zentralsparkasse der Gemeinde Wien von dieser neuen Möglichkeit Gebrauch, sodass die eigentliche Sparkasse in Form der »Anteilsverwaltung Zentralsparkasse« (AVZ) als gesellschaftsrechtliche Hülse fungierte.87 Im Sommer 1990 wechselte der bisherige stellvertretende Generaldirektor der CA, Gerhard Randa, nach dem Tod Gerhard Wagners als dessen Nachfolger in die Länderbank. Randa griff auf den von Mayr und Taus erarbeiteten Vorschlag, dem sein Vorgänger Wagner ablehnend gegenüber gestanden war, zurück und erreicht in intensiven Verhandlungen mit der Zentralsparkasse der Gemeinde Wien im September 1991 die Fusion zur »Z Länderbank Bank Austria AG«. Mit dem Namen »Bank Austria« signalisierte man die strategischen Ziele : Die Zentralsparkasse der Gemeinde Wien schluckte die Länderbank und verstand sich nunmehr als bundesweit tätige Universalbank mit einem stark entwickelten Wertpapier- und Auslandsgeschäft, das man von der Länderbank übernommen hatte und dessen Passiva sich in den folgenden Jahren in den Bilanzen der Bank Austria bemerkbar machten. Im Gegenzug zur Fusion der Z mit der Länderbank zur Bank Austria verkaufte die neue Großbank das Österreichische Credit-Institut (ÖCI) um 2,5 Milliarden Schilling an die Girozentrale, die sich nach der Inkorporierung des ÖCI 1992 GiroCredit nannte88. Der Verkauf der ÖCI an die Girozentrale war aus der Sicht der Bank Austria sinnvoll, da das geringe Filialnetz sowie die Bewertung des ÖCI für die Bank Austria strategisch nicht interessant waren, während eine Fusion des ÖCI mit der Girozentrale Synergieeffekte ergeben konnte, von denen die Bank Austria als größter Aktionär der Girozentrale nur profitieren konnte. 86 Zur Zentralsparkasse der Gemeinde Wien vgl. Josef Neubauer : Kein Spielball der Götter. Meine Geschichte der Zentralsparkasse. – Wien/Köln/Weimar 1994 ; René Alfons Haiden (Hg.) : Die Z – Eine Wiener Erfolgsgeschichte. Von der Zentralsparkasse der Gemeinde Wien zur Bank Austria 1907–1991. – Innsbruck/Wien/Bozen 2007. 87 Im Sparkassenrat fungierte der Wiener Bürgermeister als Vorsitzender, während die übrigen Mitglieder, abgesehen von den drei Arbeitnehmervertretern, entsprechend den politischen Stärkeverhältnissen im Gemeinderat besetzt wurden. In der 1990 geschaffenen Lösung trat die Sparkasse der Gemeinde Wien das operative Geschäft an die von ihr mehrheitlich kontrollierte Aktiengesellschaft ab und konzentrierte sich auf die Vermögensverwaltung des Aktienpakets. Sie kassierte die Dividende, entschied, ob man bei einer Erhöhung des Kapitals mitging oder weitere Aktien zukaufte, nominierte Aufsichtsräte und nahm ihr Aktionärsrecht in der Hauptversammlung wahr. Im von der SPÖ dominierten Sparkassenrat der AVZ fielen auch nach der Fusion von Z und Länderbank alle Entscheidungen, während der Vorstand lediglich die Unterlagen aufzubereiten hatte. 88 Vgl. zur Girozentrale Josef Taus : Österreichische Sparkassenzentralbanken – ein historischer Abriss. – In : Frasl, Haiden, Taus (Hg.) : Österreichs Kreditwirtschaft. S. 155–158.
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Das neue Institut verstand sich damit nicht mehr nur als Spitzeninstitut des Sparkassensektors, sondern durch die Übernahme der etwa 40 Zweigstellen des ÖCI auch als Filialbank. Die GiroCredit konnte damit aus ihrer bisher gesetzlich vorgeschriebenen Position des Abwicklers der Geschäfte zwischen den Sparkassen heraustreten89 und ein direktes Kundengeschäft betreiben, wodurch sie zum Konkurrenten ihrer Eigentümer, den Sparkassen vor Ort, aufstieg. Der Markt vor Ort war jedoch bereits von zahlreichen ihrer Eigentümer wie der Z, der Ersten Österreichischen Sparkasse, den Landeshauptstadt-Sparkassen sowie zahlreichen kleineren Sparkassen besetzt, die immer stärker in Industrie- und Immobilienkredite oder den Wertpapierhandel investierten. Die GiroCredit zielte daher auf eine offensive und internationale Strategie, indem sie den Versuch unternahm, durch die Ausgabe von Vorzugsaktien in- und ausländische Partner zu gewinnen, wobei sie jedoch zunehmend durch zahlreiche Insolvenzen ihrer Kreditnehmer sowie durch Verluste bei ihren internationalen Engagements, wie dem Londoner Brokerhaus Gilbert Eliott oder Bankinvest Zürich, in Schwierigkeiten geriet. Sie musste, um halbwegs ausgeglichen bilanzieren zu können, bis 1996 15 Milliarden Schilling stille Reserven auflösen. Hinzu traten permanente Spannungen sowohl zwischen ihren wie auch mit ihren Eigentümern, die nicht in der Lage waren, sich auf eine gemeinsame Strategie zu einigen. Dabei kam es 1993/94 zu einem Verhandlungspoker zwischen der Ersten Österreichischen Sparkasse und der AVZ, in der das 31,8 Prozent große Aktienpaket der Zentralsparkasse der Gemeinde Wien geparkt war und die damit der größte Aktionär der GiroCredit war. Ausgangslage des von politischen Implikationen begleiteten 89 Ursprünglich war die Girozentrale eine Körperschaft öffentlichen Rechts mit einem Eigenkapital von lediglich 10 Millionen Schilling, das den Zahlungsverkehr zwischen den Sparkassen abwickelte und durch die Verwaltung der sogenannten Liquiditätsreserve sicherstellen sollte, dass jede Sparkasse den Abhebungswünschen ihrer Kunden entsprechen konnte. Jede Sparkasse musste zehn Prozent ihrer Spar- und zwanzig Prozent ihrer Giroeinlagen bei der Girozentrale halten. Sie konnten zudem nur bei der Girozentrale Geld anlegen, was zu erheblichen Spannungen, vor allem mit den größeren Instituten, führte, die wesentlich ertragreichere Anlagemöglichkeiten hatten. Der 20-köpfige Aufsichtsrat war zwischen ÖVP und SPÖ im Verhältnis 12 :8 aufgeteilt. 1958 erfolgte infolge der Affäre um den Schrotthändler Josef Haselgruber und der De-facto-Insolvenz der Girozentrale eine Neuorganisation. Die Girozentrale wurde in eine Aktiengesellschaft mit 200 Millionen Schilling Grundkapital, das von den Sparkassen gezeichnet wurde, umgewandelt, die zwanzig Aufsichtsratsmitglieder – der politischen Farbenlehre folgend – im Verhältnis 12 :8 von der Ersten Österreichischen Spar-Kasse und der Zentralsparkasse der Gemeinde Wien vorgeschlagen. Der Aufstieg der Girozentrale begann in den siebziger Jahren unter ihrem neuen Generaldirektor Josef Taus, der sie durch Industriefinanzierungen und Wertpapierhandel zur zweitgrößten Bank des Landes entwickelte. Die Girozentrale wurde unter Taus nicht mehr als Bank der Sparkassen, sondern zunehmend als selbständig agierende Bank geführt. Die in den achtziger Jahren einsetzende Fusionen im regionalen Sparkassensektor machten die nunmehr deutlich gewachsenen regionalen Sparkassen zunehmend von der Girozentrale unabhängig, weshalb die Diskussion um eine Neuordnung des Sparkassensektors zwischen den mächtigen Spielern Z, Girozentrale und Erster einsetzte. Da eine Fusion von Z, Erster und Girozentrale nicht infrage kam, blieben nur mehr die Varianten Girozentrale und Z oder Girozentrale und Erste übrig.
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Verhandlungspokers bildete der im Frühjahr 1993 unterbreitete Vorschlag des Chefs der Ersten Österreichischen Sparkasse, Konrad Fuchs, eine »Erste Österreichische Sparkassenholding AG« zu bilden, die den Sparkassensektor ohne eine Fusion von GiroCredit und Erster unter der Führung der Ersten neu ordnen sollte. Zu diesem Zweck sollten die von der AVZ gehaltenen Aktien der GiroCredit bis auf einen Rest von fünf bis maximal zehn Prozent an die Erste sowie andere Sparkassen und strategische Partner, wie Versicherungen oder Banken, verkauft werden und eine Holding die Geschäftspolitik von Erster, GiroCredit und Sparkassen koordinieren. Wenngleich die Bank Austria dem Vorschlag zustimmte, so entstanden in der Folgezeit Differenzen zwischen der Ersten und der AVZ über den Kaufpreis der von der AVZ gehaltenen Giro-Aktien, wobei vor allem die Erste versuchte, den Kaufpreis zu drücken. Im Februar 1994 erfolgte seitens der AVZ eine überraschende Kehrtwende, die ein mittleres politisches Erdbeben in der Alpenrepublik auslöste. In einem Brief an die Sparkassen konstatierte die AVZ das Scheitern der Verhandlungen und erklärten ihre Bereitschaft, von den Sparkassen Aktien an der GiroCredit im Ausmaß von 20,4 Prozent zu erwerben und mit diesen eine effiziente und den Sparkassen dienliche Geschäftspolitik zu betreiben. Mit den von der AVZ bereits gehaltenen 31,8 Prozent verfügte sie damit über die absolute Aktienmehrheit. Und die Sparkassen waren nur allzu bereit, das Angebot der AVZ anzunehmen und ihre Aktien zu verkaufen. Die ÖVP reagierte schockiert, erwarb doch damit der rote Bank-Riese Bank Austria auch die Mehrheit im Sparkassensektor. Der Chef der Ersten, Konrad Fuchs, hatte sich in seiner Taktik verschätzt und sprach, von der Kehrtwendung der AVZ sichtlich überrascht, von einer »feindlichen Übernahme«, während GiroCredit-Chef Hans Haumer aus sichtlicher Enttäuschung über das Verhalten von Konrad Fuchs während der rund 15-monatigen Verhandlungen von seiner Position zurücktrat. Ihm folgte sein bisheriger Stellvertreter Herbert Lugmayr, dessen bankpolitische Sozialisation in der Zentralsparkasse der Gemeinde Wien erfolgt war. Wenngleich die Bank Austria nunmehr über eine 56,1 Prozent-Beteiligung an der GiroCredit verfügte, so glich sie in der Folgezeit einem gefesselten Riesen. Bei ihrem Kaufangebot an die Sparkassen hatte sie nämlich einen weitgehenden Kooperationsvertrag offeriert, der in den folgenden fünf Jahren den Sparkassen ein beträchtliches Mitspracherecht einräumte. Zudem befanden sich 40 Prozent der Aktien noch immer im Besitz der Sparkassen, die, vor allem die Erste, der AVZ/Bank Austria ablehnend gegenüber standen. Und der neue GiroCredit-Chef Herbert Lugmayer erwies sich keineswegs als williger Erfüllungsgehilfe der Bank Austria, sondern verfolgte eine eigene Geschäftsphilosophie. Hinzu trat für den Käufer eine nicht unerhebliche finanzielle Belastung, da die AVZ für den Kauf der GiroCredit-Aktien acht Milliarden Schilling ausgegeben hatte, finanziert durch einen Kredit der Bank Austria. Die GiroCredit warf jedoch wegen ihrer erheblichen Probleme keine Dividende ab, sodass die erhofften positiven Effekte für die AVZ/Bank Austria nicht eintraten.
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Eine Beruhigung trat erst ein, als sich Herbert Lugmayr von der Spitze der Giro Credit zurückzog und Gerhard Randa Ferdinand Lacina zu dessen Nachfolger bestellte. Wenngleich auch Lacina eine Integration der GiroCredit in die Bank Austria ablehnte, so stimmte er mit Randa in einer strategischen Fokussierung auf die Finanzierung von Kommunen und den Fremdenverkehr überein. Die mit erheblicher politischer Begleitmusik sowie öffentlichem Interesse verfolgten Probleme der Bank Austria infolge der Übernahme der GiroCredit ließen es für viele Beobachter der österreichischen Bankenszene unwahrscheinlich erscheinen, dass die Bank Austria Interesse an einer Übernahme der CA haben könnte. Die Bank, vor allem Gerhard Randa, signalisierte, trotz aller Gerüchte um den noch nicht gestillten Übernahme-Appetit der Bank Austria, ihr Desinteresse an einer Übernahme der CA. Doch 1999 lief der die Bank Austria fesselnde Kooperationsvertrag mit den Sparkassen ab und Gerhard Randa gab seine bisher demonstrativ geübte Zurückhaltung auf, um in die Offensive zu gehen. Im Angebot der Bank Austria für die CA bekundete die Bank ihre Bereitschaft, wesentliche Anteile an der GiroCredit dem Sparkassensektor zum Kauf anzubieten. Ein aus zwei Gründen äußerst geschickter Schachzug : Die Bank Austria wurde mit der GiroCredit ein Sorgenkind los und lukrierte zudem Geld, das sie dringend für den Kauf der erheblich attraktiveren CA benötigte. Die Erste österreichische Sparkasse erwarb die GiroCredit und fusionierte beide Institute zur Erste Bank. Die Erste Bank wurde damit nach der Bank Austria zur zweitgrößten Bank Österreichs und wies 1998 eine Bilanzsumme von 722 Milliarden Schilling und ein positives Betriebsergebnis von 4,4 Milliarden Schilling aus.
II.2 Die Privatisierung der CA 1991–1997 Privatisierung war Ende der achtziger Jahre auch im verstaatlichten Bankensektor kein Tabu mehr. Bereits 1987 wurde Finanzminister Lacina ermächtigt, den Staatsanteil an der Creditanstalt-Bankverein AG und der Länderbank von jeweils 60 auf 51 Prozent zu senken, wobei die sogenannte Ausländerklausel, d. h. das Erwerbsverbot für Nicht-Österreicher, abgeschafft wurde. Erfolgten die bisherigen Privatisierungsschritte in der Koalition weitgehend konsensual, so sollte die nunmehr folgende Veräußerung aller Bundesanteile an der CA, die durch den Abbau ihrer Industriebeteiligungen und vor allem durch ihr Engagement in Ost- und Südosteuropa nach 1990 zu einem auch im internationalen Bereich äußerst attraktiven Institut avanciert war – der Jahresüberschuss nach Steuern war zwischen 1991 und 1997 von 1,2 auf 5,8 Milliarden Schilling gestiegen90 –, beinahe zum Bruch der Koalition führen. 90 Zur Entwicklung der CA vgl. Guido Schmidt-Chiari : Creditanstalt-Bankverein – Begegnungen und Er-
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Eine Beruhigung trat erst ein, als sich Herbert Lugmayr von der Spitze der Giro Credit zurückzog und Gerhard Randa Ferdinand Lacina zu dessen Nachfolger bestellte. Wenngleich auch Lacina eine Integration der GiroCredit in die Bank Austria ablehnte, so stimmte er mit Randa in einer strategischen Fokussierung auf die Finanzierung von Kommunen und den Fremdenverkehr überein. Die mit erheblicher politischer Begleitmusik sowie öffentlichem Interesse verfolgten Probleme der Bank Austria infolge der Übernahme der GiroCredit ließen es für viele Beobachter der österreichischen Bankenszene unwahrscheinlich erscheinen, dass die Bank Austria Interesse an einer Übernahme der CA haben könnte. Die Bank, vor allem Gerhard Randa, signalisierte, trotz aller Gerüchte um den noch nicht gestillten Übernahme-Appetit der Bank Austria, ihr Desinteresse an einer Übernahme der CA. Doch 1999 lief der die Bank Austria fesselnde Kooperationsvertrag mit den Sparkassen ab und Gerhard Randa gab seine bisher demonstrativ geübte Zurückhaltung auf, um in die Offensive zu gehen. Im Angebot der Bank Austria für die CA bekundete die Bank ihre Bereitschaft, wesentliche Anteile an der GiroCredit dem Sparkassensektor zum Kauf anzubieten. Ein aus zwei Gründen äußerst geschickter Schachzug : Die Bank Austria wurde mit der GiroCredit ein Sorgenkind los und lukrierte zudem Geld, das sie dringend für den Kauf der erheblich attraktiveren CA benötigte. Die Erste österreichische Sparkasse erwarb die GiroCredit und fusionierte beide Institute zur Erste Bank. Die Erste Bank wurde damit nach der Bank Austria zur zweitgrößten Bank Österreichs und wies 1998 eine Bilanzsumme von 722 Milliarden Schilling und ein positives Betriebsergebnis von 4,4 Milliarden Schilling aus.
II.2 Die Privatisierung der CA 1991–1997 Privatisierung war Ende der achtziger Jahre auch im verstaatlichten Bankensektor kein Tabu mehr. Bereits 1987 wurde Finanzminister Lacina ermächtigt, den Staatsanteil an der Creditanstalt-Bankverein AG und der Länderbank von jeweils 60 auf 51 Prozent zu senken, wobei die sogenannte Ausländerklausel, d. h. das Erwerbsverbot für Nicht-Österreicher, abgeschafft wurde. Erfolgten die bisherigen Privatisierungsschritte in der Koalition weitgehend konsensual, so sollte die nunmehr folgende Veräußerung aller Bundesanteile an der CA, die durch den Abbau ihrer Industriebeteiligungen und vor allem durch ihr Engagement in Ost- und Südosteuropa nach 1990 zu einem auch im internationalen Bereich äußerst attraktiven Institut avanciert war – der Jahresüberschuss nach Steuern war zwischen 1991 und 1997 von 1,2 auf 5,8 Milliarden Schilling gestiegen90 –, beinahe zum Bruch der Koalition führen. 90 Zur Entwicklung der CA vgl. Guido Schmidt-Chiari : Creditanstalt-Bankverein – Begegnungen und Er-
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Das 1991 verabschiedete Bundesgesetz hatte den Finanzminister ermächtigt, die staatlichen Anteile an der Creditanstalt-Bankverein – 49 Prozent des Grundkapitals und 70 Prozent der Stimmrechte – an den Bestbieter zu veräußern. 1995 bemerkte René Alfons Haiden, eine »Reihe von längerfristigen Entwicklungstendenzen« würden das internationale Finanzwesen, und damit auch das österreichische, prägen : »Deregulierung, das Vordringen des Derivaten- und Wertpapiergeschäftes, Regionalisierung und Oligopolisierung des Wettbewerbes, Technologie und lowcost-Produzenten, die zunehmende Bedeutung institutioneller Investoren und die Vorbereitung auf die Europäische Währungsunion. Gemeinsam mit einigen Österreich-spezifischen Aufgabenstellungen stecken diese Faktoren die zur Verfügung stehenden Handlungsspielräume des Bankwesens ab.«91 Neben Liberalisierung, technischer Innovation im Bereich der EDV-Systeme, dem aufgrund sinkender Zinsmargen notwendigen Ausbau des Wertpapiergeschäfts sowie der Verbriefung von Kreditforderungen (»Securitization«) werde vor allem der infolge der geänderten Rahmenbedingungen notwendige Konzentrationsprozess im Bankenwesen an Dynamik gewinnen.92 Josef Taus sekundierte dieser Diagnose mit der prophetischen Bemerkung, dass der Konzentrationsprozess im österreichischen Bankenwesen weitergehen werde, jedoch nicht zu weit gehen dürfe, da »sonst die Masse der österreichischen Kreditnehmer einer nahezu monopolistischen Angebotsstruktur gegenüber« stehe.93 Im österreichischen Bankenwesen habe der Konzentrationsprozess erheblich an Tempo zugelegt. So seien in der Bank Austria vier Geldinstitute – die Zentralsparkasse der Gemeinde Wien, die Länderbank sowie die GiroCredit AG mit dem fusionierten ÖCI – vereinigt. »Es ist damit zu rechnen, dass die Veräußerung der im Staatsbesitz befindlichen Aktien der CA zu einer weiteren Konzentration im österreichischen Kreditapparat führen wird, je nachdem, welcher Investor Hauptaktionär der Bank wird. [… ] International sind beide Bankengruppen, deren Bilanzsumme je um die 1.000 Mrd. Schilling anzusiedeln wäre, keine Riesen, für Österreich wären sie sehr groß, weil die nächstfolgenden Banken bestenfalls ein Drittel dieser Größe erreichen würden.«94 Nur ein nicht zu großer Konzentrationsprozess im Bankensektor könne verhindern, dass die klein- und mittelständisch strukturierte österreichische Wirtschaft nicht von finanzpolitischen Monopolisten abhängig werde, die Marktbedingungen, d. h. Kon-
fahrungen. – In : Frasl, Haiden, Taus (Hg.) : Österreichs Kreditwirtschaft. S. 125–144. 91 René Alfons Haiden : Zukunftsperspektiven des Bankwesens in Österreich. – In : ÖJP 1994. – Wien/München 1995. S. 639–660. S. 646. 92 Haiden : Zukunftsperspektiven des Bankenwesens in Österreich. S. 649. 93 Josef Taus : Zukunftsperspektiven des Bankwesens in Österreich. – In : ÖJP 1994. – Wien/München 1995. S. 661–679. S. 661. 94 Taus : Zukunftsperspektiven des Bankenwesens in Österreich. S. 673.
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kurrenz um Konditionen und Risikobeurteilungen, de facto ausschalten würden.95 Genau dies aber beabsichtigte Gerhard Randa, der im Dezember 1996 bei einer Veranstaltung der Bank Austria festhielt, dass es nunmehr um »den Erwerb einer Beteiligung« gehe, »die so stark ist, dass wir […] Strategie und Politik voll und ganz ohne jede Einschränkung bestimmen können«.96 Im Fall der Privatisierung der CA sei eine an sich wünschenswerte »breit gestreute Veräußerung der Bankaktien […] aufgrund der Schwäche des österreichischen Risikokapitalmarktes und der Finanznot des Bundes […] auszuschließen, denn das wäre ein sich über Jahre hinziehender Prozess«.97 Eine Auffassung, der allerdings sowohl die Leitung der CA wie auch die von ihr im Zuge der Privatisierungsphase als Berater engagierte Investmentbank Goldman & Sachs widersprachen. So unterbreitete Goldman & Sachs den Finanzministern Lacina, Staribacher und Klima den Vorschlag eines »Global Secondary Public Offering« mit einer Kernaktionärsgruppe, doch scheuten alle drei Minister vor einer breiten Streuung der Aktien zurück. Sie bevorzugten, wie die der SPÖ angehörenden Mitglieder des CA-Vorstandes, ein »Private Placement«, d. h. eine gezielte Platzierung von Aktienpaketen bei strategischen Investoren. In Absprache mit dem Berater Goldman & Sachs erarbeitete die CA 1992 eine Liste von 74 potenziellen internationalen strategischen Partnern, wobei allerdings der Umstand berücksichtigt werden musste, dass trotz ihrer hervorragenden Performance in Ost- und Südosteuropa die CA international noch nicht über genügend Attraktivität verfügte, um Investoren in nennenswertem Ausmaß anzusprechen. Lediglich sechs der insgesamt 74 in Erwägung gezogenen Investoren zeigten ernsthaftes Interesse, jedoch kein Einziger entschloss sich schließlich zum Kauf von CA-Aktien, wobei sicherlich die noch vorhandene Skepsis über die Entwicklung in den ost- und südosteuropäischen Staaten eine Rolle spielte. Nach kurzfristigen, jedoch nicht zielführenden Verhandlungen mit der Schweizerischen Kreditanstalt, der General Electric Capital Corporation und der Bayerischen Vereinsbank präsentierte Ende April 1993 der Präsident der Raiffeisen Zentralbank Österreich Aktiengesellschaft (RZB), Christian Konrad, einen Letter of Intent, in dem eine Übernahme der CA durch Raiffeisen mit einem äußerst geringen Mitteleinsatz von maximal fünf Milliarden Schilling erfolgen sollte. Das Angebot Konrads beinhaltete, dass Raiffeisen sein Spitzeninstitut RZB als Sacheinlage einbringt und in einem weiteren Schritt von der Republik so viele Aktien erwirbt, wie für die Mehrheit an der CA notwendig wären, während die Republik 25 Prozent plus eine Aktie weiterhin behalten sollte. Das Bekanntwerden des Angebots löste 1993 ein ÖVPinternes Erdbeben aus. CA-Generaldirektor Guido Schmidt-Chiari betrachtete das 95 Ebda. S. 678f. 96 Zit. bei Schmidt-Chiari : Creditanstalt-Bankverein – Begegnungen und Erfahrungen. S. 143. 97 Taus : Zukunftsperspektiven des Bankenwesens in Österreich. S. 673.
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Angebot als unsittlich und wies, ähnlich wie der zurückhaltend agierende Finanzminister Lacina, auf die unterschiedlichen Unternehmenskulturen hin, die eine Fusion als nicht sinnvoll erscheinen ließen. Anfang Mai bezeichnete der CA-Vorstand in einem Papier an Finanzminister Lacina eine Fusion mit der RZB als nicht sinnvoll. Zudem mobilisierte er den Wirtschaftsbund als Verbündeten gegen eine drohende »Agrarisierung«, während sich der Bauernbund um den ÖAAB bemühte. In dem ÖVP-internen Ringen ging schließlich Schmidt-Chiari, unterstützt von Finanzminister Lacina, der von Christian Konrad die Bekanntgabe des tatsächlichen Käufers forderte, wozu sich Konrad bei einem persönlichen Gespräch noch nicht in der Lage sah, als Sieger hervor. Christian Konrad und mit ihm Raiffeisen zogen sich, begleitet von teilweise hämischen Kommentaren der Presse, zurück. Schmidt-Chiari hatte, wie sich allerdings erst später herausstellen sollte, einen Pyrrhus-Sieg errungen und die gespaltene ÖVP konnte darüber sinnieren, ob nicht Raiffeisen ein politisch erwünschter Partner für die CA gewesen wäre. CA-Generaldirektor Guido Schmidt-Chiari verfolgte gegen den Widerstand von Finanzminister Lacina nach wie vor eine Politik der Platzierung von CA-Aktien auf der internationalen Börse, d. h. einer Privatisierung über die Börse, wobei die Republik auch von einer strategischen Beteiligung Abstand nehmen sollte. Er vertrat während der gesamten Privatisierungsbemühungen die Auffassung, dass die CA »nach dem Verkauf als eigenständige Bank mit ausgeprägter Autonomie des CA-Vorstandes erhalten bleiben« sollte. »Starke strategische Partner schienen unerwünscht. […] In diesen Jahren schien sich Generaldirektor Schmidt-Chiari der Unterstützung durch den Wirtschaftsbund der ÖVP sicher zu sein, auch der ÖAABdominierte Betriebsrat der CA stand hinter ihm.«98 Finanzminister Ferdinand Lacina unterstützt hingegen ein Angebot der Credit Suisse-Holding, der größten Bankengruppe der Schweiz, mit einer Bilanzsumme von 1.915 Milliarden Schilling. Der Global Player im internationalen Bankengeschäft hatte im Mai 1994 sein Interesse am Kauf sämtlicher zum Verkauf anstehenden Aktien bekanntgegeben, wobei die CA als weitgehend selbstständige Bank im Konzern Österreich und den ost- und südosteuropäischen Raum betreuen sollte. Schmidt-Chiari hingegen präferierte eine von ihm initiierte »Österreich-Lösung«, ein Konsortium aus den CA-Geschäftspartnern EA-Generali und Wüstenrot, den CA-Konzernbanken Oberbank, BTV und BSK, der Ersten Österreichischen Sparkasse, den Volksbanken, der Commerzbank, der Mediobanca/Banca Commercale sowie österreichischen Industriellen und Unternehmen, das schließlich ein Angebot über 7,2 Milliarden Schilling für 37 Prozent der Stammaktien legte. Da die EA-Generali von dem Gesamtbetrag 2,1 Milliarden, die Mediobanca/Banca Commercale eine Milliarde und die deutsche Commerzbank 98 Alexander Van der Bellen : Bankenstrukturen und Politik : Der CA-Verkauf und seine Folgen. – In : ÖJP 1996. – Wien/München 1997. S. 313–329. S. 314.
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900 Millionen Schilling zur Verfügung stellten, »war offensichtlich, dass das sogenannte Österreich-Konsortium ausländisch dominiert war. Das Außergewöhnliche an diesem Konsortium war aber, dass es gegründet wurde, um einen Verkauf an einen ausländischen Mehrheitsaktionär zu verhindern.«99 Gleichzeitig erfolgte eine Medienkampagne gegen einen angeblich drohenden Ausverkauf des Paradestücks der österreichischen Bankenlandschaft an die Eidgenossen, wobei die zweifelhaften Geschäftspraktiken vor allem der italienischen Partner im sogenannten »ÖsterreichKonsortium« verschwiegen wurden. Credit Suisse zog sich schließlich aufgrund des breiten Widerstands in Österreich im September 1994 zurück. Im März 1995 folgte die Bietergemeinschaft von Allianz AG und Bayerischer Hypotheken- und Wechselbank AG dem Beispiel der Credit Suisse, nachdem sie auf eine ablehnende Haltung der CA-Spitze gestoßen war, die nicht zu Unrecht argumentierte, das Bieterkonsortium sei bei seinem Engagement nur am Vertrieb seiner Versicherungsprodukte interessiert. Die CA habe jedoch mit der EA-Generali bereits eine gemeinsame Versicherungsgesellschaft und könne, gestützt auf zwei Rechtsgutachten namhafter Aktienrechtler, keineswegs ohne deren Zustimmung die von der deutschen Bietergemeinschaft geforderten detaillierten Unternehmensdaten zur Verfügung stellen. Im Gegenzug hatte der CA-Vorstand Finanzminister Lacina den Plan einer vollständigen Privatisierung der Bank übermittelt, nach dem das »Österreich-Konsortium« Aktien im Wert von 7,5 Milliarden Schilling, d. h. 47 Prozent der Stimmrechte, übernehmen und die verbleibende Bundesbeteiligung im Wert von 4,8 Milliarden Schilling in einem »Global Secondary Offering« breit gestreut werden sollte. Der Bund sollte nach diesem Plan 12,26 Milliarden Schilling lukrieren und durch die Beteiligung einer stabilen Aktionärsgruppe die Unabhängigkeit der Bank garantieren. Das »Österreich-Konsortium« unterbreitete Finanzminister Lacina ein geringfügig modifiziertes Angebot (8,5 Milliarden Schilling für 45,86 Prozent der Stimmrechte), doch gerieten die Verhandlungen durch den wenig später erfolgenden Wechsel im Finanzministerium, bei dem Andreas Staribacher am 6. April 1995 Ferdinand Lacina folgte, ins Stocken. Staribacher ließ wissen, dass er die Verhandlungen völlig neu beginnen wolle, um einen besseren Preis für die Republik zu erzielen. Zu diesem Zweck engagierte er die amerikanische Investmentbank J. P. Morgan, die ein internationales Ausschreibungsverfahren in die Wege leiten sollte. J. P. Morgan kam im Juli 1995 nach einer Bewertung der CA zu dem Ergebnis, dass der Erlös aus dem Verkauf der Staatsanteile zwischen 17,5 und 18,7 Milliarden Schilling (inklusive Kontrollprämie für einen die Mehrheit anstrebenden strategischen Investor) betragen müsse. Am 7. September 1995 wurde in der »Financial Times« ein ganzseitiges Inserat platziert, in dem die CA-Aktien gegen eine Direktzahlung zum Kauf angeboten wurden, wobei der erwartete Gesamtbetrag von rund 99 Klaus Grubelnik : Die rote Krake. Eine Bank erobert Österreich. – Wien 1998. S. 227.
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18 Milliarden Schilling kein Geheimnis war, da in derselben Ausgabe der Zeitung auch ausführlich vom Morgan-Schätzgutachten berichtet wurde. Das mit 9. Oktober terminisierte Ausschreibungsverfahren brachte jedoch mit dem »Österreich-Konsortium« nur einen Bieter, der allerdings in Turbulenzen geriet, da die deutsche Commerzbank die Höhe des Morgan-Schätzgutachtens als zu hoch bezeichnete und erklärte, nicht mitbieten zu wollen. Die damit entstandene Peinlichkeit wurde durch die Regierungskrise sowie die folgenden Neuwahlen im Dezember überspielt. Das Privatisierungsverfahren wurde abgebrochen und auf unbestimmte Zeit verschoben. In der Neuauflage der Großen Koalition löste der bisherige Verkehrsminister Viktor Klima den glücklos agierenden Andreas Staribacher als Finanzminister ab und versprach, die CA-Privatisierung bis Jahresende 1996 abzuschließen. Zunächst werde er exklusiv mit dem von der CASpitze als Kernaktionär favorisierten »Österreich-Konsortium« Verhandlungen führen. Innerhalb des »Österreich-Konsortiums« kam es jedoch 1996 zu erheblichen Spannungen und Differenzen, als die Erste Österreichische Sparkasse mit einem von ihr entwickelten Holding-Modell und einer deutlichen Überbewertung ihrer Aktien bzw. ihres Gesamtkapitals den Versuch unternahm, die Kontrolle über die CA zu erlangen. In der Bewertung beider Institute sowie der komplizierten Entscheidungsstruktur der angebotenen Konstruktion schieden sich die Geister und blockierten ein zielgerichtetes Agieren des »Österreich-Konsortiums«, das sich damit zur Jahresmitte selbst lähmte. Zu diesem Zeitpunkt kursierten erstmals Gerüchte über ein mögliches Interesse der Bank Austria an der CA. Die größte österreichische Bank plane angesichts der Selbstlähmung des bürgerlichen Bieterkonsortiums in Kooperation mit der Westdeutschen Landesbank, die 1995 zehn Prozent der Aktien an der Bank Austria erworben hatte, und der italienischen Caripolo ein Angebot zu legen. Wenngleich Gerhard Randa nach außen die Gerüchte als eine die Realitäten verkennende reine Spekulation abtat, hatte er den ehemaligen Finanzminister Lacina und den ehemaligen Wiener Vizebürgermeister und graue Eminenz der mächtigen Wiener SPÖ, Hans Mayr, kontaktiert. Während Lacina im Falle der Übernahme der CA durch die Bank Austria das wahrscheinliche Ende der Koalition prophezeite, riet Mayr mit dem Blick auf die Selbstlähmung des bürgerlichen Bieterkonsortiums zu diesem Schritt. Ab dem Sommer 1996 wurde in der Bank Austria gezielt an einer Übernahme der CA gearbeitet, wobei den Strategen der Bank Austria ein Brief von EUWettbewerbskommissar Karel van Miert an Finanzminister Klima zugute kam, der darauf hinwies, dass Verhandlungen nur mit einem Bieter gegen das EU-Wettbewerbsrecht verstießen, weshalb im Falle einer Fortführung dieser Politik ein Prüfungsverfahren durch Brüssel eingeleitet werden müsse. Finanzminister Klima geriet unter Druck. Er forderte das in der Frage der Bewertung des Aktienwerts der Ersten Österreichischen Sparkasse nach wie vor zerstrittene »Österreich-Konsortium«
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auf, bis Anfang September ein verbindliches Angebot vorzulegen. Das »ÖsterreichKonsortium« erbat aufgrund der anhaltenden internen Differenzen über die Rolle und den Wert der Ersten Österreichischen Sparkasse eine Fristverlängerung bis 6. September. Klima stimmte mit der Bemerkung zu, dass er im Falle des Ausbleibens eines entsprechenden Angebots neuerlich ausschreiben werde. Dieser Fall sollte eintreten, da die Erste aufgrund der anhaltenden Differenzen über die Bewertung ihres Aktienwertes aus dem Konsortium ausschied, das am 6. September ein nicht realistisches und nicht den Ausschreibungsbedingungen, die den Verkauf von 100 Prozent der Bundesanteile vorsahen, entsprechendes und eilig erstelltes Angebot legte : aufgrund der durch den Ausstieg der Ersten Österreichischen Sparkasse geringeren Finanzmittel wurden 6,5 Milliarden Schilling für 48 Prozent der Republik-Anteile an der CA geboten. Der Rest sollte im Rahmen eines Secondary Offering an der Börse platziert werden. Josef Taus bemerkte zu diesem Angebot, dass es nicht nur die 1991 vom Nationalrat beschlossenen Ausschreibungsbedingungen verletzte, sondern erheblich von der Schätzung durch J. P. Morgan abwich. »Zudem blieb völlig unklar, worin der Beitrag der Strukturbereinigung im Kreditwesen bestünde, seit die Erste aus dem Konsortium ausgeschieden war.« Und schließlich »verletzte das Restkonsortium das Ziel einer ›österreichischen Lösung‹, die gerade von ÖVP-Seite immer wieder als wichtig betont worden war. Der Konsortialführer ist eine Tochter der Generali Assicurazioni, die beteiligten Banken sind deutsche oder italienische. Die eindeutig österreichischen Mitglieder sind aus anderen Gründen nicht unproblematisch : die Industriefirmen dürften Großkunden der CA sein und die Regionalbanken sind mit der CA eigentumsmäßig verschränkt ; die CA ist ihr jeweils größter Einzelaktionär. Die Konsortialführung durch die EA-Generali nach dem Ausscheiden der Ersten lenkte auch erneut die Aufmerksamkeit darauf, dass die EA-Generali und die CA auch damals schon durch cross-shareholdings verknüpft waren, mit CA-Generaldirektor Schmidt-Chiari im Präsidium der EA und EA-Generaldirektor Karner im Aufsichtsrat der CA. […] Dass für das CA-Management alles bleibt, wie es ist, war nicht Teil der Vorgaben von 1991.«100 Am 19. September informierte Klima Vizekanzler Schüssel über den Stand der Privatisierungsbemühungen und fügte hinzu, dass das »Österreich-Konsortium« ein den Ausschreibungsbedingungen entsprechendes Angebot stellen müsse. Sollte dies nicht der Fall sein, werde vor einer langwierigen und ertragsschwächeren Börsenplatzierung eine vier- bis sechswöchige Interessentensuche einsetzen. Diese Vorgangsweise sei deshalb notwendig, weil in der Zwischenzeit auf den Plan getretene Interessenten, unter denen sich auch österreichische befänden, aufgrund der exklusiven Verhandlungen mit dem »Österreich-Konsortium« vom Bieterverfahren ausgeschlossen waren. Er wolle jedenfalls dem Bestbieter den Zuschlag erteilen. Schüssel 100 Van der Bellen : Bankenstrukturen und Politik : Der CA-Verkauf und seine Folgen. S. 317f.
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bemühte sich um eine Erhöhung des Angebots des Konsortiums sowie um einen Wiedereinstieg der Ersten, allerdings vergeblich. Trotz der sich verdichtenden Gerüchte um ein Übernahmeinteresse der Bank Austria wurde in der ÖVP der Hinweis Klimas auf österreichische Bieter so verstanden, dass der Finanzminister damit das »Österreich-Konsortium« meine und dieses zu einer deutlichen Nachbesserung seines Angebots zwingen wolle. Das »ÖsterreichKonsortium« erklärte am 20. September, sein Angebot nicht nachbessern zu können, worauf Klima das Angebot am 23. September als den Ausschreibungsbedingungen nicht entsprechend ablehnte und am 21. Oktober eine neuerliche Ausschreibung mit Frist 16. Dezember anordnete. Die von J. P. Morgan formulierten Ausschreibungsbedingungen sahen vor, dass die Identität der Bieter erst am Schluss des Verfahrens am 16. Dezember bekannt gegeben werden sollte. Am 13. November wurde bekannt, dass die Erste in das »Österreich-Konsortium« zurückkehren und seitens des Konsortiums ein neues Angebot unterbreitet werde. Gleichzeitig kursierten in der Tagespresse immer wieder Gerüchte, dass die Bank Austria nunmehr ein Angebot zur Übernahme der CA legen werde. Gerhard Randa beeilte sich am 15. November, die kursierenden Gerüchte mit der Qualität einer Karnevalsveranstaltung zu vergleichen. Die Bank Austria hatte die politischen Nebelwerfer in Stellung gebracht. Und auch Bundeskanzler Franz Vranitzky erklärte gegenüber ÖVP-Privatisierungskoordinator Wirtschaftsminister Hannes Farnleitner am 9. Dezember, ihm sei von einem kolportierten Übernahmeversuch der Bank Austria nichts bekannt. Ein solches Vorgehen sei zudem unvorstellbar und komme nicht infrage. Am folgenden Tag teilte Finanzminister Viktor Klima Vizekanzler Wolfgang Schüssel mit, dass bis zur Abgabefrist in der Causa CA-Privatisierung am 16. Dezember mehrere Angebote für die Bundesanteile im Ausmaß von 69,45 Prozent der stimmberechtigten Aktien erfolgen würden, auch österreichische. Die Mitteilung erhielt wenige Stunden später erhebliche politische Brisanz, als die Kronen Zeitung meldete, Die Bank Austria, werde ein Übernahmeangebot für das Flaggschiff des Bürgertums, die 142 Jahre alte CA, legen. In der ÖVP fasste man die mögliche Übernahme der CA durch die rote Bank Austria als Kriegserklärung auf, auf die man notfalls mit dem Bruch der Koalition zu antworten bereit war. Und auch in der CA erklärten deren Generaldirektor Guido Schmidt-Chiari sowie die Belegschaftsvertreter, eine solche Vorgehensweise müsse man als »feindliche Übernahme« mit dem Ergebnis einer massiven Kapitalvernichtung, Wettbewerbsverflachung und Arbeitsplatzgefährdung durch einen letztlich nicht mit genügend Kapital ausgestatteten Bieter betrachten, der seine angeschlagene finanzielle Situation durch das Kapital der CA verbessern wolle. In der ÖVP reagierte man verärgert. Neben der finanz- und wirtschaftspolitischen Bedeutung einer drohenden Übernahme der CA durch die Bank Austria und der damit erfolgenden politischen Gewichtsverlagerung zugunsten der SPÖ erregten vor
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zwei Umstände die Gemüter. Bundeskanzler Vranitzky hatte auf ÖVP-Anfragen bezüglich des Gerüchts eines möglichen Angebots der Bank Austria stets betont, dieses sei völlig aus der Luft gegriffen. Und die SPÖ hatte den geplanten Deal bei den Koalitionsverhandlungen mit der Wiener ÖVP unter Bernhard Görg zur Bildung einer Wiener Stadtregierung nach der Landtagswahl am 13. Oktober 1996 ihrem Gesprächspartner verheimlicht. SPÖ und ÖVP hatten bei der Landtagswahl Stimmenverluste in der Höhe von 15.547 bzw. 48.838 Stimmen hinnehmen müsse, denen massive Stimmengewinne der FPÖ in der Höhe von 46.182 Stimmen sowie des erstmals angetretenen Liberalen Forums, das 58.666 Stimmen erhielt, gegenüberstanden. Die dramatischen Verluste der SPÖ hatten den Verlust der absoluten Mandatsmehrheit zur Folge, sodass sie zur Bildung einer Koalitionsregierung genötigt war.101 Am 16. Dezember ergab sich bei der Öffnung der vorliegenden Angebote eine klare Reihung : Die Bank Austria legte mit 16,7 Milliarden Schilling das deutlich beste Angebot, gefolgt von der Karl Wlaschek Privatstiftung mit 15 Milliarden Schilling und dem »Österreich-Konsortium« mit 13,8 Milliarden Schilling für 74 Prozent der Bundesanteile. Die Angebote von Bank Austria und Karl Wlaschek-Privatstiftung galten jeweils für 100 Prozent der Bundesanteile, jenes des »Österreich-Konsortiums« für 74 Prozent der Bundesanteile und 26 Prozent Zusicherung der Platzierung an der Börse. Die Investmentbank J. P. Morgan, der Berater der Republik, erstellte eine Rangordnung, die die Bank Austria an die erste, das Bieterkonsortium aus EAGenerali/Erste an die zweite und die Wlaschek Privatstiftung an die dritte Stelle reihte. Die Angebote waren rechtsverbindlich. Jenes der Bank Austria lag deutlich über den Konkurrenzangeboten und hatte zudem zwei Vorteile : Es war eine angestrebte »österreichische Lösung«, die im Urteil von J. P. Morgan eine österreichische Bank mit europäischer Dimension schuf, und stellte dem Budget im Vergleich zu den Konkurrenzangeboten rund drei Milliarden Schilling mehr zur Verfügung.
II.3 Am Rande des Koalitionsbruchs Jenseits der finanzpolitischen Bedenken sah man bei der ÖVP in diesem Verkauf eine politische Intrige der SPÖ und des von ihr gestellten Finanzministers, die die bisher als »schwarze« Bastion geltende CA dem roten Imperium einverleibte und damit die wirtschafts- und finanzpolitischen Gewichte massiv zugunsten der SPÖ verschob.102 Franz Vranitzky bemerkte in seinen Erinnerungen zu dieser gegen Jahresende 1996 101 Imma Palme : Die Wahlen in Wien. – In : ÖJP 1996. – Wien/München 1997. S. 103–118. 102 Vgl. dazu Kurt Pribil : Bankenprivatisierung in Österreich. Was wurde aus dem 17-Punkte Programm ? – In : ÖJP 1997. – Wien/München 1998. S. 737–752. Zu den Vorgängen 1996/97 vgl. Grubelnik : Die rote Krake. S. 11–25.
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zwei Umstände die Gemüter. Bundeskanzler Vranitzky hatte auf ÖVP-Anfragen bezüglich des Gerüchts eines möglichen Angebots der Bank Austria stets betont, dieses sei völlig aus der Luft gegriffen. Und die SPÖ hatte den geplanten Deal bei den Koalitionsverhandlungen mit der Wiener ÖVP unter Bernhard Görg zur Bildung einer Wiener Stadtregierung nach der Landtagswahl am 13. Oktober 1996 ihrem Gesprächspartner verheimlicht. SPÖ und ÖVP hatten bei der Landtagswahl Stimmenverluste in der Höhe von 15.547 bzw. 48.838 Stimmen hinnehmen müsse, denen massive Stimmengewinne der FPÖ in der Höhe von 46.182 Stimmen sowie des erstmals angetretenen Liberalen Forums, das 58.666 Stimmen erhielt, gegenüberstanden. Die dramatischen Verluste der SPÖ hatten den Verlust der absoluten Mandatsmehrheit zur Folge, sodass sie zur Bildung einer Koalitionsregierung genötigt war.101 Am 16. Dezember ergab sich bei der Öffnung der vorliegenden Angebote eine klare Reihung : Die Bank Austria legte mit 16,7 Milliarden Schilling das deutlich beste Angebot, gefolgt von der Karl Wlaschek Privatstiftung mit 15 Milliarden Schilling und dem »Österreich-Konsortium« mit 13,8 Milliarden Schilling für 74 Prozent der Bundesanteile. Die Angebote von Bank Austria und Karl Wlaschek-Privatstiftung galten jeweils für 100 Prozent der Bundesanteile, jenes des »Österreich-Konsortiums« für 74 Prozent der Bundesanteile und 26 Prozent Zusicherung der Platzierung an der Börse. Die Investmentbank J. P. Morgan, der Berater der Republik, erstellte eine Rangordnung, die die Bank Austria an die erste, das Bieterkonsortium aus EAGenerali/Erste an die zweite und die Wlaschek Privatstiftung an die dritte Stelle reihte. Die Angebote waren rechtsverbindlich. Jenes der Bank Austria lag deutlich über den Konkurrenzangeboten und hatte zudem zwei Vorteile : Es war eine angestrebte »österreichische Lösung«, die im Urteil von J. P. Morgan eine österreichische Bank mit europäischer Dimension schuf, und stellte dem Budget im Vergleich zu den Konkurrenzangeboten rund drei Milliarden Schilling mehr zur Verfügung.
II.3 Am Rande des Koalitionsbruchs Jenseits der finanzpolitischen Bedenken sah man bei der ÖVP in diesem Verkauf eine politische Intrige der SPÖ und des von ihr gestellten Finanzministers, die die bisher als »schwarze« Bastion geltende CA dem roten Imperium einverleibte und damit die wirtschafts- und finanzpolitischen Gewichte massiv zugunsten der SPÖ verschob.102 Franz Vranitzky bemerkte in seinen Erinnerungen zu dieser gegen Jahresende 1996 101 Imma Palme : Die Wahlen in Wien. – In : ÖJP 1996. – Wien/München 1997. S. 103–118. 102 Vgl. dazu Kurt Pribil : Bankenprivatisierung in Österreich. Was wurde aus dem 17-Punkte Programm ? – In : ÖJP 1997. – Wien/München 1998. S. 737–752. Zu den Vorgängen 1996/97 vgl. Grubelnik : Die rote Krake. S. 11–25.
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erfolgten Übernahme, es wäre »weltfremd, politikfremd […] gewesen, dies als einen bloß mechanistischen, technokratischen Vorgang abhaken und zur Tagesordnung übergehen zu wollen. In der Enge des österreichischen Zweilagerdenkens kam die Fusion einem Beben gleich, als hätte der Alpenhauptkamm den Donauraum verschüttet oder die Ostsee die Nordsee überschwemmt. Die stolze Gründung des Hochadels in den Fängen der kommunalen Sozialisten ! Ein ÖVP-Diadem in die Kleiderkammer der Vorderen Zollamtsstraße !«103 Parteiobmann und Vizekanzler Wolfgang Schüssel geriet unter erheblichen innerparteilichen Druck. Eine neuerliche Aufkündigung der Koalition schien ihm kein gangbarer Weg, da er bereits 1995 diesen Weg mit nur geringem Erfolg beschritten hatte. Ein neuerlicher vorzeitiger Urnengang wäre der Bevölkerung nur schwer zu vermitteln gewesen, zumal ein Angebot von drei Milliarden mehr für das Budget ein schwer zu widerlegendes Argument war. Als Alternative entschied sich die ÖVP für einen Entschließungsantrag zur Novellierung des Ermächtigungsgesetzes zum Verkauf der Bundesanteile der CA aus dem Jahr 1991 im Nationalrat am 18. Dezember, durch den sichergestellt werden sollte, dass es sich bei der Privatisierung der Bundesanteile um eine »echte« Privatisierung handelte. Eine Veräußerung sollte weder an eine Körperschaft öffentlichen Rechts noch an von Gebietskörperschaften betriebene Unternehmen oder an Unternehmen, an denen Gebietskörperschaften beteiligt waren – die AVZ der Gemeinde Wien war Hauptaktionär der Bank Austria –, erfolgen dürfen. Da die FPÖ jedoch eine rückwirkende Gesetzesänderung ablehnte, scheiterte der Versuch der ÖVP, und auch der Antrag der Wiener ÖVP im Wiener Gemeinderat auf einen vollständigen Rückzug der AVZ aus der Bank Austria fand bei Stimmengleichheit keine Mehrheit. Die ÖVP unternahm dennoch einen neuerlichen Anlauf und führte knapp vor Weihnachten Geheimgespräche mit der FPÖ, in denen sie bereit war, den Forderungen der FPÖ – u. a. eine Novelle des Sparkassengesetzes mit dem Ziel der Beseitigung der Haftung der Gemeinden, eine Entpolitisierung der Gremien, die Privatisierung der Landes-Hypothekenanstalten und die Stärkung der Minderheits- und Kontrollrechte der Kleinaktionäre im Aktienrecht – weitgehend entgegenzukommen. Ziel einer Novelle des Privatisierungsgesetzes aus dem Jahr 1991 sollte eine breite Streuung der Aktien über die Börse sein. Angesichts einer drohenden Einigung zwischen ÖVP und FPÖ bot Finanzminister Klima Wirtschaftsminister Farnleitner am 27. Dezember eine Nachfrist bis 10. Jänner 1997 an, innerhalb derer die Anbieter ihre bisherigen Angebote nachbessern konnten. Dies betraf vor allem das ÖVP-nahe Bieterkonsortium von EA-Generali/ Erste, das in diesem Fall sein Angebot um drei Milliarden Schilling hätte erhöhen müssen, zu dem es sich jedoch außerstande erklärte. Das erstreckte Verfahren endete am 10. Jänner 1997 und brachte keine Veränderung, da sowohl die Bank Austria 103 Vranitzky : Politische Erinnerungen. S. 379.
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wie auch das Konsortium EA-Generali/Erste ihr Angebot jeweils um 500 Millionen Schilling erhöhten, während die Karl Wlaschek-Privatstiftung von einem solchen Schritt Abstand nahm. Daraufhin erhielt die Bank Austria von Finanzminister Klima mit der Begründung, er sei aufgrund des Gesetzes aus dem Jahr 1991 verpflichtet, an den Höchstbieter zu verkaufen, den Zuschlag. Die Stimmung in der ÖVP war geladen, Schüssel fühlte sich von Klima »echt gelegt«104 und zahlreiche Funktionäre forderten das Ende der Koalition. Öl ins Feuer goss noch die SPÖ, die Finanzminister Viktor Klima als »Tricky Vicky« feierte und dem Koalitionspartner bedeutete, er sei von dem ehemaligen ÖMV-Manager strategisch auf die Verliererstraße gedrängt worden. Um die Weichen für ein gemeinsames Vorgehen in der Causa CA in einer für 14. Jänner 1997 anberaumten Sondersitzung des Nationalrats und eine Novelle des Ermächtigungsgesetzes zum Verkauf der Bundesanteile der CA durch den Finanzminister zu stellen, erfolgte am 2. Jänner ein Treffen von Wolfgang Schüssel und Jörg Haider in der Steiermark, bei dem Haider seine Bereitschaft zu einem gemeinsamen Vorgehen signalisierte und entsprechende Verhandlungen anregte. Schüssel und Haider vereinbarten, dass diese von Wirtschaftsminister Hannes Farnleitner und FPÖ-Finanzsprecher Gilbert Trattner geführt werden sollten. Die Verhandlungen begannen am 8. Jänner. Wenngleich dabei weitere Präzisierungen einer Vereinbarung erfolgten, so wurden die vor allem von Jörg Haider verfolgten strategischen Ziele der FPÖ deutlich. So bestand die FPÖ auf einem Passus, dass die vereinbarten Punkte unabhängig von einem eventuellen Verkauf der CA an die Bank Austria durch Finanzminister Klima Gültigkeit hatten, und Jörg Haider unterbreitete der ÖVP ein politisches Kooperationsangebot, das im Falle einer Sprengung der Koalition keinen fliegenden Koalitionswechsel zur FPÖ vorsah, sondern die Unterstützung der FPÖ für eine ÖVP-Minderheitsregierung bis zum Herbst 1997, in dem Neuwahlen stattfinden sollten. ÖVP-Klubobmann Andreas Khol informierte in einer eilig einberufenen Sitzung die ÖVP-Landeshauptleute und Bündeobmänner von dieser Offerte und stieß auf einhellige Ablehnung. Parallel zu diesen Verhandlungen erfolgten jedoch auf Initiative von Bank-Austria-Chef Gerhard Randa, der seinen größten Triumph in letzter Minute gefährdet sah, auch intensive Geheimgespräche zwischen ÖVP und SPÖ, bei denen die SPÖ dem verärgerten Koalitionspartner Brücken baute, um ihn doch noch zu einer Einwilligung zum Verkauf der CA an die Bank Austria zu bewegen. Geschickt griff man dabei Forderungen der ÖVP auf, die diese in ihrem am 18. Dezember 1996 im Nationalrat gescheiterten Initiativantrag erhoben hatte. So erklärte der Wiener Finanzstadtrat Rudolf Edlinger, die Gemeinde Wien könnte sich bei der von ihr kontrollierten AVZ unter eine aktienrechtliche Sperrminorität von 25 Prozent zurückziehen und nach einem Erwerb der CA durch die Bank Austria ihre Aktien breit 104 Peter Pelinka : Wolfgang Schüssel. Eine politische Biografie. – Wien 2003. S. 146.
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streuen. Die von Randa ergriffene Initiative stieß bei der ÖVP auf Bereitschaft und Interesse, da sich die Partei zu Jahresbeginn 1997 in einer schwierigen Situation befand. Sie konnte vor allem aufgrund des innerparteilichen Widerstandes keinen Koalitionsbruch riskieren und war zudem von der Haltung der sogenannten »bürgerlichen« Hälfte des Finanzsektors massiv enttäuscht. Zum einen hatte das ÖVPnahe Bieterkonsortium EA-Generali/Erste eine Erhöhung seines Angebots um drei Milliarden Schilling abgelehnt und zum anderen hatte Raiffeisen-Generalanwalt Christian Konrad die Aufforderung zum Erwerb einer Sperrminorität an der Bank Austria (25 Prozent plus eine Aktie) zum Preis von acht Milliarden Schilling negativ beantwortet. Damit verblieb der ÖVP nur mehr die Verfolgung einer eingeengten Strategie : sie musste mit der FPÖ weiter verhandeln, um Druck auf die SPÖ auszuüben und diese zu Zugeständnissen zu zwingen, um nach dem Verkauf der CA an die Bank Austria politisch das Gesicht wahren und wenigstens auf gewisse Verhandlungserfolge verweisen zu können. Die Situation der SPÖ gestaltete sich erheblich günstiger. Am 9. Jänner 1997 erklärte Finanzminister Klima auf der Klubklausur in Bad Tatzmannsdorf unter Bezugnahme auf die am folgenden Tag endende Nachbesserungsfrist der Angebote für die CA, er sei nicht bereit, sich »zu Handlungen verleiten zu lassen, die Gesetzesbruch sind, die einen klagbaren Tatbestand darstellen, und ich bin auch nicht bereit, auf drei bis vier Milliarden Schilling zu verzichten«. Die ÖVP übe einen »unglaublichen politischen Druck auf einen klaren rechtlichen und wirtschaftlichen Vorgang aus«. Die Vorschläge der ÖVP seien »kurios« und »unvollziehbar«, der Koalitionspartner »an Scheinheiligkeit nicht zu überbieten«. Ein Teilnehmer der Klubklausur fügte unter Anspielung auf das strategische Dilemma der ÖVP hinzu : »Wir haben die besseren Argumente. Die ÖVP soll der Bevölkerung erst einmal erklären, warum man auf ein paar Milliarden Schilling verzichten will.«105 Andreas Unterberger bemerkte in einem Kommentar zur politischen Auswirkung der Auseinandersetzung um den Verkauf der CA, die Koalition sei »tot. Sie weiß es nur noch nicht. Die beiden Parteien steuern diesen Tod zwar nicht an, aber wie in der griechischen Tragödie hat sich im CA-Drama das Unheil so eskaliert, dass ein Happy End, also eine langfristig funktionierende Regierung, kaum noch denkbar ist. Der Verkauf der Creditanstalt wird über die Bühne gehen. Und es werden so viele Ressentiments zurückbleiben, dass spätestens der nächste Wahltag – wie früh er auch kommen mag – ein Ende dieser Regierungsformel bringen wird.«106 Um eine Lösung der nahe am Koalitionsbruch stehenden Konfrontation noch vor der von ÖVP und FPÖ für 14. Jänner beantragten Sondersitzung des Nationalrats zu erreichen, tagte am 11. Jänner die Krisenfeuerwehr der Koalition, der Koalitions105 Die Presse 10. 1. 1997. S. 8. 106 Andreas Unterberger : Der Scherbenhaufen. – In : Die Presse 10. 1. 1997. S. 2.
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ausschuss. In der Zwischenzeit hatte sich die Situation der ÖVP nochmals deutlich verschlechtert, da der Sparkassenverband geschlossen gegen die mit der FPÖ paktierte Novelle des Sparkassengesetzes auftrat. Der Sparkassenverband sprach sich vehement gegen die geplante Aufhebung der Gemeindehaftung und auch gegen die Änderung der Rechtsform in eine AG aus. Die Politik, gemeint waren ÖVP und FPÖ, gefährde aus Aversion gegen die größte Sparkasse, die Bank Austria, den gesamten Sektor. Im Vorfeld der Tagung des Koalitionsausschusses war ÖVP-Klubobmann Andreas Khol im Wissen um die letztlich schwache Position seiner Partei, die einen Bruch der Koalition und folgende Neuwahlen nicht riskieren konnte, um Beruhigung bemüht. Die Koalition werde weitergehen, erklärte er kalmierend. Falls die SPÖ den Zuschlag der Bank Austria gebe, wäre dies zwar »ein schwerer Vertrauensbruch, der nicht vorkommen sollte – aber er kommt vor«.107 ÖVP-Parteiobmann Wolfgang Schüssel drängte hingegen auf ein zwischen beiden Koalitionsparteien akkordiertes Vorgehen, d. h. auf eine Berücksichtigung von ÖVP-Forderungen in dem nicht mehr verhinderbaren Verkauf der CA an die Bank Austria. »Im Koalitionsausschuss muss über die im Regierungsabkommen verankerte Privatisierung der Creditanstalt gesprochen werden – und über die mehrfach vereinbarte gemeinsame Entscheidung beider Regierungspartner.«108 Die Verhandlungen des Koalitionsausschusses zwischen Bundeskanzler Franz Vranitzky, Finanzminister Viktor Klima, SPÖ-Klubomann Peter Kostelka, Wiens Finanzstadtrat Rudolf Edlingers, Vizekanzler Wolfgang Schüssel, Wirtschaftsminister Johann Farnleitner, Klubobmann Andreas Khol, Vizebürgermeister Bernhard Görg und Wirtschaftskammer-Generalsekretär Günter Stummvoll endeten nach elfstündigen Verhandlungen am 12. Jänner um 1.25 Uhr mit einem Kompromiss, der die politische Ohnmacht der ÖVP durch einen Kompromiss verschleierte. Während der Verhandlungen wurde Vranitzkys Kabinettschef Karl Krammer auf Wunsch von Schüssel beauftragt, den zur gleichen Zeit im Wiener Rathaus auf dem Ball der Bank Austria weilenden Gerhard Randa zu den Verhandlungen beizuziehen. Randa erschien im Smoking im Tagungszimmer des Koalitionsauschusses im Parlament. Und Wiens Bürgermeister Michael Häupl wurde ebenfalls telefonisch zu den Verhandlungen beigezogen, die mehrmals zu getrennten fraktionellen Besprechungen unterbrochen wurden.109 Der Koalitionsausschuss einigte sich schließlich auf ein vor allem von Hannes Farnleitner und Gerhard Randa erstelltes 17-Punkte-Programm, das es der ÖVP ermöglichte, zu der nicht mehr verhinderbaren Übernahme der CA durch die Bank Austria gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Die wichtigsten Bestimmungen des Kompromisses sahen folgende Regelungen vor : 107 Die Presse 11. 1. 1997. S. 7. 108 Kurier 11. 1. 1997. S. 3. 109 Kurier 13.1.1997. S. 3.
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1. 2. 3. 4.
Die Bank Austria erwirbt die Bundesanteile der CA um 17,161 Milliarden Schilling. Die CA bleibt mindestens fünf Jahre lang als eigenständiges Institut erhalten. Für die CA-Mitarbeiter gibt es einen unbefristeten Kündigungsschutz. CA-Mitarbeiter können Aktien ihres Instituts in Aktien der Bank Austria umtauschen oder eine Barabfindung erhalten. 5. Die CA-Anteile an der Kontrollbank und der Investkredit werden den übrigen Aktionären der beiden Institute zum Kauf angeboten. 6. Die Beteiligungen an den drei Regionalbanken der CA werden abgegeben. 7. Die AVZ trennt sich ganz oder teilweise von ihrem 56-Prozent-Anteil an der GiroCredit. 8. Die Stimmrechtsanteile von AVZ und Wiener Holding an der Bank Austria werden innerhalb von fünf Jahren von 49 Prozent auf unter 25 Prozent und nach weiteren fünf Jahren auf unter 20 Prozent reduziert. 9. Die Abgabe der 19 Prozent Bundesanteile an der Bank Austria solle ab 1997 in möglichst breiter Streuung an Private erfolgen. 10. Die Bank Austria und die CA sollen den Gewinn je Aktie innerhalb von fünf Jahren verdoppeln. 11. Für Privatisierungen ist in Zukunft nicht mehr der Finanzminister allein, sondern die gesamte Regierung verantwortlich. Vizekanzler Schüssel bezeichnete die gefundene Lösung als einen »gerade noch vertretbaren Kompromiss«, der eine »Rückkehr auf den Weg der im Koalitionsabkommen vereinbarten Privatisierung« zu werten sei.110 Doch Wolfgang Schüssel überwand diese Demütigung nie und sein Verhältnis zu Klima, der wenige Tage später durch den Rücktritt Vranitzkys Bundeskanzler wurde, blieb distanziert bis unterkühlt. Klaus Grubelnik hat zutreffend darauf hingewiesen, dass mit dieser die Koalitionsregierung an den Rand des Bruchs treibenden Vorgangsweise »die Wiener SPÖ […] das Match für die Bank Austria bewusst über Klima« gespielt habe, »um diesem auch eine Profilierungschance für die Nachfolge Vranitzkys zu geben«.111 Klima, der in der SPÖ und großen Teilen der Öffentlichkeit als Mann der Stunde galt, vermied jede öffentliche Geste des Triumphs und gab sich am Ende der Marathonsitzung des Koalitionsausschusses betont sachpolitisch, indem er darauf hinwies, dass für die Verkaufsentscheidung der Verkaufserlös und der Verbleib der Entscheidungsstruktur in Österreich ausschlaggebend gewesen seien. Damit würde auch das österreichische Interesse an den Industriebeteiligungen der CA gesichert.112 110 Der Standard 13.1.1997. S. 5. 111 Grubelnik : Die rote Krake. S. 24f. 112 Der Standard 13.1.1997. S. 5.
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Mit diesem Kompromiss verlor die für 14. Jänner anberaumte Sondersitzung des Nationalrates ihre politische Brisanz, da die ÖVP von dem mit der FPÖ vereinbarten Vorgehen nunmehr Abstand nahm. Klubobmann Andreas Khol erklärte, es werde bei der Sondersitzung aufgrund der gefundenen Einigung in der Koalition kein gemeinsames Handeln mit der FPÖ geben. »Wir werden sicher nicht die freiheitliche Karte spielen.«113 Der Schwenk der ÖVP von der FPÖ zur SPÖ und damit zum Weiterbestand der Koalition basierte jedoch nicht nur auf dem nunmehr vereinbarten Kompromiss, sondern auch auf politischen Rahmenbedingungen. Jörg Haider zielte mit einem gemeinsamen Vorgehen mit der ÖVP in der Causa CAPrivatisierung auf eine Sprengung der Koalition, zu der jedoch Schüssel nicht bereit war, zumal ihm Bundespräsident Thomas Klestils mitteilte, er würde keinen offenen Koalitionswechsel dulden, sondern im Fall eines Koalitionsbruchs auf Neuwahlen bestehen. Zudem hatten sich der Bauernbund und Teile des Wirtschaftsbundes beim traditionellen Dreikönigstreffen der ÖVP im salzburgischen Goldegg gegen einen fliegenden Koalitionswechsel ausgesprochen. Schüssel musste ein solches Szenario um jeden Preis vermeiden, zumal ihm durchaus bewusst war, dass dieses nur schwer kommunizierbar war. Man musste daher das Gespräch mit der FPÖ aufrecht erhalten, um die SPÖ zu Zugeständnissen zu zwingen, die eine Wahrung des Gesichts ermöglichten. Die FPÖ hegte den nicht unbegründeten Verdacht, von der ÖVP lediglich als Mittel zum Zweck benutzt worden zu sein. Die Reaktion war dementsprechend. Jörg Haider erklärte bereits vor der Sondersitzung des Nationalrates, die Koalitionsparteien hätten sich bei diesem Kompromiss wiederum als Altparteien erwiesen, denen es nur darum gehe, möglichst viele Posten für die jeweils eigenen Parteigänger zu erhalten. »Die beiden Parteien haben Krieg geführt auf dem Rücken der Wähler, wobei der schwarze Napoleon mit Mascherl gegen die rote Armee im Kholfeld mit seiner Offensive untergegangen ist.«114 Bei der Sondersitzung des Nationalrates warf er der ÖVP vor, sich dem »sozialistischen Dogma der Unfehlbarkeit des Staates« angeschlossen zu haben. Der Kompromiss sei nichts anderes als eine »nackte Kapitulation der Volkspartei«.115 Der geschäftsführende FPÖ-Klubobmann Ewald Stadler charakterisierte den zwischen den Koalitionsparteien gefundenen CAKompromiss als »Wischi-Waschi-Ergebnis«, die ÖVP sei »nur noch peinlich« und »nicht mehr ernst zu nehmen. […] Die ÖVP hat das Umfallen zur Tugend gemacht, deren Spitze hat keinerlei Handschlagqualität.«116 Sechs Monate später erfolgte ein neuerliches mittleres politisches Erdbeben rund um den Erwerb der Bundesanteile an der CA durch die Bank Austria. Zu Jahresbe113 Ebda. S. 6. 114 Die Presse 13.1.1997. S. 7. 115 Kurier 15.1.1997. S. 3. 116 Die Presse 14.1.1997. S. 7.
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ginn 1997 hatte die SPÖ die schrittweise Privatisierung der Bank Austria zugesagt, obwohl die »rote« Westdeutsche Landesbank mit einem zehnprozentigen Anteil am Kapital der Bank Austria zu diesem Zeitpunkt ein geheimes Vorkaufsrecht für Anteile an der Bank Austria besaß. Wenngleich es keineswegs unüblich war und ist, dass eine Bank parallel zum Erwerb einer Beteiligung auch ein Vorkaufsrecht für weitere Aktien erwirbt, so muss dies jedoch im Sinne eines reellen Geschäfts im Falle eines Kaufs bzw. Verkaufs mitgeteilt werden. Dies war jedoch beim Erwerb der CA durch die Bank Austria nicht der Fall. Damit hatte die SPÖ dem Koalitionspartner eine wesentliche Information beim Verkauf der Bundesanteile an der CA vorenthalten. Bundeskanzler Klima behauptete, in seiner Funktion als Finanzminister nichts von diesem Vorkaufsrecht der Westdeutschen Landesbank gewusst zu haben. Er habe zum Zeitpunkt des Verkaufs keinen Zugang zu diesen Informationen gehabt, da ihm der Gesellschaftsvertrag nicht vorgelegen sei. Dieser Behauptung widersprach jedoch der Umstand, dass ein berichtspflichtiger Vertreter des Finanzministers als Staatskommissär im Sparkassenrat sitzt. Die ÖVP befand sich neuerlich in einem strategischen Dilemma. Sie befand sich in einer »no-win«-Situation : Mit einem komplexen finanzpolitischen Thema war kein Staat zu gewinnen, vor den Wählern vor allem kein Bruch der Koalition und keine Neuwahlen zu rechtfertigen. In einer Analyse bemerkte die »Neue Zürcher Zeitung« zutreffend, die »Unverfrorenheit, die aus dem Verhalten der Sozialdemokraten spricht, drängt die ÖVP an einen Ort, wo kein Staat zu machen ist«.117 Die ÖVP kam auch unter massiven Druck der FPÖ, die eine Sondersitzung des Nationalrats verlangte und einen Misstrauensantrag gegen Bundeskanzler Klima einbrachte. Die ÖVP konnte nur mit Mühe diesem zweiten Versuch der FPÖ, die Koalition zu sprengen, widerstehen. Generalsekretärin Maria Rauch-Kallat sprach zwar von einer »schweren Vertrauenskrise« und »unglaublicher Verärgerung« in ihrer Partei, ortete jedoch weniger Bundeskanzler Klima als Bank-Austria-Generaldirektor Gerhard Randa und Wiens Bürgermeister Michael Häupl als eigentlichen Grund des Missbehagens und der Empörung. Bis zum Beweis des Gegenteils müsse man Klima glauben, dass er nichts gewusst habe. In diesem Fall habe »Randa Klima blöd sterben lassen oder bewusst hintergangen«. Wiens Bürgermeister Häupl sei »mitschuldig«, weil er beim Verkauf der CA an die Bank Austria »schamlos gelogen« habe. Er habe schließlich unterschrieben, die Bank Austria zu privatisieren und in österreichischem Besitz zu halten, obwohl er um das Vorkaufsrecht der Westdeutschen Landesbank gewusst habe.118 In der Nationalratssitzung am 5. Juni bemerkte der Abgeordnete Josef Mühlbacher zur Befindlichkeit der ÖVP : »Wir bleiben in der Regierung, weil es ja keine Alternative gibt.« Und der Wirtschaftssprecher der Par117 NZZ 6. 6. 1997. S. 1. 118 SN 5. 6. 1997. S. 2.
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tei, Günter Stummvoll, betonte in seiner Wortmeldung, er glaube, dass Bundeskanzler Klima die Wahrheit gesagt habe. »Aber es fällt schwer zu glauben, dass das alles trotz Paragraph 20 Bankwesengesetz, trotz Bankenaufsicht nicht bekannt gewesen sein soll. […] In den letzten Tagen sind wir von Bürgern gefragt worden, warum wir trotz allem in der Koalitionsregierung bleiben. Wir bleiben in dieser Regierung aus Verantwortung zu unserem Land, denn ein Ende der Koalition würde eine schwere Regierungskrise bedeuten und das wollen wir nicht. Für uns kommt Österreich zuerst. Wir bleiben aber nicht aus Solidarität zur SPÖ in dieser Regierung.«119 Die Frage, warum sich der CA-Vorstand bis zum Schluss des Verfahrens so sicher gefühlt und auch die ÖVP die zahlreichen Zeichen an der Wand nicht erkannt habe, beantwortete Alexander Van der Bellen mit der Bemerkung, dass »das Wort ›Privatisierung‹ im Regierungsübereinkommen […] die Bank Austria, die als de facto von der Gemeinde Wien und vom Bund beherrscht galt (de jure war das unrichtig), als Käufer der CA auszuschließen« schien. Zudem hatte »Bundeskanzler Franz Vranitzky Vizekanzler Schüssel persönlich zugesagt, vor einem endgültigen Zuschlag der CA mit ihm Einvernehmen herzustellen. Es ist plausibel anzunehmen, dass Generaldirektor Schmidt-Chiari davon wusste, daher brauchte er die Bank Austria als potenziellen Bieter nicht ernst zu nehmen. Finanzminister Klima hingegen hielt sich an das Ermächtigungsgesetz, behielt das aber bis zum letztmöglichen Zeitpunkt für sich, im Stillen unterstützt von der Wiener SPÖ. Wenn Klima von Vranitzkys Zusage wusste, dann durfte er auch den Kanzler nicht vorzeitig, ja nicht einmal rechtzeitig informieren und musste es auf ein Zerwürfnis ankommen lassen. Dieses trat ein, bei einer Sitzung des SP-Parteivorstands im Dezember 1996 : Vranitzky habe dort seinem Ärger Ausdruck gegeben, aber Klima habe mit Rücktritt gedroht, falls die Bank Austria nicht den Zuschlag erhalte. Der ohnehin angeschlagene Kanzler […] blieb in der Minderheit. Damit war klar : die CA geht an die Bank Austria ; die ÖVP wird überfahren ; Vranitzkys Tage als Kanzler sind gezählt.«120 Josef Taus stellte 1997 die Frage, ob diese Transaktion tatsächlich die behauptete wirtschaftspolitische Sensation und Überraschung war. »Mitnichten, denn es war höchste Zeit, dass in Sachen CA-Privatisierung etwas geschah, allzu lange ist nichts geschehen. Seit 1991 gibt es das CA-Privatisierungsgesetz, aber es wurde nichts privatisiert. Die Schweizerische Kreditanstalt zeigte Interesse, der österreichische Raiffeisensektor ebenso. Das war in der Öffentlichkeit bekannt, aber es kam zu keinem Abschluss. Dann schleppte sich die Diskussion mit der heterogenen Interessengruppe um EA-Generali und Erste Österreichische Spar-Casse dahin. Müßig nachzuforschen, warum der Kauf der CAAktien nicht zustande kam. Die Zeit wurde daher für einen ›Coup‹ immer reifer. Und so eine Überraschung war der Kauf der CA-Aktien durch die Bank Austria dann 119 SN 6.6.1997. S. 2. 120 Van der Bellen : Bankenstrukturen und Politik : Der CA-Verkauf und seine Folgen. S. 321f.
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auch wieder nicht. Zu viele Signale hatte es gegeben, zumindest seit etwa einem halben Jahr vor dem tatsächlichen Kaufabschluss, dass die Bank Austria interessiert sein könnte. Vor allem seit es ziemlich klar war, dass sie mit der GiroCredit, deren Mehrheit sie ja auch mittels eines ›Coups‹ erworben hatte, aus welchen Gründen immer, wenig anzufangen wusste. Der Kauf der CA-Aktien durch die Bank Austria mag daher von manchem als Sensation empfunden worden sein, aber, dass nach etwa fünf Jahren ergebnisloser Gespräche es einmal zu einem Abschluss kommen musste, war klar ; umso mehr, als der Finanzminister, der nach dem Wortlaut des Gesetzes der ›dominus litis‹ gewesen ist, dringend Geld brauchte, um sein Budget einigermaßen vertretbar herzeigen zu können. Nicht zuletzt deshalb, weil er zumindest in die Nähe der Maastricht-Kriterien kommen möchte.«121 Karl Aiginger sah in der von einem erheblichen politischen Beben begleiteten Privatisierung der CA einen auf nicht präzise erarbeiteten Grundlagen basierenden Vorgang. »Der entscheidende Fehler des Prozesses lag im Fehlen eines Privatisierungsagenten. Privatisierung hat spieltheoretisch betrachtet drei Spieler, den Verkäufer (Prinzipal), das privatisierende Unternehmen (Agent 1) und den Manager der Privatisierung (Agent 2). Der korrekte Prozess wäre, dass der Prinzipal seine Absichten und Kriterien verbindlich festlegt, also auch ob der Meistbieter gewählt wird und ob zusätzliche Kriterien (inkl. Gewichtung und Grenzen) gelten. Zu den letzteren würde auch der politische oder nationale Background zählen, die Frage, ob ein privater Eigentümer gesucht wird oder ob staatliche und kommunale Stellen mitbieten dürfen, ob eine eventuelle Konzentration innerhalb des österreichischen Bankensektors erwünscht oder abzulehnen ist. Der Privatisierungsagent führt dann den Privatisierungsprozess fair und transparent durch. Wenn es keinen Privatisierungsagenten gibt, dann besteht die Gefahr, dass Agent 1, also die Interessen des zu privatisierenden Unternehmens durchschlagen, oder zumindest den Prozess verzögern.« Die Abhängigkeit einer Privatisierungsentscheidung vom politischen Prozess sei aus Erlösgründen abzulehnen. »Die Politik kann und soll die Kriterien für die Auswahl des Käufers (Spielregeln) bestimmen, die Entscheidung obliegt dann dem Schiedsrichter, den ich Privatisierungsagenten nenne. Jede andere Form steigert den politischen Einfluss und kostet einen zweistelligen Milliardenbetrag […].«122
121 Josef Taus : Die Bankenstruktur nach dem Kauf der Creditanstalt durch die Bank Austria. – In : ÖJP 1996. S. 331–348. S. 331f. 122 Karl Aiginger : Privatisierung in Österreich. – In : ÖJP 1996. S. 349–360. S. 355.
III.
»Es gibt zu dieser Pensionsreform keine Alternative« Der Torso der Pensionsreform 1997
Wenngleich in der Zweiten Republik die Frage der Entwicklung der Sozialpolitik nach wie vor von divergierenden ideologischen Positionen von ÖVP und SPÖ gekennzeichnet war, so erfolgte aufgrund der Etablierung der Sozialpartnerschaft sowie der lange währenden beiden Großen Koalitionen eine kontinuierliche Expansion des Sozialstaates. In deutlichem Unterschied zur Ersten Republik mit ihren permanenten krisenhaften ökonomischen und finanzpolitischen Rahmenbedingungen erfolgte die kontinuierliche Expansion des Sozialstaates, sowohl im Angebot sowie in der Anzahl der Berechtigten, nach 1945 auf der Basis erheblicher Wachstumsraten, die sich allerdings ab den achtziger Jahren deutlich abschwächten.123 Die Änderungen am Arbeitsmarkt sowie der Beschäftigungsverhältnisse, die Globalisierung, der EU-Beitritt und die Teilnahme an der Wirtschafts- und Währungsunion sowie die rapide Entwicklung der soziodemografischen Parameter setzten das Modell des Sozialstaates zunehmend Stressfaktoren aus. Entwicklung der Altersgruppen ab 65 Jahren 1951–2001:124 Alter
1951
1971
1991
2001
65–69 Jahre
292.165
402.252
392.626
332.596
70–74 Jahre
220.301
305.470
249.523
327.321
75–79 Jahre
136.175
195.028
242.039
290.140
80–84 Jahre
61.366
105.530
175.518
151.242
85 und älter
23.445
53.317
107.212
140.380
123 Emmerich Talos : Staatliche Sozialpolitik in Österreich. Rekonstruktion und Analyse. – Wien 1981. Ders.: Sozialpolitik. Zwischen Expansion und Restriktion. – In : Dachs, Gerlich, Gottweis, Kramer, Lauber, Müller, Talos (Hg.) : Politik in Österreich. S. 624–636. 124 Statistisches Jahrbuch Österreich 2007. – Wien 2006. S. 46.
71
»Es gibt zu dieser Pensionsreform keine Alternative«
Entwicklung der Pensionisten und Rentner insgesamt 1970–1998:125 1970
1.923.876
1990
2.230.876
1998
2.390.709
Sozialausgaben und Sozialquote 1977–1998:126 Jahr
Ausgaben in Mrd. Schilling
Sozialquote in Prozent
1977
177
23,8
1986
387
26,9
1997
733
28,2
1998
745
28,5
Entwicklung der Beiträge zur und des Gesamtaufwandes der Pensionsversicherung 1995–2000 in Mrd. Euro:127 Jahr
Entwicklung der Beiträge
Gesamtaufwand der Pensionsversicherung
1995
13.056
18.382
1996
13.359
19.288
1997
13.816
19.777
1998
14.328
20.453
1999
14.870
21.319
2000
15.377
22.321
Die auf dem Umlageverfahren basierende Pensionsversicherung als erste und wichtigste Säule der Alterssicherung erreichte in Österreich mit 79,5 Prozent des Durchschnittseinkommens der letzten fünf Versicherungsjahre ein im internationalen Vergleich außerordentlich hohes Niveau. Mitte der neunziger Jahre waren nur etwa neun Prozent der Arbeitnehmer in betrieblichen Altersversorgungssystemen, die 7,5 Prozent des gesamten Renten- und Pensionsaufwandes bestritten, integriert. »Mit Brutto-Einkommensersatzraten von durchschnittlich 53 Prozent bis 80 Prozent und Netto-Einkommensersatzraten zwischen 66 Prozent und 100 Prozent ist das Einkommensniveau von Pensionisten auch im internationalen Vergleich hoch.« Die am 125 Statistisches Jahrbuch der Republik Österreich 1999/2000. – Wien 1999. S. 186. 126 Statistisches Jahrbuch der Republik Österreich 2001. – Wien 2000. S. 183. 127 Theodor Tomandl : Wie sicher sind unsere Pensionen ? Wien 2011. S. 36 und S. 38f.
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»Es gibt zu dieser Pensionsreform keine Alternative«
Versicherungsprinzip orientierten Pensionsleistungen verfolgten das Ziel, Armut im Alter zu vermeiden und den Pensionisten auch im Alter den gewohnten Lebensstil weitgehend zu ermöglichen.« Aufgrund des Umlageverfahrens erfolgte und erfolgt in Österreich nicht nur eine Umverteilung zwischen den Generationen, sondern infolge der aus sozialpolitischen Motiven erfolgten Durchbrechung des Versicherungsprinzips durch die Gewährung von Zusatzleistungen (Anrechnung beitragsloser Ersatzzeiten, Frühpensionierungen, Hinterbliebenenpensionen, Ausgleichszulagen usw.) auch innerhalb der Generationen. Diese Großzügigkeit des Pensionsversicherungssystems manifestierte sich in einem ständig steigenden Finanzierungsvolumen für die Sicherung der Pensionen, das 1996 mit 15,9 Prozent des BIP einen internationalen Spitzenplatz erreichte. Der Bundeszuschuss zu den Pensionen erreichte 1996 143,4 Milliarden Schilling, jener der gesamten öffentlichen Hand 182,8 Milliarden Schilling.128 Aufgrund der umfangreichen und im internationalen Vergleich hohen Leistungen erfreute und erfreut sich das österreichische Pensionssystem außerordentlich hoher Wertschätzung bei der Bevölkerung. So hielten in einer Studie des Linzer Meinungsforschungsinstituts Imas im Juni 1997 51 Prozent der Österreicher die ärztliche Versorgung und 50 Prozent die Altersversorgung in Österreich für besser als in der EU.129 Das 1955 mit dem Allgemeinen Pensionsversicherungsgesetz nach dem Umlageverfahren geschaffene Pensionssystem umfasst Arbeiter, Angestellte, Bauern und sonstige Selbstständige, die als Pflichtversicherte Beiträge leisten. Reichen diese Beiträge nicht zur Finanzierung der anfallenden Kosten, übernimmt der Bund die Bundeshaftung, d. h., die fehlenden Mittel werden aus dem Budget zur Verfügung gestellt. Betrug der Beitrag zur Pensionsversicherung 1955 bei Angestellten elf und bei Arbeitern zwölf Prozent des Erwerbseinkommens, so stieg dieser Betrag bis knapp nach der Jahrtausendwende auf 22,8 Prozent. Im gleichen Zeitraum stieg die Höchstbemessungsgrundlage um das 16-Fache. Trotz dieser Beitragssteigerungen erhöhte sich der notwendige Bundeszuschuss aufgrund der demografischen Ent128 Thomas Url : Die österreichische Altersvorsorge aus einer Risikoperspektive. – In : WISO Monatsberichte 9/1997. S. 587–555. S. 587f.; vgl. dazu auch Alois Guger : Perspektiven der österreichischen Altersvorsorge im internationalen Vergleich. – In : Ebda. S. 535–546. S. 543f.: »Bezogen auf das Nettoeinkommen schneidet Österreich auch in Bezug auf die durchschnittliche Ersatzrate und damit auf die Höhe der österreichischen Pensionen im internationalen Vergleich gut ab : Beim Pensionseintritt lag die Netto-Ersatzrate in Österreich 1995 im Durchschnitt bei 75,7 Prozent, in der Alterspension für Männer bei 80,5 Prozent, für Frauen bei 73,4 Prozent (Invaliditätspensionen 73,7 bzw. 67,4 Prozent). In einem nach Versicherungsdauer und Qualifikation (also Einkommenshöhe) differenzierten internationalen Vergleich erreicht Österreich für qualifizierte Arbeitnehmer Spitzenwerte (87 Prozent bei langer und 73 Prozent bei mittlerer Versicherungsdauer). Auch im unteren Einkommensbereich ist die Ersatzrate mit 91 Prozent bei langer und 76 Prozent bei kürzerer Versicherungsdauer überdurchschnittlich.« 129 Die Presse 3.7.1997. S. 11.
»Es gibt zu dieser Pensionsreform keine Alternative«
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wicklung sowie der Ausdehnung der Leistungen kontinuierlich und wurde zu einem sich ständig verschärfenden strukturellen Problem des Budgets. Die vor allem in Wahlkämpfen populäre Ausdehnung der Leistungen wurde dabei erst mittel- bis langfristig zu einem Problem, da sich die dadurch entstehenden Kostensteigerungen aufgrund des Umstandes, dass jedes Jahr nur ein Jahrgang in Pension geht, erst in der Zukunft auswirken. Vor dem Hintergrund der massiv steigenden Kosten und der eingeengten budgetären Handlungsspielräume wurde die Frage der Finanzierung der staatlichen Transferleistungen ab den achtziger Jahren zum Mittelpunkt einer an Schärfe zunehmenden politischen Kontroverse zwischen SPÖ und ÖVP. Dabei rückten die Rolle des Staates, die Bedeutung des Subsidiaritätsprinzips, von Freiheit und Verantwortung, die Treffsicherheit der sozialen Leistungen und deren Finanzierbarkeit sowie die Steuerquote in den Mittelpunkt der kontroversiellen Diskussion. In dieser positionierte sich die SPÖ als Bewahrerin des Status quo, während die ÖVP auf einer Änderung des Systems und damit auf ein Ende des sozialen Garantismus drängte. Als wichtiges zusätzliches Argument wies man seitens der ÖVP darauf hin, dass aufgrund der Dominanz parteipolitischer Überlegungen auf auftretende Finanzierungsprobleme des Pensionssystems vorwiegend nur ad hoc reagiert werde, wodurch zwar kurzfristige, jedoch keineswegs langfristige Erfolge zu verzeichnen seien. Tatsächlich dominierten bei den bis in die neunziger Jahre durchgeführten Reformen vor allem einnahmenseitige Maßnahmen, die sich in einem deutlichen Ansteigen der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge niederschlugen und die Lohnnebenkosten erhöhten. Die Reformen erschöpften sich in weitgehenden Ad-hoc-Maßnahmen, ohne ein stabiles und nachhaltig gesichertes Pensionssystem durch notwendige strukturelle Änderungen zu erreichen. 1997 kam Thomas Url zu der Schlussfolgerung, dass »Erwartungen über die Reaktion der Wähler auf Eingriffe in die Altersversorgung […] und die Unsicherheit weit in der Zukunft liegender Probleme […] bisher eine groß angelegte Reform, die die Lohnnebenkosten und den Bundesbeitrag in Relation zum BIP in der Zukunft konstant halten würde,« verhinderten. »Nach wie vor kann das gegenwärtige Versicherungssystem aber aufrechterhalten werden, und die daraus entstehenden finanziellen Belastungen sind bewältigbar. Je länger jedoch mit umfassenden Reformen zugewartet wird, desto höher sind später die Kosten der Sanierungsmaßnahmen.«130 Zu einem ähnlichen Ergebnis kam Thomas Tomandl in seiner Analyse des österreichischen Pensionssystems. Der praktizierte Modus der Ad-hoc-Lösungen offenbare deren »Verstrickung mit den Machterhaltungsbestrebungen politischer Parteien. […] Die Sicherung der Pensionen wird von den meisten Menschen bei Befragungen zwar immer wieder als ein wichtiges Ziel angegeben, Parteien, die erfolgreiche Reformmaßnahmen durch130 Url : Die österreichische Altersvorsorge aus einer Risikoperspektive. S. 548.
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führen, werden dafür aber zumeist mit Verlusten bei der nächsten Wahl bestraft. Es entspricht der Logik unseres politischen Systems, dass die Politiker mit Reformen daher so lange wie möglich zuwarten und sich, wenn solche unvermeidlich sind, mit Lösungen zufrieden geben, die eine Finanzierung für die nächsten Jahre ermöglichen. Werden Reformen nur nach jeweiliger Dringlichkeit ad hoc vorgenommen, muss keine öffentliche Auseinandersetzung mit dem tatsächlichen Ausmaß der zukünftigen Belastung stattfinden. Der Bevölkerung werden nur die augenblicklichen Veränderungen vorgestellt.«131 Diesen letztlich fatalen Automatismus der politischen Realität wollte die ÖVP mit ihrem Hinweis auf eine notwendige langfristige Sicherung des Pensionssystems durch sicherlich auch unpopuläre strukturelle Reformen durchbrechen. Dabei konnte man sich auf zahlreiche wissenschaftliche Analysen stützen, die mit dem Hinweis auf die Entwicklung der externen Faktoren (verschieden stark ausgeprägte Geburtenjahrgänge, Erhöhung der Lebenserwartung, zunehmende Instabilität der Arbeits- und Lebensverhältnisse, Änderung der individuellen Lebensläufe und Gewohnheiten) und ihrer Auswirkungen auf die Generationen eine dringende strukturelle Reform des bestehenden, auf dem Umlageverfahren basierenden, Pensionssystems einmahnten. Die Finanzierung der Altersvorsorge, so Thomas Url in einer vergleichenden internationalen Studie, sei »eine der zentralen wirtschafts- und sozialpolitischen Fragestellungen der nächsten 50 bis 60 Jahre«.132 Durch den Wechsel von Vranitzky zu Klima schien zunächst nochmals ein Reformruck durch die Koalition zu gehen, da sich der neue Bundeskanzler zu Beginn seiner Amtszeit ambitioniert zeigte und notwendige Reformen in Angriff zu nehmen bereit schien. Auf einer Regierungsklausur in Rust im Juni 1997 lancierte Wolfgang Schüssel mit dem Hinweis auf die Entwicklung der Staatsfinanzen und des Pensionsversicherungssystems die Notwendigkeit einer Pensionsreform. Viktor Klima erkannte angesichts der demografischen Entwicklung und des tatsächlichen Pensionsantrittsalters deren Notwendigkeit. Österreich besaß und besitzt weltweit eines der am besten ausgestatteten Pensionssysteme. Das gesetzliche Pensionsantrittsalter von 60 bzw. 65 Jahren wurde zunehmend die Ausnahme und lag 1996 im Durchschnitt bei 57,4 Jahren. 1970 hatte dieser Durchschnitt noch 61,9 Jahre betragen. Die Erwerbsquote der über 60-Jährigen lag bei einem international extrem niedrigen Satz von unter zehn Prozent. Die ständig steigende Lebenserwartung bei gleichzeitig sinkender Geburtenrate führt nach Modellrechungen dazu, dass 2030 1.000 aktiven Arbeitnehmer 980 Pensionisten gegenüberstehen werden. Das bestehende Pensionssystem konnte aufgrund der sich öffnenden Schere zwischen tatsächlichem 131 Tomandl : Wie sicher sind unsere Pensionen ? S. 103. 132 Thomas Url : Pensionsreform und betriebliche Altersvorsorge im internationalen Vergleich. – In : WISO Monatbericht 6/1998. S. 415–423. S. 415.
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Pensionsantrittsalter und Lebenserwartung schon damals nicht mehr aus den Versicherungsbeiträgen gedeckt werden, sondern erforderte einen immer größeren Bundeszuschuss, der 1997 bereits 22 Prozent des Budgets betrug – mit stark steigender Tendenz. In Rust wurde deshalb eine Einigung auf vier Eckpunkte einer Pensionsreform erzielt : 1. Einbeziehen aller Erwerbstätigen in die Sozialversicherung 2. Zurückdrängen der Frühpensionen 3. Angleichen der verschiedenen Versicherungssysteme und 4. Ausdehnen der Durchrechnungszeiträume zur Pensionsberechnung Zum Abschluss der Regierungsklausur in Rust erklärten Bundeskanzler Viktor Klima und Vizekanzler Wolfgang Schüssel, die das Budget belastenden ausufernden Kosten des Sozialsystems sollten ab 1998 durch Reformen gebremst werden. Zu diesem Zweck plane die Bundesregierung, die Pensionsrechte der vier unterschiedlichen System – ASVG, Beamte, Bauern, Selbständige – einander anzugleichen. Im öffentlichen Dienst werde ein Durchrechnungszeitraum für die Bemessung der Pensionshöhe eingeführt. Ferner sollten in Zukunft die Zahl der Beitragsleister durch die Einbeziehung der geringfügig Beschäftigten und Freiberufler erweitert, die Ruhensbestimmungen reformiert und die steigende Lebenserwartung bei der Bemessung der Pensionen berücksichtigt werden.133 Zehn Tage später erklärte Viktor Klima nach einer Sitzung des Parteivorstandes der SPÖ, man müsse »rasch mit Gesprächen über eine umfassende Reform beginnen, damit die Pensionen der heute 30 bis 40jährigen gesichert werden«. Bis Herbst sollte ein von Sozialministerin Lore Hostasch ausgearbeitetes Konzept einer umfassenden Pensionsreform vorliegen, denn die Reform müsse jetzt begonnen werden : »Wenn wir erst im Jahr 2000 starten, ist eine langfristige Sicherung nicht möglich«, so Klima. Bestehende Pensionen würden allerdings nicht gekürzt.134 Wenngleich sich im Parteivorstand zahlreiche kritische Stimmen zu Wort meldeten, die die Notwendigkeit einer strukturellen Reform in Zweifel zogen, erhielt der Kanzler und Parteivorsitzende auch Unterstützung. So erklärte der burgenländische Landeshauptmann Karl Stix in Richtung der zahlreichen Kritiker in den eigenen Reihen, diese würden die Diskussion »zwar emotionell, aber ohne Sachkenntnis führen«.135 Zustimmung kam auch vom Direktor des Instituts für Höhere Studien, Bernhard Felderer, der betonte, dass, wenn jetzt nichts geschehe, die demografische Entwicklung dafür sorgen werde, dass das Pensionssystem im Jahr 2030 »nicht mehr finanzierbar ist«. Zentrale Maßnahmen 133 Die Presse 11.6.1997. S. 1. 134 Der Standard 21./22.6.1997. S. 5. 135 Kurier 21.6.1997. S. 3.
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müssten eine Verlängerung des Durchrechnungszeitraums und den Stopp des stark anhaltenden Trends in die Frühpension beinhalten.136 Auch der Koalitionspartner streute dem Kanzler Rosen. Klubobmann Andreas Khol erklärte, Klima schreibe im Unterschied zu Vranitzky »keinen gemeinen Briefe an Pensionisten«, sondern sei bereit, Verantwortung zu übernehmen. Bei diesem Vorhaben sei die ÖVP gerne bereit, ihm zu assistieren.137 Zur Unterstützung dieses ambitionierten Vorhabens hatte der ehemalige Sozialminister Franz Hums 1996 Bernd Rürup von der Technischen Universität Darmstadt um ein Gutachten gebeten, das im Juni 1997 vorlag und alternative Maßnahmen vorschlug. Rürup ging bei seiner Studie von der Berechnung aus, dass aufgrund der steigenden Lebenserwartung und der rückläufigen Erwerbsquote der Anteil des Bundeszuschusses zu den Pensionen von derzeit 22 auf 39,82 Prozent ansteigen würde. Gleichzeitig würde der Beitragssatz für alle Pensionssysteme von 22,31 auf 24,88 Prozent ansteigen. Da diese Entwicklung die Staatsfinanzen überstrapazieren und die Lohnnebenkosten explodieren lassen würde, seien strukturelle Reformen dringend geboten. Zur Sicherung des Pensionssystems schlug Rürup ein Bündel von Maßnahmen vor : 1. Berücksichtigung der höheren Lebenserwartung bei der Pensionsbemessung sowie bei der jährlichen Pensionserhöhung 2. Die Pensionshöhe sollte nicht, wie bisher, von den besten 15 Beitragsjahren bemessen werden, sondern vom gesamten Lebenserwerbseinkommen 3. Abschläge vor Erreichung des gesetzlichen Pensionsantrittsalters (65 bzw. 60 Jahre) sollten den Drang in die Frühpension unattraktiver gestalten 4. Wegfall des Verbraucherpreisindex als Untergrenze der Pensionsanpassung 5. Angleichung des Frauenpensionsalters bereits ab 2005. Das Pensionssystem sollte auf Geschlechterneutralität abgestellt sein. Wenngleich Frauen auf dem Arbeitsmarkt oft benachteiligt seien, sei es aber die Frage, ob diese Benachteiligung durch das Pensionssystem ausgeglichen werden soll 6. Versicherungspflicht für alle Erwerbseinkommen bei gleichzeitiger Einführung einer Bagatellgrenze 7. Pensionsfremde Belastungen wie Kindererziehungs-, Kranken- und Arbeitslosenzeiten sollten von den jeweiligen Töpfen und nicht von der Pensionsversicherung aufgebracht werden 8. Anreize für eine zweite und dritte Säule der Pensionssicherung sollten verstärkt werden 9. Schaffung von Teilpensionen bei Invaliden- und Berufsunfähigkeitspensionen. 136 Der Standard 21./22.6.1997. S. 1. 137 SN 21.6.1997. S. 2.
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Wenig später meldete sich der Sozialforscher Bernd Marin mit dem Vorschlag der Schaffung von Pensionskonten, über die jeder frei verfügen könne, zu Wort. Prinzipiell sollte das Prinzip der Beitragsäquivalenz gelten, d. h. die Pensionshöhe von der Beitragsleistung abhängen, wobei der Spielraum durch eine Unter- und Obergrenze definiert werden sollte. In Übereinstimmung mit Rürup sollte das Pensionssystem von vielen Fremdkosten (Invaliden, Kranke, Arbeitslose) befreit und der Durchrechnungszeitraum auf das gesamte Erwerbsleben ausgedehnt werden.138 Viktor Klima stand diesen Vorschlägen durchaus positiv gegenüber. Am 2. Juli beschloss ein Pensionsgipfel der Bundesregierung die Einführung und schrittweise Erhöhung des Durchrechnungszeitraums für Beamte und ASVG-Versicherte. 2012 sollten für Beamte 15, für ASVG-Versicherte 20 Jahre Durchrechnungszeitraum gelten. Herrschte innerhalb der Regierung weitgehender Konsens über die notwendigen Maßnahmen, so traf dies auf die Sozialpartner nicht zu, die am folgenden Tag auf einer Enquete die Vorschläge Rürups diskutierten. Während die Wirtschaft gegen eine Erweiterung der Versicherungspflicht auf alle Erwerbseinkommen votierte, kam die massivste Kritik vom Österreichischen Gewerkschaftsbund (ÖGB) und der Arbeiterkammer (AK). So erklärte ÖGB-Präsident Fritz Verzetnitsch, die Verlängerung des Durchrechnungszeitraums, die vorzeitige Anhebung des Frauenpensionsalters und ein Bonus-Malus-System bei Frühpensionierungen komme für ihn nicht infrage. Eine Budgetkonsolidierung dürfe nicht auf dem Rücken der Arbeitnehmer und Pensionisten erfolgen. Ähnlich äußerte sich Arbeiterkammer-Präsident Herbert Tumpel, der die Auffassung vertrat, dass eine aktive Beschäftigungspolitik das beste Mittel zur Sicherung der Pensionen sei.139 Die aus dem ÖGB kommende Sozialministerin Lore Hostasch begann vor dem Widerstand von ÖGB und AK zurückzuweichen und betonte, auch sie lehne eine vorzeitige Angleichung des Frauenpensionsalters ab und die Verlängerung des Bemessungszeitraums für die Pensionen sei nur ein Vorschlag unter vielen. Die Fronten der Konfrontation wurden sichtbar. Noch schien die Regierung mit Blick auf das Budget Standfestigkeit beweisen zu wollen und beschloss nach intensiven sechsstündigen Verhandlungen am 24. Juli ein Maßnahmenpaket zur Sicherung der Pensionsfinanzierung. Dieses sah ab dem Jahr 2000 bei Frühpensionen Abschläge von zwei Prozent pro Jahr, die Anhebung des Durchrechungszeitraums bei Pensionierungen von ASVG-Versicherten vor dem 60. Lebensjahr von 15 auf 20 Jahre und bei Beamten eine prinzipielle Anhebung auf 15 Jahre, die vorzeitige Anhebung der Höchstbemessungsgrundlage von 40.800 auf 45.000 Schilling, die Einbeziehung aller Erwerbstätigen in die Sozialversicherungspflicht, die Erhöhung der Eigenfinanzierungsquote von Bauern und Selbständigen und die Umschichtung von Mitteln des Arbeitsmarktservice in die Pensionsversiche138 Die Presse 3. 7. 1997. S. 18. 139 Die Presse 4.7.1997. S. 7.
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rung vor. Ab 28. Juli sollten die geplanten Maßnahmen mit den Sozialpartnern verhandelt werden. Mit Blick auf die bevorstehenden Sozialpartnerverhandlungen und den vor allem von ÖGB und AK zu erwartenden Widerstand bestand die ÖVP auf einer unterschriebenen Vereinbarung. Damit wollte die ÖVP dem durchaus möglichen Szenario vorbeugen, dass vor allem die SPÖ-Regierungsmitglieder vor dem massiven Widerstand von ÖGB und AK zurückweichen und das Parlament das Budget 1998 ohne die strukturellen Maßnahmen der Pensionsreform (Durchrechnungszeitraum, Abschläge bei Frühpensionen), jedoch mit den Belastungen für das ÖVPKlientel (Einbeziehung der geringfügig Beschäftigten, Mehrleistungen der Bauern und Gewerbetreibenden) beschließt. Die SPÖ-Regierungsmitglieder unterschrieben die Punktation und Bundeskanzler Klima und Finanzminister Edlinger erklärten, zunächst noch unbeeindruckt von den Protesten der Sozialpartner, die getroffene Vereinbarung sei »sozial gerecht, mit Rücksicht auf die Frauen und auf die Ansprüche der jüngeren Menschen. […] Es gibt zu dieser Pensionsreform keine Alternative.«140 Das von der ÖVP befürchtete Szenario sollte in den folgenden Wochen Gestalt annehmen. Die Verhandlungen der Sozialpartner mit der Regierung auf Expertenebene gerieten bald aufgrund unüberbrückbarer Gegensätze ins Stocken, da sich ÖGB und AK strikt weigerten, strukturellen Maßnahmen zuzustimmen und auf einnahmenseitigen Schritten beharrten. Am 12. August schickte WirtschaftskammerPräsident Leopold Maderthaner Sozialministerin Lore Hostasch ein Telegramm, in dem er erklärte, er werde sich nicht mehr an »sinnlosen Gesprächen« beteiligen. Die Verhandlungen seien aufgrund der Weigerung von ÖGB und AK, strukturellen Reformen zuzustimmen, faktisch zum Stillstand gekommen. Sie seien nicht bereit, über die auch von Rürup unterbreiteten strukturellen Reformen zu diskutieren, wodurch eine »folgenschwere Schädigung der Koalitionsregierung« drohe.141 Der ÖGB antwortete, er sei von Anfang an nicht bereit gewesen, »aus aktuellen Budgetproblemen« eine Pensionsdebatte zu führen. Man sei durchaus »verhandlungsbereit, aber nicht in Verknüpfung mit einer Budgetkonsolidierung«.142 Und auch bei den Verhandlungen mit der ÖVP-dominierten Beamtengewerkschaft unter deren Chef Siegfried Dohr wurden in der Frage der Durchrechnung und der Abschläge bei Frühpensionen keine Fortschritte erzielt. Die Realverfassung der österreichischen Innenpolitik wurde am 2. September sichtbar, als die Bundesregierung nach einer neuerlichen Verhandlungsrunde mit den Sozialpartnern erklären musste, dass die ursprünglich geplante Pensionsreform nicht realisiert werden könne. Sozialministerin Hostasch konnte nicht, wie geplant, die entsprechenden Gesetzestexte zur Begutachtung verschicken. Die Stimmung 140 Die Presse 26./27.7.1997. S. 1. 141 SN 138.1997. S. 2 ; Der Standard 13.7.1997. S. 1 und 5. 142 Kurier 137.1997. S. 3.
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zwischen den Koalitionsparteien wurde angespannt, wobei sich vor allem bei der ÖVP zunehmend Frust über die Haltung von ÖGB und AK und die mangelnde Durchsetzungsfähigkeit der SPÖ-Regierungsmitglieder breit machte. So erklärte ÖVP-Generalsekretärin Maria Rauch-Kallat : »Der ÖGB will die Pensionsreform auf die lange Bank schieben, das ist für uns unakzeptabel.«143 Bundeskanzler und Vizekanzler unternahmen in der kurz vor dem Scheitern stehenden Reformdebatte den Versuch, wesentliche Bereiche der Reform doch noch zu retten und das Scheitern der Regierung am Widerstand von ÖGB und AK sowie den damit verbundenen Imageverlust zu verhindern und schalteten sich am 8. September direkt in die Verhandlungen ein, um den geplanten Ministerratsbeschluss am 7. Oktober doch noch zu ermöglichen. Viktor Klima demonstrierte Durchsetzungswillen und beeilte sich zu betonen, dass die langfristige Pensionsreform noch in diesem Jahr im Parlament beschlossen werde.144 Die Diskussion erfuhr zwei Wochen später einen neuen Akzent, als Sozialministerin Lore Hostasch und Finanzminister Rudolf Edlinger die Gesetzesentwürfe zur Pensionsreform zur Begutachtung versandten. Die Entwürfe sorgten für erhebliche politische Turbulenzen, da sich in ihnen die völlige Kapitulation des Sozialministeriums vor ÖGB und AK dokumentierte und das Koalitionsklima einer neuerlichen Zerreißprobe ausgesetzt wurde. Obwohl die Beamtengewerkschaft die Durchrechnung bisher abgelehnt hatte, befand sich diese im Entwurf des Finanzministeriums. Der Vorsitzende der Gewerkschaft öffentlicher Dienst, Siegfried Dohr, bemerkte zu dem Entwurf, dass durch die Aussendung ohne Rücksprache mit der Gewerkschaft eine außergewöhnliche Situation entstanden sei. »Der Dienstgeber hat erstmalig die Spielregeln der Sozialpartnerschaft verletzt.«145 Im Entwurf des Sozialministeriums war hingegen die Verlängerung des Durchrechnungszeitraums für Frühpensionisten im ASVG-System nicht enthalten. Für politischen Zündstoff sorgte im Entwurf des Sozialministeriums zudem der Rechtsanspruch auf Bildungskarenz, der nie Gegenstand der Verhandlungen gewesen war. Nach dem Entwurf des Sozialministeriums sollten Arbeitnehmer alle drei Jahre für sechs bis zwölf Monate dem Betrieb für Weiterbildungsmaßnahmen fern bleiben können, wobei das Arbeitsmarktservice diese Zeit finanziell durch die Überweisung eines monatlichen Karenzgeldes in der Höhe von 5.565 Schilling unterstützten sollte. Wenn die Weiterbildung vom Arbeitsmarktservice als besonders wertvoll erachtet wird, sollte die monatliche Unterstützung auch höher ausfallen können. Zudem sollte es ein Rückkehrrecht in den Betrieb geben. In der ÖVP sowie in der Bundeswirtschaftskammer betrachtete man diese Entwürfe als Kampfansage und als 143 Die Presse 6.9.1997. S. 7. 144 Die Presse 9.9.1997. S. 1. 145 Kurier 20.9.1997. S. 2.
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Zeichen für die völlige Kapitulation der SPÖ vor ÖGB und AK. WirtschaftskammerGeneralsekretär Günter Stummvoll klagte : »Man entfernt sich stündlich von den Ruster Beschlüssen.« Nun komme es offensichtlich zu einer »Machtprobe zwischen Klima und Verzetnitsch«.146 Feuer ins Öl goss Bundeskanzler Klima, als er bemerkte, er habe durchaus Verständnis für die arbeitsrechtlichen Vorschläge der Frau Sozialminister. Doch Klima lavierte zwischen den Fronten und versuchte verzweifelt, den Widerstand von ÖGB und AK gegen zentrale Teile der geplanten Pensionsreform zu brechen. Am 23. September unternahm er nach einer Sitzung des Ministerrates einen neuerlichen Versuch, die sozialistischen Gewerkschafter von der Notwendigkeit einer Pensionsreform zu überzeugen. Bevor er sich in die Höhle des Löwen begab, erklärte er : »Wenn es zu spät ist, dann sind die Maßnahmen nur mehr mit Bruchlandung und nicht mit sanfter Landung möglich.«147 Erheblich drastischer kommentierte Bernd Rürup den Entwurf von Sozialministerin Hostasch und den massiven Widerstand von ÖGB und AK. Sollte die Ausdehnung des Durchrechnungszeitraumes für Frühpensionisten im ASVG-System nicht kommen, »dann würde ich nicht mehr von einer echten Pensionsreform reden«. Wenn die Regierung jetzt nachgebe, wäre eine permanente Verunsicherung der Bevölkerung die Folge. »Dann wird die Regierung alle zwei bis drei Jahre wieder eine Pensionsdebatte haben und Pensionsanpassungsgesetze machen müssen.« Die Durchrechung sei die andere Seite der Medaille der Abschlagsregelung und daher unverzichtbar.148 Der Korrespondent der »Neuen Zürcher Zeitung« kommentierte das Ringen um die Pensionsreform mit der Bemerkung, die Sozialpartner hätten »in letzter Zeit nicht den Eindruck erweckt, sie seien fähig, wesentliche Neuerungen aus eigenem Antrieb einzubringen«.149 Trotz der sich verstärkenden Widerstände seitens der Gewerkschaft beschloss der Ministerrat nach einem Verhandlungsmarathon mit den Sozialpartnern am 10. Oktober die Pensionsreform. Die Regierung kam in den Verhandlungen der Gewerkschaft entgegen und goss erhebliche Mengen Wasser in den Wein. So sollte die Pensionsbemessung nicht ab dem Jahr 2000, sondern erst ab dem Jahr 2003 in Kraft treten.150 Die Regierung begründete ihr Entgegenkommen mit dem gebotenen Vertrauensschutz für diejenigen, die fünf Jahre vor dem Antritt der Pension stehen. 146 Kurier 20.9.1997. S. 2. 147 Die Presse 24.9.1997. S. 7. 148 SN 22.9.1997. S. 2. 149 Beat Ammann : Aufruhr und Freiheit – Mangelware in Österreich. Grenzen der Suche nach Harmonie bei der Pensionsreform. – In : NZZ 27./28.9.1997. S. 7. 150 Ab diesem Zeitpunkt sollte bis zum Jahr 2020 der Durchrechnungszeitraum zur Bemessung der Pension von bisher 15 auf 18 Jahre erhöht werden, d. h. eine zweimonatige Erhöhung pro Jahr erfolgen. Für Beamte wurde ab dem Jahr 2003 ein bis 2020 fixierter Durchrechnungszeitraum (Verlängerung um jeweils ein Jahr) an Stelle der bisherigen Regelung (80 Prozent des Letztbezugs) eingeführt. Abschläge beim vorzeitigen Gang in die Frühpension sollten hingegen bereits ab dem Jahr 2000 gelten.
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Von einer endgültigen Zustimmung der Gewerkschaft zu dem Ministerratsbeschluss konnte zu diesem Zeitpunkt jedoch keine Rede sein. Massive Bedenken wurden vor allem von der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst (GÖD) geäußert, deren Vorsitzender Siegfried Dohr wissen ließ, dass die von der Regierung offerierte Lösung keineswegs die Zustimmung seiner Gewerkschaft finde. Und ÖGB-Präsident Fritz Verzetnitsch betonte, er könne den von der Regierung verkündeten Verhandlungsergebnissen »ganz klar nicht zustimmen«.151 Am 14. Oktober lehnte der Zentralvorstand der GÖD die von der Regierung beschlossene Pensionsreform einstimmig ab, wobei besonders die geplante Einführung eines Durchrechnungszeitraumes bei der Pensionsbemessung für massive Unmutsäußerungen sorgte. Dies könne nicht ohne die gleichzeitige Veränderung der Lebensverdienstsumme erfolgen, betonte der designierte Vorsitzende der GÖD, Fritz Neugebauer. Für Empörung sorgte zudem, dass in den Augen der GÖD die Regierung eine Pensionsreform im Bereich der Beamten beschlossen habe, zu der überwiegend negative Stellungnahmen eingelangt seien. Neugebauer betonte die überfraktionelle Kampfbereitschaft seiner Organisation. Die Beamten in sämtlichen Parlamentsfraktionen würden die vorliegende Pensionsreform nötigenfalls im Parlament zu Fall bringen, da diese Verfassungsbestimmungen enthalte, für die eine Zwei-Drittel-Mehrheit erforderlich sei. Und schließlich würde die Beamtenschaft auch über erhebliches wahlpolitisches Gewicht verfügen. »[…] man wird eine gute Million Österreicher, das sind die öffentlich Bediensteten und ihre Angehörigen, nicht übergehen können.«152 Die Nachricht vom Beschluss der GÖD sorgte regierungsintern, vor allem jedoch innerhalb der ÖVP, für erhebliche Unruhe und Irritation. Parallel zur Sitzung des Zentralvorstandes der GÖD fand eine Tagung des ÖVP-Parlamentsklubs in Telfs statt, dessen Beratungen bei Bekanntwerden der Stellungnahme der GÖD für eine Krisensitzung unterbrochen wurden. Die Stimmung im ÖVP-Klub schwankte zwischen Fassungslosigkeit und der Aufforderung, die Konfrontation mit der Gewerkschaft aufzunehmen, um das Steuer des politischen Handelns nicht aus der Hand zu geben. Die GÖD sei nicht das Parlament, erklärte Wirtschaftskammer-Generalsekretär Günter Stummvoll. »Jetzt muss das Parlament entscheiden.« Würde man den Forderungen der Gewerkschaft nachgeben und weitere Abstriche machen, so würde ein solches Verhalten »die Reform zur Kosmetik werden lassen«. Vizekanzler Wolfgang Schüssel wies darauf hin, dass die Regierung ihre Arbeit nach mehr als 14-stündigen Beratungen mit den Sozialpartnern getan habe und nunmehr eine politische, d. h. parlamentarische, Entscheidung gefällt werden müsse.153 151 Die Presse 11.10.1997. S. 6. 152 Die Presse 15.10.1997. S. 1 ; Der Standard 15.10.1997. S. 1 und 7. 153 Die Presse 15.10.1997. S. 7.
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Bereits am folgenden Tag erfolgte auch die negative Stellungnahme des Bundesvorstandes des ÖGB zur Pensionsreform. Der Bundesvorstand lehnte zentrale Teile der geplanten Pensionsreform mit der Begründung der sozialen Härten und der sozialen Folgen der Durchrechung für die Betroffenen ab. Die Verhandlungen stünden unter keinem Zeitdruck und sollten nochmals aufgenommen werden, um als unbedingt notwendig erachtete Modifikationen vorzunehmen.154 Geriet die ÖVP durch den Beschluss der GÖD in erhebliche innerparteiliche Turbulenzen, so die SPÖ durch den einen Tag später erfolgenden Beschluss des Bundesvorstandes des ÖGB. Der zu diesem Zeitpunkt in St. Wolfgang tagende Parteivorstand betonte, ähnlich wie der Koalitionspartner einen Tag zuvor, an dem gefassten Beschluss über die Pensionsreform festhalten zu wollen. Die Position der SPÖ war hingegen widersprüchlich, da deren Vorsitzender Viktor Klima im Vorfeld der Tagung des Parteivorstandes in St. Wolfgang vor Betriebsräten versichert hatte, dass die geplante Reform nicht gegen die Gewerkschaft realisiert werde.155 Und die Gewerkschaft, vor allem die GÖD, war zu einer Kraftprobe mit der Regierung entschlossen, wobei sie diese auf ihrem Gewerkschaftstag am 27./28. Oktober im Wiener Austria Center zu inszenieren gedachte. Bereits bei den Fraktionstagungen am Vormittag des 27. Oktober schlugen den erschienen Regierungsmitgliedern Spott, Hohn und wütende Ablehnung entgegen. Auf der Fraktionstagung der sozialistischen Gewerkschafter am 27. Oktober erklärte deren Vorsitzender Richard Holzer in Richtung von Bundeskanzler Viktor Klima und den für die Beamten zuständigen Staatssekretär Wolfgang Ruttenstorfer, man werde nicht akzeptieren, dass die Regierung die Entscheidung ohne die Gewerkschaft treffe. Holzer erhielt Unterstützung von ÖGB-Präsident Fritz Verzetnitsch, der betonte, man werde sich Aktionen gegen den Öffentlichen Dienst nicht gefallen lassen. In ebenso gereizter Stimmung fand 154 Der Bundesvorstand des ÖGB fasste am 15. Oktober 1997 folgenden Beschluss : »Der Bundesvorstand des ÖGB befasste sich heute ausführlich mit dem Bericht über die alle Pensionssysteme betreffenden Reformpläne der Bundesregierung vom 9. und 10. Oktober 1997 und den nachfolgenden Beratungen in den Gewerkschaften. Der Bundesvorstand fasste folgenden Beschluss : Der ÖGB bekennt sich zu einer langfristigen Absicherung der Pensionssysteme im Interesse der Generationen. Der ÖGB und die BAK haben im Rahmen des Begutachtungsverfahrens zu den Reformplänen, wie viele andere auch, eindeutig Stellung bezogen und stellen fest, dass diese Stellungnahme keinen ausreichenden Niederschlag im Ministerratsbeschluss vom 10. Oktober 1997 gefunden haben. Daher werden wesentliche Teile des Entwurfes – z. B. wegen sozialer Härten oder der Wirkung der Durchrechnung auf Betroffene – abgelehnt. Der ÖGB kritisiert den Zeitdruck, der für so langfristige Maßnahmen seitens der Bundesregierung zu diesem so wichtigen Reformvorhaben vorgegeben wurde. Im Wissen, dass notwendige Reformmaßnahmen von einer breiten Basis der Betroffenen akzeptiert werden müssen und unter Berücksichtigung, dass die Bundesregierung Lösungen nur gemeinsam mit den Sozialpartnern anstrebt, verlangt der ÖGB, dass in ausreichender Zeit seine Einwendungen in Verhandlungen mit der Bundesregierung derart gelöst werden, dass eine breitestmögliche Akzeptanz der Bevölkerung gewährleistet ist.« (Die Presse 16.10.1997. S. 6) 155 Der Standard 16.10.1997. S. 5.
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die Fraktionstagung der christlichen Gewerkschafter und des ÖAAB statt, bei der ÖAAB-Obmann Verteidigungsminister Werner Fasslabend mit Buhrufen und einem Pfeifkonzert begrüßt wurde. Mit massiven Unmutsäußerungen war am 28. Oktober die gesamte Regierungsspitze konfrontiert. Bundeskanzler Klima und Vizekanzler Schüssel befanden sich in der »Höhle des Löwen«, in der ihre Reden von gellenden Pfeifkonzerten und Buhrufen begleitet wurden. Wenngleich Viktor Klima Signale eines Entgegenkommens aussandte, indem er erklärte, die Regierung sei bereit, über die Vermeidung von Härtefällen weiter zu verhandeln, so war er angesichts der massiven Unmutsäußerungen nahe daran, seine Rede abzubrechen.156 Angesichts des massiven Widerstandes der Gewerkschaft minimierte sich der politische Wille der Bundesregierung, die beschlossene Pensionsreform in unveränderter Form dem Finanzausschuss (Beamtenpension) und Sozialausschuss (ASVG-Pension) des Nationalrates zur finalen Beratung vor der parlamentarischen Verabschiedung vorzulegen. Die Verhandlungen mit der Gewerkschaft wurden neuerlich aufgenommen, um ein Scheitern der parlamentarischen Beschlussfassung zu verhindern. Nach intensiven Verhandlungen mit der GÖD wurde am 3. November dem Finanzausschuss ein Abänderungsantrag zugeleitet, der das Pensionspaket der Beamten modifizierte. Diese Modifikation enthielt das am 2. November der GÖD unterbreitete äußerste Angebot der Bundesregierung : Die Auswirkungen des so heftig umstrittenen Durchrechnungszeitraums zur Pensionsbemessung wurden limitiert. Bezieher von Pensionen bis 10.000 Schilling (724 Euro) sollten nicht mehr als ein Prozent verlieren, Bezieher von Pensionen bis 28.000 Schilling (2.028 Euro) nicht mehr als sieben Prozent. Ab dem Jahr 2003 sollte stufenweise, an Stelle der bisherigen Regelung von 80 Prozent des Letztbezuges, bis zum Jahr 2020 der Durchrechnungszeitraum zur Pensionsbemessung für Beamten in Frühpension auf 18 Jahre und für die übrigen auf 15 Jahre angehoben werden. Hinzu traten Zugeständnisse im Bereich der Anrechnung der Kindererziehungszeiten sowie der Vordienstzeiten zwischen dem 15. und 18. Lebensjahr. Angesichts des Nachgebens gegenüber der GÖD wurde der am 3. November tagende Sozialausschuss mit Forderungen der Gewerkschaft bezüglich der ASVGVersicherten konfrontiert. Der ÖGB forderte, analog zu den Zugeständnissen gegenüber den Beamten, eine Deckelung der Pensionseinbußen in Form der Verschiebung der ab dem Jahr 2000 geplanten Abschläge für ASVG-Frühpensionisten (pro Jahr zwei Prozent) sowie die Gültigkeit der einheitlichen Steigerungsbeträge (Multiplikator für Pensionsbemessung) um jeweils drei Jahre. Die Regierung befand sich auf der ganzen Linie auf dem Rückzug. Die Gewerkschaft hatte das Kräftemessen für sich entschieden. Am 4. November stimmte der Zentralvorstand der GÖD mit 116 zu 12 Stimmen dem von der Regierung modifizierten Pensi156 SN 29.10.1997. S.1f.; Die Presse 28.10.1997. S. 7 ; Die Presse 29.10.1997. S. 7.
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onspaket zu. Wenige Stunden später folgte auch die Zustimmung des ÖGB-Präsidiums, nachdem die Regierung in einem SPÖ-internen Spitzengespräch im Bundeskanzleramt (SPÖ-Gewerkschafter Fritz Verzetnitsch und Rudolf Nürnberger, Klubobmann Peter Kostelka, Bundeskanzler Viktor Klima und die Bundesminister Rudolf Edlinger und Lore Hostasch) in letzter Minute der Forderung der Gewerkschaft nach einer Deckelung der Pensionseinbußen bei ASVG-Pensionisten im Ausmaß von höchstens 10 Prozent statt der ursprünglich geplanten 15 Prozent zugestimmt hatte, wobei allerdings die zweiprozentigen Abschläge bereits im Jahr 2000 beginnen sollten.157 Die Beschlussfassung im Nationalrat am 5. November erfolgte mit den Stimmen der Koalitionsparteien, die den getroffenen Kompromiss priesen und um einen Schulterschluss mit der Gewerkschaft bemüht waren. So erklärte ÖVP-Klubobmann Andreas Khol : »Man kann der Gewerkschaft nicht vorwerfen, dass sie die Interessen ihrer Mitglieder vertritt. Und es ist vertretbar, dass wir keine weiterreichende Reform ohne Zustimmung der Gewerkschaft gemacht haben. Dafür ist der soziale Friede gesichert.« Für SPÖ-Klubobmann Peter Kostelka hatte die Regierung mit der Pensionsreform sogar »Politik für die nächste Generation gemacht.«158 Kritische Beobachter bemerkten hingegen, dass angesichts der ungenügenden Maßnahmen die nächste Pensionsreform bereits ihre Schatten vorauswerfe. Bernd Rürup erklärte vor Vertretern der Pensionskassen die geplanten Einschnitte als unzureichend. »Die Reform konserviert den Status quo der über 50jährigen.« Die Ungerechtigkeit zwischen den Generationen sei keineswegs beseitigt und die Finanzierung des Pensionssystems sei aufgrund mangelnder struktureller Reformmaßnahmen in Zukunft keineswegs gesichert.159 Und auch die direkt involvierten Verhandler auf Regierungsseite sahen die verabschiedete Pensionsreform durchaus kritisch. So erklärte ein Verhandler der ASVG-Pensionen : »Da hat uns der ÖGB abgeräumt, das ist ein Wahnsinn.«160 Das ambitionierte Vorhaben wurde unter dem Druck der Gewerkschaft in wesentlichen Punkten zu Gunsten einer Ausdehnung und Erhöhung der Einnahmen und damit der Staatsquote sowie einer Reduzierung der Abschläge und Durchrechnungszeiten geändert, wodurch die strukturellen intergenerativen Ungerechtigkeiten nur geringfügig beseitigt wurden. Lediglich im Bereich der Beamten wurden strukturelle Änderungen durch die Einführung eines 15-jährigen Durchrechnungszeitraums erzielt.161 Kritisch konstatierte Alexander Janda, dass aufgrund 157 Zur Position von ÖGB und AK vgl. Gerald Reiter : Die Pensionsreform 1997. – In : Wirtschafts- und sozialpolitische Zeitschrift (WISO) 2/1998. S. 129 149. 158 Der Standard 6.11.1997. S. 6. 159 Die Presse 29.10.1997. S. 20. 160 SN 6.11.1997. S. 2. 161 Walter Tancsits : Die Pensionsreform 1997 – Ziele, Maßnahmen, Ergebnisse – eine kritische Würdigung. – In : ÖJP 1997. S. 475–504 ; Franz Marhold : Die Pensionsreform 1997 – Ziele, Maßnahmen, Ergebnisse – eine kritische Würdigung. – In : Ebda. S. 505–514.
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des Widerstandes von ÖGB und AK aus einem ambitionierten, auf eine Strukturreform zielenden Vorhaben, »ein ›Kosmetikkatalog‹ von oberflächlichen Retouchen und ›Kleinmaßnahmen‹ geworden ist. […] Aus Reformen werden Problemumwälzungen und Krisenvertagungen, aus der langfristigen Sicherung des Pensions- und Sozialsystems wird die kurzsichtige Angst vor der Verantwortung.«162 Die ÖVP hatte das sensible, jedoch für die Finanzierung des Wohlfahrtsstaates zentrale Thema Mitte der neunziger Jahre thematisiert und war im Wahlkampf 1995 an der populistischen Gegenstrategie der SPÖ gescheitert, für die Franz Vranitzky in einem berühmt-berüchtigten Pensionistenbrief dieser stärksten Wählergruppe versicherte, dass die Pensionen sicher seien und keinerlei Reformbedarf bestehe. Der politische Konkurrent beabsichtige mit seinem Ruf nach einer grundlegenden Reform des Pensionssystems einen »Rentenklau«, den die SPÖ als Garant der sozialen Sicherheit verhindern werde. Wenngleich sich diese Taktik bei der Nationalratswahl als erfolgreich erweisen sollte, so war man sich in Kreisen der SPÖ durchaus auch der Notwendigkeit von Reformen bewusst, scheute diese jedoch aufgrund des Widerstandes von ÖGB und AK in Angriff zu nehmen. Erst die Notwendigkeit der Erreichung der Maastricht-Kriterien sowie das aus dem Ruder zu laufen drohende Budget veranlassten die SPÖ 1997 zu einer, allerdings durch den Widerstand von ÖGB und AK stark verwässerten, Pensionsreform, deren Wirksamkeit von namhaften Experten bereits unmittelbar nach ihrer Beschlussfassung in Zweifel gezogen wurde. 1998 empfahl die Europäische Kommission eine Reduzierung der ausufernden Sozialtransfers und drängte vor allem auf eine grundlegende Reform im Bereich des Pensionssystems. »Längerfristig wird die Konsolidierung der jüngeren Fortschritte bei der Sanierung der öffentlichen Finanzen auch davon abhängen, ob die öffentlichen Ausgaben zur Stützung des Pensionssystems unter Kontrolle gehalten werden können.«163 Im August 1999 verzeichneten die österreichischen Sozialversicherungen 1.932.174 Pensionisten, davon 229.888 Frühpensionisten und damit einen Höchstwert in beiden Gruppen. Die Frage der Pensionssicherung wurde 1999 neuerlich zum Wahlkampfthema. Die geänderte Wettbewerbslogik sowie die historische Erfahrung veränderten dabei allerdings die bestimmenden Parameter. Nunmehr präsentierte sich auch die FPÖ als Konkurrent der SPÖ in der Frage der Pensionssicherung, wobei eine Lizitation der populistischen Enunziationen unvermeidlich und vorhersehbar war. Nach dem 162 Alexander Janda : Die Unvollendete vollenden. – In : Österreichische Monatshefte 6/1997. S. 4–7. S. 4f. 163 Zit. bei Christian Dirninger : Zum Wandel in der ordnungspolitischen Dimension der Finanzpolitik. – In : Ders., Jürgen Nautz, Engelbert Theurl, Theresia Theurl : Zwischen Markt und Staat. Geschichte und Perspektiven der Ordnungspolitik der Zweiten Republik. – Wien/Köln/Weimar 2007. S. 289–450. S. 426.
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Vorbild Franz Vranitzkys schrieb Jörg Haider einen Brief an rund 750.000 Pensionisten, in dem er sich als Garant sicherer Pensionen präsentierte und eine Verankerung der Pensionsleistungen in der Verfassung forderte. Dies rief die SPÖ auf den Plan, für die der Präsident des parteieigenen Pensionistenverbandes, der ehemalige Geschäftsführer und Innenminister Karl Blecha, empört erwiderte, durch die Pensionsreform des Jahres 1997 seien die Pensionen auf Jahrzehnte sicher und fügte hinzu, er werde nicht zulassen, dass 1,9 Millionen Pensionisten verunsichert werden. In diesem populistischen Wettlauf drohte die ÖVP unter die Räder zu geraten. Angesichts der Umfragewerte hätte ein Hinweis auf die dringende Notwendigkeit weiterer einschneidender Reformmaßnahmen im Bereich der Pensionen den politischen Selbstmord bedeutet, weshalb man sich zu einem halbherzigen Mitheulen im populistischen Chor entschloss. Der stellvertretende Parteiobmann Wilhelm Molterer erklärte, SPÖ und FPÖ würden in einem »frivolen Spiel der Verunsicherung« verantwortungslos »mit der Angst der älteren Menschen« spielen.164 Wenngleich man sich in der ÖVP über eine Neuauflage der unseligen Pensionistenbriefe und der darin enthaltenen hoch emotionalisierten Behauptungen, die sich einer notwendigen rationalen Diskussion verweigerten, verärgert zeigte, musste man als (politisch) gebranntes Kind den politischen Notwendigkeiten Zoll zahlen. Am 24. September nahm sich auch Parteiobmann Schüssel des Themas an, begab sich medienwirksam in ein Pensionistenheim und unterbreitete den anwesenden Insassen ebenfalls einen Brief, in dem es u. a. hieß : »Liebe Pensionistinnen und Pensionisten ! In diesen Tagen werden wieder Briefe verschickt, mit denen man Ihnen Angst machen will. Sie sollen sich um Ihre wohlverdiente Pension fürchten, weil man sich davon Wählerstimmen erhofft.« Bei einem Besuch eines Seniorenheims der Caritas Socialis am selben Tag bezeichnete er es als »schäbig und nicht richtig«, in der Endphase des Wahlkampfes Ängste und Emotionen zu schüren, und versicherte : »Unser Sozialnetz ist sicher. Basis dafür ist eine gesunde Wirtschaft.« Allerdings sei es notwendig, neben der staatlichen Pension zusätzliche Angebote zu offerieren, wie die steuerlich absetzbare Eigenvorsorge oder ein Zusatzpensionen ermöglichendes Abfertigungsmodell. Zudem sollten Mütter die Kindererziehungszeiten als pensionsbegründend angerechnet bekommen.165 Im selben Monat erklärte Bernd Rürup mit Blick auf den vor zwei Jahren beschlossenen Pensions-Torso, das österreichische Pensionssystem sei nach wie vor das teuerste der Welt und bedürfe dringend einer strukturellen Reform.166 Ähnlich ließ sich der Freiburger Nationalökonom Bernd Raffelhüschen, Leiter einer Staatsschulden-Studiengruppe der EU, vernehmen. »Die heutigen Erwerbstätigen und 164 Die Presse 24.9.1999. S. 1. 165 Der Standard 25./26.9.1999. S. 7. 166 Die Presse 21.9.1999. S. 19.
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Rentner haben einen ungedeckten Scheck auf die Generation, die um das Jahr 2030 im Berufsleben stehen wird, ausgestellt. […] Das Pensionsniveau ist in Österreich einfach zu hoch, liegt sogar über jenem in Deutschland und ist damit Weltspitze. Dazu kommt noch die extreme Frühverrentung in Österreich, das durchschnittliche Pensionsantrittsalter ist zu niedrig, viel niedriger als sonst wo. Das macht das System unfinanzierbar.«167 Unter Berücksichtigung der gegenüber den künftigen Generationen eingegangenen Verpflichtungen erhöhe sich der ausgewiesene Nettoschuldenstand Österreichs von 49,8 auf 192,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Strukturelle Gegenmaßnahmen, so Bernd Raffelhüschen und der Wifo-Experte Thomas Url, seien daher dringend geboten.168 Diese kritischen Hinweise wurden im Wahlkampf 1999 von SPÖ-Sozialministerin Lore Hostasch mit der Bemerkung aus der Diskussion genommen, dass dank der günstigen Beschäftigungslage kein Finanzierungsproblem für die Pensionen bestehe.169 Die Agenda einer Pensionsreform blieb jedoch, trotz aller folgenden Reformmaßnahmen, weiterhin auf der politischen Tagesordnung. In einem Gutachten stellte die Pensionskommission der Bundesregierung 2013 fest, dass alle bisher unternommenen Maßnahmen zur Hebung des tatsächlichen Pensionsantrittalters nicht die gewünschten Effekte gebracht hätten. Die Österreicher würden 2013 mit durchschnittlich 58,4 Jahren in Pension gehen. Würden keine grundlegenden Maßnahmen gesetzt, erhöhe sich das tatsächliche Pensionsantrittsalter bis 2060 auf 61 Jahre. In der Zwischenzeit erhöhe sich die durchschnittliche Lebenserwartung um 4,5 Jahre. Die Finanzierungsprobleme würden erheblich zunehmen. Wenngleich laut Gutachten der Pensionskommission die Zahl der Versicherten bis 2060 um 0,1 Prozent pro Jahr zunehmen werde, so steige die Zahl der ausbezahlten Pensionsleistungen jährlich um ein Prozent. Dies bedeute, dass statt 2,3 Millionen im Jahr 2013 im Jahr 2060 3,6 Millionen Pensionen ausbezahlt werden müssten.170 Der Zuschuss des Bundes steige zwischen 2013 und 2018 von 2,8 auf 3 Prozent und wachse bis 2025 auf 3,7 Prozent, um 2050 auf 5,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, d. h. um mehr als das Doppelte.171 Die OECD bemerkte kritisch, dass Österreich 2013 bereits mehr als elf Prozent seines Bruttoinlandsprodukts für Pensionen ausgebe. Dies 167 FORMAT 40/1999. S. 73ff. 168 Bernd Rürup und Bernd Raffelhüschen empfahlen das Modell des kapitalgedeckten Systems zusätzlich zum existierenden Umlagesystem, d. h. Einzahlungen in einen Fonds, der die Beiträge anlegen und Zinsen erwirtschaften sollte. Zu diesem Zweck wäre eine verpflichtende Privatvorsorge einzuführen. Eine Alternative wäre die Umwandlung der Abfertigung in Betriebspensionen, ein weitere die für Abfertigungen erforderlichen Rückstellungen in eine überbetriebliche Pensionskasse einzuzahlen, wobei diese Ansprüche auch bei Selbstkündigung aufrecht erhalten bleiben müssten. 169 SN 27.8.1999. S. 1. 170 Die Presse 26./27.10.2013. S. 16. 171 Der Standard 29.10.2013. S. 7.
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sei der dritthöchste Wert unter allen Industrienationen.172 Wifo-Chef Karl Aiginger bemerkte besorgt, dass angesichts des nur gering steigenden tatsächlichen Pensionsantrittsalters im Pensionssystem ein Milliardenloch entstehe, das nur schwer oder kaum zu finanzieren sei. Trotz aller getroffenen Maßnahmen bedürfe es daher weiterer Maßnahmen, um das faktische Pensionsantrittsalter deutlich zu erhöhen. IHS-Direktor Christian Keuschnigg und Bernd Rürup betonten, dass nicht nur das tatsächliche Pensionsantrittsalter, sondern auch das gesetzliche angesichts der demografischen Entwicklung erhöht werden müsse.173 Man habe bis Ende der 1990erJahre »den Fehler gemacht zu versuchen, Arbeitsmarktprobleme über das Pensionssystem, sprich : generöse Frühpensionierungsprogramme, zu lösen. Man dachte, man bekäme die Arbeitsmarktprobleme von Jüngeren in den Griff, indem man die Frühverrentung subventioniert. Das war und ist aber ein Fehler. Das Arbeitsvolumen ist keine gegebene Größe. Man kann es nicht zwischen Jung und Alt hin und her schieben, es muss in jedem Jahr neu erwirtschaftet werden. Zudem passen oft die Qualifikationen der Jungen nicht zu den Anforderungen der von den Älteren freigemachten Stellen. Wenn man einen Blick über die Grenzen wirft, wird man sehen, dass die Länder, die ein hohes Pensionsantrittsalter haben, in aller Regel keine hohe Jugendarbeitslosigkeit haben. Diese Frühverrentungsanreize wurden bei uns [in Deutschland, Anm. d. Verf.] weitgehend beseitigt und das hat dazu geführt, dass die Erwerbsbeteiligung Älterer sehr deutlich gestiegen ist. Heute gehen die Deutschen mit 64 in Alterspension und dennoch ist die Jugendarbeitslosigkeit gering.« Er habe die österreichische Bundesregierung beraten, sei jedoch über das Ergebnis keineswegs glücklich. Dies sei deshalb verständlich, da »entgegen den ursprünglichen Absichten der Regierung kaum 15 Prozent umgesetzt« wurden. Dennoch seien in Österreich wichtige Reformschritte gesetzt worden. »Man kann nicht sagen, es hätte einen pensionspolitischen Stillstand gegeben. Wolfgang Schüssel hat viel vorangebracht, auch wenn einiges wieder zurückgenommen wurde.« Dennoch werde »die Politik noch mehrere Reformschritte machen müssen«, wobei »die Voraussetzungen für Reformen schwieriger« würden. Trotzdem werde man letztlich um die Diskussion über eine Erhöhung des gesetzlichen Pensionsalters auf 67 Jahre nicht herumkommen, da man »das Verhältnis von durchschnittlicher Pensionslaufzeit und durchschnittlicher Beitragsdauer halbwegs konstant« halten müsse, um die Finanzierbarkeit des Systems zu erhalten.174 Die 2013 erfolgten Reaktionen auf die entworfenen Szenarios klangen durchaus vertraut. Der Obmann des SPÖ-Pensionistenverbandes, Karl Blecha, kommentierte die Berechnungen mit der Bemerkung, die Pensionsexperten würden eine »durch172 Kronen Zeitung 26.10.2013. S. 10. 173 SN 25.10.2013. S. 2. 174 SN 29.10.2013. S. 3.
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sichtige Kampagne« führen und nicht angebrachte Panik verbreiten. Man brauche »keine Pensionsreform, sondern eine Reform der Arbeitswelt«. Und Andreas Khol, inzwischen Obmann des ÖVP-Seniorenbundes, ließ sich ähnlich vermelden : »Die apokalyptischen Reiter sind wieder auf dem Weg.«175
175 Kurier 26.10.2013. S. 2.
IV.
Zwischen Neutralität und WEU/NATO Die Kontroverse über die Sicherheitspolitik
IV.1 Die geänderten Rahmenbedingungen der neunziger Jahre und die Fragwürdigkeit der Neutralität Der europäische Einigungsprozess im Bereich der EWG erfuhr 1969/70 eine neue Dimension, als sich die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsstaaten in Den Haag sowie in weiterer Folge die Außenminister in Luxemburg darauf einigten, die bisherige wirtschaftliche Zusammenarbeit durch eine außenpolitische zu ergänzen. Die damit ins Leben gerufene Europäische Politische Zusammenarbeit (EZP) führte in den siebziger und frühen achtziger Jahren nicht nur zu regelmäßigen Treffen der Außenminister, sondern bereits 1972 zum Plan der Schaffung einer vertieften Zusammenarbeit in Form einer Europäischen Union (EU). 1986 erfolgte der nächste folgenschwere Schritt in Form der Einheitlichen Europäischen Akte (EEA), mit der die angestrebte politische Zusammenarbeit ihre vertragliche Grundlage fand. Als drei Jahre später Österreich sein Beitrittsansuchen stellte, waren die Konturen einer vertieften außen- und vor allem sicherheitspolitischen Zusammenarbeit in der Europäischen Gemeinschaft (EG) noch kaum entwickelt, weshalb für die österreichische Außenpolitik zu diesem Zeitpunkt die Beibehaltung der Neutralität noch relativ problemlos vertretbar war.176 Die österreichische Außenpolitik nutzte die Änderung der politischen Rahmenbedingungen nach dem Ende des Kalten Krieges, um 1990 in einer Mitteilung an vier Signatarstaaten des Staatsvertrages die rüstungstechnischen (mit Ausnahme des in Artikel 13 enthaltenen Verbots von Massenvernichtungswaffen) und politischen Bestimmungen des Staatsvertrages für obsolet zu erklären. Die Signatarstaaten stimmten dieser Auffassung zu, wodurch die lange Phase der Sonderbeziehungen zwischen Österreich und den Signatarstaaten ein Ende fand und die österreichische Außenpolitik eine größere Bewegungsfreiheit erhielt, die es auch für
176 Vgl. dazu vor allem Michael Gehler : Der lange Weg nach Europa. Österreich vom Ende der Monarchie bis zur EU. 2 Bde. – Innsbruck/Wien/München/Bozen 2002. Bd. 1. S. 260ff .; ders.: Österreichs Weg in die Europäische Union. – Innsbruck/Wien/Bozen 2009. S. 102ff. Zur Position der Neutralität zu diesem Zeitpunkt vgl. vor allem Paul Luif : Die Integrationspolitik der europäischen Neutralen. – In : Anton Pelinka, Christian Schaller, Paul Luif : Ausweg EG ? Innenpolitische Motive einer außenpolitischen Umorientierung. – Wien/Köln/Graz 1994. S. 271–305.
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seine Bemühungen um die Teilnahme am europäischen Integrationsprozess durch einen Beitritt zur EG zu nutzen gedachte. Bis zum Beginn der eigentlichen Beitragsverhandlungen 1993/94 hatten sich die Rahmenbedingungen allerdings durch den zwischenzeitlich abgeschlossenen Vertrag von Maastricht grundlegend geändert. Der am 7. Februar 1992 unterzeichnete Vertrag von Maastricht sah die Schaffung einer vertieften Integration durch die Schaffung einer Europäischen Union (EU) und einer die bisherige Europäische Zusammenarbeit (EPZ) ablösenden Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GASP) vor. Zudem wurde die verstärkte Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres (Asylpolitik, Einwanderungsund Ausländerpolitik, Drogenbekämpfung und kriminalistische Zusammenarbeit in Form von EUROPOL) vereinbart. Mit dem Inkrafttreten des Vertrages über die EU 1993 erfolgte endgültig die Umwandlung der bisherigen EPZ zur GASP. Um die sicherheitspolitische Agonie zu überwinden und die als notwendig erachtete außenpolitische Zusammenarbeit zu vertiefen, war am 19. Juni 1992 eine in Petersberg bei Bonn vereinbarte Erklärung des WEU-Ministerrates erfolgt, der den Ausbau der verteidigungspolitischen Komponente der EU, der Westeuropäischen Union (WEU), zum europäischen Pfeiler der NATO vorsah. Die WEU sollte nicht mehr nur im Auftrag der UNO oder der KSZE Blauhelmeinsätze, sondern im Sinne eines eigenständigen Akteurs auch kriegerische Einsätze durchführen. Wenngleich diese Neudefinition mit »Frieden schaffenden« Maßnahmen umschrieben und an bestimmte Bedingungen geknüpft wurde, so waren die Intentionen der sogenannten »Petersberg Aufgaben« doch deutlich : Die neu definierten Aufgaben der WEU wurden schließlich in das EU-Vertragssystem übernommen. Die EU wollte sich nicht nur als ökonomischer, sondern auch als außen- und sicherheitspolitischer Faktor in der Weltpolitik positionieren. Diesem Ziel diente auch die noch 1992 erfolgte Verlegung des WEU-Sitzes von London nach Brüssel, wo in Anbindung an das NATO-Hauptquartier ein Planungsstab eingerichtet wurde. Die »Petersberg Erklärung« eröffnete durch ihre Bandbreite von Möglichkeiten eine selektive Teilnahme an solchen mit der NATO indirekt verknüpften Maßnahmen auch von Neutralen. Auf dem Ballhausplatz erkannte man diese Möglichkeit und bemühte sich bereits vor der Aufnahme von offiziellen Beitrittsverhandlungen mit der EU um einen Beobachterstatus bei der WEU. Wenngleich dieser Status erst nach dem Beitritt Österreichs zur EU erreicht wurde, so erfolgte bereits 1993 der Ausbau der österreichischen Beobachtungsgruppe in Brüssel zu einer Militärmission und Verteidigungsminister Werner Fasslabend gab im Dezember 1992 im Verteidigungsministerium die Prüfung von Möglichkeiten der Mitwirkung des Bundesheeres bei künftigen WEU-Missionen in Auftrag. Beim traditionellen Dreikönigstreffen der ÖVP am 6. Jänner 1993 forderte er nicht nur den Beitritt Österreichs zur EU, sondern auch zur WEU. Damit erfolgte im Schatten der intendierten EU-Beitrittsverhandlungen auch eine Debatte über die Zukunft der Neutralität.
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Hatte Bundeskanzler Franz Vranitzky in seinen Notizen für den Parteivorstand der SPÖ im April 1989 die Neutralität als unverzichtbar erklärt,177 waren SPÖ und ÖVP am 26. Juni 1989 in ihrer Parteienvereinbarung über die Vorgangsweise in der Integrationspolitik von der Beibehaltung der immerwährenden Neutralität ausgegangen178 und hatte Außenminister Alois Mock bei der Überreichung des Beitritts ansuchens am 17. Juli 1989 auf die Neutralität Österreichs als »Beitrag zur Aufrechterhaltung von Frieden und Sicherheit in Europa«179 hingewiesen, so war dieser Neutralitätsvorbehalt durch die Entwicklung der EG in Richtung EU hinfällig geworden, da sich der Rechtscharakter Brüssels zu ändern begann. Ein unter Neutralitätsvorbehalt erfolgender Beitritt zur EU war nach dem Vertrag von Maastricht kaum mehr möglich. Dies wurde auch seitens der österreichischen Bundesregierung und des Nationalrats zur Kenntnis genommen. In einem Memorandum an die Kommission betonte die österreichische Bundesregierung, dass ihr EG-Beitrittsansuchen vom 17. Juni 1989 als an die nunmehrige EU gerichtet zu verstehen sei, und die beiden Aide-Mémoires der Bundesregierung vom Februar und Juni 1992 erwähnten die Neutralität nicht mehr. Am 12. November 1992 bekannte sich der Nationalrat zu den Zielen des Vertrages von Maastricht und forderte die Bundesregierung auf, dafür zu sorgen, dass Österreich an der Entwicklung eines kollektiven europäischen Sicherheitssystems teilnehmen könne. In Wien hatte man die zahlreichen kritischen Stimmen jener EU-Staaten registriert, die sich angesichts der entstehenden sicherheitspolitischen Struktur gegenüber einem Beitritt neutraler Staaten vernehmen ließen. Am 1. Februar 1993 verabschiedeten die EU-Staaten eine Resolution, in der sie mit Hinweis auf den beabsichtigten Beitritt von Österreich, Finnland, Schweden und Norwegen darauf hinwiesen, dass ein Beitritt dieser Staaten sowohl den Zusammenhalt der Union wie auch ein effektiveres außen- und sicherheitspolitisches Agieren der Union fördern müsse. Die beitretenden Staaten müssten daher in vollem Umfang an der GASP partizipieren und deren Ziele ohne Vorbehalte übernehmen. 177 In Punkt 4 seiner Notizen für Präsidium und Parteivorstand der SPÖ im April 1989 bemerkte Vranitzky zur Neutralität : »Neutralität ist nicht nur militärische und völkerrechtliche, sondern auch politische. Kein Abrücken und keine Neuinterpretation. Dies muss bereits in einem Beitrittsansuchen und später in den Verhandlungen ganz klar gemacht werden. Wahrung der Neutralität und EG-Mitgliedschaft sind heute nicht unmittelbar vereinbar. Wir gehen jedoch davon aus, dass sie mit dem entsprechenden Willen seitens der EG vereinbar gemacht werden kann.« (Zit. bei Gehler : Österreichs Weg in die Europäische Union. S. 275) 178 In der Parteienvereinbarung vom 26. Juni 1989 hieß es : »Die beiden Parteien betonen die Bedeutung der immerwährenden Neutralität Österreichs als einen lebendigen Beitrag unseres Landes für Sicherheit, Stabilität und Zusammenarbeit in Europa. Für Österreich ist die Wahrung seiner immerwährenden Neutralität auch im Falle einer EG-Mitgliedschaft unabdingbar und muss daher in den Verhandlungen mit den Europäischen Gemeinschaften völkerrechtlich entsprechend abgesichert werden.« (Zit. bei Gehler : Österreichs Weg in die Europäische Union. S. 276) 179 Vgl. Gehler : Österreichs Weg in die Europäische Union. S. 284.
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Das Festhalten an einem Beitritt zur EU erforderte von Wien eine Neudefinition der Neutralität. In einem diplomatischen Spagat wurde eine Definition des gegenwärtigen und zukünftigen außen- und sicherheitspolitischen Status als ausschließlich innerösterreichische Angelegenheit erklärt, jedoch gleichzeitig die Bereitschaft betont, an der Weiterentwicklung der sicherheitspolitischen Strukturen der EU aktiv mitzuwirken.180 Im Laufe des Jahres 1993 erfolgte eine Neudefinition der Neutralität, indem diese auf einen Kernbestand – Nichtteilnahme an Kriegen und Nichtzugehörigkeit zu Militärbündnissen sowie Verbot von ausländischen Militärbasen auf österreichischem Territorium – reduziert wurde. In den parlamentarischen Materialien zum Beitritts-Verfassungsgesetz wurde darauf verwiesen, dass zwischen den Verpflichtungen als EU-Mitgliedsstaat auf der Basis des Vertrages von Maastricht und den Kernelementen der Neutralität kein Widerspruch bestehe.181 Bei den Beitrittsverhandlungen wurde, obwohl die offizielle Wiener Vereinbarkeitstheorie von Brüssel keineswegs geteilt wurde, die Frage der Neutralität als Verhandlungsgegenstand bewusst ausgeklammert. Die Interpretation der Neutralität, so die Erklärung der Bundesregierung, blieb Österreich allein überlassen. Im Bericht über die Ergebnisse der erfolgreich abgeschlossenen Beitrittsverhandlungen von Außenminister Alois Mock vor dem Parlamentsklub der ÖVP 1994 bemerkte dieser zum sensiblen Kapitel GASP : »In diesem Verhandlungskapitel ging es um die Sicherung der vollen Mitwirkung Österreichs an der GASP bei gleichzeitiger Wahrung des Neutralitätsstatuts unseres Landes. Da anfangs beträchtliche Vorbehalte gegen die EU-Mitgliedschaft eines neutralen Staates bestanden, erforderte die Durchsetzung dieses Anliegens eine intensive und systematische Überzeugungsarbeit in politischen Kontakten mit den EU-Partnern. Das am 21. Dezember 1993 erzielte Verhandlungsergebnis trägt der österreichischen Position voll Rechnung.«182 Dieses Ausklammern der Neutralität bei den Beitrittsverhandlungen öffnete jedoch in der Folgezeit unterschiedlichen Interpretationen des Kernbereichs der Neutralität Tür und Tor und setzte die Neutralität angesichts der an Dynamik gewinnenden sicherheitspolitischen Entwicklung der EU auf die politische Tagesordnung. Der konsensual im Beitrittsverfahren definierte Kernbestand der Neutralität – Nichtteilnahme an Kriegen, Freiheit von Militärbündnissen, keine ausländischen Militärstützpunkte auf österreichischem Territorium – wurde nach dem erfolgten EU-Beitritt durchaus unterschiedlich interpretiert. Während die vor allem in der
180 Gehler : Österreichs Weg in die Europäische Union. S. 115. 181 Thomas Mayr-Harting : Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP). – In : Robert Kriechbaumer (Hg.) : Österreich und Europa. Rückblick, Analysen, Zukunftsperspektiven. – Wien 2000. S. 202–217. S. 212 (Schriftenreihe des DDr. Herbert Batliner Europainstitutes. Forschungsinstitut für Europäische Politik und Geschichte. Herausgeber : Herbert Batliner, Erhard Busek). 182 Zit. bei Gehler : Der lange Weg nach Europa. Bd. 2. S. 675.
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ÖVP beheimateten Befürworter einer Mitwirkung an der GASP inklusive WEUund NATO-Beitritt darin keine Unvereinbarkeit mit der immerwährenden Neutralität Österreichs sahen, war eine Mitwirkung Österreichs an der GASP für die in der SPÖ beheimateten Verteidiger der Neutralität eingeschränkt, ein Beitritt zu WEU oder NATO hingegen überhaupt nicht möglich. »Wenn man die Neutralität auch in ihrem Kernbestand ernst zu nehmen wünschte, war an den eindeutig definierten ›Restbeständen‹ […] nicht vorbeizukommen.« Dies hatte zur Folge, dass »an der schwerlich vereinbaren Problematik der real-existierenden verfassungsmäßigen Fundierung der Neutralität und der gleichzeitigen Mitwirkungsabsicht an WEU, GASP und NATO kein Weg« vorbeiführte.183 Zunächst entschloss man sich jedoch abzuwarten, in welche Richtung sich die europäische Sicherheitspolitik nach Maastricht entwickeln würde. In dieser Situation eröffnete sich durch den Beschluss der NATO-Gipfelkonferenz im Jänner 1994 ein unverhoffter sicherheitspolitischer Ausweg für neutrale Staaten : Im Rahmen des NATO-Kooperationsrates wurde eine zu errichtende »Partnership for Peace« (PfP) präsentiert, an der auch Nicht-NATO-Staaten teilnehmen konnten. Diese beinhaltete eine breite Palette von Einsätzen unter der Autorität der UNO oder der KSZE unter Berücksichtigung verfassungsrechtlicher Vorbehalte sowie die Entwicklung kooperativer militärischer Beziehungen zur NATO. Da bereits unmittelbar nach dem erfolgten EU-Beitritt Österreichs bei den Beratungen der »Defence Representative Group« der WEU deutlich wurde, dass eine Integration des Landes in ein europäisches Verteidigungs- und Sicherheitssystem nur über eine NATOMitgliedschaft möglich sein würde, verschob sich das Schwergewicht der möglichen Kooperation in Richtung Teilnahme an PfP-Aktionen. Nach einer eher ablehnenden Haltung erklärte Bundeskanzler Franz Vranitzky im Vorfeld der Nationalratswahl 1994, Österreich werde der PfP beitreten. Mit dem zu Jahresbeginn 1995 erfolgten offiziellen Beitritt Österreichs zur PfP war Bundeskanzler Vranitzky auch bemüht, die aufbrechende Diskussion über einen möglichen NATO-Beitritt Österreichs zu kalmieren oder in der Hintergrund zu drängen. Für Österreich bedeutete der, wenn auch seitens des Bundeskanzleramtes nur zögerlich vollzogene Beitritt zur PfP, dass man zwar nicht Mitglied der WEU und der NATO war, aber nunmehr aufgrund der Integration in multinationale Stäbe und Planungsgruppen weitgehend so agieren musste, als wäre man Mitglied. Doch bereits im ersten Jahr der Mitgliedschaft bei der PfP wurden die unterschiedlichen politischen Positionen der Koalitionsparteien deutlich. Vor allem der linke Flügel der SPÖ um Klubobmann Peter Kostelka wollte die Teilnahme Österreichs an PfP-Aktionen ausschließlich auf den Informationsaustausch und Katastropheneinsätze begrenzt wissen und schloss jede militärische Kooperation aus, da dies eine engere Zusammenarbeit mit der NATO bedeutet hätte. 183 Gehler : Der lange Weg nach Europa. Bd. 1. S. 320.
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Durch die tiefgreifenden Veränderungen der weltpolitischen Konstellation sowie die Dynamik der EU stand daher die Frage der Beibehaltung der Neutralität nicht nur auf der Tagesordnung der österreichischen Beitrittsverhandlungen, sondern auch bei der Formulierung der österreichischen Außen- und Sicherheitspolitik nach dem erfolgten EU-Beitritt des Landes mit Jahresbeginn 1995. Das am 11. März 1996 zwischen SPÖ und ÖVP abgeschlossene Koalitionsabkommen sprach von einer gleichberechtigten Teilnahme Österreichs an europäischen Sicherheitsstrukturen und wies darauf hin, dass man sich mit dem Beitritt zur EU auch zur Teilnahme an einer gemeinsamen Verteidigungspolitik verpflichtet habe. Damit blieb die Vollmitgliedschaft bei der WEU nach wie vor auf der außen- und sicherheitspolitischen Agenda der Koalition. Dem Koalitionsabkommen entsprechend schloss Österreich, das mit seinem EU-Beitritt bei der WEU den Beobachterstatus erhalten hatte, in Ostende ein Sicherheitsabkommen, das den Austausch vertraulicher Papiere vorsah und als Schritt in Richtung einer WEU- und NATO-Beitrittsoption interpretiert wurde. Eine Klärung der bisher gepflegten sicherheitspolitischen Unklarheit und damit eine vorurteilsfreie und emotionslose Diskussion der Neutralität, darin waren sich Politiker beider Koalitionsparteien einig, stand auf der Tagesordnung eines notwendigen politischen Entscheidungsprozesses. Dabei war man sich bewusst, dass zwischen Neutralität und Integration variable Spannungen bestanden. »Neutralität war mit intergouvernementaler Politikkooperation und liberalisiertem Handel und graduell mit Marktintegration vereinbar, kaum allerdings mit supranationaler Politikintegration. […] Neutralität hatte viel mit staatlicher Identitätsbildung und nationaler Sinngebung zu tun. Nach außen diente sie als Abgrenzung (Irland : Großbritannien ; Österreich : Deutschland ; Schweden und Finnland : Sowjetunion/Russland ; Schweiz : die übrige Welt) ; nach innen trug sie zur Konsensfindung und Harmoniebildung bei, so bei Überbrückung der Gegensätze zwischen vormals antagonistischen politischen Lagern (Österreich) oder zur Einbindung zentrifugaler Kräfte, Schaffung eines Gleichgewichts zwischen unterschiedlichen Konfessionen oder Ausbalancierung ethnischer Interessengruppen (Schweiz). Neutralität setzte staatliche Unabhängigkeit nicht nur voraus, sondern hatte auch deren Beibehaltung zum Ziel. Mit Einschränkung der Handlungsspielräume der Staaten im Zuge von Europäisierung, Internationalisierung und Globalisierung verlor sie an Bedeutung. Damit drohte ein doppelter Nachteil, waren die Neutralen doch schon durch ihren Status in ihrem außenpolitischen Manövrierraum eingeschränkt. […] Neutralität ist mehr von außen als von innen bedingt. Ihre Wirksamkeit muss sehr von inneren Faktoren, z. B. der Verfasstheit einer Gesellschaft oder eines Staates abhängig sein, um sie in ungünstigen Zeiten nach außen auch verteidigen zu können. Entfallen die äußeren Bedingungsfaktoren bei fehlenden inneren Notwendigkeiten,
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entsteht ein innenpolitisches Legitimations- und ein außenpolitisches Glaubwürdigkeitsproblem, wie der Fall Österreich […] zeigte. Während Neutralität Enthaltung und Unparteilichkeit vorschreibt, verpflichtet das System der kollektiven Sicherheit, einer ›bellum iustum‹-Lehre in neuem Gewande, zu ›Solidarität‹ und ›Intervention‹. Beide Prinzipien sind komplementär : Je stärker das System der kollektiven Sicherheit, desto geringer ist der Spielraum der Anerkennung für Neutralität. […] Neutralität war im Europa der 1990er-Jahre in hohem Maße fraglich geworden. Politisch hatte sie beträchtlich an Bonität verloren, im juristischen Bereich ist der Realitätsbezug verloren gegangen.«184 Die außen- und sicherheitspolitische Doktrin der Neutralität stand angesichts der geänderten Rahmenbedingungen zur Disposition, wobei vor allem die ÖVP die vorurteilsfreie Diskussion sämtlicher neuer Optionen forcierte. Im Koalitionsabkommen 1996 war festgehalten worden, dass in Form eines bis zum Frühjahr 1998 zu erarbeitenden Optionenberichts alle Möglichkeiten einer künftigen österreichischen Sicherheitspolitik erörtert werden sollten, d. h. auch jene eines in Zukunft möglichen NATO-Beitritts. Für die ÖVP sollte diese Option vor allem auch mit Hinblick auf den von Brüssel intendierten Ausbau der GASP und der sich abzeichnenden Verschmelzung von WEU und NATO erfolgen. Die ÖVP vertrat die Auffassung, man müsse die sich im Zuge des EU-Beitritts ergebenden sicherheitspolitischen Konsequenzen offen diskutieren und dürfe auch nicht davor zurückschrecken, im Zuge einer Einbettung in eine europäische Sicherheitsarchitektur vom Mythos Neutralität Abschied zu nehmen. Dies bedeutete aber auch das Eingeständnis, dass die österreichische Integrationspolitik unter bewusster Ausblendung sicherheits-, d. h. auch neutralitätspolitischer, Fragen den Weg nach Brüssel beschritten hatte.185 Kritische Analysen kamen zu dem Befund, dass »die politischen Eliten Österreichs […] es tendenziell« vermieden hatten, »die neutralitätspolitischen Folgen ihrer Politik öffentlich zu artikulieren und offensiv zu diskutieren. Die sich aus dem EU-Beitritt ergebenden sicherheitspolitischen Konsequenzen war das österreichische politische System von 1995 bis 1998 weder bereit noch imstande zu ziehen.«186 Die Beibehaltung der Neutralität unter den geänderten und an Dynamik gewinnenden Rahmenbedingungen war zwar auf Grund der Stim184 Michael Gehler : Europa. Ideen, Institutionen, Vereinigung. 2. Aufl. – München 2010. S. 314ff. 185 Horst Pleiner : Österreich und die NATO am Ende des 20. Jahrhunderts. – In : Manfried Rauchensteiner (Hg.) : Zwischen den Blöcken. NATO, Warschauer Pakt und Österreich. – Wien/Köln/Weimar 2010. S.615–686. S. 629 : »Schon bei Beginn der konkreten Beitrittsverhandlungen mit der EU zeigte sich, dass die österreichischen Koalitionsparteien zu der Kernfrage Neutralität verschwommene, jedenfalls unterschiedliche Positionen einnahmen und offensichtlich gemeinschaftlich den Versuch unternahmen, gegenüber Brüssel und den EU-Mitgliedern sich anders darzustellen als in der Koalition und gegenüber der österreichischen Öffentlichkeit.« 186 Gehler : Österreichs Weg in die Europäische Union. S. 151.
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mungslage im Land populär, jedoch nichts anderes als das Praktizieren des Spruchs »Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass«. Diese selektive sicherheitspolitische Option vertrat vor allem der linke Flügel der SPÖ, wobei dessen traditioneller Pazifismus sowie aus der Ära des Kalten Krieges stammender Anti-Amerikanismus und die daraus resultierende Anti-NATO-Haltung eine Rolle spielten. Die Position der ÖVP formulierte deren Europaabgeordnete Ursula Stenzel in einem Beitrag zum »Österreichischen Jahrbuch für Politik 1996«. In diesem wies sie darauf hin, dass sich immer deutlicher das Entstehen einer neuen europäischen Sicherheitsordnung durch die Dynamik des europäischen Einigungsprozesses und die Wandlung der NATO abzeichne, der man sich im Sinne einer geforderten Solidarität durch die Beibehaltung einer obsolet gewordenen Neutralität nicht verschließen dürfe. »Ein Beitritt zur transatlantischen Sicherheitsgemeinschaft ist daher im zentralen Interesse Österreichs und seiner Nachbarn.« Zumal Österreich durch seine Teilnahme an UNO-Aktionen und durch seine Mitgliedschaft in der EU ohnedies längst eine »Ausnahme-Realität« praktiziere. »Österreich hat beim Beitritt zur EU den Vertrag über die Europäische Union unterzeichnet und sich mit den Artikeln J.1, J.2 und J.4 ohne Vorbehalt zu den Zielen der GASP bekannt. Im gleichen Vertrag von Maastricht wird die WEU, die Westeuropäische Union, als integraler Bestandteil der Entwicklung der Europäischen Union im Sinne einer der EU noch fehlenden Verteidigungskomponente bezeichnet. Gleichzeitig existieren Beschlüsse der WEU (u. a. in Rom 1984 und Den Haag 1987) zur Stärkung des europäischen Pfeilers der NATO. Das eigentliche Thema ist nicht mehr unsere Neutralität, das eigentliche Thema ist Österreichs Sicherheit in einer veränderten politischen Landschaft, und wie diese Sicherheit am besten gewährleistet wird.«187 Die EU sei im Begriff, »in Zusammenarbeit mit der NATO, der OSZE und unter Einbeziehung der […] WEU eine europäische Friedensordnung zu errichten«. Österreich müsse sich dessen bewusst sein, dass es nicht beides zugleich haben könne, »ein bisserl Sicherheit und ein bisserl Neutralität«. Vor dem Hintergrund des bevorstehenden NATO-Beitritts Tschechiens, Polens und Ungarns würde Österreich »auch auf wenig Verständnis bei unseren Nachbarn stoßen,« wenn sich das Land aus dem europäischen Sicherheitsprozess ausklinkt, »was angesichts unserer Verpflichtungen, die wir gegenüber der EU eingegangen sind, auch völlig unlogisch wäre«.188 Dieser Auffassung pflichtete auch der Leiter der Zukunfts- und Kulturwerkstätte der SPÖ, Josef Cap, bei, der bemerkte, die NATO sei im Begriff, sich von einem ausschließlich defensiven Militärpakt »zu einer friedenssichernden bzw. friedenschaffenden Einrichtung zur Bewältigung regionaler Krisen« zu entwickeln. »Daher ist nicht nur aus 187 Ursula Stenzel : Solidarität statt Abschreckung. Auf der Suche nach einer neuen europäischen Friedensordnung. – In : ÖJP 1996. – Wien/München 1997. S. 223–234. S. 223f. 188 Stenzel : Solidarität statt Abschreckung. S. 233.
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Gründen der Solidarität, sondern vor allem wegen des zu erwartenden Sicherheitsgewinnes ein Beitritt in Erwägung zu ziehen.«189 Die sicherheitspolitische Diskussion gewann im März 1997 an Dynamik, als Außenminister Wolfgang Schüssel mit Hinweis auf die Entwicklung der NATO sowie der europäischen Sicherheitsarchitektur auf eine rasche prinzipielle Entscheidung Österreichs noch vor dem für März 1998 koalitionär vereinbarten Optionenbericht drängte, wobei er sichtlich bemüht war, der SPÖ neutralitätspolitische Brücken zu bauen. Angesichts der NATO-Osterweiterung sollte sich Wien »bei der Teilnahme an einem sich abzeichnenden gesamteuropäischen Sicherheitssystem mit einer NATO neu für eine sehr spezielle Position […] entscheiden«. Dies könne nach all dem, was er »als Außenminister an Informationen und Hintergrundwissen gesammelt habe,« darin bestehen, dass Österreich bereits im Frühjahr signalisiere, es sei »an einem Beitritt zur NATO neu unter bestimmten Bedingungen« interessiert. Ein NATO-Beitritt »ohne Wenn und Aber« sei keine Option. Ebenso wenig jedoch die Haltung, dass »alles so bleibt wie es ist, beim status quo, wo Österreich draußen bleibt, von draußen hineinredet, aber letztlich doch mittut«. Er wolle daher mit Bundeskanzler Viktor Klima intensive Gespräche »ohne Tabus« führen, mit dem Ziel, eine gemeinsame sicherheitspolitische Linie zu erarbeiten. Diese könne darin bestehen, dass Österreich der NATO inklusive der wechselseitigen Beistandsverpflichtung beitritt, »ohne dass die Neutralität dadurch völlig obsolet« würde. Die österreichische Besonderheit sollte darin bestehen, dass das Land zwar seine Beistandspflicht im Falle eines Angriffs auf ein NATO-Mitglied einhält, sich jedoch nicht an Aktionen beteiligt, »wenn irgendwo in Afrika oder Asien in einen Konflikt eingegriffen wird«. Dabei müsse klar sein, »dass die Neutralität im Beistandsfall weg ist,« denn in einem solchen Fall müsse »die Neutralität dem Prinzip der Solidarität weichen«. Zudem sollte sichergestellt sein, »dass keine fremden Truppen auf österreichischem Territorium stationiert werden und auch keine Atomsprengköpfe.«190 Vorsichtige Unterstützung erhielt der Vorstoß Schüssels durch den sozialdemokratischen EU-Abgeordneten Hannes Swoboda, der seiner Partei empfahl, einen Beitritt zur NATO neu und auch zur WEU »nicht auszuschließen«, sondern »offen zu lassen«. In deutlichem Gegensatz zu Schüssel betonte er jedoch, dass »ein solcher Schritt mit der völligen Aufgabe der Neutralität verbunden werden müsse.«191 Bundeskanzler Viktor Klima hielt sich angesichts des sich abzeichnenden erheblichen innerparteilichen Widerstandes gegen einen NATO-Beitritt und die Aufgabe der Neutralität bedeckt und verwies auf das Koalitionsabkommen, in dem die Erstellung eines Optionenberichts bis zum März 1998 vereinbart worden war. Man werde da189 Josef Cap : Österreich und die NATO. – In : ÖJP 1996. S. 235–242. S. 239. 190 Der Standard 18.3.1997. S. 5. 191 Der Standard 19.3.1997. S. 6.
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her ergebnisoffen und ohne Aufgeregtheit in dem noch verbleibenden Jahr an der Erstellung eines solchen Berichtes arbeiten. »Wir gehen ohne Vorbehalte an das Thema heran. Ich wünsche mir nur Ehrlichkeit. Solange es in der NATO die Beistandspflicht gibt, ist sie halt ein Militärbündnis, und da schließt das Neutralitätsgesetz einen Beitritt aus.«192 Damit wurden die Bruchlinien in der Koalition deutlich. Die SPÖ war keineswegs gewillt, die sicherheitspolitischen Optionen ergebnisoffen zu diskutieren, sondern stützte ihre mögliche Zustimmung zu einem NATO-Beitritt auf zwei letztlich illusorischen Prämissen : die NATO neu müsse sich des Charakters eines Militärbündnisses entledigen und das Neutralitätsgesetz solle, selbst angesichts der grundlegend geänderten politischen und sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen, nicht modifiziert werden. Diese Prämissen sollten auch vom Parteitag der SPÖ am 9. April 1997 zum Beschluss erhoben werden und damit die Regierungsmitglieder der Partei binden. Im Vorfeld des Parteitages erklärte Klubobmann Peter Kostelka, der Parteitag werde Passagen des sogenannten »Vranitzky-Fischer-Papiers« zum Beschluss erheben, in dem es hieß : »Wir lehnen aber eine automatisierte Verpflichtung österreichischer Soldaten zur Teilnahme an Einsätzen der NATO ab. Österreich hat auf absehbare Zeit keinen Grund, einem Militärpakt beizutreten und zu diesem Zweck seine Neutralität zu opfern.« Wenn sich die NATO »total ändert, kein Militärbündnis mehr ist, wenn der Artikel 5 weg ist [die Beistandsverpflichtung, Anm. d. Verf.], dann ist alles möglich, dann schließen wir keine Option aus«, so Kostelka.193 Nationalratspräsident Heinz Fischer betonte, dass der Entwurf für einen Parteitagsbeschluss zur Außenund Sicherheitspolitik zwar ein Bekenntnis zur europäischen Solidarität enthalten werde, jedoch ein – zumindest vorläufiges –- »Nein« zu einem NATO-Beitritt beinhalte.194 »Derzeit gibt es für uns keinen Grund, der NATO beizutreten.« Die NATO 192 Kurier 26.3.1997. S. 3. 193 Die Presse 26.3.1997. S. 4. In Artikel 5 des NATO-Vertrages heißt es u. a.: »Die Parteien vereinbaren, dass ein bewaffneter Angriff gegen eine oder mehrere von ihnen in Europa oder Nordamerika als Angriff gegen sie alle angesehen werden wird.« Im Falle eines Angriffs auf ein Mitgliedsland muss diesem von allen Beistand geleistet werden, indem jedes Land »unverzüglich für sich und im Zusammenwirken mit anderen Parteien die Maßnahmen, einschließlich der Anwendung von Waffengewalt, trifft, die es für erforderlich erachtet, um die Sicherheit des nordatlantischen Gebietes wiederherzustellen und zu erhalten.« Der Einsatz der Truppen wird vom NATO-Rat unter Vorsitz des Generalsekretärs einstimmig beschlossen und festgelegt. In der WEU ist der Artikel 5 im Sinne einer Beistandsautomatik formuliert, d. h., von den Mitgliedsstaaten müssen bestimmte Truppenkontingente der WEU gemeldet werden, die im Ernstfall umgehend zum Einsatz kommen. 194 In dem Entwurf hieß es u. a.: »1. Neutralität. Österreich hat […] bewiesen, dass es bereit und in der Lage ist, seine Verpflichtungen aus der Neutralität, als Mitglied der Europäischen Union und aus seiner Zugehörigkeit zu anderen internationalen Organisationen (wie z. B. Beispiel UNO, OSZE, Europarat, etc.) in vertragstreuer, sinnvoller und solidarischer Weise wahrzunehmen. 2. Solidarität. Die Regierungsparteien haben im Koalitionspakt auf die Verpflichtungen zur Europäischen
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werde auch bei ihren auf dem NATO-Gipfel im Juni 1997 in Madrid zu erwartenden Beschlüssen die Beistandsverpflichtung nicht aus dem Vertrag streichen. Ebenso sei »nicht beabsichtigt, Vollmitglieder aufzunehmen, die die Beistandsverpflichtung nicht unterschreiben«.195 Die neutralitätspolitischen Beschlüsse des SPÖ-Parteitages entwarfen die Konturen der folgenden Konfrontation der Koalitionsparteien und das Scheitern einer emotionslosen analytischen sicherheitspolitischen Debatte, die in den Optionenbeschluss münden sollte. Bedauernd bemerkte Hannes Swoboda zu den Beschlüssen des SPÖ-Parteitages, diese seien auch durch den Vorstoß von Außenminister Schüssel zustande gekommen. Dieser habe nämlich die »notwendige Sicherheitsdebatte in der SPÖ« verhindert. Es sei in der Partei wiederum zu einer »großen Solidarisierung jener gekommen, die sagen : ›Neutralität for ever‹.« Dabei habe es in der SPÖ einige gegeben, die nur allzu gerne von diesem isolationistischneutralen Kurs abweichen wollten, denn die Neutralität sei mittel- bzw. langfristig »nicht haltbar«.196 Andreas Koller bemerkte vor dem Hintergrund des KooperatiSolidarität ebenso verwiesen wie auf die völkerrechtlichen Verpflichtungen Österreichs. Österreich wird innerhalb der EU im Rahmen seiner Möglichkeiten am Aufbau bzw. an der Stärkung einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik mitwirken. Im Interesse einer weiteren Konvergenz von EU und WEU wird Österreich im Rahmen der Regierungskonferenz unter anderem dafür eintreten, dass die WEU für die sogenannten ›Petersberger Aufgaben‹ ausdrücklichen Richtlinien oder Instruktionen der Union unterstellt werden kann. […] 4. Partnerschaft. Österreich beobachtet mit Interesse und Sympathie neue Entwicklungen innerhalb der NATO, die erkennen lassen, dass die NATO nicht nur ein Militärbündnis auf der Basis kollektiver Verteidigung ist, sondern mit Hilfe flexibler Strukturen um neue Antworten auf Fragen der europäischen Sicherheit bemüht ist. Die NATO arbeitet an neuen Strukturen des Krisenmanagements, des Peace keeping, und bemüht sich um verstärkte Konsultationen zwischen Mitgliedern und Partnern. Daher treten wir für die weitere aktive Teilnahme Österreichs an der NATO-Partnerschaft für den Frieden gemeinsam mit zahlreichen anderen Staaten Westeuropas, Mitteleuropas sowie Osteuropas einschließlich Russlands ein. 5. Autonomie. Österreich muss sich in einem Sicherheitssystem von Fall zu Fall das Recht vorbehalten können, an gemeinsamen Aktionen teilzunehmen oder nicht. Eine solche Option muss es geben, solange es militärische Konflikte gibt. Wir lehnen aber eine automatische Verpflichtung österreichischer Soldaten zur Teilnahme an Einsätzen der NATO ab. Österreich hat auf absehbare Zeit keinen Grund, einem Militärbündnis beizutreten und diesem Zweck seine Neutralität zu opfern. Die Behauptung, dass die Österreicher sich bereits durch eine Ja-Stimme beim Referendum vom Juni 1994 für den Beitritt zu einem Militärpakt ausgesprochen hätten, ist faktenwidrig und unhaltbar. 6. Gesamteuropäische Sicherheit. Sobald die Bemühungen um ein gesamteuropäisches Sicherheitssystem einen höheren Entwicklungsstand erreicht haben und […] die Gefahr neuer Blockbildungen weitgehend überwunden ist, werden auch die bestehenden Militärbündnisse ihren Charakter weiter verändert haben und es wird danach Aufgabe Österreichs sein, die nächsten Schritte seiner Sicherheitspolitik auf dieser neuen Ebene zu definieren.« (Die Presse 27.3.1997. S. 4) 195 Kurier 2.4.1997. S. 2. 196 Die Presse 29.4.1997. S. 1.
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onsvertrages zwischen der NATO und Russland und der Schaffung des euro-atlantischen Partnerschaftsrats, mit denen ein Schlussstrich unter den Kalten Krieg gezogen wurde, zur Haltung der SPÖ verwundert : »Nationalratspräsident Heinz Fischer teilte mit, dass er noch immer auf eine ›europäische Sicherheitspolitik‹ warte – ohne Rücksicht darauf, dass diese in Form der NATO längst im Entstehen ist. Fischer warnte davor, in ein Bündnis zu gehen – ohne Rücksicht darauf, dass es ohne Beistand keine Sicherheit gibt. Vor allem nicht für Österreich, das noch keine Stunde seiner republikanischen Geschichte in der Lage war, sich allein zu verteidigen. […] Der sicherheitspolitische Kurs unseres Landes ist entscheidungs-überreif.«197 Wenngleich die Haltung der Bevölkerung zu der zum Mythos und zur österreichischen Lebenslüge avancierten Neutralität teilweise nach wie vor von reinen Fiktionen geprägt war, so fand sie doch zunehmend weniger Befürworter. Die Vorstellungen von der Neutralität im Mai 1997 (Antworten in Prozent):198 stimme damit überein
stimme damit nicht überein
Eine Abschaffung der Neutralität ist nur möglich, wenn Russland uns dies erlaubt
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Bei einem NATO-Beitritt müssen wir laut Vertrag unsere Rüstungsausgaben verdoppeln
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Bei einem NATO-Beitritt kann die Wehrpflicht abgeschafft werden
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Ein NATO-Beitritt verpflichtet uns, künftig Einsätze in einem neuen GolfKrieg oder in Afrika mitzumachen, ohne dass wir gefragt werden
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Wenn ein Land immerwährend neutral ist, dann sind die Vereinten Nationen, also die UNO, verpflichtet, diesem Land im Falle einer militärischen Bedrohung besonders beizustehen
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Die von Fessel-GfK im Mai 1997 durchgeführte Umfrage zu einem möglichen NATO/WEU-Beitritt ergab ein negatives Votum von 58 Prozent, während 37 Prozent einen solchen Schritt befürworteten, wobei die Mehrheit der Maturanten und Hochschulabsolventen zu den Befürwortern eines NATO-Beitritt zählten. Die Zahl der ablehnenden Antworten reduzierte sich jedoch auf 28 Prozent bei der Zusatzfrage, ob man auch dann gegen einen Beitritt sei, wenn die Neutralität für all jene Bereiche beibehalten würde, die von den NATO-Pflichten nicht erfasst sind. Andererseits reduzierte sich die Zahl der NATO-Befürworter auf 25 Prozent bei der Zusatzfrage, ob man auch dann für einen Beitritt sei, wenn damit die völlige Aufgabe der Neutralität verbunden wäre.199 Die Stimmungslage der Bevölkerung war in Be197 Andreas Koller : Wir sind Teil der Weltgeschichte. – In : SN 31.5. 1997. S. 2. 198 Fessel-GfK-Studie. Die Presse 28.5.1997. S. 3. 199 Ebda.
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wegung gekommen, die Zustimmung und das unbedingte Festhalten an der Neutralität lagen weit unter jenen 90 Prozent, die noch in den sechziger und siebziger Jahren zu diesem Thema ausgewiesen worden waren. Viktor Klima vermied eine klare Stellungnahme zu einer möglichen Neuorientierung der österreichischen Sicherheitspolitik. Anlässlich des NATO-Gipfels in Madrid Anfang Juli 1997 erklärte er, er wolle in der sicherheitspolitischen Debatte »von vornherein nichts ausschließen«, doch müsse für eine zielführende Diskussion zunächst der Optionenbericht abgewartet werden. Österreich arbeite aber bereits ohne NATO-Mitgliedschaft aktiv an der Entwicklung einer europäischen Sicherheitsarchitektur durch seinen Beitritt zum »Petersberger Abkommen« sowie zum EuroAtlantischen Partnerschaftsrat (EAPC) mit.200 Innerhalb der SPÖ werde eine unter seiner Leitung stehende Arbeitsgruppe gebildet, um ohne Tabus alle sicherheits- und außenpolitischen Optionen zu prüfen. Die Ergebnisse dieser Arbeitsgruppe würden die Grundlage der SPÖ-Positionen zum Optionenbericht bilden. Der Arbeitsgruppe gehörten der burgenländische Landeshauptmann Karl Stix, der Wiener Bürgermeister Michael Häupl, Bundesgeschäftsführer Andreas Rudas, Klubobmann Peter Kostelka, EU-Mandatar Hannes Swoboda, die österreichische Botschafterin in London, Eva Nowotny, die Abgeordneten Josef Cap und Alfred Gusenbauer sowie die Chefin des VSStÖ, Eva Czernohorszky, an. Außenminister Wolfgang Schüssel war in Madrid sichtlich um einen Brückenschlag zur in sich gespaltenen SPÖ bemüht und erklärte am Rande des NATO-Gipfels in Madrid am 9. Juli 1997, man brauche angesichts der durch die beschlossenen NATO-Erweiterung um Polen, Ungarn und Tschechien entstandenen neuen Situation in der Frage eines künftigen eventuellen NATO-Kurses »ein wenig Zeit, um die Dinge zu ordnen«. Die Erweiterung der NATO sei ein wesentlicher Schritt in Richtung NATO neu, die offen sei für weitere neue Mitglieder.201 Österreich habe ebenfalls eine Einladung bekommen, »wenn 200 Der Standard 8.7.1997. S. 5. 201 In der Madrider Erklärung der NATO hieß es u. a.: »Das Bündnis geht davon aus, dass es in den kommenden Jahren weitere Einladungen an Staaten aussprechen wird, […] wenn die NATO zu dem Schluss gelangt, dass die Aufnahme dieser Staaten den allgemeinen politischen und strategischen Interessen des Bündnisses dient, und dass die Aufnahme die europäische Sicherheit und Stabilität insgesamt verbessern würde. Um diesem Bekenntnis Substanz zu verleihen, wird die NATO aktive Beziehungen zu denjenigen Staaten unterhalten, die ein Interesse an der NATO-Mitgliedschaft bekundet haben, sowie zu den Staaten, die sich in Zukunft möglicherweise um eine Mitgliedschaft bemühen werden. Die Staaten, die bereits früher ein Interesse daran bekundet haben, NATO-Mitglieder zu werden, jedoch heute nicht eingeladen werden, Beitrittsgespräche zu führen, kommen weiterhin für eine künftige Mitgliedschaft in Frage. […] Kein europäischer demokratischer Staat, dessen Aufnahme die Ziele des Vertrages erfüllen würde, wird von diesen Erwägungen ausgeschlossen. Mit Blick auf die Beitrittsaspiranten würdigen wir mit großem Interesse die positiven Entwicklungen in Richtung Demokratie und Rechtsstaat in einer Reihe von südosteuropäischen Ländern, insbesondere Rumänien und Slowenien. […] Gleichzeitig würdigen wir die Fortschritte in Richtung größerer Stabili-
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auch nicht namentlich, sondern allgemein«. Ähnlich äußerte sich Bundeskanzler Klima. Er habe in Gesprächen mit mehreren Politikern am Rande des NATO-Gipfels festgestellt, dass Österreich als Mitglied jederzeit willkommen sei. Voraussetzung sei jedoch, dass in Österreich eine entsprechende Entscheidung falle. »Jetzt sind zuerst wir dran.« Sowohl der Bundeskanzler wie auch der Außenminister waren in Madrid um demonstrative Einigkeit bemüht. Schüssel betonte patriotisch : »Wir sind hier nicht zwei Lager, sondern wir sprechen mit einer Stimme. Wir sind ein rotweiß-rotes Camp, das Österreich vertritt.«.202 Die Befürworter eines NATO-Beitritts erhielten wenig später Unterstützung von Bundespräsident Thomas Klestil, der sich am 13. Juli im »Europastudio« des ORF für eine NATO-Beitrittsdebatte »offen, transparent und ohne Tabus« aussprach und aus seinem Herzen keine Mördergrube machte. Er teile die Ansicht nicht, dass Österreich ohnedies sicher sei, »wenn alle unsere Nachbarn der NATO beigetreten sind«. Wenn Österreich außerhalb einer Sicherheits- und Wertgemeinschaft stehe, hätte dies fatale Folgen für die Zukunft des Landes, denn die europäischen Planungen, etwa im Infrastrukturbereich, würden Österreich nicht berücksichtigen. Ein NATO-Beitritt sei mit der Neutralität nicht vereinbar, weshalb diese durch ein Verfassungsgesetz im Nationalrat abgeschafft werden müsse.203 Zwei Tage nach der Erklärung des Bundespräsidenten beschloss die ÖVP auf einem Sonder-Bundesparteivorstand die Option des NATO-Beitritts. Es gebe für eine künftige österreichische Sicherheitspolitik nur mehr zwei Optionen – »gemeinsam mit unseren Partnern im Rahmen der NATO mitzuwirken, oder allein zu bleiben.« Nach dem Ende des Ost-West-Konflikts habe die Neutralität »ihren Hintergrund und eigentlichen Adressaten in Europa verloren«. Daraus sollte ein Kleinstaat wie Österreich die Lehre ziehen, dass »nur ein Bündnis mit einer glaubwürdigen militärischen Komponente […] einen potentiellen Aggressor« abschreckt und »dem Friedensstifter die Mittel in die Hand (gibt), die er braucht, um den Frieden auch durchzusetzen«. Daher solle Österreich »der neuen NATO, der politischen Friedens- und Stabilitätsgemeinschaft unserer Partner, beitreten«. Österreich solle »auch der Westeuropäischen Union (WEU), der Verteidigungskomponente der Europäischen Union, als vollberechtigtes Mitglied beitreten«. Die Entscheidungen sollten »so getroffen werden, dass das Ziel einer Mitgliedschaft in der neuen NATO noch im Rahmen des laufenden Erweiterungsprozesses, also im Jahr 1999, verwirklicht werden kann«.204 tät und Zusammenarbeit, die die Staaten in der baltischen Region […] erzielt haben.« (Zit. bei Die Presse 10.7.1997. S. 5) 202 Die Presse 10.7.1997. S. 1 und 5 ; SN 10.7.1997. S. 2. 203 Kurier 14.7.1997. S. 1f.; Der Standard 14.7.1997. S. 1f. 204 Die Presse 15.7.1997. S. 5 ; Der Standard 15.7.1997. S. 5.
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Sowohl die Erklärung des Bundespräsidenten als auch jene des Bundesparteivorstandes der ÖVP beendeten schlagartig die kurze Phase gemeinsamer Sicherheitspolitik, da sich in der SPÖ der innerparteiliche Widerstand gegen einen möglichen NATO-Beitritt um Heinz Fischer, Caspar Einem und Peter Kostelka formierte. Die Parteilinke verabschiedete sich von der vorbehaltlosen Diskussion der sicherheitspolitischen Konsequenzen aus dem EU-Beitritt Österreichs und kehrte, wenn auch innerparteilich keineswegs unumstritten, zum strikten Neutralitätskurs zurück. Klubobmann Kostelka bemerkte in Richtung ÖVP : »Bei uns gibt es Leute, die es sich vorstellen können, wenn sich die NATO langfristig in eine bestimmte Richtung entwickelt, dass wir dazu gehen können. Aber gemeinsam ist der Standpunkt – jetzt und dieser NATO nicht. Schüssel hat vor der EU-Wahl gesagt, es sollte keinen Sprung vom 10 Meter-Brett ins NATO-Becken geben, ohne dass man geprüft hat, ob überhaupt Wasser drinnen ist. Genau diesen Sprung macht die ÖVP jetzt – und wir nicht.« Und Caspar Einem betonte, er »sehe derzeit keinen vernünftigen Grund für den Beitritt zu einem Militärpakt«.205 Heinz Fischer warnte die ÖVP in einem »Presse«-Interview, die Frage eines NATO-Beitritts zu einer Koalitionsfrage zu machen. »Das täte der Koalition nicht gut, das täte der ÖVP nicht gut.« Eine Verschiebung der Debatte bis nach der nächsten Nationalratswahl 1999 wäre durchaus möglich. Sollte die ÖVP jedoch auf einem NATO-Beitritt bestehen, fürchte sich die SPÖ keineswegs vor einem NATO-Wahlkampf 1999. Dabei hätte es die SPÖ sicherlich leichter als die ÖVP, die auf eine Abschaffung der Neutralität dränge. Österreich wäre gut beraten, zu den Maximen Kreiskyscher Außenpolitik zurückzukehren. Der Ballhausplatz sollte »ab heute, ab sofort« eine aktivere Außenpolitik betreiben. »Es gibt genug Defizitfelder. Man sollte nicht so viel Energie investieren, wie die Neutralität abzuschaffen ist«, sondern vielmehr eine konstruktivere und solidarische Außen- und Sicherheitspolitik betreiben und »nicht wie hypnotisiert auf den Eintritt in ein Militärbündnis warten«.206 In der ÖVP erkannte man die innenpolitische Tretmine eines NATO-Wahlkampfes und war bemüht zu versichern, dass diese sicherheitspolitische Option keine Koalitionsfrage sei. Verteidigungsminister Werner Fasslabend versicherte, die ÖVP werde »die Koalition sicher wegen der NATO-Frage nicht auflösen«. In der ÖVP hoffe man nach wie vor auf den Optionenbericht. Er gehe dabei »davon aus, dass es gelingen wird, eine konsensuale Lösung zu erzielen. Das war bei der EU so, und ich bin davon überzeugt, das wird auch bei der NATO so sein.«207 Die Hoffnungen auf eine konsensuale Lösung sollten jedoch nicht in Erfüllung gehen, da sich in der zweiten Jahreshälfte 1997 in der SPÖ die Ablehnungsfront ge205 Kurier 15.7.1997. 206 Die Presse 19./207.1997. S. 1. 207 Die Presse 24.7.1997. S. 6.
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gen einen NATO-Beitritt endgültig durchsetzte. Bundeskanzler Viktor Klima warnte gegen Jahresende 1997 vor einer von der ÖVP betriebenen »Ho-Ruck-Aktion« in Richtung NATO-Beitritt und SPÖ-Klubobmann Kostelka konnte keine Bedrohung Österreichs erkennen. Eine Krise wie in Slowenien könne das österreichische Bundesheer auch alleine meistern. Die sogenannte »NATO neu« sei nicht neu, sondern immer noch dem Blockdenken des Kalten Krieges verhaftet. Zudem zeige sich die Tendenz zu einem sicherheitspolitischen Agieren »out of area«. Dies sei dann »eine andere NATO, aber sicher nicht eine, der wir unbedingt angehören wollen«. Warum sollte sich Österreich für die Großmachtinteressen der USA oder Frankreichs engagieren ? Zudem müsse im Fall eines NATO-Beitritts das Verteidigungsbudget auf den Durchschnitt der Militärbudgets der NATO-Mitglieder angehoben, d. h. verdoppelt werden.208 Caspar Einem bemerkte, es zähle »zu den merkwürdigen Phänomenen der österreichischen Politik, dass gerade in Zeiten abnehmender militärischer Bedrohung des Landes, aber insbesondere in Zeiten, in denen es um entscheidende Schritte zum Aufbau eines gemeinsamen europäischen Hauses geht, manche meinen, Österreichs dringendstes Anliegen sei der NATO-Beitritt«.209 Ein NATO-Beitritt würde, so die Analyse der gesamten SPÖ-Linken, den Primat des Militärs über die Politik bedeuten. Denn auch die sogenannte »NATO neu« sei letztlich ein Militärbündnis mit dominanten militärischen Strukturen und Optionen. Für Österreich sei eine aktive Neutralitätspolitik à la Kreisky das Gebot der Stunde. Die von der SPÖ forcierte Neutralität sah diese als Kehrseite der Medaille einer gesamteuropäischen Friedenspolitik, die ihre Aufgabe vor allem in der Lösung von Konflikten bereits im Vorfeld habe und daher militärische Interventionen weitgehend überflüssig mache. Militärische Intervention sei nur die Ultima Ratio. Ein Engagement im Bereich der Friedenspolitik sei daher keineswegs ein sicherheitspolitisches Trittbrettfahren, sondern eine Teilnahme und ein Sich-Einmischen in politische Lösungen. Zudem habe Österreich durch seine Teilnahme an PfP-Aktionen sehr wohl seine Bereitschaft demonstriert, an einer europäischen Sicherheitspolitik auch aktiv mitzuwirken. Die Ablehnung eines NATO-Beitritts basiere jedoch auch, so Albrecht K. Konecny, auf einer »Portion ›Revanchismus‹ […], nämlich der Überzeugung, dass die verhängnisvolle Spaltung Europas während mehrerer Jahrzehnte nicht nur dem Kommunismus, sondern auch dem westlichen Militärbündnis anzulasten« sei.210 Ein in der SPÖ-Linken nach wie 208 Die Presse 29.12.1997. S. 1 und 4. Die Behauptung Kostelkas entsprach nicht den Tatsachen. Im Falle eines NATO-Beitritts hätten sich die Verteidigungsausgaben Österreichs nach Berechnungen des Verteidigungsministeriums und des Politologen Heinz Gärtner um 700 Millionen Schilling erhöht, d. h. von 0,85 auf 1,15 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Der NATO-Durchschnitt lag bei 2,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. 209 Caspar Einem : Gegenwind. Auf der Suche nach der sozialdemokratischen Identität. – Wien 1998. S. 145. 210 Albrecht K. Konecny : Keine neue Un-Sicherheitspolitik. – In : Die Zukunft 2/1998. S. 4–6. S. 4 ; vgl. dazu auch ders.: Europäische Verantwortung. – In : Die Zukunft 8/1997. S. 5–7.
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vor manifester und dominanter Anti-Amerikanismus, das Fortwirken des in den späten vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts von der nichtstalinistischen europäischen Linken favorisierten Projekts einer »Dritten Kraft«211 sowie die Thesen der revisionistischen Schule der US-amerikanischen Geschichtswissenschaft212 wurden in den Argumentationslinien deutlich sichtbar. Die NATO, auch die WEU, wurde als reines Instrument der US-Politik interpretiert. »Ist es nicht so, dass durch die permanente US-Präsenz und deren Mitspracherecht in Entscheidungen europäischer Regierungen ein Zusammenwachsen unseres Kontinents nur erschwert wird ? Verhindern die USA nicht dadurch den Selbstfindungsprozess der Europäer ? Die NATO lenkt uns von einer Entwicklung ab, die früher oder später ohnehin erfolgen wird, nämlich eine unabhängige und eigenständige Sicherheitspolitik, nicht nur der EU-Mitgliedsstaaten. Sondern aller europäischer Länder in Ost und West.«213 Der vom sozialdemokratischen NATO-Generalsekretär Solana unternommene Versuch, für diese eine neue Konzeption nach der weltpolitischen Wende 1989/90 zu formulieren, sei nämlich »nicht zuletzt auf amerikanischen Einspruch« hin »auf dem Papier geblieben. […] Bei aller Wertschätzung des transatlantischen Partners USA – so wenig wie wirtschafts- und handelspolitisch dessen Interessen mit denen Europas identisch sind, so wenig sind es die sicherheitspolitischen.«214 Die nunmehr in der SPÖ dominierende Position formulierte Heinz Fischer – mit dem Hinweis, dass die entsprechende Passage im Koalitionsabkommen vom März 1996 über eine gleichberechtigte Teilnahme Österreichs an europäischen Sicherheitsstrukturen nur auf Druck der ÖVP zustande gekommen sei : Da die SPÖ einer damit intendierten NATO-Mitgliedschaft Österreichs nicht zuzustimmen bereit war, habe man sich in Form eines Kompromisses auf die Erstellung eines Optionenberichts als zweijährige Nachdenkpause geeinigt, in der über alle Aspekte einer Weiterentwicklung der Außen- und Sicherheitspolitik erörtert werden sollte. Die ÖVP habe aber lediglich eine Position, die des NATO-Beitritts, forciert, der sich jedoch die SPÖ aus einer Reihe von Gründen nicht anschließen konnte. Mit dem Beitritt 211 Vgl. dazu Wilfried Loth : Die Teilung der Welt. Geschichte des Kalten Krieges 1941–1955. – München 2000. S. 201ff. 212 Die in den sechziger Jahren durch eine Reihe von Studien zum Kalten Krieg hervortretenden Revisionisten betonten die amerikanische Verantwortung für das Entstehen des Kalten Krieges. Die USA hätten sich, gestützt auf das Atomwaffenmonopol und die ökonomische Überlegenheit, gegenüber einem sich defensiv verhaltenden Stalin durch ihre Forderung nach einer »Politik der offenen Tür« aggressiv verhalten. Vgl. Gabriel Kolko : The Politics of War. The World and the United States Foreign Policy 1943–1945. – New York 1968 ; David Horowitz : Kalter Krieg. Hintergründe der US-Außenpolitik von Jalta bis Vietnam. 2 Bde. – Berlin 1969 ; Gar Alperovitz : Atomic Diplomacy. Hiroshima and Potsdam. The Use of the Atomic Bomb and the American Confrontation with Soviet Power. – New York 1965. 213 Marcus Strohmeier : Die Nato ist keine Alternative. – In : Die Zukunft 5/1997. S. 11–12. S. 12. 214 Konecny : Keine neue Un-Sicherheitspolitik. S. 6.
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zur PfP habe Österreich seine Bereitschaft zu partnerschaftlicher und solidarischer Zusammenarbeit unter Bewahrung seiner Neutralität bewiesen. Durch die Erweiterung der NATO habe sich das Bedrohungsszenarios Österreichs grundlegend verändert und das Land sei keineswegs ein sicherheitspolitischer Trittbrettfahrer, wenn es der NATO nicht beitrete, da es im Rahmen des von der Neutralität gegebenen Rahmens sehr wohl solidarisch handle. Solidarisches Handeln könne nicht nur im militärischen Sinn verstanden werden. In der NATO würden zudem, den Größenverhältnissen entsprechend, die Entscheidungen noch immer in Washington getroffen, sodass von einer europäischen Struktur der Verteidigungsgemeinschaft kaum gesprochen werden könne. Ein Beitritt zur NATO würde zudem die Verteidigungsausgaben des Landes erhöhen und sei mit der Aufgabe der in der Bevölkerung mental verankerten Neutralität verbunden.215 Wenngleich sich die politische Elite des Landes durchaus dessen bewusst sei, »dass nationale Eigenständigkeit in der Sicherheitspolitik eine Idee von gestern ist,« so Erich Reiter zu Jahresende 1997 mit Blick auf die Haltung der SPÖ, so gebe es »in Österreich Grenzen der Bereitschaft zur europäischen Solidarität, und zwar dort, wo die Neutralität letztlich in ihrem Kern betroffen wäre. Das ist der Beitritt zur NATO. […] Österreichisches Neutralitätsdenken – jedenfalls so, wie es heute existiert – hat mehr mit Pazifismus gemein als mit der Vorstellung wehrhafter Eigenständigkeit.«216 Im März 1998 bemerkte die »Neue Zürcher Zeitung« zur Haltung der SPÖ : »Für die meisten Sozialdemokraten – von wenigen Andersdenkenden abgesehen – ist die Vorstellung offenbar unerträglich, einem Militärbündnis beizutreten. Die NATO, so hört man oft, sei ein Produkt des Kalten Krieges und daher ungeeignet, im neuen Umfeld die zentrale sicherheitspolitische Rolle zu spielen. Sie hat überdies in sozialdemokratischer Sicht eine gravierende Schwäche : Sie ist abhängig von Amerika.«217 Mit ihren sicherheitspolitischen Argumenten betrieb die SPÖ in den Augen des Koalitionspartners auch unter dem Prätext des Schielens auf Umfragewerte und damit innenpolitische Stimmungsvorteile eine Fortsetzung der bisher praktizierten außen- und sicherheitspolitischen Unklarheiten. Der Bruch des außen- und sicherheitspolitischen Konsenses wurde im »Österreichischen Jahrbuch für Politik« des Jahres 1997 deutlich, in dem die unvermittelbaren Positionen aufeinanderprallten. Für die ÖVP war die sich 1997 verfestigende SPÖ-Position ein sicherheitspolitischer Retrotrend unter realitätsfernen Vorzeichen. Mit einer »Kombination von
215 Heinz Fischer : Österreichs Sicherheitspolitik im Hinblick auf NATO und WEU. – In : ÖJP 1997. – Wien/München 1998. S. 117–129. 216 Erich Reiter : Österreichs Sicherheitspolitik zwischen NATO und Neutralität. – In : NZZ 15.12.1997. S. 5 ; vgl. dazu auch Andreas Unterberger : Schmusekurs mit vielen Dissonanzen. – In : Die Presse SPEKTRUM 27./28.12.1997. S. If. 217 NZZ 14./15.3.1998. S. 3.
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blauäugigem ›Frieden schaffen ohne Waffen‹ mit einem eigenartigen Allianzappell über Russland an die gesamte Welt« beweise das SPÖ-Konzept für eine gemeinsame europäische Sicherheitsarchitektur ihre völlige Realitätsferne«.218 Die SPÖ und deren Vorsitzender agierten dabei jedoch durch das permanente Schielen auf Umfragewerte durchaus rational. Der Blick auf die in der Bevölkerung nach wie vor ungemein populäre Neutralität treibe sie »zur agitatorischen Hochform an«. Dabei demonstriere vor allem Viktor Klima in seiner Doppelfunktion als Bundeskanzler und Parteivorsitzender einen einzigartigen »bigotten Opportunismus«.219 Wolfgang Schüssel zeigte gegenüber der an der Neutralität orientierten Haltung der SPÖ wenig Verständnis und wies darauf hin, dass im Analyseteil des Optionenberichts auf den tiefgreifenden Wandel der NATO seit 1990 in Richtung Krisenmanagement und Entwicklung einer europäischen Sicherheits- und Verteidigungsidentität sowie Öffnung für neue Mitglieder verwiesen wurde. Das von Heinz Fischer vorgebrachte Kostenargument sei nicht stichhaltig, denn es sei für ihn aufgrund der Arbeiten am Optionenbericht sowie »zahlreicher Gespräche mit Politikern aus den EU-Staaten und aus den neuen Demokratien Zentral- und Osteuropas […] schon jetzt klar, dass Sicherheit im Verbund auf Dauer billiger kommt als Sicherheit im Alleingang.«220 Es sei zudem nicht sinnvoll, eine Politik des »Draußen vor der Tür« zu betreiben und letztlich nicht bei den entsprechenden Operationen mitentscheiden zu können. Und schließlich gegen den Versuch der SPÖ, die Begriffe »europäische Sicherheit« und NATO zu einem Gegensatzpaar zu stilisieren, wie dies in der Schlussphase der gescheiterten Verhandlungen über die Beschlussfassung des Optionenberichts geschah : »So ist etwa gesagt worden, dass sich Österreich nicht so viel mit der NATO beschäftigen, sondern lieber für den Aufbau einer ›eigenständigen‹ europäischen Sicherheits- und Verteidigungsidentität eintreten sollte. Ich weiß nicht, ob sich diejenigen, die so argumentieren, bewusst sind, dass das Wort von der ›europäischen Sicherheits- und Verteidigungsidentität‹ von der NATO geprägt worden ist. Im Rahmen des Berliner NATO-Ministertreffens vom Juni 1996 haben sich die 16 NATO-Mitglieder nämlich darauf geeinigt, dass sie diese ›europäische Sicherheits- und Verteidigungsidentität‹ innerhalb der NATO entwickeln wollen. Unter den 16 Staaten, die diesen Beschluss gefasst haben, sind auch elf unserer 14 EU-Partner. In diesen elf Partnerstaaten wird man der programmatischen Erklä-
218 Michael Girardi : Europäische Sicherheit statt Vulgär-Neutralismus. – In : Österreichische Monatshefte 3/1999. S. 25–27. S. 25. 219 Aurelius Freytag : Im Neutralitätsklimakterium. – In : Österreichische Monatshefte 3/1999. S. 22–24. S. 24. 220 Wolfgang Schüssel : Die Perspektiven der österreichischen Sicherheitspolitik. – In : ÖJP 1997. S. 131– 143. S. 135.
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rung, dass Österreich die NATO fürs erste außer acht lassen und statt dessen eine – von der Allianz völlig losgelöste – europäische Sicherheits- und Verteidigungsidentität aufbauen wolle, wahrscheinlich nicht besonders viel anfangen können.«221 Er habe durchaus Verständnis für diejenigen, die argumentieren, man solle abwarten, bis in der NATO das europäische Element dominant sei. »Wenn dann aber argumentiert wird, dass Österreich zuwarten sollte, bis dieser Prozess erfolgreich abgeschlossen ist, kann ich nicht mehr folgen. Warum sollten wir unbedingt in der ›Galerie‹ verweilen, bis unsere EU-Partner die Weichenstellungen, die auch wir für wichtig halten, für uns erstritten haben ?«222 Für Erich Reiter war ein Beiseitestehen Österreichs in der sich unter dem Mantel der NATO neu formierenden europäischen Sicherheitsarchitektur nur mit »autistischen Neutralitätsnostalgien« erklärbar.223 Zu Jahresbeginn 1998 wurde das bevorstehende Scheitern des Optionenberichts aufgrund der letztlich nicht vermittelbaren Positionen der Koalitionsparteien deutlich. Der stellvertretende SPÖ-Vorsitzende Heinz Fischer erklärte, er nehme »zur Kenntnis, dass sich die ÖVP wünscht, dass Österreich die Neutralität aufgibt und einem Militärpakt beitritt. Ich halte diesen Wunsch aber […] für nicht realisierbar. Das wird die ÖVP letztlich einsehen.« Auf die Frage, ob nicht die SPÖ, ähnlich wie beim EU-Beitritt, schließlich doch auf die Linie der ÖVP einschwenken werde, betonte er, dass man beide Fälle nicht miteinander vergleichen könne. »Die Mitgliedschaft in der Europäischen Union war in beiden Regierungsparteien nach dem Ende des Ostblocks unbestritten. Das ist bei der NATO nicht der Fall. Zweitens ist die EU-Mitgliedschaft nicht mit finanziellen Belastungen verbunden. Wir mussten auch nicht auf die Neutralität verzichten. […] Wir genießen als Mitglied der EU ein hohes Maß an Sicherheit, wir betreiben eine stabile Außenpolitik, wir sind Mitglied der Partnerschaft für den Frieden und verhalten uns international absolut solidarisch. Ich frage mich daher, warum sollen wir uns wie der Hans im Glück verhalten. Der hat bekanntlich Gold gegen Eisen eingetauscht.« Beim Optionenbericht habe man, im Gegensatz zu den Behauptungen der ÖVP, »keinen Entscheidungsdruck. […] Wir mussten weder 1997 eine Entscheidung treffen und wir müssen das auch nicht heuer. […] Die Idee des Optionenberichts wurde in der letzten Nacht der Koalitionsverhandlungen geboren, nach Mitternacht. In einem kleinen Gremium, das aus Vranitzky, Schüssel, Khol und mir bestanden hat. Die ÖVP wollte damals schon in die NATO
221 Schüssel : Die Perspektiven der österreichischen Sicherheitspolitik. S. 139. 222 Ebda. S. 141. 223 Erich Reiter : Die Konsequenzen für Österreich aus der sicherheitspolitischen Lage. – In : ÖJP 1997. S. 163–184. S. 163 ; vgl. ders.: Neutralität oder NATO ? Die sicherheitspolitischen Konsequenzen aus der europäischen Aufgabe Österreichs. – Graz/Wien/Köln 1996. Zur neutralitätspolitischen Diskussion in Österreich vgl. Gunther Hauser : Österreich – dauernd neutral ? – Wien 2002.
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oder wenigstens in die WEU hinein. Das hat die SPÖ nicht akzeptiert und daraufhin hat man sich mehr Zeit verschafft. Wir haben gesagt, lassen wir die Frage offen und analysieren wir einmal genau die Sicherheitsfrage. Das war eine gute und richtige Idee.«224 Zu Jahresende 1997 hatte SPÖ-Klubobmann Peter Kostelka anlässlich seines USA-Besuchs gegenüber seinen amerikanischen Gesprächspartnern erklärt, die SPÖ wolle, im Gegensatz zu ÖVP und FPÖ, mit einer Entscheidung über einen möglichen NATO-Beitritt bis nach der Nationalratswahl 1999 zuwarten. Die Haltung seiner Partei basiere vor allem auch auf historischen Gründen. Österreich sei für den Ausbruch des Ersten Weltkrieges verantwortlich gewesen und ein geborener Österreicher für den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges. In der österreichischen Bevölkerung herrsche daher das Gefühl des »nie wieder« vor und die Neutralität sei ein Teil der österreichischen Identität geworden, der die Politik Rechnung tragen müsse. Die SPÖ wolle daher im Optionenbericht lediglich einen österreichischen Beitrag an PfP-Plus festschreiben und die Überprüfung weiterer Optionen auf einen späteren Zeitpunkt verschieben.225 Trotz der deutlichen Signale aus der SPÖ gab man sich bei der ÖVP zu Jahresbeginn 1998 noch immer optimistisch, einen gemeinsamen Optionenbericht bis Ende März erstellen zu können. In einem »Presse«-Interview betonte Außenminister Wolfgang Schüssel, es könne »nur einen Bericht geben. Ich hoffe, seine Empfehlung wird eindeutig sein, dass das beste Maß an Sicherheit für Österreichs Bürger in der Westeuropäischen Union und der NATO zu finden ist. […] Ich bin zuversichtlich, dass es gelingt, mit dem Koalitionspartner zu einer Lösung zu kommen. Sonst wird es einen Optionenbericht geben, der getrennte Schlussfolgerungen aufweise.« Eine solche Lösung wäre jedoch nur die »Ultima ratio, wenn es wirklich keinerlei Konsens gäbe«. Für die ÖVP sei ein Hinweis auf »PfP-Plus »zu wenig«.226 ÖVP-Klubobmann Andreas Khol gab sich sicher und erklärte : »[Der] NATO-Beitritt Österreichs kommt wie das Amen im Gebet. […] Die SPÖ muss mehr Patriotismus finden und ihre Vorurteile überwinden. Mit der Realitätsverweigerung macht sie sich international zum Gespött. […] Das Skurrile und Bizarre an der Diskussion ist : Fischer und Kostelka wissen ganz genau, dass der NATO-Beitritt kommt. Sie setzen nur auf Zeit. Früher oder später kommt er. Dass er kommt, wissen alle Männer und der Bundeskanzler. Aber wie bei der Diskussion über das Parteiprogramm der SPÖ ist es auch hier : Der Minotaurus ist tot, aber man traut sich nicht, es den Kretern zu sagen. Zentralwirtschaft, Klassenkampf, das alles ist de facto über Bord geworfen, aber man wagt es nicht, den Wählern, den Funktionären das zu sagen. Die Neutralität hat ausgedient.«227 224 Der Standard 3./4.1.1998. S. 5. 225 Die Presse 22.1.1998. S. 6. 226 Die Presse 2.1.1998. S. 6. 227 Die Presse 8.1.1998. S. 6.
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Die Dramatik der Ereignisse nahm Anfang März 1998 deutlich zu. Im Rahmen einer Schweden-Reise erklärte Bundeskanzler Viktor Klima am 2. März, ein Beitritt zu einer Militärallianz werde die Sicherheit Österreichs nicht erhöhen,228 und erteilte damit einem NATO-Beitritt eine klare Absage. Wolfgang Schüssel hielt jedoch an der ÖVP-Position unverdrossen fest und betonte am 3. März 1998 nach dem Ministerrat, die Zeit sei »reif für einen NATO-Beitritt«. Wenn die SPÖ die Frage eines eventuellen NATO-Beitritts zeitlich weit nach hinten schieben wolle, brauche man mit der ÖVP überhaupt nicht zu verhandeln. »Da ist uns offener Dissens lieber.« Er werde jedoch alle Anstrengungen unternehmen, um in direkten Gesprächen mit dem Bundeskanzler doch noch zu einer Einigung zu kommen, denn im Ausland würde es »kein gutes Bild machen,« wenn die Regierung in einer so zentralen Frage nicht mit einer Stimme spreche. Die von der SPÖ offerierte bloße PfP-Plus (erweiterte NATO-Partnerschaft für den Frieden) sei für die ÖVP jedenfalls keine Option. »Das ist das, was wir jetzt schon machen, ohne es juristisch eingestanden zu haben.«229 Eine Woche später wurde Verteidigungsminister Werner Fasslabend nach dem Ministerrat noch deutlicher. In Stellvertretung des in China weilenden Wolfgang Schüssel erklärte er kategorisch : »Wenn keine grundsätzliche Weichenstellung für eine WEU- und NATO-Mitgliedschaft vollzogen wird, wäre das ein Anlass, dass es keinen Optionenbericht gibt. Besser kein Bericht als ein verwaschener Bericht.«230 Am selben Tag wurde das Nicht-zustande-Kommen des Optionenberichts deutlich, als Bundeskanzler Klima bei einem Treffen mit der SPÖ-Arbeitsgruppe zum Optionenbericht erklärte, ein Beitritt zur NATO greife zu kurz, weshalb er ihn nicht empfehlen könne. Das am 10. März verabschiedete SPÖ-Papier zum Optionenbericht schloss einen NATO-Beitritt aus und optierte für die Teilnahme an PfP-PlusAktionen, erklärte die Bereitschaft, die aus dem Amsterdamer Vertrag resultierenden Aufgaben zu erfüllen und die sicherheitspolitische Entwicklung Europas weiter zu analysieren und sich mit den daraus ergebenden Optionen auseinanderzusetzen.231 228 Die Presse 3.3.1998. S. 4. 229 Die Presse 4.3.1998. S. 4. 230 Die Presse 11.3.1998. S. 1. 231 Das SPÖ stellte fest : »Prämissen : Österreich steht derzeit in Bezug auf sicherheitspolitische Weichenstellungen unter keinem Entscheidungszwang. Österreich ist in der Lage, seinen Verpflichtungen aus der Neutralität, Zugehörigkeit zur Europäischen Union und zu anderen internationalen Organisationen in vertragstreuer, sinnvoller und solidarischer Weise wahrzunehmen. Die militärische Bedrohung ist auf ein sehr niedriges Niveau gesunken. Schlussfolgerungen : 1. Die SPÖ zieht unter den gegebenen Umständen eine Mitgliedschaft in der NATO nicht in Erwägung, wohl aber eine Teilnahme an PfP-Plus (für den Frieden) zum Zweck der Friedenssicherung, Friedenser-
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Wenngleich man seitens der ÖVP darauf hinwies, dass die Inhalte des Optionenberichts laut Koalitionsübereinkommen 1996 in einer Arbeitsgruppe der Regierung verhandelt werden müssten und nicht in der Arbeitsgruppe einer Partei, waren damit die Würfel in Richtung eines Nicht-zustande-Kommens des Optionenberichts endgültig gefallen. In letzter Minute unternahm Außenminister Wolfgang Schüssel noch den Versuch einer Kompromisslösung, indem er der SPÖ in der Frage der Terminisierung eines NATO-Beitritts entgegenkam. Er wolle im Optionenbericht lediglich »eine klare Zielformulierung« : »[Der] Zeitpunkt eines Beitritts muss aber nicht drinnen stehen. Ich bin ja kein Fundi, der sagt, es muss schon jetzt in der Sache entschieden werden.« In Richtung Koalitionspartner hielt er diesem das Verhalten der SPD gegenüber den Grünen vor Augen. In Deutschland lehne die SPD eine Koalition mit den Grünen ab, wenn sich diese nicht zu NATO und WEU bekenne.232 Zum Zeitpunkt der Erklärung Schüssels hielt jedoch niemand mehr in der Regierung die Verabschiedung eines Optionenberichts in der Ministerratssitzung am 1. April für wahrscheinlich. In dieser erfolgte aufgrund der massiven Differenzen zwischen ÖVP und SPÖ, die auch mehrere Vieraugengespräche zwischen Bundeskanzler und Vizekanzler sowie von der ÖVP offerierte Kompromissformeln233 haltung und Friedensschaffung. Wir werden darüber hinaus aktiv an Initiativen für die Weiterentwicklung einer gemeinsamen europäischen Außen- und Sicherheitspolitik der EU mitarbeiten. 2. Österreich wird seine Verpflichtungen aus dem Amsterdamer Vertrag erfüllen. Die Politik der Union anerkennt darin, dass der besondere Charakter der Sicherheits- und Verteidigungspolitik bestimmter Mitgliedsstaaten nicht berührt wird. 3. Österreich wird seine Chance nutzen, die darin besteht, beim Aufbau einer Europäischen Sicherheitsarchitektur konstruktiv mitzuwirken, getreu dem Grundsatz, dass gesamteuropäische Sicherheit nur möglich ist, wenn auch die einzelnen Staaten Europas sicher sind und dass die einzelnen Staaten Europas nur dann sicher sein können, wenn es europäische Sicherheit gibt. 4. Österreich wird seine Zusammenarbeit und seinen Erfahrungs- und Gedankenaustausch mit den europäischen Sicherheitsinstitutionen, wie insbesondere OSZE, WEU und NATO, aber auch den Vereinten Nationen und dem Europarat, sowie mit vergleichbaren Staaten, wie Schweden, Finnland und Irland, intensiv fortsetzen. 5. Österreich bekennt sich zu einer effizienten und leistungsfähigen Landesverteidigung und wird jene Vorkehrungen treffen, die sowohl eine wirksame Wahrnehmung der eingegangenen Verpflichtungen als auch der Berücksichtigung neuer Aufgaben der Friedenssicherung und die Beibehaltung der allgemeinen Wehrpflicht mit einer Milizkomponente ermöglichen. 6. Die SPÖ wird die Entwicklungen des sicherheitspolitischen Umfeldes in Europa weiterhin genau analysieren und sich mit den jeweils gegebenen sicherheitspolitischen Optionen auseinandersetzen« (Die Presse 14.3.1998. S. 5). 232 Die Presse 26.3.1998. S. 1 und 4. 233 Die ÖVP offerierte die Formel : »Deshalb empfiehlt die Bundesregierung, alle Perspektiven der europäischen Sicherheitsarchitektur, einschließlich der Perspektive einer NATO-Mitgliedschaft, weiterzuverfolgen.« Sondierungen gegenüber der NATO würden »die endgültige österreichische Entscheidung nicht vorwegnehmen.«
Die geänderten Rahmenbedingungen der neunziger Jahre
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nicht zu beseitigen vermochten, kein Beschluss.234 Bundeskanzler Klima erklärte nach dem Ministerrat betont gelassen, dass eine sicherheitspolitische Entscheidung nunmehr wohl erst in Jahrzehnten fallen werde. In sicherheitspolitischen Fragen gebe es nur beim Ziel einen politischen Dissens, weshalb das Klima in der Koalition unter diesem Nicht-Beschluss keineswegs leide. Sichtlich enttäuscht und verärgert hingegen gab sich Wolfgang Schüssel, der das Scheitern des Berichts als »tragisch« bezeichnete und dem Bundeskanzler gegenüber seiner eigenen Partei »nicht genügend Führungskraft« attestierte.235 Die ÖVP sei kompromissbereit gewesen : »[Sie] wollte kein Präjudiz setzen, wollte aber eine Offenheit für alle Optionen, also auch die NATO. Ein Bericht aber, der die einzige realistische Option, also die NATO, auslässt, ist nicht tragfähig.«236 Die persönlichen Beziehungen zwischen Kanzler und Vizekanzler waren nach dem Verkauf der CA auf einem neuen Tiefpunkt angelangt. Die »Neue Zürcher Zeitung« kommentierte das Scheitern des Optionenberichts mit 234 Die letzte Version der Empfehlung des Optionenberichts, die beim Ministerrat am 1. April 1998 nicht konsensfähig war, lautete : »Angesichts der Verflechtungen, die im Bereich des europäischen Krisenmanagements zwischen Europäischer Union, der OSZE, der WEU und der NATO bestehen, ist es nach Auffassung der Bundesregierung zweckmäßig, dass Österreich seine Teilnahme an der NATO-Partnerschaft für den Frieden auf das volle Spektrum friedensunterstützender Maßnahmen erstreckt und somit vor allem auch in dieser Hinsicht auf das Angebot der ›vertiefenden Partnerschaft für den Frieden‹ eingeht. Was eine europäische Sicherheits- und Verteidigungsidentität angeht, geht die Bundesregierung davon aus, dass Österreich im Rahmen seiner Europapolitik auch aktiv bei der Verwirklichung der – im Amsterdamer Vertrag festgeschriebenen – Perspektive einer gemeinsamen Verteidigungspolitik und einer gemeinsamen Verteidigung mitwirken wird. Im Sinne des Vertrages von Amsterdam wird Österreich eine Integration der WEU in die EU mittragen und die – sich hieraus entwickelnden – Rechte und Pflichten solidarisch übernehmen. Angesichts des Umstandes, dass die künftige europäische Sicherheitsarchitektur auf dem Zusammenwirken aller betroffenen globalen und regionalen Organisationen beruhen wird, spielen auch die Vereinten Nationen, die OSZE, die NATO und die WEU im Rahmen der österreichischen Sicherheitspolitik eine bedeutende Rolle. Österreich wird sein Verhältnis zu diesen Sicherheitsorganisationen dynamisch fortentwickeln. Deshalb empfiehlt die Bundesregierung, alle Perspektiven der europäischen Sicherheitsarchitektur, einschließlich der Perspektive einer NATO-Mitgliedschaft, weiterzuverfolgen. Deshalb beauftragt die Bundesregierung den Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten, bezüglich aller Fragen, die sich in dieser Hinsicht ergeben, mit den betroffenen Organisationen und deren Mitgliedstaaten, in Abstimmung mit dem Bundeskanzler und dem Bundesminister für Landesverteidigung, einen intensiven Dialog aufzunehmen. Mit der NATO wird dies zweckmäßigerweise in Form eines ›intensivierten Dialogs‹ geführt werden. Dieser wird Österreich die Möglichkeit bieten, mit der NATO ›das volle Spektrum politischer, militärischer, finanzieller und sicherheitspolitischer Fragen, die sich in Bezug auf eine NATO-Mitgliedschaft stellen‹, zu erörtern. Diese Sondierungen werden Österreichs endgültige Entscheidung nicht vorwegnehmen« (Die Presse 2.4.1998. S. 5). 235 Die Presse 2.4.1998. S. 1. 236 Ebda. S. 5.
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der Aussage, dass die SPÖ »im alten Denken verhaftet« sei : »Im Kalten Krieg war die NATO die Antwort auf eine bestimmte Bedrohung. Heute ist die sich erneuernde NATO – zumindest auch – der Versuch, gewisse Bedrohungen gar nicht erst entstehen zu lassen. Wer einen militärischen und politischen Machtfaktor wie die NATO verdrängt, handelt unklug. Unbequeme Aussichten verschwinden nicht, indem man sich die Augen verbindet.«237 Die Koalition scheiterte in der Frage der Neudefinition der österreichischen Außen- und Sicherheitspolitik an letztlich nicht vermittelbaren Positionen. Die SPÖ lehnte nicht nur eine völlige Integration Österreichs in eine sich entwickelnde europäische Sicherheitsstruktur ab, sondern beharrte auf der Beibehaltung der Neutralität. Der Mythos der Neutralität ließ sich zudem in den bevorstehenden Wahlkämpfen gegenüber der ÖVP instrumentalisieren. Der Koalitionspartner befand sich, wenngleich er an seiner sicherheitspolitischen Position festhielt, in einem letztlich nicht lösbaren Dilemma. Die Erklärung, an der Frage eines NATO-Beitritts die Koalition nicht scheitern zu lassen, sowie die Androhung der SPÖ eines NATO- bzw. Neutralitätswahlkampfes, den man aufgrund der sicherheitspolitischen Stimmungslage nicht gewinnen hätte können, führte im März 1998 zu einer österreichischen Lösung : der Nicht-Entscheidung. Die Haltung der Österreicher zur Frage eines NATO-Beitritts war zum Zeitpunkt des Ministerratsbeschlusses erheblich freundlicher als allgemein angenommen. Eine im März 1998 vom Linzer market-Institut durchgeführte repräsentative Umfrage ergab eine knappe Mehrheit für einen NATO-Beitritt, wenn die Befragten die Zusatzinformation erhielten, dass das Verteidigungsbündnis einen verpflichtenden gegenseitigen militärischen Beistand im Falle eines Angriffs beinhaltet. Umfrage zu einem NATO-Beitritt Österreichs (Angaben in Prozent):238 dagegen
dafür
keine Angabe
Sind Sie für oder gegen einen NATO-Beitritt Österreichs?
56
40
4
Die NATO ist ein gegenseitiger Beistandspakt. Sind Sie unter diesem Aspekt für oder gegen einen Beitritt Österreichs?
47
51
2
Die Zustimmung zu einem NATO-Beitritt stieg mit der formalen Bildung. Maturanten und Akademiker votierten zu 55 Prozent für einen NATO-Beitritt, der zudem in jenen Bundesländern, die sich nahe an den Krisengebieten im ehemaligen Jugoslawien befanden, die meisten Befürworter hatte. In Kärnten und der Steiermark sprachen sich 65 Prozent der Befragten für einen NATO-Beitritt aus. 237 NZZ 2.4.1998. S. 1. 238 Die Presse 10.4.1998. S. 1 und 4.
Nur mehr der kleinste gemeinsame Nenner
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IV.2 Nur mehr der kleinste gemeinsame Nenner. Der Bruch des sicherheitspolitischen Konsenses 1998/99 Drei Monate nach dem endgültigen Scheitern des Optionenberichts übernahm Österreich als erstes Land der neuen EU-Mitglieder die EU-Ratspräsidentschaft. Damit wurde die sich vor allem aufgrund der Haltung der SPÖ durch Hinauszögern und Lavieren gekennzeichnete österreichische Außen- und Sicherheitspolitik vor eine heikle Bewährungsprobe gestellt. Der österreichischen Haltung kam dabei zugute, dass die Verträge von Maastricht (7. Februar 1992) und Amsterdam (2. Oktober 1997) mit einem Drei-Säulen-Modell (Europäische Gemeinschaft, Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik/GASP, Zusammenarbeit bei der Innen- und Justizpolitik) zwar die Schaffung einer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik sowie die Aufwertung der WEU vorsahen, jedoch lediglich die erste, schwerpunktmäßig ökonomische, soziale und kulturelle Fragen beinhaltende Säule supranationalen Grundsätzen unterwarfen, während die beiden anderen durch zwischenstaatliche Vereinbarungen geregelt wurden. Dadurch eröffnete sich Österreich im Bereich der GASP und der darin vorgesehenen Verschmelzung von WEU und NATO die Option des Beiseitestehens. Dies bildete insofern eine delikate Situation, als bei der Beschlussfassung über den Vertrag von Amsterdam der Europäische Rat aufgefordert worden war, so bald als möglich alle notwendigen Maßnahmen zu treffen, die die Funktionsfähigkeit des Vertrages nach dessen Inkrafttreten gewährleisten sollten.239 Nachdem die britische Präsidentschaft in der ersten Jahreshälfte 1998 die ersten notwendigen Vorarbeiten geleistet hatte, fiel nunmehr der österreichischen Präsidentschaft die Aufgabe zu, im Bereich der GASP die engere Koordinierung von WEU und EU, die Bestellung eines Hohen Vertreters für die GASP und die notwendige Errichtung einer Strategieplanungs- und Frühwarneinheit voranzutreiben. Diese im Amsterdamer Vertrag definierte Aufgabe basierte auf der Erkenntnis, dass die EU in 239 Der von Bundeskanzler Viktor Klima unterzeichnete, am 18. Juni 1998 vom Nationalrat mit den Stimmen von SPÖ, ÖVP und LIF als Bundesverfassungsgesetz beschlossene und am 1. Mai 1999 in Kraft tretende Vertrag von Amsterdam stellte in Teil V, Art. 11, Abs. 2 fest : »Die Mitgliedstaaten unterstützen die Außen- und Sicherheitspolitik der Union aktiv und vorbehaltlos im Geiste der Loyalität und der gegenseitigen Solidarität.« In Teil V, Art. 17 wurde festgehalten : »Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik umfasst sämtliche Fragen, welche die Sicherung der Union betreffen, wozu auch die schrittweise Festlegung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik […] gehört. […] Die Westeuropäische Union (WEU) ist integraler Bestandteil der Entwicklung der Union ; sie eröffnet der Union Zugang zu einer operativen Kapazität. […] Die Union fördert daher engere institutionelle Beziehungen zur WEU. […] Die schrittweise Festlegung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik wird […] durch eine rüstungspolitische Zusammenarbeit […] unterstützt.« In einer Erklärung der WEU, die Bestandteil des Amsterdamer Vertrages wurde, hieß es : »Die WEU stellt ein entscheidendes Element der Entwicklung einer Europäischen Sicherheits- und Verteidigungsidentität innerhalb der Atlantischen Allianz dar und wird sich daher weiterhin um eine verstärkte institutionelle und praktische Zusammenarbeit mit der NATO bemühen.«
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ihrer Außen- und Sicherheitspolitik durch eine Reihe von Faktoren gehemmt und daher nur sehr bedingt, wenn überhaupt, in der Lage war, politische Entwicklungen, vor allem in Krisenzonen, zu beeinflussen. Diese Schwäche resultierte vor allem aus strukturellen Defiziten, die dazu führten, dass selbst bei den Krisen auf dem Balkan die USA als dominanter Entscheidungsträger in Erscheinung trat. Die verteidigungs- und sicherheitspolitische Dimension der GASP bildete daher einen wesentlichen Bestandteil des informellen Treffens der EU Staats- und Regierungschefs in Pörtschach am 24. und 25. Oktober 1998. Dabei fungierte Bundeskanzler Viktor Klima aufgrund der von der SPÖ festgelegten außen- und sicherheitspolitischen Linie der Ablehnung einer Teilnahme an einer weitgehenden sicherheitspolitischen Integration lediglich als Moderator. Der entscheidende Impuls kam dabei vom britischen Premierminister Tony Blair, der mit einer »key note« ein Abrücken von der bisherigen britischen Position, die der EU keine konkreten Verteidigungsbefugnisse einzuräumen bereit war, andeutete. In der Pressekonferenz am 25. Oktober erklärte Bundeskanzler Klima in deutlichem Abweichen von der offiziellen Position der SPÖ über das Ergebnis der Tagung in Pörtschach : »[Es gibt] ein klares Bekenntnis zu einer starken europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. In die sicherheitspolitische Debatte ist eine neue Dynamik eingekehrt. Die Frage des europäischen Weges war und wird Gegenstand einer offenen Debatte sein. Es geht darum, die europäische Dimension zu stärken und sie in einen konstruktiven Zusammenhang mit der transatlantischen Komponente zu stellen. Auch die Variante der Verschmelzung von WEU mit EU steht dabei zur Diskussion. Es besteht völlige Übereinstimmung, die Bestimmungen des Amsterdamer Vertrages im Bereich der Sicherheits- und Verteidigungspolitik rasch umzusetzen.«240 Es waren Großbritannien und Frankreich, die in der Frage einer Weiterentwicklung einer selbstständigen europäischen Sicherheitspolitik die Initiative ergriffen und gegen Ende der österreichischen Präsidentschaft am 4. Dezember 1998 in St. Malo eine Erklärung unterzeichneten, in der sie sich zum Aufbau einer europäischen Eingreiftruppe und zur unveränderten Schlüsselrolle der NATO bekannten. Die EU müsse in Zukunft in der Lage sein, bei Kriseninterventionen auf eigene autonome militärische Kräfte zurückgreifen zu können, wobei allerdings die NATO nach wie vor als Grundpfeiler einer kollektiven europäischen Verteidigung fungieren sollte. Um dieses Ziel zu erreichen, sollte bis 2003 eine innerhalb von 60 Tagen verfügbare europäische Eingreiftruppe in der Stärke von 60.000 Mann geschaffen werden. 240 Alexander Schallenberg, Christoph Thun-Hohenstein : Die EU-Präsidentschaft Österreichs. Eine umfassende Analyse und Dokumentation des zweiten Halbjahres 1998. – Wien 1999. S. 352. Vgl. dazu auch Hans Brunmayr : Die EU-Präsidentschaft Österreichs. – In : ÖJP 1998. S. 481–498. S. 492f.; Günter Schmidt : Entwicklungen in der Europäischen Union und die österreichische Ratspräsidentschaft. – In : Ebda. S. 499–513.
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Der Vertrag von Amsterdam wurde vom österreichischen Nationalrat am 18. Juni 1998 ratifiziert. Der Vertrag sah die Verschmelzung von WEU und EU durch einen Beschluss des Europäischen Rates ebenso vor wie die rasche Entwicklung der GASP. Zudem wurden die 1992 vom Ministerrat der WEU beschlossenen sogenannten »Petersberg-Aufgaben«, die die gesamte Bandbreite von der Bereitstellung militärischer Einheiten bis zu humanitären und Rettungseinsätzen zur Herbeiführung des Friedens in Krisenzonen vorsahen, in den Amsterdamer Vertrag übernommen. Damit konnte die EU in Zukunft neben zivilen auch militärische Kampfeinsätze anordnen und dafür das Instrument der WEU in Anspruch nehmen. Wenngleich der Amsterdamer Vertrag keine gegenseitige Beistandspflicht enthielt, so doch »ein intensiviertes politisches Solidaritätsangebot«.241 In Österreich war man gezwungen, die offiziell nach wie vor hochgehaltene Neutralität durch eine Modifikation von Artikel 23f des Bundesverfassungsgesetzes auszuhöhlen. In dem neuen Artikel 23f wurde sichergestellt, dass Österreich an der Beschlussfassung der GASP vollständig und an den »Petersberg-Aufgaben« mitwirken konnte. Damit war die Mitwirkung an militärischen Einsätzen möglich und es erfolgte eine weitere Deformation der Neutralität. In der Koalition war aufgrund der bereits ab 1996 deutlich erkennbar werdenden Differenzen in der Frage eines möglichen WEU/NATO-Beitritts und der damit verbundenen Aufgabe der Neutralität ein außen- und sicherheitspolitischer Konsens nicht mehr möglich. Lediglich im Bereich der PfP waren SPÖ und ÖVP noch zu gemeinsamen Handeln fähig. So stimmte die Regierung Vranitzky auf Ersuchen der NATO Ende 1995 einer Teilnahme Österreichs an dem Einsatz der Peace Implementation Force (PIF) bzw. am Implementation Force (IFOR)-Einsatz in BosnienHerzegowina unter NATO-Kommando mit einem UNO Mandat zu und gestattete auch den mit dieser Aktion in Zusammenhang stehenden Transport von Kriegsgerät durch sein Staatsgebiet.242 Am 17. April 1997 beschloss der Nationalrat im Sinne 241 Gehler : Der lange Weg nach Europa. Darstellung. S. 432. 242 Zu Bosnien-Herzegowina und die internationale Intervention vgl. Laura Silber, Allan Little : Bruderkrieg. Der Kampf um Titos Erbe. 2. Aufl. – Graz/Wien/Köln 1995. S. 242ff.; Richard Holbrooke : Meine Mission. Vom Krieg zum Frieden in Bosnien. – München 1998 ; Erich Reiter, Predrag Jurekovic : Bosnien und Herzegowina. Europas Balkanpolitik auf dem Prüfstand. – Baden-Baden 2005 ; Robert Belloni : State Building and International Intervention in Bosnia. – London 2007. Marie-Janine Calic : Geschichte Jugoslawiens im 20. Jahrhundert. –München 2010. S. 311 ; Vedran Džihić : Ethnopolitik in BosnienHerzegowina. Staat und Gesellschaft in der Krise. – Baden-Baden 2010. Zur EU und der Krise in ExJugoslawien vgl. Carsten Giersch : Konfliktregelung in Jugoslawien 1991–1995. Die Rolle von OSZE, EU, UNO und NATO. – Baden-Baden 1998 ; Albert Rohan, Klaus Daublebsky : Krisensituation auf dem Balkan. Eine Bilanz des Jahres 1998. – In : ÖJP 1998. – Wien/München 1999. S. 529–554 ; Annegret Benediek : Der Konflikt im ehemaligen Jugoslawien und die Europäische Integration. Eine Analyse ausgewählter Politikfelder. – Wiesbaden 2004 ; Tonny Kundsen, Carsten Lautsen : Kosovo Between War and Peace : Nationalism, Peacebuilding and International Trusteeship. – London 2006 ; Gehler : Europa.
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des Streitkräfteabkommens (Status of Forces Agreement/SOFRA) im Rahmen der PfP das Bundesverfassungsgesetz über Kooperation und Solidarität bei der Entsendung von Einheiten und Einzelpersonen ins Ausland. Nach diesem konnte die Bundesregierung im Einvernehmen mit dem Hauptausschuss des Nationalrates die Entsendung von Einheiten oder Einzelpersonen im Rahmen von Maßnahmen zur Friedenssicherung und der humanen Hilfe sowie der Katastrophenhilfe vornehmen. Damit hatte der kleinste gemeinsame Nenner der Außen- und Sicherheitspolitik Gesetzeskraft erlangt. In dem Anfang 1999 folgenden Serbien/Kosovo-Konflikt243 verweigerte jedoch Österreich vor allem aufgrund der ablehnenden Haltung der SPÖ und sehr zum Ärger der NATO den Transit von Militärverbänden sowie den Überflug seines Hoheitsgebietes durch NATO-Verbände mit dem Hinweis, dass es sich dabei nicht um ein UNO- oder KSZE-Mandat handle und man daher strikt nach den Prinzipien der Neutralität handle. Dies stieß sowohl in Brüssel wie auch in der ÖVP vor allem deshalb auf Unverständnis, weil Bundeskanzler Viktor Klima am 25. März 1999 beim Europäischen Rat in Berlin eine Erklärung mitbeschlossen hatte, die ein militärisches Eingreifen bei einer sich abzeichnenden humanitären Katastrophe beinhaltete. »An der Schwelle zum 21. Jahrhundert darf Europa eine humanitäre Katastrophe in seiner Mitte nicht tolerieren. […] Wir, die Länder der Europäischen Union, sind moralisch verpflichtet sicherzustellen, dass Willkür und Gewalt […] sich nicht wiederholen. […] Aggression darf sich nicht lohnen. Ein Aggressor muss wissen, dass er einen hohen Preis bezahlen muss.«244 In den Augen zahlreicher ausländischer Beobachter ließ der österreichische Kanzler jedoch seinen Worten keine Taten folgen und betrieb durch die Nichterteilung der Überfluggenehmigung für die NATO im Kosovo-Konflikt eine zunehmend auf Unverständnis stoßende Außenpolitik. Am 1. April 1999 änderte sich die Situation allerdings insofern, als sich infolge des Serbien/Kosovo-Konflikts rund 1,2 Millionen Albaner aus dem Kosovo auf der Ideen, Institutionen, Vereinigung. S. 324ff. Zur Haltung Österreichs vgl. Gehler : Der lange Weg nach Europa. Bd. 1. S. 428ff.; Ders.: Österreichs Außenpolitik der Zweiten Republik. Bd. 2. S. 811ff.; Hanspeter Neuhold : The Return of History in the Balkans after the Cold War : International Efforts at Crisis Management and Conflict Resolution. – In : Günter Bischof, Ferdinand Karlhofer (Hg.) : Austria’s International Position after the End of the Cold War. – Innsbruck 2013. S. 167–197 (Contemporary Austrian Studies, Volume 22). 243 Konrad Klewing, Jens Reuter (Hg.) : Der Kosovo-Konflikt. Ursachen, Akteure, Verlauf. – München 2000 ; Bekim Baliqi : State-Building durch die Vereinten Nationen. Das Fallbeispiel des Kosovo. – Saarbrücken 2009 ; Gehler : Österreichs Außenpolitik der Zweiten Republik. Bd. 2. S. 853ff.; Holm Sundhaussen : Jugoslawien und seine Nachfolgestaaten 1943–2011. Eine ungewöhnliche Geschichte des Gewöhnlichen. – Wien/Köln/Weimar 2012. S. 366ff. 244 Zit. bei Freytag : Im Neutralitätsklimakterium. S. 23.
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Flucht befanden. Das UNO-Hochkommissariat für das Flüchtlingswesen (UNHCR) und die Regierungen Albaniens und Mazedoniens baten um Hilfe bei der Bewältigung des Flüchtlingsproblems und ersuchten die NATO um die notwendige Koordinierung der Maßnahmen. Bereits am 3. April ersuchte die NATO Österreich im Rahmen der PfP um Mitwirkung und zwei Tage später stimmte ein Sonderministerrat den erforderlichen Hilfsmaßnahmen im Rahmen der PfP zu. Österreich errichtete bei Shkodra das sogenannte »Österreich Camp«, das bis zu seinem Abbau im Juli 1999 vom österreichischen Bundesheer sowie zivilen Freiwilligen verschiedener Hilfsorganisationen betrieben wurde und in dem sich bis zu 3.000 Flüchtlinge aufhielten. Doch auch diese Aktion verursachte eine politische Kontroverse der Koalitionsparteien, als SPÖ-Klubobmann Peter Kostelka in einer Nationalratsdebatte über die Rolle Österreichs im Kosovo-Konflikt Außenminister Schüssel und Verteidigungsminister Fasslabend vorwarf, wie ein NATO-Mitglied gehandelt und das Militärbündnis sogar mit Erkenntnissen des Heeres-Nachrichtenamtes versorgt zu haben. Trotz dieser sicherheitspolitischen Kontroverse erklärte Bundeskanzler Viktor Klima am 3. Mai 1999 die Bereitschaft Österreichs, an der geplanten »Kosovo-Force« teilzunehmen, wenn deren Einsatz auf einer Resolution des UNO-Sicherheitsrates oder einem OSZE-Mandat basiere. Nach den massiven Luftschlägen der NATO und dem Einmarsch der »Kosovo International Security Force« unter NATO-Führung war der militärische Zusammenbruch Serbiens erfolgt und die NATO hatte erklärt, lediglich noch für sechs Monate die Führung der Alliierten übernehmen und sie dann an die UNO übertragen zu wollen. Am 10. Juni 1999 fasste der UNO-Sicherheitsrat mit der Resolution 1244 den Beschluss für die Aufgaben und den Einsatz der KFOR. Diese bestanden in der Verhinderung eines neuerlichen Ausbruchs von kriegerischen Handlungen, der Ermöglichung der Rückkehr der Flüchtlinge und der Sicherung von Ruhe und Ordnung. Fünf Tage später beschloss der Ministerrat die Teilnahme des österreichischen Bundesheeres an der KFOR mit einem 450 bis 500 Mann starken Kontingent. Trotz der massiven Spannungen zwischen beiden Koalitionsparteien in der Interpretation der Außen- und Sicherheitspolitik erfolgte bis Ende der neunziger Jahre eine nicht unerhebliche Ausweitung der Teilnahme Österreichs an PfP-Aktionen oder Einsätzen unter einem UNO-Mandat. Österreich behielt dabei die jeweiligen Kontingente unter der nationalen Kontrolle und betonte die bloß jeweilige Zusammenarbeit mit dem NATO-Kommando und dessen Einheiten. Vor allem die SPÖ sah Österreichs Sicherheitspolitik im Rahmen seiner EU-Mitgliedschaft nicht als Mitglied einer militärischen Allianz (NATO/WEU), sondern aufgrund eines sich entwickelnden sicherheitspolitischen Pluralismus, d. h. einem sich verstärkenden Zusammenspiel von NATO, WEU, PfP, EU, OSZE und UNO, in einem die Neutralität berücksichtigenden selektiven Mitwirken an friedensstiftenden und -erhal-
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tenden Aktionen.245 Die SPÖ betrachtete diese Zwitterposition des letztlich draußen vor der Tür Stehenden als sich aus der Beibehaltung der Neutralität und der postulierten Pluralisierung der sicherheitspolitischen Optionen ergebende Politik, die keineswegs ein Abrücken von der mit dem EU-Beitritt geforderten europäischen Solidarität bedeute. Die ÖVP hingegen sah in dieser Position eine Doppelbödigkeit und Unehrlichkeit, die Österreich aus vordergründigen innenpolitischen und wahltaktischen Motiven zu einem nicht als vollwertig anerkannten außen- und sicherheitspolitischen Mitglied der europäischen Staatenfamilie machte. In diesem Spannungsfeld wurde 1999 die Frage der Sicherheitspolitik angesichts der Europa- und Nationalratswahl zu einem Wahlkampfthema, wobei sich besonders die SPÖ als Hort der Neutralität präsentierte. Der Vertrag von Amsterdam bezeichnete die Verschmelzung von WEU und EU als Ziel einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik246 und forderte den Europäischen Rat auf, die entsprechenden Maßnahmen zügig in die Wege zu leiten. Hatte während der österreichischen Präsidentschaft in der zweiten Jahreshälfte 1998 kein entsprechender Erfolg erzielt werden können, so unternahm die folgende deutsche Präsidentschaft in der ersten Jahreshälfte 1999 einen neuerlichen Anlauf in diese Richtung. Zur Vorbereitung des Europäischen Rates in Köln im Juni 1999 erarbeitete Deutschland ein Papier über die Verschmelzung von EU und WEU. Dies diente der SPÖ und den Grünen vor dem Hintergrund der am 13. Juni stattfindenden Wahl zum Europäischen Parlament als Wahlkampfthema, wobei dieser Strategie auch der gleichzeitig ausgebrochene Kosovo-Konflikt und der Einsatz der NATO mit ihren Auswirkungen auf das Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung zustatten kamen. So antworteten auf die Frage, welches zurzeit diskutierte Thema bei der bevorstehenden Wahl zum Europäischen Parlament ihre Wahlentscheidung beeinflussen werde, 32 Prozent mit »Neutralität/NATO-Sicherheit«.247 Die SPÖ-Kampagne in einem an Spannungselementen raren Wahlkampf konzentrierte sich auf die Themen Arbeitsmarkt- und Sicherheitspolitik mit dem Slogan »Arbeit schaffen. Neutralität sichern.«. Christoph Kotanko bemerkte zum EU-Wahlkampf der Löwelstraße, dieser habe die Europawahl in eine innenpolitische Kontroverse um das Thema Neutralität verwandelt. Themen der europäischen Einigung seien völlig aus der Argumentation verschwunden. »Inzwischen könnte man meinen, am 13. Juni finde eine vorgezogene Volksabstimmung über die Neutralität statt. Der
245 Peter Jankowitsch : Österreichs Sicherheitspolitik : Optionen für die Zukunft. – In : ÖJP 1998. S. 555– 569. 246 Im Vertrag von Amsterdam hieß es : »Die Union pflegt enge institutionelle Beziehungen zur WEU, die zur Integration der WEU in die Union führen könnten, wenn der Europäische Rat so beschließt.« 247 Fritz Plasser, Peter A. Ulram, Franz Sommer : Europawahlen oder Testwahlen ? Analyse der Wahlen zum Europäischen Parlament 1999. – In : ÖJP 1999. S. 89–118. S. 90.
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SPÖ ist es gelungen, diesen Eindruck zu schaffen. Die Sicherheitspolitik ist eben ihre Sollbruchstelle mit der ÖVP. Wenn man beobachtet, wie kaltblütig die Sozialdemokratien ihren Kurs halten, dann weiß man, warum diese Partei seit fast 30 Jahren die Spitzenposition im Land besetzt […] Auf Basis punktgenauer Meinungsumfragen […] wird griffsicher ein Schwerpunkt festgelegt. Die Methodik der Mediennutzung beherrscht niemand besser als die Meinungsdesigner in der SP-Zentrale.«248 Unmittelbar vor dem EU-Gipfel in Köln, 14 Tage vor der Europawahl, unterbreitete die deutsche Präsidentschaft ein Papier über die im Vertrag von Amsterdam festgelegte Verschmelzung von EU und WEU, um die stockenden Bemühungen um die Schaffung einer vereinbarten gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik in Gang zu bringen. Die notwendigen institutionellen und vertraglichen Änderungen sollten bis Ende 2000 erfolgen, wenn Frankreich sowohl den Vorsitz der EU wie auch der WEU innehaben werde. In dem von der deutschen Ratspräsidentschaft erstellten Papier wurde allerdings auch darauf hingewiesen, dass im Amsterdamer Vertrag auch die Berücksichtigung der jeweils nationalen außen- und sicherheitspolitischen Regelungen der Mitgliedsländer, d. h. vor allem der Neutralen, festgehalten wurde. Eine Einigung der 15 EU-Mitgliedsstaaten war damit unwahrscheinlich, da Artikel 5 der WEU die militärische Beistandspflicht der Mitglieder beinhaltete, der sich die Neutralen, wenn auch in unterschiedlichen Akzenten, verweigerten.249 Das Diskussionspapier der EU-Ratspräsidentschaft gab der SPÖ den willkommenen Anlass, sich mit Blick auf die bevorstehende Europawahl als Bewahrer der österreichischen Neutralität publikumswirksam zu inszenieren. So erklärte Bundeskanzler Viktor Klima nach dem Ministerrat am 26. Mai, eine volle Mitgliedschaft Österreichs bei der WEU sei so lange unmöglich, so lange es sich bei der WEU um ein Militärbündnis mit Beistandspflicht handle. Eine Verschmelzung von WEU und EU sei nur dann für Österreich akzeptabel, wenn die Beistandspflicht falle.250 Der stellvertretende Vorsitzende der SPÖ, Heinz Fischer, ließ nach einem Parteivorstand verlauten, die SPÖ verfolge nach wie vor die Linie : ein Ja zu einer gemeinsamen europäischen Außen248 Christoph Kotanko : Ein Wahlkampf, der alles verrät. – In : Kurier 28.5.1999. S. 2. 249 Die deutsche Präsidentschaft trat für eine rasche Integration von EU und WEU ein, wobei zwei Szenarien denkbar waren : Entweder käme es zu einer formellen Verschmelzung oder die WEU löse sich durch eine Wegnahme aller ihrer Strukturen auf. Das von Berlin erarbeitete Diskussionspapier betonte, dass Artikel 5 (Beistandspflicht) weiter aufrecht bleibe, wobei jedoch dem unterschiedlichen Status der Mitgliedsstaaten bezüglich einer kollektiven militärischen Verteidigung Rechnung zu tragen sei. Daraus ergaben sich für die von den Neutralen nicht akzeptierte Beistandspflicht zwei Möglichkeiten : entweder bliebe sie nach Auflösung der WEU als eigener Punkt, allerdings außerhalb des EU-Vertrages, bestehen oder sie würde in einem Zusatzprotokoll in den EU-Vertrag in Form einer »opting-in«-Version, d. h. einer freiwilligen Annahme jener Staaten, die die Beistandsverpflichtung bereits als NATO-Mitglied hatten, übernommen. 250 Der Standard 27.5.1999. S. 8.
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und Sicherheitspolitik, ein Ja zur Neutralität und ein Nein zur NATO. »Unsere Geradlinigkeit ist ein Atout.«251 SPÖ-Klubobmann Peter Kostelka, einer der vehementesten Gegner einer weiteren Annäherung an die oder eines eventuellen Beitritts zur NATO, plädierte für eine Wiederaufnahme der von Bruno Kreisky betriebenen aktiven Neutralitätspolitik. Das Problem der SPÖ sei, »dass Schüssel mental bereits tief in der NATO steckt und die Chancen aktiver Neutralitätspolitik nicht erkennt«. Für ihn sei ein NATO-Beitritt auch in Zukunft »nicht absehbar. Ganz im Gegenteil. Im Interesse Europas ist es sogar sinnvoll, nicht beizutreten, sondern als neutraler Staat Beiträge zu leisten, die andere nicht zu leisten vermögen«.252 In der ÖVP, vor allem im Außenministerium, reagierte man auf diese von innenpolitischen Motiven geprägten Erklärungen sichtlich verärgert, da sie die tatsächliche Entwicklung der österreichischen Neutralität ebenso ignorierten wie die durch die Übernahme der »Petersberg-Aktionen« eingegangenen Verpflichtungen, die sehr wohl auch Kampfeinsätze beinhalteten. So erklärte Außenminister Wolfgang Schüssel nach einem VP-Bundesparteivorstand in Richtung SPÖ : »Die immerwährende Neutralität gilt nur noch außerhalb der EU. Im Zusammenhang mit der Union hat Solidarität vor der Neutralität Vorrang.« Und die ÖVP-Spitzenkandidatin Ursula Stenzel forderte die SPÖ und die Grünen auf, in den so wichtigen sicherheitspolitischen Fragen »bei der Wahrheit zu bleiben«, wobei sie der SPÖ bei ihrem außen- und innenpolitischen Agieren bewusste »Doppelzüngigkeit« vorwarf.253 Im Sommer 1999 betonte Außenminister Schüssel, für ihn sei, im Gegensatz zu Teilen der SPÖ, die NATO »kein Feindbild, sondern eine europäische Organisation. Elf EU-Länder, also neunzig Prozent der Bevölkerung, sind heute NATO-Mitglieder. Der europäische Sicherheitsverbund wird wahrscheinlich Ende 2000 finalisiert und zu einer deckungsgleichen Mitgliedschaft in der EU und in der NATO führen. Es ist schon wichtig, das klar und deutlich auszusprechen und nicht so, wie es die Spin-Doctors der SPÖ gerne darstellen möchten.« Es gebe in Brüssel deutliche Irritationen über die österreichische Sicherheitspolitik. »Nicht das Land verhält sich seltsam, sondern die SPÖ, die seit einem Jahr totale Diskussionsverweigerung betreibt.«254 Während das europäische Sicherheitssystem allmählich Gestalt annahm, herrschte in der österreichischen Sicherheitspolitik aufgrund der konträren Positionen von SPÖ und ÖVP weitgehend Stillstand. In Brüssel erklärte ein Mitglied der österreichischen Militärmission in Brüssel, er habe erhebliche Probleme bei der Erklärung der österreichischen Position : »Wir sollen hier die österreichischen Interessen 251 Kurier 28.5.1999. S. 3. 252 FORMAT 18/1999. S. 30. 253 Kurier 28.5.1999. S. 3. 254 FORMAT 27/1999. S. 29.
Nur mehr der kleinste gemeinsame Nenner
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vertreten, aber leider wissen wir nicht, welche das sind.« Ähnlich äußerte sich ein Mitglied der österreichischen Botschaft in Brüssel : »Wenn ich hier Vorträge über Sicherheitspolitik halte, werde ich nachher von den Zuhörern oft gefragt, ob das, was ich gerade gesagt habe, auch die Position der Bundesregierung ist. Ich antworte dann immer : Nein. Meine Bundesregierung hat keine.«255 Besonders irritiert über die österreichische Haltung zeigten sich die USA, als Wien mit dem Hinweis auf die Neutralität der NATO keine Überfluggenehmigung für ihre Intervention im Kosovo gestattete und Viktor Klima den Vorschlag unterbreitete, in der innerösterreichischen Sicherheitsdebatte die Neutralität fünf Jahre lang nicht zu diskutieren. Sichtlich irritiert bemerkte ein hohes Mitglied der US-Botschaft in Wien : »Wir betrachten unsere Aktion im Kosovo als etwas, das besonders zur Sicherheit Österreichs beiträgt. Daher : Obwohl wir die neutralitätsrechtlichen Hindernisse verstehen, sind wir einigermaßen perplex, dass die österreichische Regierung nicht flexibel genug ist, um in einer Art zu reagieren, die diese Sicherheit fördert. Die Möglichkeit, Österreich zu überfliegen, wäre nützlich, aber das hängt davon ab, ob Österreich der Meinung ist, dass diese Operation im Kosovo in seinem Sicherheitsinteresse ist oder nicht. Stellen Sie sich nur vor, Österreichs Verbot der Überflüge wäre absolut notwendig für unsere Operation. Wäre Österreich dann besser dran ohne unsere Operation ? Mit einem Milošević, der den Kosovo leert und die Fähigkeit hat, jedermann rundum zu bedrohen ? Oder würde das Land nicht besser dran sein, wenn Milošević gestoppt wird ?« Und zum Vorschlag Viktor Klimas, die Neutralität fünf Jahre lang aus der sicherheitspolitischen Debatte auszunehmen : »Sie fragen mich, ob Österreich sich selbst in der Zeit einfrieren kann ? Das wird nicht passieren. Denn Österreich hat sich der EU verpflichtet, es hat sich dem Amsterdamer Vertrag verpflichtet, eine europäische Verteidigungsidentität zu schaffen. Elf Mitglieder der EU, die auch Mitglieder der NATO sind, haben sich verpflichtet, eine solche europäische Sicherheitsidentität im Kontext der NATO zu schaffen. […] In den nächsten fünf Jahren wird es Fortschritte in der Verteidigungsidentität innerhalb der EU geben, und es wird Fortschritte geben im Kontext der NATO. Österreich wird irgendwie Teil von dem sein.«256 Und Harald H. Bungarten, Sprecher von NATO-Generalsekretär Javier Solana, kommentierte die innerösterreichische Sicherheitsdebatte mit der Bemerkung, das Konzept der österreichischen Neutralität sei seiner Meinung nach »obsolet, insbesondere nach der Ratifizierung des Amsterdamer Vertrages«. Und : »Kein Mitgliedsstaat, nicht einmal die USA, kann allen potentiellen Gefahren allein begegnen. Wenn ein Land wirklich Sicherheit anstrebt, kann es das – auch wegen der Kosten – nur im Rahmen einer Allianz tun.«257 255 SN 14.5.1999. S. 2. 256 FORMAT 17/1999. S. 26. 257 FORMAT 18/1999. S. 29.
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Zwischen Neutralität und WEU/NATO
Die Taktik der SPÖ und in geringerem Ausmaß der Grünen, die Europawahl am 13. Juni 1999 zu einer Abstimmung über die Neutralität zu machen, sollte sich, wenn auch nicht in dem gewünschten Umfang, als erfolgreich erweisen. Beide Parteien konnten, wenn auch bei einer dramatisch gesunkenen Wahlbeteiligung von 49,9 Prozent, Stimmengewinne verbuchen, wobei die SPÖ die ÖVP auch als stärkste Partei ablöste. 75 Prozent der Wähler vom 13. Juni 1999 sprachen sich bei einer Fessel-GfKUmfrage für die Beibehaltung der Neutralität aus, während nur 19 Prozent für den NATO-Beitritt votierten.258 17 Prozent der SPÖ-Wähler nannten deren sicherheitspolitische Haltung als vorrangiges Wahlmotiv, womit das Thema Neutralität versus NATO-Beitritt in der Reihe der Wahlmotive pro SPÖ den zweiten Platz hinter dem Traditionsmotiv einnahm. Ebenso rangierte das Thema »Neutralität« zusammen mit dem Thema »Umwelt, Transit« bei den Grün-Wählern mit 21 Prozent an zweiter Stelle der Wahlmotive.259 Umgekehrt erreichte das Thema bei den ÖVP-Wählern in der Skala der Wahlmotive nur vier Prozent. 260 Wahlen zum Europäischen Parlament 1996 und 1999:261 Jahr 1996
1999
Stimmen
Prozent
Mandate
ÖVP
Partei
1.124.921
29,65
7
SPÖ
1.105.910
29,15
6
FPÖ
1.044.604
27,53
6
Die Grünen
258.250
6,81
1
LIF
161.583
4,26
1
Die Neutralen
48.600
1,28
0
Forum Handicap
32.621
0,85
0
KPÖ
17.656
0,46
0
ÖVP
859.175
30,67
7
SPÖ
888.338
31,71
7
FPÖ
655.519
23,40
5
Die Grünen
260.273
9,29
2
LIF
74.467
2,66
0
Christlich Soziale Allianz (Liste Karl Habsburg)
43.084
1,54
0
KPÖ
20.497
0,73
0
258 Plasser, Ulram, Sommer : Europawahlen oder Testwahlen ? S. 98. 259 Ebda. S. 109. 260 Ebda. S. 106. 261 Ebda. S. 94.
Nur mehr der kleinste gemeinsame Nenner
125
Das sicherheitspolitische Thema verschwand jedoch nach dem 13. Juni nicht von der Tagesordnung. Zum einen hatte es sich für die SPÖ als zugkräftiges wahltaktisches Instrument erwiesen, das man auch bei der kommenden Nationalratswahl einzusetzen gedachte. Dies umso mehr, als die sicherheits- und damit auch europapolitischen Kontroversen der beiden Koalitionsparteien keineswegs in den Hintergrund traten. Diese offen ausgetragenen Differenzen veranlassten das LIF, unmittelbar nach der Europawahl Salz in die offene Wunde der Koalition zu streuen, indem die Partei in einer Dringlichen Anfrage an Bundeskanzler Viktor Klima einen »Offenbarungseid über den sicherheitspolitischen Status Österreichs« forderte. In insgesamt zwanzig Fragen wollte das LIF wissen, was der Bundeskanzler zu tun gedenke, »um die völlig unterschiedlichen Positionen von SPÖ und ÖVP zu einer sicherheitspolitischen Linie der Regierung zusammenzuführen, um international wieder glaubwürdig zu werden«. Klima erklärte in seiner Anfragebeantwortung, die Neutralität sei mit dem EU-Vertrag und sämtlichen Beschlüssen der EU vereinbar, um schließlich gegenüber der ÖVP eine mögliche Fortsetzung des Neutralitätsthemas bei der kommenden Nationalratswahl anzudeuten. Man solle die Neutralität die kommende Legislaturperiode außer Streit stellen. Ein solches Ansinnen, dessen war sich der Bundeskanzler durchaus bewusst, hätte eine Perpetuierung der unklaren Haltung Österreichs in der sich entwickelnden europäischen Sicherheitsstruktur bedeutet und war für die ÖVP inakzeptabel. Ohne den Koalitionspartner direkt zu erwähnen, bemerkte er in Richtung Nationalratswahl : »Wenn wir das nicht tun, werden wir gemeinsam in einer Wahlauseinandersetzung die Richtungsentscheidung zu diskutieren haben und die Wähler darum bitten müssen.«262 Die Position der SPÖ stieß jedoch bei sämtlichen anderen Parteien auf Ablehnung. Die Grünen monierten, dass die SPÖ im Nationalrat am 18. Juni 1998 der Ratifizierung des Amsterdamer Vertrages mit allen – auch militärischen – Folgen zugestimmt habe und der Bundeskanzler im Ausland anders agiere als im Inland und die Neutralität Schritt für Schritt lockere,263 das LIF plädierte offen für die Aufstellung einer Europa-Armee mit österreichischer Beteiligung und die ÖVP sprach von einer »Sicherheitslüge« des Koalitionspartners. ÖVP-Abgeordneter Michael Spindelegger erklärte in Richtung Klima in Anspielung auf dessen variable sicherheitspolitische 262 Kurier 17.6.1999. S. 3. Einen Monat später betonte Nationalratspräsident Heinz Fischer die Position der SPÖ mit dem Hinweis, dass ein NATO-Beitritt Österreichs nach dem Ende des Kalten Krieges und der NATO-Osterweiterung obsolet sei, da »die Wahrscheinlichkeit einer militärischen Aggression gegen Österreich gleich Null« sei. Der mit Zustimmung der SPÖ ratifizierte Amsterdamer Vertrag fordere die Entwicklung der GASP unter der Voraussetzung, dass auch die Neutralen mitwirken können. Der Vertrag dränge den einzelnen Staaten keine bestimmte Rolle bei freidenserhaltenden oder friedenssichernden Maßnahmen auf (Heinz Fischer : »Wir haben bewiesen, dass Neutralität nicht im Gegensatz zu Solidarität steht.« – In : Die Presse 16.7.1999. S. 3). 263 Vgl. Peter Steyrer : Neutralität : Fassade oder Leitlinie der Sicherheitspolitik. – In : Die Presse 29.9.1999. S. 2.
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Zwischen Neutralität und WEU/NATO
Haltung und dessen Androhung, die Neutralität zum Thema des bevorstehenden Nationalratswahlkampfes zu machen : »Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht. Wer dreimal lügt, den wählt man nicht.«264 ÖVP-Klubobmann Andreas Khol betonte, die Neutralität sei durch die historische Entwicklung durch Solidarität ersetzt worden. Seit 1993 nehme Österreich auf dem Balkan an der UNO-Aktion der Friedenssicherung teil. Der nächste logische Schritt sei die Unterzeichnung des Amsterdamer Vertrages gewesen, durch den »für Europa Neutralität durch Solidarität ersetzt« worden wäre.265 Eine sicherheitspolitische Wende in Richtung europäischer Verteidigung vollzog die bisher offen für einen NATO-Beitritt plädierende FPÖ, für die Klubobmann Herbert Scheibner in einem »Kurier«-Interview erklärte, der EU-Gipfel in Köln Anfang Juni 1999 habe mit österreichischer Zustimmung die Erklärung verabschiedet, das Ziel der EU sei die Errichtung einer gemeinsamen europäischen Außen- und Verteidigungspolitik. Wenn die EU ein Verteidigungsbündnis werde, erübrige sich ein NATO-Beitritt. »Dann wird das, was die FPÖ über den NATOBeitritt wollte, auf anderem Weg schneller erreicht.« Die FPÖ wolle jedoch nicht, wie das LIF, eine Europa-Armee, da in diesem Fall die Entscheidung über den Einsatz österreichischer Soldaten in Brüssel falle. Diese Entscheidung müsse jedoch bei den einzelnen Mitgliedsstaaten verbleiben. Wenn die in Köln prinzipiell beschlossene europäische Verteidigung Wirklichkeit werde, müsse Österreich mitmachen, denn : »Alles andere hieße letztlich, aus der EU austreten. Da ist die FPÖ dagegen.«266 Die sicherheitspolitische Agenda blieb damit auf der politischen Tagesordnung und wurde, wie von Klima in der Nationalratsdebatte am 16. Juni angedeutet, zu einem zentralen Wahlkampfthema der SPÖ vor der Nationalratswahl am 3. Oktober. Am 23. Juni erklärte Viktor Klima nach einer SP-Präsidiumssitzung, der Erfolg der SPÖ bei der Europawahl sei darauf zurückzuführen, dass sie die richtigen Themen angesprochen habe. »Diese Anliegen – Arbeit, Sicherheitspolitik und Neutralität – sind daher auch die Basis für die Auseinandersetzung vor dem 3. Oktober.«267 Noch vor der Sommerpause des Nationalrates verschärften sich die sicherheitspolitischen Fronten. Während Unterrichtsministerin und ÖVP-Obmann-Stellvertreterin Elisabeth Gehrer dafür plädierte, dass Österreich einen Platz »in einer europäischen Solidargemeinschaft« einnehmen müsse und darauf hinwies, dass sich Österreich seit der Beschlussfassung über die immerwährende Neutralität nach Schweizer Muster von dieser wegbewegt habe,268 betonte Parteiobmann und Außenminister Wolfgang Schüssel, er sei persönlich davon überzeugt, dass der Weg zur Realisierung der GASP 264 Ebda. 265 Der Standard 17.6.1999. S. 7. 266 Kurier 18.6.1999. S. 3. 267 Kurier 24.6.1999. S. 3. 268 Der Standard 19.7.1999. S. 6.
Nur mehr der kleinste gemeinsame Nenner
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»in Richtung Verschmelzung von EU und WEU« führe : »Das ist im Vertrag von Amsterdam festgelegt. Und Österreich hat immer gesagt, dass wir in einem solchen Fall den Beschluss des Europäischen Rates mittragen würden.« Die Frage, ob dies mit der Neutralität vereinbar sei, müsse man mit dem Hinweis beantworten, dass »die Neutralität […] eine Story von 1955 mit wesentlichen Veränderungen« sei. Der UNO- und EU-Beitritt, der Vertrag von Amsterdam und die Beschlüsse von Köln hätten die Neutralität drastisch eingeschränkt : »Wenn man es pointiert formuliert, sind wir innerhalb der EU nicht mehr neutral. Außerhalb der EU können wir auch nicht neutral sein, wenn es eine gemeinsame Außenpolitik gibt, an der wir mitwirken. Nur dort, wo es außerhalb der EU keine definierte Sicherheitspolitik gibt, können wir unsere klassische Neutralität als Restfunktion noch zur Anwendung bringen. Das ist die klare Formel.«269 Ähnlich argumentierte Österreichs EU-Kommissar Franz Fischler, wobei er indirekt die Sicht Brüssels referierte : »Man darf die Chance einer offenen Diskussion nicht verbauen, indem man die Neutralität emotionalisiert und zum Wahlkampfthema macht. Man kann nicht 50 Jahre lang die Neutralität zum Allerheiligsten Österreichs erklären, sie zur Ikone machen.«270 Dies veranlasste Nationalratspräsident Heinz Fischer in der Fernseh-»Presse stunde« am 18. Juli zu der Replik, dass trotz aller Bemühungen der politischen Kon trahenten um eine Änderung der österreichischen Sicherheitspolitik in der kom menden Legislaturperiode weder die Abschaffung der Neutralität noch ein NATO-Beitritt auf dem Programm stehe.271 SPÖ-Klubobmann Peter Kostelka erklärte in einer Pressekonferenz programmatisch, ein künftiger Koalitionspakt müsse eine deutliche neutralitätspolitische Positionierung Österreichs enthalten. Ein eventueller neuer Optionenbericht, wie er von Teilen der ÖVP sowie der Opposition gefordert wurde, komme nur dann in Frage, wenn dieser einen NATO-Beitritt ausschließe. Österreich werde mit der SPÖ »weder durch die Hintertüre noch durch die Vordertüre« in die NATO kommen. Dies betreffe auch eine Verschmelzung von EU und WEU inklusive Beistandspflicht.272 Vor Beginn der heißen Phase des Wahlkampfs veröffentlichte die Gesellschaft für Europapolitik eine von der Sozialwissenschaftlichen Studiengesellschaft durchgeführte Meinungsumfrage, die, trotz nach wie vor hoher Werte für die Neutralität, eine Änderung der sicherheitspolitischen Befindlichkeiten signalisierte. Wenngleich 68 Prozent die Neutralität für einen unverzichtbaren Bestandteil der österreichischen Staatsidee hielten, so vertraten 51 Prozent die Meinung, dass die Neutralität keine Sicherheit vor einer militärischen Bedrohung biete, und nur mehr 40 Prozent 269 Kurier 19.9.1999. S. 3. 270 Kurier 26.7.1999. D. 3. 271 Der Standard 19.7.1999. S. 6. 272 Die Presse 20.7.1999. S. 6.
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Zwischen Neutralität und WEU/NATO
sprachen sich strikt gegen einen NATO-Beitritt aus, wobei sich allerdings zwei Drittel über die Vor- und Nachteile einer NATO-Mitgliedschaft für nicht ausreichend informiert erklärten. Europa wurde nicht nur als Wirtschafts-, sondern auch als Sicherheitsgemeinschaft gesehen.273 Frage Ist die Neutralität heute noch aktuell?
ja
nein
keine Antwort
68 %
27 %
5%
Frage
dafür
kommt auf die Voraussetzungen an
dagegen
weiß nicht
Sind Sie für oder gegen einen Beitritt Österreichs zur NATO?
24 %
25 %
40 %
11 %
ja
nein
weiß nicht
40 %
51 %
9%
Frage Wie ist die österreichische Neutralität gegenwärtig einzuschätzen? Bietet sie Österreich Sicherheit vor militärischer Bedrohung?
14 Jahre später, Anfang April 2013, beschlossen SPÖ und ÖVP die Festschreibung der Neutralität in der österreichischen Sicherheitsdoktrin. Rainer Novak kommentierte diesen Beschluss und die damit erfolgte neuerliche Sanktionierung des Neutralitäts-Mythos mit Blick auf die österreichische Außen- und Sicherheitspolitik der letzten Jahre kritisch-ironisch, Österreich richte es sich in der Frage der Neutralität unter der Maxime der Opportunität : »So interpretiert die österreichische Staatsspitze Neutralität : Wenn ein Konflikt ausbricht, können wir uns bei Bedarf zwar heraushalten. Wenn wir aber Lust auf oder Sympathien für eine Seite haben, dürfen wir uns sanktionslos einmischen. Neutral heißt auf österreichisch ungeniert und nicht parteiisch. Der politische Mut, diese völlig sinnfreie Form der Neutralität abzuschaffen, fehlt völlig. Wolfgang Schüssel verbrannte sich als Letzter die Hände daran. Das Bekenntnis zur alten Neutralität passt aber einfach zu gut zum politischen Wickie-Slime-und-Paiper-Biedermeier im Land.«274
273 Die Presse 19.8.1999. S. 8. 274 Rainer Novak : Österreichs Eigennutz für Drohnen und Oasen. – In : Die Presse 6.4.2013. S. 2..
VI.
Die kollektiven politischen Akteure
VI.1 Die SPÖ VI.1.1 »Eine gute Entscheidung«. Der Wechsel von Franz Vranitzky zu Viktor Klima 1997 In seinen politischen Erinnerungen bemerkte Franz Vranitzky zu seinem Entschluss, im Jänner 1997 die Kanzlerschaft und wenig später die Funktion des Parteivorsitzenden der SPÖ an Viktor Klima zu übergeben : »Wir schrieben die Jahreswende 1996/97. Die Verhandlungen über ein so wichtiges Stück Banken- und Wirtschaftsgeschichte wie die Übernahme der Creditanstalt durch die Bank Austria waren beendet. Weltfremd, politikfremd wäre es gewesen, dies als einen bloß mechanistischen, technokratischen Vorgang abhaken und zur Tagesordnung übergehen zu wollen. […] Sofern es die logische Semantik erlaubt, eine unendliche Geschichte zu beenden, hielt ich dies für die geeignete Gelegenheit, meinen für mich schon im Laufe des Jahres 1996 gefassten Beschluss wahr zu machen und meine politischen Ämter einem Nachfolger zu übergeben. Ich hatte dafür – ebenfalls schon seit geraumer Zeit – Finanzminister Viktor Klima auserkoren.«305 Vranitzky hatte seinen Entschluss mit den Landesparteivorsitzenden, den Spitzenvertretern der Gewerkschaft, den sozialdemokratischen Kabinettsmitgliedern, SPÖ-Bundesgeschäftsführerin Brigitte Ederer sowie seinem präsumtiven Nachfolger besprochen und diesen mitgeteilt, dass sein Entschluss unumstößlich sei. Über die Gründe seines Entschlusses gibt Vranitzky in seinen Erinnerungen keine Auskunft. Sie dürften vor allem in zwei Bereichen zu finden sein. Der Bundeskanzler war nach zehn Jahren Kanzlerschaft der mühsamen Ebenen der politischen Tagespraxis müde und hatte feinfühlig die geänderte innerparteiliche Stimmung registriert. 1986 hatte er die SPÖ vor dem Machtverlust gerettet und der Partei in den folgenden zehn Jahren die Macht gesichert. Innerparteilich war er allerdings keineswegs unumstritten, galt dem linken Parteiflügel als kühler und unnahbarer »Nadelstreifsozialist« und als »Teflonkanzler«, dem nichts etwas anhaben könne, an dem nichts haften bleibe. Die Beziehung des Bundeskanzlers und Parteivorsitzenden zu seiner Partei war keine ungetrübte. Doch die Partei benötigte ihn, hatte er doch durch die Ausgrenzungspolitik gegenüber der FPÖ die ÖVP an die Große Koalition gebunden und galt in dieser Konstellation als Garant bundes305 Vranitzky : Politische Erinnerungen. S. 379.
142
Die kollektiven politischen Akteure
politischer Wahlerfolge. Die Wahl zum Europäischen Parlament und die Wiener Gemeinderatswahl am 13. Oktober 1996 veränderten allerdings die innerparteiliche Stimmungslage. Bei der Wahl zum Europäischen Parlament verwies die ÖVP mit 29,65 Prozent, wenn auch nur knapp, die SPÖ mit 29,15 Prozent auf den zweiten Platz. Im Vergleich zur Nationalratswahl 1995 verzeichnete die SPÖ einen Verlust von 737.769 Stimmen. Bei der gleichzeitig stattfindenden Wiener Gemeinderatswahl erlebte die SPÖ mit einem Verlust von 8,7 Prozent ein Desaster und sank auf 39,2 Prozent. Die Partei wies gegenüber der Nationalratswahl 1995 nur mehr eine Behalterate von 70 Prozent auf. 38.000 SPÖ-Wähler des Jahres 1995 wanderten zur FPÖ, der damit ein Einzug in den Gemeindebau gelang, und 48.000 wanderten zu den Nichtwählern. Vor allem Wiens Bürgermeister Michael Häupl wurde zur Speerspitze jener Gruppe, die eine Änderung an der Regierungs- und Parteispitze zu forcieren begann. Häupl setzte auf Finanzminister Viktor Klima, der parteiintern als logischer Nachfolger Vranitzkys galt. Die Wiener SPÖ spielte auch als Rückendeckung für Viktor Klima eine zentrale Rolle bei der Übernahme der Creditanstalt durch die Bank Austria, wobei es zu Spannungen mit Vranitzky kam, der die Vorgehensweise als dem Koalitionsklima nicht förderlich erachtete und ein Platzen der Koalition fürchtete. Vranitzky fühlte sich innerparteilich zunehmend isoliert und musste zudem dem von einer starken Gruppe in der Partei vorgebrachten Argument Rechnung tragen, dass der als »Kronprinz« gehandelte Viktor Klima nicht ewig diese Rolle spielen könne, da ihm sonst ein Schicksal wie Hannes Androsch oder Leopold Gratz in der Ära Kreisky drohe. Vranitzky wollte den Eindruck des Sesselklebers, dem die Partei letztlich den Abgang verordnen müsse, vermeiden und entschloss sich in dieser Situation zu raschem Handeln, um den Eindruck des eigenen freien Entschlusses aufrecht erhalten zu können. So sehr er dabei auch sichtliche Erleichterung empfand, so sehr war er auch ein Getriebener der seit dem Oktober geänderten innerparteilichen Konstellation. Als das Parteipräsidium der SPÖ am 18. Jänner 1997 in der Löwelstraße zusammentrat, wurde die SPÖ-Zentrale von Journalisten belagert, denn es hatte sich durch Pressemeldungen herumgesprochen, dass ein Wechsel an der Spitze der Regierung bevorstand. Als Franz Vranitzky vor Betreten der Parteizentrale von einem ORFJournalisten gefragt wurde, ob er aus dem Amt scheide, antwortete er knapp mit »Ja«. Das Präsidium nahm die Entscheidung Vranitzky sowie dessen personellen Vorschlag, Viktor Klima zu seinem Nachfolger zu wählen, einstimmig zur Kenntnis. Finanzminister Viktor Klima sei »eine gute Entscheidung«, lautete der Kommentar die Parteigranden unisono nach der Sitzung.306 Drei Stunden später akzeptierte auch Bundespräsident Thomas Klestil die Demission. Zwei Tage nach seinem Rücktritt 306 Der Standard 20.1.1997. S. 5.
Die SPÖ
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erklärte Vranitzky nach seiner letzten Pressekonferenz als Bundeskanzler gegenüber ausländischen Korrespondenten, dieser Schritt sei eine strategische Entscheidung gewesen. Dadurch sollte der SPÖ die Möglichkeit erhalten bleiben, bei den nächsten Nationalratswahlen stärkste Partei zu bleiben und den Kanzler zu stellen. Dieses Ziel sei jedoch mit einem etwas populistischeren und volksnäheren neuen Mann an der Spitze der Regierung und der Partei eher zu erreichen, da damit auch die Möglichkeit gegeben wäre, zur FPÖ abgewanderte ehemalige SPÖ-Wähler wieder an die Partei zu binden.307 Das Medienecho auf den von manchen erwarteten Schritt Vranitzkys war enorm, wobei jenseits der aktuellen Berichterstattung politische Analysen der zehnjährigen Kanzlerschaft Vranitzkys sowie der politischen Charakterisierung seines Nachfolgers dominierten. Für Andreas Unterberger fiel »die Bilanz über das Ende der Ära Vranitzky […] kritisch aus«. Die Kritik bezog sich auf mehrere Bereiche : »Das gilt für Wirtschafts- und Außenpolitik. Das gilt für den Zustand der SPÖ wie auch für den der von Vranitzky geführten Koalition. Außer einem (weiteren) Dezennium sozialdemokratischer Machterhaltung und dem EU-Beitritt fällt im Vergleich VorherNachher nicht viel zugunsten Vranitzkys aus. Dafür ist ihm die Regie seines Rücktritts mit ästhetischer Brillanz geglückt.«308 Im Urteil von Hans Rauscher konnte die Bilanz über die Kanzlerschaft Vranitzkys gnadenlos oder realistisch gesehen werden. »Er hat einen Großteil der Arbeiterschaft an den von ihm absolut abgelehnten Rechtspopulisten verloren, aber dennoch die Herrschaft der Sozialdemokraten, die 1986 nach dem Verstaatlichtendebakel ablösereif waren, um zehn Jahre verlängert. […] Er hat einen gewissen Modernisierungsschub (Verstaatlichten-Abbau, EU-Beitritt) bewerkstelligt, aber eher reaktiv – und nicht ausreichend für die Bewältigung des Reformstaus. Vor allem aber war Vranitzky kein Machtmensch. Das kann man von Viktor Klima nicht behaupten. Er gilt zu Recht als geschickter, ja schlauer Verhandler – und Verkäufer. […] Doch Klima hat ein Grundproblem : Was in Österreich geändert werden muss – die Überbürokratisierung, Überregulierung, die zu hohen Steuern und Abgaben –, das sind hauptsächlich Jahrzehnte alte sozialdemokratische ›Errungenschaften‹. Und das soll der in der Wolle gefärbte Sozialdemokrat Klima entschlossen wegräumen ? Der ehemalige OMV-Direktor ist ein effizienz-orientierter, aufgeklärter Staatsmanager, Abbau des Staatseinflusses ist ihm kein vorrangiges Anliegen.«309 Andreas Koller kommentierte, die Kunst der Hofübergabe habe die SPÖ immer beherrscht. »Wie sein Vorgänger Fred Sinowatz übergab auch Bundeskanzler Franz Vranitzky 307 Kurier 20.1.1997. S. 3. 308 Andreas Unterberger : Vom richtigen Zeitpunkt. – In : Die Presse 20.1.1997. S. 1. 309 Hans Rauscher : Noch zehn Jahre SP-Kanzler mit Klima ? – In : Kurier 19.1.1997. S. 2.
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Die kollektiven politischen Akteure
sein Amt zum bestmöglichen Zeitpunkt. Dies zeugt nicht nur von Weitblick, sondern auch von Fairness dem Nachfolger gegenüber. Da ›Macher‹ allezeit gut ankommen, reitet der CA-gestählte Viktor Klima derzeit auf einer Welle der Popularität. Vranitzky gibt dem neuen Mann die Chance, diesen Schwung ins neue Amt mitzunehmen. Längeres Zuwarten hätte Viktor Klima ruiniert. Wer zu lange den Kronprinzen spielen muss, den ereilt oft sein Schicksal, wie nicht nur die Geschichte des ausgehenden Habsburger-Reiches beweist. Neben menschlicher Größe spielte auch allzumenschlicher Verdruss bei dieser Hofübergabe eine Rolle. Franz Vranitzky übte sein Amt seit Wochen nur noch lustlos aus. Das Entscheidungszentrum hatte sich ins Finanzministerium verlagert, wo Viktor Klima – an Vranitzky vorbei – seine Fäden spann. Dies kratzte am Selbstverständnis des Kanzlers.«310 Viktor Klima bestätigte unmittelbar nach seiner Designierung seine Macherqualitäten. Bereits am 19. Jänner lud er Vizekanzler Wolfgang Schüssel zu einem Essen zum »Plachuta« in der Wollzeile in dem Wissen, dass Jörg Haider der ÖVP am Vortag einen fliegenden Regierungswechsel angeboten hatte, um die nun schon 26 Jahre währende Herrschaft der SPÖ zu beenden. In der ÖVP war man über den Rücktritt Vranitzkys erbost, da man vorher nicht informiert worden war und von diesem Schritt nur aus den Medien erfahren hatte. Klima bot seinem Gesprächspartner das »Du«-Wort an und versicherte ihm nicht nur eine weitgehend neue SPÖRegierungsmannschaft, sondern auch einen neuen Stil der Zusammenarbeit. Der Regierungspartner stimmte zu und ÖVP-Klubobmann Andreas Khol bemerkte, man habe dem Angebot zugestimmt, da man die Versicherung erhalten habe, »uns ab sofort über alle Koalitionsangelegenheiten vertraulich vorher zu informieren, auf unsere Meinung zu hören, unsere Ansichten ernst zu nehmen.« Zudem habe man auch eine gemeinsame Regierungserklärung versprochen. »Ganz anders, als es zuletzt unter Vranitzky Usus war.«311 Das von Klima Schüssel gegenüber angekündigte weitgehend neue SPÖ-Regierungsteam nahm wenige Tage später erste konkrete Konturen an, als aus dem Büro des designierten Bundeskanzlers bekannt wurde, dass Sozialminister Franz Hums von der Arbeiterkammer-Präsidentin Lore Hostasch abgelöst und das Gesundheitsministerium aufgelöst und in das erweiterte Sozialministerium wandern sollte, wodurch Gesundheitsministerin Christa Krammer aus dem Kabinett ausschied. Ebenfalls aus dem Kabinett schied Innenminister Franz Löschnak, dem in dieser Funktion Beamtenstaatssekretär Karl Schlögl folgte. Ebenso schied Frauenministerin Helga Konrad aus dem Kabinett. Ihr folgte die Oberösterreicherin Barbara Prammer. Caspar Einem blieb Verkehrs- und Wissenschaftsminister und der Wiener Neustädter 310 Andreas Koller : Der neue Kanzler muss die Zwangsehe fortsetzen. – In : SN 20.1.1997. S. 1. 311 NEWS 4/1997. S. 23.
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Bürgermeister Peter Wittmann wechselte als Staatssekretär mit dem Schwerpunkt Kunst und Kultur in das Bundeskanzleramt. Erheblich schwieriger gestaltete sich die Besetzung des vakanten Finanzministeriums, für das der burgenländische Landeshauptmann Karl Stix vorgesehen gewesen war. Der Vorschlag Klimas hatte auch die Zustimmung der ÖVP-Bundesspitze. Einem damit scheinbar problemlosen Wechsel in der Himmelpfortgasse stand jedoch die burgenländische ÖVP entgegen, die auf dem Standpunkt beharrte, sie habe ein Arbeitsübereinkommen mit Karl Stix abgeschlossen, an das sie sich nach dessen eventuellem Wechsel in die Bundesregierung nicht mehr gebunden fühle. ÖVP-Landesparteiobmann Gerhard Jellasitz erklärte, man sei nicht bereit, dem Wunsch von Stix zu entsprechen, im Falle von dessen Wechsel in das Finanzministerium einen Sozialdemokraten zum Landeshauptmann zu wählen. Die Fronten waren festgefahren und auch eine persönliche Intervention von ÖVP-Obmann Wolfgang Schüssel bei Gerhard Jellasitz nützte nichts, da die burgenländische ÖVP von ihrer strategischen Position nicht abzuweichen bereit war : Im Falle eines Wechsels von Karl Stix in die Bundesregierung wollte man für das Burgenland eine Halbzeitlösung durchsetzen : auf einen SPÖ-Landeshauptmann sollte ein ÖVP-Landeshauptmann folgen. Stix betonte, er sei nicht bereit, sich auf eine solche politische Halbzeitlösung einzulassen und werde auf das Amt des Finanzministers verzichten. Die burgenländische SPÖ war nicht bereit, auf die wahltaktisch so wichtige Funktion des Landeshauptmanns zwei Jahre vor der nächsten Landtagswahl zu verzichten. Sie hatte bei der Landtagswahl am 2. Juni 1996 empfindliche Verluste in der Höhe von 3,6 Prozent und eines Landtagsmandats hinnehmen müssen und sah sich mit 17 Mandaten im 36 Mandate umfassenden Landtag einer Mehrheit von ÖVP und FPÖ gegenüber.312 Wenngleich sich ÖVP-Landesparteiobmann Gerhard Jellasitz während des Wahlkampfes in der Landeshauptmann-Frage mit der Feststellung, die stimmenstärkste Partei solle den Landeshauptmann stellen, auf eine Wahl des amtierenden SPÖ-Spitzenkandidaten Karl Stix festgelegt hatte, so sah er nunmehr die Möglichkeit, mit der nächsten Landtagswahl die bereits drei Jahrzehnte währende SPÖ-Dominanz im Land zu brechen und das Burgenland für die ÖVP zurück zu erobern. Dieser Gefahr war man sich in der SPÖ durchaus bewusst, weshalb Karl Stix auf die Funktion des Finanzministers verzichtete. Durch den Verzicht von Stix nominierte Klima den Wiener Finanzstadtrat Rudolf Edlinger. Edlinger galt bereits nach der Designierung Klimas zum neuen Bundeskanzler als möglicher neuer Finanzminister, hatte jedoch einen Wechsel in das Finanzministerium von sich gewiesen. Nunmehr kam er mit der Bemerkung, er folge »einem dringenden Wunsch des Kanzlers« und »gehe mit einem weinenden Auge« der neuerlichen
312 Franz Sommer : Landtagswahl im Burgenland 2. Juni 1996. – In : ÖJP 1996. – Wien/München 1997. S. 119–134.
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Aufforderung Klimas nach.313 Zur Unterstützung des neuen Finanzministers wurde ein zusätzliches Staatssekretariat im Finanzministerium, zuständig für Agenden der Währungsunion, des Kapitalmarktes und Beamte, geschaffen, das mit dem OMVVorstand Wolfgang Ruttenstorfer besetzt wurde. Der Abschluss der Regierungsbildung wurde durch zwei Interviews von Wiens Bürgermeister Michael Häupl überschattet, in denen er, entgegen den Beschlüssen des SPÖ-Präsidiums am 18. Jänner 1997, eine Beendigung der seit Vranitzky praktizierten Ausgrenzungspolitik gegenüber der FPÖ und eine punktuelle Zusammenarbeit mit dieser für durchaus sinnvoll erachtete, da sich dadurch eine Entzauberung der Oppositionspartei und ihres Obmanns ergeben werde. Er lade Jörg Haider herzlich ein, in einigen Sachfragen im Nationalrat mit der SPÖ zu stimmen. Sollten gewisse Vorhaben mit der ÖVP nicht realisierbar sein, sollte man sich durchaus auch an die FPÖ wenden, ließ er wissen. Die SPÖ müsse sich »in Zukunft Koalitions-Optionen offenhalten und sie auch aufbauen«.314 Damit näherte sich der Wiener Bürgermeister der Ansicht des ehemaligen Innenministers Franz Löschnak, der zu der seit 1986 erfolglosen Ausgrenzungspolitik der SPÖ gegenüber der FPÖ mit Blick auf die ständigen Verluste der SPÖ an die FPÖ bemerkte : »Der wirkliche Fehler war, dass man alles, was von den Blauen gekommen ist, für einen Dreck gehalten hat. Hier scheint ein Umdenken da zu sein. Man muss über die Vorschläge inhaltlich reden. Was ist brauchbar ? Was ist unbrauchbar ?«315 Die Verwirrung war perfekt und das Thema eines möglichen Kurswechsels der SPÖ in der Frage FPÖ dominierte die öffentliche Berichterstattung sowie die parteiinterne Diskussion und drohte die Sitzung des Parteivorstandes am 27. Jänner, bei der die neue SPÖ-Regierungsmannschaft offiziell bestätigt werden sollte, zu überlagern. Beruhigung und Klärung war angesagt, weshalb sich Michael Häupl bereits bei Beginn der Sitzung zu Wort meldete und sich um eine Relativierung seiner Aussagen bemühte. Nach der Sitzung erklärte Viktor Klima, er habe bei seinem ausführlichen Gespräch mit Häupl »kaum Unterschiede« bemerkt. Für ihn komme »eine Koalition mit Haider nicht in Frage«. Er sei ein »Anhänger der Großen Koalition« und stehe daher voll zu dem mit der ÖVP vereinbarten Regierungsprogramm. ÖVP-Obmann Schüssel habe ihm versichert, dass er an einer »teamorientierten Zusammenarbeit« bis zum Ende der Legislaturperiode interessiert sei und die ÖVP nicht die Absicht habe, an andere Abstimmungsverhältnisse zu denken.316 Und SPÖ-Klubobmann Peter Kostelka betonte in einem Interview, die Große Koalition habe weder rechnerisch noch politisch eine Alternative. »Die ÖVP hat die Lehren aus der CA313 Kurier 25.1.1997. S. 2. 314 Kurier 271.1997. S. 2. 315 Die Presse 5.4.1997. S. 7. 316 Kurier 28.1.1997. S. 2.
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Situation gezogen. Sie hat ursprünglich überlegt, gemeinsam mit den Freiheitlichen zu agieren, und sie hat zweierlei erkennen müssen : Dass ihr erstens dieses Agieren in der Öffentlichkeit nicht wirklich gut bekommen ist. Und zweitens haben diese Verhandlungen mit den Freiheitlichen der ÖVP offenbar deutlich gemacht, dass die SPÖ allemal der verlässlichere und zukunftsorientiertere Partner ist.« Die Zusammenarbeit in der Koalition sei sehr schwierig gewesen und zwischen Weihnachten und Neujahr auf den Nullpunkt gesunken. »Es waren wirklich frostige Weihnachten. In der Zwischenzeit ist der Koalitionsmotor wieder angesprungen. Dazu kommt die Abkehr der ÖVP hinsichtlich des Angebotes der FPÖ für einen fliegenden Koalitionswechsel.«317 Wenngleich die ÖVP ihren Willen zur Fortsetzung der Koalition demonstrierte und die Hoffnung auf einen politischen Neubeginn aussprach, war dies keineswegs die ungeteilte der Meinung der Partei. So erklärte ein über den politischen Kurs der Partei sichtlich irritiertes Vorstandsmitglied : »Zuerst reden wir mit der FPÖ über den Absprung aus der Koalition, jetzt haben wir das innigste Liebesverhältnis mit der SPÖ. Zuerst war Herr Klima unser Todfeind, weil er uns bei der CA über den Tisch gezogen hat, plötzlich ist der Viktor unser Haberer.«318 Der neue Bundeskanzler ging in seiner Regierungserklärung am 29. Jänner 1997 inhaltlich auf die ÖVP zu, indem er auf den Modernisierungsbedarf im Sozialbereich hinwies und betonte, Transferleistungen sollten nur mehr diejenigen bekommen, die sie auch benötigten und dass man sich in der Sozialpolitik vom Gießkannenprinzip verabschieden müsse. Zur notwendigen Sicherung des Wirtschaftsstandortes Österreich seien strukturelle Reformen im Bereich der Bürokratie in Richtung einer stärkeren Liberalisierung notwendig. Eine zukunftsorientierte Politik dürfe keine Scheuklappen haben und müsse sich ständig die Frage stellen, ob und wo Geld unnötig ausgegeben werde und welche Aufgaben der Staat übernehmen solle und welche nicht. Unter diesen Prämissen schien der Start der neuen Koalitionsregierung vielverheißend. VI.1.2 Auf der Suche nach neuen programmatischen Positionen 1997/99 Mit dem Rücktritt von Franz Vranitzky nach mehr als zehnjähriger Kanzlerschaft am 18. Jänner 1997 ging eine Ära zu Ende.319 Albrecht Konecny bemerkte, »in einer Welt der Umbrüche war die Ära Vranitzky keine der ›Vollendung‹ und keine der großen Zukunftsentwürfe. Aber was sie auszeichnet, ist das Bemühen, die Auswirkungen von Brüchen und Umbrüchen auf Österreich klein zu halten und die Sozialdemokratie und das ganze Land bereitzumachen, von einer neuen Basis aus einen 317 Die Presse 24.1.1997. S. 6. 318 Kurier 28.1.1997. S. 3. 319 Zur Sicht Vranitzkys auf seine Kanzlerschaft vgl.Vranitzky : Politische Erinnerungen.
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neuen Aufbruch zu unternehmen.« Unter seinem Nachfolger Viktor Klima müsse sich die SPÖ einem »tiefreichenden Veränderungsprozess unterziehen«. Die Partei müsse sich angesichts der gesellschaftlichen Wandlungsdynamik in ihrer Organisationsstruktur einem Strukturwandel unterziehen, das zu den Grünen und zum Liberalen Forum tendierende städtische Bevölkerungssegment als Zielgruppe erkennen und den »Appeal« der sozialen Kompetenz wiedergewinnen. »Sie muss die direkte Auseinandersetzung mit der FPÖ aufnehmen, um jene potentiellen oder tatsächlichen ›Modernisierungsverlierer‹, die in dem Robin-Hood-Gestus eines Jörg Haider so etwas wie Verstanden-Werden sahen, davon zu überzeugen, dass ihre zentralen sozialen Anliegen nicht von der FPÖ, sondern – wie stets – von der Sozialdemokratie vertreten werden.«320 Axel Zuschmann sah den neuen Bundeskanzler und Parteivorsitzenden vor der Aufgabe, dem Populisten Jörg Haider mit der Waffe der Volksnähe und der Kommunikation entgegenzutreten. »Aufgabe der SPÖ ist es […], volksnah zu sein, ohne Ressentiments zu schüren, pointiert zu argumentieren ohne zu lügen und mitreißend zu formulieren ohne zu hetzen. Mehr Aktion als Reaktion, unter diesem Motto müssen Alternativen zur politischen Schaumschlägerei Haiders angeboten werden […]. Für dieses Vorhaben braucht die SPÖ Politiker, die die Spielregeln der Politik im Zeitalter der Mediengesellschaft beherrschen und dementsprechend Wert auf ein ständiges Dazulernen legen, was Kommunikation, Auftreten, Rhetorik betrifft. Denn nicht an Inhalten oder Projekten mangelt es, sondern an deren Vermittlung. Jörg Haider ist Populist, Viktor Klima ist populär. Die SPÖ braucht mehr populäre Politiker.«321 Am 35. Bundesparteitag am 9. April 1997 in Linz folgte Viktor Klima Franz Vranitzky auch in der Funktion des Bundesparteivorsitzenden, begleitet von Störgeräuschen des linken Parteiflügels. Im Foyer des Linzer Design Centers nahmen Peter Kreisky und Alfred Kohlbacher unter einem Transparent »Initiative für eine sozialistische Politik der SPÖ« Aufstellung und warben um Unterstützung für ihr Anliegen, verteilte die ehemalige Klubobfrau der Salzburger SPÖ, Ricky Veichtlbauer, Zettel, auf denen die Zehn-Punkte-Forderung der Parteilinken gedruckt war. Bruno Aigner schöpfte Hoffnung und sah die Parteilinke nicht mehr als geduldete Pausenclowns des Parteitags, sondern als politische Hefe im ideologischen und politischen Teig der Partei. Und die Parteilinke hatte in Caspar Einem ihr Idol, das man unbedingt im Parteivorstand sehen wollte. Klima kam dieser Forderung teilweise nach, indem er Einem in das Präsidium kooptierte. Doch der Auftritt der Parteilinken fand nur auf einer Nebenbühne des Parteitages statt, die Hauptbühne gehörte dem scheidenden und dem neuen Parteiobmann. 320 Albrecht Konecny : Neuer Start. – In : Die Zukunft 3/1997. S. 5- 7. 321 Axel Zuschmann : Populär und nicht populistisch. – In : Die Zukunft 3/1997. S. 8–11. S. 11.
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Vranitzky bemerkte in seiner Abschiedsrede, die SPÖ habe »eine hervorragende Ausgangsposition« in den bevorstehenden politischen Auseinandersetzungen auf grund ihrer bisher geleisteten Arbeit. Die Partei müsse sich bei ihrer Arbeit jedoch stets die Frage stellen, wodurch sie sich von den politischen Mitbewerbern unterscheide. »Was macht uns eigentlich anders als die anderen und worauf kommt es uns im Gegensatz zu den anderen an ?«322 Viktor Klima griff diese Aufforderung in seiner Parteitagsrede auf und erklärte, wer die Meinung vertrete, die Politik müsse den globalen Veränderungen und Herausforderungen nachhinken, der irre. »Wir Sozialdemokraten werden diese Zukunftsentscheidungen treffen und sie nicht den Konservativen überlassen.«323 Die Politik habe auch in einer globalisierten Welt die Aufgabe der Gestaltung, wobei er die Form der Gestaltung als »grundsätzliche ideologische Auseinandersetzung« definierte.324 Man werde die Herausforderungen des sozialen und ökonomischen Wandels annehmen und im instrumentellen Bereich neue Organisations- und Kommunikationsformen entwickeln sowie im ideologischprogrammatischen ein neues Parteiprogramm erarbeiten.325 Am 2. Mai 1997 betrat Tony Blair Downing Street Nr. 10 zum ersten Mal als Ministerpräsident und am 27. September zeigte sich Gerhard Schröder mit beiden Armen nach oben gestreckt und dem Victory-Zeichen seinen Anhängern als strahlender Sieger der Bundestagswahl. Blair hatte die Labour Party in die Mitte gerückt und mit New Labour einen triumphalen Wahlsieg errungen, Schröder die SPD mit einem ähnlichen Programm aus einem langen Tal der Tränen wiederum mit einer rot-grünen Koalition in das Kanzleramt geführt. Die Sozialdemokratie gab in Europa wieder den Ton an. In elf von fünfzehn Staaten der EU dominierten die Sozialdemokraten der verschiedensten Schattierungen. Doch dieser Triumph wurde nicht mit traditionellen, lediglich geringfügig modifizierten, ideologischen Positionen wie in den siebziger Jahren zu Zeiten des legendären Trios Willy Brandt, Olof Palme und Bruno Kreisky errungen, sondern mit einer grundlegend neuen Politik, die unter den Schlagworten »modern«, »Neue Mitte« und »Dritter Weg« den Abschied von linken Positionen und die Hinwendung zu Marktwirtschaft und dem gesellschaftlichen Wandel signalisierte. Es war der Abschied von der Vorstellung, im Zeitalter der triumphierenden Marktwirtschaft und der Globalisierung die Realitäten, vor allem die wirtschaftlichen, nach ideologischen Dogmen gestalten zu können. Joachim Riedl bemerkte im Rückblick auf diese Entwicklung : »Der Markt ist nicht alles, behaupten zwar die neuen Euroten. Doch etwas leiser fügen sie hinzu : Alles ist nichts ohne den Markt. 322 Franz Vranitzky : Alles Gute – Glück Auf – Freundschaft. – In : Die Zukunft 5/1997. S. 9–14. S. 14. 323 Viktor Klima : Aufbruch ins neue Jahrtausend. – In : Die Zukunft 5/1997. S. 15–25. S. 15. 324 Ebda. S. 16. 325 Ebda. S. 25.
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Dieser Gesinnungswandel, tatsächlich eine Revolution, ist weder der oft beschworene Paradigmenwechsel noch jene Fahnenflucht, die rote Veteranen nun beklagen. Die Modernisierer hatten schlicht die Nase früher im Wind. Sie sahen ein, dass die Zeit nicht mit ihnen ziehen mag, und zogen es daher vor, mit der neuen Zeit zu ziehen.«326 In diesen politischen Mainstream versuchte auch Viktor Klima, unterstützt von den neuen Parteistrategen in der Löwelstraße, die SPÖ einzubinden und eine Neuauflage des legendären sozialdemokratischen Trios der Siebzigerjahre – nunmehr Tony Blair, Gerhard Schröder, Viktor Klima – in die Wege zu leiten. Selbstbewusst erklärte der Kanzler und SPÖ-Vorsitzende im Dezember 1998, er werde »nicht zufällig in einem Atemzug mit Blair und Schröder genannt.«327 Die neuen SPÖ-Parteistrategen Andreas Rudas und Heinz Lederer wussten um die Medienlogik und die Gesetze der öffentlichen Aufmerksamkeit, um die Macht der Bilder und der symbolischen Politik. Sie kontaktierten die PR-Berater von Bill Clinton und Tony Blair, George Stephanopoulos, Dick Morris und Peter Mandelson und verkündeten die Botschaft : Es geht bei künftigen Wahlkämpfen nicht mehr um alte Ideologien oder komplizierte sachpolitische Themen, sondern um kurz vermittelbare Botschaften mit hohem Symbolcharakter. Als Medienmensch wisse er, so Andreas Rudas in Anspielung auf das TV-Verhalten des Großteils der Bevölkerung, »um den Zappismus, wir müssen die Wahlabstimmung per Fernbedienung gewinnen. Ich habe mir Clinton und Blair genau angesehen. Zehn Prozent der Themen genießen neunzig Prozent Aufmerksamkeit. Diese Botschaften müssen ständig wiederholt werden.«328 In deutlichem Gegensatz dazu hatte sich eine Woche vor dem SPÖ-Parteitag in Wien die »Initiative für eine sozialistische Politik der SPÖ« in Wien konstituiert, um auf die Programmdiskussion sowie die konkrete Politik der SPÖ im Sinne der Verwirklichung sozialistischer Schwerpunkte Einfluss zu nehmen. Als Ergebnis der Gründungsversammlung wurde eine erste Diskussionsgrundlage verabschiedet, in der die Initiative ihre Positionen in zehn Punkten formulierte. »Der Kampf gegen den globalisierten Kapitalismus und seine für den Großteil der Menschen verheerenden Folgen, sowie der Kampf gegen faschistische Tendenzen und Rechtspopulismus erfordern eine starke, einige und geschlossene Sozialdemokratie.« Die SPÖ müsse »die Interessen der Lohn- und Gehaltsempfänger, aber auch der Arbeitslosen, Kleingewerbetreibenden und Kleinbauern vertreten« und sich »klar von den Positionen des Neoliberalismus abgrenzen.« Sie müsse sich als Hüterin der immerwährenden Neutralität und als solidarischer Partner der Asylanten positionieren, ihre unterschiedlichen Positionen zu den politischen Mitbewerbern betonen und »ihre Po326 Joachim Riedl : Die Tarnfarbe Rot. – In : FORMAT 1/1998. S. 17f. S. 18. 327 FORMAT 12/1998. S. 30. 328 FORMAT 4/1998. S. 26.
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litik bedingungslos der Durchsetzung sozialdemokratischer Ziele unterordnen.«329 Für Bruno Aigner war die SPÖ nach den von ihr initiierten Reformen »zu einer verwechselbaren Supermarktpartei« geworden, die durch den in ihr herrschenden Pragmatismus gegenüber der ÖVP keine klaren Konturen mehr zeige.330 Der scheidende Parteivorsitzende Franz Vranitzky bemerkte im Vorfeld des Parteitages in Linz im Bundesparteivorstand der SPÖ ironisch in Richtung der Parteilinken : »Der Peter Kreisky hat schon gegen seinen Vater diskutiert, und der hat das ausgehalten, und der Viktor Klima wird das auch tun.«331 Gegen die Forderungen der Parteilinken wies Albrecht Konecny darauf hin, sozialdemokratische Regierungsparteien seien meistens aufgrund der Tatsache, dass sie sich in nur begrenztem Ausmaß auf ein starkes sozialdemokratisches Segment der Gesellschaft stützen könnten, mehr zum Moderieren als zum Prägen der gesellschaftlichen und ökonomischen Entwicklungen gezwungen. Linker Theorie werde »nicht zu Unrecht vorgeworfen, dass sie stets besser im Analysieren […] als im Aufzeigen von Möglichkeiten« sei. »Wer Hoffnungen erweckt – und was außer Hoffnung hätte denn eine prägende Kraft in der Politik – muss sich sehr genau überlegen, welche davon er zu wecken wagen darf. Nur jene, die er glaubhaft zu erfüllen hoffen kann ! Tony Blair, dessen überwältigender Wahlerfolg tatsächlich eine europäische Ermutigung der Sozialdemokratie darstellt, hat seinen Erfolg nicht zuletzt der Tatsache zu verdanken, dass er eine Strategie der begrenzten Hoffnungen eingeschlagen hat.« Er habe in seiner Programmatik auch konservative Positionen übernommen und die englischen Wähler und Wählerinnen hätten »nur zu gut verstanden, dass sich ihnen hier jemand präsentierte, der nicht mit dem unrealistischen Anspruch antrat, 23 Jahre konservativer Herrschaft – mit all ihren gesellschaftlichen Auswirkungen – ungeschehen machen zu wollen, sondern jemand, der vom heutigen Ist-Stand weg eine andere, sozialdemokratische, Zukunftsperspektive anbot als die Konservativen.« Die Sozialdemokratie müsse zur Kenntnis nehmen, dass »die Verstaatlichung großer Bereiche sowohl der Wirtschaft wie unendlich vieler anderer Aufgaben […] nicht notweniger Weise zu besseren Lösungen geführt« habe. »Ganz im Gegenteil – hier haben sich einige Mechanismen herausgebildet, die unbestreitbar zu geringerer Effizienz, aber auch zu einer wenig sozialistischen Haltung der in diesen Bereichen Tätigen geführt haben.« Wenngleich die Sozialdemokratie daraus nicht auf die gegenteilige Lösung setzen dürfe, so müsse sie doch die Frage beantworten, »ob die einzig vorstellbare Form der ›Vergesellschaftung‹ eines Bereiches wirklich die bloße ›Verstaatlichung‹« sei »oder ob nicht andere 329 Der Standard 19.3.1997. S. 7; Vorwärts zu Taten. Diskussionsgrundlage der Initiative für eine sozialistische Politik der SPÖ. – In : Die Zukunft 5/1997. S. 30f. 330 Der Standard 4.4.1997. S. 7. 331 Die Presse 5.4.1997. S. 6.
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Formen gesellschaftlichen Einflusses möglich« wären.«332 Die Erfolge der Sozialdemokratie in Europa, vor allem in Großbritannien und Deutschland, beruhten vor allem darauf, dass sie in diesen Ländern »über früher undiskutierte Grenzen hinausgewachsen ist. Dass sie eine breitere soziale Basis gefunden hat und dass sie in durchaus fundamentalen Fragen von traditionellen Lösungsansätzen Abschied genommen hat.« Erst durch diesen Schritt habe sie den Status einer Milieu-Partei verlassen und sei mehrheitsfähig geworden.333 Florian R. Oberhuber bemerkte mit Blick auf geänderten Lebenswelten vor allem im urbanen Bereich, mit dem Beharren auf der Tradition sei keine Partei zu machen334 und Bundesgeschäftsführer Andreas Rudas betonte in einem Interview, die SPÖ müsse sich von dem traditionellen ideologischen Anspruch verabschieden, »so etwas wie einen statistischen Endzustand der Entwicklung« zu definieren und anzustreben. Dies sei »quasi-religiöse Eschatologie, für die es in der Bewusstseinslage von heute keine Anknüpfungspunkte gibt.«335 Thomas Nowotny wies darauf hin, dass der Wahlerfolg der Labour Party unter Tony Blair vor allem darauf beruht habe, dass die Partei »sehr weit vom linken Rand in das Zentrum« gerückt sei. »Sie hat dazu ihr Programm geändert. Erfolgreich war sie aber wegen dieses geänderten Programms, und nicht deshalb, weil sie auf jedes Programm verzichtet und den Wahlkampf bloß mit Symbolen und Sympathiewerbung geführt hätte […]« Blair habe sich von den Gewerkschaften gelöst, die seinen Reformbestrebungen ablehnend gegenüberstanden, habe sich von klassischen sozialistischen Forderungen, wie dem Rückgängigmachen der Privatisierungen, der Umverteilung bei Vermögen und Einkommen oder der höheren Besteuerung von Spitzenverdienern verabschiedet, da diese einfach nicht mehr mehrheitsfähig gewesen seien. Blair sei »der echtere Sozialdemokrat […], weil er die Programme der Partei […] fortentwickelt und an die neuen Gegebenheiten angepasst« habe, »während die kontinentaleuropäischen sozialdemokratischen Parteien steckengeblieben und konservativ in dem Sinne geworden« seien und »nur mehr um die Erhaltung von Bestehendem« kämpften, aber nicht um die Zukunft.336 Konecny und Nowotny vertraten jene Position, die zwei Jahre zuvor Klaus von Dohnanyi in einer fiktiven Rede über die SPD und deren Zukunftsfähigkeit formuliert hatte. Die gegenwärtige Krise der SPD beruhe nicht auf einem Verlust an Utopie, sondern auf einem progressiven Wirklichkeitsverlust, dessen Ursache in ihrer ideologischen Tradition zu suchen sei. Die linken Ideologen in der Partei würden noch immer die Ansicht vertreten, dass 332 Albrecht Konecny : Die Partei des Protests. – In : Die Zukunft 6/1997. S. 5–8. S. 6f. 333 Albrecht Konecny : Die neue Sozialdemokratie. – In : Die Zukunft 4/1998. S. 5–8. S. 5. 334 Florian R. Oberhuber : Mit Tradition ist keine Partei zu machen. – In : Die Zukunft 7/1997. S. 9–18. 335 Die Zukunft 12/1997. S. 5. 336 Thomas Novotny : Des Kaisers schicke neue Kleider. – In : Die Zukunft 11/1997. S. 4–11. S. 7f.
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die »wirkliche Welt […] einer unwirklichen politischen Weltvorstellung« bedürfe. »Richtig ist, dass ohne ein Verstehen der gesellschaftlichen Entwicklungen auch die Grundlagen für eine wirkungsvolle politische Praxis fehlen. […] Aber falsch ist, diese Grundlagen in der parteitheoretischen Arbeit der vergangenen 125 Jahre zu suchen. Im Gegenteil : Es war gerade diese Theorie, die uns schon früher in die Irre führte und die uns nun den Weg versperrt. Nicht die Utopie ist es, die uns fehlt, sondern ein geschärfter Sinn für die Wirklichkeit.« Der erste ideologische Irrtum der Partei sei ihr anthropologischer Ansatz des »neuen Menschen« gewesen. »Die SPD übernahm einen zentralen Irrtum des Marxismus : nämlich die Überzeugung, der Mensch lasse sich durch soziale Erziehung in seinen Grundinstinkten und Verhaltensformen verändern. […] Und, eher gegen Marx und mit Lassalle, erwarteten wir, der Staat könne auf Dauer ein Ordnungssystem herstellen und durchsetzen, das dieses Wunschbild vom Menschen formen helfe und damit dessen rivalisierendes und wettbewerbsorientiertes Wesen korrigieren. Der Mensch war anders, als wir ihn wollten. Und die treibende Kraft der gesellschaftlichen Verhältnisse war nicht der Staat, sondern die Wirtschaft ; nicht der Politiker, sondern der Unternehmer ; nicht die Utopie, sondern die Wissenschaft und Technik.« Die SPD müsse sich von ihrer dogmatischen staatsgläubigen Programmatik von Planung und Staatseigentum verabschieden und eine theoretische Debatte über die zentrale Bedeutung des Marktes und der Freiheit führen.337 Im Mai 1998 lag der Entwurf für eine Diskussionsgrundlage zum neuen Parteiprogramm vor, in dem der Versuch unternommen wurde, vor dem Hintergrund der geänderten ökonomischen, gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen (Ende der kommunistischen Herrschaft in Ost- und Südosteuropa, Zerfall der Sowjetunion, Globalisierung, Entwicklung und Verfestigung des europäischen Binnenmarktes, Teilnahme an der geplanten Währungsunion) und der daraus folgenden Konsequenzen (Notwendigkeit struktureller Reformen, Defizitabbau und Preisstabilität, Stärkung des Wirtschaftsstandorts Österreich) die Partei weiter in der politische Mitte zu positionieren, wobei mit Rücksicht auf die innerparteilichen Spannungen ein Kompromiss zwischen traditionell etatistischen und egalitären Positionen und jenen der Sozialen Marktwirtschaft geschlossen wurde.338 Der Begriff der Sozialen Marktwirtschaft wurde im Programmentwurf wie im schließlich beschlossenen Parteiprogramm vermieden, um die Wortkreation einer Solidargemeinschaft als neuen ideologischen Entwurf erscheinen zu lassen. Ein Vergleich der Analysen und der daraus folgenden politischen Argumente zeigt jedoch, dass es sich dabei keineswegs um originelle Neuansätze handelt, sondern um die Übernahme zahlreicher Po337 Klaus von Dohnanyi : Die SPD muss anderes werden. – In : FAZ 11.11.1995. S. 35. 338 Grundsatzprogramm der Sozialdemokratischen Partei Österreichs. Entwurf für eine Diskussionsgrundlage. – In : Die Zukunft 5/1998. S. 4–19.
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sitionen der Sozialen Marktwirtschaft. Ein Umstand, der in den kritischen Beiträgen der Parteilinken durchaus erkannt wurde. Der Entwurf sei, so erklärte Bundesgeschäftsführer Rudas anlässlich der Präsentation, »sehr kantig und sehr engagiert.« Es liege ein »Zukunftsprogramm ohne Scheuklappen« vor.339 Heinz Fischer charakterisierte den Programmentwurf als »Programm der fortschrittlichen linken Mitte«340 und Claudia Schmied und Michael Neugebauer sahen in ihm den Beweis, »dass Wettbewerbsfähigkeit, soziale Sicherheit und ökologischer Umbau kein Widerspruch« seien. »Dabei gilt es, die Vorteile des kontinental-europäischen Marktwirtschaftsmodells gegenüber dem atlantischen Marktwirtschaftsmodell zu erhalten und uns gleichzeitig an eine Welt im Wandel anzupassen.«341 Der Staat müsse dort eingreifen, wo die Marktkräfte versagen oder aber extreme soziale Ungleichgewichte zu verursachen drohten. Ziel des modernen Staates sei jedoch auch vor allem »die Ermutigung zur Eigenverantwortung und Eigeninitiative«. »Wir müssen konsequent analysieren, welche Aufgaben der Staat selbst erfüllen soll und welche Aufgaben wir durch Vereinfachungen in Abläufen einsparen können.« Die Sozialdemokratie müsse geordnete Staatsfinanzen als wichtiges Ziel und zentrales Instrument der Möglichkeit ordnungspolitischen Handelns anstreben. »Da, wo sich Infrastrukturprojekte privatwirtschaftlich nicht rechnen, müssen wir sie öffentlich finanzieren. Investitionen in die Infrastruktur sind Investitionen in unsere Zukunft. Unser Ziel ist die Rückführung der Staatsverschuldung. Wir dürfen nicht länger auf Kosten der kommenden Generationen leben. […] Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass nicht alles, was wünschbar ist, auch finanzierbar ist.«342 Die Parteilinke monierte, dass das Programm Grundwerte formuliere, »mit denen sich praktisch jede demokratische Partei identifizieren« könne. Die Tagespolitik zwinge zu Kompromissen, wodurch die Positionen der (Regierungs-)Parteien verwechselbar werden. »Gerade in einem Parteiprogramm soll eine deutliche, akzentuierte Sprache vorherrschend sein. Wo denn sonst ?« So seien eine Neubewertung der Rolle des Marktes und dessen positiver Effekte notwendig. »Diese positiven Aspekte dürfen nicht dazu führen, dass die Sozialdemokratie die Marktwirtschaft in ihrer derzeitigen Form grundsätzlich positiv bewertet.« Die Partei müsse sich in ihren programmatischen Formulierungen gegenüber den politischen Mitbewerbern klarer abgrenzen. Sie müsse die Auseinandersetzung mit dem Neoliberalismus auf
339 Der Standard 24.4.1998. S. 7. 340 Heinz Fischer : Zum Entwurf für das neue Parteiprogramm der SPÖ. – In : Die Zukunft 10/1998. S. 8–11. S. 11. 341 Claudia Schmied, Michael Neugebauer : Wer wollen wir sein ? Ein Beitrag zur SPÖ-Programmdiskussion. – In : Die Zukunft 7/8/1998. S. 34–38. S. 34. 342 Ebda. S. 38.
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der politischen, ökonomischen und wissenschaftlich-theoretischen Ebene führen und deren Ergebnisse müssten im Parteiprogramm stärker und pointierter Berücksichtigung finden.343 Peter Ulrich Lehner kritisierte den peinlich anmutenden verbalen Abschied von Begriffen wie Sozialismus und Kapitalismus und das Fehlen eines Analyseteils über die Gesellschaft des Kapitalismus. »In einer Zeit, in der durch eine neoliberale Wirtschaftspolitik die Klassengegensätze des Kapitalismus wieder unverhüllter zutage treten, wo in immer brutalerer Weise der Klassenkampf von oben angeheizt, wo das Interesse der Klasse der Kapitaleigentümer und Großanleger immer ungeschminkter zum Maßstab der Politik wird, verharmlosen wir diese gesellschaftliche Wirklichkeit […].«344 Ein sozialdemokratisches Programm müsse, so Alexander Koppensteiner, darauf verweisen, dass spätestens nach dem Ende der kommunistischen Planwirtschaft der hemmungslose Turbokapitalismus die Soziale Marktwirtschaft abgelöst habe und der soziale Zusammenhalt der Gesellschaft zunehmend gefährdet sei. »Es ist nicht das Problem, dass der Programmentwurf die Sozialdemokratie mit dem Markt versöhnt, sondern, dass er sich nicht kritisch damit auseinandersetzt, welche Art von Marktwirtschaft sich zunehmend zu etablieren droht.«345 Walter Perl kommentierte den Programmentwurf kritisch mit dem Hinweis, es sei »richtig, wenn auch schmerzlich, dass derzeit der Kapitalismus den Wettlauf gegenüber allen sozialistischen und gemeinwirtschaftlichen Systemen gewonnen« habe. »Deswegen ihn aber als Fortschrittsträger zu bewundern, kann doch nicht Aufgabe eines SPÖ-Programms sein. Es wäre gerade Aufgabe eines sozialdemokratischen Programmes, auf die gewaltigen, unmenschlichen Schattenseiten dieses Systems hinzuweisen.«346 Der steirische Landesgeschäftsführer Karl-Heinz Herper monierte, dass dem Programmentwurf ein »starker antikapitalistischer Zug« fehle. Die SPÖ dürfe »nicht zur Allerweltspartei werden noch sei sie der Sachwalter des internationalen Finanzkapitals.« Und für den Chef der Sozialistischen Jugend, Robert Pichler, war der Programmentwurf »nicht links, nicht rechts, sondern unten durch.«347 Caspar Einem bemerkte, er habe sich in der »SP-Zukunftswerkstatt« mit seinen Programmvorschlägen nicht durchsetzen können. Ihn störe der im Programmentwurf dominante Pragmatismus. Das Vorbild New Labour sollte nicht für die SPÖ verbindlich sein.348
343 Sonja Wehsely, Andreas Schieder, Kurt Stürzenbecher, Heinz Vettermann : Auf dass wir nicht verwechselt werden. – In : Die Zukunft 7/8/1998. S. 23–25. 344 Peter Ulrich Lehner : Nebel über Hoffnungsvollem. – In : Die Zukunft 7/8/1998. S. 26–32. S. 27. 345 Alexander Koppensteiner : Für die Marktwirtschaft – aber für welche ? – In : Die Zukunft 9/1998. S. 9–11. S. 11. 346 Walter Perl : Wo bleibt die klare Stellungnahme ? – In : Die Zukunft 9/1998. S. 12–14. S. 12. 347 Kurier 25.4.1998. S. 2. 348 Kurier 24.4.1998. S. 3.
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Das Parteiprogramm wurde auf einem außerordentlichen Bundesparteitag am 30./31. Oktober 1998 in Wien beschlossen.349 In seiner Rede bemerkte Parteivorsitzender Viktor Klima in Richtung der Kritik des linken Parteiflügels, es habe im Vorfeld des Parteitages eine Gruppe gegeben, »die […] so ein bisschen die Nase gerümpft […] und sich darüber mokiert« habe, dass im Programm das Wort »Markt« vorkomme und dass ein fairer Wettbewerb als wichtiger Beitrag zur Förderung des Wohlstandes bezeichne. »Ja, liebe Freunde«, so Klima, » ja sollen wir denn, so frage ich Euch, die Augen vor der Realität verschließen ? Wer heute ein mehr an Beschäftigung will und mehr an Arbeitsplätzen schaffen will, der muss im gleichen Atemzug auch die Unterstützung neuer Unternehmen, die Gründung neuer Unternehmen und damit auch eine Unterstützung der Selbständigkeit von der Sozialdemokratie erwarten können.«350 In den letzten Jahren habe »ein tiefgreifender Wandlungsprozess seinen Lauf genommen«. »[Dieser] hat uns, die wir heute an der Schwelle zum neuen Jahrtausend stehen, vor neue Aufgaben, neue Herausforderungen gestellt, die auch eines zeitgerechten Programmes bedürfen. Wir stellen mit unserem Programm dem neoliberalen Modell eines hemmungslosen Individualismus und dem konservativen Modell einer karitativen Bürgergesellschaft das verantwortungsbewusste Modell einer Solidargemeinschaft gegenüber : Menschen, die sich ihrer Verantwortung bewusst sind und deshalb solidarisch handeln.«351 Heinz Fischer erklärte, man habe dem Antrag der Parteilinken, in das Programm den Begriff der klassenlosen Gesellschaft aufzunehmen, nicht entsprochen. Man habe ihn aber auch nicht »achtlos über Bord geworfen, sondern […] ersetzt durch das Ziel einer Gesellschaft, in der Klassengegensätze überwunden sind.« Denn »der Begriff der klassenlosen Gesellschaft steht nun einmal in Verbindung mit der Auffassung, dass unsere Gesellschaft in zwei Klassen zerfällt, nämlich in die Klasse der Besitzer von Produktionsmitteln und in die Klasse der lohnabhängigen Proletarier und dass dieser Gegensatz überwunden werden könne. Und genau das ist auch schon seit dem Programm von 1978 nicht die Auffassung der modernen Sozialdemokratie, noch dazu an der Schwelle zum 21. Jahrhundert. Und wir halten daher die neue Formulierung […] nicht für unschärfer […], sondern einfach für richtig, für besser und für unserem heutigen Gesellschaftsverständnis entsprechend. Wir haben unsere Positionen zur Marktwirtschaft präzisiert. Wir sagen, dass der Markt in unserer Wirtschaftsordnung eine wichtige Funktion zu erfüllen hat, dass aber die Kräfte des Marktes allein nicht für eine gerechte Verteilung sorgen können 349 Vgl. Christoph Kotanko (Hg.) : Die Qual der Wahl. Die Programme der Parteien im Vergleich. – Wien 1999. S. 11–57. 350 Protokoll des außerordentlichen Bundesparteitages der SPÖ in Wien vom 30. bis 31. Oktober 1998. S. 13. 351 Ebda. S. 7.
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[…].« Das Programm stelle fest, dass »ein Rückzug des Staates nicht ein Wert an sich« sei. »Wir sind überzeugt […], dass Deregulierung als Selbstzweck zu einer Spaltung der Gesellschaft führen würde. Wir bekennen uns zu einem aktiven, leistungsfähigen aber effizienten Staat […]«352 Hans Rauscher kommentierte das neue Programm der SPÖ mit der Bemerkung, dieses entspreche einer »Politik der Adaptierung.« Die SPÖ und deren Vorsitzender hätten nunmehr offensichtlich »zur Kenntnis genommen, dass die Marktwirtschaft das effizientere System« sei, behielten sich aber noch vor, »›die Menschen‹ nicht allzu sehr dieser Marktwirtschaft auszusetzen.« Neben ihrer begrüßenswerten Hinwendung zur Marktwirtschaft vertrete die SPÖ aber nach wie vor auch etatistische und paternalistische Positionen und setze damit gleichzeitig auf ein »Entwicklungshemmnis« : »Der Staat nimmt sich zu viel vom Volkseinkommen und verwirtschaftet zu viel davon. Die Klima-SPÖ sieht durchaus das Problem und sucht nach graduellen Verbesserungen. Eine dramatische, grundsätzliche Rücknahme des Staatsanteils und Staatseinflusses wagt sie nicht. Dass das höheren Wohlstand bringen könnte, wird nicht wirklich diskutiert. Dann wäre nämlich Viktor Klima ein Tony Blair, der im Grunde einen Thatcherismus mit menschlichem Antlitz betreibt.«353 Tony Blair und der von ihm vertretene Thatcherismus führten kurz nach der Verabschiedung des SPÖ-Programms zu einer neuerlichen Grundsatzdiskussion, als der britische Premierminister am 8. Juni 1999 in London zusammen mit Gerhard Schröder das zu kontroversiellen Diskussionen Anlass gebende Programm »Der Weg nach vorn für Europas Sozialdemokraten« präsentierte. In dem »Manifest der Neuen Mitte« plädierten Blair und Schröder für eine weitgehende Liberalisierung, Deregulierung und Flexibilisierung der ökonomischen und sozialen Strukturen, um die als unbedingt notwendig erachtete Modernisierung Europas zu erreichen. Tony 352 Ebda. S. 20. Vgl. Parteiprogramm 1998 II.1.: »Unser Ziel ist eine Gesellschaft freier und gleicher Menschen, in der die Klassenunterschiede überwunden sind.« III.1 (5) : »Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie Unternehmerinnen und Unternehmer haben ein gemeinsames Interesse an einer starken Wirtschaft, haben aber auch in vielen Bereichen unterschiedliche Interessen, wie z. B. im Bereich der Einkommensverteilung. Wir wollen diese Interessengegensätze partnerschaftlich überwinden, weil wir der Überzeugung sind, dass nur faire Verhältnisse im Arbeitsleben eine geeignete Basis für eine gute soziale und wirtschaftliche Entwicklung darstellen, was im Interesse aller am Wirtschaftsprozess Beteiligten gelegen ist.« II.2.3: »Märkte – ihre Dynamik und Innovationsfähigkeit – leisten innerhalb definierter Rahmenbedingungen und bei fairem Wettbewerb einen wichtigen Beitrag zur Förderung des Wohlstandes durch ihren Zwang zu effizienter und preiswerter Erbringung von Leistungen und Gütern im Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher. Die Kräfte des Marktes allein sorgen jedoch nicht für eine geordnete Verteilung. Ungezügelte Märkte lassen vielmehr gefährliche Kapitalkonzentrationen und neue Monopole entstehen. Deshalb muss dem Markt ein Rahmen gegeben und dort korrigierend eingegriffen werden, wo sich die Kräfte des Marktes gegen Mensch und Umwelt richten.« 353 Hans Rauscher : Klimas österreichischer Weg. – In : FORMAT 5/1998. S. 16.
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Blair bemerkt in seinen Erinnerungen, die Labour Party sei 1997 mit dem Slogan angetreten, nicht die Strukturen, sondern die Standards zählten. »Damit wollten wir sagen : Vergesst komplizierte Strukturreformen, wichtig ist, dass etwas funktioniert, dass die Leistung stimmt. Ein schöner Satz, der in der Theorie sicher seine Berechtigung hatte. Doch je mehr Erfahrung wir sammelten, desto mehr erwies sich der Satz als völliger Blödsinn. Im Grunde setzen Strukturen Standards. Die Art und Weise, wie eine Dienstleistung aufgebaut ist, ihre Struktur, wirkt sich auf das Ergebnis aus. Es sei denn, man glaubt, ein zentral gesteuerter Wandel wäre die beste Lösung. […] In einer Welt, in der der Einzelne mehr Kontrolle über sein eigenes Leben anstrebt, kann man sich den modernen Staat meiner Meinung nach nur als einen Anbieter von Möglichkeiten vorstellen, als Quelle der Befähigung, partizipativ anstelle des früheren paternalistischen Staates, der alles verteilte und die Interessen seiner Bürger kontrollierte, weil diese angeblich unfähig waren, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen.«354 Er sei »nach Gesprächen mit fähigen privaten Anbietern« den existierenden staatlichen »Beschränkungen immer kritischer gegenüber« gestanden, da oftmals gute unabhängige Anbieter daran gehindert würden, sich in verschiedenen öffentlichen Dienstleistungsbereichen zu etablieren. »Meiner Ansicht nach beruhte dieser Zustand auf der klassischen Verwechslung von Zielen und Mitteln, die die Linke schon eine Generation lang plagte und die durch New-Labour überwunden werden sollte. Damit öffentliche Dienstleistungen bei ihrer Nutzung sozial gerecht funktionieren und umsonst waren, mussten sie keineswegs von einem staatlichen Monopol angeboten und von nationalen und lokalen Bürokratien rigide kontrolliert werden, die Innovationen und echter lokaler Autonomie häufig sehr ablehnend gegenüberstanden.«355 Bei dem von Blair und Schröder in London präsentierten gemeinsamen Papier ging es vor allem darum, für die europäische Sozialdemokratie »eine angemessene Antwort auf die beiden großen Herausforderungen der Zeit – demografischer Wandel und Globalisierung – zu geben. Es ging im Wesentlichen um zwei Problemkreise : Wie effizient muss eine kapitalistische Wirtschaft sein, um weiterhin Sozialstaatlichkeit zu ermöglichen ? Und : Wo beginnt ökonomische Effizienz Humanität zu zerstören ? Und welche Rolle spielt in diesem Prozess der Markt ?«356 Modernisierung der Politik dürfe sich nicht an Meinungsumfragen orientieren, sondern müsse sich »an objektiv veränderte Bedingungen anpassen«, so Schröder. »Wir müssen unsere Politik in einem neuen, auf den heutigen Stand gebrachten wirtschaftlichen Rahmen betreiben, innerhalb dessen der Staat die Wirtschaft nach 354 Tony Blair : Mein Weg. – München 2010. S. 284f. 355 Blair : Mein Weg. S. 224f. 356 Gerhard Schröder : Entscheidungen. Mein Leben in der Politik. – Frankfurt am Main/Berlin 2007. S. 275.
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Kräften fördert, sich aber nie als Ersatz für die Wirtschaft betrachtet. Die Steuerungsfunktion von Märkten muss durch die Politik ergänzt und verbessert, nicht aber behindert werden. […] In der Vergangenheit wurde die Förderung der sozialen Gerechtigkeit manchmal mit der Forderung nach Gleichheit im Ergebnis verwechselt. Letztlich wurde damit die Bedeutung von eigener Anstrengung und Verantwortung ignoriert und nicht belohnt und die soziale Demokratie mit Konformität und Mittelmäßigkeit verbunden statt mit Kreativität, Diversität und herausragender Leistung. Einseitig wurde die Arbeit immer höher mit Kosten belastet. Der Weg zur sozialen Gerechtigkeit war mit immer höheren Ausgaben gepflastert, ohne Rücksicht auf die Ergebnisse oder die Wirkung der hohen Steuerlast auf Wettbewerbsfähigkeit, Beschäftigung oder private Ausgaben. Qualitätsvolle soziale Dienstleistungen sind ein zentrales Anliegen der Sozialdemokraten, aber soziale Gerechtigkeit lässt sich nicht an der Höhe der öffentlichen Ausgaben messen. […] Die Ansicht, dass der Staat schädliches Marktversagen korrigieren müsse, führte allzu oft zur überproportionalen Ausweitung von Verwaltung und Bürokratie. Allzu oft wurden Rechte höher bewertet als Pflichten. Aber die Verantwortung des einzelnen in Familie, Nachbarschaft und Gesellschaft kann nicht an den Staat delegiert werden. […] Die Höhe der Staatsausgaben hat trotz einiger Unterschiede mehr oder weniger die Grenzen der Akzeptanz erreicht. […] Moderne Sozialdemokraten erkennen an, dass Steuerreformen und Steuersenkungen unter den richtigen Umständen wesentlich dazu beitragen können, ihre übergeordneten gesellschaftlichen Ziele zu verwirklichen. Die Unternehmensbesteuerung sollte vereinfacht, und die Körperschaftssteuersätze sollten gesenkt werden […] Unternehmen müssen genügend Spielraum haben, um sich die verbesserten Wirtschaftsbedingungen zunutze zu machen und neue Chancen zu ergreifen : Sie dürfen nicht durch Regulierungen und Paragrafen erstickt werden. […] ›Deficit spending‹ kann nicht genutzt werden, um strukturelle Schwächen in der Ökonomie zu beseitigen, die schnelleres Wachstum und höhere Beschäftigung verhindern. Sozialdemokraten dürfen deshalb exzessive Staatsverschuldung nicht tolerieren.«357 Das Diskussionspapier sorgte für erhebliche Aufmerksamkeit weit über die europäische Sozialdemokratie hinaus, in der es zu heftigen und teilweise kontroversen Diskussionen zwischen Etatisten und liberalen Reformern führte. Fritz Strobl, der sozialdemokratische Vizepräsident der Wiener Handelskammer, wertete es »als positives Signal, dass offensichtlich innerhalb der Sozialdemokratie 357 Zit. bei Die Presse 18.6.1999. S. 3.
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ein Umdenkprozess stattgefunden« habe. »Langsam wird den Unternehmerinnen und Unternehmern jene Bedeutung beigemessen, die sie auch durch ihren sozioökonomischen Stellenwert innerhalb der Gesellschaft verdienen. Ich freue mich über diese programmatische Gewichtung, die sich im neuen Programm der SPÖ widerspiegelt. Sozialdemokraten müssen begreifen, dass in den Klein- und Mittelbetrieben das Bild vom bösen Kapitalisten auf der einen Seite und vom ausgebeuteten Proletarier auf der anderen Seite nicht mehr stimmt. Ich warne eindringlich davor, sich in der Diskussion noch immer eines veralteten, heute völlig kontraproduktiven Feindbildes zu bedienen.«358 Gerhard Steger plädierte mit deutlicher indirekter Kritik an der Politik der SPÖ für eine Neudefinition der Kernaufgaben des Staates. Bei den als unverzichtbar bezeichneten Aufgaben müssten die Definition von Prioritäten, die Beseitigung von Doppelgleisigkeiten und die Beachtung der Effizienz im Vordergrund stehen. »Selbst bei jenen Aufgaben, die jedenfalls weiterzuführen sind, muss nicht alles von der Verwaltung selbst wahrgenommen werden.« Auslagerungen unter Vorgabe qualitativer Standards an private Anbieter seien oft kostengünstiger und effizienter. Durch strukturelle Maßnahmen müsse »die Dynamik der Staatsausgaben deutlich gebremst werden. »Die weitere Budgetkonsolidierung wird mit dem Schwerpunkt auf der Aufgabenseite liegen müssen. […] Die Einnahmenseite darf nicht dazu dienen, um nötige Strukturreformen bei den Staatsausgaben zu vermeiden. […] Der Populismus ist in finanziellen Fragen besonders problematisch. PolitikerInnen sollten den Mut haben, auf Versprechungen, die nicht einlösbar sind, zu verzichten. Eine ›Stop and go‹-Politik kann auf die Dauer nicht erfolgreich sein und Vertrauen schaffen, schon gar nicht in der Finanzpolitik. Es war daher auch aus der Sicht politischer Pädagogik ein Jammer, dass nach der ›Stop‹-Politik der Sparpakete 1995–1997 wieder wichtige Signale auf ›Go‹ gestellt wurden … .Jetzt regiert wieder die leere Kasse, und die Ernüchterung ist groß.« Die Sozialdemokratie müsse sich daher als Partei der »erforderlichen Modernisierung« positionieren und für jene glaubwürdig erscheinen, »die wissen, dass diese Modernisierung unvermeidbar ist und zugleich große Chancen eröffnet.«359 Anlässlich eines Besuchs des Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen, Wolfgang Clement, einem Befürworter des Blair/Schröder-Papiers, erklärte SPÖ-Bundesgeschäftsführer Andreas Rudas, das Grundsatzpapier sei »nicht nur richtig«, sondern entspreche auch bis auf wenige Detailfragen durchaus den Positionen der SPÖ. Viele Punkte seien zudem bereits im neuen Parteiprogramm enthalten. Die SPÖ bleibe bei ihrer Position, dass es Aufgabe des Staates sei, für soziale Gerechtigkeit zu sorgen. »Aber wenn die Ressourcen knapper werden, muss man sich überlegen, wie die soziale Unterstützung 358 Die Zukunft 6/1999. S. 30. 359 Gerhard Steger : Knappe Kassen. – In : Die Zukunft 12/1999. S. 8–11. S. 10f.
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an die geht, die es wirklich brauchen.« Daher müsse man in Zukunft »genauer und zielorientierter« handeln. »Was wir brauchen ist eine gemeinsame Stoßrichtung in Richtung moderner Wirtschaft und Unternehmensgründungen.« Die SPÖ sei ein Anwalt des Mittelstandes. Die Parteilinke in der SPÖ sah dies freilich anders. So kommentierte Caspar Einem die Erklärung Rudas’ mit deutlicher Distanz : »Wer sich unserem neuen Parteiprogramm verpflichtet fühlt, der wird es nicht ohne weiteres unterschreiben können.«360 Die Diskrepanz zwischen programmatischen Positionsveränderungen und Modernität signalisierenden Strategiepapieren und der sozialdemokratischen Regierungspraxis blieb jedoch offensichtlich, zu sehr dominierten in der SPÖ strukturkonservative Organisationen wie der ÖGB und die AK. So bemerkte Clemens Maria Auer in Richtung der Verfasser von Strategiepapieren und einer moderaten Modernisierungsstrategie in der SPÖ, diese würden losgelöst von der Parteitradition agieren. »Wenn sie ›echte‹ Sozialdemokraten wären, also im Stallgeruch der Arbeiterbewegung daherkämen, wüssten sie, dass die sozialdemokratische Herrschaftspraxis alles andere als ›modern‹ ist : Bis heute ist die Sozialdemokratie ausnahmslos an der Seite derer gestanden, die die Flexibilisierung bestehender ökonomischer und sozialer Ordnungen und Regelungswerke verhindern wollten und der ökonomischen Veränderung mit untauglichen Versuchen neuer Regelungen und Vorschriften zum vermeintlichen Schutz der Betroffenen begegneten. Dem Projekt der Deregulierung […] ist aus roten Ecken immer ein ›haltet den neoliberalen Dieb‹ entgegengeschlagen. Die jetzt (endlich !) beschworene Marktwirtschaft ist wahrlich keine Erfindung der Sozialdemokratie ! Die SPÖ hat zum Beispiel eines der wesentlichen Elemente dieser Wirtschaftsordnung, die Privatisierung verstaatlichter Unternehmen, über Jahrzehnte abgelehnt und damit verschleppt. Es hat bis in die Gegenwart hinein gedauert, dass etwa die Verstaatlichte Industrie in Österreich privatisiert wurde. Und auch das erst, nachdem sie beinahe nur mehr als Friedhof übriggeblieben ist, hunderte Milliarden Schilling an Steuergeld und zigtausend Arbeitsplätze vernichtet wurden. Dazwischen hat es viele Kampagnen gegeben, die ›Mehr privat, weniger Staat‹ ins Bewusstsein der öffentlichen Auseinandersetzung einhämmern mussten. Jetzt, wo diese Unternehmen unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten und nicht unter dem politischen Diktat roter Gewerkschaftsfürsten agieren können, haben sie ihre Kräfte loseisen können und sind in einigen Bereichen am Weltmarkt Spitzenreiter. […] Unglaubwürdig und unhistorisch sind diese neuen sozialdemokratischen Papiere. Vielleicht liegt es im österreichischen Beispiel auch an der Intelligenz bzw. intellektuellen Redlichkeit der Beteiligten. Weil es durchaus denkbar ist, dass Viktor Klima vollmundig verkünden würde, dass Begriffe wie Subsidiarität, Soziale Marktwirtschaft 360 Die Presse 24.6.1999. S. 6.
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und liberale Weltwirtschaftsordnung im Rahmen der WTO Kernbegriffe der SPÖ seien, nur weil es ein Sekretär, der die Programme der Sozialdemokratie nicht kennt, so aufgeschrieben hat. Das müsste Klima dann erst einmal Heinz Fischer erklären. […] Klima kann nicht gleichzeitig für und gegen Veränderungen sein. Das geht nicht. Daher ist die SPÖ auch alles andere als modern.«361 Dieses Dilemma der SPÖ sollte im Wahljahr 1999 deutlich zu Tage treten, in dem sie sich in der Doppelrolle des moderaten Modernisierers und des Hüters des Bestehenden zu positionieren suchte. VI.3.3 Zwischen Veränderung und Strukturkonservativismus. Die SPÖ im Jahr 1999 Viktor Klima hatte als Bundeskanzler einen fulminanten Start. Seine Bekanntheitsund Beliebtheitswerte erreichten 1998 Rekordmarken, die Kanzlerinszenierung war perfekt. Der EU-Ratsvorsitz 1998 verhalf ihm zu internationaler Präsenz und Reputation, Klima schien auf den Spuren Bruno Kreiskys zu wandeln. Er punktete in der medialen Berichterstattung zu Lasten von Außenminister Wolfgang Schüssel, der während des EU-Ratsvorsitzes die Arbeit geleistet hatte, und hatte allein in der zweiten Jahreshälfte 1998 Fototermine mit Tony Blair, Gerhard Schröder, Bill Clinton und Papst Johannes Paul II. Wenngleich Kritiker anmerkten, das Image triumphiere über die sachpolitische Realität, Klima sei die personifizierte Beliebigkeit. Rudolf Burger bemerkte kritisch zum politischen Stil des Kanzlers, die Sozialdemokratie habe mit ihm »den Populismus zum Programm erhoben.«362 Er konnte offensichtlich mit allen und war allgegenwärtig. Doch die Strategie, dies mussten auch seine Kritiker zur Kenntnis nehmen, hatte Erfolg. Vielleicht auch deshalb, weil sie durchaus einem Teil seiner Persönlichkeit entsprach, und sein Mentor, Franz Vranitzky, bestätigte dies mit der in einem zornigen Moment geäußerten Charakterisierung als »Jörg Klima«. Das Eigenschaftsprofil von Bundeskanzler Viktor Klima nach den ORF-Sommer gesprächen 1997 und 1998 in Prozent (Gallup-Umfrage):363 Eigenschaften
1997
1998
durchschlagskräftig
64
62
sympathisch
58
66
ehrlich
50
51
vertrauenswürdig
49
61
361 Clemens Martin Auer : Rot ist sicher nicht modern. – In : Österreichische Monatshefte 4/1999. S. 19–21. S. 20f. 362 Kurier 18.1.1998. S. 3. 363 FORMAT 12/1998. S. 32. 2
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Die Werte Klimas zogen auch die SPÖ nach oben, die 1998 die 40-Prozent-Marke überschritt. Angesichts der Bildung der rot-grünen Bundesregierung in Berlin und mit Blick auf die eigenen hohen Umfragewerte plädierte eine Reihe von führenden SPÖ-Politiker wie z. B. Klubobmann Peter Kostelka für vorverlegte Nationalratswahlen, um auch in Österreich die SPÖ aus der Koalition mit der ÖVP zu befreien und nach dem deutschen Vorbild die ideologisch erheblich harmonischere Koalitionsvariante mit den Grünen, die zudem erheblich billiger kam, zu wählen. So erklärte Peter Kostelka zu Jahresbeginn 1999, der SPÖ sei wichtig, »dass Reformen umgesetzt« würden. »Die ÖVP macht einen absolut ermatteten Eindruck. Es fehlt ihr an Gestaltungswillen und Modernität. Das ist eine Politik, die wir nicht mitzutragen bereit sind.« Die Grünen müssten nun »beweisen, dass sie regierungsfähig« und bereit seien, »Verantwortung zu tragen«. Als einen »der interessantes Akteure« nannte er Alexander Van der Bellen. Und unter Bezugnahme auf die Wahlen in Deutschland meinte er : »Jede Regierung mit ausreichender Mehrheit ist denkbar. Es gibt gesellschaftliche Veränderungen, denen will die SPÖ Rechnung tragen.«364 Die SPÖ versuchte im Frühjahr durch deutliche Kritik am Koalitionspartner und dessen angeblicher Reformverweigerung Neuwahlen zu provozieren. In rascher Folge präsentierte die SPÖ Vorschläge mit dem Ziel, bei der ÖVP negative Stellungnahmen hervorzurufen und diese mit dem Image des Neinsagers, Bremsers und Blockierers zu versehen. Die ÖVP war jedoch nicht bereit, auf diese gezielten Provokationen einzugehen und so einen Koalitionsbruch und damit vorgezogene Neuwahlen zu riskieren. Im Juni 1998 bemerkte Landwirtschaftsminister Wilhelm Molterer, die Regierungsarbeit laufe »gar nicht so schlecht«, wenngleich die SPÖ »nach der Wende in Deutschland mit einem mächtig geschwollenen Kamm« herumstolziere. »Sicherlich ist der jetzige Stil nicht das Alltagsverhalten für eine funktionierende Regierung. Wir beobachten mit einiger Sorge, wie sich der Partner verhält. Ganz offensichtlich will die SPÖ sticheln und provozieren.«365 Nach einigen Wochen der Passivität wechselte die ÖVP knapp vor der EU-Ratspräsidentschaft in der zweiten Jahreshälfte 1998 die Taktik und antwortete auf SPÖ-Vorschläge mit Gegenvorschlägen. Mit dieser Taktik war sie erfolgreich, da sie damit nach außen ihre Bereitschaft zur Regierungs(zusammen)arbeit signalisierte und die kritische Phase bis zur EU-Ratspräsidentschaft, in der Nationalratswahlen nur schwer durchführbar waren, überstand. Der Plan der SPÖ, in der Phase des demoskopischen Höhenflugs vorgezogene Neuwahlen zu erreichen und damit einen politischen Befreiungsschlag in Richtung einer rot-grünen Koalition zu führen, wurde ad acta gelegt. Der demoskopische Höhenflug der größeren Regierungspartei fand zu Jahresbeginn 1999, spätestens jedoch seit den Landtagswahlen vom 7. März, ein jähes Ende. 364 FORMAT 1/1998. S. 26f. 365 FORMAT 6/1998. S. 32.
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Wenige Wochen vor der Nationalratswahl am 3. Oktober 1999 signalisierten die Rohdaten sämtlicher Umfragen ein deutliches Verfehlen des offiziellen SPÖ-Ziels, das Ergebnis des Jahres 1995, das bisher zweitschlechteste Ergebnis seit 1945, zu halten oder zu verbessern. Die SPÖ positionierte sich im Wahlkampf mit ihrem Programm »Strategie für Österreich« besonders mit fünf Schwerpunkten, wobei sie vor allem auf die Gruppe der Senioren, Jugendlichen und Frauen abzielte : 1. Die Betonung einer etatistisch-egalitären Orientierung, d. h. der Sicherung der politischen und sozialen Stabilität, vor allem der Pensionen und sozialen Transferzahlungen, wobei jedoch die Notwendigkeit moderater Modifizierungen angedeutet wurde. Die mit dem Macherimage versehene Person des Spitzenkandidaten Viktor Klima stand für eine moderate Modernisierung ohne einschneidende Strukturreformen, eine milde österreichische Variante von Tony Blair und Gerhard Schröder. So bemerkte Klima in einer Pressekonferenz zum Wahlprogramm der SPÖ für die Nationalratswahl 1999 mit durchaus kritischem Blick auf die ausufernden Sozialausgaben, man müsse in Zukunft besser auf die Treffsicherheit der Sozialtransfers achten,366 um wenig später zusammen mit Staatssekretär Ruttenstorfer mit dem Hinweis auf die zu hohe Staatsquote sowie den notwendigen Abschied vom Gießkannenprinzip im Sozialbereich für eine »Reformpartnerschaft« nach der Wahl zu werben.367 Allerdings, so beeilte er sich wenig später zu betonen, könne er eine »Garantie« dafür abgeben, dass es trotz der gebotenen Sparsamkeit in der nächsten Legislaturperiode »kein neues Sparpaket geben« werde.368 Damit entsprach er der Kritik des linken Parteiflügels an der sich abzeichnenden partiellen Übernahme von Positionen des Schröder-Blair-Papiers. So erklärte Wissenschaftsminister Caspar Einem in Alpbach am Vorabend des SP-Parteirates, die SPÖ müsse sich wiederum stärker auf diejenigen konzentrieren, »die auf die Politik angewiesen« sind, d. h. auf die verunsicherten Modernisierungsverlierer, um diese nicht in noch stärkerem Ausmaß der FPÖ in die Hände zu treiben. Die Konzepte des Schröder-Blair-Papiers würden diese Gruppe noch mehr verunsichern. »Wir können ja nicht nur für Aufsteiger Politik machen. […] Ich sage : Dieses Konzept hat nur am Rande mit sozialdemokratischer Politik zu tun – da wird wohl neoliberaler Lack für die Sozialdemokratie verkauft.«369 2. Der Verhinderung einer schwarz-blauen Koalition und der kategorische Ausschluss einer Koalition mit der FPÖ. Im August 1999 erklärte Klima, so lange er Bundesparteivorsitzender der SPÖ sei, werde es keine Koalition mit der FPÖ in ihrer derzeitigen personellen und programmatischen Konstellation geben.370 366 Kurier 24.6.1999. S. 3. 367 Kurier 13.7.1999. S. 15. 368 SN 27.8.1999. S. 1. 369 Die Presse 27.8.1999. S. 1. 370 SN 12.8.1999. S. 2.
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3. Der Betonung des Themas »Sicherheit« im Bereich der Außenpolitik in Form der Wahrung der zum Mythos avancierten Neutralität und im Bereich der Innenund Sozialpolitik durch die Positionierung als Garant der Arbeitsplatz- und Pensionssicherheit. Mit dieser thematischen Fokussierung befand sich die SPÖ im Mainstream der Befindlichkeiten der großen Mehrheit der Österreicher. So ergab eine im August/September 1999 von der Sozialwissenschaftlichen Studiengesellschaft durchgeführte Umfrage unter 1.400 Österreichern/Österreicherinnen, dass der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit mit 72 Prozent und die Sicherung der Pensionen mit 58 Prozent an der Spitze der Hauptanliegen an die Politik lagen.371 4. Die Akzentuierung der Frauen- und Familienpolitik. Sie sollte der ideologischen Profilierung vor allem gegenüber der ÖVP dienen, vor allem in Bezug auf das von ÖVP-Familienminister Martin Bartenstein präsentierte Modell »Karenzgeld für alle«, nach dem in Abweichung zum bisherigen Modell, nach dem nur berufstätige Frauen Karenzgeld beziehen konnten, alle Frauen, unabhängig von einer Berufstätigkeit, anspruchsberechtigt sein sollten. Darüber hinaus sollten auch Frauen, die keine Babypause machen, anspruchsberechtigt sein. Die Anspruchsberechtigung sollte jedoch im Sinne der sozialen Gerechtigkeit an ein bestimmtes Familieneinkommen gekoppelt sein. Die SPÖ hingegen sah im Karenzgeld eine Versicherungsleistung, auf die nur Berufstätige Anspruch haben, und sah in dem ÖVP-Modell den Versuch einer Festigung der traditionellen Frauenrolle. Vielmehr gelte es, durch ein Recht auf Teilzeitarbeit Beruf und Familie vereinbar zu machen und die Kinderbetreuungsplätze auszubauen.372 5. Vor allem in der heißen Phase des Wahlkampfes wurde der Charakter einer von manichäischen Bildern verbal illustrierten grundlegenden Richtungsentscheidung betont. So erklärte der um deftige Wahlkampfrhetorik nie verlegene Wiener Bürgermeister Michael Häupl beim Auftakt zum Intensivwahlkampf in Schwechat, der Feind der SPÖ heiße »Reaktion […] ein ÖVP-Kanzler von Haiders Gnaden.« Die SPÖ werde »lustvoll gegen die mieselsüchtigen Koffer« kämpfen. Und Viktor Klima bemerkte unter Bezugnahme auf die Schwerpunktthemen des SPÖ-Wahlkampfes, Österreich könne als neutrales Land mehr zum Frieden beitragen als ein »unbedeutendes Mitglied« eines Militärpaktes. Das Land weise hervorragende Wirtschaftsund Sozialdaten auf. »[Und dennoch] wollen einige diesen Weg verlassen und die Richtung ändern. […] Geht diesen das Selbstbewusstsein der Frauen schon zu weit ? Ist ihnen nicht geheuer, wenn Jugendliche aus allen Schichten Chancen auf kostenlose Ausbildung haben ?« In den Bereichen der sozialen und äußeren Sicherheit, der Frauen- und Familienpolitik zeige die ÖVP den »anderen«, die SPÖ hingegen den »richtigen« Weg auf. 1995 sei es der ÖVP bei ihrem Neuwahlantrag nicht um das 371 Die Presse 23.9.1999. S. 6. 372 Der Standard 18.8.1999. S. 6. Vgl. dazu auch Die Presse 27.8.1999. S. 7.
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Budget, sondern darum gegangen, bei günstigen Umfragewerten die SPÖ aus der Regierung zu drängen. »Aber die Wendelustigen haben eine herbe Enttäuschung erlebt. Auf die zu offensichtlichen Pläne, tiefe Schnitte ins Sozialsystem zu setzen, haben ihnen die Wähler eine klare Antwort gegeben. Jetzt nehmen die Wendelustigen einen neuen Anlauf, vorsichtiger in der Rhetorik, ident in den Zielen.«373 Der mit hohen Bekanntheits- und Popularitätswerten ausgestattete SPÖ-Vorsitzende wurde in einer an die Grenzen der physischen Belastbarkeit gehenden Kampagne von den Wahlkampfstrategen als Garant für die Sicherung des Bestehenden bei gleichzeitig vorsichtiger Modernisierung präsentiert. Kritisch bemerkte das Magazin FORMAT in einem Artikel zum bevorstehenden Wahljahr 1999, SPÖ-Bundesgeschäftsführer Andreas Rudas habe aus Viktor Klima »einen stromlinienförmigen Überflieger geformt«, der nichts mehr sage, »ohne es vorher per Umfrage abtesten zu lassen.«374 Neben Andreas Rudas bildeten Kanzlersprecher Josef Kalina und Werbechef Heinz Lederer das Spindoktoren- und PR-Trio Viktor Klimas. Klima war für Heide Lackner »ohne sein PR-Team undenkbar. Sie sind der Gedanke, das Medium und die Botschaft. Wenn der Kanzler seinem Volk etwas zu sagen hat, ruft er zuerst drei Namen in die Gegensprechanlage seines Büros : ›Rudas, Kalina, Lederer.‹ Wenn das Trio die Tür zum Allerheiligsten des SPÖ-Chefs wieder hinter sich ins Schloss zieht, ist Österreichs Politik um eine Massage reicher. Auch Kreisky, Sinowatz und Vranitzky hatten Medienstrategen. Was die neuen Sozialdemokraten von den alten unterscheidet, ist, dass es auch umgekehrt funktioniert : Das Trio findet, dass der Kanzler finden sollte, er habe den Österreichern etwas zu sagen. Nicht Politik verkaufen, sondern den Verkauf politisieren. ›Wir sind schneller, das ist das Geheimnis‹, sagt Lederer, ›schneller als die Konkurrenz.‹ […] Das Handy als Mittel, der Klima als Zweck.«375 Diese Strategie führte jedoch in der heißen Phase des Wahlkampfes nicht nur zu einem physischen Schwächeanfall des SPÖ-Spitzenkandidaten, sondern machte ihn zunehmend zum Gefangenen der Werbestrategie der Spindoktoren. Klima wirkte nicht mehr authentisch, sondern wie ein Marketingprodukt, erweckte zunehmend den Eindruck des Abspulens inhaltsleerer Worthülsen. Dies trug ihm, wie etwa von Robert Menasse, den Vorwurf des von Meinungsumfragen gesteuerten Populisten ein.376 Symptomatisch für diese Stimmung wurde das traditionelle Kanzlerfest in der Altmannsdorfer Straße am 13. September, bei dem als Höhepunkt und symbolischer Akt Viktor Klimas zusammen mit dem als Ehrengast angekündigten deutschen Bundeskanzler Gerhard Schröder in einem Heißluftballon abheben sollten. Doch der 373 Kurier 28.8.1999. S. 3 ; Der Standard 28./29.8.1999. S. 9. 374 FORMAT 1/1999. S. 30. 375 Heidi Lackner : Die drei Klima-Macher. – In : FORMAT 24/1999. S. 25f. S. 25. 376 Der Standard 14.9.1999. S. 1.
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deutsche Bundeskanzler zog es vor dem Hintergrund der erlittenen Wahlschlappen und der innenpolitischen Turbulenzen vor, in Berlin zu bleiben. An seiner Stelle erschien der deutsche Verteidigungsminister Rudolf Scharping, Vorsitzender der europäischen Sozialdemokraten. Als sich Klima und Scharping beim Kanzlerfest in dem Heißluftballon in die Lüfte erhoben, kommentierte ein ORF-Journalist unter indirekter Anspielung auf den Eindruck des Kanzlers bei politischen Veranstaltungen in seinem Bericht in der Fernsehnachrichtensendung »ZIB 2«, »viel heiße Luft« sei zu diesem Start notwendig gewesen.377 Christoph Kotanko warf die Frage auf, ob die Hoffnung der SPÖ auf die Zugkraft ihres Spitzenkandidaten berechtigt sei, denn auch der SPÖ würden die sichtlichen Schwächeanfälle Klimas zunehmend Sorgen bereiten. »Der Kanzler, der als forscher Macher begann, wirkte bei jüngsten Auftritten mut- und kraftlos. Das schlägt sich in Umfragen nieder […] Es gibt heute keinen ernst zu nehmenden Meinungsforscher, der nicht der SPÖ Verluste vorhersagt. Offen ist nur, wie groß das Minus sein wird […].«378 Um dieser Entwicklung gegenzusteuern, propagierte der angeschlagene SPÖSpitzenkandidat drei Wochen vor der Nationalratswahl auf Vorschlag der SPÖWahlkampfstrategen in einem FORMAT-Interview für den Fall einer Unmöglichkeit der Bildung einer Koalitionsregierung nach der Nationalratswahl die populäre Idee einer »Regierung der besten Köpfe« ohne Rücksicht auf Parteizugehörigkeit als eine Form des neuen Regierens : »Sollte es zu keiner Koalitionsvereinbarung kommen, gäbe es die Möglichkeit, ein Kabinett der besten Köpfe zu bilden. Ich meine damit eine projektorientierte Regierungsarbeit mit klaren Terminvorgaben und mit den besten Leuten für das jeweilige Ressort. Und zwar unabhängig davon, welcher Partei sie angehören. Personen, die in der Haider-FPÖ sehr fest verankert sind, kann ich mir in einer Regierung nicht vorstellen.«379 Die von Klima am 11. September gemachte Ankündigung erfolgte zur Überraschung der nicht informierten amtierenden SPÖ-Minister, die gute Miene zum bösen Spiel machen mussten. Bereits im März hatte Klima angesichts der nicht erfreulichen Wahlergebnisse der Landtagswahlen mit Blick auf die bevorstehende Nationalratswahl im Oktober eine Regierungsumbildung als Befreiungsschlag geplant, um Handlungsfähigkeit zu demonstrieren und den Sinkflug der Popularitätswerte, die noch im Vorjahr die 40-Prozent-Marke durchstoßen hatten, zu stoppen. In Absprache mit Bundesgeschäftsführer Andreas Rudas, dem burgenländischen Landeshauptmann Karl Stix und dem steirischen Landesparteiobmann Peter Schachner-Blazizek sollten Sozialministerin Lore Hostasch und der von ihm wenig geschätzte Wissenschaftsminister Caspar Einem sowie Kunststaatssekretär Peter Wittmann die Regierung verlassen. 377 Die Presse 15.9.1999. S. 7. 378 Christoph Kotanko : Wie viel Kraft hat Viktor Klima ? – In : Kurier 14.9.1999. S. 2. 379 FORMAT 37/1999. S. 24.
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Mit diesem Vorhaben stieß er jedoch auf den entschiedenen Widerstand des mächtigen Wiener Bürgermeisters Michael Häupl sowie von Innenminister Karl Schlögl und Klubobmann Peter Kostelka, die der Ansicht waren, eine solche Entscheidung wäre vor der Nationalratswahl ein politisches Schwächezeichen. Man solle vielmehr mit der Regierungsarbeit des gesamten SPÖ-Regierungsteams werben, anstatt öffentlich Schwachstellen zu dokumentieren. Angesichts des massiven Widerstandes wich Klima zurück und ein hoher SPÖ-Funktionär bemerkte nach der Sitzung des Parteipräsidiums ironisch : »Jetzt wissen drei Regierungsmitglieder ganz sicher, dass sie dem nächsten Kabinett nicht mehr angehören werden, das wird die Arbeit in den nächsten Wochen sicherlich erleichtern.«380 Seitens der politischen Mitbewerber wurde der Vorstoß des Kanzlers und SPÖVorsitzenden mit hämischen Kommentaren versehen. So erklärte Unterrichtsministerin Elisabeth Gehrer, die Schlussfolgerung aus der Aussage Klimas könne nur lauten, dass er »anscheinend unter seinen Ministern nicht die besten Köpfe hat. Ähnlich der Kommentar von Wirtschaftsminister Martin Bartenstein : Soll das heißen, dass Hostasch, Einem oder Edlinger nicht die besten Köpfe sind ?« GrünenChef Alexander Van der Bellen bezeichnete den Vorstoß Klimas vornehm-ironisch als »platonische Idee, die mit der Realität nichts zu tun hat.«381 Politische Beobachter interpretierten die Erklärung Klimas auch als angedeutete Option einer SPÖgeführten Minderheitsregierung nach dem 3. Oktober, zumal er in mehreren Erklärungen auch die Bildung einer Minderheitsregierung nach der Nationalratswahl nicht ausgeschlossen hatte. So hatte er im Juli gegenüber dem Magazin FORMAT erklärt, eine Minderheitsregierung sei nicht seine bevorzugte Regierungsform : »Die beste Variante ist eine Alleinregierung, die zweitbeste ist eine Koalition. Hier bin ich offen gegenüber jeder demokratischen Partei, ausgenommen der FPÖ unter Haider. Wenn es keine andere Möglichkeit gibt, wird man auch über eine Minderheitsregierung nachdenken.«382 Diese Sicht erhielt durch die Erklärung von Andreas Rudas zusätzliche Nahrung, der betonte, diese Aussage Klimas gelte nicht nur für die Bildung einer eventuellen Minderheitsregierung, sondern für jede Form der Regierungsbildung.
380 FORMAT 11/1999. S. 24. 381 Kurier 14.9.1999. S. 3. 382 FORMAT 28/1999. S. 31.
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VI.2 Die ÖVP VI.2.1 Zwischen Konflikt und Konsens und die Suche nach dem Profil. Die undankbare Rolle des Zweiten 1997/98 Der Wechsel in der Kanzlerschaft und wenig später im Parteivorsitz von Franz Vranitzky zu Viktor Klima bescherte der SPÖ im Schatten des neuen Bundeskanzlers und Parteivorsitzenden ein Umfragehoch. Klima gab sich verbindlich, präsentierte sich als Verkäufer guter Nachrichten und verfügte über eine erhebliche Medienpräsenz, vor allem im Boulevard. In dieser Konstellation geriet die ÖVP als kleinerer Koalitionspartner in eine schwierige Position. Hatte man vor allem seit 1995 unter Berufung auf eine staatspolitische Verantwortung sowie programmatische Grundsätze gegenüber dem Koalitionspartner einen konfrontativen Kurs gefahren, ohne dafür mit steigendem Wählerzuspruch belohnt zu werden, so änderte man nunmehr, trotz der anhaltenden Verärgerung über die Vorgänge beim Verkauf der CA, die Strategie in Richtung einer mit hohen Risiken behafteten Kooperation. Bei diesem Strategiewechsel stand die Hoffnung Pate, durch den Eindruck gemeinsamen politischen Handelns und Erfolgs auf höhere Akzeptanz zu stoßen. Auf die Frage, ob mit dieser geänderten Strategie nicht die Gefahr gegeben sei, von der SPÖ als größerem Regierungspartner und dem sich hoher Beliebtheitswerte erfreuenden Bundeskanzler Viktor Klima in den Schatten gestellt zu werden und weiter an Zuspruch zu verlieren, antwortete Vizekanzler und Parteiobmann Wolfgang Schüssel : »Das ist die Erwartungshaltung der Medien. Als wir mit Vranitzky gestritten haben, hieß es immer, die ÖVP oder Schüssel streitet. Jetzt haben wir uns vorgenommen, mit dem neuen SPÖ-Team gemeinsam etwas weiterzubringen.« Zur Konfrontation der beiden Parteien werde es erst bei der Nationalratswahl 1999 kommen.383 Ähnlich ließ sich Klubobmann Andreas Khol vernehmen. Das »Konfliktmodell« als koalitionäre Strategie sei gescheitert. Man werde nunmehr mehr auf Kooperation setzen und versuchen, »die Ziele lautlos zu verwirklichen.«384 Diese Ziele, beeilte sich Parteiobmann Schüssel hinzuzufügen, wolle man in Kooperation mit Viktor Klima realisieren, wobei allerdings der neue Bundeskanzler und SPÖ-Vorsitzende all jenen in seiner Partei eine Absage erteilen müsse, »die uralte Ideen weiter verfolgen.« Es gehe »um eine klare Absage an die weitere Aufblähung des Staates zum Versorgungsstaat und die Weiterentwicklung des Landes zum Leistungsstaat.« Neue Steuern und eine neue Umverteilung seinen kontraproduktiv. »Das wäre eine sozialistischere, eine gefährlichere Politik für das Land.«385 Der neue Kurs der Partei erfreute sich allerdings nicht ungeteilter Zustimmung. Niederösterreichs Landeshauptmann Erwin Pröll warnte ausdrücklich vor einem 383 Kurier 4.3.1997. S. 2. 384 SN 28.3.1997. S. 1. 385 Kurier 9.4.1997. S. 3.
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»Kuschelkurs« : »Die Koalition mit der SPÖ ist keine Liebesheirat, sondern eine Zweckehe. Zu Kanzler Klima möchte ich aber schon sagen : Strohfeuer brennen nicht lange.«386 Die Skeptiker gegenüber dem neuen Kurs wurden von Umfragedaten bestätigt. Wenngleich die Kooperation beider Koalitionsparteien laut einer market-Umfrage als sehr gut oder gut bezeichnet wurde, wobei die größte Zustimmungsrate (77 Prozent) von Anhängern der ÖVP kam, so konnten vor allem Viktor Klima und die SPÖ von der Regierungsarbeit profitieren. Während die SPÖ mit 37 Prozent eindeutig die Position der stärksten Partei belegte und nur ein Prozent unter ihrem Wahlergebnis des Jahres 1995 lag, fiel die ÖVP mit 23 Prozent um fünf Prozent hinter ihr Wahlergebnis des Jahres 1995 und belegte damit nur mehr Platz drei. Platz zwei erreichte die FPÖ mit 26 Prozent, die von der Bevölkerung neben der SPÖ als der große Profiteur der Regierungszusammenarbeit gesehen wurde. Die Nutznießer der Zusammenarbeit von SPÖ und ÖVP 1997 (Ergebnisse in Prozent):387 Die Regierungsarbeit nützt folgender Partei
Unter der Regierungsarbeit leidet folgende Partei
SPÖ
41
13
ÖVP
12
33
FPÖ
33
10
Die Grünen
1
19
Liberales Forum
1
10
Trotz des ernüchternden demoskopischen Befundes war die Parteiführung fest entschlossen, an dem Kooperationskurs festzuhalten, und zwar mit dem Argument, die ÖVP sei die treibende Kraft in der Regierung, setze die inhaltlichen Akzente und dies werde über kurz oder lang auch vom Wähler anerkannt werden,. So erklärte Parteiobmann Wolfgang Schüssel in einem Interview mit dem Mitarbeitermagazin »Austria Plus« : »Es gehört zu den inzwischen historischen Wahrheiten, dass die Volkspartei die Ideenwerkstatt der Koalition war, ist und bleibt, dass wir als erste die Notwendigkeiten erkennen und Lösungen gegenüber der SPÖ durchsetzen. So war es beim Beitritt zur Europäischen Union, so war es bei der Privatisierung […]. So war es bei der Sanierung der Staatsfinanzen, die im letzten Augenblick gegriffen hat, sonst hätten wir heuer ein Budgetdefizit von acht statt von drei Prozent.« Und zum Kurs der Zusammenarbei : »[Er] tut […] Österreich gut, er tut den Regierungsparteien gut, und er liegt letztlich auch im Interesse der Volkspartei. Nur ist 386 Kurier 15.3.1997. S. 3. 387 Der Standard 29./30./31.3.1997. S. 6.
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es sehr wichtig, immer wieder auf unsere geistig führende und politisch treibende Rolle hinzuweisen, an unsere Initiativen zu erinnern, den Mut zum selbstbewussten Wiederholen erwiesener Tatsachen zu haben. Dann wird sich das mit der Zeit auch bei den Wählern festsetzen, und sie werden unseren Argumenten folgen.«388 Zur Schärfung des inhaltlichen Profils sowie der Betonung der Themenführerschaft im Bereich der zukünftigen Entwicklungen rief Schüssel in seiner »Rede zur Lage der Nation« im historischen Staatsvertragssaal des Wiener Belvederes im Mai 1997 die Zukunftswerkstatt »Österreich Zukunftsreich« ins Leben. In seiner Rede erläuterte er : »[Die beiden] wichtigsten Entscheidungstechniken der westlichen Gesellschaft, Wahlen und Märkte, […] [sind] meistens kurzfristig ausgerichtet […] – was heute zählt, ist morgen bei Wahlen oder für Konsumentenentscheidungen wichtig. Ich sage aber, die Gesellschaften hängen letztlich von ihrer Fähigkeit ab, langfristig im Zukunftsinteresse zu handeln ; heute etwas zu investieren, damit dann die Früchte in Jahren oder gar Jahrzehnten geerntet werden können. Und um diese neue Weise soll es bei dieser Denkfabrik gehen […].«389 Die ÖVP solle sich einem breiten Diskurs öffnen und als Partei für das nächste Jahrtausend positionieren. Die Ergebnisse der Denkwerkstatt lagen 1999 in Buchform vor. Im Vorwort bemerkte Schüssel : »[B]ei diesen Denkanstößen [geht es] um Vorausdenken statt Nachplappern, Tiefgang statt Oberflächlichkeit, Vorsorge für Künftiges statt Sofort-Konsum, Hoffnung statt ängstlichem Pessimismus, Gemeinschaftssinn statt Egoismus, sozialen Zusammenhalt statt Polarisierung und Ausgrenzung, um Versöhnung statt Spaltung, um das Miteinander statt des Gegeneinanders […]. Für mich wird durch die vorliegenden Arbeiten eines klar : Es gibt Generationen, die geboren sind, um etwas Neues zu schaffen, andere Generationen sind dazu da, geschaffene Institutionen und Errungenschaften zu erhalten. Angesichts der enormen Veränderungen, die wir in den letzten Jahren erfahren haben – angefangen etwa vom politischen Umbruch in Europa seit 1989 bis zu den völligen Veränderungen im Bereich unserer Kommunikationstechnologien – sind wir heute eine politische Generation von Verantwortungsträgern, die angesichts dieser historischen Veränderungen und der neuen technologischen Möglichkeiten, Neues schaffen muss. Ich möchte das sehr gelassen formulieren. Es ist sogar unser Schicksal, dass wir Neues schaffen müssen.«390 Die 1997 festgelegten strategischen Eckpunkte der politischen Arbeit basierten auf einer geschärften inhaltlichen Profilierung und Positionierung um die Schwer388 Austria Plus 2/3/1997. S. 2. 389 Austria Plus 4/5/1997. S. 2. 390 Wolfgang Schüssel : Unsere Generation muss Neues schaffen. Ein Vorwort. – In : Stefan Karner (Hg.) : Österreich Zukunftsreich. Denkpfeiler ins 21. Jahrhundert. Eine Initiative von Vizekanzler Wolfgang Schüssel. – Wien 1999. S. 9–16. S. 10f.
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punkte Familie, Bürgergesellschaft, Wirtschaft/ökosoziale Marktwirtschaft sowie Sicherheit und Europa, wobei man Wertkonservativismus mit Zukunftsorientiertheit zu verbinden trachtete. Darüber hinaus wurde eine Verbesserung des Erscheinungsbildes der Partei und eine verstärkte Kommunikation der programmatischen Positionen angestrebt. Dass es bei diesem Anspruch noch Defizite gab, dessen war man sich durchaus bewusst. So erklärte Landwirtschaftsminister Wilhelm Molterer : »Derzeit sind wir nicht – noch nicht – so weit.«391 Die im Frühjahr 1997 einsetzenden strategischen Bemühungen erhielten allerdings Anfang Juli im Zuge der Affäre um Äußerungen von Vizekanzler und Außenminister Wolfgang Schüssel bei einem Hintergrundgespräch mit Journalisten in Amsterdam einen Dämpfer. Mehrere Journalisten behaupteten, der österreichische Außenminister habe den deutschen Bundesbankpräsidenten, ein schwedisches Regierungsmitglied und einen ugandischen Minister mit wenig schmeichelhaften Worten – »richtige Sau«, »Trottel« und »Bloßfüßiger« – bedacht. Die sogenannte »Zitatenaffäre« führte zu erheblichen innenpolitischen Turbulenzen und einem Misstrauensantrag der Opposition gegen Schüssel. Der Außenminister erklärte, entgegen den Behauptungen mehrerer Journalisten, diese Äußerungen nie getätigt zu haben und vermutete eine innerösterreichische Intrige. Wenngleich der Misstrauensantrag von den Koalitionsparteien abgewiesen wurde, so bemerkten zahlreiche Beobachter, es sei vielsagend gewesen, »dass Schüssels Koalitionspartner, Bundeskanzler Klima, in der Debatte keine Silbe zum Schutz des Außenministers verwandte.«392 Die demoskopischen Folgen der sogenannten »Zitatenaffäre« waren erheblich. In einer Gallup-Umfrage glaubten 62 Prozent der Österreicher den Aussagen der Journalisten, während lediglich 31 Prozent die Version des Außenministers für treffend hielten.393 Eine market-Umfrage ließ die ÖVP mit nur mehr 22 Prozent deutlich an die dritte Stelle absinken, während die SPÖ mit 36 Prozent nach wie vor deutlich und unangefochten die führende Position im Parteienwettbewerb einnahm. Die FPÖ erreichte 28 Prozent und vergrößerte damit ihren Vorsprung auf die ÖVP deutlich, während die Grünen auf acht Prozent und das Liberale Forum auf sechs Prozent kamen. Bei der Frage nach der Direktwahl des Bundeskanzlers erhielt Viktor Klima 36 Prozent, gefolgt von Jörg Haider mit 18 Prozent und Wolfgang Schüssel mit lediglich 10 Prozent. Selbst ein Großteil der ÖVP-Wählerschaft votierte nicht für den eigenen Parteiobmann als Bundeskanzler.394 Trotz des sommerlichen Umfragetiefs sowie Forderungen von ÖVP-Spitzenpolitikern wie Andreas Khol und dem oberösterreichischen Landeshauptmann Josef 391 Die Presse 17.7.1997. S. 6. 392 NZZ 9.7.1997. S. 5. 393 Die Presse 12./13.7.1997. S. 1. 394 Der Standard 9.7.1997. S. 5.
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Pühringer nach einer inhaltlichen Schwerpunktverlagerung betonte Schüssel, eine inhaltliche Neuorientierung sei angesichts der positiven Leistungsbilanz der Regierungsarbeit der Partei nicht notwendig. Er sei, trotz der Zitatenaffäre, »voll handlungsfähig« und habe »auch nie daran gedacht, den Hut hinzuhauen, weil ich auch nie einen Hut trage.«395 Geschlossenes Auftreten und demonstrative Einigkeit war das Gebot der Stunde. Klubobmann Andreas Khol beeilte sich in Übereinstimmung mit dem Parteiobmann zu erklären, die ÖVP sei »die gestaltende Kraft« in der Regierung. »Das tröstet über so manche Unbill hinweg.« Die ÖVP habe in der Koalition die »geistige programmatische Themenführerschaft«, die Wende nach dem »Kreisky-Sozialismus« geschafft, wobei vor allem auch in gesellschaftspolitischen Fragen die »Handschrift« der ÖVP deutlich zu erkennen sei.396 Die demonstrativ zur Schau getragene Geschlossenheit und Ruhe war jedoch nur von kurzer Dauer. Während eines USA-Aufenthalts von Parteiobmann Wolfgang Schüssel erklärten Anfang August die Landeshauptleute von Tirol, Salzburg und Kärnten, Wendelin Weingartner, Franz Schausberger und Christof Zernatto, das Umfragetief der ÖVP basiere zu einem erheblichen Teil auf den reformbedürftigen Führungsstrukturen. Die Lösungsvorschläge fielen allerdings völlig unterschiedlich aus. Während Wendelin Weingartner, indirekt unterstützt von der steirischen Landeshauptfrau Waltraud Klasnic, unter Hinweis auf die Dreifachbelastung Schüssels als Parteiobmann, Vizekanzler und Außenminister für die Installierung eines geschäftsführenden Parteiobmanns plädierte, empfahl Schausberger die stärkere Berücksichtigung der Stimmen aus der zweiten Führungsebene der Partei. So sollten sich die Landeshauptleute mit der Bundesparteispitze regelmäßig zu Arbeitssitzungen treffen, um die thematischen Schwerpunkte der politischen Arbeit zu fixieren und zu besprechen. Die Bürger würden nämlich Themen wie Familie und Pensionen erheblich mehr interessieren als die von der Bundespartei forcierte Diskussion über einen möglichen NATO-Beitritt. Im Gegensatz dazu sprach sich Zernatto für eine straffere Führung der Partei aus, um in der Öffentlichkeit den Eindruck der Geschlossenheit zu erwecken. Die im politischen Sommerloch mit erheblichem medialen Echo präsentierten unterschiedlichen Vorschläge ließen neuerlich den Eindruck der Zerrissenheit entstehen und riefen heftige innerparteiliche Reaktionen hervor. So erklärte der burgenländische Landeshauptmann-Stellvertreter, Gerhard Jellasitz, es handle sich bei den Landeshauptleuten Weingartner und Schausberger um »aufgeblasene Gockel« und »permanente Unruhestifter«. Sie würden auch »ihre eigene Großmutter den Berg hinunter stoßen, wenn sie damit in die Medien« kämen.397 Angesichts der über die Medien ausgetragenen Differenzen war von dem 395 Der Standard 29.7.1997. S. 5 ; Die Presse 29.7.1997. S. 6. 396 Die Presse 6.8.1997. S. 8. 397 Kurier 12.8.1997. S. 2.
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soeben aus den USA zurückgekehrten Bundesparteiobmann Krisenmanagement gefordert. Am 21. August wurde auf einer Vorstandsklausur im oberösterreichischen Windischgarsten neuerlich Einigkeit beschworen. Im Tagungshotel »Bischofsberg« zierte ein Spruch Peter Roseggers den Sitzungssaal : »Ein bisschen mehr Freude und weniger Streit, ein bisschen mehr Güte und weniger Neid […] ein bisschen mehr ›wir‹ und weniger ›ich‹[ …].« Nach siebeneinhalbstündigen Beratungen war man bemüht, Einigkeit und Geschlossenheit zu demonstrieren. »Jeder hat bei sich selber begonnen nachzudenken, was er besser machen könnte«, verkündete Parteiobmann Schüssel sichtlich erleichtert.398 Oberösterreichs Landeshauptmann Josef Pühringer bemerkte, die Position des Parteiobmanns sei nie zur Diskussion gestanden. Wichtige Entscheidungen im Leben solle man lange überlegen, weshalb er lange überlegt habe, ob er Wolfgang Schüssel zum Bundesparteiobmann wählen solle. »Ich habe ihn dann mit Überzeugung gewählt und stehe heute ohne Wenn und Aber hinter ihm.« Und in Richtung der parteiinternen Kritiker : Auch wenn man im Sommer mit noch so kleinen Illoyalitäten in die Schlagzeilen komme, sei dies nicht der richtige Weg, der in die Zukunft führe.399 Für diese Zukunft, so das Ergebnis der Beratungen, wolle man eine um die Themen »Jugend und Beschäftigung«, »Jugend und Familie« sowie »Bildung« zentrierte Strategie verfolgen, mit der man in der zweiten Legislaturperiode näher am Bürger agieren wolle. Die Landtagswahl in Oberösterreich am 5. Oktober endete für die ÖVP mit einem erfreulichen Ergebnis. Trotz eines Verlustes von 2,5 Prozent gegenüber der Landtagswahl 1991 vermochte sie mit 42,7 Prozent ihre dominierende Stellung im Land zu behaupten. Die SPÖ verzeichnete hingegen mit einem Minus von 4,4 Prozent das schlechteste Ergebnis seit 1945. Die FPÖ könnte einen Stimmenzuwachs von 2,7 Prozent verzeichnen und erreichte mit 20,6 Prozent beinahe das Ergebnis der Vorgängerpartei WdU (Wahlpartei der Unabhängigen) aus dem Jahr 1949 (20,8 Prozent). Zu den Wahlsiegern zählten auch die Grünen, die mit 5,8 Prozent erstmals in den oberösterreichischen Landtag einzogen, während das Liberale Forum dieses Ziel mit 1,8 Prozent deutlich verfehlte. Der erfolgreiche Wahlkampf der ÖVP basierte auf drei Säulen : der positiven landespolitischen Bilanz, der angestrebten Themenführerschaft in den Bereichen Wirtschaft und Familie und der starken Personalisierung, die sich vor allem auf Landeshauptmann Josef Pühringer fokussierte.400 Und Josef Pühringer ging während des Wahlkampfes deutlich auf Distanz zur Bundespartei und Parteiobmann Schüssel. »Die Verantwortung trage ich, der steht nicht 398 Die Presse 22.8.1997. S. 1. 399 Ebda. S. 3. 400 Michael Strugl, Erich Watzl : Oberösterreich : Wahlerfolg trotz Gegenwind. – In : ÖJP 1997. – Wien/ München 1998. S. 65–79 ; Christoph Hofinger, Günther Ogris : Wählerdynamiken 1997 : Metelko-Experiment, Volksbegehren, Oberösterreich. – In : Ebda. S. 81–96. S. 87ff.
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auf dem Wahlvorschlag«, hatte er auf der Wahlschlusskundgebung betont. Peter Rabl kommentierte das Wahlergebnis mit der Feststellung : »[Es ist] tatsächlich ein Erfolg des Landeshauptmannes und seiner Regierungspolitik, dass die Verluste weit unter den befürchteten Ausmaßen blieben. […] Schüssel und die Bundesführung können jetzt den Oberösterreichern nur gratulieren. Für die Wiener Zentrale bringt Pühringers Resultat eine Atempause, nicht mehr, aber auch nicht weniger.«401 Der oberösterreichische Wahlerfolg und die überparteiliche Wiederkandidatur des ehemaligen ÖVP-Kandidaten Thomas Klestil für das Amt des Bundespräsidenten verschafften gegen Jahresende 1997 der ÖVP die von Peter Rabl erwähnte Atempause. Ende November erreichte die ÖVP in einer market-Umfrage 26 Prozent und lag damit um zwei Prozent vor der FPÖ an zweiter Stelle, allerdings mit einem Respektabstand von neun Prozent zur SPÖ. Deren Parteivorsitzender und Bundeskanzler Viktor Klima erzielte mit einem Zuspruch von 41 Prozent ein Spitzenergebnis bei der Direktwahl-Frage, wobei er besonders bei Senioren, Frauen und in Ostösterreich zu punkten vermochte. Wolfgang Schüssel hingegen stagnierte bei zehn Prozent und kam selbst bei deklarierten ÖVP-Wählern lediglich auf einen Zuspruch von knapp über 40 Prozent.402 Der ÖVP-Obmann erklärte am 17. Dezember in einer »Halbzeitbilanz«, dem zweiten Jahrestag der von der ÖVP 1995 erzwungenen vorgezogenen Neuwahlen, auch wenn der von der ÖVP verfolgte Kurs noch nicht vom Wähler belohnt werde, sei dieser richtig, da er das Land aus einer drohenden Schuldenfalle befreit und für die Zukunft, vor allem für die Teilnahme am Euroraum, fit gemacht habe. Diese Erfolgsbilanz sei nur möglich gewesen, weil »[die ÖVP] nicht täglich auf die Umfragen und den Wahltag geschielt« habe. Wie die ÖVP zu Jahresende 1997 stehe sei »nicht wirklich wichtig«. Wichtig sei allein, mit einer guten Leistungsbilanz und Zukunftsthemen 1999 vor die Wähler treten und um mehr Vertrauen werben zu können.403 Christoph Kotanko kommentierte ironisch : »Was macht ein ehrgeiziger Parteiobmann, der Primus werden will, aber in allen Umfragen zwischen Platz 2 und 3 pendelt ? Er macht sich keine Sorgen. Wenn er Wolfgang Schüssel heißt.«404 Trotz aller Erklärungen und Mutinjektionen des Parteiobmanns befand sich die ÖVP an der Jahreswende 1997/98 in einer schwierigen Situation. Während die SPÖ unter Viktor Klima zu einem demoskopischen Höhenflug ansetzte, stagnierten die Umfragewerte der ÖVP in einem deutlichen Respektabstand zum größeren Regierungspartner. Die Frage des Profils der Partei in der Koalition, ihr programmatisches und personelles Angebot an die Wähler wurde zum Gegenstand einer internen und 401 Peter Rabl : Einige deutliche Botschaften aus Linz. – In : Kurier 6.10.1997. S. 2. 402 Der Standard 24.11.1997. S. 1 und 5. 403 Die Presse 18.12.1997. S. 7 ; Der Standard 18. 12. 1997. S. 5. 404 Christoph Kotanko : Schüssel, fideler Sisyphus. – In : Kurier 18.12.1997. S. 3.
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öffentlichen Diskussion. Während der Kärntner Landeshauptmann Christof Zernatto das Wiedererstehen der ÖVP als »wertkonservative Partei« und eine deutliche Akzentuierung ihrer ideologischen Basis forderte,405 erhielt eine Wortmeldung von EU-Kommissar Franz Fischler erhebliches mediales Echo, als er im Diskurs um die Zukunft der ÖVP und deren Wahlaussichten bei der kommenden Nationalratswahl das Fehlen eines liberalen Ansatzes, den Verlust der Wirtschaftskompetenz und die mangelnde Breite der Partei konstatierte und damit Öl ins Feuer der innerparteilichen Debatte goss. Die ÖVP reduziere sich zunehmend auf die »Greißler und das Gewerbe«. Die Partei müsse den Willen zeigen, zukunftsfähige Entscheidungen zu fällen oder herbeizuführen. »Auch gegen die Gewerkschaft und andere Gruppen. Entscheidungen können nicht darin bestehen, Entscheidungen zu verschieben. […] Die Politik muss bereit sein, Risiko auf sich zu nehmen.« Auf die Frage, ob er sich in dieser schwierigen Situation die Funktion des Bundeskanzlers zutraue, antwortete er mit »im Zweifelsfall ja«.406 Das Ergebnis der Grazer Gemeinderatswahl am 25. Jänner 1998 schien die düsteren Analysen zu bestätigen. Wenngleich die SPÖ unter Bürgermeister Alfred Stingl die größten Verluste zu verzeichnen hatte, so sank die von jahrlangem Führungsstreit gezeichnete ÖVP mit einem Verlust von 3,1 Prozent an die dritte Stelle hinter die FPÖ, die einen Gewinn von sieben Prozent verzeichnete. Der Appell von Wolfgang Schüssel anlässlich seiner Wahl zum Bundesparteiobmann im April 1995, die Städte zu erobern, schien keine Früchte zu tragen. Vielmehr begann sich die FPÖ in zahlreichen Städten als zweitstärkste Kraft zu etablieren. Das für erhebliches Aufsehen sorgende Interview des EU-Kommissars und ehemaligen ÖVP-Landwirtschaftsministers überdeckte die von ÖVP-Klubobmann Andreas Khol choreografierte Klubklausur der Partei im Februar 1998 im Tiroler Bergdorf Telfs. Von hier aus sollte, so der Plan Khols, Aufbruchstimmung signalisiert werden. Aus der geplanten Inszenierung und Mutspritze für die eigenen Funktionäre und Sympathisanten wurde nichts, das Interview Fischlers dominierte die Debatten. Wenngleich viele der Teilnehmer das Interview des EU-Kommissars als unfair und keineswegs hilfreich bezeichneten, so stimmten viele Länderfunktionäre dem Befund Fischlers in vielen Bereichen zu. Vor allem wurde die häufige Absenz des Parteiobmanns und Außenministers moniert, der durch sein starkes EU-Engagement die Parteiarbeit im Inland vernachlässige. Außenpolitisches Engagement, so ehrenwert es auch sein möge, werde bei innenpolitischen Wahlgängen kaum honoriert, so der Tenor der Meinungen. In einem Punkt herrschte Übereinstimmung : Die ÖVP sei in der undankbaren Rolle des Zweiten in einer Koalition. Wenngleich sie die politischen Akzente setze, würden diese von Kanzler Klima verkauft. Die PR-Maschinerie von SPÖ-Geschäftsführer Andreas Rudas funktioniere perfekt und 405 Die Presse 9.1.1998. S. 9. 406 FORMAT 1/1998. S. 42.
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verkaufe ÖVP-Ideen als eigene. Und die SPÖ besetze, bestärkt vom europäischen Rückenwind, der heftig aus der reformorientierten sozialdemokratischen Ecke eines Tony Blair und Gerhard Schröder blies, zunehmend klassische ÖVP-Themen wie etwa die Wirtschaftskompetenz. Hatten 1978 noch 74 Prozent der Österreicher der ÖVP die meiste Wirtschaftskompetenz zugesprochen, so waren es zu Jahresbeginn 1998 nur mehr 46 Prozent. Thomas Köhler ortete die Ursache für die Dominanz der Sozialdemokratie in Europa in der Fähigkeit der Sozialdemokratie zur imitativen Adaption. Sie hätten »schrittweise gelernt …, sowohl das politische Konzept der gemäßigten Mitte als auch das sozioökonomische der Sozialen Marktwirtschaft inhaltlich zu adaptieren bzw. medial als das ihrige auszugeben. Originär gehören beide zu den Christdemokraten (nicht zu den Konservativen), in der veröffentlichten Meinung werden sie heute aber deren Gegnern zugeschrieben. Das Phänomen, vor dem wir stehen, ist also die Umkehrung von Schein und Sein, symbolisiert von Blair und Schröder.«407 Der Politikberater und Kommunikationswissenschafter Eugen Semrau bemerkte zur Situation der ÖVP, die Partei stagniere nicht deshalb, »weil sie ihre Themen schlecht« verkaufe, »sondern weil diese von den anderen besser verkauft« würden. Er erläuterte gegenüber dem Magazin FORMAT : »Moderne bürgerliche Politik wird heute in Europa von den Sozialdemokraten gemacht. Blair, Jospin und zuletzt Gerhard Schröder sind alle mit einer Strategie an die Macht gekommen, die den Primat des Notwendigen anerkennt und die Ideologie zu einer Restgröße macht. Sie machen Politik für die neuen Mehrheiten in der Mitte. Rot dient bestenfalls noch als Schmuckfarbe. Diese Entwicklung hat die ÖVP verpasst. Sie hat es verabsäumt, ihre liberalen Traditionen weiter zu entwickeln und sich auch viel zu spät dem grünen Gedankengut geöffnet. Sie macht immer noch Politik für ihre Kernschichten […]«408 Im Sommer 1998 bemerkte der steirische ÖVP-Wirtschaftslandesrat Herbert Paierl zur Politik der SPÖ anlässlich einer Festveranstaltung zu 150 Jahre Wirtschaftskammer : »Als ÖVP-Mann sage ich das nicht gern, aber die haben die richtigen Strategien. Bei uns gibt es exzellente Konzepte und gute Leute, aber ein Kommunikationsproblem. Irgendwas läuft schief.«409 Im Tal der politischen Tränen gab es allerdings auch einen Gegentrend : die Landtagswahl in Niederösterreich am 22. März 1998, bei der die ÖVP unter Landeshauptmann Erwin Pröll entgegen dem negativen Bundestrend 0,6 Prozent zu gewinnen und ihre dominierende Stellung im Land zu behaupten vermochte. Aufgrund der massiven Verluste der SPÖ vergrößerte sie ihren Stimmenvorsprung auf
407 Thomas Köhler : Moderne Christdemokraten auf der Jagd nach der verlorenen Mitte. – In : Academia 2/1999. S. 18f. S. 18. 408 FORMAT 2/1998. S. 32. 409 FORMAT 8/1998. S. 34.
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die zweitstärkste Partei von 95.576 auf 128.591.410 Wenngleich Wolfgang Schüssel einen Teil des Erfolges für die Leistungen der ÖVP in der Regierung reklamierte,411 so war der überraschende Wahlerfolg doch vor allem ein Sieg der Persönlichkeit des amtierenden Landeshauptmanns und der straffen Organisation der niederösterreichischen Landespartei. Das niederösterreichische Wahlergebnis war ebenso wenig auf die Bundesebene übertragbar wie die Wiederwahl Thomas Klestils zum Bundespräsidenten am 19. April 1998. Wenngleich Bundespräsident Thomas Klestil sich von seiner (partei-)politischen Herkunft und Sozialisation weitgehend verabschiedet hatte, wurde seine Wiederkandidatur von ÖVP und FPÖ sowie Teilen der SPÖ, die auf einen eigenen Kandidaten verzichtet hatte, unterstützt. Klestil erreichte bei der Bundespräsidentenwahl am 19. April 1998 bei einer dramatisch gesunkenen Wahlbeteiligung von 74,4 Prozent 63,5 Prozent der abgegebenen Stimmen.412 Trotz seiner zunehmenden Distanz zur ÖVP galt Klestil als »bürgerlicher« Kandidat, der seinen Wahlerfolg vor allem der Mobilisierung der ÖVP-Wähler sowie der Mehrheit der FPÖ-Wähler verdankte. 85 Prozent der ÖVP-Wähler des Jahres 1995 wählten Thomas Klestil, womit die ÖVP »eine flächendeckende und, angesichts des nicht wirklich ungewissen Wahlausgang, bemerkenswerte Mobilisierung« für den amtierenden Bundespräsidenten erreichte.413 64 Prozent der FPÖ-Wähler des Jahres 1995 votierten für Klestil, der durch eine Reihe von positiven Aussagen über die FPÖ sowie die Verleihung der Goldenen Verdienstmedaille an Robert Haider, Mitglied der »Österreichischen Legion« und Vater Jörg Haiders, die Unterstützung der großen Oppositionspartei gewonnen hatte. Trotz des deutlich abgekühlten Verhältnisses zwischen dem amtierenden und wiedergewählten Bundespräsidenten und der ÖVP, vor allem deren Obmann Wolfgang Schüssel, verbuchte man in der ÖVP den Sieg Klestils auch als eigenen. Wolfgang Schüssel gratulierte Klestil und wies darauf hin, dass die ÖVP ihn 1992 als Kandidaten für das höchste Amt im Staate nominiert hatte. Die aufgrund der beiden Wahlergebnisse erhoffte Stabilisierung der ÖVP auf Bundesebene war mehr Wunsch als Wirklichkeit. Der Höhenflug der SPÖ hielt unvermindert an. Die größere Regierungspartei verzeichnete im Oktober 1998 eine Zustimmungsrate von 40 Prozent, während die ÖVP mit 25 Prozent ihren Wert vom Frühjahr hielt und die FPÖ, die seit Dezember 1997 ständig sinkende Werte aufwies, mit 21 Prozent deutlich auf den dritten Platz verwies. Die Grünen ver-
410 Franz Sommer : Analyse der Landtagswahl in Niederösterreich 1998. – In : ÖJP 1998. S. 117–128. 411 Kurier 23.3.1998. S. 3. 412 Fritz Plasser, Peter A. Ulram, Franz Sommer : Analyse der Bundespräsidentschaftswahl 1998 : Muster und Motive der Wahlentscheidung. – In : ÖJP 1998. S. 59–87. 413 Christoph Hofinger, Günther Ogris : Klestil als Präsident (fast) aller Lager. Wählerströme bei der Bundespräsidentenwahl am 19. April 1998. – In : ÖJP 1998. S. 89–98. S. 91.
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mochten mit sieben Prozent das Liberale Forum mit fünf Prozent auf den letzten Platz zu verweisen.414 Im Dezember vergrößerte sich der Abstand zwischen SPÖ und ÖVP sogar auf 17 Prozent. Während die ÖVP mit 25 Prozent konstant blieb, erreichte die SPÖ – auch als Folge der österreichischen EU-Präsidentschaft in der zweiten Jahreshälfte, die vor allem Bundeskanzler Viktor Klima nutzte, 42 Prozent. Trotz des wachsenden Abstandes zum Regierungspartner ergaben die demoskopischen Erhebungen für die ÖVP auch den beruhigenden Befund, dass sich ihr Abstand zur FPÖ auf sechs Prozent vergrößerte.415 Der sich vergrößernde Abstand zum Regierungspartner sorgte allerdings innerparteilich für das neuerliche Aufflammen der Diskussion über die Rolle und das Profil der ÖVP. Ihre auch in demoskopischen Erhebungen deutlich werdende Kompetenz und Themenführerschaft in vielen Bereichen spiegelte sich nicht in wachsendem Wählerzuspruch wider. Einschätzung der Lösungskompetenz der Parteien (Oktober 1998), Zustimmung in Prozent:416 ÖVP
SPÖ
FPÖ
Sicherung des Wirtschaftsaufschwungs und Wirtschaftsstandorts Österreich
34
19
2
Förderung von Familien und Kindern
28
26
3
Sicherung und Neuschaffung von Arbeitsplätzen
44
23
5
In der ÖVP wurden zu Jahresende zunehmend Stimmen laut, die im Fall einer Wahlniederlage bei der Nationalratswahl 1999 eine Verweigerung der offensichtlich so undankbaren Rolle des Zweiten in der Regierung in Erwägung zogen. So erklärten der oberösterreichische Landeshauptmann Josef Pühringer und die steirische Landeshauptfrau Waltraud Klasnic unisono, man müsse im Fall einer Wahlniederlage auch den Gang in die Opposition in Erwägung ziehen. Man müsse nicht um jeden Preis Regierungsverantwortung tragen.417 VI.2.2 Eine Richtungsentscheidung. Das Jahr 1999. Das Wechselbad der Gefühl und Befindlichkeiten Im März 1999 verschlechterten sich die demoskopischen Daten der ÖVP deutlich. Wenngleich die Partei bei den Landtagswahlen in Tirol und Salzburg am 7. März 1999 ihren Stimmenanteil behaupten konnte, so erzielte die FPÖ bei der gleichzeitig 414 Der Standard 9.11.1998. S. 9. 415 Der Standard 7./8.12.1998. S. 5. 416 Fessel-GfK, Kurier 18.11.1998. S. 3. 417 SN 30.11.1998. S. 2.
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stattfindenden Landtagswahl in Kärnten mit 42,1 Prozent und 16 der insgesamt 36 Landtagsmandate einen Erdrutschsieg, der schließlich die Rückkehr Jörg Haiders auf die Position des Landeshauptmanns bewirkte. Dieses politische Beben in Österreichs südlichstem Bundesland hatte auch Auswirkungen auf die bundespolitische Stimmungslage, die sich vor allem für die ÖVP deutlich zu verschlechtern begann. Am 14. März präsentierte die Fernsehsendung »Zur Sache« eine vom Linzer marketInstitut durchgeführte Umfrage, nach der die FPÖ mit 26 Prozent die ÖVP mit 23 Prozent in der Wählergunst überholte und auf den dritten Platz wies.418 Wenngleich diese unmittelbar nach den Landtagswahlen durchgeführte Umfrage Schwankungsbreiten aufwies und zudem noch nicht gefestigte Meinungen erhob, so signalisierte sie, ähnlich anderen Erhebungen, eine steigende Tendenz zugunsten der FPÖ vor allem zulasten der ÖVP, die sich in der Position des undankbaren Zweiten in der Koalition in der öffentlichen Wahrnehmung zu wenig profilieren vermochte. Angesichts der stagnierenden und nunmehr deutlich sinkenden demoskopischen Werte sank die Siegeszuversicht und folglich der Kampfwille der Funktionäre und Sympathisanten deutlich. Selbst unter Spitzenfunktionären der Partei schien die Siegeszuversicht, abgesehen von verbalen Bekenntnissen, nur gering ausgeprägt. So erklärte der Wiener ÖVP-Chef Bernhard Görg, die Chancen der Partei seien voll intakt. Platz eins allerdings sei außer Reichweite.419 Es galt daher, das politische Profil zu schärfen und die Siegeszuversicht der eigenen Funktionäre und Sympathisanten zu wecken. Im April 1999 sprach der oberösterreichische Landeshauptmann Josef Pühringer mit dem Hinweis auf seinen politischen Werdegang Wolfgang Schüssel bei einem Besuch in Linz Mut zu. »Ich war 22 Jahre lang in der Kommunalpolitik der Zweite. Ich weiß, wie viel Leid und wie viel Demütigung man ertragen muss. Wenn du der Zweite bist, kannst du dreimal der Gescheitere sein – du hast keine Chance.« Mit Zuversicht könne man sich jedoch aus dieser schwierigen Situation befreien. Um dies zu erreichen, müsse man einen Satz des polnisch-amerikanischen Regisseurs Roman Polanski befolgen : »Man kann nie und nimmer gewinnen, wenn man sich von Haus aus für den Verlierer hält.« Der so Angesprochene erwiderte kämpferisch : »Wir können gewinnen, wenn wir nur wollen.«420 Die von ihrer politischen Wirksamkeit durchaus ambivalente Schärfung des programmatischen und politischen Profils sollte die Defizite in der öffentlichen Wahrnehmung, die sich auch in sinkenden Zuspruchsraten manifestierten, beseitigen. Clemens Maria Auer mahnte zu Jahresbeginn 1999 mit Blick auf das bevorstehende Wahljahr, die ÖVP müsse ihre politischen Inhalte – vor allem Familie, Arbeit, Wirtschaft, Bildung, Sicherheit – und ihre Erfolge in der Regierung betonen. Ihr 418 Der Standard 14.3.1999. S. 1 und 7. 419 FORMAT 3/1999. S. 34. 420 FORMAT 16/1999. S. 49f.
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Hauptgegner bei den bevorstehenden Bundeswahlen sei die SPÖ. Dabei müsse verhindert werden, dass die Konfrontation ausschließlich zwischen Klima und Haider verlaufe. »Die Auseinandersetzung muss vielmehr zwischen der Volkspartei und den Sozialdemokraten verlaufen.421 Bernhard Görg ortete hingegen den Hauptgrund für die nicht berauschenden Umfragewerte in der auf klaren programmatischen Vorstellungen basierenden staatspolitischen Verantwortung der ÖVP, die manchmal im Interesse Österreichs Positionen einnehme, »die offensichtlich demoskopisch nicht mehrheitsfähig sind.«.422 Anfang Mai bemerkten Klaus Dutzler und Barbara Tóth in einer Analyse der Ausgangsposition der beiden Koalitionsparteien für die kommende Nationalratswahl, bei dieser stehe vor allem die ÖVP unter massivem Druck. »Für die Schüssel-Truppe geht es […] ums politische Überleben. Zerrieben zwischen linkem und rechtem Populismus hat es die Partei geschafft, in der langen Geschichte der Großen Koalition nahezu immer die richtigen Dinge zur falschen Zeit zu machen. Immer staatstragend, immer zukunftsorientiert, aber auch immer naiv und politisch blauäugig. Die gewiefte sozialdemokratische Meinungsmaschinerie hingegen hat immer schamlos und mit Einsatz moderner Kommunikationsmethoden ihr Produkt – den Kanzler – vermarktet und ihn nur jene Dinge sagen lassen, die die Mehrheit im Lande auch hören will. Weil das so ist, steht die SPÖ für die beliebte Neutralität, die ÖVP hingegen für die gefürchtete NATO. Weil das so ist, hat Wolfgang Schüssel die Drecksarbeit während der EU-Präsidentschaft erledigt, während Viktor Klima bei den wenigen großen Events mit Tony Blair und Gerhard Schröder um die Wette grinste und sein zuvor nur marginal vorhandenes Profil als Staatsmann schärfen konnte.«423 Im Vorfeld des 31. Bundesparteitages in der Wiener Hofburg am 23./24. April 1999, der der inhaltlichen Schwerpunktbildung für die politische Arbeit der nächsten Jahre und der programmatischen Schärfung für die bevorstehende Nationalratswahl diente, bemerkte Schüssel in einem Interview mit Katharina Krawagna-Pfeifer zur Lage der ÖVP und zu möglichen zukünftigen Koalitionen, sein Ziel bei der bevorstehenden Nationalratswahl sei ein Wahlergebnis von 30 Prozent plus. Sollte die Wahl hingegen herbe Verluste bringen, gehe die Welt nicht unter, wenn die Partei in Opposition gehe. »Nur, es kann nicht das Ziel einer politischen Partei sein zu sagen, ich gehe in Opposition. Mein Ziel muss sein, stärker zu werden und Bündnispartner zu finden. Wir sind der Stabilitätsanker in der Republik und wir sind gleichzeitig ein Veränderungsmotor. Ohne uns kein EU-Beitritt, ohne uns keine Euroteilnahme, keine Budgetsanierung, keine Privatisierung, keine Pensionsreform, kein Familien421 Clemens Martin Auer : Entscheidung 99 – Politik in einem Wahljahr. – In : Österreichische Monatshefte 1/1999. S. 4–8. S. 6. 422 FORMAT 3/1999. S. 34. 423 Klaus Dutzler, Barbara Tóth : Die Stunde der Strategen. – In : FORMAT 18/1999. S. 24–27. S. 26.
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paket, keine Steuerreform und natürlich auch keine Zusammenarbeit der Sozial- und Christdemokraten. Es ist mir nicht wichtig, dass ich in der Regierung bin. Mir ist wichtig, dass ich Ideen umsetzen kann. Und wenn ich die Ideen mit der SPÖ nicht mehr durchbringen kann, dann bin ich fort. […] Es ist überhaupt nicht selbstverständlich, dass die Sozialdemokraten im dreißigsten Jahr weiter den Bundeskanzler stellen. Das hat seinen Preis. Und der Preis ist der Inhalt. In dem Augenblick, wo die Inhalte nicht mehr mit der SPÖ gehen, sind wir nicht mehr da. Das muss man wissen.«424 Und gegenüber dem »Kurier« betonte er, es gebe keine inhaltliche sozialdemokratische Hegemonie. »Die sozialistischen Ideen sind längst begraben und andere Ideen haben gesiegt. Die SP hat vieles geopfert, um an der Macht zu bleiben.«425 In seinem Grundsatzreferat vor dem Parteitag bemerkte er in Anspielung auf die keineswegs günstigen Umfragewerte : »Zu Meinungsumfragen hat jeder von uns ein etwas eigenartiges Verhältnis. Sind sie gut, naja schön. Sind sie nicht gut, dann verdrängt man sie oder man ärgert sich darüber. Ich halte es meistens so, wie Schimon Peres einmal gesagt hat : Umfragen sind wie gutes Parfum. Man sollte davon schnuppern, aber nicht davon trinken – Viktor Klima trinkt offensichtlich zu oft davon. […] Wir sind so stark, wie wir selber sein wollen und wie die Gesamtheit des Teams uns macht. Das ist der Punkt !«426 Er habe in mehreren Interviews vor dem Parteitag die Position der ÖVP klar und deutlich dargelegt. »Eine Zusammenarbeit mit uns ist möglich, aber sie hat natürlich bestimmte Voraussetzungen. Ich gehe doch nicht hinein, um einem anderen den Steigbügel für eine wackelige Mehrheit oder Macht abzusichern. Das ist doch nicht mein Job als Obmann der Christdemokraten in Österreich ! Wer uns will, soll vorher wissen, worum es geht, soll vorher wissen, was uns wichtig ist. Und mir sind einige wenige Dinge sehr, sehr wichtig : Wer mit uns arbeiten will, muss für und nicht gegen Europa sein. Wir nehmen Frauen, Familien und Kinder ernst. Dazu gehört auch das Karenzgeld für alle. Wer uns will, muss dem Mittelstand Luft zum Atmen geben … Wer uns will, muss einen bestimmten Stil akzeptieren, der auf Partnerschaft aus ist und muss dem Hass, der Angst und der Abgrenzung abschwören. […] Wer uns will, wer Zusammenarbeit will, der hat die Wahl. Wählen kommt ja auch von auswählen können. Ich biete mich nicht im Doppelpack an, weder mit einem rosaroten Panther noch mit einem blauen Chamäleon. Wir sind allein stark genug ! 424 Der Standard 23.4.1999. S. 8. 425 Kurier 20.4.1999. S. 3. 426 Protokoll des 31. ordentlichen Bundesparteitages der ÖVP am 23./24. April 1999 in der Wiener Hofburg. Zweiter Tag. S. 34.
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Natürlich sind wir anspruchsvoll, weil wir wissen, dass auch andere an uns höhere Ansprüche richten, und daher wollen auch wir an andere Ansprüche richten. Wir wollen als Partner ernst genommen werden. Ich bin kein Plüschtier auf einem roten Sofa – ganz klar gesagt. Daher : Zusammenarbeit ist ein hoher Wert, gerade für ein kleines Land. Aber die Partnerschaft ist wichtig, und sie hat ihren Preis, nämlich Achtung und Respekt vor dem Gegner – und das haben manche in der SPÖ wirklich verlernt.« Die ÖVP habe die besseren Konzepte und sei in den vergangenen Jahren der Motor der Reformen gewesen. Die Partei könne, trotz aller gegenteiligen demoskopischen Befunde, die politische Ernte für ihre Arbeit in Form eines Wahlsieges einfahren. »[ …] ich hab es ja gespürt : Ihr wollt gewinnen. Wir können es ! Wir können auf allen Ebenen siegen ! Zwei Drittel aller Bürgermeister werden von uns gestellt, zwei Drittel aller Landeshauptleute sind Politiker der Volkspartei. Wir haben auf österreichischer Ebene mit Ursula Stenzel die Nummer–1-Position gehabt. […] wir können auch bei den Nationalratswahlen auf einer nach oben offenen Schüssel-Skala dazugewinnen, bis wir die Stärksten sind […]«427 Der 31. Bundesparteitag bildete den inoffiziellen Wahlkampfauftakt für die Nationalratswahl am 3. Oktober. Dabei wurde die Wahlkampflinie deutlich. Neben einem Appell an die Geschlossenheit und Kampfbereitschaft der Partei diente der Parteitag vor allem auch der außenwirksamen ideologischen Profilierung und der Botschaft, die Fortsetzung der Koalition mit der SPÖ sei keineswegs, wie von zahlreichen Medien behauptet, das Ergebnis einer politischen Logik. Eine eventuelle Neuauflage der Großen Koalition werde nur unter klar definierten programmatischen Prämissen erfolgen. Die endgültige Fixierung der Wahlkampflinie erfolgte durch den Bundesparteivorstand am 24. Juni. Dabei erfolgte nicht nur eine neuerliche Schärfung des ideologischen und politischen Profils. Vor allem gegenüber der SPÖ wollte man sich mit klaren kontradiktorischen Aussagen wie »Zukunft versus Vergangenheit« abgrenzen, in den Bereichen Wirtschaft und Arbeitsplätze, Familie und Sicherheit ein klares und kantiges Profil zeigen und in der politischen Auseinandersetzung Härte demonstrieren. In einem Interview mit Katharina Krawagna-Pfeifer betonte Schüssel, der von der ÖVP geführte Wahlkampf werde nicht auf Stimmungen, sondern politische Inhalte abzielen. Inhaltliche Entscheidungen von großer Tragweite stünden an, denn in den kommenden vier Jahren würden wesentliche Richtungsentscheidungen innerhalb Europas getroffen. »Es kommt zur Entscheidung über die Erweiterung, die Reform der Union muss angegangen werden, die Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Union nimmt Gestalt an, der Euro wird eingeführt. Das sind wichtige Weichenstellungen. 427 Protokoll des 31. ordentlichen Bundesparteitages am 23./24. April 1999. Zweiter Tag. S. 53ff.
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Da gibt’s eben Parteien, die sind so wie wir massiv für die Chance der Europäischen Union, andere sehen das als absolutes Risiko an. […] Die anderen wollen die Sicherheits- und Verteidigungsunion bewusst draußen lassen. Ich glaube, wir sind diejenigen, die das umfassendste europäische Konzept zum Wohle Österreichs anbieten. Das ist eine Richtungsentscheidung. Das Gleiche gilt in der Familienpolitik. Ähnliches in der Wirtschaftspolitik, wo die SPÖ in Richtung höherer Lohnnebenkosten geht.«428 In einem FORMAT-Interview betonte Schüssel, die Wahlauseinandersetzung vor allem inhaltlich führen zu wollen. »Die Wähler sollen wissen, welche Inhalte sie kriegen. […] Alle Themen, die überhaupt diskutiert werden, kommen von uns. Familie, Senkung der Lohnnebenkosten, die Frage der europäischen Ordnung – EU-Erweiterung, Teilnahme am europäischen Sicherheitsverbund.«429 Zweieinhalb Monate vor der Nationalratswahl deutete Schüssel die möglichen Bruchstellen einer Neuauflage einer Koalition mit der SPÖ an. Er sei seit seinem Regierungseintritt vor nunmehr zehn Jahren immer ein Befürworter der Großen Koalition gewesen. »Aber das ist nur sinnvoll, wenn es Ergebnisse gibt. Ich will die Koalition mit der SPÖ nicht um jeden Preis.« Wenn es weiterhin nicht möglich sei, mit der SPÖ über die für die ÖVP zentralen Bereiche Familie, Neutralität und Reduzierung des Staatseinflusses auf die ÖIAG zu diskutieren und zu einem entsprechenden Ergebnis zu kommen, »dann stellt sich schon die Sinnfrage«. Er traue sich und der ÖVP »politisch, geistig und moralisch die Führung des Landes zu«. Den Zeitpunkt des von ihm angestrebten Politikwechsels ließ er allerdings offen. »Ich traue es mir zu. Der Wähler entscheidet wann.«430 Landwirtschaftsminister Wilhelm Molterer betonte, in der ÖVP sei man sich einig darüber, was man inhaltlich umsetzen wolle. »Mit wem wir unsere Ziele verwirklichen, das hängt vom Wahlergebnis ab. […] Ich habe den Eindruck, dass Viktor Klima sein Reformkonto aufgebraucht hat und die Gewerkschaft die Zügel nun wieder anzieht. […] Wenn wir Stimmen verlieren und sogar Dritter werden, heißt das, dass die Wähler uns für nicht gut genug gehalten haben und unser Angebot nicht wollten.«431 Wenige Tage später wurde die Brüchigkeit des Koalitionsklimas, die auch zunehmend Verfechter der Großen Koalition wie Landwirtschaftsminister Wilhelm Molterer erfasste, deutlich. Dieser bemerkte mit Blick auf die regierungsinternen Spannungen der letzten Jahre und die Rolle der ÖVP, man habe sich gegen die SPÖ erst mühsam
428 Der Standard 14./15.8.1999. S. 8. 429 FORMAT 37/1999. S. 32. Unmittelbar nach dem Parteitag im April 1999 ließ Schüssel in der ORF»Pressestunde« wissen, für ihn sei im Fall einer Koalition mit der FPÖ ein Pro-EU-Kurs und eine positive Haltung zur Osterweiterung eine unverzichtbare Voraussetzung (Kurier 26.4.1999. S. 2). 430 SN 17.7.1999. S. 2. 431 FORMAT 33/1999. S. 24f.
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zu einem notwendigen Sparkurs durchringen können. »Die wichtigste Investition in diese Legislaturperiode kam von der ÖVP mit der Neuwahl 1995. Ohne diese Investition wären wir nicht Euroland.« Nach den Verhandlungen über die von der ÖVP als absolut notwendig erachtete Pensionsreform habe er allerdings das Gefühl bekommen, »das Reformkonto der SPÖ [sei] auf Saldo Null« gesunken.432 Und in einem »Kurier«Interview : »Wenn notwendige Veränderungen nicht mehr möglich sind, dann stellt sich diese Zusammenarbeit von selbst in Frage. Ich habe das Gefühl, dass das Reformkonto des Viktor Klima erschöpft ist. Offensichtlich hat jetzt die Gewerkschaft gesagt : Bis hierher und nicht weiter.«433 Auch für Wolfgang Schüssel war der Umgang mit dem Koalitionspartner »mühsam und ermüdend«. »Ich verstehe nicht, warum Dinge, die vereinbart sind, nicht schneller beschlossen werden«, so Schüssel.434 Anfang August ließ der ÖVP-Obmann aufhorchen, als er für den Fall eines Verlustes bei der Nationalratswahl am 3. Oktober den Gang in die Opposition eine realistische Option nannte. Ähnlich äußerte sich der steirische Landesrat Herbert Paierl. Koalitionsüberlegungen hätten nur dann einen Sinn, wenn die ÖVP bei der kommenden Nationalratswahl ihren Stimmenanteil vergrößere. »Wenn die ÖVP verliert, ist die einzige Alternative der Gang in die Opposition. Wir müssen gewinnen, alles andere ist nicht denkbar. Verliert die ÖVP, wäre das ein klares Signal der Wähler, dass wir unsere Politik nicht rübergebracht haben, und da gibt es keine Ausreden mehr. Dann gibt es nur den Gang in die Opposition und eine grundlegende Erneuerung der Partei.«435 Der Gang in die Opposition schien Anfang September 1999 bittere Realität zu werden, als eine im Auftrag der Bundesländerzeitungen durchgeführte Umfrage des OGM-Instituts die ÖVP auf dem dritten Platz verortete. Bundesweit kam die SPÖ auf 35 Prozent, gefolgt von der FPÖ mit 27 Prozent und der ÖVP mit 25 Prozent. In Salzburg, Kärnten, Tirol und Vorarlberg lag die FPÖ auf Platz eins. Die Oppositionspartei konnte auch bei den Erstwählern die Führungsposition erringen. Die ÖVP musste vor allem in den westlichen Bundesländern massive Einbußen zugunsten der FPÖ hinnehmen, während die SPÖ in Ostösterreich ihre dominierende Position zu behaupten vermochte und damit Platz eins absicherte.436 Der bereits im März vom Linzer market-Institut diagnostizierte Trend hatte sich verfestigt, ein politisches Erdbeben auf Bundesebene schien bevorzustehen. Die ÖVP schien, trotz eines klaren programmatischen Angebots, die unbedankte »graue Maus der langweiligen Staatsräson« zu sein.437 432 Kurier 25.7.1999. S. 2. 433 Kurier 13.8.1999. S. 2. 434 Kurier 16.8.1999. S. 3. 435 Der Standard 9.8.1999. S. 6. 436 SN 6.9.1999. S. 1f. 437 Andreas Unterberger : Die ÖVP im Tröpferlbad oder : Der zur Partei geronnene Kompromiss. – In : Die Presse 28.9.1999. S. 3.
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Das Bekanntwerden der Umfrageergebnisse löste in der Parteispitze der ÖVP zunächst unterschiedliche Reaktionen aus. Bei der fraktionellen Ministerratsvorbesprechung am Nachmittag des 6. September in der ÖVP-Zentrale in der Lichtenfelsgasse zeigte man sich über die von den Medien am Vormittag veröffentlichten Umfragewerten wenig erfreut, doch schienen sich viele Teilnehmer nach einem Referat von Wahlkampfleiter Michael Strugl zu beruhigen. Dieser referierte andere Umfragedaten, nach denen die SPÖ bei 34/35 Prozent liege, die ÖVP mit 25/26 Prozent knapp vor der FPÖ mit 24/25 Prozent den zweiten Platz behaupte und das Liberale Forum wahrscheinlich den Wiedereinzug in den Nationalrat nicht schaffen werde. Die Beruhigung war jedoch nur von kurzer Dauer, als sich ÖAAB-Obmann Verteidigungsminister Werner Fasslabend, ÖAAB-Generalsekretär Walter Tancsits, der Obmann der Jungen ÖVP, Werner Amon, und Klobobmann Andreas Khol zu Wort meldeten und vehement eine Zuspitzung des Wahlkampfes forderten. Man müsse einer weit verbreiteten Stimmung in der Bevölkerung entgegentreten, dass die ÖVP ohnedies wiederum in eine Koalition mit der SPÖ eintreten werde. Parteiobmann Wolfgang Schüssel, unterstützt von seiner Stellvertreterin Unterrichtsministerin Elisabeth Gehrer lehnte zunächst eine Änderung der Wahlkampflinie mit dem Hinweis ab, man sollte keine Volten schlagen und in der Öffentlichkeit nicht zu sehr die Notwendigkeit eines Wechsels propagieren, da dies als eine Präferenz für Schwarz-Blau interpretiert werden könne. Zudem sei in dieser Frage die eigene Wählerschaft polarisiert. Der um einen Konsens bemühte Parteiobmann schwenkte schließlich auf die Linie der Befürworter einer schärferen Profilierung im Wahlkampf ein und erreichte mit seiner Erklärung am nächsten Tag nach der Sitzung des Ministerrats, die ÖVP werde im Fall eines Zurückfallens auf Platz drei den Weg auf die harten Bänke der Opposition gehen, drei Ziele : Die ÖVP erlangte ein Maximum an Publizität, trat der vor allem von der SPÖ und ihr nahe stehenden Medien propagierten These entgegen, sie würde sich auch im Fall des Zurückfallens auf die Position des Dritten von der FPÖ mit dem Angebot der Übernahme der Kanzlerschaft ködern lassen, und erreichte einen Mobilisierungsschub bei den eigenen Funktionären und Sympathisanten. Unmittelbar nach der Sitzung wurden sämtliche Landeshauptleute und Spitzenfunktionäre von der neuen Strategie in Kenntnis gesetzt.438 Diese Strategie zeigte durchaus Erfolg. Von den »Salzburger Nachrichten« über das Ergebnis der OGM-Umfrage befragt, erklärte der Salzburger Landeshauptmann Franz Schausberger, sollte die FPÖ die ÖVP am 3. Oktober überholen, werde »es für die ÖVP nur den Weg in die Opposition geben«. Aus der Position des Dritten werde es für die ÖVP weder eine Koalition mit der FPÖ geben – »Kein Kanzler von Haiders 438 Dietmar Neuwirth : Halb zog sie ihn, halb sank er hin. VP-Ungeduld und Schüssels Poker. – In : Die Presse 9.9.1999. S. 3.
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Gnaden« –, noch eine Auslieferung an die SPÖ.439 Ähnlich ließ sich Parteiobmann Wolfgang Schüssel am 7. September nach Rücksprache mit den Landesorganisationen und dem Parlamentsklub vernehmen. Die ÖVP werde im Fall ihres Rückfalls auf die dritte Position in Opposition gehen. Die Opposition sei keineswegs das Ziel der ÖVP, aber er wolle damit klarmachen, dass es keine »pragmatisierte Koalition« gebe. »Wer die ÖVP in der Regierung will, muss sie auch wählen.«440 Die ÖVP werde auch keinen freiheitlichen Kanzler unterstützten, »wen auch immer«. Er würde auch das immer wieder diskutierte Angebot der FPÖ ablehnen, den Kanzler auch als drittstärkste Kraft zu stellen. Um den von manchen vermuteten Alleingang Schüssels Lügen zu strafen, folgte eine umgehende Solidarisierung der Parteigranden mit der Aussage des Parteiobmanns. Niederösterreichs Landeshauptmann Erwin Pröll bezeichnete die Aussage Schüssels als »Signal der Offenheit«, Oberösterreichs Landeshauptmann Josef Pühringer betonte, der Gang in die Opposition könne »niemals ausgeschlossen werden«, und der Generalsekretär der Bundeswirtschaftskammer, Günter Stummvoll, bezeichnete die Erklärung als »goldrichtig«.441 Norbert Stanzel meinte zur Erklärung Schüssels, diese sei weit »mehr als nur Theaterdonner« : »Wer die ÖVP ein bisschen auch von innen kennt, der weiß, dass mit dem Abrutschen hinter die FPÖ die Schmerzgrenze überschritten wäre. Kein Parteiobmann, kein Parteivorstand könnte sich auf Koalitionsverhandlungen – ob mit der SPÖ oder der FPÖ – einlassen, ohne einen Volksaufstand der mittleren und kleineren Funktionäre zu provozieren.«442 Mit der geänderten Wahlkampflinie und der Aussage Schüssels, im Fall des Rückfalls auf Platz drei in Opposition gehen zu wollen, gelang der erhoffte Mobilisierungseffekt. Der Abstand zur FPÖ verringerte sich ständig und es blieb bei den Schwankungsbreiten der demoskopischen Erhebungen bis zum Wahltag völlig ungewiss, ob die ÖVP oder die FPÖ den angestrebten zweiten Platz erringen würde. Am 19. September bekräftigte Schüssel in der ORF-»Pressestunde« seine Position. Auf die Frage, ob er seine Partei im Fall des Zurückfallens auf den dritten Platz in die Opposition führen werde, betonte er, dies sei »hundertprozentig« der Fall. »Ich bin nicht für einen Slalomkurs bekannt.« Ziel sei es allerdings, stärker zu werden, um aus der Position des zweiten in eine Regierung eintreten zu können. Dafür gebe es allerdings für ihn und die ÖVP unverhandelbare Bedingungen : »Ja zu Europa. Ja zu einem Politik-Stil, der nicht ausgrenzt und Hass schürt. Ja zur Mitarbeit im europäischen Sicherheitsverbund. Ja zu Maßnahmen, die die Familien stärken. Ja zur 439 SN 7.9.1999. S. 1. 440 Kurier 8.9.1999. S. 2. 441 Kurier 9.9.1999. S. 2. 442 Norbert Stanzel : Mehr als nur Theaterdonner. – In : Kurier 8.9.1999. S. 2.
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Fortsetzung des wirtschaftspolitischen Kurses mit Senkung der Lohnnebenkosten, verstärkten Anstrengungen bei der Forschung und Ausbildungsmaßnahmen für die Jugend.« Derzeit würden diese Bedingungen allerdings weder SPÖ noch FPÖ erfüllen.443 In der TV-Diskussion mit Viktor Klima am 28. September unterstrich er seine Position in Beantwortung der Vorhaltung Klimas, er stelle mit seiner Festlegung die Interessen der Partei vor jene des Landes, mit der Bemerkung : »Die FPÖ wird sich ändern müssen. Sie werden sich ändern müssen.«444 Der Betonung der Oppositions-Ankündigung des Parteiobmanns und damit der Mobilisierung der letzten Reserven diente auch eine am 29. September anberaumte Pressekonferenz Wolfgang Schüssels mit sämtlichen ÖVP-Landeschefs im Presseclub Concordia, in der die versammelte Parteiprominenz nochmals betonte, eine Regierungsbeteiligung komme nur im Falle des Erreichens des zweiten Platzes infrage. »Wir stehen zum Regieren bereit, aber wir erbitten dazu ein Mandat des Wählers« lautete die Botschaft Wolfgang Schüssels.445
VI.3 Die FPÖ VI.3.1 »Nicht mehr der politische Würstelstand der Ausgegrenzten«. Trendsetter und der Bruch mit Traditionen – das neue Parteiprogramm 1997 Die FPÖ hatte sich seit der Übernahme der Obmannschaft durch Jörg Haider 1986 auf die Siegerstraße begeben und war vom drohenden Nichteinzug in den Nationalrat im Jahr 1986 bis zum Jahr 1994 auf 22,5 Prozent, und damit zur Mittelpartei, aufgestiegen. Die vorverlegte Nationalratswahl am 17. Dezember 1995 schien jedoch den unaufhaltsamen Aufstieg der Partei zu bremsen ; sie verlor 0,6 Prozent der Stimmen und zwei Mandate. Wenngleich zahlreiche Beobachter der innenpolitischen Szene bereits vom Ende des Aufstiegs der FPÖ sprachen, so war dieser noch keineswegs beendet. Im Herbst 1997 analysierte Franz Schandl die Situation der FPÖ und kam zu dem Schluss, es sei davon auszugehen, dass Jörg Haider in erheblich höherem Maße des Volkes Stimmungen ausdrückt, als dies in Stimmen zum Ausdruck komme. »Vor allem in den zerbröckelnden sozialdemokratischen und christlichsozialen Sektoren dürften unzählige Menschen primär aus alten Bindungen (Parteiloyalität, Tradition, Protektion, gesellschaftlicher Druck) noch nicht übergelaufen sein, während sie inhaltlich längst von Haider adaptiert wurden. […] Die Freiheitlichen sind das erste gelungene postfaschistische Projekt der Rechten in Europa. Und zwar weil die Loslösung vom traditionellen Rechtsextremismus geglückt ist.« 443 Kurier 20.9.1999. S. 2. 444 Die Presse 30.9.1999. S. 1. 445 SN 30.9.1999. S. 2.
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Fortsetzung des wirtschaftspolitischen Kurses mit Senkung der Lohnnebenkosten, verstärkten Anstrengungen bei der Forschung und Ausbildungsmaßnahmen für die Jugend.« Derzeit würden diese Bedingungen allerdings weder SPÖ noch FPÖ erfüllen.443 In der TV-Diskussion mit Viktor Klima am 28. September unterstrich er seine Position in Beantwortung der Vorhaltung Klimas, er stelle mit seiner Festlegung die Interessen der Partei vor jene des Landes, mit der Bemerkung : »Die FPÖ wird sich ändern müssen. Sie werden sich ändern müssen.«444 Der Betonung der Oppositions-Ankündigung des Parteiobmanns und damit der Mobilisierung der letzten Reserven diente auch eine am 29. September anberaumte Pressekonferenz Wolfgang Schüssels mit sämtlichen ÖVP-Landeschefs im Presseclub Concordia, in der die versammelte Parteiprominenz nochmals betonte, eine Regierungsbeteiligung komme nur im Falle des Erreichens des zweiten Platzes infrage. »Wir stehen zum Regieren bereit, aber wir erbitten dazu ein Mandat des Wählers« lautete die Botschaft Wolfgang Schüssels.445
VI.3 Die FPÖ VI.3.1 »Nicht mehr der politische Würstelstand der Ausgegrenzten«. Trendsetter und der Bruch mit Traditionen – das neue Parteiprogramm 1997 Die FPÖ hatte sich seit der Übernahme der Obmannschaft durch Jörg Haider 1986 auf die Siegerstraße begeben und war vom drohenden Nichteinzug in den Nationalrat im Jahr 1986 bis zum Jahr 1994 auf 22,5 Prozent, und damit zur Mittelpartei, aufgestiegen. Die vorverlegte Nationalratswahl am 17. Dezember 1995 schien jedoch den unaufhaltsamen Aufstieg der Partei zu bremsen ; sie verlor 0,6 Prozent der Stimmen und zwei Mandate. Wenngleich zahlreiche Beobachter der innenpolitischen Szene bereits vom Ende des Aufstiegs der FPÖ sprachen, so war dieser noch keineswegs beendet. Im Herbst 1997 analysierte Franz Schandl die Situation der FPÖ und kam zu dem Schluss, es sei davon auszugehen, dass Jörg Haider in erheblich höherem Maße des Volkes Stimmungen ausdrückt, als dies in Stimmen zum Ausdruck komme. »Vor allem in den zerbröckelnden sozialdemokratischen und christlichsozialen Sektoren dürften unzählige Menschen primär aus alten Bindungen (Parteiloyalität, Tradition, Protektion, gesellschaftlicher Druck) noch nicht übergelaufen sein, während sie inhaltlich längst von Haider adaptiert wurden. […] Die Freiheitlichen sind das erste gelungene postfaschistische Projekt der Rechten in Europa. Und zwar weil die Loslösung vom traditionellen Rechtsextremismus geglückt ist.« 443 Kurier 20.9.1999. S. 2. 444 Die Presse 30.9.1999. S. 1. 445 SN 30.9.1999. S. 2.
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Und in Richtung der Haider-Gegner : »Der Antifaschismus hat jedenfalls immer weniger zu bieten. Er verkörpert Empörung statt Erklärung, Abwehr statt Angriff, Vergangenheit statt Zukunft, Überführung statt Untersuchung, Langeweile statt Originalität. In der zehnjährigen Haider-Debatte hat er in seiner Ohnmacht nur gezeigt, was er ist : hilflos, ratlos, harmlos.«446 Im Herbst 1997 ergaben IFES-Erhebungen für die FPÖ 27 Prozent und damit Platz zwei hinter der SPÖ. Die Partei befand sich nach einem kurzen Rückschlag 1995 wieder im Aufwind und Demoskopen schlossen die Möglichkeit nicht mehr aus, dass die FPÖ bereits bei der nächsten oder spätestens übernächsten Nationalratswahl stimmen- und mandatsstärkste Partei werden könnte. In dieser Phase des anhaltenden Aufschwungs, der zunehmend erodierenden traditionellen politischen Milieus und des Entstehens patchworkartiger Identitäten jenseits der politischen Lagerbindungen galt es, im Sinne der Zukunftsfähigkeit als größere Mittelpartei das programmatische Angebot zu verbreitern.447 Parteiobmann Jörg Haider erklärte die beabsichtigten programmatischen Modifikationen mit dem Hinweis, dass die FPÖ rund 400.000 Wähler von der SPÖ und 300.000 von der ÖVP gewonnen habe. Damit habe die Partei nunmehr eine Vielzahl christlich orientierter Wähler. »Historische (antiklerikale) Vorurteile der FPÖ gegenüber der Kirche müssen daher beseitigt werden. […] Wir treten für einen laizistischen Staat ein, der aber sehr bewusst jene Werte, die christliche Kirchen repräsentieren, zur Grundlage der Gesellschaftspolitik macht, wie Stärkung der Familien, Fleiß, Anstand usw.«448 Dies implizierte mit Blick auf die Zukunft nicht bloß eine graduelle Adaption traditioneller Positionen, sondern eine bewusst herbeigeführte Diskontinuität, womit heftige innerparteiliche Diskussionen mit den Wächtern der ideologischen Tradition programmiert waren. Die in aller Öffentlichkeit geführte Diskussion wurde von der Parteiführung nicht nur geduldet, sondern bewusst mitinszeniert, konnte man doch damit medienwirksam den Aufbruch in eine neue Zeit signalisieren, für den man sich, der postmodernen Beliebigkeit des Zeitgeistes entsprechend, auch der ideologischen Versatzstücke des politischen Gegners bediente. Markus Huber und Herbert Lackner sprachen von einem ideologischen »Mehrfach-Klon«, für den neben dem geschäftsführenden Klubobmann Ewald Stadler der Historiker Lothar Höbelt, der Dritte Nationalratspräsident Wilhelm Brauneder und der Leiter der Parteiakademie, Herbert Scheibner, verantwortlich zeichneten. »Wird der zentrale Teil des
446 Franz Schandl : Was wird bloß der Haider sagen ? – In : Die Presse 25./26.10.1997. SPECTRUM S. If. S. II. 447 Zur programmatischen Entwicklung der FPÖ bis in die frühen achtziger Jahre vgl. Erich Reiter : Programm und Programmentwicklung der FPÖ. – Wien 1982 (Österreichische Schriftenreihe für Rechtsund Politikwissenschaft. Hg. v. Felix Ermacora. Band 5). 448 Kronen Zeitung 14.4.1997. S. 3.
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Entwurfes tatsächlich beschlossen, vollzieht die FPÖ einen dramatischen Schwenk : weg vom traditionell antiklerikalen Deutschnationalismus hin zur konservativen, austro-nationalistischen Protestpartei proletarischen Zuschnitts, die als politisches Schlagoberstüpferl sogar den Segen des rechten Kirchenflügels hat.«449 Der freiheitliche Publizist Andreas Mölzer wies zu Recht darauf hin, dass es »realpolitisch so etwas wie ein wertkonservatives Abwehrbündnis gegenüber den Großinquisitoren der Political correctness« gebe. »Dies verbündet wertkonservative Freiheitliche mit Katholiken und auch Bereichen des klassischen sozialdemokratischen Wählerpotentials. Selbstverständlich ist es aus parteitaktischer Sicht legitim, auch entsprechende Signale in diese Wählerschichten zu senden. […] Religiöser Fundamentalismus feiert weltweit wenig fröhliche Urständ. Die Trennung von Staat und Kirche indes ist einer der Grundbestandteile westlichen Demokratieverständnisses geworden. Gewiss wollen Haiders Freiheitliche daran nicht rütteln. Ein sozusagen soziokulturelles Bekenntnis zu katholischem Lebensgefühl und christlicher Prägung von Land und Leuten wird man ihnen kaum verwehren können, selbst wenn dies dem Kalkül entspringt, in ein von anderen Parteien zurückgelassenes Vakuum vorzustoßen.«450 Federführend bei der Arbeit an dem Entwurf für ein neues Parteiprogramm war Ewald Stadler, dessen betonte Hinwendung zu den christlichen Kirchen und die damit verbundene Absage an den traditionellen Antiklerikalismus – »wir wollen uns als Partner der Kirche sehen«451 – sowohl innerhalb der FPÖ wie auch in der katholischen Kirche für heftige Diskussionen sorgte. Während der St. Pöltener Bischof Kurt Krenn in einem ORF-Interview dem neuen Kurs der FPÖ seinen Segen gab und betonte, die Kirche erkenne durchaus die »Tragweite der F-Bewegung«, sah sich der Vorsitzende der Bischofskonferenz, der Grazer Bischof Johann Weber, zu einer deutlich kritischeren Stellung veranlasst, indem er die Distanz der Kirche zu den politischen Parteien betonte. Krenns Ansicht sei keineswegs die Linie der katholischen Kirche. »Wir umarmen keine Partei und wollen uns auch nicht umarmen lassen.«452 Der von dem Redaktionskomitee im Frühjahr 1997 fertiggestellte Entwurf sollte auf einem Programmparteitag am 14. Juni im Wiener Austria Center verabschiedet werden. Stadlers deutliche Abkehr vom Laizismus und in der Geschichte der FPÖ auch stets vorhandenem Antiklerikalismus mit seinem Bekenntnis zu einem »wehrhaften Christentum« sowie das Kapitel »Recht auf Heimat« stießen auf den massiven Widerstand des national-liberalen Flügels der Partei. Der parteiinterne Widerstand gegen den Entwurf war schließlich so groß, dass der für 14. Juni anbe449 Markus Huber, Herbert Lackner : Christian Soldiers. – In : Profil 14/1997. S. 22- 26. S. 22. 450 Andreas Mölzer : Kämpferisches Christentum ? – In : Die Presse 26.3.1997. S. 2. 451 Die Presse 7.4.1997. S. 7. 452 Kurier 4.4.1997. S. 3.
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raumte Programmparteitag auf Ende Oktober verschoben werden musste, um in einer neuerlichen Debatte einen Konsens zu erreichen. In einer Stellungnahme zum Programmentwurf bemerkte der Kärntner Landtagspräsident und stellvertretende Landesparteiobmann, Jörg Freunschlag, die Formulierung »wehrhaftes Christentum« stoße ihm »persönlich auf, wie einigen anderen Freunden auch«. Der stellvertretende Klubobmann der niederösterreichischen FPÖ, Erich Schreiner, bezeichnete den Begriff »wehrhaftes Christentum« als entbehrlich und wollte ihn durch jenen der »wehrhaften Demokratie« ersetzen.453 Massive Kritik kam vor allem von der Wiener Landespartei, deren Obmann Rainer Pawkowicz in deutlicher Anspielung auf die von Ewald Stadler geleitete Programmkommission öffentlich seine Ablehnung äußerte : »Es herrscht bei uns der Eindruck, dass von irgendwem von irgendwo ein Programm verordnet wird.« Dies stoße in der Partei auf »massives Unverständnis«.454 Der Wiener Gemeinderat Rüdiger Stix bemerkte kritisch zum Programmentwurf : »Das Christentum als Fundament Europas hinzustellen, ist eine historische Dummheit. Wir wollen wehrhafte Demokratie und nicht wehrhaftes Christentum.« Als Gegenmodell plante er ein »Wiener Jubiläumsprogramm 1848–1998«, um die »freisinnige Tradition des klassischen Liberalismus zu neuem Leben (zu) erwecken«.455 Dreißig Wiener FPÖ-Mandatare unterzeichneten eine kritische Programmresolution und Erwin Hirnschall bezeichnete Ewald Stadler als »eifernden Jesuiten der Gegenreformation«, um am Landesparteitag der Wiener FPÖ hinzuzufügen, er wolle nicht »eines Tages als Ehrenobmann einer christlich-sozialen Partei aufwachen«.456 Der ehemalige Dritte Nationalratspräsident und Verfasser des Programms des Jahres 1985, Gerulf Stix, bezeichnete am 2. September in einer Stellungnahme die Programmdiskussion als »schmalbrüstig« und zeitlich »viel zu kurz angelegt«. Er sei gegen eine »Regenbogenpolitik«, bei der ganz offensichtlich patchworkartig Versatzstücke aus anderen politischen Ideologien zusammengefügt würden. Es sei offensichtlich, dass man vom traditionellen »Freisinn« der FPÖ abgehe, wenn in Zukunft christliche Werte stärker betont würden. Er habe daher bereits zu Jahresbeginn die »Genius-Gesellschaft für freiheitliches Denken« gegründet, die auch mit einer eigenen Zeitschrift die klassischen ideologischen Positionen der FPÖ wiederum in die Diskussion einbringen werde.457 Trotz allen Widerstandes, bezeichnete Kapitel V das Christentum als »Fundament Europas«. »Die vom Christentum und antiker Welt geprägte Wertordnung
453 Die Presse 17.4.1997. S. 8. 454 SN 3.4.1997. S. 2. 455 Kurier 27.8.1997. S. 2. 456 Zit. bei Rüdiger Stix : Das Jahr der Bewährung – warum brach die FPÖ 1998 nahezu flächendeckend auf ? – In : ÖJP 1998. – Wien/München 1999. S. 177–195. S. 192. 457 Die Presse 3.9.1997. S. 7.
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bildet das wichtigste geistige Fundament Europas.«458 Die europäische Zivilisation beruhe auf der Antike, dem »Christentum in seiner konfessionellen Vielfalt.« Ferner »wurde Europa auch durch Judentum und andere nichtchristliche Religionsgemeinschaften beeinflusst. […] Die Bewahrung der geistigen Grundlagen des Abendlandes erfordert ein Christentum, das seine Werte verteidigt. Im Bestreben um den Erhalt dieser Grundlagen Europas sehen sich die Freiheitlichen als ideelle Partner der christlichen Kirchen, auch wenn es zu verschiedenen politischen Fragen unterschiedliche Standpunkte gibt. […] Den großen christlichen Kirchen kommt eine entscheidende Rolle zur Bewahrung des europäischen Wertekonsenses zu. Da dies auch der Freiheitlichen Bewegung ein politisches Anliegen ist, sieht sie sich als natürlicher Partner der christlichen Kirchen.«459 Im Kapitel »Recht auf Heimat« wurde auf Drängen des Wiener Landesparteiobmanns Rainer Pawkowicz das Wort »Deutsche« durch die Formulierung »historisch ansässige Volksgruppen« (Deutsche, Kroaten, Roma, Slowaken, Slowenen, Tschechen und Ungarn) ersetzt. Zudem wurde das »Grundrecht«,»Identität und Volkszugehörigkeit selbstbestimmt und frei zu befinden« betont. »Dieses Recht ist nicht auf die historisch ansässigen Volksgruppen […] begrenzt. Vielmehr ist es jedem Bürger selbst überlassen, ob er sich überhaupt einer ethnischen Gruppe zugehörig fühlt. In weiterer Folge hat jeder Bürger das Recht selbst zu bestimmen, welcher Volksgruppe er seiner Identität nach zugeordnet werden möchte.«460 Österreich sei aber »auf Grund seiner Topographie, seiner Bevölkerungsdichte und seiner beschränkten Ressourcen kein Einwanderungsland. Das Grundrecht auf Heimat gestattet daher keine unbeschränkte und unkontrollierte Zuwanderung nach Österreich.«461 Deutschtümelei wurde im Programm bewusst vermieden, die Absetzbewegung von der deutschnationalen Tradition vollzogen und durch einen »Österreichpatriotismus«462 ersetzt. Jörg Haider, der in die teilweise äußerst heftig und kontroversiell geführte Programmdebatte nicht eingegriffen hatte, bekannte sich auf dem Programmparteitag am 30. Oktober 1997 in Linz demonstrativ zu dem von Klubobmann Ewald Stadler erst kurz vor Beginn des Parteitages endredigierten Programm. Stadler betonte in einer Pressekonferenz unmittelbar vor Beginn des Programmparteitages, die FPÖ wolle » keine Partei sein, die nur in historischen Reminiszenzen lebt«.463 Mit deutlicher Spitze gegen Kritiker des Programms betonte Haider vor den Delegierten,
458 V.1. 459 V.1 (1) ; V. 2 (3). 460 IV. 3. 461 IV. 4. 462 III. 463 Die Presse 30.10.1997. S. 8.
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dass »nationale Romantik im 21. Jahrhundert fehl am Platz« sei : »Dazu hat es im 20. zu wenige positive Erfahrungen gegeben. […] Wir wollen unserer Gesinnungsgemeinschaft eine neue Verfassung geben und aus dem Schatten der Vergangenheit treten […] das Programm ist nicht zur Nabelschau für die internen Zirkel der Geschichtsbetrachter da, sondern es soll zeigen, dass die eigenen Funktionäre wissen, was sie den Wählern schuldig sind. […] die FPÖ will einen historischen Frieden mit den Kirchen, mit der katholischen und der evangelischen […] wer glaubt, mit nach hinten gewandtem Blick vorwärts drängen zu können, wird fallen.«464 Die Partei müsse sich ändern, um nicht im Wandel zugrunde zu gehen und als Strandgut der Geschichte zu enden. Dies vor allem auch deshalb, weil sie seit 1986 so erfolgreich gewesen sei. »Wir sind nicht mehr die pubertierenden Lümmel in der letzten Bank, sind längst nicht mehr die Protestbewegung, als die uns der Gegner so gern sehen will.«465 Die FPÖ sei nicht mehr »der politische Würstelstand der Ausgegrenzten«, sondern ein mittelständisches Unternehmen, das sich anschicke, Österreich grundlegend zu reformieren.466 VI.3.2 Turbulenzen und Krisen. Der Fluch der Ambivalenz 1998 Wenngleich die Verabschiedung des neuen Parteiprogramms den Aufbruch zu neuen Ufern signalisieren sollte, so kam dieser nicht recht voran. Das von der FPÖ initiierte »Schilling-Volksbegehren« erhielt am 1. Dezember 1997 lediglich 254.077 Stimmen und landete mit einer Beteiligung von 4,43 Prozent der Wahlberechtigten auf der Rangliste der erfolgreichsten der 23 bisher durchgeführten Volksbegehren auf Platz 13. 467 Beim Neujahrstreffen der FPÖ in Graz äußerte Haider massive Kritik an den Funktionären der Partei, die sich offensichtlich zu sehr auf den Parteiobmann verlassen und sich zunehmend zurücklehnen würden, wodurch die Partei an Dynamik zu verlieren drohe. Es könne nicht die gesamte Last auf seinen Schultern lasten. Wenig später drohte er – nach 1992, 1994 und 1996 – mit seinem Rücktritt. Er bleibe nur dann Parteiobmann, wenn bei den offensichtlich träge gewordenen Funktionären wiederum Begeisterung spürbar sei. Unterstützung erhielt Haider von der geschäftsführenden Bundesobfrau Susanne Riess-Passer und Klubobmann Ewald Stadler. Sie stimme inhaltlich den Worten des Parteiobmanns völlig zu, ließ sie wissen. »Ich habe das beim Volksbegehren selbst gesehen. In einigen Bezirken haben die Leute nicht viel gemacht.« Und Ewald Stadler sekundierte mit der Feststellung : »Einige mitt464 Kurier 31.10.1997. S. 3. 465 Die Presse 31.10. 997. S. 6. 466 NZZ 31.10.1997. S. 1. 467 Alexander Van der Bellen : Das EURO-Volksbegehren der FPÖ. – In : ÖJP 1997. – Wien/München 1998. S. 97–116.
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lere Funktionäre haben es sich gerichtet, nachdem sie bestimmte Positionen erreicht haben. Es reicht nicht, sich auf Haider zu verlassen.«468 Wenngleich Haider in einer Vorwärtsstrategie und dem Bemühen, die Kampagne-Fähigkeit der Partei zu stärken, das Jahr 1998 zum »Jahr der Bewährung« proklamierte, so sollte diese Devise wenig später eine nicht intendierte Aktualität erhalten, als in den Landesorganisationen Tirol, Salzburg, Kärnten und Niederösterreich Konflikte und Skandale ausbrachen, die die Umfragewerte der Partei erstmals deutlich sinken ließen und dunkle Schatten auf den Nationalratswahlkampf 1999 zu werfen drohten. Es waren vor allem unterschiedliche Auffassungen über die Rolle der jeweiligen Landespartei in der Landespolitik – konstruktive Mitarbeit oder Opposition/Obstruktion (auch in der Regierung) –, persönliche Rivalitäten und Animositäten zwischen den handelnden Personen, Widerstand gegen die Interventionen der Bundespartei und im Fall Niederösterreich einfach kriminelle Energie.469 VI.3.2.1 Das Tiroler FPÖ-Chaos Um die Politik und das Erscheinungsbild der FPÖ zu vereinheitlichen, suchte die Parteispitze durch ein Interventions- und Durchgriffsrecht auf die Landesorganisationen in diesen nicht nur ihre jeweiligen personellen Wünsche durchzusetzen, sondern auch auf die Politik der jeweiligen Landesorganisationen Einfluss zu nehmen, um so eine einheitliche Politik der Gesamtpartei zu realisieren. Bei diesen Bemühungen stieß sie jedoch vor allem in Tirol auf wachsenden Widerstand der Landesorganisation, die sich im Streit um diese Politik in zwei Gruppen spaltete. Dies dokumentierte sich erstmals auf dem Stadtparteitag der Innsbrucker FPÖ 1994, bei dem Rudi Federspiel an Stelle des bisherigen Obmanns Michael Passer, dem späteren Ehemann der stellvertretenden Bundesobfrau Susanne Riess-Passer, zum neuen Stadtparteiobmann gewählt wurde. Aufgrund einer Anzeige des Nationalratsabgeordneten Gilbert Trattner sowie des damaligen Generalsekretärs Walter Meischberger wegen einer nicht vorhandenen Wahlberechtigung von zwei Mandataren entschied daraufhin das Parteigericht die Wiederholung der Wahl, bei der jedoch Federspiel mit noch deutlicherer Mehrheit in seiner neuen Funktion bestätigt wurde. Die Gräben in der Tiroler FPÖ zwischen den sich bildenden Fraktionen wurden tiefer, wobei sich die Gruppe um den neuen Stadtparteiobmann Federspiel (Lothar Stix, Barbara Lamprechter, Johannes Plank, Norbert Jäckl) gegen eine weitere Intervention der Fraktion um Gilbert Trattner, Michael Passer und Walter Meischberger, die zudem die Unterstützung des Parteiobmanns besaß, durch 468 Die Presse 13.1.1998. S. 7. 469 Lothar Höbelt : Die FPÖ und die Konflikte in ihren Landesorganisationen. – In : ÖJP 1998. – Wien/ München 1999. S. 161–175.
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einen Geheimpakt absicherte. In diesem wurde festgestellt, dass es »durch eine unglückliche Personalpolitik des derzeitigen Bundesparteiobmanns Dr. Jörg Haider und seinen teils schlechten Beraterstab […] zu diktatorischen Ein- und Übergriffen« komme. »Der Bundesparteiobmann setzt sich über demokratisch gefasste Beschlüsse hinweg, duldet keinerlei Kritik und versucht, Kritiker mundtot zu machen. […] Wird einer der Vertragsteile wegen seines Kampfes bedrängt oder gar von der FPÖ ausgeschlossen, so sind alle anderen Vertragsteile verpflichtet, ohne Rücksicht auf eigene Interessen so lange beizustehen, bis der Betroffene wieder in Ehren in die FPÖ aufgenommen ist, oder alle Vertragsteile ebenfalls ausgeschlossen werden.«470 Drei Jahre später kam es auf dem Landesparteitag der Tiroler FPÖ im November 1997 zu einer neuerlichen Konfrontation zwischen dem Innsbrucker Stadtrat Rudi Federspiel und Gilbert Trattner. Obwohl Trattner als Wunschkandidat der Bundespartei für die Funktion des stellvertretenden Landesparteiobmanns galt, trat auch Federspiel zur Wahl an und wurde gewählt. Der Grund für den überraschenden Wahlsieg Federspiels lag in dem sich formierenden Widerstand in Teilen der Tiroler, vor allem der Innsbrucker Ortsgruppe gegen die Bundespartei und die sogenannte »Buberlpartie«, die der Tiroler Landespartei sowie der Innsbrucker Ortsgruppe ihren Stempel aufdrücken wollten. Andererseits konnte die Bundespartei darauf verweisen, dass die Wahlergebnisse vor allem der Innsbrucker Parteiorganisation nicht den Erwartungen entsprachen. Als im Februar 1998 durch eine Indiskretion der Geheimpakt aus dem Jahr 1994 bekannt wurde, löste dies ein innerparteiliches Erdbeben aus, das zur De-facto-Auflösung der Innsbrucker Gemeinderatsfraktion führte. Die ursprünglich fünfköpfige Fraktion war in der Zwischenzeit auf drei Personen geschrumpft, da Hannes Planck und Norbert Jäckl aus der Partei ausgeschlossen worden waren und als freie Mandatare im Gemeinderat saßen und Lothar Stix kurz nach dem Linzer Programmparteitag vom 30. Oktober 1997 zum Liberalen Forum wechselte. Der Tiroler Landesparteiobmann Franz Linser suspendierte in Reaktion auf das Bekanntwerden des Geheimpaktes den Innsbrucker FPÖ-Obmann und stellvertretenden Landesobmann Rudi Federspiel und die Innsbrucker FPÖ-Geschäftsführerin Barbara Lamprechter aufgrund von »parteischädigendem Verhalten« von ihren Parteifunktionen. Der FPÖ-Landesparteivorstand solidarisierte sich bei drei Enthaltungen – die Landtagsabgeordneten Siegfried Dillersberger471 und Horst Wendling sowie Landesrat Johannes Lugger – 470 Zit. bei Die Presse 13.2.1998. S. 8. Als Grund für den Geheimpakt wurde auch der Versuch von Walter Meischberger angegeben, sich durch Stimmenkauf zum Bezirksparteiobmann von Innsbruck-Land wählen zu lassen, um sich in Tirol politisch abzusichern und stärkeren Einfluss auf die Politik der Tiroler Landesorganisation nehmen zu können. 471 Dillersberger sah im Parteiausschluss Federspiels ein Vergehen gegen Paragraf 6 des Parteistatuts, nach dem ein Ausschluss durch den Landesparteivorstand in wichtigen Fällen nur nach Zustimmung des Bundesparteivorstandes erfolgen dürfe. Dies sei aber nicht geschehen. Generalsekretär Westenthaler, der zur
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mit der Handlungsweise Linsers. Generalsekretär Peter Westenthaler unterstützte die Vorgangsweise des Tiroler Landesparteiobmanns mit der Bemerkung : »Dieses Papier schreit nach Konsequenzen.« Linser konnte sich zudem auf eine Erklärung von Parteiobmann Haider berufen, der ihn aufgefordert hatte, »die Dinge in Innsbruck« in Ordnung zu bringen. Federspiel kommentierte die völlig unerwartete Entwicklung mit dem Hinweis, dass durch diese »lächerliche Aktion« die »Innsbrucker Partei nicht mehr vorhanden« sei. »Das ist die Art von Demokratie, die diese Burschen beherrschen.«472 Er werde, unabhängig von der Entwicklung in der FPÖ, seine Funktion als Stadtrat für Tourismus auch weiterhin ausüben. Wenig später bemerkte er, er könne nur dann »in der FPÖ weiter machen, wenn wir in Tirol eine eigenständige Politik betreiben können. Es kann ja nicht sein, dass jeder kleine Gemeinderat ein Handy braucht, um aus Wien seine Anweisungen entgegenzunehmen.«473 Die innerparteilichen Turbulenzen waren erheblich und für kurze Zeit stand sogar eine drohende Spaltung der Tiroler Landespartei im Raum, da die Bezirksparteiobmänner von Osttirol, Imst und Innsbruck-Land Sympathien für Federspiel bekundeten und auch der stellvertretende Landesparteiobmann Christian Eberharter und Bundesrat Königshofer den Entschluss des Landesparteivorstandes nicht akzeptierten. Am 19. Februar war jedoch diese Gefahr beseitigt, als sich sämtliche Bezirksparteiobmänner nach einer Sitzung des Landesparteivorstandes zum Parteiausschluss bekannten und eine Erklärung unterzeichneten, in der es hieß, dass nunmehr »ein endgültiger Schlussstrich« unter eine »unerfreuliche Situation« gezogen sei und man gemeinsam für den Erfolg der Partei bei der bevorstehenden Landtagswahl am 15. März kämpfen werde.474 Am 23. Februar bestätigte der Bundesparteivorstand der FPÖ einstimmig den ausgesprochenen Parteiausschluss von Federspiel und Lamprechter. Beruhigung und Rückkehr zur Tagesordnung war nunmehr oberstes Gebot. Der Nationalratsabgeordnete Blünegger wurde mit der kommissarischen Leitung der Innsbrucker Stadtpartei beauftragt, die wenig später mit Elmar Denz, dem Sohn des ehemaligen FPÖ-Vizebürgermeisters und Stadtparteiobmanns, einen neuen Obmann erhielt. Sitzung des Landesparteivorstandes nach Innsbruck angereist war, erklärte hingegen, er sei von Parteiobmann Haider beauftragt worden, den Parteiausschluss zu beantragen. »Das wurde getan. Der Bundesparteiobmann kann in jedem Fall, wenn Gefahr im Verzug ist, im Namen des Vorstandes agieren.« (Die Presse 17.2.1998. S. 7) Das Organisationsstatut der FPÖ sah in Paragraf 15, Abs. 2, vor : »Der Bundesparteiobmann kann […] bei Gefahr im Verzug vorläufige Maßnahmen treffen, die der unverzüglich einzuholenden Bestätigung durch die Bundesparteileitung bzw. den Bundesparteivorstand bedürfen.« Für den ehemaligen Kufsteiner Bürgermeister Siegfried Dillersberger bestätigten die Vorgänge seinen Entschluss, trotz sehr guter Umfragewerte, bei der bevorstehenden Landtagswahl nicht für die FPÖ als Kandidat für die Funktion des Landeshauptmanns ins Rennen zu gehen. 472 Die Presse 13.2.1998. S. 8 ; SN 13.2.1998. S. 4. 473 Die Presse 18.2.1998. S. 6. 474 Die Presse 20.2.1998. S. 7.
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Und Susanne Riess-Passer kehrte, wenn auch nur für kurze Zeit, nach Innsbruck zurück, um im Auftrag der Bundespartei die angeschlagene Partei zu stabilisieren. VI.3.2.2 Unter Kuratel – das Beispiel Salzburg Im Oktober 1991 holte Jörg Haider den Saalbacher Arzt Karl Schnell, der ihn als Hobbypilot bei Wahlkampfeinsätzen geflogen hatte, als Generalsekretär nach Wien. Der 37-jährige Arzt war erst seit zwei Jahren Parteimitglied und Ortsparteiobmann von Saalbach. Die Funktion des Generalsekretärs übte Schnell jedoch nur bis Oktober 1992 aus, als er nach einem parteiinternen Machtkampf auf Geheiß der Bundespartei Volker Winkler als FPÖ-Landesrat und Landesparteiobmann folgte. 1994 erzielte er bei der Landtagswahl mit den gegen ÖVP und SPÖ gerichteten Slogans »Allein gegen die Mafia« und »Mit Proporz und Packelei ist’s nach der Wahl vorbei !« seinen größten politischen Triumph. Die FPÖ gewann 3,1 Prozent und zwei Mandate, zog erstmals mit nunmehr zwei Mitgliedern in die Salzburger Landesregierung ein und stellte zudem den Dritten Landtagspräsidenten.475 Die FPÖ vermochte vom bundespolitischen Trend, der Persönlichkeit Jörg Haiders und der zunehmenden Politikverdrossenheit zu profitieren. Wenngleich sie im Vergleich zu ÖVP und SPÖ, die gegenüber der letzten Landtagswahl Behalteraten von rund 80 Prozent aufwiesen, lediglich eine Behalterate von 71 Prozent aufwies, so vermochte sie erhebliche Zugewinne aus der Gruppe der Nichtwähler und der Wähler von ÖVP und SPÖ zu erzielen. 21 Prozent der FPÖ-Stimmen kamen von der ÖVP und 13 Prozent von der SPÖ, 19 Prozent aus der Gruppe der Nichtwähler. Bei den Stimmengewinnen dominierten bei den Wahlmotiven die Kontrollfunktion der FPÖ gegenüber den Großparteien, die zunehmende Ablehnung der Immigration und die Persönlichkeitswerte sowohl von Karl Schnell wie auch Jörg Haider. Motive für die Wahl der FPÖ bei der Salzburger Landtagswahl 1994:476 Motive
in Prozent der Wähler der FPÖ
Die FPÖ kontrolliert die Großparteien und zeigt Missstände auf
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Die FPÖ tritt gegen die Ausländer auf
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Die Persönlichkeit der FPÖ-Spitzenkandidaten und Jörg Haiders
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475 Roland Floimair (Hg.) : Landtagswahl 1994. Ergebnisse, Analysen, Auswirkungen. – Salzburg 1994 (Schriftenreihe des Landespressebüros, Serie »Salzburg Dokumentationen« Nr. 110) ; Franz Schausberger : Die Salzburger Landtagswahl 1994. – In : ÖJP 1994. – Wien/München 1995. S. 255–274. 476 Herbert Dachs : »Es wird kein Stein auf dem anderen bleiben« ? Über politische Veränderungen im Land Salzburg 1993–1995. – In : Herbert Dachs, Roland Floimair (Hg.) : Salzburger Jahrbuch für Politik 1995. – Salzburg/Wien 1995. S. 28–53. S. 44.
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Mit dem Eintritt Schnells in die Landesregierung änderte sich das sprichwörtliche »Salzburger Klima«, da das neue FPÖ-Regierungsmitglied die von der Parteizentrale ausgegebene Devise der Opposition praktizierte. War die FPÖ bisher ein Teil des »Salzburger Klimas« und um politischen Konsens in landespolitischen Sachfragen bemüht, so änderte sich dies nunmehr grundlegend. Bestärkt durch den Wahlerfolg bei der Landtagswahl 1994 praktizierte die FPÖ, wenngleich aufgrund der den Proporz festschreibenden Landesverfassung in der Regierung vertreten, auch in der Landesregierung eine konsequente Oppositionspolitik, die in den Augen von ÖVP und SPÖ landespolitische Entscheidungen massiv erschwerte oder gar unmöglich machte. Die dadurch bewirkte zunehmende Entscheidungsunfähigkeit der Landesregierung veranlasste die ÖVP, sich einem Vorschlag der Bürgerliste zu nähern, die im Herbst 1992 im Landtag den Vorschlag einer Verfassungsreform zum Zweck der Beseitigung des Proporzes und der Verlebendigung der Demokratie unterbreitet hatte. Während die SPÖ diesem Vorschlag nach wie vor reserviert gegenüberstand, entdeckte die FPÖ angesichts einer möglichen Änderung der Landesverfassung den Vorteil des Proporzes, den sie noch im Wahlkampf 1994 als Packelei denunziert hatte. Der Proporz sei minderheitenfreundlich und seine nunmehr diskutierte Beseitigung diene nur der Ausbootung der unbequemen Kontrollpartei FPÖ aus der Landesregierung, so Karl Schnell. Als Katalysator sollte sich die sogenannte »Datenklauaffäre« im Oktober 1997 erweisen. Ein Mitarbeiter Schnells hatte eine Panne in der EDV des Landes ausgenutzt und sich aus dem Computer von SPÖ-Landeshauptmann-Stellvertreter Gerhard Buchleitner eine Liste von SPÖ-Bediensteten des Landes beschafft, die für anstehende Postenbesetzungen vorgesehen waren. Als der FPÖ-Landesparteiobmann damit als Aufdecker in die Öffentlichkeit ging und behauptete, dass ihm die Liste von frustrierten SPÖ-Mitarbeitern zugespielt worden sei, sorgte dies für erhebliche öffentliche Aufmerksamkeit und Erregung. Als sich allerdings wenig später herausstellte, dass ein Mitarbeiter Schnells sich diese Daten widerrechtlich besorgt hatte, entschloss sich die SPÖ zu einem Misstrauensantrag gegen Schnell, dem die ÖVP unter der Bedingung zustimmte, dass die SPÖ ihrerseits zu einer Verfassungsänderung, d. h. der Beseitigung des Proporzes, bereit sei. Am 25. Oktober 1997 wurde Schnell von ÖVP und SPÖ im Salzburger Landtag das Misstrauen ausgesprochen, womit der Verlust der Regierungsfunktion verbunden war.477 Die FPÖ nominierte daraufhin die bisherige Dritte Landtagspräsidentin Margot Hofer als neue Landesrätin, während der bisherige Klubobmann Wolfgang Haider in die Funktion des Dritten Landtagspräsidenten wechselte und damit den Sessel des 477 Franz Schausberger : Vom Proporz- zum Mehrheitssystem – ein historischer Abriss. – In : Ders. (Hg.) : Vom Regierungsproporz zur Konkurrenz. Die Reform der Salzburger Landesverfassung 1998. Analysen, Wege, Strategien. – Wien 1999. S. 11–46.
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Klubobmanns für den aus der Landesregierung ausgeschiedenen Karl Schnell frei machte. Wenngleich die FPÖ gegen die Abwahl Schnells offiziell geschlossen protestierte, so ließ diese die bereits länger schwelenden Konflikte über die landespolitische Linie und den politischen Stil der Partei zu Jahresbeginn 1998 offen ausbrechen. Eine Gruppe um Landesrat Robert Thaller, Landtagspräsident Wolfgang Haider und den Landtagsabgeordneten Peter Lechenauer kritisierte die von Schnell in seiner neuen Funktion als Klubobmann nach wie vor verfolgte harte Oppositionslinie und plädierte für eine flexible, die Regierungsfähigkeit der Partei berücksichtigende Linie. Schnell war jedoch nicht bereit, von der von ihm vertretenen Linie abzuweichen und warf seinen innerparteilichen Widersachern, vor allem den Landesräten Robert Thaller und Margot Hofer sowie seinem ehemaligen engen politischen Weggefährten, dem nunmehrigen Dritten Landtagspräsidenten Haider, vor, zu eng mit anderen Parteien zusammenzuarbeiten und sogar dafür Geschenke angenommen zu haben. Im Landtagsklub formierte sich daraufhin eine Mehrheit gegen den amtierenden Klubobmann und Landesparteiobmann, wobei der Rechtsanwalt Peter Lechenauer eine angedachte Abwahl Schnells von seiner Funktion als Klubobmann damit begründete, dass der Klub unter dessen Führung nicht mehr handlungsfähig sei. Während der Landtagsklub den von Schnell kritisierten FPÖ-Regierungsmitgliedern sowie Wolfgang Haider demonstrativ das Vertrauen aussprach, wurde von Lechenauer mit der Begründung des wiederholten Vorbringens unbewiesener Behauptungen und des parteischädigenden Verhaltens mündlich ein Misstrauensantrag gegen Schnell gestellt, der jedoch nicht zur Abstimmung kam, da der Abgeordnete Helmut Naderer eine Sitzungsunterbrechung beantragte. Während sich im achtköpfigen FPÖ-Klub eine Mehrheit gegen Schnell formierte (Wolfgang Haider, Peter Lechenauer, Franz Hornegger, Gerhard Höggerl, Peter Fritzenwallner), mobilisierte der sich in der Defensive befindende Landesparteiobmann seine Anhänger. Am 4. Februar 1998 übermittelten sämtliche Bezirksparteiobmänner Solidaritätsadressen an Schnell und dessen enge Vertraute, die Pinzgauer Bezirksobfrau und Landtagsabgeordnete Rosemarie Blattl, forderte Landesrat Robert Thaller und die Abgeordneten Peter Lechenauer, Franz Honegger und Wolfgang Haider zum Rücktritt auf. Der Halleiner Stadtrat Gerhard Cirlea ging noch weiter und forderte ein Parteiausschlussverfahren gegen die Schnell-Gegner, mit der Begründung, diese hätten durch den von ihnen eingebrachten Misstrauensantrag das Ansehen der Partei geschädigt. Die Krise steuerte einer Klärung zu, die am 6. Februar in einer gemeinsamen Sitzung des Parteivorstandes und des Landtagsklubs stattfinden sollte. Im Landesparteivorstand verfügte Schnell, der seine Anhängerschaft vor allem unter den Bezirksobleuten sowie dem Großteil der Funktionäre hatte, über eine deutliche Mehrheit, sodass eine Abstimmung zu seinen Gunsten ausgehen musste. Vor der Sitzung reisten jedoch Schnells Widersacher Robert Thaller und Wolfgang Haider
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zu einer persönlichen Aussprache mit Parteiobmann Jörg Haider nach Wien. In dem zu diesem Zeitpunkt kaum noch zu vermittelnden Streit der Fraktionen war die Haltung der Bundespartei, vor allem des Bundesparteiobmanns, entscheidend. Vor der Sitzung am 6. Februar erklärte ein Teilnehmer : »Jetzt müssen Köpfe rollen. Das wissen beide Seiten. Entweder es erwischt Schnell, oder es erwischt die anderen.«478 Es sollte zunächst keine der beiden Seiten »erwischen«, da man in Wien auf eine Beruhigung der Situation drängte und in der Hoffnung auf eine für beide Seiten akzeptable Kompromisslösung das Modell der Nationalratsfraktion anordnete : Im Nationalrat war Jörg Haider offiziell FPÖ-Klubobmann, während Ewald Stadler die Funktion des geschäftsführenden Klubobmanns ausübte. In Salzburg sollte Schnell offiziell Klubobmann bleiben, jedoch in der Person seines Widersachers Lechenauer einen geschäftsführenden Klubobmann zur Seite gestellt bekommen. Schnell akzeptierte zunächst diese Variante, erbat sich jedoch für seine endgültige Zustimmung Bedenkzeit. Zur allgemeinen Überraschung entschied sich Schnell schließlich gegen den von Wien vorgeschlagenen Kompromiss und erklärte, er könne und wolle keinen geschäftsführenden Klubobmann akzeptieren, da ihm damit de facto ein Kurator vorgesetzt werde und dies seine politische Entmachtung bedeute. Damit brach der Konflikt nach einer nur kurzen Ruhephase erneut mit aller Heftigkeit aus, sodass sich die Bundesparteispitze, Jörg Haider und Susanne Riess-Passer, zur persönlichen Intervention genötigt sahen. Auf einer dramatisch verlaufenden Sitzung im Hotel Bräu in Lofer am 17. April entzog Haider seinem Du-Freund Schnell das Vertrauen und sprach ihm die notwendige Führungsqualität ab. Daraufhin trat Schnell von seinen Funktionen als Landesparteiobmann und Klubobmann zurück und Jörg Haider beauftragte Landesrätin Margot Hofer mit der vorläufigen Leitung der Landespartei. Schnell begründete im Anschluss an das Treffen seinen Entschluss mit dem Hinweis, er könne und wolle in der Funktion des Landesparteiobmanns und Klubobmanns nicht weitermachen, wenn er nicht die notwendigen Kompetenzen habe. Und er wies auch auf den sich im Laufe der anhaltenden Kontroverse als entscheidend erweisenden Umstand hin, dass er nach wie vor das Vertrauen des Großteils der Funktionäre und der Basis besitze. Im Herbst 1997 war er von 93 Prozent der D elegierten in seiner Funktion als Landesparteiobmann bestätigt worden. »Ich kann nicht eine Parteiführung installieren, die von der Basis nicht getragen wird.«479 Die von Schnell erwähnte Basis meldete sich unmittelbar nach der Sitzung von Lofer zu Wort. Der Flachgauer Bezirksobmann Helmut Naderer überreichte der geschäftsführenden Landesobfrau Margot Hofer eine Resolution sämtlicher Bezirksobleute, in der die Rückkehr Schnells in die Funktion des Landesparteiobmanns gefordert wurde. Und 46 der insgesamt 84 Mitglieder 478 SN Lokalteil 5.2.1998. S. 3. 479 Die Presse 20.4.1998. S. 7.
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der Landesparteileitung plädierten für einen außerordentlichen Parteitag, um einen neuen Landesparteivorstand zu w ählen. Schnell hatte seine Kohorten mobilisiert und war offensichtlich keineswegs gewillt, den Kampf widerstandslos aufzugeben. Da eine Fortsetzung der internen Kontroversen mit unabsehbaren Folgen für die bevorstehende Landtagswahl drohte, entschied sich die Bundesparteispitze unter Berufung auf das Parteistatut zu einem dramatischen Schritt, indem sie am 21. April sämtliche 700 Salzburger FPÖ-Funktionäre ihrer Funktionen enthob, alle Parteiorganisationen auflöste und die Neuwahl der Funktionäre durch die Basis sowie die Neuwahl der Führung der Landespartei bei einem außerordentlichen Landesparteitag im Sommer oder Herbst anordnete. Generalsekretär Peter Westenthaler bezeichnete das überraschende Vorgehen der Bundesparteispitze als einen notwendigen »Neubeginn«, der keineswegs undemokratisch sei. Es könne nichts »Basisdemokratischeres« geben als eine Abstimmung durch sämtliche Mitglieder. »Wir können nicht zulassen, dass die Partei wegen einiger Streithanseln Schaden erleidet.« Ähnlich äußerte sich Susanne Riess-Passer, die zusammen mit Bundesgeschäftsführer Gernot Rumpold, der interimistisch die Landesgeschäftsleitung übernahm, als Krisenmanagerin nach Salzburg kam. Das nunmehr gewählte Vorgehen sei der einzige Weg aus der Krise und zudem demokratisch, denn man lasse schließlich die Basis über die neuen Funktionsträger entscheiden. Bei einer Krisensitzung des FPÖ-Landesparteivorstandes erklärte sie in deutlichen Worten, es gehe nicht länger an, dass in der Landespartei permanent gestritten werde und Eigeninteressen und persönliche Animositäten über das Wohl der gesamten Partei gestellt würden. Dabei habe man offensichtlich völlig vergessen, dass im März 1999 Landtagswahlen stattfinden. 480 Bei der Parteibasis sah man dies freilich anders. »Vom Bund ist keine Hilfe gekommen, sondern eine Strafaktion. Die Leute wurden vor den Kopf gestoßen und sind demotiviert«, erklärte ein Funktionär gegenüber der »Presse« die Stimmung.481 Der Zeller Ortsparteiobmann Hugo Scholz bemerkte sichtlich fassungslos : »Da arbeitet man 30 Jahre lang für die Bewegung, und dann wird man abgesetzt.«482 Lukas Essl, ehemaliger Bezirksobmann des Tennengaus, ortete bei den Funktionären Fassungslosigkeit über das Vorgehen der Bundespartei. »Das war nicht gut überlegt.«483 Der Tennengauer FPÖ-Funktionär richtete ein Schreiben an das Bundesparteigericht, in dem er die Auflösung der Salzburger Landespartei und die kommissarische Verwaltung durch die Bundespartei anfocht. Die ergriffene »Radikalmaßnahme« sei statutenwidrig, außerdem seien solche »Schritte mit dem Anspruch der FPÖ als 480 Die Presse 22.4.1998. S. 8 ; SN Lokalteil 21.4.1998. S. 3. 481 Ebda. 482 SVZ 22.4.1998. S. 2. 483 SN Lokalteil 22.4.1998. S. 3.
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demokratisch legitimierte Kraft in Österreich nicht vereinbar.484 Karl Schnell goss Öl ins Feuer des Widerstandes, indem er Susanne Riess-Passer als »Königskobra«, Peter Westenthaler als »Ritter der seidenen Schnur« und Jörg Haider als »führungsschwach« bezeichnete.485 Karl Schnell hatte nach wie vor die Unterstützung des Großteils der Funktionäre, sodass die von der Bundespartei angeordnete »Neugründung« der Partei ein frommes Wunschdenken bleiben musste. Die bis zum außerordentlichen Landesparteitag angeordneten Neuwahlen der Funktionäre auf allen Ebenen mussten aufgrund der weit verbreiteten Empörung gegen die Haltung der Bundespartei zur Bestätigung der abgesetzten Funktionäre führen und in weiterer Folge zur Wiederwahl Schnells als Landesparteiobmann. Der in Lofer politisch Entmachtete hatte die besten Karten, von der Basis wiederum in die Funktion des Landesparteiobmanns gewählt zu werden. Und Schnell deutete sein politisches Comeback mit der Bemerkung an, er sei durchaus bereit, im Falle seiner Wiederwahl neuerlich als Parteiobmann zur Verfügung zu stehen, doch wolle er dann mit Robert Thaller, Wolfgang Haider und Peter Lechenauer nichts mehr zu tun haben. Die Salzburger Ereignisse blieben nicht isoliert, sondern lösten – auch durchaus kritische – Reaktionen in zahlreichen Landesorganisationen der FPÖ aus, da man in den Landesorganisationen den Verlust der politischen Autonomie zugunsten einer zentralistischen Führung der Partei befürchtete. Generalsekretär Westenthaler hatte alle Hände voll zu tun, die Landesparteien auf Parteilinie zu bringen. Unter Hinweis auf Paragraf 15 des Parteistatuts erklärte er, dass »Gefahr im Verzug« gewesen sei und das Parteistatut in diesem Fall das Handeln der Bundespartei rechtfertige, doch müsse deren Handeln »unverzüglich« durch die Bundesparteileitung bzw. den Bundesparteivorstand bestätigt werden. Der Bundesparteivorstand werde in den nächsten Tagen einberufen. Zuvor galt es allerdings, die kritischen Landesorganisationen auf Parteilinie zu bringen. Am 23. April unterzeichneten sämtliche Landesparteiobmänner, auch die bisherigen Kritiker des Vorgehens, Norbert Rauter (Burgenland) und Karl-Heinz Grasser (Kärnten),486 eine Erklärung, in der das Vorgehen der Bundespartei ausdrücklich gebilligt wurde.487 Der zur Bestätigung des Vorgehens der Bundespartei notwendige Parteivorstand wurde für 28. April in das Plaza-Hotel 484 Der Standard 25./26.4.1998. S. 6 ; Kurier 25.4.1998. S. 3. 485 SN Lokalteil 25.4.1998. S. 3. 486 Karl-Heinz Grasser erklärte den Schritt der Bundespartei, alle Salzburger Funktionäre ihrer Funktionen zu entheben, für »nicht akzeptabel […]. Man kann nicht die Arbeiter hinauswerfen, wenn der Vorstand streitet.« Gernot Rumpold sei es nicht gelungen, Ordnung zu schaffen. Dies müsse nunmehr Parteiobmann Haider tun. Für ihn stehe aber außer Zweifel, dass Karl Schnell wiederum die Leitung der Salzburger FPÖ übernehmen werde. »Es gibt für mich keine Alternative zu ihm, er war politisch erfolgreich.« (Die Presse 28.4.1998. S. 7) 487 Der Standard 24.4.1998. S. 6 ; Die Presse 24.4.1998. S. 7.
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in Wien einberufen. In einem benachbarten Saal des vornehmen Hotels fand gleichzeitig ein Management-Seminar unter dem Titel »Mitarbeiter fördern und fordern. Ziele erreichen« statt, dessen Werbeplakate die Teilnehmer des Bundesparteivorstandes begrüßten. Neben der Parteispitze und den Landesparteiobmännern nahmen auch die interimistische Salzburger Landesparteiobfrau Margot Hofer und der zurückgetretene Landesparteiobmann Karl Schnell teil. Im Vorfeld hatte Parteichef Jörg Haider das Vorgehen der Bundespartei verteidigt und angesichts der weit über Salzburg hinaus für Aufsehen und kontroversielle Stellungnahmen sorgenden Ereignisse mit seinem Rücktritt als Parteiobmann gedroht, sollte nicht innerhalb einer Woche eine Bereinigung der Salzburger Krise erfolgen. Es sei auch eine Rücknahme der Absetzung sämtlicher 700 Funktionäre und die Wiedereinsetzung Karl Schnells in die Funktion des Landesparteiobmanns möglich, wenn dieser Garantien abgebe, dass »endlich Ruhe einkehrt«. Auch Schnell war sichtlich um eine Lösung bemüht und erklärte, er hoffe auf eine Rücknahme der getroffenen Maßnahmen und werde versuchen, mit dem Parteiobmann ein klärendes Gespräch zu führen, um aufgetretene Missverständnisse zu beseitigen. Dieses klärende Gespräch fand zwei Tage vor der Sitzung des Bundesparteivorstandes im Bärental statt, in das Karl Schnell zu einer Art Canossafahrt aufgebrochen war. Am 28. April konnte nach einer vierstündigen Sitzung um 22 :00 Uhr Haider zur sichtlichen Erleichterung sämtlicher Teilnehmer den gefundenen Kompromiss präsentieren : Die Absetzung sämtlicher 700 Salzburger Funktionäre wurde aufgehoben, doch sollten sie bis zum Herbst von der Basis durch Neuwahlen in ihren Funktionen bestätigt werden. Karl Schnell blieb FPÖ-Landesparteiobmann, erhielt jedoch den Auftrag, in der Salzburger Landesregierung konstruktiv mitzuarbeiten, denn auch Oppositionspolitik könne konstruktiv sein.488 Bis zu einem außerordentlichen Landesparteitag im Frühherbst sollten Bundesgeschäftsführer Gernot Rumpold, die stellvertretende Bundesobfrau Susanne Riess-Passer, die Salzburger Landesrätin Margot Hofer und der Salzburger Nationalratsabgeordnete Helmut Haigermoser die Befriedung der Partei und deren Neugründung durchführen. Dies sei für Schnell die »letzte Chance«. Der Salzburger Landesparteiobmann musste ein Elf-PunkteProgramm unterschreiben, in dem er sich u. a. verpflichtete, keine negativen Erklärungen in der Öffentlichkeit abzugeben, bei eventuell auftretenden Konflikten den Bundesparteiobmann einzuschalten, sich für getroffene Äußerungen zu entschuldigen489 und einen »Helfer« für seine Funktion als Klubobmann zu akzeptieren. Schnell übte vor der Presse Selbstkritik : »Wir haben uns in Salzburg benommen wie die Kinder. Unser Bundesobmann hat uns die Chance gegeben, noch einmal 488 SN 29.4.1998. S. 2. 489 Schnell erklärte vor der Presse, er habe sich bei Haider, Rumpold und Riess-Passer für seine Äußerungen entschuldigt.
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vernünftig zu werden.« Haider erhielt in der Krisensitzung eine nicht in den Parteistatuten vorgesehene Durchgriffsvollmacht auf sämtliche Landesorganisationen, die es ihm ermöglichte, der Parteilinie zuwider handelnde Funktionäre mit einem Funktionsverbot zu belegen und im Wiederholungsfall aus der Partei auszuschließen. »Der Fasching ist aus, wer sich nicht an die Spielregeln hält, der gehört nicht mehr zu uns«, erklärte der Parteiobmann die ihm übertragene Generalvollmacht. 490 Zwei Tage vor der Sitzung des Bundesparteivorstandes hatte Jörg Haider in einem Interview zu dem von ihm angedrohten Rücktritt erklärt : »Ich werde meinen Weg mit den Freiheitlichen nur dann weiter gehen, wenn solche Geschichten wie in Salzburg nicht mehr vorkommen. Ich habe zu viel investiert. Ich verdiene es nicht, mich mit derart uneinsichtigen Funktionären herumschlagen zu müssen für den Gesamterfolg, der nicht ausschließlich von diesen Leuten erbracht worden ist. […] Zum Streiten gehören immer zwei. Wenn diese Einstellung nicht beseitigbar ist – wenn kleinliche Auseinandersetzungen das Gesamtwohl gefährden – dann habe ich in der falschen Gemeinschaft gedient. Dann bin ich auch nicht mehr bereit, länger an der Spitze zu stehen und den Karren zu ziehen, während andere hinten sitzen und bremsen.« Und zum politischen Schicksal Schnells unter indirektem Hinweis auf die in der persönlichen Aussprache im Bärental bereits getroffene Vereinbarung, er habe mit diesem kein Problem. »Schnell muss jetzt Führungskompetenz zeigen, dann hat auch niemand etwas dagegen, wenn er als Landesparteiobmann tätig ist. […] Das einzige, was wirklich zielführend ist, wäre, dass Schnell Garantien gegenüber der Bundespartei abgeben kann, wie er in der Lage sein wird, Ruhe und Geschlossenheit der Salzburger Landesgruppe zu gewährleisten und zu geordneten Arbeitsbedingungen zurückzukehren. Das ist das, was wir erwarten.«491 Nach der Sitzung erklärte ein sich um eine einheitliche Parteilinie sichtlich bemühender Karl-Heinz Grasser, der zuvor noch das Vorgehen der Bundespartei in Salzburg kritisiert hatte, Haider habe deutlich gezeigt, »dass der Chef wieder da« sei. Er sei froh, dass der Bundesparteiobmann eine gute Lösung gefunden habe. »Es hat des Jörg Haider bedurft, diese ernste Situation wieder zu lösen.«492 Der vom Bundesparteivorstand beschlossene Neuordnungsprozess war im Sommer 1998 abgeschlossen. Bei den Wahlen auf Gemeinde- und Bezirksebene wurden fast durchwegs die bisherigen Funktionäre, fast sämtliche Anhänger Karl Schnells, in ihren Funktionen bestätigt, sodass sich auf dem außerordentlichen Landesparteitag am 19. September in Saalfelden 82,2 Prozent der Delegierten für Karl Schnell als Landesparteiobmann und Spitzenkandidaten für die bevorstehende Landtagswahl aussprachen. Schnells parteiinterne Kritiker waren dem Parteitag ferngeblieben, 490 Die Presse 29.4.1998. S. 7. 491 SN 27.4.1998. S. 2. 492 Der Standard 29.4.1998. S. 6.
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sodass die FPÖ das Bild der Geschlossenheit vermittelte. Der bereits totgesagte Landesparteiobmann hatte ein durchaus beeindruckendes Ergebnis eingefahren, das allerdings bei genauerem Hinsehen doch einige Trübung beinhaltete : Bei seiner letzten Wahl hatte er noch eine Zustimmung von 92,3 Prozent erhalten. VI.3.2.3 Eine Landespartei in Nöten – die FPÖ Niederösterreich und der Fall Peter Rosenstingl Die niederösterreichische FPÖ war von inneren Spannungen gekennzeichnet, die aus den regionalen Besonderheiten und der völlig unterschiedlichen Mitgliederund Sympathisantenstruktur resultierten. Lange bestand diese einerseits aus einer Gruppe von Weinbauern und anderseits aus Pendlern, die vor allem der A-Schicht angehörten und durch ihre Flucht ins Grüne im niederösterreichischen Speckgürtel um die Bundeshauptstadt ansässig geworden waren. Zwischen 1949 und 1983 bewegten sich die FPÖ und deren Vorgänger, der VdU (Verband der Unabhängigen), bei Landtagswahlen zwischen 4,4 und 1,7 Prozent bei fallender Tendenz und damit am Rande der politischen Wahrnehmbarkeit. Erst bei der Landtagswahl 1988 vermochte sie im Sog Jörg Haiders aus der politischen Bedeutungslosigkeit zu treten. Mit einem Gewinn von 73.000 Stimmen erreichte sie 9,4 Prozent und zog mit fünf Abgeordneten erstmals in den Landtag ein. Die FPÖ war in Österreichs größtem Bundesland der Nutznießer der zunehmenden Erosion der politischen Lagerkulturen und der Bereitschaft zum Protest- oder Wechselwählerverhalten. Besonders hohe Zugewinne vermochte sie erstmals in ländlichen und städtischen Arbeiter- und Dienstleistungsgemeinden (+7,3 Prozent und +8,6 Prozent) sowie den Hochburgen der Mehrheitsgemeinden von SPÖ und ÖVP zu erzielen (+7,0 Prozent und +8,6 Prozent).493 Bei der Landtagswahl 1993 konnte die FPÖ neuerlich einen Gewinn von rund 24.000 Stimmen verbuchen, denen neuerliche Verluste von ÖVP und SPÖ korrespondierten. Die FPÖ gewann neuerlich 2,6 Prozent und signalisierte mit einem Stimmenanteil von zwölf Prozent sowie nunmehr sieben Mandaten eine Änderung der politischen Wettbewerbslogik. Die gleichzeitige Kandidatur des Liberalen Forums, das mit 5,1 Prozent drei Mandate im niederösterreichischen Landtag erreichte, ließ die Zugewinne der FPÖ geringer ausfallen als 1988. Bei den Wahlmotiven für die FPÖ dominierten ihr Saubermann- und Aufdecker-Image (78 bzw. 71 Prozent) sowie Protest- und Denkzettelhaltungen (58 Prozent).494 493 Franz Sommer : Analyse der NÖ Landtagswahlen vom 8. Oktober 1988. Österreichs Wählerlandschaft im Umbruch : Großparteien verlieren »Marktanteile« an Haider-FPÖ. – In : ÖJP 1988. – Wien/München 1989. S. 35–54. S. 45. 494 Fritz Plasser, Franz Sommer, Peter Ulram : Landtagswahl Niederösterreich 1993 : Wählerprofile, Entscheidungsmotive, Trendmuster. – In : ÖJP 1993. – Wien/München 1994. S. 181–223. S. 215.
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Erst in dieser Phase konnte sie unter ihrem Landesparteiobmann Bernhard Gratzer flächendeckende Strukturen entwickeln, wuchsen die Mitgliederzahlen und boten sich für viele Karrierechancen, entstand ein Geflecht von Politik und Geschäft. Im Vorfeld der Landtagswahl 1998 befand sich die FPÖ weiter im Aufwind, weshalb Parteiobmann Jörg Haider vollmundig erklärte, im Falle des Erreichens der 20-Prozent-Marke Bernhard Gratzer mit einem Porsche belohnen zu wollen. Gleichzeitig beklagte er beim Neujahrstreffen der FPÖ angesichts des enttäuschenden Abschneidens des von der Partei initiierten Schilling-Volksbegehrens die mangelnde Einsatzbereitschaft zahlreicher Funktionäre, die sich offensichtlich nur auf ihn verließen und die ihre Position letztlich seiner Einsatzbereitschaft verdankten. Sollte die Partei im kommenden Jahr nicht mehr Einsatzbereitschaft zeigen, so ließ er drohend wissen, werde er sich von der Funktion des Parteiobmanns zurückziehen. Der niederösterreichische Landesparteiobmann Gratzer beeilte sich zu versichern, dass er die Aufforderung Haiders sehr wohl verstanden habe und seine Partei bei der Landtagswahl am 22. März durch großen Einsatz sicherlich einen neuerlichen deutlichen Wahlsieg erringen werde. Wenngleich die niederösterreichische FPÖ einen Zugewinn von rund 33.000 Stimmen verzeichnete, was einem neuerlichen Gewinn von 4,1 Prozent und zwei Mandaten entsprach, so blieb dieser doch unter den Erwartungen.495 Die FPÖ verfehlte mit 16,1 Prozent die gewünschte 20-ProzentMarke und der Porsche Haiders konnte in der Garage bleiben. Drei Jahre zuvor, im Juli 1995, war die niederösterreichische FPÖ vor allem auch aufgrund ihres wachsenden politischen Gewichts in das Wohnbaugeschäft eingestiegen und investierte 7,5 Millionen Schilling in die Privatstiftung »Freies Wohnen«. Im Vorstand der Privatstiftung saßen die FPÖ-Politiker Erwin Rambossek, Harald Ofner und Hans Jörg Schimanek, der sich jedoch später aus der Stiftung zurückzog und durch den freiheitlichen Nationalratsabgeordneten Erich Schreiner ersetzt wurde. Die Privatstiftung hielt 75 Prozent an der neu gegründeten gemeinnützigen Wohnbaugesellschaft »Freies Wohnen Wohnbau GmbH«, die restlichen 25 Prozent die »Holiday Home Bauträger GmbH«, eine hundertprozentige Tochter der »Holiday Home Bauträger GmbH & CoKG« mit den Kommanditisten Peter Rosenstingl, Erich Schreiner, FPÖ-Finanzsprecher, dem St. Pöltener Baumeister Fritz Uher und K. Katary. Neben der gemeinnützigen Wohnbaugesellschaft »Freies Wohnen Wohnbau GmbH« rundete die Grundstücksverwertungs GmbH »Freie Zukunft« mit den Anteilseignern FPÖ Niederösterreich (75 Prozent) und Holiday Home (25 Prozent) das im Entstehen begriffene FPÖ-Wohnbauimperium ab. Zentraler Angelpunkt des entstehenden FPÖ-Wohnbauimperiums war Peter Rosenstingl. Rosenstingl war Nationalratsabgeordneter, Präsidiumsmitglied der niederösterreichischen FPÖ, Obmann der Landesgruppe Niederösterreich des Rings Freiheitlicher Wirt495 Franz Sommer : Analyse der Landtagswahl in Niederösterreich 1998. – In : ÖJP 1998. S. 117–128.
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schaftstreibender (RFW) und kontrollierte neben dem freiheitlichen Wohnbauimperium auch ein zweites Firmengeflecht, das Gesellschaften umfasste, die sich laut Firmenbuch mit Steuer- und Betriebsberatung befassten (Hero GmbH, Koloc KEG, Rosenstingl & Schreiner). Zudem war er Mitgesellschafter an der Möbelhandelsfirma »Room GmbH« und Prokurist und Eigentümer der Steuerberatung »Omikron«. Ende 1997 erschien Jörg Haiders programmatisches Buch »Befreite Zukunft jenseits von links und rechts«, in dem er sich in Kapitel 7 mit dem Thema »Wie man als Partei reich wird« kritisch mit den im Einflussbereich von SPÖ und ÖVP befindlichen gemeinnützigen Wohnbaugesellschaften befasste, um abschließend Bert Brechts Frage zu zitieren, was denn schlimmer sei, eine Bank auszurauben oder eine zu gründen ? Brecht habe damals noch nicht die gefinkelten Strategien der Parteienfinanzierung durch gemeinnützige Wohnbaugesellschaften in Österreich gekannt, »sonst hätte er ein anderes Beispiel als eine Bank gewählt«.496 Das von ihm entworfene und verteufelte Szenario österreichischer Wirklichkeit erschütterte wenige Monate später auch die Partei der »kleinen Leute«, der »Leistungsträger« und (angeblich) »Sauberen«, als die österreichischen Tageszeitungen Anfang Mai 1998 meldeten, es herrsche Rätsel um das Verschwinden des FPÖ-Abgeordneten Peter Rosenstingl. 497 Wenige Tage später berichtete sie von einem »Super-GAU« für die FPÖ, da sich nach ersten Erhebungen herausstelle, dass der FPÖ-Abgeordnete und »Finanzgenie«, so die Charakterisierung des niederösterreichischen FPÖ-Landesparteiobmanns Bernhard Gratzer, sich nach Südamerika abgesetzt hatte und Schulden in dreistelliger Millionenhöhe hinterlassen habe, von denen rund 50 Millionen auf die FPÖ direkt entfielen. Zudem habe er die Kammer der Wirtschaftstreuhänder getäuscht, da er selber nie eine Berufsberechtigung besessen, in den von ihm kontrollierten Steuerberatungsfirmen nur als Prokurist fungiert habe und daher keine Kundengelder in Empfang hätte nehmen dürfen. Obwohl ihm mangels Berufsberechtigung die Beteiligung an den Steuerberatungsfirmen verwehrt gewesen sei, sei er durch Winkel- und Scheinkonstruktionen deren tatsächlicher Eigentümer gewesen.498 Die Wogen der Berichterstattung über die Konstruktion des Firmengeflechts sowie der Versuche der niederösterreichischen FPÖ, die von der Bundespartei angeprangerten wirtschaftspolitischen Methoden der österreichischen Proporzdemokratie zu kopieren, bedeuteten für die ohnedies in zahlreichen innerparteilichen Problemen verstrickte Bundesführung der FPÖ einen publizistischen Super-GAU. 496 Jörg Haider : Befreite Zukunft jenseits von links und rechts. Menschliche Alternativen für eine Brücke ins neue Jahrtausend. – Wien 1997. S. 106. 497 Kurier 5.5.1998. S. 1f. 498 Kurier 8.5.1998. S. 3.
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Dieser wurde noch durch Meldungen verstärkt, dass sowohl der niederösterreichische Landesparteiobmann Gratzer wie auch Bundesparteiobmann Haider bereits rechtzeitig über die zu erwartenden Malversationen informiert worden wären – Haider bereits mehr als ein Jahr zuvor durch den St. Pöltener Unternehmer und FPÖ-Funktionär Heinrich Haltmeyer, Gratzer im Dezember 1997 durch eine Anzeige der »Volksbank Alpenvorland«, die den Verdacht der Vortäuschung falscher Bonitäten äußerte. Zudem wurde Gratzer im Dezember von einem Parteimitglied darüber informiert, dass der dringende Verdacht »strafrechtlicher Handlungen eines Präsidiumsmitglieds der Landespartei« bestehe.499 Gratzer antwortete, er sei diesem Hinweis nachgegangen, habe mit dem Betroffenen (Rosenstingl, Anm. d. Verf.) gesprochen und sei zu dem Entschluss gekommen, dass die erhobenen Beschuldigungen nicht den Tatsachen entsprächen.500 Haider wurde angeblich bereits früher von dem St. Pöltener Unternehmer und FPÖ-Funktionär Heinrich Haltmeyer über zweifelhafte finanzielle Vorgänge in der niederösterreichischen FPÖ informiert, reagierte jedoch völlig unerwartet : der Informant verlor sämtliche Parteiämter. Die Untersuchungen ergaben, dass der nach Brasilien geflohene Rosenstingl eine Schadenssumme von rund 200 Millionen Schilling verursacht hatte, wovon alleine auf die niederösterreichische FPÖ 50 Millionen entfielen. Mitte Mai 1998 sah sich die niederösterreichische Landesregierung mit Millionenforderungen zweier Banken, der Volksbank Niederösterreich-Mitte und der Sparkasse Region St. Pölten, konfrontiert. 1993 hatte die niederösterreichische FPÖ bei der Sparkasse Region St. Pölten einen Kredit von zehn Millionen Schilling aufgenommen und dafür rechtswidrig sämtliche Rechte und Ansprüche aus der Parteienfinanzierung des Landes (15 Millionen Schilling) als Sicherstellung von Forderungen abgetreten. 1997 folgte nach demselben Muster eine neuerliche Kreditaufnahme in der Höhe von dreißig Millionen Schilling bei der Volksbank Niederösterreich-Mitte. Die erste Zession war von Landesparteiobmann Bernhard Gratzer und von Landesgeschäftsführer Leopold Scheuch, die zweite von Landesparteiobmann Bernhard Gratzer, der Landesgeschäftsführerin Karin Nussbaumer und dem Abgeordneten Hermann Mentil unterschrieben worden. Durch die nunmehr erfolgte Fälligstellung der Kredite entgingen dem FPÖ-Klub die jährlichen Gelder der Parteienfinanzierung, da das Land Niederösterreich diese zur Deckung der offenen Beträge überweisen musste. Zudem hatte Rosenstingl als Obmann der Landesgruppe Niederösterreich des Rings Freiheitlicher Wirtschaftstreibender Kredite von mehr als 16 Millionen Schilling aufgenommen und die Organisation als Bürgen genannt. Die FPÖ-Niederösterreich (Landtagsklub und Landespartei) war mit insgesamt 51 Millionen Schilling verschuldet. In der Partei des »kleinen Mannes« und der »Fleißigen und Sauberen« waren 499 Kurier 6.5.1998. S. 3. 500 Der Standard 7.5.1998. S. 7.
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personelle Konsequenzen unumgänglich, zumal der niederösterreichische Landesparteiobmann Bernhard Gratzer und die Nationalratsabgeordneten Erich Schreiner und Hermann Mentil, alle drei Präsidiumsmitglieder des fünfköpfigen Präsidiums der niederösterreichischen FPÖ, in die Malversationen involviert waren. Dem Präsidium gehörten noch der flüchtige Peter Rosenstingl und Landesgeschäftsführer Franz Marchat an. Am 13. Mai 1998 fand im Plaza-Hotel in Wien eine neuerliche Krisensitzung der FPÖ statt. Diesmal galt die Krisenbewältigung nicht den Turbulenzen in der Salzburger, sondern in der niederösterreichischen Landesorganisation. Aufgrund der engen Verbindung mit Rosenstingl hatte Bernhard Gratzer bereits im Vorfeld der Sitzung seinen Rücktritt angeboten. Nicht nur Gratzer, sondern auch Schreiner und Mentil traten von ihren Funktionen zurück, sodass das Präsidium der niederösterreichischen FPÖ nur mehr aus der Person von Landesgeschäftsführer Franz Marchat bestand. Um das Führungsvakuum zu beenden, bestellte die Bundespartei Landesrat Hans Jörg Schimanek zum Nachfolger Gratzers als Landesparteiobmann, den bisherigen Landesgeschäftsführer Marchat zum neuer Klubobmann und Barbara Rosenkranz zur neuen Landesgeschäftsführerin. Ein außerordentlicher Landesparteitag sollte die neue Führung der Landespartei bestätigen.501 Die in schwere Turbulenzen geratene niederösterreichische FPÖ unternahm mit einem außerordentlichen Parteitag in Tulln am 27. Juni in Anwesenheit von Parteiobmann Jörg Haider den Versuch eines Neuanfangs. Im Vorfeld des Parteitages hatte es in Funktionärskreisen Unmut gegeben, da die niederösterreichische Landespartei stärker an die Leine der Bundespartei genommen werden sollte. Der geschäftsführende Klubobmann Ewald Stadler war von der Parteispitze als stellver501 Gegen Bernhard Gratzer wurde Ende Mai Haftbefehl wegen betrügerischer Krediterlangung und treuwidrigen Provisionszahlungen erlassen. Bei seiner Rückkehr von einem Mauritius-Urlaub wurde er verhaftet und wenig später wieder auf freien Fuß gesetzt. Hatte Gratzer vor seinem Urlaubsantritt erklärt, er werde auch auf sein Abgeordnetenmandat im niederösterreichischen Landtag verzichten, so revidierte er diesen Entschluss nach der Rückkehr aus seinem Urlaub, wurde aus der FPÖ ausgeschlossen und übte sein Mandat ab 21. Juni als wilder Abgeordneter aus. Er wurde schließlich angeklagt und zu drei Jahren Haft, davon neun Monate unbedingt, verurteilt. Zwei Tage nach dem von zahlreichen Journalisten begleiteten Einzug als wilder Abgeordneter in den niederösterreichischen Landtag erfolgte im Gasthaus »Zum guten Tropfen« in Rabenstein bei St. Pölten, das dem aus dem Nationalrat ausgeschiedenen ehemaligen Finanzreferenten der niederösterreichischen FPÖ, Hermann Mentil, gehörte, ein außerordentlicher Landestag des RFW Niederösterreich. Punkt 5 der Tagesordnung sah die Auflösung des Vereins vor, dem durch Peter Rosenstingl ein Schaden in der Höhe von 18,5 Millionen Schilling entstanden war. Dessen Obfrau Elisabeth Kaufmann-Bruckberger erklärte, man sei »völlig handlungsunfähig« und sie wolle sich durch die Auflösung selbst schützen : »Ich will nicht auch noch zur Kasse gebeten werden.« (Die Presse 23.6.1998. S. 15) Der Verursacher der Malversationen, Peter Rosenstingl, wurde Anfang Juni 1998 in Brasilien festgenommen, ein Jahr später nach Österreich ausgeliefert und zu sieben Jahren Haft verurteilt.
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tretender Landesparteiobmann nominiert worden. Ein Teil der Funktionäre fürchtete nicht nur einen Verlust an Autonomie, sondern aufgrund des aggressiven Tons Stadlers vor allem eine Verschärfung des landespolitischen Klimas. Haider wandte sich vehement gegen die Kritiker und erklärte, »Hasenfüße und Furchtsame« seien »derzeit nicht gefragt«. Die Affäre Rosenstingl sei vor allem eine Affäre der Banken und nicht der Partei. Dem politischen Gegner und den Medien gehe es nur darum, »[der FPÖ] und Jörg Haider etwas anzuhängen«. »Mit uns gibt’s keine Gnade. Anpassen, freundlich sein – das sind leere Kilometer«, so Haider.502 Die neu geordnete Führungsriege der niederösterreichischen FPÖ sollte sich jedoch nur neun Monate ihrer Funktionen erfreuen. Am 13. April 1999 erklärte Hans Jörg Schimanek in einer Pressekonferenz, er trete im Zuge einer großen Personalrochade als Landesrat zurück. Seine Funktion werde künftig von Ewald Stadler wahrgenommen, der von der Funktion des geschäftsführenden Klubobmanns im Nationalrat in das St. Pöltener Landhaus wechselte. Schimanek erklärte zudem, er werde sich als Landesparteiobmann verstärkt um die Basis kümmern, weshalb er in der Person von Bundesrat Ernest Windholz einen geschäftsführenden Landesparteiobmann zur Seite gestellt bekomme. Auch Barbara Rosenkranz wurde als Landesparteisekretärin von Thomas Ram abgelöst. Damit blieb ein Jahr nach der Affäre Rosenstingl in der niederösterreichischen FPÖ kein Stein auf dem anderen. Lediglich Klubobmann Franz Marchat verblieb in seiner Position als Klubobmann. Er galt jedoch als Konsenspolitiker und stand damit in deutlichem Gegensatz zu dem zum Verbalradikalismus neigenden Stadler, der sich jedoch aufgrund der von Haider ausgegebenen Devise einer partiellen Kooperationsbereitschaft zum Zweck der Demonstration der Regierungsfähigkeit erheblich moderater geben sollte, als befürchtet. Auf die unterschiedlichen politischen Kulturen von Marchat und Stadler angesprochen, erklärte Hans-Jörg Schimanek, es gebe »eine anständige Gesprächsbasis« zwischen beiden. »Sie müssen sich ja nicht gleich abbusseln.«503 Die Personalrochade an der Spitze der niederösterreichischen FPÖ war u. a. das Ergebnis der auf dem Linzer Parteitag am 4. Juli 1998 beschlossenen Statutenreform, die dem Bundesparteiobmann ein Durchgriffsrecht auf sämtliche Parteiorganisationen einräumte. Mit Blick auf die Nationalratswahl 1999 schien Haider die Landespartei im größten Bundesland nach wie vor zu wenig profiliert und angriffslustig. Dies sollte sich durch die Übernahme der Funktion des Landesrates durch den als wortgewaltig und angriffslustig geltenden Ewald Stadler, begleitet von einer umfangreichen personellen Neuordnung der Landespartei, ändern. Gleichzeitig erfüllte der Wechsel Ewald Stadlers in die niederösterreichische Landespolitik noch einen anderen Zweck. Jörg Haider unternahm im Vorfeld der Nationalratswahl 1999 502 Die Presse 29.6.1998. S. 22. 503 Die Presse 14.4.1999. S. 13.
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und mit Blick auf die steigenden Umfragewerte den Versuch, seine Partei strategisch neu zu positionieren. Nicht mehr Fundamentalopposition war die Devise, sondern das Image eines möglichen Regierungspartners. Zu diesem Zweck waren verbindlichere Töne angesagt. Ewald Stadler galt als Mann der groben Worte, der zu viel politisches Porzellan zerschlagen hatte und als Gesprächspartner für einen möglichen Regierungspartner nur schwer vorstellbar war. Als personifizierter Gegenentwurf galt Stadlers Stellvertreter, der Wehrsprecher der FPÖ und Vorsitzende des Landesverteidigungsausschusses, Herbert Scheibner, der allgemein beim politischen Mitbewerber als seriöser Gesprächspartner angesehen wurde und als regierungsfähig galt. Scheibner folgte auf Vorschlag Haiders Stadler am 20. April in der Funktion des geschäftsführenden Klubobmanns nach. Der Bundesparteiobmann begründete seinen Vorschlag damit, er wolle ein Zeichen setzen, »dass wir neben der Oppositionspolitik auch Lösungsmodelle anbieten. Die Klubführung im Parlament ist die Speerspitze der FPÖ-Politik.« Und Scheibner erklärte nach seiner Wahl, die FPÖ werde sich auch weiterhin »als Gegengewicht positionieren. Und zwar, wie bisher, bei der klassischen Oppositionsarbeit und durch das Aufzeigen von Missständen.« Zunehmend aber auch »durch seriöse Reformvorschläge, durch Alternativen zu Vorhaben der Regierung. […] Von mir ist kein Kuschelkurs zu erwarten. Wir werden in der Sache hart argumentieren – aber es geht um die Sache, nicht um Persönliches. Daran halten wir uns, wenn sich die anderen daran halten. Solange man zivilisiert argumentieren und gemeinsam Lösungen für Probleme suchen kann, werden wir mitmachen. […] Wer bei Wahlen antritt, muss grundsätzlich bereit sein, Regierungsverantwortung zu tragen.«504 VI.3.2.4 Der Sonderfall Kärnten. Oder : Wie Jörg Haider Spitzenkandidat wurde Als FPÖ-Landeshauptmann-Stellvertreter Karl-Heinz Grasser in einem Interview zu Jahresbeginn 1998 erklärte, sein Ziel sei es, nach der kommenden Landtagswahl im März 1999 Kärntner Landeshauptmann zu werden, löste dies mediale Spekulationen über einen eventuellen Konflikt zwischen dem FPÖ-Jungstar und dem Bundesparteiobmann aus, zumal Grasser mit der Bemerkung, jeder mache Fehler, auch indirekt Kritik an Haider geübt hatte. Auch in der Kärntner FPÖ verursachte das Interview beträchtliche Irritationen, da Haider im Vorjahr die Funktion des Kärntner Landesparteiobmanns wieder übernommen hatte und daher als logischer Spitzenkandidat für die bevorstehende Landtagswahl galt. Landesparteisekretär Helmut Prasch beeilte sich daher zu betonen, es stehe »außer Diskussion, dass Haider unser Chef war und ist«. Wenngleich der Landesparteisekretär zur Frage des Spitzenkandidaten für die Landtagswahl nicht direkt Stellung bezog, so machte er aus seinem 504 Kurier 21.4.1999. S. 3.
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Herzen keine Mördergrube. »Ich habe kein Problem damit zu sagen, dass mir persönlich der Jörg Haider der liebste wär.«505 Gleichzeitig erklärte ein enger HaiderVertrauter, ein Ausscheiden Haiders aus der Bundespolitik und eine Konzentration auf Kärnten sei keineswegs ausgeschlossen. Damit nahm die öffentliche und parteiinterne Diskussion über eine Rückkehr Jörg Haiders in die Kärntner Landespolitik Fahrt auf, zumal in der Kärntner Landesorganisation der Ruf nach ihm immer deutlicher wurde. Karl-Heinz Grasser sei zwar ein guter Sachpolitiker, doch fehle ihm die Massenwirkung und die Fähigkeit zum Bad in der Menge, eine für unabdingbar gehaltene Eigenschaft eines künftigen Landeshauptmanns, so die weit verbreitete innerparteiliche Meinung. Nur Haider sei in der Lage, die Chance auf einen Wahlsieg im März 1999 zu realisieren. Dabei wurde der eigentliche politische Konflikt, der sich langsam zwischen Grasser und Haider zu entwickeln begann, nicht angesprochen : die Frage des politischen Stils, die auch in Kärnten zu einem politischen Richtungsstreit wurde. Die Kärntner Wirtschaftstreibenden, vor allem auch der Ring Freiheitlicher Wirtschaftstreibender, erwarteten sich mit Blick auf die Olympia-Bewerbung für 2006 eine Kooperation auf Regierungsbasis. Nur so vermittle man nach außen den notwendigen Eindruck der Geschlossenheit und des gemeinsamen politischen Willens und könne man mit entsprechenden Auswirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung des Landes durch Aufträge und Förderungen rechnen. Grasser neigte zu dieser Meinung und vertrat die Auffassung, dass mit einer permanenten und totalen Oppositionshaltung diesen Bestrebungen ein schwerer Schaden zugefügt werde und diese Politik auf Dauer nicht durchzuhalten sei, ohne auch als Partei an Image zu verlieren. Die Olympiabewerbung war jedoch nur die Spitze des Eisberges, denn in Kärnten tobte seit längerem ein Kampf zwischen Kooperationswilligen einerseits und auf die reine Opposition abzielenden Gruppen andererseits, wobei Karl-Heinz Grasser zwischen die Fronten geriet, um sich schließlich der Gruppe der Kooperationsbereiten anzuschließen. Anfang Juni 1998 platzte die politische Bombe, als die politische Nachwuchshoffnung der FPÖ zur allgemeinen Überraschung sein Ausscheiden aus der Politik und seinen Wechsel zum Magna-Konzern Frank Stronachs bekanntgab. Der Rücktritt Grassers traf die FPÖ zu einem äußerst ungünstigen Zeitpunkt, da sie in Niederösterreich in die Affäre Rosenstingl verwickelt war und nach den überstandenen Krisen keinen neuen zusätzlichen Krisenherd benötigte. Grasser begründete zudem sein Ausscheiden aus der Politik auch mit dem von der FPÖ praktizierten Politikstil, wobei die seit längerem schwelenden Differenzen deutlich wurden. Er habe sich der FPÖ »langsam immer mehr entfremdet«, begründete Grasser seinen Schritt. In der Umgebung Haiders seien für ihn »Seriosität und Niveau degeneriert«. Haider habe 505 Die Presse 22.1.1998. S. 7.
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sich von seinem Beraterstab »in Geiselhaft nehmen lassen«. Und der Parteiobmann müsse »auch die Kraft haben, einen wesentlich konstruktiveren Kurs zu gehen, als das zuletzt der Fall war«.506 Durch den völlig überraschenden Schritt war die Kärntner FPÖ zu raschem Handeln gezwungen. Die politische Relevanz der anstehenden Entscheidungen ergab sich aus ihren bundespolitischen Implikationen. Kandidierte Haider als Spitzenkandidat für die Landtagswahl 1999, so bedeutete dies eine deutliche Verlagerung des Schwergewichts seines politischen Agierens in das südlichste Bundesland. Und wenn Haider sich zur Kandidatur entschloss, so inkludierte dies auch das Motiv der Revanche für seine Abwahl als Landeshauptmann und den Wunsch, auf diese Position im Triumph zurückzukehren. Wenn diese Option in Erfüllung ging, so ergaben sich eine Reihe bundespolitischer Konsequenzen, wie etwa die Fragen des Spitzenkandidaten der FPÖ bei der Nationalratswahl 1999, des Kanzleranspruchs oder der Führung der Gesamtpartei. Eine Vorentscheidung fiel am 4. Juni, als Haider im Mittagsjournal des ORF seinen Entschluss bekanntgab, der FPÖ weiterhin zur Verfügung zu stehen. Er habe zu Pfingsten im Kreise seiner Familie die Entscheidung getroffen, sich aus der Politik zurückzuziehen. In Anbetracht der nunmehr eingetretenen »Niederträchtigkeiten« habe er aber seine Entscheidung geändert. »Ich werde selbstverständlich weiter machen, ich werde sicherlich diese Herausforderung annehmen, eine Million Wähler ordentlich zu vertreten. […] Wir sind getroffen, wir sind betroffen, ich bin auch persönlich schwer gedemütigt, aber genau das gibt mir die Kraft zu sagen, liebe Freunde, jetzt ist es Zeit zu zeigen, dass wir als Alternative auch aus einer schwierigen Situation das Große vollbringen können, nämlich die Aufgabe, Österreich politisch zu erneuern […]« Er sei von Grasser bereits vor der offiziellen Bekanntgabe von dessen beabsichtigtem Schritt informiert worden und habe ihm sogar geraten, den erheblich besser bezahlten Posten bei Magna zu übernehmen. Grasser habe ihm auch versprochen, keine öffentliche Auseinandersetzung mit der Partei zu führen. Diese Zusage habe er aber sofort gebrochen. »Ich finde es nicht fair, wie er mit der Partei umgeht. Man putzt sich nicht mit den Füßen ab an jenen, die für einen gelaufen sind. Aber es ist offenbar Idealismus gegen Geld gestanden.« Der so Kritisierte erklärte, er wolle auch weiterhin FPÖ-Mitglied bleiben und »in Freundschaft und Frieden scheiden«. Er wünsche sich auch Haider als seinen Nachfolger, denn es gebe zu ihm keine Alternative.507 Noch am Vormittag des 5. Juni beteuerte Haider vor Journalisten, der Spitzenkandidat der Kärntner FPÖ für die Landtagswahl im März 1999 werde erst im Herbst gekürt. Sieben Stunden später verkündete er wiederum vor laufenden Kameras nach einer Sitzung der Landesleitung im Kurhaus Seeburg, das oberste Gremium der 506 Die Presse 4.6.1998. S. 1 und 7 ; NZZ 5.6.1998. S. 3. 507 Die Presse 5.6.1998. S. 6.
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Landespartei habe einstimmig seine Kandidatur für die Funktion des Landeshauptmanns 1999 beschlossen und er habe diesem Wunsch entsprochen. Die Funktion des aus der Politik geschiedenen Karl-Heinz Grasser in der Landesregierung werde Mathias Reichhold übernehmen. Nachdem der SPÖ-Spitzenkandidat Michael Ausserwinkler im Sommer 1998 erklärte, der Wahlsieger bei der Landtagswahl im März 1999 solle auch den Landeshauptmann stellen, wuchs bei Haider die Zuversicht, dieses Ziel erreichen zu können. Am symbolträchtigen 10. Oktober 1998 kürte ein Sonderparteitag der Kärntner FPÖ Haider mit 99,7 Prozent der abgegeben Stimmen zum Spitzenkandidaten für die Landtagswahl und Landeshauptmannkandidaten. Haider legte nach diesem Votum die Funktion des Landesparteiobmanns zurück, die von Jörg Freunschlag übernommen wurde. Freunschlag war ein enger Vertrauter und Weggefährte Haiders und hatte bereits 1983 bei der Übernahme der Funktion des Landesparteiobmanns durch Haider Regie geführt. In seiner Parteitagsrede ließ Haider seinen politischen Werdegang in Kärnten Revue passieren, um schließlich seine 1991 erfolgte Abwahl durch SPÖ und ÖVP infolge seines Ausspruchs über die ordentliche Beschäftigungspolitik im Dritten Reich als »rot-schwarzen Willkürakt« zu brandmarken.508 Diesmal werde es aber die FPÖ 508 Am 14. Juni 1991 kam es im Kärntner Landtag im Rahmen einer Debatte über sozialpolitische Maßnahmen zu einem Rededuell zwischen Haider und den Fraktionen von SPÖ und ÖVP. Dabei sprach sich Haider für eine Kürzung des Arbeitslosengeldes aus, wenn jemand sich als nicht arbeitswillig erweise oder es ablehne, einen verwandten oder annähernd gleichartigen Beruf zu ergreifen, worauf er von SPÖKlubobmann Gerhard Hausenblas mit dem Zwischenruf »Das ist Zwangsarbeit« unterbrochen wurde. Haider antwortete : »Dann frage ich Sie : Wie rechtfertigen Sie das gegenüber den Tausenden und Abertausenden fleißigen österreichischen Arbeitnehmern, die jahraus, jahrein ihrer beruflichen Verpflichtung nachgehen ?« Diese würden mit ihrem »sauer verdienten Geld immer höhere Abgaben« zu leisten haben, »damit dann ein paar sich in der Hängematte des Sozialstaates es sich gut gehen lassen können. Das ist kein System, das wir wirklich verteidigen können.« Während Haider von der FPÖ Beifall erhielt, erfolgte ein neuerlicher Zwischenruf von SPÖ-Klubobmann Gerhard Hausenblas : »Was Sie fordern hat es schon gegeben, aber im Dritten Reich.« Haider antwortete : »Nein, das hat es im Dritten Reich nicht gegeben, weil im Dritten Reich haben sie ordentliche Beschäftigungspolitik gemacht, was nicht einmal ihre Regierung in Wien zusammenbringt, das muss man auch einmal sagen.« Nach erregten Zwischenrufen erklärte der ÖVP-Abgeordnete Georg Wurmitzer : »Eine Äußerung des Herrn Landeshautmannes kann hier in diesem Haus natürlich nicht unwidersprochen stehen bleiben, und zwar die, dass es im Dritten Reich eine bessere Arbeitsmarktpolitik gegeben hätte.« SPÖ-Klubobmann Gerhard Hausenblas appellierte an die Zweite Landtagspräsidentin Kriemhild Trattnig, »die Obmännerkonferenz einzuberufen, im Hinblick auf die Äußerung und Aussage des Herrn Landeshauptmannes, in der er die Arbeitsmarktpolitik im Dritten Reich unter dem Nationalsozialismus als Vorbild für die demokratische Zweite Republik dargestellt hat.« Kriemhild Trattnig erwiderte : »Ihre Begründung kann ich nicht hinnehmen, aber ihrem Wunsch nach einer Obmännerkonferenz komme ich selbstverständlich nach. Ich unterbreche die Sitzung auf unbestimmte Zeit, vorläufig auf zehn Minuten.«
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schaffen, aus eigener Kraft zur stärksten Partei zu werden und damit den Anspruch auf den Landeshauptmann zu stellen. Er erwiderte auf die Aussage von Michael Ausserwinkler, dass die stärkste Partei den Landeshauptmann stellen solle, dies sei auch seine Auffassung, und er sei auch bereit, Ausserwinkler zum Landeshauptmann zu wählen, sollte die SPÖ die stimmenstärkste Partei werden. Dies werde jedoch nicht der Fall sein, da die FPÖ als Erster durchs Ziel gehen werde. »So nahe waren wir noch nie dran, denn im dritten Wahlgang entscheidet die einfache Mehrheit.«509 VI.3.2.5 Der versuchte Befreiungsschlag – Der Sonderparteitag in Linz am 4. Juli 1998 im Stil einer Samstagabendshow Auslöser war der Fall Rosenstingl, der der FPÖ ein deutliches Absinken in der Wählergunst auf rund 19 Prozent brachte. Um aus der Defensive in die Offensive gehen zu können, entwickelte Haider bereits während der Krisensitzung im Wiener PlazaHotel am 13. Mai 1998 die Idee der gläsernen Partei und des »Bürgervertrags«. Vor dem Hintergrund der Turbulenzen in den Landesorganisationen zielte er auf eine öffentlichkeitswirksame »Neugründung« der Partei, um sich mit Blick auf die Nationalratswahl 1999 von dem durch den Fall Rosenstingl entstandenen Odium der Korruption zu befreien und den Nimbus der »sauberen Hände« und der Ehrlichkeit zurückzugewinnen. Haider präsentierte nach der Krisensitzung im Plaza-Hotel den Entwurf eines Prinzipienkatalogs, der von einem umfassenden Schutz der Heimat, dem Ausbau der direkten Demokratie über den Kampf gegen die Parteibuchwirtschaft und den Kammerzwang bis zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen reichte. Die Funktionäre und Mandatare der FPÖ sollten sich »zur Einhaltung des Prinzipienkatalogs, der Wahlversprechen sowie der von ihnen eingegangenen
Die Sitzung wurde von 12 :53 Uhr bis 13 :05 Uhr unterbrochen. Nach der Wiederaufnahme der Sitzung erklärte Haider : »Hohes Haus ! Meine Damen und Herren ! Ich glaube, dass ich am leichtesten die ausgebrochene Konfliktsituation bereinigen kann, indem ich hier vor dem Landtag klarstelle, dass ich in keiner Weise eine positive Bewertung der Beschäftigungspolitik des Dritten Reiches gegenüber der österreichischen Beschäftigungspolitik gemeint habe. Das bitte noch einmal zur Kenntnis zu nehmen. Ich hoffe, dass der Konfliktpunkt, der aufgetreten ist, aus der Welt geschafft wurde.« SPÖ-Klubobmann Hausenblas beantragte daraufhin eine neuerliche Obmännerkonferenz mit der Begründung, dass » das keine deutliche Distanzierung von der ursprünglichen Aussage« sei. Haider meldete sich nun nochmals zu Wort und erklärte : »Ich möchte nicht diese Sitzung mit ewigen Unterbrechungen konfrontieren, Herr Abgeordneter Hausenblas. Ich habe unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass ich diese Äußerung nicht in dem von Ihnen gemachten Sinn verstanden habe und dass ich sie auch nicht gemacht habe. Wenn es für Sie eine Beruhigung ist, dann nehme ich sie auch mit dem Ausdruck des Bedauerns zurück.« (Zit. bei Alfred Stirnemann : Gibt es einen Haider-Effekt ? – In : ÖJP 1991. – Wien/München 1992. S. 137–185. S. 167ff.) 509 Der Standard 12.10.1998. S. 7.
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schriftlichen Arbeits- und Regierungsübereinkommen« verpflichten.510 Über die Einhaltung sollte ein Ehrenrat wachen, der sowohl Mahnungen wie auch Strafen verhängen können sollte. Im Sinne der propagierten »gläsernen Partei« müssten sie einem »Ehrenrat« ihre »gesamten Einkünfte aus öffentlichen Stellen, aus den der Kontrolle des Rechnungshofes unterliegenden Unternehmen und öffentlich rechtlichen Körperschaften offenlegen. »Dasselbe gilt für bedeutsame verwaltungs(straf) rechtliche, alle gerichtlichen bzw. für alle finanzrechtlichen Strafverfahren.«511 Parteiinternen Widerspruch gegen den Demokratievertrag kam vom »Liberalen Klub«, dessen Mitglied, der ehemalige Präsident des Rechnungshofes, Tassilo Broe sigke, erklärte, der Vertrag sei verfassungswidrig. »Man darf einem Abgeordneten keine Unterschrift unter einen Vertrag abfordern, der dann entscheidet, ob er bleiben darf oder nicht.« Dies sei eine Verletzung des freien Mandats. Für den ehemaligen Dritten Präsident des Wiener Landtages, Erwin Hirnschall, hatte der Vertrag »keine praktische politische Bedeutung«. Er sei »öffentlichkeitswirksam und sonst gar nichts«.512 Die »Neue Zürcher Zeitung« kommentierte den FPÖ-internen Haftungsvertrag, es sei »schwer vorstellbar, dass diese Art Ehrenkodex gerade jene Leute wie Rosenstingl« abschrecke, die man eigentlich treffen wolle. »Eher dürften aufrechte Charaktere, die eines solchen Halsbandes nicht bedürfen, grundsätzliche Abneigung dagegen verspüren, sich von einem parteiseits bestellten Bürgervertrauensmann oder einem Schiedsgericht politisch bewerten zu lassen.«513 Der Parteitag in Linz am 4. Juli 1998 diente der medien- und öffentlichkeitswirksamen Inszenierung und Absegnung des »Demokratievertrages« und der Beschlussfassung einer Statutenänderung, die dem Bundesparteiobmann ein weitgehendes Durchgriffs- und Weisungsrecht für alle Parteiorganisationen bis hin zur Kandidatennominierung gab. Die Affäre Rosenstingl, erklärte Haider vor den 890 Delegierten, sei für die Partei ein Keulenschlag gewesen. »Es hat wenig Freude bereitet, dass auch die FPÖ dunkle Flecken auf ihrer weißen politischen Weste bekommen hat.« Im Zuge der Affäre sei es zu einem medialen »Kannibalismus« gegenüber der FPÖ gekommen. »Es wäre ihnen am liebsten gewesen, man hätte den Bundesparteiobmann höchstpersönlich in Handschellen abgeführt, da hätten sie dann sogar Rosenstingl & Co begnadigt.« Die FPÖ mache mit dem Demokratievertrag deutlich, dass sie »kein Teilhaber am Selbstbedienungsladen der Republik von Rot und Schwarz« sei. Denn eine »anständige und ehrliche Politik« sei »das Markenzeichen der Freiheitlichen seit 1986«.514 Doch die Stimmung auf dem Parteitag war, so die »Neue 510 Die Presse 18.6.1998. S. 7. 511 SN 4.7.1998. S. 3. 512 Kurier 4.7.1998. S. 3. 513 NZZ 18.6.1998. S. 2. 514 Die Presse 6.7.1998. S. 7.
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Zürcher Zeitung«, lau. »Es lag kein Neubeginn in der Luft, auch wenn Haider sein Publikum beschwor, den Traum, Österreich erneuern zu können, nicht aufzugeben. […] Der Parteitag und die dort gefassten Beschlüsse hatten den Charakter eines symbolischen Aktes der Selbstreinigung oder des Versuchs einer solchen515 VI.3.2.6 »Mit allen Varianten in die Wahl« – die FPÖ im Nationalratswahlkampf 1999 Der Nationalratswahlkampf 1999 wurde in der medialen Berichterstattung und öffentlichen Wahrnehmung zunehmend von Koalitionsspekulationen an Stelle von Sachthemen dominiert. Themen wie die Sicherung des Wirtschaftsstandortes und der sozialen Systeme oder die angesichts der europäischen und globalen Entwicklung notwendige Neuformulierung der Sicherheitspolitik wurden einer rationalen Diskussion entzogen und emotional hoch aufgeladen, die Klaviatur der Ängste und beharrenden Gewohnheiten wurde in erheblichem Ausmaß in Anspruch genommen. Die FPÖ befand sich dabei in einer komfortablen Situation. Von der SPÖ als möglicher Regierungspartner auf Bundesebene ausgeschlossen, erfreute sie sich in Umfragen eines ständig steigenden Zuspruchs und überholte schließlich die ÖVP. Unter dem sich jeder klassischen politischen Charakterisierung entziehenden begnadeten Populisten Jörg Haider wurde sie zum eigentlichen Profiteur einer wachsenden Politikverdrossenheit, die sich in zunehmender Bereitschaft zum elektoralen Protest äußerte. Die Partei stilisierte sich in den neunziger Jahren zum Vertreter des »kleinen Mannes«, zur Protestpartei des Saubermanns, die am traditionellen Parteiensystem und Politikverständnis rüttelt. Damit gelang es ihr, zunächst ÖVP-Wählerschichten, dann auch Wählerschichten der SPÖ anzusprechen. Die FPÖ wurde auch zur Arbeiterpartei und eilte, unbeeindruckt von der vom linken und linksliberalen Gegner immer wieder geschwungenen Faschismuskeule, von Wahlerfolg zu Wahlerfolg. Wenige Tage vor der Nationalratswahl 1999 bemerkte Karl-Peter Schwarz zum Phänomen Haider und zum Erfolg der FPÖ : »Das Bild, das sich in der öffentlichen Meinung von Jörg Haider gebildet hat, ist über die Jahre hindurch erstaunlich konstant geblieben : Jörg Haider, so liest man es allenthalben, sei ein ›rechter Populist‹. Das ist richtig, aber halt nicht einmal die halbe Wahrheit. Denn Haider ist mindestens ebenso sehr ein ›linker Populist‹. Und wenn es sein muss, ist er auch ein ›Populist der Mitte‹. Kaum ein Artikel zum Wahlkampf in ausländischen Zeitungen, ohne dass an Haiders berüchtigtes Lob für die ›ordentliche Beschäftigungspolitik‹ im ›Dritten Reich‹ erinnert würde ; kaum einer, der nicht die skandalöse Krumpendorfer Rede erwähnte. Längst aber hat sich Haider seine eigene Ahnenreihe nominiert, von Victor Adler bis Bruno Kreisky, von Tony Blair bis Gerhard Schröder. […] Der Pro515 NZZ 6.7.1998. S. 3.
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pagandapfeil aus dem War room der Sozialdemokraten geht in Sachen Haider als neoliberales Schreckgespenst nicht ins Schwarze, sondern ins Himmelblaue : Weit mehr als die gelegentlichen rhetorischen Übungen Haiders im kleinen Kreis liberal gesinnter Unternehmer macht der SPÖ die Konkurrenz der FPÖ auf dem Gebiet der linken Demagogie Kopfzerbrechen. […] Es ist wohl kein Zufall, dass die schlimmsten ausländerfeindlichen FP-Parolen (›Überfremdung‹) nur in Wien, im ›roten Wien‹ plakatiert werden : Sie zielen genau auf jenes Klientel in den Gemeindebauten, die sich die SPÖ in den vergangenen Jahrzehnten politisch und ideologisch herangezüchtet hat. Es ist nicht wenig Heuchelei im Spiel, wenn die SP-Linke ihre Kritik an Haider gerade an diesen Plakaten festmacht.«516 Die vor allem seit Bundeskanzler Franz Vranitzky erfolgte Ausgrenzung der FPÖ und der sich verschärfende, wenn auch nicht klar definierte, Faschismusvorwurf hatten ein deutlich erkennbares strategisches Ziel : die ÖVP von der Bildung einer seit 1986 möglichen Koalition mit der FPÖ abzuhalten und damit in einem von der SPÖ konstruierten »antifaschistischen Konsens« dieser den Bundeskanzler zu sichern. Die SPÖ wurde vor allem durch die massiven Gewinne der FPÖ nicht müde, vor dem Ende der Zweiten Republik durch eine drohende faschistische oder kryptofaschistische schwarz-blaue oder blau-schwarze Koalition zu warnen, und sich selbst als einzigen Hort des bestehenden sozialen Systems und des antifaschistischen Gewissens zu stilisieren. So sehr diese Strategie im Sinne der Stimmenmaximierung einer gewissen Logik nicht entbehrte, so sehr wirkte sie angesichts des von der ÖVP diesmal verweigerten antifaschistischen Konsenses wie das Kaninchen vor der Schlange und platzierte die FPÖ in den Mittelpunkt aller politischen (Koalitions-)Überlegungen. Die FPÖ war in aller Munde und Mittelpunkt sämtlicher Koalitionsspekulationen jenseits einer Fortsetzung der SPÖ-ÖVP-Koalition. Jörg Haider hatte dieser neuen Konstellation durch eine Änderung der Politik der Partei in Richtung der Betonung ihrer Regierungsfähigkeit und Berechenbarkeit Rechnung getragen, wobei er im Falle einer Regierungsbeteiligung zwei Varianten offerierte : 1. Erreiche die FPÖ den zweiten Platz, stelle sie im Fall eine Koalition mit der ÖVP den Kanzleranspruch. Dabei stocherte man bewusst in den Wunden der ÖVP, in der ein ständig wachsender Teil der Funktionäre das Nichtwahrnehmen einer nichtsozialistischen Koalitionsalternative seit 1986 für die Verluste der Partei verantwortlich machte und für einen mutigen Schritt in diese Richtung plädierte. 2. Haider offerierte die FPÖ der SPÖ auch als Juniorpartner in einer neuen Koalitionsregierung, schloss jedoch die Unterstützung einer SPÖ-Minderheitsregierung aus. 516 Karl-Peter Schwarz : Jörg Haiders FPÖ als »soziales Gewissen« und Katze im Sack. – In : Die Presse 27.9.1999. S. 3.
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In der TV-»Pressestunde« am 12. September 1999 erklärte Haider vor dem Hinter grund der für die FPÖ so günstigen Umfragewerte, die die Partei bereits vor der ÖVP an zweiter Stelle sahen, für ihn seien Koalitionsspiele vor der Wahl uninteressant. Nunmehr sei der Wähler am Wort. »Wir sind nach allen Richtungen hin offen. Die FPÖ hat niemanden ausgegrenzt.« Erreiche allerdings die FPÖ den zweiten Platz, so werde sie in einer eventuellen Koalition mit der ÖVP den Kanzler stellen. Man werde der ÖVP keinesfalls den Kanzler überlassen : »Soviel Selbstverleugnung können Sie nicht von mir verlangen.« Die FPÖ sei aber auch bereit, als Juniorpartner in eine SPÖ-FPÖ-Regierung einzutreten.517 Damit wiederholte und bestätigte Haider die Position, die der FPÖ-Spitzenkandidat für die Nationalratswahl, Thomas Prinzhorn, nach seiner allgemein überraschenden Nominierung für diese Position eingenommen hatte. Auf die Frage nach möglichen Koalitionen nach der Wahl hatte er erklärt : »[Ich kann mir] eine Koalition mit jedem vorstellen, alle Parteien haben kluge Köpfe.« Wenn allerdings die FPÖ zur zweitstärksten Partei werde, werde sie eine Koalition mit der ÖVP anstreben, da sie dann den Bundeskanzler stellen wolle. Als Spitzenkandidat nehme er diese Funktion dann für sich in Anspruch, es sei denn, in Kärnten würde man entscheiden, dass Jörg Haider Regierungschef werden solle.518 Dieser hatte bereits im Hochsommer seinen Anspruch auf diese Position unmissverständlich mit der Feststellung erhoben, sein Ziel sei auf lange Sicht der Bundeskanzler.519 Bei der kommenden Nationalratswahl sei das Erreichen des zweiten Platzes und damit die Möglichkeit der Realisierung eines Regierungswechsels das kurzfristige Ziel. »Nach 30 Jahren ist es aus demokratiehygienischen Gründen notwendig, dass es einen Regierungswechsel gibt. Sonst sind wir wirklich das letzte Land des Ostblocks, wo es geradezu eine pragmatisierte Regierungskoalition gibt.«520 Die FPÖ gehe »mit allen Varianten in die Wahl« und werde schon in diesem Herbst oder sonst spätestens nach der nächsten Nationalratswahl in der Regierung sein. Haider hatte die FPÖ im Vorfeld der Nationalratswahl strategisch neu positioniert, von einer reinen Oppositionspartei zu einem alternativen Angebot. »Es hat eine Phase gegeben, 1986 bis ungefähr 1994, in der die Angriffsstrategie und die Polarisierung durchaus ein Erfolgsrezept gewesen sind. Das hat sich gewandelt. […] Mit einer rein konfrontativen Strategie beengen wir unser Spektrum total. Ich habe viele Jahre das Krokodil vom Dienst gespielt, um Österreich ein bisserl aufzuwecken. Aber heute bin ich mir einfach zu gut dazu, und die Leute haben auch eine ganz andere Erwartung von mir. Ich brauche nicht mehr irgendeinen spektakulären Sager, wo das Land dann drei Wochen diskutiert, ob ich recht habe oder nicht.« Es 517 Kurier 13.9.1999. S. 2. 518 Die Presse 2.9.1999. S. 1 und 4. 519 Kurier 9.8.1999. S. 2. 520 Der Standard 7./8.8.1999. S. 9.
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wäre daher bei der kommenden Nationalratswahl »ein fataler Fehler […], eine alte, konfrontative Oppositionsstrategie zu fahren«. Das würde die FPÖ wieder hinter das bereits Erreichte zurückwerfen. »Die Alternative muss heißen, dass man es uns zutrauen muss ! Man muss uns zutrauen, dieses Land zu regieren.«521 Die FPÖ wurde seit längerem von geschickten Spindoktoren in der allgemeinen Wende- und Proteststimmung als politischer Proteststaubsauger positioniert. Am Vorabend der Nationalratswahl bemerkte der »Kurier« in einer Stimmungsschilderung, freiheitliche Funktionäre würden übereinstimmend die Meinung vertreten, die Stimmung für die Partei sei noch nie so gut wie diesmal gewesen. »Selbst ›Blaue‹ Spitzenfunktionäre wollen es nicht so recht glauben, wenn sie in bisher ›Schwarzen‹ Tiroler Alpentälern schulterklopfend empfangen werden. Oder wenn sie in den ›Roten‹ Wiener Hochburgen als Retter des kleinen Mannes gefeiert werden. Und das, obwohl in Österreich die Voraussetzungen für die Protestpartei FPÖ scheinbar nicht gegeben sind : Österreich ist das drittreichste EU-Land, noch nie gab es so viele Beschäftigte, die Arbeitslosenrate ist vergleichsweise niedrig. Was treibt die Wähler dennoch ins blaue Lager ? Das freiheitliche ›Totschläger-Argument‹ bei jedem Vorschlag von SP oder VP – ›warum wurde das nicht in den vergangenen 13 Jahren umgesetzt‹ – traf den Nerv vieler Verdrossener, trotz guter Wirtschaftsdaten. […] Zweiter Argumentationsstrang : Jörg Haider ist Landeshauptmann in Kärnten, die Freiheitlichen sind also keine bloße ›Nein-Sager‹-Partei, sondern können auch regieren. Ob es den Menschen im südlichsten Bundesland wirklich besser geht, lässt sich nach fünf Monaten leicht behaupten.«522 Anneliese Rohrer diagnostizierte scharfsinnig eine im Wechselspiel von Haider und den Medien erzeugte Wendestimmung, die Wasser auf die Mühlen des FPÖ-Wahlkampfes war. Die Medien würden, wenngleich von Haider als feindliche Vierte Gewalt apostrophiert, als Verstärker der FPÖ-Propaganda fungieren. »Wenn man gewissen Politik-Theoretikern in ihrer Argumentation folgt, dann ist das Land von einer Wende-Stimmung erfasst, von einer Sehnsucht nach einem ›Wechsel‹ ohne genaue Vorstellungen von dessen Richtung ; von einer politischen Stimmung, in der ›Wechsel‹ einen Wert an sich darstellt, und die politischen (Farb-)Magazine dabei eine Rolle spielen wie nie zuvor. Aber eben diese Rolle ist ausländischen Beobachtern schwer begreiflich zu machen : Unter dem Vorwand, einen weiteren Höhenflug der FPÖ und Jörg Haiders verhindern zu wollen, beflügeln sie eben diesen wöchentlich mit Titelgeschichten über eine schwarz-blaue Regierung und Schlagzeilen wie ›Haider lässt die Puppen tanzen‹, wobei auf den ersten Blick nicht ersichtlich ist, dass die Puppen seine eigenen Leute sind. Die Botschaft ist nur : Haider kann andere tanzen lassen. Eine bessere PR 521 Die Presse 6.8.1999. S. 3. 522 Kurier 26.9.1999 (Wahl-Sonderbeilage). S. 4.
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kann selbst in der FPÖ niemandem einfallen. Dahinter stehen handfeste kommerzielle Interessen, weil sich Haider-Titelgeschichten eben am besten verkaufen. Man könnte Ausländern auch ganz einfach erklären, dass die Magazine die WendeStimmung im Land damit aufgreifen und verstärken – und außerdem in die eigene Zukunft investieren. Denn es ist nicht viel Phantasie notwendig, um zu erahnen, wie sich ein tatsächlicher Umbruch am 3. Oktober medial ausschlachten lässt.«523
VI.4 Die Grünen VI.4.1 Aus den Turbulenzen in ruhigeres Fahrwasser 1996/97 Am 23. November 1996 feierten die Grünen ihr zehnjähriges Parlamentsjubiläum. 1986 waren sie unter dem Namen »Grüne Alternative – Liste Freda Meissner-Blau« mit 4,8 Prozent erstmals in den Nationalrat eingezogen. In den folgenden zehn Jahren boten die Grünen das Bild innerer Zerrissenheit, die sich auch in einem raschen Wechsel an der Parteispitze sowie der Position des Klubobmanns manifestierte. Bereits im Dezember 1987 folgte der Bruch mit den »Vereinigten Grünen« (VGÖ), im November 1988 traten Freda Meissner-Blau und Walter Geyer von den Funktionen der Klubchefin und ihres Stellvertreters zurück. Bis 1990 übernahm Andreas Wabl die Funktion des Klubobmanns, gefolgt von Johannes Voggenhuber, der im Jänner 1992 wegen seines umstrittenen Kurses vom Parlamentsklub zum Rücktritt gezwungen wurde. Ihm folgte Madeleine Petrovic und im Oktober 1992 wurde der Wiener Gemeinderat Peter Pilz in die neue Funktion des Parteichefs (Bundessprecher) gewählt. Bei der Nationalratswahl im Oktober 1994 erzielten die Grünen mit ihrer Spitzenkandidatin Madeleine Petrovic mit 7,3 Prozent ihr bisher bestes Ergebnis. Die erfolgreiche Klubobfrau wurde einen Monat später auch Bundessprecherin, konnte jedoch den Absturz der Partei bei der Nationalratswahl im Dezember 1995 auf 4,8 Prozent nicht verhindern und wurde im März 1996 von dem nicht amtsführenden Wiener Stadtrat Christoph Chorherr in der Funktion der Bundessprecherin/ des Bundessprechers abgelöst. Die Grünen traten nach zehn Jahren stimmen- und mandatsmäßig auf der Stelle. Eine enttäuschte Freda Meissner-Blau bemerkte : »[Es ist für mich] ein bissl eine Enttäuschung, dass die Grünen heute kaum weiter sind als vor zehn Jahren, was die Akzeptanz in der Bevölkerung betrifft.«524 Um die Wahlchancen der Partei zu vergrößern und diese nach dem Muster der deutschen Grünen regierungsfähig zu machen, unternahm der als politischer Pragmatiker und »Realo« geltende Christoph Chorherr den Versuch, die Partei aus der Verankerung in ideologischen Extrempo523 Anneliese Rohrer : Die Haider-Macher. – In : Die Presse 24.9.1999. S. 2. 524 Der Standard 16./17.11.1996. S. 6.
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kann selbst in der FPÖ niemandem einfallen. Dahinter stehen handfeste kommerzielle Interessen, weil sich Haider-Titelgeschichten eben am besten verkaufen. Man könnte Ausländern auch ganz einfach erklären, dass die Magazine die WendeStimmung im Land damit aufgreifen und verstärken – und außerdem in die eigene Zukunft investieren. Denn es ist nicht viel Phantasie notwendig, um zu erahnen, wie sich ein tatsächlicher Umbruch am 3. Oktober medial ausschlachten lässt.«523
VI.4 Die Grünen VI.4.1 Aus den Turbulenzen in ruhigeres Fahrwasser 1996/97 Am 23. November 1996 feierten die Grünen ihr zehnjähriges Parlamentsjubiläum. 1986 waren sie unter dem Namen »Grüne Alternative – Liste Freda Meissner-Blau« mit 4,8 Prozent erstmals in den Nationalrat eingezogen. In den folgenden zehn Jahren boten die Grünen das Bild innerer Zerrissenheit, die sich auch in einem raschen Wechsel an der Parteispitze sowie der Position des Klubobmanns manifestierte. Bereits im Dezember 1987 folgte der Bruch mit den »Vereinigten Grünen« (VGÖ), im November 1988 traten Freda Meissner-Blau und Walter Geyer von den Funktionen der Klubchefin und ihres Stellvertreters zurück. Bis 1990 übernahm Andreas Wabl die Funktion des Klubobmanns, gefolgt von Johannes Voggenhuber, der im Jänner 1992 wegen seines umstrittenen Kurses vom Parlamentsklub zum Rücktritt gezwungen wurde. Ihm folgte Madeleine Petrovic und im Oktober 1992 wurde der Wiener Gemeinderat Peter Pilz in die neue Funktion des Parteichefs (Bundessprecher) gewählt. Bei der Nationalratswahl im Oktober 1994 erzielten die Grünen mit ihrer Spitzenkandidatin Madeleine Petrovic mit 7,3 Prozent ihr bisher bestes Ergebnis. Die erfolgreiche Klubobfrau wurde einen Monat später auch Bundessprecherin, konnte jedoch den Absturz der Partei bei der Nationalratswahl im Dezember 1995 auf 4,8 Prozent nicht verhindern und wurde im März 1996 von dem nicht amtsführenden Wiener Stadtrat Christoph Chorherr in der Funktion der Bundessprecherin/ des Bundessprechers abgelöst. Die Grünen traten nach zehn Jahren stimmen- und mandatsmäßig auf der Stelle. Eine enttäuschte Freda Meissner-Blau bemerkte : »[Es ist für mich] ein bissl eine Enttäuschung, dass die Grünen heute kaum weiter sind als vor zehn Jahren, was die Akzeptanz in der Bevölkerung betrifft.«524 Um die Wahlchancen der Partei zu vergrößern und diese nach dem Muster der deutschen Grünen regierungsfähig zu machen, unternahm der als politischer Pragmatiker und »Realo« geltende Christoph Chorherr den Versuch, die Partei aus der Verankerung in ideologischen Extrempo523 Anneliese Rohrer : Die Haider-Macher. – In : Die Presse 24.9.1999. S. 2. 524 Der Standard 16./17.11.1996. S. 6.
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sitionen zu lösen und in einer linken Mitte zu positionieren. Dies war auch deshalb notwendig, da die Grünen in Gestalt des Liberalen Forums einen Konkurrenten, vor allem bei den urbanen gebildeten Schichten, erhalten hatten. Programmatische Profilierung auch innerhalb des oppositionellen Spektrums schien ein Gebot der Stunde, weshalb Bundessprecher Christoph Chorherr auf einem Bundeskongress in Linz am 1. Februar 1997 unter dem Motto »Grüner Kompass für eine andere Politik« eine Diskussion über Grundwerte zu initiieren versuchte. Er unternahm mit den Hinweis auf eine notwendige Modernisierung den Versuch, die vier Grundwerte der Grünen – Ökologie, Basisdemokratie, Gewaltfreiheit, Solidarität – auf sechs zu erweitern : Solidarität, Ökologie und Nachhaltigkeit, Autonomie und Selbstbestimmung, Demokratisierung, Abbau von Gewalt und Geschlechterdemokratie. Im Vorfeld des Bundeskongresses erklärte der Bundessprecher seine Vorstellung von Modernisierung : »[Modernisierung heißt], dass wir vor zehn Jahren vor allem mit der ökologischen Frage begonnen haben. 1997 heißt das, dass wir die ökologische Frage mit der sozialen Frage koppeln müssen. Wenn nicht eine radikale Änderung der Politik passiert, werden Arbeitslosigkeit und Armut zunehmen – und das, obwohl die Gesellschaft von Jahr zu Jahr reicher wird. Modernisierung der Grünen heißt, dass wir auf diese sich neu stellenden Fragen nicht mit unserer alten Programmatik, vor allem nicht mit unserer alten Ausrichtung in der öffentlichen Wahrnehmung als ausschließliche Öko-Partei antworten können. Wir sind in den Augen vieler noch keine Partei, der man Problemlösungskompetenz in der Sozialfrage zutraut. […] Kompetenz erhält man, indem man nachhaltig Politik macht, indem man langfristigen Entwicklungen Vorrang vor der kurzfristigen Aufgeregtheit gibt. Es ist vielleicht wenig spektakulär, ein neues Programm zu haben – aber es ist wichtig.« Die Partei müsse sich jenseits der fünf Prozent entwickeln und regierungsfähig werden, denn Opposition sei kein Selbstzweck.525 Neue konkrete programmatische Angebote sollten eine ökologische Steuerreform, die Reduzierung der Arbeitslosigkeit durch Arbeitszeitverkürzung und Investitionen in grüne Energieträger, wie Solar- und Windkraft, sowie die Schaffung einer Grundsicherung in der Höhe von 15.000 Schilling bilden. Die Diskussion über eine neue programmatische Positionierung sollte bis zum Herbst abgeschlossen und der »Grüne Kompass« auf einem Bundeskongress beschlossen werden. Zudem begann 1997 aufgrund einer von der Bundesführung konstatierten ideologischen Schnittmenge das Wort von einer linksliberalen Ampelkoalition (Rot-Grün-Orange) die Runde zu machen. Die programmatischen Pläne Chorherrs stießen jedoch auf teilweise heftigen innerparteilichen Widerstand. Die Abgeordnete Doris Pollet-Kammerlander sah kei525 Der Standard 25./26.1.1997. S. 7.
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nen Anlass für eine »beliebige« Vermehrung der Grundwerte und EU-Abgeordneter Johannes Voggenhuber blickte auf »das Bemühen, Grundwerte neu zu erfinden, mit einigem Erstaunen«. Es gebe »keine Bedürfnisse, kreativ ergänzend zu wirken«.526 Die Bemühungen des Bundessprechers blieben im Ansatz stecken und wurden wenig später von einer ausbrechenden heftigen Personaldebatte überdeckt. Die Wiener Landtagswahl vom 13. Oktober bescherte den Grünen mit 7,9 Prozent sieben Abgeordnete. Nach einer internen Absprache teilten sich die Klubführung Christoph Chorherr und Peter Pilz. Chorherr, der gleichzeitig als Bundessprecher der Grünen fungierte, sollte als »Innenminister«, Peter Pilz als »Außenminister« fungieren. Die Absprache hielt jedoch nur wenige Wochen. Chorherr fühlte sich von dem politischen Alleindarsteller Pilz zunehmend an den Rand gedrängt und Pilz wurden von mehreren Grün-Mandataren Starallüren und eine herrische Art nachgesagt. Die Stimmung in der Rathausfraktion wurde zunehmend angespannt. Pilz, der zu politischen Alleingängen neigte, brachte das Fass zum Überlaufen, als er sich Ende Februar 1997 für einen gemeinsamen Präsidentschaftskandidaten von SPÖ, Liberalem Forum und Grünen aussprach. Dieser politische Alleingang löste massive Verärgerung aus, da im Bundesvorstand eine solche Variante zwar besprochen worden war, jedoch zunächst informative Gespräche mit der SPÖ und dem LIF geführt werden sollten, bevor man mit dem Plan an die Öffentlichkeit gehen wollte. Sowohl in der Wiener Rathausfraktion wie auch im Bundesvorstand plädierte man für eine Ablöse von Pilz als zweiten Klubobmann im Wiener Rathaus. Als Pilz von dieser Entwicklung erfuhr, entschied er sich für eine Vorwärtsstrategie und trat unter erheblichen innerparteilichen Turbulenzen von seiner Funktion als Klubobmann zurück. Wenngleich Johannes Voggenhuber nicht zu den engen Weggefährten von Peter Pilz gehörte, so sah er sich dennoch veranlasst, für diesen nunmehr öffentlich Partei zu ergreifen. In der Rücktrittspressekonferenz von Peter Pilz erklärte er : »Ich spreche dem Wiener Landtagsklub das Recht zu Dilettantismus, zu politischer Stümperei und Zerstörung ab.«527 In Interviews übte er zudem massive Kritik an der Bundesführung, wobei Christoph Chorherr und Bundesgeschäftsführerin Ulrike Lunacek im Mittelpunkt seiner Kritik standen. Als Chorherr erwiderte, bei Voggenhuber gehe individuelle Profilierung vor Loyalität, und Lunacek dem EUAbgeordneten vorwarf, seine Kritik nur allgemein gehalten und nicht begründet zu haben, griff dieser zur Feder und präzisierte seine Kritik in vier Punkten. Die Krise der Grünen sei eine Führungs-, Kompetenz-, Strategie- und parlamentarische Krise. In seinem Antwortschreiben bemerkte er unter Bezugnahme auf die gescheiterte Grundwertediskussion in Linz u. a.: »Die verunglückte Grundwertediskussion hat nur ein weiteres Mal die Neigung von Teilen der grünen Führungsebene aufgezeigt, 526 Der Standard 27.1.1997. S. 4. 527 Profil 10/1997. S. 19.
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sich in ideologische Nischen zu flüchten, anstatt innovativ kompetente und glaubwürdige Antworten zu entwickeln. […] Scheinkontroversen über illusionäre Koalitionsformen oder metaphysische Reinheitsgebote zur Opposition lähmen die strategische Debatte, anstatt eine autonome grüne Politik zu forcieren.«528 Die in aller Öffentlichkeit ausgetauschten »Freundlichkeiten« offenbarten grundlegende ideologisch-programmatische Divergenzen und persönliche Animositäten. Die Grünen erweckten in der Öffentlichkeit den Eindruck einer zerstrittenen, fast ausschließlich mit sich selbst beschäftigten Öko-Partei mit der Neigung zum politischen Sektierertum. Angesichts der bevorstehenden Landtagswahlen in Oberösterreich am 5. Oktober 1997, in Niederösterreich am 22. März 1998 und in Kärnten, Tirol und Salzburg am 7. März 1999 verschlechterten sich durch die innerparteilichen Turbulenzen die Ausgangspositionen der jeweiligen Landesorganisationen. Vor allem die Landesorganisationen drängten auf eine rasche Klärung auf einem erweiterten Bundesparteivorstand am 5. März. Die Grünen hätten »anderes zu tun als unnütze Personaldiskussionen,« erklärte der Salzburger Landessprecher Christian Burtscher, der steirische Abgeordnete und Klubobmann Martin Wabl forderte, »persönliche Eitelkeiten hintanzustellen«, und der oberösterreichische Spitzenkandidat Rudi Anschober äußerte öffentlich sein Missbehagen über die internen Auseinandersetzungen, die seine Wahlchancen beeinträchtigten.529 Bundessprecher Chorherr war sichtlich um Kalmierung bemüht und verglich die Turbulenzen bei den Grünen mit dem Umbau eines Hauses. »Wenn man umbaut, dann staubt es und man hat Dreck in den Augen. Wenn sich der Staub legt, werden wir Wichtiges geleistet haben.«530 Der erweiterte Bundesparteivorstand, an dessen Sitzung auch Peter Pilz und Johannes Voggenhuber teilnahmen, sprach Bundessprecher Christoph Chorherr und Bundesgeschäftsführerin Ulrike Lunacek das Vertrauen aus. Beendigung der Personaldebatte war die Devise, man wollte sich nunmehr verstärkt der Schärfung von inhaltlichen Positionen widmen. Die Abgeordnete Terezija Stoisits bemerkte, kein Mensch interessiere sich für die Personaldiskussion der Grünen. »Wir müssen vielmehr die inhaltlichen Positionen wieder auf Vordermann bringen.« Eine Programmgruppe um Peter Pilz sollte zu diesem Zweck bis zur nächsten Sitzung des erweiterten Bundesvorstandes entsprechende Vorschläge erarbeiten. Die nach außen präsentierte Einigkeit und Ruhe täuschte allerdings, da einer der vehementesten innerparteilichen Kritiker, Johannes Voggenhuber, an seinen Positionen festhielt und nach wie vor eine »tiefgreifende Reform der Partei« und eine »politische Neuori528 Zit. ebda. S. 20. 529 Die Presse 4.3.1997. S. 6. 530 Der Standard 3.3.1997. S. 5.
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entierung« forderte.531 Die Tiroler Landesrätin Eva Lichtenberger kommentierte die Entwicklung mit der Bemerkung : »Die Kampfhähne haben gekämpft und ihre Wunden geleckt. Nun müssen wir uns inhaltlich positionieren und eine Strategie überlegen, um in den politischen Diskurs wieder einzusteigen.«532 Dieses Wiedereinsteigen in den politischen Diskurs sollte am 22. März bei einem erweiterten Bundesvorstand erfolgen. Die von Bundessprecher Christoph Chorherr angestrebte Professionalisierung der Parteistruktur und -arbeit stieß dabei jedoch auf wenig Gegenliebe. Chorherr plante, die Funktion des Bundessprechers zu der eines Parteiobmanns mit Entscheidungskompetenz aufzuwerten. Zudem sollte die Zusammensetzung der Führungsgremien neu überdacht werden und der Parteimanager/-geschäftsführer vom Parteiobmann bestellt werden. Diese Änderung hätte eine Statutenänderung erfordert, zu der sich jedoch bereits im Vorfeld der Sitzung des erweiterten Bundesparteivorstandes die ablehnenden Stimmen vernehmbar machten. So sprach sich Klubobfrau Madeleine Petrovic gegen ein solches Vorhaben ebenso aus wie die Umweltsprecherin Monika Langthaler, die darauf hinwies, dass mit einer Statutenänderung und einer Aufwertung des Bundessprechers die Grundprobleme der Grünen nicht verschwinden würden. Die personellen und strukturellen Probleme der Grünen blieben bestehen. Bundessprecher Chorherr und Bundesgeschäftsführerin Lunacek waren bis zum Bundeskongress im Frühjahr 1998 gewählt, deuteten jedoch mehrfach an, dass sie sich angesichts der anhaltenden inhaltlichen und strukturellen Probleme bei den Grünen nicht neuerlich bewerben würden. Die strukturellen Probleme erzeugten aufgrund des Umstandes, dass Bundessprecher Chorherr zwar im Wiener Gemeinderat, jedoch nicht im Nationalrat saß, interne Kommunikationsprobleme und Reibungsverluste. Hinzu traten die anhaltenden programmatischen Differenzen und nach wie vor bestehenden persönlichen Animositäten. Zur Jahresmitte 1997 wurde deutlich, dass auf dem Bundeskongress 1998 die personellen Weichen neu gestellt werden mussten. Der Nachfolger von Christoph Chorherr musste auch der Spitzenkandidat für die Nationalratswahl 1999 sein. Und er sollte mit klaren programmatischen Positionen in die Wahlauseinandersetzung gehen können. Um diese programmatischen Positionen wurde jedoch heftig gerungen. Die Positionen der Grünen waren in zentralen Bereichen schwankend und abgelaufenen linken ideologischen Denkmustern verpflichtet. Umweltsprecherin Monika Langthaler merkte kritisch an, die Grünen hätten die tiefgreifenden Folgen des Jahres 1989 nicht zur Kenntnis genommen.533 Auch in der Frage der Dynamik des europäischen 531 Die Presse 6.3.1997. S. 8. 532 Der Standard 21.3.1997. S. 5. 533 Der Standard 21.3.1997. S. 5.
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Einigungsprozesses spielten die Grünen 1997 – ähnlich wie bei der Volksabstimmung 1994 – nur die Rolle des zerstrittenen Zaungastes. Im Frühjahr 1993 hatten sich die Grünen bei einer Bundestagung auf eine grundsätzliche Ablehnung eines österreichischen EU-Beitritts festgelegt. Die auch nach der erfolgten Volksabstimmung 1994 vorgebrachte Begründung lautete, bereits die Gründer der Gemeinschaft für Kohle und Stahl hätten auf die Schaffung der Vereinigten Staaten von Europa gezielt. »Mit Maastricht hat sich der Zentralismus in der EU in einigen Bereichen noch darüber hinaus entwickelt. Inzwischen dominieren Großmachtsträume, deutsch-französisches Hegemoniestreben und das Wettrennen um die beherrschende Stellung am Weltmarkt die Strategien der EU. Dieser bürokratisch-zentralistische Integrationsprozess der EU führt aber nicht zur Überwindung des Nationalstaates, sondern im Gegenteil zur Gründung eines westeuropäischen Nationalstaates mit Weltmachts-Ambitionen. Zentralismus, Demokratieverweigerung, Einheitsrecht und die Abwertung der Regionen gießen in Wahrheit Öl ins Feuer des Nationalismus.« Die geplante Wirtschafts- und Währungsunion »wird zu einer Beschleunigung der Umweltzerstörung in fast allen Bereichen führen«. Und in der EU bleibe das Ziel der europäischen Union, »Europa als sozialer Raum«, unerfüllt. »Für den Beitritt zur Währungsunion gelten harte budgetund geldpolitische Konvergenzkriterien. Eine undifferenzierte Hartwährungspolitik, der Zwang zum schnellen Abbau der Budgetdefizite, die Angleichung des Zinsniveaus und der Inflationsraten sowie die ›unwiderrufliche‹ Festsetzung der Wechselkurse werden massiven Druck auf die sozialen und ökologischen Standards ausüben.«534 Die Festlegung auf einen Anti-EU-Kurs blieb innerparteilich allerdings umstritten. So wies Umweltsprecherin Monika Langthaler darauf hin, dass sich rund 50 Prozent der Grün-Sympathisanten keineswegs mit der Anti-EU-Linie der Partei indentifizieren könnten, weshalb die Partei in dem bevorstehenden EU-Referendum keine Empfehlung abgeben solle. Im Gegensatz dazu forderte Europa-Sprecher Johannes Voggenhuber ein »Nein ohne Wenn und Aber«, stieß jedoch selbst bei Beitrittsgegnern wie Peter Pilz mit dieser strikten Position auf Kritik. Die Grünen blieben, trotz der offiziellen Anti-EU-Linie, in sich gespalten und der innerparteiliche Konflikt zwischen Voggenhuber und Langthaler erreichte am Vorabend des EU-Referendums seinen Höhepunkt, als Voggenhuber die Ablöse Langthalers als Umweltsprecherin forderte, da sie zentrale Anliegen der Partei offensichtlich nicht mittragen könne. Anfang Mai 1994 beschloss ein Bundeskongress in Goldegg mit 87,3 Prozent der Delegiertenstimmen die ablehnende Stellungnahme zu einem EU-Beitritt Öster534 Johannes Voggenhuber : Die EU reformieren ! Die europäische Integration und die Politik der GRÜNEN vor und nach der österreichischen Volksabstimmung. – In : ÖJP 1994. – Wien/München 1995. S. 379–412. S. 380ff.
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reichs.535 Wenngleich bei der Volksabstimmung am 12. Juni 1994 die Mehrheit der Grün-Sympathisanten dieser Aufforderung folgte, so war diese Mehrheit mit 62 Prozent keineswegs überwältigend. 38 Prozent der Grün-Sympathisanten votierten für einen EU-Beitritt des Landes und schenkten den an die Wand gemalten Horrorszenarien keinen Glauben.536 Drei Jahre später initiierte die FPÖ angesichts des Wirksamwerdens des Maastricht-Vertrages, der den Fahrplan für die Einführung einer gemeinsamen europäischen Währung enthielt, ein »Schilling-Volksbegehren«, in dem die zwingende Abhaltung einer Volksabstimmung vor der Einführung einer gemeinsamen europäischen Währung gefordert wurde. Das vom 24. November bis 1. Dezember 1997 durchgeführte Volksbegehren erreichte lediglich 248.787 Unterschriften, stellte jedoch die Grünen angesichts der bei ihnen nach wie vor dominanten Anti-EUStimmung und den behaupteten negativen Auswirkungen einer gemeinsamen Wirtschafts- und Währungsunion vor erhebliche Herausforderungen. Der Richtungsstreit des Jahres 1993/94 flammte im Sommer 1997 neuerlich auf. Während sich Bundessprecher Christoph Chorherr, unterstützt von Monika Langthaler und Alexander Van der Bellen, mit dem Argument, es seien Irritationen auf den Weltmärkten zulasten des Schillings zu befürchten, und eine Nichtbeteiligung Österreichs an der Währungsunion würde erhebliche Risiken in sich bergen, gegen das Volksbegehren aussprach, erwiderte der EU-Parlamentarier und Europasprecher der Grünen, Johannes Voggenhuber, es sei »unverständlich, dass sich ein Grüner auf die Seite der Währungsmärkte« stelle. Der Bundessprecher habe nur eine »Privatmeinung« geäußert. Die Grünen könnten nur dann eine positive Stellungnahme zur geplanten Euro-Einführung abgeben, wenn sichergestellt sei, dass sich die EU auch zu einer Sozialunion entwickle. Die Idee einer gemeinsamen Währung finde zwar prinzipiell seine Zustimmung, doch werde diese von den Vertretern des dominanten Neoliberalismus dazu missbraucht werden, unter dem Vorwand der Konvergenzkriterien Sozialstandards und die Soziale Marktwirtschaft zu beseitigen. Und auch die grüne Klubobfrau Madeleine Petrovic ließ wissen, dass ihrer Meinung nach die negative Haltung vieler gegenüber der EU aufgrund des zu erwartenden Abbaus der Umwelt- und Sozialstandards durchaus verständlich sei. Sie würde daher eine vom Nationalrat beschlossene Volksabstimmung durchaus begrüßen, »die schlimmstenfalls auch mit dem Austritt Österreichs aus der Union enden könnte«.537 Die Grünen waren sich weder in Fragen der europäischen Integration einig noch in der ange535 Franz Heschl : Drinnen oder draußen ? Die öffentliche österreichische EU-Beitrittsdebatte vor der Volksabstimmung 1994. – Wien/Köln/Weimar 2002. S. 53ff. 536 Fritz Plasser, Franz Sommer, Peter A. Ulram : Entscheidung für Europa. Analyse der Volksabstimmung über den EU-Beitritt Österreichs 1994. – In : ÖJP 1994. S. 325–354. S. 346. 537 SN 20.8.1997. S. 2.
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sichts der Nationalratswahl 1999 notwendigen programmatischen Positionierung, um die seit 1995 gerungen wurde. Auf einem Bundeskongress am 18./19. Oktober 1997 in Graz sollte ein seit zwei Jahren diskutiertes neues Parteiprogramm verabschiedet werden, gefolgt von der Wahl einer neuen Parteispitze im Frühjahr 1998 als personelles Angebot für die Nationalratswahl 1999. Die Koordination der Diskussion über das neue Parteiprogramm oblag dem geschäftsführenden Obmann der grünen Parteiakademie, Wilfried Graf, der die Ansicht von Bundessprecher Chorherr von einer ideologischen Neupositionierung der Grünen teilte. In den insgesamt drei Entwürfen für das neue Parteiprogramm erfolgten vorsichtige Änderungen der Positionen zur Rolle des Staates sowie, angesichts der Entwicklung einer europäischen Sicherheitsarchitektur sowie der kriegerischen Erscheinungen im ehemaligen Jugoslawien, zur Außen- und Sicherheitspolitik. Wenngleich grundsätzlich die Sozialpolitik als staatliche Aufgabe anerkannt wurde, so erfolgte nunmehr eine Betonung der Wahlfreiheit des Bürgers zwischen dem Angebot staatlicher und privater Institutionen. Die Grünen, so Thomas Chorherr, offerierten damit einen »dritten Weg« zwischen Sozialdemokraten und Liberalen sowie Konservativen. »Vieles von dem, was man den Sozialdemokraten bei der Betreuung an Bevormundung vorwirft, stimmt. Nur die Antwort von Neuliberalen in unterschiedlichem Gewand bedeutet ein Drittel fast aus der Demokratie herauszukatapultieren.«538 Im sicherheitspolitischen Teil erfolgte zwar eine deutliche Absage an die Integration der WEU und der EU in die NATO und bekannten sich die Grünen nach wie vor zu einer Allianzfreiheit und Friedenspolitik, doch sei, so Wilfried Graf, die klassische österreichische Neutralitätspolitik in der EU nicht aufrechtzuerhalten. Die Grünen könnten nicht auf der Basis einer »Selbstlüge« ihre Außen- und Sicherheitspolitik gestalten. Es sei daher eine »Neudefinition« der Neutralitätspolitik ebenso notwendig wie die Mitwirkung Österreichs an einem kooperativen Sicherheitssystem. Dieses sollte durch eine »Reform und Demokratisierung der UNO und der OSZE als Regionalsystem der UNO« erfolgen und für den Kriegsfall über eine supranationale »Friedenstruppe« verfügen.539 In einem Artikel am Vorabend des Bundeskongresses bemerkte Graf mit Blick auf die deutschen Grünen, »die umfassenden epochalen Umbrüche seit dem Ende des Kalten Krieges« würden »manche Prämissen der bisherigen Säulen grüner Politik zur Diskussion« stellen. »Der Entwurf zu einem Grundsatzprogramm der Grünen in Österreich, der gegenwärtig intensiv diskutiert wird, versucht den grünen Friedensbegriff mit den konkreten gesellschaftlichen Auseinandersetzungen in Beziehung zu setzen. Der Wert Gewaltfreiheit wird als politische Position markiert, von der wir spätestens seit Auschwitz wissen müssen, 538 Die Presse 1.8.1997. S. 3. 539 Die Presse 27.9.1997. S. 7.
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dass sie in ein Spannungsverhältnis zu anderen Grundwerten geraten kann, vor allem zu den Menschenrechten.« Daher könnten »Restaufgaben für einen Einsatz militärischer Mittel […] nicht völlig ausgeschlossen werden als ultima ratio zum Schutz einer Bevölkerung im Fall von Genozid«.540 Der Abschied vom Prinzips der völligen Gewaltfreiheit führte bei den Grünen, ähnlich wie bei den deutschen Grünen anlässlich des Beschlusses des Deutschen Bundestages über den Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Rahmen der NATO zur Abwendung einer humanitären Katastrophe im Kosovo-Konflikt,541, zu einer heftigen und kontroversiellen Debatte. Die grüne Bundesgeschäftsführerin Ulrike Luna cek betonte bei der Präsentation des Programmentwurfs, sie sehe dies »persönlich […] anders«.542 Unmittelbar vor dem Bundeskongress erhoben Europasprecher Johannes Voggenhuber, Klubobfrau Madeleine Petrovic und der Tiroler Landtagsabgeordnete Franz Klug massive Einwände gegen die neuen Tendenzen im Programmentwurf, wobei der Ersatz des Wortes »Gewaltfreiheit« durch »Friede« auf besonders heftige Kritik stieß. Für Voggenhuber war »Friede […] ein Wort, mit dem schmückt sich vom Papst bis zu Saddam Hussein und von den Grünen bis zur FPÖ jeder«. Und Madeleine Petrovic ergänzte, sie habe keineswegs den Eindruck, dass sich die Mehrheit der Grünen inhaltlich vom Prinzip der Gewaltfreiheit zu verabschieden bereit sei.543 Die Fronten waren damit bezogen, der auf dem Bundeskongress in Graz offen ausbrechende Konflikt warf seine Schatten voraus. Der Bundeskongress in Graz wurde keineswegs ein Krieg um Worte, wie Madeleine Petrovic unmittelbar vor Beginn des Bundeskongresses die Differenzen zu verharmlosen suchte, sondern ein Konflikt unterschiedlicher Fraktionen, in dem sich die »Fundis« um Johannes Voggenhuber, Karl Öllinger und Madeleine Petrovic durchsetzten. Wenngleich Wilfried Graf angesichts der massiven Vorwürfe der »Fundis« die von diesen betriebene »kollektive Verdummung in unseren eigenen Reihen« beklagte, so triumphierte Voggenhuber mit der Feststellung, dass es »dieses Programm […] nie geben« werde.544 Christoph Chorherr hatte nicht nur eine herbe politische Niederlage, sondern auch persönliche Beleidigungen erfahren, die ihn angesichts der deutlich sichtbar gewordenen innerparteilichen Kräfteverhältnisse zur vorzeitigen Resignation ver540 Wilfried Graf : »Pazifismus« in der grünen Programmdiskussion. – In : Die Presse 14.10.1997. S. 2. 541 Vgl. Joschka Fischer : Die rot-grünen Jahre. Deutsche Außenpolitik – vom Kosovo bis zum 11. September. – Köln 2007. S. 111ff.; Matthias Geyer, Dirk Kurjuweit, Cordt Schnibben : Operation Grün-Rot. Geschichte eines politischen Abenteuers. 2. Aufl. – München 2005. S. 95ff. Bei der Abstimmung im Bundestag stimmten 29 Mitglieder der grünen Fraktion für den Einsatz, neun dagegen und acht enthielten sich der Stimme. 542 Die Presse 17.10.1997. S. 8. 543 Die Presse 18./19.10.1997. S. 8. 544 Die Presse 20.10.1997. S. 6.
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anlassten. Am 27. Oktober erklärte er seinen Rückzug von der Position des Bundessprechers. Es sei ihm letztlich nicht gelungen, aus den »begnadeten Solisten ein Orchester« zu formen. »Ich habe die Streitereien satt, spreche aber der Partei Lernfähigkeit zu. Es gibt das Prinzip Hoffnung.«545 Die Grünen waren damit gezwungen, noch vor der geplanten Neuwahl der Parteispitze im Frühjahr 1998 die personellen Weichen zu stellen. Die Verwirrung innerhalb der Partei war beträchtlich, wenngleich Karl Öllinger sofort sein Interesse an der Nachfolge Chorherrs anmeldete, während der scheidende Bundessprecher angesichts der Zerrissenheit der Partei für eine Integrationsfigur plädierte. Die innerparteilichen Reaktionen auf den Entschluss Chorherrs offenbarten die tiefe Kluft, die die unterschiedlichen Fraktionen voneinander trennte. Während Voggenhuber den Rückzug Chorherrs genüsslich und sichtlich zufrieden als »respektable Entscheidung« bezeichnete, zeigte sich die Chefin der Tiroler Grünen, Landesrätin Eva Lichtenberger, vom Verhalten des fundamentalistischen Flügels auf dem Bundeskongress »bestürzt«.546 Die Außenwirkung war katastrophal. Helmut Spudlich kommentierte, dass sich »in solch geschlossener Verworrenheit […] die Grünen der Öffentlichkeit schon seit geraumer Zeit« präsentierten und »bass erstaunt« seien, wenn sie Wähler an die Liberalen verlieren. »Wenn es ihnen nicht gelingt, ihre internen Querelen beizulegen, dann könnte ihnen ebenso leicht wie seinerzeit den deutschen Grünen der Einzug ins Parlament verwehrt bleiben. In Anbetracht dieser Gefahr, die von den meisten Grünen durchaus gesehen wird, will Chorherr eine ›Integrationsfigur‹ als Nachfolger – allein woher nimmt er ›das Prinzip Hoffnung‹, auf das er sich berief ?«547 Angesichts der von den Medien breit und intensiv kommentierten innerparteilichen Turbulenzen und der verheerenden Außenwirkung war eine rasche Entscheidung mit entsprechender symbolischer Außenwirkung gefordert, wollten die Grünen nicht in die politische Bedeutungslosigkeit absinken. Am 2. November beschloss der erweiterte Bundesvorstand, die Wahl eines neuen Bundessprechers auf einem außerordentlichen Bundeskongress in Wien am 13. Dezember durchzuführen. Als mögliche Kandidaten galten Madeleine Petrovic, Karl Öllinger, Alexander Van der Bellen und Eva Lichtenberger. Die Tiroler Landesrätin ließ wissen, dass sie unter Umständen zu einer Kandidatur bereit sei. Für die Grünen gehe es nunmehr darum, »ob wir in Zukunft überhaupt noch eine Rolle auf Bundesebene spielen«, denn die Lage der Partei sei angesichts der jüngsten Ereignisse »dramatisch«. »Wir müssen uns nicht nur fragen, wie gefällt ein Kandidat uns, sondern welches Signal senden wir an unsere potentiellen Wähler.«548 545 Kurier 28.10.1997. S. 3. 546 Der Standard 28.10.1997. S. 5. 547 Helmut Spudlich : Von der Artengefährdung im politischen Biotop. – In : SN 28.10.1997. S. 1. 548 Kurier 3.2.1997. S. 2.
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Vor allem wegen der Signalwirkung nach außen musste man auf dem für 13. Dezember anberaumten außerordentlichen Bundeskongress den Eindruck der Zerrissenheit, d. h. eine Kampfabstimmung, vermeiden. Der erweiterte Bundesparteivorstand trat zur Klärung der zentralen personellen Frage am 21. November in Salzburg zusammen, um einen möglichst einstimmigen Personalvorschlag für den 13. Dezember zu erarbeiten. Da Eva Lichtenberger in der Zwischenzeit erklärt hatte, sie wolle ihre politische Arbeitskraft der Tiroler Landespolitik widmen, befanden sich nur mehr Karl Öllinger und Alexander Van der Bellen als Kandidaten im Rennen. Öllinger trat in Salzburg für die Wahl einer Doppelspitze, d. h. die Wahl Van der Bellens und seiner Person, ein. Diese Lösung würde die Breite der Grünen verdeutlichen, die durch eine Person allein nicht zu kommunizieren sei. Mit diesem Vorschlag stieß er jedoch auf entschiedene Ablehnung, da diese Lösung den Eindruck der anhaltenden Zerstrittenheit der Partei erweckt hätte. Und diesen Eindruck wollte man unter allen Umständen vermeiden. Die Entscheidung fiel mit einer Enthaltung zugunsten Alexander Van der Bellens, da man sich von dem Wirtschaftsprofessor eine bessere Außenwirkung erwartete. Wenngleich etwa zwei Dutzend Delegierte zu Beginn des Bundeskongresses Flugzettel verteilten, in denen sie vor der Wahl Alexander Van der Bellens warnten, da dieser für eine Politik der Anpassung an den neoliberalen Mainstream stehe, so vermochte dieser die Delegierten durch seine unorthodoxen und humorvollen Bemerkungen zu gewinnen. Würde ihn ein Ziegelstein treffen, so würde man wohl einen anderen zum Bundessprecher wählen. »Aber wenn mich der Ziegelstein natürlich nicht trifft, dann könnte man es vielleicht zwei Jahre versuchen mit mir.«549 82,3 Prozent der Delegierten waren bereit, es mit Alexander Van der Bellen zu versuchen. Der designierte neue Bundessprecher kommentierte seine Wahl vor allem mit Blick auf seine Kritiker zurückhaltend. »Wenn die Grünen mich akzeptieren, müssen sie mich auch mit allen meinen Fehlern annehmen.« Er stehe für »Dialogbereitschaft nach außen und innen« und es gehe ihm um eine »glaubwürdige Integration zwischen wirtschaftspolitischer Modernität und sozialpolitischer Absicherung«.550 Die Kommentare der veröffentlichten Meinung waren, im Unterschied zu den vergangenen Ereignissen, durchwegs positiv. Die Grünen erfreuten sich nach langer Zeit erstmals wiederum der so sehr ersehnten positiv besetzten Aufmerksamkeit. Die »Neue Zürcher Zeitung« kommentierte das deutliche Votum mit der Bemerkung, dass die Grünen nicht nur mangels eines Gegenkandidaten auch kaum eine andere Wahl gehabt hätten, da »periodische Hahnenkämpfe und programmatische Schwächen … der Partei ans Lebendige zu gehen« drohten. Van der Bellen ist für die Grünen nicht repräsentativ ; um so bemerkenswerter seine Wahl, die dank einer 549 Die Presse 15.12.1997. S. 6. 550 Kurier 23.11.1997. S. 2.
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Mischung aus neuer Machtbalance in der Partei und Einsicht ins Unvermeidliche zustande kam. […] Er gab nicht vor, mehr Herz denn Hirn zu haben ; ebenso wenig opferte er wissenschaftliche oder politische Einsicht billigem Schwärmen für die Utopie.«551 Mit der Wahl des Wirtschaftsprofessors, so Christoph Kotanko, könnten die Grünen »Heide Schmidt in der begehrten Mitte Stimmen streitig machen.« Voraussetzung sei, »dass man sich von der Bio-Ecke mit ihrem beinahe religiösen Fundamentalismus« verabschiede.552 Van der Bellen habe die Statur, zur »Vaterfigur« der Grünen zu werden, analysierte Helmut Spudlich. »Die Entwicklung erinnert ein wenig an Bruno Kreisky, der einer dogmatischen Partei seinen offenen Stempel aufdrückte, damit auch Nichtsozialisten ›ein Stück des Weges‹ mit der SPÖ gehen konnten. Van der Bellen hätte das Zeug, in kleinerem Maßstab den Grünen einen ähnlichen Erfolg zu bescheren.«553 VI.4.2 Stabilisierung und neue Attraktivität. Die Grünen unter Alexander van der Bellen 1998/99 Die Wahl Alexander Van der Bellens sollte sich tatsächlich als Glücksgriff erweisen. Der 1944 als Sohn einer Estin und eines Russen niederländischer Herkunft in Wien geborene Van der Bellen übersielte mit seiner Familie wenig später nach Innsbruck. Nach eigenen Angaben erfuhr er seine politische Sensibilisierung während der ÖVP-Alleinregierung unter Josef Klaus von 1966 bis 1970, die er als konservative Verprovinzialisierung Österreichs empfand. Mitte der siebziger Jahre wurde er Mitglied der SPÖ, um sie allerdings Ende der achtziger Jahre wieder zu verlassen. 1992 auf Vorschlag von Peter Pilz, den er bereits seit den frühen achtziger Jahren kannte, als Kandidat für die Position des Rechnungshofpräsidenten nominiert, kam er in engeren Kontakt mit den Grünen und wurde von diesen 1993 als Kandidat für die bevorstehende Nationalratswahl 1994 am fünften Listenplatz nominiert. Die Grünen erreichten bei der Nationalratswahl am 9. Oktober 1994 7,31 Prozent und 13 Mandate und Alexander Van der Bellen wechselte von der Wirtschaftsuniversität Wien in den Parlamentsklub der Grünen, um drei Jahre später nicht nur die Führung der Partei, sondern von Madeleine Petrovic auch jene des Parlamentsklubs zu übernehmen. Alexander Van der Bellen war der erste Bundessprecher der Grünen, der kraft seiner Persönlichkeit und vielleicht auch seines Alters zwischen den einander befehdenden Parteiflügeln zu vermitteln und damit den Eindruck der heillosen Zer551 Neue Zürcher Zeitung (NZZ) 15.12.1977. S. 4. 552 Christoph Kotanko : Eher ein Signal für Liberale als für Grüne. – In : Kurier 14.12.1997. S. 2. 553 Helmut Spudlich : Reif für eine Vaterfigur. – In : SN 15.12.1997. S. 2.
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strittenheit zu beenden vermochte. Zudem erwies er sich im Zeitalter der »TeleDemokratie« als medienpolitischer Glücksfall, bewirkte bei den Grünen einen – von der Parteilinken keineswegs goutierten – Kreisky-Effekt. Christian Neuwirth bemerkte in seiner Biografie Van der Bellens, dieser bestätige in eindrucksvoller Weise die These, dass der Persönlichkeit in der Politik eine immer zentralere Rolle zukomme. »Wenn Van der Bellen punktet, tut er das in den seltensten Fällen mittels überraschender Inhalte. Seine sachliche Kompetenz in Fragen der Finanz- und Budgetpolitik wird zwar auch von politischen Gegnern nicht bestritten, die breitere Wirkung aber erzielt Van der Bellen jedoch eher, zumindest in einem ersten Schritt, aufgrund seiner Persönlichkeit, mit der er sich von übrigen Mitbewerbern abhebt. Was schnell sicht- und fühlbar wird, ist das, was man gemeinhin ›Understatement‹ nennt ; hinzu kommt eine lässige, manchmal zu betont lässige Unaufgeregtheit, die in der Erkenntnis zu wurzeln scheint, dass Fehler im politischen Leben zum Unvermeidlichen gehören. Van der Bellens Auftreten, seine Art und Weise, sich und damit auch die Ansichten der Grünen bei Auftritten in der Öffentlichkeit und über die Medien zu transportieren, kommt ganz besondere Bedeutung zu. […] Van der Bellens öffentliche Auftritte sind in der Regel nicht durch den übermäßigen Gebrauch von Phrasen gekennzeichnet. Eine seiner Stärken ist, dass er versucht, sich auf die Situation insofern einzustellen, als er sein Gegenüber ernst nimmt. Daraus resultiert, dass er regelmäßig nachfragt, wie noch gleich die Frage lautet, die man gestellt hat. Daraus resultiert auch, dass er auf gestellte Fragen zumeist eine Antwort gibt, die mit der Frage zu tun hat – bei Politikern keine Selbstverständlichkeit. Zu erwähnen ist hier aber auch die Offenheit, mit der Van der Bellen einräumt, auf Fragen keine adäquate Antwort parat zu haben oder keine Antwort im wörtlichen Sinn zu wissen. Aus inhaltlichen Schwächen macht er auch vor laufenden Kameras kein Geheimnis.« 554 Dem sich selbst als Linksliberalen bezeichnenden Van der Bellen gelang ab 1998 nicht nur die Beendigung des in aller Öffentlichkeit ausgetragenen innerparteilichen Streits, eine zunehmende Professionalisierung der Partei- und Öffentlichkeitsarbeit sowie eine der Medienlogik entsprechende Personalisierung der Grünen, sondern auch die sukzessive Änderung der oft fundamentalen ideologischen Positionen. Die Grünen begannen sich Ende der neunziger Jahre im österreichischen Parteienspektrum als linke bis linksliberale Partei zu etablieren, die sich von ihrer monomanen Fixierung auf den Umweltschutz löste. »Eine politische Partei, die sich jenseits der zehn Prozent ansiedeln möchte, muss eine Partei sein und nicht Greenpeace. Es kann keine ›single issue‹ – Partei in dieser Hinsicht geben, das funktioniert nicht. Gerade wenn man diesen grünen, ökologischen Kern ernst nimmt, dann muss man schauen, dass man als Partei überlebt, dazu braucht man auch Sozialpolitik, 554 Christian Neuwirth : Alexander Van der Bellen. Ansichten und Absichten. – Wien 2001. S. 55ff.
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Frauenpolitik, Friedenspolitik« erklärte er sein politisches Credo. 555 Der neue Bundessprecher bemühte sich auch, sehr zum Ärger des linken und fundamentalistischen Parteiflügels, der in dem neuen Bundessprecher den personifizierten Trend zur Entpolitisierung ortete, den Geruch der utopischen Wirtschaftsfeindlichkeit und damit Nicht-regierungsfähigkeit zu beseitigen, indem er Ökonomie und Ökologie nicht als Gegensätze, sondern lediglich als aufhebbares Spannungsverhältnis betrachtete. »Ich sehe dieses Spannungsverhältnis, wenn überhaupt, dann nur in solchen Interessenskonflikten und technischen Details, aber nicht grundsätzlich. Ich sehe auch keinen Widerspruch zwischen wirtschaftlicher Entwicklung oder Wachstum und ökologischen Fragen.« 556 Zu Jahresbeginn 1998 beschloss der Bundesvorstand der Grünen auf Vorschlag Alexander Van der Bellens einen »Dialog mit der Wirtschaft«. In einem Interview bemerkte der Bundessprecher zu seiner Initiative : »Ich verstehe die gegenseitigen Vorbehalte. Die Grünen nehmen die Wirtschaft immer dann wahr, wenn ein Unternehmen umweltpolitische Vorschriften verletzt oder die Arbeitszeitvorschriften nicht beachtet werden. Da werden nur die Problemfälle wahrgenommen. Die Industrie und die Wirtschaft ihrerseits nehmen die Grünen nur dann wahr, wenn sie irgendwo Schwierigkeiten in der Umweltverträglichkeitsprüfung mit Anrainern haben. Da muss man halt die gegenseitigen Interessen wahrnehmen und darüber diskutieren. Man wird sich nicht immer einigen, aber man wird erkennen, dass das legitime Interessen auf beiden Seiten sind. […] Wenn man Manager darüber befragt, was ist gut am Wirtschaftsstandort Österreich, dann kommt als einer der ersten Punkte immer die hohe Umweltqualität. Das ist Lebensqualität auch für den Manager, der hier lebt. Wenn man dann aber fragt, was empfinden sie als negativ am Wirtschaftsstandort Österreich, dann nennen die Manager sehr rasch die Vorschriften im Bereich des Umweltschutzes. Dann muss man sich halt entscheiden. Entweder ist das gut oder nicht.«557 Er wolle durch intensive Kontakte zur Wirtschaft und viel Überzeugungsarbeit bei den Grünen eine gegenseitige Annäherung bewirken, »gegenseitige Vorurteile und Verständnisbarrieren abbauen«558 und die Grünen vom Odium des Utopismus und der Wirtschaftsfeindlichkeit befreien. Der neue Kurs der Grünen und die Person ihres Bundessprechers bewirkten einen deutlichen Anstieg der Sympathiewerte. So ergab eine Umfrage von Spectra im Sommer 1998 für die Grünen sieben Prozent, womit sie deutlich vor dem LIF mit
555 Zit. bei Neuwirth : Alexander Van der Bellen. S. 89. 556 Zit. ebda. S. 96. 557 Der Standard 24./25.1.1998. S. 5. 558 SN 11.2.1998. S. 2.
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vier Prozent lagen.559 Die strategische Ausrichtung der Partei folgte professionellen Pfaden. Über Anregung des Wiener Klubchefs Christoph Chorherr erstellte das SORA-Institut eine detailreiche Studie über das Wählerprofil und die Wahlchancen der Grünen. Dabei wurde deutlich, dass die Grünen in urbanen Ballungszentren vor allem bei ÖVP-nahen Wählerschichten potenziell zu punkten vermochten. Ein entsprechendes personelles und programmatisches Angebot an diese Wählergruppe könne den Grünen jene Stärke verschaffen, die sie als Partner für eine mögliche Ampelkoalition interessant machen würden. Im Sommer 1998 änderten allerdings die Grünen die Prioritäten ihrer politischen Optionen. Hatten sie noch unter Madeleine Petrovic eine Politik der Regierungsfähigkeit auf ihre Fahnen geschrieben, um spätestens nach der Nationalratswahl 1999 in eine Ampelkoalition eintreten zu können, so wurden diese Überlegungen nunmehr mit der Begründung ad acta gelegt, dass es nach der kommenden Nationalratswahl auch aufgrund einer ablehnenden Haltung der SPÖ-Gewerkschafter gegenüber den Grünen eine Fortsetzung der SPÖ-ÖVP-Koalition geben werde. So bemerkte Madeleine Petrovic auf die Frage nach einer rot-grünen Koalition nach deutschem Vorbild, dafür gebe es »in der SPÖ ganz sicher keine Mehrheit«. Zudem wäre eine solche Koalition für die Grünen derzeit unattraktiv : »Das SPÖProgramm ist das Programm eines Kanzlerwahlvereins – nirgends anecken, flotte Worte, und alles übers Internet. … Das ist keine Basis.«560 Alexander Van der Bellen erklärte, die SPÖ wolle derzeit weder eine rot-grüne noch eine Ampelkoalition, sondern »das Erpressungspotential, das die ÖVP hat [Bildung einer ÖVP-FPÖ-Regierung, Anm. d. Verf.], auf ihre Seite ziehen. Die ÖVP kann sagen : Moment, wir können ja auch anders, theoretisch, wir wollen zwar nicht, aber theoretisch geht’s. Und dieses Drohpotential zu haben, wäre der SPÖ natürlich recht. Wir sind nicht der Bauer der SPÖ auf dem Schachbrett der Politik. Nein. Da spielen wir nicht mit […]«561 Erklärtes Ziel der Grünen war es, mit einem deutlichen Zugewinn in den kommenden Nationalrat einzuziehen und die Zweidrittelmehrheit der Koalition zu brechen. Dabei setzte man auf einen auf die populäre Person des Bundessprechers zugeschnittenen Persönlichkeitswahlkampf, mit dem man vor allem Stimmen aus dem Nichtwähler- und Protestwählerpotenzial sowie jenem des Liberalen Forums zu gewinnen hoffte. Das für den Wahlkampf 1999 entwickelte Szenario erfuhr im Herbst 1998 durch krisenhafte Entwicklungen in der steirischen und Salzburger Landesorganisation sowie den offen ausbrechenden Kampf um die Plätze auf der Bundesliste deutliche Trübungen. Die Sprecherin der steirischen Landesorganisation, Doris Pollet-Kam559 Der Standard 3.8.1998. S. 6. 560 Der Standard 19.10.1998. S. 6. 561 Die Presse 16.10.1998. S. 11.
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merlander, nahm nach nur sechs Monaten nicht nur Abschied von ihrer Funktion, sondern auch von der Politik, als sie bei den Vorwahlen in einer Regionalkonferenz in Graz nur auf den demütigenden dritten Platz gereiht wurde. Sie kritisierte den letztlich unmöglichen »Spagat zwischen basisdemokratischem Anspruch und einem Anspruch der Professionalität« und dass politische Erfahrung »derzeit zu wenig beachtet werde«.562 Und sie warf den Grünen eine programmatische Verengung sowie außenpolitische Ahnungslosigkeit vor.563 Ebenso kündigte der Langzeit-Parlamentarier und ehemalige Klubobmann Martin Wabl angesichts der notwendigen 75-prozentigen Mehrheit für seine neuerliche Kandidatur seinen Rückzug aus der Partei an. In der Partei herrschte ein wirklichkeits- und politikfremder Basisfundamentalismus. Wabl folgte als neuer steirischer Spitzenkandidat der 36-jährige Volkswirt Werner Kogler, der bereits 1985 für die Grünen in den Grazer Gemeinderat eingezogen war und zu den Mitarbeitern Alexander Van der Bellens mit dem Schwerpunkt Ökosteuern und ökosoziale Marktwirtschaft zählte. In Salzburg herrschte nach einem Bruch zwischen Herbert Fux, einem der Gründungsväter der Bürgerliste, und der Bürgerliste um Stadtrat Johann Padutsch564 Verwirrung um den Spitzenkandidaten für die Landtagswahl am 7. März 1999. Spitzenkandidat Christian Burtscher kündigte nach monatelangen internen Konflikten im Oktober 1998 überraschend seinen Rückzug an und löste damit ein heftiges innerparteiliches Ringen aus, das erst durch die direkte Intervention der Bundesspitze und die Nominierung des Goldegger Kommunalpolitikers Cyriak Schwaighofer als Kompromisskandidat gelöst wurde.565 Vor allem die turbulenten Vorgänge in Salzburg zeigten in der Analyse von Elisabeth Wolfgruber, dass die sich noch nicht als klassische Partei, sondern als Bewegung verstehenden Grünen »bei der Listenerstellung, wo es sehr wohl um die Verteilung politischer Machtpositionen geht, Opfer ihres eigenen Politikkonzepts« wurden. »Intern wie extern praktizierte maximale Offenheit und minimal gesteuerte Partizipationsmöglichkeiten führten hier zu Ergebnissen und nachfolgenden Entwicklungen, die zwar niemand wollte, 562 SN 17.10.1998. S. 4. 563 Die Presse 14.10.1998. S. 10. 564 Herbert Fux warf Stadtrat Johann Padutsch vor, durch eine dichte Verbauung mit sozialen Wohnbauten in bürgerlichen Bezirken »abgehoben« zu agieren und nicht mehr auf die Einwände der betroffenen Bürger zu agieren (SVZ 5.12.1997. S. 2). Als Fux die Überlegung äußerte, bei der nächsten Gemeinderatswahl 1999 zusammen mit Gemeinderat Albert Angerer mit einer neuen Liste zu kandidieren, kam es am 7. Mai 1998 zum Bruch. Die Bürgerliste schloss ihr Gründungsmitglied aus und berief Herbert Fux aus sämtlichen Ausschüssen im Gemeinderat ab. Fux blieb im Gemeinderat als »wilder« Mandatar (SN Lokalteil 8.5.1998. S. 5 ; Die Presse 9.5.1998. S. 8). 565 Elisabeth Wolfgruber : »Im Westen nichts Neues ?« Landtags- und Gemeinderatswahlen in Salzburg im Superwahljahr 1999. – In : Herbert Dachs, Roland Floimair (Hg.) : Salzburger Jahrbuch für Politik 1999. –Salzburg/Wien 1999. S. 30–56. S. 33f.
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die allerdings gerade durch die bestehenden Reglements und Strukturen möglich wurden.«566 Auf Bundesebene verabschiedete sich auch die äußerst populäre Tiroler Abgeordnete Monika Langthaler von der Politik in Richtung Privatwirtschaft. Im Parlamentsklub wurden durch das Ausscheiden dreier Prominenter Positionen frei, die in einem sensiblen innerparteilichen Ausgleich neu besetzt werden mussten, ohne nach außen den verheerenden Eindruck basisdemokratischer Verworrenheit und Unprofessionalität zu erwecken. Man wollte und musste sich als seriöse und attraktive Opposition positionieren, um, so die strategische Überlegung, nach der übernächsten Nationalratswahl als Regierungspartner infrage zu kommen. Alexander Van der Bellen war sich dessen bewusst, dass bei der auf dem Bundeskongress in Bregenz am 24./25. Oktober 1998 erfolgenden Listenerstellung eine geschickte Mischung aus politischen Routiniers und Prominenten sowie attraktiven personellen Neuangeboten erfolgen musste. Vor Beginn des Bundeskongresses bemerkte er mit Blick auf die anstehenden Personalentscheidungen : »Wenn wir eine endliche Zahl von Plätzen haben und eine größere Zahl hochattraktiver, in der Politik erfahrener Bewerber, dann kann nicht jeder gewinnen. Ich hoffe, dass wir das ruhig akzeptieren werden und auch die Medien nicht sagen, dieser oder jener ist jetzt durchgefallen. Es wäre ja umgekehrt viel schlimmer, wenn wir für fünf oder sieben aussichtsreiche Listenplätze nur gleich viele Bewerber hätten.«567 Nach heftigen innerparteilichem Tauziehen befanden sich nach Alexander Van der Bellen, Klubobfrau Madeleine Petrovic und Minderheitensprecherin Terezija Stoisits, der Innsbrucker Mediziner Kurt Grünwald, die Tiroler Landesrätin Eva Lichtenberger, die 29-jährige Wiener Listenführerin Eva Glawischnig, Sozialsprecher Karl Öllinger, die Abgeordnete Gabriele Moser, der steirische Listenführer Werner Kogler und der Wiener Gemeinderat Peter Pilz auf der Nationalratsliste. Im Sommer 1999 bemerkte Klaus Dutzler über die Situation der Grünen im Vorfeld der Nationalratswahl, für diese habe sich die Wahl des mit »politikuntypischen Persönlichkeitsmerkmalen« ausgestatteten Ökonomen als Glücksfall erwiesen. »Seit Alexander van der Bellen der Ökopartei vorsteht, ist vieles anders geworden. Bestimmten zuvor interne Querelen, persönliche Konflikte oder irrationale Streitereien über absurde Details in weltfremden Programmen die öffentliche Wahrnehmung, so geht es jetzt um Arbeit mit politischen Fakten.«568 Meinungsforscher Wolfgang Bachmayer konstatierte, mit der Wahl Alexander Van der Bellens scheinen die Grünen »den Flegeljahren endgültig entwachsen« zu sein.569 566 Wolfgruber : »Im Westen nichts Neues ?«. S. 34. 567 Der Standard 23.10.1998. S. 9. 568 Klaus Dutzler : Das Geheimnis des Professors. – In : FORMAT 30/1999. S. 40f. S. 40. 569 Zit. ebda.
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Dieser Neupositionierung entsprach das Wahlprogramm der Grünen für die Nationalratswahl 1999, das sich auf die Themen Umweltpolitik, Sicherheitspolitik, Grundrechte, soziale Gerechtigkeit und Frauenpolitik konzentrierte, womit sie sich für eine Doppelstrategie entschieden : zum einen sollte die Person von Bundessprecher Alexander Van der Bellen als Sympathieträger in den Vordergrund gerückt werden, zum anderen wollte man mit einem auf fünf Politikbereiche und den daraus abgeleiteten Forderungen – Ablehnung der Atomenergie sowie der Gentechnik in der Landwirtschaft, Ökologisierung des Steuersystems, Ausbau der Mitbestimmungsrechte, Einführung einer bedarfsorientierten Grundsicherung usw. – einen konzentrierten Themenwahlkampf führen und sich auch als deutliche Alternative zur SPÖ positionieren. Gleichzeitig begannen die Arbeiten an einem als nunmehr notwendig erachteten Parteiprogramm, die sich als besonders schwierig erwiesen. So bemerkte die Präambel des achten Entwurfes 1999, die Grünen fußten auf drei unterschiedlichen Traditionen : einer auf dem Wert der Solidarität fußenden undogmatisch-linken, einer den Wert der Autonomie betonenden libertären und einer den Wert der Verantwortung betonenden personalistischen. Die Geschichte der Grünen ist daher »auch eine Geschichte der Schwierigkeiten und Probleme, diese verschiedenen Strömungen in einen fruchtbaren Dialog miteinander zu bringen. Was in der praktischen Politik gelungen ist – gemeinsame Wahllisten, Wahlkämpfe und Fraktionen – hat sich bislang zu wenig auf das Ausarbeiten eines gemeinsamen, reflektierten politischen Projekts ausgewirkt. Wenn diese ›leere Stelle‹ bestehen bleibt, dann könnte dies aber fatale Konsequenzen für die künftige Politik der Grünen haben.« Die politische und gesellschaftliche Situation habe sich seit dem Entstehen der Bewegung grundlegend geändert und bedürfe nunmehr angesichts des völlig geänderten (Bedrohungs-)Szenarios neuer Antworten, die auf einem ökologischen Denken basieren. 570 Die Grünen waren mit der Wahl Alexander Van der Bellens zum Bundessprecher aus der Phase der offen ausgetragenen Flügelkämpfe herausgetreten. Die Person des Wirtschaftsprofessors vermittelte Seriosität und zunehmende Berechenbarkeit sowie den Abschied von basisdemokratischen Utopien. Die Grünen waren auf dem Weg zu einer Partei mit einem Spitzenkandidaten, der über den Kreis der Parteimitglieder und Sympathisanten hinaus hohe Beliebtheitswerte aufwies, und damit der Partei auch die Chance bot, sich aus dem engen Biotop grünalternativer Positionen in klassische Politikfelder zu bewegen, und ihr Themenangebot zu erweitern, um neue Wählerschichten zu gewinnen. Ende der neunziger Jahre positionierten sich die Grünen programmatisch schwerpunktmäßig nach wie vor mit den Themen Ökologie, Anti-Atom-Bewegung, Frauen und Neutralität ; begannen jedoch auch zunehmend in wirtschaftspolitischen Themenfeldern deutliche Konturen zu entwickeln. 570 Christoph Kotanko (Hg.) : Die Qual der Wahl. Die Programme der Parteien im Vergleich. – Wien 1999. S. 236f.
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Vor der Nationalratswahl 1999 erklärte Alexander Van der Bellen auf die Frage nach einer möglichen Regierungsbeteiligung, die Grünen seien dazu bereit. Auf bundespolitischer Ebene komme »schon rein mathematisch« nur die SPÖ in Frage, »angesichts der Schwäche der ÖVP und deren Positionierung bei bundespolitischen Themen, vor allem der NATO-Frage«. Es könne nicht das Ziel der Grünen sein, sich auf Dauer »in der Opposition festschreiben zu lassen«.571 Anders als im Bund sei jedoch in den Bundesländern auch eine Koalition mit der ÖVP eine realistische Option. »Es würde nicht schaden, Regierungsverantwortung zu üben«, denn es sei »auf lange Sicht wichtig, solche Erfahrungen zu sammeln, auch für uns im Bund«. Und mit deutlicher Warnung an den linken fundamentalistischen Flügel : »Es kann ja nicht sein, dass wir uns in der Opposition pragmatisieren lassen.«572 Die Grünen betonten im Nationalratswahlkampf 1999 ihre Bereitschaft, Regierungsverantwortung zu übernehmen. Trotz aller Abgrenzung zur SPÖ wurde dabei die Präferenz für eine Ampelkoalition SPÖ/Grüne/LIF deutlich. Man präsentierte sich mit den Themen Umwelt, Neutralität, Menschenrechte und Frauen als die besseren Sozialdemokraten in der Absicht, vor allem im jüngeren und linken Wählerreservoir der SPÖ Stimmen zu gewinnen. Zu Beginn des Wahlkampfes erklärte Van der Bellen, die Grünen würden gegen beide Großparteien antreten, »vor allem gegen die SPÖ«. Denn diese habe sich von ihren ideologischen Wurzeln verabschiedet und Klima betreibe eine »blairistische, populistische Art« von Politik. Daher sei er »der bessere Sozialdemokrat, aber nicht in dieser Partei«.573
VI.5 Das Liberale Forum (LIF) Am 30. Jänner 1997 feierte das LIF mit einem Ball sein vierjähriges Bestehen. Anlässlich der Debatte um den Stellenwert des Marktes und den Sieg des Neoliberalismus bemerkte Heide Schmidt, das LIF sei keineswegs eine klassische wirtschaftsliberale Partei, sondern verbinde Marktwirtschaft, Eigenverantwortung und soziale Verpflichtung. Der Neoliberalismus habe mit dem LIF-Verständnis des Liberalismus »nichts zu tun«. Der Neoliberalismus sei gefährlich, weil er das Recht des Stärkeren propagiere. Die Gesellschaft funktioniere nur dann, wenn alle am Markt teilhaben könnten. Daher setze das LIF auf eine soziale Grundsicherung, denn die Nachfrager müssten in der Lage sein, die Rolle des Nachfragers auch auszuüben.574 571 Der Standard 4./5.9.1999. S. 7. 572 Die Presse 16.1.1999. S. 8. 573 Kurier 26.7.1999. S. 2. 574 Der Standard 1./2.2.1997. S. 5.
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Vor der Nationalratswahl 1999 erklärte Alexander Van der Bellen auf die Frage nach einer möglichen Regierungsbeteiligung, die Grünen seien dazu bereit. Auf bundespolitischer Ebene komme »schon rein mathematisch« nur die SPÖ in Frage, »angesichts der Schwäche der ÖVP und deren Positionierung bei bundespolitischen Themen, vor allem der NATO-Frage«. Es könne nicht das Ziel der Grünen sein, sich auf Dauer »in der Opposition festschreiben zu lassen«.571 Anders als im Bund sei jedoch in den Bundesländern auch eine Koalition mit der ÖVP eine realistische Option. »Es würde nicht schaden, Regierungsverantwortung zu üben«, denn es sei »auf lange Sicht wichtig, solche Erfahrungen zu sammeln, auch für uns im Bund«. Und mit deutlicher Warnung an den linken fundamentalistischen Flügel : »Es kann ja nicht sein, dass wir uns in der Opposition pragmatisieren lassen.«572 Die Grünen betonten im Nationalratswahlkampf 1999 ihre Bereitschaft, Regierungsverantwortung zu übernehmen. Trotz aller Abgrenzung zur SPÖ wurde dabei die Präferenz für eine Ampelkoalition SPÖ/Grüne/LIF deutlich. Man präsentierte sich mit den Themen Umwelt, Neutralität, Menschenrechte und Frauen als die besseren Sozialdemokraten in der Absicht, vor allem im jüngeren und linken Wählerreservoir der SPÖ Stimmen zu gewinnen. Zu Beginn des Wahlkampfes erklärte Van der Bellen, die Grünen würden gegen beide Großparteien antreten, »vor allem gegen die SPÖ«. Denn diese habe sich von ihren ideologischen Wurzeln verabschiedet und Klima betreibe eine »blairistische, populistische Art« von Politik. Daher sei er »der bessere Sozialdemokrat, aber nicht in dieser Partei«.573
VI.5 Das Liberale Forum (LIF) Am 30. Jänner 1997 feierte das LIF mit einem Ball sein vierjähriges Bestehen. Anlässlich der Debatte um den Stellenwert des Marktes und den Sieg des Neoliberalismus bemerkte Heide Schmidt, das LIF sei keineswegs eine klassische wirtschaftsliberale Partei, sondern verbinde Marktwirtschaft, Eigenverantwortung und soziale Verpflichtung. Der Neoliberalismus habe mit dem LIF-Verständnis des Liberalismus »nichts zu tun«. Der Neoliberalismus sei gefährlich, weil er das Recht des Stärkeren propagiere. Die Gesellschaft funktioniere nur dann, wenn alle am Markt teilhaben könnten. Daher setze das LIF auf eine soziale Grundsicherung, denn die Nachfrager müssten in der Lage sein, die Rolle des Nachfragers auch auszuüben.574 571 Der Standard 4./5.9.1999. S. 7. 572 Die Presse 16.1.1999. S. 8. 573 Kurier 26.7.1999. S. 2. 574 Der Standard 1./2.2.1997. S. 5.
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Die Freude über das vierjährige Bestehen des LIF erfuhr jedoch Anfang März 1997 durch personelle Auflösungstendenzen in verschiedenen Landesorganisationen erhebliche Trübungen. Besonders dramatisch gestaltete sich die Situation der Partei in Niederösterreich, wo bei der Landtagswahl 1993 das LIF 5,1 Prozent der Stimmen erhalten hatte und mit drei Mandaten in den Landtag einzogen war. Bereits im folgenden Jahr schmolz jedoch die LIF-Fraktion in St. Pölten durch den Ausschluss des Mödlinger Vizebürgermeisters Pepi Wagner auf zwei Mandatare, um Anfang März 1997 durch den Wechsel von Desireé Dorfmeister-Stix zur ÖVP auf die EinMann-Fraktion Gerold Dautzenberg zusammenzuschmelzen. Dorfmeister-Stix erklärte den Wechsels zur ÖVP damit, dass sie sich, was die Programmatik und die Struktur des LIF betrifft, geirrt hätte. Die 27-jährige Jus-Studentin aus Klosterneuburg nannte ideologische »Merkwürdigkeiten wie die Homosexuellen-Ehe und die Kruzefix-Debatte« sowie »undemokratische Strukturen, Herrschsucht und Intoleranz« als die zentralen Beweggründe ihres Parteiwechsels.575 Ähnlichen Erosionserscheinungen war auch die steirische Landesorganisation des LIF ausgesetzt, in der sich die Kritik am autoritären Führungsstil des Landessprechers Christian Brünner immer deutlicher artikulierte. Brünner erwiderte den innerparteilichen Kritikern kampflustig, es bedürfe auch in einer liberalen Partei einer gewissen Disziplin und Entscheidungskompetenz. »Wer immer nur Schmutzwasser schüttet, ist herzlich eingeladen, die Partei zu verlassen.«576 Im Frühjahr 1997 hatten viele Sympathisanten die Partei bereits tatsächlich verlassen. Das LIF erlebte bei den Landtagswahlen in Kärnten, Salzburg und Tirol am 7. März ein Desaster. Bundespolitische Umfragen sahen die Partei nur mehr knapp über der Vier-Prozent-Marke und warfen die Frage des Wiedereinzugs in den Nationalrat auf. Die Partei vermochte sich aus dem Umfragetief im Laufe des Jahres 1997 nicht zu erholen und erweckte 1998 keineswegs den Eindruck einer selbstbewussten und professionellen Nischenpartei. Beobachter des Bundesforums der Partei im Sommer 1998 in Wien konstatierten einen deutlich sichtbaren Mangel an Professionalität. Thematisch wurde das LIF kaum wahrgenommen, seine öffentliche Wahrnehmung hing weitgehend von der medialen Präsenz von Parteichefin Heide Schmidt ab. In der zweiten Jahreshälfte 1998 wurden auch die sich seit einiger Zeit bildenden parteiinternen Spannungen deutlich sichtbar, als Repräsentanten der Wiener Landesorganisation, wie Marco Smoliner, Wolfgang Alkier und Hanno Pöschl, den Schmidt-Vertrauten und Geschäftsführer des LIF, Gerhard Kratky, frontal angriffen und diesem Unprofessionalität vorwarfen. Als der Angegriffene, unterstützt von Heide Schmidt, die Kritik von sich wies, kursierte in Wiener LIFKreisen der Satz »Never change a loosing team«. 575 Die Presse 6.3.1997. S. 15 ; Die Presse 7.3.1997. S. 10. 576 Die Presse 1.4.1997. S. 8.
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Zu Beginn des sogenannten Superwahljahres 1999 befand sich das Liberale Forum im Zustand einer auch über die Medien ausgetragenen Spannung, die aus unterschiedlichen Meinungen über die programmatische Positionierung sowie das Parteimanagement resultierte. Die Partei verfügte in urbanen Ballungsräumen, vor allem in Wien, über deutliche Sympathiewerte. Die Gründung des LIF stützte sich weniger auf den Zuzug enttäuschter ehemaliger FPÖ-Wähler, sondern auf Zuspruch aus allen politischen Lagern sowie der Gruppe der bisher politisch Distanzierten ohne spezifische Parteibindung oder -präferenz. Die Wiener Landtagswahl vom 13. Oktober 1996 galt daher als Stimmungstest und politischer Versuchsballon für ein neues politisches Angebot an ein wachsendes jüngeres, städtisches und besser gebildetes Wählersegment jenseits der traditionellen politischen Parteien. Die zunehmende Pluralität der Lebenswelten manifestierte sich in der zunehmenden Attraktivität und Akzeptanz alternativer politischer Angebote, von der nicht nur die Grünen, sondern auch das LIF profitierten, das in Meinungsumfragen zwischen acht und neun Prozent lag.577 Die Wiener Landtagswahl stand zudem unter dem Einfluss einer für die beiden Koalitionsparteien nicht günstigen bundespolitischen Stimmungslage. Umfragen sagten den Koalitionsparteien Verluste von bis zu fünf Prozent gegenüber der Nationalratswahl 1994 voraus. Wenngleich Heide Schmidt über die größten Bekanntheits- und Popularitätswerte verfügte, wurde ihre Kandidatur schließlich nicht in Erwägung gezogen, da man in den strategischen Überlegungen die Bundessprecherin vor allem für bundespolitische Wahlgänge als Spitzenkandidatin und Zugpferd vorgesehen hatte. Die Wahl fiel schließlich auf den Meinungsforscher und Leiter des Meinungsforschungsinstituts OGM, Wolfgang Bachmayer, als Spitzenkandidaten. Der Geschlechterlogik folgend wurde an zweiter Stelle die Wirtschaftstreuhänderin Gabriele Hecht nominiert. Der Wahlkampf des Liberalen Forums erhielt durch eine Meldung des Magazins »Profil« eine unerwartete Wendung. Das Wochenmagazin berichtete von einem Gastreferat Bachmayers bei den von der FPÖ veranstalteten Weissensee-Gesprächen, in dem er einen Wissenschafter und dessen Beobachtung, dass ein hellhäutiges Baby beim Anblick eines dunkelhäutigen Menschen zu weinen beginnt, zitierte. Bachmayer wurde das Opfer der Political Correctness und sah sich plötzlich mit völlig unzutreffenden Rassismus-Vorwürfen konfrontiert. Heide Schmidt drängte Bachmayer zum Rückzug von seiner Kandidatur und in einer Blitzaktion wurde die zweitgereihte Gabriele Hecht zur Spitzenkandidatin gekürt. Die neue Spitzenkandidatin nützte ihre Chance 577 Zum Liberalen Forum vgl. Wilhelm Frischenschlager : Das Liberale Forum und das österreichische politische System. – In : ÖJP 1993. – Wien/München 1994 ; Ders.: Analyse der Entwicklung des Liberalen Forums. – In : ÖJP 1995. – Wien/München 1996. S. 223–241 ; Ders.: Politischer Liberalismus in Österreich – Chancenlos als Partei ? Die Entwicklung des Liberalen Forums 1996–1999. – In : ÖJP 1999. – Wien/München 2000. S. 543–585.
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und konnte bei der TV-Diskussion mit den ansonsten männlichen Spitzenkandidaten Sympathien gewinnen und Kompetenz vermittteln. 12 Prozent aller Zuseherinnen/Zuseher fand sie am glaubwürdigsten, von den parteiungebundenen sogar 15 Prozent, 22 Prozent aller und 25 Prozent der parteiungebundenen Zuseherinnen/ Zuseher fanden sie am sympathischsten.578 Das LIF erreichte bei der Wiener Landtagswahl acht Prozent und lag damit knapp vor den Grünen. Die Wiener Landesorganisation wurde zur stärksten der neuen Partei und Gabriele Hecht entwickelte sich in den kommenden Jahren zur parteiinternen Gegenspielerin von Heide Schmidt. Die Landtagswahlen in Ober- und Niederösterreich 1997 und 1998 sollten aufgrund der günstigen soziodemografischen Situation in beiden Bundesländern den Wiener Erfolg fortsetzen. Beide Wahlgänge endeten jedoch mit herben Enttäuschungen. In dem von ausgedehnten urbanen Regionen durchzogenen Oberösterreich erreichte das LIF lediglich 1,8 Prozent und blieb damit unter der politischen Wahrnehmungsgröße579 und in Niederösterreich erlitt es ein Wahldebakel. Hatte die Partei 1993 noch 5,1 Prozent erreicht und war mit drei Mandaten in den niederösterreichischen Landtag eingezogen, so wurde sie fünf Jahre später mit 2,1 Prozent auf den Status einer Splitterpartei reduziert und verfehlte deutlich den Wiedereinzug in den Landtag. Spiegelgleich gelang den Grünen mit einem Wähleranteil von 4,5 Prozent erstmals mit zwei Mandaten der Einzug in den niederösterreichischen Landtag.580 Aufgrund der mangelnden Infrastruktur in den Ländern wurde der Wahlkampf für die Landtagswahlen in Kärnten, Salzburg und Tirol am 7. März 1999 zentral von Bundesgeschäftsführer Gerhard Kratky konzipiert und geführt. Im Rückblick bemerkte Kratky : »Spätestens seit der verlorenen Landtagswahl in Niederösterreich im März 1998 war mir klar, dass das bevorstehende Megawahljahr 1999 zur Existenzfrage wird. Drei Landtagswahlen und die EU-Wahl vor der Nationalratswahl bedeuteten Ungemach. Wenn die Landtagswahlen schlecht ausgingen, musste befürchtet werden, dass das Verlierer-Image nicht mehr zu korrigieren wäre und in dieser Stimmung auch die EU-Wahl und dann die Nationalratswahl daneben gehen könnte. Das NÖ- und OÖ-Debakel waren alles andere als verdaut. Ich war der festen Überzeugung, dass dieses Megawahljahr nur mit höchster Professionalität und unter Ausnützung der gesamten Ressourcen der Partei bewältigt werden kann. Bisher hat die Bundesorganisation bei Landtagswahlen geholfen, hat aber den Landesorganisationen völlig freie Wahl hinsichtlich Strategie und Ausrich578 Imma Palme : Die Wahlen in Wien. – In : ÖJP 1996. – Wien/München 1997. S. 103–118. S. 109. 579 Michael Strugl, Erich Watzl : Oberösterreich : Wahlerfolg trotz Gegenwind. – In : ÖJP 1997. – Wien/ München 1998. S. 65–79 ; Christoph Hopfinger, Günther Ogris : Wählerdynamiken 1997 : MetelkoExperiment, Volksbegehren, Oberösterreich. – In : Ebda. S. 81–96. 580 Franz Sommer : Analyse der Landtagswahl in Niederösterreich 1998. – In : ÖJP 1998. S. 117–128.
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tung des Wahlkampfes gelassen. Das, so dachte ich, muss in dieser besonderen Konstellation geändert werden.«581 Das unter der Führung Kratkys erstellte Konzept »Liberale Offensive 99« sah auf der Basis einer verstärkten Marktforschung die Formulierung zentraler Themen und deren jeweils spezifische Zuordnung zu den Spitzenkandidaten in den einzelnen Bundesländern vor. Die Präzisierung sollte durch ein Wahlkampfkomitee, bestehend aus den Landessprechern der wahlkämpfenden Landesorganisationen, Vertretern der Landesorganisationen von Wien und der Steiermark, des Nationalratsklubs und des Liberalen Bildungs- und Studentenforums erfolgen. Das am 6. Juni 1998 beschlossene Konzept stieß jedoch auf die Kritik des Salzburger Organisationsreferenten Christian Allesch und der Wiener Landesorganisation. Die Wiener Landespartei übte gegen Jahresende 1998 offen Kritik an der Bundesführung und am Wahlkampfkonzept für das Superwahljahr 1999, sodass das LIF mit dem Image der Inhomogenität und drohenden Spaltung in das bevorstehende und für die Zukunft der Partei so entscheidende Jahr 1999 ging. Bei den Landtagswahlen erwies sich das strukturelle Problem der Partei als evident, die im Grunde ein Heide-Schmidt-Wahlverein war, dem lediglich aufgrund der Spitzenkandidatin bei Bundeswahlen mediale Aufmerksamkeit zukam. Im LIF läuteten die Alarmglocken, da der Wiedereinzug in den Nationalrat ernsthaft gefährdet schien. Die Partei bot im von der Öffentlichkeit wahrgenommenen gesellschaftspolitischen Bereich linksliberale und linke Positionen, die ihre wirtschaftsliberalen Angebote deutlich überdeckten582, verfügte kaum über schlagkräftige Landesorganisationen und lediglich in den urbanen Ballungsräumen über einen Sympathisantenkreis, der jedoch, im Gegensatz zu den Grünen, nicht groß genug war, um der Partei den erhofften Einzug in die Landtage zu ermöglichen. Thomas Seifert und Barbara Tóth bemerkten im Frühjahr 1999 zur Situation des Liberalen Forums : »Die Kopfgeburt LIF hat es bis dato nicht geschafft, ihre politische Botschaft an ihre Hauptzielgruppe, die Selbständigen und Gewerbetreibenden, zu bringen. Auf dem Land stehen die Liberalen immer noch für Schwulenehe und Drogenfreigabe, nicht aber für die Liberalisierung der Gewerbeordnung.«583 Dementsprechend erzielte das Liberale Forum bei den Landtagswahlen am 7. März 1999 enttäuschende Ergebnisse und verfehlte in allen drei Bundesländern mit 3,9 Prozent (Kärnten)584, 3,7 Prozent (Salzburg) und 3,2 Prozent (Tirol) den Einzug 581 Gerhard Kratky : Das Experiment einer Parteigründung. Das Liberale Forum im Rückblick. – Innsbruck/Wien/Bozen 2009. S. 109. 582 Kotanko (Hg.) : Die Qual der Wahl. S. 155–233. 583 Thomas Seifert, Barbara Tóth : Liberales Requiem : Überlebenskampf zwischen Pathologie und Ökologie. – In : FORMAT 11/1999. S. 40. 584 In Kärnten kandidierte das LIF zusammen mit der slowenischen Einheitsliste und den Vereinigten Grünen unter dem Titel »Bündnis 99«.
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in den jeweiligen Landtag. Dabei war das Abschneiden in Salzburg und Tirol vor allem deshalb so enttäuschend, weil die städtische Struktur der Zentralräume um die Landeshauptstädte günstige Voraussetzungen für einen Wahlerfolg des LIF boten. Die Partei wirkte nach den enttäuschenden Wahlergebnissen verunsichert. Heide Schmidt bemerkte zu dem enttäuschenden Abschneiden bei den Landtagswahlen und der Europawahl 1999 unter indirektem Hinweis auf die strukturellen Schwächen des Liberalen Forums : »Wir sind nicht gescheitert, aber die Aufbauarbeit dauert doch sehr lange. Länger, als einige in der Partei geglaubt haben.«585 Die Parteichefin kündigte eine »tiefgreifende Ursachenanalyse« an und bemerkte selbstkritisch und ermunternd zugleich : »Wir waren nicht gut, jetzt heißt es Ärmel aufkrempeln.« Erheblich kritischer meldete sich die Landesobfrau des Wiener LIF, Gabriele Hecht, zu Wort, die die Einberufung eines Sonderparteitages forderte, auf dem »tabulos über alles« diskutiert werden müsse. Die Wiener Landesorganisation nahm in der Minipartei jene Rolle ein, die die Kärntner Landespartei in der FPÖ spielte. Die Wiener Landesgruppe war die stärkste der LIF-Landesgruppen, jedoch im Bundespräsidium der Partei nicht vertreten. Man müsse, so Hecht, auch über den offensichtlich glücklosen Bundesgeschäftsführer Gerhard Kratky und dessen in ihren Augen völlig missglückte Wahlkampflinie diskutieren und die Frage stellen, ob dieser nicht andere Aufgaben wahrnehmen sollte.586 Die sich seit einiger Zeit aufbauenden Spannungen zwischen der Wiener Landespartei und der Bundespartei traten damit offen zu Tage. Kratky bemerkte in seiner Geschichte des LIF, er habe bereits vor den Landtagswahlen am 7. März alle möglichen Wahlausgänge sowie die sich daraus ergebenden Konsequenzen auch für seine Person besprochen. »Dass der Nichteinzug in allen Landtagen den Rücktritt bedeuten würde, war mir unwiderruflich klar. Dies hatte ich Heide Schmidt auch unmissverständlich angekündigt. Nun war dieser – eigentlich nicht wirklich erwartete – Fall eingetreten und ich habe bereits am Montag nach der Wahl das Bundespräsidium gebeten, mich von den Funktionen des Bundesgeschäftsführers und als Wahlleiter für die bevorstehenden Wahlen zu entbinden.« Wenngleich er sich »keine gravierenden Fehler vorwerfen konnte,« so war er doch bereit, für das unerfreuliche Ergebnis die Verantwortung zu übernehmen. Sein Hauptfehler, so Kratky, sei in der Annahme gelegen, »dass eine eigentlich für eine Bundeswahl konzipierte Wahlkampfkonzeption auf Landtagswahlen übertragen und von den Landesorganisationen umgesetzt werden« könne. »Darin lag eine beträchtliche Portion Überschätzung der Machbarkeit und eine unzureichende Risikoabschätzung.« Dennoch sei er von der Richtigkeit der Konzeption für die Nationalratswahl überzeugt gewesen.587 Gleichzeitig habe er Heide Schmidt 585 FORMAT 29/1999. S. 36. 586 Die Presse 9.3.1999. S.9. 587 Kratky : Das Experiment einer Parteigründung. S. 119.
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den stellvertretenden Wiener Landessprecher Hanno Pöschl als seinen Nachfolger empfohlen, um die widerspenstige Wiener Landesorganisation in bundespolitische Verantwortung zu nehmen und ein geschlossenes Auftreten bei der Nationalratswahl zu ermöglichen.588 Heide Schmidt folgte dem Ratschlag Kratkys und schlug, um einen innerparteilichen Ausgleich, vor allem mit der kritischen Wiener Landesorganisation, bemüht, den Wiener Landtagsabgeordneten und Stellvertreter von Gabriele Hecht, Hanno Pöschl, als Nachfolger Kratkys und innerparteilichen »Brückenbauer« vor. Hecht reagierte auf den Rücktritt Kratkys mit der Bemerkung, dass es das »aber noch nicht gewesen sein kann«. Der Rücktritt des bisherigen Bundesgeschäftsführers sei lediglich ein »erster Schritt in die richtige Richtung«. Künftig sollte im Bundespräsidium des LIF mindestens ein Vertreter der Wiener Landesorganisation vertreten sein. Und mit deutlicher Speerspitze gegen die Erklärung von Heide Schmidt, die sich über Hecht enttäuscht gezeigt hatte : Es schade dem LIF keineswegs, offen über das zu sprechen, was sich ohnedies jeder denke. Zudem schließe das Parteistatut die gleichzeitige Wahrnehmung einer politischen Funktion und der eines Bundesgeschäftsführers aus. Für sie sei ihr Stellvertreter in der Wiener Landesorganisation, Hanno Pöschl, im Landtag unverzichtbar.589 Die damit offen zu Tage tretenden Risse im LIF erregten nicht nur die Aufmerksamkeit der Tagespresse, sondern evozierten auch deren durchwegs kritische Kommentare zur Verweigerungshaltung der Wiener Landesorganisation. Es bestand die Gefahr, so der Tenor der Kommentare, dass vor allem die Wiener Landesorganisation um Gabriele Hecht an dem Ast säge, auf dem das LIF gemeinsam sitze, und man daher gemeinsam zu stürzen drohe. Heide Schmidt zeigte sich vom öffentlichen Agieren der Wiener LIF-Landeschefin »enttäuscht«,590 war jedoch gezwungen, wenige Monate vor der Nationalratswahl einen neuen Bundesgeschäftsführer zu suchen. Am 14. März präsentierte sie mit den Worten »Ich bin erleichtert, so schnell eine so qualifizierte Person gefunden zu haben«,591 den stellvertretenden Klubdirektor der Parlamentsfraktion, Michael Schiebel, als neuen Bundesgeschäftsführer. Der 34-jährige Nachfolger Kratkys erklärte nach seiner Nominierung, das LIF müsse seine Ziele besser transportieren und sichtbarer machen. »Wir müssen uns einen Weg in die Köpfe und Herzen der Bürger bahnen.«592 Seine erste Bewährungsprobe für dieses ehrgeizige Ziel sollten die Wahlen zum Europäischen Parlament am 13. Juni bilden. Wenngleich die bundespolitische Barometerfunktion dieser Wah588 Ebda. S. 118f. 589 Der Standard 10.3.1999. S. 6. 590 Die Presse 10.3.1999. S. 7. 591 Kurier 15.3.1999. S. 2. 592 Ebda.
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len als gering zu veranschlagen war, so bestätigten sie den Abwärtstrend des LIF, das gegenüber den letzten Wahlen 1,7 Prozent verlor und mit nur mehr 2,6 Prozent deutlich hinter den Grünen, die durch einen hohen Mobilisierungsgrad 9,3 Prozent erreichten, an vierter Stelle landete.593 Die Wahlkampftaktik des LIF, den Spitzenkandidaten Johannes Strohmayer mit wirtschaftsliberalen, Parteichefin Heide Schmidt mit sozialliberalen Themen zu positionieren und damit die ganze Bandbreite der Sympathisanten anzusprechen, sollte sich als letztlich nicht erfolgreich erweisen. Einen Monat später wurde Heide Schmidt vom 16. Bundesforum in Salzburg mit 91 Prozent in ihrer Funktion bestätigt und erhielt mit dem Gesundheitsökonomen Christian Köck und der Vorarlberger Landessprecherin Brigitte Bitschnau-Canal zwei neue Stellvertreter. Der in Salzburg vom Bundesforum beschlossene Leitantrag »Darauf kommt’s an« setzte neben wirtschaftsliberalen Themen einen Schwerpunkt auf linksliberale und linke gesellschaftspolitische Anliegen, wie der Einführung eines Ethikunterrichts, einer Grundsicherung oder einer besonderen Beachtung der Menschenrechte bei Flüchtlingen. Hinzu trat die Aussage, man werde keine Koalition mit dem Boulevard eingehen, verbunden mit einer unverhüllten Kampfansage an die Kronen Zeitung. Das LIF wurde im Nationalratswahlkampf vor allem als linksliberale Partei mit einem nicht mehrheitsfähigen Randthemen-Programm wahrgenommen. Karl-Peter Schwarz bemerkte, dass es sich »beim LIF-Liberalismus um eine Spielart sui generis« handle, genauer : um das eigentümliche Ergebnis der Verschmelzung ideologischer Restbestände der alten FPÖ (etwa Antiklerikalismus und Antiamerikanismus) mit grünen und linksalternativen Gedanken (wie Ökologie und Feminismus), versetzt mit einigem Wirtschaftsliberalismus. Schmidts LIF präsentiert sich heute als die radikal-schicke, in der Wählergunst aber bis an den Hungertod abgemagerte Variante eines Projektes, das zu Zeiten der Kleinen Koalition begonnen und von Jörg Haider jäh gestoppt worden war : der Schaffung einer Reservearmee der SPÖ aus den Reihen der Enkel des einstigen ›Dritten Lagers‹.« Doch es gebe in Form der Grünen bereits eine erheblich stärkere Reservearmee der SPÖ, gegen die sich das LIF profilieren müsse, um nicht in der auch ideologischen Bedeutungslosigkeit zu versinken. »Bei der Lektüre des LIF-Programms fühlt man sich einer ideologischen Kneipp-Kur unterzogen und wundert sich am Ende nicht mehr, dass dieser Partei die Anhänger davonlaufen. Klassische Liberale (sogenannte ›Wirtschaftsliberale‹) werden von den linksgrünen Phantasmagorien abgestoßen, Linksgrüne erschrecken über das marktwirtschaftliche Urgestein, das da und dort im linken Grün sichtbar wird.«594 593 Fritz Plasser, Peter A. Ulram, Franz Sommer : Europawahlen oder Testwahlen ? Analyse der Wahlen zum Europäischen Parlament 1999. – In : ÖJP 1999. S. 89–118. 594 Karl-Peter Schwarz : Liberale als Sozialingenieure : Ideologische Kneippkur des LIF. – In : Die Presse 23.9.1999. S. 3.
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Trotz einer mit neuen Namen präsentierten Kandidatenliste sanken die Umfragewerte der Partei unter die für den Wiedereinzug in den Nationalrat notwendige Vier-Prozent-Marke. (Zweck-)Optimismus war selbst unter parteiinternen Krikerinnen/Kritikern angesagt. So erklärte Gabriele Hecht mit Blick auf die schlechten Umfragewert drei Wochen vor der Nationalratswahl optimistisch : »Es wird sich ausgehen. Es wird gut gehen.«595 Es ging sich nicht aus. Das LIF erreichte bei der Nationalratswahl am 3. Oktober 3,65 Prozent der Stimmen und verfehlte nicht nur den Wiedereinzug in den Nationalrat, sondern stürzte auch in ein Tal der Tränen und schließlich in die politische Bedeutungslosigkeit, wenngleich Heide Schmidt unmittelbar nach der Wahl noch den Versuch unternahm, Optimismus zu versprühen. Die liberalen Wählerinnen und Wähler seien nicht heimatlos geworden, betonte sie, da man weitermache und ein Szenario aufbaue, »um bundesweit Ansprechpartner für Liberalität in diesem Land zu sein«.596 Es sollte 14 Jahre lang dauern, bis das LIF, allerdings nicht aus eigener Kraft, sondern nur in einer Wählerkoalition mit den neu gegründeten NEOS, neuerlich in den Nationalrat einziehen sollte.
595 Kurier 15.9.1999. S. 3. 596 Der Standard 8.10.1999. S. 9.
VII.
Das Wahljahr 1999 VII.1 Die Landtagswahlen als bundespolitisches Stimmungsbarometer Angesichts der Nationalratswahl am 3. Oktober 1999 kam den am 7. März stattfindenden Landtagswahlen in Kärnten, Salzburg und Tirol sowie jener in Vorarlberg am 19. September erhöhte Bedeutung zu, wurden sie doch aufgrund ihrer zeitlichen Nähe zur Nationalratswahl auch als bundespolitisches Stimmungsbarometer gesehen. In sämtlichen vier Bundesländern stellte die ÖVP mit Christof Zernatto, Franz Schausberger, Wendelin Weingartner und Herbert Sausgruber den Landeshauptmann, wobei allerdings durch die in der Zwischenzeit erfolgte Abschaffung des Proporzes in Salzburg und Tirol in diesen Bundesländern erstmals freie Mehrheitsbildungen möglich wurden.597 VII.1.1 Ein politisches Erdbeben. Die Kärntner Landtagswahl am 7. März In Kärnten dominierte bis in die späten achtziger Jahre die SPÖ als deutlich stärkste Partei mit einem Stimmenanteil um die 50 Prozent.598 Zudem galt das Bundesland als traditionelle Hochburg der FPÖ, die hier bei Landtagswahlen zwischen rund 16 und 12 Prozent pendelte.599 Die ÖVP verfügte bis 1984 über einen Stimmenanteil von rund 30 Prozent, der 1989 erstmals dramatisch auf 21 Prozent zurückging.600 1989 avancierte die von Jörg Haider geführte Kärntner FPÖ mit einem Gewinn von
597 Vgl. Herbert Dachs, Elisabeth Wolfgruber : Die Landtagswahlen im Jahr 1999 – zwischen regionalen Kalkülen und bundespolitisch geprägten Stimmungen. – In : Fritz Plasser, Peter A. Ulram, Franz Sommer (Hg.) : Das österreichische Wahlverhalten. – Wien 2000. S. 261–288 (Schriftenreihe des Zentrums für Angewandte Politikforschung. Band 21). 598 Zur Kärntner SPÖ vgl. Knut Lehmann-Horn : Meist erfolgreich. 40 Jahre Landeshauptmannpartei SPÖ Kärnten 1945–1989. – Klagenfurt 2003. 599 Zur Kärntner FPÖ vgl. Knut Lehmann-Horn : Die Kärntner FPÖ 1955–1985. Vom Verband der Unabhängigen (VdU) bis zum Aufstieg von Jörg Haider zum Landesparteiobmann. – Klagenfurt 1992. 600 Zur Kärntner ÖVP vgl. Werner Drobesch : Die Geschichte der Kärntner ÖVP 1945–1994. – In : Robert Kriechbaumer, Franz Schausberger (Hg.) : Volkspartei. Anspruch und Realität. – Wien/Köln/Weimar 1995. S. 527–557. Zum politischen System Kärntens vgl. Knut Lehmann-Horn : Die Macht der politischen Parteien. – In : Helmut Rumpler (Hg.) : Kärnten. Von der deutschen Grenzmark zum österreichischen Bundesland. – Wien/Köln/Weimar 1998. S. 215–267.
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13 Prozent – vor allem auf Kosten der ÖVP und zu geringeren Teilen der SPÖ – mit 29 Prozent zur zweitstärksten Fraktion im Kärntner Landtag und Haider wurde mit den Stimmen von FPÖ und ÖVP zum Kärntner Landeshauptmann gewählt. Bereits zwei Jahre später wurde er aufgrund einer Aussage über die »ordentliche Beschäftigungspolitik« im Dritten Reich abgewählt. Ihm folgte ÖVP-Obmann Christof Zernatto, der mit den Stimmen von SPÖ und ÖVP zum neuen Landeshauptmann gewählt wurde und diese Position mit Unterstützung der SPÖ bis 1999 bekleidete. In den neunziger Jahren erfolgte jedoch gleichzeitig der Niedergang der das Land über Jahrzehnte dominierenden SPÖ, die bei der Landtagswahl 1994 mit einem Verlust von 8,6 Prozent nur mehr rund vier Prozent vor der FPÖ lag, die nunmehr ein Drittel der Stimmen auf sich vereinigen konnte. In der zweiten Hälfte der neunziger Jahre verschärfte sich die Krise der Kärntner SPÖ durch einen auf offener Bühne ausgetragenen Machtkampf und unterschiedliche Auffassungen über landespolitische Strategien, während sich die ÖVP unter dem landespolitisch äußerst geschickt agierenden Christof Zernatto wiederum steigender Umfragewerte erfreute. Im Juni 1998 vermochte die ÖVP in einer IMAS-Umfrage sogar mit einem Zuspruch von 30 Prozent zur SPÖ aufzuschließen, während die FPÖ mit 34 Prozent bereits zur stärksten Partei avanciert war. Für die ÖVP war es daher logisch, bei der bevorstehenden Landtagswahl ihren Spitzenkandidaten Christof Zernatto und dessen allgemein anerkannten landespolitischen Leistungen in den Mittelpunkt der Wahlwerbung zu stellen, rangierte doch Zernatto bei der Landeshauptmann-Präferenz Mitte 1998 mit einem Zuspruch von 38 Prozent deutlich vor Jörg Haider mit 29 Prozent und dem weit abgeschlagenen SPÖ-Obmann Michael Ausserwinkler mit lediglich 10 Prozent. Insgesamt 78 Prozent der Kärntnerinnen/Kärntner gaben zu diesem Zeitpunkt an, mit der Landespolitik sehr oder einigermaßen zufrieden zu sein.601 Der Wahlkampf der FPÖ basierte auf vier Schwerpunkten : 1. dem Kampf gegen das etablierte System der Herrschaft von SPÖ und ÖVP unter dem Motto eines Politikwechsels, wobei vor allem die SPÖ als Hauptgegner fungierte ; 2. der geschickten politischen Instrumentalisierung der Kärntner Urangst vor einem südslawischen/slowenischen Imperialismus ;602 3. der unter dem Motto »Wir sind die bes601 Robert Mack, Vinzenz Stimpfl-Abele : Die Kärntner Landtagswahl 1999 – eine Kurzanalyse. – In : ÖJP 1999. – Wien/München 2000. S. 147–163. S. 151. 602 In einem Interview mit FORMAT erklärte Jörg Haider, Kärnten habe nach 1945 die falschen Regierungen gehabt. »Der Sozialismus hatte zu Beginn schon seinen Sinn. Soziale Gerechtigkeit und der Aufstieg der Arbeiterklasse waren ein richtiger Ansatz. Der geistige Niedergang der SPÖ hat für mich schon mit Landeshauptmann Hans Sima begonnen. Der war der erste demokratisch gewählte Diktator. Sein Nachfolger Leopold Wagner hat das etwas volkstümlicher fortgesetzt. Wer diese Zeit der totalen Parteibuchwirtschaft miterlebt hat, kann die SPÖ einfach nicht mehr wählen. Die Herren, die jetzt an der Macht sind, sind allesamt Zöglinge dieses machtgierigen Systems.« Und zu der von ihm im Wahlkampf immer wieder angesprochenen »Kärntner Urangst« : »Die Kärntner Urangst ist das Fehlen des Vertrauens, dass
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Das Wahljahr 1999
seren Sozialdemokraten«603 erfolgten Propagierung populärer Wahlversprechen wie eines Kinderschecks in der Höhe von 5.000 Schilling, der Senkung der Strompreise und Mieten und 4. der Inszenierung der Person Jörg Haiders als neuen landespolitischen Messias. Hinzu trat eine deutlich gemäßigtere Sprache im Wahlkampf, womit Regierungsfähigkeit und politische Kooperationsbereitschaft signalisiert wurden. Eine hohe Kampagnefähigkeit brachte sie, nicht zuletzt vor allem auch aufgrund der Schwäche der SPÖ, in demoskopischen Erhebungen auf die Überholspur. Anneliese Rohrer sah das Geheimnis des Erfolges der Kärntner FPÖ vor allem in der Person Haiders, der neben seiner ungemein politischen Wandlungsfähigkeit mit dem Slogan »Wir gegen den Rest der (österreichischen) Welt« seine Anhänger in einer Weise zu mobilisieren vermöge und im politischen Management professionell agiere wie kein anderer Mitbewerber.604 Hatten in einer Spectra-Umfrage im Oktober 1998 noch 44 Prozent der Kärntner Wählerinnen/Wähler von der FPÖ einen schlechten und 33 Prozent einen guten Eindruck, so gelang es der FPÖ, diesen Trend bis zum Februar 1999 zu drehen. Im Februar hatten 39 Prozent einen guten und nur mehr 38 Prozent einen schlechten Eindruck. 605 In Kenntnis dieser Werte wollte daher Christof Zernatto die Landtagswahl bereits im Oktober 1998 anberaumen, scheiterte in diesem Bemühen jedoch am Veto der SPÖ, die aufgrund der schlechten Umfragewerte ihres Spitzenkandidaten Ausserwinkler einen späteren Zeitpunkt bevorzugte, um der allgemeinen Stimmung noch entsprechend gegensteuern zu können. Doch nicht die SPÖ vermochte die sechs Monate bis zur Wahl zu nutzen, sondern die FPÖ, der in diesen Monaten eine deutliche Trendumkehr gelang. Die von der SPÖ mit einem späteren Zeitpunkt erhoffte politische Stabilisierung trat aufgrund der anhaltenden innerparteilichen Differenzen nicht ein. Rund fünf Wochen vor der Landtagswahl sahen selbst parteiinterne Umfragen Jörg Haiders Kärntner FPÖ zwischen drei und fünf Prozentpunkte deutlich in Front. Als Ursache für die mangelnde Attraktivität der SPÖ wurde vor allem die Person des Spitzenkandidaten der südliche Nachbar Slowenien im Zweifelsfall die Kärntner Grenze als unantastbar ansieht. Bis heute zeigt sich, dass das nicht so ist. Der slowenische Präsident Kučan hat vor gar nicht langer Zeit in einer Rede gesagt, dass Kärnten wirtschaftlich, politisch und sozial ein Teil des slowenischen Territoriums sei. Das ist die slawische Denkungsart. Diese Menschen denken in völkischen Räumen, in Dimensionen der ethnischen Zugehörigkeit, und dieses Denken hat auch einen imperialistischen Hintergrund. […] Auch die Monarchie ist am slawischen Imperialismus zerbrochen. Ein serbischer Fanatiker ermordete den Thronfolger, weil er den Traum eines serbischen Großreiches verwirklichen wollte. Das war der Urgrund des Ersten Weltkrieges. Und als der Krieg beendet war und klar wurde, dass das neue Österreich ein schwaches Gebilde ist, kam bei der ersten Gelegenheit der slawische Imperialismus und griff nach Kärnten. Diese Ängste sind auch heute noch begründet.« (FORMAT 2/1999. S. 27) 603 Die Presse 8.2.1999. S. 7. 604 Anneliese Rohrer : Das Geheimnis seines Erfolges : »Ein altes Feldherrn-Prinzip«. – In : Die Presse 9.3.1999. S. 3. 605 Der Standard 15.2.1999. S. 8.
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gesehen, dessen parteiinterne Kritiker seit dem Sommer 1998, wenn auch schließlich vergeblich, mehrere Versuche unternahmen, den kontaktscheuen und kaum publikumswirksam vermittelbaren Spitzenkandidaten durch eine attraktivere Alternative zu ersetzen. Hinzu traten die nach außen hin sichtbar werdenden parteiinternen Spannungen und Differenzen zwischen den starken SPÖ-Bürgermeistern, wie Gerhard Mock (St. Veit), Gerhard Köfer (Spittal) und Gerhard Seifried (Wolfsberg), dem mächtigen Gewerkschaftsflügel, dem Landtagsklub und der Klagenfurter Stadtpartei. Um die Situation zu beruhigen und Ausserwinkler nicht noch mehr zu beschädigen, stellten sich der mächtige Villacher Bürgermeister Helmut Manzenreiter, Landtagspräsident Adam Unterrieder und Klubobmann Herbert Schiller vor den Spitzenkandidaten. Doch alle in letzter Minute erfolgten Solidarisierungsversuche konnten nicht verhindern, dass eine Gallup-Umfrage einen Monat vor der Wahl die FPÖ mit rund fünf Prozent vor der SPÖ sah und der Partei einen veritablen Absturz in der Wählerakzeptanz vorhersagte. Wenngleich in der Landeshauptmannfrage Zernatto mit 37 Prozent noch deutlich vor Haider mit 26 Prozent und Ausserwinkler mit 19 Prozent führte, so erklärten 41 Prozent, dass Haider in dem Fall, dass die FPÖ zur stimmenstärksten Partei avancierte, auch die Funktion des Landeshauptmanns ausüben sollte.606 Während die SPÖ-internen Kritiker Ausserwinklers Persönlichkeit und Wahlkampfstil für die zu erwartende Wahlniederlage verantwortlich machten und – allerdings ohne Erfolg – in letzter Minute eine Änderung der Wahlkampflinie in Form einer Initiative der populären SPÖ-Bürgermeister vorschlugen,607 setzte die ÖVP im Wissen um die hohe Popularität Christof Zernattos auf die Persönlichkeit ihres Spitzenkandidaten. Zernatto offerierte sich als zukünftiger Landeshauptmann, der auch bereit sei, mit der FPÖ zusammenzuarbeiten. »Warum soll man, wenn man politische Ziele umsetzen muss, für alle Ewigkeit ausschließen, mit der FPÖ auf der Basis einer sinnvollen gemeinsamen Zielsetzung zusammenzuarbeiten ?« Dieses politische Angebot gelte jedoch nur für den Fall, dass er bei der Landtagswahl einen Zugewinn an Vertrauen erhalte. »Ich habe klar gesagt, dass ich bereit bin, mich um den Landeshauptmannsessel zu bewerben, wenn ich dazu gewinne. Gelingt es mir nicht, eine klare, positive Meinungsäußerung der Bevölkerung auf die Waage zu legen, gibt es für mich keine Legitimation. […] Und wenn ein anderer gleichzeitig sieben oder acht Prozent dazu gewinnt, haben die Kärntner den Landeshauptmann, den sie haben wollen.«608 Am Vorabend der Wahl signalisierten sämtliche Umfragedaten ein Absinken der SPÖ in der Wählergunst und ein weitgehendes Ausbleiben der Übertragung des Landeshauptmann-Bonus von Christof Zernatto auf die ÖVP. Der Wahlabend des 606 FORMAT 6/1999. S. 23. 607 Vor allem der Wolfsberger Bürgermeister Gerhard Seifried hielt die von Ausserwinkler im Wahlkampffinale forcierte Anti-Haider-Kampagne für kontraproduktiv. 608 FORMAT 8/1999. S. 30f.
252
Das Wahljahr 1999
7. März 1999 brachte ein politisches Erdbeben, da sowohl SPÖ als auch ÖVP mit Stimmenverlusten von 4,5 bzw. 3,1 Prozent ihre Wahlziele klar verfehlten, während die FPÖ mit einem Stimmenzuwachs von 8,8 Prozent nicht nur ihr mit Abstand bestes Wahlergebnis seit 1945 erreichte, sondern mit 42,1 Prozent zur deutlich stärksten Fraktion im Kärntner Landtag wurde. Landtagswahlen in Kärnten 1989–1999:609 Jahr 1989
Stimmen
Prozent
Mandate
SPÖ
Partei
162.147
46,0
17
FPÖ
102.322
29,0
11
ÖVP
74.054
21,0
8
KPÖ
2.155
0,6
0
12.188
3,4
0
SPÖ
130.768
37,4
14
FPÖ
116.419
33,3
13
ÖVP
83.224
23,8
9
Sonstige
19.486
5,5
0
SPÖ
108.469
32,9
12
FPÖ
138.816
42,1
16
ÖVP
68.308
20,7
8
Demokraten 99
12.865
3,9
0
1.354
0,4
0
Sonstige 1994
1999
KPÖ
Die überraschenden Verluste der ÖVP konzentrierten sich vor allem in ihren Hochburgen, den Oberkärntner Agrargemeinden (zwischen –8 und –12 Prozentpunkte), den Wörtherseegemeinden (–4,9 und 9,9 Prozentpunkte) und Klagenfurt (–2,5 Prozentpunkte). Ein sichtlich schwer getroffener Landeshauptmann Zernatto, der das schlechteste Wahlergebnis der ÖVP seit 1945 geliefert hatte, erklärte, das Ergebnis sei für ihn »unvorstellbar«.610 Vor rund 200 Wahlhelfern und Funktionären erklärte er am Wahlabend : »Man würde den anderen zu viel Freude machen, wenn man nur plärren würde – obwohl mir schon ein bisschen danach zumute ist.«611 Er habe damit keinerlei Legitimation, Anspruch auf die Funktion des Landeshauptmanns zu erheben. Doch auch der SPÖ-Spitzenkandidat Michael Ausserwinkler hatte sich nicht als Haider-Gegner zu positionieren und den teilweise massiven Einbruch der FPÖ in SPÖ-Kernwählerschichten zu verhindern vermocht. In klassischen SPÖ-Hochbur609 ÖJP 1999. S. 782. 610 Der Standard 8.3.1999. S. 1. 611 Die Presse 9.3.1999. S. 7.
253
Die Landtagswahlen als bundespolitisches Stimmungsbarometer
gen, wie Bad Bleiberg, Lavamünd, Wolfsberg, Spittal a. d. Drau, St. Veit a. d. Glan oder Villach, betrugen die SPÖ-Verluste zwischen 3,6 und 12,2 Prozentpunkte. Gesamtergebnis, Gewinne bzw. Verluste der Parteien in SPÖ-Hochburgen in Prozent: 612 SPÖ
FPÖ
ÖVP
Andere
Lavamünd
40,4/ –12,2
39,6/ +13,1
18,8/ -0,1
1,2
St. Veit a.d.Glan
38,4/ –7,6
42,6/ +10,5
15,2/ –2,0
3,8
Villach-Stadt
35,8/ –4,9
43,4/ +9,5
16,3/ –3,1
4,6
Wolfsberg
34,8/ –3,6
44,8/ +10,7
17,8/ –5,3
2,7
Spittal a. d.Drau
33,4/ –4,2
44,2/ +9,5
18,1/ –1,7
4,3
Nach einer SORA-Wählerstromanalyse gaben 26.000 Kärntner, d. h. jeder fünfte Wähler, der noch 1994 SPÖ gewählt hatte, diesmal der FPÖ ihre Stimmen, womit die SPÖ noch deutlichere Verluste als die ÖVP verzeichnete, die rund 8.000 ihrer Wähler des Jahres 1994 an die FPÖ verlor.613 Jörg Haider kommentierte den Wahlausgang zurückhaltend mit der Bemerkung, »das österreichische Volk« habe »mit dieser Wahl die Demokratie in diesem Land eingemahnt.« Die anderen Parteien müssten »mit dem heutigen Tag endlich zur Kenntnis nehmen …, dass die Ausgrenzung der FPÖ ein Ende« habe. Diese Strategie sei »endgültig gescheitert.«614 Gleichzeitig erhob er Anspruch auf die Funktion des Landeshauptmanns, wobei er auf eine, wenn auch innerparteilich heftig kritisierte, Erklärung des SPÖ-Spitzenkandidaten Ausserwinkler verweisen konnte, in der dieser betonte hatte, dass der Kandidat der stimmenstärksten Partei auch die Funktion des Landeshauptmanns ausüben sollte. So deponierte er am Wahlabend seinen Anspruch auf diese Position. »Die Chance, den Landeshauptmann für die Freiheitlichen zu bekommen, ist nun größer geworden. Auch bei den anderen wird die Überzeugung reifen, dass der Wählerwille nicht durch Packelei oder die Parteizentralen in Wien ausgeschaltet werden kann.« Ähnlich äußerte sich FPÖ-Generalsekretär Peter Westenthaler nach Bekanntwerden der ersten Hochrechung : »Die Wähler haben gesprochen, die Kärntner wollen Jörg Haider als Landeshauptmann. Klima und Schüssel werden sich bei der EU- und Nationalratswahl warm anziehen müssen. Wird Haider nicht Landeshauptmann und SPÖ und ÖVP packeln weiter, gibt es ein Ergebnis, das sich gewaschen hat.«615 612 FORMAT 10/1999. S. 25. 613 SN 9.3.1999. S. 3. 614 FORMAT 10/1999. S. 27. 615 Die Presse 8.3.1999. S. 7.
254
Das Wahljahr 1999
Die Wahl des Kärntner Landeshauptmanns wurde nicht nur zu einem Kärntner, sondern auch bundespolitischen Thema. Im Vorfeld der Wahl hatte ÖVP-Klubobmann Andreas Khol erklärt, sollte die SPÖ, z. B. durch das Ausnutzen der Geschäftsordnung des Kärntner Landtages, die Wahl Jörg Haiders zum Kärntner Landeshauptmann ermöglichen,616 würde dies zu einer »schweren Koalitionskrise – und mehr« führen. Die ÖVP werde nicht mehr, wie noch 1989, Haider oder einen anderen freiheitlichen Politiker zum Kärntner Landeshauptmann wählen.617 Noch am Wahlabend erklärte SPÖ-Vorsitzender Viktor Klima, die SPÖ wolle auch weiterhin einen Landeshauptmann Haider verhindern und SPÖ-Bundesgeschäftsführer Andreas Rudas betonte : »Die Kärntner Freunde denken wie ich, sie haben Haider aus guten Gründen schon einmal abgewählt. Daran ändert sich nichts.«618 Die öffentliche und ein Großteil der veröffentlichten Meinung sprachen hingegen eine andere Sprache. In einem Kommentar zum Wahlergebnis kam Gerhard Steininger zu dem Schluss, es gebe, ob einem das passe oder nicht, Wahlergebnisse, die einem zwar eine theoretische, aber keine praktische Wahl lassen. »Nicht der Arithmetik nach, sehr wohl aber dem demokratischen Sinne nach hat Jörg Haider Anspruch auf das Amt des Kärntner Landeshauptmannes. […] Verhindern SPÖ und ÖVP die Wahl Haiders zum Landeshauptmann, dann ist bei den Nationalratswahlen 1999 ein Erdrutsch zugunsten des Märtyrers Haider und seiner Bewegung sicher.«619 Einen Monat vor der Landtagswahl hatte Haider im Anschluss an eine FPÖ-Klubklausur seine politischen Ansprüche und strategischen Überlegungen offengelegt. Falls die FPÖ bei der kommenden Landtagswahl zur stimmenstärksten Partei werde oder diese Position nur knapp verfehle, werde er den Anspruch auf den Landeshauptmann erheben und er sei auch bereit, diesen notfalls durch sofortige Neuwahlen zu erzwingen. »Kommt es im Landtag zu keiner gültigen Landeshauptmannwahl, dann haben jene den Schwarzen Peter, die den Wählerwillen missachten.«620 Der am Wahlabend mit Hinweis auf das Wahlergebnis erhobene Anspruch Haiders auf den Landeshauptmann sowie die einen Monat zuvor erfolgte Drohung mit sofortigen Neuwahlen, die 616 Die Geschäftsordnung des Kärntner Landtages sah vor, dass in einem eventuell notwendigen dritten Wahlgang die Anwesenheit der Hälfte der insgesamt 36 Abgeordneten und die relative Mehrheit der abgegebenen Stimmen genügt, um den neuen Landeshauptmann zu wählen. In diesem Fall wäre es möglich gewesen, dass ein Großteil der SPÖ-Abgeordneten den Sitzungssaal verlässt und nur so viele Abgeordnete im Saal verbleiben, dass die erforderliche Zahl von 18 Abgeordneten erreicht wird. Diese hätten dann auch gegen eine Wahl Haiders stimmen können, der trotzdem nur mit den Stimmen der FPÖ Landeshauptmann gewählt worden wäre. 617 Der Standard 5.3.1999. S. 7. 618 Die Presse 8.3..1999. S. 9. 619 Gerhard Steininger : Jörg Haider muss Landeshauptmann werden und nicht Märtyrer. – In : SN 8.3.1999. S. 1. 620 Die Presse 8.2.1999. S. 7.
Die Landtagswahlen als bundespolitisches Stimmungsbarometer
255
die FPÖ aufgrund der Mehrheitsverhältnisse im Landtag nicht erzwingen konnte, ignorierten die turbulenten Ereignisse der Kärntner Landespolitik der letzten zehn Jahre. 1989 hatte die SPÖ nur knapp die absolute Mehrheit verfehlt und war Haider mit den Stimmen von ÖVP und FPÖ zum Landeshauptmann gewählt worden. 1994 hatte die FPÖ unter der Führung Haiders durch einen siebenmaligen Auszug aus dem Landtag zwei Monate lang die Wahl eines Landeshauptmanns und einer funktionsfähigen Landesregierung verhindert. Haider sorgte mit seinem nunmehr ultimativ erhobenen Anspruch auf den Landeshauptmann sowohl bei der SPÖ wie auch bei der ÖVP aufgrund ihrer im Vorfeld der Landtagswahl getroffenen Festlegungen, Haider nicht zum Landeshauptmann zu wählen, für ein strategisches Dilemma, aus dem es mit Blick auf mögliche Auswirkungen auf die bevorstehende Nationalratswahl einen Ausweg zu suchen galt. Die Situation gestaltete sich dabei für die SPÖ besonders schwierig, da sie mit Bezugnahme auf die Obstruktionshaltung der FPÖ bei der Landeshauptmannwahl 1994 erklärt hatte, sie werde Jörg Haider nicht zum Landeshauptmann wählen, jedoch auf demokratiepolitisch bedenkliche parlamentarische Winkelzüge verzichten. Der Kärntner SPÖ gelang der taktische Befreiungsschlag mit der Nominierung ihres Klubobmanns Herbert Schiller für die Position des Landeshauptmanns. Damit wurde auch für die ÖVP scheinbar ein doppelter Ausweg aus dem Dilemma eröffnet. Sie konnte entweder für die Wahl des SPÖ-Kandidaten votieren oder durch einen Auszug ihrer acht Abgeordneten eine Kampfabstimmung zwischen FPÖ und SPÖ in dem nunmehr auf 28 Abgeordnete geschrumpften Landtag ermöglichen. In diesem Fall reichten die 16 Abgeordneten der FPÖ für die Wahl Haiders zum Landeshauptmann, während die SPÖ geschlossen für den von ihr präsentierten Kandidaten stimmen konnte. In diesem Szenario konnten sowohl SPÖ wie ÖVP ihr Gesicht wahren und Jörg Haider dennoch die Wahl zum Landeshauptmann ermöglichen. Diese strategische Variante erhielt durch die Wahl des Villacher Bürgermeisters Helmut Manzenreiter zum neuen Landesparteiobmann der Kärntner SPÖ am 11. März hohe Wahrscheinlichkeit, galt dieser doch als strikter Gegner einer Wahl Haiders zum Landeshauptmann.621 Die SPÖ werde Haider nicht zum Landeshaupt621 Die Wahl Helmut Manzenreiters erfolgte aufgrund eines Machtworts von Bundeskanzler Viktor Klima. Die Risse und Grabenkämpfe in der Kärntner SPÖ wurden nach der Wahlniederlage vom 7. März 1999 deutlich sichtbar, wobei sich in der Partei zwei Flügel unversöhnlich gegenüberstanden. Die Gruppe der altgedienten und einer Reform der Partei weitgehend ablehnend gegenüberstehenden Funktionäre um ÖGB-Landeschef Adam Unterrieder, AK-Präsident Josef Quantschnig und den Klagenfurter Stadtparteiobmann Ewald Wiedenbauer und die Gruppe der Reformer um den SPÖ-Klubobmann Herbert Schiller, die Bürgermeister Gerhard Seifried, Gerhard Mock, Helmut Manzenreiter und Gerhard Köfer sowie Frauenchefin Melitta Trunk. Die Gruppe der altgedienten Funktionäre brachte SP Sicherheitssprecher Anton Leikam als Nachfolger des glücklosen Michael Ausserwinkler in Stellung und stieß damit auf den massiven Widerstand der Reformgruppe, die mit einem Gegenkandidaten und damit einer
256
Das Wahljahr 1999
mann wählen, ließ der designierte Landesparteiobmann der Kärntner SPÖ wissen, jedoch auch »keine Maßnahmen setzen […|, um die Wahl zu verhindern.«622 Am 14. März erklärte er in der TV-»Pressestunde« des ORF zum Wahltriumph Haiders : »Er hat den politischen Führungsauftrag bekommen.«623 Unterstützung erhielt die Taktik der Kärntner SPÖ durch den SPÖ-Quer- und Vordenker Bruno Aigner, Sekretär des stellvertretenden Parteivorsitzenden und Nationalratspräsidenten Heinz Fischer : »Man muss zur Kenntnis nehmen : die Leute in Kärnten unten wollen ihn. SPÖ und ÖVP sollen ihn nicht aktiv wählen, sondern seine Wahl ermöglichen.«624 In der Kärntner ÖVP interpretierte man hingegen den von der SPÖ gewählten Weg als neuerliches politisches Dilemma. Blieben ihre Abgeordneten im Plenum, so müssten sie entweder für Schiller oder Haider votieren. Wählten sie ungültig, würde Haider nicht Landeshauptmann, verließen sie bei der entscheidenden Abstimmung den Saal, so leisteten sie passive Wahlhilfe für Haider und böten der SPÖ bei der Nationalratswahl die Möglichkeit, vor einer drohenden schwarz-blauen Koalition zu warnen. In diesem Sinne ließ sich Bundeskanzler und SPÖ-Vorsitzender Viktor Klima vernehmen, der auf die Frage, ob er in einer indirekten Unterstützung der Wahl Haiders zum Kärntner Landeshauptmann eine Vorleistung für eine eventuelle schwarz-blaue Koalition im Bund sehe, ein Dementi verweigerte und erklärte, sollte die ÖVP die Wahl Haiders ermöglichen, wäre das Vertrauen und die Zusammenarbeit in der Koalition gestört.625 Zudem entwickelte sich in der Kärntner ÖVP, ähnlich wie in der Kärntner SPÖ, ein Richtungsstreit. Die von Noch-Landesparteiobmann und Landeshauptmann ausgegebene Devise – kein SPÖ- und FPÖ-Landeshauptmann mit ÖVP-Hilfe – wurde wenig später durch die Klagenfurter Stadtparteiorganisation um Bürgermeister Harald Scheucher und Stadtparteiobmann Dieter Jandl mit der Devise »Haider muss ermöglicht werden« unterlaufen. Scheucher galt parteiintern als Befürworter einer FPÖ-ÖVP-Koalition, hatte bereits 1989 die Wahl Haiders zum Landeshauptmann ermöglicht und verdankte im Gegenzug seine Wahl zum Klagenfurter Bürgermeister der FPÖ-Unterstützung. Die ÖVP-interne Diskussion bewegte sich zwischen Szylla und Charybdis. Entschied man sich für die Wahl des SPÖ-Kandidaten Herbert Schiller, würde dies als »Koalition der Verlierer« gelten, es wäre Wasser auf die Mühlen der FPÖ und machte Haider zum politischen Märtyrer mit bundesweiKampfabstimmung auf dem bevorstehenden Landesparteitag im April drohte. Die Vermittlungsversuche von Klubobmann Schiller, der eine Kampfabstimmung unbedingt vermeiden wollte, scheiterten, weshalb die Bundespartei intervenierte und Viktor Klima in einer Krisensitzung in Klagenfurt Helmut Manzenreiter als alleinigen Kandidaten für die Nachfolge Ausserwinklers durchsetzte. 622 Der Standard 12.3.1999. S. 9. 623 Die Presse 15.3.1999. S. 7. 624 SN 9.3.1999. S. 2. 625 SN 10.3.1999. S. 2.
Die Landtagswahlen als bundespolitisches Stimmungsbarometer
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ter, d. h. direkter Auswirkung auf die bevorstehende Nationalratswahl. Als mögliche Kompromissvariante wurde von beiden Parteien kurze Zeit die gemeinsame Wahl eines relativ unabhängigen, jedoch SPÖ-nahen Kandidaten erwogen. Als mögliche Kandidaten wurden der Vorstand der Radex-Heraklith, Rudolf Kanzis, und der ehemalige Sekretär von SPÖ-Landeshauptmann Leopold Wagner und nunmehrige St. Veiter Bezirkshauptmann sowie Olympiageschäftsführer Dieter Kalt gehandelt. So sehr sich die SPÖ für eine solche Übergangslösung erwärmen konnte, so sehr war die ÖVP – vor allem aufgrund des Widerstandes der Klagenfurter Stadtpartei – in dieser Frage gespalten, sodass die Variante des gemeinsamen Kompromisskandidaten bald wieder in der Versenkung verschwand. Hätte man die Wahl Haiders durch den Auszug aus dem Landtag bei der entscheidenden Abstimmung ermöglicht, so hätte dies als indirekte Wahlhilfe für Haider und im bevorstehenden Nationalratswahlkampf als Vorleistung für eine schwarz-blaue Koalition im Bund interpretiert werden können. Jenseits der taktischen politischen Überlegungen ergaben österreichweite Umfragen zwischen 57 und 66 Prozent für eine Wahl Haiders zum Landeshauptmann und auch Bundespräsident Thomas Klestil sprach sich mit dem Hinweis, man müsse Wahlergebnisse respektieren, indirekt für die Wahl des FPÖ-Obmanns aus. Das Stimmungsbild in der Kärntner Bevölkerung entsprach dem gesamtösterreichischen, wobei bei Straßenbefragungen in Klagenfurt jener typische Mix zutage trat, der dem populistischen Erfolg Haiders zugrunde lag. In einem »Presse«-Bericht hieß es : »Haider müsse sich ›zusammenreißen‹, meint ein Lehrer : ›Er darf nicht wieder seine braunen Sprüche loslassen. Wenn ihm das gelingt, werden sich die Leute blenden lassen und ihn auch beim nächsten Mal wieder wählen.‹ Zwei Mädchen, die auf einer Parkbank die Frühlingssonne genießen, erklären den Siegeslauf des blauen Wahlkärntners ganz simpel mit ›Sympathie‹ ;Er ist einfach näher bei den Menschen dran. Er geht am Wochenende in Jugendlokale und gibt eine Runde aus. Das macht schon viel aus.‹ Soll Haider Landeshauptmann werden ? Dieselbe Frage an ein Pensionistenehepaar vor dem Lindwurm gerichtet. ›Ich selber mag ihn zwar nicht, aber nachdem ihn so viele gewählt haben, muss man das anerkennen‹, meint der Mann. Aber ›gar so gut‹ werde das für Kärnten nicht sein […] Positiv […] sei Haiders Kampf gegen die Privilegien : ›Die Politiker kriegen nach zehn Jahren eine Pension. Ich hab’ Pensionszeiten nachkaufen müssen. Das ist ungerecht !‹ Es fällt auf, dass sich zwar wenige Leute zur FPÖ bekennen, viele aber indirekt Sympathie für die Themen Haiders bekunden. ›Beim Kinderscheck und bei den Mieten hat er einfach recht‹, sagt ein 25jähriger Arbeitsloser. […] ›Ich bin ein Arbeiter und war schon immer ein Sozialist‹, eröffnet ein Passant das Gespräch. Diesmal hätten aber ›sogar Slowenen‹ Haider gewählt, und überhaupt
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Das Wahljahr 1999
möge man ihn doch endlich an die Macht lassen, ›damit er einmal zeigt, was er wirklich kann.‹ Dieser Meinung ist auch ein 17jähriger Schüler, der noch nicht mitwählen durfte. ;Sicher soll Haider Landeshauptmann werden. Die Mehrheit wollte ihn.‹ …«626 In der ÖVP-internen Diskussion setzte sich schließlich die Gruppe um den Klagenfurter Bürgermeister Harald Scheucher durch. Durch den Auszug aus dem Landtagsplenum bei der entscheidenden Abstimmung sollte die Wahl Jörg Haiders zum Landeshauptmann ermöglicht werden. Im Gegenzug sollte in Vorverhandlungen mit der FPÖ der landespolitische Einfluss der ÖVP durch Zugeständnisse des Wahlsiegers gesichert werden. Haider war in den Verhandlungen bereit, der ÖVP das einflussreiche Gemeinderessort zusätzlich zu den Agenden Landwirtschaft und Raumplanung sowie die Führung von zwei der zehn Landtagsausschüsse zu überlassen, sodass die ÖVP in der neuen Landesregierung über einen überproportionalen Einfluss verfügte. Die bereits unmittelbar nach dem 7. März erwogenen politischen Planspiele wurden einen Monat später Realität. Am 8. April wurde Jörg Haider mit den 16 Stimmen der FPÖ zum Kärntner Landeshauptmann gewählt. Die zwölf Stimmen der SPÖ entfielen auf Herbert Schiller, während die acht Abgeordneten der ÖVP nicht im Sitzungssaal weilten. Die ÖVP hatte bis knapp vor der entscheidenden Sitzung des Landtages die Position vertreten, wenn es einen ihrer Auffassung nach geeigneten Kompromisskandidaten zu Haider oder Schiller gebe, wäre sie bereit, diesen zu wählen. Da dies aber bis 24 Stunden vor der Sitzung des Landtages nicht der Fall war, erklärte ÖVP-Landesrat Georg Wurmitzer am 8. April : »Die Wahl Haiders wird heute, Donnerstag, über die Bühne gehen.« Denn schließlich habe es bis dato »keine Alternative zu Haider und Schiller gegeben«.627 Damit kehrte Haider nach 2.848 Tagen auf den Sessel des Kärntner Landeshauptmanns zurück, um seine damaligen Abschiedsworte von seiner Funktion Wirklichkeit werden lassen : »Heute tragen Sie einen Sieg davon. Bei uns bleibt ein bisschen Wehmut und Enttäuschung zurück, aber nicht Bitterkeit. Vielleicht kehre ich in ein paar Jahren als ein vom Volk gewählter Landeshauptmann zurück.«628 In einer ersten Stellungnahme nach seiner Wahl erklärte er kryptisch zu seinen bundespolitischen Ambitionen, er wolle fünf Jahre im Amt bleiben und habe »keine Karrierepläne« mehr. »Es wäre geradezu arrogant und überheblich, jetzt über etwas anderes nachzudenken«, um allerdings einschränkend hinzuzufügen : »Ich bin für endgültige Entscheidungen nie zu haben. Dafür hat sich schon zu viel geändert in meinem Leben.« Das Kärntner Wahlergebnis vom 7. März habe nicht nur landes-, sondern 626 Ernst Sittinger : Kärnten : »Haider soll zeigen, was er kann.« – In : Die Presse 15.3.1999. S. 7. 627 Der Standard 8.4.1999. S. 10. 628 Kurier 8.4.1999. S. 6.
Die Landtagswahlen als bundespolitisches Stimmungsbarometer
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auch bundespolitische Bedeutung. Es sei »eine kleine Revolution, denn die FPÖ habe das starre Zweiparteiensystem »endgültig ad absurdum geführt« und werde bis zur kommenden Nationalratswahl alles daran setzen, die FPÖ insgesamt zu stärken.629 VII.1.2 Die Salzburger Landtagswahl am 7. März. Oder : Mit einem blauen Auge davongekommen Die ÖVP stellte in Salzburg, wenn auch mit unterschiedlichem Zuspruch, seit 1945 den Landeshauptmann. Ihr Stimmenanteil schwankte bis in die Mitte der neunziger Jahre zwischen 47,2 und 43,6 Prozent. Lediglich 1984 vermochte sie mit 50,2 Prozent die absolute Mehrheit zu erringen. Erst bei der Landtagswahl 1994 sank sie, vor allem auch aufgrund bundespolitischer Einflüsse, mit 38,6 Prozent unter die 40-Prozent-Marke. Die SPÖ erreichte zwischen 1949 und 1984 Zustimmungsraten zwischen 33,6 und 40,9 Prozent, um allerdings bei den Landtagswahlen 1989 einen Einbruch auf 31,2 und 1994 auf 27,1 Prozent hinnehmen zu müssen. Salzburg galt bereits in der Ersten Republik als Hochburg des nationalliberalen Lagers, war 1949 der Geburtsort des VdU (Verband der Unabhängigen), die FPÖ pendelte bei den Landtagswahlen 1949 bis 1994 zwischen 18,5 und 19,5 Prozent, wobei das Jahr 1984 mit einem Absinken auf 8,7 Prozent und dem Ausscheiden aus der Landesregierung eine Ausnahme bildete. Die FPÖ profitierte erheblich von der Übernahme des Parteivorsitzes durch Jörg Haider und schloss in dessen Windschatten bei den Landtagswahlen 1989 und 1994 mit 16,4 und 19,5 Prozent an ihre besten Ergebnisse in der Nachkriegszeit an. Salzburg, vor allem die Landeshauptstadt mit ihrer äußerst mobilen Wählerstruktur, war auch in Form von Bürgerinitiativen eine der Geburtsstätten der Grünen, die hier unter dem Namen »Bürgerliste« bei der Landtagswahl 1989 erstmals mit zwei Mandaten in den Landtag einzogen und bei der Landtagswahl 1994 mit einem Stimmenanteil von 7,7 Prozent drei Mandate und damit den Klubstatus erreichten. In Salzburg hatte sich bereits Ende der achtziger Jahre die traditionelle politische Landschaft durch die Etablierung der Grünen erweitert und sich damit vor allem im urbanen Ballungsraum der Landeshauptstadt die politische Konkurrenzlogik nachhaltig verändert. Die deutlichen Gewinne der FPÖ bei den Landtagswahlen 1989 und 1994, die ihren Wiedereinzug in die Landesregierung zur Folge hatten, führten zu einer zunehmenden Blockadepolitik in der Landesregierung, da vor allem die FPÖ ihre Rolle in der Regierung zunehmend als Opposition verstand und landespolitische Weichenstellungen verhinderte. Politische Entscheidungen wurden dadurch massiv verzögert oder nur im politischen Tauschhandel erreicht, wobei auch die SPÖ zunehmend 629 Die Presse 9.4.1999. S. 7.
260
Das Wahljahr 1999
zum Mittel des politischen Vetos oder der politischen Junktimierungen griff. Das in der Landesverfassung verankerte System des Regierungsproporzes bewirkte in den neunziger Jahren eine zunehmende Lähmung der Landespolitik, die den Eindruck der politischen Windstille erweckte. Landeshauptmann Hans Katschthaler, stets um Konsens bemüht und vor politischen Kraftproben zurückschreckend, galt als Personifikation dieses »Salzburger Klimas«, das sich zunehmend kritischen Kommentaren seitens der politischen Beobachter sowie einer politisch interessierten Öffentlichkeit ausgesetzt sah. Auch die FPÖ, wenngleich Nutznießer des Proporzsystems, ging bei der Landtagswahl 1994 in die Offensive und propagierte einen Wechsel des Regierungssystems mit dem Slogan »Mit Proporz und Packelei ist es nach der Wahl vorbei !« und Spitzenkandidat Karl Schnell offerierte sich in Anspielung auf eine laufende populäre TV-Serie mit der Behauptung »Allein gegen die Mafia« als frischer Wind in einer angeblich von Korruption und Mauschelei geprägten Landespolitik. Ein Anspruch, den ihm allerdings die Grünen streitig machten. Die aus der Landtagswahl 1994 mit zwei Regierungssitzen in der Landesregierung vertretene FPÖ löste durch ihre von Blockade und Obstruktion geprägte Haltung in der Landesregierung, die sogar eine gemeinsame Regierungserklärung verhinderte und damit die zunehmende Ineffektiv der Landespolitik dokumentierte, die Bereitschaft von ÖVP und SPÖ zu einer Beseitigung des in der Landesverfassung festgeschriebenen Proporzes aus. Hatte man eine Änderung der Landesverfassung bereits unter Landeshauptmann Hans Katschthaler, wenn auch ohne Folgen, im Landtag diskutiert, so war dessen Nachfolger Franz Schausberger entschlossen, die aufgrund unterschiedlicher Interessen blockierten Verhandlungen wieder in Gang zu bringen. Erst die sogenannte »Datenklau-Affäre« im Oktober 1997630 löste den Gordischen Knoten und führte am 22. April 1998 zu einer Beschlussfassung über eine neue Landesverfassung, mit der der Proporz abgeschafft und die Bildung einer Mehrheitsregierung ermöglicht wurde.631 Am 21. Juni 1998 stimmten bei einer Wahlbeteiligung 630 Ein Mitarbeiter des Büros von Landesrat Karl Schnell drang im Zuge einer EDV-Panne in den Computer von SPÖ-Landeshauptmann-Stellvertreter Gerhard Buchleitner ein und kopierte eine Liste von Landesbediensteten, die in absehbarer Zeit in Pension gehen würden und für deren Nachfolge SPÖMitglieder oder -Sympathisanten vorgesehen waren. Schnell ging mit der Behauptung, diese streng vertraulichen Daten seien ihm von frustrierten SPÖ-Mitarbeitern zugespielt worden, in die Öffentlichkeit. Wenig später wurde allerdings bewiesen, dass ein Mitarbeiter Schnells diese Daten während der EDV-Panne aus dem Computer Buchleitners kopiert hatte. Die SPÖ plante einen Misstrauensantrag gegen Schnell, dem die ÖVP nur unter der Bedingung zuzustimmen bereit war, dass die SPÖ ihrerseits zusicherte, bis zur nächsten Landtagswahl die Landesverfassung in Richtung Abschaffung des Proporzes zu ändern. Am 25. Oktober 1997 sprach der Salzburger Landtag mit den Stimmen von ÖVP und SPÖ Landesrat Karl Schnell das Misstrauen aus. Nach längeren landespolitischen Kontroversen wählte der Salzburger Landtag die von der FPÖ gestellte Dritte Landtagspräsidentin Margot Hofer zur neuen Landesrätin und Nachfolgerin Schnells. 631 Schausberger (Hg.) : Vom Regierungsproporz zur Konkurrenz. Herbert Dachs : Proporz-Fechtereien ?
Die Landtagswahlen als bundespolitisches Stimmungsbarometer
261
von lediglich 10,19 Prozent 95,28 Prozent für die neue Landesverfassung, die damit für die Landtagswahl 1999 neue politische Optionen ermöglichte. Dies vor allem auch deshalb, weil seitens des Verfassungsgerichtshofs einer Beschwerde des Liberalen Forums stattgegeben worden war. Dieses hatte bei der Landtagswahl 1994 5,8 Prozent der Stimmen erreicht, jedoch den Einzug in den Landtag verfehlt, weil es laut Salzburger Landeswahlordnung kein Grundmandat erreicht hatte. Aufgrund des Erkenntnisses des Verfassungsrechtshofes war die Landeswahlordnung geändert und eine prinzipielle Fünf-Prozent-Klausel festgelegt worden. Berücksichtigte man das Wahlergebnis des Jahres 1994, so musste es 1999 zu einer neuerlichen Auffächerung des Parteienspektrums in Salzburger Landtag kommen. Im Vorfeld der Landtagswahl ergab sich insoferne eine völlig überraschende politische Konstellation, als sowohl FPÖ als auch Grüne in heftige innerparteiliche Turbulenzen gerieten, die von der Öffentlichkeit und den Medien aufmerksam registriert wurden. Während Karl Schnell durch eine Eliminierung seiner innerparteilichen Gegner die Krise überstand und bei der im Dezember 1998 präsentierten, von seinen innerparteilichen Widersachern gesäuberten, Kandidatenliste wiederum als Spitzenkandidat aufschien,632 konnten sich die Grünen erst im Jänner 1999 auf eine Liste einigen, die der Kompromisskandidat Cyriak Schwaighofer anführte.633 Auch das Liberale Forum vermochte trotz angereister Bundessprecherin Heide Schmidt ihrem Anspruch als tabubrechende Reformpartei kaum gerecht zu werden. Zum einen besetzte man zunehmend nicht mehrheitsfähige (Minderheiten-)Themen, zum anderen setzte man sich einer von den politischen Konkurrenten mit Häme betrachteten Peinlichkeit aus, als man nicht die laut Landeswahlordnung notwendigen 100 beglaubigten Unterstützungserklärungen pro Bezirk vorlegen konnte. Bundessprecherin Heide Schmidt musste neuerlich nach Salzburg reisen und die Sammlung der notwendigen Unterschriften unterstützen. Die zu diesem Zeitpunkt bereits deutlich werdende Krise des Liberalen Forums auf Bundesebene begann auch auf die Landesebene abzufärben, die Partei entschwand zunehmend aus dem Fokus der politischen Aufmerksamkeit. Im Gegensatz zu allen anderen Parteien startete die SPÖ ihren Wahlkampf bereits im Mai 1998 durch eine vor allem auf die Zielgruppe der Frauen abzielende Kampagne sowie eine Reihe von geschickt und unkonventionell inszenierten Konventen und einen Landesparteitag im Juni 1998, auf dem ihr keineswegs populärer SpitzenDer verweigerte Abschied vom Regierungsproporz im Bundesland Salzburg. – In : Herbert Dachs, Roland Floimair (Hg.) : Salzburger Jahrbuch für Politik 1997. – Salzburg/Wien 1997. S. 24–49 ; Herbert Dachs : Vom »System der organisierten Verantwortungslosigkeit« zur »Rückkehr des Politischen« ? Das Ende des Regierungsproporzes im Bundesland Salzburg. – Herbert Dachs, Roland Floimair (Hg.) : Salzburger Jahrbuch für Politik 1999. – Salzburg/Wien 1999. S. 22–29. 632 Höbelt : Die FPÖ und die Konflikte in ihren Landesorganisationen. S. 164ff. 633 Wolfgruber : »Im Westen nichts Neues ?« S. 33f.
262
Das Wahljahr 1999
kandidat Gerhard Buchleitner in einem Team – bestehend aus Landesrat Othmar Raus, Landtagspräsident Walter Thaler und Klubobfrau Gabi Burgstaller – präsentiert wurde. Tatsächlich gelang es, die Beliebtheitswerte Buchleitners von bescheidenen 16 auf 27 Prozent zu steigern. Es erfolgte eine unkonventionelle Plakataktion mit Plakaten, die vor allem auf jüngere Wählerschichten abzielten, begleitet von populistischen, jedoch medienwirksamen Aktionen wie der Forderung nach Senkung der Benzinkosten und die Anprangerung der zu hohen Lebenskosten. Während die Kärntner SPÖ ähnliche Aktionen Jörg Haiders als populistisch kritisierte, wurden sie für die Salzburger SPÖ zu einem zentralen Bestandteil ihrer Wahlwerbung. Die ÖVP hatte mit der Wahl Franz Schausbergers zum Nachfolger Hans Katschthalers als Landesparteiobmann und Landeshauptmann nicht nur einen Generationenwechsel vorgenommen, sondern durch die Handlungsdynamik des neuen Landeshauptmanns den landespolitischen Stillstand beendet und nicht nur die Änderung der Landesverfassung erwirkt, sondern ungelöste landespolitische Themen, wie die Unterschutzstellung der Salzachauen, das Gewerbegebiet Brennhoflehen, die Realisierung eines Museumskonzepts, die Olympiabewerbung für 2004 und die Errichtung eines neuen Fußballstadiums in Wals-Siezenheim, in Angriff genommen. Die Aktivitäten des Landeshauptmanns, der sich konzeptionell an der bayerischen Landespolitik orientierte, stießen jedoch nicht nur auf Zustimmung, sondern riefen auch zahlreiche Protestaktionen hervor. Es waren die zahlreichen kritischen Stimmen vor allem in der Landeshauptstadt, die die Umfragewerte der ÖVP im Sommer 1998 auf 34 Prozent sinken ließen. Diesem drohenden Verlust galt es gegenzusteuern. Durch die Präsentation von weiblichen Quereinsteigerinnen wie der Ex-Skirennläuferin Roswitha Steiner-Stadlober und der Frauenärztin Maria Heidinger, der Platzierung von fünf Frauen auf »sicheren« Listenplätzen, den gezielten Hinweis auf die landespolitischen Leistungen des Spitzenkandidaten sowie die Betonung des landesspezifischen Charakters der Wahl gelang im Spätherbst und Winter 1998/99 eine Trendumkehr. Die Werte des amtierenden Landeshauptmanns lagen, trotz aller Kritik an den von ihm in Angriff genommenen Projekten, jeweils über jenen der ÖVP und schwankten zwischen Oktober 1998 und März 1999 zwischen 47 und 45 Prozent Zustimmung, während das günstigste Ergebnis der ÖVP bei 40 Prozent lag. Die Werte der ÖVP stiegen auf 37 bis 40 Prozent und Landeshauptmann Schausberger gab mit Blick auf die Zahl der politischen Mitbewerber sowie im Bewusstsein um den Widerstand gegen eine Reihe der von ihm in Angriff genommenen Projekte sein Wahlziel mit »38 plus x« Prozent und den Gewinn eines Mandates an. Eine Taktik, die sich als geschickt erweisen sollte, da die ÖVP aufgrund der Wahlarithmetik 1994 ein 15. Mandat nur knapp verfehlt hatte. Bei auch nur geringen Zuwächsen lag der Gewinn eines zusätzlichen Mandats in einem sehr realistischen Bereich und man könnte am Wahlabend als Sieger auftreten.
263
Die Landtagswahlen als bundespolitisches Stimmungsbarometer
Im Vergleich der gleichzeitig durchgeführten Landtagswahlen in Kärnten und Tirol war das Salzburger Ergebnis nicht spektakulär. Die Salzburger ÖVP konnte mit 38,8 Prozent ihr Ergebnis von 1994 um 0,2 Prozent verbessern und ein Landtagsmandat gewinnen, weshalb sich Landeshauptmann Schausberger am Wahlabend als Sieger feiern lassen konnte. Der eigentliche Gewinner war hingegen die SPÖ, die mit einem Zugewinn von 5,5 Prozent und einem Mandat an ihre Wahlergebnisse in den achtziger Jahren anschließen konnte. Der Sieg der SPÖ muss jedoch relativiert werden, da die Zugewinne auf der Basis eines historischen Tiefststandes erfolgten. Als Wahlsieger mit einem bitteren Beigeschmack konnte sich auch die FPÖ feiern, die trotz innerparteilicher Querelen im Vorfeld der Landtagswahl 0,1 Prozent gewann und mit 19,6 Prozent ihr bestes Ergebnis seit 1949 erzielte. Es war die Strahlkraft Jörg Haiders und eine allgemeine bundespolitische Protesthaltung, die den neuerlichen Zugewinn bewirkte und keineswegs die Zugkraft des Spitzenkandidaten oder die Leistungsbilanz der Landespartei. Die FPÖ wurde jedoch das Opfer der Wahlarithmetik und verlor trotz eines leichten Zugewinns ein Landtagsmandat. Die Grünen verzeichneten aufgrund interner Querelen im Vorfeld der Landtagswahl ein Minus von 1,9 Prozent und den Verlust eines Landtagsmandats, während das Liberale Forum mit lediglich 3,7 Prozent den angepeilten Einzug in den Landtag deutlich verfehlte.634 Ergebnisse der Landtagswahlen in Salzburg 1994 und 1999: Jahr 1994
1999
Stimmen
Prozent
Mandate
ÖVP
Partei
98.676
38,6
14
SPÖ
69,146
27,0
11
FPÖ
49.827
19,5
8
Bürgerliste
18.519
7,3
3
Sonstige
19.470
7,6
0
ÖVP
97.649
38,8
15
SPÖ
81.562
32,5
12
FPÖ
49.345
19,6
7
Bürgerliste
13.536
5,4
2
9.207
3,7
0
698
0,3
0
LIF CSUÖ
634 Vgl. Sieghard Viertler, Herwig Ortner : Regierungsgewinne und Oppositionsverluste. Atypische Muster am Salzburger Wahlsonntag. Analyse der Salzburger Landtagswahl. – In : ÖJP 1999. S. 165–183 ; Roland Floimair (Hg.) : Wahlen 1999. Ergebnisse, Analysen, Auswirkungen. – Salzburg 1999 (Schriftenreihe des Landespressebüros. Serie »Salzburg Dokumentationen«. Nr. 112).
264
Das Wahljahr 1999
Die Wählerstromanalyse verdeutlichte, dass es diesmal der SPÖ am besten gelang, ihre Wähler aus dem Jahr 1994 wieder zu mobilisieren. Zudem vermochte sie in der Gruppe der Grün- und Nichtwähler zu punkten, während der ÖVP dies nur in einem deutlich geringeren Ausmaß gelang. Einen deutlichen Gewinn verzeichnete die ÖVP lediglich in der Gruppe der ehemaligen FPÖ-Wähler. Die Bürgerliste verzeichnete, wie das Liberale Forum, lediglich eine Behalterate von 34 Prozent und verlor vor allem durch Abwanderung ihrer Wähler zur SPÖ oder in die Gruppe der Nichtwähler. SORA-Wählerstromanalyse der Landtagswahl 1999:635 ÖVP 1999
SPÖ 1999
FPÖ 1999
Grüne 1999
LIF 1999
Nichtwähler 1999
Summe 1994
ÖVP 1994
78 %
7 %
7 %
1 %
1 %
7 %
100 %
SPÖ 1994
8 %
87 %
2 %
2 %
–
1 %
100 %
FPÖ 1994
22 %
2 %
73 %
–
2 %
1 %
100 %
BL 1994
2 %
31 %
7 %
34 %
3 %
28 %
100 %
LIF 1994
5 %
18 %
7 %
27 %
34 %
8 %
100 %
Nichtwähler 1994
1 %
4 %
1 %
1 %
2 %
90 %
100 %
Das Salzburger Wahlergebnis war von einem atypischen Muster geprägt, da sich beide Koalitionsparteien als Sieger bezeichnen konnten, da sie, wenn auch mit unterschiedlichen Stimmengewinnen, ihre Position im Landtag mit dem Gewinn von jeweils einem Mandat stärken konnten. Die ÖVP feierte bei den gleichzeitig durchgeführten Gemeindevertretungswahlen Siege in bisherigen SPÖ-Hochburgen wie Hallein, Bischofshofen, Radstadt, Neumarkt, Grödig usw. und konnte ihre Stellung als »Bürgermeisterpartei« mit nunmehr 98 Bürgermeistern festigen. Im Gegenzug konnte sie bei der erstmals durchgeführten Direktwahl des Bürgermeisters in der Landeshauptstadt diese Position nicht behaupten und musste dem SPÖ-Kandidaten Heinz Schaden den Vortritt lassen. VII.1.3 Ein unverhoffter Sieg. Die Landtagswahl in Tirol am 7. März Die Abschaffung des Proporzsystems in Salzburg hatte auch eine deutliche Signalwirkung für Tirol, wo Landeshauptmann Wendelin Weingartner eine Änderung der Landesverfassung nach Salzburger Vorbild mit Nachdruck betrieb und am 15. August 1998 sein Ziel erreichte, als sich ÖVP und SPÖ auf eine Reform der Landesverfassung einigten, die am 7. Oktober mit den Stimmen von ÖVP, SPÖ, den 635 Wolfgruber : »Im Westen nichts Neues ?« S. 53.
Die Landtagswahlen als bundespolitisches Stimmungsbarometer
265
Grünen und Teilen der FPÖ, bei der sich vier Abgeordnete für die Beibehaltung des Proporzsystems aussprachen, beschlossen wurde und die politischen Handlungsspielräume nach der Landtagswahl am 7. März 1999 vergrößerte. Nunmehr war es möglich, dass eine mit absoluter Mandatsmehrheit ausgestattete Partei auch alleine regiert, und umgekehrt, dass eine Koalition kleinerer Parteien die deutlich mandatsstärkste Partei bei der Regierungsbildung und der Wahl des Landeshauptmanns ignorieren kann. Die Tiroler ÖVP regierte das Land bis 1989 mit absoluter Stimmenmehrheit und bis 1999 nur mehr mit absoluter Mandatsmehrheit, weshalb im Landtagswahlkampf 1999 sämtliche politische Mitbewerber unter Hinweis auf die geänderte Landesverfassung nicht müde wurden, vor einer absoluten Mandatsmehrheit der ÖVP zu warnen, und damit auf das weit verbreitete politische Konsensbedürfnis der Bevölkerung abzielten. Die ÖVP begegnete dieser Kampagne mit der Versicherung, sie werde sich auch im Fall einer absoluten Mandatsmehrheit um die Bildung einer Koalitionsregierung bemühen. Diese sollte allerdings nicht mehr von den Fesseln des nunmehr nicht mehr zwingend vorgeschriebenen Proporzes geprägt sein. In der zu Ende gehenden Legislaturperiode waren alle im Tiroler Landtag vertretenen Parteien auch in der Landesregierung präsent, in der sich zunehmend ein Regierungs-Oppositions-Verhältnis zwischen der ÖVP und sämtlichen anderen Parteien entwickelte und die Dynamik landespolitischer Entscheidungen bremste. »Klare Verhältnisse«, so die ÖVP-Forderung, sollten den sich allmählich breitmachenden landespolitischen Stillstand beenden, so die Aussage der ÖVP und ihres Spitzenkandidaten Landeshauptmann Wendelin Weingartner. Hatte die ÖVP nach ihren erdrutschartigen Verlusten 1989 mit einem Minus von 15,9 Prozent noch knapp die absolute Mandatsmehrheit im Tiroler Landtag zu behaupten vermocht, so konnte sie sich in der Folgezeit durch ihren neuen Landesparteiobmann und Landeshauptmann Wendelin Weingartner in der ersten Hälfte der neunziger Jahre konsolidieren und bei der Landtagswahl 1994 die absolute Mandatsmehrheit verteidigen. Gleichzeitig erfolgte der Niedergang der SPÖ, die 1994 mit 19,8 Prozent ihr schlechtestes Ergebnis erzielte, während der seit 1989 deutlich feststellbare Aufstieg der FPÖ anhielt. Hatte diese in den siebziger Jahren Wahlergebnisse um die sechs Prozent erreicht, so erzielte sie nach der Übernahme der Führung der Bundespartei durch Jörg Haider deutliche Gewinne. Ihr Stimmenanteil stieg zwischen 1979 und 1994 von 6 auf 16,1 Prozent. Als neuer politischer Mitbewerber hatten sich 1994 die Grünen unter ihrer Spitzenkandidatin Eva Lichtenberger mit 10,7 Prozent etabliert, während das Liberale Forum den Einzug in den Landtag klar verfehlte. Die Erweiterung des Parteienspektrums und die zunehmende hohe Mobilität der Wähler im Innsbrucker Zentralraum erschwerten die Erringung einer absoluten Mandatsmehrheit deutlich. Legendäre Wahlergebnisse jenseits der 60-Prozent-Marke, wie sie noch Eduard Wallnöfer in den siebziger und frühen achtziger
266
Das Wahljahr 1999
Jahren errungen hatte, gehörten aufgrund des soziodemografischen und mentalen Wandels der Vergangenheit an. Die ÖVP zielte daher nicht auf die Erringung der absoluten Stimmenmehrheit, sondern auf das Halten des 19. Landtagsmandats, das in dem 36-köpfigen Landtag die absolute Mandatsmehrheit bedeutete, während sämtliche politische Mitbewerber das Brechen der absoluten Mandatsmehrheit der Landeshauptmann-Partei zum vorrangigen Wahlziel erklärten. Die SPÖ hatte sich nach ihrer Wahlniederlage 1994 wiederum konsolidiert und präsentierte mit Herbert Prock einen bewusst modernen Politikertyp, der selbstbewusst als Wahlziel »25 Prozent plus XL« angab und auf die Bildung einer ÖVP-SPÖ-Koalition, in der die SPÖ aufgrund ihres Zugewinns größeres Gewicht haben sollte, abzielte. Die 1997 durch Intrigen und Spannungen vor allem in der Innsbrucker Stadtpartei und deren Ausstrahlung auf die gesamte Landespartei636 erschütterte FPÖ konnte sich 1998 nach der Absage des populären Kufsteiner Bürgermeisters Siegfried Dillersberger durch die Wahl von Elmar Denz zum Spitzenkandidaten bei der kommenden Landtagswahl sowie die Rückkehr von Susanne Riess-Passer, die auf dem zweiten Listenplatz kandidierte, stabilisieren. Die FPÖ positionierte sich im Wahlkampf in Fortführung ihrer traditionellen Strategie als Fundamentalopposition und Kontrollpartei und prangerte eine angeblich bereits beschlossene ÖVP-SPÖ-Koalition als Fortsetzung der »Packelei« an. Die Grünen waren durch das Ausscheiden ihrer beiden bekanntesten Persönlichkeiten, Eva Lichtenberger und Franz Klug, sowie durch Turbulenzen um die Listenerstellung, bei der um die Einhaltung der Frauenquote gerungen wurde, in ihren Wahlchancen beeinträchtigt. Sie hofften jedoch mit ihrem neuen Spitzenkandidaten Georg Willi durch das Besetzen des hoch emotionalen Transit-Themas sowie den Widerstand gegen ein Liftprojekt im Zillertal Boden gutzumachen. Das Liberale Forum konzentrierte sich auf die urban geprägten Wählerinnen/Wähler des Zentralraums und hoffte mit Themen wie Frauen, Kinderbetreuung und Bildung zu reüssieren. Der Wahlkampf wurde durch das Lawinenunglück von Galtür am 23. Februar überschattet. Unmittelbar nach Bekanntwerden der Katastrophe verkündete Landeshauptmann Weingartner für die ÖVP den sofortigen Stopp des Wahlkampfes und forderte die anderen Parteien auf, diesem Beispiel zu folgen. Lediglich das Liberale Forum verweigerte sich dieser Einladung und verminderte damit seine Wahlchancen nicht unbeträchtlich. Bis zu diesem Zeitpunkt zeigten die demoskopischen Erhebungen eine Entwicklung der ÖVP in Richtung 45 Prozent, während SPÖ und FPÖ auf jeweils 20 Prozent kamen, die Grünen ihr Ergebnis der letzten Landtagswahl nicht zu erreichen vermochten und das Liberale Forum den Einzug in den Landtag deutlich verfehlte.637 636 Höbelt : Die FPÖ und die Konflikte in ihren Landesorganisationen. S. 170f. 637 Rainer Nick, Herwig Ortner : Die Tiroler Landtagswahl vom 7. März 1999. – In : ÖJP 1999. S. 185–199.
Die Landtagswahlen als bundespolitisches Stimmungsbarometer
267
Die mediale Präsenz sowie das menschliche Agieren des Landeshauptmanns nach der Katastrophe von Galtür hatten einen nicht unerheblichen Einfluss auf den Wahlausgang. Die Wahlwerbung der ÖVP konzentrierte sich in den letzten Tagen vor der Wahl ganz auf die Person des Landeshauptmanns, der am 7. März einen überraschenden Wahlsieg einfuhr. Die ÖVP vermochte, trotz Stimmenverlusten, ihren Stimmenanteil des Jahres 1994 beinahe zu halten, und konnte am Wahlabend über das Erreichen des 19. Mandats jubeln. In Galtür gewann, entgegen dem Trend im übrigen Paznauntal, die ÖVP 10 Prozent und erreichte 93 Prozent. Die SPÖ konnte ihr desaströses Ergebnis des Jahres 1994 durch den Gewinn von zwei Prozent und einem Mandat verbessern und auch die FPÖ gehörte, trotz der Turbulenzen der jüngsten Zeit, mit einem Gewinn von 3,6 Prozent und einem Mandat zu den eindeutigen Siegern der Wahl, während die Grünen 2,8 Prozent und zwei Mandate verloren und das Liberale Forum die geforderte Fünf-Prozent-Hürde nicht übersprang. Das Wahlergebnis stand jedoch am Abend des 7. März keineswegs fest. In Innsbruck ergab die Auszählung der Stimmen – wohl auch aufgrund von drei unterschiedlichen Wahlzetteln für die Landtagswahl, die Direktwahl der Kandidaten und die Frage nach der Direktwahl des Innsbrucker Bürgermeisters – zehn Prozent ungültige Stimmen. Die Innsbrucker Wahlbehörde, in der die Vertreter von SPÖ, FPÖ und Grünen über die Mehrheit verfügten, ordnete angesichts des Umstandes, dass das 19. Mandat der ÖVP nur mit wenigen Stimmen abgesichert war, eine Neuauszählung und Neubewertung des Innsbrucker Wahlergebnisses an. Diese ergaben, dass einige Dutzend Stimmen, die von den Sprengelwahlbehörden für ungültig erklärt worden waren, von der Kreiswahlbehörde für gültig erklärt wurden. Dadurch stieg die Wahlzahl und das 19. Mandat der ÖVP wanderte zu den Grünen. Die Tiroler ÖVP focht diese Entscheidung beim Verfassungsgerichtshof an, der das Innsbrucker Wahlergebnis aufhob und die Vorgangsweise der Innsbrucker Kreiswahlbehörde für nicht rechtens erklärte. Die angeordnete neuerliche Ermittlung des Ergebnisses brachte zwar geringfügige Veränderungen, änderte jedoch am Verlust des 19. Mandats der ÖVP nichts. Die ÖVP brachte daraufhin eine neuerliche Anfechtung beim Verfassungsgerichtshof ein, in der sie die Vorgehensweise kritisierte, die ihrer Meinung nach weder dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs noch der Tiroler Wahlordnung entsprochen habe. Zudem habe sich die Kreiswahlbehörde Unregelmäßigkeiten bei der Bewertung der Stimmen zuschulden kommen lassen. Auch FPÖ und Grüne brachten eine neuerliche Anfechtung mit dem Argument ein, so ihre Argumente darlegen zu können.
S. 194f.; vgl. auch Ferdinand Karlhofer, Gilg Seeber : regionales Wahlverhalten : Analyse der Tiroler Landtagswahl 1999. – In : Plasser, Ulram, Sommer (Hg.) : Das österreichische Wahlverhalten. S.289–303.
268
Das Wahljahr 1999
Die Landtagswahlen in Tirol 1994 und 1999:638 Jahr 1994
1999
Stimmen
Prozent
Mandate
ÖVP
Partei
173.587
47,3
19
SPÖ
72.803
19,8
7
FPÖ
59.230
16,1
6
Die Grünen
39.208
10,7
4
Sonstige
22.183
6,1
0
ÖVP
162.627
27,2
18
SPÖ
75.071
21,8
8
FPÖ
67.722
19,7
7
Grüne
23.394
8,0
3
LIF
11.010
3,2
0
KPÖ
490
0,1
0
Die ÖVP war nach der Erstentscheidung des Verfassungsgerichtshofs am 19. März laut Tiroler Landesverfassung gezwungen, innerhalb von zehn Tagen in Parteiverhandlungen eine Regierung zu bilden. Eine vom Wahlausgang sichtlich enttäuschte SPÖ verweigerte sich zunächst diesen Verhandlungen, sodass die ÖVP Verhandlungen mit der FPÖ aufnahm. Den Schwenk zur FPÖ ließ sich der Tiroler ÖVPObmann und Landesparteiobmann Wendelin Weingartner in einer telefonischen Blitzumfrage von allen ÖVP-Bürgermeistern sowie einer eilig einberufenen Vorstandssitzung, bei der 11 der 15 Mitglieder ein positives Votum abgaben, bestätigen. Die Verhandlungen wurden nach kurzen, aber intensiven Gesprächen sowohl im inhaltlichen wie auch im personellen Bereich weitgehend konsensual abgeschlossen. Es schien, als würde Tirol nach 54 Jahren ÖVP-Alleinregierung erstmals von einer ÖVP-FPÖ-Koalition regiert werden und zahlreiche politische Auguren sahen in dieser Konstellation bereits eine Signalwirkung für den Bund. 48 Stunden später änderte sich die Situation allerdings dramatisch, als die ÖVP die Verhandlungen kurz vor ihrer als sicher scheinenden Finalisierung am 25. März abbrach. Landeshauptmann Wendelin Weingartner begründete diesen überraschenden Schritt damit, dass die FPÖ plötzlich anstelle der ursprünglich als Landesräte Nominierten, Franz Linser und Johannes Lugger, die listenzweitplazierte und geschäftsführende FPÖ-Bundesobfrau Susanne Riess-Passer als neue Landesrätin und Landeshauptmann-Stellvertreterin präsentierte. Riess-Passer war jedoch seitens der FPÖ als Spitzenkandidatin für die bevorstehende Nationalratswahl vorgesehen, was bereits nach wenigen Monaten ihren Wechsel nach Wien bedeutet hätte. Zudem habe diese Vorgangsweise bei ihm arge Zweifel über die Stabilität einer künftigen 638 ÖJP 1999. S. 792.
Die Landtagswahlen als bundespolitisches Stimmungsbarometer
269
Tiroler Landesregierung geweckt. »Wenn sich innerhalb von 24 Stunden die Positionen des Verhandlungspartners derart verändern, kann von Verlässlichkeit keine Rede sein und keine Stabilität der Zusammenarbeit garantiert werden.«639 Mit der Wahl Riess-Passers wäre die FPÖ-Bundespartei durch die Hintertür in die Tiroler Landesregierung gekommen und für Riess-Passer wäre die Position einer Landeshauptmann-Stellvertreterin nur eine Zwischenetappe gewesen. »Das Risiko mit der FPÖ ist offensichtlich hoch. Sie aus ihrer Isolierung zu holen wäre ein interessanter Versuch gewesen – ich bin aber eines Besseren belehrt worden.« Er wolle nicht ausschließen, dass der plötzliche Personalwechsel bei der FPÖ von der Bundespartei »ferngesteuert« worden sei.640 Was Weingartner nicht erwähnte war die keineswegs einhellige Zustimmung der Landesparteiführung zu den Verhandlungen mit der FPÖ. Der als Weingartner»Kronprinz« gehandelte Ferdinand Eberle, Landtagspräsident Helmut Mader und der Tiroler Wirtschaftsbund standen einer Koalition mit der FPÖ distanziert gegenüber und votierten für eine Koalition mit der SPÖ. Und auch die Bundespartei übte Druck aus, die Verhandlungen mit der FPÖ abzubrechen, um befürchtete bundespolitische Auswirkungen zu vermeiden. Die SPÖ werde im bevorstehenden Nationalratswahlkampf, so das Argument der Bundespartei, eine ÖVP-FPÖ-Koalition in Tirol als Beweis für eine entsprechende Absprache für den Bund propagandistisch instrumentalisieren. Bereits am 26. März schlossen ÖVP und SPÖ ein Koalitionsabkommen. VII.1.4 Tektonisches Beben im Ländle. Die Landtagswahl in Vorarlberg am 19. September Erhöhte bundespolitische Bedeutung und daher auch Aufmerksamkeit erregte die Vorarlberger Landtagswahl. Eine im Auftrag führender Bundesländerzeitungen in Auftrag gegebene Umfrage sah die FPÖ bereits vor der ÖVP an zweiter Stelle. Die Dramatik der Ereignisse veranlasste ÖVP-Obmann Wolfgang Schüssel mit dem Ziel der Mobilisierung der Mitglieder und Sympathisanten zu der Erklärung, die Partei werde im Fall eines Zurückfallens auf den dritten Platz in Opposition gehen. Wer die ÖVP auch künftig in einer Regierung haben wolle, müsse sie auch wählen. In dem an Dramatik zunehmenden Wahlkampf auf Bundesebene wurde der Landtagswahl in Vorarlberg zwei Wochen vor der Wahl eine politische Barometerfunktion zugewiesen, wurde doch Österreichs westlichstes Bundesland seit 1945 von der ÖVP mit absoluter (Mandats-)Mehrheit regiert. Das Land hatte sich zu einer dynamischen Region entwickelt, verfügte über hervorragende Wirtschaftsdaten und einen nach alemannischer 639 Der Standard 26.3.1999. S .9. 640 Kurier 26.3.1999. S. 7.
270
Das Wahljahr 1999
Sparsamkeit gestalteten Haushalt mit geringen Schulden.641 Die landespolitischen Voraussetzungen sprachen für ein Halten der absoluten Mehrheit der seit 1945 regierenden ÖVP. Die auch in demoskopischen Erhebungen nur schwer abschätzbare Frage war allerdings die nach der Auswirkung einer bundespolitischen Wende- und Proteststimmung, nach der Stärke einer habituellen Protesthaltung, von der vor allem die FPÖ, losgelöst von landespolitischen Leistungen, zu profitieren hoffte. Für die Vorarlberger ÖVP ging es nicht nur um die Verteidigung der absoluten Mandatsmehrheit, sondern auch um die Beantwortung der Frage, in welchem Ausmaß Landeshauptmann Herbert Sausgruber, der sich erst seit zwei Jahren im Amt befand, auf die Akzeptanz der Wähler stoßen würde. Der auf die Person des Landeshauptmanns sowie die mit Stolz präsentierte landespolitische Bilanz zugeschnittene Wahlkampf der ÖVP startete im Spätsommer und präsentierte das Land als Hort einer vorbildlichen Finanzpolitik und Region des Fortschritts mit menschlichem Antlitz, in dem sich Bodenständigkeit und Modernität vereinten, und die ÖVP als »Vorarlbergpartei«, gleichsam als natürliche politische Heimat aller Vorarlberger. Der seit einem Vierteljahrhundert mitregierende Koalitionspartner FPÖ erfreute sich im Windschatten des Aufstiegs der Bundespartei unter Jörg Haider ständig steigender Zuspruchsraten, die 1994 mit 18,4 Prozent nahe an das Rekordergebnis des VdU aus dem Jahr 1949 mit 22,1 Prozent herankamen. Angesichts der bundespolitischen Protest- und Wendestimmung wurde daher für die Vorarlberger Landespartei und deren Spitzenkandidat, Landesrat Hubert Gorbach, das Überspringen der 20-Prozent-Marke als politische Vorgabe definiert. Wenngleich die Vorarlberger FPÖ sich nicht mit landespolitischen Themen profilierte, sondern das bundespolitische Programm zum Großteil einfach übernahm und thematisierte, signalisierten Umfragen das deutliche Überspringen der 20-Prozent-Marke. Das Spezifikum dieses Landtagswahlkampfes manifestierte sich in der Defensive der übrigen politischen Mitbewerber. Die sich seit 1972 in der Opposition befindende SPÖ hatte bei der Landtagswahl 1994 einen historischen Tiefstand von 16,4 Prozent erreicht. Ihre zunehmende politische Marginalisierung war auch das Ergebnis anhaltender innerparteilicher Krisen sowie des Abwanderns von Teilen des eigenen Klientels zu den Grünen. Die Aussichtslosigkeit der Vorarlberger SPÖ in diesem Wahlkampf artikulierte deren Spitzenkandidat Elmar Mayer mit der politisch letztlich fatalen Erklärung, man werde in der kommenden Legislaturperiode die Oppositionspolitik der vergangenen Jahre fortsetzen. In einer ebenfalls schwierigen Situation befanden sich die in Vorarlberg traditionell starken Grünen nach einer nahe an die Spaltung heranreichenden Kontroverse zwischen Fundis und Realos, personifiziert in Vorstandssprecher Johannes Rausch und Klubobmann Christian Hörl. Wenngleich sich 641 Vgl. Franz Mathis, Wolfgang Weber : Vorarlberg. Zwischen Fussach und Flint, Alemannentum und Weltoffenheit. – Wien/Köln/Weimar 2000.
Die Landtagswahlen als bundespolitisches Stimmungsbarometer
271
in dieser Auseinandersetzung der Realo Hörl durchsetzte, blieben in der Partei tiefe Narben zurück und war das öffentliche Erscheinungsbild keineswegs geschlossen und vertrauenerweckend. Spitzenkandidat Hörl präsentierte sich bewusst mit Bundessprecher Alexander Van der Bellen, um von dessen Popularität zu profitieren. Ihm war es seit seiner Wahl gelungen, die zerstrittene Bundespartei zu einen und – zumindest nach außen – die permanenten Flügelkämpfe zu beenden. Dies schien auch in Vorarlberg notwendig und Alexander Van der Bellen unterstützte demonstrativ den Kurs Christian Hörls, der eine Regierungsbeteiligung der Grünen nicht dezidiert ausschloss. Mit dieser Linie, so das offizielle Wahlziel, sollte das Überspringen der Zehn-Prozent-Marke möglich sein. Vorarlberg bildete auch den letzten Hoffnungsschimmer des in den Landtagswahlen am 7. März schwer geschlagenen Liberalen Forums, bot doch das Land mit seinen dichten urbanen und suburbanen Strukturen ein scheinbar ideales politisches Biotop für neue politische Angebote. Mit der ehemaligen Landesfrauenreferentin Brigitte Bitschnau-Canal, die von ihrer Vorgesetzten, der ÖVP-Landesrätin Waibel, aufgrund eines medial breit aufgegriffenen und kommentierten Konflikts in die Agrarabteilung versetzt worden war, schien eine geeignete Kandidatin gefunden geworden zu sein, wenngleich die Umfragen lediglich Werte zwischen drei und vier Prozent signalisierten. Doch man hoffte auf ein politisches Wunder und auf den Irrtum der Demoskopen, wobei man besondere Hoffnungen auf die erhebliche Zahl der Politikverdrossenen setzte. Die Landtagswahl am 19. September brachte einen politischen Erdrutsch zugunsten der FPÖ und dramatische Verluste für ÖVP und SPÖ. Die FPÖ, die bereits 1994 die SPÖ als zweitstärkste Partei abgelöst hatte, gewann 9,1 Prozent und wurde mit 27,5 Prozent deutlich vor der SPÖ zur zweitstärksten politischen Kraft im Lande. Die FPÖ betätigte sich am 19. September als politischer Staubsauger, wie eine SORAWählerstromanalyse ergab. Besonders hohe Gewinne vermochte sie bei ehemaligen ÖVP-Wählern (15.000) und der Gruppe der Nichtwähler (4.000) zu erzielen.642 Die SPÖ verlor von ihrem bereits 1994 desaströsen Ergebnis nochmals 3,1 Prozent. Sie hatte unter Führung von Landesparteiobmann Elmar Mayer in der Annahme, von einem allgemeinen Oppositions- und Protestklima profitieren zu können, erklärt, nach der Landtagswahl auf jeden Fall in Opposition bleiben zu wollen. Dies sollte sich als Fehlkalkulation erweisen, da Protest- und Wechselwähler eher zur FPÖ als zur SPÖ wechselten. Die ÖVP verlor mit einem Minus von 4,2 Prozent erstmals seit 1945 die absolute Mandatsmehrheit und auch die Grünen verzeichneten einen Verlust von 1,8 Prozent und damit einen Rückgang ihrer parlamentarischen Stärke auf zwei Mandate, was den schmerzhaften Verlust des Klubstatus zur Folge hatte. Das Liberale Forum schaffte, wie in den übrigen drei Landtagswahlen des Jahres, 642 Die Presse 21.9.1999. S. 7.
272
Das Wahljahr 1999
den Einzug in den Vorarlberger Landtag nicht, sodass der Wiedereinzug der Partei in den Nationalrat fraglich erschien. Die Vorarlberger Landtagswahlen 1994 und 1999:643 Jahr 1994
1999
Partei
Stimmen
Prozent
Mandate
ÖVP
92.626
49,9
20
SPÖ
30.123
16,2
6
FPÖ
34.104
18,4
7
Grüne Alternative Vorarlberg
14.385
7,8
3
Sonstige
14.217
7,7
0
ÖVP
86.769
45,7
18
SPÖ
24.691
13,0
5
FPÖ
52.158
27,5
11
Die Grünen
11.395
6,0
2
LIF
6.360
3,4
0
Sonstige
8.452
4,5
In Bregenz war Landeshauptmann Herbert Sausgruber sichtlich um Kontenance bemüht und kommentierte den Wahlausgang mit der Bemerkung, die ÖVP habe ihr Wahlziel, die Verteidigung der absoluten Mandatsmehrheit, nur knapp verfehlt. Er werde nunmehr mit seinem bisherigen Koalitionspartner FPÖ Regierungsverhandlungen aufnehmen. Die Vorarlberger Landesverfassung sah das Proporzsystem nicht vor, weshalb die ÖVP in der vergangenen Legislaturperiode aus freien Stücken mit der FPÖ unter Hubert Gorbach eine Koalitionsregierung gebildet hatte. Nunmehr war aufgrund des Wahlergebnisses diese Regierungsform zwingend notwendig geworden. Der Wahlsieger Hubert Gorbach interpretierte das Wahlergebnis auch als Bundestrend und damit als günstiges Omen für die Nationalratswahl am 3. Oktober.644 Anneliese Rohrer bemerkt, das Vorarlberger Wahlergebnis sei vor allem auch unter einem bundespolitischen Vorzeichen zu sehen : »Die starken Gewinne der FPÖ trotz Regierungsbeteiligung, die fast sicher nicht auf Hubert Gorbach, sondern auf das ›Siegerimage‹ der Bundespartei zurückzuführen sind, sowie die weiteren Verluste von SPÖ und Grün und der Nicht-Erfolg der Liberalen entsprechen einem politischen Rechtsruck in der politischen Landschaft. […] Insofern ist das Landtagswahlergebnis […] sicher als Signal für die Bundespolitik zu werten. Die FPÖ kann mit Stimmenzuwachs rechnen, ganz gleich wie sie sich verhält.«645 643 ÖJP 1999. S. 794. 644 Die Presse 20.9.1999. S. 7. 645 Anneliese Rohrer : Signale aus dem Westen. –In : Die Presse 20.9.1999. S. 1.
Schwarz-Blau zwischen politischer Bewegungsfreiheit und D ämonisierung
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Auf Bundesebene waren vor allem die Koalitionsparteien um Ruhe bemüht und beeilten sich unisono zu versichern, dass es sich bei dem Vorarlberger Wahlergebnis weitgehend um ein lokales Ereignis handle, dem nur beschränkte bundespolitische Bedeutung zukomme. So betonte SPÖ-Bundesgeschäftsführer Andreas Rudas, das überraschende Ergebnis sei auf »lokale Ursachen« zurückzuführen, wenngleich man es auch als »Warnsignal« für den 3. Oktober sehen müsse. ÖVP-Obmann Schüssel kommentierte das Ergebnis mit der Bemerkung »Landtag ist Landtag, Nationalrat ist Nationalrat.«646 Hinter den Kulissen löste freilich das Wahlergebnis hektische Betriebsamkeit aus, zu sehr wurde in ihm ein bundespolitischer Trend sichtbar. Vor allem in der ÖVP wurde angesichts der schlechten Umfragewerte und der sich in immer breiteren Kreisen der mittleren und unteren Funktionäre breitmachenden Resignation ein letzter Mobilisierungsversuch unternommen. Die ÖVP-Landesorganisationen versicherten geschlossen, bis zur Nationalratswahl kämpfen und mobilisieren zu wollen und warnten vor einem Schwenk in der Wahlkampfführung. Man wolle mit aller Kraft verhindern, dass die ÖVP für ihre gute Regierungsarbeit im Bund unverdient Prügel beziehe. Wenn aber alles nichts nütze, so der burgenländische ÖVP-Obmann Gerhard Jellasitz, dann werde man »Haider und seiner Politikshow das Land überlassen«.647 Wenngleich die SPÖ in allen Umfragedaten den ersten Platz zu behaupten vermochten, so wurden auch ihr Verluste vorhergesagt, weshalb man sich in der Löwelstraße vor allem auf die Gewinnung der Gruppe der noch Unentschlossenen konzentrierte und zusammen mit den Grünen und dem Liberalen Forum mit dem Slogan einer drohenden schwarz-blauen Koalition Sympathisanten zu mobilisieren versuchte. In Salzburg appellierte der Bundessprecher der Grünen, Alexander Van der Bellen, an die Sympathisanten seiner Partei. »Wacht’s auf. Leute ! Eine Stimme für die Grünen ist eine Stimme gegen den Rechtsruck.« Ähnlich der Appell von LIF-Chefin Heide Schmidt : »Die Liberalen im Parlament sind das Gegengewicht zu diesem Rechtsruck.«648
V I I .2 »Wir müssen über alle Optionen nachdenken.« S chwarz-Blau zwischen politischer Bewegungsfreiheit und D ämonisierung Die von Bundeskanzler Franz Vranitzky vertretene Auffassung, die FPÖ solle von jeder Regierungsbeteiligung ausgegrenzt werden, stieß zu Jahresbeginn 1997 auf immer weniger Zustimmung. Lediglich unter den Sympathisanten der Grünen (81 646 Die Presse 20.9.1999. S. 1. 647 Die Presse 21.9.1999. S. 7. 648 Ebda.
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Auf Bundesebene waren vor allem die Koalitionsparteien um Ruhe bemüht und beeilten sich unisono zu versichern, dass es sich bei dem Vorarlberger Wahlergebnis weitgehend um ein lokales Ereignis handle, dem nur beschränkte bundespolitische Bedeutung zukomme. So betonte SPÖ-Bundesgeschäftsführer Andreas Rudas, das überraschende Ergebnis sei auf »lokale Ursachen« zurückzuführen, wenngleich man es auch als »Warnsignal« für den 3. Oktober sehen müsse. ÖVP-Obmann Schüssel kommentierte das Ergebnis mit der Bemerkung »Landtag ist Landtag, Nationalrat ist Nationalrat.«646 Hinter den Kulissen löste freilich das Wahlergebnis hektische Betriebsamkeit aus, zu sehr wurde in ihm ein bundespolitischer Trend sichtbar. Vor allem in der ÖVP wurde angesichts der schlechten Umfragewerte und der sich in immer breiteren Kreisen der mittleren und unteren Funktionäre breitmachenden Resignation ein letzter Mobilisierungsversuch unternommen. Die ÖVP-Landesorganisationen versicherten geschlossen, bis zur Nationalratswahl kämpfen und mobilisieren zu wollen und warnten vor einem Schwenk in der Wahlkampfführung. Man wolle mit aller Kraft verhindern, dass die ÖVP für ihre gute Regierungsarbeit im Bund unverdient Prügel beziehe. Wenn aber alles nichts nütze, so der burgenländische ÖVP-Obmann Gerhard Jellasitz, dann werde man »Haider und seiner Politikshow das Land überlassen«.647 Wenngleich die SPÖ in allen Umfragedaten den ersten Platz zu behaupten vermochten, so wurden auch ihr Verluste vorhergesagt, weshalb man sich in der Löwelstraße vor allem auf die Gewinnung der Gruppe der noch Unentschlossenen konzentrierte und zusammen mit den Grünen und dem Liberalen Forum mit dem Slogan einer drohenden schwarz-blauen Koalition Sympathisanten zu mobilisieren versuchte. In Salzburg appellierte der Bundessprecher der Grünen, Alexander Van der Bellen, an die Sympathisanten seiner Partei. »Wacht’s auf. Leute ! Eine Stimme für die Grünen ist eine Stimme gegen den Rechtsruck.« Ähnlich der Appell von LIF-Chefin Heide Schmidt : »Die Liberalen im Parlament sind das Gegengewicht zu diesem Rechtsruck.«648
V I I .2 »Wir müssen über alle Optionen nachdenken.« S chwarz-Blau zwischen politischer Bewegungsfreiheit und D ämonisierung Die von Bundeskanzler Franz Vranitzky vertretene Auffassung, die FPÖ solle von jeder Regierungsbeteiligung ausgegrenzt werden, stieß zu Jahresbeginn 1997 auf immer weniger Zustimmung. Lediglich unter den Sympathisanten der Grünen (81 646 Die Presse 20.9.1999. S. 1. 647 Die Presse 21.9.1999. S. 7. 648 Ebda.
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Prozent) sowie der Maturanten (62 Prozent) und der Universitätsabsolventen (58 Prozent) teilte noch eine überwiegende Mehrheit diese Auffassung, 54 Prozent der Österreicher hingegen nicht. Ablehnung einer FPÖ-Regierungsbeteiligung im Bund auf die Frage, ob die Regierungsparteien eisern an der von Bundeskanzler Franz Vranitzky vertretenen Auffassung, dass die FPÖ unter Jörg Haider kein Koalitionspartner sein könne, festhalten sollten (Antworten in Prozent):649 Die beiden Regierungsparteien sollten dabei bleiben, dass die FPÖ als Regierungspartner auszuschließen ist
41
Dieses Prinzip sollte im Laufe der Zeit aufgegeben, also die FPÖ unter Umständen als Koalitionspartner akzeptiert werden
27
Die Ausgrenzung der FPÖ ist heute schon fehl am Platz
27
weiß nicht/keine Angabe
5
Abgehen vom »Nein« zur FPÖ als Koalitionspartner nach Parteipräferenz in Prozent:650 SPÖ
46
ÖVP
57
FPÖ
90
LIF
46
Grüne
19
Andreas Mölzer bemerkte zu Jahresbeginn 1997 vor dem Hintergrund der letztlich gescheiterten Gespräche zwischen ÖVP und FPÖ in der Causa CA, im theoretischen Überbau beider Parteien befänden sich zwar eine Reihe von Elementen wertkonservativen Denkens, doch würden in der Beziehung zwischen ihnen stets taktische Interessen dominieren. Der wertkonservative Konsens sei »bloß dogmengeschichtlicher Schrott, wenn kurzatmige Machtspielchen es anders erfordern«. So wie die ÖVP die FPÖ-Karte nur zu taktischen Spielen zücke, so würde es Jörg Haider nicht allzu schwer fallen, den Schwenk der FPÖ zu einer sozialistisch-rechtspopulistischen Koalition durchzusetzen. »Ist die Haider-FPÖ unserer Tage nicht bereits so etwas wie eine ›Arbeiterpartei‹ neuen Typs ? Muss nicht künftig ein sozialpolitischer Grundkonsens zwischen der alten Arbeiterbewegung SPÖ und der neuen Arbeiterbewegung FPÖ bestehen ? Warum sollen halblinke Technokraten wie Viktor Klima nicht
649 Die Presse 31.1.1997. S. 8. 650 Ebda.
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mit rechtspopulistischen Machttechnikern kooperieren können ?«651 In ähnlichem Sinn äußerte sich acht Jahre später Jörg Haider im Gespräch mit Alfred Worm auf die Frage einer möglichen SPÖ-FPÖ-Koalition unter Bezugnahme auf Gespräche mit dem SPÖ-Vorsitzenden Alfred Gusenbauer. Dieser habe ihm gegenüber erklärt, dass sich das Verhältnis zwischen der Sozialdemokratie und den Freiheitlichen entkrampfen müsse. »Taktisch gesehen liegen wir – hat er gemeint – in vielen Dingen oft näher beieinander als die FPÖ mit der ÖVP oder die Sozialdemokratie mit der ÖVP.«652 Nach der Bildung der Regierung Klima/Schüssel Ende Jänner 1997 verschwanden alternative politische Farbenspiele aus dem Repertoire politischen Taktierens, um zwei Jahre später neuerlich an Aktualität zu gewinnen. Im Mai 1999 verschärfte sich im Vorfeld der Nationalratswahl nicht nur der Ton zwischen den beiden Regierungsparteien, sondern rückten Spekulationen über eventuelle zukünftige Koalitionen in den Mittelpunkt der politischen Auseinandersetzung und zunehmend auch der medialen Berichterstattung, wobei sich die klassischen Muster vergangener Kontroversen wiederholten. Die SPÖ wurde, aus strategisch verständlichen Gründen, seit 1986 nicht müde, eine drohende ÖVP/FPÖ-Koalition als politischen »Gottseibeiuns« und das Schreckgespenst der Neuauflage eines asozialen »Bürgerblocks«, der an die neoliberale Demontage des Sozialstaates schreiten werde, an die Wand zu malen. Nur die Sozialdemokratie, so die Botschaft, sei der Garant des Weiterbestehens des Sozialstaates, nur sie sei der Hüter der »Insel der Seligen«. Diese seit 1986 mit großem Erfolg angewandte Strategie erwies sich, unterstützt von zahlreichen Medien, als Garant für die Führungsposition der SPÖ. Wiens Bürgermeister Michael Häupl erklärte entlarvend, man werde im Notfall die ÖVP mit Hilfe der Medien in eine Koalition »hineinprügeln«. Wenngleich ÖVP und FPÖ seit 1986 über eine absolute Mehrheit im Nationalrat verfügten, nahm die ÖVP die undankbare Rolle des Juniorpartners in den jeweiligen Koalitionsregierungen ein. Die Leidensfähigkeit der Partei hatte jedoch gegen Ende der neunziger Jahre ihre Grenze erreicht und man war nicht mehr bereit, sich durch koalitionäre Festlegungen vor der Nationalratswahl der politischen Handlungsfreiheit zu berauben. Hinzu kamen erhebliche sachpolitische Differenzen mit einer strukturkonservativen SPÖ, die vor allem unter dem Einfluss von ÖGB und AK in den Augen der ÖVP-Spitze nur zögerlich und letztlich völlig ungenügend auf die Herausforderungen der Zeit reagierte und durch ihr Beharren auf dem Status quo einen sich stetig vergrößernden Problemhaushalt anhäufte. Zudem habe man durch den Zwang zu koalitionären Kompromissen die eigene programmatische Profilierung vernachlässigt und den Eindruck einer Einheitspartei vermittelt. 651 Andreas Mölzer : FPÖ : Im Zweifel lieber rot als schwarz ? – In : Der Standard 21.1.1997. S. 23. 652 Alfred Worm : Ein Streitgespräch mit Jörg Haider. – Wien 2005. S. 110.
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Auch in den Ländern mehrten sich im Frühjahr 1999 die Stimmen, die einer fixen Bindung im Bund an die SPÖ eine deutliche Absage erteilten. So erklärte der Salzburger Landeshauptmann Franz Schausberger, die Partei solle der Bevölkerung eine Rangordnung der politischen Optionen nach der Nationalratswahl verdeutlichen. Diese sollte lauten : »Wir versuchen die Zusammenarbeit mit der SPÖ fortzuführen, aber wir haben inhaltliche Bedingungen. Sind sie nicht umzusetzen, muss man sich um einen anderen Partner bemühen. […] Wo immer die SPÖ kann und wo es ihr nützt, versucht sie, mit der FPÖ eine Mehrheit zustande zu bringen. Ich kann da ein Lied davon singen. Was sich die SPÖ erlaubt, das muss auch der ÖVP zugestanden werden. Da braucht niemand mit dem Finger auf die anderen zu zeigen.« Die steirische Landeshauptfrau Waltraud Klasnic bemerkte, sie schließe »mit keiner Partei Verhandlungen aus. Ich glaube, wir haben in den Landtagen und auch im Parlament demokratisch gewählte Parteien. Sie sind legitimiert, die haben das Vertrauen der Bevölkerung, jede in ihrer bestimmten Größe. Und demokratische Parteien sind für mich Verhandlungspartner. Ich habe noch nie jemanden ausgeschlossen.« Und der ÖVP-Klubobmann im steirischen Landtag, Hermann Schützenhöfer, sekundierte : »Für die ÖVP ist es auf jeden Fall falsch, sich zu früh mit einer Partei ins Bett zu legen. Weder mit dem Gespenst einer Ampelkoalition noch mit dem schwarz-blauen Bürgerblock können noch Irritationen erzeugt werden.« Christof Zernatto ließ wissen, es müsse »wieder andere Optionen für den Wähler geben«.653 Niederösterreichs Landeshauptmann Erwin Pröll betonte, er habe »die FPÖ nie ausgegrenzt«. Er könne »die Dämonisierung Haiders nicht« verstehen : »Bei seiner ersten Landeshauptmännerkonferenz vergangenen Mittwoch war alles wie gehabt. Haider war wie jeder andere Landeshauptmann auch : nicht besser, nicht schlechter, nicht destruktiver, nicht konstruktiver.«654 Heinrich Neisser, einer der vehementesten Befürworter der Großen Koalition, bemerkte im April : »Wir müssen über alle Optionen nachdenken. Die ÖVP muss auf jeden Fall den Eindruck vermeiden, dass eine Koalition zwischen SPÖ und ÖVP das Unausweichliche ist.«655 Und wenige Monate später ortete er »ein gesteigertes Ablösebedürfnis gegenüber der Großen Koalition«. Er vertrete in dieser Frage nicht mehr seine frühere Position. Ich war immer ein Befürworter der Großen Koalition, weil sie Probleme lösen kann, die andere Regierungsformen nicht lösen können. Ich glaube aber, dass dieses Argument brüchig geworden ist, denn selbst dort, wo man die großen Probleme hat, kann man bestenfalls die kleinsten gemeinsamen Nenner finden. […] Ich kann beim besten Willen nicht mehr den innovativen Charakter der Großen Koalition erkennen. […] 653 FORMAT 13/1999. S. 44ff. 654 FORMAT 16/1999. S. 49. 655 FORMAT 14/1999. S. 45.
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Ja, die Große Koalition hat sich überlebt. Ich glaube, man kann jetzt mit größerer Berechtigung sagen : Es ist alles offen.«656 Wenige später erklärte der ehemalige Kärntner Landeshauptmann Christof Zernatto zur Befindlichkeit der ÖVP : »Es ist alles offen. In der gesamten ÖVP meint man das derzeit wirklich so. Das ist bündeund länderübergreifend. Der entscheidende Punkt wird sein, mit wem man eigene Ideen umsetzen kann. Man muss außerdem wissen, dass man sich bei potentiellen Partnern nie aussuchen kann, wer die dort handelnden Personen sind.«657 Man war daher gewillt, in der bevorstehenden Wahlauseinandersetzung ein klares ideologisches Profil im Bereich der Familien-, Sozial-, Außen-, Finanz- und Wirtschaftspolitik zu zeigen und eine Koalitionsaussage zu vermeiden, zumal sich ein wachsender Teil der Funktionäre mit dem Hinweis auf die ständig sinkenden Zuspruchsraten, die wachsende Politikverdrossenheit und Protesthaltung für eine Koalition mit der FPÖ aussprach. Die ÖVP könne sich nicht mit dem auch von zahlreichen Medien gerne strapazierten Etikett ihrer staatspolitischen Verantwortung auf dem Altar des Vaterlandes opfern, um einer reformunwilligen und machtbewussten SPÖ den Bundeskanzler zu sichern. Der von der SPÖ im Frühjahr 1999 offen erhobene Anspruch auf das Außenministerium sowie deren massiv vorgetragene Wünsche nach der Besetzung vakanter Botschafterposten und des österreichischen Vertreters bei der EU-Kommission, die zu einer wochenlangen regierungsinternen Blockade der anstehenden notwendigen Entscheidungen führten, wurden als neuerlicher Beweis für das Machtbewusstsein der SPÖ interpretiert. Beim Wahlkampfauftakt der ÖVP für die bevorstehende EU-Wahl erklärte Parteiobmann Wolfgang Schüssel unter direkter Bezugnahme auf diese regierungsinterne Kontroverse, man könne »den Partner nicht dauernd anpatzeln«, denn sonst werde »er eines Tages abhanden kommen«. In einem Gespräch mit den »Salzburger Nachrichten« erklärte Landwirtschaftsminister Wilhelm Molterer Mitte Mai 1999, er lehne eine Koalitionsaussage für die Zeit nach der Nationalratswahl ab. »Wer mit uns koalieren will, muss für die Familien sein und nicht dagegen ; der muss für das Karenzgeld für alle sein und nicht dagegen, der muss für die Landwirtschaft sein und nicht dagegen.« Finanzminister Rudolf Edlinger bemerkte am 12. Mai im Klub der Wirtschaftsjournalisten, er würde »angesichts der Signale, die derzeit von ÖVP und FPÖ in Richtung einer schwarz-blauen Koalition ausgesandt« würden, nicht mehr darauf wetten, dass es nach der kommenden Nationalratswahl zu einer Fortsetzung der SPÖ-ÖVP-Koalition kommen werde. Einige ÖVP-Funktionäre seien ganz offensichtlich an »anderen Bettgenossen« interessiert.658 656 Die Standard 17./18.7.1999. S. 9. 657 Der Standard 22.7.1999. S. 7. 658 SN 14.5.1999. S. 2.
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Der mögliche Koalitionspartner der ÖVP schien für eine solche Konstellation nur Spott und Hohn übrig zu haben. Auf dem ordentlichen Parteitag der FPÖ am 28./29. Mai 1999 im Linzer Design-Center erfolgte die bereits traditionelle Inszenierung des Auftritts von Parteiobmann Jörg Haider vor dem Hintergrund von dessen neuerlicher Wahl zum Kärntner Landeshauptmann. Die Rollen waren klar verteilt. Während Geschäftsführerin Susanne Riess-Passer und Generalsekretär Peter Westenthaler mit markigen Sprüchen heftige Attacken gegen die Regierung für Stimmung sorgten, gab sich Haider, trotz mancher verbaler Sager, staatsmännisch und signalisierte damit die Regierungsfähigkeit der Oppositionspartei. Mit wem sie diese Regierungsfähigkeit unter Beweis stellen wollte, ließ er allerdings offen, wobei es jedoch zu bewussten Absetzgesten gegenüber der ÖVP, die er mit Hohn und Spott übergoss, kam. Auf sie habe er sich noch nie verlassen, mit ihr sei keine nicht sozialistische Koalition zu machen, ließ er seine begeisterten Zuhörer wissen. Sie werde sich nach der Nationalratswahl sofort wieder in die rote »Leibeigenschaft« begeben, um diese Passage seiner Rede ironisch mit den Worten zu schließen : »Erleichtert warf der Ochs das Joch ab und trottete in den Schlachthof.«659 In der so apostrophierten ÖVP-Zentrale wurde hingegen nicht die ihr unterstellte bürgerliche Feigheit als Grund für nicht stattfindende Sondierungsgespräche mit der FPÖ genannt, sondern die Unzuverlässlichkeit Jörg Haiders, bei dem man nie sicher sein könne, ob er nicht vertrauliche Sondierungsgespräche öffentlich mache und damit den Gesprächspartner bloßstelle. Dieses Risiko werde daher kein vernünftiger Politiker eingehen, weshalb in der ÖVP auch jenen, die die Option einer ÖVP-FPÖ-Koalition befürworteten, die Hände gebunden seien. Sollte es nach der Nationalratswahl am 3. Oktober zu einer solchen Regierungsform kommen, müsste diese bereits vorher abgesprochen sein. Da dies jedoch aufgrund der mangelnden Paktfähigkeit der FPÖFührung nicht möglich sei, sei eine solche Option wohl eher unwahrscheinlich.660 Die stellvertretende Parteiobfrau, Unterrichtsministerin Elisabeth Gehrer, bestätigte allerdings wenig später die in weiten Kreisen der Partei herrschende Wendestimmung. Es gebe eine breite Strömung, die 30 Jahre SP-Bundeskanzler für genug erachte. Der SPÖ gehe es einzig um den Machterhalt, dem sie alles zu opfern bereit sei. Andererseits gebe es jedoch wegen der geargwöhnten mangelnden Handschlagqualität massive Vorbehalte gegenüber Jörg Haider und der FPÖ. Strategische Weichenstellungen könnten somit erst nach dem 3. Oktober 1999 vorgenommen werden.661 In der Steiermark ließ man allerdings solche Argumente nicht gelten und verstand sich als Motor einer möglichen ÖVP-FPÖ-Koalition nach der Nationalratswahl. 659 Die Presse 29./30.5.1999. S. 9 ; Der Standard 29./30.5.1999. S. 8. 660 Vgl. Anneliese Rohrer : Gespräche mit der FPÖ : Ein Risiko, das keiner eingehen kann. – In : Die Presse 17.7.1999. S. 6. 661 Die Presse 12.8.1999. S. 1. und S. 6.
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Landesrat Gerhard Hirschmann ließ wissen, er könne sich durchaus einen Vizekanzler Herbert Scheibner in einer künftigen ÖVP-FPÖ-Koalition vorstellen. Der Gedanke an weitere vier Jahre Große Koalition lasse ihm »die Füße einschlafen«.662 Landeshauptmann Waltraud Klasnic und Jörg Haider versicherten einander bei einem gemeinsamen Arbeitstreffen in Kärnten öffentlich ihrer Hochschätzung, womit sich eine Wiederholung des bereits von Klasnics Amtsvorgänger Josef Krainer jun. praktizierten Brückenschlags zur FPÖ andeutete. Die Linie der steirischen ÖVP formulierte deren Landesgeschäftsführer Reinhold Lopatka : »Die FPÖ ist heute eine andere Partei als bei der vergangenen Nationalratswahl, vom Auftreten und vom Wähler-Zuspruch her. In der Kirche würde man sagen, FP-Chef Haider ist papabile geworden.«663 Im Sommer 1999 mehrten sich sowohl bei der ÖVP wie auch der FPÖ die Stimmen, die offen für die Option einer ÖVP-FPÖ-Koalition, die in allen Umfragedaten über eine absolute Mehrheit verfügte,664 votierten. Am 10. August erklärte der Vorarlberger FPÖ-Landesrat Hubert Gorbach im ORF-Report, eine ÖVP-FPÖKoalition wäre für Österreich gut. »Das ist anstrebbar für unser Land.«665 In einem »Kurier«-Interview betonte er, nur eine bürgerliche Koalition hätte genügend Kraft, Österreich langfristig strukturell zu verändern. Sollte die FPÖ zur zweitstärkste Kraft avancieren, könnte der Bundespräsident Jörg Haider mit der Bildung einer Regierung beauftragen, wenn Viktor Klima mit der Bildung einer Regierung scheitere. Haider werde dann mit allen reden, wobei die Frage des Kanzlers letztlich zweitrangig sei. »Wenn auch die ÖVP die Wende will, dann können wir uns dieser Aufgabe nicht mehr verwehren.«666 Und der Wiener FPÖ-Obmann Hilmar Kabas ließ wissen, er wolle eine Regierungsbeteiligung seiner Partei nach der kommenden Nationalratswahl nicht ausschließen.667 Im Gegenzug war für die Geschäftsführerin der niederösterreichischen ÖVP, Johanna Mikl-Leitner, die FPÖ »sicherlich […] auch eine Option«. Man dürfe vor der Wahl keine Partei ausschließen. Es sei »demokratiepolitisch nicht in Ordnung, wenn man schon vorher festlegt, mit wem man nach der Wahl zusammenarbeiten« wolle. »Nach der Wahl werden wir sehen, mit welchem Partner wir unsere Vorstellungen, unsere Politik am ehesten verwirklichen können.«668 In der FPÖ begegnete man diesen Stellungnahmen allerdings mit Skepsis. So erklärte Klubobmann Herbert Scheibner, bei den ÖVP-Signalen an die FPÖ handle es sich lediglich um »Wahltaktik, um frustrierte ÖVP-Wähler bei der Stange 662 Der Standard 22.7.1999. S. 7. 663 Die Presse 13.8.1999. S. 6. 664 Eine IMAS-Umfrage sah eine ÖVP-FPÖ-Koalition bei 52 Prozent (Kronen Zeitung 13.8.1999. S. 3). 665 Die Presse 12.8.1999. S. 6. 666 Kurier 12.8.1999. S. 2. 667 Die Presse 12.8.1999. S. 6. 668 Die Presse 13.8.1999. S. 6.
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zu halten« : »Die ÖVP hat vier Wahlen Zeit gehabt, die Wende herbeizuführen. Aber sie hat sich immer wieder ins bequeme Bett der Großen Koalition gelegt. Es gibt eben viele in der ÖVP, die vom Proporzsystem zwischen rot und schwarz profitieren.« Die FPÖ sei in der Vergangenheit, »um ihren Preis in der Koalition zu heben«, von der ÖVP oft missbraucht worden. » Wenn die ÖVP das erreicht hat, unterstützt sie wieder die SPÖ.«669 Und FPÖ-Generalsekretär Peter Westenthaler kommentierte die Strategie der ÖVP ironisch mit der Bemerkung, es sei »völlig klar, dass die Volkspartei nach der Wahl wieder bei den Sozialisten zu Kreuze kriechen« werde. Damit werde sie, wie in den vergangenen dreizehn Jahren, »die kleine Filiale der SPÖ spielen«.670 Am 1. September überraschte Jörg Haider die Öffentlichkeit mit der Nominierung des Papier-Industriellen Thomas Prinzhorn zum FPÖ-Spitzenkandidaten bei der bevorstehenden Nationalratswahl. Prinzhorn war Anfang November 1998 im Ärger über den Kurs der FPÖ unter Jörg Haider aus der Politik ausgeschieden. Zwischen Prinzhorn und Haider hatte es seit längerem Meinungsunterschiede gegeben und der Industrielle war einer der wenigen in der Partei, der Haiders Politik offen zu kritisieren wagte. Zum Eklat kam es, als Prinzhorn in einem »Kurier«-Interview erklärte, »nach so vielen Jahren in der Opposition« sei es »endlich Zeit, Regierungsverantwortung zu übernehmen«. Die FPÖ hätte »genug kompetente Leute, die regierungsfähig wären«. Die Partei dürfe nicht an der Person Haiders hängen, sondern müsse sich personell verbreitern. Er selber strebe »keinen Platz in der ersten Reihe an«, doch könnte er sich den Vorarlberger Landesparteichef Hubert Gorbach sehr gut als Spitzenkandidaten bei der nächsten Nationalratswahl vorstellen. Haider sollte Bundesparteiobmann bleiben und die Kärntner Landespartei führen.671 Das Interview löste im FPÖ-Nationalratsklub eine heftige Debatte aus. Wenngleich Prinzhorn betonte, er sei falsch interpretiert worden, dementierte er die Meldung über Gorbach als Spitzenkandidaten statt Haider nicht und erntete den Vorwurf der Illoyalität. Ewald Stadler warf ihm vor, er sei aufgrund seiner Kontakte zum oberösterreichischen Raiffeisenchef Ludwig Scharinger ein »Agent« der ÖVP, dessen Hauptanliegen die Konstruktion einer schwarz-blauen Koalition sei. Haider meldete sich bei der Debatte erst am Schluss zu Wort und erklärte, er habe Prinzhorn als Quereinsteiger vor drei Jahren in die Partei geholt und sei nunmehr von ihm enttäuscht. Daraufhin verließ Prinzhorn das Sitzungszimmer und legte sämtliche Parteifunktionen sowie sein Nationalratsmandat zurück. Nunmehr feierte der Industrielle und ehemalige Wirtschaftssprecher der FPÖ ein überraschendes politisches Comeback als Spitzenkandidat für die Nationalrats669 Kurier 16.8.1999. S. 1f. 670 Der Standard 17.8.1999. S. 7. 671 Kurier 4.11.1998. S. 3.
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wahl 1999, eine Funktion, die er noch im November 1998 von sich gewiesen hatte. Bei der Präsentation des neuen Spitzenkandidaten erklärte Haider indirekt, dass er seine Partei aus der Oppositionsrolle zu lösen gedenke. »Nach dreißig Jahren sozialistischer Führung ist es Zeit, eine Änderung herbeizuführen.«672 Der Innsbrucker Politologe Fritz Plasser kommentierte den überraschenden Schachzug Haiders, dieser sei »ein weiterer Schritt in Richtung Regierungsfähigkeit der FPÖ. Außerdem könnte Prinzhorn Wählerschichten wie Wirtschaftstreibende, Manager und leitende Angestellte ansprechen, die der FPÖ bisher kritisch gegenüber gestanden« seien.673 Die FPÖ erweiterte mit der Nominierung Prinzhorns, der bis 1995 Mitglied des ÖVP-Wirtschaftsbundes war, ihr bisheriges Themenangebot, das sich vor allem auf klassische SPÖ-Themen wie die soziale Wärme konzentrierte, um jenes der Wirtschaft. Sie positionierte sich damit als Volkspartei mit dem Ziel, die ÖVP von Platz zwei zu verdrängen. So erklärte Haider bei der Vorstellung Prinzhorns, sollte seine Partei die ÖVP überholen, werde rot-schwarz der Vergangenheit angehören. »Dann sind alle Spielarten offen.« Dass dann die ÖVP zu einer Koalition mit der FPÖ bereit sei, sei nicht ausgeschlossen. Die Gegenstrategie der SPÖ verfolgte zwei Stoßrichtungen : Neben dem ständigen Warnen vor einer drohenden schwarz-blauen Koalition angesichts der demoskopischen Umfragen, die eine rot-grüne Alternative ausschlossen, die Bekundung des Willens zur Fortführung der Koalition mit der ÖVP, die allerdings von ihren neoliberalen Positionen abrücken müsse. Anfang August bemerkte Finanzminister Rudolf Edlinger, er habe »den Eindruck, dass die ÖVP sehr massiv darüber« nachdenke, »ob sie den Koalitionspartner wechseln« solle : »Da gibt es vielerlei Signale […]. Die Wahrscheinlichkeit einer schwarz-blauen Koalition war nie so groß wie jetzt.«674 Nationalratspräsident Heinz Fischer erklärte, Ziel der SPÖ sei es, das Ergebnis der Nationalratswahl 1955 zu übertreffen und eine VP-FP-Mehrheit zu verhindern. »Dann könnte man auch mit der ÖVP einen sozialeren, menschlicheren Reformkurs fahren, wenn es noch weiter rechts keine Alterbnative mehr gibt.«675 Wenngleich eine ÖVP-FPÖ-Koalition in demoskopischen Erhebungen über keine Zustimmungs-Mehrheit verfügte, so hatte aber, wie Michael Völker in einer Analyse bemerkte, das von der SPÖ im Wahlkampf beschworene Gespenst viel von seinem Schrecken verloren. »Immer mehr können sich schwarz-blau vorstellen. Sowohl in der wählenden Bevölkerung als natürlich auch in der ÖVP. […] Rot-schwarz hat massiv an Popularität verloren. Die Aussicht, die ÖVP könnte mit fliegenden Fahnen zur FPÖ wechseln, bringt längst nicht mehr jenen Motivati672 SN 2.9.1999. S. 2. 673 Kurier 2.9.1999. S. 2. 674 FORMAT 31/1999. S. 24. 675 Kurier 18.7.1999. S. 2.
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onsschub, SPÖ zu wählen, wie das 1995 der Fall war. Damals gab jeder dritte Wähler an, schon aus diesem Grund die SPÖ zu wählen. Die ÖVP ist es leid, in der Regierung unter der Vormundschaft der SPÖ zu stehen. Als Juniorpartner fällt es ungleich schwerer, sich zu profilieren. Endlich einmal Erster sein, wenn auch nicht in der Wählergunst, dann doch in der Regierung. Endlich einmal selbst vom Kanzlerbonus profitieren, statt immer nur Zweiter zu sein. Allein darum geht es. Und nicht etwa darum, dass die FPÖ verantwortungsvoller oder gar sympathischer geworden wäre. […] Natürlich muss sich die SPÖ ein Ausstiegsszenario überlegen, auch wenn es viele Genossen nicht wahrhaben wollen. Betrachtet man es ganz profan, steht hinter der Angst vor Schwarz-Blau die Angst vor dem drohenden Verlust der Macht. Und die SPÖ ist seit 1970 ohne Unterbrechung an der Macht, umso schmerzlicher wäre die Trennung.«676 In der SPÖ interpretierte man die Nominierung von Thomas Prinzhorn zum FPÖ-Spitzenkandidaten als deutliches Signal in Richtung einer ÖVP-FPÖ-Regierung. Wenngleich Prinzhorn bei seiner Präsentation den Eindruck einer Nähe zur ÖVP zu vermeiden suchte und in der SPÖ »oft mehr modernes Gedankengut als bei der ÖVP« ortete,677 bezeichnete der SPÖ-Bundesgeschäftsführer den Industriellen als »ÖVP-kompatibeln Kandidaten«678 und Bundeskanzler Viktor Klima sah in seiner Nominierung eine »Stärkung jener Gruppe, die eine radikale Wende in Richtung schwarzblau vorbereitet«.679 Die ÖVP kam einen Monat vor der Nationalratswahl vor allem aus drei Gründen zunehmend in Bedrängnis : 1. Durch die Nominierung von Thomas Prinzhorn zum FPÖ-Spitzenkandidaten wurde für viele Vertreter des Wirtschaftsbundes die FPÖ berechenbarer, weshalb die hier schwerpunktmäßig versammelten Anhänger einer Fortführung der Koalition mit der SPÖ weniger wurden. Trotz der Zunahme der Befürworter einer ÖVP-FPÖKoalition unter den Funktionären verfügten die Anhänger dieser Regierungsform im Parteivorstand nach wie vor über erhebliches Gewicht, sodass der innerparteiliche Willensbildungsprozess keineswegs einhellig, geschweige denn abgeschlossen war. 2. Unter Berücksichtigung der innerparteilichen Stimmung sowie des als unbedingt notwendig erachteten Offenhaltens aller politischer Optionen musste die Parteiführung eine Festlegung auf eine Regierungsvariante vermeiden. Äquidistanz war angesagt und die damit gegebene Gefahr des Eindrucks des politischen Lavierens. Wollte die Partei jedoch nicht in die von ihr vermutete Falle der SPÖ tappen, blieb 676 Michael Völker : Das kleine Nachtgespenst. – In : Der Standard 12.8.1999. S. 36. 677 SN 2.9.1999. S. 2. 678 Kurier 2.9.1999. S. 2. 679 SN 2.9.1999. S. 1.
Schwarz-Blau zwischen politischer Bewegungsfreiheit und D ämonisierung
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ihr keine Alternative. So erklärte Parteiobmann Wolfgang Schüssel beim Wahlkampfauftakt am 3. September : »Wenn die SPÖ glaubt, uns in eine Koalition zurückzwingen zu können, hat sie nicht begriffen, was Partnerschaft bedeutet. Dafür sind wir uns zu schade.« Und unter Bezugnahme auf den politischen Stillstand der letzten Jahre : »Wir entwickeln uns auseinander.« Die FPÖ sei allerdings »nicht viel besser«.680 3. Eine OGM-Umfrage unter 3.211 Österreicherinnen/Österreicher ergab Anfang September in den Rohdaten ein Kopf-an-Kopf-Rennen von ÖVP und FPÖ. Dies bedeutete, dass beim tatsächlichen Wahlverhalten die FPÖ die ÖVP, wenn auch nur gering, überholte.681 Wenngleich bei Bekanntwerden dieser Ergebnisse in der ÖVP Ruhe als oberste Bürgerpflicht galt, so begann sich die Situation dramatisch zuzuspitzen und Wolfgang Schüssel sah sich nach dem Ministerrat am 7. September zu einer verzweifelten Vorwärtsstrategie gezwungen, um das eigene Klientel mit der Aussage zu mobilisieren : »Die ÖVP wird unter keinen Umständen an einer Regierung teilnehmen, wenn wir nicht zumindest Zweiter werden.«682 Eine Woche vor der Nationalratswahl bestätigte Schüssel seine Position nochmals in einem Interview mit Gerfried Sperl. Auf die Frage, ob er im Fall, dass die ÖVP nur Dritter werde, an der Spitze der Partei bleibe, betonte er : »Wenn das so ist, werde ich die ÖVP in die Opposition führen. Aber natürlich wollen wir aus Eigenem in die Regierung gewählt werden. Weder als Beiwagerl der Roten noch als Beipackzettel der Freiheitlichen.«683 Damit war einen Monat vor der Wahl ein Themenwechsel angesagt. Nicht mehr die Option Schwarz-Blau beherrschte die Diskussion und mediale Berichterstattung, sondern die Möglichkeit eines in seinen Folgen unabsehbaren politischen Erdbebens. Durch die Aussage Schüssels drohte der SPÖ im Fall des Eintretens der demoskopischen Prognosen der Koalitionspartner abhanden zu kommen, weshalb Viktor Klima an den bisherigen Regierungspartner appellierte, »in diesem Wahlkampf keine Brücken abzureißen und sich nicht der Verantwortung für dieses Land zu verweigern«. Im Falle einer Realisierung dieser Ankündigung wäre die Stabilität Österreichs gefährdet.684 Weniger zurückhaltend äußerte sich SPÖ-Bundesgeschäftsführer Andreas Rudas, der Schüssel einen »Erpressungsversuch am Wähler« vorwarf, und SPÖ-Klubobmann Peter Kostelka hielt die Erklärung als »Mitleids-Appell für völlig unglaubwürdig«.685 Würde die Ankündigung des ÖVP-Obmanns Realität, blieben nur mehr drei Regierungsvarianten als zumindest theoretische Optionen übrig : Die Bildung einer
680 Der Standard 4./5.9. 1999. S. 10. 681 Kurier 7.9.1999. S. 2. 682 Kurier 8.9.1999. S. 2. 683 Der Standard 25./26.9.1999. S 7. 684 Kurier 10.9.1999. S. 2. 685 Die Presse 8.9.1999. S. 8.
284
Das Wahljahr 1999
SPÖ-Minderheitsregierung, die Bildung einer SPÖ-FPÖ-Regierung, eine Variante, die auf Grund der Aussagen sämtlicher SPÖ-Spitzenpolitiker als unwahrscheinlich galt, und die Bildung einer ÖVP-FPÖ-Regierung für den Fall, dass Haider auch einer geschwächt am dritten Platz gelandeten ÖVP den Kanzler anböte und diese aufgrund der in den vergangenen 14 Jahren gemachten Erfahrungen in der Großen Koalition diesem Angebot nicht widerstehen könnte. Christoph Kotanko bemerkte in einem Kommentar zu den von den politischen Auguren diskutierten Varianten, die derzeit meistgespielte Variante einer ÖVP-FPÖ-Koalition sei, trotz aller bei ÖVPFunktionären für sie vorhandenen Sympathien, unwahrscheinlich. »Wer den 3. Oktober als Verfallsdatum der Großen Koalition sieht, sollte allerdings einige Fakten nicht außer Acht lassen. Eine schwarzblaue Mehrheit im Parlament muss nicht erst errungen werden, es gibt sie seit dem 23. November 1986 – und die ÖVP hat diese Option nie in Anspruch genommen, weil es eben starke christdemokratische Reflexe gegen Haider gibt. Mit Schüssel ist schwarzblau oder blauschwarz nicht denkbar.«686 Durchaus ähnlich hatte Jörg Haider im Hochsommer argumentiert, als er in der ÖVP den Hauptverantwortlichen für die »Pragmatisierung« der Großen Koalition sah. »Wir haben seit 1986 eine nichtsozialistische Mehrheit – und die ÖVP hat die Chance auf eine nichtsozialistische Regierung nie genützt. Daher habe ich keinen Grund anzunehmen, dass das diesmal anders ist. Die ÖVP-Funktionäre sind froh, wenn sie in ihren Posten überleben. Die Partei hat Angst vor Verantwortung.«687
VII.3 »Kein Stein wird auf dem anderen bleiben.« Die Nationalratswahl am 3. Oktober Die in- und ausländischen Kommentare sprachen von einer grundlegenden Veränderung der politischen Landschaft und Kultur der Zweiten Republik, wobei sich vor allem Teile der ausländischen Presse in hysterischen und völlig überzogenen Analysen ergingen. Sie sahen das Haupt einer neonazistischen Hydra sich erheben, stigmatisierten Österreich als jüngstes EU-Land bereits als Paria der europäischen Staatengemeingemeinschaft und nahmen damit den inszenierten Betroffenheitskult der Sanktionen der 14 EU-Staaten vorweg. Die demoskopischen Daten sprachen allerdings eine andere Sprache. Der Wahlerfolg der FPÖ konnte keineswegs als allgemeiner politischer Rechtsruck oder als Ausdruck eines allgemein wachsenden fremdenfeindlichen Klimas interpretiert werden. In einem längeren Zeitvergleich orteten sich die österreichischen Wählerinnen und Wähler auf einer ideologischen Links-rechts-Landkarte in der Mitte, nahmen rechte Positionen deutlich ab. Und auch die FPÖ-Wähler ortneten 686 Christoph Kotanko : Wie wahrscheinlich ist der Machtwechsel ? – In : Kurier 7.9.1999. S. 2. 687 Kurier 9.8.1999. S. 2.
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Das Wahljahr 1999
SPÖ-Minderheitsregierung, die Bildung einer SPÖ-FPÖ-Regierung, eine Variante, die auf Grund der Aussagen sämtlicher SPÖ-Spitzenpolitiker als unwahrscheinlich galt, und die Bildung einer ÖVP-FPÖ-Regierung für den Fall, dass Haider auch einer geschwächt am dritten Platz gelandeten ÖVP den Kanzler anböte und diese aufgrund der in den vergangenen 14 Jahren gemachten Erfahrungen in der Großen Koalition diesem Angebot nicht widerstehen könnte. Christoph Kotanko bemerkte in einem Kommentar zu den von den politischen Auguren diskutierten Varianten, die derzeit meistgespielte Variante einer ÖVP-FPÖ-Koalition sei, trotz aller bei ÖVPFunktionären für sie vorhandenen Sympathien, unwahrscheinlich. »Wer den 3. Oktober als Verfallsdatum der Großen Koalition sieht, sollte allerdings einige Fakten nicht außer Acht lassen. Eine schwarzblaue Mehrheit im Parlament muss nicht erst errungen werden, es gibt sie seit dem 23. November 1986 – und die ÖVP hat diese Option nie in Anspruch genommen, weil es eben starke christdemokratische Reflexe gegen Haider gibt. Mit Schüssel ist schwarzblau oder blauschwarz nicht denkbar.«686 Durchaus ähnlich hatte Jörg Haider im Hochsommer argumentiert, als er in der ÖVP den Hauptverantwortlichen für die »Pragmatisierung« der Großen Koalition sah. »Wir haben seit 1986 eine nichtsozialistische Mehrheit – und die ÖVP hat die Chance auf eine nichtsozialistische Regierung nie genützt. Daher habe ich keinen Grund anzunehmen, dass das diesmal anders ist. Die ÖVP-Funktionäre sind froh, wenn sie in ihren Posten überleben. Die Partei hat Angst vor Verantwortung.«687
VII.3 »Kein Stein wird auf dem anderen bleiben.« Die Nationalratswahl am 3. Oktober Die in- und ausländischen Kommentare sprachen von einer grundlegenden Veränderung der politischen Landschaft und Kultur der Zweiten Republik, wobei sich vor allem Teile der ausländischen Presse in hysterischen und völlig überzogenen Analysen ergingen. Sie sahen das Haupt einer neonazistischen Hydra sich erheben, stigmatisierten Österreich als jüngstes EU-Land bereits als Paria der europäischen Staatengemeingemeinschaft und nahmen damit den inszenierten Betroffenheitskult der Sanktionen der 14 EU-Staaten vorweg. Die demoskopischen Daten sprachen allerdings eine andere Sprache. Der Wahlerfolg der FPÖ konnte keineswegs als allgemeiner politischer Rechtsruck oder als Ausdruck eines allgemein wachsenden fremdenfeindlichen Klimas interpretiert werden. In einem längeren Zeitvergleich orteten sich die österreichischen Wählerinnen und Wähler auf einer ideologischen Links-rechts-Landkarte in der Mitte, nahmen rechte Positionen deutlich ab. Und auch die FPÖ-Wähler ortneten 686 Christoph Kotanko : Wie wahrscheinlich ist der Machtwechsel ? – In : Kurier 7.9.1999. S. 2. 687 Kurier 9.8.1999. S. 2.
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Die Nationalratswahl am 3. Oktober
sich, wenngleich in einer geringen Rechtsabweichung vom Durchschnitt der Gesamtbevölkerung (Mittelwerte 2,97 bzw. 3,19), in der politischen Mitte ein. Selbsteinschätzung der österreichischen Wählerinnen und Wähler auf einem Links-rechts-Kontinuum 1973–1998 auf einer fünfstufigen Skala (1 = sehr links, 5 = sehr rechts), Antworten in Prozent:688 1973
1983
1993
1994
1995
1996
1998
sehr links
–
2
1
2
2
1
1
eher links
16
12
10
11
14
16
15
Mitte
44
51
55
60
65
59
63
eher rechts
23
16
12
10
11
10
11
sehr rechts
–
3
1
1
1
1
1
17
16
21
16
8
12
9
keine Angabe
Selbsteinschätzung der FPÖ-Wähler und -Sympathisanten 1976–1998 auf einem Links-rechts-Kontinuum einer fünfteiligen Skala (1 = sehr links, 5 = sehr rechts), Antworten in Prozent:689 1976
1983
1993
1994
1995
1996
1998
sehr oder eher links
5
14
3
8
2
5
6
Mitte
56
59
62
59
73
51
68
eher rechts
28
14
23
21
18
35
19
sehr rechts
5
6
1
2
1
4
2
Das Wahlergebnis bestätigte allerdings Jörg Haiders Prophezeiung, nach der Nationalratswahl werde kein Stein auf dem anderen bleiben. Nach der Auszählung der Wahlkarten schrumpfte der Rückstand der ÖVP auf die FPÖ von 14.373 am Wahlabend des 3. Oktober 1999 auf 415 Stimmen. Der ÖVP und deren Obmann Wolfgang Schüssel war es gelungen, durch die Ankündigung, im Falle eines Zurückfallens auf den dritten Platz in die Opposition zu gehen, den gewünschten Mobilisierungseffekt zu erzielen und den in demoskopischen Erhebungen deutlichen Vorsprung der FPÖ beinahe zu egalisieren. Dennoch, die FPÖ war zur zweitstärksten Partei und damit zur erfolgreichsten rechtspopulistischen Partei Europas avanciert. Die SPÖ verzeichnete zwar mit dem Verlust von fünf Prozent, ihr schlechtestes Wahlergebnis 688 Fritz Plasser, Peter A. Ulram : Populistische Resonanzen : Die Wählerschaft der FPÖ. – In : Plasser, Ulram, Sommer (Hg.) : Das österreichische Wahlverhalten. S. 225–241. S. 234. 689 Ebda. S. 235.
286
Das Wahljahr 1999
seit 1945, blieb jedoch mit einem Vorsprung von 6,2 Prozent auf FPÖ und ÖVP nach wie vor deutlich stärkste Partei. Als Wahlsieger konnten sich auch die Grünen feiern, die mit einem Zugewinn von 2,6 Prozent sich als vierte Partei in der österreichischen Parteienlandschaft festigen konnten, während das Liberale Forum den Wiedereinzug in den Nationalrat knapp verfehlte und damit aus dem politischen Wettbewerb ausschied. Trotz der Reduzierung der Zahl der im Nationalrat vertretenen Parteien von fünf auf vier blieben aufgrund der deutlich gestiegenen Wahlenthaltung (der Prozentsatz der Nichtwähler stieg gegenüber der Nationalratswahl 1995 von 19,2 auf 25 Prozent), der anhaltenden Bereitschaft zum Protest- und Wechselwählerverhalten die Chancen für neue parteipolitische Angebote intakt. Die so lange dominante versäulte Lagerkultur mit ihren stabilen politischen Verhältnissen gehörte endgültig der Vergangenheit an und hatte sich in die ständig schrumpfenden Kernwählerschichten von SPÖ und ÖVP zurückgezogen. Abgesehen von der Nationalratswahl 1995, die aufgrund spezieller Rahmenbedingungen (Lagerwahlkampf der Regierungsparteien , Sicherung des Pensions- und Sozialsystems versus struktureller Reformen und Budgetsanierung) für beide Regierungsparteien, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß, Stimmen- und Mandatsgewinne brachte, während die FPÖ erstmals seit 1986 leichte Verluste verzeichnete, bildete das Ergebnis der Nationalratswahl vom 3. Oktober das logische und zum Großteil auch vorhersehbare vorläufige Ergebnis der zweiten Ära der Großen Koalition (1986–1999). Deutlichen Verluste der Regierungsparteien korrespondierten ebensolche Gewinne der FPÖ und moderate Gewinne der Grünen. Nationalratswahl (NRW) 3. Oktober 1999: Wählerstimmen und -anteile im Vergleich zur Nationalratswahl 1995:690
Wähler stimmen 1999
Wähler stimmen 1995
Gewinne/ Verluste im Vergleich zur NRW 1995
Wähleranteile in Prozent 1999
Wähleranteile in Prozent 1995
Gewinne/ Verluste im Vergleich zur NRW 1995
SPÖ
1.532.448
1.843.474
–311.026
33,1
38,1
–5,0
ÖVP
1,243.672
1.370.510
–126.838
26,9
28,3
–1,4
FPÖ
1.244.087
1.060.377
+183.710
26,9
21,9
+5,0
LIF
168.612
267.026
–98.414
3,7
5,5
–1,8
Grüne
342.260
233.208
+109.052
7,4
4,8
+2,6
DU (Lugner)
46.943
n. k.
+46.943
1,0
n. k.
+1,0
Sonstige
44.332
69.578
–25.246
1,0
1,4
–0,4
690 Fritz Plasser, Peter A. Ulram, Franz Sommer : Nationalratswahl 1999 : Transformation des österreichischen Wahlverhaltens. – In : ÖJP 1999. – Wien/München 2000. S. 49–87. S. 84f.
287
Die Nationalratswahl am 3. Oktober
Mandate der Parteien bei der Nationalratswahl (NRW) vom 3. Oktober 1999 im Vergleich zur Nationalratswahl vom 17. Dezember 1995:691 NRW 1999
NRW 1995
SPÖ
65
71
Gewinne/Verluste 1999–1995 – 6
ÖVP
52
52
0
FPÖ
52
41
+11
LIF
0
10
–10
Grüne
14
9
+ 5
Regionale Unterschiede im Stärkeverhältnis der Parteien bei der Nationalratswahl 1999 (Angaben in Prozent):692 Regionaltypologie
SPÖ
ÖVP
FPÖ
LIF
Grüne
DU
ländlich-periphere Regionen mit hoher Agrarquote
27,5
40,1
24,4
1,6
4,9
0,7
ländliche Mischstrukturregionen
34,7
30,9
25,2
2,1
5,6
0,8
Industrie- und Dienstleistungsregionen
41,0
18,5
32,4
1,9
4,6
0,8
städtische Zentren mit traditionellen »Arbeiterbezirken«
38,8
16,9
28,6
4,7
8,3
1,4
urbane Dienstleistungszentren mit hohem Anteil von »White-collar«-Berufen
27,8
26,2
25,4
6,6
11,4
1,3
westösterreichische Industrie- und Fremdenverkehrsregionen
24,1
33,5
29,5
3,1
7,8
0,9
Die Wahlmotive zugunsten der SPÖ wurden zu zwei Drittel von klassischen traditio nellen Themen wie Sicherung der politischen und sozialen Stabilität sowie Tradition bestimmt, gefolgt von jenen der Sicherung des Arbeitsplatzes und der sozialen Leistungen, Erhaltung der Neutralität und Opposition gegen einen NATO-Beitritt, der Verhinderung einer ÖVP-FPÖ-Koalition und der Person des Spitzenkandidaten Viktor Klima. Der Wahlkampf der SPÖ traf zu einem erheblichen Teil die Gefühlslage des Mitglieder- und Sympathisantenkreises, wobei jedoch die Konzentration auf den Spitzenkandidaten mit dem Slogan »Auf den Kanzler kommt es an« nur von äußerst eingeschränkter Wirkung war. Lediglich 35 Prozent der SPÖ-Wähler gaben als Wahlmotiv die Person Viktor Klima an. Die deutliche Zunahme der Wahlenthaltung gegenüber 1995 traf vor allem die SPÖ, die 127.000 Stimmen durch Wahlenthaltung und weitere 119.000 durch schwache Mobilisierungsfähigkeit des eigenen Klientels einbüßte. Wenngleich die SPÖ ihre dominierende Stellung in der 691 Plasser, Ulram, Sommer : Nationalratswahl 1999. S. 84. 692 Ebda. S. 85.
288
Das Wahljahr 1999
Gruppe der Angestellten (white collar) zu behaupten vermochte, so verlor sie ihren Status als »Arbeiterpartei« (blue collar) zugunsten der FPÖ, der gegenüber die größere Regierungspartei ein Negativsaldo von 141.000 Stimmen verzeichnete und nur mehr eine Behalterate gegenüber 1995 von 74 Prozent aufwies.693 Im Bereich der Gewerkschaftsmitglieder sank der Anteil der SPÖ-Wähler zwischen 1990 und 1999 von 62 auf 49 Prozent, während jener der FPÖ-Wähler von 11 auf 21 Prozent stieg. Massive Gewinne verzeichnete die FPÖ in niederösterreichischen (Amstetten, St. Valentin, Berndorf, Traiskirchen) und steirischen Arbeitergemeinden (Kapfenberg, Leoben, Bruck, Eisenerz, Mürzzuschlag) sowie in Wien, wo sie bei deutlichen Verlusten von SPÖ und ÖVP mehr als Viertel der Stimmen zu erzielen vermochte und den Abstand auf die SPÖ auf 13 Prozent verringerte. In Kärnten und Salzburg sowie den Landeshauptstädten Graz, Klagenfurt und Salzburg wurde sie stärkste Partei. Veränderungen im Wahlverhalten der Angestellten (white collar) 1986–1999 in Prozent:694 Nationalratswahl
SPÖ
ÖVP
FPÖ
Grüne
LIF
1986
40
36
13
7
–
1990
38
27
16
7
–
1994
29
25
22
12
11
1995
32
28
22
7
8
1999
36
23
22
10
5
Veränderungen 1986–1999
–4
–13
+9
+3
–6
Veränderungen im Wahlverhalten der Arbeiter (blue collar) 1986–1999 in Prozent:695 Nationalratswahl
SPÖ
ÖVP
FPÖ
Grüne
LIF
1986
57
26
10
4
–
1990
52
21
21
2
–
1994
47
15
29
4
2
1995
41
13
34
3
4
1999
35
12
47
2
1
–22
–14
+37
–2
–1
Veränderungen 1986–1999
693 Christoph Hopfinger, Marcelo Jenny, Günther Ogris : Steter Tropfen höhlt den Stein. Wählerströme und Wählerwanderungen 1999 im Kontext der 80er und 90er Jahre. – In : Plasser, Ulram, Sommer (Hg.) : Das österreichische Wahlverhalten. S. 117–140. S. 121. 694 Plasser, Ulram, Sommer : Nationalratswahl 1999. S. 69. 695 Ebda.
Die Nationalratswahl am 3. Oktober
289
Die Mobilisierungsversuche der ÖVP angesichts des drohenden dramatischen Zurückfallens hinter die FPÖ erwiesen sich, wenn auch in beschränktem Umfang, als erfolgreich. Während der Anteil der Spätentscheider (»late and last minute deciders«) bei SPÖ und FPÖ jeweils 15 Prozent betrug, belief sich deren Anteil bei der ÖVP auf 18 Prozent, wobei 12 Prozent der Wähler dieser Gruppe ihre Wahl erst in den letzten Tagen vor der Wahl trafen. Die ÖVP verzeichnete mit 78 Prozent eine höhere Behalterate als die SPÖ, von der sie zudem im Wähleraustausch seit 1986 rund 16.000 Wähler gewinnen konnte, wobei die Motive bei diesen Wählern wohl vor allem im Wunsch nach einer Fortführung der SPÖ-ÖVP-Koalition zu suchen waren. Dennoch verlor die ÖVP insgesamt rund 138.000 Stimmen an die FPÖ. Stark konfessionell gebundene Wähler entschieden sich hingegen nach wie vor mit rund 60 Prozent für die ÖVP. Bei den Wahlmotiven zugunsten der ÖVP rangierten Interessenvertretung und Tradition mit 69 Prozent deutlich an erster Stelle, gefolgt von dem Wunsch nach stabilen Verhältnissen und der ihr zugeschriebenen Wirtschaftskompetenz mit jeweils 44 Prozent, dem Verbleiben der Partei vor der FPÖ mit 40 Prozent (dies gaben 59 Prozent der ÖVP-Zuwanderer als Motiv an) und dem Eintreten für die Familie (35 Prozent), während die Person Wolfgang Schüssel für nur knapp mehr als jeden fünften ÖVP-Wähler als Motiv diente.696 Die FPÖ war der eigentliche Gewinner der erdrutschartigen Verschiebungen in der politischen Landschaft der Zweiten Republik. Ihr seit 1986 erfolgter Aufstieg zur Mittelpartei erfolgte bis zur Mitte der neunziger Jahre vor allem auf Kosten der ÖVP und ab Mitte der neunziger Jahre der SPÖ. Sie konnte zudem vor dem Hintergrund der wachsenden Politikverdrossenheit und Systemkritik auf steigende Behalteraten verweisen. Hatte die FPÖ bei der Nationalratswahl 1995 eine Behalterate von 65 Prozent, so stieg dieser Wert 1999 auf 79 Prozent. Das Aufzeigen von Missständen und Skandalen und der Wunsch nach Veränderung rangierten mit 65 bzw. 63 Prozent deutlich an der Spitze der Wahlmotive für die FPÖ, gefolgt von der Vertretung der eigenen Interessen bzw. Tradition (48 Prozent) und dem Kampf gegen die Zuwanderung (47 Prozent), während die Person Jörg Haiders und die Absicht, den Regierungsparteien einen Denkzettel zu verpassen mit 40 bzw. 36 Prozent relativ nachrangig genannt wurden. Das Denkzettelmotiv spielte hingegen bei den FPÖ-Zuwanderern mit 49 Prozent eine erheblich größere Rolle. Hohe Gewinnraten konnte die FPÖ zudem aus der Gruppe der Wechselwähler verbuchen, von denen sie 37 Prozent für sich zu gewinnen vermochte.697
696 Ebda. S. 60. 697 Ebda. S. 61 ; Hofinger, Jenny, Ogris : Steter Tropfen höhlt den Stein. S. 130.
290
Das Wahljahr 1999
Einschätzung der Problemlösungskompetenz der Parteien 1987–1999 (Antworten in Prozent):698 Gesetzgebungsperiode
1
2
3
4
5
6
46
44
23
18
16
26
ÖVP
21
19
28
20
13
16
FPÖ
5
4
7
18
23
11
48
49
18
10
12
21
1987–1990 SPÖ
1991–1994 SPÖ ÖVP
19
20
17
10
8
13
FPÖ
4
3
9
24
30
29
45
47
17
10
11
19
1995 SPÖ ÖVP
22
23
15
10
8
11
FPÖ
5
5
11
29
38
33
45
44
16
10
10
16
1996–1999 SPÖ ÖVP
23
20
7
9
8
10
FPÖ
9
6
15
30
36
38
1 Arbeitsplatzsicherung ; 2 Renten/Pensionen sichern ; 3 Milderung des Steuerdrucks ; 4 Verschwendung verhindern ; 5 Korruption/Privilegien bekämpfen ; 6 Die Ausländerfrage »in den Griff bekommen«
Die FPÖ wurde auch in der Gruppe der Unter–30-Jährigen mit 35 Prozent zur stärksten Partei, während in dieser Alterskohorte auf die beiden Regierungsparteien zusammen nur mehr 42 Prozent entfielen.699 Im Vergleich zu SPÖ, ÖVP und FPÖ verfügten die Grünen bei den Nationalratswahlen in den neunziger Jahren über äußerst geringe Behalteraten von unter 50 Prozent. Die Konkurrenz durch das Liberale Forum vor allem in den urbanen Ballungsräumen, die geringe Mobilisierungsfähigkeit der eigenen Wählerschaft, das oftmals chaotische Erscheinungsbild, mangelnde politische Professionalität, die Übernahme grüner Themen durch die politische Konkurrenz sowie die oftmalige Nichtbeachtung der Regeln der politischen Kommunikation zeichneten für diese Entwicklung verantwortlich. 1999 erfolgte eine Trendwende vor allem aus drei Gründen : 698 Wolfgang C. Müller : Wahlen und Dynamik des österreichischen Parteiensystems seit 1986. – In : Plasser, Ulram, Sommer (Hg.) : Das österreichische Wahlverhalten. S. 13–54. S. 38f. 699 Zur Entwicklung der FPÖ-Wählerschaft vgl. Plasser, Ulram : Rechtspopulistische Resonanzen : Die Wählerschaft der FPÖ. – In : Plasser, Ulram, Sommer (Hg.) : Das österreichische Wahlverhalten. S. 225–241.
Die Nationalratswahl am 3. Oktober
291
1 Die Krise des Liberalen Forums setzte einen stärker werdender Wählerabfluss in Richtung Grüne in Gang. 2. Die Grünen positionierten sich im ideologischen Wettstreit im Bereich Asyl, Menschenrechte, Immigration, Integration vor allem als Gegenpol zur FPÖ, in weiterer Folge auch zu den Regierungsparteien, sowie als konsequente Vertreter feministischer Anliegen. 3. Mit der Wahl Alexander Van der Bellens als Bundessprecher und Spitzenkandidaten verfügten sie über ein äußerst attraktives personelles Angebot, das über den Kreis der eigenen Sympathisanten hinaus wirkte. Rangierte bei den Wahlmotiven für die Grünen deren Eintreten für den Umwelt schutz mit 68 Prozent an erster Stelle, so folgten das engagierte Eintreten für Menschenrechte und die Anliegen der Frauen mit 60 Prozent, ihr Kampf gegen Rechtsextremismus und Ausländerfeindlichkeit mit 58 Prozent und die Person des Spitzenkandidaten mit 57 Prozent bereits in knappen Abständen. Das Traditionsmotiv spielte, in deutlichem Gegensatz zu SPÖ, ÖVP und FPÖ sowie als Spiegelbild der geringen Behalteraten mit 34 Prozent, nur eine nachgeordnete Rolle.700 Auch die generations- und genderspezifische Strukturierung der Wählerschaft der Grünen manifestierte sich im dominanten Anteil der Unter–29-Jährigen und der Gruppe der 30- bis 44-Jährigen sowie dem hohen Anteil von Frauen. Die Gruppe der 45-Jährigen betrug 75 Prozent und jene der Frauen 63 Prozent der Wählerschaft der Grünen. Während die von vielen in der SPÖ und bei den Grünen bevorzugte Möglichkeit einer rot-grünen Koalition nach deutschem Vorbild rein arithmetisch nicht möglich war und auch die im Vorfeld der Nationalratswahl diskutierte Variante einer Ampelkoalition SPÖ/Grüne/LIF durch das Ausscheiden des LIF aus dem Nationalrat jeder Grundlage entbehrte, ergaben sich aufgrund des Wahlergebnisses aus realpolitischer Sicht nur zwei Varianten mit jeweils unterschiedlichen Folgeszenarien : die Fortsetzung der SPÖ-ÖVP-Koalition oder die seit 1986 rein rechnerisch mögliche Realisierung einer ÖVP-FPÖ-Koalition. Die Frage der Stärkeverhältnisse der politischen Parteien sowie die möglichen Koalitionsformen inklusive deren personelle Konstellationen hatten in der Wahlkampfberichterstattung der Massenmedien eine zentrale Rolle gespielt. »Bei der Nationalratswahl 1999 standen wie in den Urnengängen von 1994 und 1995 nicht die policy issues im Mittelpunkt, sondern die political issues. Die political issues haben mit 41,76 Prozent den politischen Diskurs von zwei Monaten Wahlkampf dominiert. Dabei ging es in erster Linie um die Frage, welche Parteien nach den Wahlen die neue Koalitionsregierung bilden werden, anders ausgedrückt : Würde die ›Große Koalition‹ zwischen SPÖ und ÖVP nach dem 700 Ebda. S. 63.
292
Das Wahljahr 1999
3. Oktober weitergeführt werden oder würde es zu einer ÖVP-FPÖ-Koalition kommen. Weit seltener wurde die Frage nach einer möglichen Kombination von rotgrün gestellt.«701 Die unterschiedlichen Koalitionsformen riefen bei den umworbenen Wählerinnen/Wählern, für die jedoch klar war, dass die SPÖ als stärkste Partei durchs Ziel gehen und Viktor Klima auch die kommende Regierung führen werde, unterschiedliche emotionale Befindlichkeiten hervor. Durch die Dramatisierung und Inszenierung der political issues traten Sachthemen zunehmend in den Hintergrund, weshalb »über die Hälfte der WählerInnen auf Grund eines vagen Gefühls für eine Partei ihre Stimme abgegeben haben ; und nur weniger als vier von zehn taten dies auf Grund sachpolitischer Themen. Issue-Voting war also […] bei der Nationalratswahl 1999 keine maßgebliche Dominante für den Wahlausgang.« 702 Emotionale Befindlichkeit zu verschiedenen Koalitionsvarianten vor der Nationalratswahl 1999 (Antworten in Prozent):703 positive Gefühle
negative Gefühle
Saldo (positiv – negativ)
Koalition SPÖ-ÖVP, Klima als Bundeskanzler
57
31
+26
Koalition ÖVP-FPÖ, Haider als Bundeskanzler
41
58
–17
Koalition ÖVP-FPÖ, Schüssel als Bundeskanzler
45
56
–11
Ampelkoalition (SPÖ, Grüne, LIF), Klima als Bundeskanzler
47
51
– 4
Die political issues dominierten auch die der Nationalratswahl vom 3. Oktober 1999 folgenden vier Monate bis zur Bildung der ÖVP-FPÖ-Koalition mit unterschiedlichen Konjunkturzyklen. Dominierten sie zunächst auf Grund der Festlegung der ÖVP, im Falle des Zurückfallens auf den dritten Platz in Opposition gehen zu wollen, die ersten Wochen, so traten sie angesichts der schließlich aufgenommenen Koalitionsgespräche zwischen SPÖ und ÖVP wiederum in den Hintergrund, um schließlich nach deren Scheitern neuerlich in den Vordergrund zu treten.
701 Günther Pallaver, Clemens Pig, Gernot W. Gruber, Thomas Fliri : Wahlkampf in den Fernsehnachrichten. Eine Inhaltsanalyse der tagesaktuellen Berichterstattung. – In : Plasser, Ulram, Sommer (Hg.) : Das österreichische Wahlverhalten. S. 175–206. S. 178. 702 Imma Palme : Issue-Voting : Themen und thematische Positionen als Determinanten der Wahlentscheidung. – In : Plasser, Ulram, Sommer (Hg.) : Das österreichische Wahlverhalten. S. 243–259. S. 258. 703 Ebda. S. 258.
VIII.
4. Oktober bis 13. Dezember 1999 – politisches Schattenboxen
VIII.1 Eine neue politische Landschaft – unterschiedliche B efindlichkeiten Das Ergebnis der Nationalratswahl vom 3. Oktober 1999 wurde zum Gegenstand nicht nur der innenpolitischen, sondern auch der ausländischen Berichterstattung und Analyse. Kein Stein war auf dem anderen geblieben, das scheinbar so stabile politische System und die politische Kultur des Landes schienen der Vergangenheit anzugehören. Das Kommende hatte sich bereits bei der Abschlusskundgebung der seit drei Jahrzehnten regierenden SPÖ am 1. Oktober auf dem Wiener Rathausplatz angedeutet. Die mächtige Wiener Landesorganisation hatte am Rande des Platzes variable Wände aufgestellt, um den Platz voller erscheinen zu lassen, als er tatsächlich war. Die Mobilisierungsfähigkeit der Partei hatte selbst in ihrer traditionellen Hochburg deutlich nachgelassen. Das lange als sichere Bank geltende eigene Klientel der Arbeiter und Angestellten, der Gemeindebaubewohner übte sich in Enthaltsamkeit, war zu einem nicht unerheblichen Teil mental bereits im Lager der von der Partei völlig ignorierten FPÖ angekommen. Höflicher, aber lustloser Beifall begleitete die Reden von Bundeskanzler und Parteivorsitzenden Viktor Klima und Bürgermeister Michael Häupl. Noch vor Monaten schienen keine Wolken den politischen Himmel der SPÖ zu trüben. Bundeskanzler und Parteivorsitzender Viktor Klima erfreute sich hoher Popularitätswerte und schien die Partei dankt seiner persönlichen Strahlkraft sowie der Unterstützung des Boulevards und mancher Hochglanzmagazine bei der bevorstehenden Nationalratswahl an die 40-Prozent-Marke zu führen. Der Wahlkampf wurde daher von Bundesgeschäftsführer Andreas Rudas auf die Person Viktor Klimas mit dem Slogan, es komme auf den Bundeskanzler an, fokussiert. Rudas galt als PR-Genie, der die Nase stets im (Meinungs-)Wind hatte, sich an demoskopischen Daten orientierte und nach diesen die politischen Parolen gestaltete. Er praktizierte alle Tricks der US-Wahlkämpfe und kannte die Regeln der Mediendemokratie. Doch der SPÖ-Spitzenkandidat verlor während des Wahlkampfes zunehmend an Strahlkraft, wirkte wie von seinen Spindoktoren ferngesteuert, erging sich in Phrasen, wirkte nicht mehr souverän, sondern überfordert und zeigte zudem körperliche Schwächen. Inszenierung ging vor Inhalt.
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4. Oktober bis 13. Dezember 1999 – politisches Schattenboxen
Als am 3. Oktober um 17 : 00 Uhr in der SPÖ-Zentrale in der Löwelstraße die erste ORF-Hochrechnung bekannt wurde, die der Partei Verluste von mehr als fünf Prozent voraussagte, bemerkte ein anwesendes Mitglied entgeistert »Buh, bist Du narrisch«. Dabei hatte es am Vormittag scheinbar für die SPÖ noch günstig ausgesehen. Bruno Kreisky hatte sich in seinen politischen Prognosen stets an der kleinen steirischen Gemeinde St. Ilgen mit dem Satz »Wie St. Ilgen wählt, so wählt ganz Österreich« orientiert. Am Vormittag des 3. Oktober 1999 gewann die SPÖ in dem kleinen steirischen Ort 3,3 Prozent, während die FPÖ leichte Verluste hinnehmen musste. Der Satz des ehemaligen Kanzlers sollte jedoch an diesem Tag keine Bestätigung erhalten. Am Nachmittag des 3. Oktober signalisierten die ersten eintreffenden Ergebnisse deutliche Verluste der SPÖ. In der Parteizentrale herrschte Bunkerstimmung und Frauenministerin Barbara Prammer bemerkte : »In meinen kühnsten Albträumen hätte ich mir nicht vorgestellt, dass es so schlimm kommt.«704 Der in Kenntnis des zu erwartenden deutlichen Verlustes gegen 16 :00 Uhr in der Löwelstraße eingetroffene Parteivorsitzende und Bundeskanzler wirkte sichtlich gezeichnet und kommentierte das unerwartet schlechte Abschneiden mit der Bemerkung, es müssten aus diesem natürlich Konsequenzen gezogen werden. »Wir haben diese Warnung ernst zu nehmen.«705 Man konnte sich allerdings mit dem Umstand trösten, dass die SPÖ nach wie vor eindeutig stärkste Partei war. »Erfreut bin ich nicht über das Ergebnis, aber immerhin sind wir stimmenstärkste Partei«, erklärte Viktor Klima nach Bekanntwerden der ORF-Hochrechnung vor den anwesenden Journalisten.706 Kritischer kommentierte der Obmann der Jungen Generation in der SPÖ, Michael Grossmann, das enttäuschende Ergebnis. »Da haben nicht die Sozialdemokraten verloren, da haben die Spin-Doktoren verloren.« Ein »Strahler–90-Lächeln« sei zwar manchmal durchaus attraktiv, ersetze jedoch nicht Inhalte und Visionen. Man habe zu sehr »auf den Faktor Stabilität gesetzt«. Und Klimas Pressesprecher Josef Kalina bemerkte bitter : »Wir haben das ganze Packl an Frust bekommen.«707 In der SPÖ hatten sich vor und während des Wahlkampfes Bedenken gegen die von Bundesgeschäftsführer Andreas Rudas forcierte weitgehende Amerikanisierung des Erscheinungsbildes der Partei geregt, die sich nach dem enttäuschenden Wahlergebnis in einer zunehmenden Kritik am Bundesgeschäftsführer äußerten. Ulla Schmid berichtete über die in großen Teilen der Partei nach dem enttäuschenden Wahlgang vorherrschende Stimmung : »Die inhaltliche Arbeit, das Feilen an modernen, aber durchaus sozialdemokratischen Linien, verkümmerte. Individuelle Ansätze und Ideen wurden so lange gebürstet, bis sie ins Konzept und die Umfrage-Erwartungen 704 FORMAT 40/1999. S. 13. 705 Die Presse 4.10.1999. S. 3. 706 SN 4.10.1999. S. 2. 707 Die Presse 4.10.1999. S. 3.
Eine neue politische Landschaft – unterschiedliche B efindlichkeiten
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passten – und jegliche Konturen fehlten.« Die Kritik gipfelte in dem Vorwurf, die Inszenierung sei vor die Ideologie gestellt worden und man hätte, »vor allem Viktor Klima nicht Viktor Klima sein […] lassen«.708 Wenngleich der Wiener Bürgermeister Michael Häupl eine Personaldiskussion ablehnte, bemerkte er kritisch in Richtung des Bundesgeschäftsführers : »Ein amerikanisierter Wahlkampf, das war eben auch so ein Popanz, den man immer wieder aufgezogen hat. So was funktioniert bei uns ja überhaupt nicht. Die Österreicher sind ja keine Amerikaner.«709 Trotz aller Enttäuschung war die Stimmung in der Löwelstraße keineswegs am Tiefpunkt, da man das Ergebnis auch als Bestätigung der Großen Koalition betrachtete. ÖVP-Obmann Wolfgang Schüssel hatte gegen Ende des Wahlkampfes auf Grund der schlechten Umfragewerte seiner Partei erklärt, die ÖVP werde, sollte sie hinter die FPÖ auf den dritten Platz zurückfallen, in Opposition gehen. Der Appell des ÖVPObmanns schien Früchte getragen zu haben, die ÖVP hatte sich deutlich besser als erwartet geschlagen. Wenngleich sie am Wahlabend hinter der FPÖ lag, so konnte die Auszählung der Wahlkartenstimmen die Situation zugunsten der ÖVP ändern. Selbst für den Fall des Rückfalls der ÖVP auf den dritten Platz nach der Auszählung der Wahlkartenstimmen würden sich in der ÖVP die Befürworter einer Fortführung der Koalition mit der SPÖ durchsetzen. Noch am Wahlabend erhielt diese Mutmaßung eine gewichtige Bestätigung, als sich aus Brüssel EU-Kommissar Franz Fischler mit der Bemerkung meldete, Österreich brauche eine stabile und verlässliche Regierung, die auch bei den übrigen europäischen Regierungen Ansehen genieße. Ein von der ÖVP ventilierter Gang in die Opposition wäre ebenso »ein großer Fehler« wie die von manchen in der ÖVP angedachte Variante einer Koalition mit der FPÖ.710 Zudem, so der überwiegende Tenor in der SPÖ-Zentrale, werde Bundespräsident Thomas Klestil den amtierenden Bundeskanzler und Vorsitzenden der stimmenstärksten Partei, Viktor Klima, mit Verhandlungen zur Bildung einer neuen Bundesregierung beauftragen. Und diese neue Bundesregierung werde eine Neuauflage der SPÖ-ÖVP-Koalition sein. Diese Auffassung wurde auch vom Großteil der innenpolitischen Kommentatoren geteilt. So bemerkte Peter Rabl, die SPÖ habe zwar durch die nunmehrige Etablierung dreier fast gleicher Mittelparteien ihre politische Hegemonie verloren, doch sei »die einzig realistische Variante […] eine neue rot-schwarze Regierung«.711 In der Lichtenfelsgasse, der Parteizentrale der ÖVP, herrschte, trotz der neuerlichen Verluste und des am Wahlabend noch nicht feststehenden Rückfalls auf Platz drei, ausgelassene Stimmung. Die Meinungsumfragen hatten der Partei massive Stimmen- und Mandatsverluste und ein deutliches Abrutschen auf den dritten 708 Ulla Schmid : Entzauberter Erneuerer. – In : Profil 40/1999. S. 82. 709 Profil 40/1999. S. 97. 710 SN 4.10.1999. S. 2. 711 Peter Rabl : Die SPÖ hat die politische Hegemonie verloren. In : Kurier 4.10.1999. S. 2.
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4. Oktober bis 13. Dezember 1999 – politisches Schattenboxen
Platz hinter die FPÖ vorhergesagt. Die in einer geschickten politischen Dramaturgie erfolgte Aussage von Parteiobmann Wolfgang Schüssel, in diesem Fall in Opposition zu gehen, hatte offensichtlich den erhofften Mobilisierungseffekt bewirkt und die ÖVP nahe an die FPÖ herangeführt. Am Wahlabend hatte man die durchaus berechtigte Hoffnung, nach der Auszählung der Wahlkartenstimmen Platz zwei zu erreichen. Generalsekretärin Maria Rauch-Kallat kommentierte daher das Wahlergebnis mit der Bemerkung : »Die Meinungsforscher sind wieder einmal falsch gelegen. Ich kann ihnen auch den Vorwurf nicht ersparen, dass damit Politik gemacht worden ist.« Das überraschend gute Ergebnis der ÖVP habe einen Namen – Wolfgang Schüssel.712 Dieser betrat die Parteizentrale unter dem heftigen Applaus der anwesenden Funktionäre und Sympathisanten mit den Sätzen : »Ich habe gesagt, es wird eine Überraschung geben. Wir haben das Steuer herumgerissen.« Für einen sichtlich entspannten Klubobmann Andreas Khol war unter Anspielung auf die SPÖ »die Götterdämmerung […] wo anders«.713 Teile der ÖVP plädierten angesichts des Wahlergebnisses offen für einen Befreiungsschlag aus der Koalition mit der SPÖ und für die Erwägung anderer politischen Optionen, d. h. für eine politische Wende durch eine Koalition mit der FPÖ. So interpretierte der steirische Landesrat Gerhard Hirschmann das Wahlergebnis als »klare Absage an den Bundeskanzler und die SPÖ, die Regierung weiter zu führen« und sein Regierungskollege Herbert Paierl wurde noch deutlicher : »Ein Regierungschef Schüssel ist jetzt anzupeilen. Um den Klima brauchen wir uns nicht mehr zu kümmern.«714 ÖVP-Ehrenobmann Alois Mock bemerkte in einem Interview auf die Frage, ob das Risiko Haider weniger schwer wiege als die Fortsetzung der Koalition mit der SPÖ ein Nachteil für die Partei wäre : »Ja, das kann man so sagen.«715 Peter Rabl sah in Wolfgang Schüssel einen Gewinner des Wahltages. »Es war kein Irrtum oder Rechenfehler der gesammelten Meinungsforschung, die Schüssel und die ÖVP noch vor drei Wochen weit abgeschlagen auf dem 3. Platz sahen. Der glanz- und temperamentlose Wahlkampf und der Dauerbeschuss der auch in dieser Hinsicht völlig verfehlten SPÖ-Propaganda hatten die ÖVP tatsächlich an den Rand des Untergangs gedrängt. Schüssel setzte alles auf eine Karte und drohte mit dem Gang in die Opposition, falls es nicht zum 2. Platz reichen sollte. Dieser taktische Zug wurde viel kritisiert, stellte sich aber schlussendlich als Wendepunkt zur Erholung der ÖVP heraus. Dazu lieferte Schüssel selbst mit einem hervorragenden Endspurt, insbesondere auch in seinen TV-Auftritten, den entscheidenden Schub. Er hat sich, selbst wenn 712 Kurier 4.10.1999. S. 3. 713 Der Standard 4.10.1999. S. 3. 714 FORMAT 40/1999. S. 13. 715 Academia 10/1999. S. 23.
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auch die Schlussrechnung den minimalen Rückstand auf die Freiheitlichen ergeben sollte, als Parteiobmann gefestigt. Mit diesem Ergebnis kann die Ankündigung, in Opposition zu gehen, nicht absolut bindend sein. Es geht schließlich um die Regierbarkeit des Landes.«716 Die Frage, ob die ÖVP die Aussage ihres Obmanns, im Falle des Zurückfallens auf den dritten Platz in Opposition gehen zu wollen, wahrmachen werde, blieb an diesem Abend unbeantwortet. Das Nachrichtenmagazin FORMAT berichtete allerdings, dass Schüssel bereits zwei Tage vor der Nationalratswahl im privaten Kreis seine Strategie bekannt gegeben habe : »Sollte er nur knapp hinter den Freiheitlichen zurückbleiben, sei das für ihn kein Auftrag, in Opposition zu gehen. Vielmehr werde es ihm dadurch leichter, die Sozialdemokratie durch besonders harte Forderungen zu inhaltlichen Zugeständnissen zu bewegen.«717 Nicht in der Parteizentrale, sondern in einem Kagraner Bierlokal mit dem bezeichnenden Namen »Napoleon« feierte die FPÖ ihren Wahltriumph. Blaue Luftballons, blauer Teppich, Jörg-Haider-Plakate an den Wänden und von einem Oktoberfest noch vorhandene blau-weiße-Tischtücher, auf den Tischen ein blauer Aperitif, eine Band, die unentwegt österreichische U-Musik wie den »Steirischen Brauch« oder »Ei, ei, ei, ei, die Goas is weg« zur Stimmungsmache von sich gab, ein in ein Bärenkostüm gekleideter Einweiser für die Parteiprominenz und Sympathisanten wie Billa-Chef Veit Schalle und am Eingang martialisch wirkende Leibwächter mit Sonnenbrille und Funkkontakt bildeten das Ambiente der »FPÖ-Wahlnacht«. Das Idol der Versammelten, Jörg Haider, erschien erst, beleitet von einer Schar in- und ausländischer Journalisten, um 22 : 00 Uhr, wobei die enthusiasmierten Anhänger »Jetzt geht’s los !« und »Blau-schwarz, blau-schwarz« skandierten. Der Umjubelte ergriff das Mikrophon und erklärte vor allem in Richtung der ausländischen Medienvertreter : »Wir sind keine Extremisten, aber wir denken halt an unser Land.«718 In dem übervollen Kagraner Bierlokal wurde jedoch nicht nur ausgiebig und ausgelassen gefeiert, sondern auch über Politik gesprochen. An einem Tisch versammelten sich die »alten Liberalen« der Vor-Haider-Zeit, um über die bevorstehende Regierungsbildung zu diskutieren. Dabei bekannte Helene Partik-Pablé in Anspielung auf die Zeit der Koalition mit der SPÖ 1983–1986, die Schwarzen wären ihr »lieber als die Roten« Denn in der SPÖ-FPÖ-Koalition »haben uns die Roten täglich über die Klinge springen lassen.«719 Er sei »nervös – und sehr optimistisch«, erklärte der Spitzenkandidat der Grünen, Alexander Van der Bellen, bei seiner Stimmabgabe im 18. Bezirk. Der Optimismus 716 Rabl : Die SPÖ hat die politische Hegemonie verloren. 717 FORMAT 40/1999. S. 16. 718 Die Presse 5.10.1999. S. 3. 719 Ebda.
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Van der Bellens sollte sich als berechtigt erweisen. Die Grünen konnten am Wahlabend zu recht darauf verweisen, dass sie mit einem Stimmengewinn von 2,6 Prozent und fünf Mandaten neben der FPÖ die zweiten Wahlgewinner waren. Die Wiener Spitzenkandidatin Eva Glawischnig verteilte überglücklich über das Wahlergebnis Glückskäfer und Mäuse aus Schokolade an die Parteifreunde in der Parteizentrale in der Lindengasse und Bundessprecher Alexander Van der Bellen erhielt unzählige Sympathiebeweise. Bundesgeschäftsführerin Michaela Sburny ließ bei der Wahlparty der dem Personenkult so abgeneigten Partei wissen, dass das gute Ergebnis »sicher auch« dem Bundessprecher Van der Bellen zu verdanken sei.720 Der EU-Abgeordnete Johannes Voggenhuber interpretierte das Wahlergebnis als einen klaren politischen Auftrag. »Wir müssen an die Variante einer linken Koalition denken. Das ist die Frage der Zukunft.«721 In der Bundeszentrale des Liberalen Forums in der Reichratsstraße herrschte hingegen Fassungslosigkeit und Trauer. Die Hoffnung von Parteichefin Heide Schmidt, die von ihr selbst genannte Schmerzgrenze von vier Prozent zu überspringen, hatte sich nicht erfüllt. Das LIF war am 3. Oktober 1999, nicht zuletzt aufgrund von deutlichen Struktur- und Organisationsdefiziten sowie völlig divergierender programmatischer Positionen, zur »Rumpfpartei« geschrumpft. 52.000 LIF-Wähler waren zur ÖVP, 42.000 zu den Grünen und 77.000 zu den Nichtwählern abgewandert. Diesen massiven Verlusten standen nur geringe Wanderungsgewinne gegenüber. Im siebten Jahr seines Bestehens trat die Erfindung von Heide Schmidt von der bundespolitischen Bühne ab und mit ihr auch deren Obfrau, die noch am Wahlabend ankündigte, dem am kommenden Tag zusammentretenden Parteipräsidium ihren Rücktritt anzubieten. Das enttäuschende Wahlergebnis sei nicht der »Todesstoß« für das Liberale Forum, doch müsse man sich bei dessen Rekonstruktion auf die Landesorganisationen von Wien und der Steiermark konzentrieren, die auch über entsprechende Landtagsmandate – sechs bzw. zwei – verfügten.722 Damit wurden die Weichen zu Gunsten der innerparteilichen Widersacher von Heide Schmidt um die Wiener Landesobfrau Gabriele Hecht gestellt, für die der Wiener Gemeinderat Wolfgang Alkier mit Blick auf das Wahlprogramm verbittert resümierte, man habe »Gratiswerbung für die Grünen und Roten gemacht«. Die Zukunft der Partei, soferne diese überhaupt eine habe, liege in der Bundeshauptstadt, auf die man sich in Zukunft konzentrieren müsse.723 Die Wiener Landesorganisation verfügte über ein solides Budget, während die Bundespartei im Wahljahr Schulden in der Höhe von 30 Millionen Schilling angehäuft hatte, die durch das Verfehlen des Wahlziels 720 Kurier 4.10.1999. S. 6. 721 Thomas Hofer : Jubel, Trubel, Heiterkeit. – In : Profil 40/1999. S. 100. 722 Kurier 4.10.1999. S. 6. 723 FORMAT 40/1999. S. 38.
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aus der nunmehr ausbleibenden staatlichen Wahlkampfkostenrückerstattung nicht beglichen werden konnten. Die Bedeckung der Schulden musste daher aus den Finanzen der noch solventen Landesorganisationen, vor allem jener Wiens, erfolgen. Differenzen und offen ausgetragene Konflikte waren damit vorprogrammiert und mit ihnen auch der Absturz in die politische Bedeutungslosigkeit.
VIII.2 Zwischen Besorgnis und Hysterie. Internationale und nationale Reaktionen Die Reaktionen des Auslandes, vor allem der Linkssozialisten sowie Israels, auf das Wahlergebnis erinnerten mit ihren teilweise völlig verzerrten und überzogenen Behauptungen, die Haider mit Hitler verglichen und das Landes in den Nationalsozialismus abdriften sahen, an die Waldheim-Affäre und ließen die Wogen des politischen Diskurses hochgehen. Alison Smale schrieb zum Wahlausgang in »The New York Times« : »Die Österreicher werden es schwer haben, dem Ausland zu erklären, wieso in einem Land, wo es niemandem schlecht geht, ein Drittel der Bevölkerung für Haider stimmt. Viele Leute haben genug von 13 Jahren Großer Koalition, die nur von dem Gedanken bestimmt war, Haider nicht an die Macht zu lassen. Trotzdem ist es die gleiche Ignoranz gegenüber dem Ausland wie bei der Waldheim-Wahl.« Julieta Rudich bemerkte in »El Pais« : »Die entscheidende Frage ist : Warum findet eine Partei, die mit autoritärer Politik und rassistischen Argumenten Ängste und Aggressionen schürt, in einem so wohlhabenden Land wie Österreich immer mehr Wähler ? Der Aufstieg der FPÖ ist alarmierend.«724 In Frankreich forderte Jack Lang, der Vorsitzende des Außenpolitischen Ausschusses der Französischen Nationalversammlung und inoffizielle Stimme der französischen Linksregierung, die sozialdemokratischen Parteien Europas auf, über das österreichische Wahlresultat nachzudenken. »Der Eintritt der extremen Rechten in die Regierung würde Österreich großen Schaden zufügen und das Land in Europa isolieren.« Die linken und linksliberalen französischen Medien sprachen von einer »Rückkehr der alten Dämonen« und der Kommentator des Radiosenders FranceInter nannte drei Gründe für den Erfolg der FPÖ : Österreich habe neben Belgien die höchste Ausländerquote in der EU, viele Wähler hätten gegen das real existierende Proporzsystem gestimmt und das Land habe keinen schmerzlichen Entnazifizierungsprozess durchgemacht.725 Ähnlich äußerte sich Israel Singer, der Generalsekretär des Jüdischen Weltkongresses. Wenngleich manche Reaktionen überzogen 724 FORMAT 40/1999. S. 18. 725 Der Standard 5.10.1999. S. 9.
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aus der nunmehr ausbleibenden staatlichen Wahlkampfkostenrückerstattung nicht beglichen werden konnten. Die Bedeckung der Schulden musste daher aus den Finanzen der noch solventen Landesorganisationen, vor allem jener Wiens, erfolgen. Differenzen und offen ausgetragene Konflikte waren damit vorprogrammiert und mit ihnen auch der Absturz in die politische Bedeutungslosigkeit.
VIII.2 Zwischen Besorgnis und Hysterie. Internationale und nationale Reaktionen Die Reaktionen des Auslandes, vor allem der Linkssozialisten sowie Israels, auf das Wahlergebnis erinnerten mit ihren teilweise völlig verzerrten und überzogenen Behauptungen, die Haider mit Hitler verglichen und das Landes in den Nationalsozialismus abdriften sahen, an die Waldheim-Affäre und ließen die Wogen des politischen Diskurses hochgehen. Alison Smale schrieb zum Wahlausgang in »The New York Times« : »Die Österreicher werden es schwer haben, dem Ausland zu erklären, wieso in einem Land, wo es niemandem schlecht geht, ein Drittel der Bevölkerung für Haider stimmt. Viele Leute haben genug von 13 Jahren Großer Koalition, die nur von dem Gedanken bestimmt war, Haider nicht an die Macht zu lassen. Trotzdem ist es die gleiche Ignoranz gegenüber dem Ausland wie bei der Waldheim-Wahl.« Julieta Rudich bemerkte in »El Pais« : »Die entscheidende Frage ist : Warum findet eine Partei, die mit autoritärer Politik und rassistischen Argumenten Ängste und Aggressionen schürt, in einem so wohlhabenden Land wie Österreich immer mehr Wähler ? Der Aufstieg der FPÖ ist alarmierend.«724 In Frankreich forderte Jack Lang, der Vorsitzende des Außenpolitischen Ausschusses der Französischen Nationalversammlung und inoffizielle Stimme der französischen Linksregierung, die sozialdemokratischen Parteien Europas auf, über das österreichische Wahlresultat nachzudenken. »Der Eintritt der extremen Rechten in die Regierung würde Österreich großen Schaden zufügen und das Land in Europa isolieren.« Die linken und linksliberalen französischen Medien sprachen von einer »Rückkehr der alten Dämonen« und der Kommentator des Radiosenders FranceInter nannte drei Gründe für den Erfolg der FPÖ : Österreich habe neben Belgien die höchste Ausländerquote in der EU, viele Wähler hätten gegen das real existierende Proporzsystem gestimmt und das Land habe keinen schmerzlichen Entnazifizierungsprozess durchgemacht.725 Ähnlich äußerte sich Israel Singer, der Generalsekretär des Jüdischen Weltkongresses. Wenngleich manche Reaktionen überzogen 724 FORMAT 40/1999. S. 18. 725 Der Standard 5.10.1999. S. 9.
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seien und er nicht glaube, dass Haider ein Neonazi sei, so fehle Österreich doch Sensibilität. »… und das kommt daher, dass es im ganzen Land bis jetzt kein Entnazifizierungsprogramm gegeben hat. Österreich hat sich nie mit seiner Vergangenheit in der Nazidiktatur auseinandergesetzt. Manche nennen das Verdrängen, manche Amnesie – Faktum ist, dass Österreich kein Verhältnis zur eigenen Geschichte hat. All die Probleme, die aus der Vergangenheit entstehen und jetzt wieder aufbrechen, bedeuten einzig und allein Schwierigkeiten für Österreich selbst.«726 Israels Präsident Ezer Weizman nannte den Erfolg der FPÖ »besorgniserregend« und ein Sprecher des Jüdischen Weltkongresses ließ sich mit dem Satz, »Österreich sollte sich schämen«, vernehmen.727 Der israelische Außenminister David Levy erklärte am 6. Oktober in der Knesset, sollten »neo-nazistische Elemente« an der österreichischen Bundesregierung beteiligt werden, werde Israel »seine Beziehungen zu Österreich überdenken«. Das Wahlergebnis sei ein »Kainsmal auf der Stirn des österreichischen Volkes«.728 In einer an die Erklärung der Außenministers veröffentlichten offiziellen Stellungnahme Israels hieß es, das Wahlergebnis weise auf ein »bedenkenswertes Phänomen« hin. Es erzeugt »Ekel …, was die Ansichten, die Anschauungen und die Weltanschauung und Gefühllosigkeit der österreichischen Bürger angeht.«729 Am folgenden Tag erklärte die »Jewish Agency«, sie werde einen Sonderbeauftragten nach Österreich entsenden, der die Auswanderungsaktivitäten von Juden nach Israel intensivieren solle. Derzeit würden rund 9.000 Juden in Österreich leben, pro Jahr jedoch nur 30 Familien das Land Richtung Israel verlassen. Das Wahlergebnis liefere nunmehr den Grund für eine tiefe Besorgnis, denn das jüdische Volk habe bittere Erinnerungen.730 Der langjährige Bürgermeister von Jerusalem, Teddy Kollek, antwortete auf die Frage, ob er den österreichischen Juden nahelegen würde, das Land lieber zu verlassen : »Ich hätte ihnen auch vor zehn Jahren schon gesagt, sie sollen lieber zu uns nach Israel kommen. Aber sie gehen lieber nach Amerika, nehme ich an. In jedem Fall gibt es nur ganz wenige Juden in Wien. Die müssen sich halt überlegen, ob sie im Haider-Land bleiben wollen.«731 Wenngleich der israelische Politologe und ehemalige Generalsekretär des israelischen Außenministeriums, Shlomo Avineri, die Aussagen des israelischen Außenministers nicht kommentieren wollte, so erklärte er gegenüber österreichischen Journalisten, eine Regierungsbeteiligung Haiders hätte eine internationale Isolierung Österreichs zur Folge. »Wie sich Österreich mit seiner Vergangenheit beschäftigen muss, so muss es
726 FORMAT 43/1999. S. 47. 727 Ebda. S. 1 728 Die Presse 8.10.1999. S. 7. 729 Der Standard 7.10.1999. S. 6. 730 Die Presse 8.10.1999. S. 7. 731 FORMAT 41/1999. S. 45.
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sich auch mit seiner Gegenwart und Zukunft auseinandersetzen.«732 Elan Steinberg vom Jüdischen Weltkongress bemerkte auf die Frage, ob mit dem Wahlerfolg Jörg Haiders ein neuer Fall Waldheim drohe : »Haider wird sicher nicht auf die Watchlist gesetzt. Aber die Auswirkungen einer Regierung Haider für Österreich könnten ähnlich sein.«733 Der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde, Ariel Muzikant, sah eine »Waldheimzeit mit anderen Vorzeichen« auf Österreich zukommen, wie die internationalen Reaktionen auf das Wahlergebnis deutlich dokumentierten. Gleichzeitig wandte er sich gegen hysterische Überzeichnungen. Wenngleich die Grundstimmung in Österreich »furchtbar« sei, solle man die Lage nicht entstellen. »Der Vergleich Jörg Haiders mit Hitler ist einfach falsch. Man nimmt sich die Möglichkeit zu kritisieren, indem man überzeichnet.«734 Die massiven und teilweise völlig überzogenen internationalen Reaktionen auf das Wahlergebnis und die sich daraus ergebenden politischen Optionen führten zu einem vorübergehenden nationalen Schulterschluss des politischen Establishments. Bundespräsident Thomas Klestil erklärte, er könne »nicht widerspruchslos hinnehmen«, dass Österreich »durch ungebührliche Äußerungen und übertriebene Reaktionen internationaler Schaden zugefügt« werde. »Ich bin mir bewusst, dass wir Österreicher auf Grund unserer Geschichte zu besonderer Sensibilität und Wachsamkeit gegenüber allen Formen der Intoleranz, des Fremdenhasses und der Diskriminierungen aufgerufen sind. Aber wir erwarten mehr Sorgfalt und Fairness im Umgang mit den Fakten und bei der Berichterstattung in den Medien gegenüber unserem Land.«735 Österreich sei »ein Land mit stabilen politischen Verhältnissen, in dessen Parlament ausschließlich demokratisch gewählte Parteien vertreten« seien.736 Er ersuchte die Spitzen der österreichischen Politik, den ungerechtfertigten Vorwürfen geschlossen entgegenzutreten, um Schaden vom Land abzuwenden. Entsprechend dem Ersuchen des Bundespräsidenten erklärte Bundeskanzler Viktor Klima am 5. Oktober, er werde es nicht hinnehmen, dass Österreich nach dem Wahlsieg der FPÖ in ausländischen Medien als Naziland bezeichnet werde. Und Alexander Van der Bellen begab sich sogar auf eine Tour durch verschiedene europäische Hauptstädte mit dem Ziel, den von vielen Medien verbreiteten Eindruck zu korrigieren. Er habe durchaus Verständnis für besorgte Äußerungen in Israel. Aber : »Österreich ist weder vor nach dieser Wahl ein Naziland.«737 In Richtung ÖVP gewandt merkte er allerdings an, diese dürfe die FPÖ aufgrund ihrer
732 Kurier 8.10.1999. S. 3. 733 FORMAT 41/1999. S. 43. 734 SN 6.10.1999. S. 2. 735 Die Presse 8.10.1999. S. 7. 736 Kurier 8.10.1999. S. 2. 737 SN 6.10.1999. S. 2.
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»schäbigen und widerwärtigen Ausländerhetze« nicht regierungsfähig machen. Eine Regierungsbeteiligung der FPÖ würde Österreich »endgültig in eine internationale politische Isolation treiben«.738 Ein differenzierender Blick auf das Wahlergebnis bildete in der internationalen Presse eher die Ausnahme als die Regel. George Malloan von »The Wall Street Journal« überraschte der Erfolg Haiders nicht. »Ich glaube nicht, dass sich die Österreicher für den Neonazismus ausgesprochen haben. […] Viele Haider-Wähler sind sicher respektable Menschen.«739 Auch in der der FPÖ kritisch gegenüberstehenden österreichischen Tagespresse stießen vor allem die israelischen Reaktionen auf Unverständnis. So bemerkte Ronald Barazon, in Israel habe man »ganz offensichtlich den Bezug zur Realität verloren«, denn : »Weder die Österreicher in ihrer Gesamtheit noch die FPÖ und auch nicht Jörg Haider haben eine antijüdische oder antiisraelische Haltung an den Tag gelegt. In diesem Staat gibt es nicht die geringsten Anzeichen für eine Wiederbelebung des verbrecherischen Nazi-Regimes.«740 Eine Analyse ohne Aufgeregtheit stammte aus der Feder des Salzburger Arbeitsund Sozialrechtlers sowie langjährigen SPÖ-Landtagsabgeordneten Klaus Firlei, der das Wahlergebnis als Ergebnis der Veränderung der Lebenswelten, der Erschütterungen des seelischen Befindens eines ständig wachsenden Teils der Bevölkerung sah. Die »in War-Rooms verschanzten Kommunikationsstrategen« der Regierungsparteien hätten das Feld der Lebenswirklichkeiten kampflos preisgegeben. »Sie verbreiteten ein durch mehrere Filter verfremdetes Bild eines heilen Österreich und vergaßen, dass das Wahlverhalten eng mit dem konkreten Leben und Arbeiten, mit Hoffnungen und Träumen, mit Wut und Enttäuschungen verbunden ist. Schönfärberei und Kritiklosigkeit haben Haiders Erfolg maßgeblich herbeigeführt.« Der Aufstieg der FPÖ unter Haider offenbare die politischen Schwächen der Regierenden. »Die Aggressivität der Modernisierungsverlierer und das obszöne Sperrfeuer auf bestimmte Zielscheiben und Reizthemen, wie Ausländer, Sozialschmarotzer, EU und andere finden ihre erkennbaren Ursachen in konkreten, massenhaft erfahrbaren Lebensverhältnissen und sozialen, kulturellen und gesellschaftlichen Entwicklungen. Hier hat man die Menschen jahrelang sich selbst überlassen.« Eine weitere Fehleinschätzung habe das Wesen der FPÖ betroffen, die sich der politologischen Klassifizierung entzog und sich keineswegs auf das faschistoide Potenzial in Österreich von etwa fünf Prozent beschränkte. Die FPÖ habe »keine Identität im klassischen politischen Spektrum« gesucht oder bewusst eingenommen. »Sie setzt ihr Erscheinungsbild bewusst aus einer Vielzahl von Puzzleteilen zusammen, aus rechtskonservativen ebenso wie linkspopulistischen, radikaldemokratischen, gelegentlich 738 Der Standard 7.10.1999. S. 6. 739 FORMAT 40/1999. S. 18. 740 Ronald Barazon : Die israelische Regierung schadet Israel und Österreich. – In : SN 8.10.1999. S. 1.
Zwischen Besorgnis und Hysterie. Internationale und nationale Reaktionen
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auch neoliberalen. So gesehen ist sie die erste postmoderne Partei Österreichs. Sie repräsentiert einen ganz neuen Typus, den einer multioptionalen Mischpartei, die dabei den multiplen Patchwork-Identitäten der postmodernen Menschen durchaus entspricht. Vermutlich würde man in einem politischen Erlebnispark solchen Konstrukten häufig begegnen. Haider liegt näher an Hollywood als an fossilhaft wirkenden Figuren der ideologischen Rechten wie Le Pen. Die Bezeichnung als rechtsradikal trifft daher nicht das Wesen dieser Partei. Hier irren auch viele ausländische Kommentatoren. Dazu kommt die hochgradige Ambivalenz seiner Anhängerschaft : deren aggressives, mit unverzichtbaren zivilisatorischen Werten unvereinbares, hochkarätig konfrontatives politisches Denken und Verhalten fußt häufig auf verzerrten, mit Erbitterung und Frustrationen, Wut und Ablehnung verbundenen Gerechtigkeitsvorstellungen, auf verweigerten sozialen Ansprüchen, auf Ängsten vor der Zerstörung von Lebensweisen und tief sitzenden familiären Wunschvorstellungen und sonstigen Verlusterfahrungen. Es speist sich aus ähnlichen Wurzeln, aus denen auch Sozialdemokraten und Christen die für eine Veränderung dieser Gesellschaft notwendige emotionale und symbolische Energie gewinnen müssten – auch wenn die inhaltlichen Konzeptionen ganz andere wären.«741 Angesichts der ausländischen Reaktionen auf das Wahlergebnis und einer möglichen Regierungsbeteiligung der FPÖ hatte die antifaschistische Erregungskultur auch in Österreich wieder Konjunktur. Vor etwas mehr als sechs Jahren hatte eine breite Palette unterschiedlicher Organisationen gegen das von der FPÖ initiierte Volksbegehren »Österreich zuerst« rund 120.000 Menschen auf dem Wiener Heldenplatz zu einem Lichtermeer gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus mobilisiert. Nunmehr organisierte eine Plattform »Demokratische Offensive«, zu der sich SOS Mitmensch und weitere linke Organisationen wie der »Republikanische Klub« zusammenschlossen, eine Neuauflage auf dem Stephansplatz, wobei jedoch – als symbolische Warnung gedacht – die Kerzen durch blinkende rote Fahrradrückleuten ersetzt wurden. In diesem roten Blinklichtambiente wollte man jedoch, anders als beim Lichtermeer, keinem Vertreter der offiziellen Politik die Bühne für einen publikums- und medienwirksamen Auftritt geben. Bei der Demonstration am symbolträchtigen 12. November vermochte die Initiative jedoch nur 40.000 Menschen, unter ihnen u. a. Elfriede Jelinek, Ariel Muzikant, Jack Lang, Thaddäus Ropac – zu mobilisieren, obwohl sich rund 300 Organisationen – von katholischen bis linken Gruppen – mit deren Anliegen solidarisierten. Am Vormittag des 12. November hatte Jörg Haider in der Wiener Hofburg vor rund 300 geladenen Gästen eine mit großer Aufmerksamkeit verfolgte Rede gehalten, in der er sichtlich um eine Imagekorrektur seiner Person und der FPÖ bemüht 741 Klaus Firlei : Das war mehr als nur ein Jux der Wähler. – In : Die Furche 40/1999. S. 4.
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war. So bekannte er, es habe in seiner Vergangenheit »auch einige Äußerungen im Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus gegeben, die unsensibel und missverständlich gewesen« seien. »Es tut mir persönlich leid, weil ich dadurch Gefühle von Menschen verletzt habe, die selbst oder deren Angehörige Opfer des Nationalsozialismus gewesen sind.« Er sei tief betroffen von der Meldung, dass »jüdische Mitbürger ihre Koffer« packten, weil sie Angst vor der FPÖ« hätten. »Schon die Einmaligkeit des Verbrechens des Holocausts […] verbietet es, solche Ängste als österreichischer Politiker nicht ernst zu nehmen.«742
III.3 Stillstand Das Ergebnis der Nationalratswahl löste eine heftige Diskussion über die Erklärung von ÖVP-Obmann Schüssel aus, die ÖVP werde im Fall eines Zurückfallens auf den dritten Platz in Opposition gehen. Das Wahlergebnis eröffnete drei politische Optionen für eine Regierungsbildung : 1. Die Neuauflage der SPÖ-ÖVP-Koalition, 2. die Bildung einer ÖVP-FPÖ-Koalition oder 3. einer SPÖ-Minderheitsregierung. Bei allen Varianten kam dem Bundespräsidenten eine wichtige Rolle zu. Thomas Klestil machte aus seinem Herzen keine Mördergrube und ließ indirekt wissen, dass er im Interesse der politischen Stabilität des Landes die Fortsetzung der SPÖÖVP-Koalition bevorzuge. Unterstützung erhielt er dabei vor allem von der auflagenstärksten Tageszeitung, der Kronen Zeitung, deren Herausgeber Hans Dichand massiv für eine neuerliche Regierung der bisherigen Koalitionspartner Stimmung machte. Auch in der SPÖ ging man von einer Neuauflage der Koalition mit der ÖVP aus und war daher bemüht, dem umworbenen Koalitionspartner goldene Brücken zu bauen, wobei es zu erheblichen innerparteilichen Spannungen zwischen Reformbefürwortern und Strukturkonservativen über das Ausmaß des Entgegenkommens kommen sollte. In der SPÖ war man sich jedoch auch des politischen Risikos einer angestrebten Koalition mit der ÖVP bewusst, da die ÖVP in Erinnerung an die heftigen ordnungspolitischen und ideologischen Kontroversen der letzten Jahre für eine Fortsetzung der Regierungszusammenarbeit Bedingungen stellen konnte, die man ohne Aufgabe bisheriger ideologischer Positionen nicht erfüllen können würde. Am Tag nach der Nationalratswahl erklärte der Parteivorstand der SPÖ, die Partei werde sich bei bevorstehenden Regierungsverhandlungen von der ÖVP nicht erpressen lassen. Man werde eher den Gang in die Opposition wählen, als grundlegende ordnungspolitische und ideologische Positionen aufzugeben. »Wir können nicht über jeden Schatten springen«, erklärte Wissenschaftsminister Caspar Einem nach 742 FORMAT 46/1999. S. 28.
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war. So bekannte er, es habe in seiner Vergangenheit »auch einige Äußerungen im Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus gegeben, die unsensibel und missverständlich gewesen« seien. »Es tut mir persönlich leid, weil ich dadurch Gefühle von Menschen verletzt habe, die selbst oder deren Angehörige Opfer des Nationalsozialismus gewesen sind.« Er sei tief betroffen von der Meldung, dass »jüdische Mitbürger ihre Koffer« packten, weil sie Angst vor der FPÖ« hätten. »Schon die Einmaligkeit des Verbrechens des Holocausts […] verbietet es, solche Ängste als österreichischer Politiker nicht ernst zu nehmen.«742
III.3 Stillstand Das Ergebnis der Nationalratswahl löste eine heftige Diskussion über die Erklärung von ÖVP-Obmann Schüssel aus, die ÖVP werde im Fall eines Zurückfallens auf den dritten Platz in Opposition gehen. Das Wahlergebnis eröffnete drei politische Optionen für eine Regierungsbildung : 1. Die Neuauflage der SPÖ-ÖVP-Koalition, 2. die Bildung einer ÖVP-FPÖ-Koalition oder 3. einer SPÖ-Minderheitsregierung. Bei allen Varianten kam dem Bundespräsidenten eine wichtige Rolle zu. Thomas Klestil machte aus seinem Herzen keine Mördergrube und ließ indirekt wissen, dass er im Interesse der politischen Stabilität des Landes die Fortsetzung der SPÖÖVP-Koalition bevorzuge. Unterstützung erhielt er dabei vor allem von der auflagenstärksten Tageszeitung, der Kronen Zeitung, deren Herausgeber Hans Dichand massiv für eine neuerliche Regierung der bisherigen Koalitionspartner Stimmung machte. Auch in der SPÖ ging man von einer Neuauflage der Koalition mit der ÖVP aus und war daher bemüht, dem umworbenen Koalitionspartner goldene Brücken zu bauen, wobei es zu erheblichen innerparteilichen Spannungen zwischen Reformbefürwortern und Strukturkonservativen über das Ausmaß des Entgegenkommens kommen sollte. In der SPÖ war man sich jedoch auch des politischen Risikos einer angestrebten Koalition mit der ÖVP bewusst, da die ÖVP in Erinnerung an die heftigen ordnungspolitischen und ideologischen Kontroversen der letzten Jahre für eine Fortsetzung der Regierungszusammenarbeit Bedingungen stellen konnte, die man ohne Aufgabe bisheriger ideologischer Positionen nicht erfüllen können würde. Am Tag nach der Nationalratswahl erklärte der Parteivorstand der SPÖ, die Partei werde sich bei bevorstehenden Regierungsverhandlungen von der ÖVP nicht erpressen lassen. Man werde eher den Gang in die Opposition wählen, als grundlegende ordnungspolitische und ideologische Positionen aufzugeben. »Wir können nicht über jeden Schatten springen«, erklärte Wissenschaftsminister Caspar Einem nach 742 FORMAT 46/1999. S. 28.
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dem Parteivorstand. Dies schließe auch die Konsequenz ein, »dass dabei die Opposition herauskommt«. Und der stellvertretende Parteivorsitzende Heinz Fischer bemerkte : »Für uns gibt es keine Regierungsverantwortung um jeden Preis. Wir haben einen Wählerauftrag als stärkste Partei. Wir haben aber auch den Auftrag, für bestimmte Positionen einzutreten, und wir werden uns bemühen, diese beiden Dinge in vernünftiger Weise in Verhandlungen zur Deckung zu bringen.« Die Verhandlungsbereitschaft der SPÖ finde dann eine deutliche Grenze, »wenn die ÖVP sagt, für sie käme nur ein Regierungsprogramm in Frage, das einen NATO-Beitritt zum Inhalt hat, dass die ÖVP-Familienpolitik 1 : 1 realisiert wird und die anderen Punkte des ÖVP-Programms und wenn nicht in angemessener Weise auf die Grundsätze und Zielsetzungen der SPÖ Bedacht genommen wird.« Fischer betonte : »Die Conclusio kann nicht sein, dass die SPÖ bereit ist, auf alle Grundsätze zu verzichten, nur um der nächsten Regierung anzugehören, egal wie deren Programm aussieht.«743 Bundeskanzler Klima appellierte »an die ÖVP, den Partner ernst zu nehmen und ihn nicht zu überfordern«. Es sei »völlig klar, dass die stimmenstärkste Partei den Kanzler stellt«.744 Vor sozialdemokratischen Gewerkschaftern betonte Wiens Bürgermeister Michael Häupl am 11. Oktober, er sei, wie die gesamte Parteispitze, gegen eine Koalition »um jeden Preis« mit der ÖVP. Und in Richtung Wolfgang Schüssel : Wenn der Parteiobmann der Partei, die bei der Nationalratswahl vom 3. Oktober das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte erzielt hat, glaube, er könne die SPÖ demütigen, dann irre er.745 FSG-Fraktionschef Rudolf Nürnberger stieß auf der Fraktionstagung der sozialistischen Gewerkschafter im Wiener Austria Center in dasselbe Horn und versicherte den versammelten Genossen, es werde keine von der SPÖ geführte Regierung geben, in deren Programm nicht die SP-Grundsätze deutlich repräsentiert würden.746 Die FPÖ befand sich als der eigentliche Gewinner der Wahl in einer strategisch äußerst günstigen Position. Bereits vor der Nationalratswahl hatten ihre Spitzenrepräsentanten erklärt, die Partei sei bereit, Regierungsverantwortung zu übernehmen. Wenngleich man nach der Nationalratswahl betonte, für Koalitionen sowohl mit der SPÖ wie auch der ÖVP offen zu sein – Jörg Haider betonte, er »gehe ohne Vorbedingungen in mögliche Verhandlungen«747 –, so blieben die strategischen Optionen aufgrund der Erklärung der SPÖ, mit der FPÖ keine Koalition bilden zu wollen, auf die Bildung einer ÖVP-FPÖ-Koalition beschränkt. Die FPÖ signalisierte daher der ÖVP ihre prinzipielle Bereitschaft zu Regierungsverhandlungen und ließ 743 Der Standard 5.10.1999. S. 3. 744 Der Standard 9./10.10.1999. S. 7. 745 Die Presse 12.10.1999. S. 6. 746 Ebda. S. 3. 747 Die Presse 6.10.1999. S. 7.
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wissen, dass sie von bisher vertretenen Positionen auch abzuweichen bereit sei. Das Magazin FORMAT berichtete am 5. Oktober von einem »unmoralischen Angebot« der FPÖ bereits im Vorfeld der Nationalratswahl. Im Fall einer Regierungsbildung mit der ÖVP sei die FPÖ bereit, dem Koalitionspartner auch für den Fall den Kanzler anzubieten, dass die ÖVP auf Platz drei zurückfalle.748 Am selben Tag traf Wolfgang Schüssel zu einem ersten Sondierungsgespräch mit Bundespräsident Thomas Klestil in der Hofburg zusammen und erklärte unter Bezugnahme auf die für Aufsehen sorgende Meldung im FORMAT, er wisse von diesen kolportierten Avancen nichts und es habe auch keine derartigen Gespräche gegeben.749 Wenige Stunden zuvor betonte ÖVP-Generalsekretärin Maria Rauch-Kallat in einer Pressekonferenz, die ÖVP werde im Fall des Erreichens des dritten Platzes nach der Auszählung der Wahlkartenstimmen in Opposition gehen. Dies gelte auch für den Fall, dass, wie von manchen Medien berichtet, die FPÖ der ÖVP den Bundeskanzler anbiete, denn man wolle in der ÖVP nicht »einen Kanzler von Haiders Gnaden« stellen.750 Zur allgemeinen – auch parteiinternen – Überraschung751 traf sich jedoch an diesem Tag Familienminister Martin Bartenstein, der als Verbindungsmann zur FPÖ und als Befürworter einer ÖVP-FPÖ-Koalition galt, im Wiener Café »Eiles« mit Jörg Haider zu einem ausführlichen Gespräch. Auf die Anfrage der Tageszeitung »Kurier«, ob der Minister bei diesem Treffen in parteioffizieller Mission unterwegs gewesen sei, antwortete Bartenstein : »Wir haben bei einem Kaffee auch die derzeitige Situation besprochen. Ich habe meinen Parteiobmann natürlich über den politischen Teil des Gesprächs informiert, aber ich traf mich mit Dr. Haider nicht in offiziellem Parteiauftrag. Herr Dr. Haider war gerade in Wien, so haben wir uns nach mehreren Wochen wieder zusammengesetzt.«752 Die vom Parteiobmann und der Generalsekretärin nach außen vermittelte Einigkeit der Partei war keineswegs vorhanden. Mit ihren direkten und indirekten Signalen an die ÖVP sprach die FPÖ geschickt jene ständig steigende Zahl von ÖVP-Funktionären und Mitgliedern an, die einen politischen Befreiungsschlag aus der für die Partei nur mit Stimmen- und Mandatsverlusten verbundenen Koalition mit der SPÖ befürworteten. Zudem waren der FPÖ die politischen Demütigungen der ÖVP durch die SPÖ und die daraus resultierenden persönlichen Entfremdungen 748 FORMAT 40/1999. S. 25. 749 Die Presse 7.10.1999. S. 8. 750 Die Presse 5.10.1999. S. 5. 751 Das Treffen Bartensteins mit Haider löste eine heftige ÖVP-interne Diskussion aus. Während der Obmann der Jungen ÖVP, Werner Amon, das Treffen mit Haider verteidigte, stieß das Treffen bei der ÖVP-Abgeordneten Gertrude Brinek auf Unverständnis. »Da wird vereinbart, dass sich alle Wolfgang Schüssels Vorgaben unterordnen – und dann das. Haider ist ja nicht irgendwer. Es ist ein Affront, wenn die Linie des Chefverhandlers unterlaufen wird.« (Kurier 8.10.1999. S. 5) 752 Kurier 7.10.1999. S. 2.
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und Aversionen zahlreicher ihrer Spitzenrepräsentanten keineswegs verborgen geblieben. Für Aufsehen sorgte ein Interview des ehemaligen ÖVP-Obmanns Erhard Busek, der 1994 noch für eine Koalition mit der SPÖ ohne Wenn und Aber eingetreten war. Damals, so Busek, sei die Situation angesichts des bevorstehenden EUBeitritts des Landes eine andere gewesen. Nunmehr habe sie sich geändert. »Das Wahlergebnis ist anders und es stellt sich die Frage, ob die politische Dämonisierung der Freiheitlichen weiter sinnvoll ist. Sie hat weder der SPÖ noch der ÖVP, sondern nur der FPÖ genützt.« Daher gebe es nunmehr nur zwei Möglichkeiten. »Man versucht, mit der FPÖ zu regieren und sieht, dass es geht. Oder man sieht, dass es nicht geht. Möglicherweise muss man diese Erfahrung erst einmal machen.« Einer weiteren Zusammenarbeit mit der SPÖ stehe deren Stil entgegen. Dazu kämen auch persönliche Aversionen. »So wie ich die ÖVP erlebe, ist die Existenz von Viktor Klima eine Blockade für eine neuerliche SPÖ-ÖVP-Koalition. Eine Beziehung zwischen zwei Parteien ist auch eine Frage der Psychologie – und mit diesem Stil der SPÖ geht es nicht.«753 Ähnlich äußerte sich Klubobmann Andreas Khol, der die Entfremdung zwischen ÖVP und SPÖ auf die »strukturelle Geringschätzung« der ÖVP durch die SPÖ zurückführte. »Das hat mit Vranitzky begonnen und wurde fortgesetzt von Viktor Klima, der immer an Schüssel herumgemäkelt hat. Klima ist partnerschaftsunfähig, mit solchen Leuten ist fruchtbare Zusammenarbeit schwierig. Unser Problem mit der SPÖ ist auch ein Personalproblem.«754 Die Stimmung in der ÖVP war unmittelbar nach der Nationalratswahl keineswegs einheitlich, zumal das endgültige Ergebnis der Nationalratswahl aufgrund der noch fehlenden Auszählung der Wahlkartenstimmen noch nicht feststand und ein Überholen der FPÖ, die mit 0,3 Prozent Vorsprung den zweiten Platz erreicht hatte, noch im Bereich des Möglichen lag. Die von der politisch interessierten Öffentlichkeit und den Medien aufmerksam registrierten Wortmeldungen der ÖVP-Spitzenfunktionäre unmittelbar nach der Wahl glichen einem vielstimmigen Chor und spiegelten die gesamte Bandbreite der politischen Optionen wider. So erklärte der Wiener ÖVP-Chef Bernhard Görg, das Wahlergebnis sei »sicher kein Oppositionsauftrag, sondern ein Regierungsauftrag«.755 Der oberösterreichische Landeshauptmann-Stellvertreter und Finanzlandesrat Christoph Leitl bemerkte, bei einem sich nach der Auszählung der Wahlkartenstimmen eventuell ergebenden Mandatsgleichstand mit der FPÖ bei gleichzeitigem geringen Stimmenrückstand sollte die ÖVP keineswegs in Opposition gehen, sondern Regierungsverantwortung übernehmen. Dabei sei jede Konstellation denkbar, d. h. auch eine ÖVP-FPÖ-Koalition. Vorarlbergs Landeshauptmann Herbert Sausgruber vertrat hingegen die Auffassung, dass 753 Der Standard 8.10.1999. S. 1 und 8. 754 FORMAT 42/1999. S. 43. 755 Die Presse 5.10.1999. S. 1.
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auch ein Mandatsgleichstand bei einem Stimmenrückstand, wie groß oder klein auch immer dieser sein möge, der dritte Platz erreicht worden sei und daher die Aussage vor der Wahl gelte, dass man in diesem Fall in die Opposition gehen werde. »Es soll das, was vor der Wahl gesagt wurde, auch noch danach gelten. Und zwar unabhängig von der Differenz.«756 Spitzenrepräsentanten der steirische ÖVP, wie die Landesräte Gerhard Hirschmann und Herbert Paierl, votierten offen für eine Regierungsbildung mit der FPÖ und eine Kanzlerschaft von Wolfgang Schüssel. Angesichts des vielstimmigen Chors war Klarheit angesagt. Der Parteiobmann ließ sich daher am 4. Oktober vom Bundesparteivorstand eine Vollmacht für öffentliche Erklärungen über den Kurs der ÖVP erteilen. Nur er sollte Erklärungen über den Kurs der Partei abgeben und es sollte auch nach der Bekanntgabe des endgültigen Wahlergebnisses die vor der Wahl gegebene Erklärung, im Fall des Zurückfallens auf die dritte Position in Opposition gehen zu wollen, gelten – ohne Wenn und Aber, d. h. auch für den Fall eines Mandatsgleichstandes bei einem nach wie vor gegebenen Stimmenabstand zur FPÖ. Am folgenden Tag bekräftigte er diese Position nach dem Ministerrat. »Es ist ernst. Wir werden in Opposition gehen, wenn wir Dritter werden.«757 Aus der Sitzung des Bundesvorstandes sickerte durch, dass sich der Bauernbund nur widerstrebend der beschlossenen Linie anschloss, während Seniorenbund-Chef Stefan Knafl erklärte, er sei vor der Wahl derselben Meinung gewesen wie jetzt : Schüssel müsse Bundeskanzler werden. Er sei von dieser Möglichkeit nach wie vor überzeugt, denn Schüssel sei ein »alter Pokerer«, der Viktor Klima vor sich hertreiben und schließlich mit Jörg Haider eine Koalition bilden werde.758 Das vom Obmann des Seniorenbundes entworfene Szenarium schien auch zahlreichen Kommentatoren der innenpolitischen Szene keineswegs abwegig. Durch die Absage der SPÖ an die FPÖ sei diese auf die ÖVP angewiesen, während diese auch eine zweite Option habe. Alexander Purger kommentierte die Situation mit dem Hinweis, dass diese Situation »für Wolfgang Schüssel, einen Taktiker von Gottes Gnaden, […] ein Geschenk des Himmels« sei. »Er wird sie auskosten bis weit in den Oktober hinein – oder jedenfalls so lange, bis das halbe Land vor ihm auf den Knien liegt und händeringend um eine Regierungsbeteiligung der ÖVP fleht. Schüssel wird dann halt nicht so sein und die SPÖ zu Koalitionsverhandlungen zitieren. Ihr wird er – das wird bereits offen diskutiert – zunächst einmal das Finanzministerium abverlangen und damit die wahre Schaltstelle der Macht besetzen.« Purger beschrieb das mögliche Szenario weiter : »Und falls ihm bei den Koalitionsverhandlungen einfallen sollte, wie schlecht ihn sein Gegenüber Viktor Klima beim CA756 SN 6.10.1999. S. 2. 757 Die Presse 6.10.1999. S. 6. 758 Die Presse 7.10.1999. S. 8.
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Verkauf an die Bank Austria behandelt hat, wird er auch noch das Innenministerium fordern. Und die SPÖ wird es hergeben. Denn entgegen anderslautenden Behauptungen hat die SPÖ keine Schmerzgrenze, wenn es um Machterhalt geht. […] Warum Schüssel angesichts dieser Aussichten eine schwarz-blaue Koalition ungewissen Verlaufs anstreben sollte, ist unklar. Aber wenn er es sich wünscht, wird er sie auch bekommen.«759 Die Frage, ob die ÖVP nach der Auszählung der Wahlkartenstimmen doch noch die FPÖ auf den dritten Platz verweisen können würde und damit die Erklärung von Wolfgang Schüssel obsolet würde, wurde am 12. Oktober beantwortet. 415 Stimmen oder 0,0089 Prozent der abgegeben Stimmen trennten die ÖVP von der FPÖ. Wenngleich das Ergebnis, so der Wahlforscher und Statistiker Christian Haerpfer, in Wahrscheinlichkeiten »den Charakter eines Milchstraßenereignisses« gehabt hätte,760 so verwies die FPÖ, wenngleich diese ihr Vorsprungsmandat an die Grünen abtreten musste und damit ein Mandatsgleichstand mit der ÖVP gegeben war, die ÖVP auf den dritten Platz und das allgemein erhoffte Durchtrennen des politischen Gordischen Knotens unterblieb. Die Situation schien durch die Festlegungen von SPÖ und ÖVP festgefahren, die Gefahr einer letztlich nicht erfolgenden Regierungsbildung und der Ausweg einer Minderheitsregierung oder baldige Neuwahlen mit einem völlig ungewissen Ausgang nahmen realistische Formen an. Bundespräsident Thomas Klestil sah sich daher bei seiner Eröffnungsrede beim 14. ÖGB-Kongress zu einer politischen Ermahnung, vor allem an die Adresse der ÖVP gerichtet, gedrängt. Bei anstehenden Regierungsverhandlungen müsse zuerst an das Land und erst danach an die Partei gedacht werden.761 »Was wir brauchen, ist eine stabile Regierung, die für eine Legislaturperiode auf solider Basis steht und die drängenden Probleme lösen kann, die auf uns zukommen.« Angesichts des Wahlergebnisses stellten sich vor allem zwei Fragen : »Was ist für das Land das Beste ? Durch welche Regierungskonstellation wird dem Wählerwillen entsprochen ?«762 Die Aufforderung Klestils an die ÖVP, sich einer Neuauflage einer Koalition mit der SPÖ aus staatspolitischer Verantwortung nicht zu entziehen, erhielt massive mediale Unterstützung, der sich auch zahlreiche SPÖ-Spitzenfunktionäre mit Appellen an das politische Verantwortungsgefühl anschlossen. So bot Nationalratspräsident Heinz Fischer der ÖVP »faire und vernünftige Verhandlungen mit dem Ziel, eine Regierung zu bilden«, an und SPÖ-Klubobmann Peter Kostelka wies darauf hin, dass ein Gleichstand an Mandaten mit einem Gleichstand an Stimmen gleichzusetzen sei, weshalb es de facto zwei Zweitgereihte 759 Alexander Purger : Schüssel spielt das Spiel seines Lebens. – In : SN 5.10.1999. S. 2. 760 Kurier 13.10.1999. S. 2. 761 Der Standard 13.10.1999. S. 1. 762 Kurier 13.10.1999. S. 2.
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gebe. Er glaube daher nicht, »dass sich die ÖVP dem Vertrauen der Wähler entziehen« könne. Der Wiener Bürgermeister Michael Häupl kommentierte die Rede des Bundespräsidenten mit der Bemerkung : »Das ist eine Ermahnung, sich nicht wegen 400 Stimmen zurückzuziehen. Der Bundespräsident möchte, dass SPÖ und ÖVP wieder zusammenarbeiten und die Sozialpartner einbeziehen.«763 Aus Brüssel ließ sich EU-Kommissar Franz Fischler mit einer ähnlichen Stellungnahme vernehmen : »Man kann nicht mehr sagen, dass die ÖVP klar Dritter ist. Bei den Mandaten ist man gleich auf. Bei den Entscheidungen im Parlament sind aber die Mandate der wichtige Faktor, nicht die Stimmen.« Die ÖVP solle sich daher Gesprächen mit der SPÖ nicht verweigern. »Man sollte so vorgehen, wie es der österreichischen Tradition entspricht, egal, wer wem sonst irgendwelche Offerte macht. Das ist der beste Weg, eine stabile Regierung zu bekommen.« Der Tiroler Landeshauptmann Wendelin Weingartner trat ebenfalls für die Aufnahme von Regierungsverhandlungen mit der SPÖ ein. »Viele Menschen haben die ÖVP gewählt, weil sie nicht wollten, dass unsere Partei nach dem 3. Oktober nicht mehr an der Regierung beteiligt ist.« »Ab ins Winkerl und tut’s was wollt’s« könne nicht die Reaktion der ÖVP sein, ließ sich die Landesgeschäftsführerin der Salzburger ÖVP, Gerlinde Rogatsch, vernehmen. Hingegen plädierten die Landeshauptleute der Steiermark und Niederösterreichs, Klasnic und Pröll, für den Gang in die Opposition, wobei sie Glaubwürdigkeitsargumente ins Treffen führten. So betonte Klasnic, Glaubwürdigkeit sei »das höchste Gut in der Demokratie.« Nach der Wahl müsse eingehalten werden, was man vorher versprochen habe. Und Pröll bemühte zur Untermauerung seiner Position einen Vergleich aus dem Sport. Auch dort würden Hundertstelsekunden über die Plätze entscheiden.764 Die Erklärung des Bundespräsidenten sowie dessen deutliche Präferenz für eine SPÖ-ÖVP-Koalition rief Jörg Haider auf den Plan, der in einer Pressekonferenz in Klagenfurt sein Werben um die ÖVP verstärkte. Der Wahlerfolg der FPÖ sei ein Wählerauftrag zur Verhinderung einer Fortführung der bisherigen Koalition. Er werde daher der ÖVP ein Angebot unterbreiten, wobei er offen ließ, ob dieses auch die Kanzlerschaft für Wolfgang Schüssel beinhalten werde. Thomas Klestil müsse sich aus seiner politischen Fixierung befreien und umdenken. »Es kann nämlich nicht so sein, dass nur ein SPÖ-Kanzler möglich ist.«765 Das nunmehr feststehende Endergebnis der Nationalratswahl und die unterschiedlichen innerparteilichen Reaktionen sowie der sich aufbauende und ständig verstärkende publizistische Druck erforderten eine neuerliche taktisch kluge politische Positionierung der ÖVP, die sowohl die Gültigkeit der Oppositionsansage 763 Ebda. S. 3 ; Der Standard 13.10.1999. S. 1 und 7. 764 Die Presse 13.10.1999. S. 7. 765 SN 13.10.1999. S. 2.
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wie auch gebotene Flexibilität beinhalteten musste. In der Partei regte sich zudem zunehmend Unmut über das Verhalten des Bundespräsidenten. So erklärte ein hochrangiger ÖVP-Politiker gegenüber der Tageszeitung »Die Presse« : »Ich verstehe nicht, warum uns Klestil unbedingt Klima aufzwingen und uns in eine Regierung mit der SPÖ treiben will.« Man sei es in der Partei zunehmend leid, von Klestil die gesamte Verantwortung für eine Regierungsbildung überantwortet zu bekommen.766 Die Beziehungen zwischen ÖVP-Obmann Schüssel und Bundespräsident Klestil waren keineswegs von Vertrauen und Herzlichkeit geprägt. Der einstige ÖVP-Präsidentschaftskandidat hatte sich von der Partei zunehmend entfernt, pflegte einen präsidial-imperialen Stil und hatte als deklarierter Anhänger einer SPÖ-ÖVP-Koalition enge Beziehungen zur SPÖ. In privaten Äußerungen bezeichnete er Schüssel abfällig als »kleinen Napoleon«. Die Spannungen zwischen beiden resultierten, so berichteten Insider, aus der Regierungskrise im Herbst 1995, als Schüssel angesichts des Widerstandes von Franz Vranitzky gegen strukturelle Budgetreformen einen fliegenden Koalitionswechsel zur FPÖ andacht hatte, jedoch beim Bundespräsidenten auf massive Ablehnung gestoßen war. Klestil näherte sich ab 1995 zunehmend der SPÖ, die 1998 auf die Nominierung eines eigenen Kandidaten für die Bundespräsidentenwahl verzichtete. Dieser Verzicht war das Ergebnis der Zusage Klestils an seinen möglichen Gegenkandidaten Franz Vranitzky, in Zukunft eine ÖVP-FPÖ-Koalition zu verhindern. Im Gegenzug zum merklich abgekühlten Verhältnis zur ÖVP erwärmte sich jenes zur SPÖ. So entstanden enge Bindungen zwischen den Ehepaaren Klestil, Zilk und Häupl, alle drei Geschiedene und Wiederverheiratete. Michael Häupl fungierte neben Wirtschaftsbundobmann Leopold Maderthaner, einem der letzten Freunde aus den Reihen der ÖVP, als Trauzeuge bei der Wiederverheiratung Klestils mit Margot Löffler. Ein zusätzliches Element des Freundschaftsnetzwerkes Klestils wurde Hans Dichand, der Herausgeber und Hälfte-Eigentümer der Kronen Zeitung und Befürworter einer SPÖ-ÖVP-Koalition. Für alle Beobachter der politischen Szene war augenfällig, dass die von Klestil mit Schüssel geführten Gespräche in der Reihe der Konsultationen mit sämtlichen Parteiführern nicht von Herzlichkeit, sondern eisiger Höflichkeit geprägt waren, während Viktor Klima mit demonstrativer Herzlichkeit empfangen wurde.767 Am 12. Oktober beschloss der Parteivorstand der ÖVP, dass auch das knappe Endergebnis an der Erklärung vor der Wahl nichts ändere, und man daher, dem Votum des Wählers entsprechend, in Opposition zu gehen beabsichtige. Allerdings schlage man im Interesse des Landes nicht alle politischen Türen zu, sondern sei bereit, mit allen Parteien über die Zukunft Österreichs zu reden. 766 Die Presse 14.10.1999. S. 7. 767 Gerfried Sperl : Der Machtwechsel. Österreichs politische Krise zu Beginn des 3. Jahrtausends. – Wien 2000. S. 36f.
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Da sich die ÖVP weigerte, in Regierungsverhandlungen einzutreten, lag der Ball wiederum bei Bundespräsident Klestil. Nachdem am 13. Oktober ÖVP-Obmann Schüssel den Bundespräsidenten offiziell vom Beschluss der ÖVP in Kenntnis gesetzt hatte, konnte dieser nicht den anschließend empfangenen Viktor Klima mit der Regierungsbildung beauftragen, sondern war gezwungen, einen Ausweg aus der verfahrenen Situation zu finden. Der Ausweg bestand in sogenannten »Sondierungsgesprächen« über mögliche Inhalte eines zukünftigen Regierungsprogramms, mit denen der amtierende Bundeskanzler am folgenden Tag beauftragt wurde. Diese Sondierungsgespräche sollte Klima mit allen Parteien, also auch mit der FPÖ, führen, um nicht den Vorwurf der politischen Einseitigkeit des Bundespräsidenten aufkommen zu lassen. Die Gespräche sollten unter keinem Zeitdruck stehen und der Bundeskanzler den Bundespräsidenten wöchentlich von deren Ergebnissen in Kenntnis setzen. Damit hoffte man in der Präsidentschaftskanzlei Zeit zu gewinnen, um die ÖVP durch einen ständig wachsenden öffentlichen Druck doch noch zur Aufnahme von Regierungsverhandlungen zu bewegen. Gleichzeitig wurde bei diesem Auftrag das von der Verfassung nicht gedeckte präsidiale Amtsverständnis des Bundespräsidenten deutlich. Unter Berücksichtigung des von der ÖVP festgelegten Themenkatalogs gab er Klima eine neun Punkte umfassende Prioritätenliste für diese Sondierungsgespräche mit auf den Weg : 1. Formulierung einer gemeinsamen Sicherheitspolitik 2. Konsolidierung des Staatshaushalts 3. Maßnahmen zur Sicherung des Wirtschaftsstandortes 4. Abschaffung des Proporzsystems im öffentlichen und halböffentlichen Bereich 5. Neuregelung der Kompetenzen der Ministerien 6. Maßnahmen zum Bürokratieabbau 7. Maßnahmen, die der Forschung Vorrang verschaffen sowie die Inangriffnahme einer Forschungsoffensive und deren Berücksichtigung im Budget 8. Durchführung einer Bildungsoffensive 9. Maßnahmen zur Sicherung der sozialen Standards
VIII.4 Sondierungsgespräche – ein Ausweg aus der Krise ? Viktor Klima ließ sich vom SPÖ-Vorstand das Mandat zu Sondierungsgesprächen erteilen und räumte ein, dass der vom Bundespräsidenten an ihn erteilte Auftrag formalrechtlich kein Auftrag zur Regierungsbildung sei. Dies seien aber lediglich juristische Feinheiten. Er rechne mit einem offiziellen Auftrag zur Regierungsbildung, wenn er zum Bundespräsidenten komme und diesem erkläre, es gebe ein Programm. Wenngleich der Auftrag laute, mit allen Parteien Gespräche zu führen, so werde er
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Da sich die ÖVP weigerte, in Regierungsverhandlungen einzutreten, lag der Ball wiederum bei Bundespräsident Klestil. Nachdem am 13. Oktober ÖVP-Obmann Schüssel den Bundespräsidenten offiziell vom Beschluss der ÖVP in Kenntnis gesetzt hatte, konnte dieser nicht den anschließend empfangenen Viktor Klima mit der Regierungsbildung beauftragen, sondern war gezwungen, einen Ausweg aus der verfahrenen Situation zu finden. Der Ausweg bestand in sogenannten »Sondierungsgesprächen« über mögliche Inhalte eines zukünftigen Regierungsprogramms, mit denen der amtierende Bundeskanzler am folgenden Tag beauftragt wurde. Diese Sondierungsgespräche sollte Klima mit allen Parteien, also auch mit der FPÖ, führen, um nicht den Vorwurf der politischen Einseitigkeit des Bundespräsidenten aufkommen zu lassen. Die Gespräche sollten unter keinem Zeitdruck stehen und der Bundeskanzler den Bundespräsidenten wöchentlich von deren Ergebnissen in Kenntnis setzen. Damit hoffte man in der Präsidentschaftskanzlei Zeit zu gewinnen, um die ÖVP durch einen ständig wachsenden öffentlichen Druck doch noch zur Aufnahme von Regierungsverhandlungen zu bewegen. Gleichzeitig wurde bei diesem Auftrag das von der Verfassung nicht gedeckte präsidiale Amtsverständnis des Bundespräsidenten deutlich. Unter Berücksichtigung des von der ÖVP festgelegten Themenkatalogs gab er Klima eine neun Punkte umfassende Prioritätenliste für diese Sondierungsgespräche mit auf den Weg : 1. Formulierung einer gemeinsamen Sicherheitspolitik 2. Konsolidierung des Staatshaushalts 3. Maßnahmen zur Sicherung des Wirtschaftsstandortes 4. Abschaffung des Proporzsystems im öffentlichen und halböffentlichen Bereich 5. Neuregelung der Kompetenzen der Ministerien 6. Maßnahmen zum Bürokratieabbau 7. Maßnahmen, die der Forschung Vorrang verschaffen sowie die Inangriffnahme einer Forschungsoffensive und deren Berücksichtigung im Budget 8. Durchführung einer Bildungsoffensive 9. Maßnahmen zur Sicherung der sozialen Standards
VIII.4 Sondierungsgespräche – ein Ausweg aus der Krise ? Viktor Klima ließ sich vom SPÖ-Vorstand das Mandat zu Sondierungsgesprächen erteilen und räumte ein, dass der vom Bundespräsidenten an ihn erteilte Auftrag formalrechtlich kein Auftrag zur Regierungsbildung sei. Dies seien aber lediglich juristische Feinheiten. Er rechne mit einem offiziellen Auftrag zur Regierungsbildung, wenn er zum Bundespräsidenten komme und diesem erkläre, es gebe ein Programm. Wenngleich der Auftrag laute, mit allen Parteien Gespräche zu führen, so werde er
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mit der FPÖ lediglich über Inhalte reden, »denn eine Koalition haben wir immer ausgeschlossen«.768 Bundeskanzler und Vizekanzler flogen am Nachmittag des 14. Oktober gemeinsam zum EU-Sondergipfel nach Tampere, wobei Viktor Klima sichtlich um den Aufbau eines günstigen Gesprächsklimas bemüht war. Hatte dieser Kanzler Schüssel zuvor in der Öffentlichkeit stets als Vizekanzler angesprochen, so bezeichnete er ihn in Tampere vor Journalisten demonstrativ als »Kollege« und »Partner« und betonte, die gemeinsame Teilnahme am Gipfel sei »ein Symbol, dass Österreich eine handlungsfähige Regierung hat«.769 Der so heftig Umworbene blieb jedoch auf Distanz, das gemeinsame Auftreten war lediglich von bemühter Höflichkeit geprägt. Auch nach dem ersten offiziellen Sondierungsgespräch zwischen SPÖ und ÖVP in Wien Ende Oktober blieb das Klima frostig. Bei diesem ersten Gespräch thematisierte das ÖVP-Team inhaltliche Positionen wie die Neudefinition der Sicherheitspolitik unter Einschluss einer vollen Teilnahme am europäischen Sicherheitssystem, eine Zurückdrängung des Einflusses der Sozialpartnerschaft zugunsten betrieblicher Gestaltungsmöglichkeiten, eine Reform der Sozialversicherungsträger und die völlige Transparenz bei der Besetzung von Posten im öffentlichen Dienst. In diesem Themenkatalog waren vor dem Hintergrund der politischen Kontroversen der letzten Legislaturperiode Bruchstellen eingebaut. Viktor Klima war sich im Vorfeld des ersten Sondierungsgesprächs der zu erwartenden Bruchlinien durchaus bewusst und unternahm den Versuch, mit Hilfe eines Verhandlungspapiers einem Teil der ÖVPForderungen entgegenzukommen, um dem Gesprächspartner nicht die Möglichkeit zu geben, den SPÖ-Vorsitzenden nach dem Gespräch als reformunwillig hinzustellen. So enthielt das SPÖ-Papier die Passage, dass die Sozialleistungen auf ihre Treffsicherheit geprüft werden müssten, eine Reduzierung der Sozialversichungsanstalten durch Zusammenführungen angestrebt770 und der Proporz bei Postenbesetzungen im öffentlichen Dienst durch ein objektives, anonymisiertes Auswahlverfahren ersetzt werden sollte. Als der Kanzler vor den wartenden Journalisten nach dem Gespräch Optimismus zeigte und das konstruktive Gesprächsklima lobte, tat er dies ohne seinen Gesprächspartner Schüssel, der wortlos an den Journalisten vorbeigegangen war. Von Journalisten auf die Sitzung angesprochen bemerkte er ironisch : »Die Klima-Anlage lief auf vollen Touren – daher war es kalt.« Der ÖVP-Abgeordnete Günter Stummvoll bemerkte : »Die Atmosphäre stimmt einfach nicht.«771
768 Die Presse 15.10.1999. S. 9. 769 Die Presse 16.10.1999. S. 9. 770 In Österreich existierten 28 Sozialversicherungsanstalten, als deren Dachverband der Hauptverband der Sozialversicherungsträger mit einem Gesamtbudget von 409 Milliarden Schilling fungierte. Präsident des Hauptverbandes war der Gewerkschafter und SPÖ-Abgeordnete Hans Salmutter. 771 FORMAT 44/1999. S. 24f.
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Am 3. November lud Viktor Klima zur zweiten Verhandlungsrunde in das Kanzleramt, um über den Wirtschaftsstandort Österreich zu sprechen. Die Gespräche endeten ohne konkretes Ergebnis, zu unterschiedlich waren die Positionen. Angesichts der harten Haltung der ÖVP und der von ihr praktizierten Zermürbungstaktik kommentierte ein sichtlich verärgerter Viktor Klima die Position des Gesprächspartners mit der Bemerkung : »Wir werden nur dann weiter kommen, wenn wir bereit sind, über den eigenen Schatten zu springen, und nicht nur über den Schatten der anderen.«772 In einem Interview mit dem Magazin FORMAT bemerkte er : »[Ich habe] die Absicht, die Sondierungsgespräche Ende November abzuschließen und dem Bundespräsidenten meinen Vorschlag für das Arbeitsprogramm einer Regierung vorzulegen.« Er sehe angesichts der Haltung der ÖVP »auch eine gewisse Ungeduld« in seiner Partei. Daher habe er appelliert, »dass sich alle ernsthaft bemühen«.773 Noch deutlicher wurde SPÖ-Klubobmann Peter Kostelka, der den Verdacht äußerte, die ÖVP habe gar kein Interesse, rasch zu einem Ergebnis zu kommen. Die Taktik der ÖVP bestehe offensichtlich darin, sich bis Jahresende nicht zu bewegen und dann der SPÖ ihre Bedingungen für eine Koalition zu diktieren nach dem Motto, entweder akzeptiere dies die SPÖ oder man bilde mit der FPÖ eine Bundesregierung. Sei die ÖVP aber bereit, eine neue Koalition mit der SPÖ einzugehen, so müsse man noch vor Weihnachten zu einem eindeutigen Ergebnis kommen. Beharre die ÖVP hingegen auf dem Gang in die Opposition, so müsse sie dies klar sagen. In diesem Fall bleibe der SPÖ als einzige Alternative die Bildung einer Minderheitsregierung.774 Die SPÖ werde am 11. November ihre Regierungspositionen publizieren und die ÖVP müsse dann Farbe bekennen. Die ÖVP-Taktik zeigte sichtlich Wirkung. In der SPÖ begannen die Nerven blank zu liegen, zumal sowohl der Bundespräsident die Aussage des SPÖ-Klubobmanns für der Sache nicht dienlich erklärte und die ÖVP diese hämisch als schlechten politischen Stil kommentierte. Andreas Khol wies zudem darauf hin, dass Kostelka offensichtlich die Sachlage nicht richtig erkenne, denn die SPÖ habe keinen Auftrag zu einer Regierungsbildung und habe noch nicht einmal den Auftrag des Bundespräsidenten zu Sondierungsgesprächen mit allen Parteien erfüllt, da man mit der FPÖ bisher noch überhaupt nicht gesprochen habe.775 Angesichts dieser Reaktionen war Kostelka um Schadensbegrenzung bemüht und betonte, er habe der ÖVP keineswegs ein Ultimatum stellen, sondern lediglich auf die wachsende Unruhe in der öffentlichen Meinung hinweisen wollen. 772 SN 4.11.1999. S. 2. 773 FORMAT 45/1999. S. 27. 774 Kurier 5.11.1999. S. 2. 775 SN 6.11.1999. S. 2.
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Im Gegensatz zum Stillstand in den Gesprächen zwischen SPÖ und ÖVP ergab sich bei jenen zwischen ÖVP und FPÖ am 2. November eine deutliche Annäherung der Positionen, als die FPÖ auf eine Aufforderung von Wolfgang Schüssel hin ihre Positionen in zwei zentralen Bereichen korrigierte und damit ihre Bereitschaft zur Übernahme von Regierungsverantwortung unterstrich. So erklärten Jörg Haider und Thomas Prinzhorn eine EU-Osterweiterung nunmehr für durchaus denkbar und Parteiobmann Haider distanzierte sich von den ausländerfeindlichen Wiener FPÖPlakaten. Wolfgang Schüssel erklärte zum Unterschied zwischen den Gesprächen mit der SPÖ und der FPÖ : »Bei der SPÖ kommt bei keinem Vorschlag ein Nein, es kommt aber auch bei keinem Vorschlag ein Ja. Das ist ein bisschen Judotaktik, sie weichen aus, es wird aufgeschrieben, was gesagt wurde, und dann geht man zum nächsten Thema. Das ist schade, wir sollten die Chance dieser Phase der Gespräche mutiger nutzen. Wann sollten wir über die Inhalte reden, wenn nicht jetzt ? […] Es gibt Annäherungen mit der SPÖ, aber es ist bei weitem kein Durchbruch in Sicht. Und es gibt ermutigende Signale auch bei den Freiheitlichen, sie machen wie beim Adventkalender ein Fensterl nach dem anderen auf. Man muss dann erst sehen, was genau drinnen ist.«776 Viktor Klima war mit seiner Zustimmung zum ÖVP-Vorschlag einer Reduzierung der Sozialversicherungsanstalten über den parteiintern akkordierten Kurs hinausgegangen, weshalb sich sofort heftiger parteiinterner Widerstand regte. Das Verlangen nach einer Zusammenlegung der 28 Sozialversicherungsanstalten, so der Präsident des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger, der SPÖ-Abgeordnete und Gewerkschafter Hans Salmutter, sei keineswegs neu und habe durch die vage Erklärung des Bundeskanzlers keineswegs an Qualität gewonnen. Der Widerstand der Gewerkschaft, die den Hauptverband der Sozialversicherungsträger dominierte, war keineswegs eine Überraschung. Als 1995/96 der aus der Gewerkschaftsbewegung kommende Sozialminister Franz Hums den Versuch unternommen hatte, die Pensionsversicherungsanstalten der Arbeiter und Angestellten zu fusionieren, scheiterte dieser am Widerstand der Gewerkschaft. So erklärte der damalige Chef der Pensionsversicherungsanstalt und der Angestelltengewerkschaft, Hans Salmutter, das Vorhaben Hums als »aufgelegten Nonsens« und »Populismus«.777 Im Vorfeld der dritten Gesprächsrunde am 10. November einigten sich SPÖ und ÖVP prinzipiell auf ein Paket zur Objektivierung der Postenvergabe im öffentlichen Dienst und die dritte Gesprächsrunde zum Thema Wirtschaft, Europa, Gesundheit und Umwelt brachte erstmals Bewegung in die bisher festgefahrenen Fronten. Um die Verhandlungen voranzutreiben und zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen, hatte der Bundeskanzler ein achtzigseitiges Papier als Basis für ein Regierungs776 FORMAT 45/1999. S. 28f. 777 SN 16.11.1999. S. 2.
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programm erarbeiten lassen, in dem zahlreiche Reformansätze enthalten waren, die den Vorstellungen der ÖVP entgegenkamen, und mit denen der Kanzler und SPÖ-Vorsitzende das Image des Reformers und Machers zurückgewinnen wollte. Ein unter der Leitung von Caspar Einem und Karl Duffek, dem Leiter der SPÖBildungsakademie, unter Einbeziehung von Repräsentanten des linken Parteiflügels erarbeitetes »Programm der linken Mitte« wurde mit seinen klassenkämpferischen Forderungen – u. a. Mindestlohn von 14.000 Schilling, stärkere steuerliche Belastung der Besserverdiener, Erhöhung der Grund- und Erbschaftssteuer, Einführung einer Wertschöpfungsabgabe, Arbeitslosenunterstützung nur mehr aus Arbeitgeberbeiträgen, Beschränkung der Befristungsmöglichkeit von Mieten – von Klima als nicht mit der ÖVP verhandelbar und als nicht mehrheitsfähig betrachtet und daher auch dem SPÖ-Präsidium zu dessen Sitzung am 11. November nicht zugeleitet. Bei dieser Sitzung präsentierte er sein Reformpapier, das im Interesse des parteiinternen Interessenausgleichs einige wenige Punkte des »Programms der linken Mitte« übernahm, um in der dreistündigen Sitzung eine schwere Demütigung zu erfahren. Das Präsidium stimmte lediglich Klimas Vorschlägen für eine Parteireform zu, nicht jedoch seinem Regierungsprogramm, das u. a. auch eine Reform des Pensionssystems beinhaltet hätte.778 Zu groß war der Widerstand vor allem des Gewerkschaftsflügels um Fritz Verzetnitsch und Rudolf Nürnberger sowie des mächtigen Wiener Bürgermeisters Häupl. Die SPÖ war aufgrund erheblicher innerparteilicher Spannungen nicht in der Lage, über ihren Schatten zu springen, und demütigte ihren Obmann und Bundeskanzler auf offener Bühne. Um diese Demütigung Klimas nicht allzu drastisch erscheinen zu lassen, wurde eine Entscheidung über das Papier auf Anfang Dezember verschoben. Viktor Klima trat in der Öffentlichkeit den Rückzug an und erklärte, das von ihm vorgelegte Reformpapier sei keineswegs beschlussfähig gewesen, sondern ein Diskussionspapier, das nunmehr parteiintern diskutiert werde.
778 Das Papier enthielt eine Reihe von Positionen, die der ÖVP entgegenkamen. So die Erhöhung des Karenzgeldes auf 6.000 Schilling und dessen Ausdehnung auf alle, die es brauchen. Frauen sollten Kindererziehungszeiten zur Pension angerechnet, Sozialleistungen gebündelt und österreichweit vereinheitlicht werden. Neue Arbeitszeitformen wurden unterstützt und mittelfristig ein einheitliches Beitragsrecht sowie eine Zusammenführung der Pensionssysteme angestrebt. Die Anhebung des faktischen Pensionsalters für Männer und Frauen sollte ebenso erfolgen wie die eigenständige Alterssicherung von Frauen und die Auszahlung der Witwenpension nur mit Falle der sozialen Bedürftigkeit. Das Abfertigungsrecht sollte in Richtung Abfertigungs- oder Pensionskasse reformiert werden. Die Maßnahmen gegen den Missbrauch des Sozialsystems beinhalteten ein Bonus-Malus-System in der Arbeitslosen- und Unfallversicherung und die Anwendung der gesetzlichen Möglichkeiten bei arbeitsunwilligen Arbeitnehmern. Das Verhältnis zwischen öffentlicher Hand und Sozialpartnern sollte neu geregelt werden. Die Universitäten erhielten die Vollrechtsfähigkeit, d. h. die volle finanzielle und rechtliche Autonomie.
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Wenige Tage später hatte sich der Kanzler von seiner Niederlage wieder erholt und war bereit, im Ringen um die Bildung einer SPÖ-ÖVP-Koalition auch den Kampf gegen Teile der eigenen Partei aufzunehmen. Am 15. November empfing er FPÖ-Obmann Jörg Haider zu einem Vieraugengespräch und am 16. November ein FPÖ-Team zu einem Sondierungsgespräch, um damit dem Auftrag zu Gesprächen mit allen Parteien gerecht zu werden. Am selben Tag erklärte er zur allgemeinen Überraschung im Pressefoyer nach dem Ministerrat : »Jeder hat das Recht, bestimmte Bedingungen zu nennen, unter denen er bereit ist, weiter zu arbeiten oder nicht. Auch ich habe meine Grenzwerte. Meine Bedingungen sind das Erneuerungsprogramm für die SPÖ und das Reformprogramm für die Koalitionsarbeit der nächsten vier Jahre.«779 Klimas Schritt erzielte erhebliches publizistisches Echo. So bemerkte Andreas Koller unter Anspielung auf die Sitzung des SPÖPräsidiums vom 11. November : »[Der SPÖ-Vorsitzende muss] hinnehmen, dass eine satte Funktionärsschicht seiner eigenen Partei jeden Reformschritt danach beurteilt, ob er der satten Funktionärsschicht nützt oder schadet. Diese Parteifreunde Klimas wollen die SPÖ zur Schirmherrin des geschützten Bereichs machen ; zur Partei jener also, die sich’s mit Hilfe dieser Partei richten können. Sie übersehen dabei, dass der geschützte Bereich, und damit das SPÖ-Wählerpotential, immer kleiner wird. Ausgerechnet rote Spitzengewerkschafter, die aus dem einfachen Grund keine Wahl verlieren können, weil sie sich nie einer Wahl durch das Volk stellen müssen, wollen der SPÖ Nachhilfe in Basisnähe erteilen.«780 Die von Andreas Koller angesprochenen Gewerkschafter ließen, unterstützt vom Wiener Bürgermeister Michael Häupl, am 17. November öffentlich ihre Muskeln spielen und drohten Viktor Klima in einem zentralen Bereich seines Reformpapiers, der Notwendigkeit einer weiteren Pensionsreform, mit einer neuerlichen Niederlage. So teilte ÖGB-Präsident Fritz Verzetnitsch dem Bundeskanzler und Parteivorsitzenden mit, der ÖGB werde in den kommenden vier Jahren über eine Pensionsreform nicht einmal reden. »Da wird eine Debatte inszeniert, die es nicht gibt. 1997 haben wir eine Pensionsreform beschlossen, die 2003 in Kraft tritt. Beim Beschluss hat es geheißen, damit sind die Pensionen für die nächste Zeit gesichert. Solange es hier keine neuen Fakten gibt, bin ich nicht bereit, mich in der neuen Legislaturperiode auf Sandkastenspiele einzulassen. Es gibt einfach keinen Anlass, in den nächsten vier Jahren eine Debatte über die Pensionen zu beginnen.« Klima habe nicht die geringste Chance, sich gegen den ÖGB durchzusetzen. »Sie werden sehen, dass sich am Ende niemand an unserer Position stoßen wird.«781 779 Kurier 17.11.1999. S. 2. 780 Andreas Koller : Viktor Klimas wahre Gegner. – In : SN 16.11.1999. S. 2. 781 SN 18.11.1999. S. 2.
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Viktor Klima erhielt jedoch auch parteiinterne Rückendeckung durch den burgenländischen Landeshauptmann Karl Stix und Frauenchefin Barbara Prammer, die erklärte, das vom Parteivorsitzenden vorgelegte Reformprogramm werde zur Nagelprobe. »Ich möchte mich nicht mehr so lange zurückbewegen, bis ich mit dem Rücken zur Wand stehe und dann auf Zuruf anderer reagieren muss.« Sie finde zudem »kein plausibles Argument« gegen die von Klima im Reformpapier angestoßene Pensionsdebatte. Jeder müsse wissen, dass die 1997 beschlossene Pensionsreform nicht das Ende der Debatte darstelle. »[Jeder weiß, dass] wir in zehn Jahren die nächste Adaptierung vornehmen müssen. Es wäre fair, den Leuten heute zu sagen, wie es in Zukunft sein soll.«782 Das parteiinterne Ringen in der SPÖ wurde von der ÖVP aufmerksam registriert, da man die Haltung zu weiteren Gesprächen vom Ausgang der Kontroverse abhängig machte. Setzte sich Klima mit seinem Reformprogramm durch, so würde dies die Gruppe derjenigen in der ÖVP stärken, die eine Neuauflage der Koalition befürworteten. Im gegenteiligen Fall würden die Gegner einer solchen Konstellation – sowohl die Befürworter einer ÖVP-FPÖ-Koalition wie auch jene des Gangs in die Opposition – Rückenwind erhalten. Die 4. und 5. Runde der Sondierungsgespräche mit der SPÖ am 20. und 24. November sowie das dritte »Zukunfts-Gespräch« mit der FPÖ am 25. November gaben den Gegnern einer Neuauflage der Koalition mit der SPÖ Auftrieb. Bei der Erörterung des Themas »Sicherheitspolitik« am 20. November mit der SPÖ kam es zu massiven Differenzen zwischen den Gesprächspartnern, die auch am 24. November bei der Erörterung des Themas »Sozialpolitik« neuerlich zutage traten. Andreas Khol bemerkte zu beiden Gesprächsrunden, er persönlich fühle sich durch diese in der Oppositionsentscheidung bestärkt. »In der Sicherheits- und Demokratiepolitik hat sich die SPÖ überhaupt nicht bewegt. Und in der Sozialpolitik will sie die Kürzung der Witwenpensionen, die Erhöhung der Beiträge der Bauern und Gewerbetreibenden, die Abschaffung der Beamtenregelungen – alles Maßnahmen, die Wählergruppen der ÖVP belasten. Dazu wollte die SPÖ sozialromantische Forderungen verwirklichen – etwa eine bedarfsorientierte Alterssicherung ohne Beitragszahlungen. Da spielen wir nicht mit.«783 Man habe im Bereich Soziales nur »die Wünsche des linken SP-Flügels gehört«.784 In einem Interview mit dem Magazin FORMAT wies er auf die völlig unterschiedliche Gesprächskultur der beiden Gesprächspartner der ÖVP hin. »Als unbefangener Beobachter hätte ich den Eindruck, dass die Sozialdemokraten die Sondierungsgespräche zu einem Linksruck in ihrer Partei benützen. Die wollen mit Volldampf zurück in die Vergangenheit, zurück in die Zeit des Kalten Krieges, zurück in die Zeit der Sozialromantik eines 782 Kurier 18.11.1999. S. 2. 783 Kurier 26.11.1999. S. 2. 784 Die Presse 1.12.1999. S. 7.
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sozialistischen Wohlfahrtsstaates. Die Freiheitlichen dagegen vermitteln den Eindruck, dass alles, was vor dem 3. Oktober von ihnen gesagt wurde, anpassungsfähig ist. Die wollen in eine Regierung.«785 Gegenüber der Tageszeitung »Der Standard« bemerkte die stellvertretenden ÖVP-Obfrau, Unterrichtsministerin Elisabeth Gehrer, es sei äußerst enttäuschend, dass sich die SPÖ im Bereich Sicherheit überhaupt nicht bewege, obwohl ihr Wolfgang Schüssel viele Brücken gebaut habe. In der SPÖ herrsche »Erstarrung«. Dies dokumentiere auch das von Klima vorgelegte Reformpapier, in dem »lauter alte Hüte« stünden.786 Hingegen kam es beim »Zukunfts-Gespräch« mit der FPÖ im Bereich der Sicherheitspolitik zu deutlichen Annäherungen. Für FPÖ-Klubobmann Scheibner wurde man sich bei diesem Thema zu »95 Prozent einig«, da beide Parteien die Teilnahme Österreichs an einer europäischen Sicherheitsarchitektur mit der Übernahme einer Beistandsverpflichtung befürworteten. Und ÖVP-Verteidigungsminister Werner Fasslabend sekundierte mit der Bemerkung, es sei »sehr, sehr positiv, dass sich zwei große Parteien« in dieser wesentlichen Frage geeinigt hätten und damit auch in Zukunft eine gemeinsame Initiative zur Änderung der Bundesverfassung ergreifen könnten.787 Für Aufsehen sorgte eine Erklärung von Unterrichtsministerin Elisabeth Gehrer am 24. November, die ein Abgehen von der bisherigen strikten Oppositionslinie der ÖVP und die Präferenz für eine ÖVP-FPÖ-Koalition zu signalisieren schien. Sollte die SPÖ mit einem – vom Bundespräsidenten allerdings noch nicht erteilten – Regierungsbildungsauftrag scheitern und der Bundespräsident anschließend die ÖVP mit einer solchen beauftragen, würde sich diese »nicht der Regierungsverantwortung entziehen« und mit allen Parteien, d. h. auch mit der FPÖ, Gespräche führen.788 Für heftige politische Spekulationen sorgte in diesem Zusammenhang eine Erklärung von ÖVP-Ehrenobmann Alois Mock, der gegenüber der Tageszeitung »Die Presse« die Meinung vertrat, die FPÖ sei »regierungsfähig« und festhielt, er halte eine Koalition der ÖVP mit der FPÖ für durchaus »denkbar«.789 Angesichts des noch Ende November anhaltenden Stillstands bei den Sondierungsgesprächen zwischen SPÖ und ÖVP, der vielfach kolportierten Angebote der FPÖ an die ÖVP, dieser im Falle eine Koalition den Kanzler zu überlassen,790 sowie 785 FORMAT 48/1999. S. 27. 786 Der Standard 25.11.1999. S. 7. 787 Kurier 26.11.1999. S. 2. 788 Kurier 25.11.1999. S. 2. 789 Die Presse 1.12.1999. S. 7. 790 Am 24. November erklärte die stellvertretende FPÖ-Obfrau Susanne Riess-Passer, ein Kanzlerangebot an die ÖVP sei »nicht ausgeschlossen« (Kurier 25.11.1999. S. 3). Klaus Dutzler und Saskia Schwaiger bemerkten Ende November : »[Wolfgang Schüssel ist] wild entschlossen, es mit den Freiheitlichen zu versuchen. Darum bastelt der Außenminister am Parallelpakt mit Jörg Haider, um dem Bundespräsidenten jederzeit eine Alternative zu einer instabilen roten Minderheits-
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der Erklärung Elisabeth Gehrers ergriff Bundespräsident Thomas Klestil neuerlich die Initiative, um von der ÖVP eine Entscheidung einzufordern. Bei dieser Aufforderung ließ er seine Befürwortung einer Neuauflage der SPÖ-ÖVP-Koalition und Ablehnung einer möglichen ÖVP-FPÖ-Koalition deutlich durchblicken, womit die Problemzonen der späteren Entwicklung deutlich wurden. Die ÖVP solle rasch kundtun, so Klestil, ob sie einer künftigen Regierung angehören wolle oder nicht. »Denn eines steht für mich fest : Opposition bedeutet, in Opposition sein gegenüber allen möglichen Koalitionspartnern und nicht nur gegenüber einem, der bei den Gesprächen nicht genug bietet.«791 Die Dramaturgie der Ereignisse erreichte Anfang Dezember ihren Höhepunkt. Am 30. November fand das 6. Sondierungsgespräch zwischen ÖVP und SPÖ zum Thema Familien- und Sozialpolitik statt, bei dem es zu deutlichen Annäherungen zwischen den Verhandlungsführern Frauenministerin Barbara Prammer und Familienminister Martin Bartenstein kam, da die im SPÖ-Reformpapier gebrauchte Formulierung »Karenzgeld für alle, die es brauchen« als Brücke zur ÖVP-Forderung »Karenzgeld für alle« betrachtet wurde. Ebenso wurden substanzielle Annäherungen in der von der ÖVP geforderten Neuregelung der Abfertigung sowie der Stärkung der betrieblichen Pensionskassen erzielt. Das ebenfalls geplante zentrale Thema »Budget« konnte jedoch aus Zeitgründen nicht mehr behandelt werden. Daher wurde eine letzte Gesprächsrunde am 3. Dezember vereinbart. Das Tauwetter in den Beziehungen zwischen SPÖ und ÖVP war jedoch nur ein scheinbares, denn wenige Stunden vor dem 6. Sondierungsgespräch erklärte Finanzminister Rudolf Edlinger zur Überraschung der ÖVP sowie Teilen der SPÖ, dass aufgrund der auch von der EU eingemahnten Budgetkonsolidierung Einsparungen in der Höhe von 20 Milliarden Schilling vorgenommen werden müssten. Diese Einsparungen sollten durch lineare Kürzungen von 20 Prozent der Ermessungsausgaben sämtlicher Ministerien (das Gesamtvolumen der Ermessensausgaben betrug 100 regierung anbieten zu können. Die bisherigen Gespräche verliefen positiv. Ein ÖVP-Verhandler : ›Wenn wir wollen, ist mit der FPÖ ein Koalitionspakt in nur einer Stunde machbar. Es gibt keine inhaltlichen Differenzen.‹ Längst weiß der schwarze Parteichef, dass weder seine Karriere noch die ÖVP als Ganzes vier weitere Jahre als Juniorpartner der SPÖ überstehen würden. Was Schüssel und seine wenigen Vertrauten seit Wochen in Szene setzen, ist Taktik pur. Die einzige Konstante : Klima muss in jedem Fall als psychologisches Symbol sozialdemokratischen Scheiterns die Politbühne verlassen. […] Damit die Schüssel-Strategie aufgeht, braucht er die Hilfe der FPÖ. Der schwarze Machtstratege weiß, dass er nur mit den Freiheitlichen und Jörg Haider sein Ziel am Ballhausplatz erreichen kann. Haider wurde deshalb auch angehalten, umfangreiche Vorleistungen zu erbringen, die freiheitliche Europalinie zu korrigieren und sein Verhältnis zum Nationalsozialismus klarzustellen. Haider hörte, überlegte und erfüllte Schüssel sämtliche Wünsche.« (Klaus Dutzler, Saskia Schwaiger : Schüssels Kanzlerspiel. – In : FORMAT 48/1999. S. 24–32. S. 25f.) 791 Der Standard 25.11.1999. S. 1.
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Milliarden Schilling) erreicht werden. Damit rückte die Finanzpolitik in das Zentrum der politischen Gespräche und Kontroversen. Anfang Oktober hatten die führenden Wirtschaftsforscher des Landes auf die dringend gebotene finanzpolitische und Budgetdisziplin hingewiesen. Die in den vergangenen Jahren unternommenen Schritte würden zu einer dauerhaften Sanierung des Staatshaushalts nicht ausreichen und eine steigende Neuverschuldung erwarten lassen. So erklärte der Leiter des Wirtschaftsforschungsinstitutes, Helmut Kramer, unter Hinweis auf die vor der Nationalratswahl beschlossene Steuerreform : »[ Auch] die nächsten Budgets müssen Sparbudgets sein, groß zu spendieren gibt es nichts.« Auf der Basis der derzeitigen Kennzahlen entferne sich Österreich aufgrund der zu erwartenden steigenden Neuverschuldung vom Konvergenzpfad, zu dem es sich bei seinem Beitritt zur Währungsunion verpflichtet habe. Das summierte Defizit aller Haushalte werde im Jahr 2000 von 70 auf 81 Milliarden Schilling ansteigen, d. h. auf 2,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Dies sei jedoch ein Verstoß gegen das Konvergenzprogramm, nach dem das Defizit 2000 nicht 1,7 Prozent überschreiten dürfe und bis 2002 auf 1,4 Prozent sinken müsse. Österreich laufe Gefahr, beim Defizit auf den letzten Platz unter allen Euroländern abzurutschen und damit in eine dem Wirtschaftsstandort abträgliche europäische Diskussion zu geraten.792 Ende November stellte die EU in ihrer Herbstprognose Österreich ein schlechtes Zeugnis aus und verwies darauf, dass das Land nicht nur das mit Abstand höchste Defizit aller EULänder aufweisen, sondern auch langsamer wachsen werde als der EU-Durchschnitt und zudem eine erhebliche Gesamtverschuldung inklusive Zinsendienst drohe. Die Verschuldung Österreichs stagniere bei 63 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und liege damit deutlich über den vereinbarten Maastricht-Kriterien von 60 Prozent. Moniert wurden vor allem das Fehlen von Maßnahmen im Bereich der Altersversorgung sowie das steigende Leistungsbilanzdefizit.793 Anfang Dezember zeigten sich Notenbankgouverneur Klaus Liebscher und Wirtschaftsforschungsinstitut-Chef Helmut Kramer über die Entwicklung der Staatsfinanzen besorgt, zumal bereits im Sommer vor der nunmehr drohenden Budgetmisere gewarnt worden war. Wenn die neue Bundesregierung dieser Entwicklung nicht energisch gegensteuere, werde sich die Bedienung der Staatsschulden erheblich verteuern und Österreich könne zudem mit Sanktionen der EU belegt werden. Helmut Kramer sah einen der Hauptgründe für diese Entwicklung in einer verfehlten Ausgabenpolitik der Regierung. Die Budgetmisere resultiere nicht zuletzt aus einem »Rückfall in die Gefälligkeitsdemokratie der Insel der Seligen«. Die von der Bundesregierung vor der Nationalratswahl beschlossene Steuerreform und das Familienpaket seien von den Wählern nicht honoriert worden und trotzdem zeichne 792 Der Standard 8.10.1999. S. 25. 793 SN 25.11.1999. S. 15.
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sich eine Fortsetzung dieser unheilvollen Politik der Ausweitung der Staatsausgaben ab.794 Wenig später bemerkte Kramer, der künftige Finanzminister stehe vor einem erheblichen Problem, da sein Spielraum klein sei. »Es wird nicht leicht sein, das Budget wieder strukturell auf Kurs zu bringen. Möglicherweise bedarf es außerordentlicher Anstrengungen«. Vor allem in den großen Bereichen öffentlicher Dienst, gesundheits- und Pensionssystem und soziale Wohlfahrt seien dringend Maßnahmen geboten, die über kurzfristige Kosmetik hinausgehen und strukturelle Reformen beinhalten müssten. Die Politiker müssten alle Versprechungen aus dem Wahlkampf vergessen, um dieses Ziel zu erreichen.795 Die von Finanzminister Rudolf Edlinger aufgrund der Mahnungen aus Brüssel gezogene Budgetbremse erhielt daher die Unterstützung von Liebscher und Kramer. Die Ankündigung des Finanzministers im Ministerrat, die Ermessensausgaben um 20 Prozent linear zu kürzen, führte zu heftigen und lauten Wortduellen, auch mit Ministern seiner eigenen Partei, vor allem Caspar Einem. Für die ÖVP sprach Wolfgang Schüssel von einem »management by chaos« und Umwelt- und Familienminister Martin Bartenstein nannte die Ankündigung des Finanzministers einen »Überraschungscoup«. »So wie Edlinger sich das vorstellt, ist es nicht machbar«, empörte er sich gegenüber der Tageszeitung »Kurier«. Und Unterrichtsministerin Elisabeth Gehrer ortete ein totales Versagen des Finanzministers beim Finanz-Controlling. Verteidigungsminister Werner Fasslabend wies darauf hin, dass das Vorgehend des Finanzministers die laufenden Sondierungsgespräche erheblich belaste. »Es geht doch um Vertrauen bildende Maßnahmen zwischen SPÖ und ÖVP. Das, was geschieht, ist dem nicht dienlich.«796 Edlinger konterte den Vorwürfen, dass angesichts der politischen Situation – die Bundesregierung war nach der Nationalratswahl zwar noch im Amt, konnte jedoch keine strukturellen Maßnahmen setzen – nur diese Vorgangsweise möglich sei. Zudem habe er bereits bei der Beschlussfassung über die Steuerreform und das Familienpaket auf die äußerst angespannte Finanzlage hingewiesen und im Bereich der Steuerreform eine Entlastung von maximal zehn Milliarden Schilling für möglich erklärt. Tatsächlich wurden jedoch 17 Milliarden Schilling beschlossen. Ebenso sei man beim Familienpaket weit über das finanziell Mögliche hinausgegangen. Er habe stets auf diese Gefahren hingewiesen und auch die ÖVP bereits vor vier Wochen bei dem ersten Sondierungsgespräch auf die Lage des Budgets aufmerksam gemacht, ohne jedoch von seinen Gesprächspartnern Hannes Farnleitner und Wilhelm Molterer eine entsprechende Reaktion erhalten zu haben.797 794 Die Presse 4.12.1999. S. 17. 795 Kurier 18.12.1999. S. 17. 796 Kurier 1.12.1999. S. 3. 797 Die Presse 1.12.1999. S. 7.
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Am 1. Dezember kam Bewegung in die scheinbar endgültig festgefahrene Situation, als das SPÖ-Präsidium das überarbeitete Reformpapier Viktor Klimas einstimmig beschloss und damit Flexibilität signalisierte. Die nunmehrige Einigkeit wurde damit argumentiert, dass bei der Sitzung am 11. November das Papier aus Zeitgründen nicht ausführlich diskutiert werden hätte können und nun im entscheidenden Punkt, der Pensionsreform und der Zusammenführung der Pensionssysteme, eine Klarstellung erfolgt sei. Nunmehr sei dem Wunsch des ÖGB Rechnung getragen worden, die Angleichung der Pensionssysteme als Fernziel ohne konkretes Datum zu definieren und entsprechende Schritte nur im Einvernehmen mit der Gewerkschaft zu unternehmen. Diese Maßnahme sollte erst für künftige Beschäftigte, nicht jedoch für bereits im Arbeitsprozess Stehende, gelten. Im nunmehr beschlossenen Papier kam im Kapitel Sicherheitspolitik das Wort »Neutralität« nicht vor, hingegen das Bekenntnis zur vollen Teilnahme an einem neuen europäischen Sicherheitsverbund. Im Kapitel »Familienpolitik« kam man den Vorstellungen der ÖVP ebenfalls durch die Formulierung »Karenzgeld für alle, die es brauchen«, entgegen. In anderen Passagen enthielt es jedoch mit starken sozialistischen Akzenten, wie einer bedarfsorientierten Grundsicherung, der Wertschöpfungsabgabe, einem Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit, der Aufhebung des Schutzalters für Homosexuelle oder der Beibehaltung der Kernaktionärsfunktion der ÖIAG, deutliche Bruchstellen mit der ÖVP. Den Schwenk des Präsidiums, nunmehr dem nur geringfügig geänderten Papier seine Zustimmung zu geben, begründete Nationalratspräsident Heinz Fischer mit der Bemerkung, es sei »gut vorbereitet« gewesen, weshalb es nun »eine gute, sanfte Geburt« gegeben habe.798 Der Beauftragung Viktor Klimas zur Regierungsbildung durch den Bundespräsidenten stand jedoch noch das letzte Sondierungsgespräch zwischen SPÖ und ÖVP am 3. Dezember über das Budget entgegen, da die ÖVP nach wie vor heftige Kritik am Erlass von Finanzminister Edlinger übte, die Ermessensausgaben der Ministerien linear um 20 Prozent zu kürzen. Dieses Gespräch kam vor dem Hintergrund der EU-Mahnung und der von Finanzminister Edlinger vorgenommenen Kürzung der Ermessensausgaben zu dem von der ÖVP angestrebten Ergebnis. Im Jahr 2000 sollten durch nachhaltige strukturelle Maßnahmen 20 bis 30 Milliarden Schilling eingespart und eine Budgetsanierung vor allem durch Ausgabenkürzungen erreicht werden. Diese notwendigen Maßnahmen konnte jedoch nur eine neue Bundesregierung setzen, weshalb im Sinne der konsensualen Budgetsanierung eine baldige Regierungsbildung notwendig war, da die noch amtierende lediglich die Budgetrichtlinien des Vorjahres vollziehen konnte. Andreas Khol bemerkte in seiner Darstellung der Ereignisse zu den insgesamt sieben Sondierungsgesprächen zwischen SPÖ und ÖVP, diese seien »intensiv und 798 Der Standard 2.12.1999. S. 7.
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umfangreich« gewesen. »Die alten Haudegen einer soeben in Wahlen gescheiterten Regierung saßen sich gegenüber und leckten ihre Wunden. Sie verstanden zum Teil die Zeit nicht mehr und beklagten die Ungerechtigkeiten der Wahlentscheidungen. In sechs [richtig : sieben, Anm. d. Verf.] Runden graste man das ganze Feld ab, diskutierte alles im Detail. Die SPÖ spielte, wie so oft, nicht mit offenen Karten. Die Budgetzahlen kamen nur zögernd und niemals vollständig auf den Tisch. Wir konnten nur erahnen, dass es ein Problem gibt. In den Regierungssitzungen wurde dies dann deutlicher. Bei den einzelnen Sachfragen sprach man mit geschlossenem Visier. Heinz Fischer erklärte mir : ›Wie sollen wir offen mit euch reden, wir wissen doch gar nicht, ob ihr nicht in der Opposition sein werdet.‹ Im Hintergrund hatte der alte Fuchs natürlich die Minderheitsregierung mit der FPÖ gespeichert, nahm unsere Oppositionsdrohung zum Nennwert und wollte einer zukünftigen Oppositionspartei keine Zugeständnisse machen.«799 Nach einer Berichterstattung Viktor Klimas über die Ergebnisse der Sondierungsgespräche am 6. Dezember beauftragte ihn Bundespräsident Thomas Klestil am 9. Dezember, eine Regierung »mit solider Mehrheit im Parlament« und »mit Ansehen im In- und Ausland« zu bilden. Klima erklärte anschließend, dass der Auftrag des Bundespräsidenten nur eine Koalition mit der ÖVP ermögliche. Er selber, so der Bundeskanzler in Richtung FPÖ, wolle auch keine Regierung bilden, die »sich im Ausland dauernd entschuldigen« müsse, »sondern eine, die Österreich bestens im Ausland vertreten« könne. Er hoffe, dass die ÖVP ihre Bereitschaft erkläre, in Koalitionsverhandlungen einzutreten, fügte jedoch mahnend hinzu : »Regierungsverhandlungen sind keine Versteigerungsaktion, wo es nur um das Beste für eine Partei geht.«800 In der ÖVP war man jedoch keineswegs bereit, sofort und ohne Vorbedingungen in Koalitionsverhandlungen einzutreten, zumal sich durch die Beauftragung Klimas mit der Regierungsbildung an ihren Optionen nichts geändert hatte und man keineswegs bereit war, dem Druck des Boulevards, vor allem der »Kronen Zeitung« und deren Herausgeber Hans Dichand, der unter dem Pseudonym »Von besonderer Seite« vehement für Regierungsverhandlungen von SPÖ und ÖVP eingetreten war, nachzugeben.801 In seinem letzten Artikel am 1. Dezember kam Dichand zu dem 799 Andreas Khol : Die Wende ist geglückt. Der schwarz-blaue Marsch durch die Wüste Gobi. – Wien 2001. S. 91. In der Passage »Minderheitsregierung mit der FPÖ« meint Khol eine SPÖ-Minderheitsregierung mit Duldung der FPÖ nach dem Vorbild der ersten Minderheitsregierung Kreisky 1970/71. 800 Die Presse 10.12.1999. S. 1. 801 Hans Dichand versuchte in durchaus selbstherrlicher und selbstsicherer Manier, massiv Einfluss auf die Gestaltung der Politik zu nehmen. Zahlreiche Politiker der SPÖ sowie Bundespräsident Thomas Klestil suchten die Nähe des mächtigen Zeitungsherausgebers. So erklärte Helmut Zilk zu den von Dichand anonym verfassten Artikeln, deren Verfasser sorge »sich um das Gesamtwohl Österreichs und« würde
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Schluss : »Die Österreicher wünschen eine stabile Regierung mit Ansehen im Inund Ausland.« Die Erklärung des Bundespräsidenten anlässlich der Beauftragung von Viktor Klima mit der Bildung einer Bundesregierung übernahm diesen Text. Die ÖVP-Spitze entschloss sich angesichts der für den 9. Dezember angekündigten Beauftragung Viktor Klimas mit der Regierungsbildung zu einem Zwischenschritt, indem Wolfgang Schüssel nach einem Treffen mit allen wichtigen Entscheidungsträgern in der Partei im Wienerwaldhotel Tulbingerkogel bei Mauerbach am 5. Dezember in einer TV-»Pressestunde« ankündigte, der Oppositionsbeschluss könnte unter Umständen revidiert werden. Man sei bereit, mit der SPÖ in Regierungsverhandlungen einzutreten, allerdings nur unter Prämissen, um sicherzugehen, dass der strukturelle Reformstillstand der vergangenen Jahre beendet wird.. Diese Prämissen umfassten sechs Punkte : 1. Sanierung des Budgets, wobei das Defizit innerhalb der nächsten Legislaturperiode auf ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts gesenkt werden musste 2. Mehr direkte Demokratie, Möglichkeit der Briefwahl, Abbau des Proporzes 3. Sicherung des Wirtschaftsstandortes durch eine Senkung der Lohnnebenkosten um 14 bis 15 Milliarden Schilling und eine Reform der Abfertigung 4. Mehr Freiheit durch einen Abbau der Regulierungen 5. Im Sinne des Generationenvertrages und der Generationengerechtigkeit eine Reform des Pensionssystems, wobei mit der Beamtengewerkschaft Verhandlungen über eine Harmonisierung des Pensionssystems aufgenommen werden sollten. Für bestehende Pensionen sollte es eine Wertsicherungsgarantie geben, d. h. eine Pensionsanpassung an die jeweilige Inflationsrate. Karenzgeld für alle 6. Klares Bekenntnis zu Europa, zum Euro, zur EU-Osterweiterung und zur europäischen Sicherheitsarchitektur »Wer uns als Partner will«, so Schüssel, »wird diese Grundsätze akzeptieren müssen«.802 Die Sondierungsgespräche mit der SPÖ hätten gezeigt, dass man in substanziellen Fragen wie den Lohnnebenkosten, dem Wirtschaftsstandort oder der Sicherheitspolitik weiter auseinander sei als zuvor.803 Man werde trotzdem mit der SPÖ in den folgenden Tagen Gespräche führen, um die Sinnhaftigkeit von Regie»sich im höchsten Maß verantwortlich« fühlen. »Und er weiß, was der kleine Mann denkt.« Kenner der medienpolitischen Szene berichteten, dass Dichand seinen innenpolitischen Chefredakteur Dieter Kindermann von einer Titelgeschichte »Schwarz-Blau kommt !« mit den Worten abgehalten habe : »Ich war grad’ beim Klestil und wir haben ausgemacht, es kommt Rot-Schwarz.« (FORMAT 49/1999. S. 34) Dichands massives Eintreten für eine SPÖ-geführte Koalitionsregierung basierte auch auf seinem Vorhaben der Herausgabe einer Gratiszeitung, die in den Wiener U-Bahn-Stationen vertrieben werden sollte. Zur Realisierung dieses Projekt benötigte er die Unterstützung der Wiener SPÖ. 802 Die Presse 6.12.1999. S. 6. 803 Kurier 6.12.1999. S. 2.
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rungsverhandlungen auszuloten. Sollten diese zu einem positiven Ergebnis führen, werde man in konkrete Regierungsverhandlungen eintreten. Die ÖVP lasse sich jedoch auf kein Ergebnis festlegen. Sollten die Verhandlungen mit der SPÖ scheitern, seien »andere Optionen zu prüfen«.804 Die ÖVP werde bei der Aufnahme von Regierungsverhandlungen mit der SPÖ keine Parallelverhandlungen mit der FPÖ oder den Grünen führen, jedoch werde es weitere informelle Gespräche im Sinne eines Gedankenaustauschs geben. Die Erklärung Schüssels war äußerst geschickt, da sie der ÖVP nach wie vor alle Optionen offen ließ. Während der ÖVP-Obmann Unterstützung für diese Haltung in den eigenen Reihen erhielt, begannen bei der SPÖ die Alarmglocken zu läuten. Die Reaktionen waren entsprechend konträr. Der Generalsekretär der Bundeswirtschaftskammer, Günter Stummvoll, betonte, man müsse »zumindest wissen, wie groß die Chancen auf eine Einigung mit der SPÖ« seien. »Wenn uns nur Klimas Reformpapier vorgelegt würde, wäre eine Koalition ja ohnedies unvorstellbar.« Der Wiener ÖVP-Obmann Bernhard Görg fügte hinzu : »Es wäre ja völlig unsinnig, unseren Oppositionsbeschluss in Form eines Blindfluges noch vor ersten Verhandlungen über Bord zu werfen. Es muss eine Punktation der SPÖ geben, über die wir im Vorstand entscheiden. Ohne dieses Papier ist an Regierungsverhandlungen überhaupt nicht zu denken.«805 Der oberösterreichische Landeshauptmann Josef Pühringer bemerkte zur Stimmung in der Partei : »Der Bürger erwartet, dass sich die ÖVP in einer so schwierigen Situation nicht verweigert. Niemand kann es derzeit allen recht machen. Es gibt in der ÖVP eine Gruppe, die in Opposition gehen will. Eine andere sagt : probiert es mit den Roten noch mal, die Freiheitlichen sind unverlässlich. Und es gibt auch eine nicht geringe Gruppe, die sagt : Geht mit der FPÖ. Daher ist es richtig, die Möglichkeiten zu erweitern, sich aber alles offen zu lassen.«806 In der SPÖ vermutete man hingegen in der alle Optionen offen lassenden Erklärung die indirekte Bekanntgabe eines Masterplans zur Bildung einer ÖVP-FPÖKoalition. Für Heinz Fischer verstärkte die Erklärung des ÖVP-Obmanns die Vermutung, dass es einen »sehr konkreten Drei-Stufen-Plan« für eine ÖVP-FPÖRegierung gebe. In einer ersten Stufe werde der Oppositionsbeschluss revidiert, in einer zweiten würden Verhandlungen mit der SPÖ mit dem Ziel eines vorprogrammierten Scheiterns geführt und in einer dritten benütze Schüssel die FPÖ als »Steigbügelhalter« für die von ihm angestrebte Funktion des Bundeskanzlers. Auch Finanzminister Rudolf Edlinger zeigte sich von Schüssel »persönlich enttäuscht« und ortete die ÖVP in Richtung einer Koalition mit der FPÖ gehen.807 804 Die Presse 6.12.1999. S. 6. 805 FORMAT 49/1999. S. 29. 806 Der Standard 7./8.12.1999. S. 7. 807 Die Presse 6.12.1999. S. 6 ; SN 6.12.1999. S. 2.
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Am 13. Oktober beschloss der ÖVP-Vorstand offiziell eine Korrektur des bisherigen Oppositionskurses und die Aufnahme von Regierungsverhandlungen mit der SPÖ auf der Grundlage des von Schüssel bereits in seiner TV-»Pressestunde« genannten Sechs-Punkte-Programms. Der Parteiobmann bemerkte zu dem gefassten Beschluss, man habe mit diesem lediglich die Optionen erweitert, die Oppositionsvariante sei »damit nicht vom Tisch«808 Aber die Sondierungsgespräche hätten gezeigt, »dass es ohne VP-Beitrag kaum zu stabilen Verhältnissen kommt«. Es dürfe jedoch »zu keiner Neuauflage der Altausgabe kommen. Wir brauchen eine neue Qualität der Zusammenarbeit.« Diese neue Qualität sei jedoch nur auf der Basis des SechsPunkte-Programms gewährleistet, das »kein schmuseweiches Papier, sondern die Magna Charta der Volkspartei« sei.809 Die Gefühlslage des ÖVP-Obmanns war zu diesem Zeitpunkt keineswegs ausgeglichen, da bei den Entscheidungen stets eine Reihe von Faktoren zu berücksichtigen war und zudem Erfahrungen aus den letzten Koalitionsjahren ihre mächtigen Schatten warfen. Bei dem Treffen der Parteigranden am 3. Dezember auf dem Tulbingerkogel hatte der oberösterreichische Landeshauptmann Josef Pühringer von einem Vieraugengespräch mit Bundespräsident Klestil berichtet, in dem dieser deutlich gemacht habe, dass er im Falle einer weiteren Verweigerung der ÖVP Viktor Klima mit der Bildung einer Minderheitsregierung beauftragen werde. Dies habe innerhalb eines Jahres Neuwahlen zur Folge mit unabsehbaren Folgen für die ÖVP. Die Landeshauptleute Wendelin Weingartner (Tirol) und Franz Schausberger (Salzburg) sowie der Wiener ÖVP-Obmann Bernhard Görg bezeichneten Haider als unzuverlässig und für eine Regierungsarbeit ungeeignet, während der niederösterreichische Landeshauptmann Erwin Pröll die schwierige Lage der ÖVP mit den zutreffenden Worten charakterisierte : Die SPÖ hat mangelnde Reformbereitschaft, bei der FPÖ mangelt es an Vertrauen, aber die Blauen sind äußerst beweglich.«810 Wenige Tage vor dem Vorstandbeschluss hatte Schüssel einem Vertrauten gegenüber erklärt : »Emotional ist es für uns sehr schwierig, noch einmal mit Klima und der SPÖ zusammenzuarbeiten, aber wir wissen nicht, wie paktfähig und berechenbar Haider und die FPÖ sind. Bleibt die SPÖ so unbeweglich wie in den vergangenen Wochen, dann wird es eben Schwarz-Blau geben.« Am Rande des EU-Gipfels in Helsinki am 9. Dezember hatte Wolfgang Schüssel gegenüber Hans Rauscher das »mangelnde Problembewusstsein« der SPÖ in Fragen der Wirtschaftspolitik beklagt und bemerkt, dass dieses einen der Stolpersteine für ein Koalitionsabkommen darstellen könnte. »Die ÖIAG hat 45 Milliarden Schilling Schulden, es wurden zuletzt 7 Milliarden privatisiert, und die wurden nicht zur Schuldensenkung, sondern zur 808 Die Presse 14.12.1999. S. 1. 809 Kurier 14.12.1999. S. 3. 810 FORMAT 50/1999. S. 26ff.
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Zinsenzahlung benützt. Oder : Post und Telekom streiken, wenn man versucht, etwas Vernünftiges zu machen, und politisch wird nicht reagiert. Oder : Die 2,6 Prozent Neuverschuldung vom Bruttoinlandsprodukt sind ein wirkliches Problem. Wir sind das Schlusslicht Europas, und die SPÖ verharmlost das. […]. Das alles ist kein Spiel, denn für Spiele ist kein Geld da.«811 Die SPÖ müsse sich auf die ÖVP zubewegen und zu substanziellen Reformen bereit sein, betonte die ÖVP-Führung. Neben durchaus konsensualen Punkten enthielt jedoch die Punktation auch politische Bruchstellen vor allem in der Außen- und Sicherheitspolitik, in der die Beistandspflicht sowie ein in Zukunft möglicher NATO-Beitritt gefordert wurden. Finanzminister Rudolf Edlinger kommentierte den ÖVP-Vorstandbeschluss, Wolfgang Schüssel habe »einige Überschriften genannt,« mit denen es aus seiner Sicht keine unüberwindlichen Probleme gebe. »Es kommt dann auf die genauen Inhalte an. Aber im Wesentlichen halte ich das nicht für unüberwindlich.« Problematisch sei hingegen das Kapitel Sicherheitspolitik. »Wenn das nicht NATO heißt, kann ich mir durchaus vorstellen, dass es zu einer Lösung kommen kann.«812 In seiner Darstellung der Ereignisse bemerkte Heinz Fischer : »[D a im Kapitel Sicherheitspolitik] auch die Abschaffung der Neutralität und der NATO-Beitritt ›zum gegebenen Zeitpunkt‹ in den Bedingungen der ÖVP enthalten waren, setzte neuerlich ein Diskussionsprozess ein, ob der Beschluss zur Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit Soll-Bruchstellen versehen war, sodass es sich um Scheinverhandlungen handelte, oder ob eine Phase konstruktiver und zielorientierter Verhandlungen beginnen könne.«813 Der Fortgang der weiteren Ereignisse war offen. Die ÖVP hatte am 13. Dezember 1999 mit dem Beschluss zur Aufnahme von Koalitionsverhandlungen den politischen Rubikon mit nach wie vor ungewissem Ausgang überschritten.
811 FORMAT 50/1999. S. 25. 812 Ebda. S. 31. 813 Heinz Fischer : Wendezeiten. Ein österreichischer Zwischenbefund. – Wien 2003. S. 67.
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gab es drei Gruppen. Sagen wir es grob so : Ein Viertel wollte es noch einmal mit den Sozialdemokraten probieren. Ein gleich großer Teil wollte gleich den Wechsel und die Wende mit den Freiheitlichen probieren. Der Mainstream der Partei war für Opposition, ohne Wenn und Aber. Das dürfte auch die Stimmung in der Basis gewesen sein. Es gab wäschekörbeweise Briefe und E-Mails. Wir wollten auch keine Verhandlungen aufnehmen. Es war dann dieser schlechte Versuch mit einer Minderheitsregierung Klima, die wieder Großkoalitionsverhandlungen für alle so attraktiv machten, für die Leitartikler, den Bundespräsidenten […] und die eigene Basis, die sagte : Instabile Verhältnisse wollen wir nicht, eine Neuwahl kann nur der FPÖ nützen. Ein echter Stimmungswandel in der ganzen ÖVP. Mitte Dezember nahmen wir Verhandlungen mit der SPÖ auf. Grundsatz : Wir wollen es probieren. Wenn aber, dann muss es qualitativ neu sein und halten : in der Personenzusammensetzung, der Kompetenzverteilung, im Inhalt.«815
IX.1 Ideologische Differenzen. Von der Notwendigkeit struktureller Reformen und vom schwierigen Sprung über den eigenen Schatten Im Dezember 1999, kurz vor dem offiziellen Beginn von Regierungsverhandlungen zwischen SPÖ und ÖVP, wurden die in zentralen Bereichen unterschiedlichen programmatischen Positionen der beiden Parteien zum zentralen Problem. Beide hatten Grundsatzpapiere formuliert, die neben Übereinstimmungen auch Bruchstellen enthielten. Die beginnenden Gespräche wurden noch durch den Umstand belastet, dass die SPÖ zwischen struktureller Reformbereitschaft und dem Festhalten an alten Dogmen schwankte. Parteiintern machte der Satz »Blair-Schröder-Kurs versus Jospin« die Runde, wobei die Parteilinke die Niederlage bei der Nationalratswahl auch mit dem Bemühen um eine Imitation des Blair-Schröder-Kurses begründete und die Rückkehr zu den alten Werten forderte. Der von den Verhandlern geforderten Flexibilität waren somit vor allem bei der SPÖ deutliche Grenzen gesetzt, wie Viktor Klima bereits im Vorfeld der Verhandlungen am Beispiel des von ihm dem Parteipräsidium vorgelegten Reformpapiers erfahren hatte. Wenngleich das »Springen über den eigenen Schatten« zum geflügelten Wort der Politdebatte des Herbstes 1999 wurde, so blieb doch die Frage offen, wie weit der Mut zu einem solchen Sprung bei dem jeweiligen Verhandlungspartner reichen würde. Dabei war die ÖVP im Vorteil, da sie neben der Bildung einer SPÖ-ÖVP-Koalition noch über die Optionen einer ÖVP-FPÖ-Koalition oder jene des Gangs in die Opposition verfügte, während dies bei der SPÖ nicht der Fall war. 815 Profil 52/1/2000. S. 33.
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Nach dem Ministerrat am 14. Dezember 1999 bezogen SPÖ und ÖVP ihre Positionen für die bevorstehenden Regierungsverhandlungen. Vizekanzler und ÖVP-Obmann Wolfgang Schüssel erklärte unter Hinweis auf das von der ÖVP beschlossene Sechs-Punkte-Programm : »Grundsätze sind für uns Grundsätze und nicht verhandelbar. Über Formulierungen kann man diskutieren, aber nicht über die Substanz. […] Wir müssen nicht in einer Regierung dabei sein. Wer uns haben will, sollte sich an unseren Grundsätzen orientieren.« Das Sechs-Punkte-Programm enthielt als Bruchstelle u. a. auch die Teilnahme Österreichs an einer europäischen Sicherheitsarchitektur inkl. einem möglichen NATO-Beitritt und einer Beistandsverpflichtung. Viktor Klima betonte, dass auch für die SPÖ »Grundsätze […] nicht verhandelbar« seien, d. h. ein Beitritt zur NATO »in der nächsten Legislaturperiode nicht zur Diskussion« stehe. »Wenn die ÖVP meint, ihr Papier sei 1 :1 zu übernehmen, muss sie nicht verhandeln.« Noch deutlicher wurde SPÖ-Klubobmann Peter Kostelka : »Das Wort NATO-Beitritt mag im ÖVP-Papier zu finden sein, in einem Koalitionsabkommen mit der SPÖ wird es sicher nicht stehen.« Und Nationalratspräsident Fischer : »Wenn die ÖVP den NATO-Beitritt verlangt, dann muss sie halt eine Koalition mit der FPÖ probieren. […] Wir haben deutlich signalisiert, dass wir an den schrittweisen Aufbau einer gemeinsamen europäischen Außen- und Sicherheitspolitik mit Verantwortungsbewusstsein herangehen wollen. Wenn die ÖVP daran interessiert ist, dass es eine vernünftige Außen- und Sicherheitspolitik gibt, dann kann man das mit uns machen. Wenn die ÖVP das Thema NATO dazu benützt, um eine Sollbruchstelle bei den Regierungsverhandlungen zu schaffen, dann können wir das nicht verhindern. Wenn man den NATO-Beitritt als Gessler-Hut aufstellt, dann werden wir uns vor diesem Gessler-Hut sicher nicht verneigen.816 816 Der Standard 15.12.1999. S. 7. Die Position der SPÖ war im Kapitel »Beitrag zur Friedenssicherung« in ihrem Verhandlungspapier enthalten : »Österreichs Beitrag zur Friedenssicherung : Ziele : Festigung des Friedens in Europa, Weiterentwicklung einer europäischen Sicherheitsarchitektur, Verhinderung der Weiterverbreitung von Waffen und Kriegsmaterial ; verstärktes Engagement für Rüstungskontrolle und Abrüstung, Fortsetzung der internationalen Solidaritätsleistungen, Prüfung der Umstellung auf ein Freiwilligenheer. Maßnahmen : Aktive Teilnahme an der Weiterentwicklung einer gemeinsamen europäischen Sicherheitsarchitektur, einschließlich einer gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, im Rahmen des EU-Vertrages (Art. 17) und der Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von Köln. Teilnahme am gesamten Spektrum des europäischen Krisenmanagements (Petersberg-Aufgaben), gemäß den Bestimmungen der österreichischen Bundesverfassung und auf Basis der Charta der Vereinten Nationen, im Sinne der europäischen Solidarität. Aufbau glaubwürdiger und eigenständiger europäischer operativer Krisenmanagement-Kapazitäten,
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Trotz dieser scheinbar nicht vermittelbaren Positionen waren sowohl Klima wie auch Schüssel bemüht, die Verhandlungsmöglichkeiten zu betonen. So versicherte Schüssel, in dem Sechs-Punkte-Programm der ÖVP sei keine Sollbruchstelle eingebaut. Bei der Frage eines NATO-Beitritts sei man der SPÖ mit der Formulierung »zum gegeben Zeitpunkt« sehr entgegengekommen und vieles könne im Laufe der folgenden Verhandlungen endgültig formuliert werden. Klima wiederum beeilte sich zu betonen, dass bei einigem guten Willen eine gemeinsame Regierung durchaus möglich sei. Abgesehen von der Frage der zukünftigen Sicherheitspolitik bestand Einigkeit darüber, dass die nachhaltige Sanierung des Budgets, die Sicherung des Wirtschaftsstandortes, die Finanzierung des Sozialsystems und eine neue Form
sowohl militärischer als auch ziviler Natur. Das schließt den Ausbau nationaler Einheiten und die Teilnahme an multinationalen Verbänden für Aktionen des internationalen Krisenmanagements mit ein. Teilnahme an den europäischen Institutionen der industriellen Rüstungskooperation. Einrichtung einer hochrangigen sicherheitspolitischen Expertenkommission (alle betroffenen Ressorts, relevante österreichische Organisationen und Institutionen) zwecks 1. Erarbeitung der Grundlagen einer, an das neue sicherheitspolitische Umfeld angepassten, österreichischen Friedens- und Sicherheitsdoktrin. 2. Darauf aufbauend Definition der Aufgaben des Österreichischen Bundesheeres unter stärkerer Berücksichtigung der internationalen Aufgaben und der Katastrophenhilfe. 3. Vorschläge für eine geeignete Struktur des Österreichischen Bundesheeres zur Erfüllung dieser Aufgaben […] 5. Vorlage des Endberichts der Expertenkommission an den Landesverteidigungsrat bis spätestens Mitte der Legislaturperiode. […]« Die Position der ÖVP wurde im Kapitel »Europas Chancen nutzen« festgelegt : »Europas Chancen für Österreich nutzen : EU-Erweiterung mit entsprechenden Übergangsfristen. Volle Teilnahme Österreichs am Aufbau und der Gestaltung aller sicherheitspolitischen Planungs- und Entscheidungsstrukturen der EU. Österreichische Beteiligung an den ›Europa-Korps‹. Freiwilligenheer ausbauen. Friedensgebot ersetzt Neutralität in der Verfassung. […] Mit der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik hat sich die EU nachhaltig in Richtung einer umfassenden Friedens- und Sicherheitsunion entwickelt. Wir wollen mit eindeutigen Positionen solidarisch am vollen Spektrum der europäischen Friedenspolitik (Menschenrechtspolitik innerhalb der EU, im Erweiterungszusammenhang und auf globaler Ebene, Entwicklungszusammenarbeit, Wirtschaftshilfe, humanitäres Krisenmanagement, friedenssichernde und -schaffende Maßnahmen) aktiv mitwirken. Wir drängen auf eine klare Entscheidung ohne missverständliche Etikettierung, damit Österreich an allen sicherheitspolitischen Planungs- und Entscheidungsstrukturen teilnehmen kann, für die Verschmelzung der WEU und der EU eintritt, sich an der europäischen Rüstungskooperation beteiligt, seinen Beitrag zum geplanten ›Europa-Korps‹ leisten wird und die Übernahme einer europäischen Beistandsgarantie eingehen und in Anspruch nehmen kann. Das schließt zum gegebenen Zeitpunkt den Beitritt zur NATO mit ein, jedenfalls aber bis dahin die Teilnahme am Spektrum der Zusammenarbeit mit der NATO. […]« (Die Presse 15.12.1999. S. 7)
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der Zusammenarbeit die zentralen Themen der bevorstehenden Verhandlungen seien. Das erste Treffen der beiden Parteien fand am 17. Dezember statt, wobei bereits die ersten Spannungen auftraten, als Viktor Klima die Bildung von sechs Arbeitsgruppen zu sechs Themenbereichen vorschlug. Wolfgang Schüssel zeigte sich gegenüber diesem Vorschlag reserviert, da er eine Zersplitterung der Verhandlungen und die damit gegebene Gefahr des Verlustes der Übersicht befürchtete, und plädierte im Gegenzug dafür, alle wichtigen Punkte im Plenum zu verhandeln. Man einigte sich schließlich auf eine Kompromissvariante. An Stelle großer Arbeitsgruppen sollte jeweils ein Mitglied der beiden Verhandlungsteams für einen Themenbereich zuständig sein und das Plenum vom Ergebnis oder den aufgetretenen Problemen berichten.817 Die ersten Verhandlungen sollten unter strikter Geheimhaltung erfolgen und der Bundespräsident spätestens zu Jahresende über deren Fortgang informiert werden. Zu Beginn der Verhandlungen veröffentlichte das Magazin FORMAT eine aktuelle OGM-Umfrage, nach der die FPÖ mit 31 Prozent zur stärksten Partei aufgestiegen war, gefolgt von der SPÖ mit 30 Prozent und der ÖVP mit 26 Prozent. Das Ergebnis sei, so der Leiter des OGM, Wolfgang Bachmayer, eine echte Sensation. »Ich konnte die Zahlen drehen und wenden, wie ich wollte, die FPÖ liegt derzeit eindeutig auf Position eins.« Dabei habe er die Hochrechnung sehr vorsichtig vorgenommen, wahrscheinlich sei der Vorsprung der FPÖ vor der SPÖ größer. Wenngleich es sich bei der Mitte Dezember durchgeführten Umfrage um eine Momentaufnahme handle, so zeige diese doch ein deutliches Missbehagen der Bevölkerung über die sich über Wochen hinziehenden Sondierungsgespräche und vor allem über die taktische Haltung der ÖVP, die nunmehr deutlich hinter die FPÖ zurückfalle. Fritz Plasser kommentierte das Ergebnis mit dem Hinweis, dieses sei ein »Zeichen außergewöhnlicher tiefgreifender Unzufriedenheit, ein Signal, dass der Missmut der
817 Die erste Gruppe »Effizienter Staat« hatte als zentrale Themen die nachhaltige Konsolidierung des Staatshaushaltes, die Steuer- und Abgabenquote sowie den Finanzausgleich zu behandeln. Die Verhandlungen wurden seitens der SPÖ von Rudolf Edlinger und Karl Stix, seitens der ÖVP von Wilhelm Molterer und Josef Pühringer geführt. Das zweite Verhandlungsteam beschäftigte sich mit dem Wirtschaftsstandort Österreich und wurde hauptverantwortlich von Michael Häupl und Martin Bartenstein geleitet. Das dritte Verhandlungsteam befasste sich mit dem Thema Soziales (Pensions-, Familien-, Konsumentenschutz- und Integrationsfragen) und stand unter der Leitung von Barbara Prammer und Elisabeth Gehrer. Das vierte Verhandlungsteam widmete sich den Themen Wahlrecht, Parlament, Justiz, Medien, Kultur und Innere Sicherheit. Hauptverhandler waren Peter Kostelka und Andreas Khol. Die sensiblen Gruppen fünf und sechs – Sicherheitspolitik und neue Formen des Regierens – wurden von Viktor Klima und Wolfgang Schüssel geleitet.
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Österreicher über die Performance der beiden Regierungsparteien immer größer wird.«818 Zu den ideologischen Differenzen kam nunmehr für die beiden Parteien als zusätzlicher Stressfaktor bei den Regierungsverhandlungen der wachsende öffentliche Druck. In der Budgetgruppe ergaben sich bald erhebliche politische Spannungen, da die ÖVP zu der Auffassung gelangte, dass sie von Finanzminister Edlinger erst zu Beginn der Regierungsverhandlungen vollständig über die Problematik der Budgetsituation informiert worden sei.819 Zu Beginn der Regierungsverhandlungen mehrten sich die warnenden Stimmen zahlreicher Experten wie Nationalbank-Gouverneur Klaus Liebscher und des Vorsitzenden des Staatsschuldenausschusses, Helmut Fritsch, die auf die Genesis der Budgetprobleme – mangelnder nachhaltiger Konsolidierungswille der Bundesregierung bei gleichzeitiger Ausgabenfreudigkeit – hinwiesen und massive, auch unpopuläre, weil vor allem ausgabenseitige, strukturelle Maßnahmen einforderten, wobei es keine Tabus geben dürfe. Besorgt meldete sich der Präsident des Rechnungshofes, Franz Fiedler, zu Wort : »Es ist höchste Zeit, dass etwas geschieht – und nicht nur angekündigt wird. Sonst kommen wir unter Kuratel der Europäischen Union.« Um das Budget nachhaltig zu sanieren, seien »einmalige Kraftanstrengungen« ungenügend. Die Sparpakete der vergangenen Legislaturperiode seien »bloß Akte der Verzweiflung, aber keine Reformen« gewesen und hätten die von der EU vorgegebene Verschuldungsgrenze von 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts nicht erreicht. Es sei höchste Zeit, von Budgetkosmetik Abstand zu nehmen und Strukturreformen in Angriff zu nehmen. Die Politik habe die Aufgabe, die Staatsausgaben zu definieren und durch strukturelle Maßnahmen kostspielige Doppelgleisigkeiten sowie den »reichlich unkoodinierten Förderungsdschungel« abzubauen. »Warum muss es ein Nebeneinander von Polizei und Gendarmerie geben ? […] Radikal-Maßnahmen beim Staatsaufbau sind angebracht.«820 In einem Gespräch mit der Tageszeitung »Kurier« ließ ÖVP-Obmann Wolfgang Schüssel durchblicken, dass ihm eine Koalition mit der SPÖ nach altem Muster zuwider sei. Zugleich sei er sich dessen durchaus bewusst, dass die Alternative, eine Koalition mit der FPÖ, eine Belastung für die Partei und das Land wäre. Die Entscheidung der ÖVP werde wesentlich von Sachfragen wie der Budgetsanierung abhängig sein. Diese sei für ihn eine Causa Prima. Heinz Fischer bemerkte mit Blick auf die Regierungsverhandlungen 1999/2000 zum Verhandlungsstil Wolfgang Schüssels : »Bei Wolfgang Schüssel kann man nicht bestreiten, dass er ein effizienter und erfolgreicher Verhandler ist, und ich persönlich empfinde ihn sogar als einen angenehmen 818 FORMAT 51/52/1999. S. 22. 819 Günther Burkert-Dottolo : Die Regierungsbildung 1999/2000. – In : Ders., Bernhard Moser : Die Regierungsbildung in Österreich 1999/2000. Anatomie eines Wechsels. – Wien 2000. S. 23–59. S.42. 820 Kurier 16.12.1999. S. 2.
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Verhandlungspartner. Und das nicht etwa deshalb, weil es zu seiner Verhandlungstaktik gehört, seinem Gegenüber Komplimente zu machen und den Eindruck herbeizuführen, dass er (Schüssel) und sein jeweiliger Verhandlungspartner im Grunde die einzigen sind, die ein bestimmtes Problem wirklich durchschauen – und daher lösen können. Sondern er ist deshalb ein so angenehmer Verhandlungspartner, weil er Wichtiges von weniger Wichtigem unterscheiden kann und bei den weniger wichtigen Dingen nicht Zeit vergeudet, sondern rasch nach vernünftigen Kompromissen sucht. Umso härter und beharrlicher verhandelt er allerdings bei den Dingen, die ihm wirklich wichtig sind. Er hat offenbar auch keine großen emotionalen Probleme, Verhandlungen scheitern zu lassen, wenn ihm das zweckmäßig erscheint.«821 In dem oben erwähnten Gespräch mit dem »Kurier« bestätigte Schüssel die Analyse Fischers, indem er zur Frage der Budgetsanierung seine politischen Claims klar absteckte : »Während andere EU-Länder Überschüsse schreiben, haben wir eine Konsolidierung von mindestens 50 Milliarden Schilling. Daher müssen jetzt notwendige Maßnahmen außer Streit gestellt werden. Außerdem sitzen wir auf einem Schuldenberg von mehr als 40 Milliarden bei der ÖIAG, alles mit Bundeshaftung.« Dies betreffe das Budget und letztlich den Steuerzahler dann, wenn von diesen erheblichen Verbindlichkeiten nichts zurückgezahlt werde. »Das ist ein Riesenproblem, weil irgendwann die Privatisierungserlöse auslaufen und die Zinsen wie die Tilgung ins Budget zurück kippen. Das Gleiche gilt für Post und Telekom oder ASFINAG. Insgesamt geht es um 80 Milliarden. Wir wollen, dass in der nächsten Legislaturperiode durch ein Programm für forcierte Privatisierungen ein für allemal klar gestellt wird, dass der Bund und damit der Steuerzahler aus seiner Haftung entlassen wird.«822 Bereits im Budget 2000, so Finanzminister Edlinger, müssten 20 Milliarden eingespart werden, wobei die ÖVP in ihren Berechnungen von einem Betrag bis 35 Milliarden Schilling ausging. Selbst bei zurückhaltender Berechnung ergab sich in den nächsten Jahren ein Einsparungsvolumen von 50 Milliarden Schilling. Sämtliche Experten waren sich darin einig, dass die kommende Regierung ein über die Maßnahmen der letzten Legislaturperiode hinausgehendes nachhaltiges Sparpaket schnüren werde müssen. Zur geforderten Budgetwahrheit gehörte die Berücksichtigung der Gesamtverbindlichkeit des Bundes durch die Übernahme von Haftungen ausgelagerter Finanzierungsgesellschaften wie der ASFINAG, der Kredithaftungen für ÖIAG, Post und Telekom. Angesichts der Dramatik der Entwicklung war man in der SPÖ zu Schritten bereit, die weit über ihre bisherigen Positionen hinausgingen. Die SPÖ legte der ÖVP 821 Fischer : Wendezeiten. S. 70f. 822 Kurier 16.12.1999. S. 3.
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eine Liste von Ausgliederungen von der Nationalbibliothek über das Schloss Schönbrunn bis zur Spanischen Hofreitschule vor und signalisierte damit ihre Bereitschaft, von bisher heiligen Kühen Abschied zu nehmen. Finanzminister Rudolf Edlinger hatte 1998 eine Studie über »Neue Formen der Erfüllung öffentlicher Aufgaben« in Auftrag gegeben, die von einem Expertenteam unter der Leitung von Kurt Bayer erstellt wurde, und deren Ergebnisse mit zahlreichen bisherigen Tabus brachen. Erstmals wurde der Vorschlag einer weiteren Privatisierung mit einem potenziellen Erlös von 29 Milliarden Schilling unterbreitet. So sehr man sich bei der SPÖ mit weiteren Privatisierungen anfreunden konnte, so bestanden erhebliche Differenzen zwischen den beiden Parteien über deren Ausmaß. Während die ÖVP für eine völlige Privatisierung plädierte, um eine Haftung des Steuerzahlers in Zukunft auszuschließen, wehrte sich die SPÖ gegen einen solchen Schritt und zielte auf die Erhaltung der Republik als Kernaktionär ab, um weiterhin auf die Betriebe Einfluss ausüben zu können. Das Expertenpapier schlug zudem eine Reihe von Maßnahmen vor, die von der Verabschiedung vom Gießkannenprinzip bei den Sozialleistungen über eine einkommensabhängige Familienbeihilfe bis zur Einführung von Studiengebühren reichte. Auch ein Papier des Wirtschaftsforschungsinstituts hatte die Einführung von Studiengebühren mit dem Argument, dadurch mehr Kostenbewusstsein sowie ein rascheres Studium bei den Studierenden erreichen zu können, empfohlen. Im Schulbereich wurden die ständig steigenden Ausgaben bei sinkender Effizienz kritisiert. In Österreich lagen die Ausgaben pro Schüler um 30 bis 40 Prozent über dem EU-Durchschnitt. Den Schulen sollte im Sinne einer erhöhten Effizienz der eingesetzten Mittel Budgethoheit gewährt werden. Bestanden somit in der Frage der Budgetsanierung deutliche Berührungspunkte zwischen den Verhandlern, so trennte diese im Bereich Sicherheitspolitik ein scheinbar unüberwindlichbarer Graben. Wolfgang Schüssel bemerkte zu der von ihm und Viktor Klima geleiteten Arbeitsgruppe, man werde zu Jahresende wissen, »wohin die Reise in der Sicherheitspolitik« gehe und betonte : »Wir müssen am Beginn dieser Verhandlungen wissen, ob Österreich eine europäische Beistandsgarantie vertreten und verhandeln kann. Ich will dazu ein klares Ja. […] Der Schuhlöffel muss jetzt gebogen werden, damit wir bei Kern-Europa dabei sind.«823 Der Beginn der Regierungsverhandlungen erweckte keineswegs den Eindruck eines Neubeginns, sondern war von einem öffentlich ausgetragenen Streit über die Verhandlungsmodalitäten geprägt. Nach dem Ministerrat am 21. Dezember gestand Wolfgang Schüssel, dass der Beginn der Regierungsverhandlungen kein Beispiel für eine »neue Art des Regierens« sei. »Wir unterscheiden uns im Moment überhaupt nicht von der bisherigen Koalition.« Der ÖVP-Obmann stand zu diesem Zeitpunkt auch unter dem Druck der Teil- und Landesorganisationen. In der Vorarlberger 823 Ebda.
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ÖVP sprach sich deren Klubobmann Gebhard Haider, unterstützt von zwei weiteren Abgeordneten, vehement gegen eine Fortsetzung der Koalition mit der SPÖ aus, da man in einer solchen nur verlieren könne. Sogar das Modell einer Abspaltung der steirischen ÖVP nach dem Muster der CSU im Falle einer SPÖ-ÖVPKoalition machte die Runde. Der steirische Klubobmann Hermann Schützenhöfer erklärte, man wolle »nicht als Stammtischrunde enden«. Bei einer Fortsetzung der Koalition mit der SPÖ drohe die Partei bei den nächsten Wahlen »überschaubarer« zu werden und auch der burgenländische ÖVP-Obmann Gerhard Jellasitz äußerte sich skeptisch bis ablehnend zu den Koalitionsverhandlungen.824 Schüssel war daher auch aus innerparteilichen Gründen gezwungen, dem Verhandlungsergebnis einen deutlichen ÖVP-Stempel aufzudrücken, um die Kritiker und Zweifler in der eigenen Partei zu überzeugen. Die Entscheidung der ÖVP für Verhandlungen mit der SPÖ erhielt andererseits Unterstützung durch eine zwischen 9 und 11. Dezember vom Fessel-GfK-Institut durchgeführte Umfrage, nach der sich 37 Prozent der Österreicher und 50 Prozent der ÖVP-Wähler für eine Koalition der ÖVP mit der SPÖ aussprachen. 24 Prozent der Österreicher und etwa gleich viele ÖVP-Anhänger vertraten die Auffassung, dass eine Koalitionsentscheidung vom Ergebnis der Verhandlungen abhängig gemacht werden sollte, elf Prozent der Österreicher, jedoch nur fünf Prozent der ÖVP-Anhänger waren für eine FPÖ-ÖVP-Koalition, während 20 Prozent der Österreicher und ebenso viele der ÖVP-Anhänger der Partei rieten, in Opposition zu gehen. Für 90 Prozent der ÖVP-Wähler blieb die Partei auch dann wählbar, wenn sie neuerlich eine Koalition mit der SPÖ bilden würde, während 50 Prozent der ÖVP-Anhänger dies im Fall der Bildung einer FPÖ-ÖVP-Koalition verneinten. Weitgehende Übereinstimmung zwischen der Gesamtbevölkerung und den ÖVP-Wählern bestand in der Einschätzung der SPÖ, die, so die Meinung von 60 Prozent, »im Wesentlichen so weitermachen« wolle »wie bisher«. 40 Prozent orteten bei der SPÖ Reformbereitschaft.825 Die auch über die Weihnachtstage geführten Verhandlungen brachten keine substanziellen Fortschritte. Die Gründe für das Stagnieren wurden in beiden Parteien (naturgemäß) unterschiedlich verortet. Andreas Khol bemerkt in seiner Darstellung der Ereignisse, dass der ÖVP auf SPÖ-Seite drei Strömungen gegenübergesessen seien. »Der absolut ergebnisorientierte Klima, unterstützt von Häupl (der allerdings nie da war) und Stix. Der stumme, steinerne Gast Nürnberger ; er redete kein Wort und hielt sein Pulver trocken. Die linken Fundis Prammer, Fischer und Kostelka. 824 Kurier 22.12.1999. S. 2f. Viktor Klima stimmte der Analyse Schüssels mit der Bemerkung zu : »Wenn eine Regierung in dieser Form Öffentlichkeitsarbeit betreiben würde, dann wäre sie von vornherein mit einem Makel versehen.« (Ebda. S. 2) 825 Der Standard 22.11.1999. S. 7.
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[…] Die Verhandlungen führte Klima praktisch allein ; er erteilte dem Oberbedenkenträger Fischer nur widerwillig, Kostelka nur mehr selten das Wort. Ein Standardsatz von ihm war ›Den Klubobmann, den overrule ich …‹ Die Verhandlungen gingen zuerst zäh.«826 Khol weist in seiner Darstellung durchaus zutreffend auf die unterschiedlichen Positionen und Kräfteverhältnisse in der SPÖ hin, die allerdings der zu substanziellen Reformen bereite Klima durch sein am 1. Dezember vom Parteipräsidium erhaltenes Mandat zu beherrschen meinte. Die Gruppe der pragmatischen Reformer in der SPÖ um Klima unterschätzte das Beharrungsvermögen und die Stärke der Fraktion Sozialistischer Gewerkschafter und des linken Parteiflügels. Von einem von Klima behaupteten »overrulen« sollte letztlich keine Rede sein. Die Sicht von außen vermittelte EU-Kommissar Franz Fischler, ein erklärter Befürworter einer Neuauflage der SPÖ-ÖVP-Koalition unter geänderten Prämissen. Er hatte bei der Eröffnung des »Kärntner-Hauses« in Brüssel die Politik der FPÖ massiv kritisiert. Ihm sei es dabei darum gegangen, so Fischler, »klar zu stellen, was man sich von einer Regierungspartei in Europa erwartet. Konkret um die Übereinstimmung mit Zielen und Prinzipien der Gemeinschaft : Kein Fremdenhass, keine Ausländerfeindlichkeit, eine pro-europäische Einstellung und eine positive Haltung zur Integration.« Fischer weiter : »Ich habe aber auch deutlich gesagt, dass es falsch ist, Österreich als faschistoides Land und Haider als Nazi hin zu stellen.« Und zu den nunmehr geführten Regierungsverhandlungen zwischen SPÖ und ÖVP : »Es wäre die schlechteste aller Lösungen […], wenn alles weitergeht wie bisher. Österreich braucht Reformen, die an der Struktur etwas ändern. Bei den Regierungsverhandlungen geht es um mehr als um Machtspiele.« Das Problem der ÖVP sei in der Vergangenheit und auch noch in der Gegenwart, dass sie »bei vielen Reformen die treibende Kraft« sein. »Das erkennen viele an, in Wählerstimmen schlägt sich das nicht nieder.« Die ÖVP müsse nunmehr, auch wenn dies von vielen als zu lange und frustrierend empfunden werde, so lange die Verhandlungen führen, bis man wisse, ob die SPÖ es schafft, wirkliche Reformen durchzusetzen. »Was man aus der Gewerkschaft oder aus SP-Parteigremien hört, weist keinen Weg in die Zukunft, sondern zurück in die 60er Jahre. Was mich stört, ist, dass man der ÖVP die Frage vorwirft, ob es einen Sinn macht, mit einer reformunwilligen SPÖ, die nur am Machterhalt interessiert ist, weiter zu regieren. Das Problem ist die Alternative.« Dabei sei nicht nur an eine Koalition mit der FPÖ oder eine SPÖ-Minderheitsregierung denkbar, sondern es sollte auch ein »Kabinett mit Fachleuten, die weder rot noch schwarz« sind, in Erwägung gezogen werden. In der Frage der zur Sollbruchstelle gewordenen Sicherheitspolitik richtete der EU-Kommissar einen Appell an die SPÖ. »Man muss aufhören, die Leute anzulügen, indem man behauptet, die Neutralität ist billiger als ein Sicherheitsverbund. Es ist verlogen zu sagen, dass wir nichts investieren müssen, 826 Khol : Die Wende ist geglückt. S. 99.
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weil wir von NATO-Ländern umgeben sind, wo uns nichts passieren kann. Das ist Trittbrettfahrerei und wird auch von der Gemeinschaft nicht akzeptiert. In der EU muss jeder seinen Beitrag leisten.«827 Heinz Fischer berichtet bei seiner Beschreibung des Innenlebens der SPÖ im Dezember 1999, dass es bei vielen der bereits stattgefundenen Verhandlungen eine gewisse Eigendynamik gegeben habe, die letztlich dazu geführt habe, dass aufgrund der investierten Zeit und Energie schließlich doch ein allgemein akzeptables Ergebnis herausgekommen sei, weil beide Seiten dies so wollten. Nunmehr habe es in der SPÖ unterschiedliche Auffassungen gegeben. »Ich persönlich zählte zu jenen, die meinten, dass in der ÖVP zumindest mehrheitlich größeres Interesse an einer Koalition mit der SPÖ als einer Koalition mit der FPÖ bestünde. Es gab aber gar nicht so wenige Freunde und Gesprächspartner innerhalb und außerhalb der SPÖ, die das für eine Illusion hielten und der Meinung waren, dass die ÖVP-Spitze die Koalition mit der SPÖ nur als eine von zwei Möglichkeiten und nicht einmal für die bessere dieser beiden Möglichkeiten betrachtete. Ich hielt dem entgegen, dass sich Schüssel zwar die Option für eine Koalition mit der FPÖ offen hielt, dass er aber in seiner Partei mit einem ›guten Verhandlungsergebnis mit der SPÖ‹ doch leichter durchkommen würde – es sei denn, die Chance zur Eroberung der Funktion des Bundeskanzlers in einer ÖVP-FPÖ-Koalition würde zum ausschlaggebenden Kriterium. Die Kunst der weiteren Verhandlungen bestünde also darin, ein Ergebnis zu erzielen, das die Option der ÖVP-FPÖ-Koalition nicht allzu verlockend für die ÖVP macht (was Konzessionen der SPÖ voraussetzt), aber auch für die SPÖ einigermaßen akzeptabel ist, was wiederum Abstriche von ÖVP-Positionen erfordert.«828 Die Verhandlungen wurden zu Weihnachten ohne substanzielles Ergebnis unterbrochen. In der ÖVP war man besonders über die Entwicklung des Budgets beunruhigt und über das Verhalten von Finanzminister Rudolf Edlinger empört, der trotz mehrmaliger Urgenz von Wolfgang Schüssel im Ministerrat konkrete Angaben über das drohende Defizit vermieden hatte. Andererseits sah man in dem drohenden Budgetdefizit und dem Druck der Erfüllung der Konvergenzkriterien für die Teilnahme am Euroraum die Chance, die SPÖ zu strukturellen und tiefgreifenden Reformen bewegen zu können. Man werde sich der SPÖ nicht verweigern, wenn diese zu den notwendigen Reformschritten bereit sei, ließ der ÖVP-Obmann kurz vor den Weihnachtsfeiertagen wissen. Sollte dies allerdings nicht der Fall sein, so die indirekte Aussage, werde man eine politische Alternative in Form einer Koalition mit der FPÖ, die zu solchen Schritten offensichtlich bereit sei, in Erwägung ziehen. Der ÖVP-Obmann stand dabei auch innerparteilich unter Druck, da die mächtigen Landesorganisationen der Steiermark und Niederösterreichs, der ÖAAB sowie im827 Kurier 29.12.1999. S. 3. 828 Fischer : Wende Zeiten. S. 71f.
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mer größere Teile des Wirtschaftsbundes für die Wahrnehmung dieser Alternative mit dem Argument plädierten, dass die ÖVP in der Fortführung der Koalition mit der SPÖ weiterhin die undankbare Rolle des Zweiten ausübe und weiter Stimmen verlieren werde. Dieser Stimmenverlust sei der Fluch des kleineren Regierungspartners, auch wenn dieser die Funktion der treibenden Kraft in der Regierung ausübe. Sei die Regierungspolitik erfolgreich, würde die größere Regierungspartei den Lohn für sich reklamieren und auch vom Wähler zum Großteil zugesprochen erhalten. Sei sie aufgrund des Reformwiderstandes der SPÖ erfolglos, würde dies vor allem vom eigenen Klientel auf mangelnde Durchsetzungsfähigkeit der Partei zurückgeführt werden und ein weiteres Abwandern zur FPÖ oder zu den Grünen wäre die Folge. Die ÖVP sei somit im Falle einer Fortsetzung der Koalition mit der SPÖ in jedem Fall in der Rolle des Verlierers. Nur bei einer ÖVP-FPÖ-Regierung sei sie in der Lage, die als notwendig erkannten strukturellen Reformen in Angriff zu nehmen und damit nicht nur die Verantwortung zu tragen, sondern auch die erhofften positiven Effekte zu lukrieren. Die Bildung einer ÖVP-FPÖ-Regierung sei auch nach dem sichtlichen Abrücken der FPÖ von für die ÖVP nicht akzeptablen Positionen vor allem im Bereich der Europapolitik aufgrund der größeren gemeinsamen politischen Schnittmenge die zu bevorzugende Variante. Doch auch die Gruppe der Befürworter eines Gangs in die Opposition meldeten sich zu Wort. Für diese politische Option, die vor allem von der steirischen Landeshauptfrau Waltraud Klasnic vertreten wurde, wurden vor allem drei Argumente ins Treffen geführt : 1. Das Einhalten des gegebenen Wortes ohne Wenn und Aber im Sinne der politischen Glaubwürdigkeit ; 2. die Weigerung, sich vom Boulevard und dem Bundespräsidenten in eine Koalition mit der SPÖ zwingen zu lassen und 3. die Möglichkeit der Regeneration in der Opposition. Da bei einem Gang in die Opposition Viktor Klima mit großer Wahrscheinlichkeit vom Bundespräsidenten mit der Bildung einer Minderheitsregierung beauftragt werde, sei deren politisches Überleben von der Unterstützung der ÖVP in bestimmten Sachfragen abhängig. Diese sei aber nur dann gegeben, wenn auch notwendige und oftmals auch unpopuläre Maßnahmen gesetzt würden, deren elektorale Konsequenzen dann alleine die SPÖ zu tragen habe. Die ÖVP sei damit in der Lage, den Zeitpunkt neuerlicher Wahlen selbst durch geschicktes taktisches Verhalten zu bestimmen. Wenngleich Schüssel sämtliche Argumente erwog, so tendierte er zu diesem Zeitpunkt für die Fortsetzung der Koalitionsgespräche mit der SPÖ mit dem Ziel einer die Handschrift der ÖVP tragenden Regierungsvereinbarung. Wenn die ÖVP bei den nunmehr folgenden entscheidenden Verhandlungen ihre Positionen konsequent vertrete, sei die in sich zwischen Reformern und Strukturkonservativen gespaltene SPÖ aus Gründen des Machterhalts zu substanziellen Zugeständnissen, vor allem in der Wirtschafts-, Finanz-, Sozial- und Sicherheitspolitik, bereit. In diesem Fall ließe sich auch aus der Position des Zweiten durchaus Gewinn ziehen und ergebe
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sich die Chance, bei der nächsten Nationalratswahl die SPÖ sowohl an Stimmen wie an Mandaten zu überholen. Und eine die Handschrift der ÖVP tragende Regierungsvereinbarung und zukünftige Politik würde das weitere Abwandern von ÖVPSympathisanten zur FPÖ nicht nur stoppen, sondern könnte diesen Trend sogar umkehren. Schüssels Position in der ÖVP war unangefochten, weshalb er seine Linie in der Partei durchzusetzen vermochte. Der immer wieder erhobene Vorwurf, Schüssel habe die Regierungsverhandlungen a priori auf deren Scheitern hin angelegt, um eine Koalition mit der FPÖ zu vereinbaren und in das Bundeskanzleramt einzuziehen, entspricht nicht den Tatsachen. Am 29. Dezember erstatteten die beiden Partei- und Verhandlungsführer Bundespräsident Klestil Bericht über die laufenden Verhandlungen. Im Vorfeld kam es dabei zu einem heftigen Schlagabtausch der Verhandlungspartner, als Familienminister Martin Bartenstein in einem Gespräch mit der Tageszeitung »Die Presse« heftige Kritik an Finanzminister Rudolf Edlinger wegen dessen überraschender Ankündigung eines drohenden Budgetdefizits und des darauf folgenden Sparerlasses für alle Ministerien übte. »Ich schätze seine Kompetenz zu sehr, als dass ich ihm abnehme, dass er erst jetzt auf das Budgetloch draufgekommen ist.« Nach Berechnungen der ÖVP betrage das drohende Defizit zwischen 35 und 45 Milliarden Schilling anstatt der von Edlinger zuletzt genannten 20 Milliarden. In den wöchentlichen Regierungssitzungen habe der Finanzminister kein Wort über die dramatische Budgetentwicklung verloren. »Wir waren nicht informiert und mit großer Wahrscheinlichkeit auch nicht die Minister der SPÖ. […] Edlinger hat die Regierung nicht zeitgerecht und nicht vollständig informiert.« Landwirtschaftsminister Wilhelm Molterer, der mit der SPÖ in einer Untergruppe über das Budget verhandelte, betonte, dass bei einem Ausbleiben struktureller Reformen das Budgetdefizit bis 2003 auf 50 Milliarden Schilling anzuwachsen drohe, womit sich ein Gesamtsanierungsbetrag bis 2003 von 165 Milliarden ergebe. Es sei daher notwendig, vor allem ausgabenseitige Einsparungen vorzunehmen.829 Aus Brüssel mahnte EU-Kommissar Franz Fischler mit Hinweis auf die budgetäre Situation des Landes eine baldige Regierungsbildung ein. Die EU und die Finanzminister der Eurostaaten hätten die Neuverschuldung Österreichs, die die höchste aller Mitgliedsländer sei, kritisch kommentiert, weshalb nunmehr massive Anstrengungen unternommen werden müssten, um im europäischen Spitzenfeld zu bleiben. Vor allem von Gewerkschaftsseite sei jedoch ein deutliches Beharrungsvermögen feststellbar, das die notwendigen Reformmaßnahmen zu blockieren drohe. Die SPÖ sei daher aufgefordert, diesen innerparteilichen Widerstand im Interesse der Zukunftsfähigkeit des Landes zu überwinden und den Weg zu substanziellen Reformen ohne Tabu frei zu machen.830 829 Die Presse 30.12.1999. S. 7. 830 Die Presse 3.1.2000. S. 6.
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Für die ÖVP wies Wolfgang Schüssel gegenüber der »Presse« darauf hin, dass das Offenhalten der NATO-Option eine Bedingung für den Eintritt in eine Koalitionsregierung sei. Über diese zentrale Frage der Außen- und Sicherheitspolitik sei noch gar nicht gesprochen worden. Es sei aber für seine Partei von zentraler Bedeutung, dass sich Österreich »zu 100 Prozent in die neu entstehende europäische Sicherheitspolitik« einklinke, das bedeute : »kohärente Mitgliedschaft in allen Gruppierungen«. In dieser Frage würden aber SPÖ und Grüne eine unverantwortliche Blockadepolitik betreiben. Dabei werde völlig außer Acht gelassen, dass die Sicherheitspolitik in der EU von ihrer Bedeutung und Dimension her mit der Schaffung des Euro oder des Binnenmarktes vergleichbar sei. »Wenn wir die NATO-Option nicht offenhalten, dann verlieren ja alle anderen Schritte sofort an Glaubwürdigkeit, die sind ja dann Schall und Rauch. Eine europäische Beistandsgarantie nach heutigem Wissensstand gibt es nur, wenn auch diese Möglichkeit offen ist.«831 Kurz nach Wiederaufnahme der Verhandlungen im Jänner 2000 bemerkte er gegenüber der Tageszeitung »Der Standard«, es müsse bis Mitte Jänner zu einer endgültigen Entscheidung kommen. »Wenn die SPÖ bereit ist, die notwendigen Dinge zu machen, wird sich die ÖVP dem nicht verweigern.« Sollten die Gespräche mit der SPÖ allerdings scheitern, sei eine Koalition mit der FPÖ »eine logische Alternative«.832 Von einer substanziellen Annäherung der beiden Verhandlungspartner konnte vor Jahresende somit keine Rede sein und der Bundespräsident sah sich veranlasst, ehrliche Absichten im Interesse des Landes sowie Intensität und Zügigkeit der Gespräche einzumahnen. Die Verhandler sollten ihm Mitte Jänner 2000 neuerlich Bericht erstatten. Zwei Tage später betonte er in seiner Neujahrsansprache, die Dauer der laufenden Regierungsgespräche sei nicht so wichtig, »sondern ob ein gemeinsam erarbeitetes Programm eine gute Politik in der Zukunft möglich« mache. Um dieses Ziel zu erreichen, sei »allerdings die Bereitschaft der Partner zum Verzicht auf überholte ideologische Positionen und zu einer Reformgesinnung, die die Notwendigkeiten des neuen Jahrhunderts entspricht,« notwendig. Die Parteien müssten sich zu diesem Zweck auch aus jenen Bereichen zurückziehen, in denen »sie in einer modernen Demokratie eigentlich nichts zu suchen« hätten. Klestil forderte auch in ungewohnter Offenheit den Mut zu strukturellen Reformen und den Abschied von der Gefälligkeitsdemokratie ein. »Denn die Wählerinnen und Wähler wissen zu gut, dass Wahlgeschenken zumeist Sparpakete folgen.«833 Wenngleich diplomatisch verpackt und als Aufforderung an beide Verhandlungsparteien formuliert, war das vor allem von der »Kronen Zeitung« massiv unterstützte 831 Die Presse 30.12.1999. S. 7. 832 Der Standard 10.1.2000. S. 7. 833 Die Presse 3.1.2000. S. 6.
Eine neuerliche Pensionsreform als zentraler Bestandteil der Reformagenda
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Werben des Bundespräsidenten für die Fortsetzung der SPÖ-ÖVP-Koalition bei einer gleichzeitigen Ablehnung einer ÖVP-FPÖ-Koalition offensichtlich und erregte bei der ÖVP zunehmend ablehnende Reaktionen. So erklärte Elisabeth Gehrer unmittelbar vor der Wiederaufnahme der Verhandlungen am 4. Jänner 2000 : »Der Bundespräsident muss so vorgehen, wie er es für richtig hält. Wir wollen die Freiheit haben zu entscheiden, was ist gut für Österreich und was ist gut für die Volkspartei. Diese Freiheit werden wir uns trotz aller Wortmeldungen auch weiter herausnehmen.« Für die ÖVP sei Österreich stets an erster Stelle gestanden, es sei aber auch legitim, das Wohl der Partei im Auge zu behalten. »Schließlich wollen wir beim nächsten Mal zulegen.« Man werde bei der schließlich zu treffenden Entscheidung vor allem das politisch als notwendig Erkannte in den Vordergrund stellen. Die Chancen für einen positiven Abschluss der Regierungsverhandlungen seien dann gegeben, »wenn die Altlinken von Kanzler Klima unter Druck gesetzt« würden und Klima sich durchsetze.834 Als zentrale Punkte der nunmehr intensiv geführten Verhandlungen erwiesen sich notwendige Maßnahmen im Sozialbereich, vor allem in jenem der Pensionen, beim Budget und der Sicherheitspolitik.
IX.2 Eine neuerliche Pensionsreform als zentraler Bestandteil der Reformagenda. Der Widerstand der Gewerkschaft. Oder : Vom schwierigen Innenleben der SPÖ Anfang Jänner 2000 kam ein Gutachten des Pensionsbeirates zu dem Ergebnis, dass trotz der 1997 beschlossenen und mit Jahresbeginn 2000 in Kraft tretenden Pensionsreform die Zahl der Pensionisten bis 2004 um 145.000 auf 2.070.000 steigen werde. Rechne man die Beamtenpensionisten hinzu, ergebe sich ein zusätzliches Ansteigen um 285.000 auf rund 2.357.000. Der Bundeszuschuss zu den ASVGPensionen werde von 1999 bis 2004 von 63 auf 89,5 Milliarden Schilling, d. h. um 42,1 Prozent, steigen. Der gesamte Pensionsaufwand steige in diesem Zeitraum um fast 25 Prozent auf 353,7 Milliarden Schilling. Dieser Entwicklung stünden relativ wenige Beitragszahler gegenüber, d. h., immer weniger Beitragszahler müssten immer mehr Pensionisten alimentieren. Kamen 1999 621 Pensionisten auf 1.000 Erwerbstätige, so steige diese Quote bis 2004 auf 640 Pensionisten. Beunruhigend sei auch, dass trotz aller Bemühungen der Trend in die Frühpension nicht gestoppt werden konnte. Allein zwischen November 1998 und November 1999 war die Zahl der Frühpensionisten um 10.000 auf 232.000 gestiegen. Eine zusätzliche Belastung der Pensionszahlungen ergab sich aus der steigenden Lebenserwartung. Betrug diese 834 Kurier 5.1.2000. S. 3.
Eine neuerliche Pensionsreform als zentraler Bestandteil der Reformagenda
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Werben des Bundespräsidenten für die Fortsetzung der SPÖ-ÖVP-Koalition bei einer gleichzeitigen Ablehnung einer ÖVP-FPÖ-Koalition offensichtlich und erregte bei der ÖVP zunehmend ablehnende Reaktionen. So erklärte Elisabeth Gehrer unmittelbar vor der Wiederaufnahme der Verhandlungen am 4. Jänner 2000 : »Der Bundespräsident muss so vorgehen, wie er es für richtig hält. Wir wollen die Freiheit haben zu entscheiden, was ist gut für Österreich und was ist gut für die Volkspartei. Diese Freiheit werden wir uns trotz aller Wortmeldungen auch weiter herausnehmen.« Für die ÖVP sei Österreich stets an erster Stelle gestanden, es sei aber auch legitim, das Wohl der Partei im Auge zu behalten. »Schließlich wollen wir beim nächsten Mal zulegen.« Man werde bei der schließlich zu treffenden Entscheidung vor allem das politisch als notwendig Erkannte in den Vordergrund stellen. Die Chancen für einen positiven Abschluss der Regierungsverhandlungen seien dann gegeben, »wenn die Altlinken von Kanzler Klima unter Druck gesetzt« würden und Klima sich durchsetze.834 Als zentrale Punkte der nunmehr intensiv geführten Verhandlungen erwiesen sich notwendige Maßnahmen im Sozialbereich, vor allem in jenem der Pensionen, beim Budget und der Sicherheitspolitik.
IX.2 Eine neuerliche Pensionsreform als zentraler Bestandteil der Reformagenda. Der Widerstand der Gewerkschaft. Oder : Vom schwierigen Innenleben der SPÖ Anfang Jänner 2000 kam ein Gutachten des Pensionsbeirates zu dem Ergebnis, dass trotz der 1997 beschlossenen und mit Jahresbeginn 2000 in Kraft tretenden Pensionsreform die Zahl der Pensionisten bis 2004 um 145.000 auf 2.070.000 steigen werde. Rechne man die Beamtenpensionisten hinzu, ergebe sich ein zusätzliches Ansteigen um 285.000 auf rund 2.357.000. Der Bundeszuschuss zu den ASVGPensionen werde von 1999 bis 2004 von 63 auf 89,5 Milliarden Schilling, d. h. um 42,1 Prozent, steigen. Der gesamte Pensionsaufwand steige in diesem Zeitraum um fast 25 Prozent auf 353,7 Milliarden Schilling. Dieser Entwicklung stünden relativ wenige Beitragszahler gegenüber, d. h., immer weniger Beitragszahler müssten immer mehr Pensionisten alimentieren. Kamen 1999 621 Pensionisten auf 1.000 Erwerbstätige, so steige diese Quote bis 2004 auf 640 Pensionisten. Beunruhigend sei auch, dass trotz aller Bemühungen der Trend in die Frühpension nicht gestoppt werden konnte. Allein zwischen November 1998 und November 1999 war die Zahl der Frühpensionisten um 10.000 auf 232.000 gestiegen. Eine zusätzliche Belastung der Pensionszahlungen ergab sich aus der steigenden Lebenserwartung. Betrug diese 834 Kurier 5.1.2000. S. 3.
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1970 bei Männern 66,5 Jahre, so stieg sie 1998 auf 74,7 Jahre, bei Frauen im selben Zeitraum von 73,4 auf 80,9 Jahre.835 Am 5. Jänner wies Finanzminister Rudolf Edlinger in einer Vorbesprechung des SPÖ-Verhandlungsteams auf diese beunruhigende Entwicklung hin und plädierte aus budgetären Gründen für eine Erhöhung des Frühpensionsalters um zwei Jahre. Jedes Jahr einer längeren Erwerbszeit erspare dem Budget 10 Milliarden Schilling an Bundeszuschüssen. Mit diesem Vorschlag stieß er jedoch auf den entschiedenen Widerstand des Chefs der Metallarbeitergewerkschaft Richard Nürnberger. Nürnberger betrachtete die Maßnahmen der 1997 beschlossenen Pensionsreform als ausreichend und wies zudem darauf hin, dass die Anhebung des Frühpensionsalters ein Ansteigen der Arbeitslosenrate in dieser Altersgruppe zur Folge habe, wodurch sich entsprechende Mehrkosten im Bereich der Arbeitslosenversicherung ergäben und damit ein finanzielles Nullsummenspiel mit verheerenden politischen Folgen für die SPÖ. Um der SPÖ ein flexibleres Agieren bei den Verhandlungen zu ermöglichen, bot er seinen Rückzug aus dem Verhandlungsteam an. Wenngleich dies von den übrigen Mitgliedern des SPÖ-Verhandlungsteams abgelehnt wurde, sollte sich diese Thematik schließlich als Stolperstein der Verhandlungen erweisen. Nicht nur Finanzminister Edlinger, sondern auch die ÖVP forderte angesichts der beunruhigenden Entwicklung im Bereich des Pensionssystems deutliche Änderungen beim faktischen Pensionsantrittsalter durch eine deutliche Erhöhung der Abschläge für Frühpensionisten. Wenngleich SPÖ-intern von Finanzminister Edlinger durchaus ähnliche Überlegungen angestellt wurden, reagierte SPÖ-Klubobmann Peter Kostelka auf den ÖVP-Vorschlag ablehnend, indem er darauf hinwies, dass die 1997 beschlossene Pensionsreform erst einige wenige Tage in Kraft sei, und er erklärte : »[Ich glaube nicht,] dass wir – SPÖ und ÖVP gemeinsam – 1997 so falsch gerechnet haben, dass man jetzt schon wieder etwas ändern muss.«836 Vielmehr sollte man über eine Senkung der Lohnnebenkosten bei älteren Arbeitnehmern nachdenken. Das für 2000 drohende Budgetdefizit erforderte jedoch, trotz allen Widerstandes der Gewerkschaft, neuerliche Reformmaßnahmen im Pensionsbereich, zu denen sich nunmehr auch das SPÖ-Verhandlungsteam bekannte. Vor dem neuerlichen Zusammentreffen der beiden Verhandlungsteams am 10. Jänner erklärte SPÖ-Bundesgeschäftsführer Andreas Rudas mit Blick auf das Gutachten des Pensionsbeirates und die Situation des Budgets : »Ein Anheben [der Frühpension, Anm. d. Verf.] ist im Interesse der Budgetsituation notwendig. Es kann nicht sein, dass immer mehr Menschen früher in Pension gehen und länger in Pension bleiben. Die wichtigste Aufgabe ist, Maßnahmen zu treffen, um Frühpensionierungen zu erschweren. Das faktische Pensionsalter muss sich dem gesetzlichen nähern. Es gibt dafür verschie835 Der Standard 7.1.2000. S. 1 und 6. 836 Kurier 5.1.2000. S. 3.
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dene Modelle. Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen.« Unterstützung erhielt er durch Bernd Rürup, der gegenüber der APA erklärte : »Das ist unumgänglich. Das System kann nur durch Verlängerung der Erwerbsphase finanziert werden.«837 In der siebenstündigen Verhandlungsrunde erzielten SPÖ und ÖVP eine substanzielle Annäherung. Um eine Halbierung des Zuwachses des Bundeszuschusses für die Pensionen bis 2003 von 26 auf 13 Milliarden Schilling zu erreichen, sollten das Frühpensionsalter um zwei Jahre angehoben und die Abschläge beim Antritt einer Frühpension von zwei auf vier Prozent pro Jahr erhöht werden. Nach dem Bekanntwerden dieser Annäherung kommentierte Inge Baldinger prophetisch, offensichtlich sei nunmehr auch die SPÖ »zur Einsicht gelangt […], dass die letzte Pensionsreform zwar ausreichend war, um der Regierung Klima einen guten Einstand zu ermöglichen, aber ganz gewiss nicht, um das Pensionssystem langfristig am Leben zu halten.« Nunmehr müsse man »zurück an den Start«. Den könne man sich schon ausmalen : »Die Gewerkschaft wird wieder toben und brüllen. … Das hatten wir alles schon, als die Pensionsreform 1997 im Entstehen war. Vor allem Kapitulationen.« Die Gewerkschaft habe die substanziellen Vorschläge der Regierung durch ihren massiven Widerstand so verwässert, dass eine Minireform das Ergebnis gewesen wäre. »Alle, wirklich alle wussten, dass diese Reform nimmer ausreichen kann, um die Finanzierbarkeit des Pensionssystems auch über das Jahr 2010 hinaus zu sichern. Aber der Regierung war damals der Reformspatz in der Hand lieber als die Gewerkschaft auf dem Dach. Und jetzt ? Jetzt muss die Regierung genau das durchsetzen, was sie sich vor drei Jahren hat herunterhandeln lassen. Nur ist sie selbst in der Zwischenzeit sicher nicht stärker und das Beharrungsvermögen der Gewerkschaft sicher nicht schwächer geworden. Die Erfolgsaussichten kann man sich ausmalen. Na toll.«838 Das von Baldinger erwähnte Beharrungsvermögen der Gewerkschaft wurde bei deren Reaktionen auf die in der Arbeitsgruppe erarbeiteten Vorschläge für eine neuerliche Pensionsreform deutlich. Diese stießen jedoch beim ÖGB auf Unverständnis und offene Ablehnung. Am 11. Jänner tagte der Bundesvorstand der SP-Gewerkschafter. Im Vorfeld dieser Tagung ließ sich der Vorsitzende der Gewerkschaft BauHolz, Johann Driemer, mit der Bemerkung vernehmen : »Eine Anhebung des Frühpensionsalters ohne gleichzeitige Verbesserungen im Bereich der Gesundheitspolitik bedeutet eine Verleugnung der eigentlichen Probleme unserer Arbeitnehmer.«839 Der Generalsekretär der Privatangestellten-Gewerkschaft, Wolfgang Katzian, er klärte sichtlich erbost : »Da muss man schon die Frage stellen, ob man sich damit nicht von der Sozial- und der Sozialversicherungspolitik verabschiedet. Es ist 837 Kurier 10.1.2000. S. 2. 838 Inge Baldinger : Warum nicht schon 1997. – In : SN 11.1.2000. S. 2. 839 Die Presse 11.1.2000. S. 7.
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schlicht zu einfach, mit den Argumenten eines Buchhalters Politik zu machen.«840 Unterstützung erhielt die ablehnende Haltung der Gewerkschaft durch die Grünen, deren Sozialsprecher Karl Öllinger die neuerlich aufbrechende Diskussion über eine Erhöhung des Pensionsalters als »furchtbar« bezeichnete.841 Wenige Stunden vor dem Zusammentreten des Bundesvorstandes der SP-Gewerkschafter erklärte Viktor Klima nach einem Ministerrat in Richtung des zu erwartenden Widerstandes seiner Parteifreunde, er werde für eine Spitzenfunktion nicht mehr zur Verfügung stehen, sollte er seine »konkreten Projekte, die Österreich gerechter machen« würden, nicht durchbringen. Er wolle »keine beliebige Regierung und kein beliebiges Arbeitsprogramm.«842 Die interne Lage war zu diesem Zeitpunkt in beiden Parteien angespannt. Am 9. Jänner tagte die Führungssitze der ÖVP843 am Tulbinger Kogel, um das weitere Vorgehen bei den Regierungsverhandlungen zu fixieren. Die unterschiedlichen Positionen in der Partei mussten akkordiert und der Eindruck der divergierenden Standpunkte vermieden werden. Die steirische Landeshauptfrau Waltraud Klasnic hatte am 7. Jänner für den Fall einer neuerlichen Koalition mit der SPÖ ein »revolutionäres Reformprogramm« gefordert. Sollte die ÖVP dieses nicht erreichen und ein bloßes Kompromissabkommen mit der SPÖ schließen, werde aus dem Süden eine »entsprechende Antwort« kommen. Die steirische Landeshauptfrau fand, unterstützt von Landesrat Gerhard Hirschmann, lobende Worte für Jörg Haider und konnte sogar dem von diesem geforderten Flat-Tax-Modell, wenn auch in abgewandelter Form, einiges abgewinnen.844 Sowohl im ÖAAB als auch im Wirtschaftsbund wurde der Druck der mittleren und unteren Funktionäre immer stärker, sich von Verhandlungen mit der SPÖ zu verabschieden und die politische Option einer Koalition mit der FPÖ zu wählen. Die Fortsetzung der Koalition mit der SPÖ würde massiven Widerstand bei der Funktionärsbasis auslösen. Und auch aus der mächtigen niederösterreichischen Landesorganisation wurden zunehmend kritische Wortmeldungen über die Reformfähigkeit der SPÖ bekannt. So erklärte Landeshauptmann Erwin Pröll, er glaube nicht, dass »bei aller Staatsverantwortung, die die ÖVP zu tragen« habe, eine Koalition mit der SPÖ noch einmal funktioniere. Selbst wenn man mit Viktor Klima eine Verständigung erreiche, werde dieser parteiintern an der Umsetzung der notwendigen Reformen gehindert werden. Riskiere die ÖVP eine Koalition mit der SPÖ, werde sie zusammen mit einem durch die parteiinternen 840 Kurier 12.1.2000. S. 3. 841 Die Presse 11.1.2000. S. 7. 842 Kurier 12.1.2000. S. 2. 843 Die Führungsspitze der ÖVP bildeten die Obleute der neun Landesorganisationen, von denen sechs Landeshauptleute waren, die Obleute der sechs Teilorganisationen sowie die Mitglieder des ÖVP-Verhandlungsteams. 844 Der Standard 8./9.1.2000. S. 1 und 7.
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Widerstände gehemmten Klima untergehen. Daher gehe es bei einer Koalitionsentscheidung »um die Existenz der Partei«.845 Parteiintern wurde die Variante diskutiert, dass Wolfgang Schüssel im Fall einer Fortsetzung der Koalition mit der SPÖ eine Obmanndiskussion zu erwarten habe. Die Schließung der eigenen Reihen sowie die Akkordierung der unterschiedlichen Stimmungslagen in der Partei waren daher dringend geboten. Nach stundenlangen Verhandlungen wurde in den Morgenstunden des 10. Jänner auf dem Tulbinger Kogel eine konsensuale Linie formuliert : »Die Frage, mit wem die Koalition gebildet wird, ist nur über die Lösung der Sachfrage möglich. Wenn wir die Wendeagenda mit der SPÖ durchsetzen können, wenn die wichtigen offenen Fragen positiv beantwortet werden, dann gibt es eine Koalition mit der SPÖ. Wenn dies scheitert, muss die andere Alternative umgesetzt werden.«846 Vor einem eventuellen Abschluss der Verhandlungen mit der SPÖ musste die Parteispitze kontaktiert und deren Zustimmung eingeholt werden. Gleichzeitig wurden in der SPÖ die innerparteilichen Fronten immer deutlicher sichtbar, wobei sich nicht nur eine Kraftprobe zwischen dem pragmatischen und dem linken Parteiflügel abzeichnete, sondern vor allem eine zwischen dem SPÖVerhandlungsteam, vor allem Parteiobmann Viktor Klima, und den SP-Gewerkschaftern. Da das Verhandlungsergebnis in beiden Parteien von den Parteigremien gebilligt werden musste, war Viktor Klima bemüht, den zu erwartenden Widerstand des mächtigen Gewerkschaftsflügels bereits während der Verhandlungen zu überwinden. Nicht Klima, sondern Edlinger und Bundesgeschäftsführer Rudas erschienen bei der Vorstandssitzung der SP-Gewerkschafter, um deren Zustimmung zu der geplanten neuerlichen Pensionsreform zu erlangen. Bis 2003 sollte etappenweise das Frühpensionsalter für Männer und Frauen um jeweils zwei Jahre auf 62 bzw. 57 Jahre angehoben, im Gegenzug dazu allerdings für die über 50-Jährigen die Lohnnebenkosten um 15 bis 17 Prozent gesenkt werden. Einer Budgetentlastung von acht Milliarden Schilling würde eine Belastung der Arbeitslosenversicherung in der Höhe von einer Milliarde Schilling korrespondieren. In der Vorstandssitzung stieß der Plan Edlingers auf massive Ablehnung. Die Ablehnungsfront argumentierte mit der 1997 ohnedies beschlossenen Pensionsreform, dem notwendigen Vertrauensschutz und dem Vorwurf, dass man mit einer neuerlichen Reform lediglich Budgetlöcher stopfen wolle. Das Budgetdefizit und die Pensionen sollten nicht vermischt werden, die Budgetproblematik dürfe nicht zu einem erheblichen Teil auf Kosten der Pensionisten bewältigt werden. Ein Sitzungsteilnehmer bemerkte : »Es gibt den Grundsatz von Treu und Glauben. Wir können einen Arbeiter, der 2001 sechzig wird, nicht Mitte dieses Jahres plötzlich 845 FORMAT 3/2000. S. 26. 846 Zit. bei Khol : Die Wende ist geglückt. S. 100.
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vor die Tatsache stellen, dass er noch zwei Jahre arbeiten muss.«847 Unterstützung erhielten die Gewerkschafter von der AK, deren Präsident Herbert Tumpel darauf hinwies, dass von den rund 70.000 sich in Frühpension befindenden Österreichern zwei Drittel arbeitslos wären und der Rest gesundheitlich eingeschränkt oder invalid sei. »Daran ändert sich doch nichts, wenn man nur das Pensionsalter hinaufsetzt.«848 Und AK-Experte Helmut Ivansits erklärte, eine Erhöhung des Pensionsantrittsalters sei verfassungsrechtlich problematisch. »Das geht einwandfrei rechtlich nur ab dem Jahr 2010 bis 2015. Die Leute brauchen Vertrauensschutz.«849 Damit eröffnete sich in der SPÖ eine äußerst gefährliche Kluft. Die Verhandlungsparteien hatten beschlossen, die Ergebnisse ihrer Gespräche von den Parteigremien absegnen zu lassen. Die Gewerkschafter stellten ein Drittel der Abgeordneten des SPÖ-Nationalratsklubs und waren auch im Parteivorstand stark vertreten. Ihre am 11. Jänner ausgesprochene Ablehnung der ausgehandelten Reformschritte im Pensionsbereich implizierte damit letztlich das Scheitern der Verhandlungen. Im Gegensatz zur Pensionsproblematik erzielten SPÖ und ÖVP in einem anderen sensiblen Punkt, der Sicherheitspolitik, ein Übereinkommen. Am 5. Jänner hatte Wolfgang Schüssel während der Verhandlungen im Bundeskanzleramt Heinz Fischer, die zentrale Figur in sicherheitspolitischen Fragen innerhalb der SPÖ, zu persönlichen Gesprächen über das Kapitel »Sicherheitspolitik« eingeladen. Nach Rücksprache mit Viktor Klima willigte Fischer in dieses Vorgehen ein. In ihrem Verhandlungspapier schlug die ÖVP vor, dass sich Österreich für eine bestimmte Zeit um eine europäische Sicherheitsarchitektur einschließlich einer Beistandsverpflichtung aller 15 EU-Staaten bemühen solle. Blieben diese Bemühungen erfolglos, sollte die Option eines NATO-Beitritts gültig werden. Für die SPÖ und Fischer kam jedoch diese Konsequenz in ihrer Automatik nicht in Frage, weshalb er einen Kompromissvorschlag unterbreitete, der den ÖVP-Vorstellungen weit entgegen kam. Wenn die Bemühungen um die Schaffung einer europäischen Sicherheitsarchitektur mit einer Beistandspflicht der 15 EU-Staaten scheiterten, sollte der Außenminister in Absprache mit dem Bundeskanzler Sondierungen über andere Optionen führen und der Bundesregierung über das Ergebnis dieser Sondierungen Bericht erstatten. Damit lag die Entscheidung beim Ministerrat und gegen den Willen der SPÖ konnte keine sicherheitspolitische Weichenstellung erfolgen. Fischer bemerkt im Rückblick : »[Mir ist es] darauf angekommen, einen großen Stolperstein aus dem Weg zu schaffen und eine Lösung zu finden, die für Schüssel und die ÖVP interessant ist, obwohl ein NATO-Beitritt für die SPÖ verhinderbar bleibt.«850 847 FORMAT 3/2000. S. 37. 848 Ebda. S. 36. 849 Kurier 12.1.2000. S. 3. 850 Fischer : Wende Zeiten. S. 76.
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Ebenfalls am 11. Jänner kam es hinter der inzwischen auch einem breiteren Publikum bekannten Tapetentür der Hofburg zu einem Gespräch zwischen Bundespräsident Thomas Klestil und FPÖ-Obmann Jörg Haider. Dabei erfolgte eine für Klestil alarmierende Erklärung seines Gesprächspartners, der forderte, im Falle des Scheiterns von Klima mit der Bildung einer Bundesregierung betraut zu werden. Er sehe sich dazu durchaus in der Lage, da man mit der ÖVP im Rahmen der Zukunftsgespräche in zahlreichen Punkten Übereinstimmung erzielt habe. Der Bundespräsident vermied jede Antwort, ließ Haider jedoch seine ablehnende Haltung deutlich spüren. Unmittelbar nach dem Gespräch kontaktierte er seinen Trauzeugen, den Wiener Bürgermeister Michael Häupl, um diesen von Haiders »unsittlicher« Forderung zu informieren und eine gemeinsame Gegenstrategie zu entwickeln. Diese bestand in einem doppelten Ansatz : Über Hans Dichand, den vehementen Befürworter einer Fortführung der SPÖ-ÖVP-Koalition, sollte via »Kronen Zeitung« die Meldung von Geheimgesprächen und bereits abgeschlossenen Vereinbarungen zwischen ÖVP und FPÖ inklusive der entsprechenden besorgten Warnungen lanciert und gleichzeitig Druck auf Wolfgang Schüssel ausgeübt werden, sich der staatspolitischen Verantwortung nicht zu entziehen. Parallel dazu erfolgte eine doppelte Offensive Häupls und Klestils. Der Wiener Bürgermeister drohte medienwirksam, aus dem SPÖ-Verhandlungsteam auszuscheiden, sollte bis zu Beginn der kommenden Woche nicht klar sein, dass die ÖVP ihre Zusammenarbeit mit der SPÖ fortsetzen wolle und sich SPÖ und ÖVP nicht bald auf ein Regierungsübereinkommen einigten. Und Klestil versuchte am 13. Jänner über eine Aussendung der Hofburg Druck auf die Verhandler auszuüben, rasch zu einem Verhandlungsergebnis zu kommen. »Es hinterlässt für beide Parteien in der Bevölkerung – und auch beim Bundespräsidenten – einen äußerst negativen Eindruck, wenn sich die Gespräche von zwei Parteien, die seit 13 Jahren in einer Koalition zusammenarbeiten, in gegenseitigen Schuldzuweisungen erschöpfen.« Beide könnten kein Interesse daran haben, die Gespräche scheitern zu lassen und damit Neuwahlen herbeizuführen.«851 Die von Klestil bewusst an beide Parteien gerichtete Ermahnung ließ dennoch seine deutlich abgesteckten politischen Optionen deutlich werden : Eine Beauftragung von Wolfgang Schüssel oder Jörg Haider mit der Bildung einer Bundesregierung nach einem Scheitern von Viktor Klima wurde nicht erwähnt. Neuwahlen hätten aufgrund der demoskopischen Erhebungen die ÖVP deutlich hinter die FPÖ auf den dritten Platz zurückfallen lassen und konnten damit nicht im Interesse der Partei sein. Die Erwähnung von Neuwahlen als einziger Option zur Fortsetzung der SPÖ-ÖVP-Koalition diente daher vor allem als Drohszenario gegenüber der ÖVP. In der ÖVP reagierte man auf die Initiative Klestils zurückhaltend und verärgert. Wolfgang Schüssel versicherte in einem Pressegespräch, die Gespräche mit der SPÖ seien keineswegs, wie vielfach kolportiert, »auf Scheitern, sondern auf Qualität ange851 SN 14.1.2000. S. 1.
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legt«. Aus diesem Grund lasse man sich nicht durch Zurufe von außen unter Druck setzen. Die Qualität der Ergebnisse habe absoluten Vorrang. Dabei gehe es der ÖVP sowohl um das Prinzipielle wie um Details in den Vereinbarungen, z. B. darum, wie das Budget saniert, wie das Frühpensionsalter angehoben oder wie die Sicherheitspolitik des Landes in Zukunft gestaltet werde. Es sei jedoch »absolut möglich, dass es zu einem positiven Abschluss« komme : »Anfang bis Mitte nächster Woche wird man über den Ausgang dieser Regierungsverhandlungen Bescheid wissen.«852 Im Falle eines befriedigenden Ergebnisses könne man eine neuerliche Koalition mit der SPÖ auch den Skeptikern in der Partei plausibel machen. Am 16. Jänner begann die achte Verhandlungsrunde, in deren Mittelpunkt die Budgetkrise und die Notwendigkeit zu massiven Einsparungen standen. Die Stimmung war vor allem bei der ÖVP angespannt und gereizt, da man dem Finanzminister vorwarf, über die tatsächliche Entwicklung des Budgets zunächst falsch oder nicht vollständig informiert worden zu sein. Erst bei Aufnahme der Regierungsverhandlungen sei man mit der tatsächlichen Entwicklung konfrontiert worden. Die Verhandlungen wurden in den frühen Abendstunden des 16. Jänner unterbrochen, da die ÖVP-Spitze zu einer Sitzung zusammentraf, um die Position der Partei festzulegen. Bis zur Sitzungsunterbrechung waren substanzielle Fortschritte in den Bereichen Sicherheits- und Sozialpolitik sowie der ÖIAG-Privatisierung erreicht worden.853 Angesichts des deutlichen Widerstandes der SPÖ-Gewerkschaf852 Kurier 14.1.2000. S. 2 ; Die Presse 14.1.2000. S. 1 und 9. 853 Die von Schüssel und Fischer gefundene Formel einer EU-Beistandspflicht und im Falle des Scheiterns einer europäischen Sicherheitsarchitektur einer möglichen späteren Aufnahme von Verhandlungen über andere Optionen wurde in das Koalitionsabkommen übernommen. Der Beschluss sollte der Bundesregierung obliegen. Im Sozialbereich einigte man sich auf eine Erhöhung des Karenzgeldes – ohne Einkommensobergrenze – ab 1.1.2002 von 5.600 auf 6.250 Schilling. Der Kreis der Bezieherinnen wurde auf Mütter ausgeweitet, die bisher keinen Anspruch auf das volle Karenzgeld hatten (Hausfrauen, Studentinnen, Bäuerinnen), das Bruttofamilieneinkommen sollte jedoch die Höchstbemessungsgrundlage von 43.200 Schilling nicht überschreiten dürfen, sodass die ÖVP-Forderung nach einem »Karenzgeld für alle« an eine soziale Staffelung gebunden wurde, die eine Umverteilung nach unten bedeutete. Von der Ausweitung des Karenzgeldanspruchs sollten rund 7.000 Personen profitieren. Alle Karenzgeldbezieherinnen sollten in den Genuss der vollen Beitragszeiten für die Pensionsversicherung fallen und daher monatliche Abzüge vom Karenzgeld in der Höhe von 250 Schilling hinnehmen müssen. Dienstnehmer sollten ihren Anspruch auf Abfertigung auch bei Selbstkündigung zum neuen Dienstnehmer mitnehmen können. Zudem sollte es zu einer Angleichung der Rechte zwischen Arbeitern und Angestellten bei der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall kommen. Zudem kam es zu einer von der SPÖ unter dem Motto »Aktion Fairness« geforderten arbeitsrechtlichen Gleichstellung von Arbeitern und Angestellten. Im Gegenzug erreichte die ÖVP die von der Gewerkschaft heftig bekämpfte Aliquotierung des Urlaubsgeldes. (Bisher konnte ein Arbeitnehmer wenn er nach sechs Monaten und einem Tag kündigte, den gesamten Jahresurlaub konsumieren, mit der neuen Regelung sollte er nur mehr den halben Jahresurlaub konsumieren können.)
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ter gegen die mit dem SPÖ-Verhandlungsteam akkordierten neuerlichen Schritte im Pensionsbereich sowie der sich vermehrt meldenden kritischen Stimmen gegen einzelne Maßnahmen, vor allem gegen die stärkere ausgabenseitige Sanierung des Budgets,854 fasste die ÖVP-Spitze den Beschluss, dass man nach einer sachlichen Einigung mit der SPÖ den Abschluss eines Koalitionsabkommens von einem zustimmenden Beschluss des SPÖ-Nationalratsklubs, in dem die SPÖ-Gewerkschafter rund ein Drittel der Abgeordneten stellten, abhängig machen werde. Mit Blick auf die Erfahrungen der letzten Jahre vertrat man die Ansicht, dass nur so auch die politische Realisierung der notwendigen Reformschritte möglich sein werde. Die in den frühen Abendstunden des 16. März unterbrochenen Verhandlungen wurden nach der Sitzung der ÖVP-Spitze bis in die Morgenstunden des 17. März fortgesetzt. Nach einer neuerlichen mehrstündigen Pause wurden die Verhandlungen fortgesetzt und brachten am 18. Jänner um 02 :30 Uhr eine weitgehende Einigung in den noch offenen Sachfragen, die jedoch vom Chef der Metallarbeitergewerkschaft, Rudolf Nürnberger, mit dem Satz »Ich bin erschüttert« kommentiert wurde.855 Die Bruchlinie der folgenden Ereignisse wurde damit erstmals deutlich. Die endgültige Formulierung des Textes erfolgte am 18. Jänner unmittelbar nach dem Ministerrat. Keine Einigung wurde hingegen bei der noch offenen Ressortverteilung und der damit verbundenen Kompetenzverteilung erzielt. Diese Punkte waren zur »Chefsache« erklärt worden und sollten in einem Vieraugengespräch zwischen Klima und Schüssel einer Lösung zugeführt werden. Das Frühpensionsalter sollte für ASVG-Versicherte um zwei Jahre angehoben werden. Darüber hinaus waren vor allem für das ÖVP-Klientel der Beamten erhebliche Belastungen vorgesehen : Eine Anhebung des Frühpensionsalters für Beamte um zwei Jahre sowie eine Anhebung des Pensionssicherungsbeitrags für Aktive und Pensionisten um 0,95 Prozent. Durch eine Verlängerung des Aufnahmestopps sollten 9.000 Beamte und weitere 30.000 durch Ausgliederungen eingespart werden. Mit der geplanten Einführung einer Jahresdurchrechnung der Arbeitszeit wurde eine massive Reduktion der Überstunden im Wert von 1,2 Milliarden Schilling angestrebt. Ferner sollten auch Selbständige und Bauern höhere Beiträge zahlen, um das Defizit der Pensionsversicherungen der beiden Gruppen zu senken. Allein die vorgesehene Mehrbelastung der Selbständigen betrug 600 Millionen Schilling. Die Pensionserhöhungen sollten in Zukunft geringer ausfallen als bisher. Aufgrund der steigenden Lebenserwartung konnten diese auch unter der Inflationsrate liegen. Bei der ÖIAG wurden weitere Privatisierungen beabsichtigt, wobei der Staatsanteil auf 25 Prozent plus eine Aktie sinken sollte. Bei Wahrung des österreichischen Einflusses sollte dieser Wert auch unterschritten werden können. Die Gesamtkosten der Maßnahme wurden mit 1,7 Milliarden Schilling beziffert. 854 AK-Präsident Herbert Tumpel sprach sich unmittelbar vor Beginn der achten Verhandlungsrunde vehement gegen eine Erhöhung des Frühpensionsalters um zwei Jahre aus und der Vorarlberger SPÖ-Landeschef Manfred Lackner kritisierte, das SPÖ-Verhandlungsteam habe bereits zu viele sozialdemokratische Grundsätze über Bord geworfen (Die Presse 17.1.2000. S. 6). 855 FORMAT 4/2000. S. 38.
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Parallel zu den Verhandlungen über Sachfragen erfolgten Diskussionen über einen Vorschlag Wolfgang Schüssels, den dieser bereits zu Beginn der Gespräche am 14. Dezember 1999 unterbreitet hatte : Um einen neuen Stil des Regierens sowie das Ausbrechen aus verkrusteten Strukturen zu demonstrieren, sollte ein Tausch traditioneller politischer Erbpachten im Bereich der Ministerien angedacht werden, d. h. dass die SPÖ traditionelle »schwarze« Ressorts wie Äußeres, Wirtschaft und Landesverteidigung, die ÖVP hingegen »rote« Ressorts wie Inneres, Finanzen und Soziales übernehmen sollte. Mit einem solchen Wechsel könnten auch personelle Revirements verbunden werden, da ein Neubeginn auch durch neue Köpfe signalisiert werde. Am 11. und 12. Jänner 2000 berichtete der »Kurier«, er sei aus SPÖ-Kreisen informiert worden, dass man durchaus bereit wäre, auf den Vorschlag Schüssels einzugehen.856 Eine indirekte Bestätigung erhielt diese Meldung durch eine Erklärung Viktor Klimas auf die Frage nach der personellen Konstellation der zukünftigen SPRegierungsriege, dass niemand ein fixes »Ticket« habe.857 Am 13. Jänner erklärte der Wiener Bürgermeister Michael Häupl in einem »Standard«-Interview, der Parteivorsitzende habe seine »Loyalität« bei personellen Entscheidungen, d. h. auch bei seiner kolportierten Bereitschaft, der ÖVP das Finanz- oder das Innenressort zu überlassen. »Ich unterstützte Überlegungen, dass man vom Besitzstandsdenken – das hat die SPÖ und das hat die ÖVP – abgeht. Man muss zur Neuaufteilung der einzelnen Ressorts kommen.«858 Der designierte SPÖ-Bundesgeschäftsführer, der bisherige Tiroler Landesvorsitzende Herbert Prock, ließ wissen, dass ein Abtreten bisheriger SPÖ-Ministerien an die ÖVP zum »nötigen Entstauben« des politischen Klimas gehöre.859 Wenngleich man sich in der SPÖ beeilte, die Äußerung Procks als rein persönliche und keineswegs der Parteilinie entsprechend zu bezeichnen, so bildete die Kompetenzaufteilung und personelle Konstellation einer zukünftigen SPÖÖVP-Regierung einen weiteren zentralen Punkt der Verhandlungen, der vor allem gegen deren Ende eine der Bruchstellen bilden sollte. Wenngleich der Ministerientausch und die personellen Fragen während der Verhandlungen über die Inhalte des Regierungsübereinkommens mit dem Argument, man müsse sich zuerst über die Inhalte einigen, bevor man über Kompetenzverteilung und personelle Konstellationen rede, nicht im Vordergrund standen, so entwickelten sie im Hintergrund vor allem 856 Am 11. Jänner 2000 berichtete der »Kurier«, Viktor Klima sei bereit, das Finanzministerium an die ÖVP abzugeben, wobei jedoch die Budgetplanung in das Bundeskanzleramt wandern sollte. Ebenso standen das Innen- und Sozialministerium zur Diskussion. Für die ÖVP sollte Martin Bartenstein das Sozialministerium übernehmen, das Wirtschaftsministerium inklusive Technologie an die SPÖ fallen, Wissenschaft und Kultur in einem SPÖ-geführten Ministerium zusammengefasst werden, das Verteidigungsministerium bei der ÖVP verbleiben (Kurier 11.1.2000. S. 3). 857 Die Presse 12.1.2000. S. 9. 858 Der Standard 14.1.2000. S. 7. 859 Kurier 14.1.2000. S. 2.
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in der SPÖ eine Dynamik, die die unterschiedlichen Positionen und die mit diesen verbundenen realen Machtverhältnisse deutlich werden ließen. War Viktor Klima, unterstützt von Teilen der Partei, durchaus bereit, einem weitgehenden Ministerienwechsel zuzustimmen und hatte dies auch die ÖVP wissen lassen, so stieß er damit auf den entschiedenen Widerstand der SPÖ-Gewerkschafter und des linken Parteiflügels. Die SPÖ-Gewerkschafter betrachteten das Sozialministerium als politische Erbpacht und waren keineswegs bereit, auf diese zu verzichten. Ebenso als politische Erbpacht wurde das Innenministerium betrachtet, das man mit Hinweis auf den Februar 1934 keineswegs dem »Klassenfeind« übergeben wollte. Wurde dieses Argument vom linken Parteiflügel vorgebracht, so erhielt der bei der Parteilinken keineswegs beliebte, dem rechten Parteiflügel angehörende Innenminister Karl Schlögl massive publizistische Unterstützung von der »Kronen Zeitung«, die sein kolportiertes mögliches Ausscheiden mit einer Kampagne bekämpfte. Bereits während der Verhandlungen über die Sachfragen waren die Aufteilung der Ministerien und deren personelle Besetzung zur »Chefsache« erklärt worden. In Vieraugengesprächen musste Klima Schüssel mitteilen, dass die von ihm ursprünglich durchaus intendierte Abgabe des Sozial- und Innenministeriums aufgrund des massiven innerparteilichen Widerstandes nicht verhandelbar seien. Um einen Neustart und eine immer wieder propagierte »neue Form des Regierens« zu dokumentieren, blieb nur mehr der Tausch des Finanzministeriums gegen das Wirtschaftsministerium. Doch selbst in diesem letzten Punkt deutete sich bereits vor dem Abschluss der Verhandlungen eine ablehnende Haltung der SPÖ an, als Karl Schlögl Mitte Jänner in einem Interview auf die Frage eines möglichen substanziellen Wechsels im Bereich der Ministerien bemerkte, es gehe dabei »grundsätzlich […] vor allem darum, die Kompetenzen und das Mischungsverhältnis zwischen den beiden Parteien besser aufzuteilen.« Die drei Ressorts Finanzen, Soziales und Inneres seien »von Sozialdemokraten sehr gut verwaltet worden«. Es bestehe daher kein Grund, »da eine Änderung vorzunehmen«. Und zum Anspruch der ÖVP auf den Finanzminister : »Edlinger ist ein hervorragender Finanzminister. Ich sehe keinen Grund, warum er das nicht mehr sein sollte.«860 Das erzielte Verhandlungsergebnis bedurfte noch der Zustimmung der Parteigremien, wobei die ÖVP die SPÖ unmittelbar nach Abschluss der Verhandlungen wissen ließ, dass sie nicht zu Nachverhandlungen des beschlossenen Koalitionspaktes bereit sei. Und man erinnerte Viktor Klima an seine Zusage zu Beginn der Verhandlungen, dass sich die ÖVP eines der drei SPÖ-Ministerien im Tausch gegen ein ÖVP-Ministerium aussuchen könne. Da das von der ÖVP im Abtausch ursprünglich intendierte Sozialministerium aufgrund des Widerstandes der Gewerkschaft von Viktor Klima innerparteilich nicht durchsetzbar war, forderte sie das Innenministerium. Als auch diese Option aufgrund des massenmedial von der »Kronen Zeitung« unterstützten 860 FORMAT 3/2000. S. 27.
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Widerstandes von Karl Schlögl nicht realisierbar war, beanspruchte man das Finanzministerium im Tausch gegen das Wirtschaftsministerium. Diese Forderung wurde nicht nur mit der – auch SPÖ-intern bestätigten – Offerte Klimas bei Verhandlungsbeginn begründet, sondern auch mit dem als unbedingt notwendig erachteten Einfluss auf die Vollziehung der Koalitionsvereinbarung. In der SPÖ galt jedoch inzwischen die Person Rudolf Edlingers als sakrosankt. Der Parteivorstand war nicht bereit, auf eines der drei von der ÖVP als Schlüsselressorts für die Vollziehung der Koalitionsvereinbarung betrachteten Ministerien zu verzichten. Das Argument lautete, dass man der ÖVP ohnedies bei der Verteilung der sonstigen Ministerien weitgehend entgegenkommen wolle. Als Beispiel wurde Wissenschaftsminister Caspar Einem genannt, dessen Agenden an ein von Elisabeth Gehrer geleitetes Superministerium für Wissenschaft, Unterricht und Kultur wandern sollten. Zudem war man bereit, im Finanzministerium einen von der ÖVP zu nominierenden Staatssekretär zu installieren. Wenngleich die SPÖ damit argumentierte, dass man der nach dem Nationalratswahlergebnis nur drittstärksten Partei sogar mehr Ministerien zuzugestehen bereit sei als man selbst für sich beanspruche, so blieb dabei der für die ÖVP entscheidende Umstand unerwähnt, dass die für die Realisierung des Koalitionsabkommens entscheidenden Schlüsselressorts in der Hand der SPÖ bleiben sollten. ÖVP-Generalsekretärin Maria Rauch-Kallat erklärte daher : »Für uns geht es um eines der Schlüsselressorts für die Budgetwahrheit, Finanzen oder Soziales. Das muss sichergestellt werden. Die ÖVP muss am Ende der Legislaturperiode die Gewissheit haben, dass sie das vorfindet, was sie am Beginn festgelegt hat.«861 Am 19. Jänner erklärten ÖVP-Klubobmann Andreas Khol und der Salzburger Landeshauptmann Franz Schausberger, das Finanzministerium müsse im Interesse eines exakten Vollzugs der getroffenen Vereinbarung an die ÖVP gehen.862 Die ÖVP machte deutlich, dass an dieser Frage die getroffene Einigung scheitern könne.
IX.4 Ein umstrittenes Ergebnis. Die Ereignisse vom 18. bis 20. Jänner 2000 Die am 18. Jänner getroffene Vereinbarung bedurfte der Zustimmung der Parteigremien, die noch in den späten Nachmittagsstunden zusammentraten. Beide Parteien hatten dabei mit innerparteilichen Unmutsäußerungen zu rechnen. In der ÖVP machten die Gegner einer neuerlichen Koalition mit der SPÖ aus ihrem Herzen keine Mördergrube. Das Haus in der Laudongasse 16 im 8. Wiener Bezirk, der Sitz der Bundes- und Wien-Zentrale des ÖAAB, wurde schwarz beflaggt und im Gebäude 861 Die Presse 19.1.2000. S. 1. 862 Die Presse 20.1.2000. S. 4.
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Widerstandes von Karl Schlögl nicht realisierbar war, beanspruchte man das Finanzministerium im Tausch gegen das Wirtschaftsministerium. Diese Forderung wurde nicht nur mit der – auch SPÖ-intern bestätigten – Offerte Klimas bei Verhandlungsbeginn begründet, sondern auch mit dem als unbedingt notwendig erachteten Einfluss auf die Vollziehung der Koalitionsvereinbarung. In der SPÖ galt jedoch inzwischen die Person Rudolf Edlingers als sakrosankt. Der Parteivorstand war nicht bereit, auf eines der drei von der ÖVP als Schlüsselressorts für die Vollziehung der Koalitionsvereinbarung betrachteten Ministerien zu verzichten. Das Argument lautete, dass man der ÖVP ohnedies bei der Verteilung der sonstigen Ministerien weitgehend entgegenkommen wolle. Als Beispiel wurde Wissenschaftsminister Caspar Einem genannt, dessen Agenden an ein von Elisabeth Gehrer geleitetes Superministerium für Wissenschaft, Unterricht und Kultur wandern sollten. Zudem war man bereit, im Finanzministerium einen von der ÖVP zu nominierenden Staatssekretär zu installieren. Wenngleich die SPÖ damit argumentierte, dass man der nach dem Nationalratswahlergebnis nur drittstärksten Partei sogar mehr Ministerien zuzugestehen bereit sei als man selbst für sich beanspruche, so blieb dabei der für die ÖVP entscheidende Umstand unerwähnt, dass die für die Realisierung des Koalitionsabkommens entscheidenden Schlüsselressorts in der Hand der SPÖ bleiben sollten. ÖVP-Generalsekretärin Maria Rauch-Kallat erklärte daher : »Für uns geht es um eines der Schlüsselressorts für die Budgetwahrheit, Finanzen oder Soziales. Das muss sichergestellt werden. Die ÖVP muss am Ende der Legislaturperiode die Gewissheit haben, dass sie das vorfindet, was sie am Beginn festgelegt hat.«861 Am 19. Jänner erklärten ÖVP-Klubobmann Andreas Khol und der Salzburger Landeshauptmann Franz Schausberger, das Finanzministerium müsse im Interesse eines exakten Vollzugs der getroffenen Vereinbarung an die ÖVP gehen.862 Die ÖVP machte deutlich, dass an dieser Frage die getroffene Einigung scheitern könne.
IX.4 Ein umstrittenes Ergebnis. Die Ereignisse vom 18. bis 20. Jänner 2000 Die am 18. Jänner getroffene Vereinbarung bedurfte der Zustimmung der Parteigremien, die noch in den späten Nachmittagsstunden zusammentraten. Beide Parteien hatten dabei mit innerparteilichen Unmutsäußerungen zu rechnen. In der ÖVP machten die Gegner einer neuerlichen Koalition mit der SPÖ aus ihrem Herzen keine Mördergrube. Das Haus in der Laudongasse 16 im 8. Wiener Bezirk, der Sitz der Bundes- und Wien-Zentrale des ÖAAB, wurde schwarz beflaggt und im Gebäude 861 Die Presse 19.1.2000. S. 1. 862 Die Presse 20.1.2000. S. 4.
Ein umstrittenes Ergebnis
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hingen schriftliche Protestkundgebungen, die sich mit Slogans wie »Rot-Schwarz spaltet die Partei ! !« und »Lieber Wolfgang ! Danke ! Dein Jörg …« gegen das Verhandlungsergebnis und Wolfgang Schüssel richteten. An der Eingangstür der ÖVP Wien-Währung prangte ein Protestplakat mit den Worten : »Lieber Wolfgang. Du vergisst Deine Wähler !« Ähnliche Aktionen folgten in zahlreichen Wiener Bezirken und auch in den Bundesländern, vor allem der Steiermark, ließen sich zahlreiche kritische Stimmen vernehmen.863 Die erhebliche Zahl der Kritiker forderte mit dem Hinweis auf ein »Beben an der Basis« die Abhaltung eines Parteitages, der an Stelle des für 18 :00 Uhr einberufenen Bundesvorstandes über das Verhandlungsergebnis entscheiden sollte. Wolfgang Schüssel und das ÖVP-Verhandlungsteam standen unter erheblichem innerparteilichen Druck, weshalb eine möglichst breite Unterstützung der geschlossenen Koalitionsvereinbarung notwendig war. Schüssel entschied sich daher für die Einberufung des 34 Personen umfassenden Bundesvorstandes, in dem alle Landes- und Teilorganisationen sowie weitere der wichtigsten Repräsentanten der Partei vertreten waren.864 Der Bundesvorstand war für 18 :00 Uhr in die Politische Akademie in der Tivoligasse einberufen worden. Zwei Stunden zuvor begann die Sitzung des SPÖ-Präsidiums, dessen Beschluss man in der ÖVP abwarten wollte, um bei den Beratungen die entsprechenden Beschlüsse fassen zu können. Die Sitzung des SPÖ-Präsidiums kam jedoch nicht zu dem erwarteten raschen Ergebnis, sodass der um eine Stunde verschobene ÖVP-Bundesvorstand um 19 :00 Uhr parallel ohne Informationen über den Diskussionsstand in der SPÖ tagte. Um die innerparteiliche Ablehnungsfront aufzuweichen, erklärte Schüssel in seinem Bericht, dass das Koalitionsabkommen in zentralen Sachfragen die Handschrift der ÖVP trage. Übereinstimmung bestand darin, dass man angesichts der ablehnenden Haltung der SPÖ-Gewerkschafter zur geplanten Pensionsreform eine Wiederholung der Ereig863 Die Presse 19.1.2000. S. 3. 864 Dem Gremium gehörten an : Parteiobmann Wolfgang Schüssel, Agrarminister Wilhelm Molterer, Unterrichtsministerin Elisabeth Gehrer, die Tiroler Landesrätin Elisabeth Zanon, Umwelt- und Familienminister Martin Bartenstein, Wirtschaftsminister Hannes Farnleitner, Verteidigungsminister und ÖAAB-Obmann Werner Fasslabend, Staatssekretärin Benita Ferrero-Waldner, Klubobmann Andreas Khol, Generalsekretärin Maria Rauch-Kallat, EU-Kommissar Franz Fischler, Delegationsleiterin Ursula Stenzel, Bauernbundpräsident Georg Schwarzenberger, Wirtschaftsbundpräsident Christoph Leitl, der Chef der Jungen ÖVP, Werner Amon, der Obmann des Seniorenbundes, Stefan Knafl, die Landeshauptleute Waltraud Klasnic (Steiermark), Erwin Pröll (Niederösterreich), Wendelin Weingartner (Tirol), Franz Schausberger (Salzburg), Herbert Sausgruber (Vorarlberg), Josef Pühringer (Oberösterreich), die Landesobmänner Bernhard Görg (Wien), Gerhard Jellasitz (Burgenland), Reinhold Lexer (Kärnten), Bundesrats-Vizepräsident Jürgen Weiss, der Salzburger ÖAAB-Obmann und ÖVP-Bundesratssprecher Ludwig Bieringer, Finanzreferent Wilfried Stadler, der Eisenstädter Bürgermeister Alois Schwarz, Volksanwältin Ingrid Korosec, der Obmann des steirischen Seniorenbundes, Franz Wegart, der Präsident des österreichischen Gemeindebundes, Helmut Mödlhammer, und Ehrenobmann Alois Mock.
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nisse des Jahres 1997 vermeiden wolle, weshalb man auf einer Unterzeichnung des Abkommens auch durch den dem Verhandlungsteam angehörenden Chef der Fraktion Sozialistischer Gewerkschafter, Rudolf Nürnberger, bestehen wollte. Man war gewillt, die der SPÖ bereits vorher mitgeteilte Position nochmals offiziell zu übermitteln. Da die Sitzung des SPÖ-Präsidiums noch andauerte, unterbrach man die Sitzung und entsandte Klubobmann Andreas Khol in die Nachrichtensendung »ZIB 2«, in der dieser dem in der Löwelstraße tagenden SPÖ-Präsidium mitteilte, die Vereinbarung müsse nicht nur von Viktor Klima, sondern auch von Rudolf Nürnberger unterschrieben werden, um damit auch die Unterstützung des SPÖ-Klubs bei der parlamentarischen Verhandlung zu gewährleisten. Nach der Rückkehr Khols wurde die unterbrochene Sitzung wieder aufgenommen und über das Koalitionsabkommen abgestimmt, wobei die Landeshauptleute Waltraud Klasnic (Steiermark) und Herbert Sausgruber (Vorarlberg), der burgenländische Landesobmann Gerhard Jellasitz und der Obmann der Jungen ÖVP, Werner Amon, ein negatives Votum abgaben. Die überwiegende Mehrheit votierte für eine Fortsetzung der Koalition mit der SPÖ, allerdings unter zwei Voraussetzungen, die Andreas Khol gegenüber der Tageszeitung »Kurier« am 19. Jänner vor dem Hintergrund der dramatischen Entwicklung in der SPÖ formulierte. »Erstens : Wenn nicht die Fraktion Sozialistischer Gewerkschafter in Person ihres Verhandlers Rudolf Nürnberger den Koalitionspakt unterschreibt und damit mitträgt und wenn nicht Peter Kostelka für die Fraktion diesen Pakt unterschreibt und damit mitträgt, wird es diesen Koalitionspakt nicht geben.« Die ÖVP sei aus Erfahrung klug geworden und wolle nicht, dass die Pensionsreform wie 1997 auf Druck des ÖGB weitgehend »verwässert« werde. Die zweite Bedingung sei ein Ministerientausch : »Die SPÖ mit ihren Finanzministern hat seit 1987 drei Sparpakete zu verantworten. Wir sind bereit zu einem Ministerientausch Wirtschaft gegen Finanzen. Die Finanzverantwortung muss in andere Hände gelangen, damit nicht ein weiteres Fiasko neue Strukturmaßnahmen nötig macht.«865 Unterrichtsministerin Elisabeth Gehrer unterstrich in einem Rundfunkinterview diese Position, indem sie betonte, es müssten alle sechs Mitglieder des SPÖ-Verhandlungsteams die Koalitionsvereinbarung unterzeichnen. Die ÖVP war nicht nur aus prinzipiellen Gründen, sondern vor allem auch mit Blick auf die zahlreichen innerparteilichen Kritiker gezwungen, Standfestigkeit zu beweisen, um die Einheit der Partei zu gewährleisten. Selbst erklärte Anhänger der Fortführung einer Koalition mit der SPÖ, wie Bernhard Görg und Christoph Leitl, hatten im Bundesvorstand diese beiden Bedingungen als unverzichtbar bezeichnet. Am 19. Jänner um 0 :45 Uhr erklärte Wolfgang Schüssel den wartenden Journalisten in der Politischen Akademie, der Parteivorstand habe den Koalitionspakt mit großer Mehrheit gebilligt. Nachverhandlungen werde es aber nicht geben. 865 Kurier 20.1.2000. S. 2.
Ein umstrittenes Ergebnis
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Die um 16 : 00 Uhr beginnende Sitzung des 27 Mitglieder umfassenden erweiterten SPÖ-Präsidiums866 gestaltete sich zu einem bis kurz nach 23 :00 Uhr dauernden Sitzungsmarathon und Psychokrimi. Im Vorfeld hatte Viktor Klima mit Blick auf den zu erwartenden massiven Widerstand der Gewerkschaft, der Parteijugend und des linken Parteiflügels offen mit seinem Rücktritt gedroht, falls das erweiterte Präsidium dem Koalitionsabkommen nicht zustimme. Klima werde »sein ganzes Gewicht in die Waagschale werfen«, erklärte SPÖ-Bundesgeschäftsführer Andreas Rudas unmittelbar vor Beginn der Sitzung.867 Um den Widerstand der Gewerkschaft zu brechen, hatte Klima, der bei der Gewerkschaft über nur geringe Rückendeckung verfügte, in den frühen Morgenstunden des 18. Jänner Finanzminister Rudolf Edlinger in eine Sitzung der Fraktion Sozialistischer Gewerkschafter (FSG) entsandt. Die Stimmung war angespannt, hatte doch Rudolf Nürnberger erklärt, er sei erschüttert über das Verhandlungsergebnis und das Verlangen der ÖVP nach einem Schlüsselressort. Edlingers Mission hatte nur geringen Erfolg, der Standpunkt der Gewerkschaft war unverändert. Die unveränderte Haltung der FSG war auch das Ergebnis des großen innerfraktionellen Drucks – innerhalb weniger Stunden trafen in der ÖGB-Zentrale 157 E-Mails und zahlreiche elektronische Briefe ein, in denen die Gewerkschaft zur Standfestigkeit aufgefordert wurde – und des massiven Eindringens der FPÖ bei der Nationalratswahl in die Gruppe der Arbeiter. Im Fall eines Zustimmens zum im Koalitionsabkommen beschlossenen Maßnahmenpaket befürchtete man ein weiteres Abwandern zur FPÖ, enthielten doch zahlreiche E-Mails die drohende Erklärung, dass man im Falle einer Zustimmung des ÖGB am 3. Oktober falsch gewählt habe. Im Vorfeld der Sitzung der FSG häuften sich die negativen Stellungnahmen auch aus der eigenen Fraktion. Die Salzburger Fraktion des FSG sprach von einem »Terroristenprogramm«868 und warf der ÖVP »Erpressung« vor, der steirische AK-Präsident Walter Rotschädl erklärte, er könne das Koalitionsabkommen seinen Mitgliedern »nicht zumuten« und
866 Dem erweiterten SPÖ-Präsidium gehörten an : Parteivorsitzender Viktor Klima, die Wiener Stadträtin Renate Brauner, Nationalratspräsident Heinz Fischer, der Wiener Bürgermeister Michael Häupl, die stellvertretenden Landeshauptmänner Ernst Höger (Niederösterreich), Herbert Prock (Tirol), Peter Schachner-Blazizek (Steiermark), Gerhard Buchleitner (Salzburg) und Erich Haider (Oberösterreich), der burgenländische Landeshauptmann Karl Stix, Frauenministerin Barbara Prammer, Bundesfrauensekretärin Andrea Kunzl, die ehemalige niederösterreichische Landesrätin Traude Votruba, der Vorarlberger Landesvorsitzende Manfred Lackner, der burgenländische Landesvorsitzende Manfred Moser, die geschäftsführende Kärntner Landesvorsitzende Melitta Trunk, die Tiroler SPÖ-Frauenchefin Sigrid Marinell, Sozialsprecherin Annemarie Reitsamer, ÖGB-Präsident Fritz Verzetnitsch, Metallgewerkschafter Rudolf Nürnberger, Wissenschaftsminister Caspar Einem, Innenminister Karl Schlögl, Finanzminister Rudolf Edlinger und Sozialministerin Lore Hostasch. 867 Der Standard 19.1.2000. S. 1. 868 Ebda. S. 2.
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der Vorsitzende der Jungen Generation in der SPÖ, Michael Grossmann, sprach von einer »Totalaufgabe« der Partei. »Die SPÖ-Verhandler stecken scheinbar bis zu den Zehenspitzen im Hintern der ÖVP. Wir müssen da raus.«869 In der Sitzung des erweiterten SPÖ-Präsidiums konnte trotz stundenlanger Diskussion die ablehnende Haltung der Fraktion Sozialistischer Gewerkschafter nicht überwunden werden. Dabei ergab sich eine juristisch diffizile Situation. Die Vertreter der FSG gehörten dem Präsidium nur mit beratender Stimme an und waren somit nicht stimmberechtigt. Dies hatte rein formaliter zur Folge, dass trotz einer ablehnenden Haltung der FSG-Vertreter das Präsidium einen – sogar einstimmigen – Beschluss fassen konnte. Wenngleich dies den realpolitischen Gegebenheiten nicht entsprach, bezog sich Bundesgeschäftsführer Rudas in seiner nach der Sitzung abgegebenen Erklärung auf diesen Umstand und betonte, diese sei einstimmig beschlossen worden. »1. Das Parteipräsidium der SPÖ nimmt das Ergebnis der Verhandlungen zur Bildung einer Koalitionsregierung mit der ÖVP zustimmend zur Kenntnis. Es wird versuchen, die ablehnende Haltung der Gewerkschaften zu den Vorschlägen der Begrenzung des Aktivitäts- und Pensionsaufwandes in weiterführenden Gesprächen aufzulösen. 2. Bundeskanzler Klima wird ermächtigt, mit der ÖVP eine gemeinsame Regierung zu bilden. 3. Das Parteipräsidium dankt dem Bundeskanzler und den Mitgliedern des SPÖVerhandlungsteams für ihre erfolgreiche Arbeit.«870 Was Rudas in seinem offensichtlichen Bemühen um einen erfolgreichen Abschluss der Koalitionsverhandlungen nicht erwähnte war der entscheidende realpolitische Punkt : In der Sitzung hatte Rudolf Nürnberger darauf hingewiesen, dass er an der Sitzung nur als nicht stimmberechtigtes Mitglied teilnehme. Er müsse jedoch darauf hinweisen, dass er sich in der Frage der Erhöhung des Frühpensionsalters als Gewerkschafter nicht die Hände binden lasse. Er sei zwar von der Notwendigkeit von weiteren Reformen im Pensionsbereich überzeugt, doch müsse es für deren Realisierung einen politischen Handlungsspielraum geben. Wenn er das Koalitionsabkommen unterzeichne, sei dieser Handlungsspielraum aber nicht mehr gegeben. Sollte die ÖVP seine Weigerung als Grund für eine Aufkündigung des Abkommens und eine Wendung hin zu einer Koalition mit der FPÖ benützen, so sei dies ein offensichtliches Zeichen dafür, dass sie die erste ihrer beiden Forderungen nur als Vorwand benütze, um einen bereits beschlossenen Wechsel vorzunehmen. Die Fronten waren damit festgefahren, die SPÖ in einer äußerst schwierigen Situation. Eine Kompromissformel musste in der Hoffnung gefunden werden, Zeit für 869 Die Presse 19.1.2000. S. 5. 870 Zit. bei Khol : Die Wende ist geglückt. S. 101f.
Ein umstrittenes Ergebnis
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weitere Verhandlungen zu gewinnen und dabei den Wunsch-Koalitionspartner an Bord zu behalten. ÖGB-Präsident Fritz Verzetnitsch formulierte in einer Kompromissformel den politisch sensiblen ersten Punkt der schließlich von Rudas nach der Sitzung abgegeben Erklärung. Als der Bundesgeschäftsführer betonte, das Koalitionsübereinkommen sei einstimmig gebilligt worden, war dies nur die eine Seite der in diesem Fall doppelten politischen Wahrheit, denn die ÖGB-Vertreter waren, wenn auch mit nur beratender Stimme, zu den Beratungen beigezogen worden, wobei sie ihre Bedenken gegen das Verhandlungsergebnis deutlich zum Ausdruck brachten und erklärten, dass sie dieses nur zur Kenntnis nehmen, aber diesem in dieser Form nicht zustimmen könnten. Realpolitisch bedeutete dies, dass die beiden von der ÖVP geforderten Bedingungen für eine neuerliche Koalition mit der SPÖ nicht erfüllt waren, weshalb in der ÖVP – auch mit Blick auf die Stimmung in der Partei – die Alarmglocken läuteten. Die Dramaturgie der Ereignisse eröffnete ein (politisches) Spiel auf verschiedenen Ebenen und Orten. In Graz erklärte der steirische Klubobmann Hermann Schützenhöfer, die sich abzeichnende Koalition sei bereits vor ihrem Beginn am Ende. »Die ÖVP wird die Zeche für diese falsche Weichenstellung bitter bezahlen müssen.« Da man die so erfolgreiche Arbeit von Landeshauptfrau Waltraud Klasnic angesichts der bevorstehenden Landtagswahl im Herbst nicht gefährden wolle, werde man sich von der Bundesregierung deutlich abgrenzen.871 Vorarlbergs Landeshauptmann Herbert Sausgruber äußerte am Tag nach der Vorstandssitzung seine Zweifel, dass eine Sanierung des Budgets mit der SPÖ möglich sein werde und der Obmann der Jungen Generation in der ÖVP, Werner Amon, blieb sei seiner skeptisch bis ablehnenden Haltung : »Ich bin ziemlich sicher, dass das, was ausverhandelt wurde, auf geduldigem Papier steht, und sich die SPÖ im Laufe der Legislaturperiode nicht an die Vereinbarung halten wird.«872 Die Position der ÖVP formulierte Martin Bartenstein an dem der Sitzung des erweiterten SPÖ-Präsidiums folgenden Tag. Der von Rudas verlesene Text sei ein klares Indiz dafür, dass die Regierung noch keineswegs stehe. Das nach wie vor aufrechte Veto der Gewerkschaft sei ein »klares Alarmzeichen.« Man habe 1997 erlebt, »wie unser Ergebnis am Weg ins Parlament verwässert worden ist, vor allem von den Sozialdemokraten und hier in erster Linie von ÖGB-Präsident Fritz Verzetnitsch und Rudolf Nürnberger.« Die im Koalitionsabkommen enthaltene neuerliche Pensionsreform sei im Interesse der Staatsfinanzen absolut notwendig. »Wer immer das Budget konsolidieren will, muss diesen Schritt setzen.« Es sei daher für die ÖVP eine »Schlüsselfrage«, ob Nürnberger als Mitglied des SPÖ-Verhandlungsteams das Koalitionsabkommen unterzeichne oder nicht. Solange es keine akkordierte Position der SPÖ zu der in den Verhandlungen 871 Die Presse 20.1.2000. S. 4. 872 Ebda.
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beschlossenen Pensionsreform gebe, werde es auch keine gemeinsame Regierung geben. Die Abstimmung im SPÖ-Präsidium sei nichts anderes als »ein Beschluss mit hinter dem Rücken gekreuzten Fingern.«873 Die ÖVP ließ die SPÖ wissen, dass sie auf ihren Bedingungen bestehe und forderte Viktor Klima indirekt auf, die Fraktion Sozialistischer Gewerkschafter in die Schranken zu weisen und zu den getroffenen Vereinbarungen zu stehen. Sollte dies nicht der Fall sein, seien die Verhandlungsergebnisse obsolet und andere politische Optionen müssten in Erwägung gezogen werden. SPÖ-Klubobmann Peter Kostelka erwiderte, die SPÖ werde keineswegs gegen den Willen der Gewerkschaft einer Pensionsreform zustimmen. »Wir sind weder bereit noch willens, uns auseinanderdividieren zu lassen. Ich werde keine Kriegserklärung gegen einen wesentlichen Teil meiner Fraktion abgeben.« Man müsse auf die Argumente der Gewerkschaft, die sich durchaus der Probleme des Pensionssystems bewusst sei, hören und auch andere Lösungsmöglichkeiten als die beschlossenen ins Auge fassen. »Wenn es eine Königsidee gibt, das budgetäre Pensionsproblem anders zu lösen, wird sich dem auch die ÖVP nicht verschließen. Eine Partitur, wo für vier Jahre von der ersten bis zur letzten Note alle Stimmen des Orchesters enthalten sind, kann es in der Politik nicht geben.«874 ÖGB-Präsident Fritz Verzetnitsch ließ beide Verhandlungsparteien in einer offiziellen Mitteilung wissen, dass mit einer Haltungsänderung der Gewerkschaft in der Pensionsfrage nicht zu rechnen sei und Richard Nürnberger erklärte : »Ich werde nicht unterschreiben, weil mir das nicht nur meine Gremien, sondern auch mein Gewissen verbietet.«875 Die Vorsitzende des parlamentarischen Sozialausschusses und Gewerkschafterin Annemarie Reitsamer forderte weitere Verhandlungen über die Pensionsreform auf parlamentarischer Ebene, womit sie jenes Szenario ansprach, das die ÖVP mit dem Hinweis auf die Erfahrungen des Jahres 1997 strikt ablehnte. Und die SPÖ rückte auch in der Frage des Ministerientauschs von ihrer früheren Position ab und wies die Forderung der ÖVP nach einem Tausch des Finanz- gegen das Wirtschaftsministerium zurück. Im Gegenzug bot man der ÖVP ein Wissenschaft, Unterricht und Kunst umfassendes Bildungsministerium sowie ein aus dem Verkehrs- und Teilen des Wirtschaftsministerium zu bildendes Infrastrukturministerium an. Angesichts des drohenden Scheiterns der Koalitionsverhandlungen tagte am 19. Jänner um 19 : 00 Uhr der aus 55 stimmberechtigten und 15 kooptierten Mitgliedern bestehende SPÖ-Parteivorstand, begleitet von Demonstrationen der Jungen Generation, des VSStÖ und Junggewerkschaftern, die sich vehement gegen das Koalitionsabkommen aussprachen, in den Räumen des Parlamentsklubs. Im Vorfeld der 873 Ebda. 874 Die Presse 20.1.2000. S. 5. 875 SN 20.1.2000. S. 3.
Ein umstrittenes Ergebnis
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Sitzung war auch Bundeskanzler und Parteivorsitzender Viktor Klima zunehmend in die innerparteiliche Kritik geraten. Ihm wurde vorgeworfen, in zahlreichen sensiblen Positionen, nicht nur der Pensionsreform, der ÖVP zu weit entgegengekommen zu sein. Das 220 Seiten starke Koalitionsabkommen war dem SPÖ-Präsidium am 18. Jänner erst während der Sitzung als Tischvorlage zur Verfügung gestellt worden, weshalb die Mitglieder des Präsidiums, soferne sie nicht an den Verhandlungen teilgenommen hatten, über zahlreiche Details ungenügend informiert waren. Bei der Sitzung des SPÖ-Parteivorstandes 24 Stunden später hatten dessen Mitglieder allerdings das Koalitionsabkommen im Detail studiert und zahlreiche Punkte als nicht mit sozialdemokratischen Grundsätzen vereinbar kritisiert. Die Wortmeldungen zum Inhalt des Koalitionsabkommen waren überwiegend kritisch bis negativ. Und auch das Verhalten der ÖVP, der aufgrund ihrer Option einer Koalition mit der FPÖ ein übertrieben harter Standpunkt und eine geheime Doppelstrategie vorgeworfen wurden, wurde heftig kritisiert. In der von zahlreichen emotionalen Wortmeldungen geprägten Sitzung wiederholten die Gewerkschaftsvertreter ihre ablehnende Haltung und ein ständig wachsender Anteil der Teilnehmer drohte in die Ablehnungsfront zu wechseln, womit dem Antrag auf Bestätigung des Präsidiumsbeschlusses vom 18. Jänner ein unrühmliches Ende und dem Verhandlungsteam eine schallende Ohrfeige drohte. Viktor Klima entschloss sich daher auf Anraten von Heinz Fischer, eine namentliche Abstimmung durchzuführen, in der Hoffnung auf ein Einschwenken zahlreicher Kritiker auf die Linie des Verhandlungsteams. Diese Rechnung ging insofern auf, als der Antrag auf die Bestätigung des Präsidiumsbeschlusses vom 18. Jänner mit 32 : 13 Stimmen angenommen wurde. Heinz Fischer bemerkt in seiner Darstellung wohl zu Recht, es sei völlig klar gewesen, »dass eine beträchtliche Zahl von Vorstandsmitgliedern nur mit Ja gestimmt hatte, weil sie das Verhandlungsteam und das Parteipräsidium nicht desavouieren wollten und weil jede zusätzliche NeinStimme die Sache nur noch schwieriger gemacht hätte.«876 Als Viktor Klima am 20. Jänner um 01 :20 Uhr erschöpft die Sitzung des SPÖ-Parteivorstandes verließ, hatte das Szenario eines Scheiterns der Verhandlungen deutlich an Kontur gewonnen. Die SPÖ hatte ihren Standpunkt vom 18. Jänner bestätigt, 876 Fischer : Wende Zeiten. S. 85. Die 13 Neinstimmen der stimmberechtigten Mitglieder stammten von Rudolf Nürnberger und Fritz Verzetnitsch, dem Wiener SPÖ-Klubobmann Johann Hatzl, dem Vorarlberger Landesobmann Manfred Lackner, dem Chef der Gewerkschaft der Gemeindebediensteten, Günter Weninger, dem Kärntner Gewerkschaftschef Adam Unterrieder, dem Salzburger Bürgermeister Heinz Schaden, dem oberösterreichischen Landesrat Josef Ackerl, dem oberösterreichischen Gewerkschaftschef Hubert Wipplinger, der oberösterreichischen Nationalratsabgeordneten Inge Jäger, SPÖSozialsprecherin Annemarie Reitsamer, der Wiener Landtagsabgeordneten Josefa Tomsik und dem JusoVorsitzenden Robert Pichler. Von den nicht stimmberechtigten Mitgliedern sprachen sich AK-Präsident Herbert Tumpel und der Vorsitzende der Jungen Generation in der SPÖ, Michael Grossmann, gegen das Koalitionsabkommen aus.
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einen Tausch des Finanz- gegen das Wirtschaftsministerium abgelehnt und die Gewerkschaftsvertreter ihre Unterschrift unter das Koalitionsabkommen mit dem Hinweis auf noch notwendige parlamentarische Verhandlungen über die neuerliche Pensionsreform verweigert. Diese Entwicklung brachte die ÖVP in einen unter heiklen Bedingungen stattfindenden Zugzwang : Um die in den vergangenen Tagen mühsam erreichte Einheit der Partei nicht zu gefährden und die Realisierung der als unbedingt notwendig erachteten Reformschritte in der kommenden Legislaturperiode zu garantieren, musste sie aufgrund des Gewichts der Gewerkschafter in der SPÖ-Nationalratsfraktion auf ihrer Forderung nach der Unterschrift von Rudolf Nürnberger und Peter Kostelka bestehen, wollte sie sich nicht dem Risiko einer neuerlichen Verwässerung der Pensionsreform und dem damit verbundenen Ansehensverlust aussetzen. Zudem stand man in der ÖVP auch unter dem Druck der christlichen Gewerkschafter, die im Falle einer Nichtunterzeichnung der sozialistischen Gewerkschafter ebenfalls nicht bereit waren, das Koalitionsabkommen, vor allem die darin festgeschriebene Pensionsreform, mitzutragen, womit eine mehrheitliche parlamentarische Ablehnungsfront drohte. Klubobmann Andreas Khol und Generalsekretärin Maria Rauch-Kallat erklärten daher, ohne die Unterschriften von Nürnberger und Kostelka werde es kein Koalitionsabkommen geben. Dieser Standpunkt erhielt am folgenden Tag durch eine Bemerkung des Obmanns der Gewerkschaft Hotel und Gastgewerbe, Rudolf Kaske, neue Nahrung, der erklärte, man könne dem Koalitionsabkommen in der vorliegenden Form durchaus zustimmen, dann aber die unangenehmsten Reformen einfach nicht beschließen.877 Viktor Klima bemerkte zur Forderung der ÖVP : »Ich glaube, dass es Grenzen der Zumutbarkeit gibt.« Die ÖVP solle nicht mit dem Argument kommen, »dass die Unterschrift des SPÖ-Vorsitzenden nicht Gewicht hätte.«878 Genau diesen Standpunkt vertrat man jedoch in der ÖVP mit der Begründung, dass die Position Viktor Klimas in der Partei nicht stark genug sei. So sehr der Parteivorsitzende auch von der Notwendigkeit von substanziellen Reformen im Pensionsbereich überzeugt sein möge, so sei er nicht in der Lage, den massiven Widerstand der FSG zu überwinden. Nur wenn sich die FSG uneingeschränkt zum Koalitionsabkommen bekenne, sei dessen parlamentarische Realisierung gewährleistet. Die Kontroverse auf offener Bühne entzündete sich auch an der Frage der Besetzung des Finanzministeriums. Für die ÖVP betonte Verteidigungsminister und ÖAAB-Obmann Werner Fasslabend in Richtung Rudolf Edlinger :« [Es ist] unzumutbar, dass dauernd gespart werden muss, nur weil der Finanzminister die Staatsfinanzen nicht im Griff hat.« Der so Angesprochene erwiderte in einer sechs Punkte umfassenden Erklärung, die Budgeterstellung sei in den vergangenen Jahren stets im Einvernehmen mit der ÖVP erfolgt, wobei sich jedoch durch deren Verhalten 877 SN 21.1.2000. S. 2. 878 Der Standard 21.1.2000. S. 2.
Das Scheitern der Koalitionsverhandlungen am 20./21. Jänner 2000
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Probleme ergeben hätten. In der Frage der Anhebung des Frühpensionsalters setze sich die SPÖ für die von der Gewerkschaft geforderten Maßnahmen zur Erhöhung der Berufschancen älterer Arbeitnehmer ein.879 Und Heinz Fischer begründete die ablehnende Haltung der SPÖ zu dieser Forderung mit der Bemerkung, die SPÖ sei »der ÖVP auf halbem Weg entgegengekommen«, sie würde »aber nicht über die Hälfte gehen«.880
IX.5 Das Scheitern der Koalitionsverhandlungen am 20./21. Jänner 2000 Donnerstag, der 20. Jänner 2000, war von heftiger Betriebsamkeit geprägt, begleitet von einer Vielzahl von Gerüchten und Wortmeldungen, die das endgültige Scheitern der Koalitionsverhandlungen und die Suche nach anderen politischen Optionen zum Inhalt hatten. Die beiden nunmehr in Stein gemeißelten Positionen von SPÖ und ÖVP, schienen nicht mehr vermittelbar. Noch am Vortag hatte Wolf Martin in der »Kronen Zeitung« gereimt :881 879 »1. Die SPÖ hat eine erfolgreiche Budgetpolitik gemacht : Seit vier Jahren geht das Budgetdefizit zurück. Österreich befindet sich auf dem Budgetkonsolidierungskurs. Im Vorjahr wurde das veranschlagte Defizit von 70,1 Mrd. S um fast zwei Mrd. S unterschritten. Das Defizit 1999 betrug trotz schwächerer Konjunktur nur 68,2 Mrd. S. 2. Alle Budgets wurden gemeinsam mit der ÖVP erstellt. Die ÖVP war über alle Details informiert, überrascht sein konnte niemand, wie Wirtschaftsminister Farnleitner oder Vorarlbergs Landeshauptmann Sausgruber erklärt haben. 3. Die ÖVP hat den Budgetvollzug erschwert : VP-Minister waren in den vergangenen Jahren nicht gerade Vorbilder für Sparsamkeit. Im Familienressort, bei den Botschaften oder im Unterrichtsressort wurde nicht eingespart, sondern zusätzliche Ausgaben gemacht. Trotzdem konnten die Budgetziele eingehalten werden. Der ÖVP das Finanzministerium zu überlassen würde gleichbedeutend sein, einen Hund mit der Bewachung eines Wurstvorrates zu beauftragen. 4. Budgetlöcher gibt es nur, wenn neue Ausgaben erfunden werden. Tatsächlich hat der Sparwille im Vorjahr nachgelassen, weshalb jetzt langfristige Weichenstellungen getroffen werden müssen. 5. Das Frühpensionsalter anzuheben war ein gemeinsamer Vorschlag : Ich halte fest, dass ich nicht der erste war, der den Vorschlag gemacht hat, das Frühpensionsalter anzuheben. Am 10. Jänner hat VP-Parteiobmann Wolfgang Schüssel auf die Frage, was er tun wolle, um den Budgetzuschuss zu den Pensionen zu senken, erklärt : ›Das, was alle seriösen Experten vorschlagen, nämlich das Antrittsalter für den vorzeitigen Ruhestand erhöhen.‹ Wenige Tage später hat dies auch FP-Parteiobmann Jörg Haider erklärt. 6. Besonderer Schutz für ältere Menschen : Im Zusammenhang mit der Erhöhung des Frühpensionsalters hat sich die SPÖ besonders für Maßnahmen eingesetzt, die die Berufschancen älterer Arbeitnehmer erhöhen. Ein solches Paket soll noch heuer zwischen Regierung, Sozialpartnern, Sozialversicherungen und Arbeitsmarktservice vereinbart werden.« 880 Der Standard 21.1.2000. S. 2. 881 Zit bei Khol : Die Wende ist geglückt. S. 103.
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Probleme ergeben hätten. In der Frage der Anhebung des Frühpensionsalters setze sich die SPÖ für die von der Gewerkschaft geforderten Maßnahmen zur Erhöhung der Berufschancen älterer Arbeitnehmer ein.879 Und Heinz Fischer begründete die ablehnende Haltung der SPÖ zu dieser Forderung mit der Bemerkung, die SPÖ sei »der ÖVP auf halbem Weg entgegengekommen«, sie würde »aber nicht über die Hälfte gehen«.880
IX.5 Das Scheitern der Koalitionsverhandlungen am 20./21. Jänner 2000 Donnerstag, der 20. Jänner 2000, war von heftiger Betriebsamkeit geprägt, begleitet von einer Vielzahl von Gerüchten und Wortmeldungen, die das endgültige Scheitern der Koalitionsverhandlungen und die Suche nach anderen politischen Optionen zum Inhalt hatten. Die beiden nunmehr in Stein gemeißelten Positionen von SPÖ und ÖVP, schienen nicht mehr vermittelbar. Noch am Vortag hatte Wolf Martin in der »Kronen Zeitung« gereimt :881 879 »1. Die SPÖ hat eine erfolgreiche Budgetpolitik gemacht : Seit vier Jahren geht das Budgetdefizit zurück. Österreich befindet sich auf dem Budgetkonsolidierungskurs. Im Vorjahr wurde das veranschlagte Defizit von 70,1 Mrd. S um fast zwei Mrd. S unterschritten. Das Defizit 1999 betrug trotz schwächerer Konjunktur nur 68,2 Mrd. S. 2. Alle Budgets wurden gemeinsam mit der ÖVP erstellt. Die ÖVP war über alle Details informiert, überrascht sein konnte niemand, wie Wirtschaftsminister Farnleitner oder Vorarlbergs Landeshauptmann Sausgruber erklärt haben. 3. Die ÖVP hat den Budgetvollzug erschwert : VP-Minister waren in den vergangenen Jahren nicht gerade Vorbilder für Sparsamkeit. Im Familienressort, bei den Botschaften oder im Unterrichtsressort wurde nicht eingespart, sondern zusätzliche Ausgaben gemacht. Trotzdem konnten die Budgetziele eingehalten werden. Der ÖVP das Finanzministerium zu überlassen würde gleichbedeutend sein, einen Hund mit der Bewachung eines Wurstvorrates zu beauftragen. 4. Budgetlöcher gibt es nur, wenn neue Ausgaben erfunden werden. Tatsächlich hat der Sparwille im Vorjahr nachgelassen, weshalb jetzt langfristige Weichenstellungen getroffen werden müssen. 5. Das Frühpensionsalter anzuheben war ein gemeinsamer Vorschlag : Ich halte fest, dass ich nicht der erste war, der den Vorschlag gemacht hat, das Frühpensionsalter anzuheben. Am 10. Jänner hat VP-Parteiobmann Wolfgang Schüssel auf die Frage, was er tun wolle, um den Budgetzuschuss zu den Pensionen zu senken, erklärt : ›Das, was alle seriösen Experten vorschlagen, nämlich das Antrittsalter für den vorzeitigen Ruhestand erhöhen.‹ Wenige Tage später hat dies auch FP-Parteiobmann Jörg Haider erklärt. 6. Besonderer Schutz für ältere Menschen : Im Zusammenhang mit der Erhöhung des Frühpensionsalters hat sich die SPÖ besonders für Maßnahmen eingesetzt, die die Berufschancen älterer Arbeitnehmer erhöhen. Ein solches Paket soll noch heuer zwischen Regierung, Sozialpartnern, Sozialversicherungen und Arbeitsmarktservice vereinbart werden.« 880 Der Standard 21.1.2000. S. 2. 881 Zit bei Khol : Die Wende ist geglückt. S. 103.
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Zwischen Tabubruch und Alternativlosigkeit
»Glück auf, du rot & schwarzer Bund ! Rundum erneuert, kerngesund, von guten Geistern klug beraten, so schreite nun zu neuen Taten ! Du hast gelernt aus ernstem Mahnen. Schreib nun Reformen auf deine Fahnen, gib dem Proporz den Todesstoß, betrau die besten Köpfe bloß, und alles jubelt hochzufrieden : Auf ewig seist du uns beschieden !«
Der so besungene, zu neuen Ufern aufbrechende »rot & schwarze Bund« schien trotz des Willens von Hans Dichand und Thomas Klestil letztlich nicht realisierbar. In den Vormittagsstunden versteifte sich die Position der Gewerkschaft in der Frage der Pensionsreform, obwohl die soeben publizierten Daten des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger im Dezember 1999 eine deutlich steigende Tendenz bei den Pensionen registrierten. So wies der Dezember 1999 Rekordwerte bei der Gesamtzahl der Pensionen (1.944.477), den Alterspensionen (1.034.929) und den Frühpensionen (232.512) auf. Zu Mittag erklärte ÖGB-Präsident Fritz Verzetnitsch in der »Zeit im Bild«, der von der ÖVP losgetretene »Streit um Unterschriften interessiert niemanden. Es geht um die Sache.« Und diese habe die Gewerkschaft deutlich dargestellt. Zuerst müssten entsprechende Maßnahmen auf dem Arbeitsmarkt getroffen werden, um die Tendenz »zu alt für die Arbeit, zu jung für die Pension« zu stoppen. Kurz zuvor hatte Rudolf Nürnberger den Standpunkt der Metallergewerkschaft neuerlich betont. Diese wolle der Bildung einer neuen Regierung nicht im Wege stehen, werde jedoch einer Anhebung des Frühpensionsalters ihre Zustimmung verweigern. Ähnlich der Zentralsekretär der Gewerkschaft der Privatangestellten, Wolfgang Katzian : »Am Nein der Gewerkschaft der Privatangestellten zur Anhebung des Frühpensionsalters kann um keinen Preis gerüttelt werden.«882 Doch nicht nur die SPÖ, sondern auch die ÖVP hatte mit dem Widerstand ihrer gewerkschaftlichen Fraktion zu kämpfen. So bezeichnete der Vorsitzende der Fraktion Christlicher Gewerkschafter und Obmann der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst, Fritz Neugebauer, das Koalitionsabkommen als »Fußtritt für die Arbeitnehmer« und die ÖVP-nahe Lehrergewerkschaft drohte offen mit Streik.883 Im Unterschied zur SPÖ war man jedoch in der ÖVP-Spitze bereit, den Konflikt mit der eigenen Klientel zu riskieren, während die SPÖ aufgrund der Dominanz der FSG in der Partei vor einem solchen zurückschreckte. Christoph Kotanko sah in dieser 882 Kurier 21.1.2000. S. 3. 883 Die Presse 21.1.2000. S. 5.
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Konstellation den Verlust des Primats der Politik. Die Vorgangsweise der ÖVP, die Unterschrift aller Verhandler unter den Koalitionsvertrag einzufordern, sei »nicht unbillig« : Dass Richard Nürnberger »nicht im Stande ist, die Koalitionsvereinbarung mit zu tragen, ist ein Problem – aber nicht vorrangig der ÖVP. Klima hat ›seine‹ Gewerkschafter falsch eingeschätzt. Wenn sie etwas nicht wollen, dann wollen sie es wirklich nicht. Er ist auch ein Getriebener : Die historische Allianz von Arbeitnehmervertretern und SPÖ hat, durch Gewohnheitsrecht, dazu geführt, dass der Parteivorsitzende und Kanzler längst nicht mehr Herr aller seiner Entscheidungen ist. […] Spätestens Klima hätte wagen müssen, was Tony Blair in der britischen Labour Party vollzogen hat : Die strikte Trennung von Partei und Gewerkschaften. Weil er dieser Herausforderung auswich, muss er für die Folgen gerade stehen.«884 Ähnlich die Analyse Sylvia Wörgetters. Die Regierungsbildung scheiterte an einer Institution, die eigentlich Stabilität garantieren sollte, »an der Sozialpartnerschaft insgesamt, genauer gesagt am Umstand, dass sich der Sozialpartner ÖGB als stärker erwiesen hat als die Koalition. Denn mit der Weigerung von SPÖ-Gewerkschaftschef Rudolf Nürnberger, dem Koalitionspakt seinen Segen zu geben, war klar, dass dieser nicht umgesetzt werden kann. Die SPÖ-Gewerkschafter stellen ein gutes Drittel des SPÖ-Parlamentsklubs, ohne dessen Zustimmung keine einzige Reform umgesetzt werden kann. […] Am Beispiel Nürnbergers offenbart sich die Krise der Sozialpartnerschaft alten Musters. Und es zeigt sich, dass mit ihr nicht nur die ›neue Form des Regierens‹ unmöglich ist, sondern bald jede Form des Regierens.«885 Klima versuchte in zwei persönlichen Gesprächen mit Wolfgang Schüssel die Positionen der ÖVP doch noch aufzuweichen. Schüssel war jedoch aus prinzipiellen Gründen und auch aufgrund des massiven innerparteilichen Drucks nicht in der Lage, von den beiden zentralen ÖVP-Forderungen – der Unterschrift aller SPÖVerhandler und dem Tausch des Wirtschafts- gegen das Finanzministerium – abzugehen. Die von Klima angebotene Variante der Etablierung eines Staatssekretärs ohne Budgetzuständigkeit im Finanzministerium wurde vom ÖVP-Obmann als nicht akzeptabel zurückgewiesen. Parallel zu den Gesprächen Klimas mit Schüssel versuchte die SPÖ zusätzlich Druck aufzubauen, indem offen von anderen politischen Optionen gesprochen wurde. So erklärte Finanzminister Edlinger im ORFMittagsjournal, irgendwo müsse »auch Schluss sein«. Es könne für die SPÖ keine Koalition um jeden Preis geben. Man müsse »vielleicht einmal prüfen, ob es andere Optionen gibt.« Ohne die FPÖ direkt zu erwähnen, fügte er hinzu, es gebe »eine breite Palette an Möglichkeiten, wenn man gewisse Emotionalitäten« überwinde.« 884 Christoph Kotanko : Panic auf der Titanic. – In : Kurier 21.1.2000. S. 2. 885 Sylvia Wörgetter : Warum die Koalition vor dem Start gescheitert ist. – In : SN 21.1.2000. S. 1.
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Der oberösterreichische Landesrat Josef Ackerl, deklarierter Gegner des Koalitionsabkommens, bemerkte hingegen offen : »Wir müssen diskutieren, ob wir uns die Option mit der FPÖ wieder aufmachen, wenn sie politisch tragfähig ist. Man kann dem Thema nicht ausweichen.« Die SPÖ müsse sich aus ihrer taktischen Zwangslage befreien und neue Handlungsoptionen gewinnen. »Jedes Mal vor der Wahl zu sagen, mit denen [FPÖ, Anm. d. Verf.] kommt es nicht in Frage – das hat der ÖVP in den letzten Jahren Möglichkeiten gegeben, die sie sich angesichts ihrer Stärke nicht verdient hat. […] Wir können uns nicht auf Dauer in die Geiselhaft einer Partei begeben, wenn wir regieren wollen.« Der dem linken Parteiflügel angehörende Ackerl beeilte sich zwar zu betonen, dass die Option noch nicht für die gegenwärtige Situation, sehr wohl aber für die Zukunft, überlegenswert sei.886 Und auch Bundespräsident Thomas Klestil versuchte Druck auf die ÖVP auszuüben. In einem Gespräch mit Schüssel erklärte er, die Unterschriften von Nürnberger und Kostelka sollten für den Abschluss der Verhandlungen nicht bedeutend sein, da doch die Unterschrift Klimas vorliege. Die von der ÖVP als Alternative erwogene Koalition mit der FPÖ komme für ihn nicht in Frage. Sollten die Verhandlungen endgültig scheitern, so werde er die noch im Amt befindliche Regierung entlassen, den Nationalrat auflösen, Neuwahlen ausschreiben und für die Zwischenzeit eine Minderheitsregierung angeloben. Die Drohung des Bundespräsidenten stieß bei Schüssel und in der Parteiführung der ÖVP auf völliges Unverständnis. Klestil agiere mit dem Amtsverständnis einer der Verfassung nicht entsprechenden Präsidialdemokratie, indem er erkläre, eine mit einer ÖVP-FPÖ-Regierung gegebene deutliche parlamentarische Mehrheit nicht zu akzeptieren. Zudem würden die von ihm mit Hinweis auf die schlechten demoskopischen Daten der ÖVP angedrohten Neuwahlen wahrscheinlich die FPÖ als stärkste Partei oder zumindest als mit der SPÖ gleichstarke Partei hervorgehen lassen. Im Falle der Erringung des ersten Platzes müsse dann der Bundespräsident, den bisherigen Usancen folgend, den von ihm so abgelehnten Jörg Haider mit der Regierungsbildung beauftragen. Klestils Drohung sei entweder reiner Bluff oder ein verantwortungsloser politischer Ritt über den Bodensee. Das mit der »Kronen Zeitung« und einigen wenigen Vertrauten akkordierte Verhalten des Bundespräsidenten löste in der ÖVP Unverständnis und Häme aus. Am Abend des 20. Jänner berichtete Schüssel der im Rosen-Hotel Kavalier in der Linzerstraße zusammengetretenen Parteispitze über seine Gespräche mit Klima und Klestil. Angesichts der dramatischen Entwicklung befanden sich sämtliche Landespartei- und Bündeobleute in Wien, um ein mögliches Verhandlungsergebnis oder aber eine andere politische Option gemeinsam zu beschließen und damit dem Parteiobmann aufgrund der unterschiedlichen Strömungen in der Partei uneingeschränkte 886 Kurier 21.1.2000. S. 2f.
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Rückendeckung zu geben. Der schließlich getroffene einstimmige Beschluss modifizierte die Position der ÖVP in einem Punkt, um der SPÖ doch noch die Unterzeichnung des Koalitionsabkommens zu ermöglichen : Die ÖVP verzichtete auf das Finanzministerium, bestand jedoch im Gegenzug auf dessen Besetzung mit einem parteifreien Fachmann. In der »ZIB 2« um 22 :00 Uhr gab Schüssel diesen Kompromissvorschlag der SPÖ bekannt, deren Präsidium um Mitternacht im Parlament zusammentrat. Vor dessen Zusammentreten griff Viktor Klima im Kanzleramt noch einmal zum Telefon, um Wolfgang Schüssel zur Rücknahme des Vorschlags zu bewegen. Dieser entgegnete, dass sein eine Stunde zuvor in der »ZIB 2« gemachter Vorschlag der Installierung eines parteifreien Finanzministers ein großes Entgegenkommen der ÖVP darstelle. Von den ursprünglich der ÖVP von Klima angebotenen drei Schlüsselministerien habe die SPÖ im Laufe der Verhandlungen alle für sich beansprucht. Nunmehr müsse sie eben auf das für den Budgetvollzug zentrale Finanzministerium verzichten, das aber nicht an die ÖVP, sondern an einen parteifreien Fachmann, gehen solle. Und Schüssel lehnte auch den Vorschlag Klimas ab, in das Koalitionsabkommen einen Passus einzufügen, der es der Gewerkschaft ermöglichen sollte, im Zuge der parlamentarischen Beratungen Alternativen mit denselben Einsparungen einzubringen. Die ÖVP war in diesem Punkt ein gebranntes Kind, weshalb Schüssel auf der Unterschrift Nürnbergers und Kostelka bestand. Eine Viertelstunde vor Mitternacht endete nicht nur das rund halbstündige Telefonat, sondern auch die Fortsetzung der SPÖ-ÖVP-Koalition. Zum Zeitpunkt des Telefonats hatte der von Peter Kostelka einberufene SPÖParlamentsklub mit Zweidrittelmehrheit die Koalitionsvereinbarung abgelehnt und auch das kurz nach Mitternacht zusammentretende Präsidium sprach sich nach einem Bericht Klimas über den Stand der Verhandlungen und den Inhalt seines Telefongesprächs mit Schüssel nach drei Stunden gegen eine Fortführung der Verhandlungen mit der ÖVP aus. Klima teilte in einem Telefongespräch Schüssel mit, dass die beiden ÖVP-Forderungen für die SPÖ nicht erfüllbar seien und damit auch die Gespräche ein Ende gefunden hätten. Wenig später informierte er Bundespräsident Klestil, der nach dem Scheitern der von ihm bevorzugten Regierung nunmehr neuerlich in die Verhandlungen aktiv einzugreifen beschloss, um die mögliche Variante einer ÖVP-FPÖ-Regierung zu verhindern. Die Gründe für das Scheitern der Verhandlungen werden von den handelnden Personen unterschiedlich angegeben. Die SPÖ ortete und ortet – naturgemäß – die Schuld alleine bei der ÖVP. Diese habe aus einer aus den politischen Optionen resultierenden Position der Stärke die SPÖ systematisch erpresst. Die SPÖ sei in den Verhandlungen dem zukünftigen Koalitionspartner sehr weit entgegengekommen und in vielen Bereichen über ihren Schatten gesprungen. Die ÖVP, vor allem Wolfgang Schüssel, hätte jedoch von Anfang an ein Doppelspiel gespielt : Während man mit der SPÖ verhandelte, seien gleichzeitig geheime Kontakte zur FPÖ hergestellt
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worden, um die Möglichkeiten einer ÖVP-FPÖ-Koalition auszuloten. Als sich die Anzeichen auf eine Bereitschaft der FPÖ mehrten, habe die ÖVP durch für die SPÖ unerfüllbare Forderungen die Verhandlungen bewusst zum Scheitern gebracht. Das Bestehen auf der Unterschrift Rudolf Nürnbergers sei ein bloß vorgeschobenes formales Argument für das Scheitern der Verhandlungen gewesen. Der Chef der Metallarbeitergewerkschaft wies jede Schuld am Scheitern der Gespräche zurück. In einem FORMAT-Interview betonte er, selbst politische Gegner attestierten ihm Handschlagqualität, die er nicht zu brechen bereit sei. »Als das Pensionspaket vor zwei Wochen erstmals in der fraktionellen SPÖ-Vorbesprechung aufs Tapet kam, habe ich sofort gesagt, Freunde, das geht so nicht, das kann man so nicht machen. Ich habe von dieser Minute an, in jeder Sitzungsunterbrechung, in allen Vorbesprechungen dagegen votiert. Einmal wurde sogar Fritz Verzetnitsch dazugeholt, weil ich die Last nicht mehr allein tragen konnte. Er ist mein Zeuge, dass ich hier nicht falsch gespielt habe, wie die ÖVP behauptet.« Er habe auch das Pensionspaket nicht mitverhandelt. »Ich kann bei diesen Gesprächen gar nicht dabei gewesen sein, weil von Anfang an beschlossen worden ist, dass die Budgetgruppe die Pensionen verhandelt. Ich war einmal in der Untergruppe Soziales. Als ich diese Vorschläge zum ersten Mal im Verhandlungsplenum gehört habe, habe ich sofort gesagt, dass ich eine Anhebung des gesetzlichen Pensionsalters für unsozial halte.« Das Scheitern der Gespräche habe keineswegs an seiner fehlenden Unterschrift gelegen. »Da wird nur so getan, als wäre meine Unterschrift bald wichtiger als die des Bundespräsidenten. Das ist lächerlich. In Wirklichkeit ging es nur um einen Vorwand, die Sache platzen zu lassen.«887 Viktor Klima bemerkte im Rückblick auf die gescheiterten Regierungsverhandlungen, »einige in der ÖVP« hätten »sehr wohl gemeint, dass es besser für das Land gewesen wäre, wieder eine Koalition zwischen SPÖ und ÖVP zu schließen«. Für ihn seien die eigentlich entscheidenden Stunden jene vor dem Scheitern der Verhandlungen gewesen. »Ich hatte vor der Sitzung des SPÖ-Präsidiums am Nachmittag des 20. Jänner ein Gespräch mit Schüssel. Wir haben sehr offen über die möglichen Folgen eines Scheiterns geredet. Wir haben weitgehend Übereinstimmung erzielt, dass das nicht gut für Österreich sein werde. Ich habe Schüssel gesagt, was aus meiner Sicht passieren würde und erklärt, dass ich dann ganz sicher nicht in der Politik bleibe. Ich habe darauf hingewiesen, dass das ausverhandelte Regierungsprogramm vom SPÖ-Vorstand genehmigt worden ist und dass es gilt. Dann habe ich zu ihm gesagt, wenn du darauf bestehst, dass eine Person, die erklärt hat, dass sie nicht unterschreibt, doch unterschreibt, dann muss ich dir sagen : Ich kann dieser Person weder die Finger brechen noch mit Mehrheit entscheiden, dass sie unterschreibt. Ich habe auch gesagt, dass die Regierungspartner weder die christlichen noch die sozialdemo887 FORMAT 4/2000. S. 46.
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kratischen Gewerkschafter in etwas hineinzwingen können. Wenn es Probleme gibt, muss man über Begleitmaßnahmen reden. Aber sie von vornherein zu zwingen wäre fatal. Wenn du das tust, habe ich zu Schüssel gesagt, dann bedeutet das das Scheitern. Kurz vor Beginn des SPÖ-Präsidiums habe ich Schüssel dann noch einmal angerufen und gesagt : Lieber Wolfgang, es fängt in einer halben Stunde mein Parteipräsidium an. Wir können über alles reden, sogar über einen unabhängigen Finanzminister, obwohl ich das nicht für sinnvoll halte. Ich sage dir, wir werden alle den Pakt unterschreiben, aber wenn du darauf bestehst, dass ein SPÖ-Gewerkschafter unterschreibt, dann ist das das Ende. Er wusste, was passiert. Nach dem SPÖ-Präsidium habe ich ihn um 3.30 Uhr in der Früh angerufen und das Ergebnis mitgeteilt. Die Reaktion war trocken. Es tut mir leid. In der Nacht hat er nach eigenen Aussagen noch Haider angerufen.«888 Die ÖVP sah und sieht die Gründe für das Scheitern in der inneren Zerrissenheit der SPÖ, der letztlich nicht aufhebbaren Spannung zwischen pragmatischen Reformern à la Tony Blair und Gerhard Schröder und den strukturkonservativen, die alten ideologischen Positionen hochhaltenden Gruppen, die sich vor allem in der Fraktion Sozialistischer Gewerkschafter, der Parteijugend und dem linken Parteiflügel sammelten. Die Verweigerung der Unterschrift von Rudolf Nürnberger war daher aus der Sicht der ÖVP unter einem doppelten Aspekt zu sehen : Man musste, um aufgrund der Erfahrungen der letzten Jahre die Durchsetzung der vereinbarten strukturellen Reformen im Bereich der Pensionen auch realisieren zu können, auf einem von allen wesentlichen Akteuren unterzeichneten Abkommen bestehen. Die Verweigerung der Unterschrift signalisierte die tiefe Spaltung der SPÖ, die Viktor Klima aufgrund seiner immer schwächer werdenden innerparteilichen Stellung nicht zu überwinden vermochte. Es waren letztlich die strukturkonservativen Vertreter des linken Parteiflügels, die sich gegen das Koalitionsabkommen als Ganzes aussprachen oder zumindest forderten, gewisse sensible Themen auszuklammern und späteren parlamentarischen Verhandlungen zu überlassen. Wolfgang Schüssel hatte diesen Überlegungen bereits kurz vor Ende der Verhandlungen eine klare Absage erteilt, indem er betonte, die ÖVP wolle zum Schluss klare Lösungen vereinbaren. »Es hat ja niemand etwas davon, wenn wir Kompromissformeln drechseln, die nur ein halbes Jahr halten.« Die Ausklammerung sensibler Themen »wäre auch ein großer Unsinn und ein schwerer Fehler. Wir können doch nicht Fragen ausklammern, die dringend geklärt werden müssen. Wir reden ja nicht über Orchideenthemen, bei denen man sagen könnte, na ja, wenn’s nicht geht, legen wir’s halt einstweilen beiseite. Uns geht es um das Budget, um die Pensionen, um einen Befreiungsschub im Wirtschaftsbereich, um die Senkung der Lohnnebenkosten, um die Sicherheitspolitik. Das sind
888 Der Standard 19./20.2.2000. S. 9.
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große Brocken, die gelöst werden müssen, und zwar jetzt.«889 Da sich Viktor Klima nicht gegen die innerparteiliche Opposition durchzusetzen vermochte und die ÖVP nicht bereit war, auf die von Klima angebotenen Kompromissformeln und Ausklammerungen einzugehen, mussten die Verhandlungen scheitern. Sie scheiterten aber auch aus den wachsenden persönlichen Spannungen zwischen den handelnden Personen, wobei man besonders in der ÖVP zunehmend verärgert auf das Verhalten sozialdemokratischer Spitzenrepräsentanten reagierte. »Die Chemie stimmte nicht mehr. Dazu kam in den Reihen der ÖVP das immer deutlicher werdende dumpfe Gefühl, von den Sozialdemokraten übertölpelt zu werden, als Partei der mieselsüchtigen Koffer, durch die vereinten Kräfte des Bundespräsidenten, der internationalen Meinung und der Sozialistischen Internationale sowie am Zaum des eigenen Verantwortungsbewusstseins in das Ehebett der Koalition gezwungen zu werden.«890 Aus Sicht der ÖVP konnte man wählen zwischen einer als absolut notwendig erachteten Reformagenda, die jedoch offensichtlich mit der SPÖ nicht zu realisieren war, und einer bequemen Fortführung einer letztlich nur zu kleinen und zaghaften Reformschritten bereiten Koalition. Wenngleich die Fortführung der Gemütlichkeit sicherlich dem Wunsch der Mehrheit der Bevölkerung, die das politische Biedermeier bereits internalisiert hatte, entsprach, schien es im Interesse der Zukunftsfähigkeit des Landes die bessere Option, ein Ende der Gemütlichkeit zu riskieren. Man habe jedoch diese Option, wenngleich von einem erheblichen Teil der Partei gefordert, so lange nicht ergriffen, so lange ein Abschluss der Reformagenda mit der SPÖ möglich schien. Erst als dies in den frühen Morgenstunden des 21. Jänner 2000 nicht mehr möglich war, habe man die Kontakte zur FPÖ mit dem Ziel gesucht, die mit der SPÖ vereinbarte Reformagenda mit einem anderen Partner, der sich von früheren Positionen entfernt hatte, zu realisieren.
IX.5 Der Bundespräsident und die Bemühungen um die Bildung e iner SPÖ-Minderheitsregierung Bereits um 9 : 00 Uhr erschien Wolfgang Schüssel in Begleitung aller Landesparteiobleute beim Bundespräsidenten, um diesen vom Scheitern der Verhandlungen zu informieren. Thomas Klestil ließ mit versteinerter Miene wissen, dass er dies zur Kenntnis nehme und anschließend mit Viktor Klima Gespräche führen werde. Als die erschienene ÖVP-Spitze den Bundespräsidenten aufforderte, Wolfgang Schüssel nunmehr mit einer Regierungsbildung zu beauftragen, erwiderte dieser, er werde dies auf keinen Fall tun, da für ihn eine ÖVP-FPÖ-Regierung nicht in Frage 889 FORMAT 2/2000. S. 30. 890 Khol : Die Wende ist geglückt. S. 110.
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große Brocken, die gelöst werden müssen, und zwar jetzt.«889 Da sich Viktor Klima nicht gegen die innerparteiliche Opposition durchzusetzen vermochte und die ÖVP nicht bereit war, auf die von Klima angebotenen Kompromissformeln und Ausklammerungen einzugehen, mussten die Verhandlungen scheitern. Sie scheiterten aber auch aus den wachsenden persönlichen Spannungen zwischen den handelnden Personen, wobei man besonders in der ÖVP zunehmend verärgert auf das Verhalten sozialdemokratischer Spitzenrepräsentanten reagierte. »Die Chemie stimmte nicht mehr. Dazu kam in den Reihen der ÖVP das immer deutlicher werdende dumpfe Gefühl, von den Sozialdemokraten übertölpelt zu werden, als Partei der mieselsüchtigen Koffer, durch die vereinten Kräfte des Bundespräsidenten, der internationalen Meinung und der Sozialistischen Internationale sowie am Zaum des eigenen Verantwortungsbewusstseins in das Ehebett der Koalition gezwungen zu werden.«890 Aus Sicht der ÖVP konnte man wählen zwischen einer als absolut notwendig erachteten Reformagenda, die jedoch offensichtlich mit der SPÖ nicht zu realisieren war, und einer bequemen Fortführung einer letztlich nur zu kleinen und zaghaften Reformschritten bereiten Koalition. Wenngleich die Fortführung der Gemütlichkeit sicherlich dem Wunsch der Mehrheit der Bevölkerung, die das politische Biedermeier bereits internalisiert hatte, entsprach, schien es im Interesse der Zukunftsfähigkeit des Landes die bessere Option, ein Ende der Gemütlichkeit zu riskieren. Man habe jedoch diese Option, wenngleich von einem erheblichen Teil der Partei gefordert, so lange nicht ergriffen, so lange ein Abschluss der Reformagenda mit der SPÖ möglich schien. Erst als dies in den frühen Morgenstunden des 21. Jänner 2000 nicht mehr möglich war, habe man die Kontakte zur FPÖ mit dem Ziel gesucht, die mit der SPÖ vereinbarte Reformagenda mit einem anderen Partner, der sich von früheren Positionen entfernt hatte, zu realisieren.
IX.5 Der Bundespräsident und die Bemühungen um die Bildung e iner SPÖ-Minderheitsregierung Bereits um 9 : 00 Uhr erschien Wolfgang Schüssel in Begleitung aller Landesparteiobleute beim Bundespräsidenten, um diesen vom Scheitern der Verhandlungen zu informieren. Thomas Klestil ließ mit versteinerter Miene wissen, dass er dies zur Kenntnis nehme und anschließend mit Viktor Klima Gespräche führen werde. Als die erschienene ÖVP-Spitze den Bundespräsidenten aufforderte, Wolfgang Schüssel nunmehr mit einer Regierungsbildung zu beauftragen, erwiderte dieser, er werde dies auf keinen Fall tun, da für ihn eine ÖVP-FPÖ-Regierung nicht in Frage 889 FORMAT 2/2000. S. 30. 890 Khol : Die Wende ist geglückt. S. 110.
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komme. Klestils präsidiales Amtsverständnis, das die Möglichkeiten des Bundespräsidenten in extenso interpretierte und die für eine Regierungsbildung notwendige Mehrheit im Parlament einfach ignorierte, stieß bei der ÖVP auf Unverständnis und unverhohlene Empörung. Im Anschluss an das Gespräch in der Hofburg war sie zur Konfrontation mit Klestil entschlossen. In einer Sitzung der neun Landesobleute mit dem ÖVP-Verhandlungsteam wurde Wolfgang Schüssel die Vollmacht erteilt, Verhandlungen mit der FPÖ über die Bildung einer Koalitionsregierung aufzunehmen. Andreas Khol bemerkte zu der Stimmung in der ÖVP : »Einerseits wollten wir nun die Option wahrnehmen, die wir bei den Sondierungen erkundet hatten und die uns möglich erschien. Da aber nichts vereinbart worden war, schwebten wir plötzlich im luftleeren Raum. Der eine Partner war uns abhanden gekommen, der andere stand noch nicht zur Verfügung. Würde uns diesmal wieder passieren, was 1970 und 1983 geschehen war ? Die SPÖ schneller bei den Freiheitlichen als wir und mit besseren Angeboten ? Gerüchte rasten durch Wien, durch Österreich : Die Freiheitlichen hätten schon mit Schlögl abgeschlossen ; es gebe einen Vertrag : sechs Monate Minderheitsregierung, dann Wahlen, dann Koalition.«891 Im Anschluss an die ÖVP-Spitze erschien Viktor Klima beim Bundespräsidenten zur Berichterstattung mit dem Ergebnis, dass ihn Klestil mit der Bildung einer Minderheitsregierung beauftragte, der auch nicht der SPÖ zuzurechnende Experten angehören und die sich im Nationalrat in den jeweiligen Sachfragen um Mehrheiten bemühen sollte. Die gegenüber der ÖVP während der Verhandlungen angedrohte Ausschreibung von Neuwahlen kam für Klestil realiter nicht in Frage, da diese auch die durchaus realistische Möglichkeit in sich barg, dass die FPÖ als stärkste Partei aus ihnen hervorgehen würde und er damit gezwungen wäre, Jörg Haider mit der Regierungsbildung zu beauftragen. Der Auftrag Klestils an Klima war jedoch zweideutig formuliert und führte zu stundenlangen Verwirrungen. Der Bundespräsident erklärte nämlich im ORF-Mittagsjournal, er habe Klima den Auftrag erteilt, mit allen im Parlament vertretenen Parteien Gespräche zu führen. Dies wurde von den Medien als Auftrag für die Bildung einer Konzentrationsregierung interpretiert, während Klima nach seinem Gespräch mit Klestil mitgeteilt hatte, er sei mit der Bildung einer Minderheitsregierung beauftragt worden. Die Präsidentschaftskanzlei sah sich daher zu einer Klarstellung veranlasst, die die Interpretation Klimas bestätigte : »Der Bundespräsident nimmt den Bericht des Bundeskanzlers zur Kenntnis, wonach die Gespräche mit der ÖVP erfolglos beendet wurden. Der Bundespräsident bekräftigt den Auftrag zur Regierungsbildung und ersucht den Bundeskanzler, mit den Vorsitzenden aller im Parlament vertretenen Parteien Gespräche über eine SP-geführte Regierung zu führen, die über keine Mehrheit im Parlament verfügt und in der auch unabhängige Exper891 Khol : Die Wende ist geglückt. S. 111.
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ten aufgenommen werden sollen.«892 Heinz Fischer, der um 11 :00 Uhr bei Klestil zu einer Unterredung erschien, bemerkte in seiner Darstellung, ihm sei klar gewesen, was dem Bundespräsidenten bei seinem Auftrag an Klima, der den Begriff »Minderheitsregierung« vermied, vorschwebte : »eine Minderheitsregierung unter Führung von Viktor Klima, die eigentlich keine Minderheitsregierung sein soll, weil ihr als Regierungsmitglieder auch Experten angehören, die das Vertrauen anderer Parlamentsfraktionen haben und die daher zumindest für eine gewisse Zeit damit rechnen kann, nicht bei erster Gelegenheit durch ein Misstrauensvotum gestürzt zu werden.« Um dieses Ziel zu erreichen, werde Viktor Klima, so Fischer in der Mittags-ZIB, an die übrigen im Parlament vertretenen Parteien drei Fragen richten : 1. Wären sie bereit, eine von der SPÖ geführte Minderheitsregierung einige Monate zu tolerieren ; 2. Wären sie bereit, eine Beschlussfassung für das Budget 2000 zu ermöglichen und wären sie 3. bereit, in eine solche Regierung zwei oder drei Experten, die ihr Vertrauen genießen, zu entsenden ?893 Der Bundespräsident ging jedoch in den Nachmittagsstunden des 21. Jänner noch einen Schritt weiter und ließ über die Präsidentschaftskanzlei mitteilen, er werde, parallel zu Viktor Klima, auch persönlich mit allen Parteiobleuten sprechen.894 Klestils neuerliches Agieren im Sinne einer präsidialen Demokratie sowie seine unverhohlene Unterstützung Klimas stieß mit Ausnahme der SPÖ bei allen Parteien auf Kritik und Ablehnung. Die grüne Bundesgeschäftsführerin Michaela Sburny erklärte beim Bundeskongress der Grünen in Salzburg, Klestil habe mit seinem Verhalten zur Verwirrung beigetragen,895 und Parteichef Alexander Van der Bellen forderte den Bundespräsidenten auf, sein Verhalten zu erklären. Die Kommunikation seines Handelns sei »wirklich nicht sehr glücklich« gewesen.896 ÖVP-Klubobmann Andreas Khol kommentierte das Agieren des Bundespräsidenten mit der Bemerkung : »Klestil ist der oberste Krisenmanager der Republik, er soll keine Krisen erzeugen.«897 In einer Aussendung des ÖVP-Pressedienstes hieß es : »Bundespräsident Klestil forderte nach den Wahlen die Bildung einer stabilen Regierung mit breiter Mehrheit. Eine Minderheitsregierung entspricht dieser Forderung nicht ! Wenn der Bundespräsident den Wunsch nach neuerlichen Gesprächsrunden äußert, wird sich die ÖVP nicht verweigern. 1. Die ÖVP ist jederzeit bereit, das Verhandlungsergebnis zu unterschreiben. 2. Eine Minderheitsregierung – mit der Konsequenz von Neuwahlen – ist schlecht für das Land. Daher muss geprüft werden, ob eine andere stabile mehrheitsfähige
892 Der Standard 22./23.1.2000. S. 1. 893 Fischer : Wende Zeiten. S. 91f. 894 Kurier 23.1.2000. S. 2. 895 Ebda. S. 3. 896 Der Standard 24.1.2000. S. 7. 897 SN 22.1.2000. S. 2.
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Regierung machbar ist.«898 Jörg Haider erklärte, für ihn sei das Verhalten des Bundespräsidenten inakzeptabel. Die FPÖ werde »die nötigen Gespräche führen, selbst mit Nochbundeskanzler Klima. Wir werden klarmachen, dass das Interesse des Landes vor das einer Partei geht. Klestil hat die verdammte Pflicht, sich um eine Mehrheit zu bemühen und nicht von vornherein ein sozialistisches Kabinett mit ein paar Alibiexperten einzusetzen. […] Es befremdet mich, wenn ein Bundespräsident, der allen Parteien neutral gegenüberstehen und eine möglichst breite Regierungsbasis sicherstellen soll, derart fahrlässig handelt.«899 Eine Woche zuvor hatte er die Chancen auf die Bildung einer ÖVP-FPÖ-Regierung mit gegen 70 Prozent eingeschätzt und in Richtung Hofburg erklärt : »Es kann nicht sein, dass ein paar Zeitungsherausgeber und ORF-Leute gemeinsam mit sozialistischen Spitzenfunktionären den Präsidenten umzingeln und so lange knebeln, bis das herauskommt, was sie wollen. […] Es kann ja nicht sein, dass die Gutmenschen bestimmen, wer mit wem regieren darf.«900 Für Peter Rabl war »Thomas Klestil […] auf dem Weg, vom Problemlöser zu einem Teil des Problems zu werden.«901 Und auch die Bevölkerung stimmte keineswegs dem Verhalten Klestils zu. Eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts INTEGRAL ergab, dass 68 Prozent der Befragten lediglich »durchschnittlich« bis »überhaupt nicht« mit dem Verhalten des Bundespräsidenten zufrieden waren.902 Nach einer OGM-Umfrage attestierten 55 Prozent der Befragten dem Bundespräsidenten eine »weniger gute Arbeit«.903 Der Ball lag neuerlich im Spielfeld von Viktor Klima, der in der ORF-Radiosendung »Im Journal zu Gast« erklärte, es gehe bei den von ihm nun zu führenden Gesprächen mit den anderen Parteien nicht darum, für einen dauerhaften Regierungspakt zu werben, »sondern darum, von Fall zu Fall eine Mehrheit im Parlament zu suchen«. Eine Koalition mit der FPÖ stehe nicht zur Diskussion, sehr wohl aber eine parlamentarische Zusammenarbeit in Sachfragen.904 In einem Interview mit dem Magazin FORMAT deutete er einen möglichen Brückenschlag zur FPÖ an. »[Ich] habe nie aus persönlichen Feindschaften irgend etwas ausgeschlossen, sondern sachlich begründet. Wenn wir jetzt eine sozialdemokratisch geführte Expertenregierung bilden, und die FPÖ zeigt jetzt im Parlament über Monate oder Jahre, dass man in Sachfragen gut und vertrauensvoll zusammenarbeiten kann, dann ist das ohne Zweifel ein Baustein der Glaubwürdigkeit.« Es hänge daher »von der FPÖ selbst ab, ob sie international und auch national als verlässlicher Partner in einer Regierung gesehen 898 ÖVP-Pressedienst 21.1.2000. S. 4. 899 FORMAT 4/2000. S. 42f. 900 FORMAT 3/2000. S. 33. 901 Peter Rabl : Der Problemlöser wird zu einem Teil des Problems. – In : Kurier 23.1.2000. S. 2. 902 Ebda. S. 3. 903 FORMAT 4/2000. S. 37. 904 Kurier 23.1.2000. S. 2.
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werden« könne.905 Diese Regierung werde, so der stellvertretende SPÖ-Vorsitzende und Nationalratspräsident Heinz Fischer in der TV-»Pressestunde« am 23. Jänner, in den Bereichen Außen- und Sicherheits-, Budget-, Bildungs- und Sozialpolitik von dem mit der ÖVP ausgehandelten Koalitionspakt abweichen. Dies bedeute, dass die Möglichkeit von Studiengebühren in bestimmten Fällen, wie bei Seniorstudenten, gestrichen und in der Frage der Frühpensionen »eine Phase eingeschaltet« werde, »wo man zusätzliche Vorschläge einbringen« könne.906 Aus der FPÖ kamen deutliche Signale zur Frage einer SP-geführten Minderheitsregierung und deren von der SPÖ angedeuteten politischen Zielsetzungen. Man lehnte eine SP-geführte Minderheitsregierung ab, war jedoch bereit, in Koalitionsverhandlungen mit der SPÖ einzutreten. Parteiobmann Jörg Haider erklärte in Richtung FPÖ, diese sollte »die Politik der verbrannten Erde gegenüber dem politischen Mitbewerber aufgeben.«907 Die Haltung der FPÖ basierte auf in sich logischen Überlegungen : Man war nicht bereit, den Steigbügelhalter für eine SPgeführte Minderheitsregierung zu bilden, mit der vagen Aussicht, bei einem entsprechenden parlamentarischen Wohlverhalten in Zukunft am Regierungstisch zu sitzen. Die FPÖ, vor allem Jörg Haider, war die von beiden Seiten heftig umworbene Braut. Während in der ÖVP der Entschluss zur Kontaktaufnahme mit der FPÖ zur Bildung einer mehrheitsfähigen Regierung gefallen war, war die SPÖ in ihrer Haltung gespalten. Der strikten Ablehnungsfront einer SPÖ-FPÖ-Regierung standen deren Befürworter um Innenminister Karl Schlögl gegenüber. Schlögl hatte seit Dezember Kontakte zur FPÖ gepflogen, mit dem Ziel, die SPÖ aus ihrer taktischen Selbstfesselung zu befreien. Parteiintern wurde Schlögl als möglicher Nachfolger Klimas, dem man mangelndes Durchsetzungsvermögen gegenüber der ÖVP ankreidete, als Bundeskanzler gehandelt. Parteiobmann und Bundeskanzler Viktor Klima lavierte zwischen beiden Gruppierungen und favorisierte die Kompromisslösung einer parlamentarischen (Probe-)Ehe auf Zeit, der eine engere Bindung in Form einer Koalitionsregierung folgen könnte. FPÖ-Klubobmann Herbert Scheibner erwiderte auf die Avancen Klimas, dieser könne mit der FPÖ »über die Bildung einer Regierung reden – und über sonst nix.«908 Und Jörg Haider unterstrich, die Unterstützung einer SP-geführten Minderheitsregierung komme nicht in Frage. »Ich wüsste nicht, warum wir so etwas tun sollen, wo es so viele Möglichkeiten einer breiten Mehrheit gibt.« Wenn die SPÖ mit seiner Partei reden wolle, dann solle »sie offen mit uns reden«.909 905 FORMAT 4/2000. S. 42. 906 Die Presse 24.1.2000. S. 5. 907 SN 22.1.2000. S. 3. 908 Der Standard 22./23.1.2000. S. 6. 909 Ebda.
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Und die SPÖ begann fünf Minuten vor zwölf mit der FPÖ zu reden, mit dem Ziel, diese durch die Entsendung von ihr nahestehender Experten zu einer Tolerierung einer SP-geführten Minderheitsregierung zu bewegen. Gemeinsam sollte man sich nach der Verabschiedung eines provisorischen Budgets über den Zeitpunkt von Neuwahlen nach etwa einem Jahr einigen, auf die eine offizielle Koalition der beiden Parteien folgen könne. Das Gespräch mit Haider führte Karl Schlögl, der in einem Gespräch mit dem Journalisten Gerhard Steininger bemerkte : »Ich habe in Gesprächen mit Klima, Fischer und ein paar anderen wichtigen Leuten in der SPÖ das Pouvoir bekommen, mit dem Haider zu reden. Ich habe Haider dann zwei, drei Fachminister als Gegenleistung für die Duldung einer SPÖ-Minderheitsregierung angeboten, aber er hat abgelehnt, es war ihm zu wenig. Er wollte eine Art Pakt haben, der von der SPÖ unterschrieben war.«910 Im Vorfeld des Gesprächs appellierte der ehemalige Kärntner Kurzzeit-Landesobmann Helmut Manzenreiter an Viktor Klima, in Sachfragen mit der FPÖ zusammenzuarbeiten. Er habe während seiner Zeit als Kärntner SPÖ-Landesparteiobmann die Erfahrung gemacht, dass die FPÖ in Sachfragen »ein durchaus verlässlicher und paktfähiger Partner« sei.911 Aus Kärnten erwiderte Haider auf die Avancen der SPÖ, dass er auf einer schriftlichen Vereinbarung und einem offiziellen Koalitionsabkommen bestehe. »Rot-Blau würde heißen, dass es offizielle Gespräche über die Bildung einer Regierung gibt. Die Kraft wird Klima nicht haben.«912 Die Analyse Haiders war durchaus zutreffend. Klima war aufgrund der innerparteilichen Spannungen und seiner ohnedies bereits geschwächten Position zu einem solchen Schritt nicht in der Lage, sondern konnte nur die Option einer Minderheitsregierung mit FPÖ-Unterstützung als Übergangslösung und ohne offizielles Koalitionsabkommen offerieren. Die stellvertretende Bundesobfrau der ÖVP, Unterrichtsministerin Elisabeth Gehrer, kommentierte die Bemühungen Klimas um die FPÖ ironisch mit der Bemerkung, wenn es um den Machterhalt gehe, sei nach mehr als einem Jahrzehnt politischer Ausgrenzung plötzlich »auch die FPÖ genehm.« Das Bemühen der SPÖ um die FPÖ erinnere an das Sandkastenspiel kleiner Kinder. »Wenn ihr jetzt zwei Jahre lieb seid und unsere Minderheitsregierung unterstützt, dann nehmen wir euch später in eine Koalition rein.«913 Doch selbst die Bildung einer SP-geführten Minderheitsregierung unter Einbindung von parteifreien Experten war in der SPÖ umstritten. Wissenschaftsminister Caspar Einem bezeichnete ein solches Modell respektlos als »Expertengeschwätz. … Das unterstreicht nur das Vorurteil, dass es entweder kompetente Leute oder Politiker gibt. Wir sind Experten für Politik, Politik darf man nicht den Technokraten 910 Gerhard Steininger : Das Dritte Lager. Aufstieg nach dem Fall ? – Wien 2007. S. 165. 911 Die Presse 24.1.2000. S. 5. 912 Kurier 24.1.2000. S. 3. 913 SN 24.1.2000. S. 3.
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überlassen.« Zudem sei für eine Minderheitsregierung »der Grad der Vorbereitung« in der SPÖ zu gering. »Es wäre gescheit gewesen, wenn sich Parteistrategen schon im Sommer zusammengesetzt hätten«, um diese Möglichkeit durchzudiskutieren.914 Wenngleich Grünen-Chef Alexander Van der Bellen eine punktuelle Unterstützung einer SP-geführten Minderheitsregierung nicht ausschloss, so hatte eine solche aufgrund der Weigerung von ÖVP und FPÖ keine parlamentarische Überlebenschance. Selbst wenn der Bundespräsident, wie von ihm angekündigt, am 26. Jänner eine Minderheitsregierung angeloben wollte, wäre diese bereits wenige Tage später im Nationalrat durch ein Misstrauensvotum von ÖVP und FPÖ gestürzt worden. Hätte Klestil aufgrund dieses Szenarios von seinem Vorhaben Abstand genommen und Neuwahlen ausgeschrieben, so hätte dies zwei von ihm nicht gewünschte Folgen mit sich gebracht : die FPÖ könnte zur stärksten Partei avancieren und deren Obmann Jörg Haider hätte dann, den bisherigen Gepflogenheiten gemäß, vom Bundespräsidenten mit der Bildung einer Regierung beauftragt werden müssen. Im Falle der Ausschreibung von Neuwahlen wären zudem erhebliche Probleme mit dem Budget entstanden, die sich Österreich angesichts der bevorstehenden Euro-Einführung nicht leisten konnte. Wurde nämlich bis Mai, wenn die Hälfte der Staatsschulden des Vorjahres aufgenommen war, kein Budgetprovisorium beschlossen, war die Republik zahlungsunfähig. Ohne gesetzliche Deckung durfte nämlich ab diesem Zeitpunkt seitens des Staates keine Ausgaben mehr getätigt werden. Ein Szenario, das es unter allen Umständen zu vermeiden galt, weshalb Finanzminister Edlinger einen Appell an die staatsspolitische Verantwortung sämtlicher im Parlament vertretenen Parteien zur Verabschiedung eines Budgets oder eines Budgetprovisoriums richtete. »Wenn bis voraussichtlich Mai im Parlament kein Budget oder zumindest ein Budgetprovisorium beschlossen wird, dann ist Österreich zahlungsunfähig. Von allen Parteien, die sich der Verantwortung zur Zusammenarbeit entziehen, würde ein Staatsnotstand verschuldet.«915 Zum Zeitpunkt des Appells war das Bemühen Viktor Klimas um die Bildung einer SP-geführten Minderheitsregierung bereits gescheitert. Trotz aller Versuche eines Brückenschlags zur FPÖ war es ihm nicht gelungen, diese mit dem Versprechen einer späteren Regierungsbeteiligung für die Unterstützung einer Minderheitsregierung zu gewinnen. Die FPÖ bestand in den Gesprächen mit der SPÖ auf einer sofortigen Regierungsbeteiligung, wozu sich jedoch Klima aufgrund seiner innerparteilich angeschlagenen Position und des zu erwartenden innerparteilichen Widerstandes nicht in der Lage sah. Auch die Unterstützung des Bundespräsidenten hatte keinerlei Gewicht, da Thomas Klestil sowohl bei ÖVP wie FPÖ jeden Kredit verspielt hatte. Seine Schüssel und Haider gegenüber abgegebene Erklärung, keinem der beiden 914 Die Presse 24.1.2000. S. 5. 915 Kurier 24.1.2000. S. 2.
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den Auftrag zur Regierungsbildung zu geben und eine schwarz-blaue Bundesregierung nicht angeloben zu wollen, wurde von beiden als verfassungsrechtlich nicht gedeckte Kriegserklärung und Ausdruck eines der Verfassung nicht entsprechenden präsidialen Amtsverständnisses verstanden. ÖVP und FPÖ waren bereit, den von Klestil hingeworfenen Fehdehandschuh aufzugreifen und ohne Beauftragung durch den Bundespräsidenten in Verhandlungen über eine Regierungsbildung einzutreten. Ein bis dahin in der Geschichte der Zweiten Republik einzigartiger Fall. Mit Blick auf diese schwierige politische Situation bemerkte Andreas Koller, dass das von Klestil gewünschte Minderheitskabinett Klima Geschichte sei. »›Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Bundeskanzler heißt Viktor Klima.‹ So oder ähnlich scheint Artikel Eins in jener Ausgabe der österreichischen Bundesverfassung zu lauten, auf die sich Bundespräsident Thomas Klestil behufs Regierungsbildung stützt. Klestil wünschte von Klima eine mehrheitsfähige Regierung und die Vorlage eines Reformkonzepts. Klima ist mit beidem gescheitert. Macht aber nichts, nun darf Klima eben eine Minderheitsregierung bilden. Der Bundespräsident ist zwar per Amtseid dem Wohl der Republik verpflichtet. Doch mit seinem beharrlichen Festhalten am gescheiterten Vorsitzenden einer Partei, die sich in Geiselhaft der sozialistischen Gewerkschaftsfraktion befindet, erwies Thomas Klestil dem Land einen schlechten Dienst. Es ist bizarr. Ein Parteiführer, der für sein Reformvorhaben nicht einmal die Unterstützung seiner Parteifreunde fand, soll nun versuchen, die Unterstützung eines feindlich gesinnten Parlaments zu finden. In Wahrheit ist das Kabinett Klima, sollte es je zustande kommen, schon mit heutigem Tag politisch erledigt. Daran ändert auch Klimas Bemühen nichts, sich an die Freiheitlichen anzubiedern, die der SPÖ auch 1970/71 und 1983/86 die Räuberleiter machte.«916 Die Situation der SPÖ war nach dem Abbruch der Verhandlungen mit der ÖVP und dem Auftrag des Bundespräsidenten zur Bildung einer Minderheitsregierung aussichtslos. Obwohl ÖVP-Klubobmann Andreas Khol die Bereitschaft seiner Partei, unter den von ihr genannten Bedingungen – Unterschriften von Rudolf Nürnberger und Peter Kostelka sowie Berufung eines parteifreien Finanzministers – eine Koalition mit der SPÖ zu bilden, nach wie vor bekräftigte, waren seitens der ÖVP die Brücken zum ehemaligen Regierungspartner endgültig abgebrochen, als SPÖKlubobmann Peter Kostelka erwiderte, in seiner Partei betrachte man das Ende der Koalition als »Befreiungsschlag« und als Ende einer »Uralt-Regierungsform«.917 Die von der SPÖ angestrebte Alternative zur »Uralt-Regierungsform« eröffnete zwei (theoretische) Möglichkeiten : die Bildung einer SP-geführten Minderheitsregierung mit FPÖ-Duldung nach dem Muster der Jahre 1970/71 oder die Bildung 916 Andreas Koller : Das Kabinett Klima ist bereits erledigt. – In : SN 24.1.2000. S. 1. 917 SN 24.1.2000. S. 2.
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einer SPÖ-FPÖ-Regierung. Da die letztere Option aufgrund der zu erwartenden innerparteilichen Turbulenzen zunächst nicht realisierbar war, blieb lediglich die Variante der SP-geführten Minderheitsregierung und deren – wenn auch zeitlich limitiertes – politisches Überleben mit FPÖ-Duldung. Die Weigerung der FPÖ, diesen Schritt zu setzen und deren Pochen auf ein offizielles Koalitionsübereinkommen führten für die SPÖ zu einer politischen Selbstfesselung, aus der sie nur vom Bundespräsidenten angeordnete vorzeitige Neuwahlen zu befreien vermochten. Zu diesem Schritt war jedoch Thomas Klestil nicht bereit, weshalb die Option der Bildung einer ÖVP-FPÖ-Regierung, trotz einer ablehnenden Haltung der Hofburg, als politischer Befreiungsschlag immer realistischere Formen annahm. Am 24. Jänner hatte noch Karl Schlögl mit Jörg Haider über das Vorhaben einer Minderheitsregierung mit FPÖ-Unterstützung gesprochen und am 25. Jänner Viktor Klima mit FPÖ und Grünen über die Entsendung von ihnen nahestehenden Persönlichkeiten in eine SP-geführte Minderheitsregierung. Vergeblich. Am 25. Jänner beschloss das SPÖ-Präsidium in den späten Abendstunden, dass Bundeskanzler Klima den Bundespräsidenten vom Scheitern seiner Bemühungen unterrichten müsse.
IX.6 Ein Zwischenspiel mit Folgen. Die Stockholmer Holocaust-Konferenz und die drohende Isolierung Österreichs. Die Sanktionen der 14 EU-Staaten Thomas Klestil war trotz des Scheiterns von Viktor Klima bei der Bildung einer SP-geführten Minderheitsregierung nach wie vor bemüht, jede sich bietende Gelegenheit zu ergreifen, dem unaufhaltsam rollenden Rad der Geschichte in Richtung einer ÖVP-FPÖ-Koalition doch noch in die Speichen zu greifen. In Kenntnis des keineswegs friktionsfreien Verhältnisses zwischen EU-Kommissar Franz Fischler und ÖVP-Obmann Wolfgang Schüssel sowie zahlreicher kritischer ÖVP-interner Stimmen, vor allem aus den westlichen Bundesländern, zu einer möglichen ÖVPFPÖ-Koalition nahm er Kontakt zu Franz Fischler in Brüssel auf, um ihn für die Bildung einer ÖVP-SPÖ-Regierung zu gewinnen, wobei Fischler die Funktion des Bundeskanzlers und Androsch jene des Vizekanzlers ausüben sollte. Die weder mit der ÖVP noch der SPÖ akkordierte Aktion hatte jedoch keine Realisierungschancen. Eine andere, gleichsam letzte Möglichkeit ergab sich für Klestil mit dem Hinweis auf die zu erwartende heftige internationale Reaktion im Fall einer FPÖRegierungsbeteiligung. Das Wahlergebnis vom 3. Oktober hatte in den europäischen Hauptstädten vor dem Hintergrund des Aufkommens rechtspopulistischer Bewegungen in zahlreichen europäischen Ländern wie Frankreich, Belgien und Dänemark für Aufmerksamkeit gesorgt. Und auch in Washington hatte man vom Wahlergebnis Notiz genommen.
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einer SPÖ-FPÖ-Regierung. Da die letztere Option aufgrund der zu erwartenden innerparteilichen Turbulenzen zunächst nicht realisierbar war, blieb lediglich die Variante der SP-geführten Minderheitsregierung und deren – wenn auch zeitlich limitiertes – politisches Überleben mit FPÖ-Duldung. Die Weigerung der FPÖ, diesen Schritt zu setzen und deren Pochen auf ein offizielles Koalitionsübereinkommen führten für die SPÖ zu einer politischen Selbstfesselung, aus der sie nur vom Bundespräsidenten angeordnete vorzeitige Neuwahlen zu befreien vermochten. Zu diesem Schritt war jedoch Thomas Klestil nicht bereit, weshalb die Option der Bildung einer ÖVP-FPÖ-Regierung, trotz einer ablehnenden Haltung der Hofburg, als politischer Befreiungsschlag immer realistischere Formen annahm. Am 24. Jänner hatte noch Karl Schlögl mit Jörg Haider über das Vorhaben einer Minderheitsregierung mit FPÖ-Unterstützung gesprochen und am 25. Jänner Viktor Klima mit FPÖ und Grünen über die Entsendung von ihnen nahestehenden Persönlichkeiten in eine SP-geführte Minderheitsregierung. Vergeblich. Am 25. Jänner beschloss das SPÖ-Präsidium in den späten Abendstunden, dass Bundeskanzler Klima den Bundespräsidenten vom Scheitern seiner Bemühungen unterrichten müsse.
IX.6 Ein Zwischenspiel mit Folgen. Die Stockholmer Holocaust-Konferenz und die drohende Isolierung Österreichs. Die Sanktionen der 14 EU-Staaten Thomas Klestil war trotz des Scheiterns von Viktor Klima bei der Bildung einer SP-geführten Minderheitsregierung nach wie vor bemüht, jede sich bietende Gelegenheit zu ergreifen, dem unaufhaltsam rollenden Rad der Geschichte in Richtung einer ÖVP-FPÖ-Koalition doch noch in die Speichen zu greifen. In Kenntnis des keineswegs friktionsfreien Verhältnisses zwischen EU-Kommissar Franz Fischler und ÖVP-Obmann Wolfgang Schüssel sowie zahlreicher kritischer ÖVP-interner Stimmen, vor allem aus den westlichen Bundesländern, zu einer möglichen ÖVPFPÖ-Koalition nahm er Kontakt zu Franz Fischler in Brüssel auf, um ihn für die Bildung einer ÖVP-SPÖ-Regierung zu gewinnen, wobei Fischler die Funktion des Bundeskanzlers und Androsch jene des Vizekanzlers ausüben sollte. Die weder mit der ÖVP noch der SPÖ akkordierte Aktion hatte jedoch keine Realisierungschancen. Eine andere, gleichsam letzte Möglichkeit ergab sich für Klestil mit dem Hinweis auf die zu erwartende heftige internationale Reaktion im Fall einer FPÖRegierungsbeteiligung. Das Wahlergebnis vom 3. Oktober hatte in den europäischen Hauptstädten vor dem Hintergrund des Aufkommens rechtspopulistischer Bewegungen in zahlreichen europäischen Ländern wie Frankreich, Belgien und Dänemark für Aufmerksamkeit gesorgt. Und auch in Washington hatte man vom Wahlergebnis Notiz genommen.
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Bereits eine Woche nach der Nationalratswahl warnte der christlich-soziale Premierminister Luxemburgs, Jean-Claude Juncker, beim EU-Sondergipfel im finnischen Tampere Wolfgang Schüssel vor den zu erwartenden europäischen Reaktionen im Fall einer Regierungsbeteiligung der FPÖ. Auch der christlich-soziale italienische Außenminister Lamberto Dini wies in einem Gespräch mit dem österreichischen Vizekanzler und Außenminister in Tampere auf die befürchteten unerwünschten Beispielsfolgen einer FPÖ-Regierungsbeteiligung für andere europäische rechtsextreme und rechtspopulistische Parteien hin. Angesichts des EU-Erweiterungsprozesses hatte der italienische Außenminister mit seinem österreichischen Amtskollegen Neuformulierungen der Artikel 6 und 7 des EU-Vertrages (die möglichen Sanktionen reichten bis zum Entzug des Stimmrechts im EU-Ministerrat) durchgesetzt, mit denen verhindert werden sollte, dass durch die Aufnahme von Staaten Ost- und Mitteleuropas kommunistische oder autoritäre Regierungen die Grundwerte der EU verletzen und die Entwicklung der Union beeinflussen können. Im Dezember wurde neuerlich der luxemburgische Ministerpräsident auf Ersuchen des französischen Ministerpräsidenten Lionel Jospin und des deutschen Bundeskanzlers Gerhard Schröder aktiv, indem er Schüssel eindringlich aufforderte, mit Rücksicht auf die möglichen positiven Signale für andere Rechtsparteien keine Koalition mit der FPÖ zu bilden. Während der deutsche Bundeskanzler Schröder und Außenminister Joschka Fischer mit wenig diplomatischen Worten offen vor einer FPÖ-Regierungsbeteiligung warnten, versuchte der französische Staatspräsident Jacques Chirac mit Blick auf den Front National in Frankreich Schüssel zunächst noch diskret von einer Aufwertung der FPÖ zu warnen. Anlässlich einer OSZE-Tagung in Istanbul wiederholte Chirac gegenüber Bundespräsident Thomas Klestil seine Besorgnis über eine mögliche Regierungsbeteiligung der FPÖ mit dem Argument, dass dies eine Ermutigung für alle rechtsgerichteten Parteien in Europa sei. Vor allem hatte Chirac bei seiner Warnung die innenpolitische Lage Frankreichs im Blick. Wenngleich der französische Präsident für die von ihm geleitete gaullistische RPR (Rassemblement du Peuple Français) eine Zusammenarbeit mit der Front National von Jean-Marie Le Pen ausschloss und damit deren (wenn auch nur vorübergehende) Krise mit auslöste, so wollten, sehr zum Ärger Chiracs, die Stimmen in der RPR über eine zumindest partielle Zusammenarbeit mit der Partei Le Pens nicht verstummen.918 Eine Zusammenarbeit der ÖVP mit der FPÖ musste jenen in Frankreich Auftrieb geben, die sich gegen eine strikte Ausgrenzung der Front National wandten. 918 Jean-Marie Le Pen wurde bei der Präsidentenwahl 2002 zum direkten Gegner Chiracs, der daraufhin als Sammelbewegung des bürgerlichen Lagers die UMP (Union pour un mouvement populaire) gründete, die sich aus der gaullistischen RPR Chiracs, der Démocratie libérale und Teilen der zentristischen UDF (Union démocratique français) bildete.
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Am Tag des endgültigen Scheiterns der Koalitionsgespräche und der sich verdichtenden Anzeichen von intensiven Gesprächen zwischen ÖVP und FPÖ über die Bildung einer Koalitionsregierung beantragte der liberale belgische Premierminister Guy Verhofstadt bei der portugiesischen EU-Präsidentschaft eine Sondersitzung der Außenminister, um über die Entwicklung in Österreich zu beraten. Zu einer solchen Sitzung hätte auch an Österreichs Außenminister Wolfgang Schüssel die Einladung ergehen müssen, doch zog es António Guterres vor, von der Einberufung einer solchen Sitzung Abstand zu nehmen. Der Brief des liberalen belgischen Ministerpräsidenten basierte sowohl auf außen- wie auch innenpolitischen Überlegungen. Es entbehrte nicht einer gewissen Ironie der Geschichte, dass die FPÖ unter ihrem Obmann Norbert Steger, der sich als Erbe Friedrich Peters und dessen Bemühungen sah, die Partei als österreichische Variante der deutschen FDP zu positionieren und in die Liberale Internationale zu führen, im Zuge der Reder-Frischenschlager-Affäre 1985 in die massive Kritik der Liberalen Internationale geriet.919 Norbert Steger wurde von der Liberalen Internationale aufgefordert, jeden Verdacht neonazistischer Tendenzen in der FPÖ zu zerstreuen. Mit der Übernahme der Parteiführung durch Jörg Haider 1986 erfolgte eine merkliche Entfremdung des Verhältnisses der FPÖ zur Liberalen Internationale, die zu diesem Zeitpunkt von Otto Graf Lambsdorff geführt wurde und 1991 in der Suspendierung der Mitgliedschaft ihren vorläufigen Höhepunkt erreichte. Das Ausscheiden von Heide Schmidt und vier weiteren Mandataren aus der FPÖ und die Gründung des Liberalen Forums 1993 setzten den Schlusspunkt unter die zunehmende Entfremdung. Durch die Abspaltung des Liberalen Forums sah sich die Liberale Internationale auch zu einer Prüfung der Positionen der FPÖ veranlasst, wobei sie auch von Stellungnahmen der neu gegründeten Partei unterstützt wurde. Der Bericht über die Situation in Österreich schloss sich in zahlreichen Passagen der Sicht des Liberalen Forums an und empfahl den Ausschluss der FPÖ aus der Liberalen Internationale. Einem solchen Beschluss kam Jörg Haider zuvor, indem er den Austritt der FPÖ aus der Liberalen Internationale erklärte, die im Gegenzug dem Liberalen Forum den Beobachterstatus einräumte, der im September 1994 in Reykjavik anlässlich des Weltkongresses der Liberalen Internationale in einen offiziellen Mitgliedsstatus umgewandelt wurde. Das Liberale Forum wurde 1993 auch Mitglied der ELDR (»Europäische Liberale, Demokratische und Reformpartei«), der drittstärksten Fraktion im europäischen Parlament.
919 Zur Affäre Reder-Frischenschlager vgl. Heidi Trettler : Der umstrittene Handschlag. Die Affäre Frischenschlager-Reder. – In : Michael Gehler, Hubert Sickinger (Hg.) : Politische Affären und Skandale in Österreich. Von Mayerling bis Waldheim. 2. Aufl. – Thaur/Wien/München 1996. S. 592–613 ; Robert Kriechbaumer : Zeitenwende. Die SPÖ-FPÖ-Koalition 1983–1987 in der Sicht der historischen Analyse, aus der Sicht der politischen Akteure und in den Karikaturen von Ironimus. – Wien/Köln/Weimar 2008. S. 85ff.
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Die FPÖ war nie Mitglied dieser europäischen Dachorganisation der liberalen Parteien gewesen. Der liberale belgische Premierminister war aufgrund dieser Vorgeschichte gegenüber einer möglichen FPÖ-Regierungsbeteiligung in Österreich sensibilisiert, zumal sich in seinem Koalitionskabinett mit Außenminister Louis Michel der Sohn eines Opfers des Nationalsozialismus befand, der bereits drei Tage vor dem Brief Verhofstadts in einem Telefonat mit Wolfgang Schüssel emotionell mit den Worten »Das werden wir euch nicht verzeihen – ich nicht und Europa nicht« vor den Konsequenzen einer möglichen ÖVP-FPÖ-Koalition gewarnt hatte.920 Im belgischen Parlament nannte Michel die Entwicklung in Österreich »besorgniserregend« und die Abgeordneten der Grünen steckten sich in einer Geste völlig überzogener symbolischer Politik gelbe Sterne ans Revers. Die Erregung ergriff auch die belgischen Christdemokraten, deren Abgeordnete Joëlle Milquet den Ausschluss der ÖVP aus der Europäischen Volkspartei mit der Begründung forderte, dass jemand, der mit der extremen Rechten koaliere, in dieser keinen Platz habe.921 Das Agieren Verhofstadts und Michels hatte jedoch, ähnlich wie jenes Chiracs, auch innenpolitische Motive. In Belgien erhielt der 1979 aus einem Zusammenschluss der Flämischen Volkspartei und der Flämischen Nationalpartei entstandene sezessionistische und sich für die Wahrung des Niederländischen aussprechende Vlaamse Blok zunehmend Zulauf und erzielte seine größten Erfolge in seinem Gründungsort Antwerpen. War der Vlaamse Blok in den achtziger Jahren bei den Wahlen zum belgischen und flämischen Parlament unter zwei Prozent geblieben, so erhielt er in den neunziger Jahren einen deutlich größeren Zuspruch und konnte 1999 bei den belgischen und flämischen Parlamentswahlen 9,9 bzw. 15,5 Prozent der Stimmen erreichen. Aufgrund seiner als rechtsradikal eingestuften Programmatik wurde der Vlaams Blok von den anderen Parteien als nicht koalitionsfähig erklärt und um ihn ein »Cordon sanitaire« gebildet. Konservative und liberale Politiker hatten somit bereits vor der am 26. Jänner auf Initiative des schwedischen Ministerpräsidenten Göran Persson einberufenen Holocaust-Konferenz der Sozialistischen Internationale in Stockholm ihre massiven Bedenken gegen eine FPÖ-Regierungsbeteiligung in Wien geäußert. Nunmehr erhielten diese Bedenken durch die in Stockholm versammelte Linke einen zusätzlichen Akzent. In 12 der insgesamt 15 EU-Staaten trugen die Sozialdemokraten bzw. Sozialisten Regierungsverantwortung. Die Stockholmer Tagung, an der neben Spit920 Zit. bei Michael Gehler : Präventivschlag als Fehlschlag : Motive, Intentionen und Konsequenzen der EU–14-Sanktionsmaßnahmen gegen Österreich im Jahr 2000. – In : Erhard Busek, Martin Schauer (Hg.) : Eine europäische Erregung. Die »Sanktionen« der Vierzehn gegen Österreich im Jahr 2000. Analysen und Kommentare. – Wie/Köln/Weimar 2003. S. 19–74. S. 27. 921 FORMAT 5/2000. S. 38.
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zenpolitikern auch Experten aus 47 Ländern teilnahmen, sollte, so Persson, dem erschreckenden Nichtwissen schwedischer Schüler über die Judenvernichtung und die Propaganda der Nationalsozialisten mit einem Aufklärungsprogramm begegnen. Bereits am Eröffnungstag schlug Friedensnobelpreisträger Elie Wiesel unter Zustimmung des schwedischen Ministerpräsidenten vor, eine solche Tagung als »Forum der Humanität« jedes Jahr in Stockholm abzuhalten. Während Göran Persson betonte, man müsse die Lehren aus der Geschichte ziehen, die Rolle des eigenen Landes in der Ära des Nationalsozialismus kritisch beleuchten und sich stets bemühen, die nachwachsenden Generationen für Demokratie und Menschenwürde zu gewinnen, forderte der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder eine verstärkte internationale Zusammenarbeit bei der Bekämpfung rechtsextremer Hasspropaganda und Gewaltverherrlichung. Angesichts der zunehmenden Bereitschaft rechtsradikaler Gruppen, »ihre Hetze auf die Straße zu tragen«, müsse man »sowohl polizeiliche wie die geistige Auseinandersetzung mit Rassismus und Neonazismus verstärken.«922 Die Tagung, bei der sich eine durch rituelle Beschwörungen des Erinnerns des Leidens und des damit verbundenen »Nie wieder !«-Appells ein Betroffenheitskult mit quasi-religiöser Grundierung breitmachte, bot dem noch amtierenden österreichischen Bundeskanzler die Möglichkeit, in seiner Rede am 26. Jänner auf die Gefahren einer Regierungsbeteiligung der FPÖ für die europäische Wertegemeinschaft hinzuweisen und internationale Solidarität im Kampf gegen diese drohende Entwicklung einzufordern. Viktor Klima erklärte, er stehe vor der Konferenz in großer Sorge und habe durchaus Verständnis dafür, dass von den Teilnehmern die Entwicklung in Österreich mit großer Beunruhigung betrachtet werde. Der Holocaust sei das größte Verbrechen des 20. Jahrhunderts. Wer dies nicht erkenne und auch deutlich ausspreche, sei völlig ungeeignet, öffentliche Verantwortung zu übernehmen, da er nicht über die Voraussetzung jedweder verantwortungsvoller Politik verfüge. Die Erfahrung mit dem Nationalsozialismus habe zu der Erkenntnis geführt, dass man Rassismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit bereits in den Anfängen bekämpfen müsse. Es sei die gemeinsame Verpflichtung und Verantwortung, dass solche menschenverachtende Ideologien im zusammenwachsenden Europa keinen Platz mehr haben. Europa sei eine Wertegemeinschaft, in der Regierungen mit fremdenfeindlichen Elementen und deren Ideologien keinen Platz hätten. Wenngleich Klima von Österreich sprach, so war auch offensichtlich, dass in vielen europäischen Ländern, wie Frankreich, den Beneluxländern, Italien oder Schweden, die Involvierung in die Verbrechen des Nationalsozialismus keineswegs den Gegenstand einer gründlichen selbstkritischen Reflexion und historischen Aufarbeitung bildete. Die in Stockholm entstandene Grundlage für die wenig später gegen die ÖVP-FPÖRegierung verhängten Sanktionen der 14 EU-Staaten diente daher auch »bis zu ei922 Die Presse 27.1.2000. S. 4.
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nem gewissen Grad […] der historischen Selbstentschuldigung. Österreichs viel bekrittelter Umgang mit der eigenen Geschichte und Haiders ständige Provokationen in Sachen Nationalsozialismus waren eine ideale Rechtfertigung für eine Projektion der europäischen Gesamt- und Individualschuld auf die einstige ›Insel der Seligen‹. Sie waren aber auch ein kollektives Bekenntnis gegen die neuen rechtspopulistischen und rechtsextremen Bewegungen in den eigenen Ländern.«923 Beim Abendessen am 26. Jänner im Stockholmer Rathaus saß Viktor Klima zusammen mit dem deutschen Bundeskanzler Gerhard Schröder, dem französischen Premierminister Lionel Jospin und den Regierungschefs der Niederlande, Finnlands, Italiens und Dänemarks,Wim Kok, Paavo Lipponen, Massimo D’Alema und Poul Nyrup Rasmussen, an einem Tisch. Wenngleich dies von den in dieser Angelegenheit agierenden Personen in Abrede gestellt wurde, so lassen doch die vorliegenden ausländischen Presseberichte den Schluss zu, dass Klima in Absprache mit Bundespräsident Klestil seine Gesprächspartner auf eine rasche und unmissverständliche internationale Reaktion auf eine drohende ÖVP-FPÖ-Koalition drängte.924 Der französische Ministerpräsident Lionel Jospin ergriff in Stockholm die Initiative und regte die Erarbeitung einer Stellungnahme durch den amtierenden EU-Ratspräsidenten und Präsidenten der Sozialistischen Internationale, den portugiesischen Ministerpräsidenten António Guterres an. Diese sollte unter Hinweis auf die europäische Wertegemeinschaft und das nunmehr geforderte antifaschistische Gewissen gegenüber Österreich ein Drohszenario der internationalen Ächtung in der Hoffnung auf entsprechendes innenpolitisches Echo aufbauen. Der ehemalige israelische Ministerpräsident Shimon Peres erklärte, eine Regierung mit Haider und »anderen Rassisten« müsse mit dem »Bann« aller zivilisierten Völker rechnen. In Österreich sollte man es sich sehr gut überlegen, ob man fünfzig Jahre nach dem Holocaust eine Koalition mit Leuten wolle, die für »Fremdenhass und Rassismus« stünden. In einer völligen Verkennung der Situation verstieg er sich im israelischen Armeerundfunk zu der Behauptung, durch eine Koalition mit Haiders FPÖ würde sich ein folgenschwerer Irrtum wiederholen, denn auch Hitler sei in Deutschland durch »sogenannte demokratische Mittel« an die Macht gekommen. Der amtierende israelische Ministerpräsident Ehud Barak betonte, dass die österreichische Entwicklung einer möglichen Regierungsbeteiligung einer »Partei der extremen Rechten« in höchstem Maße für die Thematik der Stockholmer Konferenz relevant sei. Man könne dies nicht einfach ignorieren. Vor allem für Israel werde dies dessen »Verhältnis zu
923 Margaretha Kopeinig, Christoph Kotanko : Eine europäische Affäre. Der Weisen-Bericht und die Sanktionen gegen Österreich. – Wien 2000. S. 19. 924 Heinrich Schneider : Österreich in Acht und Bann – ein Schritt zur politisch integrierten »Wertegemeinschaft« ? – In : Busek, Schauer (Hg.) : Eine europäische Erregung. S. 123–159. S. 135.
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Österreich beeinflussen.« Er hoffe jedoch weiter, »dass die Vernunft siegt.«925 Der schwedische Ministerpräsident sekundierte mit der Bemerkung, eine Regierungsbeteiligung der FPÖ sei ein »Problem für Europa«. Die EU sei eine Wertegemeinschaft, in der Toleranz und Menschenrechte von zentraler Bedeutung seien. Das Programm und die Politik der FPÖ stünden jedoch mit diesen nicht in Einklang.926 Die Frage, ob die schließlich beschlossenen Sanktionen der 14 EU-Staaten von Wien aus mitinitiiert und bestellt wurden, lässt sich nach den bisher vorliegenden Dokumenten nicht eindeutig beantworten. 927 Allerdings sprechen eine Reihe von 925 Der Standard 27.1.2000. S. 5. 926 Die Presse 27.1.2000. S. 1. 927 Diese These vertreten Ernst Hofbauer : der Verrat. – Wien 2000. S.49ff.; Wolfgang Böhm, Otmar Lahodynsky : Der Österreich-Komplex. Ein Land im Selbstzweifel. – Wien/Köln/Weimar 2001. S. 39ff. Angesichts der sich unmittelbar nach der Angelobung der ÖVP-FPÖ-Regierung und dem Wirksamwerden der Sanktionen der 14 EU-Staaten verdichtenden Meldungen über eine aktive Rolle von Bundespräsident Klestil bei deren Zustandekommen veröffentliche die Präsidentschaftskanzlei am 8. Februar 2000 eine Darstellung der Ereignisse, soweit sie den Bundespräsidenten betrafen : »Der Bundespräsident hat bereits nach den großen internationalen Zusammentreffen beim OSZE-Gipfel in Istanbul am 18./19. November 1999 bzw. anlässlich der belgischen Thronfolgerhochzeit in Brüssel am 4. Dezember 1999 Außenminister Dr. Wolfgang Schüssel über die sehr besorgten und kritischen Stimmen mehrerer, bei diesen Anlässen anwesender Staats- und Regierungschefs informiert, sollte die FPÖ an der Bundesregierung beteiligt werden ; dies also bereits zu einem Zeitpunkt, zu dem noch nicht einmal ein Regierungsbildungsauftrag erteilt worden war. Die geäußerten Bedenken sind also nicht erst in den letzten Tagen entstanden, sondern schon vor längerer Zeit. Bei einer Vorsprache von Mag. Viktor Klima und Dr. Wolfgang Schüssel beim Bundespräsidenten am 29. Dezember 1999 – aus Anlass eines Zwischenberichtes über die Regierungsverhandlungen – kamen ebenfalls die zu erwartenden negativen Auslandsreaktionen für den Fall einer FPÖ-Beteiligung an einer österreichischen Bundesregierung zur Sprache. Bundeskanzler Mag. Klima berichtete über diesbezügliche besorgte Reaktionen beim EU-Gipfel in Helsinki, der Mitte Dezember 1999 stattgefunden hatte. Nunmehr davon zu sprechen, dass es sich bei den angedrohten Maßnahmen der anderen EU-Staaten um eine ›Kampagne‹ der letzten Tage handeln würde, ist schlicht falsch bzw. stellt eine politische Fehleinschätzung dar. In einem Telefongespräch am 27. Jänner 2000 erkundigte sich der französische Staatspräsident Jacques Chirac bei Bundespräsident Dr. Thomas Klestil über die innenpolitische Entwicklung in Österreich. Der Bundespräsident schilderte seinem Gesprächspartner die Entwicklungen seit der Nationalratswahl vom 3. Oktober 1999. Präsident Chirac dankte für die Informationen und brachte seine Besorgnis über eine mögliche Regierungsbeteiligung der FPÖ zum Ausdruck – wobei er betonte, dass dies nicht als Einmischung in innere Angelegenheiten Österreichs aufgefasst werden sollte ; seine Bedenken würden aber auch von seinen Freunden in der deutschen CDU sowie in der spanischen Konservativen Partei geteilt werden. Die Tatsache dieses intensiv von Präsident Chirac mit Bundespräsident Dr. Klestil geführten Gespräches wurde von der Sprecherin des französischen Präsidenten in einer offiziellen Aussendung des Elysee bestätigt. Am 28. Jänner 2000 rief der spanische Premierminister José Aznar bei Bundespräsident Dr. Klestil an, wobei Aznar seine Besorgnis über eine FPÖ-Regierungsbeteiligung ausdrückte und feststellte, dass diese
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Erklärungen führender FPÖ-Politiker sowie Meldungen der internationalen Presse sowie Äußerungen führender Politiker der EU wie des dänischen Ministerpräsidenten Poul Nyrup Rasmussen, des Beraters des finnischen Ministerpräsidenten Paavo Lipponen, Jari Ruatta, und des deutschen Außenminister Joschka Fischer für eine Einflussnahme aus Wien. Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer erklärte unmittelbar nach der Angelobung der ÖVP-FPÖ-Regierung und dem Wirksamwerden der Sanktionen der 14 EU-Staaten, die SPÖ habe bei ihren Gesprächen mit der FPÖ die Sanktionen angedroht. »Sie hat gesagt : Unterstützt eine Minderheitsregierung und verhaltet euch artig, dann reparieren wir euer Image im Ausland und dann kann man nach zwei Jahren eine rot-blaue Koalition machen. Als wir das abgelehnt haben, hat es geheißen : Dann werden internationale Reaktionen kommen, weil die ÖVP kann euch diese Absolution nicht verschaffen, weil sie international nicht einflussreich genug ist.« Sie glaube nicht, dass die SPÖ im Ausland in diese Richtung gewirkt habe, sondern sie wisse es.928 Jari Ruatta bemerkte gegenüber dem Magazin FORMAT, die 14 EU-Regierungschefs hätten ursprünglich die Formulierung der Sanktionen noch Sorge auch von anderen europäischen Volksparteien geteilt werde. Bundesminister Dr. Schüssel wurde unmittelbar danach vom Bundespräsidenten hierüber informiert. Gleichfalls am 28. Jänner 2000 erhielt der Bundespräsident einen Anruf des portugiesischen Premierministers António Guterres, wobei dieser ebenfalls seine Besorgnis über eine FPÖ-Regierungsbeteiligung ausdrückte und den Bundespräsidenten – so wie bereits der französische Staatspräsident zuvor – über die von der belgischen Regierung schriftlich verlangte gemeinsame Reaktion der 14 EU-Staaten informierte. Die vom Bundespräsidenten öffentlich als ›verbale Entgleisung‹ verurteilte Äußerung von Dr. Jörg Haider gegen den französischen Staatspräsidenten und gegen die belgische Regierung am 29. Jänner 2000 (anlässlich einer Geburtstagsfeier in Kärnten) hat sicherlich die Veröffentlichung der geplanten gemeinsamen Reaktion der 14 EU-Staaten am 31. Jänner 2000 beschleunigt. Am 31. Jänner 2000 rief auch Premierminister Tony Blair den Bundespräsidenten an und brachte ebenfalls seine Besorgnis über eine FPÖ-Regierungsbeteiligung zum Ausdruck. Der Bundespräsident gab – wie allen anderen Gesprächspartnern – eine Darstellung der innenpolitischen Situation in Österreich. Am 1. Februar 2000 wurde der Bundespräsident vom EU-Kommissionspräsidenten Romano Prodi über die Erklärung der EU-Kommission zu einer FPÖ-Regierungsbeteiligung informiert. Der Bundespräsident traf am 21. Jänner und 2. Februar 2000 mit der ÖVP-Spitze – bestehend aus Dr. Schüssel, den ÖVP-Landeshauptleuten und Landesparteiobmännern – zusammen. Bei dieser Gelegenheit informierte der Bundespräsident die ÖVP-Politiker über die immer intensiver werdenden Reaktionen ausländischer Politiker im Zusammenhang mit einer ÖVP-FPÖ-Koalition. Das Treffen am 2. Februar 2000 kam auf Initiative des Bundespräsidenten zustande, der sich nicht dem Vorwurf aussetzen wollte, das ÖVP-Führungsgremium nicht über die Auslandsreaktionen ausreichend informiert zu haben. Die Gerüchte, wonach der Bundespräsident die Auslandskritik ›selbst angezettelt‹ habe, entbehren daher jeder Grundlage und werden nochmals mit aller Entschiedenheit zurückgewiesen. Diesbezügliche Zeitungsmeldungen wurden von offizieller deutscher und französischer Seite ebenfalls dementiert. Der Bundespräsident hat sich in seinen Telefonaten mit Romano Prodi und António Guterres vielmehr um Schadensbegrenzung bemüht und wird seine internationalen Kontakte in diesem Zusammenhang weiter einsetzen.« (Die Presse 9.2.2000. S. 8) 928 Kurier 6.2.2000. S. 2.
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diskutieren wollen, seien jedoch von Thomas Klestil am 31. Jänner zur sofortigen Veröffentlichung des Textes in seiner scharfen Form gedrängt worden. »Der österreichische Präsident hat um die sofortige Veröffentlichung des Sanktionsbeschlusses gebeten.« Damit wäre, entgegen den Wünschen vieler Regierungschefs, keine Zeit mehr für abwägende Formulierungen geblieben. »Der portugiesische Ratspräsident António Guterres hat am Montag, dem 31. Jänner, Klestil telefonisch informiert. Die vierzehn Staaten hatten ursprünglich vor, den Beschluss der Sanktionen nachträglich noch zu diskutieren. Der Zeitpunkt der Veröffentlichung war noch nicht beschlossen. Uns blieb aber dann kleine Zeit mehr.«929 Klestil habe bei seinem Telefonat die portugiesische Ratspräsidentschaft um sofortige Veröffentlichung gebeten, um doch noch die Bildung einer ÖVP-FPÖ-Regierung verhindern zu können. In seinen Erinnerungen bemerkt Heinz Fischer, ihm gegenüber habe der portugiesische Premierminister António Guterres bei dessen Besuch in Berlin am 31. Jänner erklärt, dass »auch in Wien […] sehr wichtige Leute der Meinung [gewesen wären], dass die EU nicht untätig bleiben dürfte. Denn dort fürchtete man, bis in die Reihen der ÖVP und der Spitze des Staates hinein, eine erneute internationale Isolation Österreichs, wie sie bereits einmal eingetreten war, nachdem die Vergangenheit des damaligen österreichischen Bundespräsidenten Kurt Waldheim in Hitlers Wehrmacht ruchbar geworden war.«930 Der in Stockholm vor allem auf Initiative des französischen Ministerpräsidenten Lionel Jospin gefasste Beschluss zu einer gemeinsamen Aktion der EU-Staaten erhielt auch die Unterstützung der rot-grünen Regierung in Berlin. Das deutsche Bundeskanzleramt und das deutsche Auswärtige Amt unternahmen in der Folgezeit die Vorbereitungen für die schließlich am 31. Jänner erfolgte Erklärung der 14 EUStaaten, wobei der außenpolitische Berater von Bundeskanzler Gerhard Schröder, Michael Steiner, eine zentrale Rolle spielte. Am 31. Jänner erfolgte während eines Besuchs der portugiesischen Ratspräsidentschaft – Ministerpräsident António Guterres und Außenminister Jaime Gama – die Formulierung der EU-Sanktionen, wobei die portugiesische Ratspräsidentschaft einen informellen Maßnahmenkatalog für eine »Politik der kalten Schulter« auf bilateraler Ebene vorschlug, um nicht den Eindruck einer Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines Staates zu erwecken und damit eine mögliche kontraproduktive Debatte zu entfachen. Im Berliner Kanzleramt drängte man hingegen auf eine formelle Erklärung, die drei Punkte beinhalten sollte : 1. Das Unterbleiben offizieller bilateraler Kontakte auf Regierungsebene ; 2. die Nichtunterstützung österreichischer Kandidaten in internationalen Organisationen und 3. den Empfang der österreichischen Botschafter in den Hauptstädten der 14 EU-Staaten nur mehr auf technischer Ebene. 929 FORMAT 9/2000. S. 32. 930 Fischer : Die rot-grünen Jahre. S. 274.
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Neben dem Umstand, dass die Verhängung der Sanktionen der 14 EU-Staaten außerhalb der Normen der EU-Verträge und unter Missachtung der in Artikel 6 des EU-Vertrags von Amsterdam festgelegten Rechtsstaatlichkeit erfolgte,931 war die Vorgangsweise von Berlin und Paris beim Zustandekommen der Sanktionen nicht unproblematisch, zumal mehr oder weniger Druck auf zögernde kleinere und mittlere Mitgliedsländer ausgeübt wurde, die Erklärung zu unterschrieben. Mit der falschen Behauptung, sie seien die einzigen, die noch nicht zugestimmt hätten, und der Drohung, sie würden im Weigerungsfall als Unterstützer Haiders gelten, kam der Beschluss schließlich zustande. 932 Das aktive und teilweise aggressive Agieren der rot-grünen Regierung in Berlin basierte auf einer Reihe von innenpolitischen und außenpolitischen Faktoren. Die CDU befand sich wegen der Parteispendenaffäre, die auch zu einer heftigen Kontroverse zwischen dem Ehrenvorsitzenden Helmut Kohl und Wolfgang Schäuble führte, in einem weitgehend paralysierten Zustand.933 Der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef Edmund Stoiber hatte sich offen für eine ÖVP-FPÖ-Koalition ausgesprochen und galt daher vielen selbst in der Europäischen Volkspartei als unsicherer Kantonist und heimlicher Sympathisant mit der erstarkenden radikalen politischen Rechten. Bundeskanzler Gerhard Schröder nutzte dies und unterstellte Edmund Stoiber und dem CDU-Politiker Friedrich Merz eine »problematische Nähe zu Haider«, und zwar gleichermaßen hinsichtlich der von ihnen benutzten Sprache wie auch des politischen Inhalts.«934 Schröder bot sich die Möglichkeit, für die SPD in Deutschland die politische Mitte zu besetzen und die sich aufgrund der Spendenaffäre in der Defensive befindenden Unionsparteien nicht als christlich-soziale, sondern als rechtskonservative Parteien mit einem deutlichen Hang zur radikalen politischen Rechten darzustellen, wobei man in der SPD auch vor mehr als hinkenden Geschichtsinterpretationen nicht zurückschreckte. So erklärte der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende, Ludwig Stiegler, im Deutschen Bundestag in Richtung CDU/CSU, die die Sanktionen der 14 EU-Staaten verurteilte, am 16. Februar 2000 : »Es gibt in der deutschen Geschichte schon ein Beispiel dafür, dass flotte konservative Herren geglaubt haben, sich braune Flegel nutzbar machen zu können. Es gab einmal einen Herrn von Papen und andere, die glaubten, sie könnten den jungen Herrn H. vor ihren Karren spannen. Sie haben sehr schnell gemerkt, dass sie unter dem Pflug waren. […] Warum lernen Sie nicht aus der Geschichte ? Es ist eine Katas931 Zur rechtlichen Seite der Sanktionen vgl. Busek, Schauer (Hg.) : Eine europäische Erregung. S. 189–516. 932 Gehler : Der lange Weg nach Europa. Bd. 1. S. 441. 933 Vgl. Helmut Kohl : Mein Tagebuch 1998–2000. – München 2000 ; Hans-Peter Schwarz : Helmut Kohl. Eine politische Biographie. – München 2012. S. 870ff. 934 Zit. bei Wolfram Kaiser : »Es gab einmal einen Herrn von Papen« : Deutschland und die Sanktionen gegen Österreich 2000. – In : Michael Gehler, Anton Pelinka, Günter Bischof (Hg.) : Österreich in der Europäischen Union. Bilanz seiner Mitgliedschaft. – Wien/Köln/Weimar 2003. S. 505–528. S. 523.
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trophe, dass die konservativen Parteien immer mit solchen Typen zusammenarbeiten wollen.«935 Die zentrale Rolle bei der Formulierung der Sanktionen bot für die Regierung Schröder die Möglichkeit der Bildung einer die nationale Souveränität aufhebenden antifaschistischen Achse mit Paris. Und sie konnte als Hüter des europäischen Einigungsprozesses und der europäischen Wertegemeinschaft zusammen mit Frankreich den von Schröder durchaus selbstbewusst erhobenen deutschen Führungsanspruch in der EU unterstreichen. Der nur kurz zurückliegende Kosovo-Krieg bildete dabei eine entscheidende Rolle, da die Teilnahme der Bundesrepublik vor allem mit moralischen Gründen, der Gefährdung von Menschenrechten und Demokratie, gerechtfertigt wurde. Das damit definierte »Europa der Werte« überwand auch den traditionellen linken Pazifismus in großen Teilen der SPD und der Grünen und wurde zur auch die nationale Souveränität übersteigenden Maxime außenpolitischen Handelns. In den späten Jännertagen des Jahres 2000 wurde auch Bundespräsident Klestil aktiv, »der die Sorge vor Imageverlusten seines Landes aufgrund seiner Tätigkeit als Botschafter in den USA während der Waldheim-Debatte deutlich vor Augen hatte und während der Sanktionsdrohung und der Maßnahmenverhängung keine glückliche Rolle spielte. […] Klestil unterstützte und verbreitete vor dem 31. Jänner eine alarmistische Stimmung – in den Telefonaten mit Chirac am 27., Aznar und Guterres am 28. Jänner scheint er deren Besorgnis geteilt zu haben –, warnte gegenüber österreichischen Adressaten während der Regierungsbildung vor scharfen internationalen Reaktionen im Falle eine FPÖ-Regierungsbeteiligung und bemühte sich im Wege der Fernrufdiplomatie bei Romano Prodi und António Guterres um ›Schadensbegrenzung‹ nach außen, wobei nicht immer klar auseinanderzuhalten ist, ob es sich hiebei nur um Verständnis für deren Sorgen und entsprechende Vermittlung oder auch um eine Art von Hilfsappellen handelte. Persönliche Antipathien gegenüber Schüssel spielten auch eine nicht unerhebliche Rolle.«936 Die Telefonate Klestils stießen vor allem in Paris bei Chirac auf offene Ohren. Dieser war bereits verärgert und alarmiert, und zwar aufgrund der Erklärungen Haiders am 29. Jänner anlässlich seiner von der internationalen Presse begleiteten Feier zu seinem 50. Geburtstag auf einem Kärntner Berggipfel, auf der er wenig schmeichelhafte Worte für den französischen Präsidenten und die belgische Regierung fand. So nannte er Chirac einen »Westentaschen-Napoleon« und bemerkte in Richtung der belgischen Regierung in Anspielung auf die Affäre des Kinderschänders Dutroux, Österreich verlange auch nicht die »Ablöse einer korrupten Regierung […]«. In Brüssel müssten Eltern auf die Straße gehen, weil sie Angst hätten, »dass die Regierung mit Verbrechern« 935 Zit. bei Kaiser : »Es gab einmal einen Herrn von Papen« : Deutschland und die Sanktionen gegen Österreich 2000. S. 518. 936 Gehler : Der lange Weg nach Europa. Bd. 1. Darstellung. S. 450f.
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konspiriere.«937 Wenngleich Haider seine provokanten Äußerungen wenige Tage später auf Intervention von Bundespräsident Klestil zurücknahm, so war doch politisches Porzellan zerschlagen worden und in Paris und Brüssel hatte sich der negative Eindruck von Haider und der FPÖ verstärkt. Dennoch sollte der Einfluss der Provokationen Haiders auf die Ereignisse nicht überschätzt werden. Norbert Leser bemerkte in einem Kommentar zu den Sanktionen der 14-Staaten, nach der Festlegung der SPÖ, keine Koalition mit der FPÖ einzugehen, sei nichts anderes übrig geblieben, »als den Weg einer schwarz-blauen Koalition einzuschlagen, wenn Österreich nicht unregierbar werden sollte. Der 3. Oktober 1999 war nicht, wie die unentwegten Anhänger und Nostalgiker der Großen Koalition glaubten und glauben machen wollen, eine Katastrophe, sondern ein Befreiungsschlag, der eine zu eng gewordene Form des Regierens beendete und die Beteiligung der FPÖ an der Regierung unausweichlich machte. Diese Beteiligung hat wiederum Folgen gehabt, die in dieser Form und Intensität nicht vorhersehbar waren und Österreich insgesamt vor eine ganz neue Situation stellten. Auch in diesem Fall rächten sich die Sünden der Vergangenheit. Man hat die FPÖ so lange als nazistische oder faschistische Partei charakterisiert, bis das Ausland diese aus innenpolitischen Gründen fabrizierte Version übernahm und die bekannten Sanktionen gegen Österreich verhängte. Freilich sind die FPÖ und ihr Obmann von einer Mitschuld an dieser Entwicklung nicht freizusprechen. […] Trotzdem ist es falsch und ungerecht, die FPÖ insgesamt als neonazistische oder faschistische oder auch nur als rechtsextreme Partei zu qualifizieren. Diese Verurteilungen werden weder dem Parteiprogramm der FPÖ noch der großen Masse der Anhänger und Wähler dieser Partei gerecht.«938 937 Kurier 31.1.2000. S. 3. Im Abstand von fünf Jahren blieb Haider bei einem Streitgespräch mit Alfred Worm bei seinen Charakterisierungen. Zur Charakterisierung Chiracs bemerkte er : »Meine Einstufung als Westentaschen-Napoleon halte ich noch immer für sehr geglückt. Sie hat Furore gemacht. Wenn sie nicht einen gewissen Punkt treffen würde, würden französische Medien wie ›Le canard echainé‹ oder ›Le Monde‹ nicht heute noch den Ausdruck ›Napoléon de poche‹, also ›Westentaschen-Napoleon‹, für Chirac verwenden. Darauf erhebe ich die Urheberschaft. So falsch kann ich also nicht gelegen sein. Das ist eben eine ironische Überhöhung. Natürlich ist Chirac jemand, der sich eine Welt zurechtgezimmert hat, in der nur Frankreich die Grande Nation ist, die exklusiv der ganzen Welt sagt, wo’s langgehen soll. Chirac arrangiert sich bestenfalls noch mit den Amerikanern, aber ansonsten gibt Frankreich den großen Ton an. Genau das ist die Einstellung, mit der Frankreich in Europa immer auftritt. Diesen Hochmut, diese Superbia bringt Chirac auch gegenüber kleineren Staaten zum Ausdruck. Dass uns das nicht freut, ist doch normal. In einer Demokratie muss man auch pfiffige Bemerkungen über den Herrn Staatspräsidenten machen dürfen.« Und zur Charakterisierung der belgischen Regierung : »Ich bleibe dabei. Diese ganze Dutroux-Sache war ein riesiger Skandal, der bis heute nicht aufgearbeitet ist.« (Worm : Ein Streitgespräch mit Jörg Haider. S. 139ff.) 938 Norbert Leser : Österreich bleibt ein Teil Europas. Zur Lage Österreichs im beginnenden Jahrtausend. – In : Busek, Schauer (Hg.) : Eine europäische Erregung. S. 75–83. S. 78f.
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Kann die FPÖ als Nachfolgerin des VdU in ihrer Entstehungsgeschichte als Gründung ehemaliger Nationalsozialisten charakterisiert werden, so erfolgte in den späten sechziger und siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts eine Wende zum Liberalismus, die in der Aufnahme in die Liberale Internationale und den Eintritt in eine Koalition mit der SPÖ ihren vorläufigen Höhepunkt erreichte. Erst die dramatischen Verluste bei den folgenden Landtagswahlen und der Absturz in der Wählergunst auf bundespolitischer Ebene unter die politische Wahrnehmungsgrenze führte 1986 auf dem Innsbrucker Parteitag zur Wahl Jörg Haiders. Mit seinem politischen Talent nahm er den Brückenschlag zwischen den traditionellen Kohorten des deutschnationalen und -liberalen Lagers, die jedoch stets nur rund fünf Prozent der Wählerschaft zu erreichen vermochten, und den neuen, für rechtspopulistische Slogans anfälligen Bevölkerungsgruppen in Angriff. Seine Sprüche spielten mit den Ressentiments der Bürger gegen ihre Repräsentanz (»wir da unten, ihr da oben«), stellten das »Wir« (das eigene Volk, die eigene Nation) gegen die (kulturell) »anderen«, die plebiszitäre gegen die repräsentative Demokratie. Der massive Zugewinn in den neunziger Jahren basierte auf einer ideologischen Wende hin zur Kritik am Neoliberalismus und der Globalisierung sowie dem damit einhergehenden drohenden Abbau des Sozialstaates. Erfolgreiche rechtspopulistische Parteien in Europa wurden damit in den neunziger Jahren »in einem gewissen Maße zu Nachlassvertretern des von der Linken aufgegebenen Besitzstandes der Sozialdemokratie der Nachkriegszeit. Programmatisch schlug sich dies in einer Mischung aus Wohlfahrtsstaatchauvinismus, Wirtschaftsnationalismus und dezidierter Globalisierungskritik nieder.« Mit dieser für rechtspopulistische Parteien in Europa charakteristischen Positionierung »erreichte die populistische Rechte […] einen hohen Grad an ideologischer und programmatischer Kohärenz und Geschlossenheit« und konnte sich klar von ihren politischen Mitkonkurrenten absetzen. Der Kernpunkt dieser rechtspopulistischen Programmatik lässt sich mit dem Begriff eines exklusiven (das heißt auf das eigene Volk bezogenen), dabei aber allumfassenden (das heißt wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen) Protektionismus umschreiben, der seinen prägnantesten Ausdruck in den unterschiedlichen Spielarten der zentralen rechtpopulistischen Forderungen nach dem Schutz und der Bevorzugung des eigenen Volkes […] findet.«939 Der in den neunziger Jahren erfolgte Aufstieg rechtspopulistischer Parteien, vor allem der FPÖ, kann mit den Thesen des Aufstands der Modernisierungsverlierer,940 der sich in einem deutlich feststellbaren Proletarisierungstrend bei der Wählerschaft 939 Hans-Georg Betz : Rechtspopulismus in Westeuropa : Aktuelle Entwicklungen und politische Bedeutung. – In : ÖZP 3/2002. S. 251–264. S. 257. Vgl. dazu auch Sebastian Reinfeldt : Nicht-wir und Die-da. Studien zum rechten Populismus. – Wien 2000. 940 Anton Pelinka : Die FPÖ in der vergleichenden Parteienforschung. Zur typologischen Einordnung der Freiheitlichen Partei Österreichs. – In : ÖZP 3/2000. S. 281–290.
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rechtspopulistischer Parteien manifestiert, sowie der Artikulation latent vorhandener, jedoch von den etablierten politischen Eliten weitgehend ignorierter Themen erklärt werden. Als Beispiel seien die sich in den neunziger Jahren verstärkende Migrationsproblematik und das Aufbrechen eines Diskurstabus genannt. Dabei handelte es sich nicht nur um das Wecken von latent vorhandenen Ressentiments, sondern um tatsächlich vorhandene und sich verschärfende Probleme des Alltagslebens, die in ihrem Anspruch auf kulturelle Tradition und Identität nicht mit einer pauschalen Verurteilung als Fremdenfeindlichkeit abgetan werden können. Das politikwissenschaftliche Analyseset rechtspopulistischer Parteien bedarf im Falle Jörg Haiders noch einer Ergänzung. Der im europäischen Vergleich singuläre Erfolg der FPÖ basierte zu einem erheblichen Teil auch auf der modernen Inszenierung von Politik, der Wandlungsfähigkeit der Person Haiders,941 dessen jeweilige milieu- und modebewusste Auftritte einer »Ganzkörperinszenierung« glichen,942 sowie der Artikulation einer breiten, die traditionellen Lagerstrukturen überschreitenden gesellschaftlichen Stimmungslage, die sich in dem Wunsch nach Veränderung, des Aufbrechens behaupteter oder tatsächlicher verkrusteter Strukturen des politischen Systems äußerte und die sich in einem postmodernen Politikverständnis jenseits des traditionellen Links-rechts-Schemas bewegte. So warf Haider Mitte der neunziger Jahre traditionelle Elemente der FPÖ-Programmatik wie Deutschnationalismus und Antiklerikalismus über Bord und propagierte einen neuen Österreich-Patriotismus sowie in deutlicher Konfrontation zum Islam und in Antizipation einer sich deutlich verstärkenden allgemeinen Befindlichkeit ein Bekenntnis zum christlichen Abendland und dessen Werten. 1997 definierte er die FPÖ unter seiner Führung als eine »österreichische Sonderanfertigung«, als »Koalition […] mit den Bürgerinnen und Bürgern. […] Wir haben mit dem Jahr 1986 dem Land erstmals eine ernstzunehmende Opposition gegen die Einheitsparteien (= SPÖ und ÖVP) gegeben und damit der Verfassung Rechnung getragen. […] Daraus ist ein Reformprojekt für ein neues, modernes Österreich geworden.«943 In einem Gespräch mit Alfred Worm bemerkte er, dass die lange so klaren »Dimensionen von rechts und links […] längst verschwommen und nicht mehr klar unterscheidbar« seien. »Das ist alles im Fließen. Ist Tony Blair noch ein Linker, wenn er für ›law and order‹ eintritt ? Oder ist J acques Chirac noch ein Rechter, wenn er sich von den Kommunisten zum Präsidenten wählen lässt ? […] Ich glaube, dass sich diese so gern verwendeten und abgenutzten
941 Zur Wandlungsfähigkeit Haiders vgl. Harald Goldmann, Hannes Krall, Klaus Ottomeyer : Jörg Haider und sein Publikum. Eine sozialpsychologische Untersuchung. – Klagenfurt 1992 ; Klaus Ottomeyer : Die Haider-Show. Zur Psychopolitik der FPÖ. – Klagenfurt 2000. 942 Michael Mair : Erdbeben in der Provinz. Machtwechsel und Politische Kultur in österreichischen Bundesländern. – Wien/Köln/Weimar 2013. S. 160. 943 Haider : Befreite Zukunft jenseits von links und rechts. S. 89.
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Politik-Begriffe längst überholt haben. Wissenschafter und Journalisten klammern sich da an etwas, das vorgibt, etwas zu erklären, es aber nicht tut. Die Wirklichkeit ist doch schon viel weiter als Ihre Kategorisierungen.«944 Jörg Haiders seismografisches politisches Talent formierte als politischer Staubsauger eine breit gestreute Wählerkoalition, die sich den klassischen politischen Kategorisierungen entzog und damit bei vielen Beobachtern Ratlosigkeit erzeugte. In einem »Brief aus Wien« bemerkte Robert S. Wistrich zu den Sanktionen und zur Frage nach der Attraktivität Jörg Haiders, dass der Obmann der FPÖ »trotz eindeutiger Anklänge an Österreichs Nazivergangenheit im Wesentlichen das Produkt eines postfaschistischen, modernen Österreichs« sei, »in dem der Kult der Jugend, Gesundheit und sportlichen Leistung mehr bedeuteten als Morgengebete, Träume vom Marsch nach Osten oder der Wiedergewinnung vergangenen kulturellen Ruhms. Haider mag der ›Wolf im Schafspelz‹ sein oder der ›Fuchs im europäischen Hühnerstall‹, aber nicht in einem Hitler’schen Sinne. Weder die Liebe zur Alpenlandschaft noch ein gewisses antiurbanes und antiintellektuelles Echo eines völkischen, pangermanischen Nationalismus und nicht einmal die populistische Fremdenfeindlichkeit reichen aus, um einen Menschen in einen Faschistenführer zu verwandeln. […]. Im Wesentlichen […] finden ihn viele Österreicher attraktiv, weil er ein Chamäleon ist, ein ausgezeichneter Schauspieler und ein politischer Entertainer mit der Neigung, das laut auszusprechen, was viele einfache Menschen denken. Haider hört sich die Sorgen der ›kleinen Leute‹ an und posiert dann als Robin Hood – als volkstümlicher Held, der von den Reichen nimmt und den Armen gibt ; er spielt die Rolle des wilden Proletariers ebenso wie die des im Porsche vorfahrenden Yuppies«. Er nutze und beherrsche die Tradition der populistischen Demagogie, »die mit Lueger und Schönerer begann und im Fanatismus eines Adolf Hitler gipfelte. Aber im Gegensatz zu Hitler ist Haider das Produkt des Wohlstands in Friedenszeiten, einer ›genormt‹ funktionierenden Demokratie, eines bis zur Langeweile vorhersehbaren und erfolgreichen Wohlfahrtsstaates und einer Generation, der es noch nie so gut gegangen ist. Unter seinen Anhängern findet man nicht nur Extremisten und Fremdenfeinde bzw. ›Verlierer‹ der ›Modernisierung‹, die sich vor der Arbeitslosigkeit fürchten, sondern auch intelligente junge Yuppies, die die ›Befreiung‹ von einer dreißigjährigen, erstickenden sozialistischen Herrschaft und einer überregulierten Wirtschaft wünschen.«945 Rudolf Bretschneider bemerkte unter Hinweis vor allem auf die zahlreichen ausländischen Charakterisierungen Jörg Haiders und der FPÖ, dass das tatsächliche Verhalten einer Person oder einer Gruppe ziemlich gleichgültig sei, wenn das Ausmaß der Vorurteile einmal ein bestimmtes Ausmaß angenommen habe. Es 944 Worm : Ein Streitgespräch mit Jörg Haider. S. 139. 945 Robert S. Wistrich : Brief aus Wien. – In : Busek, Schauer (Hg.) : Eine europäische Erregung. S. 177–182. S. 179f.
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werde einfach nicht mehr wahrgenommen. »Vielleicht wird man, wenn man sich die Mühe der Analyse macht, erkennen, dass die FPÖ-Erfolge nicht Ergebnis der miesen Ausländerpropaganda dieser Partei waren (mit deren Ausländervolksbegehren ist sie auch abgestürzt), sondern viel mit Unmut über die echten und vermeintlichen Fehler der SPÖ-ÖVP-Koalition zu tun haben. Selbst bei oberflächlicher Recherche würde man die proeuropäische Haltung großer Wählerschichten (auch der FPÖ-Wähler) erkennen, die einem Vergleich mit anderen Populationen leicht standhält.«946
I X .7 »Würsteln wären wir ! Und welcher Schaden für Europa ! « Die Regierungsverhandlungen von ÖVP und FPÖ im Schatten der Sanktionen Nach dem Gespräch Wolfgang Schüssels und aller neun Landesparteiobmänner mit Bundespräsident Thomas Klestil am 21. Jänner waren die Positionen abgesteckt. Klestil hatte der ÖVP-Delegation gegenüber deutlich gemacht, dass er weder dem ÖVP- noch dem FPÖ-Obmann den Auftrag zu einer Regierungsbildung erteilen werde. Die Weichen waren in Richtung einer Beauftragung Viktor Klimas mit der Bildung einer Minderheitsregierung gestellt. Die unmissverständliche Haltung des Bundespräsidenten löste bei der ÖVP Unverständnis und Empörung aus, da sie die Variante der Bildung einer ÖVP-FPÖ-Regierung, die im Parlament über eine deutliche absolute Mehrheit verfügte, ausschloss und damit auch eine mögliche Verfassungskrise heraufbeschwor. Als Begründung für die Haltung des Bundespräsidenten wurden vor allem zwei Motive genannt : Die befürchteten Reaktionen des Auslands auf eine Regierungsbeteiligung der FPÖ und die daraus möglicherweise resultierenden negativen Folgen für Österreich sowie das (quellenmäßig allerdings unbewiesene) anlässlich seiner Wiederkandidatur gegenüber der SPÖ abgegebene Versprechen Klestils, dass bei einem Verzicht der SPÖ auf einen eigenen Kandidaten (Franz Vranitzky) der Bundespräsident nur den Obmann der stärksten Partei, d. h. wahrscheinlich der SPÖ, mit einer Regierungsbildung beauftragen werde. Die ÖVP-Spitze war nach dem Gespräch in der Hofburg entschlossen, die ihrer Meinung nach völlig einseitige Haltung des Bundespräsidenten nicht zu akzeptieren und die politischen Optionen auszuloten. Die neun Landesparteiobleute erteilten im Anschluss an das Gespräch mit Thomas Klestil Wolfgang Schüssel die Vollmacht, sofort Gespräche mit der FPÖ aufzunehmen. Dabei mussten atmosphärische Störungen in den Beziehungen zwischen den beiden Parteien überwunden werden. Die ÖVP hatte 1995 gegen den von der FPÖ vorgeschlagenen Herbert Haupt den Ver946 Rudolf Bretschneider : Die Chance der Aufmerksamkeit. – In : Die Presse 8.2.2000. S. 6.
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werde einfach nicht mehr wahrgenommen. »Vielleicht wird man, wenn man sich die Mühe der Analyse macht, erkennen, dass die FPÖ-Erfolge nicht Ergebnis der miesen Ausländerpropaganda dieser Partei waren (mit deren Ausländervolksbegehren ist sie auch abgestürzt), sondern viel mit Unmut über die echten und vermeintlichen Fehler der SPÖ-ÖVP-Koalition zu tun haben. Selbst bei oberflächlicher Recherche würde man die proeuropäische Haltung großer Wählerschichten (auch der FPÖ-Wähler) erkennen, die einem Vergleich mit anderen Populationen leicht standhält.«946
I X .7 »Würsteln wären wir ! Und welcher Schaden für Europa ! « Die Regierungsverhandlungen von ÖVP und FPÖ im Schatten der Sanktionen Nach dem Gespräch Wolfgang Schüssels und aller neun Landesparteiobmänner mit Bundespräsident Thomas Klestil am 21. Jänner waren die Positionen abgesteckt. Klestil hatte der ÖVP-Delegation gegenüber deutlich gemacht, dass er weder dem ÖVP- noch dem FPÖ-Obmann den Auftrag zu einer Regierungsbildung erteilen werde. Die Weichen waren in Richtung einer Beauftragung Viktor Klimas mit der Bildung einer Minderheitsregierung gestellt. Die unmissverständliche Haltung des Bundespräsidenten löste bei der ÖVP Unverständnis und Empörung aus, da sie die Variante der Bildung einer ÖVP-FPÖ-Regierung, die im Parlament über eine deutliche absolute Mehrheit verfügte, ausschloss und damit auch eine mögliche Verfassungskrise heraufbeschwor. Als Begründung für die Haltung des Bundespräsidenten wurden vor allem zwei Motive genannt : Die befürchteten Reaktionen des Auslands auf eine Regierungsbeteiligung der FPÖ und die daraus möglicherweise resultierenden negativen Folgen für Österreich sowie das (quellenmäßig allerdings unbewiesene) anlässlich seiner Wiederkandidatur gegenüber der SPÖ abgegebene Versprechen Klestils, dass bei einem Verzicht der SPÖ auf einen eigenen Kandidaten (Franz Vranitzky) der Bundespräsident nur den Obmann der stärksten Partei, d. h. wahrscheinlich der SPÖ, mit einer Regierungsbildung beauftragen werde. Die ÖVP-Spitze war nach dem Gespräch in der Hofburg entschlossen, die ihrer Meinung nach völlig einseitige Haltung des Bundespräsidenten nicht zu akzeptieren und die politischen Optionen auszuloten. Die neun Landesparteiobleute erteilten im Anschluss an das Gespräch mit Thomas Klestil Wolfgang Schüssel die Vollmacht, sofort Gespräche mit der FPÖ aufzunehmen. Dabei mussten atmosphärische Störungen in den Beziehungen zwischen den beiden Parteien überwunden werden. Die ÖVP hatte 1995 gegen den von der FPÖ vorgeschlagenen Herbert Haupt den Ver946 Rudolf Bretschneider : Die Chance der Aufmerksamkeit. – In : Die Presse 8.2.2000. S. 6.
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fassungsjuristen Wilhelm Brauneder zum Dritten Nationalratspräsidenten gewählt und zwei Jahre später war es in der Causa CA zu einer neuerlichen schweren Verstimmung gekommen. Klubobmann Andreas Khol hatte die FPÖ als außerhalb des Verfassungsbogen stehend bezeichnet und die von der FPÖ initiierten Euro- und Ausländervolksbegehren heftig bekämpft. Und schließlich mussten die sprunghaften Wendungen der FPÖ in politischen Fragen in Erwägung gezogen werden, die sie als verlässlichen Regierungspartner nicht empfahlen. Nur wenn die FPÖ in für die ÖVP zentralen Fragen zu fundamentalen Kurskorrekturen bereit war, hatten Gespräche eine Erfolgsaussicht. Dieses »Prinzip Hoffnung« wurde genährt durch die erstaunlich flexible Haltung der FPÖ bei den mit der ÖVP geführten Zukunftsgesprächen. Und Jörg Haider hatte mehrfach erklärt, nicht in eine Koalitionsregierung einzutreten, sondern als Landeshauptmann in Kärnten bleiben zu wollen. Die in den Überlegungen diskutierte mögliche Reaktion des Auslands auf einen Regierungseintritt Haiders schienen damit gegenstandslos. Haider hatte zudem wissen lassen, dass er einen sozialistischen Bundeskanzler und damit eine weitere Herrschaft der SPÖ verhindern wolle, womit er auch die Stimmungslage vieler ÖVP-Wähler traf. Man musste, so die übereinstimmende Auffassung der ÖVP-Spitze, das Wagnis eingehen, über den Rubikon zu gehen. Die Alternative schien wenig verlockend. Schüssel beauftragte Klubobmann Khol, den Kontakt mit FPÖ-Klubobmann Herbert Scheibner herzustellen und die Möglichkeiten einer Regierungsbildung zu prüfen. Eile war geboten, denn in der ÖVP war man sich dessen bewusst, dass auch die SPÖ ihre Fühler Richtung FPÖ wegen der Tolerierung einer SP-geführten Minderheitsregierung ausstrecken würde. Und ein weiteres Szenario mahnte zur Eile : Sollte es doch noch zu den von Klestil angedrohten Neuwahlen kommen, würde sich der Stimmen- und Mandatsanteil der ÖVP nach allen demoskopischen Daten deutlich verringern, die Partei auf 20 Prozent oder gar darunter abfallen. Dies galt es unbedingt zu vermeiden. Die Partei musste vor dem drohenden Absturz in die politische Bedeutungslosigkeit bewahrt werden. Dies war jedoch nur durch die Bildung einer ÖVP-FPÖ-Regierung möglich, die die Möglichkeit bot, als Erster in der Regierung ein Reformprogramm zu verwirklichen und damit politisches Profil zu gewinnen. Damit konnte man aus der bisher unbedankten Rolle des Zweiten in der Regierung hervortreten und die Früchte politischen Handelns ernten. Andreas Khol nahm Kontakt zu Herbert Scheibner auf, mit dem ihn eine gute Gesprächsbasis verband. Bei diesen inoffiziellen Gesprächen informierten beide Seiten über den jeweiligen Stand der Dinge. Khol über die Koalitionsverhandlungen mit der SPÖ und deren schließlich nicht akzeptiertes Ergebnis, Scheibner über die seit Dezember 1999 laufenden Gespräche mit der SPÖ, die auf die Duldung einer SPgeführten Minderheitsregierung abzielten. In den Vorgesprächen war die Position der ÖVP erheblich schwieriger als jene der FPÖ, denn die Partei hatte sich nach der ablehnenden Haltung der SPÖ zum bereits vereinbarten Koalitionsabkommen für
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Koalitionsverhandlungen mit der FPÖ entschieden. Dabei konnte sie sich zunächst nicht sicher sein, ob nicht die SPÖ bereit sein würde, um des Machterhalts willen der FPÖ offizielle Koalitionsverhandlungen vorzuschlagen, oder ob die FPÖ doch noch auf das Angebot der SPÖ eingehen und eine SP-geführte Minderheitsregierung mit der Aussicht auf einen späteren Regierungseintritts unterstützten würde. Hinzu kamen sich verdichtende Meldungen über eine drohende negative Reaktion des Auslands im Falle der Bildung einer ÖVP-FPÖ-Regierung. Die Würfel fielen am 24. Jänner, als die FPÖ die Gespräche mit der SPÖ offiziell abbrach und Jörg Haider Bundespräsident Klestil mitteilte, dass er auch ohne Auftrag des Bundespräsidenten mit der ÖVP über die Bildung einer Bundesregierung verhandeln werde. Wenige Stunden zuvor notierte Andreas Khol vor dem Hintergrund des zunehmenden Drucks aus dem Ausland die Befindlichkeit der ÖVP-Spitze in seinem Tagebuch : »Uns allen ist klar : Wenn wir jetzt umschwenken, haben wir jedes Prestige verloren. Wir sind uns einig : eine ÖVP, die durch den Druck des Auslandes nicht in der Lage ist, ein demokratisches Regierungsergebnis durchzustehen, ist eine Würstelpartie. Würsteln wären wir ! Und welcher Schaden für Europa !«947 Die Kontakte zur FPÖ, die nunmehr intensiviert wurden, hatten am 28. Oktober 1999 mit einem informellen Gespräch zwischen Wolfgang Schüssel und Jörg Haider begonnen, deren Zweck darin bestand, die jeweiligen Positionen kennenzulernen und die Möglichkeiten von weiteren Gesprächen zu sondieren. Zwischen dem 2. und 25. November 1999 folgten drei Zukunftsgespräche zwischen den beiden Parteien, bei denen in zentralen Fragen aufgrund der Flexibilität der FPÖ, die damit ihre Regierungsfähigkeit beweisen wollte, deutliche Annäherungen erzielt wurden. Die Aufnahme offizieller Koalitionsverhandlungen der ÖVP mit der SPÖ unterbrach diese Kontakte. Wenngleich es durch Einzelpersonen wie Martin Bartenstein Gespräche mit der FPÖ gab, so erfolgten seitens der ÖVP zu den Koalitionsverhandlungen mit der SPÖ keine Parallelverhandlungen mit der FPÖ. Allerdings saß die FPÖ als politische Alternative und Druckmittel der ÖVP stets unsichtbar mit am Verhandlungstisch, weshalb seitens der SPÖ und ihr nahestehender Medien immer wieder das Gerücht von Parallelverhandlungen zwischen ÖVP und FPÖ lanciert wurde. Die Spannungen zwischen SPÖ und ÖVP bei den Koalitionsverhandlungen bildeten in den folgenden Wochen den Gegenstand ausführlicher Berichterstattungen und Kommentare. Sie blieben daher auch der FPÖ nicht verborgen, die am 13. Dezember 1999 im Wiener Hilton Hotel zu einer Präsidiumssitzung zusammentrat, um die Ergebnisse der drei Zukunftsgespräche mit der ÖVP sowie der – allerdings nur flüchtigen – Gespräche mit der SPÖ zu analysieren, Gemeinsamkeiten und Differenzen mit beiden Parteien aufzulisten und auf dieser Basis bis Mitte Jänner 2000 ein alternatives Regierungsprogramm zu erarbeiten. Die Erarbeitung eines solchen 947 Khol : Die Wende ist geglückt. S. 119f.
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Programms sei – unabhängig von den politischen Konstellationen Opposition oder Regierungsbeteiligung – nötig, erklärte Parteiobmann Haider nach der dreistündigen Sitzung. Man werde vier Themenschwerpunkte erarbeiten : eine marktwirtschaftliche Öffnung auch für die bisher geschützten Bereiche, Gesundheits- und Sozialpolitik, Familien und Bildung. In Richtung ÖVP und deren Beschluss zur Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit der SPÖ fügte er hinzu, es sei in den kommenden Wochen die Frage, ob die ÖVP ins »wohlige alte System« zurückkehre oder sich doch dazu entschließen könne, mit der FPÖ das Haus Österreich neu zu errichten.948 Am 9. Jänner 2000 blieb Haider beim Neujahrstreffen der FPÖ in Unterpremstätten bei Graz angesichts der ergebnisoffenen Verhandlungen zwischen SPÖ und ÖVP über den künftigen Kurs der FPÖ bewusst unklar, hielt zwischen Kritik an SPÖ und ÖVP und Zusammenarbeitsangeboten die Balance, wobei eine Präferenz für eine Regierungsbeteiligung angedeutet wurde. Vor 4.000 enthusiasmierten Teilnehmern erklärte er in Anspielung auf die Koalitionsverhandlungen, Österreich habe deutliche Parallelen zu Italien, d. h. dem Land gehe »es auch ohne Regierung am besten«. Die Lage der FPÖ gleiche nach der Wahl vom 3. Oktober einer »Gratwanderung«. Es sei »für die Freiheitlichen nicht leicht, sich zu positionieren,« da ihre künftige Rolle als Opposition oder Regierungspartei noch nicht feststehe.949 Die Partei dürfe jedoch nicht ungeduldig werden, da eine Einigung zwischen SPÖ und ÖVP bevorstehe und sie auf Bundesebene »wahrscheinlich noch einen langen Weg« vor sich habe.950 Die FPÖ stehe für eine Koalition mit der SPÖ und der ÖVP bereit, doch würden die Sozialdemokraten derzeit alles versuchen, um eine Regierungsbeteiligung der FPÖ zu verhindern. Um dieses Ziel zu erreichen, würde es ihn auch »nicht wundern, wenn SP-Chef Klima der kleinsten Partei, der ÖVP, den Kanzler« anböte.«951 Anschließend machte Haider der ÖVP deutliche Avancen, indem er betonte, die FPÖ strebe nicht unbedingt die Kanzlerposition an, werde auch nicht um jeden Preis in eine Regierung gehen. »Wir kriechen nicht in eine Koalition, wir brauchen kein politisches Gnadenbrot.« Ein Wechsel nach »30 Jahren SPÖVorherrschaft« im Staat sei notwendig und käme einer »Kulturrevolution« gleich, zu der die FPÖ bereitstehe. In Richtung Wolfgang Schüssel bemerkte er, dieser solle sich endlich »etwas trauen«, denn »zu Tode gefürchtet ist auch gestorben.« Unterstützend zu diesem Angebot bemerkte in einem »Standard«-Interview der Zweite Nationalratspräsident Thomas Prinzhorn, er könne sich den ÖVP-Obmann als Bundeskanzler vorstellen. »Wolfgang Schüssel hat die Kraft und den Intellekt und auch 948 Kurier 14.12.1999. S. 2. 949 Der Standard 10.1.2000. S. 6. 950 Die Presse 10.1.2000. S. 6. 951 Kurier 10.1.2000. S. 3.
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einen anständigen Charakter, um Kanzler zu werden. Aber es ist die Frage, ob er sich in seiner Partei so weit frei spielen kann.«952 Angesichts der Schwierigkeiten bei den Regierungsverhandlungen und deren drohendem Scheitern präsentierte die FPÖ am 15. Jänner 2000 die wichtigsten Punkte ihres Konzepts »Ideen 2000«, in dem zahlreiche ÖVP-Positionen enthalten waren. Der Zeitpunkt der Präsentation des Konzepts war klug gewählt, konnte damit doch ein Keil zwischen die Koalitionsverhandler getrieben und vor allem dem in der ÖVP ohnedies wachsenden Ablehnungsflügel einer Neuauflage der SPÖ-ÖVP-Koalition neue Nahrung gegeben werden. Die ideologisch-politische Schnittmenge, so die Botschaft, sei bei der FPÖ deutlich größer als bei der strukturkonservativen SPÖ. Die FPÖ forderte Strukturreformen im Bereich der Staatsausgaben, mehr Privatisierungen und eine Überprüfung der Treffsicherheit der sozialen Transferleistungen mit Ausnahme der Familienleistungen. Angesichts des Widerstandes in der SPÖ, den mit der ÖVP ausverhandelten Koalitionsvertrag zu unterschreiben, besserte sich die Position der in Wartestellung befindlichen FPÖ merklich. Am 20. Jänner erklärte Jörg Haider in einem »Kurier«-Interview, er glaube nicht, dass angesichts der auftauchenden Probleme SPÖ und ÖVP eine Koalition bilden können. Die Fortsetzung der SPÖ-ÖVP-Koalition wäre nur noch möglich, »wenn einer von beiden kapituliere.« Es gebe keine Gespräche mit der ÖVP. »Wir halten uns bewusst heraus.« Aber »wir stehen Gewehr bei Fuß«. Die Chancen, dass die FPÖ Regierungsverantwortung übernehme, stünden 60 : 40. Seine Partei sei bereit, sowohl mit der SPÖ wie der ÖVP eine Koalition zu bilden.953 Die Ereignisse überschlugen sich in den folgenden Tagen. Nach dem endgültigen Scheitern der Gespräche mit der SPÖ nahm die ÖVP am 21. Jänner Kontakt zur FPÖ auf, die am 24. Jänner die Verhandlungen mit der SPÖ über eine Tolerierung einer SP-geführten Minderheitsregierung abbrach. Zu diesem Zeitpunkt hatten sich Wolfgang Schüssel und Jörg Haider bereits prinzipiell auf die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen geeinigt und dies in einer gemeinsamen Unterredung auch Bundespräsident Klestil mitgeteilt. Dieser gab jedoch nach wie vor zu erkennen, dass er keinem der beiden einen Regierungsbildungsauftrag erteilen werde. Er erwarte am 27. Jänner Viktor Klima zur Berichterstattung und werde erst dann sein weiteres Vorgehen bekannt geben. Damit war das Spiel auf mehreren Ebenen eröffnet. Thomas Klestil wusste vom Scheitern Viktor Klimas und war bemüht, durch internationalen Druck die drohende Bildung einer ÖVP-FPÖ-Koalition zu verhindern. Dabei spielten mehrere an ihn ergangene Warnungen aus dem Ausland, die eine Wiederholung der Waldheim-Affäre befürchten ließen, eine Rolle. In Absprache mit Heinz Fischer und 952 Der Standard 10.1.2000. S. 6. 953 Kurier 21.1.2000. S. 2.
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Viktor Klima, der vor der Holocaust-Konferenz am 26. Jänner eine Rede halten sollte, unternahm er den Versuch, den internationalen Druck zu verstärken und doch noch in letzter Minute die von ihm abgelehnte Regierungsbildung zu verhindern. Gleichzeitig betrieb er von der Hofburg aus aktive und passive Telefondiplomatie. Innenpolitisch versuchte er das Gewicht der Rolle des Bundespräsidenten in die Waagschale zu werfen, indem er sich weigerte, den Auftrag zur Bildung einer Bundesregierung an Wolfgang Schüssel oder Jörg Haider zu erteilen, und damit eine Verfassungskrise riskierte. Schüssel und Haider ließen nämlich den Bundespräsidenten am 24. Jänner wissen, dass sie auch ohne sein Mandat Regierungsverhandlungen aufnehmen würden. Bereits am Vortag hatte ÖVP-Klubobmann Andreas Khol unmissverständlich in Richtung Hofburg erklärt, der Weg in Richtung einer ÖVP-FPÖ-Regierung sei dann frei, wenn sich ÖVP und FPÖ auf eine Ministerliste einigten, die auch von beiden Fraktionen im Parlament unterstützt werde.« 954 Unterrichtsministerin Elisabeth Gehrer bemerkte in Richtung des Bundespräsidenten : »Ich kenne kein Gesetz, wo steht, die SPÖ muss den Kanzler stellen. Nach demokratischem Verständnis bildet der die Regierung, der eine Mehrheit im Parlament hinter sich hat.«955 Jörg Haider betonte, eine durchaus mögliche SPÖ-FPÖ-Koalition bedeute für die FPÖ, dass es »offizielle Gespräche über die Bildung einer Regierung« geben müsse. »Die Kraft wird Klima nicht haben.« Und zur Haltung des Bundespräsidenten : Die Weigerung, den Auftrag zur Regierungsbildung an Wolfgang Schüssel oder ihn zu geben, würde einen Staatsnotstand hervorrufen. Hinzu werde die Phase kommen, »wo das Budgetprovisorium nicht mehr verlängert werden« dürfe.«956 Die Haltung des Bundespräsidenten sei entweder mit Überforderung oder bösem Willen zu erklären. Er handle in der gegenwärtigen Situation »fahrlässig«.957 Norbert Stanzel bemerkte, auch wenn eine sich abzeichnende ÖVP-FPÖ-Koalition keineswegs der Intention des Bundespräsidenten entspreche, sei das Lamento über diese Regierungsbildung eine Alibihandlung, solange niemand eine echte Alternative anbieten könne. Und prophetisch : Im Fall einer ÖVP-FPÖ-Regierung »bekommt es die ÖVP mit einem Partner zu tun, der ihr zwar derzeit das Blaue vom Himmel verspricht – aber wohl im geeigneten Zeitpunkt nicht zögern würde, die Koalition in die Luft zu sprengen.« Wenn die FPÖ in einer Koalition eine staatstragende Rolle übernehme, müsse sie sich von »alten politischen Schandtaten – von braun angehauchten Verbal-Rülpsern bis zu Anti-Ausländer- Kampagnen » distanzieren. Haider habe sich bereits angesichts der internationalen Reaktionen auf eine 954 Die Presse 24.1.2000. S. 5. 955 SN 24.1.2000. S. 3. 956 Kurier 14.1.2000. S. 3. 957 SN 24.1.2000. S. 3.
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mögliche Regierungsbeteiligung der FPÖ für verbale Ausrutscher in der Vergangenheit entschuldigt. »Dass er sich tatsächlich geläutert hat, muss er in der neuen Rolle noch beweisen – Tag für Tag. Es ist das Problem Haiders, international akzeptiert zu werden. Er sollte dabei nicht das ganze Land in Geiselhaft nehmen.«958 Die von der ÖVP-Spitze vorgenommene Weichenstellung in Richtung einer Koalition mit der FPÖ war jedoch parteiintern keineswegs unumstritten. So agierte, in deutlichem Gegensatz zur Industriellenvereinigung,959 der mächtige RaiffeisenChef Christian Konrad gegen eine Koalition mit der FPÖ und waren ÖAAB/FCG in dieser Frage in sich gespalten. Während vor allem die ostösterreichischen Funktionäre des ÖAAB und der FCG für eine Koalition mit der FPÖ votierten, sprach sich der Präsident der Tiroler Arbeiterkammer, Fritz Dinkhauser, vehement gegen diese politische Option aus und drohte sogar offen mit einer Abspaltung von der ÖVP im Falle eines Koalitionsabkommens mit der FPÖ. Trotz dieses ÖVP-internen Widerstandes erfolgte nach einem Beschluss der FPÖ zur Aufnahme von Regierungsgesprächen mit der ÖVP am Abend des 24. Jänner im Haus von Klubobmann Andreas Khol die erste Kontaktrunde zum Austausch der jeweiligen programmatischen Positionen. Dabei präsentierte die ÖVP das mit der SPÖ vereinbarte, von der SPÖ schließlich jedoch nicht ratifizierte Koalitionsabkommen, während die FPÖ ihr Mitte Jänner der Öffentlichkeit präsentiertes Positionspapier übergab. Im Anschluss wurde die Bildung von Arbeitsgruppen vereinbart, deren Ergebnisse spätestens nach zehn Tagen ein Verhandlungsergebnis ermöglichen sollten. Die relativ kurze Fristsetzung basierte auf vier Voraussetzungen : 1. Die Positionen der beiden Parteien waren bekannt und die FPÖ hatte bereits bei den Zukunftsgesprächen mit der ÖVP ihre Bereitschaft signalisiert, ihre ablehnende Haltung gegenüber den für die ÖVP zentralen Punkten – positive Haltung zur Europapolitik und zur EU-Osterweiterung – aufgegeben. Zudem ergaben sich in den Bereichen Finanz-, Wirtschafts- und Sozialpolitik große politische Schnittmengen. FPÖ-Klubobmann Herbert Scheibner hatte zudem gegenüber Andreas Khol bei deren Gespräch am 22. Jänner, bei dem Khol seinem Gesprächspartner das von der SPÖ schließlich nicht ratifizierte Koalitionsabkommen präsentiert hatte, 958 Norbert Stanzel : Partnertausch heißt Rollentausch. – In : Kurier 271.2000. S. 2. 959 Als Kontaktmann der FPÖ zur Industriellenvereinigung fungierte der Papierindustrielle und FPÖSpitzenkandidat Thomas Prinzhorn, den eine Freundschaft mit den Papierindustriellen Alfred Heinzel und Veit Sorger sowie den Präsidenten der Industriellenvereinigung, Peter Mitterbauer, verband. Jörg Haider pflegte enge Kontakte mit den Industriellen Herbert Turnauer (Constantia) und Ernst Hofmann (Pankl & Hofmann) sowie Billa-Chef Veit Schalle. Als Befürworter einer ÖVP-FPÖ-Koalition galten auch der Generalsekretär der Industriellenvereinigung, Lorenz Fritz, der Vizepräsident der Industriellenvereinigung, der steirische Textilindustrielle Werner Tessmar-Pfohl, der Präsident der oberösterreichischen Industriellenvereinigung, Michael Teufelberger, und der Vorarlberger Fruchtsafthersteller Franz Rauch (Hanna Kordik : Als die Industrie blaumachte. – In : Die Presse 5.10.2013. S. 14).
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bemerkt, dass sich die FPÖ, wenn auch mit einigen Abstrichen, mit den meisten Positionen des Abkommens durchaus identifizieren könne. 2. Die drohende Entwicklung des Budgetdefizits und damit das Verfehlen der Konvergenzkriterien erforderten ein rasches fiskalpolitisches Handeln. Die notwendigen strukturellen Maßnahmen konnte jedoch nur eine neue Bundesregierung setzen. 3. Mit einem Regierungsprogramm, das neben strukturellen Maßnahmen auch die Anerkennung von Entschädigungszahlungen an NS-Opfer beinhaltete, sollte der vom Ausland erhobenen Behauptung, bei einer ÖVP-FPÖ-Regierung handle es sich um einen neonazistischen Wolf im Schafspelz, entgegengetreten werden. 4. Und schließlich wollte man nach den sich nunmehr schon über Wochen hinziehenden erfolglosen Regierungsverhandlungen, die die Geduld der Bevölkerung bereits sichtlich strapazierten, durch eine rasche Einigung Handlungsfähigkeit demonstrieren. Am 25. Jänner erhielt Klubobmann Khol nach seinem Referat über die politische Lage und die Situation der ÖVP das Pouvoir für Verhandlungen mit der FPÖ. Khol hatte die Situation der ÖVP in allen möglichen politischen Varianten analysiert : Im Fall einer Fortsetzung der Koalition mit der SPÖ hätte für die Partei nur dann eine Chance bestanden, wenn sie die Regierungsagenda eindeutig bestimmt hätte. Dies sei jedoch aufgrund der Haltung der SPÖ nicht möglich gewesen, weshalb bei einer Fortführung der Koalition mit der SPÖ nach einer Kompromissvariante neuerlich massive Stimmen- und Mandatsverluste gedroht hätten. Im Falle sofortiger Neuwahlen wäre die Partei auf 20 Prozent oder sogar noch weniger zurückgefallen und es hätte das durchaus realistische Szenario bestanden, dass die FPÖ als stärkste Partei aus diesen hervorgehen würde. Nur im Szenario einer Koalition mit der FPÖ habe die ÖVP die Chance, durch eine ambitionierte und erfolgreiche Reformarbeit große Zustimmung zu gewinnen und die nächsten Wahlen aus der Position des Ersten erfolgreich zu schlagen. Man sei sich dabei durchaus dessen bewusst, in der FPÖ möglicherweise einen unsicheren und sprunghaften Partner zu haben, doch müsse man dieses Risiko eingehen. Gleichzeitig unternahm Viktor Klima einen letzten Versuch bei der FPÖ und den Grünen, sie zu einer Unterstützung einer von ihm gebildete Minderheitsregierung durch Entsendung von ihnen nahestehenden Persönlichkeiten zu bewegen. Dabei musste er feststellen, dass in der FPÖ die Weichen bereits in Richtung Verhandlungen mit der ÖVP gestellt waren und die Grünen zurückhaltend bis ablehnend reagierten. Am Nachmittag des 25. Jänner gab er sich in seinem Bericht vor dem SPÖKlub noch kämpferisch und erklärte, er werde die Bemühungen um die Bildung einer Minderheitsregierung nicht aus freien Stücken aufgeben. Am Abend erstattete er dem SPÖ-Präsidium Bericht. Dieser klang erheblich pessimistischer. Klima verabschiedete sich dabei zur Überraschung einzelner Teilnehmer von seinem noch vor dem Klub gezeigten Kampfgeist und gestand sein Scheitern ein. Das Präsidium
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beschloss daher gegen 22 :00 Uhr, dass Klima am 27. Jänner nach seiner Rückkehr von der Holocaust-Konferenz in Stockholm dem Bundespräsidenten vom Scheitern seiner Bemühungen berichten werde. Sollte nicht noch ein politisches Wunder geschehen, so die übereinstimmende Überzeugung aller Präsidiumsmitglieder, war der Gang der Partei in die Opposition unvermeidbar. Doch auch in der Opposition, so der niederösterreichische Landesparteisekretär Alfred Gusenbauer, der als neuer Bundesgeschäftsführer gehandelt wurde, benötige die SPÖ »eine fundamentale Diskussion, wie auf Schwarz-Blau reagiert« werden solle. Während Rudolf Nürnberger für eine weiterhin deutliche Abgrenzung zur FPÖ plädierte, da sonst die SPÖ »ein massives Glaubwürdigkeitsproblem« bekomme, bemerkte Karl Schlögl, er sei nicht dieser Meinung und »wäre zu einer Vereinbarung mit der FPÖ gestanden«. Dies sei jedoch durch die jüngsten Ereignisse nunmehr Geschichte.960 Zum Zeitpunkt des Zusammentretens des SPÖ-Präsidiums hatten sich die Verhandlungsteams von ÖVP und FPÖ in ihrer ersten Verhandlungsrunde auf jene Punkte geeinigt, in denen bereits in den Zukunftsgesprächen durch einen Politikwechsel der FPÖ weitgehende Übereinstimmung festgestellt worden war : EU-Politik, EU-Osterweiterung, Budgetsanierung und nennenswerte Entschädigung der NS-Opfer. Vor allem auf den letzten Punkt legte Wolfgang Schüssel großen Wert. Die internationale und nationale Diskussion über den Umgang mit der NS-Vergangenheit – nicht nur in Österreich – im Zuge und als Folge der Waldheim-Affäre führte zu einer differenzierteren Haltung des offiziellen Österreich zur NS-Vergangenheit, die sich in der Erklärung von Bundeskanzler Franz Vranitzky, Österreich sei nicht nur Opfer, sondern auch Täter gewesen, ebenso äußerte wie in der 1998 erfolgten Einsetzung einer Historikerkommission zur Erforschung des Vermögensentzugs während der NS-Zeit und der seit 1945 erfolgten Entschädigungen und Rückstellungen. Bei der Holocaust-Konferenz hatte Viktor Klima am 26. Jänner erklärt, die künftige Regierung werde sich mit der Frage der Zwangsarbeiter während der NS-Zeit sowie der Verantwortung der Unternehmen zu beschäftigen haben, um dieses dunkle Kapitel der jüngeren Geschichte Österreichs abzuschließen. Zum Zeitpunkt der Rede Klimas bestand die »moralische Ökonomie« in der Trias offizielles Gedenken und Entschuldigung, Restitution, Entschädigung.961 Österreich galt bei vielen als Sonderfall, da sich das Land angeblich nach wie vor weigerte, sich seiner NS-Vergangenheit zu stellen und sich stattdessen mit Halbwahrheiten abgab. Viktor Klima hatte mit deutlichem Bezug zur innenpolitischen Entwicklung in Österreich in Stockholm betont, dass, wer nicht bereit sei, öffentliche Verantwortung für die NS-Verbrechen zu übernehmen, nicht geeignet sei, politische Verantwortung zu 960 Der Standard 27.1.2000. S. 2. 961 Ernst Hanisch : Die Vergangenheitspolitik der schwarz-blauen Regierung. – In : Kriechbaumer, Schausberger (Hg.) : Die umstrittene Wende. Österreich 2000–2006. S. 397–416. S. 410.
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übernehmen. Damit war geschickt das Feld der Vergangenheitspolitik und die Rolle der Geschichtswissenschaft angesprochen, die im Falle der NS-Ära zwischen den Polen moralischer und emotioneller Aufgeladenheit und Historisierung schwankte. Vergangenheitspolitik ist das Feld der Sinndeuter und Sinndeutungsagenturen, d. h. von politischen und intellektuellen Eliten sowie Institutionen wie Universitäten, Printmedien, Interessensgruppen oder politischen Parteien. Das Feld der Erinnerung ist vor allem in demokratischen Gesellschaften heftig umkämpft, handelt es sich dabei doch um das öffentliche und kollektive Gedächtnis. Viktor Klima entwarf unter dem Applaus und mit der Unterstützung der anwesenden Regierungsvertreter sowie der Nicht-Regierungsorganisationen in seiner Rede indirekt das Bild vom heimlichen »Nazi-Land«, das bei einer Regierungsbeteiligung der FPÖ vollends in einen braunen Sumpf abzugleiten drohe. Schüssel antwortete mit einer offensiven Gegenstrategie, die vor allem darauf zielte, den letzten, bisher von den österreichischen Regierungen vernachlässigten Teil der »moralischen Ökonomie«, die Entschädigung, als Teil des Regierungsprogramms festzuschreiben und damit den Gegenbeweis zu den teilweise völlig abstrusen und überzogenen Charakterisierungen der politischen Situation des Landes anzutreten. Diese Intention kam auch den strategischen Überlegungen Haiders entgegen, der bemüht war, die im Ausland verfestigten Meinungen über die Natur der FPÖ Lügen zu strafen. Jörg Haider trat am Abend des 25. Jänner vor zahlreichen Journalisten demonstrativ gemeinsam mit Wolfgang Schüssel auf und beeilte sich in der 20-minütigen Pressekonferenz festzustellen, dass die Verhandlungen einen guten Start gehabt hätten, und er mit den Erklärungen Schüssel vollkommen einverstanden sei. Unter Hinweis auf die bereits abgeschlossenen Verhandlungspunkte betonte er, die FPÖ sei eine verlässliche Regierungspartei und habe dies auch dort bewiesen, wo sie bereits Regierungsverantwortung trage.962 Anneliese Rohrer bemerkte zu dem gemeinsamen Auftritt des politischen Duos Schüssel-Haider, dass der äußerst zurückhaltende Auftritt des FPÖ-Obmanns genug Zeit gelassen habe, »um Erinnerungen wachzurufen, wie so manche Funktionsträger von SPÖ und ÖVP in den letzten Jahren diverse Begegnungen mit Haider beschrieben« hätten. »In einem ›staatstragenden‹ Ambiente verhält sich dieser immer extrem angepasst, den ›Rambo der Innenpolitik‹ gibt er immer nur bei Parteiveranstaltungen […] Warum ist er bei offiziellen Sitzungen immer extrem konziliant, danach nach außen bei denselben Themen extrem aggressiv ? […] Dienstag Nacht jedenfalls war Haider in allem einer Meinung mit Schüssel. […] Schüssel und Haider oder Haider und Schüssel waren sich einig : Die Situation sei schwierig, ein ehrgeiziges Programm müsse ausgearbeitet werden, die Chancen in der Europa-Politik müssten in den Vordergrund gerückt werden.«963 962 Der Standard 27.1.2000. S. 3. 963 Anneliese Rohrer : Die seltsame Willfährigkeit des Jörg H. – In : Die Presse 27.1.2000. S. 3.
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Am folgenden Tag wurde vor dem Hintergrund des sich abzeichnenden internationalen Drucks eine erste Einigung über eine allfällige Ressortaufteilung erzielt. Mit Blick auf Brüssel fielen das Bundeskanzleramt und das Außenministerium an die ÖVP, während im Gegenzug das Finanz- und Sozialministerium von der FPÖ besetzt wurden. Das politisch äußerst sensible Innenministerium wurde der ÖVP, im Gegenzug das Verteidigungsministerium der FPÖ überantwortet. Der bevorstehende Regierungseintritt stellte die FPÖ vor die nicht unbeträchtliche Herausforderung, sowohl den eigenen Funktionären sowie der eigenen Wählerschaft den Rollenwechsel plausibel zu machen. Man war sich dabei durchaus der Gefahr bewusst, durch die Übernahme von Regierungsverantwortung Teile des Oppositionsbonus zu verspielen, weshalb man nach einer wirksamen Gegenstrategie suchte und diese in einer Teilung in Regierungs- und Parteimanagement gefunden zu haben glaubte. So erklärte die geschäftsführende Parteichefin Susanne Riess-Passer, man werde »sicher nicht den Fehler machen, das gesamte Parteiestablishment in die Regierung zu transferieren.« Diesen Fehler habe Norbert Steger 1983 gemacht, mit der Folge, »dass die freiheitlichen Regierungsmitglieder völlig von der Partei abgekoppelt wurden und ein Eigenleben führten.« Man werde daher besonderen Wert auf die Koordination von Regierung, Parlamentsfraktion und Partei legen.964 Am Donnerstag, den 27. Jänner, gerieten die Verhandlungen zwischen ÖVP und FPÖ unter massiven innen- und außenpolitischen Druck. Bundespräsident Thomas Klestil erteilte nämlich nach dem Bericht von Viktor Klima über das Scheitern seiner Bemühungen um die Bildung einer SP-geführten Minderheitsregierung keinen Auftrag zur Regierungsbildung an Wolfgang Schüssel, sondern ließ lediglich wissen, dass er zu Beginn der kommenden Woche die Parteiobmänner von ÖVP und FPÖ zu sich bitten werde, damit sie ihn über deren Gespräche informieren könnten. Er werde diesen Bericht abwarten, bevor er weitere Schritte unternehme. Gleichzeitig wurden aus Stockholm, Brüssel und Paris warnende Stimmen vor einer FPÖ-Regierungsbeteiligung vernehmbar, wobei das politische Spektrum von konservativen Parteien bis zur politischen Linken reichte, und sowohl von der ausländischen wie inländischen Tagespresse ausführlich zitiert wurden.965 Der Druck auch befreunde964 SN 27.1.2000. S. 2. 965 Am 27. Jänner 2000 erklärte die konservative Präsidentin des Europaparlaments, Nicole Fontaine, für sie sei eine Regierungsbeteiligung der FPÖ nicht tolerierbar. »Die Partei von Jörg Haider transportiert eine Ideologie, die den Gegenpol der humanistischen Werte darstellt, die jeder demokratischen Gesellschaft zugrunde liegen.« Die französischen EU-Abgeordneten des Zentrums, aus deren Reihen auch Nicole Fontaine stammte, drohten der Europäischen Volkspartei im Fall des Zustandekommens einer ÖVP-FPÖ-Koalition mit ihrem Austritt und der französische Staatspräsident Jacques Chirac verfolgte die Ereignisse in Wien »mit großer Sorge« und ließ wissen, dass seine Bedenken auch von der spanischen Konservativen Partei geteilt würden (Der Standard 28.1.2000. S. 8). Der Präsident der Europäischen Volkspartei, Wilfried Martens, zeigte sich »besorgt« und kündigte einen notwendigen Meinungsbil-
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ter Parteien bzw. deren Spitzenrepräsentanten und der veröffentlichten Meinung, so die Hoffnung der SPÖ und Thomas Klestils, würde die ÖVP doch noch bewegen, von Koalitionsverhandlungen mit der FPÖ Abstand zu nehmen. Am 27. Jänner griff in Paris Präsident Jacques Chirac persönlich zum Telefonhörer und versuchte nach einem Gespräch mit Bundespräsident Thomas Klestil ÖVP-Klubobmann Andreas Khol mit unverhohlenen Drohungen einer internationalen Isolation doch noch zur Unterstützung einer SP-geführten Minderheitsregierung zu bewegen. In dem Telefonat Chiracs mit Klestil bekundete der österreichische Bundespräsident sein Einverständnis für eine bevorstehende Erklärung der 14 EU-Staaten, in der Österreich mit einer weitgehenden Isolierung gedroht werden sollte. Diese sollte jedoch noch vor Abschluss der laufenden Regierungsverhandlungen veröffentlicht werden, denn nur so könnte vielleicht doch noch die von ihm nicht gewünschte Koalitionsregierung verhindert werden. Dass Klestil in der Endphase des Entstehens der Sanktionen der 14 EU-Staaten eine aktive Rolle spielte, kann, trotz aller offiziellen Dementis, als sicher angenommen werden. In einer streng vertraulichen Sitzung des Außenpolitischen Ausschusses des dänischen Parlaments erklärte Ministerpräsident Poul Nyrup Rasmussen, nicht nur Viktor Klima sei in Stockholm bei der Holocaust-Konferenz »außerordentlich aktiv« gewesen und habe die sich bietende Gelegenheit genutzt, »um seine eigenen Interessen zu pflegen.« In Österreich habe Thomas Klestil, der hinter den Kulissen »unerhört aktiv« gewesen sei, auf die rasche Verabschiedung einer gemeinsamen Resolution der 14 EU-Staaten gedrängt.966 Am gleichen Tag wurde bekannt, dass die belgische Regierung in einem Brief an die portugiesische Ratspräsidentschaft die »Veranlassung einer gemeinsamen Reaktion« der 14 EU-Staaten forderte.967 Der zunehmende Druck aus dem Ausland zeigte jedoch bei der ÖVP keine Wirkung, im Gegenteil. Man war nunmehr gewillt, die Verhandlungen mit Hochdruck voranzutreiben und möglichst rasch zu einem respektablen Ergebnis zu kommen. Der Druck von außen schloss die Reihen der ÖVP, in der nun selbst Skeptiker einer Regierungsbildung mit der FPÖ Standfestigkeit forderten. Die Partei würde sich, dessen war man sich allgemein bewusst, im Falle dungsprozess der Europäischen Volkspartei zu den Regierungsverhandlungen zwischen ÖVP und FPÖ bei einem Treffen der Parteichefs in Madrid an. Am 28. Jänner intervenierte der konservative spanische Premierminister José Maria Aznar telefonisch bei Bundespräsident Thomas Klestil und teilte diesem seine Sorge mit, die auch von den anderen EU-Regierungen geteilt werde. 966 Diese Darstellung wurde in den beiden dänischen Zeitungen »Jyllands-Posten« und »Ekstra-Blader« gegeben. Der dänische Rundfunk ließ sich die Darstellung der beiden Zeitungen bestätigen. Wie die vertraulichen Informationen an die beiden Zeitungen gelangten, blieb allerdings ungeklärt (Die Presse 3.2.2000. S. 3). Laut Agence France Press gab Bundespräsident Klestil in einem Telefonat mit Präsident Chirac nicht nur sein Einverständnis mit den Sanktionen, sondern bat diesen sogar, diese so rasch als möglich zu publizieren (Kurier 3.2.2000. S. 4). 967 FORMAT 7/2000. S. 54.
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eines Zurückweichens selber aufgeben und für unabsehbare Zeit aus dem politischen Geschehen nehmen. Und auch in der FPÖ war man unter dem publizistisch begleiteten Drohszenario des antifaschistischen Gewissens der 14 EU-Staaten entschlossen, so rasch wie möglich die Regierungsverhandlungen erfolgreich abzuschließen. Dieses Ziel entsprach auch durchaus der öffentlichen Meinung. So ergab eine Umfrage des Linzer market-Instituts, dass 45 Prozent der Bevölkerung einer ÖVP-FPÖRegierung mehr Reformfreudigkeit zutrauten als einer SPÖ-ÖVP-Regierung, der dies nur 30 Prozent attestierten.968 Eine Telefonumfrage des Fessel-Instituts ergab, dass zwar eine ÖVP-FPÖ-Regierung die Bevölkerung polarisierte, jedoch eine klare Mehrheit von 54 Prozent sich keine Sorgen machte, falls eine solche Konstellation das Land regieren würde. 45 Prozent vertraten zudem die Auffassung, dass ein Abschied der SPÖ von der Macht nach 30 Jahren für das Land von Vorteil sei, während 36 Prozent darin eher einen Nachteil sahen.969 In den letzten Jännertagen wurden die Verhandlungen in sämtlichen Untergruppen zielstrebig vorangetrieben und am 30. Jänner wurde in allen wichtigen Fragen – von der Sanierung des Budgets über weitgehende Privatisierungen, die zwischen ÖVP und SPÖ so heftig umstrittene Pensionsreform970 und Sicherheitspolitik971 bis zum einkommensunabhängigen Karenzgeld für alle – Einigung erzielt. Am 31. Jänner wurde an den Details des Koalitionsabkommens gefeilt. Jörg Haider berichtete im Gespräch mit Alfred Worm, er sei an diesem Tag mit Wolfgang Schüssel zum Mittagessen im Hotel »Sacher« gewesen, »als der portugiesische Premier [richtig : Außenminister Jaime Gama, Anm. d. Verf.)] […] angerufen und eine halbe Stunde lang mit Schüssel telefoniert« habe. »Dabei wurde Schüssel massiv unter Druck ge-
968 Die Presse 28.1.2000. S. 7. 969 Kurier 30.1.2000. S. 3. 970 Das Frühpensionsalter wurde um 18 Monate angehoben, beginnend ab Oktober 2000 um zwei Monate pro Quartal. Nur wer eine Lebensarbeitszeit von 45 Jahren aufwies, konnte weiterhin mit spätestens 60 Jahren in Rente gehen. Auch bei den Beamten wurde das Pensionsalter angehoben und die Pensionsbeiträge auch bei bereits pensionierten Beamten um 0,8 Prozent erhöht, d. h., pensionierte Beamte leisteten nunmehr einen Pensionssicherungsbeitrag von 2,3 Prozent. Ein Pensionsantritt vor dem gesetzlichen Pensionsalter – 65 bzw. 60 Jahre – brachte ein Malus von zwei Prozent im ersten Jahr, für jedes weitere Jahr ein Prozent, wobei allerdings eine Deckelung von sechs Prozent eingeführt wurde. Für Regelpensionisten galten keine Ruhensbestimmungen. Dies bedeutete, dass auch Frühpensionisten bei Erreichen des gesetzlichen Pensionsalters wiederum einer Erwerbstätigkeit nachgehen konnten. 971 Die beiden Parteien kamen überein, dass man in der EU für die Einführung einer Beistandspflicht werben werde. Gelinge dies nicht, so sollte der Beitritt zur NATO und WEU ins Auge gefasst werden. Im Sinne dieser angestrebten Ziele sollten die Vorarbeiten für die Einführung eines Berufsheeres in Angriff genommen werden. Die Anhebung des Heeresbudgets sowie die unbedingt notwendige Anschaffung neuer Abfangjäger wurden ebenso vereinbart wie das Bemühen um einen nationalen Konsens im gesamten Bereich der Sicherheitspolitik.
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setzt. Er möge nur ja keine voreiligen Entscheidungen treffen.«972 In der Darstellung Schüssels betonte der portugiesische Außenminister, dass die drohenden Sanktionen der 14 EU-Staaten gegen Österreich keineswegs eine Initiative der portugiesischen Ratspräsidentschaft seien, sondern das Ergebnis eines enormen Drucks einiger übriger Mitgliedsländer.973 Am Nachmittag dieses Tages empfing Bundespräsident Klestil unter reger Anteilnahme der nationalen und internationalen Presse Jörg Haider und Wolfgang Schüssel zu getrennten Gesprächen über die laufenden Regierungsverhandlungen. Nach dem Gespräch mit Klestil gab sich Haider betont konziliant, entschuldigte sich für seine Äußerungen zu Chirac und der belgischen Regierung, die er am 29. Jänner anlässlich seiner Geburtstagsfeier getätigt hatte, und fügte hinzu, er sei überzeugt, noch an diesem Tag die Koalitionsgespräche mit der ÖVP erfolgreich abschließen zu können. Man werde das gemeinsame Programm dem Bundespräsidenten vorlegen, damit dieser die Gelegenheit erhalte, eventuell Ergänzungswünsche zu äußern. Zwei Stunden nach Haider erschien Wolfgang Schüssel in der Hofburg, um den Bundespräsidenten über den Stand der Verhandlungen zu informieren. Während dieses Gespräches erfolgte um 17 :30 Uhr die Veröffentlichung der Erklärung der 14 EU-Staaten. Der Zeitpunkt der Veröffentlichung wirft Fragen auf, die nach dem derzeitigen Quellenstand nicht klar beantwortet werden können. Die Behauptung, Bundespräsident Klestil habe auf eine vorzeitige Veröffentlichung gedrängt, ist wahrscheinlich, jedoch nicht verifizierbar. Das Protokoll des Außenministeriums berichtet, der portugiesische Botschafter in Österreich habe erklärt, es sei zwischen den 14 EU-Staaten vereinbart worden, dass die Veröffentlichung erst später erfolgen würde. »Dann kam es zu einem Leak beziehungsweise zu einem Missverständnis, in dessen Folge die Erklärung schon früher veröffentlicht wurde.«974 Vor den im Bundeskanzleramt in den späten Nachmittagsstunden des 31. Jänner wartenden Journalisten erklärte Schüssel nach dem Gespräch mit Klestil, er habe soeben von den EU-Sanktionen erfahren. Die Sorgen im Ausland seien verständlich, nicht jedoch die Vorurteile. Eine Regierung müsse an ihrem Programm und ihren Taten gemessen werden. Es sei befremdend, dass 14 Mitgliedsstaaten der EU einen Beschluss fassten, ohne das 15. Mitglied vorher zu kontaktieren. Österreich brauche keinen demokratiepolitischen Nachhilfeunterricht, es sei schließlich kein Entwicklungsland.975 Wenige Tage später bemerkte er zu der Kritik, dass der Bundespräsident sich von der ÖVP-FPÖ-Regierungsbildung distanziere und die Aufnahme der FPÖ in eine Bundesregierung einen Tabubruch bedeute : »Der Herr Bundespräsi972 Worm : Ein Streitgespräch mit Jörg Haider. S. 141. 973 Schüssel : Offen gelegt. S. 103. 974 Zit. bei FORMAT 7/2000. S. 55. 975 SN 1.2.2000. S. 2.
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dent ist doch an der Entstehung mitbeteiligt. Wir wollten nach der Wahl in Opposition gehen und haben nur auf Wunsch des Bundespräsidenten angefangen zu verhandeln. Aber verhandeln kann ja nicht heißen, dass man jemanden in eine Ecke hineinprügelt, wie das manche Sozialdemokraten dankenswert klar ausgedrückt haben […].« Wenn die Aufnahme der FPÖ in eine Bundesregierung einen Tabubruch bedeutet, »dann ist es offenbar ein Tabu, das nur für die ÖVP gilt. Es gab bereits einmal eine Koalition zwischen SPÖ und FPÖ, damals war Jörg Haider auch schon in der Partei, in durchaus wichtiger Position. Und als vor einer Woche die SPÖ der FPÖ den Vorschlag machte, eine Minderheitsregierung zu unterstützen, da habe ich […] nichts von internationalen Protesten bemerkt.« Die Reaktionen der 14 EUStaaten seien jedoch nicht so einhellig. »Da wurden einige kleinere Länder unter Druck gesetzt und haben sich überrollt gefühlt. Besonders merkwürdig ist auch, dass wir nicht einmal gehört wurden, und das in einer Union, die sich selbst als rechtsstaatliches Gebilde begreift.«976 Wolfgang Schüssel war sich der außenpolitischen Folgen einer Koalition mit der FPÖ bereits im Vorfeld der endgültigen Einigung durchaus bewusst. Er rechnete, ebenso wie das Außenministerium, mit heftigen Reaktionen aus Israel und eventuell aus den USA. Wenngleich in den US-Politik und den großen amerikanischen Zeitungen von Österreich im Regelfall kaum Notiz genommen wurde, so hatte es während der Waldheim-Affäre erhebliche Aufmerksamkeit gewonnen und es geisterten teilweise völlig abstruse und einseitige Berichte über das »Nazi-Land« Österreich und seine »verdrängte Vergangenheit« durch den prominenten amerikanischen Blätterwald. Vierzehn Jahre später agierte die amerikanische Außenpolitik im Fall der ÖVP-FPÖ-Regierungsverhandlungen zunächst zurückhaltend, um sich jedoch Ende Jänner der Haltung Brüssels zu näheren. Auch amerikanische Medien widmeten sich wieder Österreich, in dem offenbar der Faschismus wieder auflebte und die Waldheim-Affäre eine Wiederholung zu erfahren drohte. Diese Wende hatte eine ihrer Hauptursachen weniger in der nun geänderten Analyse der US-Politik, sondern im laufenden Wahlkampf, in dem sich die Präsidentengattin Hillary Clinton um einen Senatorenposten in New York mit seiner starken jüdischen Wählerschaft bewarb. In Israel hatten nämlich Premierminister Ehud Barak und Außenminister David Levy erklärt, sie würden nach der Bildung einer ÖVP-FPÖ-Regierung den israelischen Botschafter auf unbestimmte Zeit aus Wien abberufen, und der Präsident der Knesset sprach von einem »Schandmal auf dem Gewissen Österreichs«.977 Der ÖVP-Obmann und amtierende Außenminister rechnete auch aufgrund zahlreicher Warnungen und Erklärungen mit Reaktionen der 14 EU-Staaten. Als jedoch am späten Nachmittag des 31. Jänner die auf Drängen Frankreichs, Deutsch976 FORMAT 6/2000. S. 34. 977 Die Presse 3.2.2000. S. 6.
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lands und Belgiens bewusst scharfe und die Rechtsgrundlagen der EU verletzende »Sanktionen«-Erklärung der 14 EU-Staaten bekanntgegeben wurde, war Schüssel überrascht. Die Überraschung war verständlich, weil es »ein derart abgestimmtes Verfahren und koordiniertes Agieren der restlichen EU-Mitglieder bzw. einer Gruppe von Gemeinschaftsstaaten gegen ein Mitglied in der Geschichte der europäischen Integration noch nie gegeben hatte.«978 Während Wolfgang Schüssel in einem persönlichen Telefonat mit US-Außenministerin Madeleine Albright erreichen konnte, dass man sich in Washington am 31. Jänner lediglich zu einer »Beobachtung« Österreichs entschloss, und sich die EU-Kommission als Hüterin der EU-Verträge aus rechtlichen Bedenken nach einem Telefonat Schüssels mit Romano Prodi nicht an den Sanktionen beteiligte, wirkte die Front der 14 EU-Staaten geschlossen und für die internationale Stellung Österreichs bedrohlich. In der Erklärung der portugiesischen Ratspräsidentschaft hieß es, die Regierungen der 14 Mitgliedsstaaten würden keinerlei offizielle bilaterale Kontakte auf politischer Ebene mit einer österreichischen Regierung unter Einbindung der FPÖ betreiben oder akzeptieren. »Es wird keine Unterstützung für österreichische Kandidaten geben, die Positionen in internationalen Organisationen anstreben. Österreichische Botschafter werden in den EU-Hauptstädten nur noch auf technischer Ebene empfangen.« In den bilateralen Beziehungen werde es im Fall einer ÖVP-FPÖ-Regierung »kein Business as usual geben«.979 Der französische Außenminister Hubert Vedrine verstieg sich sogar zu der Behauptung, Österreich müsse im Fall einer FPÖ-Regierungsbeteiligung »ständig überwacht werden, in einem Maß, wie es kein anderes EU-Land je erlebt« habe. Deutschlands Außenminister Joschka Fischer sekundierte mit der weniger dramatischen Erklärung, ÖVP-Obmann Schüssel habe noch Zeit, einen »Riesenfehler« zu vermeiden, denn eine FPÖ-Regierungsbeteiligung wäre ein »Blockadefaktor für die europäische Integration«.980 Der außenpolitische Druck bewirkte das Gegenteil dessen, was er beabsichtigte : ÖVP und FPÖ intensivierten die Verhandlungen zur Finalisierung des Regierungsabkommens sowie der personellen Zusammensetzung der Bundesregierung. Aufgrund der nach wie vorhandenen kritischen Stimmen in der ÖVP zu einer Koalition mit der FPÖ ließ sich Wolfgang Schüssel sein Vorgehen von den Landesparteiobleuten und den Obleuten der Teilorganisationen absegnen. Dabei stellte er auch seine eigene Person zur Disposition und schlug die steirische Landeshauptfrau Waltraud Klasnic, Unterrichtsministerin Elisabeth Gehrer und die ehemalige Präsidentin der Nationalbank, Maria Schaumayer, für die Funktion der Bundeskanzlerin vor. Der überraschende Vorschlag basierte auf der Überlegung, dass er im Fall der Über978 Michael Gehler : Österreichs Außenpolitik der Zweiten Republik. Von der alliierten Besatzung bis zum Europa des 21. Jahrhunderts. 2 Bde. – Innsbruck/Wien/Bozen 2005. Bd. 2. S. 878. 979 ÖJP 2000. S. 612. 980 SN 1.2.2000. S. 1 und 3.
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nahme der Kanzlerschaft stets mit dem Vorwurf des Wortbruchs und der gezielten und kühlen Machtpolitik, der zur Erreichung des Ziels jedes Mittel recht sei, konfrontiert werde. Alle drei lehnten jedoch ab. Das Votum war einstimmig : Der amtierende Parteiobmann sollte auch der neue Bundeskanzler sein. Die Verhandlungen zwischen ÖVP und FPÖ wurden am Abend des 1. Februar im Parlament abgeschlossen. Begleitet wurden sie von wütenden Demonstrationen, die mit Slogans wie »Linkswende« und »Haider ist ein Faschist« und Spuckaktionen gegen unbeteiligte Passanten die Geister der Vergangenheit wiederbelebten und die Spaltung des Landes entlang ideologischer Gräben deutlich werden ließen. Auch die personelle Zusammensetzung der neuen Bundesregierung wurde fixiert. Die ÖVP besetzte neben der Position des Bundeskanzlers fünf Ministerien : Arbeit und Wirtschaft (Martin Bartenstein), Äußeres (Benita Ferrero-Waldner), Inneres (Ernst Strasser),981 Landwirtschaft und Umwelt (Wilhelm Molterer) und Bildung, Wissenschaft und Kultur (Elisabeth Gehrer). Die FPÖ übernahm neben der Funktion der Vizekanzlerin, in deren Ressort die öffentliche Verwaltung und der Sport fielen (Susanne Riess-Passer), die Ministerien für Finanzen (Thomas Prinzhorn), 982 Soziales, Familie, Jungend und Frauen (Elisabeth Sickl), Infrastruktur (Michael Schmid), Verteidigung (Hilmar Kabas) und Justiz (Michael Krüger). Zusätzlich wurden noch vier Staatsekretäre installiert : Alfred Finz (ÖVP) wurde Staatssekretär im Finanzministerium, der ehemalige Burgschauspieler Franz Morak (ÖVP) im Kanzleramt, Reinhart Waneck und Marés Rossmann (beide FPÖ) im Sozial- bzw. Wirtschaftsministerium. Am Nachmittag des 2. Februar überreichten Wolfgang Schüssel und Jörg Haider Bundespräsident Thomas Klestil in der erstmals seit Beginn der Regierungsverhandlungen von Polizeieinheiten abgeschirmten Hofburg das am Vortag finalisierte mehr als 100-seitige Koalitionsabkommen. Neben dem Modell der neuen Kompetenzverteilung wurde dem Bundespräsidenten auch eine vorgesehene Ministerliste zur Kenntnis gebracht, wobei jedoch FPÖ-Obmann Haider in Vorahnung eines eventuellen Widerstandes Klestils betonte, das FPÖ-Regierungsteam sei lediglich ein Vorschlag und könne jederzeit auf Wunsch des Bundespräsidenten geändert werden. Mit dieser Erklärung bezog er sich auf die im Personalvorschlag enthaltenen Hilmar Kabas und Thomas Prinzhorn. Kabas zeichnete als Landesparteivorsitzender der Wiener FPÖ für den von ausländischen Beobachtern und inländischen Medien kritisierten Ausländerwahlkampf in Wien verantwortlich und hatte Klestil wegen 981 Klubobmann Andreas Khol äußerte gegenüber Wolfgang Schüssel seinen Wunsch, das Innenministerium zu übernehmen, wurde jedoch von diesem angesichts der zu erwartenden parlamentarischen und außenpolitischen Probleme gebeten, in der Funktion des Klubobmanns zu bleiben. 982 Thomas Prinzhorn war nicht die erste Wahl Haiders für die Funktion des Finanzministers. Der FPÖObmann wollte mit der Berufung eines renommierten Experten die Regierungsfähigkeit der FPÖ demonstrieren, holte sich jedoch Absagen von Weltbank-Direktor Robert Holzmann und dem RaiffeisenBanker Klaus Pekarek.
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seines Festhaltens an einer SP-geführten Regierung mehrmals kritisiert. Auch Thomas Prinzhorn hatte Klestil in einem Interview gedroht, Klestil werde sich einen blutigen Kopf holen, wenn er gegen eine parlamentarische Mehrheit von ÖVP und FPÖ agiere. Und es wurde von den Medien der – von ihm allerdings dementierte – Satz zitiert, Ausländer würden in Österreich vom Sozialamt gratis eine Hormonbehandlung zur Steigerung ihrer Fruchtbarkeit erhalten. Haider kalkulierte, zumindest bei Prinzhorn, mit einer Ablehnung des Bundespräsidenten. Diese war durchaus in seinem Sinn, da Prinzhorn keineswegs sein Wunschkandidat für die Funktion des Finanzministers war, sondern ein notwendiger Kompromiss. Die FPÖ hatte als Bedingung für eine Regierungsbeteiligung das Finanzministerium als machtpolitisches Gegengewicht zum Bundeskanzleramt gefordert. Im Wahlkampf 1999 war Prinzhorn als Spitzenkandidat der Partei präsentiert und als ministrabel gehandelt worden. Kurz nach der Wahl galt er sogar als Kandidat für die Funktion des Bundeskanzlers für den Fall, dass die FPÖ mit der Regierungsbildung beauftragt würde und Parteiobmann Haider weiterhin Landeshauptmann von Kärnten bliebe. Aufgrund des Wahlergebnisses zum Zweiten Nationalratspräsidenten avanciert, galt sein politischer Ehrgeiz jedoch dem Finanzministerium und Haider war gezwungen, diesem Begehren nachzugeben. Prinzhorn galt als impulsiv und kaum steuerbar, weshalb er in den Augen Haiders keineswegs der geeignete Kandidat für die Funktion des Finanzministers war. Als Haider ihn für die Funktion des Finanzministers vorschlug, hoffte er auf eine Ablehnung dieses Vorschlags durch Klestil. Die ablehnende Haltung des Bundespräsidenten gab ihm dann die Möglichkeit, eine andere Persönlichkeit für das Finanzministerium vorzuschlagen. Bei der in frostiger Atmosphäre stattfindenden kurzen Aussprache teilte Klestil seinen Wunsch nach Ergänzungen des Regierungsprogramms mit, ohne jedoch konkrete Angaben zu machen. Am Abend bat er die ÖVP-Landeshauptleute in die Hofburg, um diese zu einer Absage an eine ÖVP-FPÖ-Regierung zu bewegen. Zuvor hatte er über das Magazin NEWS, das ihm oft als Sprachrohr diente, aus seinem Herzen keine Mördergrube gemacht. Eine Regierungsbeteiligung der FPÖ zum jetzigen Zeitpunkt lehne er ab, weil er die »Gefahr einer neuerlichen internationalen Isolation« sehe. »Wenn ich diese Regierung angelobe, tue ich dies nicht aus persönlicher Überzeugung.« Besondere Kritik übte er an der Politik der ÖVP, ohne jedoch seine eigene Rolle kritisch zu beleuchten. »Ich habe wiederholt gesagt, dass ich den Kurs der ÖVP missbilligt habe.« Von der Erklärung Schüssels, im Falle des Zurückfallens auf den dritten Platz in Opposition gehen zu wollen, bis zum nunmehr erhobenen Kanzleranspruch sei dies »ein in der Zweiten Republik noch nie dagewesener Zickzackkurs,« der ihm »die Gänsehaut aufsteige« lasse. Er vermisse »Verlässlichkeit und Berechenbarkeit.«983 Der Sprecher des Bundespräsidenten, Hans Magenschab, 983 Zit. bei Kurier 3.2.2000. S. 3.
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erklärte den wartenden Journalisten nach dem Gespräch, der Bundespräsident werde seine Meinung zum Regierungsprogramm sowie den Personalvorschlägen am 3. Februar um 11 :30 Uhr Wolfgang Schüssel und Jörg Haider mitteilen. Er werde auf die Formulierung einer sogenannten »Präambel« der Regierungserklärung Wert legen. Die vielfach aufgestellte Behauptung, die schließlich in die Regierungserklärung aufgenommene »Präambel« mit ihrem Bekenntnis zu den demokratischen Grundrechten, den Werten der EU und zur Wiedergutmachung des NS-Unrechts sei auf Betreiben von Thomas Klestil entstanden, entspricht nicht den Tatsachen. Wolfgang Schüssel schlug in der Endphase der Gespräche mit der FPÖ unter Hinweis auf die bereits anlaufenden und sich nach Abschluss der Verhandlungen sicherlich verstärkenden internationalen Reaktionen die Erarbeitung einer solchen Präambel vor, um die geäußerten Befürchtungen zu zerstreuen und den vielfach bereits an die Wand gemalten Horrorszenarien aus dem angeblichen Nazi-Land die Grundlage zu entziehen. Die FPÖ stimmte diesem Vorschlag zu und Schüssel informierte Thomas Klestil von diesem Vorhaben, der sich damit einverstanden erklärte. Daraufhin formulierten vor allem Wolfgang Schüssel, Andreas Khol und Ursula Plassnik den Text der Präambel, mit dem sich auch Susanne Riess-Passer im Namen der FPÖ identifizierte. Die Präambel bildete somit einen Teil des dem Bundespräsidenten zur Kenntnisnahme übergebenen Regierungsabkommens. Ob der Entwurf der Präambel auch an US-Außenministerin Madeleine Albright gefaxt wurde, um eine befürchtete amerikanische Reaktion zu mildern, lässt sich nicht verifizieren.984 Am Vormittag desselben Tages bestätigte der FPÖ-Bundesparteivorstand einstimmig das Verhandlungsergebnis. In der anschließenden Pressekonferenz erklärte Parteiobmann Haider, die vereinbarte Regierungspolitik werde »der EU Freude machen,« da sie sich vorrangig der Budgetkonsolidierung und damit der Einhaltung der Maastricht-Kriterienwidmen werde.985 Und auf die Frage, warum Wolfgang Schüssel von der FPÖ nunmehr widerspruchslos als Kanzler akzeptiert werde, nachdem es in der Vergangenheit doch viele kritische Stimmen gegen ihn gegeben habe : »Auf dieser Grundlage [des Regierungsabkommens, Anm. d. Verf.] steht dem nichts im Weg, dass er die Funktion des Regierungschefs übernimmt. […] Die internationalen Aktionen haben uns sehr zusammengeschweißt und eine starke Solidarisierung mit Schüssel gebracht.«986 Angesichts der anhaltenden und an Intensität zunehmenden Demonstrationen gegen die ÖVP-FPÖ-Koalition verlegte die ÖVP ihre Vorstandssitzung am selben Tag von der Parteizentrale in die Politische Akademie in der Tivoligasse, die sich 984 Vgl. Interview mit Wolfgang Schüssel in Kriechbaumer, Schausberger (Hg.) : Die umstrittene Wende. S. 826f. 985 SN 3.2.2000. S. 2. 986 Die Presse 3.2.2000. S. 11.
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mitten in einem Park befindet und daher von Demonstranten nicht gestört werden konnte. Während das ÖVP-Präsidium in der Tivoligasse tagte, belagerten rund 15.000 vor allem linke Demonstranten die ÖVP-Zentrale und forderten Schüssel in Sprechchören, deren Spektrum von »Widerstand« über »Hoch die internationale Solidarität« bis »Kampf dem Kapital« reichte, zum Rücktritt auf, wobei sie unter dem Motto »Keinen Schlüssel für Schüssel« mit ihren Schlüsselbunden klapperten. Wenige Stunden zuvor hatten Demonstranten während des Gesprächs von Schüssel und Haider mit Bundespräsident Klestil in der Hofburg vor dem Ballhausplatz demonstriert, wobei bereits das antifaschistische Szenario deutlich sichtbar wurde, als Demonstranten ein Transparent entrollten, auf dem zu lesen stand : »Schüssel und Haider üben fleißig für 34«.987 In der erheblich ruhigeren Atmosphäre der Tivoligasse war die Zustimmung zum Koalitionsabkommen, im Gegensatz zur FPÖ, a priori keineswegs so sicher. Vor allem in den westlichen Bundesländern hatten die Landeshauptleute Herbert Sausgruber, Wendelin Weingartner, Franz Schausberger und Josef Pühringer nach wie vor Vorbehalte gegen Jörg Haider. Sie stimmten jedoch schließlich dem Koalitionsabkommen mit zwei Begründungen zu : Es gebe durch die Haltung der SPÖ keine Alternative zu einer Koalition mit der FPÖ und es gelte nunmehr, die Geschlossenheit der Partei zu demonstrieren. Lediglich der Wiener Landesparteiobmann Bernhard Görg als deklarierter Gegner der ÖVP-FPÖ-Koalition blieb bei seiner Haltung und stimmte dagegen. Die offizielle Unterzeichnung des Koalitionsabkommens sollte am 3. Februar kurz nach Mittag vor der versammelten in- und ausländischen Presse im ausgebauten Dach des Redouten-Traktes der Hofburg erfolgen. Zuvor war ein Termin bei Bundespräsident Thomas Klestil anberaumt. Begleitet von Demonstrationen und Journalisten fuhr FPÖ-Obmann Jörg Haider demonstrativ mit dem Auto vor der Hofburg vor, während ÖVP-Obmann Wolfgang Schüssel den unterirdischen Gang vom Kanzleramt zur Hofburg benutzte. Bei dem Treffen mit Bundespräsident Klestil lehnte dieser zwei der von der FPÖ nominierten Minister ab : Thomas Prinzhorn wegen »verbaler Entgleisung« und Hilmar Kabas wegen des ausländerfeindlichen Wahlkampfes in Wien.988 Haider, der mit dieser Reaktion gerechnet hatte, schlug 987 Die Presse 3.2.2000. S. 13. 988 Thomas Prinzhorn kommentierte die Entscheidung von Thomas Klestil in einem FORMAT-Interview : »Wenn ich mich über so lächerliche Dinge, ob mich dieser Präsident für regierungsfähig hält oder nicht, ärgern würde, wäre ich verrückt. […] Dieser Präsident ärgert mich überhaupt nicht. Ich will und werde ihn nicht kommentieren. Es war seit Tagen durch Massenmedien klar, und auch seine Umgebung hat lautstark gegen mich argumentiert.« (FORMAT 6/2000. S. 32). Hilmar Kabas erklärte : »Es ist sicher nicht ehrenrührig, wenn man aufgestellt wird, aber noch weniger ehrenrührig, wenn man von diesem Bundespräsidenten nicht akzeptiert wird. Noch dazu, wenn keine sachlichen Gründe genannt werden.« (Der Standard 5./6.2.2000. S. 3)
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daraufhin den erst 31-jährigen ehemaligen Kärntner Landeshauptmann-Stellvertreter und nunmehrigen Vizepräsidenten von Magna Europa, Karl-Heinz Grasser, als Finanzminister und Klubobmann Herbert Scheibner als Verteidigungsminister vor. Durch das Avancement Scheibners übernahm Peter Westentaler die Funktion des Klubobmanns. Medienwirksam ließ Bundespräsident Klestil anschließend von Schüssel und Haider die Präambel des Koalitionsabkommens unterzeichnen,989 wobei er bewusst den auch von den Medien transportierten Eindruck erweckte, er habe diese Präambel selber verfasst und den beiden Parteien aufgezwungen. Diese Behauptung wiederholte er in einem Schreiben an das Simon-Wiesenthal-Center in Los Angeles.990Am 4. Februar inszenierte er sich als Initiator, Autor der Präambel 989 In der Präambel unter dem Titel »Verantwortung für Österreich – Zukunft im Herzen Europas« hieß es u. a.: »Die Bundesregierung bekräftigt ihre unerschütterliche Verbundenheit mit den geistigen und sittlichen Werten, die das gemeinsame Erbe der Völker Europas sind und der persönlichen Freiheit, der politischen Freiheit und der Herrschaft des Rechts zugrunde liegen, auf denen jede wahre Demokratie beruht. Die Bundesregierung tritt für Respekt, Toleranz und Verständnis für alle Menschen ein, ungeachtet ihrer Herkunft, Religion oder Weltanschauung. Sie verurteilt und bekämpft mit Nachdruck jegliche Form von Diskriminierung, Intoleranz und Verhetzung in allen Bereichen. Sie erstrebt eine Gesellschaft, die vom Geist des Humanismus und der Toleranz gegenüber den Angehörigen aller gesellschaftlichen Gruppen geprägt ist. Die Bundesregierung arbeitet für ein Österreich, in dem Fremdenhass, Antisemitismus und Rassismus keinen Platz finden. Sie wird jede Form von menschenverachtendem Gedankengut und seiner Verbreitung konsequent entgegentreten und sich für die volle Beachtung der Rechte und Grundfreiheiten von Menschen jeglicher Nationalität einsetzen – gleichgültig aus welchem Grund sich diese in Österreich aufhalten. Sie bekennt sich zu ihrer besonderen Verantwortung für einen respektvollen Umgang mit ethnischen und religiösen Minderheiten. Die Bundesregierung unterstützt die Charta der europäischen politischen Parteien für eine nichtrassische Gesellschaft und verpflichtet sich, auf die vorbildliche Verwirklichung der in diesen enthaltenen Grundsätze in Österreich hinzuarbeiten. Die Bundesregierung bekennt sich zum Schutz und zur Förderung der Menschenrechte und setzt sich für eine bedingungslose Realisierung auf nationaler wie auf internationaler Ebene ein. […] Die Bundesregierung bekennt sich zu den allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union gemeinsamen Prinzipien der pluralistischen Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit, wie sie auch in der österreichischen Verfassung verankert sind und die Voraussetzung für die Mitgliedschaft im Europarat bilden. […] Die Bundesregierung bekennt sich zum Friedensprojekt Europa. Die Zusammenarbeit der Koalitionsparteien beruht auf einem Bekenntnis zur Mitgliedschaft Österreichs in der Europäischen Union. […] In der Vertiefung der Integration und der Erweiterung der Union liegt auch Österreichs Zukunft. […] Die Bundesregierung bekennt sich zu der kritischen Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit. Sie wird für vorbehaltlose Aufklärung, Freilegung der Strukturen des Unrechts und Weitergabe dieses Wissens an nachkommende Generationen als Mahnung für die Zukunft sorgen. Hinsichtlich der NSZwangsarbeit wird die Bundesregierung im Lichte des Zwischenberichts der österreichischen Historikerkommission unter Berücksichtigung der privaten Verantwortung der betroffenen Unternehmen um sachgerechte Lösungen bemüht sein. […]« (Die Presse 4.2.2000. S. 4) 990 Im Schreiben an das Simon-Wiesenthal-Center in Los Angeles hieß es :
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und Gewissen der Nation, indem er nach der Angelobung der ÖVP-FPÖ-Regierung im Fernsehen erklärte : »Auf meinen Wunsch hin haben die Parteiobmänner von ÖVP und FPÖ gestern eine Erklärung unterschrieben, die ein klares Bekenntnis zur EU und zu deren Grundwerten enthält. Ich werde den Wortlaut dieser Erklärung mit einem persönlichen Schreiben allen Staats- und Regierungschefs der EU sowie den Präsidenten der USA und Israels übermitteln. Ich habe gestern Dr. Schüssel und Dr. Haider klar gemacht, dass eine Missachtung der in der Erklärung niedergelegten Bekenntnisse zu Europa und zum österreichischen Rechtsstaat schwerwiegende innen- und außenpolitische Folgen haben würde.«991 Und er demonstrierte bei dieser Gelegenheit nochmals seine Ablehnung dieser Regierungskonstellation, indem er verlauten ließ, er müsse nunmehr das Regierungsprogramm und die neue Ministerliste prüfen. Erst dann werde er über eine eventuelle Beauftragung Schüssels mit der Bildung einer Bundesregierung entscheiden. Gleichzeitig sickerte aus der Hofburg durch, dass es keinen Regierungsbildungsauftrag für Schüssel geben, sondern der Bundespräsident die ÖVP-FPÖ-Regierung nolens volens lediglich angeloben werde. Das von der Hofburg lancierte Szenario beruhte auf einer verfassungsrechtlichen Krise, die aus dem Anspruch des Bundespräsidenten und den parlamentarischen Mehrheitsverhältnissen resultierte. Der Bundespräsident erteilte zwar den
»Sehr geehrter Herr Rabbi Hier ! Ich danke Ihnen für Ihr Schreiben vom 31. Jänner 2000 betreffend die Aufnahme von Dr. Haiders Freiheitlicher Partei in die österreichische Regierungskoalition. Ich habe von dem von Ihnen in diesem Zusammenhang zum Ausdruck gebrachten Besorgnissen gebührend Kenntnis genommen. Betonen möchte ich, dass ich während der vergangenen vier Monate äußerst intensiv bemüht gewesen bin, alle anderen möglichen Regierungsformen zu sondieren. Wie Ihnen bekannt ist, sind die Verhandlungen zwischen den Sozialdemokraten und der Österreichischen Volkspartei sowie alle anderen vorstellbaren Lösungen gescheitert. Die einzige Alternative wäre jetzt die Auflösung des Parlaments und die Abhaltung von Neuwahlen. Eine Auflösung des Parlaments durch den Präsidenten gegen den Willen der Mehrheit seiner Mitglieder würde jedoch in den Augen der österreichischen Bevölkerung als konträr zu der von den Wählern in freien und fairen Wahlen am 3. Oktober 1999 getroffenen Entscheidung erscheinen. Darüber hinaus hätte eine solche Vorgangsweise, insbesondere im Lichte der gegenwärtigen internationalen Reaktion, wahrscheinlich eine weitere Zunahme der Stimmen für die Partei von Dr. Haider zur Folge. Die politische Situation in Österreich nach solchen Wahlen wäre daher von der heutigen grundsätzlich nicht verschieden, wenn nicht noch schwieriger. Ich möchte unterstreichen, dass ich Dr. Schüssel und Dr. Haider – als künftige Koalitionspartner – veranlasst habe, eine Deklaration über die Ziele der neuen Bundesregierung zu unterzeichnen, die diese auf die Grundwerte der Europäischen Union sowie dazu verpflichtet, für ein Österreich zu arbeiten, in dem Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Rassismus keinen Platz haben. Ich möchte Ihnen versichern, dass ich darauf achten werde, dass die neue Bundesregierung den in dieser Deklaration enthaltenen Verpflichtungen entspricht, deren Text ich Ihnen hiermit übermittle.« (Der Standard 7.2.2000. S. 3) 991 Zit. bei Fischer : Wende Zeiten. S. 105f.
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Auftrag zur Regierungsbildung, ernannte die Minister auf Vorschlag des Bundeskanzlers, d. h. konnte diese auch ablehnen, und gelobte die Regierung an, konnte jedoch kaum992 eine sich gegen seinen Willen formierende, sich jedoch auf eine parlamentarische Mehrheit stützende Regierung verhindern. Klestil waren zu diesem Zeitpunkt die Hände gebunden und er konnte sein Missfallen nur mehr durch eine Nichtbeauftragung und bloße Angelobung dokumentieren. Wenngleich Schüssel pro forma erklärte, er erwarte spätestens am Nachmittag eine Beauftragung durch den Bundespräsidenten, so waren er und Haider sich der Lage durchaus bewusst. Es würde keine Beauftragung geben, der Bundespräsident würde sich auf den Formalakt der Angelobung beschränken. Daher war man gewillt, das eigene politische Spielfeld zu betreten und auf diesem nach außen Handlungswillen und -entschlossenheit zu demonstrieren. Nach der Unterzeichnung der Präambel erfolgte unter erheblichem Medieninteresse kurz nach Mittag jene des Regierungsabkommens durch die beiden Verhandlungsteams im kleinen Redoutensaal der Hofburg. Am Abend des 3. Februar stellten sich Schüssel und Haider in einer geschickten politischen Doppelconférence der nationalen und internationalen Presse. Dabei erläuterten sie die Schwerpunkte des Regierungsprogramms und wiesen darauf hin, dass die Präambel der Regierungserklärung auf Wunsch und Initiative der beiden Parteien entstanden sei, um allen Bedenken zu begegnen. Der 4. Februar 2000 wurde nicht nur zum – auch internationalen – Medienereignis, sondern auch zu einem der umstrittenen Erinnerungsorte der Geschichte der Zweiten Republik. Die massenmedial verbreiteten Bilder vermittelten Kontraste und – auch gewalttätige – Emotionen, das neuerliche Erwachen einer durch instrumentalisierende Analogien zum Februar 1934 an die Erste Republik erinnernden Politischen Kultur. Während sich rund um den Ballhausplatz vor allem linke und linksradikale gewaltbereite Gruppierungen zu einer geplanten Demonstration gegen die an diesem Tag angelobte Bundesregierung sammelten und deren traditionellen Gang über den Platz zwischen Bundeskanzleramt und Hofburg mit aggressiven, jedes Maß ignorierenden Parolen wie »Widerstand, Widerstand, Schüssel, Haider an die Wand« zu 992 Vor dem Hintergrund der jeweiligen politischen Rahmenbedingungen bestand die Möglichkeit der Berufung einer Minderheitsregierung, eines Expertenkabinetts oder der Ausschreibung von Neuwahlen. Klestil beschritt den – schließlich nicht erfolgreichen – Weg der Bildung einer SP-geführten Minderheitsregierung mit Tolerierung durch die FPÖ. Unmittelbar vor der Einigung von ÖVP und FPÖ unternahm er noch den ebenfalls gescheiterten Versuch, den österreichischen EU-Kommissar Franz Fischler für die Bildung eines Expertenkabinetts zu gewinnen. Vor der Ausschreibung von Neuwahlen schreckte er zurück, da diese nach den demoskopischen Daten eine relative Mehrheit der FPÖ als durchaus möglich erscheinen ließen und dann, den bisherigen Usancen entsprechend, Jörg Haider als Obmann der stärksten Partei mit der Bildung einer Bundesregierung hätte beauftragt werden müssen.
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begleiten hofften, erhielt Wolfgang Schüssel einen Anruf aus der Präsidentschaftskanzlei. Er möge noch vor der Angelobung zu einer Aussprache zum Bundespräsidenten kommen. Schüssel begab sich in die Hofburg, wo er zu seiner Überraschung von Thomas Klestil mit einem Zehn-Punkte-Programm konfrontiert wurde. In einer die verfassungsrechtlichen Grundlagen ignorierenden, seine Person und Funktion maßlosen Überschätzung forderte Klestil, dass ihm die beiden Regierungsspitzen wöchentlich und die übrigen Minister monatlich über ihre Vorhaben informieren sollten. Beim Empfang von Staatsgästen sowie bei Staatsbanketten sollte die gesamte Bundesregierung zur protokollarischen Staffage antreten und bei Personalentscheidungen im Außen- und Verteidigungsministerium wollte sich der Bundespräsident die Letztentscheidung vorbehalten. Bundeskanzler und Vizekanzlerin, so Klestil gegenüber Schüssel, sollten dieses Zehn-Punkte-Programm noch vor der Angelobung der Bundesregierung unterzeichnen. Schüssel und Riess-Passer lehnten dieses Ansinnen ab. Das ohnedies gespannte Verhältnis zwischen Bundespräsident und designiertem Bundeskanzler näherte sich unmittelbar vor der Angelobung dem Gefrierpunkt. Angesichts der gewaltbereiten Demonstranten vor und auf dem Ballhausplatz und auf Bitte der Einsatzleitung der Polizei, die sich um die den gewaltbereiten Demonstranten gegenüberstehenden, vor allem jungen Polizisten sorgte, sowie aufgrund der Überlegung, dass man den nationalen und internationalen Medien nicht die Bilder einer von Farbbeuteln und Steinen beworfenen Regierung liefern wollte, wurde der Beschluss gefasst, gegen Mittag den Weg in die Hofburg durch den unterirdischen Gang vom Bundeskanzleramt in die Hofburg zu benutzen. In der Hofburg demonstrierte Thomas Klestil im Blitzlichtgewitter durch sein Mienenspiel und seine Körperhaltung demonstrativ seinen Widerwillen gegen die Angelobung der neuen Bundesregierung. Wolfgang Weisgram berichtete : »Wie da die Mundwinkel kinnwärts strebten, wie da die distanzierende Haltung der Schultern die Raumtemperatur im Maria-Theresien-Zimmer heruntergedrückt hat, wie da jeder als Freundlichkeit interpretierbare Blickkontakt vermieden wurde. Das war deutlicher als alles, was der Bundespräsident zu diesem Anlass hätte sagen können. […] Mit plakativem Unwillen nahm Thomas Klestil die Ernennungsurkunden der neuen Minister und Staatssekretäre zur Hand. Er unterschrieb sie, als wäre der formschöne Füller persönlich schuld an der ganzen Misere. Und er schob sie schließlich dem neben ihm sitzenden Bundeskanzler auf eine Weise zu, wie er es mit einer Speisekarte aus Höflichkeitsgründen wohl nicht zu tun gewagt hätte.«993 Das Verhalten des Bundespräsidenten erhielt angesichts der versammelten Medien ein enormes Echo, wobei die Kommentare nicht immer positiv ausfielen. So fiel Thomas Klestil für Peter Rabl durch sein Verhalten »aus der Rolle des überparteilichen objektiven Staatsoberhauptes. […] Statt den Start der Regierung in ohne993 Wolfgang Weisgram : Die Pein des Frostes beim Schwur. – In : Der Standard 5./6.2.2000. S. 2.
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dies schwierigster Lage zu erleichtern, war ihm die Demonstration seiner persönlichen Distanz wichtiger.« Die Bekanntgabe seiner persönlichen Befindlichkeit in der ihm nahestehenden Zeitschrift NEWS sei ebenso stillos gewesen wie die sich selbst in seiner TV-Rede grundlos zum moralischen Wächter aufschwingende Stilisierung seiner Person. »Der neue Bundeskanzler muss sich jede Menge an Kritik und Zweifeln gefallen lassen. Abmahnungen in Sachen Europa oder Rechtsstaatlichkeit hat er sich in 30 Jahren als Politiker jedenfalls nicht verdient. Es wäre dem Bundespräsidenten besser angestanden, schon im TV ein scharfes Wort gegen den gewalttätigen Teil der Demonstranten zu richten. Als die Rede aufgezeichnet wurde, waren die ersten Polizisten auf dem Ballhausplatz schon verletzt.«994 Frage: 14 EU-Länder haben in einer gemeinsamen Erklärung damit gedroht, Österreich politisch zu isolieren, wenn die FPÖ in die Regierung kommt. Österreichische Regierungspolitiker würden im Ausland nicht mehr empfangen werden. Was sollte die österreichische Politik Ihrer Meinung nach tun? Antworten in Prozent:995 Trotzdem eine ÖVP-FPÖ-Regierung bilden ÖVP-Wähler
86
FPÖ-Wähler
94
SPÖ-Wähler
48
Grün-Wähler
70
LIF-Wähler
68
österreichische Bevölkerung gesamt
70
Die anhaltenden Demonstrationen sowie die Angelobung in der Hofburg warf auch Schatten auf die erste Ministerratssitzung der neuen Bundesregierung, bei der Wolfgang Schüssel Albert Einstein zitierte : »Es ist leichter, ein Atom zu zertrümmern, als eine vorgefasste Meinung zu ändern.«996 Die Meinung der österreichischen Bevölkerung war zu diesem Zeitpunkt eine andere als die des lautstarken, die politische Wirklichkeit verzerrenden und gewaltbereiten Protestes. Eine Umfrage des FesselGfK-Institutes unmittelbar vor der Angelobung der neuen Bundesregierung ergab, 994 Peter Rabl : Der Demonstrant in der Hofburg. – In : Kurier 6.2.2000. S. 2. Die Polizei zog am 5. Februar eine erste Bilanz der gewalttätigen Ausschreitungen : 43 Polizisten waren durch Wurfgeschoße, Attacken mit Stöcken, Tritten und Schlägen verletzt, 109 Uniformen waren zerrissen oder durch Farbbeutel eingefärbt und damit unbrauchbar, 32 Funkstreifenwagen schwer beschädigt. Das Ausmaß des Sachschadens an öffentlichen Gebäuden, privaten Pkws und Geschäftslokalen betrug vier Millionen Schilling. 995 Die Presse 8.2.2000. S. 1. 996 Der Standard 5./6.2.2000. S. 3.
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dass 70 Prozent der Bevölkerung die Meinung vertraten, die Koalitionsregierung sollte trotz des internationalen Drucks gebildet werden, wobei sogar die Hälfte der SPÖ-Wähler und eine deutliche Mehrheit der Wähler der Grünen sowie des Liberalen Forums diese Meinung vertraten. Im Rückblick auf die Bildung der ÖVP-FPÖ-Regierung bemerkte Helmut A. Gansterer, der »Witz« an der so heftig und kontrovers diskutierten »Kanzlerwerdung« Wolfgang Schüssels liege darin, dass es »wahrscheinlich keine Lüge zu verzeihen« gibt. »Schüssel stand im Prinzip zu seinem Wort. Er drängte sich nicht in die Regierung. Erst als Kanzler Klimas Versuch, eine Minderheitsregierung mit glänzenden Experten zu installieren, glanzlos versiegte, ging Schüssel auf Bitten von Bundespräsident Klestil in neue Großkoalitionsverhandlungen. Als die Gewerkschaften, namentlich Herr Nürnberger, die Unterschrift unter ein strenges Sanierungspapier verweigerten, war der Ofen aus. Schüssel war, wie er sagt, in diesem Moment klar, dass eine weitere Epoche der Großen Koalition zur letzten Etappe einer Fortwurstelei alten Stils würde, an deren Ende nur noch die FPÖ als Sieger dastehen könnte oder die SPÖ als ewig schenkende Ur-Mutter. Die ÖVP jedenfalls wäre mausetot gewesen. Diese Analyse hat Substanz. Selbst linkshumanistische Literaten wie Robert Menasse hatten sich längst in Essays lustig gemacht, dass die zwei traditionellen Großparteien in Wahlkämpfen mit der Sanierung des unfinanzierbaren Sozialsystems warben, das sie selbst erfunden hatten und schon dreimal hätten reparieren können, wenn sie tapfer genug gewesen wären, Opfer zu verlangen. Der Rest ist Geschichte.«997
997 Helmut A. Gansterer : Die Karawane bellt, der Hund zieht weiter. – In : Profil 52/1/2000. S. 26–34. S. 29f.
Quellennachweis
Gedruckte Quellen Protokolle der Bundesparteitage der SPÖ Protokolle der Bundesparteitage der ÖVP
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M agazine FORMAT NEWS Profil
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Personenregister
Ackerl, Josef 361, 366 Adler, Victor 217 Aiginger, Karl 69, 88 Aigner, Bruno 148, 151, 256 Albright, Madeleine 408, 411 Alkier, Wolfgang 240, 298 Allesch, Christian 243 Almond, Gabriel 17 Amon, Werner 186, 306, 355, 356, 359 Androsch, Hannes 142, 378 Angerer, Albert 236 Anschober, Rudi 224 Auer, Clemens Maria 161, 180 Ausserwinkler, Michael 214, 215, 249, 250–253, 255 Avineri, Shlomo 300 Aznar, José Maria 384, 388, 404 Bachmayer, Wolfgang 237, 241, 333 Baldinger, Inge 345 Barak, Ehud 383, 407 Barazon, Ronald 302 Bartenstein, Martin 137, 165, 168, 306, 320, 322, 333, 341, 352, 355, 359, 395, 409 Bayer, Kurt 336 Becker, Erich 139 Bellen, Alexander Van der 237 Bieringer, Ludwig 355 Bitschnau-Canal, Brigitte 246, 271 Blair, Tony 116, 149–152, 157, 158, 160, 162, 164, 177, 181, 217, 330, 365, 369, 385, 391 Blattl, Rosemarie 199 Blecha, Karl 86, 88 Bloch, Marc 15 Blünegger, Anton 196 Brandt, Willy 149 Brauneder, Wilhelm 189, 394 Brauner, Renate 357 Brecht, Bertolt 207 Bretschneider, Rudolf 392
Brinek, Gertrude 306 Broesigke, Tassilo 216 Bruckner, Karl 134 Brünner, Christian 240 Buchleitner, Gerhard 198, 260, 262, 357 Bungarten, Harald H. 123 Burger, Rudolf 162 Burgstaller, Gabi 262 Burtscher, Christian 224, 236 Busek, Erhard 11, 307 Butschek, Felix 135 Cap, Josef 97, 102 Chirac, Jacques 379, 381, 384, 388, 389, 391, 403, 404, 406 Chorherr, Christoph 221–225, 227–230, 235 Cirlea, Gerhard 199 Clement, Wolfgang 160 Clinton, Bill 150, 162 Clinton, Hillary 407 Czernohorszky, Eva 102 D’Alema, Massimo 383 Denz, Elmar 196, 266 Dichand, Hans 304, 311, 324, 325, 349, 364 Dillersberger, Siegfried 195, 196, 266 Dini, Lamberto 379 Ditz, Johannes 139 Dohnanyi, Klaus von 152 Dohr, Siegfried 78, 79, 81 Dorfmeister-Stix, Desireé 240 Driemer, Johann 345 Duffek, Karl 316 Dutroux, Marc 388, 389 Dutzler, Klaus 181, 237, 319 Eberharter, Christian 196 Eberle, Ferdinand 269 Ederer, Brigitte 141
Personenregister Edlinger, Rudolf 62, 64, 78, 79, 84, 132, 133, 145, 168, 277, 281, 320, 322, 323, 326, 328, 333–336, 339, 341, 344, 347, 353, 354, 357, 362, 365, 376 Einem, Caspar 104, 105, 144, 148, 155, 161, 164, 167, 168, 304, 316, 322, 354, 357, 375 Einstein, Albert 417 Essl, Lukas 201 Farnleitner, Hannes 59, 61, 62, 64, 322, 355, 363 Fasslabend, Werner 83, 91, 104, 111, 119, 186, 319, 322, 355, 362 Federspiel, Rudi 194, 195, 196 Felderer, Bernhard 75 Ferrero-Waldner, Benita 355, 409 Fiedler, Franz 334 Finz, Alfred 409 Firlei, Klaus 302 Fischer, Heinz 99, 101, 104, 106–110, 121, 125, 127, 154, 156, 162, 256, 281, 305, 309, 323, 324, 326, 328, 331, 334, 335, 337, 339, 348, 357, 361, 363, 372, 374, 375, 386, 397 Fischer, Joschka 379, 385, 408 Fischler, Franz 127, 176, 295, 310, 338, 341, 355, 378, 415 Fontaine, Nicole 403 Freunschlag, Jörg 191, 214 Friesl, Christian 23, 36 Frisch, Helmut 134 Frischenschlager, Friedhelm 380 Fritsch, Helmut 334 Fritz, Lorenz 399 Fritzenwallner, Peter 199 Fuchs, Konrad 51 Fux, Herbert 236 Gama, Jaime 386, 405 Gansterer, Helmut A. 418 Gärtner, Heinz 105 Gehrer, Elisabeth 126, 168, 186, 278, 319, 320, 322, 333, 343, 354–356, 375, 398, 408, 409 Geyer, Walter 221 Glawischnig, Eva 237, 298 Gorbach, Hubert 10, 270, 272, 279, 280 Görg, Bernhard 60, 64, 180, 181, 307, 326, 327, 355, 356, 412 Graf, Wilfried 228, 229 Grasser, Karl-Heinz 202, 204, 211–214, 413
427
Gratz, Leopold 142 Gratzer, Bernhard 206–208 Grossmann, Michael 294, 358, 361 Groër, Hans Hermann 35 Grubelnik, Klaus 65 Grünwald, Kurt 237 Gusenbauer, Alfred 102, 275, 401 Guterres, António 380, 383, 385, 386, 388 Haerpfer, Christian 309 Haiden, René Alfons 53 Haider, Erich 357 Haider, Gebhard 337 Haider, Jörg 9, 12, 13, 45, 62, 66, 86, 133, 144, 146, 148, 165, 167, 168, 172, 178, 180, 181, 186, 188–190, 192–197, 200, 202–221, 246, 248–259, 262, 263, 265, 270, 273–276, 278–281, 284, 285, 289, 292, 296, 297, 299–303, 305, 306, 308, 310, 315, 317, 319, 320, 327, 337, 338, 346, 349, 357, 363, 366, 369, 371, 373–376, 378, 380, 383, 385, 387–392, 394–399, 402, 403, 405–407, 409–416 Haider, Robert 178 Haider, Wolfgang 198, 199, 202 Haigermoser, Helmut 203 Haltmeyer, Heinrich 208 Haselgruber, Josef 50 Haslauer, Wilfried 10 Hatzl, Johann 361 Haumer, Hans 51 Häupl, Michael 12, 64, 67, 102, 142, 146, 165, 168, 275, 293, 295, 305, 310, 311, 316, 317, 333, 337, 349, 352, 357 Haupt, Herbert 393 Hausenblas, Gerhard 214, 215 Hecht, Gabriele 241, 242, 244, 245, 247, 298 Heidinger, Maria 262 Heinzel, Alfred 399 Herper, Karl-Heinz 155 Hier, Rabbi 414 Hirnschall, Erwin 216 Hirschmann, Gerhard 279, 296, 308, 346 Hitler, Adolf 299, 301, 383, 386, 387, 392 Höbelt, Lothar 189 Hofer, Margot 198, 199, 200, 203, 260 Höger, Ernst 357 Höggerl, Gerhard 199 Hollweger, Karl 139
428
Personenregister
Holzer, Richard 82 Holzmann, Robert 409 Honegger, Franz 199 Hörl, Christian 270, 271 Hornegger, Franz 199 Hostasch, Lore 75, 77–80, 84, 87, 144, 167, 168, 357 Huber, Markus 189 Hums, Franz 76, 144, 315 Hussein, Saddam 229 Inglehart, Ronald 21 Ivansits, Helmut 348 Jäckl, Norbert 194, 195 Jäger, Inge 361 Janda, Alexander 84 Jandl, Dieter 256 Jelinek, Elfriede 303 Jellasitz, Gerhard 145, 173, 273, 355 Johannes Paul II., Papst 162 Jospin, Lionel 177, 330, 379, 383, 386 Juncker, Jean-Claude 379 Kabas, Hilmar 279, 409, 412 Kalina, Josef 166 Kalt, Dieter 257 Kanzis, Rudolf 257 Karner, Dietrich 58 Kaske, Rudolf 362 Katary, K. 206 Katschthaler, Hans 260, 262 Katzian, Wolfgang 345, 364 Kaufmann-Bruckberger, Elisabeth 209 Keuschnigg, Christian 88 Khol, Andreas 62, 64, 66, 76, 84, 89, 109, 110, 126, 144, 169, 172, 173, 176, 186, 254, 296, 307, 314, 318, 323, 324, 333, 337, 338, 347, 354–356, 358, 362, 363, 370–372, 377, 394, 395, 398–400, 404, 409, 411 Kindermann, Dieter 325 Klasnic, Waltraud 173, 179, 276, 279, 310, 340, 346, 355, 356, 408 Klaus, Josef 10, 232 Klestil, Thomas 66, 103, 142, 175, 178, 257, 295, 301, 304, 306, 309–312, 320, 324, 325, 327, 341, 342, 349, 364, 366, 367, 370–373, 376–379, 383,
384, 386, 388, 389, 393–395, 397, 403, 404, 406, 409–416, 418 Klima, Viktor 14, 54, 57–59, 61–65, 67, 68, 74–80, 82–84, 98, 102, 103, 105, 108, 111, 113, 115, 116, 118, 119, 121, 123, 125, 126, 131–133, 141–151, 156, 157, 161–170, 172, 175, 176, 179, 181, 182, 184, 185, 188, 198, 210, 239, 253–256, 260, 274, 275, 279, 282–284, 287, 292–296, 301, 305, 307, 308, 311–320, 323–327, 330–333, 336–338, 340, 343, 345–349, 351–354, 356–358, 360–362, 365– 378, 382–384, 393, 396–398, 400–404, 418 Klug, Franz 229, 266 Knafl, Stefan 308, 355 Köck, Christian 246 Köfer, Gerhard 251, 255 Kogler, Werner 236, 237 Kohl, Helmut 387 Kohlbacher, Alfred 148 Köhler, Thomas 177 Kok, Wim 383 Kollek, Teddy 300 Koller, Andreas 100, 143, 317, 377 Konecny, Albrecht K. 105, 147, 151, 329 König, Kardinal Franz 33 Königshofer, Werner 196 Konrad, Christian 54, 55, 63, 399 Konrad, Helga 144 Koppensteiner, Alexander 155 Korosec, Ingrid 355 Kostelka, Peter 64, 84, 94, 99, 102, 104, 105, 110, 119, 122, 127, 146, 163, 168, 283, 309, 314, 331, 333, 337, 338, 344, 356, 360, 362, 366, 367, 377 Kotanko, Christoph 120, 167, 175, 232, 284, 364 Krainer, Josef jun. 279 Kramer, Helmut 321, 322 Krammer, Christa 144 Krammer, Karl 64 Kratky, Gerhard 240, 242, 243, 244, 245 Krawagna-Pfeifer, Katharina 181, 183 Kreisky, Bruno 10, 11, 48, 104, 105, 122, 142, 148, 149, 162, 166, 173, 217, 232, 233, 294, 324 Kreisky, Peter 151 Krenn, Kurt 190 Krüger, Michael 409 Kučan, Milan 250 Lacina, Ferdinand 14, 52, 54–57, 131, 132, 136
Personenregister
429
Lackner, Heide 166 Lackner, Herbert 189 Lackner, Manfred 351, 357 Lambsdorff, Otto Graf 380 Lamprechter, Barbara 194, 195, 196 Lang, Jack 299, 303 Langthaler, Monika 225–227, 237 Lechenauer, Peter 199, 200 Lederer, Heinz 150, 166 Lehner, Peter Ulrich 155 Leikam, Anton 255 Leitl, Christoph 307, 356 Le Pen, Jean-Marie 303, 379 Leser, Norbert 389 Leuthner, Richard 133 Levy, David 300, 407 Lexer, Reinhold 355 Lichtenberger, Eva 225, 230, 231, 237, 265, 266 Liebscher, Klaus 321, 322, 334 Linser, Franz 195, 196, 268 Lipponen, Paavo 383, 385 Löffler, Margot 311 Lopatka, Reinhold 279 Löschnak, Franz 144, 146 Luckmann, Thomas 36 Lueger, Karl 392 Lugger, Johannes 195, 268 Lugmayr, Herbert 51, 52 Lunacek, Ulrike 223–225, 229
Merz, Friedrich 387 Michel, Louis 381 Miert, Karel van 57 Mikl-Leitner, Johanna 279 Milošević, Slobodan 123 Milquet, Joëlle 381 Mock, Alois 9, 10, 11, 92, 93, 296, 319, 355 Mock, Gerhard 251, 255 Mödlhammer, Helmut 355 Molterer, Wilhelm 86, 163, 172, 184, 277, 322, 333, 341, 355, 409 Mölzer, Andreas 190, 274 Morak, Franz 409 Morris, Dick 150 Moser, Gabriele 237 Moser, Manfred 357 Mühlbacher, Josef 67 Muzikant, Ariel 301, 303
Mader, Helmut 269 Maderthaner, Leopold 78 Magenschab, Hans 410 Malloan, George 302 Mandelson, Peter 150 Manzenreiter, Helmut 251, 255, 375 Marchat, Franz 209, 210 Marin, Bernd 77 Marinell, Sigrid 357 Martens, Wilfried 403 Martin, Wolf 363 Mayer, Elmar 270, 271 Mayr, Hans 48, 49, 57 Meischberger, Walter 194 Meissner-Blau, Freda 221 Menasse, Robert 166, 418 Mentil, Hermann 208, 209
Oberhuber, Florian R. 152 Ofner, Harald 206 Öllinger, Karl 229, 230, 231, 237, 346 Ortner, Christian 134
Naderer, Helmut 199, 200 Neisser, Heinrich 276 Neugebauer, Fritz 81, 154, 364 Neuwirth, Christian 233 Novak, Rainer 128 Nowotny, Eva 102 Nowotny, Thomas 152 Nürnberger, Rudolf 84, 305, 316, 337, 344, 351, 356–362, 364–367, 369, 377, 401, 418 Nussbaumer, Karin 208
Padutsch, Johann 236 Paierl, Herbert 177, 185, 296, 308 Palme, Olof 149 Papen, Franz von 387 Partik-Pablé, Helene 297 Passer, Michael 194 Pawkowicz, Rainer 191, 192 Pekarek, Klaus 409 Pelinka, Anton 21 Peres, Schimon 182, 383 Perl, Walter 155 Persson, Göran 381, 382
430
Personenregister
Peter, Friedrich 10, 380 Petrovic, Madeleine 221, 225, 227, 229, 230, 232, 235, 237 Pichler, Robert 155, 361 Pilz, Peter 221, 223, 224, 226, 232, 237 Pittermann, Bruno 10 Planck, Hannes 195 Plank, Johannes 194 Plasser, Fritz 13, 14, 22, 23–28, 33, 34, 38, 40, 44, 45, 120, 124, 178, 205, 227, 246, 248, 267, 281, 285–288, 290, 292, 333 Plassnik, Ursula 411 Plessner, Helmut 46 Polak, Regina 23 Polanski, Roman 180 Pollet-Kammerlander, Doris 222, 235 Pöschl, Hanno 240, 245 Prammer, Barbara 144, 294, 318, 320, 333, 337, 357 Prasch, Helmut 211 Prinzhorn, Thomas 139, 219, 280–282, 315, 396, 399, 409, 410, 412 Prisching, Manfred 32 Prock, Herbert 266, 352, 357 Prodi, Romano 385, 388, 408 Pröll, Erwin 169, 177, 187, 276, 310, 327, 346, 355 Pühringer, Josef 172, 173, 174, 179, 180, 187, 326, 327, 333, 355, 412 Purger, Alexander 308 Pye, Lucien 17 Quantschnig, Josef 255 Rabl, Peter 175, 295, 296, 373, 416 Raffelhüschen, Bernd 86, 87 Ram, Thomas 210 Rambossek, Erwin 206 Randa, Gerhard 49, 52, 54, 57, 59, 62–64, 67 Ranke, Leopold von 15 Rasmussen, Poul Nyrup 383, 385, 404 Rauch, Franz 399 Rauch-Kallat, Maria 79, 296, 354, 362 Rausch, Johannes 270 Rauscher, Hans 143, 157, 327 Rauter, Norbert 202 Reder, Walter 380 Reichhold, Mathias 214 Reiter, Erich 107, 109
Reitsamer, Annemarie 357, 360, 361 Renan, Ernest 38 Riedl, Joachim 149 Riegler, Josef 11 Riess-Passer, Susanne 193, 194, 197, 200–203, 266, 268, 269, 278, 319, 385, 403, 409, 411, 416 Rogatsch, Gerlinde 310 Rohrer, Anneliese 9, 220, 250, 272, 402 Ropac, Thaddäus 303 Rosegger, Peter 174 Rosenkranz, Barbara 209, 210 Rosenstingl 207, 208, 210, 212, 215 Rosenstingl, Peter 205, 206, 209 Rossmann, Marés 409 Ruatta, Jari 385 Rudas, Andreas 102, 150, 152, 154, 160, 161, 166–168, 176, 254, 273, 283, 293, 294, 344, 347, 357–359 Rumpold, Gernot 201, 202, 203 Rürup, Bernd 76–78, 80, 84, 86–88, 345 Ruttenstorfer, Wolfgang 82, 146, 164 Salmutter, Hans 313, 315 Sausgruber, Herbert 10, 248, 270, 272, 307, 355, 359, 363, 412 Sburny, Michaela 298, 372 Schachner-Blazizek, Peter 357 Schaden, Heinz 264, 361 Schalle, Veit 297, 399 Schandl, Franz 188 Scharinger, Ludwig 280 Scharping, Rudolf 167 Schäuble, Wolfgang 387 Schaumayer, Maria 408 Schausberger, Franz 173, 186, 248, 260, 262, 263, 327, 354, 355, 412 Scheibner, Herbert 126, 189, 211, 279, 319, 374, 394, 399, 413 Schelsky, Helmut 18 Scheuch, Leopold 208 Scheucher, Harald 256, 258 Schiebel, Michael 245 Schiller, Herbert 251, 255, 256, 258 Schimanek, Hans Jörg 206, 209, 210 Schlögl, Karl 144, 168, 353, 354, 357, 371, 374, 375, 378, 401 Schmid, Michael 409
Personenregister Schmid, Ulla 294 Schmidt, Heide 232, 239, 240–247, 261, 273, 298, 380 Schmidt-Chiari, Guido 52, 54, 55, 58, 59, 68 Schmied, Claudia 154 Schnell, Karl 197–204, 260, 261 Scholz, Hugo 201 Schönerer, Georg von 392 Schreiner, Erich 191, 206, 207, 209 Schröder, Gerhard 149, 150, 157, 158, 160, 162, 164, 166, 177, 181, 217, 330, 369, 379, 382, 383, 386–388 Schüssel, Wolfgang 11, 12, 15, 58, 59, 61, 62, 64–66, 68, 74, 75, 81, 83, 86, 88, 98, 100, 102–104, 108– 113, 119, 122, 126, 128, 131, 133, 134, 136, 139, 144–146, 162, 169–176, 178, 180, 181, 183–188, 253, 269, 273, 275, 277, 283–285, 289, 292, 295– 297, 304–313, 315, 319, 320, 322, 325–329, 331– 337, 339–342, 347–353, 355, 356, 363, 365–371, 376, 378–381, 384, 385, 388, 393–398, 401–418 Schützenhöfer, Hermann 276, 337, 359 Schwaiger, Saskia 319 Schwaighofer, Cyriak 236, 261 Schwarz, Alois 355 Schwarz, Karl-Peter 217, 246 Seeber, Gilg 22, 28, 267 Seifert, Thomas 243 Seifried, Gerhard 251, 255 Semrau, Eugen 177 Sickl, Elisabeth 409 Sima, Hans 249 Singer, Israel 299 Sinowatz, Fred 9, 10, 143, 166 Smoliner, Marco 240 Solana, Javier 106, 123 Sperl, Gerfried 283 Spindelegger, Michael 125 Spudlich, Helmut 230, 232 Stadler, Ewald 66, 189–193, 200, 209–211, 280 Stadler, Wilfried 355 Stanzel, Norbert 187, 398 Staribacher, Andreas 54, 56, 57, 131 Steger, Gerhard 160 Steger, Norbert 10, 380, 403 Steinberg, Elan 301 Steiner, Michael 386 Steiner-Stadlober, Roswitha 262
431
Steininger, Gerhard 133, 254, 375 Stenzel, Ursula 97, 122, 183, 355 Stephanopoulos, George 150 Stiegler, Ludwig 387 Stingl, Alfred 176 Stix, Gerulf 191 Stix, Karl 75, 102, 145, 167, 318, 333, 337, 357 Stix, Lothar 194, 195 Stix, Rüdiger 191 Stoisits, Terezija 224, 237 Strasser, Ernst 409 Streicher, Rudolf 139 Strobl, Fritz 159 Strohmayer, Johannes 246 Stronach, Frank 212 Strugl, Michael 186 Stummvoll, Günter 64, 68, 80, 81, 187, 313, 326 Swoboda, Hannes 98, 100, 102 Tancsits, Walter 186 Taus, Josef 48–50, 53, 54, 58, 68, 69 Tessmar-Pfohl, Werner 399 Teufelberger, Michael 399 Thaler, Walter 262 Thaller, Robert 199, 202 Tomandl, Thomas 73 Tomsik, Josefa 361 Trattner, Gilbert 62, 194, 195 Trattnig, Kriemhild 214 Trun, Melitta 357 Tumpel, Herbert 77, 348, 351, 361 Tóth, Barbara 181, 243 Uher, Fritz 206 Ulram, Peter A. 13, 14, 17, 22–28, 33, 34, 40, 44, 45, 120, 124, 178, 205, 227, 246, 248, 267, 285–288, 290, 292 Unterberger, Andreas 63, 143 Unterrieder, Adam 251, 255, 361 Url, Thomas 73, 74, 87 Van der Bellen, Alexander 55, 58, 68, 163, 168, 193, 227, 230–239, 271, 273, 291, 297, 298, 301, 372, 376 Vedrine, Hubert 408 Veichtlbauer, Ricky 148 Verba, Sidney 17
432
Personenregister
Verhofstadt, Guy 380, 381 Verzetnitsch, Fritz 77, 80–82, 84, 316, 317, 357, 359–361, 364, 368 Voggenhuber, Johannes 221, 223, 224, 226, 227, 229, 230, 298 Völker, Michael 281 Votruba, Traude 357 Vranitzky, Franz 9, 11–14, 48, 59–61, 64, 65, 68, 74, 76, 85, 86, 92, 94, 99, 109, 117, 136, 141–144, 146–149, 151, 162, 166, 169, 218, 273, 274, 307, 311, 393, 401 Wabl, Andreas 221 Wabl, Martin 236 Wagner, Gerhard 49 Wagner, Leopold 249, 257 Wagner, Pepi 240 Waibel, Eva Maria 271 Waldheim, Kurt 11, 40, 299, 301, 380, 386, 388, 397, 401, 407 Wallnöfer, Eduard 265 Waneck, Reinhart 409 Weber, Johann 190 Wegart, Franz 355 Weingartner, Wendelin 173, 248, 264–266, 268, 269, 310, 327, 355, 412
Weiss, Jürgen 355 Weisgram, Wolfgang 416 Weizman, Ezer 300 Wendling, Horst 195 Weninger, Günter 361 Westenthaler, Peter 195, 196, 201, 202, 253, 278, 280 Wiedenbauer, Ewald 255 Wiesel, Elie 382 Willi, Georg 266 Windholz, Ernest 210 Winkler, Volker 197 Wipplinger, Hubert 361 Wistrich, Robert S. 392 Wittmann, Peter 145, 167 Wlaschek, Karl 60, 62 Wolfgruber, Elisabeth 236 Wörgetter, Sylvia 365 Worm, Alfred 275, 389, 391, 405 Wurmitzer, Georg 214, 258 Zernatto, Christof 173, 176, 248–252, 276, 277 Zilk, Helmut 311, 324 Zuba, Reinhard 36 Zuschmann, Axel 148
Schriftenreihe deS forSchungSinStituteS für politiSch-hiStoriSche Studien der dr.-Wilfried -haSlauer-BiBliothek Herausgegeben von robert KriecHbaumer, Hubert Weinberger und Franz scHausberger eine ausWaHl
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1999. 288 s. zaHlr. s/W-abb. isbn 978-3-205-99010-9
bd. 13 | Herbert dacHs, ernst HaniscH, roland Floimair,
bd. 9 | ricHard voitHoFer
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salzburg 1920–1936
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2000. 488 s. gb. mit su
gb. mit su | isbn 978-3-205-99377-3
isbn 978-3-205-99222-6 bd. 14 | robert KriecHbaumer (Hg.) bd. 10 | micHael scHmolKe (Hg.)
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gb. mit su | isbn 978-3-205-99455-8
2000. 403 s. 19 s/W-abb. gb. mit su isbn 978-3-205-99247-9
bd. 15 | osWald panagl, robert KriecHbaumer (Hg.)
bd. 11 | Hanns Haas,
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robert KriecHbaumer (Hg.)
2002. 224 s. 12 s/W- und 15 Farb. abb.
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br. | isbn 978-3-205-99456-5
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Schriftenreihe deS forSchungSinStituteS für politiSch-hiStoriSche Studien der dr.-Wilfried -haSlauer-BiBliothek bd. 16 | robert KriecHbaumer,
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ameriKanischen fotografien 2005. 270 s. 263 s/W-abb. gb. mit su
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2004. 216 s. br. | isbn 978-3-205-77199-9
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2008. 626 s. 16 KariK. gb.
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republiK 2007. 555 s. zaHlr. tab. und graF. gb.
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2006. 191 s. 27 s/W-abb. 26 tab. gb.
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2010. 505 s. 3 s/W-abb., zaHlr. tab. und
gb. mit su | isbn 978-3-205-78721-1
graF. gb. mit su isbn 978-3-205-78470-8
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salzburger festspiele 1933–1944 2013. 445 s. 70 s/W-abb. und 8 tab. gb.
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mit su | isbn 978-3-205-78941-3