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German Pages 240 [446] Year 2009
Thomas L. Gertzen
Thomas L. Gertzen (Dr. phil.), Ägyptologe und Wissenschaftshistoriker, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien in Potsdam, forscht seit mehr als einem Jahrzehnt zur Wissenschaftsgeschichte der Ägyptologie.
Einführung in die Wissenschaftsgeschichte der Ägyptologie
Die Einführung zur Wissenschaftsgeschichte der Ägyptologie ist in drei Komponenten unterteilt: Den ersten Teil bildet ein historischer Abriss, von 1822 bis in die Zeit nach 1945, mit einem Schwerpunkt auf den deutschsprachigen Raum, jedoch unter Berücksichtigung transnationaler Perspektiven. Im zweiten Teil werden die Grundlagen und Methoden vermittelt und die wichtigsten Forschungsdiskurse vorgestellt. Der dritte Teil präsentiert einige praktische Fallbeispiele, die die Studierenden an Quellenkunde und Quellenkritik heranführen sollen. Den Schluss bildet eine umfangreiche Auswahlbibliografie.
Lit ISBN 3-8258-7340-4
Lit www.lit-verlag.de
978-3-643-13650-3
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Lit
Thomas L. Gertzen
Einführung in die Wissenschaftsgeschichte der Ägyptologie Einführungen und Quellentexte zur Ägyptologie
Lit
Thomas L. Gertzen
Einführung in die Wissenschaftsgeschichte der Ägyptologie
Einführungen und Quellentexte zur Ägyptologie herausgegeben von
Louise Gestermann und Christian Leitz Band 10
LIT
Thomas L. Gertzen
EINFÜHRUNG IN DIE WISSENSCHAFTSGESCHICHTE DER ÄGYPTOLOGIE
LIT
½ Gedruckt auf alterungsbeständigem Werkdruckpapier entsprechend ANSI Z3948 DIN ISO 9706
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-643-13650-3
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LIT VERLAG Dr. W. Hopf
Berlin 2017
Verlagskontakt: Fresnostr. 2 D-48159 Münster Tel. +49 (0) 2 51-62 03 20 E-Mail: [email protected] http://www.lit-verlag.de Auslieferung: Deutschland: LIT Verlag Fresnostr. 2, D-48159 Münster Tel. +49 (0) 2 51-620 32 22, E-Mail: [email protected] E-Books sind erhältlich unter www.litwebshop.de
Vorwort: Warum Wissenschaftsgeschichte?
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Vorwort: Warum Wissenschaftsgeschichte? „Wenn Sie Wissenschaftsgeschichte machen, dann glaubt man doch, Sie beherrschten das Fach nicht.“ „Wer liest denn sowas?“ „Macht es Dir eigentlich nichts aus, andauernd im Dreck zu wühlen?“ Solche und ähnliche Reaktionen bekommt der zu hören, der sich mit der Wissenschaftsgeschichte der Ägyptologie befassen will. Dabei ist die – vorsichtig gesprochen – reservierte Haltung von Fachvertretern gegenüber der Auseinandersetzung mit der Geschichte ihrer Disziplin kein Alleinstellungsmerkmal der Ägyptologen. Im Vorwort seiner Biografie des Islamwissenschaftlers Hellmut Ritter (1892–1971) stellt JOSEF VAN ESS fest: „Die Wissenschaftsgeschichte gilt in der Orientalistik nicht als Königsweg. Man hält sie für leicht und überläßt sie den Anfängern oder Außenseitern. Auch wenn sie mit Kompetenz betrieben wird, betrachtet man sie als verzichtbare Propädeutik; da die Gegenwart immerfort ihr Recht fordert, hat das, was die eigene Disziplin in der Vergangenheit leistete, sein Recht verloren.“1 Tatsächlich wurde die Wissenschaftsgeschichte lange Zeit als Beschäftigung für Professorengattinnen, interessierte Laien oder allenfalls als Steckenpferd von Emeriti angesehen, wobei die mitunter wertvollen Beiträge der genannten Personengruppen hier keinesfalls abgewertet werden sollen und entsprechende Einschätzungen weitaus mehr über denjenigen aussagen, der sie vornimmt. Dabei steht die hohe Komplexität und notwendige Interdisziplinarität in der Auseinandersetzung mit diesem Forschungsgegenstand außer Frage. So führt VAN ESS weiter aus: „Dabei ist sie in Wirklichkeit ein schwieriges Metier. Es genügt nicht, sich im Fach auszukennen, ebensowenig wie es ausreicht, mit dem Operationsbesteck der Zeitgeschichte, der Soziologie oder der Politologie an die Sache heranzugehen.“2 Bei der Eröffnungsdiskussion der 43. Ständigen Ägyptologenkonferenz (SÄK) am 22. Juli 2011 in Leipzig – veranstaltet unter dem Titel „Ägyptologen und 1 J. VAN ESS, Im Halbschatten. Der Orientalist Hellmut Ritter (1892–1971), Wiesbaden 2013, vii. 2 Ebenda.
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Ägytologie(n) zwischen Kaiserreich und der Gründung der beiden deutschen Staaten“ – spiegelte sich die obige Einschätzung in ihren Extremen wider: Ein Diskussionsteilnehmer stellte die Zuständigkeit, aber auch die Kompetenz der Ägyptologen, die Geschichte ihres eigenen Faches zu erforschen, grundsätzlich in Frage: „Können wir das überhaupt?“ Andere Debattenbeiträge offenbarten die häufig nur unzureichende Vertrautheit der meisten Fachvertreter mit den zur Verfügung stehenden, tatsächlich reichhaltigen Quellenbeständen. Wieder andere wollten dem so offenbar gewordenen Desiderat schnell abhelfen und verbreiteten eine große Zuversicht, dies „nebenbei“, d.h. zusätzlich zu der eigentlichen ägyptologischen Forschungstätigkeit leisten zu können. Das war zweifelsohne konstruktiv gemeint, bestätigte aber den Gesamteindruck: Die Fachvertreter der Ägyptologie verfügen in aller Regel nicht über die notwendigen Kenntnisse jenseits ihres „Fachwissens“ und überblicken weder die Quellenlage noch den enormen und anspruchsvollen Arbeitsaufwand, der zu deren Auswertung erforderlich ist. Dies hindert aber gerade die arrivierten Ägyptologen nicht daran, weiterhin die Deutungshoheit über die Fachgeschichte zu beanspruchen. Das ist allerdings kein Alleinstellungsmerkmal der Ägyptologie. Auch VAN ESS ist der Auffassung: „Wenn ein Doktorand sich an der Sache versucht, wirkt das Ergebnis, selbst wenn es handwerklich gut gemacht ist, bisweilen etwas flach, weil die fachliche Tiefendimension ungenügend beachtet ist.“3 Seiner Meinung nach braucht es eben „Erfahrung“, um sich kompetent über vorausgegangene Forschergenerationen und ihre Forschungsleistungen äußern zu können. Der vorliegende Band zieht aus dem bis hierhin Ausgeführten zwei Schlüsse: (1) Damit sich Ägyptologen mit der Geschichte ihrer Disziplin kompetent auseinandersetzen können, muss die Wissenschaftsgeschichte zum Gegenstand der universitären Ausbildung gemacht werden. Hierzu sollen Materialien bereitgestellt und so überhaupt erst eine Grundlage geschaffen werden. (2) Auch wenn ältere Fachvertreter und ihre Ansichten nicht ihrerseits als „Geschichte“ abgetan werden sollen, vertritt der Verfasser eindeutig die Überzeugung, dass eine kritische und hergebrachte Ansichten hinter sich lassende Einschätzung der Fachgeschichte sogar eher von Doktoranden als von den etablierten Vertretern einer Disziplin zu erwarten ist. Dadurch wird die Wichtigkeit der Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses auf diesem Gebiet natürlich noch einmal besonders deutlich. 3
Ebenda.
Vorwort: Warum Wissenschaftsgeschichte?
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Warum aber soll man sich überhaupt mit der Wissenschaftsgeschichte der Ägyptologie befassen? Wer von einer solchen Spezialisierung eine Steigerung seiner Berufschancen erwartet, befindet sich sicher auf dem Holzweg. Allerdings sind die zu gewärtigenden beruflichen Nachteile gleichfalls überschaubar, da auch ein gut ausgebildeter Ägyptologe in der Regel nicht einer allzu reichen Auswahl an Jobangeboten gegenüberstehen wird. Doch muss man die Wissenschaftsgeschichte ja auch nicht gleich zum Schwerpunkt der eigenen wissenschaftlichen Tätigkeit machen. Dennoch gibt es gute Argumente, sie nicht ganz außer Acht zu lassen: Zunächst könnte man vielleicht etwas spitzfindig bemerken, dass es doch etwas seltsam sei, einem Altertumswissenschaftler klar machen zu müssen, dass die Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit sinnvoll ist. Hier muss man aber stets mit einer sehr eigenwillige Dialektik der Kollegen rechnen. Die selben Personen, die einen mit der Frage konfrontieren, „was eigentlich der praktische Nutzen Ihrer [wissenschaftsgeschichtlichen] Forschung ist“, haben keine Probleme damit, kurz darauf ans Rednerpult zu treten und über demotische Pachturkunden, koptische Fluchformeln oder eine neue Keramiktypologie zu sprechen, ohne sich auch nur im Mindesten zu einer grundsätzlichen Rechtfertigung ihres Tuns bemüßigt zu fühlen. Der Sinn und Nutzen ägyptologischer Forschung scheint evident.4 Kurioserweise – und kurios ist eine solche Situation in der Tat – liefert gerade die Wissenschaftsgeschichte hierzu einen Ausweg: Denn nur durch die Auseinandersetzung mit der eigenen (Fach-)Geschichte lassen sich die Ursprünge wissenschaftlichen Interesses, die Motivation einzelner Forscher, das Zustandekommen und die Hintergründe bestimmter Forschungstendenzen begreifen und dann auch vermitteln. Wichtiger noch: Die Inhalte älterer Publikationen können nur dann noch für die aktuelle Forschung fruchtbar gemacht werden, wenn man ihre Entstehungskontexte versteht. Somit besitzt Wissenschaftsgeschichte dann durchaus auch einen tatsächlich ganz „praktischen“ Nutzen.
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Nur wenige Ägyptologen haben sich der Frage gestellt, welchen Stellenwert und Nutzen die Ägyptologie hat: Vgl. S. MORENZ, Die Ägyptologie im Kosmos der Wissenschaften, in: Saeculum 12, 1961, 345–357; J. ASSMANN, Ägyptologie im Kontext der Geisteswissenschaften, in: P. Weingart, W. Prinz (Hrsg.), Die sogenannten Geisteswissenschaften, Frankfurt a.M. 1990, 335–349; F. JUNGE, Eine vielleicht allzuferne Welt? Ägyptologie, Koptologie und Antikes Ägypten, in: Forschung und Lehre 6, 1997, 309–312; E. BLUMENTHAL, Vom Wert der Geisteswissenschaften, in: W. Fritsche, L. Keiser, L. Zerling (Hrsg.), Wissenschaft und Werte im gesellschaftlichen Kontext. Beiträge zur Tagung der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig am 20./21.10.2006, Leipzig 2008, 92–98.
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Grundsätzlich ist es wichtig, sich vor Augen zu führen, dass alle wissenschaftliche Forschung immer durch die Zeitumstände geprägt und bedingt gewesen ist. Eine „reine Wissenschaft“ hat es nie gegeben. Auch gibt es keinen „Kern“ ägyptologischer Forschung, der seit den Entzifferungsleistungen von JeanFrançois Champollion (1790–1832), von den jeweiligen Zeitumständen unbehelligt, bis heute erhalten geblieben ist. Daraus aber ergibt sich die zwingende Notwendigkeit, sich mit den Wechselwirkungen zwischen Wissenschaft, Politik und Gesellschaft in unterschiedlichen historischen Kontexten auseinander zu setzen und dabei auch über den „Tellerrand“ des eigenen Faches hinaus zu blicken. Der vorliegende Band kann und soll nicht die gesamte Bandbreite der wissenschaftsgeschichtlichen Forschung zur Ägyptologie abdecken. Auch der darin gebotene Abriss ihrer Geschichte versteht sich mehr als ein erster Überblick, der mit Hilfe der aufgeführten Literaturangaben und unter Auswertung eigener Recherchen dem Leser einen Einstieg in die Materie ermöglichen soll. Dass hierbei der Schwerpunkt auf die Geschichte der Ägyptologie im deutschsprachigen Raum gelegt wurde, ist zum einen dem Forschungsstand geschuldet und zum anderen der Tatsache, dass dieser Band vorrangig für den Einsatz im universitären Unterricht in Deutschland, Österreich und der Schweiz gedacht ist. Dabei sollte freilich nie der Eindruck entstehen, dass die Geschichte einer so internationalen Wissenschaft wie der Ägyptologie sich „national“ konzipieren ließe. Andererseits steht die Forschung vor dem Dilemma, dass eine Überblicksdarstellung der gesamten Ägyptologiegeschichte weltweit die Kompetenz und das Leistungsvermögen eines einzelnen Wissenschaftlers längst übersteigen würde. Gerade weil die ägyptologische Ausbildung bislang nicht den Umgang mit der Disziplingeschichte sowie die Interpretation entsprechender Quellen umfasste, soll das Themenfeld der Quellenkunde und Quellenkritik breiten Raum einnehmen. Vielfach neigen gewissenhaft forschende Ägyptologen, die ihre sonstigen Fachpublikationen mit umfangreichen Beleg- und Fußnotenapparaten ausstatten und sich vor allzu schnellen und einfachen Schlussfolgerungen hüten, im Bereich der Wissenschaftsgeschichte zu sehr einfachen Positionen: Das ist sicher zuallererst auf die oben geschilderte Gering- oder doch zumindest Unterschätzung dieses Forschungsfeldes zurückzuführen; wer „nebenbei“ Wissenschaftsgeschichte betreibt, hat zu einer tiefergehenden Analyse auch nur wenig Zeit. Weiterhin spielt sicher eine oftmals enge persönliche Verbundenheit mit
Vorwort: Warum Wissenschaftsgeschichte?
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den eigenen „Vorgängern“ eine Rolle, die in einer „Zwergwissenschaft“5 mit überschaubarem Personalbestand ohnehin stärker ausgeprägt sein dürfte. „Respektlosigkeiten“ gegenüber den „Altvorderen“, insbesondere von Jüngeren und Doktoranden, sind da meistens nicht gern gesehen. Und so werden publizierte Äußerungen von Ägyptologen, gerade aus ihren Autobiografien und Memoiren, oft ungeprüft übernommen oder ein einzelnes Dokument zur Grundlage einer schlicht a-historischen wie simplifizierten Einschätzung gemacht.6 Hinzu tritt dann, vor allem im Kontext der Auseinandersetzung mit der Fachgeschichte in totalitären Systemen, der Wunsch nach vermeintlicher Eindeutigkeit, nach einer Unterteilung in „gut“ und „böse“. Abgesehen davon, dass sich der historische Befund in aller Regel einer so schlichten Dichotomie entzieht und der Historiker weder juristische noch moralische Urteile zu fällen hat, haben solche Denkweisen mitunter absonderliche Folgen für die Interpretation von Quellen: Ähnlich wie in der Auseinandersetzung zwischen der frühen Altorientalistik und Bibelwissenschaft zuweilen Ansichten wie „Assyrische Königsinschriften lügen immer“ vertreten wurden, wodurch natürlich das Primat der Heiligen Schrift als Quelle verteidigt werden sollte (solam scripturam regnare), sind manche Kollegen anscheinend der Auffassung, dass die schriftlichen Hinterlassenschaften der Opfer von Vertreibung und Verfolgung einer Quellenkritik enthoben seien, ja, dass eine solche gar eine Pietätlosigkeit gegenüber ihren Verfassern darstellte. Die Äußerungen von „Parteigenossen“, tatsächlichen oder vermeintlichen „Profiteuren“ in Diktaturen hingegen werden a priori als „apologetisch“ und daher als vollkommen unglaubwürdig aufgefasst. Der vorliegende Band kann keinen Königsweg aufzeigen, soll aber mindestens zum Nachdenken über das methodische Vorgehen anregen, wozu auch die am Ende gebotenen Fallbeispiele eine praktische Grundlage bieten sollen. Thomas L. Gertzen, Berlin, 2016
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Vgl. H.-J. TRÜMPENER, Die Existenzbedingungen einer Zwergwissenschaft. Eine Darstellung des Zusammenhanges von wissenschaftlichem Wandel und der Institutionalisierung einer Disziplin am Beispiel der Ägyptologie, Bielefeld 1981. 6 Die Wichtigkeit einer differenzierenden historischen Einordnung der Quellen ist exemplarisch aufgezeigt in: D. RAUE, Der „J’accuse“-Brief an John A. Wilson. Drei Ansichten von Georg Steindorff, in: S. Bickel et al. (Hrsg.), Ägyptologen und Ägyptologien zwischen Kaiserreich und der Gründung der beiden deutschen Staaten (Zeitschrift für Ägyptische Sprache und Altertumskunde, Beihefte 1), Berlin 2013, 345–376.
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Inhaltsverzeichnis
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Inhaltsverzeichnis Vorwort: Warum Wissenschaftsgeschichte? ..................................................................... v 0. Grundlegendes.................................................................................................................. 1 0.1. Das Spannungsfeld von Wissenschafts- und Wissensgeschichte .......................................... 2 0.2. Versuch einer Abgrenzung zur Rezeptionsgeschichtsforschung ............................................ 3 0.3. Stand der Forschung .............................................................................................................. 4 0.4. Terminologie.......................................................................................................................... 8 0.5. Periodisierung ...................................................................................................................... 13
1. Kurzer Abriss der Geschichte der Ägyptologie im deutschsprachigen Raum ......... 22 1.1. Einleitung ............................................................................................................................. 22 1.2. (Vor-)Geschichte – die frühneuzeitlichen Bemühungen um die Erforschung des Alten Ägypten ............................................................................................................. 25 1.3. Die Entzifferung der Hieroglyphen – Jean-François Champollion UND andere … ............. 30 1.4. Die Etablierung der Ägyptologie – Carl Richard Lepsius und Heinrich Brugsch ................ 33 1.5. „École de Berlin“ oder das deutsch-französische Verhältnis................................................ 42 1.6. Ägyptologie in Ägypten – Archäologie im „Schatten der Texte“? ....................................... 50 1.6.1. Rahmenbedingungen und Hintergründe: „Ägyptologische Großmächte“? ................... 55 1.6.1.1. „Systematische“ Archäologie – William M. Flinders Petrie und die British School in Egypt ............................................................................ 57 1.6.1.2. Ägyptische Ägyptologie und die Bewahrung des kulturellen Erbes durch französische Beamte ................................................................................... 62 1.6.1.3. Amerikanische Ägyptologie – James H. Breasted und George A. Reisner ................ 70 1.6.2. Ein deutsches Institut in Kairo ...................................................................................... 74 1.7. Die Auswirkungen des Ersten Weltkrieges auf eine internationale Wissenschaft ................ 79 1.8. „Völkische“ Ägyptologie und Antisemitismus – Georg Steindorff ...................................... 86 1.9. Die Ägyptologie im „Dritten Reich“ .................................................................................... 91 1.10. Die Ägyptologie in den beiden deutschen Staaten ............................................................. 99
2. Grundlagen der Forschung ......................................................................................... 109 2.1. Von der Quellenkunde zur Quellenkritik – ein Denkanstoß ............................................... 110 2.1.1. Autobiografien und Selbstzeugnisse ........................................................................... 112 2.1.2. Biografien, Nekrologe und Festschriften .................................................................... 116 2.1.3. Gelehrtennachlässe und Korrespondenzen .................................................................. 123 2.1.4. Institutionelle Archive ................................................................................................ 130 2.1.5. Staatliche Archive ....................................................................................................... 133 2.1.6. Ägyptologische Publikationen zur Wissenschaftsgeschichte ...................................... 142 2.1.7. Oral History und die Arbeit mit Zeitzeugen ............................................................... 151
xii 2.2. Geschichte und Wissenschaftsgeschichte ........................................................................... 159 2.2.1. Ägyptologie und „Orientalismus“ ............................................................................... 161 2.2.2. Der „postkoloniale Diskurs“ ....................................................................................... 167 2.2.3. Wissenschaft und Weltanschauung ............................................................................. 173 2.2.4. Ägyptologie in totalitären Systemen ........................................................................... 178 2.3. (Wissenschafts-)Geschichte schreiben ............................................................................... 187 2.3.1. Die Gelehrtenbiografie, ein unterschätztes Genre ....................................................... 189 2.3.2. Institutionengeschichte ............................................................................................... 192 2.3.3. Ein größerer Kontext: Wissensgeschichte und Rezeptionsforschung .......................... 194
3. Fallbeispiele und Lesestücke ....................................................................................... 197 3.1. Die ägyptische Antikengesetzgebung ................................................................................ 197 3.1.1. Das erste ägyptische „Antikengesetz“ von Mehemed Ali (1835) ................................ 199 3.1.2. Der Versuch einer Verschärfung von Gaston Maspero (1883/1902) ........................... 203 3.1.3. Das Gesetz Nr. 14 von 1912 ....................................................................................... 209 3.2. Das Immediatgesuch zur Finanzierung des Aegyptischen Woerterbuches (1897) ............. 225 3.3. Zum Vergleich: Gesuch zur Anstellung eines Sachverständigen in Kairo (1898) .............. 234 3.4. Kurt Sethe, Die Ägyptologie. Zweck, Inhalt und Bedeutung (1921).................................. 247 3.5. Zum Vergleich: Heinrich Schäfer, Sinn und Aufgaben (1920) .......................................... 290 3.6. Ägyptologie und Welterklärung? Drei Fallbeispiele .......................................................... 320 3.6.1. Friedrich Wilhelm von Bissing, Das Griechentum und seine Weltmission (1921) ..... 320 3.6.2. Heinrich Schäfer, Von ägyptischer Kunst (1919 & 1930) ........................................... 322 3.6.3. Walther Wolf, Wesen und Wert der Ägyptologie (1932) ............................................ 325 3.7. Ägyptologie im Film .......................................................................................................... 366 3.7.1. James Henry Breasted und „The Human Adventure“ (1935) ...................................... 366 3.7.2. „Germanen gegen Pharaonen“ (1939) ......................................................................... 369 3.8. Die sogenannte „Steindorff-Liste“ (1945).......................................................................... 372 3.8.1. Zum Vergleich (1): Die Liste von Rudolf Anthes ....................................................... 376 3.8.2. Zum Vergleich (2): Die Liste von Hans Gustav Güterbock ........................................ 383 3.9. Ägyptologie in der marxistisch-leninistischen Geschichtsschreibung ................................ 387 3.9.1. Die „Weltgeschichte bis zur Herausbildung des Feudalismus“ ................................... 387 3.9.2. Die „Hydraulische Hypothese“ in Ost und West......................................................... 390
4. Nachwort und Danksagung ......................................................................................... 392 5. Abkürzungs- und Abbildungsverzeichnis ................................................................. 395 5.1. Abkürzungsverzeichnis ...................................................................................................... 395 5.2. Abbildungsnachweis .......................................................................................................... 397
6. Literaturverzeichnis .................................................................................................... 398
Das Spannungsfeld von Wissenschafts- und Wissensgeschichte
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0. Grundlegendes
Die Wissenschaftsgeschichte stellt eine Spezialisierung im Bereich der Neueren und Neuesten Geschichte1 dar und orientiert sich folgerichtig an deren Methodik.2 Hinzu treten allerdings auch Ansätze aus dem Bereich der Wissenschaftstheorie3 und der Wissenschaftssoziologie4 bzw. der Wissenschaftsforschung.5 Grundsätzlich ist die Wissenschaftsgeschichte der Ägyptologie von der Erforschung der Rezeption des Alten Ägypten zu unterscheiden (vgl. Kap. 0.2.), wobei es auf die Definition von Wissenschaft und speziell der Wissenschaft der Ägyptologie ankommt. In dem hier vorliegenden Band wird die zuletzt genannte, nach ERIK HORNUNG, zeitlich und inhaltlich wie folgt definiert: „Von einer wissenschaftlichen Ägyptologie kann erst seit der Entzifferung der Hieroglyphenschrift durch Jean François Champollion (1822) gesprochen werden.“6 Demnach kann die sprachliche Kompetenz als konstitutiv und der Zeitpunkt der korrekten, die Grundlage aller weiteren Forschung bildenden Hieroglyphenentzifferung als Anfangspunkt gelten (vgl. Kap. 0.5.). Damit werden alle früheren Bemühungen um ein Verständnis der Hinterlassenschaften des Alten Ägypten gewissermaßen einer „vor-wissenschaftlichen“ Phase zugerechnet (vgl. Kap. 0.5. und 1.2.). Dies ist sicher nicht unproblematisch, 7 entspricht aber der im Fach üblichen Konvention.
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Vgl. W. SCHULZE, Einführung in die Neuere Geschichte, Stuttgart 52010. Vgl. dazu grundlegend: M. HAGNER, Ansichten der Wissenschaftsgeschichte, in: DERS. (Hrsg.), Ansichten der Wissenschaftsgeschichte, Frankfurt a.M. 2001, 7–39; M. HOWELL, W. PREVENIER, Werkstatt des Historikers. Eine Einführung in die historischen Methoden, Köln 2004; zu dem wechselseitigen Verhältnis: ST. JORDAN, P. T. WALTHER (Hrsg.), Wissenschaftsgeschichte und Geschichtswissenschaft. Aspekte einer problematischen Beziehung, Waltrop 2002. 3 Aus der Fülle der Einführungswerke hier beispielhaft angeführt: A. F. CHALMERS, Wege der Wissenschaft. Einführung in die Wissenschaftstheorie, Berlin 62007. 4 Ebenfalls beispielhaft angeführt: S. MAASEN, M. KAISER, M. REINHARDT, B. SUTTER (Hrsg.), Handbuch Wissenschaftssoziologie, Wiesbaden 2012. 5 Vgl. I. SPIEGEL-RÖSING, Wissenschaftsentwicklung und Wissenschaftssteuerung. Einführung und Material zur Wissenschaftsforschung, Frankfurt a.M. 1973. 6 E. HORNUNG, Einführung in die Ägyptologie. Stand, Methoden, Aufgaben, Darmstadt 4 1993, 9. 7 Vgl. T. S. KUHN, The Structure of Scientific Revolutions, London 31996, 2f. und 21: „Ever since prehistoric antiquity one field of study after another has crossed the divide between what the historian might call its prehistory as a science and its history proper.“ 2
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Grundlegendes
Nicht unerheblich ist auch der Hinweis auf einen grundsätzlichen sprachlichen Unterschied: Das deutsche Wort Wissenschaft schließt sowohl die Natur- als auch die Geisteswissenschaften mit ein. Das englische „science“ hingegen bezeichnet nur die Naturwissenschaften und subsumiert die Geisteswissenschaften unter dem Begriff der „humanities“, was bei der Auseinandersetzung mit englischsprachiger Fachliteratur zum Thema zu berücksichtigen ist. 8 0.1.
Das Spannungsfeld von Wissenschafts- und Wissensgeschichte
Eine relativ junge begriffliche Erweiterung des Forschungsspektrums stellt die Wissensgeschichte dar. Auf der Internetseite des Lehrstuhls für Wissenschaftsgeschichte der Humboldt-Universität zu Berlin wird hierzu folgende Erläuterung geboten: „Wissenschaftsgeschichte widmet sich der historischen Entwicklung und Verfasstheit wissenschaftlicher Erkenntnisse und zentraler wissenschaftlicher Kategorien. Erweitert zu einer Wissensgeschichte geht sie [...] von den institutionalisierten Formen der Wissenschaft aus, beispielsweise der Universität, der Sammlung oder der Akademie, wie von den Alltagspraktiken der Laien und von den handwerklichen Fähigkeiten der Techniker.“9 Vereinfacht gesprochen, behandelt die Wissenschaftsgeschichte also die Entwicklung von Forschungsinhalten und Methoden, die Wissensgeschichte zusätzlich deren Entstehungskontexte und Rahmenbedingungen. Beide Begriffe werden nicht immer mit der nötigen Trennschärfe gebraucht, und bis zum Aufkommen des Begriffs der Wissensgeschichte wurde unter jenem der Wissenschaftsgeschichte vielfach gerade die Auseinandersetzung mit der Geschichte wissenschaftlicher Institutionen und der biografischen Hintergründe einzelner Forscher verstanden; die Entwicklung der Inhalte und Methoden wurde dagegen tendenziell dem Bereich der Wissenschaftstheorie zugeordnet. So kommt es, dass unter Wissenschaftsgeschichte mitunter die Geschichte einer Disziplin in einem dezidiert akademischen Rahmen, unter Wissensgeschichte hingegen eine solche im Rahmen der gesamtgesellschaftlichen historischen Entwicklung verstanden wird.
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Vgl. L. DASTON, Die Kultur der wissenschaftlichen Objektivität, in: Hagner (Hrsg.), Ansichten der Wissenschaftsgeschichte, 137f. 9 Vgl. Lehrstuhl für Wissenschaftsgeschichte: https://www.geschichte.hu-berlin.de/de/bereiche-und-lehrstuehle/wissenschaftsgeschichte/home [10.9.2015].
Versuch einer Abgrenzung zur Rezeptionsgeschichtsforschung
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Im Folgenden wird ausschließlich der Begriff der Wissenschaftsgeschichte benutzt werden. Darunter werden neben der eigentlichen Disziplingeschichte auch Institutionengeschichte (vgl. Kap. 0.4.), Gelehrtenbiografien und, in begrenztem Umfang, auch Aspekte des wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnisses von Wissenschaft und der sie umgebenden Gesellschaft behandelt. 0.2.
Versuch einer Abgrenzung zur Rezeptionsgeschichtsforschung
Wo fängt wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Alten Ägypten an und hört seine „bloße“ Rezeption auf? Diese Frage ließe sich nur dann eindeutig beantworten, wenn man Rezeption als die Übernahme fremden Gedankenund Kulturgutes, ohne das dazugehörige Verständnis oder Wissen um die kulturellen Hintergründe, auffassen wollte. Demnach würde der Rezipient „Versatzstücke“ altägyptischer Kultur, ähnlich Spolien, in seinem eigenen Gedankengebäude verbauen und sie dabei bestenfalls wegen ihres „dekorativen“ Werts schätzen. Der Wissenschaftler und Ägyptologe hingegen würde sich gerade um das Verständnis der altägyptischen Objekte aus ihrem kulturellen Zusammenhang heraus bemühen und, zumindest im Idealfall, der Versuchung zu widerstehen trachten, seine Interpretation durch eigene Vorstellungen und Überzeugungen beeinflussen zu lassen. In der Praxis erweist sich eine solche Unterscheidung als äußerst schwierig:10 Sind die Aufzeichnungen griechischer, römischer oder arabischer Autoren11 Rezeption, weil ihnen das grundlegende Verständnis der ägyptischen Kultur fehlte oder sie sie mit ihren eigenen Vorstellungswelten bzw. Denkkategorien in Einklang zu bringen suchten? Müssten nicht ägyptologische Fachpublikationen, bei denen eine Instrumentalisierung, zumindest aber eine Beeinflussung wissenschaftlicher Forschung im Sinne von bestimmten Weltanschauungen oder Ideologien nachgewiesen werden kann, nicht sogleich der Ägyptenrezeption zugeordnet werden?12 Auch eine vermeintlich „sachlich-nüchterne“ positivistische Forschung, die sich auf Texteditionen und lexikografische 10
Vgl. A. LOPRIENO, Interdisziplinarität und Transdisziplinarität in der heutigen Ägyptologie, in: Menschenbilder Bildmenschen. Kunst und Kultur im Alten Ägypten. Festschrift E. Feucht, Berlin 2003, 230f. 11 In einer kürzlich erschienenen Darstellung zur Geschichte der Ägyptologie werden diese mit eingeschlossen: J. THOMPSON, Wonderful Things. A History of Egyptology, Bd. 1: From Antiquity to 1881, Kairo 2015, 15–55, u.a. explizit unter: „Egyptology [sic] in Antiquity“. 12 Ein besonders extremes Beispiel stellt die Auseinandersetzung mit der Amarna-Zeit dar. Vgl. hierzu: D. MONTSERRAT, Akhenaten. History, Fantasy and Ancient Egypt, London 2003.
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Grundlegendes
Sammlungstätigkeit beschränkte, würde dem oben skizzierten Anspruch einer wissenschaftlichen Ägyptologie kaum genügen, da sie für sich genommen keine ausreichende Grundlage zum Verständnis altägyptischer Kultur darstellen würde. Dieses definitorische Dilemma kann hier nicht gelöst werden. Durch die Begrenzung der Darstellung auf die Zeit des 19. und 20. Jahrhunderts einerseits und die Konzentration auf die Entwicklung der Ägyptologie als akademischer Disziplin andererseits kann eine teilweise Überschneidung mit Fragestellungen der Ägyptenrezeption zwar nicht völlig ausgeschlossen, aber doch weitgehend vermieden werden. Jedenfalls ist der Verfasser der Überzeugung, dass diese einen eigenständigen Einführungsband verdiente.13 0.3.
Stand der Forschung
Wer sich mit der Wissenschaftsgeschichte der Ägyptologie auseinandersetzt, muss sich grundsätzlich darüber im Klaren sein, dass diese nicht losgelöst von ihrem akademischen Umfeld, d.h. den Altertumswissenschaften und der Orientalistik betrachtet werden kann. Ebenso wenig sollte versucht werden, eine rein nationale bzw. deutschsprachige Ägyptologiegeschichte zu erforschen, sondern immer die transnationale Perspektive14 im Blick zu behalten. In der Praxis bedeutet dies die Notwendigkeit, Sekundärliteratur auch jenseits der eigenen Institutsbibliothek oder des eigenen Fachbereichs heranzuziehen. Dabei kann niemand alle Nachbardisziplinen überblicken und historische Grundlagenforschung selber leisten; grundsätzlich ist jeder auf Überblicksdarstellungen und Arbeiten der jeweils anderen Fachvertreter angewiesen. Will
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Zur Orientrezeption allgemein: G. SIEVERNICH, H. BUDDE (Hrsg.), Europa und der Orient 800–1900, München 1989, darin auch drei Beiträge zu Ägypten: D. SYNDRAM, Das Erbe der Pharaonen: Zur Ikonographie Ägyptens in Europa, 18–57; E. LEOSPO, Athanasius Kircher und das Museo Kircheriano, 58–71; C. FOX, Kleopatras Nadel in London, 72–83; Zur Rezeption des Alten Ägypten grundlegend: S. MORENZ, Die Begegnung Europas mit Ägypten, Zürich 1969; E. HORNUNG, Das geheime Wissen der Ägypter und sein Einfluss auf das Abendland, München 22003; T. GLÜCK, L. MORENZ (Hrsg.), Exotisch, weisheitlich und uralt. Europäische Konstruktionen Altägyptens, Hamburg 2007, bes. 5–40; J. ASSMANN, Erinnertes Ägypten. Pharaonische Motive in der europäischen Religions- und Geistesgeschichte, Berlin 22010. 14 Vgl. zu dem Begriff: S. CONRAD, J. OSTERHAMMEL (Hrsg.), Das Kaiserreich transnational. Deutschland in der Welt 1871–1914, Göttingen 22006, 14: „Der Begriff ‚transnational‘ bezieht sich hier auf einen pragmatischen Ansatz, hinter dem weder eine ausgearbeitete Theorie noch eine besondere Untersuchungsmethode stehen. Der Begriff zielt auf Beziehungen und Konstellationen, welche die nationalen Grenzen transzendieren.“
Stand der Forschung
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man Wissenschaftsgeschichte professionell betreiben, ist der persönliche Kontakt und Austausch, auch im Rahmen von dezidiert nicht-ägyptologischen Tagungen und Workshops, unabdingbar. Im Folgenden soll deshalb ein Überblick über den Stand der Forschung geboten werden, wobei wir uns, ausgehend von fächerübergreifenden bzw. die genannten Nachbardisziplinen behandelnden Arbeiten, zu denen, die die Ägyptologie betreffen, gewissermaßen hinarbeiten, um schließlich auch wieder über die reine Ägyptologiegeschichte hinausweisende, aber von ihr ausgehende Perspektiven zu entwickeln. In ihrer Dissertation über die deutsche Orientalistik als einer „weltbürgerlichen Wissenschaft“ hat SABINE MANGOLD-WILL die Disziplinen der Ägyptologie und Assyriologie bewusst unberücksichtigt gelassen.15 In seiner bahnbrechenden, wenn auch nicht unumstrittenen Studie Orientalism hat EDWARD W. SAID wiederum die gesamte deutsche Orientalistik ausgeklammert. 16 SUZANNE MARCHAND hat sich ein doppeltes Verdienst durch die Inkorporation sowohl der genannten Spezialdisziplinen als auch die Behandlung des „German Orientalism“ erworben.17 Darüber hinaus hat sie auch das Verhältnis zu den klassischen Altertumswissenschaften und die Rolle des Philhellenismus herausgearbeitet.18 Die hier und da zwangsläufig auftretenden Defizite im Detail, die bei solch umfassenden, zumal von einer Nicht-Muttersprachlerin verfassten Überblicksdarstellungen entstehen, schmälern nicht die grundlegende Bedeutung dieser Arbeiten. Einen deutschsprachigen Beitrag zur Auseinandersetzung mit dem deutschen Orientalismus hat jüngst ANDREA POLASCHEGG geliefert, welche den wissenschaftsgeschichtlichen Diskurs um Fragen der Rezeptionsforschung und die Methodik der Imagologie19 erweitert und dabei der klassischen Disziplinen- und Institutionengeschichte tendenziell eine Absage erteilt.20 15
Vgl. S. MANGOLD, Eine „weltbürgerliche Wissenschaft“ – die deutsche Orientalistik im 19. Jahrhundert, Stuttgart 2004, 18, mit doch einem kleinen Abschnitt zur Assyriologie: 164–167. 16 Vgl. E. W. SAID, Orientalism, New York 1978, 17ff. 17 Vgl. S. MARCHAND, German Orientalism in the Age of Empire. Religion, Race and Scholarship, Cambridge 2009. 18 Vgl. S. MARCHAND, Down from Olympus. Archaeology and Philhellinism in Germany, 1750–1970, Princeton 1996, bes. 188–227. 19 Vgl. M. BELLER, Fremdbilder, Selbstbilder, in: Rüdiger Zymner, Achim Hölter (Hrsg.), Handbuch Komparatistik. Theorien, Arbeitsfelder, Wissenspraxis, Stuttgart 2013, 94–99. 20 Vgl. A. POLASCHEGG, Der andere Orientalismus. Regeln deutsch-morgenländischer Imagination im 19. Jahrhundert, Berlin 2005, darin zu Ägypten: 108–126; s.a. 146, Anm. 8, mit einer kritischen Anmerkung zu Mangold und dem Verweis auf eine, allerdings überaus polemische Rezension in: Scientia Poetica 9, 2005, 366–376.
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Grundlegendes
Allen diesen Untersuchungen ist gemein, dass die Ägyptologie darin eine eher randständige Position einnimmt. Eine Berücksichtigung der zahlreichen SubDisziplinen und Spezialisierungen, wie der Koptologie, Demotistik, Sudanarchäologie und Meroitistik,21 findet dabei folgerichtig überhaupt nicht statt. Dabei mangelt es keineswegs an Einzeluntersuchungen und Tagungs- bzw. Sammelbänden, die in jüngster Zeit wesentliche Erkenntnisse zur Geschichte der Disziplin beigesteuert haben. Zu nennen sind wissenschaftsgeschichtliche Konferenzen in Bremen (2004), London (2010), Leipzig (2011), Toronto (2014) und Berlin (2015)22 und die auf sie zurückgehenden Publikationen.23 Weiterhin gilt es, die Arbeiten von SUSANNE VOSS zur Geschichte der Abteilung Kairo24 im Rahmen des wissenschaftsgeschichtlichen Forschungsclusters 5 des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI)25 zu erwähnen. Darüber hinaus erbrachten Einzeluntersuchungen zu Forschern26 und Gelehrtenformationen27 sowie solche zu bestimmten Epochen deutscher Geschichte28 weitere Aufschlüsse. Es fehlt auch nicht an Bemühungen, Überblicksdarstellungen zu bieten, die allerdings zum gegenwärtigen Zeitpunkt den Ansprüchen einer 21
Vgl. F. BREYER, Einführung in die Meroitistik (Einführungen und Quellentexte zur Ägyptologie 8), Münster 2014, bes. 37–51. 22 Vgl. die Homepage der SOAS an der University of London: „Disciplinary Measures? Histories of Egyptology in Multi-Disciplinary Context“: https://www.soas.ac.uk/cclps/cclpsconference/10jun2010-disciplinary-measures-histories-of-egyptology-in-multi-disciplinary-context.html; der Universität Leipzig: „Ägyptologen und Ägyptologie(n) zwischen Kaiserreich und der Gründung der beiden deutschen Staaten (1871 bis 1949)“: http://www.zv.uni-leipzig.de/service/presse/nachrichten.html?ifab_modus=detail&ifab_id=4193; der Universität Toronto: „The History and Impact of German Archaeology in the Near and Middle East“: https://www.humanities.utoronto.ca/event_details/id=1546; der BBAW: „Die Berliner Schule der Ägyptologie im Dritten Reich“: http://www.bbaw.de/veranstaltungen/2015/april/grapow [10.9.2015]. 23 Vgl. B. U. SCHIPPER (Hrsg.), Ägyptologie als Wissenschaft. Adolf Erman (1854-1937) in seiner Zeit, Berlin 2006; W. CARRUTHERS (Hrsg.), Histories of Egyptology. Interdisciplinary Measures, London 2015; BICKEL et al. (Hrsg.), Ägyptologen und Ägyptologien. 24 Vgl. S. VOSS, Die Geschichte der Abteilung Kairo des DAI im Spannungsfeld deutscher politischer Interessen, Bd. 1, 1881–1929, Rahden 2013; und DIES., Die Geschichte der Abteilung Kairo des DAI im Spannungsfeld deutscher politischer Interessen, Bd. 2: 1929–1966, Rahden, in Vorbereitung. 25 Vgl. die Homepage des DAI: http://old.dainst.org/de/cluster5?ft=all [10.9.2015]. 26 Vgl. T. GERTZEN, Die Berliner Schule der Ägyptologie im Dritten Reich. Begegnung mit Hermann Grapow, Berlin 2015. 27 Vgl. z.B. T. GERTZEN, École de Berlin und „Goldenes Zeitalter“ (1882–1914) der Ägyptologie als Wissenschaft. Das Lehrer-Schüler-Verhältnis von Ebers, Erman und Sethe, Berlin 2013. 28 Vgl. T. SCHNEIDER, P. RAULWING (Hrsg.), Egyptology from the First World War to the Third Reich. Ideology, Scholarship and Individual Biographies, Leiden 2013.
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kritischen Wissenschaftsgeschichte (noch) nicht genügen. 29 Über eine reine Fachgeschichte hinausweisende Forschungen sind ebenfalls – in Form zweier DFG-Projekte – anzuführen: das Projekt „Wissenshintergründe und Forschungstransfer“ am Ägyptologischen Institut der Universität Leipzig30 und das Projekt „Die Bedeutung von Judentum und Konfessionalität für die Geschichte der Ägyptologie im deutschsprachigen Raum“31 am Moses-Mendelssohn-Zentrum in Potsdam. Ebenfalls jenseits des rein „akademischen“ Referenz- und Untersuchungsrahmens der Disziplingeschichte hat auch die Sammlungsgeschichte bzw. Provenienzforschung32 in jüngster Zeit verstärkte Aufmerksamkeit erfahren. Dies betrifft wiederum übergreifende Darstellungen zur Geschichte bestimmter Sammlungen und Museen,33 insbesondere jedoch auch im Bereich der Mäzenatentumsforschung,34 oder zu bestimmten Abschnitten deutscher Geschichte.35
29
Vgl. THOMPSON, A History of Egyptology, Bd. 1, der sich allerdings explizit an einen breiteren Leserkreis richtet; kritisch hierzu T. GERTZEN, Rezension: J. Thompson, A History of Egyptology, in: BiOr 72.5–6, 2015, 626–632. Ein Versuch einer internationalen Geschichte der Ägyptologie, unterteilt in „nationale“ Einzelbeiträge verschiedener Autoren, in: A. BEDNARSKI, AIDAN DODSON, S. IKRAM (Hrsg.), A History of Egyptology, in Vorbereitung. 30 Vgl. die Homepage des Institutes: „Wissenshintergründe und Forschungstransfer am Beispiel des Ägyptologen Georg Steindorff (1861–1951)“: https://www.gko.unileipzig.de/aegyptologisches-institut/forschung/projekte/georg-steindorff.html [10.9.2015]. 31 Vgl. T. GERTZEN, Aus dem Lande Gos(ch)en. Neues Forschungsprojekt zu den Beziehungen zwischen Ägyptologie und Judentum, in: Dialog. Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien 63, 2014, 3. 32 Vgl. die Homepage der SMPK: http://www.smb.museum/forschung/provenienzforschung-restitution.html; und des Kunsthistorischen Institutes der FU: http://www.geschkult.fu-berlin.de/e/khi/forschung/entartete_kunst/provenienzforschung [10.10.2015]. 33 Vgl. N. CRÜSEMANN, Vom Zweistromland zum Kupfergraben. Vorgeschichte und Entstehungsjahre (1899–1918) der Vorderasiatischen Abteilung der Berliner Museen vor fach- und kulturpolitischen Hintergründen (Jahrbuch der Berliner Museen, Beiheft 42), Berlin 2000, hierin v.a. die Abschnitte zur Verantwortung A. Ermans sowohl für das ÄM als auch das VAM: 60–75 und 87–108; die Geschichte des ÄM stellt, trotz der übersichtlichen Kurzdarstellung von J. ALTHOFF, Das Ägyptische Museum Berlin, Berlin 1998, immer noch ein weitgehendes Desiderat dar. 34 Vgl. O. MATTHES, James Simon. Mäzen im wilhelminischen Zeitalter, Berlin 2000. 35 Vgl. die Beiträge H. KISCHKEWITZ, Die Jahre 1933–1945 im Ägyptischen Museum, und K. FINNEISER, Auslagerung des Ägyptischen Museums in Sophienhof. Der Zweite Weltkrieg und die Folgen, in: J. Grabowski, P. Winter (Hrsg.), Zwischen Politik und Kunst. Die Staatlichen Museen zu Berlin in der Zeit des Nationalsozialismus, Köln 2013, 287–301; 303–316.
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Grundlegendes
Ein weiteres Forschungsfeld ergibt sich mit der Auswertung von Reiseberichten und Archivbeständen zur Erforschung des Vorderen Orients.36 Hier sind die Bemühungen des DAI Kairo um eine sachgerechte Erschließung und Edition seiner auf die Abteilungen Berlin und Kairo verteilten Archivbestände besonders hervorzuheben.37 Nicht unerwähnt bleiben sollte auch, dass die Geschichte der Wissenschaften des Alten Vorderen Orients zunehmend Gegenstand populärwissenschaftlicher Darstellungen38 und des interdisziplinären Austausches39 ist und ihren Platz auch jenseits der traditionellen Publikationsorgane der altorientalischen Wissenschaften findet. 40 0.4.
Terminologie
In den vorangegangenen Abschnitten wurde die Wissenschaftsgeschichte als Spezialisierung der Neueren und Neuesten Geschichte, unter Berücksichtigung der Methoden und Erkenntnisse von Wissenschaftstheorie und -soziologie, erklärt (vgl. Kap. 0.). Gegenüber dem relativ neuen Begriff der Wissensgeschichte (vgl. Kap. 0.1.), aber auch der Rezeptionsgeschichte (vgl. Kap. 0.2.) wäre sie definitorisch und inhaltlich abzugrenzen, was sich in der Praxis mitunter als schwierig erweist. Die Ägyptologie ist in dem akademischen Umfeld von Altertumswissenschaften und Orientalistik zu verorten (vgl. Kap. 0.3.). Aus dem bis hierher Gesagten ergibt sich der stark interdisziplinäre Charakter der Forschung zur Ägyptologiegeschichte. Folgerichtig können hier nicht alle 36
Grundlegend hierzu: U. ERKER-SONNABEND, Das Lüften des Schleiers. Die Orienterfahrung britischer Reisender in Ägypten und Arabien. Ein Beitrag zum Reisebericht des 19. Jahrhunderts, Hildesheim 1987; F. ESTELMANN, Sphinx aus Papier. Ägypten im französischen Reisebericht von der Aufklärung bis zum Symbolismus, Heidelberg 2006; eine Darstellung zum deutschen Orientreisebericht steht bislang noch aus. 37 Bislang erschienen: H. C. SCHMIDT, Westcar on the Nile. A journey through Egypt in the 1920s, Wiesbaden 2011; und T. L. GERTZEN, Boote, Burgen, Bischarin. Heinrich Schäfers Tagebuch einer Nubienreise zum zweiten Nilkatarkt im Jahr 1900, Wiesbaden 2014. 38 Vgl. N. REEVES, Ancient Egypt. The Great Discoveries. A Year-by-Year Chronicle, London 2000; J. TYLDESLEY, Mythos Ägypten. Die Geschichte einer Wiederentdeckung, Stuttgart 2006; T. BECKH, G. NEUNERT, Die Entdeckung Ägyptens. Die Geschichte der Ägyptologie in Porträts, Darmstadt 2014. 39 Vgl. T. GERTZEN/M. GRÖTSCHEL, Flinders Petrie, the Travelling Salesman Problem and the Beginning of Mathematical Modelling in Archaeology, in: Documenta Mathematica. Journal der Deutschen Mathematikervereinigung, Extra Volume, Bielefeld 2010, 199–210. 40 Vgl. T. GERTZEN, Jean Pierre Adolphe Erman und die Begründung der Ägyptologie als Wissenschaft (Jüdische Miniaturen 180), Berlin 2015; oder DERS., „Der verlorene Sohn“? Das Engagement des deutschen Ägyptologen F. W. Freiherr von Bissing im besetzten Belgien während des Ersten Weltkrieges, in: S. Bischoff et al. (Hrsg.), Stand und Perspektiven der historischen Belgienforschung im deutschsprachigen Raum, Münster 2015, 97–106.
Terminologie
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möglichen Termini aus den genannten unterschiedlichen Fächern aufgeführt und erklärt werden, so dass sich die Auflistung auf solche Begriffe beschränkt, die in dem vorliegenden Band verwendet werden.41 Grundsätzlich ist anzumerken, dass die unterschiedliche Bedeutung der Begriffe „Wissenschaft“ und „science“ (vgl. Kap. 0.) und die ja auch im deutschen Sprachraum vorgenommene Unterscheidung von Geistes- und Naturwissenschaften auch zur Vorsicht bei der Übernahme von Begrifflichkeiten und Denkkategorien mahnt, die in aller Regel für die zuletzt genannten Wissenschaften entwickelt worden sind. In diesem Sinne hat sich auch JOHN BAINES geäußert: „Near Eastern studies are not a ‚science’ or a discipline in the Kuhnian sense. Rather, they are the sum of a range of methods and approaches applied to a great variety of materials from a particular geographical region and period; even definitions of the area and period are open to revision.”42 Überhaupt muss der Ägyptologie eine gewisse Theorieferne attestiert werden. Sie übernimmt Theorien und Methoden vor allem aus anderen Disziplinen, nicht jedoch aus der eigenen Forschung heraus und entwickelt und diskutiert sie nur für den fachinternen Gebrauch.43 Dazu noch einmal BAINES: „As I have indicated, the Egyptological argument is not finally in terms of ‚Egyptological method’, which does not exist as such, but in terms of the range of general methods and approaches that are brought to bear upon materials from ancient Egypt.”44 Ausgehend von der konstitutiven Bedeutung der Sprachenkompetenz für die Entwicklung der Ägyptologie als Wissenschaft (vgl. Kap. 0.) hat HANS-JOSEF TRÜMPENER vorgeschlagen: „Grammatik und Sprachbeherrschung erfüllen hier stellvertretend die Funktion von Wissenschaftstheorie.“45 Dennoch ermöglicht gerade eine wissenschaftsgeschichtliche Untersuchung, die Ägyptologie theorie- oder diskursfähig werden zu lassen, weswegen der
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Darüber hinaus sei auf die Beiträge in MAASEN et al. (Hrsg.), Handbuch Wissenschaftssoziologie, verwiesen, die u.a. auch benachbarte Aspekte der Wissenschaftsforschung und ihre Begrifflichkeiten behandeln, nämlich M. WEBER, Wissenschaftsphilosophie, 229–240, und T. T. BRANDSTETTER, Wissenschaftsgeschichte, 251–264. 42 J. BAINES, On the Methods and Aims of Black Athena, in: R. Lefkowitz (Hrsg.), Black Athena revisited, Chapel Hill (NC) 1997, 42. 43 Vgl. A. VERBOVSEK, B. BACKES, C. JONES (Hrsg.), Methodik und Didaktik in der Ägyptologie: Herausforderungen eines kulturwissenschaftlichen Paradigmenwechsels in den Altertumswissenschaften, Paderborn 2011. 44 BAINES, On the Methods and Aims, 47. 45 TRÜMPENER, Die Existenzbedingungen einer Zwergwissenschaft, 101.
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Versuch unternommen werden sollte, bestimmte Begriffskategorien auf das Fach und seine Praxis zu übertragen und anzuwenden. Akzeptiert man zunächst die Auffassung der Ägyptologie als Wissenschaft, basierend auf der Erforschung der Hieroglyphenschrift und der ägyptischen Sprache,46 erscheint diese auch als ein legitimer Forschungsgegenstand der Wissenschaftsgeschichte. Damit soll keinesfalls die archäologische Forschung ausgeblendet werden, ganz im Gegenteil, um mit JAN ASSMANN zu sprechen: „Die Besonderheit des Faches beruht auf der unauflöslichen Einheit von Philologie und Archäologie.“47 Allerdings ist die archäologische Methodik 48 nicht ägyptologiespezifisch. Die ganzheitliche Erforschung der sowohl textlichen als auch materiellen Hinterlassenschaften des Alten Ägypten stellt dabei ein weiteres Alleinstellungsmerkmal der Ägyptologie gegenüber den anderen Altertumswissenschaften dar. ASSMANN kommt daher zu dem Schluss: „Die Ägyptologie ist eine Kulturwissenschaft, d.h. sie beschäftigt sich mit allen Aspekten der altägyptischen Kultur: Sprache, Literatur, Religion, Wirtschaft, Kunst, Archäologie usw. Die ägyptische Kultur umfaßt die dreieinhalb Jahrtausende pharaonischer Geschichte, die durch den Gebrauch der Hieroglyphenschrift definiert werden (ca. 3150 v. Chr. – 350 n. Chr.).“49 Die Wissenschaftsgeschichte lässt sich hierbei in drei Bereiche unterteilen: Die Disziplingeschichte befasst sich mit den geistigen Grundlagen und der Herausbildung einer spezifischen Methodik eines Faches. Sie untersucht Forschungsdiskussionen und -schwerpunkte sowie das wechselseitige Abhängigkeitsverhältnis einer Disziplin zu benachbarten Fächern und der sie umgebenden Gesellschaft. Die Institutionengeschichte behandelt die Entstehung und Entwicklung wissenschaftlicher Institutionen, ihre Voraussetzungen und Rahmenbedingungen. Dabei können unter einer Institution sowohl die klassischen akademischen Einrichtungen wie Akademien und Universitäten und auf wissenschaftlicher Forschung beruhende bzw. sie fördernde Sammlungen und Museen, aber auch alle anderen Zusammenschlüsse und Formationen von Gelehrten verstanden werden, bis hin zu wissenschaftlichen „Schulen“.
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Vgl. W. SCHENKEL, Tübinger Einführung in die klassisch-ägyptische Sprache und Schrift, Tübingen 1997, 17–27. 47 J. ASSMANN, Ägyptologie im Kontext der Geisteswissenschaften, 335. 48 Vgl. grundlegend: B. G. TRIGGER, A History of Archaeological Thought, Cambridge 1989; R. BERNBECK, Theorien in der Archäologie, Tübingen 1997. 49 ASSMANN, Ägyptologie im Kontext der Geisteswissenschaften, 335.
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Die Gelehrtenbiografie galt lange Zeit als ein eher populärwissenschaftliches Arbeitsfeld. Dabei stellt sie wahrscheinlich das anspruchsvollste Forschungsgebiet der Wissenschaftsgeschichte dar und ist eine besondere Herausforderung für den Bearbeiter, indem sie nicht nur ein unvertrautes Genre, sondern auch die Notwendigkeit zur Beschäftigung mit dem eigenen Fach fernstehenden Forschungsinhalten bedeutet. Gerade in der Frühphase ägyptologischer Forschung waren die sich daraus entwickelnden Disziplinen noch nicht etabliert, ebenso wie die Protagonisten in einem anders gearteten akademischen oder auch nichtakademischen Umfeld agierten. Ein erster systematischer Versuch, eine wissenschaftssoziologische Terminologie auf die Ägyptologie anzuwenden, wurde von dem bereits erwähnten H.J. TRÜMPENER unternommen.50 Wiewohl seine Schlussfolgerungen im Fach selbst wenig Resonanz erfuhren und man ihnen mit Skepsis begegnete, 51 lohnt es sich, diese näher zu betrachten: Den Beginn ägyptologischer Forschung bezeichnet TRÜMPENER als „Initiierung“, konkret ausgelöst durch die Entdeckung des Steins von Rosette und begünstigt durch die historischen Rahmenbedingungen.52 Ihr folgt die „Etablierung“ der akademischen Disziplin durch die Einrichtung entsprechender Ämter an Museen und insbesondere von Professuren an Universitäten. Die von ihm vorgeschlagene Unterscheidung von „externer“ und „interner Institutionalisierung“53 zur Beschreibung der vorgefundenen organisatorischen Rahmenbedingungen einerseits und den sozialen Interaktionen der Ägyptologen andererseits soll hier nicht aufgegriffen werden, zumal TRÜMPENERs Kenntnisse über die Ägyptologie und frühe Ägyptologen, die er durch die Befragung von 15 zeitgenössischen Fachvertretern gewonnen hatte,54 äußerst oberflächlich und zum Teil schlicht falsch gewesen sind. Festzuhalten bleibt jedoch, dass eine Disziplin sich nach ihrer Etablierung in ihrem jeweiligen Umfeld einzurichten hat und ihre weitere Ausgestaltung bzw. der 50 Vgl. seine grundlegenden Ausführungen: TRÜMPENER, Die Existenzbedingungen einer Zwergwissenschaft, 1–5 und 21–25. 51 J. BAINES, Restricted Knowledge, Hierarchy and Decorum. Modern Perceptions and Ancient Institutions, in: JARCE 27, 1990, 5, Anm. 32: „A revealing feature of this work is its title, terming the subject a ‚dwarf disciplineʻ, which implies that special conditions apply to orthodoxy within it. It is difficult to say whether this is correct beyond the obvious point that personal feeling may surface more than in a larger and more anonymous group. […] Although criticism of the fieldworker by his data is awkward, it can be said that Trümpener’s essay is based on limited fieldwork.” 52 Vgl. TRÜMPENER, Die Existenzbedingungen einer Zwergwissenschaft, 31. 53 Vgl. ebenda, 22ff. 54 Vgl. ebenda, 21.
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Fortbestand von dem Verhalten der jeweiligen Fachvertreter abhängt und insgesamt durchaus mit dem Begriff der Institutionalisierung beschrieben werden kann. Ein weiteres Kennzeichen der Entwicklung einer einmal etablierten Disziplin ist ein fortschreitender Prozess der Professionalisierung.55 Dabei gilt es zunächst eine Abgrenzung von der Auffassung des Begriffs zur Beschreibung einer akademischen Qualifizierung für Tätigkeiten außerhalb des akademischen bzw. universitären Bereichs vorzunehmen. Konkret etwa das Studium der Klassischen Philologie als Vorbereitung für den Lehrerberuf – eine Option, die Studenten der Ägyptologie nicht offen stand oder steht. Hier hat der Begriff eine andere Bedeutung, wie sie für die Orientalistik von SABINE MANGOLD aufgezeigt worden ist: „Den wichtigsten Ort für die Methodisierung und Professionalisierung der Orientalisten stellten in Deutschland eindeutig die Universitäten dar. Erst wenn dort ein ordentlicher Lehrstuhl für ein bestimmtes Wissensgebiet installiert war, konnte sich ein Fach in Deutschland auch als voll anerkannte Wissenschaft empfinden.“56 Nicht von ungefähr beruft sich MANGOLD dabei u.a. auf THOMAS KUHN und sein Standardwerk The Structure of Scientific Revolutions. Darin heißt es: „When, in the development of a natural science, an individual or group first produces a synthesis able to attract most of the next generation’s practitioners, the older school gradually disappears.“57 Halten wir zunächst fest, dass KUHN sich ausdrücklich auf Naturwissenschaften bezieht und MANGOLD über die Entwicklung der Orientalistik in Deutschland schreibt.58 Ein Versuch, diese Konzepte für die Geschichte der Ägyptologie nutzbar zu machen, wurde von THOMAS GERTZEN unternommen,59 der dabei 55
Vgl. ebenda, 48f. MANGOLD, Eine „weltbürgerliche Wissenschaft“, 18. 57 KUHN, The Structure of Scientific Revolutions, 18. 58 Im englischsprachigen Raum etwa galt der „gentleman-scholar“, „amateur“ oder „dilettante“ noch bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein als respektabler Vertreter seiner Wissenschaft; grundlegend dazu: G. JONKER, Gelehrte Damen, Ehefrauen, Wissenschaftlerinnen. Die Mitarbeit der Frauen in der orientalistischen Kommission der Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin (1907–1945), in: T. Wobbe (Hrsg.), Frauen in Akademie und Wissenschaft. Arbeitsorte und Forschungspraktiken 1700–2000, Berlin 2002, 163: „In England sowie in den Vereinigten Staaten blieb im 19. Jahrhundert die Entdeckung der orientalischen Sprachen und Kulturen des Altertums vielerorts den begüterten Oberklassen überlassen. In Deutschland dagegen wurden vor allem Wissenschaftler rekrutiert, um die von ihnen gewählte Spezialisierung zu ihrem Beruf und zu ihrer Erwerbsgrundlage zu machen.“ 59 Vgl. GERTZEN, École de Berlin, 17, 34ff. und 47. 56
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auch den konflikthaften Charakter solcher Prozesse, besonders in den Auseinandersetzungen der deutschsprachigen mit der frankophonen Forschungstradition, herausgearbeitet60 und die durch Adolf Erman (1854–1937) geschaffenen Grundlagen auf den Gebieten der ägyptischen Grammatik, Lexikographie und der Transkription ägyptischer Texte als einen Paradigmenwechsel im Sinne KUHNs bezeichnet hat.61 Hierbei gilt es zumindest einige Einschränkungen zu bedenken: Zum einen ist der von KUHN entwickelte Begriff wegen seiner vermeintlich unzureichenden definitorischen Trennschärfe grundsätzlich kritisiert worden,62 zum anderen ist die von GERTZEN behandelte „Berliner Schule“ der Ägyptologie ein singuläres Phänomen in der Geschichte dieses Faches, zu dem, zumindest bislang, kein weiterer Fall von Schulenbildung hinzugetreten ist bzw. nachgewiesen wurde. Festzuhalten bleibt also, dass die Ägyptologie, für sich betrachtet, oft einige Schwierigkeiten bei der Anwendung von aus der Wissenschaftsforschung entlehnten Modellen und Termini bereitet, nicht zuletzt weil ihre disziplinären Distinktionsmerkmale sich auf den Bereich sprachwissenschaftlicher Methodik beschränken und sie ansonsten, als ganzheitliche Kulturwissenschaft, eine Fülle von Methoden und Forschungsansätzen aus anderen Disziplinen entlehnt. Hinzu kommt ihr Charakter als „Zwergwissenschaft“ – neutraler ausgedrückt: als einer akademischen Disziplin mit vergleichsweise geringem Personalbestand, der eine statistische Analyse zumindest erschwert. Weiterhin bewegt sich die internationale Wissenschaft der Ägyptologie in einem Spannungsfeld unterschiedlicher Wissenschaftsauffassungen, die im englischsprachigen Raum einerseits stärker zwischen Natur- und Geisteswissenschaften differenziert, zum anderen aber eine strenge Unterscheidung zwischen Laien und (professionellen) Gelehrten vermeidet. 0.5.
Periodisierung
Eine Einteilung der Geschichte der Ägyptologie in bestimmte Abschnitte und Epochen erscheint zunächst nicht zwingend erforderlich: So könnte man sich an den etablierten Epocheneinteilungen der Geschichtswissenschaft orientieren und z.B. für den deutschen Raum von der Ägyptologie im Königreich Preußen 60
Hierzu ebenda, 107ff., 135f. und 248–258. Vgl. ebenda, 36, 113, 194 und 285. 62 Vgl. M. MASTERMAN, Die Natur eines Paradigmas, in: I. Lakatos, A. Musgrave (Hrsg.), Kritik und Erkenntnisfortschritt, Braunschweig 1974, 61–66. 61
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(1837/1846–1871), im Deutschen Kaiserreich (1871–1918), der Weimarer Republik (1919–1933), dem „Dritten Reich“ (1933–1945), der DDR (1949–1990) oder der Bundesrepublik Deutschland (1949–…) sprechen. Berücksichtigt man den internationalen Charakter des Faches, verbietet sich zwar die Ausrichtung einer Epocheneinteilung entlang nationaler Geschichte, was aber eine grundsätzliche Orientierung an etablierten historischen – dann internationalen – Zeitabschnitten dennoch nicht ausschließt. Allerdings eröffnet eine, gewissermaßen intrinsische, Chronologie der Ägyptologie die Möglichkeit, größere Entwicklungszusammenhänge zu erkennen, sie zusammenzufassen und einzelne Gelehrte und ihre Forschungsleistungen in einem größeren Gesamtzusammenhang zu verorten. Allen, den nachfolgenden Ausführungen zugrunde gelegten Darstellungen der Geschichte der Ägyptologie gemeinsam ist die Auffassung, dass die Entzifferung der Hieroglyphen durch Jean-François Champollion (1790–1832) den Beginn ägyptologischer Wissenschaft darstellt (vgl. Kap. 0.).63 Dabei werden die Berichte antiker Autoren,64 die Schilderungen arabischer Schriftsteller65 und auch die Bemühungen einiger früh-neuzeitlicher Gelehrter66 um die Entzifferung der Hieroglyphenschrift als nicht der Wissenschaftstradition der modernen, wissenschaftlichen Ägyptologie zugehörig betrachtet. KURT SETHE (1869–1934) fasste zur Unterscheidung unwissenschaftlicher Untersuchungen von Hinterlassenschaften des Alten Ägypten diese unter dem Begriff der „Ägyptiologie [sic]“ zusammen.67 Während sich diese kritische Dis-
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F. JUNGE, Eine vielleicht allzuferne Welt?, 309, spricht von „Verwissenschaftlichung“; vgl. A. GRIMM, Zimmer mit Aussicht oder „Wir entziffern nicht mehr, wir lesen“. Eine wissenschaftsgeschichtliche Collage zur Entzifferungsgeschichte der Hieroglyphen 1800–1850, in: G. Burkhard (Hrsg.), Kon-Texte. Akten des Symposions „Spurensuche – Altägypten im Spiegel seiner Texte“ (ÄUAT 60), Wiesbaden 2004, 8–23. 64 Vgl. A. K. BOWMANN, Recolonising Egypt, in: T. P. Wiseman (Hrsg.), Classics in progress. Esays on Ancient Greece and Rome, Oxford 2002, 202–210. 65 Vgl. D. M. REID, Whose Pharaohs? Archaeology, Museums and Egyptian National Identity from Napoleon to World War I, Berkeley 2002, 28–31; zur arabischsprachigen Ägyptologie vgl. O. EL-DALY, The Missing Millenium: Ancient Egypt in Medieval Arabic Writings, London 2005. 66 Vgl. W. HELCK, Ägyptologie an deutschen Universitäten, Wiesbaden 1969, 1–4; HORNUNG, Das geheime Wissen der Ägypter, 108f. 67 K. SETHE, Die Ägyptologie. Zweck, Inhalt und Bedeutung dieser Wissenschaft und Deutschlands Anteil an ihrer Entwicklung (Der Alte Orient 23), Leipzig 1921, 2.
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tanzierung aber wohl vornehmlich auf seinerzeitige Auseinandersetzungen bezog,68 ist für die vor-Champollion’sche bzw. „prä-ägyptologische“69 Phase der Ägyptenbegeisterung der Begriff der Ägyptomanie gebräuchlich.70 Die erste Auseinandersetzung mit der Geschichte der Ägyptologie ist die bereits 1891 erschienene Darstellung Die Aegyptologie. Abriss der Entzifferungen und Forschungen von HEINRICH BRUGSCH (1827–1894).71 Diese Publikation stellt einen Überblick über die bis dahin geleisteten Arbeiten und die daraus gewonnenen Erkenntnisse auf dem Gebiet der Ägyptologie dar. Es sollte hierbei berücksichtigt werden, dass der Autor auch die Leistungen der eigenen Person zu würdigen versuchte, was für die Periodisierung jedoch keine größere Rolle spielt, allerdings sehr wohl für die darin gebotene Selbsteinschätzung. Die Einteilung folgt vor allem individuellen Leistungen herausragender Forscher und orientiert sich an den Erscheinungsdaten wichtiger Arbeiten und Werke. Nach der an den Anfang der Geschichte der Ägyptologie gestellten Entzifferung der Hieroglyphen (1822)72 folgt die Bestätigung durch Carl Richard Lepsius (1810–1885): „Erst das Jahr 1837 bezeichnet den Anfang einer neuen Epoche der altägyptischen Studien, nachdem R. Lepsius in seinem Sendschreiben an Rosellini [...] auf die Nothwendigkeit einer Scheidung der phonetischen Elemente der Hieroglyphien [sic] hingewiesen und auf die Eigenart des Systems in der griechischrömischen Epoche aufmerksam gemacht hatte.“73 Nach ausführlicher Schilderung der eigenen Leistungen sieht BRUGSCH das Ende der Wirkungszeit seiner eigenen Generation heraufziehen. Dadurch, dass er sich selbst implizit der ersten Ägyptologengeneration zuordnet, stellt er sich auf eine Stufe mit Lepsius und distanziert sich von dessen beiden Schülern, Johannes Dümichen (1833–1894) und Georg Ebers (1837–1898), sowie von August Eisenlohr (1832–1902):
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Vgl. BAINES, Restricted Knowledge, 2ff.: „because Egyptology began at the decipherment by breaking away from this tradition.“ 69 Vgl. LOPRIENO, Interdisziplinarität und Transdisziplinarität, 230. 70 Vgl. GRIMM, Zimmer mit Aussicht, 8–10; DERS., Wege – Werke – Wirkungen: Anfänge und Kritik ägyptologischer Forschung im 19. Jahrhundert, in: Schipper (Hrsg.), Adolf Erman (1854–1937) in seiner Zeit, 65–69: „Ägyptologie avant les lettres: Ägyptomanie/Ägyptophilie/Ägyptosophie“. 71 H. BRUGSCH, Die Aegyptologie. Abriss der Entzifferungen und Forschungen auf dem Gebiete der aegyptischen Schrift, Sprache und Alterthumskunde, Leipzig 1891. 72 Vgl. ebenda, 1–19. 73 BRUGSCH, Die Aegyptologie, 126f.
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„Die Namen von zwei damals jungen Gelehrten, der gegenwärtigen Professoren J. Dümichen an der Universität Strassburg und G. Ebers in Leipzig, beide Schüler von Lepsius und Brugsch, traten seit der zweiten Hälfte der sechziger Jahre in die Oeffentlichkeit [...]. Prof. A. Eisenlohr, dessen erste Arbeiten in das Jahr 1869 fallen, der gegenwärtige Lehrer für das Altägyptische an der Universität zu Heidelberg, gehört wie Dümichen und Ebers der zweiten Generation unter den lebenden Aegyptologen an.“74 Die Verwendung des Begriffs der „Generation“ verdeutlicht noch einmal die stark personalisierte Betrachtungsweise. Dass die Zeit herausragender Einzelpersönlichkeiten innerhalb der Wissenschaft der Ägyptologie ihrem Ende entgegenging, wurde von BRUGSCH vielleicht durch die Verwendung des Begriffs „Schule“ zur Bezeichnung der jüngeren Ägyptologengeneration eingeräumt. Sie wird aber wieder unmittelbar mit dem Namen und damit der Person von Adolf Erman (1854–1937) in Verbindung gebracht: „In der jüngeren Schule der Aegyptologie nimmt Prof. Dr. A. Erman [...] den ersten Rang ein.“75 Für Brugsch, der selber noch Teil einer relativ frühen Phase der Entwicklung der Ägyptologie gewesen ist, lassen sich also drei Generationen unterscheiden: (1) Champollion, Lepsius und Brugsch (2) Dümichen, Ebers und Eisenlohr (3) Erman Sicher in Anlehnung an diese Darstellung, aber deutlich um eine regelrechte Periodisierung unter Berücksichtigung allgemeiner Forschungstendenzen bemüht ist die von HERMANN KEES (1886–1964) 1959 veröffentlichte Geschichte der Ägyptologie. Am Anfang steht auch für Kees eine Phase der Wiederentdeckung, eingeleitet durch den Orientfeldzug Napoleon Bonapartes (1798) und die danach mögliche Entzifferung der ägyptischen Hieroglyphenschrift mittels des Steins von Rosette (1822). „Den Endpunkt dieser Zeit bezeichnet die von Friedrich Wilhelm IV. von Preußen im Zuge der durch A. v. Humboldt in Berlin und Blumenbach in Göttingen mächtig angeregten deutschen Entdeckungsreisen 1842–45 unter Richard Lepsius (1810–1884) nach Ägypten entsandte Expedition, die [...] den Denkmälern eine geschichtliche Ordnung gab.“76
74
Ebenda, 140f. Ebenda, 141. 76 H. KEES, Geschichte der Ägyptologie, in: HdO I.1, 1959, 4. 75
Periodisierung
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Was folgt, wird von Kees, sicher auch etwas abwertend, als „Romantisches Zeitalter“ benannt. Dabei bietet der Begriff der Romantik eine Fülle von Deutungsmöglichkeiten.77 Seine Verwendung ist dabei im Kontext der Geschichte der deutschen Orientalistik zu betrachten, in der der „romantische“ Orient der kühlen Nüchternheit der klassischen Antike gegenübergestellt wurde.78 Die Benennung kann aber auch sehr viel wörtlicher verstanden werden, nämlich als ein Hinweis auf die schriftstellerische Tätigkeit von Georg Ebers. Insgesamt muss der Begriff als derart vielschichtig oder diffus angesehen werden, dass eine endgültige Interpretation der Kees’schen Kategorisierung nicht vorgenommen werden kann.79 Man kann allenfalls noch darüber spekulieren, ob der Begriff der Romantik von ihm bewusst gewählt wurde, um so keine allzu genaue Definition geben und vielleicht auch seine kritische Haltung zu den Vertretern dieses Zeitalters nicht zu direkt formulieren zu müssen. Gerade in der Nomenklatur der von ihm postulierten Zeitabschnitte offenbart KEES aber seine nach wie vor in erster Linie an Personen orientierte Darstellungsweise. Er bemüht sich zwar um eine Benennung dieser Abschnitte nach übergeordneten Gesichtspunkten, führt dann aber doch wieder die Leistungen und Arbeitsweisen einzelner Forscherpersönlichkeiten zum Beleg an. 80 Das „Romantische Zeitalter“ wird dann abgelöst durch das „Goldene Zeitalter“.81 Wieder sind es zwei Forscherpersönlichkeiten, Erman und Gaston Maspero (1846–1916), die als prägend für diesen Zeitabschnitt angeführt werden. In dieser Gegenüberstellung kommt der Gegensatz unterschiedlicher frankophoner und deutschsprachiger Wissenschaftskulturen zum Ausdruck (vgl. Kap.
77 G. SCHULZ, Romantik. Geschichte und Begriff, München 32008, 7: „Sein Dach birgt Archaisches, Altertümliches, Gemütliches, Gefühlsseliges, Stimmungsvolles, Sentimentales, Schwärmerisches, Verliebtes, Verträumtes, Versponnenes, Wunderbares, Poetisches, Phantasievolles, aber auch Phantastisches, Überspanntes, Verrücktes, Irrationales, Idealistisches, Utopisches, Wirklichkeitsfernes und viel Sehnsucht. Ihm entgegen steht das Alltägliche, Vernünftige, Praktische, Sachliche, Nüchterne, aber auch Trockene, Pedantische, Philiströse, Platte, Banale und Prosaische.“ 78 ERKER-SONNABEND, Das Lüften des Schleiers, 209: „Als Reaktion gegen den Klassizismus Winckelmannscher Prägung etablierte die Romantik den Orient als Alternative und Ergänzung zur geistesgeschichtlich dominierenden Antike der Griechen und Römer.“ 79 SCHULZ, Romantik, 27: „Romantik ist kein Ordnungsbegriff, mit dem sich Daten, Fakten und Personenkreise klassifizieren, sortieren und etikettieren lassen. Sie ist nicht identifizierbar mit einer ‚Schuleʻ oder ,Generationʻ, und man konnte ihr nicht beitreten wie einer Partei.“ 80 Vgl. KEES, Geschichte der Ägyptologie, 4f. 81 Vgl. ebenda, 6–13.
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Grundlegendes
1.5.). Das „Goldene Zeitalter“ kam für KEES mit dem Anfang des Ersten Weltkrieges an sein Ende, woraufhin erst wieder 1919, nach Kriegsende, ein neuer Zeitabschnitt der Ägyptologie begann, den er mit den Begriffen von „Ausweitung und Synthese“82 bezeichnete. Warum der Erste Weltkrieg für ihn eine solche Unterbrechung bedeutete, erklärte KEES nicht. Umso mehr verwundert es, dass der Zweite Weltkrieg diesen Zeitabschnitt seiner Auffassung nach nicht in vergleichbarem Maße beeinträchtigt hat, dauert er für ihn doch bis 1944 an. Auch außerhalb der Ägyptologie wurden Versuche unternommen, ihre Entwicklung in Zeitabschnitte einzuteilen, so von H.-J. TRÜMPENER (vgl. Kap. 0.4). Auch er setzte die Orientexpedition Napoleons und die Entzifferung der Hieroglyphen an den Anfang der Geschichte der Disziplin.83 Deutlich erkennbar ist hierbei das Bemühen, nicht einzelne Forscherpersönlichkeiten, sondern die vorherrschenden Rahmenbedingungen in den Vordergrund der Darstellung zu rücken. Auf die Initiierung folgt mit der Einrichtung der ersten Lehrstühle für Ägyptologie in Deutschland, angefangen mit dem in Berlin (1846), die Phase der „Etablierung“84 der Wissenschaft. Erst danach beginnt die eigentliche „Institutionalisierung“,85 wobei externe Rahmenbedingungen und Entwicklungstendenzen ihren Ausdruck in einer zunehmenden „Professionalisierung“86 sowie einer zunehmenden „Differenzierung“87 und „Spezialisierung“88 finden. Zusammenfassend lassen sich also drei Entwicklungsschritte unterscheiden: (1) Initiierung (2) Etablierung (3) Institutionalisierung (Differenzierung/Spezialisierung) Einen ganz anderen Ansatz verfolgt die Untersuchung von DONALD MALCOLM REID mit dem Titel Whose Pharaohs? aus dem Jahr 2002. Dabei ging es dem Autor gar nicht in erster Linie um eine Periodisierung der Wissenschaftsgeschichte der Ägyptologie, sondern um eine postkoloniale Betrachtungsweise
82
Vgl. ebenda, 13–17. Vgl. TRÜMPENER, Die Existenzbedingungen einer Zwergwissenschaft, 26f. 84 Vgl. ebenda, 31–38. 85 Vgl. JUNGE, Eine vielleicht allzuferne Welt?, 1997, 310: „Mit Champollion beginnt auch die Institutionalisierung der Ägyptologie.“ 86 Vgl. TRÜMPENER, Die Existenzbedingungen einer Zwergwissenschaft, 48–58. 87 Vgl. ebenda, 81–86. 88 Vgl. ebenda, 86–93. 83
Periodisierung
19
(vgl. Kap. 2.2.2.). Folgerichtig finden die zeitgeschichtlichen (kolonial-)politischen Entwicklungen in Ägypten ihre Entsprechung in der Einteilung der Kapitel seiner Arbeit. Obwohl also keine wissenschaftsgeschichtliche bzw. wissenschaftsimmanente Begründung für diese Art der Einteilung vorliegt, eröffnet seine Betrachtungsweise zumindest eine weitere Perspektive. Auch Reid beginnt mit dem von ihm so bezeichneten „Imperial and national preludes“ des Napoleonfeldzuges. 89 In der darauffolgenden Phase besonders hervorgehoben wird die Regierungszeit des Khediven Ismail (1830–1895; Regierungszeit: 1867–1879), unter dessen Herrschaft Auguste Mariette (1821–1881) den ägyptischen Antikendienst90 und das Museum91 in Kairo begründete und H. Brugsch eine Schule92 für die Ausbildung ägyptischer Ägyptologen in Kairo schuf. Dem folgt ein „Imperial high noon“ und „nationalist dawn“, der mit dem Beginn des Ersten Weltkrieges sein Ende fand. 93 Die jüngste und dazu besonders differenzierte Periodisierung der Geschichte der Ägyptologie findet sich in einem 2006 erschienenen Aufsatz von WOLFGANG SCHENKEL. Darin werden viele Beobachtungen aus früheren Darstellungen zur Geschichte des Faches aufgegriffen und vertieft. Ohne die Leistungen einzelner herausragender Wissenschaftler zu marginalisieren, bemüht sich der Autor um eine objektive Benennung einzelner Zeitabschnitte und spricht von einer „Herausbildung“94 (ab 1798), ermöglicht durch Bonaparte und geleistet durch Champollion, einer Übergangsphase „vom Sammeln zum Erschließen“95 (ab 1860) und einer „Phase des Erschließens“96 (ab 1880). Stellt man die hier vorgestellten Periodisierungen einander tabellarisch gegenüber, lassen sich zumindest grundsätzliche Übereinstimmungen feststellen:
89
Vgl. REID, Whose Pharaohs?, 21–136. Vgl. ebenda, 93–96 und 99–103. 91 Vgl. ebenda, 103–107. 92 Vgl. ebenda, 116ff. 93 Vgl. ebenda, 139–285. 94 W. SCHENKEL, Bruch und Aufbruch. Adolf Erman und die Geschichte der Ägyptologie, in: Schipper (Hrsg.), Adolf Erman (1854–1937) in seiner Zeit, 224f. 95 Ebenda, 225. 96 Ebenda, 228. 90
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H. Brugsch (1891) Lettre à M. Dacier (1822) Lettre à M. le Professeur H. Rosellini (1837) „Zweite Generation“: Dümichen, Ebers und Eisenlohr „Jüngere Schule der Ägyptologie“: Erman
Grundlegendes
H. Kees (1959) „Wiederentdeckung“ (1798–1849)
H.–J. Trümpener (1981) „Initiierung“: Stein von Rosette (1798) „Etablierung“: Lehrstuhl Universität Berlin (1846)
„Romantisches Zeitalter“ (1850– 1881) „Goldenes Zeitalter“ (1882–1914)
„Institutionalisierung, Differenzierung, Spezialisierung.“
D. M. Reid (2002) „Imperial and national preludes“ (1798)
W. Schenkel (2006) „Herausbildung“: Bonaparte und Champollion (1798)
„Egyptology under Ismail“ (1850–1882)
„Vom Sammeln zum Erschließen“ (ab 1860)
„Imperial High Noon“ (1882– 1914)
„Phase des Erschließens“ (1880)
Abb. 1: Tabellarische Übersicht über unterschiedliche Ansätze zur Periodisierung der Geschichte der Ägyptologie Allen Darstellungen gemeinsam ist der Beginn der Geschichte der Ägyptologie mit dem Orientfeldzug Napoleons bzw. der dadurch ermöglichten Entzifferung der Hieroglyphen. Während BRUGSCH Lepsius’ Epoche machende Rolle bei der Herausbildung der Ägyptologie besonders hervorhebt, beschließt dieser für KEES die Phase der Wiederentdeckung. TRÜMPENER misst der Person Lepsius nurmehr als erstem Lehrstuhlinhaber in Deutschland eine besondere Rolle bei der Etablierung des Faches zu. Für REID spielt Lepsius allenfalls als Leiter der Preußischen Ägyptenexpedition und damit für das „German debut“97 in Ägypten eine Rolle. SCHENKEL differenziert zwar zwischen Champollion und Lepsius,98 rechnet letzteren aber auch zur Phase der Herausbildung. Mit Ausnahme von TRÜMPENER wird Lepsius’ Wirken also mit der ersten Phase der Entwicklung der Ägyptologie in Zusammenhang gebracht. Die „Zweite Generation“, also Dümichen, Ebers und Eisenlohr, vertritt bei BRUGSCH das „Romantische Zeitalter“ von KEES, welches den Übergang „Vom Sammeln zum Erschließen“ bei SCHENKEL zu leisten hat. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass in der ägyptischen Perspektive, die von REID eingenommen wird, Mariette und mit ihm Brugsch die Disziplin in Ägypten zu etablieren versuchen. Lepsius, der 97 98
REID, Whose Pharaohs?, 44. Vgl. SCHENKEL, Bruch und Aufbruch, 226f., Abb. 1f.
Periodisierung
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nach der preußischen Expedition wieder nach Deutschland zurückkehrt, hat daran keinen Anteil. Die „jüngere Schule der Ägyptologie“ von BRUGSCH leitet das „Goldene Zeitalter“ bei KEES ein und bedeutet die Institutionalisierung der Wissenschaft der Ägyptologie von TRÜMPENER, die „Phase des Erschließens“ von SCHENKEL, welche sich auch mit dem von REID festgestellten „Imperial high noon“ deckt.
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Kurzer Abriss der Geschichte der Ägyptologie im deutschsprachigen Raum
1. Kurzer Abriss der Geschichte der Ägyptologie im deutschsprachigen Raum 1.1.
Einleitung
Obwohl die Ägyptologie inzwischen auf eine gut 200-jährige Forschungsgeschichte zurückblicken kann, stellen Überblicksdarstellungen dazu ein weitgehendes Desiderat dar. Dies hat verschiedene Gründe: so z.B. die unterschiedlichen Forschungstraditionen in den Ländern, in denen sich Ägyptologie als akademische Disziplin herausgebildet hat. Dabei haben anders gelagerte Auffassungen darüber, was unter einer akademischen Disziplin verstanden werden kann oder ob die Ägyptologie als eine solche aufgefasst werden sollte (vgl. Kap. 0.4.), unmittelbare Auswirkungen auf die Herangehensweise an eine Fachgeschichte.99 Ein grundlegender Unterschied der Ägyptologie im deutschsprachigen Raum zu der in Frankreich oder Großbritannien besteht in dem grundsätzlich anders gearteten Verhältnis zur imperialen Außenpolitik. 100 Bei den beiden letztgenannten spielt hingegen das Forschungsfeld von Wissenschaft in totalitären Systemen naturgemäß eine untergeordnete Rolle. Die unterschiedlichen akademischen Rahmenbedingungen und Universitätskulturen,101 die auch ein anderes Verhältnis ägyptologischer Forschung zu Nachbardisziplinen mit sich bringen,102 erschweren zusätzlich eine transnationale Betrachtungsweise. Nicht von ungefähr haben sich ANDREW BEDNARSKI, AIDAN DODSON und SALIMA IKRAM für ihre History of Egyptology 103 zu einer Unterteilung in „nationale“ Kapitel entschieden, welche von den Vertretern der jeweiligen Forschernation verfasst werden. Auch eine solche Vorgehensweise bereitet einige Schwierigkeiten: Zum einen besteht längst nicht in allen Ländern eine vergleichbar lange und ungebrochene Forschungstradition, wichtiger aber noch: Nicht immer sind „nationale“ Wissenschaftskulturen deckungsgleich mit Nationen oder Staaten. So müsste man in einer Geschichte der Ägyptologie in Ös-
99
Vgl. GERTZEN, Rezension: J. Thompson, A History of Egyptology, 626–632. Vgl. für die Orientalistik allgemein SAID, Orientalism, 17ff.; für die Ägyptologie Voss, Geschichte der Abteilung Kairo des DAI, Bd. 1, 25–34, bes. 33. 101 Vgl. W. E. J. WEBER, Geschichte der europäischen Universität, Stuttgart 2002, bes. 154– 234. 102 Vgl. ASSMANN, Ägyptologie im Kontext der Geisteswissenschaften, 339f. 103 BEDNARSKI/DODSON/IKRAM (Hrsg.), A History of Egyptology, in Vorbereitung. 100
Einleitung
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terreich-Ungarn z.B. zwischen „deutschen“ und „tschechischen“ Forschungstraditionen unterscheiden. In einer Geschichte der tschechischen Ägyptologie wären dagegen aber die gemeinsamen Ursprünge etwa mit der Ägyptologie in Österreich zu berücksichtigen, und später wäre womöglich vor allem zwischen „tschechischen“ und „slowakischen“ Einflüssen zu unterscheiden. Nicht erst durch solche Überlegungen wird das Konzept einer „national“ definierten Wissenschaftskultur ad absurdum geführt, welches ja ohnehin schon selbst der Mottenkiste der Geschichte zu entstammen scheint. Wie aber soll man in der Praxis mit diesem Problem umgehen? Für den konkreten Fall der Ägyptologie lässt sich zumindest für die Zeit bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges zwischen einer frankophonen und einer deutschsprachigen Hauptrichtung in der Forschungsgeschichte unterscheiden.104 Wichtig ist es, dabei hervorzuheben, dass die jeweiligen Vertreter erstens nicht ausschließlich Deutsche oder Franzosen gewesen sind, sondern auch Briten, Dänen, Schweizer oder Schweden, um nur einige Beispiele zu nennen. Und zweitens ist zu betonen, dass auch die Sprache der Publikationen nicht holzschnittartig als Ausweis der Zugehörigkeit zu einem bestimmten „Lager“ ausgelegt werden kann. Stattdessen unterschieden sich die beiden Gruppen vor allem in ihren Auffassungen über die ägyptische Sprache bzw. deren Erforschung (vgl. Kap. 1.5.). Ein grundlegend anderer Zugang zur Geschichte der Ägyptologie ist die ebenfalls häufig zu beobachtende Konzentration auf die Biografien der einzelnen Gelehrten. Hierzu besitzt die Ägyptologie in dem von MORRIS L. BIERBRIER bereits in 4. Auflage herausgegebenen Who was who in Egyptology105 zunächst
104
Dies übrigens in Parallelität zur Entwicklung in der Orientalistik; vgl. hierzu: S. MANFrance Allemagne et retour: une discipline née dans l’émulation, in: Revue Germanique Internationale 7, 2008, 109–124; für die Ägyptologie: S. MARCHAND, The end of Egyptomania. German scholarship and the banalization of Egypt, 1830–1914, in: W. Seipel (Hrsg.), Ägyptomanie. Europäische Ägyptenimagination von der Antike bis heute, Wien 2000, 125–133; zur wechselseitigen Wahrnehmung französischer und deutscher Ägyptologen vgl. E. GADY, Le regard égyptologues français sur leurs collègues allemands, de Champollion à Lacau, in: Revue Germanique Internationale 16, 2012, 151–166; S. VOSS, La représentation égyptologique allemande en Égypte et sa perception par les égyptologues français, du XIXe au milieu du XXe siècle, in: Revue Germanique Internationale 16, 2012, 167– 188. 105 M. L. BIERBRIER, Who was who in Egyptology, London 42012; s. a. M. L. BIERBRIER, Who was who in Egyptology, in: EDAL 2, 2010/11, 187–192. GOLD,
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Kurzer Abriss der Geschichte der Ägyptologie im deutschsprachigen Raum
ein hervorragendes Nachschlagewerk.106 Ein biografischer Zugang zur Fachgeschichte schließt eine umfassende Überblicksdarstellung keinesfalls aus, wie sie gegenwärtig JASON THOMPSON zu leisten versucht, der darin explizit einen personenbezogenen Ansatz verfolgt: „But in the end the story of Egyptology is the story of the people who created Egyptology.“107 Die auch von ihm dabei erkannte Schwierigkeit, die zu behandelnden Personen auszuwählen bzw. vermeintlich weniger wichtige Akteure dennoch zu berücksichtigen, stellt ein entscheidendes Problem dieses Ansatzes dar. Eine weitere mögliche Variante einer Fachgeschichtsschreibung liegt in der Überwindung der durch die Ägyptologie selbst repräsentierten „Außenperspektive“: Allen Ägyptologen gemeinsam ist ihr Forschungsgebiet – Ägypten. Eine Geschichte der Ägyptologie sollte demnach vor allem in eine Geschichte Ägyptens eingebettet werden. Dabei würden die jeweiligen nationalen Forschungstraditionen aus den Herkunftsländern der Ägyptologen nur eine untergeordnete Rolle spielen, bzw. sie wären auf einen Konflikt zwischen dem internationalistischen Anspruch ägyptologischer Wissenschaft und der imperialistischen respektive nationalistischen Haltung der Wissenschaftler zu reduzieren. Einen solchen Ansatz hat DONALD MALCOLM REID in seinem Buch Whose Pharaohs? verfolgt: „The fifth strand of attempted synthesis in this book relates to the interplay between nationalism and imperialism on the one hand to the ideal of objective, universal science on the other. Neither Westerners nor Egyptians had much success in resolving the dilemma of being good citizens simultaneously of two imagined communities – one political and particularist (either Western imperialist or Egyptian nationalist) and the other internationalist.”108
106 Wenngleich es sich durch die überproportionale Repräsentanz britischer und v.a. mit der EES verbundener Ägyptologen durchaus auch Kritik zugezogen hat; vgl. REID, Whose Pharaohs?, 10. Dabei ist weiterhin zu überlegen, ob derartige Nachschlagewerke in Zukunft nicht stärker internationalisiert und Internet-basiert herausgegeben werden sollten. Dennoch ist dem Who was who ganz sicher immer noch der Vorzug gegenüber anderen Quellen wie z.B. Wikipedia zu geben. In jedem Fall erfordert eine gründliche biografische Recherche immer die Konsultation verschiedener Quellen. 107 J. THOMPSON, Wonderful Things. A History of Egyptology, Bd. 1: From Antiquity to 1881, Kairo 2015, 12; Bd. 2: The Golden Age: 1881–1914; Bd. 3: From 1914 to the Twentyfirst Century, in Vorbereitung. 108 REID, Whose Pharaohs?, 12.
Die frühneuzeitlichen Bemühungen um die Erforschung des Alten Ägypten
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Allerdings ist, bei allem (selbst-)kritischen Bewusstsein um die „eurozentrische“109 Perspektive ägyptologischer Forschung, Ägyptologie ihrem Herkommen nach eben eine europäische Wissenschaft. So wichtig es ist, den Beitrag ägyptischer Gelehrter und die Wechselwirkungen mit der historischen Entwicklung in Ägypten selbst stärker zu berücksichtigen, der Schwerpunkt der Erforschung der Geschichte der Ägyptologie liegt räumlich und inhaltlich in einem „westlichen“ Kontext, wobei auch dieser wiederum differenziert betrachtet werden muss. Der im Folgenden gebotene Abriss versucht die bis hierhin ausgeführten Aspekte zu berücksichtigen: einerseits die Darstellung überschaubar zu halten, nämlich durch die Konzentration auf den deutschsprachigen Raum,110 und andererseits den internationalen Charakter ägyptologischer Forschung nicht aus dem Blick zu verlieren; ferner herausragende Einzelpersönlichkeiten in ihren historischen Kontext einzuordnen, um sie darüber hinaus auch als repräsentativ für die nicht oder nur am Rande erwähnten, vermeintlich weniger bedeutsamen, Akteure vorzustellen; schließlich ein kritisches Bewusstsein für die eurozentrische Perspektive ägyptologischer Forschung ans Licht zu bringen, andererseits die Realien der Ägyptologiegeschichte nicht aus dem Blick zu verlieren und einem schlichten „Schwarz-weiß“-Denken zu verfallen. Dabei versteht sich diese Darstellung mehr als eine erste Informationsgrundlage oder Einstiegslektüre, wobei der Verfasser die Leser ausdrücklich dazu anregen möchte, sie durch das Lesen weiterer Darstellungen zu Geschichte der Ägyptologie zu vertiefen und besonders auch auf einer solchen Grundlage kritisch zu hinterfragen. 1.2.
(Vor-)Geschichte – die frühneuzeitlichen Bemühungen um die Erforschung des Alten Ägypten
Auf die Problematik, einen Anfangszeitpunkt für eine Darstellung der Geschichte der Ägyptologie zu bestimmen, ist bereits eingegangen worden (vgl.
109
Vgl. S. CONRAD, SH. RANDERIA, R. RÖMHILD (Hrsg.), Jenseits des Eurozentrismus. Postkoloniale Perspektiven in den Geschichts- und Kulturwissenschaften, Frankfurt a.M. 22013. 110 Hierzu grundlegend: BRUGSCH, Die Aegyptologie; SETHE, Die Ägyptologie; KEES, Geschichte der Ägyptologie; HELCK, Ägyptologie an deutschen Universitäten.
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Kurzer Abriss der Geschichte der Ägyptologie im deutschsprachigen Raum
Kap. 0.5.).111 Dennoch soll hier die unmittelbare „Vor“-Geschichte der Entzifferung der Hieroglyphen bzw. der frühneuzeitlichen Auseinandersetzung mit den Hinterlassenschaften des Alten Ägypten kurz beschrieben werden. Dafür sprechen drei Gründe: Erstens sind die Bemühungen von Gelehrten des Renaissance- oder Barockzeitalters112 klar von den Schilderungen biblischer, griechischer und römischer Autoren abzugrenzen, die teilweise als „Zeitgenossen“ über die altägyptische Kultur berichtet haben. Zweitens stehen diese Bemühungen, anders als die Arbeiten „mittelalterlicher“ arabischer Autoren, auch am Anfang einer dezidiert europäischen Entwicklung von Wissenschaft bzw. wissenschaftlichem Denken. Drittens gelingen bereits in dieser Zeit teilweise richtige Entzifferungen von Hieroglyphen bzw. eine teilweise Rekonstruktion der ägyptischen Geschichte durch die kritische Auswertung der zur Verfügung stehenden Quellen. Niemand geringeres als der italienische Semiotiker UMBERTO ECO hat vorgeschlagen, in dem Jesuiten Athanasius Kircher (1602–1680)113 den ersten modernen114 Ägyptologen zu erkennen:
111 Einen guten Überblick über die deutschsprachige Ägyptenefahrung vom Mittelalter bis in die frühe Neuzeit bietet die jüngste Darstellung: A. AMIN, Ägyptomanie und Orientalismus. Ägypten in der deutschen Reiseliteratur (1175–1663). Mit einem kommentierten Verzeichnis der Reiseberichte (383–1845), Berlin 2013. 112 Vgl. grundlegend: E. IVERSEN, The Myth of Egypt and its Hieroglyphs in European Tradition, Kopenhagen 1961, zur Renaissance: 57–87; zum Barock: 88–123; weiterhin: D. C. ALLEN, The Predecessors of Champollion, in: Proceedings of the American Philosophical Society 104.5, 527–547; U. GAIER, Vielversprechende Hieroglyphen. Hermeneutiken der Entschlüsselungsversuche von Renaissance bis Rosette, in: A. Grimm et al. (Hrsg.), Ägyptomanie und europäische Äyptenimagination von der Antike bis heute, Wien 2000, 175– 191; A. GRIMM, Antiquarische Studien und Hieroglyphenkunde der Renaissance und des Barock: Europäische Ägyptenimaginationen vor Johann Joachim Winckelmann, in: Ders., S. Schoske (Hrsg.), Winckelmann und Ägypten. Die Wiederentdeckung der ägyptischen Kunst im 18. Jahrhundert, München 2005, 83–89. 113 Vgl. K. BRISCHAR, Athanasius Kircher. Ein Lebensbild, Würzburg 1877; N. SENG (Hrsg.), Selbstbiographie des P. Athanasius Kircher aus der Gesellschaft Jesu, aus dem Lateinischen übersetzt, Fulda 1901; R. DIETERLE et al. (Hrsg.), Universale Bildung im Barock. Der Gelehrte Athanasius Kircher, Rastatt 1981; J. FLETCHER, Athanasius Kircher und seine Beziehungen zum gelehrten Europa seiner Zeit, Wiesbaden 1988; H. BEINLICH, Kircher und Ägypten. Information aus zweiter Hand: Tito Livio Burattini, in: Ders. et al. (Hrsg.), Spurensuche, Wege zu Athanasius Kircher, Dettelbach 2002, 57–72; P. N. MILLER, Copts and Scholars. Athanasius Kircher in Peiresc’s Republic of Letteres, in: P. Findlen (Hrsg.), Athanasius Kircher. The Last Man who knew everything, London 2014, 133–147. 114 Vgl. K. WITTSTADT, Der Enzyklopädist und Polyhistor als neuzeitlicher Gelehrtentypus – Athanasius Kircher (1602–1680), in: R. W. Keck, E. Wiersing, K. Wittstadt (Hrsg.), Literaten – Kleriker – Gelehrte. Zur Geschichte der Gebildeten im vormodernen Europa, Köln 1996, 269–287.
Die frühneuzeitlichen Bemühungen um die Erforschung des Alten Ägypten
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„Er beging den beim Wissensstand seiner Zeit115 nur allzu erklärlichen Irrtum, zu glauben, daß alle hieroglyphischen Zeichen als Ideogramme zu lesen seien, und infolgedessen war seine Rekonstruktion vollkommen falsch. Dennoch wurde er zum Vater der Ägyptologie, so wie Ptolemäus zum Vater der Astronomie wurde.“116 Tatsächlich ist es Kircher gelungen, eine Hieroglyphe korrekt zu entziffern. Dabei ist jedoch weniger wichtig, dass er in diesem einen Fall richtig gelegen hat, sondern dass es sich um keinen Zufall oder „Glückstreffer“ handelte: Er identifizierte die drei Wasserlinien (Gardiner Sign List N 35) korrekt als Zeichen für „Wasser“ und leitete aus dem koptischen Wort mooy den Lautwert „m“ ab. Damit hatte Kircher in der koptischen Sprache den Schlüssel zum Verständnis der Hieroglyphen erkannt und damit den Weg der zukünftigen Hieroglyphenentzifferung vorgezeichnet. Er selber hat diese Erkenntnis nicht zu nutzen vermocht, allerdings sind in seinen Arbeiten über die koptische und ägyptische Sprache117 in der Bibliotheque Nationale in Paris noch heute die Marginalien von Jean-François Champollion zu finden. 115
Zur Methodik Kirchers vgl. G. F. STRASSER, Lingua realis, lingua universalis und lingua cryptologica: Analogienbildungen bei den Universalsprachen des 16. und 17. Jahrhunderts, in: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 12, 1989, 203–217; W. KÜNZEL, P. BEXTE, Allwissen und Absturz. Der Ursprung des Computers, Frankfurt a.M. 1993, 72–101; W. PAPE, Heiliges Wort und weltlicher Rechenpfennig. Zur Entwicklung der Sprachauffassung im 17. Jahrhundert (Jacob Böhme, Athanasius Kircher, Leibniz), in: D. Breuer (Hrsg.), Religion und Religiosität im Zeitalter des Barock, Bd. 2, Wiesbaden 1995, 817–843; W. SCHMIDTBIGGEMANN, Hermes Trismegistos, Isis und Osiris in Athanasius Kirchers „Oedipus Aegyptiacus“, in: Archiv für Religionsgeschichte 3, 2001, 67–88; D. STOLZENBERG, The Egyptian Crucible of Truth & Superstition: Athanasius Kircher & The Hieroglyphic Doctrine, in: A.C. Trepp, H. Lehmann (Hrsg.), Antike Weisheit und kulturelle Praxis. Hermetismus in der frühen Neuzeit, Göttingen 2001, 145–164; ders., Lectio Idealis. Theory and Practice in Athanasius Kircher’s Translations of the Hieroglyphs, in: C. Bazanella, L. Morra (Hrsg.), Philosophers and Hieroglyphs, Turin 2003, 74–99; T. LEINKAUF, Mundus combinatus. Studien zur Struktur der barocken Universalwissenschaft am Beispiel Athanasius Kirchers SJ (1602– 1680), Berlin 2009, bes. 235–267. 116 U. ECO, Die Suche nach der vollkommenen Sprache, München 1994, 163. 117 A. KIRCHER, Prodromus coptus sive aegyptiacus, Rom 1636; Lingua aegyptiaca restituta, Rom 1643; Obeliscus Pamphilius, Rom 1650; diese Werke können über die Homepage des ECHO-Projekts des Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte online abgerufen werden: http://echo.mpiwg-berlin.mpg.de/home; Oedipus Aegyptiacus, Rom 1652–1654; ebenfalls online abrufbar über die Digitale Bibliothek der Universitätsbibliothek Heidelberg: http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/kircher1652bd1; Obelisci Aegyptiaci, Rom 1666; über ECHO (s.o.) verfügbar; Sphinx mystagoga, Amsterdam 1676; abrufbar über die Homepage der Herzog-August-Bibliothek, Wolfenbüttel: http://diglib.hab.de/drucke/15-9-quod2f/start.htm; Turris Babel, Amsterdam 1679; ECHO (s.o.) [20.9.2015]; Eine Übersicht über seine Werke bietet: A. Dean LARSEN (Hrsg.), Athanasius Kircher (1602–1680). Jesuit Scholar, Provo 1989, 4–74.
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Kurzer Abriss der Geschichte der Ägyptologie im deutschsprachigen Raum
Gerade im deutschsprachigen Raum ist dem Vorschlag ECOs jedoch eine deutliche Absage erteilt worden. 118 Zum einen hat man auch auf andere „deutsche“ Gelehrte verwiesen, wie auf den bayerischen Diplomaten Herwarth von Hohenburg (1553–1622),119 der in seinem Thesaurus Hieroglyphicorum bereits 1607 alle damals bekannten ägyptischen Denkmäler zusammengestellt hat, zum anderen gab es attraktivere, weil namhaftere „Gründungsheroen“, auf die man sich berufen konnte.120 Barocke „Esoterik“ sollte nicht mit der Wissenschaft der Ägyptologie in Verbindung gebracht werden, die ihre eigenen Anfänge dann doch lieber in der Aufklärung erkennen wollte. Nicht ganz unerheblich dürfte auch der Umstand gewirkt haben, dass Kircher im Zuge des Kulturkampfes (1871–1878 bzw. 1887) zwischen Otto von Bismarck (1815–1898) und der katholischen Kirche von katholischen Autoren zu einer wissenschaftlichen Galionsfigur stilisiert worden ist. Dies führte zu scharfen Gegenreaktionen der protestantisch geprägten „Berliner Schule“ der Ägyptologie (vgl. Kap. 1.5.), nicht zuletzt auch, weil versucht worden war, die Leistungen Kirchers durch eine Relativierung der Zuverlässigkeit der zeitgenössischen ägyptologischen Forschung aufzuwerten.121 Statt Kircher wurde vor einigen Jahren von JAN ASSMANN auf John Spencer (1630–1693) und Ralph Cudworth (1617–1688) als frühe Ägyptologen verwiesen.122 Allerdings haben weder diese beiden Gelehrten noch der oben erwähnte Hohenburg einen Beitrag zur Entzifferung der Hieroglyphen geleistet und sich stattdessen auf die Zusammenstellung von Quellen zum Alten Ägypten beschränkt. Dabei war ihre Forschung darauf ausgerichtet, eine Chronologie sowie Erkenntnisse über den „Urmonotheismus“ zu etablieren. Als Begründer der späteren, vor allem sprachwissenschaftlich orientierten und definierten Ägyptologie kommen sie daher gar nicht in Betracht. 123 Ein weiterer „Kandidat“ für die Rolle des ersten modernen Ägyptologen wäre der dänische Gelehrte Georg Zoëga (1755–1809),124 der – zum Katholizismus 118
Vgl. HORNUNG, Das geheime Wissen der Ägypter, 108ff. Vgl. HELCK, Ägyptologie an deutschen Universitäten, 2. 120 Vgl. ebenda, 3, der G. W. Leibniz (1646–1716) nennt. 121 Vgl. T. GERTZEN, Ägyptologie im Kulturkampf? Der Fall Athanasius Kircher (1602– 1680), in: Kemet. Die Zeitschrift für Ägyptenfreunde 2012.2, 52f. 122 Vgl. J. ASSMANN, Moses der Ägypter. Entzifferung einer Gedächtnisspur, Frankfurt a.M. 7 2007, 88–130; vgl. dazu: HORNUNG, Das geheime Wissen der Ägypter, 110. 123 Bezeichnenderweise ist auch keiner der genannten in BIERBRIER, Who was who in Egyptology, aufgeführt. 124 Vgl. K. ASCANI, P. BUZI, D. PICCHI (Hrsg.), The Forgotten Scholar. Georg Zoëga (1755– 1809) at the Dawn of Egyptology and Coptic Studies, Leiden 2015. 119
Die frühneuzeitlichen Bemühungen um die Erforschung des Alten Ägypten
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konvertiert – ebenfalls in Rom wirkte und nicht nur eine Zusammenfassung des seinerzeitigen Kenntnisstandes über das alte Ägypten und seiner Denkmäler verfasste,125 sondern auch die koptischen Dialekte des Bohairischen und Sahidischen identifizierte. Auch begann er, Material zu den ägyptischen Hieroglyphen zusammenzustellen, hat aber niemals einen Entzifferungsversuch publiziert. Ebenfalls in einem dänischen Kontext sind die Bemühungen des deutschen Forschungsreisenden Carsten Niebuhr (1733–1815)126 zu verorten. Finanziert durch den dänischen König Frederik V. (1723–1766; er regierte ab 1746) und angeregt durch den Göttinger Orientalisten Johann David Michaelis (1717– 1791) brach Niebuhr 1761 zu einer Expedition nach Arabien auf und nutzte einen Aufenthalt in Kairo dazu, alle ihm erreichbaren hieroglyphischen Inschriften zu kopieren. 127 Dabei beobachtete er u.a., dass die Gesamtzahl der hieroglyphischen Zeichen nicht ausreichte, um für jedes Wort ein besonderes Zeichen zu verwenden, Hieroglyphen also nicht rein logografisch gelesen werden konnten. Ein anderes Problem für die Akzeptanz frühneuzeitlicher Auseinandersetzungen mit dem Alten Ägypten im deutschsprachigen Raum war der Umstand, dass dessen Hinterlassenschaften dort besonders negativ beschrieben worden sind. Hier ist der Name Johann Joachim Winckelmann (1717–1768) zu nennen, der in seiner Geschichte der Kunst des Altertums128 die ägyptische Kunst der klassisch-antiken gegenüberstellte und dabei zu einem abwertenden Urteil gelangte. Dennoch spielte das alte Ägypten auch in der klassischen Altertumswissenschaft frühzeitig zumindest eine Nebenrolle und fand sogar Eingang in die universitäre Lehre. Gerade für die Berliner Universität wurde dies durch ERIKA
125
Vgl. G. ZOËGA, De origine et usu Obeliscorum, Rom 1797; über die Homepage der Bayerischen Staatsbibliothek abrufbar: http://www.mdz-nbn-resolving.de/urn/resolver.pl?urn=urn:nbn:de:bvb:12-bsb10211999-8 [30.9.2015]. 126 Vgl. ST. CONERMANN, J. WIESEHÖFER (Hrsg.), Carsten Niebuhr und seine Zeit. Beiträge eines interdisziplinären Symposiums vom 7.–10. Oktober 1999 in Eutin (Oriens et Occidens 5), Stuttgart 2002. 127 Speziell zu seinem Aufenthalt in Ägypten: R. H. GUICHARD JR., Niebuhr in Egypt. European Science in a Biblical World, Cambridge 2014. 128 J. J. WINCKELMANN, Geschichte der Kunst des Altertums, Dresden 1764; online verfügbar über die Digitale Bibliothek der Universitätsbibliothek Heidelberg: http://digi.ub.uniheidelberg.de/diglit/winckelmann1764 [20.9.2015]; darin zu Ägypten: 31–63.
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Kurzer Abriss der Geschichte der Ägyptologie im deutschsprachigen Raum
ENDESFELDER gründlich dokumentiert.129 So beschäftigte sich z.B. der klassische Archäologe Alois Hirt (1759–1837) mit der Kunst und Baukunst der Ägypter, und der Kunsthistoriker Ernst Heinrich Toelken (1785–1869) lehrte ebenfalls Archäologie, Baukunst und Malerei bei den Ägyptern. Der Astronom Christian Ludwig Ideler (1766–1846) befasste sich mit der ägyptischen Chronologie, und sein Sohn, Julius Ludwig Ideler (1809–1842), vertiefte diese ägyptischen Studien im Rahmen seiner eigenen universitären Tätigkeit. Der Historiker Peter Federsen Stuhr (1787–1851) widmete sich in seinen Lehrveranstaltungen der ägyptischen Mythologie. Der Theologe Moritz Gotthilf Schwartze (1802–1848) war der erste, der sich kritisch mit den damals konkurrierenden Systemen der Hieroglyphenentzifferung (vgl. Kap. 1.3.) auseinandersetzte, aber auch selbständige Forschungen zum Koptischen leistete. Streng genommen sind diese Gelehrten keine Ägyptologen und somit nicht Teil der Geschichte dieses Faches. Gleichwohl leisteten sie einen Beitrag zu ägyptologischer Forschung avant la lettre, und erst die Auseinandersetzung mit diesem Forschungsumfeld ermöglicht ein Verständnis der Anfänge der Ägyptologie. 1.3.
Die Entzifferung der Hieroglyphen – Jean-François Champollion UND andere …
Die Geschichte der Entzifferung der Hieroglyphen ist unzählige Male dargestellt worden.130 In jüngster Zeit zeichnet sich dabei eine Tendenz ab, nicht mehr nur auf die Person Jean-François Champollion (1790–1832) zu fokussieren, sondern auch andere Forscher stärker zu berücksichtigen. 131 Noch auf einer wissenschaftsgeschichtlichen Konferenz im Jahr 2010 konnte der Verfas-
129
Vgl. E. ENDESFELDER, Die Ägyptologie an der Berliner Universität – zur Geschichte eines Fachgebietes, in: Berichte der Humboldt-Universität Berlin 8, Berlin 1988, 6–10. 130 Vgl. jüngst in: THOMPSON, A History of Egyptology, Bd. 1, 109–127; anstelle einer Auflistung weiterer Darstellungen, sei hier – bewusst – auf zwei populäre Werke hingewiesen, die den Vorzug aufweisen, die Entzifferung der Hieroglyphen bzw. die Auseinandersetzung mit dem Alten Ägypten im Nachgang der Napoleonischen Expedition in ihrem zeitgenössischen Kontext vorzustellen: M. KLONOVSKY, Der Ramses Code, Berlin 2001; J. Z. BUCHWALD, D. G. JOSEFOWICZ, The Zodiac of Paris. How an improbable Controversy over an Ancient Egyptian Artifact provoked a modern Debate between Religion and Science, Princeton 2010; für eine Kontextualisierung der Entzifferung der Hieroglyphen mit der anderer Schriftsysteme vgl. A. ROBINSON, Die Geschichte der Schrift. Von Keilschriften, Hieroglyphen, Alphabeten und anderen Schriftformen, Bern 1996. 131 Vgl. GRIMM, Zimmer mit Aussicht, 7–30.
Die Entzifferung der Hieroglyphen – Jean-François Champollion UND andere … 31
ser erleben, wie zwischen den anwesenden Forschern britischer und französischer Nationalität um das Primat bei der Hieroglyphenentzifferung gestritten wurde. Die britischen Historiker und Ägyptologen wollten zumindest eine wesentliche Vorarbeit des Diplomaten und Arztes Thomas Young (1773–1829) anerkannt wissen. Wichtiger aber als solche, an sich harmlosen, nationalen Eitelkeiten – der Verfasser verzichtete damals darauf, A. Kircher als „deutschen“ Begründer der Ägyptologie in die Diskussion einzuführen (vgl. Kap. 1.2.) – ist wohl die Erkenntnis, dass auch die Wissenschaft der Ägyptologie nicht durch den genialischen Einfall einer einzelnen Person geschaffen worden ist. Dafür spricht zusätzlich auch der Umstand, dass die Erkenntnisse Champollions zunächst nicht allgemein anerkannt worden sind, sich im Laufe der Zeit konkurrierende Systeme der Hieroglyphenentzifferung entwickelten und erst durch C. R. Lepsius (vgl. Kap. 1.4.) der Champollion’schen Methode langsam zum Durchbruch verholfen wurde. Dabei gilt es fernerhin zu berücksichtigen, dass die Entdeckung des Steins von Rosette im Jahr 1799 im Rahmen der Ägyptenexpedition Napoleon Bonapartes (1769–1821) von 1798 bis 1801 ganz sicher im Zeichen imperialer Konflikte zwischen Frankreich und England steht. Nach der Niederlage des von Napoleon zurückgelassenen Expeditionsheeres in Ägypten und dem Frieden von Amiens (1802) gelangte auch der Dreischriftenstein als Kriegsbeute an das British Museum. Doch die französische Gelehrtenwelt verfügte längst über genügend Abschriften und Kopien, und so konnte sich der damals führende Orientalist Sylvestre de Sacy (1758–1838) in Paris an einen ersten Versuch der Entzifferung wagen. Er publizierte seine Ergebnisse 1802 in dem Lettre au Citoyen Chaptal,132 die allerdings lediglich aus der Feststellung bestanden, in dem demotischen Text Entsprechungen für bekannte koptische Ausdrücke oder Eigennamen aus dem griechischen Text identifizieren zu können. Da er aber auch von der Annahme ausging, dass es sich bei dem Demotischen um eine reine Alphabetschrift handelte und er diese ägyptologischen Studien nur nebenbei betrieb, hatten seine Forschungen kaum nachhaltigen Effekt. Doch zu diesem Zeitpunkt kommt ein entscheidender Aspekt der Geschichte der Hieroglyphenentzifferung zum Tragen: Bei aller, unbestreitbar vorhandenen, nationalen Rivalität befanden sich die Gelehrten auch damals in ständigem Austausch. Seine führende Rolle auf dem Gebiet der orientalischen Studien hatte auch zahlreiche
132
A. I. S. DE SACY, Lettre au Citoyen Chaptal au sujet de l’inscription Égyptienne du monument trouvé à Rosette, Paris 1802.
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Kurzer Abriss der Geschichte der Ägyptologie im deutschsprachigen Raum
internationale Studenten zu de Sacy nach Paris angelockt, unter ihnen den schwedischen Diplomaten Johan David Åkerblad (1763–1819).133 Dieser griff die Thesen seines Lehrers auf und konnte sie tatsächlich auf die Texte des Steins anwenden: Er identifizierte die Worte für „Tempel“, „Grieche“ und „Liebe“ sowie die maskulinen und femininen Possessivsuffixe im demotischen Text. Seine Erkenntnisse veröffentlichte er in einem Brief an seinen Lehrer Lettre sur l’inscription égyptienne de Rosette134 noch im gleichen Jahr. Eine eher unrühmliche Rolle spielte der französische Gelehrte und Teilnehmer der Ägypten-Expedition Edmé François Jomard (1777–1862), der zwar einen Artikel über die hieroglyphischen Zahlzeichen publizierte, 135 aber auch die Bemühungen Champollions zur Veröffentlichung von dessen koptischer Grammatik und Wörterbuch zu hintertreiben versuchte. Dadurch wird auch deutlich, dass sich Konkurrenz in der Wissenschaft nicht nur zwischen Nationen, sondern eben auch zwischen einzelnen Gelehrten auswirkt. Ebenfalls angeregt durch de Sacy bemühte sich Étienne-Marc Quatremère de Quincy (1782– 1857) um die weitere Hieroglyphenentzifferung, 136 konnte aber keine wesentlichen Fortschritte erzielen. Der erwähnte britische Gelehrte Thomas Young veröffentlichte seine Erkenntnisse in der vierten Auflage der Encyclopedia Britannica anonym in dem Eintrag zu „Ägypten“. Er erkannte erstmals, dass es sich bei der demotischen Schrift um eine andere Form der hieroglyphischen handelte und das Demotische nicht nur phonetisch, sondern auch ideografisch aufzufassen ist. Aber auch im unmittelbaren Umfeld von Champollion gilt es einige weitere Namen zu nennen, die zumindest indirekt, durch ihre Unterstützung des jungen Gelehrten, die Entzifferung der Hieroglyphen befördert haben. Zu beachten ist hierbei, dass Champollion aufgrund seiner politischen Haltung unter den häufigen Wechseln von Regierungen und Staatsformen in Frankreich im Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert zu leiden hatte. So erklären sich manche Konflikte mit Kollegen denn auch als politische Auseinandersetzungen zwi-
133
Vgl. F. THOMASSON, The Life of J. D. Åkerblad: Egyptian Decipherment and Orientalism in Revolutionary Times, Leiden 2013. 134 J. D. ÅKERBLAD, Lettre sur l’inscription égyptienne de Rosette, adressée au citoyen Silvestre de Sacy, Paris 1802. 135 Vgl. E. F. JOMARD, Notices sur les lignes numériques des anciens Égyptiens, Paris 1819. 136 Vgl. E.-M. QUATREMÈRE DE QUINCY, Recherches critiques et historiques sur la langue et la littérature de l’Égypte, Paris 1808.
Die Etablierung der Ägyptologie – Carl Richard Lepsius und Heinrich Brugsch 33
schen – vereinfacht gesprochen – Vertretern des „konservativen“ und „liberalen“ politischen Lagers, wobei Champollion eindeutig dem letztgenannten zuzurechnen ist. Neben seinem älteren Bruder, dem klassischen Philologen und Sprachforscher Jacques-Joseph Champollion-Figeac (1778–1867), der später auch die von seinem Bruder nachgelassenen Manuskripte zur ägyptischen Grammatik veröffentlichte, ist hierbei vor allem der Mathematiker Jean Baptiste Fourier (1768–1830) zu erwähnen, der, als Teilnehmer der Napoleonischen Expedition, dem jungen Gelehrten Zugang zu seiner privaten Sammlung von Aegyptiaca verschaffte und auch seine akademische Laufbahn zu fördern suchte. Diese kam allerdings nur schleppend voran: Immerhin konnte er 1828/29 die französisch-toskanische Expedition, im Auftrag von König Karl X. (1757–1836; er regierte 1824–1830) von Frankreich und von Großherzog Leopold II. (1797– 1870; Regierungszeit: 1824–1849/59) der Toskana, gemeinsam mit Ippolito Rosellini (1800–1843, vgl. Kap. 1.4.) nach Ägypten führen. 1830 wurde für ihn im Nachgang zur Juli-Revolution der weltweit erste Lehrstuhl für Ägyptologie am Collège de France in Paris eingerichtet. Gesundheitlich angeschlagen, verstarb Champollion jedoch bereits zwei Jahre später. 1.4.
Die Etablierung der Ägyptologie – Carl Richard Lepsius und Heinrich Brugsch
Am Beginn der deutschsprachigen Ägyptologie gilt es zunächst die Brüder Wilhelm (1767–1835) und Alexander von Humboldt (1769–1859) zu nennen – den älteren, weil er sich selbst um die Entzifferung der Hieroglyphen bemüht137 und sowohl in der internationalen als auch in der preußisch-deutschen Wissenschaftslandschaft einen entscheidenden Einfluss ausgeübt hat; den jüngeren, weil er sich unmittelbar für die Etablierung der Ägyptologie in Preußen eingesetzt und sowohl die Karrieren von C. R. Lepsius als auch H. Brugsch erst ermöglicht hat. Im Zuge der preußischen Reformen, ausgelöst durch den Schock der Niederlage und anschließenden französischen Besatzung während der napoleonischen Kriege, wurde unter Wilhelms Anleitung die Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin geschaffen (1810), an der später auch der erste deutsche Lehrstuhl für
137
Vgl. M. MESSLING, Pariser Orientlektüren. Zu Wilhelm von Humboldts Theorie der Schrift, Paderborn 2008.
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Kurzer Abriss der Geschichte der Ägyptologie im deutschsprachigen Raum
Ägyptologie eingerichtet wurde. Zusammen mit dem Diplomaten Carl Josias von Bunsen (1791–1860)138 überzeugte Alexander von Humboldt den preußischen König Friedrich Wilhelm IV. (1795–1861; er regierte ab 1840) von der Notwendigkeit, sich auf dem noch jungen Gebiet der Ägyptologie zu engagieren. Auch wenn sich für Preußen mit diesem Engagement keinerlei imperiale Interessen im Orient verbanden, stand dahinter eine dezidiert politische Zielsetzung: Preußen sollte „Kulturmacht“ werden und darin dem französischen Vorbild entsprechen bzw. dieses noch übertreffen. Die Begeisterung des preußischen Königs für die klassische Antike weckte in ihm den Wunsch, Berlin in ein „Spree-Athen“ zu verwandeln. Der Orient spielte darüber hinaus vor allem im Zusammenhang seiner Bemühungen um die Einrichtung eines gemeinsamen Episkopats mit der anglikanischen Kirche in Jerusalem eine Rolle. 139 Auf der Suche nach einem geeigneten jungen Wissenschaftler, der Preußen auf dem Gebiet der Ägyptologie würde vertreten können, fiel die Wahl auf Carl Richard Lepsius (1810–1884).140 Dieser hatte sich 1833 auf den Gebieten der vergleichenden Sprachwissenschaft und Altertumskunde durch seine Dissertation über De tabulis Eugubinis141 empfohlen, sich hierzu auch schon in Italien aufgehalten und mit dem Land und seinen altertumswissenschaftlichen Institutionen, insbesondere am Instituto di corrispondenza archeologica142 in Rom, vertraut gemacht. Durch den frühen Tod Champollions (1832) der Möglichkeit eines direkten Austausches beraubt, setzte Lepsius sich mit dessen Arbeiten auseinander und fand in dem italienischen Gelehrten I. Rosellini (1800–1843), welcher die französisch-toskanische Expedition (vgl. Kap. 1.3.) gemeinsam mit Champollion geleitet hatte, einen kompetenten Ansprechpartner; an diesen adressierte er auch die Veröffentlichung seiner Erkenntnisse in dem Lettre a M. le Professeur H. Rosellini sur l’alphabet hieroglyphique 143 von 1837.
138
Vgl. U. KAPLONY-HECKEL, Bunsen – der erste deutsche Herold der Ägyptologie, in: E. Geldbach (Hrsg.), Der gelehrte Diplomat. Zum Wirken von Christian Carl Josias Bunsens, Leiden 1980, 64–83. 139 Vgl. M. LÜCKHOFF, Anglikaner und Protestanten im Heiligen Land. Das gemeinsame Bistum Jerusalem (1841–1886), Wiesbaden 1998. 140 Vgl. die kürzlich erschienene Biografie: H. MEHLITZ, Richard Lepsius. Ägypten und die Ordnung der Wissenschaft, Berlin 2011. 141 C. R. LEPSIUS, De tabulis Eugubinis, Berlin 1833. 142 Vgl. A. RIECHE (Hrsg.), 150 Jahre Deutsches Archäologisches Institut Rom, Essen 1979. 143 C. R. LEPSIUS, Lettre a M. le Professeur H. Rosellini sur l’alphabet hieroglyphique, Rom 1837; zuvor schon hatte er zu ägyptologischen Fragen publiziert: C. R. LEPSIUS, Zwei sprachvergleichende Abhandlungen: 1. Über die Anordnung und Verwandtschaft des Semitischen, Indischen, Äthiopischen, Alt-Persischen und Alt-Ägyptischen Alphabets; 2. Über
Die Etablierung der Ägyptologie – Carl Richard Lepsius und Heinrich Brugsch 35
Dadurch hatte sich der junge preußische Gelehrte für größere Aufgaben qualifiziert. Zwar war zuvor schon durch den Fürsten Heinrich Menu von Minutoli (1772–1846) eine preußische Expedition (1820/21) 144 nach Ägypten durchgeführt worden, von der berühmten Reise des Fürsten Heinrich von PücklerMuskau (1785–1871) in den Jahren 1837/38145 ganz zu schweigen. Die nun geplante Expedition hatte aber einen ganz anderen Maßstab und eine dezidiert andere Zielsetzung: War es bislang entweder um den Erwerb einiger repräsentativer Objekte für fürstliche Sammlungen oder um eine Landeskunde des zeitgenössischen Ägypten gegangen, so erweiterte die Preußische Ägyptenexpedition von 1842–1845 diese Ziele um eine systematische Erfassung des antiken Denkmälerbestandes und eine grundlegende Erforschung der Hinterlassenschaften des pharaonischen Ägypten im gesamten Niltal, einschließlich des Sudan. In jüngster Zeit haben in der umfangreichen Forschungsliteratur 146 auch weitere Expeditionsteilnehmer Aufmerksamkeit erfahren. Zu nennen sind: Der zweite Expeditionsleiter Heinrich Abeken (1809–1872),147 der Architekt Georg Erbkam (1811–1876)148 und die Maler Ernst (1818–1882) und Max Weidenbach (1823–1890).149 Dass Lepsius in jüngster Zeit für die Verbrin-
den Ursprung und die Verwandtschaft der Zahlwörter in der Indogermanischen, Semitischen und der Koptischen Sprache, Berlin 1836. 144 Vgl. M. D. MINKELS, Minutolis Ägypten-Expedition – der Grundstock des Ägyptischen Museums, in: Ders. (Hrsg.), Die Stifter des Neuen Museums: Friedrich Wilhelm IV. von Preussen und Elisabeth von Bayern, Norderstedt 2012, 111–136. 145 Diese Reise gewinnt besondere Bedeutung durch die umfassende Darstellung des Mehemed Ali-zeitlichen Ägypten: H. VON PÜCKLER-MUSKAU, Aus Mehemed Alis Reich. Ägypten und der Sudan um 1840, Stuttgart 1844. 146 Vgl. E. FREIER, ST. GRUNERT, Eine Reise durch Ägypten nach den Zeichnungen der Lepsius-Expedition in den Jahren 1842–1845, Berlin 1984; immer noch ein wesentliches Referenzwerk: E. FREIER, W. F. REINEKE (Hrsg.), Karl Richard Lepsius (1810–1884). Akten der Tagung anläßlich seines 100. Todestages, 10.–12.7.1984 in Halle, Berlin 1988; A. VON SPECHT (Hrsg.), Lepsius. Die deutsche Expedition an den Nil, Berlin 2006; anlässlich von Lepsius’ 200. Geburtstag erschienen: I. HAFEMANN (Hrsg.), Preussen in Ägypten, Ägypten in Preussen, Berlin 2010; V. LEPPER, I. HAFEMANN, Karl Richard Lepsius. Der Begründer der deutschen Ägyptologie, Berlin 2012; E. FREIER, F. NAETHER, S. WAGNER (Hrsg.), Von Naumburg bis zum Blauen Nil. Die Lepsius-Expedition nach Ägypten und Nubien, Naumburg 2012. 147 Vgl. W. FRISCHBIER, Heinrich Abeken (1809–1872). Eine Biographie, Paderborn 2008. 148 Vgl. E. FREIER, „Wer hier hundert Augen hätte …“. G. G. Erbkams Reisebriefe aus Ägypten und Nubien, Berlin 2013. 149 Dessen Tagebücher der Expedition sind erst kürzlich am South Australian Museum in Adelaide wiederentdeckt worden, an das sie 1944 gestiftet wurden; sie werden derzeit von Susanne Binder zur Publikation vorbereitet: http://www.samuseum.sa.gov.au/media/unlocked/mystery-of-ancient-egypt-diary-uncovered [22.12.2015].
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Kurzer Abriss der Geschichte der Ägyptologie im deutschsprachigen Raum
gung ägyptischer Denkmäler nach Europa als einer der „schlimmsten Übeltäter“ bezeichnet worden ist,150 ist sicher ungerecht. Tatsächlich wäre ihm allenfalls vorzuwerfen, dass er manchmal Dinge „liegengelassen“ hat.151 Die Entfernung altägyptischer Denkmäler aus Ägypten war damals üblich, anders als viele Zeitgenossen hatte sich die preußische Ägyptenexpedition hierzu allerdings zuvor die ausdrückliche Genehmigung der ägyptischen Regierung geben lassen. Auch dieser ist in bisherigen Darstellungen häufig Unrecht getan worden, stammte doch das erste Gesetz zum Schutz ägyptischer Antiken (1835)152 bereits aus der Regierungszeit des Khediven Mehemed-Ali (1769– 1849); dazu wurde bald darauf der Ägyptische Antikendienst zur Durchsetzung der Antikenschutzgesetzgebung gegründet. 153 Bei dieser Einschäzung gilt es zweierlei zu beachten: Zum einen haben westliche Zeitgenossen den vermeintlich unzureichenden Schutz des kulturellen Erbes durch die ägyptische(n) Regierung(en) als Vorwand benützt, ihre Einflussnahme zu rechtfertigen; zum anderen dient die Betonung der frühzeitigen gesetzlichen Schutzmaßnahmen in historischen Darstellungen heute gerade europäischen Museen zur Rechtfertigung bzw. der sammlungspolitischen Besitzstandswahrung. Der Wissenschaftshistoriker sollte sich dabei allerdings eines allzu einfachen oder vorschnellen Urteils enthalten. Die hier angeschnittene Materie ist viel zu komplex, und allzu schlichte Interpretationen sind häufig entweder Zeichen einer oberflächlichen Untersuchung oder einer interessengeleiteten Voreingenommenheit. Unbestreitbar ist aber, dass Lepsius mit einer reichen Ausbeute nach Berlin zurückkehrte: Die noch bis heute wissenschaftlich verwertbaren Pläne und Zeichnungen der Expedition wurden in dem 12-bändigen Denkmaeler-Werk154 veröffentlicht. Dessen Ausmaß sollte die im Nachgang zur französischen Ägypten150
Vgl. THOMPSON, A History of Egyptology, Bd. 1, 218: „most notorious […] offender“. So wurde die von ihm entdeckte Semna-Stele (ÄM 1157) zum leichteren Abtransport in zwei Hälften geteilt, von denen eine an den Ufern des Nil zurückgelassen wurde; vgl. ST. SEIDLMAYER, Pharao setzt die Grenzen. Textanalyse zwischen traditioneller Philologie und elektronischen Medien, Berlin 1999: http://aaew.bbaw.de/wbhome/begleitHeft [22.12.2015]. 152 Zu den Hintergründen: VOSS, Geschichte der Abteilung Kairo des DAI, Bd. 1, 10f. 153 Hierzu mit einer kritischen Einschätzung der Effektivität dieser Maßnahmen: E. COLLA, Conflicted Antiquities. Egyptology, Egyptomania, Egyptian Modernity, Durham 2007, 97– 120. 154 C. R. LEPSIUS, Denkmaeler aus Aegypten und Aethiopien. Nach den Zeichnungen der von Seiner Majestät dem Koenige von Preussen Friedrich Wilhelm IV nach diesen Ländern gesendeten und in den Jahren 1842–1845 ausgeführten wissenschaftlichen Expedition, Berlin 1849–1859: http://edoc3.bibliothek.uni-halle.de/lepsius/start.html [22.12.2015]. 151
Die Etablierung der Ägyptologie – Carl Richard Lepsius und Heinrich Brugsch 37
Expedition (1798–1801) veröffentlichte Description de l’Égypte155 übertreffen und damit den eingangs erwähnten „Kulturmacht“-Ambitionen genügen. Tatsächlich spöttelte ein französischer Ägyptologe später, die Benutzung der Denkmaeler setze die Hilfe eines preußischen Grenadiers voraus.156 Der britische Ägyptologe W. M. Flinders Petrie (1853–1942) konstruierte gar eine hölzerne Wippe,157 um die großformatigen Bände leichter handhaben zu können. Der entscheidende Vorteil, den die Denkmaeler aber der Description voraus hatten, entsprang der Tatsache, dass zum Zeitpunkt der Lepsius-Expedition ägyptische Hieroglyphen bereits gelesen werden konnten und die Kopisten beim Abschreiben der Texte nicht mehr ihrer Phantasie mitunter freien Lauf gelassen hatten. Ganz grundsätzlich führte Lepsius einen ersten Paradigmenwechsel in der Geschichte des Faches herbei und legte damit die Grundlagen für einen französisch-deutschen Wissenschaftsantagonismus,158 der die weitere Geschichte der Ägyptologie bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts hinein prägen sollte. Er bemühte sich dabei allerdings darum, die international immer noch ziemlich überschaubare Fachwelt „mitzunehmen“ bzw. von seinen Neuerungen zu überzeugen. Diese basierten im Wesentlichen auf den Prinzipien der im deutschsprachigen Raum in den klassischen Altertumswissenschaften entwickelten „philologisch-historischen Methode“. 159 Systematisch versuchte er Die Chronologie der Aegypter160 (1849) und zur Umschreibung nicht-europäischer Sprachen und Schriften ein Allgemeines linguistisches Alphabet161 (1855) zu etablieren. Die Textbände zu seinen Denkmaelern wurden allerdings erst nach seinem Tod herausgebracht. Dafür können zwei Gründe angeführt werden: zum einen Lepsius’ zahlreiche andere Verpflichtungen, die immer mehr Zeit in Anspruch nahmen, und zum anderen ein zunehmend beschränktes Innovationspo-
155 Description de l’Égypte ou recueil des observations et des recherches qui ont été faites en Égypte pendant l’expedition de l’Armée Française publié par les ordres de Sa Majesté l’empereur Napoléon le Grand, Paris 1809–1828. 156 Vgl. A. ERMAN, Mein Werden und mein Wirken. Erinnerungen eines alten Berliner Gelehrten, Leipzig 1929, 199. 157 Vgl. R. M. JANSSEN, Petrie’s Lepsius cradle, in: SAK 21, 1993, 131–139. 158 Vgl. MARCHAND, The end of Egyptomania, 125–133. 159 Vgl. U. MUHLACK, Von der philologischen zur historischen Methode, in: Ch. Meier, J. Rüsen (Hrsg.), Historische Methode, München 1988, 154–180. 160 Vgl. C. R. LEPSIUS, Die Chronologie der Aegypter. Kritik und Quellen, Berlin 1849. 161 Vgl. C. R. LEPSIUS, Das allgemeine linguistische Alphabet. Grundsätze der Übertragung fremder Schriftsysteme und bisher noch ungeschriebener Sprachen in europäische Buchstaben, Wiesbaden 1855.
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tential wie eine ausgeprägte Zurückhaltung bei der weitergehenden Interpretation ägyptischer Quellen. Lepsius erkannte sein größtes Verdienst darin, die Erkenntnisse Champollions aufgenommen und systematisiert zu haben. Mitte des 19. Jahrhunderts äußerte er zum Stand ägyptologischer Forschung: „Auch die ägyptische Wissenschaft hat seit ihrem Beginn daran gelitten, daß man viel mehr übersetzt und erklärt hat, als man verstand und verantworten konnte. […] Allerdings hat Champollion in den die Wissenschaft begründenden Schriften selbst, seine großen und zahlreichen Entdeckungen und Entzifferungen fast nur in der Form von fertigen Resultaten mitgetheilt, ohne den Weg und die Methode zu zeigen, die ihn dazu geführt hatten. […] Ich habe in meiner bereits 1837 erschienenen Schrift über das Hieroglyphische Alphabet zu zeigen versucht, wie ich eine solche Behandlung verstehen würde.“162 Andererseits warnte er vor einer vorschnellen Weiterentwicklung bzw. allzu weitreichenden Interpretationen der Quellen: „Der Grund dieser sparsamen Kommentare zu einzelnen Inschriften liegt darin, daß es bis jetzt eben noch nicht wohl möglich ist, längere Texte ohne große und wesentliche Lücken mit einiger Zuverlässigkeit zu erklären. […] Wer es dann nicht liebt, die zahlreichen und völlig dunklen Stellen aus seiner Phantasie zu ergänzen, […] enthält sich lieber fortlaufender Übersetzungen.“163 Die Ursache für diese Zurückhaltung mag, wie bereits angedeutet, auch Lepsius’ zunehmende Anhäufung von Ämtern und Verpflichtungen gewesen sein. Seit 1846 bekleidete er den ersten deutschen Lehrstuhl für Ägyptologie an der Berliner Universität. 1850 wurde er zum Ordentlichen Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften gewählt; 1866 unternahm er eine weitere Reise nach Ägypten; ab 1867 bekleidete er das Amt des Präsidenten des Archäologischen Instituts in Rom, bevor er 1873 zum Direktor der Königlichen Bibliothek in Berlin ernannt wurde. Unter diesen Umständen war von Lepsius kaum mehr eine Weiterentwicklung zu erwarten, und tatsächlich wird der Einfluss, den er auf die weitere Entwicklung der Disziplin in Deutschland gehabt hat, vielfach überschätzt (vgl. Kap. 1.5.). Damit soll keinesfalls sein eminentes Verdienst bei der Etablierung der Wissenschaft der Ägyptologie in Frage gestellt werden: Seine Selbsteinschätzung, die Erkenntnisse Champollions auf eine gesicherte methodische Basis gestellt und für alle weiteren Forschungen 162
C. R. LEPSIUS, Über eine Hieroglyphische Inschrift am Tempel von Edfu (Appollinopolis Magna) in welcher der Besitz dieses Tempels an Ländereien unter der Regierung Ptolemaeus XI Alexander I verzeichnet ist, Berlin 1855, 70. 163 Ebenda, 71.
Die Etablierung der Ägyptologie – Carl Richard Lepsius und Heinrich Brugsch 39
auf dem Gebiet in Deutschland die Grundlagen geschaffen zu haben, ist unzweifelhaft richtig. Leider hat sich Lepsius nach seiner Rückkehr nach Berlin aber auch in Konflikte mit Kollegen eingelassen, wobei sein Verhalten dabei nicht immer sachlich gerechtfertigt erscheint. Schon 1845 hatte er begonnen, mit dem damaligen Generaldirektor der Königlichen Museen zu Berlin, Ignatz von Olfers (1793–1871), über die Ausgestaltung der Ausstellung im neu einzurichtenden Ägyptischen Museum164 zu korrespondieren.165 Dabei wurde der
164 Die Geschichte des Ägyptischen Museums Berlin stellt nach wie vor ein bedauerliches Desiderat der Forschung dar. Einen konzisen Überblick bietet: ALTHOFF, Das Ägyptische Museum Berlin; als jüngste Darstellung, wenn auch nicht als eine umfassende Institutionengeschichte angelegt, in: GERTZEN, École de Berlin, 261–332. Darüber hinaus zu nennende Einzeldarstellungen: L. STERN, Die Aegyptische Sammlung, in: Festschrift zur Feier ihres fünfzigjährigen Bestehens am 3. August 1880. Zur Geschichte der Königlichen Museen in Berlin, Berlin (1880), 146–153; H. SCHÄFER, Sinn und Aufgaben des Berliner Ägyptischen Museums (Der Alte Orient 22.1/2), Leipzig 1920; R. ANTHES, Über das Ägyptische Museum zu Berlin während der Jahre 1939/1950, Wissenschaftliche Nachrichten, in: ZDMG 102.1, 1952, 1–4; J. S. KARIG, Das neue Ägyptische Museum in Charlottenburg, in: Jahrbuch Preußischer Kulturbesitz [= JBPK] 1, 1962, 227–236; J. SETTGAST, Der Charlottenburger Marstall für das Ägyptische Museum – erste Ausstellungen, in: JBPK 13, 1976, 123–132; J. S. KARIG, Geschichte des Ägyptischen Museums, in: Kunst der Welt in den Berliner Museen. Ägyptisches Museum Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz, Berlin 1980, 7–15; J. SETTGAST, Aegyptiaca im Kurfürstlich-Brandenburgischen Besitz. Ein Beitrag zur Vorgeschichte des Ägyptischen Museums Berlin, in: W. Knopp (Hrsg.), Einblicke – Einsichten – Aussichten, in: JBPK, Sonderband 1, 1983, 21–44; J. S. KARIG, Die Sammlung Minutoli für Berlin, in: HÄB 48, 2002, 47–51; D. WILDUNG (Hrsg.), Ägypten in Charlottenburg. 50 Jahre Museumsgeschichte, Berlin 2005; DERS., Ägyptisches Museum und Papyrussammlung, in: K.-D. Lehmann, G. Schauerte (Hrsg.), Kulturschätze – verlagert und vermisst. Eine Bestandsaufnahme der Stiftung Preußischer Kulturbesitz 60 Jahre nach Kriegsende, Berlin 2004, 17–19; DERS., Heimweh. Die Rückkehr des Ägyptischen Museums auf die Museumsinsel, in: JBPK 42, 2005, 193–202; E. BLAUERT (Hrsg.), Neues Museum. Architektur, Sammlung, Geschichte, Berlin 2009; E. HEINEKE, König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen und die Errichtung des Neuen Museums 1841–60 in Berlin, Halle a.d.S. 2011; GRABOWSKI/WINTER (Hrsg.), Zwischen Politik und Kunst, darin: KISCHKEWITZ, Die Jahre 1933–1945 im Ägyptischen Museum, 287–301, und FINNEISER, Auslagerungen des Ägyptischen Museums in Sophienhof, 303–316; J. HELMBOLD-DOYÉ, „Von Lepsius besorgt“ – geschätzt und verdammt. Gipsabgüsse in der Sammlung des Ägyptischen Museums Berlin, in: M. Fitzenreiter (Hrsg.), Authentizität – Artefakt und Versprechen in der Archäologie (IBAES 15), Berlin 2014, 73–98: http://www2.hu-berlin.de/nilus/net-publications/ibaes15/beitraege.html [22.12.2015]. 165 Vgl. W. MÜLLER, Lepsius und das Neue Museum, in: Forschungen und Berichte 24, Archäologische Beiträge, 1984, 6–10; G. MESSLING, Historismus als Rekonstruktion. Die Ägyptische Abteilung im Neuen Museum, in: A. Joachimides et al. (Hrsg.), Museumsinszenierungen. Zur Geschichte der Institution des Kunstmuseums. Die Berliner Museumslandschaft 1830–1990, Dresden 1995, 51–66; DERS., Die Ägyptische Abteilung im Neuen Museum zu Berlin. Vorgeschichte, Konzeption und Umsetzung, in: Jahrbuch der Berliner Museen 39, 1997, 71–98.
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amtierende Direktor, Guiseppe Passalacqua (1797–1865),166 von Anfang an übergangen, was die weitere Zusammenarbeit – so überhaupt davon die Rede sein konnte – natürlich schwer belastet hat. In diesen Konflikt wurde ein herausragend begabter junger Mann hineingezogen, der, von Passalacqua gefördert, von Lepsius jedoch am Weiterkommen gezielt behindert und in seiner Bedeutung für die Ägyptologie in Deutschland bislang eher unterschätzt worden ist. Heinrich Brugsch (1827–1894)167 ist in vielerlei Hinsicht eine Ausnahmeerscheinung in der Geschichte der frühen deutschen Ägyptologie: Er entstammte nicht dem Bildungsbürgertum und wurde katholisch getauft – im damaligen akademischen Betrieb in Preußen zwei nicht zu unterschätzende Nachteile. Dennoch gelang es ihm bereits im Alter von 16 Jahren eine Grammatik des Demotischen zu verfassen. Sein Freund und Förderer Passalacqua, der in der ägyptischen Sammlung auf den Jugendlichen aufmerksam geworden war, empfahl ihn daraufhin für ein königliches Stipendium zum Ankauf einer Fachbibliothek. Die Regierung bestellte den einzig verfügbaren Gutachter – Lepsius – , der den jungen Brugsch daraufhin examinierte. Das Ergebnis der Prüfung war vernichtend. Man darf davon ausgehen, dass Lepsius auf diesem Wege vor allem Passalacqua schaden wollte oder aber in dem jungen Brugsch einen gefährlichen Konkurrenten erkannt hat. Erst durch die Intervention A. von Humboldts wurde Brugsch ein Studium der Ägyptologie ermöglicht. Als dieser jedoch eine Lehrveranstaltung von Lepsius besuchen wollte, weigerte sich dieser, mit dem Unterricht anzufangen, solange Brugsch sich im Raum aufhielt – ein so unerhörter Vorgang, dass dieser sogar in der offiziellen Universitätsgeschichte verzeichnet worden ist.168 Später berichtete Brugsch, Lepsius habe dafür gesorgt, dass Brugschs Name von einer Liste zukünftiger Mitdirektoren für das Ägyptische Museum „versehentlich“ gestrichen wurde. 166
Vgl. H. KISCHKEWITZ, Ausgrabungen statt Pferdezucht. Joseph Passalacqua – erster Direktor des Ägyptischen Museums, in: http://www.luise-berlin.de/bms/bmstxt96/9601proc.htm [22.12.2015] © Edition Luisenstadt 1997, 20–27. 167 Leider fehlt bislang eine wissenschaftliche Biografie; grundlegende Informationen sind der Autobiografie: H. BRUGSCH, Mein Leben und mein Wandern, Berlin 21894, zu entnehmen. Jüngste wissenschaftsgeschichtliche Arbeiten zu Brugsch: H. C. SCHMIDT, Am Anfang war Ägypten, in: H. H. Hillrichs (Hrsg.), Troja ist überall. Der Siegeszug der Archäologie, Frankfurt a.M. 2007, 69–135; T. GERTZEN, „Brennpunkt“ ZÄS. Die redaktionelle Korrespondenz ihres Gründers Heinrich Brugsch und die Bedeutung von Fachzeitschriften für die Genese der Ägyptologie in Deutschland, in: Bickel et al. (Hrsg.), Ägyptologen und Ägyptologien, 63–112. 168 Vgl. M. LENZ, Geschichte der Königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, Bd. 2.2, Berlin 1918, 298.
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Brugsch wandte sich daraufhin dem frankophonen akademischen Betrieb zu, wohin auch A. von Humboldt gute Kontakte unterhielt. Seine Freundschaft mit dem französischen Ägyptologen Auguste Mariette (1821–1881)169 (vgl. Kap. 1.6.1) erwies sich als überaus fruchtbar für die Ägyptologie und eröffnete dem deutschen Gelehrten einen Zugang zu der von den Franzosen dominierten ägyptischen Altertümerverwaltung. Nur einmal wurde das Verhältnis der beiden Gelehrten getrübt, als Brugsch 1871 den Auftrag des Khediven Ismail Pascha (1867–1879) annahm, eine Madrasat al-Lisan al-Qadim (arab. = Schule der alten Sprachen) zu leiten, in welcher einheimische Ägyptologen ausgebildet werden sollten.170 Auch andere Potentaten bemühten sich um den begabten deutschen Gelehrten, und so kam es, dass bereits zuvor Napoleon III. (1808– 1873; er regierte 1852–1870) Brugsch eine Professur am Collège de France angeboten hatte, allerdings nur unter der Bedingung der Annahme der französischen Staatsbürgerschaft. Erst diese Entwicklung zwang die preußischen Behörden und mit ihnen Lepsius – nicht zuletzt auch unter Einflussnahme A. von Humboldts – dazu, Brugsch eine Professur in Deutschland zu verschaffen. 1867 wurde deshalb eine Professur in Göttingen für ihn eingerichtet.171 Ermöglicht wurde dies durch den Umstand, dass das Königreich Hannover kurz zuvor durch Preußen annektiert worden war, was allerdings auch dazu führte, dass Brugsch in Göttingen wie ein Vertreter der Besatzungsmacht behandelt und entsprechend unfreundlich empfangen wurde. Doch obwohl er schon bald darauf in den Dienst des ägyptischen Khediven treten sollte, leistete er zuvor in Göttingen den wohl entscheidenden Beitrag zur weiteren Entwicklung der deutschsprachigen Ägyptologie, die Publikation des Hieroglyphisch-demotischen Wörterbuchs.172 Der Epoche machende Charakter dieser Publikation wurde erstmals von A. Erman erkannt, der in seiner Autobiografie dazu bemerkte:
169
Vgl. E. DAVID, Mariette Pascha (1821–1881), Paris 1994; zu der herausragenden Bedeutung Mariettes s.a. THOMPSON, A History of Egyptology, Bd. 1, 223–237 und 267–282. 170 Vgl. REID, Whose Pharaohs?, 116f. 171 Vgl. H. BEHLMER, J. HORN, G. MOERS, Das Fach Ägyptologie in Göttingen, Homepage des Seminars für Ägyptologie und Koptologie der Universität Göttingen: http://www.unigoettingen.de/de/471237.html [22.12.2015]. 172 H. BRUGSCH, Hieroglyphisch-Demotisches Wörterbuch, 7 Bde., Leipzig 1867–1882.
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„Als er [Brugsch] 1867 und in den folgenden Jahren sein Wörterbuch veröffentlichte, bedeutete das wirklich einen Abschluß aller bisherigen Arbeit, es war zugleich das Zeichen, daß eine neue Periode der Wissenschaft begann.“173 Brugsch selbst dürfte das ähnlich gesehen haben: 1891 veröffentlichte er als erster deutscher Ägyptologe einen wissenschaftsgeschichtlichen Abriss über die bis dahin geleistete Forschung unter dem Titel Die Aegyptologie174 und bezeichnete sich selbst darin als einen Vertreter der ersten Ägyptologengeneration, die ab der zweiten Hälfte der 1860er Jahre von jüngeren Kollegen abgelöst worden sei. 1.5.
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Bei der von H. Brugsch (vgl. Kap. 1.4.) so benannten „zweiten Generation“ von Gelehrten, die die Ägyptologie an deutschen Universitäten vertraten, handelte es sich um Georg Ebers (1837–1898), ab 1869 in Jena175 und danach ab 1870 in Leipzig;176 um August Eisenlohr (1832–1902), der ab 1872 in Heidelberg lehrte;177und um Johannes Dümichen (1833–1894),178 der das Fach ab 1872 in Straßburg vertrat.179 Der Umstand, dass Brugsch Dümichen und Ebers als „Schüler von Lepsius und Brugsch“180 bezeichnete, ist grundsätzlich zu problematisieren: Zwar ist das Konzept eines „Lehrer-Schüler-Verhältnisses“ in Untersuchungen zur Geschichte der Ägyptologie angewendet worden und wohl auch grundsätzlich nachvollziehbar. 181 Eine Definition oder ein Maßstab
173
ERMAN, Mein Werden und mein Wirken, 254; s.a. W. SCHENKEL, Erkundungen zur Reihenfolge der Zeichen im ägyptologischen Transkriptionsalphabet, in: CdÉ 125, 1987, 5–35. 174 BRUGSCH, Die Aegyptologie. 175 Vgl. G. POETHKE, Georg Ebers und Jena, in: ZÄS 107, 1980, 71–76. 176 Vgl. E. BLUMENTHAL, Ägyptologie in Leipzig bis zum Zweiten Weltkrieg, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Karl-Marx-Universität Leipzig, Gesellschafts- und Sprachwissenschaftliche Reihe 28, 1979, 119–129; DIES., Altes Ägypten in Leipzig. Zur Geschichte des Ägypischen Museums und des Ägyptologischen Instituts an der Universität Leipzig, Leipzig 1981. 177 Vgl. R. GRIESHAMMER, 75 Jahre Ägyptologie in Heidelberg, in: J. Assmann, G. Burkhard, V. Davies (Hrsg.), Problems and Priorities in Egyptian Archaeology, London 1987, 11–29. 178 Vgl. G. EBERS, Aegyptische Studien und Verwandtes, Stuttgart 1900, 471–488. 179 Vgl. W. SPIEGELBERG, Die orientalischen Studien an der Deutschen Universität Straßburg, in: Elsaß-Lothringen, Sonderheft der Zeitschrift Deutsches Vaterland, 1922, 47–49; F. COLIN, Comment la création d’une ‚bibliothèque de papyrus‘ à Strasbourg compensa la perte des manuscrits précieux brûlés dans le siège de 1870, in: La revue de la BNU 2, 2010, 24– 47. 180 BRUGSCH, Die Aegyptologie, 140f. 181 Vgl. GERTZEN, École de Berlin.
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für den Grad der Beeinflussung der akademischen „Schüler“ durch den „Lehrer“, der es erlaubt, vom Bestehen eines entsprechenden Abhängigkeitsverhältnisses zu sprechen, fehlt jedoch. Tatsächlich ist Lepsius eine intensive Betreuung von Studenten bei seiner enormen Ämterfülle (vgl. Kap. 1.4.) wohl schwer gefallen, und Brugsch hat nicht einmal zwei Jahre an einer deutschen Universität unterrichtet. Da zu diesem frühen Zeitpunkt der Fachgeschichte auch noch grundlegende Einführungswerke fehlten, erscheint zwar die Verwendung von Begriffen wie „Generation“ oder „Schüler“ durchaus angemessen; man muss sich aber immer bewusst sein, dass es sich dabei um Sammelbezeichnungen für sehr kleine und auch heterogene Gruppen handelt, die noch nicht in sozialen Formationen, wie einer akademischen „Schule“, zusammengefasst werden können. Dennoch hat nicht nur Brugsch, sondern auch Adolf Erman (1854– 1937) diese Gruppe von Gelehrten unter einem Oberbegriff zusammengefasst. Bei letztgenanntem zeichnet sich diese Gruppe aber gerade durch das Fehlen einer einheitlichen Methodik aus. Nachdem er 1885 den Lehrstuhl seines Doktorvaters Lepsius und auch das Direktorat des Ägyptischen Museums übernommen hatte, lancierte er einen Zeitungsartikel in der Vossischen Zeitung, in dem er sich über den Stand ägyptologischer Forschung in Deutschland eindeutig aussprach: „Wie Richard Lepsius der Ruhm gebührt, die durch Champollion und Young genial ins Werk gesetzte Hieroglyphenentzifferung aus den Händen der Phantasten gerettet und zu Ende geführt […] zu haben, so hat Adolf Erman das eminente Verdienst, […] zuerst eine ägyptische Sprachwissenschaft […] begründet und dadurch dem Dilettantismus […] energischen Widerstand entgegengesetzt zu haben. Wie Lepsius der Meister der Altägyptologie, so kann sein Nachfolger Erman der Führer der Jungägyptologie genannt werden.“182 In dieser verkürzten Darstellung der Fachgeschichte schreitet die Entwicklung der Ägyptologie von Champollion über Lepsius zu Erman voran. Die übrigen Gelehrten können unter dem Begriff der „Altägyptologie“ zusammengefasst und – wohl zumindest implizit – abgeschrieben werden. Kein Wunder, wenn sich Brugsch in seiner Darstellung der Fachgeschichte darüber ereiferte: „Es heisst sicherlich den Mund voll nehmen und eigenes Verdienst auf Kosten anderer in den Vordergrund stellen, wenn man selbst in öffentlichen Blättern die Menge darüber belehren will, dass bisher nur die ‚Phantasie‘ und der ‚Di-
182
ANONYMUS, in: Berliner Vossische Zeitung, 24.1.1885, Beilage 1.
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lettantismus‘ auf diesem Gebiete geherrscht habe, bis endlich die ‚Jungägyptologie‘ das Heft in die Hände genommen und die Forschungen der Aegyptologie vor der drohenden Versumpfung gerettet habe.“183 Erman jedoch beharrte auf seiner Auffassung und machte anlässlich seiner Wahl zum ordentlichen Akademiemitglied (1895) deutlich, worin er den Unterschied zwischen sich (mit Lepsius) und den älteren Kollegen erkannte: „Wenn ich dann weiter der Gefahr entgangen bin, mich von dem Zauber des Orients und des grauen Altertums berauschen zu lassen, wenn mir das Alte Ägypten nie in rosiger Verklärung erschienen ist, so habe ich das von Richard Lepsius gelernt, der auch jenes Volk immer mit ruhiger Objektivität beurteilt hat: […] Ich weiss, daß diese Betrachtungsweise noch nicht die allgemeine ist und daß überhaupt mancher älterer Fachgenosse klagt, wir jüngeren seien auf dem Wege, der Ägyptologie ihren Reiz zu nehmen: Aus der heiteren, an überraschenden Entdeckungen reichen Wissenschaft machten wir eine trockene Philologie mit unbequemen Lautgesetzen und bösen syntaktischen Regeln.“184 Solche Äußerungen sind zunächst quellenkritisch vor dem Hintergrund eines hoch kompetitiven akademischen Betriebs zu werten, innerhalb dessen der noch junge Erman die Übernahme der Ämter seines Lehrers gegen die Ansprüche und sicher auch den Neid seiner älteren Kollegen behaupten musste. Weiterhin spricht daraus auch Ermans Persönlichkeit, die nach dem Urteil zahlreicher Zeitgenossen durch ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein und Geltungsbedürfnis gekennzeichnet war. Es ist also die Aufgabe des Wissenschaftshistorikers, die Selbst-Darstellung kritisch zu prüfen, vor dem jeweiligen zeitgenössischen Kontext und den Umständen ihrer Entstehung einzuordnen und schließlich, durch Korrelation mit weiteren Quellen, eine möglichst sachliche und objektive Einschätzung der tatsächlichen Ereignisse und Entwicklungen vorzunehmen. Im konkreten Fall lässt die erste Hälfte des oben angeführten Zitats Anklänge an das von H. Kees so benannte „Romantische Zeitalter“ (vgl. Kap. 0.5.) erkennen. Tatsächlich hat Erman den älteren Kollegen, insbesondere G. Ebers, falsche Prioritäten bei der Auseinandersetzung mit ihrem Forschungsgegenstand vorgeworfen:
183
BRUGSCH, Die Aegyptologie, 146. Zitiert nach: H. GRAPOW, Worte des Gedenkens an Adolf Erman anlässlich seines hundertsten Geburtstages am 31. Oktober 1954, in: Sitzungsberichte der Preussischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Berlin 1955, 16. 184
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„Daß Ebers und andere ältere Ägyptologen an dem Buche185 keine reine Freude haben konnten, war ja begreiflich, denn unwillkürlich war es ja auch ein Protest gegen die modische Ägyptenschwärmerei. Schon daß ich von dem Landschaftsbilde des heutigen Ägypten nicht eine so hohe Vorstellung hatte wie jene, war eine arge Ketzerei.“186 Eine so kritische Darstellung muss natürlich ihrerseits kritisch betrachtet werden, abgesehen davon, dass sie Jahrzehnte nach dem Tod von Ebers und dem Erscheinen der erwähnten Arbeit veröffentlicht worden ist. Die treffendste Einschätzung von Ermans Erinnerungen hat ELKE BLUMENTHAL gegeben: „Ermans abwertendes Urteil über den Forscher Ebers ist zu revidieren, weil es zu sehr von seinem eigenen positivistischen Ansatz und der Forderung der soeben entdeckten historisch-kritischen Methode ausgeht, die kein Verständnis für die mehr romantische oder historistische Vätergeneration zuließen.“187 Der entscheidende Punkt lautet also: Ermans Einschätzung ist ahistorisch, weil sie die eigenen Maßstäbe absolut setzt und für „zeitlos“ erachtet; sie berücksichtigt nicht, dass für vorangegangene Ägyptologengenerationen andere Prioritäten bestanden. Welche aber waren die Prioritäten von Ebers und seinen zeitgenössischen Kollegen? Welchen erneuten Paradigmenwechsel hat A. Erman herbeigeführt? Tatsächlich sah sich vor allem G. Ebers noch mit dem Problem konfrontiert, dass er bei seinem Wechsel nach Leipzig dem alternativen Entzifferungsparadigma von Gustav Seyffarth (1796–1885)188 und dessen Schüler Max Uhlemann (1829–1862)189 entgegentreten musste. Die Ägyptologie war eben noch längst keine fest etablierte Wissenschaft und beispielsweise nach seinem Weggang aus Jena an dieser Universität auch nicht wieder vertreten. Ebers’ größtes
185
A. ERMAN, Aegypten und Aegyptisches Leben im Altertum, Tübingen 1885. ERMAN, Mein Werden und mein Wirken, 276. 187 E. BLUMENTHAL, Berliner und Leipziger Ägyptologie, in: E. Endesfelder (Hrsg.), Von Berlin nach Meroe. Erinnerungen an den Ägyptologen Fritz Hintze (1915–1993), Berlin 2003, 16f. 188 Vgl. K. KNORTZ, Gustav Seyffarth. Eine biographische Skizze, New York 1886; G. EBERS, Gustav Seyffarth. Sein Leben und der Versuch einer gerechten Würdigung seiner Thätigkeit auf dem Gebiete der Aegyptologie, in: ZDMG 41, 1887, 193–231; W. WOLZE, Der falsche Weg zu den Hieroglyphen: Gustav Seyffarth – einer der ersten deutschen Ägyptologen, in: Antike Welt 3, 2011, 57–61. 189 Vgl. H. BEHLMER, Paul de Lagarde und die „Aegyptische Alterthumskunde und Koptische Sprache“ in Göttingen, in: G. Moers et al. (Hrsg.), jn.t Dr.w Festschrift für Friedrich Junge, Bd. 1, Göttingen 2006, 92. 186
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Verdienst ist wohl auf dem Gebiet der Wissenschaftspopularisierung190 zu erkennen, worin er sich durch seine Ägyptenromane191 und zahllosen Artikel in Zeitungen und Zeitschriften große Verdienste erworben hat. Seine Popularität und Vernetzung mit einflussreichen Persönlichkeiten nutzte Ebers auch dazu, in öffentlichen Kampagnen gegen die Errichtung eines Staudamms bei Assuan192 einzutreten. Dabei wurde er allerdings von seinem Schüler Erman „gelenkt“, der Ebers’ Möglichkeiten in diesem Bereich sehr wohl zu schätzen wusste, selbst aber lieber im Hintergrund blieb. Für Erman ging es vor allem darum, die Ägyptologie auf eine gesicherte und allgemein anerkannte methodische Basis zu stellen. Öffentlichkeitsarbeit war ihm dabei gewiss wichtig, sein Hauptaugenmerk war jedoch auf den akademischen Betrieb gerichtet. Die von ihm begründete Berliner Schule der Ägyptologie ist daher womöglich am besten ex negativo zu definieren, bzw. die Bezeichnung École de Berlin war ursprünglich auch eine Polemik gegen die von ihr vertretenen Neuerungen im Fach. Geprägt wurde diese höchstwahrscheinlich von dem Schweizer Ägyptologen und Lepsius-Schüler Henri Edouard Naville (1844–1926);193 so erinnerte sich Erman in seiner Autobiografie: „Damals rechnete er sich noch zu den deutschen Ägyptologen, und seine Ausgabe des Totenbuches194 wurde von dem preußischen Kultusministerium unterstützt. Aber diese Neigung zu Deutschland hatte ein Ende, als er nicht Lepsius’ Nachfolger wurde; von da an hielt er sich zu den Engländern und Franzosen und hatte einen kindlichen Haß gegen die école de Berlin.“195 Und weiter hieß es: „[D]ie école de Berlin, wie er uns auch sonst zu nennen liebte, verstände gar nichts, und ihre Grammatik sei eitel Unsinn.“196
190 Vgl. H. FISCHER, Der Ägyptologe Georg Ebers. Eine Fallstudie zum Problem Wissenschaft und Öffentlichkeit im 19. Jahrhundert (ÄUAT 25), Wiesbaden 1994; S. MARCHAND, Popularizing the Orient, in: Intellectual History Review 17.2, 2007, 175–202. 191 Allerdings wurde das so mitbegründete Genre des „Professorenromans“ auch durchaus kritisch gesehen; vgl. F. MAUTHNER, Nach berühmten Mustern: Blaubeeren Isis. Eine Erzählung aus dem Alten Ägypten, Stuttgart 1878: Projekt Gutenberg, http://gutenberg.spiegel.de/buch/nach-beruhmten-mustern-3985/4 [26.12.2015]. 192 Vgl. GERTZEN, École de Berlin, 91f. 193 Vgl. J. DE SENARCLENS, Drapiers, Magistrats, Savants. La Famille Naville, 500 ans d’histoire Genevoise, Genf 2006, 220–227. 194 H. E. NAVILLE, Das ägyptische Totenbuch der XVIII. bis XX. Dynastie, 2 Bde., Berlin 1886. 195 ERMAN, Mein Werden und mein Wirken, 170. 196 Ebenda, 246.
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Die von Erman hier unterstellte persönliche Motivation Navilles ist inzwischen widerlegt worden.197 Was in diesen Aussagen aber bereits anklingt, ist die Tatsache, dass der Konflikt zwischen den Vertretern der Berliner Schule und den älteren Vertretern der Disziplin sich auf dem Gebiet der ägyptologischen Sprachforschung entspannte: Für ihre Gegner stellte die ägyptische Sprache ein zu frühes Entwicklungsstadium menschlicher Sprachgeschichte dar, um mit den Kategorien einer der klassischen Philologie entlehnten Grammatikforschung erfasst werden zu können. Unterschiede in Grammatik und Struktur der Texte führten sie auf lokale bzw. dialektale Unterschiede zurück. Eine Unterscheidung in unterschiedliche Sprachstufen (Alt-, Mittel- und Neuägyptisch)198 lehnten sie ab. Weiterhin bestritten sie eine Verwandtschaft des Ägyptischen mit den semitischen Sprachen.199 Zu guter Letzt war es für sie nicht akzeptabel, dass durch die Berliner Kollegen die Standards grammatischer und lexikografischer Forschung bestimmt wurden. 200 Bereits sehr früh in seiner akademischen Laufbahn hatte Erman damit begonnen, die herrschende Lehrmeinung in Frage zu stellen, und sich dabei auch mit namhaften Vertretern des französischen Wissenschaftsbetriebes angelegt. Dabei lag es in seinem Wesen, von vornherein einen konfrontativen Kurs zu fahren. Bereits während des Studiums postulierte er die Existenz eines Duals im Ägyptischen,201 was den vehementen Widerspruch seines Kollegen Gaston Maspero (1846–1916)202 hervorrief. Erman widersprach seinerseits in seiner Dissertation203 („und lateinisch klingt so etwas ja besonders schön“),204 wozu allerdings die spätere Bemerkung Masperos anzuführen ist: „Il est beaucoup plus aimable en réalité que sa thèse latine ne me permettait de le supposer.“205 197
Vgl. GERTZEN, École de Berlin, 135. Hierzu hatte Ermans Habilitationsschrift den Weg geebnet; vgl. A. ERMAN, Neuägyptische Grammatik, Berlin 1880; zu den Entstehungshintergründen: GERTZEN, École de Berlin, 119–123. 199 Vgl. H. E. NAVILLE, L’évolution de la langue égyptienne et des langues sémitiques, Paris 1920; GERTZEN, École de Berlin, 358 und 360f. 200 Vgl. H. G. BARTEL, Der Beitrag Berlins zur Herausbildung der Ägyptologie als Wissenschaft, in: Dahlemer Archivgespräche 7, 2001, 125–166; SCHENKEL, Bruch und Aufbruch, 224–247; GERTZEN, École de Berlin, 382–394. 201 A. ERMAN, Der Dualis und die Nisbe, in: ZÄS 19, 1881, 41. 202 Vgl. E. DAVID, Gaston Maspero 1846–1916. Le gentleman égyptologue, Paris 1999; DERS. (Hrsg.), Lettres d’Égypte. Correspondance avec Louise Maspero (1883–1914), Paris 2003. 203 A. ERMAN, De forma pluralis in lingua Aegyptiaca, Berlin 1878. 204 ERMAN, Mein Werden und mein Wirken, 258. 205 SBB-PK, NL Georg Ebers: Maspero, Gaston, 30.11.1885, zitiert nach GERTZEN, École de Berlin, 109. 198
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1889 „oktroierte“206 Erman, in seiner Rolle als Herausgeber der Zeitschrift für Ägyptische Sprache und Altertumskunde,207 ein allgemein verbindliches Transkriptionsalphabet.208 Im gleichen Jahr publizierte er die erste den neuen Erkenntnissen der Berliner Schule entsprechende Grammatik des Ägyptischen in seiner Arbeit zur Sprache des Papyrus Westcar.209 Auch damit konnte er seine französischen Kollegen nicht überzeugen; von Maspero wird die Anekdote überliefert, dass er die Anfrage eines deutschen Kollegen zu einer grammatischen Form in den Pyramidentexten wie folgt kommentiert habe: „Wissen Sie, warum das t fehlt? Mon cher, deshalb, weil der alte Ägypter la grammaire de Monsieur Erman noch nicht kannte.“210 1897 gelang es Erman, das bedeutendste Projekt seiner Laufbahn in Angriff zu nehmen, das wohl unbestreitbar einen der herausragendsten Entwicklungsschritte in der Geschichte der Ägyptologie überhaupt darstellt: das Woerterbuch der Ägyptischen Sprache.211 Bis heute existiert weltweit kein vergleichbares Referenzwerk für die ägyptische Lexikographie. 212 Durch die Verwendung der Reihenfolge und des Zeichenbestandes des schon von H. Brugsch benutzten Transkriptionsalphabets wurde dieses im Fach lange Zeit verbindlich.
206
Vgl. SCHENKEL, Erkundungen zur Reihenfolge, 29. Vgl. GERTZEN, „Brennpunkt“ ZÄS, 75–80. 208 A. ERMAN, Zur Umschreibung der Hieroglyphen, in: ZÄS 27, 1889, 1–4; vgl. G. STEINDORFF, Das altägyptische Alphabet und seine Umschreibung, in: ZDMG 46, 1892, 709–730; GERTZEN, École de Berlin, 248–258. 209 Vgl. A. ERMAN, Die Sprache des Papyrus Westcar. Eine Vorarbeit zur Grammatik der älteren aegyptischen Sprache, Göttingen 1889. 210 H. GRAPOW, Meine Begegnung mit einigen Ägyptologen, Berlin 1973, 12. 211 Vgl. H. GRAPOW, Wie ein Wörterbuch entsteht, in: Wiss. Annalen 1, 1952, 28–34; A. ERMAN, H. GRAPOW, Das Wörterbuch der ägyptischen Sprache. Zur Geschichte eines großen wissenschaftlichen Unternehmens der Akademie, Berlin 1953; R. BORGER, Altorientalische Lexikographie. Geschichte und Probleme, Göttingen 1984; W. F. REINEKE, Das Wörterbuch der ägyptischen Sprache. Zur Geschichte eines großen wissenschaftlichen Unternehmens der Berliner Akademie zwischen 1945 und 1992, in: S. Grunert, I. Hafemann (Hrsg.), Textcorpus und Wörterbuch. Aspekte zur ägyptischen Lexikographie (PdÄ 14), Leiden 1999, xi– xiv; W. SCHENKEL, Wörterbuch vs. Textcorpus. Wie und ob man überhaupt ein Wörterbuch machen kann, in: ZÄS 121, 1994, 154–159; ST. SEIDLMAYER, Das Ägyptische Wörterbuch an der Berliner Akademie. Entstehung und Konzept, in: Schipper (Hrsg.), Adolf Erman (1854–1937) in seiner Zeit, 169–192; I. HAFEMANN, Lexikon und Argumentstruktur, in: LingAeg 14, 2006, 349–374; GERTZEN, École de Berlin, 194–260. 212 Die Arbeit am Wörterbuch wird im Rahmen des Akademienvorhabens „Strukturen und Transformationen des Wortschatzes der ägyptischen Sprache: Text- und Wissenskultur im Alten Ägypten“ an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig weiter fortgesetzt; vgl. die Homepage der BBAW: http://www.bbaw.de/forschung/aew/uebersicht [27.12.2015]. 207
„École de Berlin“ oder das deutsch-französische Verhältnis
49
Die Ägyptologie in Deutschland erhielt auf diese Weise ein Alleinstellungsmerkmal, welches ihr auf lange Sicht die disziplinäre Unabhängigkeit von anderen orientalistischen Disziplinen sicherte. Damit entschied sich Erman bewusst gegen das ursprünglich als Vorlage für ein ägyptisches Wörterbuch angesehene und von seinem Kollegen Ludwig Stern (1846–1911)213 erstellte Glossar zum Papyrus von Ebers und auch gegen das von seinem Lehrer Lepsius entwickelte „Allgemeine Linguistische Alphabet“. Durch die Anbindung an den „Großbetrieb der Wissenschaft“214 der deutschen Wissenschaftsakademien215 sicherte Erman seinem Fach eine auf Dauer angelegte staatliche Forschungsförderung, die allerdings auch ein wechselseitiges Abhängigkeitsverhältnis zwischen ägyptologischer Forschung und nationalem Prestige beförderte, ein Konzept, welches er von seinem Lehrer Ebers übernommen hatte,216 der ihn in ihrer Korrespondenz auch in dieser „nationalen“217 Ausrichtung ägyptologischer Forschung bestärkte: „Wie viel Engländer und Franzosen auch ausgraben, wie viel schlechte Publicationen das [Französische] Institut in Kairo auch herausgibt, – wir bleiben doch an der Spitze der Aegyptologie, solange wir die Methode – jetzt von Ihnen und Berlin aus – beherrschen. Zudem waren bisher die größten aegyptologischen Werke Deutsch, und das allergrößte, das alles andere beherrschen und
213
Vgl. GERTZEN, École de Berlin, 286–296; B. MAGEN, Ludwig Stern. Ein Ägyptologe zwischen Keltologie und Bibliothek, in: Bickel et al. (Hrsg.), Ägyptologen und Ägyptologien, 155–170. 214 Vgl. A. HARNACK, Vom Großbetrieb der Wissenschaft, in: Preußische Jahrbücher 119, 1905, 195. 215 Zum Hintergrund: ST. REBENICH, Die Altertumswissenschaften und die Kirchenväterkommission an der Akademie. Theodor Mommsen und Adolf Harnack, in: J. Kocka (Hrsg.), Die Königlich Preußische Akademie der Wissenschaften zu Berlin im Kaiserreich. Interdisziplinäre Arbeitsgruppe Berliner Akademiegeschichte im 19. und 20. Jahrhundert, Berlin 1999, 199–233; DERS., Adolf Erman und die Berliner Akademie der Wissenschaften, in: Schipper (Hrsg.), Adolf Erman (1854–1937) in seiner Zeit, 340–370; DERS., Vom Nutzen und Nachteil der Großwissenschaft. Altertumswissenschaftliche Unternehmungen an der Berliner Akademie und Universität im 19. Jahrhundert, in: A. M. Baertschi, C. G. King (Hrsg.), Die modernen Väter der Antike. Die Entwicklung der Altertumswissenschaften an der Akademie und Universität im Berlin des 19. Jahrhunderts, Berlin 2009, 397–420. 216 Dieser hatte – allerdings vergeblich – versucht, mit einer ähnlich gehaltenen Argumentation eine dauerhafte Repräsentanz für Ägyptologen in Kairo zu erreichen; vgl. G. EBERS, Ein deutsches Institut für Orientalisten zu Kairo, in: Allgemeine Zeitung [AZ], München, 24.5.1887, Nr. 143, Beilage, 2089–2091, und AZ, 25.5.1887, Nr. 144, Beilage, 2106–2108. 217 Erstmals problematisiert durch B. SLEDZIANOWSKI, Ägyptologie zwischen Positivismus und Nationalismus, in: GM 12, 1974, 43–50.
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Kurzer Abriss der Geschichte der Ägyptologie im deutschsprachigen Raum
das Fundament für jede spätere ägyptologische Arbeit bilden wird, soll – dank Ihrer Fürsorge und Ihrer rüstigen Initiative wieder Deutsch werden!“218 Es erscheint daher folgerichtig, dass das von H. Kees so benannte „Goldene Zeitalter“ der Ägyptologie (vgl. Kap. 0.5.) zu Ende ging, als mit der Niederlage und dem Zusammenbruch des Deutschen Kaiserreichs im Ersten Weltkrieg (1914–1918; vgl. Kap. 1.7.) zunächst auch die Grundlage für diese Verknüpfung von Wissenschaft und „Weltgeltung“ verlorenging. 1.6.
Ägyptologie in Ägypten – Archäologie im „Schatten der Texte“?
Die Schilderung im Kapitel 1.5. erweckt den Eindruck, dass die Ägyptologie in Deutschland spätestens unter dem Einfluss Adolf Ermans und seiner Berliner Schule eine vorrangig philologische Wissenschaft gewesen ist. Tatsächlich fällt es vielen Außenstehenden, aber auch ausländischen Kollegen – gerade aus dem englischsprachigen Raum – schwer, dies zu begreifen. Sie verbinden Ägyptologie immer auch, wenn nicht zuerst, mit Archäologie. Die Aufteilung des Faches in einen archäologischen und einen philologischen Zweig ist frühzeitig bemerkt worden, wobei auch „nationale“ Präferenzen benannt worden sind. Schon in seiner Eröffnungsvorlesung zur Einrichtung des ersten Lehrstuhls für Ägyptologie in Großbritannien 1892 äußerte W. M. Flinders Petrie eine entsprechende Ansicht: „Applying these wide views of our present case, we may say that the study of the religion and law of Egypt is particularly the taste of the French, the language has its greatest exponents in Germany. For ourselves – the only classical work of England is that of Wilkinson,219 on the artistic and material civilization. To this side we may then well devote our attention, without rejecting any other part to which discoveries may draw us.“220 Weiter begünstigt wurde diese Schwerpunktsetzung durch den Umstand, dass Deutschland keinen imperialen Zugriff auf Ägypten hatte (vgl. Kap. 1.6.1.) und auch keine Einmischung in die kolonialen Konflikte zwischen Großbritannien
218
BStUB, Ebers an Erman, 17.10.1896; zitiert nach GERTZEN, École de Berlin, 92. J. G. WILKINSON, Manners and Customs of the Ancient Egyptians, London 1837. 220 Zitiert nach R. M. JANSSEN, The First Hundred Years. Egyptology at the University College London 1892–1992, London 1992, 100; s.a. T. GERTZEN, Ägyptologie zwischen Archäologie und Sprachwissenschaft. Die Korrespondenz zwischen A. Erman und W. M. F. Petrie, in: ZÄS 136, 2009, 114–125. 219
Ägyptologie in Ägypten – Archäologie im „Schatten der Texte“?
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und Frankreich wünschte.221 Durch die beiden Weltkriege wurden deutsche Ägyptologen später immer wieder an Ausgrabungstätigkeiten in Ägypten gehindert. Dennoch sollte nicht der falsche Eindruck entstehen, dass ägyptische Archäologie in Deutschland keine Rolle gespielt hätte; auch die vor allem in den 70er und 80er Jahren des 20. Jahrhunderts geäußerte Einschätzung, Archäologie führe innerhalb des Faches ein „Schattendasein“,222 ist nur sehr eingeschränkt zu bestätigen und deckt sich nicht mit dem wissenschaftshistorischen Befund. In diesem Zusammenhang spielt in Deutschland das Verhältnis der Ägyptologie zu ihren Nachbardisziplinen eine entscheidende Rolle: Anders als im Vorderen Orient erfolgte keine disziplinäre Trennung in eine philologische (Assyriologie/Altorientalistik) und eine archäologische (Vorderasiatische Archäologie) Richtung. Im Übrigen hat die Ägyptologie in Deutschland, durch ihre Orientierung am Vorbild der klassischen Altertumswissenschaften, auch keine Beeinträchtigung durch religiöse, die Historizität des Alten Testaments betreffende Debatten223 erfahren.224 Adolf Erman resümierte in seiner 1929 erschienenen Autobiografie knapp: „Damit ist denn auch unsere Auffassung des Alten Testaments eine ganz andere geworden, und da die Keilschriftforschung uns auch die Herkunft der hebräischen Sagen gezeigt hat, so hat sich die religiöse Überlieferung des Judentums und Christentums zum guten Teile aufgelöst.“225
221
Vgl. M. KRÖGER, Le bâton égyptien – Der ägyptische Knüppel. Die Rolle der ägyptischen Frage in der deutschen Außenpolitik von 1875/76 bis zur Entente Cordiale, Frankfurt a.M. 1991. 222 Vgl. M. BIETAK, The present state of Egyptian archaeology, in: JEA 65, 1979, 156–160; B. KEMP, In the shadow of texts. Archaeology in Egypt, in: Archaeological Review from Cambridge 3.2, 1984, 19–28; eine aktuelle Bestandsaufnahme in: I. FORSTNER-MÜLLER, W. MÜLLER, Ägyptische Archäologie im deutschsprachigen Raum. Tradition, Standard und Ausblick, in: Verbovsek/Backes/Jones (Hrsg.), Methodik und Didaktik in der Ägyptologie, 205–215. 223 Anders als die Assyriologie, vgl. K. JOHANNING, Der Bibel-Babel-Streit. Eine forschungsgeschichtliche Studie, Frankfurt a.M. 1988; R. G. LEHMANN, Friedrich Delitzsch und der Babel-Bibel-Streit (OBO 133), Freiburg (Schweiz) 1994. 224 Anders als z.B. die britische Ägyptologie, vgl. D. GANGE, Religion and Science in the late nineteenth century British Egyptology, in: The Historical Journal 49.4, 2006, 1083– 1103; DERS., Dialogues with the Dead. Egyptology in British Culture and Religion, 1822– 1922, Oxford 2013; DERS., M. LEDGER-LOMAS (Hrsg.), Cities of God. The Bible and Archaeology in Nineteenth-Century Britain, New York 2013, 164–194. 225 ERMAN, Mein Werden und mein Wirken, 252f.; vgl. B. U. SCHIPPER, „So hat sich die Überlieferung zu Judentum und Christentum zum guten Teil aufgelöst“. Adolf Erman, Hermann Gunkel und der Babel-Bibel-Streit, in: WdO 38, 2008, 221–231.
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Kurzer Abriss der Geschichte der Ägyptologie im deutschsprachigen Raum
Dabei hatte gerade Erman über lange Zeit einen tiefen Einblick in die assyriologische Forschung in Deutschland gewinnen können, die er aus „der Studierstube der Theologen und Halbtheologen erwachsen“226 sah: Von 1885 bis 1900 hatte er auch die Verantwortung für die Vorderasiatische Abteilung der Königlichen Museen in Berlin innegehabt227 und sich im Zuge dessen immer wieder über Assyriologen und die inhaltliche Ausrichtung ihrer Forschung geäußert. Bemerkenswert sind dabei zwei Aussagen, die wahrscheinlich weit mehr über Ermans Selbstverständnis und seine Ansichten über die deutsche Ägyptologie als denn die Nachbardisziplin erkennen lassen. 1898 schrieb er an G. Ebers: „[D]ie Interessen der Assyriologen von der strengen Observanz, die nur Thontafeln aus unvordenklichen Jahrtausenden wollen und die der übrigen Menschheit, die für ihr Geld etwas sehen will und zeigen will, müssen zusammengebracht werden. Mir ist dabei wieder klar geworden, dass die Mehrzahl der Assyriologen doch viel einseitiger ist als die Aegyptologen; es ist etwa so, als ob wir nur hieratische und demotische Papyrus läsen und alles andere ignorirten. Es ist der Mangel eines grossen Museums, der die deutschen Assyriologen so zu ‚Keilschriftforschern‘ gemacht hat.“228 In dieser Stellungnahme macht sich Erman als Museumsdirektor zum Vertreter der Interessen des „breiten Publikums“, die mit denen der Fachwissenschaftler in Einklang gebracht werden müssen, und erteilt dabei einer einseitig philologischen Ausrichtung der Ägyptologie eine klare Absage. Hintergrund dieser Korrespondenz war die von ihm geplante und dann auch 1898 erreichte Gründung der Deutschen Orient-Gesellschaft (D.O.G.).229 Diese sollte die private Finanzierung deutscher Ausgrabungen im Vorderen Orient und Ägypten ermöglichen. Vorbild war dabei der britische Egypt Exploration Fund (EEF), später umbenannt in Egypt Exploration Society
226
ERMAN, Mein Werden und mein Wirken, 229. Grundlegend: CRÜSEMANN, Vom Zweistromland zum Kupfergraben, 60–108; vgl. GERTZEN, École de Berlin, 297–306. 228 SBB-PK, NL Georg Ebers: Erman, Adolf, 1.8.1898; zitiert nach GERTZEN, École de Berlin, 299. 229 Vgl.: O. MATTHES, Eduard Meyer und die Deutsche Orientgesellschaft, in: MDOG 128, 1996, 173–218; DERS., Der Aufruf zur Gründung der deutschen Orientgesellschaft vom November 1897, und DERS., J. ALTHOFF, Die Königliche Kommission zur Erforschung der Euphrat- und Tigrisländer, in: MDOG 130, 1998, 9–16 und 241–254. 227
Ägyptologie in Ägypten – Archäologie im „Schatten der Texte“?
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(EES).230 Die D.O.G. konnte enorme Erfolge feiern,231 blieb jedoch auf Großspender, allen voran den Baumwollgroßhändler James Simon (1851–1932),232 und staatliche Unterstützung angewiesen. Ein Jahr darauf, 1899, erreichte Erman jedoch auch die Einstellung seines Schülers, des Architekten und Ägyptologen Ludwig Borchardt (1863–1938) als „wissenschaftlicher Attaché“ am deutschen Generalkonsulat in Kairo.233 Dieser hatte sich zuvor schon bei der Erstellung des Catalogue Général des Antiquités Égyptiennes du Musée du Caire einen Namen gemacht. 234 Ursprünglich sollte Borchardt vor allem dem „Ägyptischen Wörterbuch“ über die Ergebnisse archäologischer Forschung in Ägypten berichten (wobei dies auch Wissenschaftsspionage nicht ausschloss)235 und deutsche Gelehrte beim Ankauf ägyptischer Antiken beraten236 – eine Tätigkeit, durch die Borchardt bald auch fundierte Kenntnisse über das Fälscherhandwerk in Ägypten gewann und später nach Berlin berichtete.237 Doch bereits zu Anfang des 20. Jahrhunderts agierte er zunehmend selbständig und betrieb erste eigene Ausgrabungen in Abusir el Meleq (1905/06)238 mit seinem Assistenten Georg Möller (1876–1921) und in Amarna (1911–14) mit Hermann Ranke (1878–1953). Finanziert wurden diese Unternehmungen durch die D.O.G., vor allem aber durch die Unterstützung privater Mäzene, wie dem Ägyptologen Friedrich Wilhelm von Bissing (1873–1956)239 und dem 230
P. SPENCER (Hrsg.), The Egypt Exploration Society. The Early Years (EES Occasional Publications), London 2007. 231 Vgl. G. WILHELM (Hrsg.), Zwischen Tigris und Nil. 100 Jahre Ausgrabungen der Deutschen Orientgesellschaft in Vorderasien und Ägypten, Mainz a. R. 1998. 232 Vgl. MATTHES, James Simon. 233 Vgl. VOSS, Geschichte der Abteilung Kairo des DAI, Bd. 1, 61. 234 Vgl. L. BORCHARDT, Die Entstehung des Generalkatalogs und seine Entwicklung in den Jahren 1897–1899, Berlin 1937. 235 Vgl. VOSS, Geschichte der Abteilung Kairo des DAI, Bd. 1, 155f. 236 Vgl. S. VOSS, C. VON PILGRIM, Ludwig Borchardt und die deutschen Interessen am Nil, in: Trümpler (Hrsg.), Das große Spiel. Archäologie und Politik, Köln 2008, 294–305; VOSS, Die Geschichte der Abteilung Kairo des DAI, Bd. 1, 35–113. 237 Vgl. R. KRAUSS, Ludwig Borchardts Fälschungen-Recherche von 1930 aus den Quellen neu erzählt, in: EDAL 3, 2012, 121–161; S. VOSS, Ludwig Borchardts Berichte über Fälschungen im ägyptischen Antikenhandel von 1899 bis 1914. Aufkommen, Methoden, Techniken, Spezialisierungen und Vertrieb, in: Fitzenreiter (Hrsg.), Authentizität, 51–60: http://www2.hu-berlin.de/nilus/net-publications/ibaes15/beitraege.html [28.12.2015]. 238 S. VOSS, „Draussen im Zeltlager …“. Ludwig Borchardts Grabungsalltag in Abusir, in: V. Brinkmann (Hrsg.), Sahure. Tod und Leben eines großen Pharao. Eine Ausstellung der Liebieghaus Skulpturensammlung, Frankfurt am Main, 24. Juni bis 28. November 2010, München 2010, 109–121. 239 Vgl. P. RAULWING, T. GERTZEN, Friedrich Wilhelm Freiherr von Bissing (1873–1956) als Gegenstand ägyptologischer und zeithistorischer Forschungen: Die Jahre 1914–1926, in: Schneider/Raulwing (Hrsg.), Egyptology from the First World War, 34–119.
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Kurzer Abriss der Geschichte der Ägyptologie im deutschsprachigen Raum
erwähnten J. Simon. Ein weiterer Akteur der frühen deutschen Archäologie in Ägypten war der klassische Altertumswissenschaftler Otto Rubensohn (1867– 1964).240 Im Auftrag des Papyruskartells241 der deutschen Museen sollte er zunächst nur neues Textmaterial ankaufen, engagierte sich aber im Zeitraum zwischen 1901 und 1907 auch in der „Materialbeschaffung“ durch Ausgrabungstätigkeit in Ober- und Mittelägypten.242 Auch Georg Steindorff (1851– 1961) betätigte sich frühzeitig als Archäologe: 1903–1906 in Giza; 1909–1910 in Abusir und 1913–1914 in Aniba und Qau el Kebir.243 Festzuhalten bleibt also, dass die deutschsprachige Ägyptologie frühzeitig auch im Bereich archäologischer Forschung in Ägypten vertreten gewesen ist und dass diese Forschung als ein integraler Bestandteil des Faches gesehen wurde. Die Priorität der zwischen 1880 und 1918 maßgeblichen Berliner Schule der Ägyptologie lag allerdings eindeutig im philologischen Bereich. Fast trotzig bemerkte Erman 1929 in seiner Autobiografie: „und ich erlaubte mir auch weiterhin im Leben, Bilder, Inschriften und Papyrus für interessanter zu halten als Knochen und Muschelschalen aus dem antiken Kehricht.“244 Dabei wird bei diesem Zitat häufig übersehen, dass hier zwar der ägyptischen Archäologie eine nachgeordnete Bedeutung zugeschrieben wird, die bildende Kunst allerdings mit den textlichen Hinterlassenschaften zusammen genannt ist. Als Erman 1914 die Leitung des Berliner Ägyptischen Museums an seinen Schüler Heinrich Schäfer (1868–1957)245 abtrat,246 hatte sich der Bestand der
240
Vgl. J. KUCKERTZ, Otto Rubensohn (1867–1964), in: HERMAE. Scholars and Scholarship in Papyrology 3, 2013, 41–56; A. POMMERANCE, B. SCHMITZ (Hrsg.), Heiligtümer, Papyri und geflügelte Göttinnen. Der Archäologe Otte Rubensohn (HÄB 53), Hildesheim 2016. 241 Vgl. O. PRIMAVESI, Zur Geschichte des Deutschen Papyruskartells, in: ZPE 114, 1996, 173–187. 242 Vgl. die Projekthomepage „Otto Rubensohn in Ägypten – Vergessene Grabungen: Funde und Archivalien aus den Grabungen der Königlichen Museen zu Berlin (1901–1907/08)“: http://www.aegyptisches-museum-berlin-verein.de/f05.php [28.12.2015]. 243 Vgl. D. RAUE, Georg Steindorff und seine Ausgrabungen, in: S. Voss, D. Raue (Hrsg.), Georg Steindorff und die deutsche Ägyptologie im 20. Jahrhundert (ZÄS-B 3), Berlin 2016, 401–486. 244 ERMAN, Mein Werden und mein Wirken, 211. 245 Vgl. K. FINNEISER, Heinrich Schäfer – ein Leben für das Ägyptische Museum, in: kemet. Die Zeitschrift für Ägyptenfreunde 3/2007, 80–82; GERTZEN, École de Berlin, 309–318; DERS., Boote, Burgen, Bischarin, 11–13. 246 Zu den Hintergründen GERTZEN, École de Berlin, 318–326.
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Sammlung durch Ankäufe und Ausgrabungen verdreifacht 247 und die ägyptologische Kunstgeschichtsforschung sich als ein selbständiger Forschungszweig etabliert. WOLFHART WESTENDORF kommentierte das Ende des „Goldenen Zeitalters“ unter der Führung A. Ermans mit der Einschätzung: Damit „setzt die unvermeidbare Aufsplitterung der Ägyptologie in die verschiedenen Fachrichtungen ein.“248 1.6.1. Rahmenbedingungen und Hintergründe: „Ägyptologische Großmächte“? Unter dem Eindruck der deutschen Niederlage im Ersten Weltkrieg versuchten führende Vertreter der Berliner Schule Bilanz zu ziehen und, darauf aufbauend, Strategien für die Zukunft zu entwickeln. Noch bevor er 1923, auf Ermans Drängen, dessen Lehrstuhl in Berlin übernahm, äußerte sich dessen Schüler Kurt Sethe (1869–1934)249 in der 1921 erschienenen Denkschrift Die Ägyptologie250 über die Ausgangsbedingungen ägyptologischer Forschung seit Ende des 19. Jahrhunderts: „Hierin zeigt sich aber auch ein grundsätzlicher Unterschied, der zwischen der heutigen Wissenschaft und der Wissenschaft der in der Entente gegen uns verbündeten Völker besteht. England, Frankreich und Amerika haben – England seine historische Machtstellung in Ägypten benutzend, Frankreich seine alten Aspirationen als Geburtsland der Ägyptologie fortsetzend, Amerika auf seine finanziellen Mittel pochend – sich vorwiegend in der Herbeischaffung immer 247
Vgl. B. SPINELLI, „Der Erwecker der ägyptischen Sammlung“. Adolf Erman und das Berliner Museum, in: Schipper (Hrsg.), Adolf Erman (1854–1937) in seiner Zeit, 202–223; GERTZEN, École de Berlin, 316; s.a. S. ALAURA, Die Anschaffungspolitik beim Erwerb vorderasiatischer und ägyptischer Altertümer für die Museen zu Berlin im Jahre 1885/1886 anhand der Briefe von Otto Puchstein an Adolf Erman, in: AfO 37, 2010, 3–26; T. GERTZEN, „Denn was ich Ihnen als Phantasie bezeichnet habe, das liegt seit vorgestern im Museum“. Einige Marginalien zum Ankauf der Keilschriftkorrespondenz aus Amarna durch J. P. A. Erman, in: ZÄS 139, 2012, 28–37. 248 W. WESTENDORF, Kurt Sethe (1869–1934), in: K. Arndt et al. (Hrsg.), Göttinger Gelehrte. Die Akademie der Wissenschaften zu Göttingen in Bildnissen und Würdigungen 1751– 2001, Göttingen 2001, 344. 249 Vgl. GERTZEN, École de Berlin, zu Sethe allgemein: 153–193; zur Übernahme des Lehrstuhls: 326–331; zu Sethe kürzlich erschienen: A. AHRENS, Der Berliner Ägyptologe Kurt Heinrich Sethe und Kleve. Die niederrheinischen Wurzeln eines Gründungsvaters der deutschsprachigen Ägyptologie, in: W. Diedenhofen et al. (Hrsg.), Kalender für das Klever Land auf das Jahr 2014, 65–87. 250 SETHE, Die Ägyptologie.
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Kurzer Abriss der Geschichte der Ägyptologie im deutschsprachigen Raum
neuen Materiales durch Ausgrabungen und Ankäufe für ihre Museen betätigt, während Deutschland, weniger gut gestellt, seiner ganzen Sinnesart treu bleibend, die Verarbeitung dieses Materials übernommen hat, ohne mit der Flut Schritt halten zu können.“251 Lassen wir an dieser Stelle die (Nach-)Kriegsrhetorik (vgl. Kap. 1.7.), die von einer „Entente“-Ägyptologie spricht, und auch die Anklänge an das uns schon von G. Ebers vertraute deutsche Selbstverständnis, die wissenschaftliche Auswertung des Materials mittels überlegener Methodik zu „beherrschen“ (vgl. Kap. 1.5.), außer Acht, so ergeben sich dennoch gewisse Zuschreibungen an die anderen „großen“ Forschernationen: Großbritannien habe seinen imperialen Zugriff auf Ägypten, Frankreich seine (tatsächlich auch in der Entente cordiale von 1904 festgeschriebene) Kontrolle über die ägyptische Antikenverwaltung und die USA ihre beachtlichen finanziellen Mittel (d.h. die Förderung durch Mäzene) vor allem dazu benützt, große Mengen ägyptischer Altertümer außer Landes zu schaffen. Wie stellte sich die Situation in Ägypten seit Mitte des 19. Jahrhunderts tatsächlich dar? Wie immer in der Wissenschaftsgeschichte ist ein hohes Maß an Differenziertheit der Darstellung erforderlich. Um nur einige nachdenklich stimmende Beispiele zu geben, sei darauf verwiesen, dass etwa der britische Ägyptologe Flinders Petrie sich über die mangelnde politische Rückendeckung für seine Unternehmungen bitter beklagte.252 So wie die Franzosen die Stellung des Leiters des Ägyptischen Antikendienstes für sich beanspruchten, hatten die Deutschen lange Zeit die des Leiters der Khedivial-Bibliothek in Kairo für sich „gepachtet“.253 Da sich amerikanische Ägyptologen zunächst vorrangig um eine universitäre Ausbildung in Deutschland bemühten und großangelegte, eigene Projekte erst in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg unternahmen, scheint Sethes Darstellung vor allem unter dem Eindruck aktueller Entwicklungen entstanden zu sein. Überhaupt nicht von ihm erwähnt, aber doch grundsätzlich in einer Geschichte der Ägyptologie zu berücksichtigen sind Forscher aus Italien, Österreich-Ungarn, Belgien, den Niederlanden, Dänemark bzw. Skandinavien
251
Ebenda, 41. W. M. FLINDERS PETRIE, Letter to the editor of Nature, 10. Oktober 1893, zitiert nach: J. M. RUSSEL, From Nineveh to New York: The Strange Story of the Assyrian Reliefs in the Metropolitan Museum and the Hidden Masterpiece at Canford School, New Haven 1997, Appendix 5, 212. 253 S. MANGOLD, Die Khedivial-Bibliothek zu Kairo und ihre deutschen Bibliothekare (1871–1914), in: ZDMG 157, 2007, 49–76. 252
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und Russland. Berücksichtigt man fernerhin, dass auch ägyptische Ägyptologen, wenn auch von europäischen Kollegen an den Rand gedrängt, ebenfalls eine Rolle gespielt haben, dann erscheint Sethes Einschätzung nicht nur durch die Eindrücke des Ersten Weltkrieges geprägt, sondern seine Perspektive grundsätzlich verengt zu sein. Dennoch lässt der Verweis auf die politische Kontrolle über Ägypten durch Großbritannien, die wissenschaftlich-administrative Federführung der Franzosen und die zeitweise tatsächlich beachtlichen finanziellen Möglichkeiten USamerikanischer Ägyptologen eine nähere Auseinandersetzung mit diesen drei Forschernationen sinnvoll erscheinen, schon ganz einfach deswegen, weil sie die Rahmenbedingungen ägyptologischer Forschungen in Ägypten bestimmt haben. 1.6.1.1. „Systematische“ Archäologie – William M. Flinders Petrie und die British School in Egypt Ägyptologie ist in Großbritannien lange nicht professionalisiert bzw. universitär institutionalisiert betrieben worden. 254 So konstatiert JASON THOMPSON: „exclusive reliance on energetic amateurs who were fortunate enough to possess private means could take British Egyptology only so far and was bound to fail in the long run while France and Prussia – later Germany – moved steadily ahead from solid bases of institutional support.“255 Britische Antikensammler256 wie Henry Salt (1780–1827),257 deren Agenten wie Giovanni Battista Belzoni (1778–1823)258 und Orientreisende259 wie Edward William Lane (1801–1876)260 dominieren folgerichtig die frühe Fachgeschichte im englischsprachigen Raum. Eine erste systematische Erfassung der Hinterlassenschaften des pharaonischen Ägypten wurde in den Jahren 254
Einen Überblick bietet: J. D. WORTHAM, The Genesis of British Egyptology 1549–1906, London 1971; gewissermaßen im Anschluss daran empfehlenswert VOSS, Geschichte der Abteilung Kairo des DAI, Bd. 1, 21–25. 255 THOMPSON, A History of Egyptology, Bd. 1, 181. 256 Vgl. M. JASANOFF, Edge of Empire: Lives, Culture, and Conquest in the East, 1750–1850, New York 2005. 257 Vgl. D. MANLEY, P. RÉE, Henry Salt: Artist, Traveller, Diplomat, Egyptologist, London 2001. 258 Vgl. ST. MAYES, The Great Belzoni. The Circus Strongman who discovered Egypt’s Treasures, London 1959; I. N. HUME, The Giant Archaeologists Love to Hate, Charlottesville 2011. 259 Vgl. ERKER-SONNABEND, Das Lüften des Schleiers. 260 Vgl. J. THOMPSON, Edward William Lane 1801–1876. The life of the pioneering Egyptologist and Orientalist, London 2010.
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zwischen 1824 und 1828 von John Gardner Wilkinson (1797–1975)261 unternommen. Auf Wilkinson geht auch die Nummerierung der Gräber im Tal der Könige bei Theben (KV = Kings-Valley) zurück. Staatliche Einflussnahme von Seiten der englischen Regierung fand nicht statt, auch nicht, nachdem Großbritannien 1882 die Kontrolle über Ägypten übernommen hatte. Stattdessen engagierten sich Privatpersonen, allen voran Amelia Blanford Edwards (1831– 1892),262 durch die Gründung des Egypt Exploration Fund (1892, vgl. Kap. 1.6.), der späteren Egypt Exploration Society, zu der auch eine Partnergesellschaft in den USA. gegründet wurde. Noch nach ihrem Tode förderte Edwards die Ägyptologie in Großbritannien durch die testamentarische Stiftung des ersten britischen Lehrstuhls am University College in London (1892, vgl. Kap. 1.6.) – Oxford hatte die Stiftung abgelehnt, da Edwards auch auf das Promotionsrecht für Frauen gedrängt hatte.263 Diese Umstände sollten aber nicht zwingend als ein Defizit begriffen werden, wie es von deutschen Ägyptologen im Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert dargestellt wurde. So äußerte K. Sethe gegenüber A. Erman die Sorge: „Wir müssen da doch schließlich zu Zuständen kommen wie in England, wo außer Griffith eigentlich nur Dilettanten die Aegyptologie fördern.“264 Tatsächlich war Francis Llewellyn Griffith (1862–1934) der Berliner Schule eng verbunden. Er unterstützte diese zum Beispiel auch bei der Implementierung des von Erman vorgegebenen Transkriptionssystems.265 Interessant ist dabei, dass die Gegner dieser methodischen Neuerung in Großbritannien explizit gegen den Professionalisierungsanspruch der Berliner Schule Stellung bezogen: „Now the objections of Egyptologists to criticism of their theories seem divisible into two heads. The first, which is the favorite one in Germany, is that no one has the right to criticize anything unless he is an ‚expert‘. Formerly, one hardly ever read anything proceeding from the adherents of the Berlin School which did not contain some remarks directed against those whom they called dilettanti, or amateurs.“266 261 Vgl. J. THOMPSON, Sir Gardner Wilkinson and His Circle, Austin 1992; S. J. A. FLYNN, Sir John Gardner Wilkinson, Traveller and Egyptologist (1797–1875), Oxford 1997. 262 Vgl. B. E. MOON, More usefully employed. Amelia B. Edwards, writer, traveller and campaigner for ancient Egypt, London 2006. 263 Vgl. ST. SCHWARZ, Frauen in der Ägyptologie des 19. und 20. Jahrhunderts, in: GM 138, 1994, 93–111. 264 BStUB, Sethe an Erman, 23.7.1902; zitiert nach GERTZEN, École de Berlin, 166. 265 Hierzu GERTZEN, École de Berlin, 253–258. 266 F. LEGGE, New Light on Sequence-Dating, in: PSBA 35, 1913, 103; s.a. DERS., The history of the transliteration of Egyptian, in: PSBA 24, 1902, 273–282.
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Wie dem zuvor angeführten Sethe-Zitat zu entnehmen ist, war diese Kritik nicht ganz unbegründet. Hierin offenbart sich ein fundamentaler Unterschied in der Wissenschaftsauffassung in Großbritannien und Deutschland: Während „Dilettant“ ab dem Ende des 19. Jahrhunderts in Deutschland als Schimpfwort gebraucht wurde, waren führende Vertreter der britischen Ägyptologie, wie Alan Henderson Gardiner (1879–1963),267 durchaus stolz darauf, sich als „Dilettanten“ zu bezeichnen.268 Die Gegner methodischer Neuerungen in der Ägyptologie lehnten jedoch die auf philologischem Gebiet aus Deutschland stammenden ebenso ab wie solche auf archäologischem aus dem englischsprachigen Raum.269 Die Kritik war dabei vor allem gegen die neue Arbeitsweise von William Mathew Flinders Petrie270 gerichtet, der mit gewissem Recht wahlweise als „father of modern/scientific archaeology“271 in Ägypten bezeichnet wird. Nicht von ungefähr waren auch die kritischen deutschen Kollegen bereit, dessen Leistungen sogar mit denen A. Ermans zu vergleichen: „Was Erman für die ägyptische Philologie geleistet hat, hat in gewissem Sinne entsprechend für die ägyptische Archäologie Flinders Petrie geleistet, der gleichfalls die zeitliche Entwicklung in den Vordergrund rückte und […] gewissermaßen überhaupt erst der Begründer der neueren Archäologie in unserer Wissenschaft geworden ist.“272 Petrie wandte sich zu Beginn seiner Laufbahn gegen die Publikationen des schottischen Astronomen Piazzi Smyth (1819–1900) und die von diesem postulierte Maßeinheit des „pyramid-inch“.273 Er führte erstmals die (aus der Geo-
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Vgl. A. H. GARDINER, My working years, London 1962; GERTZEN, École de Berlin, 231– 240; DERS., The Anglo-Saxon Branch of the Berlin School 2. The Interwar Correspondence of Adolf Erman and Alan Gardiner and the Loss of the German Concession at Amarna, in: Carruthers (Hrsg.), Histories of Egyptology, 34–49. 268 Vgl. H. BRUNNER, Sir Alan Henderson Gardiner, in: AfO 21, 1966, 269; zur grundsätzlich unterschiedlichen Auffassung: JONKER, Gelehrte Damen, Ehefrauen, Wissenschaftlerinnen, 150–154 und 162–164. 269 Vgl. LEGGE, New Light on Sequence-Dating, 101–113. 270 Vgl. M. DROWER, Flinders Petrie. A Life in Archaeology, Madison 21996; A. STEVENSON, „We seem to be Working in the Same Line“. A. H. L. F. Pitt-Rivers and W. M. F. Petrie, in: Bulletin of the history of archaeology 22.1: http://doi.org/10.5334/bha.22112 [31.12.2015]. 271 Wobei solche Ehrenbezeichnungen durch inflationären Gebrauch erheblich an Aussagekraft und Bedeutung eingebüßt haben und die Zahl der „Väter“ oder auch „Begründer“ in der Ägyptologie stetig anwächst. 272 SETHE, Die Ägyptologie, 41. 273 P. SMYTH, Our Inheritance in the Great Pyramid, Edinburgh 41880; W. M. FLINDERS PETRIE, The Pyramids and Temples of Gizeh, London 1883; hierzu E. M. REISENAUER, The
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logie stammende) Methode der Stratigrafie in die Vorderasiatische Archäologie ein274 und entwickelte 1899 mit den sogenannten „sequence dates“275 ein neuartiges Datierungsverfahren, welches erstmals die Erstellung einer Chronologie der ägyptischen Prähistorie ermöglichte.276 Durch das Konzept eines „national repository“277 und Publikationen zur Konservierung und Restaurierung archäologischer Funde278 leistete er Grundlagenforschung für ägyptologische Museen. 1904 gab er ein Handbuch mit dem Titel Methods and Aims in Archaeology279 heraus und stellte darin ein Gesamtkonzept einer „systematic archaeology“ vor. Er publizierte die Ergebnisse seiner Grabungen zeitnah, was weder für die damalige noch für die heutige archäologische Forschung eine Selbstverständlichkeit ist. 280 Petrie führte erstmals anthropologische Untersuchungen in einer „ethnographic archaeology“281 ein. Zwar sind die in diesem Zusammenhang gebrauchten Termini nicht zwangsläufig als Ausdruck einer rassistischen Gesinnung zu werten,282 allerdings hat sich Petrie auch politisch battle of the standards. Great Pyramid metrology and British Identity 1859–1890, in: The Historian 65, 2003, 931–978. 274 W. M. FLINDERS PETRIE, Tell el Hesy, London 1891. 275 W. M. FLINDERS PETRIE, Sequences in Prehistoric Remains, in: The Journal of the Anthropological Institute of Great Britain and Ireland 29, 1899, 295–301; DERS., Diospolis Parva. The Cemeteries of Abadiyeh and Hu, London 1901; eine übersichtliche Darstellung und wissenschaftshistorische Einordnung in GERTZEN/GRÖTSCHEL, Flinders Petrie, 199– 210. 276 Weiterentwickelt durch W. KAISER, Studien zur Vorgeschichte Agyptens, unpubl. Diss. Berlin 1955; eine übersichtliche Darstellung zur weiteren Entwicklung der Forschung: S. HENDRICKX, La Chronologie de la préhistoire tardive et des débuts de l’histoire de l’Egypte, in: Archéo-Nil 9, 1999, 13–33. 277 W. M. FLINDERS PETRIE, A National Repository for Science and Art, in: Journal of the Society of Arts, 18.5.1900, 525–536. 278 W. M. FLINDERS PETRIE, The Treatment of Small Antiquities, in: The Archaeological Journal 45, 1888, 85–89; DERS., The Egyptian Museum University College, in: AE, 1915, 168–180; DERS., Museum Plans, in: Journal of the Institute of British Architects (February 7), 1938, 340–341; kritische Einschätzungen in: C. SEASE, Sir William Flinders Petrie. An Unaknowledged Pioneer in Archaeological Field Conservation, in: A. Oddy, S. Smith (Hrsg.), Past Practice. Future Prospects (BM occ. Publ. 145), London 2001, 183–188; P. T. NICHOLSON, Petrie and the Production of Vitreous Materials, in: BdE 142, 2006, 207–215. 279 W. M. FLINDERS PETRIE, Methods and Aims in Archaeology, London 1904. 280 Vgl. E. P. UPHILL, A Bibliography of Sir William Mathew Flinders Petrie (1853–1942), in: JNES 31, 356–358. 281 Seine wichtigsten Arbeiten hierzu: W. M. FLINDERS PETRIE, Racial Photographs from the Ancient Egyptian Pictures and Sculptures, London 1887; DERS., Die Bevölkerungsverhältnisse des alten Ägyptens und die Rassenfrage, in: Deutsche Revue 1895, 227–233; das Thema zieht sich allerdings durch die Publikationstätigkeit seiner gesamten Laufbahn hindurch. 282 Vgl. kritisch N. A. SILBERMAN, Petrie and the Founding Fathers, in: A. Biran, J. Aviram (Hrsg.), Biblical Archaeology today. Proceedings of the second international Congress on
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im eindeutig rechten Spektrum betätigt und unter anderem für Eugenik plädiert.283 Durch häufig wechselnde Grabungsassistenten, darunter James Edward Quibell (1867–1934), Arthur Mace (1874–1928), Arthur Weigall (1830–1934)284 und Thomas Edward Lawrence (1888–1932),285 und die Ausbildung der auch heute noch auf Grabungen in Ägypten anzutreffenden „Quftis“286 im Rahmen der British School of Archaeology in Egypt hat Petrie nachhaltigen Einfluss auf die Archäologie in Ägypten ausgeübt.287 Die British School war 1905 aus dem Egyptian Research Account hervorgegangen und hatte noch bis 1930 Bestand. Allerdings stieß Petries Arbeitsweise spätestens mit der Novellierung der ägyptischen Antikengesetzgebung zu Beginn des 20. Jahrhunderts, die er frühzeitig in ihren negativen Auswirkungen, insbesondere auf sein Finanzierungsmodell, antizipierte, 288 an ihre Grenzen. Hatte er bislang Subskribenten als Gegenleistung für ihre finanzielle Unterstützung Funde aus seinen Grabungen zukommen lassen,289 wurde dies durch die nur noch eingeschränkt mögliche Ausfuhr ägyptischer Altertümer erschwert. Allerdings ließ sich sein Kostenmanagement auch in anderer Hinsicht nicht länger aufrecht erhalten: Als einzelner Wissenschaftler – gelegentlich unterstützt von einem oder Biblical Archaeology, Jerusalem 1993, 545–554; P. J. UCKO, Representation and Identity, in: R. T. Sparks (Hrsg.), A Future for the Past. Petrie’s Palestinian Collection, London 2007, 25–36. 283 Vgl. W. M. FLINDERS PETRIE, Janus in Modern Life, London 1907; DERS., The Right to constrain Men for their own Good, in: The Hibbert Journal 4, 1908, 782–795; DERS., Socialism in working order, Anti Socialist Union, London 1910; DERS., The Church, the People and the Age, n.d.; jüngst zum allgmeinen Hintergrund erschienen: D. CHALLIS, The Archaeology of Race. The Eugenic Ideas of Francis Galton and Flinders Petrie, London 2013. 284 J. HANKEY, A Passion for Egypt: Arthur Weigall, Tutankhamun and the „Curse of the Pharaohs“, London 2007. 285 J. WILSON, Lawrence of Arabia. The Authorized Biography of T. E. Lawrence, London 1990; S. E. TABACHNICK, Lawrence of Arabia as Archaeologist, in: Biblical Archaeology Review 23/5, 1997, 40–47; A. SATTIN, Young Lawrence. A Portrait of the Legend as a Young Man, London 2014. 286 Vgl. ST. QUIRKE, Hidden Hands. Egyptian Workforces in Petrie Excavation Archives, 1880–1924, London 2010. 287 ST. QUIRKE, Exclusion of Egyptians in English-directed archaeology 1882–1922 under British occupation of Egypt, in: Bickel et al. (Hrsg.), Ägyptologen und Ägyptologien, 379– 405. 288 Vgl. W. M. FLINDERS PETRIE, The new law on the antiquities of Egypt, in: AE, 1914, 128f. 289 Diese Fundverteilung erstmals exemplarisch nachvollzogen in: T. BAGH, Finds from W. M. F. Petrie’s excavations in Egypt in the Ny Carlsberg Glyptotek, Kopenhagen 2011; vgl. auch „Petrie Perspective. 300 objects from Petrie excavations in Allard Pierson Museum Collection“, published by Allard Pierson Museum, 29.3.2015: http://www.allardpiersonmuseum.nl/en/collections-research/research-projects/petrie-perspective/petrie-perspective.html [31.12.2015].
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zwei Assistenten – großflächige Grabungsareale zu überblicken, Befunde zu dokumentieren sowie Funde zu katalogisieren und zu fotografieren, bedeutete ein viel zu großes Risiko von Oberflächlichkeit und Ungenauigkeit. Dies setzte einer detaillierten Dokumentation von Grabungsergebnissen Grenzen, die sich nicht mehr mit den neuen Standards ägyptischer Archäologie vereinbaren ließen.290 Dennoch blieb die britische Ägyptologie gegenüber Amateuren und Dilettanten weiter aufgeschlossen. So kann der wohl berühmteste britische „Ägyptologe“ im Grunde gar nicht als solcher bezeichnet werden. Howard Carter (1874– 1939)291 hatte zwar im Rahmen des EEF unter Petrie und Percy Newberry (1869–1949) gearbeitet und war zeitweilig sogar als Inspektor für den ägyptischen Antikendienst tätig gewesen, jedoch hat er nie Ägyptologie studiert. Seinen Einstieg ins Fach – und zeitweise auch sein Broterwerb – bewerkstelligte er mittels der Tätigkeit als Zeichner und Maler. Die grundsätzliche Wichtigkeit dieser Arbeit kann in der Archäologie gar nicht hoch genug eingeschätzt werden, und so sind auch zwei weitere Briten durch ihre Zeichnertätigkeit in die Geschichte des Faches eingegangen: Nina und Norman de Garis Davis (1881–1965 bzw. 1865–1941).292
290
Vgl. K. SOWADA, The Politics of Error. Flinders Petrie at Diospolis Parva, in: BACE 7, 1996, 89–96; B. ADAMS, Petrie at the Cult Centre of Min at Coptos, in: J. Phillips, L. Bell, B. B. William (Hrsg.), Ancient Egypt, the Aegean, and the Near East. Studies in honour of Martha Rhoads Bell, 1997, 3: „It is entirely true that he was ahead of his time in every way with regard to work in the field and attention to the detail of small finds and the information that could be derived from them; […] But he had certain objectives in mind, and he cut corners which would not be countenanced on a modern excavation to reach them“; P. C. ROBERTS, „One of our Mummies is Missing“. Evaluating Petrie’s Records from Hawara, in: M. L. Bierbrier (Hrsg.), Portraits and Masks. Burial Customs in Roman Egypt, London 1997, 24: „Petrie‘s original documentation is sometimes incomplete or contradictory, and can be knowingly or unknowingly misinterpreted.“ 291 Vgl. N. REEVES, J. H. TAYLOR, Howard Carter before Tutankhamun, London 1992; grundlegend: T. G. H. JAMES, Howard Carter: The Path to Tutankhamun, London 2012. 292 Vgl. die Homepage des Griffith Institute Archives Oxford, J. Malek (Hrsg.), Theban tomb tracings made by Norman and Nina de Garis Davies: http://www.griffith.ox.ac.uk/gri/4daviest.html [4.1.2016].
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1.6.1.2. Ägyptische Ägyptologie und die Bewahrung des kulturellen Erbes durch französische Beamte Die Geschichte der französischsprachigen Ägyptologie kann hier nicht annähernd erschöpfend behandelt werden (vgl. Kap. 1.), jedoch ist sie schon häufiger Gegenstand von Überblicksdarstellungen gewesen. 293 Die letzte und wohl auch umfassendste ist von ERIC GADY vorgelegt worden,294 die leider bislang jedoch unveröffentlicht geblieben ist. Das besondere Spannungsverhältnis zwischen der deutschsprachigen (vgl. Kap. 1.5.) und französischsprachigen Ägyptologie wurde kürzlich von Gady sowie von SUSANNE VOSS beleuchtet.295 Im Folgenden soll daher zunächst lediglich ein kurzer Überblick über das Wirken französischer Gelehrter in Ägypten geboten werden, um im Anschluss daran die Wechselwirkung zwischen französischer Kulturpolitik und den ägyptischen Bemühungen um eine eigenständige einheimische ägyptologische Forschung zu untersuchen. Bereits zu Anfang der Napoleonischen Ägypten-Expedition (1798–1802) wurde 1798 in Kairo das Institut d’Égypte gegründet, welches der umfassenden Erforschung des Nillandes dienen sollte. Dabei waren wissenschaftliche, militärische und politische Interessen von Beginn an eng miteinander verknüpft.296 Nach der Vertreibung der Franzosen durch Osmanen und Briten im Jahre 1801 und der Auflösung des Instituts übten zunächst nur Privatpersonen oder besser: französische Würdenträger als Privatpersonen Einfluss auf die ägyptische Politik, und zwar insbesondere im Bereich der Antikenpolitik, aus.
293
Vgl. G. MASPERO, L’Égyptologie, La science française, Paris 1915; H. E. NAVILLE, L’égyptologie française pendant un siècle. 1822–1922, Teil 1–3; in: Journal de Savants 20, 1922, septembre-octobre, 193–208; novembre-decembre; 241–253; 21, 1923, janvier-février, 5–19; S. SAUNERON, L’égyptologie, Paris 1968; s.a. L. JOLEAUD, L’évolution des idées récentes en égyptologie sous l’influence d’Alexandre Moret (1868-1938), in: Journal de la Société des Africanistes Année 8.1, 1938, 57–63; J. LECLANT, De l’égyptophilie à l’égyptologie. Érudits, voyageurs, collectionneurs et mécènes, in: Comptes rendus des séances de l’Académie des Inscriptions et Belles-Lettres Année 129.4, 1985, 630–647; DERS., Aux sources de l’égyptologie européenne. Champollion, Young, Rosellini, Lepsius, in: Comptes rendus des séances de l’Académie des Inscriptions et Belles-Lettres 135.4, 1991, 743–762. 294 E. GADY, Le pharaon, l’égyptologue et le diplomate. Les égyptologues français du voyage de Champollion à la crise de Suez (1828–1956), Paris 2005, unveröffentlichte Dissertation; s.a. http://www.diffusiontheses.fr/46690-these-de-gady-eric.html [4.1.2016]. 295 E. GADY, Le regard égyptologues français sur leurs collègues allemands, de Champollion à Lacau; und VOSS, La représentation égyptologique allemande, 155–170 und 171–192. 296 Vgl. VOSS, Geschichte der Abteilung Kairo des DAI, Bd. 1, 18–20.
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Die wohl wichtigste Persönlichkeit war Bernadino Drovetti (1776–1852),297 der sich als französischer Konsul mit seinem britischen Kollegen Henry Salt (vgl. Kap. 1.6.1.1.) nicht nur auf diplomatischem Gebiet, sondern gerade auch bei der Jagd nach altägyptischen Antiken einen erbitterten Konkurrenzkampf lieferte. Unter Vermittlung des französischen Diplomaten und Unternehmers Ferdinand Marie de Lesseps (1805–1894), welcher auch den Bau des Suezkanals (1854– 1869) vorantrieb, traten französische Gelehrte an Mehmed Said Pascha (1822– 1863; er regierte ab 1854) mit Vorschlägen zur Gründung eines Services des Antiquités heran, die 1859 auch erfolgte. Erst zu Beginn der 1870er Jahre jedoch entwickelte das französische Unterrichtsministerium ein verstärktes Interesse an einer fortgesetzten Kontrolle Frankreichs über die ägyptische Antikenverwaltung. Hatte man in Ägypten schon die politische und militärische Oberhoheit an die Briten abtreten müssen, so zwang die Niederlage gegen das neu entstandene Deutsche Kaiserreich zu einem zumindest teilweisen Strategiewechsel im Bereich „kultureller Diplomatie“. 298 Nach dem Tod Auguste Mariettes (1881) setzte die französische Regierung die Ernennung Gaston Masperos (1. Amtsperiode 1881–1886) als dessen Nachfolger gegen den ursprünglich von der ägyptischen Regierung favorisierten H. Brugsch durch (vgl. Kap. 1.4.). Maspero begründete das Institut français d’archéologie orientale (IFAO)299 und erweiterte die Kapazität des Ägyptischen Nationalmuseums in Bulaq. Ihm folgte Eugène Grébaut (1846–1915; Amtszeit: 1886–1892), der es jedoch an dem notwendigen diplomatischen Fingerspitzengefühl fehlen ließ und bald darauf durch Jacques de Morgan (1857–1924; Amtszeit: 1892– 1897)300 abgelöst wurde. Zwar hatte Frankreich den Antikendienst unter seine Kontrolle gebracht und wurde darin auch von Großbritannien unterstützt, doch bescherte dies den somit weitgehend ausgeschlossenen deutschen Ägyptologen zugleich auch die 297
Vgl. R. T. RIDLEY, Napoleon’s Proconsul in Egypt. The Life and Times of Bernadino Drovetti, London 1998. 298 Zu den Hintergründen VOSS, Geschichte der Abteilung Kairo des DAI, Bd. 1, 19. 299 Vgl. die Homepage des Instituts: http://www.ifao.egnet.net/ifao/historique [4.1.2016]; J. VERCOUTTER, Livre du centenaire 1880–1980. Institut français d’archéologie orientale du Caire, Kairo 1980; s.a. CH. DESROCHES-NOBLECOURT, J. VERCOUTTER (Hrsg.), Un siècle de fouilles franç̧aises en Égypte 1880–1980, à l’occasion du centenaire de l’École du Caire IFAO, Paris 1981. 300 Vgl. A. JAUNAY (Hrsg.), Mémoires de Jacques de Morgan (1857–1924), Paris 1997; CH. LORRE, Jacques de Morgan (1857–1924) et son rôle dans la découverte de la préhistoire égyptienne, in: Archéo-Nil 17, 2008, 39–56.
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Gelegenheit, den mangelnden Schutz ägyptischer Antiken anzuprangern. Bereits 1883 hatte Maspero eine Verschärfung der Antikengesetzgebung ausgearbeitet und legte diese im Verlauf seiner zweiten Amtszeit (1899–1914) vor. Sie wurde jedoch 1902 durch den Internationalen Gerichtshof in Alexandria gestoppt. In der Folgezeit lockerten die britischen Beamten sogar noch die Gesetzgebung zum Schutz der Antiken – dies sicher nicht nur im Interesse britischer Touristen, die nun in zunehmenden Maße das Land bereisten und „Souvenirs“ mitnehmen wollten.301 So wie Deutschland darauf hoffte, dass koloniale Zwistigkeiten Frankreich und Großbritannien auf Dauer trennen würden, hoffte „Whitehall“ wohl, die „Erbfeindschaft“ zwischen Deutschland und Frankreich auf dem Gebiet der „kulturellen Diplomatie“ weiter befeuern zu können. Die Leidtragenden waren die ägyptischen Altertümer. Nach Ende des Ersten Weltkrieges behielt Frankreich weiter die Kontrolle über den französischen Antikendienst. Zwar konnte Pierre Lacau (1873–1963; Amtszeit: 1914–1936) diese Position, die seinem Land sogar in der Entente cordiale von 1904 durch Großbritannien garantiert worden war, halten, jedoch sah er sich einem wachsenden ägyptischen Nationalbewusstsein gegenüber, welches den Umstand, dass der ägyptische Antikendienst durch einen Franzosen geleitet werden „musste“, nicht mehr länger zu akzeptieren bereit war.302 In diesem Zusammenhang sind auch die verschärften Ausfuhrbeschränkungen für ägyptische Antiken zu sehen, ebenso wie die damals aufkommenden Forderungen nach der Rückgabe bereits ausgeführter Objekte, von denen die Büste der Nofretete sicher das prominenteste Beispiel darstellt (vgl. Kap. 2.2.2.). Lacau musste beweisen, dass er das ägyptische kulturelle Erbe besser schützte als ein ägyptischer Antikendienstleiter. Noch einmal jedoch gelang die Amtsübergabe an einen Franzosen, Étienne Drioton (1889–1961; Amtszeit: 1936–1952).303 Mit dem Sturz der ägyptischen Monarchie im Jahr 1952 fiel jedoch auch diese Bastion kolonialer Einflussnahme. Die kulturpolitische Bevormundung der Ägypter und der Missbrauch der ägyptischen Antikenverwaltung als Gegenstand diplomatischer Ränkespiele hatten katastrophale Auswirkungen auf die Ausbildung einer eigenständigen ägyptischen Ägyptologie: Dabei gilt es allerdings auch festzuhalten, dass die Ägypter 301 Vgl. R. MAIRS, M. MURATOV, Archaeologists, Tourists, Interpreters: Exploring Egypt and the Near East in the Late 19th–Early 20th Centuries, London 2015. 302 Eine Art Zwischenbilanz bis zu Lacaus Amtsantritt in: E. DAVID, Der Antikendienst vor 1914. Paradoxe einer „französischen“ Verwaltung, in: Trümpler (Hrsg.), Das große Spiel, 495–503. 303 Vgl. M. JURET, Étienne Drioton. L’Égypte, une passion, Paris 2013.
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ihrerseits in dem Bemühen um „ägyptologische Unabhängigkeit“ nicht ausschließlich von wissenschaftlichen, sondern ebenfalls von politischen Interessen geleitet waren.304 Das Interesse an den Hinterlassenschaften der vor-islamischen Vergangenheit war dabei in Ägypten nicht eigentlich erloschen gewesen.305 Allerdings konnte die neue Wissenschaft der Ägyptologie europäischer Prägung in der islamischen Welt nicht auf vergleichbaren Grundlagen aufbauen. Während die Wissenschaftler der Napoleonischen Ägypten-Expedition vom Geist der Aufklärung geprägt waren, erlebte das Osmanische Reich, zu dem Ägypten formell bis 1914 gehörte, einen wissenschaftlich-technologischen Niedergang, der nicht unwesentlich durch eine orthodoxe oder besser fortschrittsfeindliche Auslegung des Islam verursacht wurde.306 Nicht von ungefähr kam daher die Beobachtung H. Brugschs, der in seiner 1871 eingerichteten Ägyptologenschule grundlegende Verständnisschwierigkeiten bei seinen Schülern feststellte: „Ich kann es leicht verstehen, daß der Unterricht morgenländischer Schüler, den sie von europäischen Lehrern empfangen, immer nur zu mäßigen Erfolgen führt, da den Lehrern das Mittel meist vollständig abgeht, sich den Schülern so verständlich zu machen, um von ihnen begriffen zu werden. Die meisten Europäer, die nicht einmal in ihrem Lande eine Schulprüfung bestanden haben, sind darauf angewiesen, sich beim Unterricht der Dolmetscher zu bedienen, denen selber wiederum die Fähigkeit abgeht, die technischen Ausdrücke in den verschiedenen Unterrichtszweigen ihrer Bedeutung nach zu verstehen und für die arabische Sprache eine Wortbildung eintreten zu lassen, die sich begrifflich einigermaßen mit dem fremden Ausdruck deckt.“307 Die französische Leitung des ägyptischen Antikendienstes bemühte sich darüber hinaus nach Kräften, die Ausbildung kompetenter einheimischer Ägyptologen zu behindern, um keine Konkurrenz entstehen zu lassen. Brugsch berichtet auch davon, dass die Vertreter des einheimischen Bildungswesens ihrerseits 304 Zu den komplexen Hintergründen vgl. REID, Whose Pharaohs?; COLLA, Conflicted Antiquities; D. M. REID, Contesting Antiquity in Egypt. Archaeologies, Museums & the Struggle for Identities from World War I to Nasser, Kairo 2015. 305 Vgl. O. EL DALY, Egyptology. The missing millennium. Ancient Egypt in medieval Arabic writings, London 2005. 306 Vgl. für einen allgmeinen Überblick: J. AL KHALILI, Im Haus der Weisheit. Die arabischen Wissenschaften als Fundament unserer Kultur, Frankfurt a.M. 2012; zu dem ursprünglich umgekehrten „Gefälle“ zwischen „Ost“ und „West“: J. FREELY, Platon in Bagdad. Wie das Wissen der Antike zurück nach Europa kam, Stuttgart 2012. 307 BRUGSCH, Mein Leben und mein Wandern, 281f.; vgl. auch VOSS, Geschichte der Abteilung Kairo des DAI, Bd. 1, 16f.
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wenig Unterstützung leisteten und die talentierteren Schüler lieber nicht an ihn und seine Ausbildungsstätte abgetreten hätten. Beides unterstreicht noch einmal, dass die Geschichte der ägyptischen Ägyptologie ein äußerst komplexer Untersuchungsgegenstand ist. Hinzu kommt, dass auch die ägyptische Gesellschaft und die „ägyptischen“ Regierungen (die ja bis zur ägyptischen Unabhängigkeit im Jahr 1952 nur bedingt als solche zu bezeichnen sind) im Laufe des 19. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts sehr unterschiedliche und zum Teil in sich widersprüchliche Positionen zu ihrem pharaonischen Erbe vertreten haben. Ein wichtiger Aspekt ist dabei sicherlich, dass islamische Gelehrte der „heidnischen“ Geschichte des Landes zumindest mit einer gewissen Reserve begegneten oder sich dazu durch ihre Glaubensbrüder genötigt sahen, während die christlichen Kopten frühzeitig das „Alte Ägypten“ als ihr „nationales“ Erbe begriffen. Um es deutlich zu machen: Hier gehen verschiedene soziale, kulturelle, religiöse und nationale Motive ineinander über, die in der historischen Betrachtung nicht immer einfach voneinander zu trennen sind. Als frühester Vertreter einer einheimischen Ägyptologie 308 ist Rifa’a Rafi‘ at Tahtawi (1801–1873) zu benennen. 1835 wurde ihm durch Mehemed Ali (vgl. Kap. 1.4.) die Aufgabe übertragen, eine staatliche Sammlung ägyptischer Antiken im Kairener Stadtteil Ezbekiya anzulegen, wofür auch eigens ein Museum errichtet werden sollte.309 Ihm zur Seite stand dabei der Ingenieur Yussuf Hekekian (1807–1875),310 der als Armenier in Konstantinopel geboren wurde und römisch-katholischer Christ war. Beide Männer hatten eine Ausbildung in Europa genossen, Tahtawi in Frankreich,311 Hekekian in Großbritannien. Beide bemühten sich darum, europäische Wissenschaft und deren Erkenntnisse und Methoden in Ägypten zu vermitteln. Damit entsprachen sie den Interessen des
308 Die Gelehrtenbiografien ägyptischer Ägyptologen stellen ein Desiderat der Forschung dar. Das hat zum einen damit zu tun, dass die Quellen in für westliche Historiker eher schwer zugänglichen Sprachen abgefasst sind oder aber in der arabischen Welt mitunter nicht in einer den europäischen Verhältnissen vergleichbaren Weise vorliegen: Geburts-, Tauf-, Hochzeits- und Sterberegister sind in der islamischen Welt nicht ohne weiteres in Moscheen oder, falls (noch) vorhanden, in staatlichen Archiven zu finden. Vgl. hierzu auch die kritischen Einlassungen in REID, Whose Pharaohs?, 10, zu BIERBRIER, Who was who in Egyptology. 309 Zu den Hintergründen: VOSS, Geschichte der Abteilung Kairo des DAI, Bd. 1, 12. 310 Mehrfach erwähnt in: J. ROSS (Hrsg.), Lady Duff Gordon’s Letters from Egypt, London 1902. 311 Vgl. R. R. AL TAHTAWI, An Imam in Paris. Account of a Stay in France by an Egyptian Cleric (1826–1831), translated and introduced by Daniel L. Newman, London 2011.
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Landesherrn, der sich für eine konsequente Modernisierung Ägyptens einsetzte.312 Allerdings war das Interesse Mehemed Alis vorrangig auf eine wirtschaftlich-industrielle Modernisierung gerichtet. Ägyptische Antiken dienten ihm dabei als diplomatische oder materielle Ressourcen. Hekekian kommentierte: „The only interest we take in the ruins of antiquity is in their capacity of production in salpeter“.313 Tatsächlich wurden ägyptische Tempel auch gern als Lieferanten von Baumaterial für Fabrikgebäude genutzt. Es kann daher nicht verwundern, dass das Interesse des Khediven an den Altertümern an sich bald wieder erlahmte und die Einrichtung eines nationalen Museums ins Stocken geriet. Mit der Machtübernahme von Abbas Hilmi (1813–1854; er regierte ab 1849) verschlechterte sich die Situation noch weiter, da nun westlicher Einfluss und christliche Beamte gleichermaßen zurückgedrängt werden sollten. Dies bedeutete das Aus sowohl für die Laufbahn Tahtawis als auch Hekekians, welcher bereits zuvor in Ungnade gefallen war. Zum Glück bewährten sich seine Kontakte nach Großbritannien, unter dessen Schutz er in den 1850er Jahren selbständig Ausgrabungen durchführen konnte. Zwar wurde unter Mehmed Said Pascha die Idee einer staatlich kontrollierten Antikenverwaltung wieder aufgenommen, diese jedoch in die Hände der Franzosen gegeben. Rifa’a at Tahtawi beteiligte sich nicht mehr an dem jetzt unternommenen zweiten Anlauf zur Einrichtung eines ägyptischen Nationalmuseums 1863 in dem Kairener Stadtteil Bulaq, welches von A. Mariette geplant und später geleitet wurde.314 Erst die Hinwendung Ismail Paschas (vgl. Kap. 1.4.) zu Deutschland und die Gründung einer Ausbildungsstätte für einheimische Ägyptologen 1871 eröffnete wieder die Chance für Ägypter, sich auf dem Gebiet der Ägyptologie zu betätigen, was allerdings von französischer Seite nach Kräften behindert wurde. Einer der Absolventen war Ahmed Kamal (1851–1923), dessen Vater kretischer Herkunft war. Nachdem er sich zunächst als Deutschlehrer hatte durchschlagen müssen, wurde er 1881 von G. Maspero für den Antikendienst angestellt, und man gestattete ihm 1882 sogar die Neubegründung einer Ägyptologenschule. Unter J. de Morgan erhielt er 1896 den Auftrag zur Inventarisierung des inzwischen beachtlich angewachsenen Sammlungsbestandes des Nationalmuseums. In der zweiten Amtsperiode Masperos konnte Kamal eine Reihe eigener Ausgrabungen durchführen und bildete mit Selim 312
Vgl. grundlegend: CH. FAHMY, All the Pasha’s men. Mehmed Ali, his army and the making of modern Egypt, Cambridge 1997. 313 In einem Schreiben vom 29. September 1844, zitiert nach REID, Whose Pharaohs?, 61. 314 Vgl. zur Geschichte der ägyptischen Museen: REID, Contesting Antiquity, 1–8.
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Hassan (1886–1961)315 einen Schüler aus, der später eine bedeutende Rolle für die einheimische Ägyptologie spielen sollte. Diese vermeintliche Erfolgsgeschichte ist allerdings einer genaueren Betrachtung zu unterziehen: Erst im Alter von 30 Jahren konnte Kamal überhaupt auf ägyptologischem Gebiet tätig werden. Seine Karriere wurde wesentlich durch den Umstand befördert, dass die französische Leitung des Antikendienstes, nachdem sie zuvor seine Ausbildung in der von H. Brugsch geleiteten Schule behindert hatte, nunmehr auf einheimische Kräfte setzte, um die Einstellung deutscher und womöglich auch britischer Beamter im Antikendienst zu verhindern.316 Besonders E. Grébaut setzte dem Avancement Kamals Grenzen und bevorzugte im Zweifel wieder französische Gelehrte, wenn es etwa um Beförderungen ging.317 Weiterhin musste Kamal auf Französisch publizieren, wenn er seine „westlichen“ Kollegen erreichen wollte, und ebenso auf Arabisch, um seine Profession dauerhaft in Ägypten zu etablieren. Diese Arbeiten jedoch, darunter eine Grammatik des Ägyptischen, blieben von seinen europäischen Kollegen weitgehend unbeachtet. Auch wurde die Ausbildung einheimischer Ägyptologen nicht kontinuierlich fortgesetzt, so dass sein Schüler S. Hassan zunächst seinerseits als Lehrer arbeiten musste, bevor er 1928 (!) als erster ägyptischer Professor für Ägyptologie an die Universität Kairo berufen wurde. Noch heute ist das Studium im Ausland ein entscheidender Faktor für die akademische Laufbahn einheimischer Ägyptologen, wobei europäische und amerikanische Universitätsdozenten im Rahmen von Kooperationsprojekten für die universitäre Ausbildung in Ägypten herangezogen werden. Wenngleich unter veränderten politischen Rahmenbedingungen und in dem an sich positiven Bemühen, Ägyptologie als eine internationale Wissenschaft zu betreiben, wirken
315
Vgl. D. ABOU-GHAZI, Selim Hassan. His Writings and Excavations, in: ASAE 58, 1964, 61–84: http://www.gizapyramids.org/pdf_library/hassan_asae_58_1964.pdf [6.1.2016]; hierzu auch eine Ausstellung am Bibliotheca Alexandrina Conference Center, 30. September bis 10. Oktober 2015, unter dem Titel „Selim Hassan. Legend of Egyptology“. In der Wahl der etwas schwärmerischen Epitheta unterscheidet sich die in Ägypten jetzt betriebene Wissenschaftsgeschichte nicht grundsätzlich von entsprechenden Publikationen des „Westens“. Allerdings gilt es immer zu beachten, dass (1) die Ägypter einer tatsächlichen oder vermeintlichen Unterschätzung des Beitrages einheimischer Gelehrter entgegenwirken wollen und (2) die Idee, namhafte Vertreter der eigenen Disziplin kritisch zu beurteilen, vielen ägyptischen Ägyptologen grundsätzlich noch ungehöriger erscheint als ihren „westlichen“ Kollegen. 316 Hierzu VOSS, Geschichte der Abteilung Kairo des DAI, Bd. 1, 17. 317 Hierzu REID, Contesting Antiquity, 31.
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die historischen Hintergründe der Disziplingeschichte in Ägypten so bis in die Gegenwart. 1.6.1.3. Amerikanische Ägyptologie – James H. Breasted und George A. Reisner Ähnlich wie im Fall Großbritanniens (vgl. Kap. 1.6.1.1.) ist das Interesse von US-Amerikanern an der Kultur Ägyptens zunächst von Orientreisenden und Diplomaten geweckt und gefördert worden. 318 Eine Besonderheit stellt dabei der Umstand dar, dass sich amerikanische Gelehrte frühzeitig für die ethnische Herkunft – im damaligen Sprachgebrauch: die Rasse – der alten Ägypter interessierten.319 Die Frage, ob auf afrikanischem Boden eine sogenannte „Hochkultur“, womöglich von Vertretern einer „negriden Rasse“, begründet worden sei, hatte für eine amerikanische Gesellschaft, die Mitte des 19. Jahrhunderts die Abschaffung der Sklaverei diskutierte, eminente Bedeutung. Waren „Schwarze“ zu „Kultur“ fähig, fiel es schwer(er), ihre Versklavung weiter zu rechtfertigen.320 Einen Nebenaspekt bildete in diesem Kontext auch die relativ leichte Verfügbarkeit menschlicher Schädel für phrenologische321 und rassenkundliche Untersuchungen. 322 Hier ist vor allem der Name des amerikanischen Vizekonsuls George Robbins Gliddon (1809–1857)323 zu erwähnen, der seinen Aufenthalt in Ägypten dazu nutzte, eine große Schädelsammlung anzulegen, um so die Schlussfolgerungen des Arztes und Naturwissenschaftlers Samuel George Morton (1799–1851) und der von diesem begründeten American 318 Vgl. A. OLIVER, American Travelers on the Nile. Early U.S. Visitors to Egypt, 1774– 1839, Kairo 2015. 319 Grundlegend hierzu: S. TRAFTON, Egypt Land. Race and Nineteenth-Century American Egyptomania, Durham 2004. 320 Grundlegend: M. G. BERNAL, Black Athena, 3 Bde.: The afro-asiatic roots of classical civilisation, London 1987; The archaeological and documentary evidence, London 1991; The linguistic evidence, London 2006; dazu: W. VAN WINSBERGEN (Hrsg.), Black Athena comes of age. Towards a constructive re-assessment, Berlin 2011; eine ägyptologische Stellungnahme durch: BAINES, On the methods and aims, 27–48; s.a. jüngste Einzelstudien: MONTSERRAT, Akhenaten, bes. 114–138. 321 Vgl. J. E. LEWIS et al., The Mismeasure of science. Stephen J. Gould versus Samuel George Morton on Skulls and Bias, 2011: http://journals.plos.org/plosbiology/article?id=10.1371/journal.pbio.1001071 [7.1.2016]. 322 Vgl. allgemein N. FINTZSCH, Wissenschaftlicher Rassismus in den Vereinigten Staaten – 1850 bis 1930, in: H. Kaupen-Haas, Ch. Saller (Hrsg.), Wissenschaftlicher Rassismus. Analysen einer Kontinuität in den Human- und Naturwissenschaften, Frankfurt a.M. 1999, 84– 110. 323 Vgl. T. CHAMPION, Beyond Egyptology. Egypt in 19th and 20th century Archaeology and Anthropology, in: P. J. Ucko (Hrsg.), The Wisdom of Egypt. Changing Visions through the ages, London 2003, 161–185.
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School of Anthropology324 weiter zu untermauern. Unterstützt wurde er in diesem Bemühen von dem Politiker Josiah Clark Nott (1804–1873), mit dem er gemeinsam seine Ergebnisse publizierte. 325 Dabei sollte nicht der falsche Eindruck entstehen, als speiste sich das frühe amerikanische Interesse am alten Ägypten ausschließlich aus rassistischen Motiven. Neben dem religiösen, bibelwissenschaftlichen Moment ist dies jedoch ein nicht zu unterschätzender Faktor. Gesamtdarstellungen zur Geschichte der amerikanischen Ägyptologie sind nur wenige vorhanden.326 Eine universitäre Institutionalisierung des Faches blieb vor dem Beginn des 20. Jahrhunderts aus. Die ersten amerikanischen Gelehrten, die sich auf dem Gebiet der ägyptischen Altertumswissenschaft betätigten, haben ihre Ausbildung folgerichtig in Europa genossen. Zu erwähnen ist zunächst Charles Edwin Wilbour (1833– 1896),327 der sowohl in Frankreich als auch in Deutschland studiert hat. Er hat allerdings selbst kaum publiziert und sich weitgehend auf Zuarbeiten für seine europäischen Kollegen beschränkt. Auch James Henry Breasted (1865–1935)328 hat in Deutschland studiert und wurde 1905 als erster Amerikaner im Fach Ägyptologie promoviert. Er war ein Schüler A. Ermans und ein überzeugter Vertreter von dessen Berliner Schule (vgl. Kap. 1.5.). Im Rahmen des 1891 eingerichteten Oriental Institute329 an der nach deutschem Vorbild verfassten University of Chicago hat Breasted eine enorme Forschungsleistung in der Region des – im Übrigen begrifflich auf ihn zurückgehenden – „fertile crescent“ (dem Fruchtbaren Halbmond) entfaltet. Maßgeblich hierfür war die finanzielle Unterstützung durch J. 324
Für die Ägyptologiegeschichte besonders interessant: S. G. MORTON, Crania Aegyptiaca. Observations on Egyptian Ethnography, Anatomy, History and the Monuments, Philadelphia 1844. 325 Vgl. J. C. NOTT, G. R. GLIDDON, Types of Mankind. On Ethnological Researches based upon the Ancient Monuments, Paintings, Sculptures and Crania of Races and upon their Natural, Geographical und Philological, and Biblical History, Philadelphia 1854. 326 Vgl. J. A. WILSON, Signs and Wonders upon Pharaoh. A History of American Egyptology, Chicago 1964; D. DUNHAM, Recollections of an Egyptologist, Boston 1972; N. THOMAS et al., The American Discovery of Ancient Egypt, Los Angeles 1996. 327 Vgl. J. M. MARGIOTTA, Charles Edwin Wilbour and the Birth Of American Egyptology, Raleigh (NC) 2009. 328 Vgl. CH. BREASTED, Pioneer to the Past. The Story of James Henry Breasted, Chicago 1943; J. ABT, American Egyptologist. The Life of James Henry Breasted and the Creation of his Oriental Institute, Chicago 2011; auch im Dokumentarfilm: „The Human Adventure“, ab 6:00: https://www.youtube.com/watch?v=yysHJk0v5XA [7.1.2016]. 329 Vgl. die Homepage des Institutes: https://oi.uchicago.edu/about/history-oriental-institute [7.1.2016].
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D. Rockefeller jr. (1874–1960). Dessen Finanzspritze von rund 20.000 Dollar ermöglichte Anfang der 20er Jahre auch die Drucklegung des Berliner Aegyptischen Woerterbuches, was ansonsten nicht mehr durch den deutschen Wissenschaftsbetrieb hätte geleistet werden können. Schon während des Ersten Weltkrieges hatte sich Breasted eindeutig zu Deutschland bekannt, welches er in seinen Briefen an Erman als „fatherland“ bezeichnete.330 Dennoch ist seine Bezeichnung als „American Egyptologist“, wie sie kürzlich durch JEFFREY ABT vorgenommen wurde, durchaus berechtigt. Breasteds Interessen gingen über die hauptsächlich philologischen Forschungsinhalte der deutschen Kollegen hinaus. Bereits 1905 veröffentlichte er A History of Egypt und damit eine der ersten Gesamtdarstellungen altägyptischer Geschichte auf der Grundlage der durch die Berliner Methoden aus den ägyptischen Texten gewonnenen Erkenntnisse, die er ab 1906 in fünf Bänden unter dem Titel Ancient Records of Egypt gleichfalls publizierte. Darin wird das Bemühen erkennbar, englischsprachige Einführungs- und Grundlagenwerke zu veröffentlichen; bei dem damaligen Stand der Forschung waren aber derartige fundierte Überblicksdarstellungen generell ein Desiderat. Allerdings waren auch Breasteds Publikationen nicht frei von den in der amerikanischen Ägyptologie bereits frühzeitig verankerten rassenkundlichen Fragestellungen.331 Der zweite große Name der amerikanischen Ägyptologie ist der von George Andrew Reisner (1867–1942). In vielerlei Hinsicht lassen sich Parallelen zur Biografie von Breasted ziehen: Auch Reisner studierte in Deutschland und war zeitweise als Assistent am Berliner Ägyptischen Museum unter Erman tätig. Hierbei spielte sicher auch der Umstand eine Rolle, dass Erman damals die Leitung der vorderasiatischen Abteilung der Königlichen Museen inne hatte (vgl. Kap. 1.6.) und Reisner ursprünglich als Semitist und Assyriologe ausgebildet worden war. Er konnte 1910 die Ägyptologie an der Harvard University etablieren und hat sich in seiner Laufbahn vor allem um die Erforschung Nubiens und des Pyramidenplateaus von Gizeh verdient gemacht. Auch ihm
330
Hierzu T. GERTZEN, The Anglo-Saxon-Branch of the Berlin School 1. The war correspondence (1914–1916) of J. H. Breasted (1865–1935) and J. P. A. Erman (1854–1937), in: EDAL 2, 2010/11, 151. 331 L. AMBRIDGE, History and Narrative in a Changing Society. James Henry Breasted and the Writing of Ancient Egyptian History in Early Twentieth Century America, Michigan 2010: http://deepblue.lib.umich.edu/handle/2027.42/78772 [7.1.2016]; DERS., Imperialism and Racial Geography in James Henry Breasted’s Ancient Times, a History of the Early Worlds, in: Schneider/Raulwing (Hrsg.), Egyptology from the First World War, 12–33.
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wurde sein wissenschaftliches Engagement durch die kontinuierliche finanzielle Unterstützung durch Mäzene ermöglicht: Phoebe Apperson Hearst (1842–1919) und ihr Sohn William Randolph (1863–1951) unterstützten mit großen Summen die ägyptologische Forschung und betätigten sich als Sammler ägyptischer Antiken. So gelang es Reisner, die ägyptische Archäologie weiter zu entwickeln. Anders als Flinders Petrie es vermocht hatte (vgl. Kap. 1.6.1.1.), sorgte er für die exakte Dokumentation sämtlicher Funde und Befunde und erweiterte auch das Ausmaß fotografischer Dokumentation.332 Allerdings blieben viele seiner umfangreichen Grabungsdokumentationen infolgedessen unveröffentlicht.333 Auch Reisner hielt die rassenkundliche, um nicht zu sagen rassistische Tradition amerikanischer Archäologie aufrecht: Für ihn waren die Begründer der 25. Dynastie „Libyer“, die die einheimische „negroide“ Bevölkerung Nubiens bzw. des Sudan aufgrund ihrer kulturellen Überlegenheit dominierten. Kultureller Niedergang war für ihn auf „Rassenmischung“ zurückzuführen. Die gewachsene Bedeutung der Vereinigten Staaten nach Ende des Ersten und noch mehr nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges fand ihren Ausdruck in der dauerhaften Institutionalisierung ägyptologischer und anderer Forschungseinrichtungen in Ägypten: Zwar konnte Breasted, der wie viele seiner Zeitgenossen das erwachende Nationalbewusstsein der Ägypter ignorierte, Mitte der 20er Jahre nicht den Bau eines neuen ägyptischen Nationalmuseums erreichen. Sein Mäzen Rockefeller hatte sich dazu bereit erklärt, bis zu zehn Millionen Dollar dafür zu zahlen. Das Projekt scheiterte jedoch an der Frage der Beteiligung deutscher Gelehrter und dem Umstand, dass die Planer auch das neue Museum grundsätzlich unter „westlicher“ Leitung konzipiert hatten. 334 Dafür wurde 1924 mit dem Chicago House in Luxor eine feste Basis für amerikanische Forscher in Ägypten, nach dem Vorbild des zwischenzeitlich zerstörten Deutschen Hauses (vgl. Kap. 1.6.2.), eingerichtet. 1948 wurde das American Research Center in Egypt (ARCE)335 gegründet. Damit waren die Amerikaner,
332 Zu Petries Pionierleistungen: P. SPENCER, Flinders Petrie. The Father of Egyptian Archaeological Photogphy, in: EES Newsletter 5/2012, 4f.; zu Reisner: P. DER MANUELIAN, George Andrew Reisner on Archaeological Photography, in: JARCE 29, 1992, 1–34; DERS., George A. Reisner. Shooting the Pyramids, in: View Camera Jan.-Feb., 1995, 8–13. 333 Sie sind allerdings mittlerweile zum Teil durch das „Giza Archive Project“ online erschlossen: http://gizapyramids.org [7.1.2016]. 334 Zu den Hintergründen: ABT, American Egyptologist, 317–344. 335 Vgl. die Homepage des Instituts: http://arce.org/main/about/historyandmission [8.1.2016].
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verglichen mit den Franzosen und den Deutschen, erst relativ spät institutionell in Ägypten verankert. Sie hatten aber, im Gegensatz zu den Briten, die über die Planung eines British Imperial Institute of Archaeology, wie es A. H. Gardiner (vgl. Kap. 1.6.1.1.) vorgeschlagen hatte, nicht hinausgekommen waren, auf lange Sicht hin mehr erreicht. Die American University in Cairo (AUC)336 hat zudem seit Anfang der 20er Jahre den amerikanischen Einfluss auf das ägyptische Bildungswesen verstärkt.337 1.6.2. Ein deutsches Institut in Kairo Angesichts der starken Verankerung der französischen Ägyptologie (vgl. Kap. 1.6.1.2.) einerseits und des durchaus erfolgreichen Wirkens des „wissenschaftlichen Attachés“ L. Borchardt (vgl. Kap. 1.6.) andererseits begannen 1906/07 Bemühungen, der deutschen wissenschaftlichen Vertretung in Kairo eine repräsentativere Ausstattung zu bescheren: Deutschland sollte ebenfalls ein eigenes „Institut“ erhalten und Borchardt zu dessen „Direktor“ ernannt werden. Diese Bestrebungen stießen bei A. Erman, der bislang die Karriere seines Schülers gefördert und die Einrichtung einer entsprechenden Stelle in Ägypten auch durchgesetzt hatte, nicht auf ungeteilte Unterstützung: Einer Aufwertung von Borchardts Status, auch und gerade gegenüber den Vertretern anderer Forschernationen, mochte Erman zustimmen, ebenso wie einer höheren Besoldung. Andererseits wollte er die Aufsichtsfunktion der Kommission zur Herausgabe des Woerterbuches der Aegyptischen Sprache338 nicht geschmälert wissen und verhielt sich eher skeptisch gegenüber der geänderten Nomenklatur eines Kaiserlich-Deutschen Institutes für Ägyptische Alterthumskunde.339 Tatsächlich wurde das Institut zwar als solches gegründet und Borchardt zu seinem Direktor ernannt, der zur Verfügung stehende Etat seitens des Auswärtigen Amtes aber nicht wesentlich gegenüber dem des wissenschaftlichen Attachés erhöht. So kam es, dass Borchardt Räumlichkeiten in einer Villa auf der Kairener Nil-Insel Zamalek selbst anmieten musste. Möglich wurde dies durch den Reichtum der Familie seiner Frau Emilie Cohen, genannt „Mimi“.340 Immerhin wurden dem Institutsdirektor jetzt weitere Gelder für die Beschäftigung seiner 336
Vgl. die Homepage: http://aucegypt.edu/about/about-auc/history [8.1.2016]. Vgl. L. R. MURPHY, The American University in Cairo 1919–1987, Kairo 1987. 338 Vgl. GERTZEN, École de Berlin, 217–223. 339 Zu den Hintergründen: VOSS, Geschichte der Abteilung Kairo des DAI, Bd. 1, 115–120. 340 Vgl. C. KASPER-HOLTKOTTE, Vom Main an den Nil. Zur Geschichte der Familie Cohen in Frankfurt und des Ehepaares Borchardt in Kairo, in: Brinkmann (Hrsg.), Sahure. Tod und Leben eines großen Pharao, 123–141. 337
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Assistenten bewilligt.341 Zusammen mit dem bereits 1904 aus Mitteln des Kaiserlichen Dispositionsfonds errichteten Deutschen Haus in Theben342 verfügte die deutsche Archäologie somit über eine durchaus beachtliche Vertretung in Ägypten, die allerdings bei weitem nicht an das Ausmaß und die Möglichkeiten der französischen bzw. von Franzosen geleiteten ägyptischen Institutionen heranreichte.343 Hervorzuheben ist auch, dass Borchardts archäologische Aktivitäten nach wie vor von finanzieller Unterstützung durch private Geldgeber abhängig waren, und dies umso mehr, da die Vertreter der Berliner Schule seine gewachsene Unabhängigkeit mit zunehmendem Misstrauen beobachteten.344 Der Erste Weltkrieg bedeutete eine Zäsur für die deutschen archäologischen Aktivitäten in Ägypten. Borchardt wurde vom Kriegsausbruch während seines Sommerurlaubs in Deutschland überrascht und konnte erst Anfang der 20er Jahre nach Ägypten zurückkehren, was seinem Rivalen F. W. von Bissing den Anlass zu antisemitischen Ausfällen gegen den jüdischen Kollegen bot und dazu, ihn als „pflichtvergessenen Feigling“345 zu bezeichnen, der seinen Posten verlassen habe. In Borchardts Abwesenheit sorgten die Briten bereits 1915 für die Zerstörung des Deutschen Hauses in Theben346 und die Aufhebung der von Deutschen gehaltenen Grabungskonzessionen.347 Bei seiner Rückkehr nach Kairo 1923 musste Borchardt zunächst auf Rückgabe des Institutsgebäudes klagen, das als sein privater Besitz nicht als „Reichseigentum“ von den Siegermächten hätte beschlagnahmt werden dürfen. Die durch Bissing gestiftete Bibliothek von G. Ebers war aber ebenso verloren wie die von Bissing finanzierte Ehrentafel für Kaiser Wilhelm II. im Deutschen Haus. Dennoch gestaltete sich der Neubeginn für Borchardt und die jetzt nur noch als Deutsches Institut für Ägyptische Altertumskunde bezeichnete Vertretung der deutschen Ägyptologie einfacher als ursprünglich erwartet; gerade die Franzosen, 341 Vgl. zu den generellen Rahmenbedingungen: VOSS, Geschichte der Abteilung Kairo des DAI, Bd. 1, 121–130. 342 Vgl. D. POLZ, Das Deutsche Haus in Theben. „Die Möglichkeit gründlicher Arbeit und frischen Schaffens“, in: G. Dreyer, D. Polz (Hrsg.), Begegnung mit der Vergangenheit – 100 Jahre in Ägypten. Deutsches Archäologisches Institut Kairo 1907–2007, Mainz 2007, 25– 31; und VOSS, Geschichte der Abteilung Kairo des DAI, Bd. 1, 99–108. 343 Vgl. VOSS, Geschichte der Abteilung Kairo des DAI, Bd. 1, 150–154. 344 Vgl. ebenda, 161–164, 188–194 und 198–203. 345 SMB-ZA, NL Bode 849, Bissing F. W. v, 10.9.1914; zitiert nach: VOSS, Geschichte der Abteilung Kairo des DAI, Bd. 1, 149. 346 Vgl. VOSS, Geschichte der Abteilung Kairo des DAI, Bd. 1, 175–177. 347 Vgl. ebenda, 177–182; GERTZEN, The Anglo-Saxon Branch of the Berlin School 2.
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von denen man den größten Widerstand befürchtet hatte, verhielten sich den deutschen Kollegen gegenüber zwar äußerst distanziert (vgl. Kap. 1.7.),348 legten ihren Bemühungen um die Wiederaufnahme wissenschaftlicher Tätigkeit in Ägypten jedoch zunächst nur wenig Hindernisse in den Weg. 349 Erst unter dem Druck des sich verstärkenden ägyptischen Nationalbewusstseins (vgl. Kap. 1.6.1.2.) verschärften die Vertreter des französisch geleiteten ägyptischen Antikendienstes ihren Ton gegenüber den deutschen Kollegen. Insgesamt jedoch konnte Borchardt die institutionelle Vertretung der deutschsprachigen Ägyptologie in Ägypten erfolgreich re-etablieren. 1925 wurde mit dem Wiederaufbau des Deutschen Hauses in Theben begonnen.350 Das im selben Jahr im Zuge der Rückgabeforderung der Büste der Nofretete verhängte Grabungsverbot und die Verschärfung der Antikengesetzgebung im Nachgang zur Entdeckung des Grabes des Tutanchamun im Jahr 1922351 durch den britischen Ägyptologen (vgl. Kap. 1.6.1.1.) H. Carter hatten auf die deutsche Ägyptologie vergleichsweise geringe Auswirkungen. Denn von der von Kriegsniederlage, Reparationszahlungen und der krisenhaften internationalen wirtschaftlichen Entwicklung heftig gebeutelten Weimarer Nachkriegsdemokratie waren weder umfangreiche staatliche noch private Forschungsinvestitionen zu erwarten gewesen. Für eine Einbindung Borchardts in die von J. H. Breasted gehegten Pläne zur Schaffung eines neuen ägyptischen Nationalmuseums war es, so kurz nach dem Krieg, noch zu früh, wobei dies angesichts der politischen Entwicklung in Ägypten selbst auch nicht mehr realistisch zu erwarten war (vgl. Kap. 1.6.1.3.). Das Institut konzentrierte sich deshalb auf seine ursprünglichen Kernaufgaben und leistete Unterstützungsdienste für deutsche wissenschaftliche Unternehmungen und Ankäufe von Antiken. In kleinerem Maßstab und mit einem Schwerpunkt in der Thebais konnte Borchardt dabei eigene Forschungsvorhaben verfolgen.352 Zwei Jahre vor seiner Pensionierung entbrannte zwischen ihm und den Vertretern des Berliner Aufsichtsgremiums ein Streit um die Zukunft des Institutes, in welchem sich der lange schwelende Konflikt zwischen Borchardt und den 348
Tatsächlich hatte es zeitweise so ausgesehen, als ob deutsche Ägyptologen dauerhaft aus der scientific community hätten ausgeschlossen werden sollen; vgl. ERMAN, Mein Werden und mein Wirken, 17: „Wer wird es glauben, daß die französischen Gelehrten, die 1922 die Hundertjahrfeier der Entzifferung der Hieroglyphen veranstalteten, zwar alle Nationen zur Teilnahme aufforderten, aber die Deutschen davon ausschlossen.“ 349 Vgl. VOSS, Geschichte der Abteilung Kairo des DAI, Bd. 1, 203–206. 350 Vgl. ebenda, 221–226. 351 Zu deren Auswirkungen: REID, Contesting Antiquity, 51–133. 352 Vgl. VOSS, Geschichte der Abteilung Kairo des DAI, Bd. 1, 226–229.
Ägyptologie in Ägypten – Archäologie im „Schatten der Texte“?
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Vertretern der Berliner Schule, allen voran G. Steindorff, endgültig entlud. Die Berliner plädierten nun für eine Eingliederung des Kairener Institutes in das Archäologische Institut des Deutschen Reichs, welche 1928 schließlich auch erfolgte. Borchardt hatte sich für den Erhalt der Unabhängigkeit des Institutes eingesetzt und den Bauforscher Uvo Hölscher (1878–1963)353 als seinen Nachfolger favorisiert. Stattdessen wurde der Wiener Professor für Ägyptologie Hermann Junker (1877–1962) zum ersten Direktor der Abteilung Kairo des Archäologischen Instituts ernannt. Borchardt, dessen Privatwohnung eine Hälfte der Institutsvilla auf Zamalek ausmachte, wohnte mit dem ungewollten Nachfolgeinstitut zunächst „Tür an Tür“, bis er diesem, als Eigentümer der Immobilie, 1930 kündigte. Das Deutsche Institut zog daraufhin in eine andere Villa auf Zamalek in der Sharia Kamel Mohammed 5, und Borchardt gründete das nach ihm benannte Ludwig Borchardt-Institut, welches eine Fortsetzung der ägyptischen Bauforschung ermöglichen sollte.354 Mit Herbert Ricke (1901–1976) gewann er zunächst einen geeigneten Assistenten, der ihm später als Direktor des 1949 aus dem Borchardt-Institut hervorgegangenen Schweizerischen Instituts für Ägyptische Bauforschung und Altertumskunde355 nachfolgte. Unter der Leitung von H. Junker erlebte das Deutsche Institut eine grundlegende Neuorientierung. Dabei sollte auch dem persönlichen Hintergrund seines Leiters besondere Aufmerksamkeit zuteil werden: Junker entstammte einem erzkatholischen Milieu im Rheinland, war also somit ursprünglich „Reichsdeutscher“, der in seiner Jugend sicher noch die Nachwirkungen des „Kulturkampfes“ (1871–1878/87) zwischen Reichskanzler Otto von Bismarck (1815– 1898; Amtszeit 1870–1890) und den deutschen Katholiken bzw. dem Vatikan erlebt hatte. Nach dem Besuch des Priesterseminars und dem Studium der ka-
353
Vgl. CH. LOEBEN, Uvo Hölscher in Abusir. Ein Meilenstein in der Geschichte der ägyptischen Bauforschung, in: Brinkmann (Hrsg.), Sahure. Tod und Leben eines großen Pharao, 143–151. 354 Zu den Hintergründen: C. VON PILGRIM, Ludwig Borchardt und sein Institut für ägyptische Bauforschung und Altertumskunde in Kairo, in: Bickel et al. (Hrsg.), Ägyptologen und Ägyptologien, 243–266. 355 Zu den Bemühungen, das Institut vor dem Zugriff des „Dritten Reichs“ zu bewahren und unter den Schutz neutraler Staaten zu stellen: L. SCHREIBER PEDERSEN, „Sagen har den største Betydning for vort Land“. H.O. Langes kamp for et dansk arkæologisk institut i Ægypten: https://tidsskrift.dk/index.php/fundogforskning/article/view/69358 [12.1.2016]; siehe zur Geschichte des Schweizerischen Instituts für Ägyptische Bauforschung und Altertumskunde auch dessen Homepage: http://swissinst.ch/html/geschichte.html [12.1.2016].
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Kurzer Abriss der Geschichte der Ägyptologie im deutschsprachigen Raum
tholischen Theologie entschied er sich dafür, Ägyptologie bei A. Erman in Berlin zu studieren. Wie Borchardt kam er also als „Quereinsteiger“ ins Fach, und wie Borchardt gehörte er einer im Zweiten Deutschen Kaiserreich diskriminierten religiösen Minderheit an.356 Von den Vertretern der Berliner Schule nicht minder misstrauisch beäugt, war sein Wirken in der Ägyptologie des katholisch dominierten Österreich-Ungarns nur folgerichtig. Seine Ernennung zum Direktor des Deutschen Instituts in Kairo wurde sicher auch durch das veränderte konfessionelle Machtgefüge in der Weimarer Republik befördert, in der die katholische Zentrums-Partei beachtlich an politischem Einfluss gewann. Unter diesen Vorzeichen engagierte sich Junker zunächst auch im Sinne des von der ersten deutschen Republik geübten Internationalismus357 und wirkte als Dozent an der Cairo University an der Ausbildung einheimischer Archäologen mit. Nach der sogenannten „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten schwenkte er auf den „neuen Kurs“ ein und unterstützte nicht nur die Selbstgleichschaltung des Archäologischen Institutes,358 sondern machte die Abteilung Kairo zugleich zu einem Außenposten der auswärtigen Kulturpolitik des „Dritten Reiches“. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges (vgl. Kap. 1.10.) kehrte Junker nicht mehr nach Ägypten zurück, sondern überließ seinem Nachfolger Hanns Stock (1908–1966) den Wiederaufbau des Institutes an neuer Adresse, in der Sharia Abu el Feda 31, und berief sich auf seine doppelte Identität als „deutscher Beamter“ und „österreichischer Gelehrter“ (vgl. Kap. 1.9.).359
356
Vgl. CH. DOWE, Auch Bildungsbürger. Katholische Studierende und Akademiker im Kaiserreich (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 171), Göttingen 2006, wobei Juden und Katholiken sich deswegen keinesfalls solidarisierten und beide Gruppierungen auch völlig unterschiedliche Diskriminierungserfahrungen gemacht haben dürften; vgl. O. BLASCHKE, Katholizismus und Antisemitismus im Deutschen Kaiserreich (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 122), Göttingen 1999. 357 Vgl. M. KASSIM, Die diplomatischen Beziehungen Deutschlands zu Ägypten 1919–1936, Münster 2000. 358 Vgl. M. VIGENER, „Ein wichtiger kulturpolitischer Faktor“. Das Deutsche Archäologische Institut zwischen Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit, 1918 bis 1954, Rahden 2012, 57–100, bes. 71–74. 359 Die Person und die Amtszeit Junkers sind Gegenstand laufender Forschungen; vgl. hierzu: S. VOSS, Der lange Arm des Nationalsozialismus. Zur Geschichte der Abteilung Kairo des DAI im „Dritten Reich“; und J. BUDKA, C. JURMANN, Ein deutsch-österreichisches Forscherleben zwischen Pyramiden, Kreuz und Hakenkreuz, beide in: Bickel et al. (Hrsg.), Ägyptologen und Ägytologien, 267–298; 299–331; S. VOSS, Die Abteilung Kairo des DAI während der ausgehenden Weimarer Republik und im „Dritten Reich“, in: MDAV 45.2, 2014, 42–59; DIES., Ein „österreichischer“ Gelehrter im Dienst des deutschen Staates. Hermann Junkers Amtszeit als Direktor des DAI-Kairo im „Dritten Reich“, in: C. Gütl (Hrsg.),
Die Auswirkungen des Ersten Weltkrieges auf eine internationale Wissenschaft 79
1.7.
Die Auswirkungen des Ersten Weltkrieges auf eine internationale Wissenschaft
In seiner Darstellung der Geschichte der Ägyptologie von 1959 hat H. Kees das „Goldene Zeitalter“ der Ägyptologie mit dem Jahr 1914 enden lassen, dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges also den Charakter einer Zäsur für die Geschichte des Faches zugeschrieben (vgl. Kap. 0.5.). Darin stimmte er mit den Zeitgenossen überein, die gleichfalls das Ende einer Epoche wahrgenommen haben. Beispielhaft hierfür kann die Aussage von G. Steindorff aus einem Brief an A. Erman nach Kriegsende zitiert werden: „Die Zeiten der alten Regierung waren für uns gewiss sehr schön und wir werden unseren Kindeskindern davon erzählen; aber wir müssen uns daran gewöhnen, dass sie vorüber sind und eine neue Zeit auflebt. Wir müssen damit als einem historischen Faktum rechnen; auf das Wohlgefühl des Einzelnen kommt es dabei nicht an.“360 Bei Ausbruch des Krieges haben die deutschen Ägyptologen zwar unterschiedlich, aber doch in ihrer Mehrheit „beseelt“ vom „Geist von 1914“ reagiert: Zwar wandte sich A. Erman zusammen mit Max Planck (1858–1947) gegen den Ausschluss von Mitgliedern aus „Feindnationen“ aus der Preußischen Akademie der Wissenschaften,361 unterzeichnete jedoch die Erklärung der Hochschullehrer des Deutschen Reiches.362 Der Tod seines ältesten Sohnes Peter an der Westfront markierte aber wohl einen persönlichen Wende- und auch Tiefpunkt in seinem Leben, von dem sich Erman nicht mehr erholen sollte. 363 G. Steindorff betätigte sich während des Krieges und auch noch danach durch „vaterländische“ Reden und Vorträge.364 Davon hielt Erman wiederum nichts. In Hermann Junker – eine Spurensuche im Schatten der österreichischen Ägyptologie und Afrikanistik, Wien, in Vorbereitung; DIES., Geschichte der Abteilung Kairo des DAI, Bd. 2, in Vorbereitung. 360 BStUB, Steindorff an Erman, 13.9.1919; zitiert nach GERTZEN, École de Berlin, 13. 361 Vgl. REBENICH, Adolf Erman und die Berliner Akademie der Wissenschaften, 357f. 362 Vgl. zum Hintergrund: K. BÖHME, Aufrufe und Reden deutscher Professoren im Ersten Weltkrieg, Stuttgart 1975; B. VOM BROCKE, Wissenschaft und Militarismus. Der Aufruf der 93 „An die Kulturwelt!“ und der erste Zusammenbruch der internationalen Gelehrtenrepublik im Ersten Weltkrieg, in: W. M. Calder, H. Flashar, T. Lindken (Hrsg.), Wilamowitz nach 50 Jahren, Darmstadt 1985, 649–719; J. & W. UNGERN-STERNBERG, Der Aufruf „An die Kulturwelt!“. Das Manifest der 93 und die Anfänge der Kriegspropaganda im Ersten Weltkrieg, Stuttgart 1996. 363 Vgl. GERTZEN, The Anglo-Saxon-Branch of the Berlin School 1. 364 In Auswahl: G. STEINDORFF, Ägypten in Vergangenheit und Gegenwart, Berlin 1915; DERS., Eine Vortragsreise an die Westfront, in: Vossische Zeitung, 16.4. und 2.5.1916;
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Kurzer Abriss der Geschichte der Ägyptologie im deutschsprachigen Raum
seiner Autobiografie bemerkte er hierzu: „ich bin der Meinung, daß dieses Durchhalten unseres Werkes [des Woerterbuches] verdienstlicher gewesen ist, als wenn ich, wie so viele, durch Vorträge und durch Schriften für ‚vaterländische Aufklärung‘ gesorgt hätte.“365 Ähnlich reserviert äußerte sich sein Schüler Kurt Sethe, der zwar die Unterzeichnung von Erklärungen gutheißen mochte, sich von politischen Dingen sonst aber lieber fern hielt: „In diesem Sinne scheint mir auch die professorale Kundgebung der Berliner Koryphäen, von der Sie schreiben, nicht ungerechtfertigt, und ich habe sogar kein Bedenken getragen, sie auch zu unterschreiben, so wenig ich sonst für die öffentliche politische Betätigung der Professoren zu haben bin.“366 Über die Kriegsgegner Deutschlands hatte er sich eine eindeutige Meinung gebildet, differenzierte dabei aber immer zwischen den „Engländern“ und „Franzosen“ und einzelnen Kollegen, um deren Wohlergehen er sich weiterhin sorgte. Darüber hinaus musste Sethe auch noch die eigene Einberufung zum Heeresdienst fürchten, vor der ihn letztlich wohl die durch Erman vermittelte Ernennung zum Geheimrat rettete. 367 Dieser setzte sich auch für seinen gesundheitlich angeschlagenen, einzig verbliebenen Wörterbuchmitarbeiter 368 Hermann Grapow (1885–1967) ein, den er durch Eingaben bei den zuständigen Militärbehörden vor der Einberufung zu bewahren bzw. vom Heeresdienst freizustellen versuchte.369 Andere junge Ägyptologen hatten weniger Glück, etwa Friedrich Rösch (1883–1914)370 oder Max Burchardt (1885–1914).371 Auch der in jeder Hinsicht vielversprechende Georg Möller (1876–1921), der sich
DERS., Die Ostgrenze Ägyptens und der Suezkanal, in: Zeitschrift für Politik 10.2, 1917, 169–194; UNIVERSITÄT LEIPZIG (Hrsg.), August Gauls Kriegerdenkmal, vollendet von Max Esser, der Universitaet Leipzig gestiftet von Heinrich Toelle. Vier Lichtdrucktafeln mit dem Verzeichnis der Gefallenen und dem Berichte der Universitaet ueber die Enthuellungsfeier am 31. Oktober 1924, Leipzig 1925, 9f. 365 Vgl. ERMAN, Mein Werden und mein Wirken, 290. 366 BStUB, Sethe an Erman, 31.7.1916; zitiert nach GERTZEN, École de Berlin, 188. 367 Vgl. GERTZEN, École de Berlin, 186–188. 368 Vgl. auch allgemein die Liste der Mitwirkenden des Woerterbuches auf der Projekthomepage: http://aaew.bbaw.de/projekt/mitarbeiter/mitwirkende [14.1.2016]. 369 Vgl. GERTZEN, Begegnung mit Hermann Grapow, 38–43. 370 Vgl. ZÄS 52, 1915, 131. 371 Vgl. ZÄS 53, 1917, 149.
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sowohl als Archäologe als auch als Philologe bewährt und durch die Veröffentlichung seiner Hieratischen Palaeographie372 einen Namen gemacht hatte, erlag wenige Jahre nach Kriegsende den Spätfolgen einer während seiner Militärdienstzeit erlittenen Malariainfektion. Einen Sonderfall stellt F. W. von Bissing dar, der als Sohn des Generalgouverneurs des von den Deutschen besetzten Königreichs Belgien, Moritz Freiherr von Bissing (1844–1917), eine aktive Rolle in der deutschen Kriegs- und Besatzungspolitik spielen konnte. So verhinderte er den Einsatz seines Kollegen L. Borchardt im Rahmen des sogenannten „Kunstschutzes“,373 engagierte sich im Rahmen einer durch seinen Vater eingesetzten Kommission zur „Flamisierung“ der Universität Gent und veröffentlichte zahleiche Propagandaschriften, einige davon unter seinem Pseudonym „Anacharsis le jeune“.374 An die bayerische Staatskanzlei übersandte er 1916 eine Denkschrift zu einem „Deutschen Angriff auf Aegypten“. Mit dem Tode seines Vaters wurden seine Einflussmöglichkeiten zwar schlagartig begrenzt, doch setzte er seine politische Agitation weit über das Kriegsende hinaus fort.375 Allerdings war er nunmehr, d.h. nach der Kapitulation und dem Zusammenbruch des Deutschen Kaiserreiches, wieder auf seine wissenschaftliche Tätigkeit zurückverwiesen worden. Auf diesem Gebiet versuchten er und andere Ägyptologen nun, die Niederlage Deutschlands wettzumachen. Als Projektionsfläche für seine politische Agitation wählte Bissing das klassische Altertum und publizierte die Schrift Das Griechentum und seine Weltmission im Jahr 1921.376 Neben eher platten Vergleichen zwischen Aristoteles und „den Engländern“ sowie Alexander dem Großen und „den Deutschen“377 enthielt dieser Band auch heftige Kritik an der Kulturpolitik der Briten in Indien und Ägypten, 378 dagegen Lob der Bemühun-
372
G. MÖLLER, Hieratische Paläographie. Die ägyptische Buchschrift in ihrer Entwicklung von der 5. Dynastie bis zur römischen Kaiserzeit, 3 Bde., Leipzig 1909–1912. 373 Vgl. CH. KOTT, Préserver l’art de l’ennemi? Le patrimoine artistique en Belgique et en France occupées, 1914–1918 (Comparatisme et société 4), Brüssel 2006, 18f. 374 Vgl. hierzu: RAULWING/GERTZEN, Friedrich Wilhelm Freiherr von Bissing, zu seinem Pseudonym: 68–71; zur „Flamisierung“: 72f. 375 Zu Bissings politischen Aktivitäten vgl. T. GERTZEN, Das Engagement des Ägyptologen Friedrich Wilhelm von Bissing für die deutsche Kriegspropaganda im ersten Weltkrieg, 2 Teile, 1: Belgien unter deutscher Besatzung; 2: „Wünsche und Ziele“, in: GM 221, 2009, 109–118; 222, 2009, 95–104; RAULWING/GERTZEN, Friedrich Wilhelm Freiherr von Bissing; GERTZEN, „Der verlorene Sohn“?, 97–106. 376 F. W. VON BISSING, Das Griechentum und seine Weltmission, Leipzig 1921. 377 Ebenda, 44. 378 Ebenda, 27–30 und 51.
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Kurzer Abriss der Geschichte der Ägyptologie im deutschsprachigen Raum
gen der Mittelmächte um die Erhaltung von Kulturgütern in den von ihnen besetzten Gebieten,379 die wiederum in rassistische Beschreibungen von Juden und Armeniern eingebettet waren.380 Von seinen Kollegen wurde Bissing für diese Publikation mit Spott und scharfer Kritik bedacht. So äußerte Alexander Scharff (1892–1950) in seiner Rezension: „Wenn der Verfasser bereits im Vorwort betont, daß die geschichtliche Darstellung ihm zur Streitschrift für den völkischen und den Königsgedanken geworden ist, so will er wohl selbst sein Büchlein mehr für eine politische Kampfschrift der jetzigen Zeiten als für eine kulturgeschichtliche Studie über vergangene Zeiten hingenommen wissen. So wäre also der Boden für die heutzutage ebenso häufigen wie widerwärtigen politischen Auseinandersetzungen schönstens vorbereitet. [...] Wir können nicht unsere Zeit im Altertum spiegeln, und der im vorliegenden Buch unternommene Versuch bleibt trotz fortgesetzter offener und versteckter Anspielungen auf unsere Zeit ganz in Äußerlichkeiten stecken, die, wenn der Verf[asser] von der ‚persischen Dampfwalze‘ oder dem Isokrates bekannten ‚Schwabingertypus‘ spricht, zweifelsohne recht abgeschmackt wirken.“381 So blieb Bissing zunächst unter seinen Kollegen isoliert, allerdings sollte die Altertumswissenschaft und mit ihr die Ägyptologie in der Folgezeit häufiger und grundsätzlich für weltanschauliche Zwecke in Dienst genommen werden (vgl. Kap. 1.8.). Zunächst jedoch bemühten sich die Ägyptologen um A. Erman vor allem darum, ihre Disziplin vor dem endgültigen Aus zu bewahren und ihr eine fortgesetzte staatliche Unterstützung zu sichern. Tatsächlich fürchteten sie, aufgrund der engen Anbindung ihres Faches an die Machtelite des Kaiserreichs (vgl. Kap. 1.5.), mögliche negative Folgen der „Revolution“ bzw. der Machtübernahme durch demokratische oder gar sozialistische Parteien. Daher wandten sich die Vertreter des Faches 1918 in einem Schreiben an den preußischen Kultusminister.382 Darin betonte Erman den bisherigen Führungsanspruch der deutschen Ägyptologie: „Jahrzehnte hindurch haben wir in Deutschland die Aegyptologie so fördern dürfen, daß die Führung in dieser Wissenschaft tatsächlich bei uns lag, auf der philologischen Seite und auch auf der archäologischen, wohl schafften die
379
Ebenda, 63. Ebenda, 65 und 96. 381 A. SCHARFF, in: OLZ 25, 1922, 440f. 382 SMB-ZA, NL Bode 1678, Erman, A., 1.3.1918; im Folgenden zitiert nach GERTZEN, École de Berlin, 150f. 380
Die Auswirkungen des Ersten Weltkrieges auf eine internationale Wissenschaft 83
Engländer und Franzosen ungleich mehr Rohstoff heran als wir, aber die wissenschaftliche Verarbeitung dieses Materials erfolgte in der Hauptsache bei uns und nach unseren Methoden.“ Die Eigenwahrnehmung der deutschen Ägyptologen hatte sich seit dem Ende der 1890er Jahre also nicht wesentlich verändert: Sie bestimmten die ägyptologische Methodik, sie waren es, die die eigentliche wissenschaftliche Auswertung der Quellen leisteten. Erman führte weiter aus, dass während des Krieges in den nationalen Öffentlichkeiten der Kriegsgegner die Forderung aufgekommen sei, den Deutschen ihren Führungsanspruch streitig zu machen: „Schon im Jahre 1916 ergab sich aus einer gelegentlichen Meldung der Times, daß ein uns nahestehender englischer Gelehrter [wohl A. H. Gardiner] die Verpflichtung habe, ein aegyptisches Wörterbuch und eine aegyptische Grammatik auszuarbeiten, da es sich gezieme, daß das nunmehr englische Eigentum Aegypten von der deutschen Wissenschaft unabhängig gemacht werde.“ Bereits 1914 war die erste Ausgabe des Journal of Egyptian Archaeology erschienen. Damit war erstmals eine englischsprachige, rein ägyptologische Fachzeitschrift geschaffen worden, 383 welche zudem einen anderen inhaltlichen Akzent als die Zeitschrift für Ägyptische Sprache und Altertumskunde setzte. Gerade dies jedoch macht deutlich, dass es den britischen Kollegen nicht um eine Konkurrenz zu den Deutschen ging. Im Übrigen haben auch deutsche Ägyptologen vor Ausbruch des Krieges noch Beiträge für diese Ausgabe verfasst. A. H. Gardiner bemühte sich allerdings seit seinem Weggang aus Deutschland (1912) systematisch um die Publikation englischsprachiger Grundlagenwerke, was schließlich auch zur Veröffentlichung seiner bis heute maßgeblichen Egyptian Grammar384 (1927) führte. Auch hierin erblickte Erman zunächst eine Konkurrenz für seine Ägyptische Grammatik385 und bemühte sich, Gardiner durch eine englische Übersetzung zuvorzukommen. Anders als die französischen Kollegen, die den Methoden der Berliner Schule weitgehend ablehnend gegenüber gestanden waren (vgl. Kap. 1.5.), begannen sich die englischsprachigen Vertreter der Disziplin bereits vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges auf Grundlage der deutschen Methodik, aber eben durchaus 383
Zur Bedeutung von Fachzeitschriften in der Ägyptologie vgl. GERTZEN, École de Berlin, 332–336. 384 A. H. GARDINER, Egyptian Grammar. Being an introduction to the study of hieroglyphs, Oxford 1927. 385 A. ERMAN, Ägyptische Grammatik mit Schrifttafel, Litteratur, Lesestücken und Wörterverzeichnis, 4 Auflagen, Berlin 1894, 1902, 1911 und 1928/29; frz. Übers. von J. Lesquier, Kairo 1914.
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eigenständig und mit anderen Zielsetzungen und Schwerpunktsetzungen, zu emanzipieren. Die Erfahrungen des Krieges und die Auswirkungen der Propaganda befeuerten also lediglich ein ohnehin vorhandenes Konfliktpotential im Fach.386 Die Schwächung Deutschlands und seines akademischen Betriebes halfen dann zusätzlich, das von den Berliner Ägyptologen zumindest beanspruchte Deutungsmonopol zu brechen. Tatsächlich unterstützten gerade auch britische Ägyptologen Anfang der 20er Jahre ihren belgischen Kollegen Jean Capart (1877–1947)387 bei dem Versuch, Berlin als internationales Zentrum der Ägyptologie durch das „neutrale“ Brüssel als „Hauptstadt der Ägyptologie“ zu ersetzen.388 Capart hatte allerdings auch allen Grund, sich gegen die deutschen Kollegen zu wenden. So war er, als Vertreter der frankophonen Schultradition, schon 1910 beim Ankauf zweier gefälschter Skarabäen von den Berliner Kollegen vorgeführt worden.389 Während des Krieges wurde sein Bruder unter Spionageverdacht verhaftet und von den deutschen Besatzungsbehörden zum Tode verurteilt.390 Auch sein Unterstützungsgesuch bei dem Sohn des Generalgouverneurs von Bissing gegen die Verbringung der Ägyptischen Sammlung aus Brüssel nach Deutschland stieß gleichfalls auf wenig Sympathie.391 Die unerfreulichen persönlichen Erfahrungen Caparts mit Deutschland erlebten dann Anfang der 40er Jahre ihren Höhepunkt, als er aufgrund kritischer Bemerkungen zu einem Nachruf auf A. Erman von SS und SD unter dem
386
Vgl. GERTZEN, The Anglo-Saxon Branch of the Berlin School 2. Vgl. J.-M. BRUFFAERTS, Une reine au pays de Toutankhamon, in: Museum Dynasticum 10, 1998.1, 3–35; DERS., Destins égyptologiques croisés. Alexandre Moret et Jean Capart, in: M.-C. Bruwier (Hrsg.), Livres et Archives de l’égyptologue Alexandre Moret (1868– 1938) à Marimont, Marimont 2000, 11–17; DERS., Un mastaba égyptien pour Bruxelles, in: Bulletin des Musée royaux d’Art et d’Histoire, Bruxelles 76, 2005, 5–36; DERS., Les coulisses d’un voyage royal. Le roi Albert et la reine Elisabeth en Egypte avec Jean Capart (1930), in. Museum Dynasticum 18, 2006.1, 28–49; DERS., M. C. BRUWIER, Les fouilles Archaéologiques Belges à Helioplois, in: A. van Loo, M.-C. Bruwier (Hrsg.), Héliopolis, Brüssel 2010, 35–48; J.-M. BRUFFAERTS, Capart, Jean (Bruxelles, 21 février 1877 – Etterbeek, 16 juin 1947), égyptologue, fondateur de l’égyptologie belge, conservateur de musées et professeur d’université, auf der Homepage der Académie Royale des Sciences d’OutreMer: http://www.kaowarsom.be/fr/notices_capart_jean [14.1.2016]. 388 Vgl. J.-M. BRUFFAERTS, Bruxelles, capitale de l’égyptologie. Le rêve de Jean Capart (1877–1947), in: Bickel et al. (Hrsg.), Ägyptologen und Ägyptologien, 193–241. 389 Vgl. T. GERTZEN, Der angebliche ägyptische Bericht über die Umschiffung Afrikas. Eine wissenschaftsgeschichtliche Einordnung, in: ZÄS 137, 2010, 104–112. 390 Vgl. RAULWING/GERTZEN, Freiherr Friedrich Wilhelm von Bissing, 82. 391 Vgl. A.-M. BRASSEUR-CAPART/A. BRASSEUR-CAPART, Jean Capart ou le rêve comblé de l’égyptologie. Brüssel 1974, 35; dort wird er allerdings „Franz [sic] von Bissing, le fils du gouverneur général“ genannt. 387
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Vorwurf der Sabotage verhaftet und verhört wurde, die einem entsprechenden Hinweis von H. Grapow nachgegangen waren (vgl. Kap. 2.1.2.).392 Von der (selbst-)kritischen Reflexion eigener Verfehlungen waren die Vertreter der deutschen Ägyptologie aber zum Ende des Ersten Weltkrieges weit entfernt. Stattdessen übte man sich in trotzigen Durchhalteparolen und übertrug den Konflikt mit den Mächten der Entente auf wissenschaftliches Gebiet. Das Schreiben Ermans an den Kultusminister endet mit der Bemerkung, dass: „wir nicht gewillt sind, uns so aus unserer Stellung vertreiben zu lassen, und daß wir es für unsere Pflicht halten, in gemeinsamer Arbeit unsere Wissenschaft in Deutschland auf der Höhe zu halten. […]Mögen sie uns die Wirksamkeit nach außen hin abschneiden oder beschränken, wir werden uns nur umso intensiver der inneren Arbeit zuwenden […] und damit doch unsere Stellung behaupten.“ Damit hatte Erman den Ton gesetzt, der auch noch Anfang der 20er Jahre und nun auch in veröffentlichten Rechtfertigungsschriften von Vertretern der Berliner Schule angeschlagen wurde. Im Jahre 1920 veröffentlichte H. Schäfer, so wörtlich, einen „Rechenschaftsbericht“ mit dem Titel Sinn und Aufgaben des Berliner Ägyptischen Museums393 und K. Sethe 1921 eine Denkschrift mit dem Titel Die Ägyptologie394 (vgl. Kap. 3.3.). Offensichtlich empfanden die Fachvertreter erstmals die Notwendigkeit, ihre Tätigkeit öffentlich begründen zu müssen. Wichtig ist dabei hervorzuheben, dass sie an der alten Formel „durch Wissenschaft zur Weltgeltung“ (vgl. Kap. 1.5.) und der engen Verbindung von ägyptologischer Forschung und nationaler Prestigemehrung festhielten. In beinahe wörtlicher Anlehnung an die Formulierungen Ermans führte Sethe daher aus: „Konnte es schon vor dem Ausgang des Krieges keinem Kundigen zweifelhaft sein, daß die deutsche Ägyptologie nach Beendigung der Feindseligkeiten unter ungeheuer erschwerten Bedingungen ihre Arbeit würde fortsetzen müssen und daß es der Anspannung aller Kräfte bedürfen würde, um ihr die angesehene, wo nicht die führende Stellung zu erhalten, die sie vor dem Kriege hatte, so hat der unglückliche Ausgang des Völkerringens diese Befürchtungen durch die Wirklichkeiten weit übertreffen lassen. […] Allen diesen Schwierigkeiten zum Trotz müssen wir uns aber behaupten. Uns darin zu unterstützen, wird eine
392
Vgl. GERTZEN, Begegnung mit Hermann Grapow, 101–108. SCHÄFER, Sinn und Aufgaben des Berliner Ägyptischen Museums. 394 SETHE, Die Ägyptologie. 393
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nationale Ehrenpflicht der leistungsfähigen Kreise unseres Volkes und der maßgebenden Kreise unserer Regierung sein müssen.“395 Allerdings sollte diese Strategie bald schon nicht mehr verfangen. Von den Geistes- und Altertumswissenschaften wurde mehr erwartet als bloßes akademisches Prestige. Sie sollten die Erklärung für die Niederlage des als „Kulturnation“ begriffenen Deutschen Kaiserreichs bieten, ebenso wie die Erkenntnis, wie sich aus der historischen Perspektive der Wiederaufstieg Deutschlands herleiten oder sogar herbeiführen ließe. Praktisch führte dies in der Ägyptologie zu einer Abkehr vom durch die Berliner Schule praktizierten Positivismus mit philologischer Schwerpunktsetzung und einer Hinwendung zu völkischer Forschung, welche vor allem einen archäologischen und anthropologischen Ansatz verfolgte. 1.8.
„Völkische“ Ägyptologie und Antisemitismus – Georg Steindorff
Personell wurde der im vorangegangenen Teilkapitel beschriebene Paradigmenwechsel im Fach durch den wachsenden Einfluss von Georg Steindorff (1861–1951) vollzogen, der seinen Lehrer A. Erman in der Führungsrolle innerhalb der deutschsprachigen Ägyptologie ablöste. Steindorff und sein dem 2008 nach ihm benannten Institut396 in Leipzig gestifteter Nachlass 397 sind kürzlich Gegenstand eines DFG-geförderten wissenschaftsgeschichtlichen Forschungsprojekts unter der Leitung von SUSANNE VOSS und DIETRICH RAUE gewesen.398 Dadurch konnten wesentliche neue Erkenntnisse zur Geschichte der Ägyptologie in Deutschland gewonnen werden, die im Folgenden überblicksartig zusammenzufassen sind.
395
Ebenda, 42. Vgl. S. RICHTER, Georg Steindorff, der neue Namenspatron der Leipziger Ägyptologie, in: amun. Magazin für die Freunde der Ägyptischen Museen 37, 2008, 9–11; DERS., Pionierleistung im Niltal. Ägyptologisches Institut nach Georg Steindorff benannt, in: Journal der Universität Leipzig, Mai 2008, 17. 397 Vgl. K. SEIDEL, Die Geschichte des Archivs am Ägyptologischen Institut/Ägyptischen Museum der Universität Leipzig, Leipzig 2013, unveröffentlichte Masterarbeit: https://www.gko.uni-leipzig.de/aegyptologisches-institut/forschung/qualifikationsarbeiten/masterarbeiten.html [15.1.2016]; zum Hintergrund: D. RAUE, K. SEIDEL, Verkauf einer Sammlung. Leipzig und Deutschland 1926–1937, in: amun. Magazin für die Freunde der Ägyptischen Museen 44, 2012, 34–40; D. RAUE, Ein Jahr später, in: amun. Magazin für die Freunde der Ägyptischen Museen 45, 2012, 32–34. 398 Vgl. VOSS/RAUE (Hrsg.), Georg Steindorff und die deutsche Ägyptologie im 20. Jahrhundert. 396
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Zum Verständnis der Gelehrtenbiografie Steindorffs und seiner Rolle innerhalb des Faches muss seine jüdische Herkunft thematisiert werden. Um seine Karriereaussichten innerhalb des deutschen akademischen Betriebes zu steigern,399 entschloss sich Steindorff frühzeitig zur Konversion zum protestantischen Christentum.400 Die Bedeutung konfessioneller Hintergründe von Ägyptologen wird gegenwärtig von THOMAS GERTZEN in einem gleichfalls von der DFG geförderten Projekt erforscht.401 Dabei liegt ein Hauptaugenmerk auf der Frage, ob in der Gesellschaft des Zweiten Deutschen Kaiserreichs orientalistische Fächer als ein besonders geeignetes Betätigungsfeld für „jüdische“ Akademiker angesehen wurden oder gar einen regelrechten Rückzugsraum in einem zunehmend von Antisemitismus geprägten Umfeld dargestellt haben. Jedenfalls lässt sich eine Reihe deutscher Ägyptologen mit jüdischem Familienhintergrund aufzählen, so z.B. die genannten G. Ebers und A. Erman, welche allerdings selbst schon als Kinder protestantischer Eltern geboren und getauft wurden; oder Wilhelm Spiegelberg (1870–1930), welcher erst nach dem Tod seines Vaters 1910 zum Christentum konvertierte;402 weiterhin zu nennen sind der bereits erwähnte L. Borchardt (vgl. Kap. 1.6.), Walter Wreszinski (1880–1935),403 Nathaniel Julius Reich (1876–1943) und Hans-Jacob Polotsky (1905–1991),404 der die Lehren der Berliner Schule weiterentwickeln und die Ägyptologie in Israel begründen sollte. Mit Ausnahme von Ebers sind 399
Zu den Rahmenbedingungen vgl. N. HAMMERSTEIN, Antisemitismus und deutsche Universitäten 1871–1933, Frankfurt a.M. 1995. 400 Hierzu T. GERTZEN, „To become a German and nothing but a German …“. The role of Paul de Lagarde in the conversion of Egyptologist Georg Steindorff, in: Leo Baeck Institute Yearbook 60, 2015, 79–89. 401 GERTZEN, Aus dem Lande Gos(ch)en, 3. 402 Vgl. R. SPIEGELBERG, Wilhelm Spiegelberg. A Life in Egyptology, Chicago 2015, 69– 73: https://oi.uchicago.edu/research/projects/chicago-demotic-dictionary-cdd-0/biographywilhelm-spiegelberg [16.1.2016]. 403 Vgl. A. SCHÜTZE, Ein Ägyptologe in Königsberg. Zur Entlassung Walter Wreszinskis, in: Bickel et al. (Hrsg.), Ägyptologen und Ägyptologien, 333–344. 404 H. B. ROSEN (Hrsg.), Studies in Egyptology and Linguistics in honour of H. J. Polotsky, Jerusalem 1964; H.-J. POLOTSKY, Egyptology, Coptic Studies and the Egyptian Language, in: J. D. Ray (Hrsg.), Lingua Sapientissima. A seminar in honour of H. J. Polotsky organised by the Fitzwilliam Museum Cambridge and the Faculty of Oriental Studies in 1984, Cambridge 1987, 5–21; H. HOPKINS, H. J. Polotsky (1905–1991), in: Eassegna di Studi Etiopici 34, 1990, 115–125; A. SHISHA-HALEVY, In memoriam Hans Jakob Polotsky, in: Orientalia 61.3 NS, 1992, 208–213; J. OSING, Hans Jakob Polotsky, in: ZÄS 120, 1993, iii–v; M. ERDAL, Hans Jacob Polotsky (1905–1991): An appreciation, in: Mediterranean Language Review 8, 1994, 1–9; E. Y. KUTSCHER, s.v. „Polotsky, Hans Jacob“, in: Encyclopaedia Judaica 216, 2007, 361f.; V. LEPPER, L. DEPUYDT, H. J. Polotsky. Scripta Posteriora on Egyptian and Coptic (Lingua Aegyptiaca studia monografica 7), Göttingen 2007.
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alle Genannten mittel- oder unmittelbar Opfer von Antisemitismus in Deutschland geworden, und dies nicht erst durch die menschenverachtende Politik der Nationalsozialisten. So hatte F. W. von Bissing (vgl. Kap. 1.7.) bereits 1907 brieflich gefordert, dass das Deutsche Institut in Kairo (vgl. Kap. 1.6.) nicht zu einer „Berliner Judenaffaire“ werden möge.405 Als Nathaniel Reich Anfang der 20er Jahre in die USA übersiedeln wollte, vergewisserte sich J. H. Breasted (vgl. Kap. 1.6.1.3.) zunächst bei F. L. Griffith (vgl. Kap. 1.6.1.1.) darüber, ob Reich nicht zu den „unwashed, impossible Jews, like those on the continent, especially Polish and Russian Hebrews“ zählte und ob sein Erscheinungsbild dem aus antisemitischen Karikaturen entspräche!406 W. Spiegelberg musste 1923 anlässlich seiner Übernahme der Münchener Professur für Ägyptologie eine antisemitische Hetzkampagne des Studentenführers Heinrich Kersken über sich ergehen lassen, mit dem erklärten Ziel, die „deutschakademische Jugend [nicht] den Geistesgütern eines fremden Volkes“ aussetzen zu lassen. Dieser Vorstoß war dazu wohl noch von seinem Amtsvorgänger Bissing unterstützt worden.407 W. Wreszinski berichtete eindrücklich von den Schikanen der nationalsozialistischen „Rassenpolitik“, und A. Erman,408 obwohl schon fast erblindet und pflegebedürftig, wurde noch kurz vor seinem Tod, unter Berufung auf das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7. April 1933, aus der Philosophischen Fakultät der Universität Berlin ausgeschlossen. Auch die Ehe mit Frauen jüdischer Herkunft konnte Ägyptologen, wie H. Ranke409 und Hans-Wolfgang Müller (1907–1991), zum Verhängnis werden. G. Steindorff glaubte sich durch seine Konversion 1885 ausreichend zum „Deutschtum“ bekannt zu haben und hat dies in der Folgezeit, insbesondere gegenüber seinem Doktorvater, dem Göttinger Orientalisten und bekennenden Antisemiten Paul de Lagarde (1827–1891)410 seinerseits durch antisemitische Äußerungen bekräftigt: Noch in den 30er Jahren distanzierte er sich von „russischen und galizischen Rassegenossen“411 und war der festen Überzeugung, 405
SMB-ZA, NL Bode 849, Bissing, F. W. v., 18.9.1907. University of Chicago, Oriental Institute Archives, Director’s Office Correspondence, 1921; letter of September 21, 1921 from James Henry Breasted to Francis Llewellyn Griffith. 407 Vgl. T. BECKH, Das Institut für Ägyptologie der LMU München im Nationalsozialismus, in: E. Kraus (Hrsg.), Die Universität München im Dritten Reich, München 2006, 254f. 408 Vgl. SCHÜTZE, Ein Ägyptologe in Königsberg, 336-339. 409 Zu Rankes Frau: S. KÖHN, Marie Stein-Ranke (1873–1964): Eine Porträtistin um 1900, Oldenburg 2000. 410 Vgl. U. SIEG, Deutschlands Prophet. Paul de Lagarde und die Ursprünge des modernen Antisemitismus, München 2007. 411 BStUB, Steindorff an Erman, 20.9.1935. 406
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dass die Nationalsozialisten nicht ihn meinen könnten, wenn sie von „den Juden“ sprachen. Dennoch oder vielleicht gerade deswegen 412 wurde er zu einem der Vorreiter einer völkischen Neuausrichtung ägyptologischer Forschung in Deutschland.413 Davon wiederum hielt sein Lehrer Erman gar nichts: „Ich bin freilich schlecht genug an diese Vorzüge der ‚reinen Rasse‘ nicht zu glauben, ja ich denke sogar, daß es reine Rassen nur da gibt, wo in einem abgelegenen Winkel der Welt die Menschen notgedrungen ihre Frauen immer aus demselben engen Kreise genommen haben. Was sich uns als Nation darstellt, ist durch gemeinsame Geschichte entstanden und die körperliche Rasse hat dabei keine große Bedeutung. […] Vollends über die ‚Rassen‘ der ‚Arier‘ und der ‚Semiten‘ ist die Wissenschaft längst hinweggegangen.“414 Diese Äußerungen aus seiner 1929 erschienenen Autobiografie sind sicher eine Stellungnahme gegen den Zeitgeist. Dabei hatten völkische Konzepte in Deutschland zu diesem Zeitpunkt bereits einen längeren Vorlauf gehabt und sind keinesfalls erst durch die Nationalsozialisten verbreitet worden. 415 Auch in der Ägyptologie waren rassenkundliche Forschungsansätze längst, vor allem im englischsprachigen Raum, etabliert (vgl. Kap. 1.6.1.1. und 1.6.1.3.). Seit 1918 jedoch sah sich das Fach in Deutschland einem Legitimationsproblem gegenüber (vgl. Kap. 1.7.) und wurde dabei grundsätzlich in Frage gestellt: So führte der Kulturtheoretiker Oswald Spengler (1880–1936) in seinem 1918 veröffentlichten Monumentalwerk Der Untergang des Abendlandes416 das alte Ägypten als ein Negativbeispiel an, was den vehementen Widerspruch der Fachvertreter hervorrief.417 Doch der Althistoriker Helmut Berve (1896– 412
Zu dem bemerkenswert intensiven Engagement von Wissenschaftlern auf dem Gebiet „rassenkundlicher“ Forschung vgl. V. LIPPHARDT, Biologie der Juden. Jüdische Wissenschaftler über „Rasse“ und Vererbung 1900–1935, Göttingen 2008. 413 Dazu grundlegend: S. VOSS, Wissenshintergründe – die Ägyptologie als „völkische“ Wissenschaft vom Ersten Weltkrieg bis zum „Dritten Reich“ am Beispiel des Nachlasses Georg Steindorffs, in: Dies./Raue (Hrsg.), Georg Steindorff und die deutsche Ägyptologie, Berlin 2016, 105 – 332; DIES., Ägyptologie im „Dritten Reich“ am Beispiel deutscher Ausgrabungen in Ägypten von 1929 bis 1939, in: D. Mahsarski (Hrsg.), Vernetzt – Kulturwissenschaften und Kulturpolitik. Forschung, Lehre, Legitimation. Internationales Symposium vom 28. und 29. Juni 2013, Focke-Museum Bremen und Haus Atlantis Boettcherstraße, Bremen, in Vorbereitung. 414 ERMAN, Mein Werden und mein Wirken, 43. 415 Vgl. U. PUSCHNER, Die völkische Bewegung im wilhelminischen Kaiserreich. Sprache – Rasse – Religion, Darmstadt 2001. 416 O. SPENGLER, Der Untergang des Abendlandes. Umrisse einer Morphologie der Weltgeschichte, München 1918. 417 Vgl. W. SPIEGELBERG, Aegyptologische Kritik an Spenglers Untergang des Abendlandes, in: Logos 10, 1921, 188–194.
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1979)418 erkannte 1934 in der Ägyptologie eine „semitische Wissenschaft“,419 was den Ägyptologen Walther Wolf (1900–1973) zu einer eher defensiven Stellungnahme veranlasste: „Eine Geschichtsschreibung der arischen Völker kann niemand leisten, ohne ausgiebig die ägyptischen Quellen heranzuziehen, die außer vielem andern vorzügliche Rassenbildnisse aus der Zeit des ersten Eingreifens der Arier in die Weltgeschichte liefern.“420 Diese Argumentation verweist allerdings vornehmlich auf den schon durch Flinders Petrie verfolgten Forschungsansatz, Rassenbilder auf ägyptischen Monumenten zu dokumentieren (vgl. Kap. 1.6.1.1.). Außerdem weist sie der Ägyptologie eher die Rolle einer Hilfswissenschaft zu, die zudem auf einen zeitlich sehr begrenzten Rahmen im Neuen Reich beschränkt wäre. Zuvor jedoch hatte G. Steindorff mehr zu erreichen bzw. zu zeigen versucht: Zwar war er nicht der erste deutsche Ägyptologe, der einen rassenkundlichen Ansatz in die deutschsprachige Forschungsdiskussion einführen wollte; durch die Bezugnahme auf die Forschungen seines kurz zuvor verstorbenen Kollegen G. Möller (vgl. Kap. 1.7.) in seiner Rektoratsantrittsrede Das Wesen des Ägyptischen Volkes421 im Jahr 1923 machte er jedoch den völkischen Forschungsansatz sozusagen „salonfähig“. Er nutzte die Gelegenheit, mit dem in die Krise geratenen Humanismus auch die ästhetischen Vorurteile J. J. Winckelmanns gegenüber der ägyptischen Kunst (vgl. Kap. 1.2.) zurückzuweisen, und grenzte diese andererseits scharf gegen die „semitische“ Kunst von Babyloniern und Assyrern sowie gegen vermeintliche Einflüsse von „Negern“ ab. Ähnlich wie sein amerikanischer Kollege G. A. Reisner (vgl. Kap. 1.6.1.3.) brachte er die Stifter der altägyptischen Kultur mit „hamitischen“ 422 bzw. nordafrikanischen – also keinesfalls „negriden Rassen“ – in Verbindung. Auch einen semitischen 418
Vgl. ST. REBENICH, Alte Geschichte in Demokratie und Diktatur. Der Fall Helmut Berve, in: Chiron 31, 2001, 457–496: http://archiv.ub.uni-heidelberg.de/propylaeumdok/56 [16.1.2016]. 419 H. BERVE, Zur Kulturgeschichte des Alten Orients, in: Archiv für Kulturgeschichte 25, 1934, 216-230, bes. 228. 420 W. WOLF, Die Ägyptologie als historische Wissenschaft. Heinrich Schäfer zum 70. Geburtstag, in: Archiv für Kulturgeschichte, 1938, 247; zu Wolfs Wissenschaftsauffassung und der Kritik daran s.a. DERS., Wesen und Wert der Ägyptologie, Glückstadt 1937, und R. ANTHES, Zu Walther Wolfs „Wesen und Wert der Ägyptologie“, in: ZDMG 92, N.F. 17, 1938, 421–440. 421 Vgl. G. STEINDORFF, Das Wesen des ägyptischen Volkes. Rede des antretenden Rektors (am 31. Oktober 1923), in: Universität Leipzig (Hrsg.), Rektorwechsel an der Universität Leipzig, Leipzig 1924, 19–32. 422 Vgl. grundlegend: P. ROHRBACHER, Die Geschichte des Hamiten-Mythos, Wien 2002.
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Anteil mochte er bei der ägyptischen „Rasse“ (an-)erkennen, beeilte sich aber zu betonen, dass es sich dabei um „Ur-Semiten“ und keinesfalls um Juden handele.423 Steindorff leistete eine Synthese aus zeitgeistigen Debatten und den ihnen zugrunde liegenden Publikationen, etwa von O. Spengler oder Felix von Luschans Buch Völker, Rassen, Sprachen (1922). Er griff die seit langem im englischsprachigen Raum betriebenen ethnographischen Studien in der Ägyptologie auf und referierte die archäologischen und kunsthistorischen Beiträge von deutschen Kollegen wie H. Junker, G. Möller und H. Schäfer. Er selbst sollte allerdings durch ähnlich geartete Konzepte bald seine Stellung im Fach verlieren und in die Emigration gezwungen werden. Die Deutungshoheit über die Geschichte der menschlichen „Rassen“ wurde von der Politik an sich gerissen, und als „jüdisch“ klassifizierte Wissenschaftler sollten dabei erst recht kein weiteres Mitspracherecht mehr haben. 1.9.
Die Ägyptologie im „Dritten Reich“
Bei der im Oktober 2011 in Leipzig abgehaltenen Ständigen Ägyptologenkonferenz „Ägyptologen und Ägyptologien zwischen Kaiserreich und der Gründung der beiden deutschen Staaten (1871–1949)“ wurden u.a. auch die vorläufigen Ergebnisse von THOMAS SCHNEIDERs Projekt „Egyptology in the Nazi-Era. National Socialism and the Profile of a Humanistic Discipline” vorgestellt. Dadurch könnte der Eindruck entstehen, die Erforschung der Wissenschaftsgeschichte der Ägyptologie in ihren Wechselwirkungen mit der Zeitgeschichte sei entweder bereits weit fortgeschritten oder zumindest in vollem Gange. Tatsächlich sollte die Konferenz allerdings eher als ein Ausgangspunkt weitergehender Forschungen begriffen werden, zumal dabei ja auch grundlegende Defizite (vgl. VORWORT) erst dort nochmals offenbar wurden. Leider ist eine eigentliche Methodendiskussion beim Umgang mit dem Thema „Ägyptologie in totalitären Systemen“ dabei weitgehend unterblieben, was andererseits umso mehr die Gelegenheit für weitere wissenschaftsgeschichtliche Forschungen bietet. Im unmittelbaren Vorfeld und Nachgang der Konferenz erschienene Publikationen zu diesem Thema weisen daher auch zum Teil erhebliche Qualitätsunterschiede auf. Da die methodische Herangehensweise Gegenstand eines eigenen Abschnitts in dieser Einführung sein wird (vgl. Kap. 2.1.6. und 2.2.4.),
423
Vgl. M. SPÖTTEL, Hamiten. Völkerkunde und Antisemitismus, Frankfurt a.M. 1996.
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ist hier nur darauf hinzuweisen, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt eine auch nur annähernd erschöpfende oder vorläufig abschließende Studie zu diesem Thema bislang nicht vorliegt. 424 Viele der hier vorzustellenden Erkenntnisse basieren entweder auf Einzeluntersuchungen425 oder besitzen einen vorläufigen Charakter. Für die Auseinandersetzung mit der Ägyptologie im „Dritten Reich“ sollte man sich grundsätzlich den Rat des Wissenschaftshistorikers STEFAN REBENICH zu Herzen nehmen: „[U]nser Augenmerk darf nicht nur auf die Epoche des Nationalsozialismus gerichtet sein. Um Kontinuitäten und Diskontinuitäten der Altertumswissenschaften herauszuarbeiten, ist es notwendig, die zeitliche Perspektive zu erweitern und die Republik von Weimar, wie diejenige von Bonn (und Ostberlin) in den Blick zu nehmen. Nur so können die intellektuellen und wissenschaftlichen Voraussetzungen geklärt werden, die zahlreiche prominente Historiker veranlassten, mit dem nationalsozialistischen Wissenschaftssystem zu kollaborieren und nur auf diesem Weg können Inhalte und Methoden der Altertumswissenschaften nach 1945 überzeugend bewertet werden.“426 Vor dem Hintergrund dieser Forderung, sich mit der Vorgeschichte bestimmter Entwicklungen auseinander zu setzen, ist zum einen auf die beiden vorangegangenen Abschnitte zu verweisen (vgl. Kap. 1.7. und 1.8.). Im Hinblick auf den noch sehr vorläufigen Stand der Forschung soll hier nicht der Versuch eines Gesamtüberblicks unternommen, sondern zwei inzwischen – besonders in ihren Wechselwirkungen – gut untersuchte Fallbeispiele exemplarisch behandelt werden: die Gelehrtenbiografien von Georg Steindorff427 und Hermann Grapow.428
424 Die von Thomas Schneider angekündigte Projektpublikation „Ancient Egypt and the Nazis. The History of Egyptology under the Third Reich“; vgl. RAULWING/GERTZEN, Friedrich Wilhelm Freiherr von Bissing, 106, steht ebenso aus wie die von Alfred Grimm angekündigte Untersuchung „Swastika und Lebenszeichen. Ägyptologie unterm Hakenkreuz“; vgl. A. GRIMM, S. SCHOSKE, Friedrich Wilhelm Freiherr von Bissing. Ägyptologe, Mäzen, Sammler (R.A.M.S.E.S. 5), München 2010, 71, Anm. 32. 425 Vgl. BECKH, Das Institut für Ägyptologie der LMU München im Nationalsozialismus; KISCHKEWITZ, Die Jahre 1933–1945 im Ägyptischen Museum; FINNEISER, Auslagerung des Ägyptischen Museums in Sophienhof. 426 ST. REBENICH, Zwischen Verweigerung und Anpassung. Die Altertumswissenschaften im „Dritten Reich“, in: Bickel et al. (Hrsg.), Ägyptologen und Ägyptologien, 15. 427 Vgl. grundlegend: VOSS/RAUE (Hrsg.), Georg Steindorff und die deutsche Ägyptologie. 428 Vgl. grundlegend: GERTZEN, Begegnung mit Hermann Grapow.
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Der Auseinandersetzung mit der Person G. Steindorffs kommt eine besondere Bedeutung durch die sogenannte „Steindorff-Liste“429 zu. Darin hatte sich der inzwischen im kalifornischen Exil lebende Ägyptologe zum politischen Belastungsgrad seiner in Deutschland verbliebenen Kollegen geäußert. Obwohl als Rundbrief an verschiedene Kollegen verschickt, hat sich nur das Exemplar an seinen amerikanischen Kollegen John Wilson (1899–1976), Nachfolger Breasteds am Oriental Institute in Chicago, und der Entwurf im Nachlass Steindorff in Leipzig erhalten. 430 Derartige Listen sind auch von dem Altorientalisten Hans Gustav Güterbock (1908–2000)431 und dem Direktor des Ägyptischen Museums Berlin, Rudolf Anthes (1896–1985, Amtszeit: 1932–1939), überliefert.432 Hier böte sich zunächst eine vergleichende strukturalistische Analyse an (vgl. Kap. 3.8.ff.).433 Tatsächlich ist jedoch der Person des Verfassers der „Steindorff-Liste“ in diesem Zusammenhang vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit geschenkt434 bzw. nicht der Frage nachgegangen worden, wie sich Steindorffs persönliches Verhältnis zu den genannten Kollegen gestaltete. Anders ausgedrückt: Es wurde bislang zu wenig nachgeforscht, ob für Steindorff auch subjektive Gründe bestanden, bestimmte Kollegen negativer, andere positiver zu beurteilen. Darüber hinaus ist Steindorff einer der bedeutendsten, zeitweise sogar der führende (vgl. Kap. 1.8.) Fachvertreter der deutschsprachigen Ägyptologie gewesen. Durch seine jüdische Herkunft wurde er zum Opfer nationalsozialistischer Verfolgung und ins Exil gezwungen. Er wird daher häufig als ein Beispiel für
429
Ediert in: T. SCHNEIDER, Ägyptologen im Dritten Reich: Biographische Notizen anhand der sogenannten „Steindorff-Liste“, in: Ders./Raulwing (Hrsg.), Egyptology from the First World War, 120–247; ergänzend und alternativ in der methodischen Herangehensweise: RAUE, Der „J’accuse“-Brief an John Wilson, 345–376; kritisch zu Schneider: M. PESDITSCHEK, Informationsmittel (IFB): digitales Rezensionsorgan für Bibliothek und Wissenschaft: http://ifb.bsz-bw.de/bsz378894366rez-3.pdf [19.1.2016]; S. VOSS, in: OLZ 109, 2014, 1–5. 430 Vgl. VOSS, Ägyptologie als „völkische“ Wissenschaft, im Druck. 431 L. PETERSEN, P. RAULWING, Between Kaiser and Führer: The Archaeologist Julius Jordan (1877–1945) in the German Empire, the Weimar Republic and the „Third Reich“, Anm. 36, im Druck. 432 Ein entsprechender Hinweis zu Anthes’ Liste in: KISCHKEWITZ, Die Jahre 1933–1945 im Ägyptischen Museum, 301: „Weniger bekannt ist dagegen die Namensaufstellung von Rudolf Anthes, die er am 12. März 1947 zur Aufnahme von Ägyptologen in die neu zu gründende Archäologische Gesellschaft gefertigt hat.“ 433 Einige erste Überlegungen zum Aufbau und zur Gliederung der „Steindorff-Liste“ in: RAULWING/GERTZEN, Friedrich Wilhelm Freiherr von Bissing, 91ff. 434 Mit der rühmlichen Ausnahme von RAUE, Der „J’accuse“-Brief an John Wilson.
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die „Opfer“ des Nationalsozialismus in der Geschichte der deutschen Ägyptologie angeführt. An dieser Einschätzung besteht zwar zunächst grundsätzlich kein Zweifel, allerdings gilt es auf zwei Beobachtungen hinzuweisen: Erstens ist es grundsätzlich fragwürdig – um nicht zu sagen unwürdig –, einen Menschen auf seine „Opferrolle“ zu reduzieren: im Guten oder im Schlechten, Steindorff war mehr als ein „Opfer“. Zweitens gilt es eindringlich vor einer schlichten Dichotomie zwischen „Opfern“ und „Tätern“ bzw. „Profiteuren“ totalitärer Systeme zu warnen. Schwarz-Weiß-Denken führt in der Wissenschaftsgeschichte methodologisch stets in eine Sackgasse. So ist denn auch die Person H. Grapows, der hier als zweites Fallbeispiel behandelt werden soll und von Steindorff in seiner Liste als „Arch-Nazi“ klassifiziert wird, keinesfalls auf eine „Täter“-Rolle zu reduzieren (vgl. Kap. 2.2.4.). Grapow hat lange Zeit im Schatten der großen Vertreter der Berliner Schule der Ägyptologie, A. Erman und K. Sethe, gewirkt. Seine wissenschaftliche Tätigkeit blieb von Beginn seiner Laufbahn an auf das „Aegyptische Woerterbuchvorhaben“ beschränkt. Mit dem durch die veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen bewirkten Paradigmenwechsel im Fach zu Beginn der 20er Jahre (vgl. Kap. 1.8.) wurden seine Verdienste auf dem Gebiet der positivistisch-lexikografischen Forschung der Berliner Schule relativiert. Statt der Philologie stand jetzt die Archäologie (vgl. Kap. 1.6.) im Vordergrund, ebenso wie die Textedition und Wortforschung von der Anthropologie bzw. der Rassenkunde an den Rand gedrängt wurde. Der Umstand, dass Grapows Ernennung zum Ordinarius 1938 in Berlin mit seinem Eintritt in die NSDAP zeitlich zusammenfällt, hat, nachvollziehbarer Weise, zu der Vermutung eines kausalen Zusammenhanges geführt.435 Grapow sind gleichfalls frühzeitige Sympathien für die nationalsozialistische Ideologie attestiert worden. 436 Anders als G. Steindorff hat sich Grapow jedoch nur wenig auf dem Gebiet „völkischer“ Wissenschaft betätigt. Zwar lassen sich von ihm eindeutig nationalistische Stellungnahmen nachweisen, doch stehen diese eher in der seit Ende des 19. Jahrhunderts gepflegten Tradition der engen Anlehnung der deutschen Ägyptologie
435
Vgl. ENDESFELDER, Die Ägyptologie an der Berliner Universität, 47f.; SCHNEIDER, Ägyptologen im Dritten Reich, 158. 436 Vgl. REBENICH, Adolf Erman und die Berliner Akademie der Wissenschaften, 365; SCHNEIDER, Ägyptologen im Dritten Reich, 130, 157 und 159; KISCHKEWITZ, Die Jahre 1933–1945 im Ägyptischen Museum, 293; kritisch dazu: GERTZEN, Begegnung mit Hermann Grapow, 18–23.
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an den preußisch-deutschen Staat (vgl. Kap. 1.5.).437 So zeichnet sich der paradoxe Befund ab, dass in der Geschichte der deutschsprachigen Ägyptologie mit Steindorff ein Verfechter der völkischen Neuausrichtung des Faches in den 20er Jahren infolge der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten aus der Wissenschaft und schließlich aus Deutschland vertrieben wurde. Dagegen konnte Grapow, als Vertreter des eigentlich schon überkommenen kaiserzeitlichen Wissenschaftspositivismus, Karriere machen und war – sicher auch bedingt durch seine grundsätzliche Staatsnähe und Anpassungsfähigkeit – sogar in der Lage, diese noch in der DDR fortzusetzen (vgl. Kap. 1.10.). Interessant ist auch, dass Steindorff sich in seiner äußerst negativen Einschätzung Grapows auf eine „moralische Autorität“ berufen hat, die in diesem Zusammenhang zumindest verwundert, nämlich seinen Doktorvater, den bekennenden Antisemiten P. de Lagarde.438 Fragt man nach den möglichen wissenschaftspolitischen Hintergründen der Auseinandersetzung, wird man weiterhin gewahr, dass der persönliche Konflikt zwischen dem älteren, arrivierten und einflussreichen Steindorff und dem jüngeren und lange Zeit beruflich weniger erfolgreichen Grapow 439 auch eine Auseinandersetzung um die Führungsrolle in der Ägyptologie gewesen ist. Konkret äußerte sich dies nicht in einer unmittelbaren Konkurrenz um ein bestimmtes Amt: Nach dem Tod von K. Sethe im Jahre 1934 befürwortete A. Erman die Berufung seines Schülers Grapow auf den Berliner Lehrstuhl und wurde darin von Steindorff zunächst auch unterstützt. Hintergrund war Ermans Befürchtung, dass mit der Berufung von H. Junker oder Hermann Kees (1886-1964) die philologische Schwerpunktsetzung der Berliner Ägyptologie verloren gehen könnte. Hinzu kam die Erwägung Steindorffs, dass er den jüngeren Grapow leichter würde in seinem Sinne beeinflussen können. Erst jedoch als beide oben genannten Kandidaten von sich aus auf die Berliner Professur verzichtet hatten, zog die Philosophische Fakultät eine Berufung Grapows überhaupt in Betracht. 437
Dazu GERTZEN, Begegnung mit Hermann Grapow, 115–119. In einem Brief an Leopold Klotz vom 15.5.1947; Sächsisches Staatsarchiv, Staatsarchiv Leipzig, 22208, J. C. Hinrichs Verlag, Leipzig; zitiert nach: H. FRANZMEIER, A. WEBER, „Andererseits finde ich, dass man jetzt nicht so tun soll, als wäre nichts gewesen“. Die deutsche Ägyptologie in den Jahren 1945–1949 im Spiegel der Korrespondenz mit dem Verlag J. C. Hinrichs, in: Bickel et al. (Hrsg.), Ägyptologen und Ägyptologien, 123; zur Einschätzung Lagardes vgl. SIEG, Deutschlands Prophet. 439 Was allerdings nicht zwangsläufig zu einer Geringschätzung von dessen fachlichen Qualitäten führen sollte; in diesem Sinne SCHNEIDER, Ägyptologen im Dritten Reich, 158f.; zu Grapows Karriere und seinen Karriereaussichten ab den 30er Jahren: GERTZEN, Begegnung mit Hermann Grapow, 37–55 und 131f. 438
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So kam es, dass dieser Mitte der 30er Jahre sogar einen engeren Anschluss an den Leipziger Ordinarius Steindorff suchte. Wegen dessen aufgrund der menschenverachtenden Gesetzgebung der Nationalsozialisten zunehmend prekärer werdenden Lage musste sich Grapow allerdings nach neuen Verbündeten umsehen. Mit dem Tod von A. Erman im Jahre 1937 drohte Berlin endgültig seine führende Stellung im ägyptologischen Wissenschaftsbetrieb zu verlieren. Steindorff, der inzwischen ja auch eine andere inhaltliche Ausrichtung des Faches vertrat, konnte dem kaum mehr abhelfen. Grapow suchte also den Schulterschluss mit gleichaltrigen Kollegen, und zwar gerade mit den beiden, die ihm zuvor noch die Übernahme der Berliner Professur hätten streitig machen können: H. Junker und H. Kees. Es mag etwas unangemessen erscheinen, dies so zu formulieren, aber tatsächlich wurden die Geschicke der Ägyptologie im „Dritten Reich“ in der Folgezeit wesentlich von diesen drei „Hermännern“ bestimmt:440 Junker hatte seit 1929 das Direktorat des Archäologischen Institutes in Kairo inne (vgl. Kap. 1.6.2.); Grapow wurde letztlich mit seiner Berufung zum Ordinarius 1938 und insbesondere durch seinen unmittelbaren Zugang zu Reichserziehungsminister Bernhard Rust (1883– 1945)441 doch noch zu einer, wenn nicht – in der Berliner Tradition – zu der zentralen Instanz der deutschsprachigen Ägyptologie. Der „dritte im Bunde“, H. Kees, hatte bereits 1924 Sethes Professur in Göttingen übernommen und seitdem konsequent seinen Einfluss auf das Fach ausgebaut. 442 Dabei war er zunächst mit Grapow in Konkurrenz getreten, als er für Göttingen die Bibliothek K. Sethes ankaufte, auf die das Berliner Seminar zur Aufstockung seines eigenen beschränkten Bibliotheksbestandes gehofft hatte. 443Ab 1937 jedoch kam es zu einer Annäherung der beiden Gelehrten, die, zunächst unabhängig voneinander, ihren Einfluss auf das Fach systematisch vergrößerten. Kees sicherte sich hierfür vor allem die Herausgeberschaft wichtiger ägyptologischer Zeitschriften und Reihen. Dies wurde von dem Münchener Ordinarius A. Scharff in einem Brief an Steindorff kritisch kommentiert, wobei auch ein eindeutiger Hinweis auf die politische Haltung von Kees gegeben wurde: 440
Immerhin eine gute „Eselsbrücke“. Vgl. A. C. NAGEL, Hitlers Bildungsreformer. Das Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung 1934–1945, Frankfurt a.M. 2012. 442 Vgl. O. WITTHUHN, Das Pelizaeus-Museum in Göttingen, in: GM 231, 2011, 107–111; DERS., Als Hermann Kees den „Sinuhe“ nach Göttingen holte, in: GM 235, 2012, 105–108. 443 Seit der Gründung des Ägyptologischen Seminars 1914 war den Studierenden die Nutzung der Bibliothek des Ägyptischen Museums nur noch eingeschränkt möglich gewesen; vgl. GERTZEN, École de Berlin, 318–331. 441
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„Vermutlich wird Kees, der ungewählte und unernannte ‚Duce‘ der Ägyptologie und Herausgeber so ziemlich aller Periodica, die unsere Wissenschaft betreffen, auch diese Posten selbst übernehmen oder mit den ihm ergebenen jungen Leuten besetzen.“444 Kees war, anders als Junker und Grapow, bereits vor der „Machtergreifung“ politisch aktiv gewesen. Er hatte sich allerdings, ähnlich wie sein Kollege und Mentor F. W. von Bissing (vgl. Kap. 1.6.2., 1.7. und 1.8.), im rechtskonservativen Spektrum bewegt. Anders als Bissing, der bereits in den 20er Jahren in die NSDAP eintrat und sogar dem exilierten Kaiser Wilhelm II. Adolf Hitler als politischen Hoffnungsträger anpries, 445 war Kees dem militärischen Arm der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP), dem „Stahlhelm“, beigetreten. 1933 wurde sein Verband in die SA eingegliedert. Die Bezeichnung durch Scharff als „Duce“ spielt sicher auf diese politische Aktivität an. 446 In demselben Schreiben an Steindorff wird Grapow für die Schaffung einer „engeren Kommission“ zur Herausgabe des Aegyptischen Woerterbuches kritisiert, die de facto eine größere Kontrolle Berlins durch die Ausschaltung der übrigen bisherigen Kommissionsmitglieder erreichen sollte. Auch die Zusammensetzung einer anderen Kommission, nämlich die zur Herausgabe des wissenschaftlichen Nachlasses von K. Sethe, sollte 1937 von Grapow verändert werden. 447 Waren zunächst A. Erman, G. Steindorff und H. Grapow als Kommissionsmitglieder vorgesehen, versuchte letzterer, nach dem Ableben von Erman, Steindorff zugunsten von H. Kees aus dieser Kommission zu verdrängen – ein Vorgang, der von Sethes Sohn Heinz als „zum Kotzen“
444
ÄMULA, NL Georg Steindorff, Korrespondenz, Scharff an Steindorff, 27.9.1937; zitiert nach: T. GERTZEN, „In Deutschland steht Ihnen Ihre Abstammung entgegen“ – zur Bedeutung von Judentum und Konfessionalismus für die wissenschaftliche Laufbahn G. Steindorffs und seiner Rolle innerhalb der École de Berlin, in: Voss/Raue (Hrsg.), Georg Steindorff und die deutsche Ägyptologie, Berlin 2016, 388. 445 Hierzu RAULWING/GERTZEN, Friedrich Wilhelm Freiherr von Bissing, 100, Anm. 273; zur Haltung der deutschen Aristokratie gegenüber dem Nationalsozialismus grundlegend: S. MALINOWSKI, Vom König zum Führer. Sozialer Niedergang und politische Radikalisierung im deutschen Adel zwischen Kaiserreich und NS-Staat, Berlin 2003. 446 Kees’ politische Aktivität wurde jüngst genauer untersucht; vgl. T. SCHNEIDER, „Eine Führernatur, wie sie der neue Staat braucht!“. Hermann Kees’ Tätigkeit in Göttingen 1924– 1945 und die Kontroverse um Entnazifizierung und Wiedereinstellung in der Nachkriegszeit, in: SAK 44, 2015, 333–381; s.a. W. WOLZE (Hrsg.), Hermann Kees (1886–1964). Ein Ägyptologe zwischen Wissenschaft und Politik. Eine virtuelle Ausstellung: https://www.uni-goettingen.de/de/487302.html [20.1.2016]. 447 Vgl. GERTZEN, „In Deutschland steht Ihnen Ihre Abstammung entgegen“, im Druck, 382– 389.
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bezeichnet wurde.448 Bis zu diesem Zeitpunkt jedoch hatte Grapow nicht versucht, gegenüber Steindorff dessen „nicht-arische“ Herkunft auszuspielen. Bei der Verkleinerung der Woerterbuch-Kommission berief er sich auf Erman und die auch von jenem wahrgenommene Notwendigkeit, Entscheidungsprozesse effizienter zu gestalten. Bei der Herausgabe des Nachlasses von K. Sethe wollte Grapow allem Anschein nach Sethes kritische Kommentierung von Grapows Dissertation über das Ägyptische Totenbuch unterdrücken. 449 Wissenschaftspolitisch ging es ihm in beiden Fällen aber wohl zuallererst um die Steigerung seiner eigenen Einflussmöglichkeiten. Erst jedoch im Zuge der Auseinandersetzung um die Herausgeberschaft der Zeitschrift für Ägyptische Sprache und Altertumskunde (ZÄS)450 kam es zwischen Steindorff und Grapow zum Eklat: Denn nun rückte Steindorffs jüdische Herkunft (vgl. Kap. 1.8.) ins Zentrum der Auseinandersetzung. Zuvor schon hatte sich der Leipziger Ordinarius nach seiner regulären Emeritierung 1930 und der nachfolgenden Verlängerung bis immerhin 1934 schrittweise aus verschiedenen Ämtern „freiwillig“ zurückgezogen. Dabei hatte er seinen Nachfolger W. Wolf auch als Mitherausgeber der ZÄS vorgeschlagen, allerdings gegenüber dem Verlag darauf gedrungen, dass diesem der Berliner Lehrstuhlinhaber, wobei er davon ausging, dass dies Grapow sein werde, zur Seite gestellt würde. 1937 kam es schließlich zu einem persönlichen Gespräch zwischen ihm und Grapow, in welchem dieser dringend auch zu einem „freiwilligen“ Rückzug von der Herausgeberschaft der ZÄS geraten hat. Von dem Gespräch haben sich sowohl spätere Darstellungen Grapows451 als auch ein unmittelbar danach angefertigtes Protokoll452 sowie spätere Schilderungen Steindorffs erhalten. Es verwundert dabei wenig, dass die Darstellungen und darin vorgenommenen Wertungen sich voneinander zum Teil stark unterscheiden. Wichtig hervorzuheben ist allerdings auch, dass die spätere Schilderung Steindorffs über Grapow deutlich schärfer ausfällt als die 448 Vgl. ÄMULA, NL Georg Steindorff, Korrespondenz, H. Sethe an Steindorff, 27.8.1937; zitiert nach: GERTZEN, „In Deutschland steht Ihnen Ihre Abstammung entgegen“, im Druck, 386. 449 H. GRAPOW, Das 17. Kapitel des Ägyptischen Totenbuches und seine religionsgeschichtliche Bedeutung, Berlin 1912; zu der kritischen Aufnahme und das dadurch belastete Verhältnis zu Sethe vgl. GERTZEN, Begegnung mit Hermann Grapow, 61–67. 450 Vgl. FRANZMEIER/WEBER, „Andererseits finde ich, dass man jetzt nicht so tun soll, als wäre nichts gewesen“, 120–124 und 133–141. 451 Vgl. Sächsisches Staatsarchiv, J. C. Hinrichs, Nr. 679, Bl. 12, H. Grapow an L. Klotz, 29.1.1946; zitiert nach: SCHNEIDER, Ägyptologen im Dritten Reich, 163 f.; GRAPOW, Meine Begegnung mit einigen Ägyptologen, 53f. 452 ÄMULA, NL Georg Steindorff, Gesprächsprotokoll Steindorff, 6.8.1937; zitiert nach: GERTZEN, „In Deutschland steht Ihnen Ihre Abstammung entgegen“, im Druck, 370–373.
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zeitgenössischen Dokumente. Grapow hat wahrscheinlich noch 1939 Steindorff und seiner Frau – gewissermaßen in letzter Sekunde – die Ausreise in die USA ermöglicht.453 Hierfür sind eher wenig altruistische Motive vermutet worden.454 Die hier kursorisch vorgestellten Fallbeispiele machen allerdings auch deutlich, dass eine Einschätzung des politischen Belastungsgrades von Ägyptologen während der Zeit des „Dritten Reiches“ mit der Untersuchung eines grundsätzlich äußerst komplexen Gegenstandes verbunden ist: Wissenschaftliche Arbeit, individuelle Gelehrtenbiografien und die Wechselwirkungen mit den politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen können nicht ohne weiteres fein säuberlich voneinander getrennt und dann einzeln eingeschätzt werden. Zu der immer noch erforderlichen Grundlagenforschung zu diesem Themenkomplex muss notwendigerweise auch eine kritische Methodendiskussion hinzutreten. Die Isolierung eines vermeintlichen „Destillats“ „reiner“ wissenschaftlicher Leistungen von ihren biografischen und wissenschaftspolitischen Rahmenbedingungen ist ebenso wenig zielführend wie die ostentative moralische Entrüstung mancher Wissenschaftshistoriker über die tatsächlichen oder vermeintlichen Verfehlungen vorangegangener Ägyptologen. Auch hier empfiehlt es sich, den Rat STEFAN REBENICHs ernst zu nehmen: „Dabei sollte sich der Historiker allerdings nicht die Rolle des Strafrichters anmaßen, sondern sich mit der des Untersuchungsrichters bescheiden.“455 1.10. Die Ägyptologie in den beiden deutschen Staaten Der Übergang vom Ende des „Dritten Reiches“ in die Nachkriegszeit bis zur Gründung der beiden deutschen Staaten ist fließend, oder um es mit den Worten des Wissenschaftshistorikers RÜDIGER VOM BRUCH zu sagen: „Eine Stunde Null hat es mit dem deutschen Zusammenbruch 1945 auch wissenschaftspolitisch nicht gegeben.“456 Sowohl Kontinuitäten als auch Diskontinuitäten innerhalb des deutsch-sprachigen ägyptologischen Wissenschaftsbetriebs müssen erst noch untersucht werden. 453
Vgl. RAUE, Der „J’accuse“-Brief an John Wilson, 365. Vgl. GERTZEN, Begegnung mit Hermann Grapow, 94, Anm. 55. 455 REBENICH, Zwischen Verweigerung und Anpassung, 14. 456 R. VOM BRUCH, Zwischen Traditionsbezug und Erneuerung. Wissenschaftspolitische Denkmodelle und Weichenstellungen unter alliierter Besatzung 1945–1949, in: J. Kocka et al. (Hrsg.), Die Berliner Akademie der Wissenschaften im geteilten Deutschland 1945–1990, Berlin 2002, 5. 454
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Nicht umsonst endete der Betrachtungszeitraum der SÄK 2011 in Leipzig (vgl. Kap. 1.9.) mit dem Jahr 1949: Wann hört Wissenschaftsgeschichte auf? Wann fängt wissenschaftliche Gegenwart an? Wie definiert man den zeitlichen Endpunkt einer Untersuchung? Diese Fragen sind durchaus nicht einfach zu beantworten. Hinzu kommt, dass es zwar auf den ersten Blick ungehörig erscheint, noch lebende oder erst kürzlich verstorbene Kollegen zum „Gegenstand“ einer wissenschaftsgeschichtlichen Untersuchung zu machen, ihr Wirken als „Geschichte“ zu definieren und so unangenehme Assoziationen mit dem amerikanischen Ausdruck „that’s history“ („das ist erledigt“) zu wecken. Auf den zweiten Blick jedoch ließe sich auch genau umgekehrt argumentieren und darauf hinweisen, dass das Vorhandensein von Zeitzeugen einen „Quellenbestand“ darstellt, der sogar vorrangig ausgewertet werden sollte (vgl. Kap. 2.1.7.). Es besteht so die Chance, nicht nur Wissenschaftsgeschichte „über“, sondern „mit“ deren Akteuren zu schreiben. Ausgehend von den über das Jahr 1945 hinausweisenden Erkenntnissen über bestimmte Ägyptologen und ihre weiteren Karriereverläufe soll daher im Folgenden zumindest ein Ausblick auf die weitere Entwicklung geboten werden. Neben den ohnehin und ganz allgemein schwierigen Bedingungen der Nachkriegszeit in einem völlig zerstörten und wirtschaftlich brachliegenden Deutschland, aufgeteilt in Besatzungszonen der vier Siegermächte, stellte sich die Fortsetzung bzw. die Wiederaufnahme ägyptologischer Forschung als äußerst schwierig dar. Hinzu kam, dass einige Ägyptologen wie G. Steindorff (vgl. Kap. 1.8. und 1.9.) oder Bernhard V. Bothmer (1912–1993)457 ins Exil geflohen waren und sich gegenüber dem deutschen Wissenschaftsbetrieb, nachvollziehbarer Weise, distanziert verhielten. Andere, wie die ägyptologische Kunsthistorikerin Hedwig Fechheimer (1871–1942),458 hatten dem nationalsozialistischen Rassenwahn nicht entkommen können. Und selbst jene, die das „Dritte Reich“ trotz Repressalien und Verfolgung überlebt hatten, mussten innerhalb der sich neu konstituierenden Strukturen des akademischen Betriebes zum Teil lange für Entschädigung und Wiedereinsetzung in ihre früheren Ämter kämpfen. Im Zuge der „Entnazifizierung“ des öffentlichen Lebens wurden aber auch als „politisch belastet“ eingestufte Ägyptologen aus ihren Ämtern
457
Vgl. M. EATON-KRAUSS, Bernard V. Bothmer: a biographical essay covering the years through 1941, in: MDAIK 70/71, in Vorbereitung. 458 S. PEUCKERT, Hedwig Fechheimer und die ägyptische Kunst. Leben und Werk einer jüdischen Kunstwissenschaftlerin in Deutschland (ZÄS-B 2), Berlin 2014.
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entfernt. Dies geschah jedoch nicht immer und überall mit der gleichen Konsequenz. Für die Fachgeschichte ist dabei jedoch besonders hervorzuheben, dass hierdurch die weitere Entwicklung der Ägyptologie gleichfalls auf eine spezifische Art und Weise beeinflusst und beeinträchtigt wurde. Die „drei Hermänner“, Junker, Kees und Grapow (vgl. Kap. 1.9.), die sich wohl am stärksten politisch exponiert hatten, gerieten folgerichtig auch am meisten unter Druck und gingen ihrer Ämter verlustig. H. Junker kehrte nicht wieder an das DAI Kairo zurück (vgl. Kap. 1.6.2.), wurde aber schließlich 1953 regulär als ehemaliger Professor der Universität Wien emeritiert. Laut seinen Stellungnahmen im Zuge des Entnazifizierungsverfahrens wäre er als deutscher Beamter in die NSDAP eingetreten, hätte sich aber als Österreicher von der Partei stets ferngehalten. 459 H. Kees wurde aus der Philosophischen Fakultät ausgeschlossen, lehrte von 1951 bis 1956 an der Ibrahim Pascha (heute: Ain Shams)-Universität in Kairo und erreichte 1952 schließlich seine formelle Emeritierung an der Universität Göttingen.460 H. Grapow verlor zunächst die Lehrbefugnis an der Berliner Universität, wurde allerdings weiter als Akademiemitarbeiter beschäftigt. 1954 und 1959 wurde er sogar mit dem Nationalpreis der DDR ausgezeichnet, 1955 wurde ihm die Ehrendoktorwürde der Medizin verliehen, und 1950 hatte er bereits die Festrede auf der 250-Jahr-Feier der Berliner Akademie gehalten. Erst durch den Bau der Berliner Mauer im Jahre 1961, die ihm ein Pendeln zwischen seinem Wohnsitz in Steglitz-Zehlendorf (Berlin-West) zur Deutschen Akademie, Unter den Linden, in Berlin-Ost erschwerte, kam seine amtliche Tätigkeit zum Erliegen.461 In einem Schreiben Grapows an Kees aus dem Jahr 1946 kommt die Entrüstung der Betroffenen über die offenkundige Ungleichbehandlung vermeintlich ähnlich oder gleich gelagerter Fälle zum Ausdruck. Eine kritische Selbstreflexion unterbleibt dabei allerdings, und es zeichnet sich bereits eine unterschiedliche Perspektive, geprägt durch die ganz unterschiedlichen Lebens- und Arbeitsbedingungen in den Besatzungszonen, ab: „Was ist bei Euch/uns eigentlich los? Der Teufel? oder der Bajazzo?: Sie (Sa u. Pg [lies: SA und „Parteigenosse“ der NSDAP]) fliegen, Roeder (Sa u. Pg) bleibt resp. ist im Steigen! Ich habe mich jahrelang mit allen Mächten hier für andere herumgeschlagen, und bin jetzt entamtet – und Hr [Hans Heinrich] 459
Vgl. BUDKA/JURMANN, Ein deutsch-österreichisches Forscherleben, 303 und 305. Vgl. SCHNEIDER, Ägyptologen im Dritten Reich, 174f. 461 Vgl. GERTZEN, Begegnung mit Hermann Grapow, 32f. und 108–120. 460
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Schaeder [1896–1857] (freilich nicht Pg!), der sich in unglaublichem Masse politisch hier und draussen auf seinen ewigen Reisen unter grober Vernachlässigung seiner Pflichten als Professor exponiert hat – hier ist alle Welt erstaunt! – wird zum Dank bei Euch Professor [in Göttingen]! Scharff belastet sich zum Wohl des Ganzen mit dem Dekanat so sehr, dass er ‚nicht mehr weiss, wie er die Bürde tragen soll‘ – und erlaubt sich mir die Frage zu stellen, ‚wie ich aus blossem Geltungsdrang Pg werden konnte?‘“462 Zunächst gilt es zu betonen, dass Grapows Stellungnahme eine Momentaufnahme darstellt; der von ihm erwähnte Günther Roeder (1881–1966)463 wurde schließlich von der Leitung des Ägyptischen Museums Berlin entbunden und auch von der Stadt Hildesheim aus seiner dortigen Funktion als Direktor des Roemer- und Pelizaeus-Museums entlassen. Die Rolle A. Scharffs in der Nachkriegszeit muss gleichfalls differenziert betrachtet werden. 464 Zwar hatte er eine gewisse Distanz zum Nationalsozialismus gewahrt und wird in wissenschaftsgeschichtlichen Darstellungen, nicht zuletzt durch die Einschätzung in der „Steindorff-Liste“ als „man of honor“, eher positiv beurteilt.465 Allerdings hat er sich nach dem Krieg durchaus dazu bereitgefunden, H. Kees ein positives Gutachten auszustellen oder seinem ehemaligen Assistenten Helmut Brunner (1913–1997)466 zu einem Lehrauftrag an der Universität Münster zu verhelfen. Wichtiger aber ist, dass im Rahmen derselben Untersuchungen Grapow seine vermeintliche „absolute Loyalität zum nationalsozialistischen Staat“467 oder seine „Beziehungen zu den höchsten Partei- und Regierungskreisen“468 als Ausweis seiner politischen Verstrickung ausgelegt werden. Der Umstand, dass auch Scharff, im Interesse seines Faches, ebenfalls Kontakt zu Vertretern der nationalsozialistischen Wissenschaftsadministration unterhielt, wird in aller Regel deutlich positiver oder doch zumindest als „notgedrungen“ bewertet. 469 462
H. Grapow an H. Kees, 15.5.1946; zitiert nach: WOLZE, Hermann Kees (1886–1964). Vgl. KISCHKEWITZ, Die Jahre 1933–1945 im Ägyptischen Museum, 294f. und 300f.; zu Roeder allgemein: H. REYER, Der Ägyptologe Günther Roeder 1881–1966. Biographische Skizze eines Hildesheimer Museumsdirektors mit einem Verzeichnis seiner Schriften, in: A. Spiekermann (Hrsg.), „Zur Zierde gereicht …“. Festschrift Bettina Schmitz zum 60. Geburtstag am 24. Juli 2008, Hildesheim 2008, 187–216. 464 Vgl. BECKH, Das Institut für Ägyptologie der LMU München im Nationalsozialismus, 265ff. 465 Vgl. SCHNEIDER, Ägyptologen im Dritten Reich, 147–150. 466 Vgl. BECKH, Das Institut für Ägyptologie der LMU München im Nationalsozialismus, 296; darin zu Brunner: 267–271. 467 SCHNEIDER, Ägyptologen im Dritten Reich, 159. 468 KISCHKEWITZ, Die Jahre 1933–1945 im Ägyptischen Museum, 293. 469 Kritisch hierzu: GERTZEN, Begegnung mit Hermann Grapow, 135f. 463
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Insgesamt sollte man sich davor hüten, vorschnell oder überhaupt „Partei zu ergreifen“. Jedenfalls lassen sich in den zur Verfügung stehenden Quellen für jede Interpretation entsprechende Stellungnahmen finden. Dabei ist es nicht die Aufgabe des Historikers, subjektive Urteile über die Glaubwürdigkeit einzelner Quellen bzw. ihrer Autoren abzugeben, sondern sich um eine möglichst breite Erfassung aller zur Verfügung stehenden Quellen zu bemühen. Danach kann und sollte zwar eine begründete Stellungnahme erfolgen, in manchen Fällen tut der Wissenschaftshistoriker aber gut daran, den nicht immer eindeutigen Quellenbefund deutlich herauszuarbeiten und vielleicht auch den vorläufigen Charakter seiner Einschätzungen zu betonen (vgl. Kap. 2.2.4.). Erschwert wird die Erforschung der Ägyptologie der Nachkriegszeit auch durch die sich seit 1946 abzeichnende deutsche Teilung. Gerade H. Grapow hat sich frühzeitig eine kritische Perspektive auf die Entwicklung in den westlichen Besatzungszonen zu eigen gemacht.470 Hierbei wurde zusätzlich, im Zuge der innerdeutschen Auseinandersetzungen, die Ebene der persönlichen Verantwortung bzw. der Schuldzuweisungen verlassen und auf die des Konflikts zwischen den beiden konkurrierenden Systemen übergeschwenkt. 471 Andererseits ermöglichte diese Konkurrenz es einigen Ägyptologen auch, ihre Karrieren fortzusetzen. Gerade Grapow ist ein Beispiel für die in seinem hochspezialisierten Fach häufig anzutreffende Argumentation, dass ein Wissenschaftler schon allein deshalb nicht aus allen seinen Ämtern entfernt werden könne, weil schlichtweg niemand anderes die entstehende Kompetenzlücke füllen könnte. Die deutsche Teilung bewirkte auch in der Ägyptologie eine besondere Dynamik: Aus den 1945 verlustig gegangenen deutschen Ostprovinzen, der sowjetischen Besatzungszone und der späteren DDR fliehende Ägyptologen mussten in den westdeutschen Zonen und der späteren BRD ein Auskommen finden. Dies mag eine der Ursachen für die zahlreichen Neugründungen ägyptologischer Institute und Seminare in der Nachkriegszeit gewesen sein:
470
Ebenda, 78f. und 116. Vgl. J. DANYEL, Die Opfer und Verfolgungsperspektive als Gründungskonsens? Zum Umgang mit der Widerstandstradition und der Schuldfrage in der DDR, in: Ders. (Hrsg.), Die geteilte Vergangenheit. Zum Umgang mit Nationalsozialismus und Widerstand in beiden deutschen Staaten, Berlin 1995, 31–46. 471
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Münster (1949/59);472 Tübingen (1959);473 Hamburg (1950/63);474 Würzburg (1964).475 In der DDR blieb die Ägyptologie auf die traditionsreichen Standorte Berlin476 und Leipzig477 beschränkt, die sich nun noch stärker wechselseitig ergänzten und unterstützten. 478 Die Orientarchäologie in Halle an der Saale vertrat einen räumlich grundsätzlich weiter gespannten Forschungsansatz.479 Dabei musste sich die Ägyptologie in der DDR in dreifacher Hinsicht an neuartige und im Vergleich zu bisherigen Epochen völlig anders geartete Rahmenbedingungen anpassen. Dies bedrohte teilweise den Fortbestand des Faches, eröffnete aber auch immer neue Perspektiven: 480 472
Vgl. die Homepage des Instituts: http://www.uni-muenster.de/IAEK/forschen/gesch/index.html [22.2.2015]. 473 Vgl. die Homepage des Instituts: http://www.uni-tuebingen.de/museum-schloss/aegyptologie.html [22.2.2015]. 474 Vgl. die Homepage des Instituts: http://www.fbkultur.uni-hamburg.de/de/einrichtungen/arbeitsbereich-aegyptologie/geschichte.html [22.2.2015]. 475 Vgl. die Homepage des Lehrstuhls: http://www.aegyptologie.uni-wuerzburg.de/?id=139766 [22.2.2015]. 476 Vgl. ENDESFELDER, Die Ägyptologie an der Berliner Universität, 54–64; REINEKE, Das Wörterbuch der Ägyptischen Sprache, xi–xiv. 477 Vgl. BLUMENTHAL, Altes Ägypten in Leipzig; DIES., Die Leipziger Ägyptologie, in: Die Afrika-, Nahost- und Asienwissenschaften in Leipzig. Wissenschaftliche Zeitschrift der Karl-Marx-Universität Leipzig, Gesellschafts- und Sprachwissenschaftliche Reihe 34, 1985, 585–591; R. KRAUSPE, Ägyptisches Museum der Karl-Marx-Universität Leipzig, Leipzig 1987; E. BLUMENTHAL, Ägyptologie in der Akademie, in: G. Haase, E. Eichler (Hrsg.), Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig. Wege und Fortschritte der Wissenschaft, Berlin 1996, 523–545. 478 Vgl. E. BLUMENTHAL, Berliner und Leipziger Ägyptologie, 15–20; DIES., W. F. REINEKE, Zehn Jahre „Neue Forschungen zur ägyptischen Geschichte“, Berlin 1981, in: Ethnographisch-Archäologische Zeitschrift 24, 1983, 570–572. 479 Vgl. M. MODE, Zur Wiedereröffnung des archäologischen Museums Robertinum, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Gesellschafts- und Sprachwissenschaftliche Reihe V.2, 1956, 267–272; DERS., Die Orientalische Archäologie in Halle, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg, Gesellschafts- und Sprachwissenschaftliche Reihe VII.6, 1958, 1137–1140. 480 Grundlegend: W.-H. KRAUTH, Asien- und Afrikawissenschaften, in: J. Kocka, R. Mayntz (Hrsg.), Wissenschaft und Wiedervereinigung. Disziplinen im Umbruch (Interdisziplinäre Arbeitsgruppen Forschungsberichte 6), Berlin 1998, 21–78; H. NEUMANN, Altorientalistik in der DDR (1986–1990) und ihre inhaltlich-strukturelle Umgestaltung in den neuen Bundesländern (1990/91–1995) und DERS., Die Asien- und Afrikawissenschaften in der DDR. Wissenschaftssoziologische Bemerkungen, beide in: W.-H. Krauth, R. Wolz (Hrsg.), Wissenschaft und Wiedervereinigung. Asien- und Afrikawissenschaften im Umbruch, Berlin 1998, 165–268; 443–465; H. WREDE, Archäologie: Wiederaufbau, marxistische Neudefinition und Kampf um das Überleben – Neukonstitution; P. HEINE, Orientalistik in der Humboldt-Universität – zwischen Politik und Philologie 1945–2010; und A. ECKERT, Afrikanische Sprachen und Afrikanistik, alle in: H.-E. Tenorth (Hrsg.), Geschichte der Berliner Universität Unter den Linden. Praxis ihrer Disziplinen, Bd. 6: Selbstbehauptung einer Vision, Berlin 2010, 409–422; 525–534; 535–547.
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(1) Die Ausbildung von Ägyptologen im Rahmen der DDR-Wissenschaftspolitik481 wurde nunmehr staatlich „geplant“. Über die Möglichkeit, sich für ein Studium der Ägyptologie einzuschreiben, entschied dabei allem Anschein nach482 weniger die politische Haltung oder der „Klassenstandpunkt“ als denn die Bedarfsplanung. Dennoch mussten sich auch Ägyptologen in ihren Arbeiten auf die (2) „Marxistisch-Leninistische Geschichtsschreibung“ einlassen.483 Dabei gilt es zu betonen, dass marxistische Konzepte auch in der Ägyptologie Westdeutschlands diskutiert wurden.484 Nicht uninteressant ist dabei der Gedanke, dass die Fachgeschichte der Ägyptologie in der DDR vor allem vor dem Hintergrund der ökonomischen Voraussetzungen analysiert werden kann. Diente Ägyptologische Forschung im Rahmen der auswärtigen Kulturpolitik der DDR485 zunächst zur Gewinnung von internationalem Ansehen und auch als Ersatz für die lange fehlende internationale Anerkennung, 486 führte die sich ab dem Ende der 70er Jahre verschlechternde wirtschaftliche Lage dazu, dass sich auch die Ägyptologie in der DDR neu orientieren musste. Dabei entfaltete (3) der Mangel jedoch durchaus auch ein gewisses Innovationspotential. Zum einen bemühten sich Ägyptologen in der DDR, die lange
481
Vgl. J. KOCKA, Wissenschaft und Politik in der DDR, und R. MAYNTZ, Die Folgen der Politik für die Wissenschaft in der DDR, beide in: Kocka/Mayntz (Hrsg.), Wissenschaft und Wiedervereinigung. Disziplinen im Umbruch, 435–459; 461–483; R. SCHRÖDER, Bündnis von Geist und Macht. Wissenschaft in der DDR, in: J. Kocka et al. (Hrsg.), Wissenschaft und Wiedervereinigung. Bilanz und offene Fragen, Berlin 2010, 26–40. 482 Dies legen zumindest erste Stellungnahmen von Ägyptologen nahe, die im Rahmen eines „Oral-History“-Projekts am Ägyptologischen Institut – Georg Steindorff – in Leipzig befragt wurden. Danach wäre die Ägyptologie sogar ein akademischer Rückzugsraum für Studierende gewesen, die dem DDR-Staat zumindest nicht allzu nahe standen. 483 Etwa in Großprojekten wie: AUTORENKOLLEKTIV (Leitung: I. SELLNOW), Weltgeschichte bis zur Herausbildung des Feudalismus. Ein Abriss (Veröffentlichungen des Zentralinstituts für Alte Geschichte und Archäologie der Akademie der Wissenschaften der DDR 5), Berlin 2 1978; darin zum Alten Ägypten: 192–221; zu „Napata-Meroe“: 456–460. 484 Das wohl prominenteste Beispiel diskutiert von: W. SCHENKEL, Die Bewässerungsrevolution im Alten Ägypten, Mainz 1978, und E. ENDESFELDER, Zur Frage der Bewässerung im Alten Ägypten, in: ZÄS 106, 1979, 37–51. 485 Hierzu: J. EVENS, Die Imagepflege der Kultur- und Informationszentren der DDR im Ausland bis zur internationalen Anerkennung 1972/73, in: Deutschland-Archiv, 13.4.2015: http://www.bpb.de/geschichte/zeitgeschichte/deutschlandarchiv/203946/die-imagepflegeder-kultur-und-informationszentren-der-ddr-im-ausland-bis-zur-internationalen-anerkennung-1972-73 [8.6.2015]. 486 In diesem Sinne: ST. WENIG, Fritz Hintze als Ausgräber, in: Endesfelder (Hrsg.), Von Berlin nach Meroe, 83.
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Tradition ägyptologischer Forschung an ihren jeweiligen Forschungsstandorten zu betonen, um so eine bessere Argumentationsgrundlage gegenüber staatlichen Stellen für deren Erhalt zu gewinnen. Dies wurde durch das Interesse der offiziellen DDR-Wissenschaftspolitik begünstigt, die eigene internationale Reputation durch die Bezugnahme auf die deutsche Wissenschaftstradition aufzuwerten. Wissenschaftsgeschichte konnte zudem leichter ohne die allerneueste ägyptologische Fachliteratur betrieben werden.487 Der nur eingeschränkte Zugang zu neuen archäologischen Funden führte, wie zuvor schon in der Geschichte der deutschen Ägyptologie, zur Konzentration auf die, nunmehr computergestützte, Verarbeitung sowohl archäologischer als auch philologischer Daten.488 Die Entwicklungen auf diesem Gebiet sind mit dem Namen von Fritz Hintze (1915–1993)489 verbunden. Dieser setzte zunächst die Berliner Tradition auf dem Gebiet der ägyptischen Sprachforschung weiter fort und begründete die Meroitistik als eigenständige Spezialdisziplin. 490 Komplementär dazu etablierte er die Sudanarchäologie in der DDR und hat sich später, nach Auskunft von STEFFEN WENIG, mit seinem westdeutschen Kollegen und Direktor des DAI Kairo, Werner Kaiser (1926–2013, Amtszeit: 1967–1989),491 darüber verständigt, dass die westdeutsche Ägyptologie sich auf (den Staat) Ägypten und die ostdeutsche sich auf den Sudan konzentrieren solle. So kam es, dass
487
Allerdings bedeutete der eingeschränkte Zugang zu relevanten Archivbeständen eine Einschränkung, die manche dieser Arbeiten heute selbst „nurmehr“ zum Gegenstand der Wissenschaftsgeschichte werden lässt. So z.B. die Arbeiten: S. WÖLFFLING, Untersuchungen zur Geschichte des Deutschen Instituts für Ägyptische Altertumskunde zu Kairo, Halle a.d.S. 1960, und M. MODE, Untersuchungen zu den Ausgrabungen der Deutschen Orientgesellschaft in Tell el-Amarna 1907 und 1911 bis 1914 anhand der Materialien in den Staatlichen Museen zu Berlin/DDR, unveröffentlichte Diss., Halle a.d.S. 1983; Kurzzusammenfassung in: Ethnographisch-Archäologische Zeitschrift 29, 1988, 473-487; kritisch zu Wölffling: VOSS, Geschichte der Abteilung Kairo des DAI, Bd. 1, 38 und 54. 488 Hierzu: P. IHM, Fritz Hintze und die Datenanalyse in der Archäologie, und W. F. REINEKE, Fritz Hintze und die ägyptologische Arbeit an der Berliner Akademie, beide in: Endesfelder (Hrsg.), Von Berlin nach Meroe, 38–53; 54–68; auch in diesem Bereich setzte der eingeschränkte Zugang zu westlicher Computertechnologie bzw. der Rückstand der technischen Entwicklung in der DDR dieser Entwicklung Grenzen. Die theoretische Grundlagenarbeit im Fach geht aber unzweifelhaft auf die Ägyptologie in der DDR zurück. 489 Vgl. E. BLUMENTHAL, E. HORNUNG, R. KRAUSPE, Fritz Hintze. 18. April 1915–30. März 1993, in: ZÄS 120, 1993, ix–xi; ST. WENIG, Fritz Hintze (18.4.1915–30.3.1993), in: MittSAG 1, 1994, 27–28; ENDESFELDER (Hrsg.), Von Berlin nach Meroe. 490 Vgl. hierzu: BREYER, Einführung in die Meroitistik, 46f. 491 Vgl. D. RAUE, F. SEYFRIED, Werner Kaiser, 7. Mai 1926 – 11. August 2013, in: ZÄS 140, 2013, v–viii; S. SCHOSKE, D. WILDUNG, Werner Kaiser 1926–2013, in: kemet. Die Zeitschrift für Ägyptenfreunde 2013.4, 85f.
Die Ägyptologie in den beiden deutschen Staaten
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die Ägyptologien der Bundesrepublik und der DDR eigentlich nur im Zusammenhang mit der UNESCO-Rettungskampagne für die Denkmäler Nubiens im Zuge der Errichtung des Assuan-Staudamms (ab 1960) in demselben Raum tätig gewesen sind. Innerhalb der Ägyptologie in der DDR fand Hintze in Siegfried Morenz (1914–1970)492 einen wichtigen Partner, der gleichfalls, durch seine Lehrtätigkeit in Basel, Kontakte in das „nicht-sozialistische Ausland“ unterhielt. Auch innerhalb der Berliner Ägyptologie, in der sich durch die Teilung der Stadt ägyptologische Doppelstrukturen bildeten, kam es zu einem kontinuierlichen Kontakt. Insbesondere die beiden Ägyptischen Museen waren auf einen engen Austausch über den Zutand der Sammlungen angewiesen: Einige Objekte waren durch die alliierten Bombenangriffe auf die „Reichshauptstadt“ zerstört worden. Ausgelagerte Bestände mussten nach Berlin zurückgeführt werden; ein Teil der in der damaligen ostdeutschen Besatzungszone gelagerten Sammlungsbestände war von der Roten Armee außer Landes gebracht worden und wurde erst später wieder zurückgegeben. Die Folge war eine erhebliche Unkenntnis über den tatsächlich noch vorhandenen Sammlungsbestand, die verwirrende Doppelinventarisierungen nach sich zog.493 Die wissenschaftsgeschichtliche Erforschung der Nachkriegszeit hat allerdings gerade erst begonnen. Die Geschichte der Ägyptologie in der DDR findet spätestens mit dem Jahr 1990 einen klaren Abschluss, bedingt durch die sich verändernden politischen Rahmenbedingungen. Für die Ägyptologie in der Bundesrepublik lässt sich das Ende des Betrachtungszeitraumes für den vorliegenden Abriss am ehesten durch die in den 70er Jahren einsetzende Auseinandersetzung mit der eigenen Fachgeschichte definieren. Ob man das Vorhandensein einer damals wahrgenommenen „Krise der Geisteswissenschaften“ akzeptiert oder nicht, ist insofern zweitrangig, als dass diese Wahrnehmung in der Ägyptologie zu einer entsprechend kritischen Selbstreflexion geführt hat. Erstmals 492 Vgl. E. BLUMENTHAL, F. HINTZE, Siegfried Morenz 1914–1970, in: ZÄS 99, 1972, i–ii; E. BLUMENTHAL, Siegfried Morenz (1914–1970), in: Asien – Afrika – Lateinamerika 12, 1984, 973–974; DIES., Gedenken an Siegfried Morenz, in: Universität Leipzig 1995.1, 8; DIES., s.v. „Morenz, Siegfried“, in: NDB 18, 1996, 100; DIES., Siegfried Morenz. Ägyptologe. 100. Geburtstag, in: Mitteldeutsches Jahrbuch für Kultur und Geschichte 21, 2014a, 290–292; DIES., Mit staunenswerter Produktivität: Siegfried Morenz (1914–1970), in: Denkströme. Journal der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig 13, 2014, 185– 188; DIES., Siegfried Morenz (1914–1970), in: G. Wiemers (Hrsg.), Sächsische Lebensbilder 7: Leipziger Lebensbilder, Leipzig 2015, 269–380. 493 Vgl. K. FINNEISER, J. HELMBOLD-DOYÉ (Hrsg.), Der andere Blick. Forscherlust und Wissensdrang. Museumsgabe zum 80. Geburtstag von Karl Heinz Priese, Berlin 2015, 14f.; s.a. das Interview mit Steffen Wenig und Joachim Karig, „Trotz der Mauer“, in: „Es war Eis vorm Altar“. Krieg & Kalter Krieg auf der Museumsinsel, © oculus film 2013, Kapitel 8.
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Kurzer Abriss der Geschichte der Ägyptologie im deutschsprachigen Raum
in der Geschichte des Faches begnügten sich seine Vertreter nicht mehr nur mit Apologetik oder der allgemeinen Berufung auf ein eher abstraktes Bildungsideal, auch die enge Anlehnung ägyptologischer Forschung in Deutschland an den (jeweiligen) Staat wurde erstmals in deutlichen Worten kritisiert.494 Wenngleich dieser erste Ansatz zu einer Wissenschaftsgeschichte der Ägyptologie sich im Fach nicht nachhaltig durchsetzen konnte, wurden dadurch dennoch ein Endpunkt der Fachgeschichte und der Beginn ägyptologischer Gegenwart und gegenwärtiger Forschungsdebatten markiert.495
494
Vgl. GM 9, 1974 mit den Beiträgen: E. HENFLING et al., Aufruf zu einem themenorientierten Heft (8–10); H.-J. TRÜMPENER, Ankündigung einer soziologischen Arbeit über die Ägyptologie (11f.); Abschlußpapiere des Göttinger Kolloquiums über Grundsatzfragen der Ägyptologie, 17./18. Februar 1973 in Göttingen (49–52); G. HAENY, Ägyptologie. Ein offener Brief (53–62). 495 Als Standortbestimmung zuletzt JUNGE, Eine vielleicht allzuferne Welt?, 309–312; LOPRIENO, Interdisziplinarität und Transdisziplinarität, 227–240; BLUMENTHAL, Vom Wert der Geisteswissenschaften, 92–98.
Die Ägyptologie in den beiden deutschen Staaten
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2. Grundlagen der Forschung Grundsätzlich sind sowohl Wissenschaftshistoriker als auch Ägyptologen denselben Regeln wissenschaftlichen Arbeitens verpflichtet: Hypothesen bzw. Aussagen müssen belegt, geistiges Eigentum anderer als solches gekennzeichnet werden und die herangezogenen Quellen müssen möglichst vollständig ausgewertet und dürfen nicht ungeprüft in ihren Aussageinhalten übernommen werden. Dennoch bestehen zwischen den Arbeitsweisen von Altertumswissenschaftlern und Neuzeithistorikern grundlegende Unterschiede, die wesentlich durch die verschiedenartigen Quellen bedingt sind. Hinzu kommt, dass der Fachwissenschaftler ein anderes Hintergrund- oder eben Fachwissen anwendet als der Historiker, welcher auch „außer-fachliche“ Kenntnisse in seine Untersuchungen mit einbeziehen muss. Es erscheint daher dringend geboten, bei der Beschäftigung mit der Geschichte der Ägyptologie sich auch mit den dabei herangezogenen Quellen, den zur Anwendung kommenden Methoden bzw. zugrunde gelegten Konzepten und den Fragestellungen bzw. den Formaten der Veröffentlichung von Forschungsergebnissen auseinander zu setzen. Im Folgenden sollen daher zunächst die verschiedenen Quellengattungen zur Wissenschaftsgeschichte der Ägyptologie vorgestellt werden (vgl. Kap. 2.1.ff.); danach werden – wenn auch nur kursorisch – die wichtigsten „Diskurse“ oder Spannungsfelder kulturgeschichtlicher Forschung vorgestellt, die für die Ägyptologie relevant sind, bzw. für die die Geschichte dieses Faches eine Rolle spielen (vgl. Kap. 2.2.ff.); zum Abschluss soll dann eine erste Anleitung zur Präsentation wissenschaftsgeschichtlicher Forschungsergebnisse geboten werden, wobei die wesentlichsten Textgattungen vorzustellen sind (vgl. Kap. 2.3.ff.). Wie für diese gesamte Einführung in die Wissenschaftsgeschichte der Ägyptologie gilt auch hier: Ein weitergehendes Selbststudium, die Auseinandersetzung mit weiteren (in den Fußnoten angeführten) Standard- und Einführungswerken ist dringend geboten, wenn man die hier vermittelten Grundkenntnisse weiter vertiefen und in der wissenschaftlichen Praxis anwenden will. Gerade für das Thema der Grundlagen der Forschung gilt es zu betonen, dass es niemals ausreichend sein kann, die eigene Arbeit auf der Lektüre eines einzigen Bandes aufzubauen, und dass umgekehrt keine Einführung eine völlig erschöpfende Behandlung eines bestimmten Forschungsfeldes für sich beanspruchen kann.
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2.1.
Grundlagen der Forschung
Von der Quellenkunde zur Quellenkritik – ein Denkanstoß
Quellenkunde, verstanden als eine zunächst etwas abstrakte Auseinandersetzung mit den Grundlagen historischer Forschung, wirkt auf den ersten Blick wenig attraktiv. Sie erscheint als eine lästige Pflichtübung, im Kontext dieser Einführung geradezu als die „Propädeutik zur Propädeutik“. Mit gewissem Recht könnte man auch argumentieren, dass dieses Themenfeld dem Bereich der historischen Hilfswissenschaften zugeschrieben und deshalb in einer eigenen Einführung vorgestellt werden sollte. 496 Zum einen aber sollen hier konkret die für die Wissenschaftsgeschichte der Ägyptologie relevanten Quellengattungen behandelt, zum anderen Studierenden der Ägyptologie, die ansonsten nicht mit (wissenschafts-)historischen Hilfswissenschaften konfrontiert sind, ein erster Einblick geboten werden. Am Anfang steht dabei natürlich die Frage, was als Quelle aufzufassen ist: Nach dem deutschen Historiker PAUL KIRN sind dies „alle Texte, Gegenstände oder Tatsachen, aus denen Kenntnis der Vergangenheit gewonnen werden kann“.497 Davon wären „Darstellungen“ zu unterscheiden, wobei aber gerade im Bereich der Wissenschaftsgeschichte auch ältere Darstellungen zum Gegenstand der Untersuchung, also auch zur Quelle werden können. Die Übergänge in diesem Bereich sind fließend. Es ist wichtig hervorzuheben, dass die Begriffspaare „Primär- und Sekundärquellen“ sowie „Quelle und Sekundärliteratur“ auseinander gehalten werden müssen: Eine Sekundärquelle enthält Bestandteile der in (verlorengegangenen) Primärquellen aufgezeichneten Information. Quellen, und zwar sowohl primäre als auch sekundäre, werden in der Sekundärliteratur verarbeitet, interpretiert und ausgewertet. Der Begriff der „Darstellung“ bietet sich hierbei als sinnvolle Alternative zur „Sekundärliteratur“ an, um eben diese Verwechslungsgefahr zu vermeiden. Obwohl auch für die Wissenschaftsgeschichte der Ägyptologie noch andere Quellen in Frage kommen, stellen Texte die wichtigste Grundlage der Forschung in diesem Bereich dar. Hinzu treten dann noch Ton- und Filmaufnahmen bzw. Aufzeichnungen von Erinnerungen noch lebender Fachvertreter im Rahmen der Oral History (vgl. Kap. 2.1.7.). Im Bereich der textlichen Quellen
496
Vgl. grundlegend und für die Ausführungen im Folgenden herangezogen: F. BECK, E. HENNING (Hrsg.), Die archivalischen Quellen. Mit einer Einführung in die Historischen Hilfswissenschaften, Köln 42004. 497 Ebenda, 1.
Von der Quellenkunde zur Quellenkritik – ein Denkanstoß
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kann zunächst zwischen publizierten und unpublizierten sowie privaten und offiziellen Dokumenten unterschieden werden. Publizierte Quellen finden sich in ägyptologischen Fachbibliotheken, wo mitunter – in Form von Quelleneditionen – auch ursprünglich nicht zur Publikation vorgesehene Texte erhältlich sind. Ansonsten aber kommt der Wissenschaftshistoriker um die Auswertung von in Archiven erhaltenen unpublizierten Quellen nicht herum. Allen Quellen ist gemeinsam, dass sie jeweils aus einem bestimmten Entstehungs-Kontext heraus mit einer bestimmten Intention verfasst worden sind. Anders ausgedrückt: Diese Texte sind nicht zum Zwecke der Geschichtsschreibung verfasst worden, bzw. – im Falle von Autobiografien und Selbstdarstellungen (vgl. Kap. 2.1.1.) – lassen sie sich nicht unmittelbar dafür verwenden. Ausgehend von der Kenntnis der zur Verfügung stehenden Quellen, ihrer Eigenheiten und dem daran angepassten Umgang mit der darin enthaltenen Information tritt dann notwendigerweise das Mittel der Quellenkritik hinzu. Dabei bringt es die Semantik des Wortes „Kritik“ mit sich, dass mancher die Quelle dadurch in ihrer Bedeutung „relativiert“ sieht – was nun seinerseits eine gültige Formulierung ist, aber wiederum zu Missverständnissen führen kann: „Kritik“ kann eben sowohl eine „prüfende Beurteilung“ als auch ein „Beanstanden“ oder „Bemängeln“ bezeichnen; „relativieren“ bedeutet zunächst „in Beziehung setzen“, wodurch aber „der Wert“ „eingeschränkt“ werden kann. Dass solche Überlegungen keinesfalls eine intellektuelle Spielerei sind, wird offensichtlich, wenn man sich mit dem Umgang mit Quellen aus der Zeit des „Dritten Reiches“ im ägyptologischen Diskurs (vgl. Kap. 2.2.4.) beschäftigt. Dort werden mitunter Quellen bzw. ihre Autoren nach dem „Belastungsgrad“ (dessen Einschätzung dann ja allerdings bereits eine Präsupposition darstellt) eingeschätzt. Vereinfacht ausgedrückt: „Opfern“ wird eine höhere Glaubwürdigkeit zugeschrieben als „Tätern“. Quellen der erstgenannten scheinen dann einer Quellenkritik (moralisch) enthoben, Quellen der letztgenannten machten eine solche überflüssig, weil die Verfasser ohnehin „lügen“ bzw. ihre Stellungnahmen angeblich einen „apologetischen“ Charakter besäßen. Nachdem innerhalb der Ägyptologie die grundsätzliche Bedeutung wissenschaftsgeschichtlicher Forschung (an-)erkannt wurde, ist erfreulicherweise damit begonnen worden, auch unpublizierte Quellen aus Archiven auszuwerten. Eine Diskussion über die hierbei zu übende Quellenkritik hat allerdings bislang
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Grundlagen der Forschung
nur in Ansätzen stattgefunden (vgl. VORWORT).498 Mitunter begnügt man sich im Fach mit der bloßen Quellenedition, wobei auch dabei Fragen der Überlieferungs- und Vorlageform, etwaiger Bestandsverluste, Archivtektonik, historischer Entstehungskontexte oder dem biografischen Hintergrund der Verfasser oftmals zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird. Dem zumindest ein Stück weit abzuhelfen, hat sich die folgende Einführung zum Ziel gesetzt, denn, mit den Worten des österreichischen Historikers LEO SANTIFALLER: „Eine Geschichtsschreibung, die nicht auf Quellen beruht, ist keine Wissenschaft.“499 2.1.1. Autobiografien und Selbstzeugnisse Lange Zeit bildeten die autobiografischen Darstellungen von Ägyptologen die wichtigste Grundlage wissenschaftsgeschichtlicher Arbeiten im Fach. Neben den Informationen zu den Lebenswegen ihrer Verfasser enthalten sie immer auch solche zur Geschichte ihrer Disziplin. Dabei kann grundsätzlich zwischen Autobiografien (Selbstbiografien) und Memoiren (Lebenserinnerungen) unterschieden werden.500 Im Falle der deutschsprachigen Ägyptologie wären etwa G. EBERS’ Die Geschichte meines Lebens,501 H. BRUGSCHs Mein Leben und mein Wandern502 oder A. ERMANs Mein Werden und mein Wirken503 als Beispiele für Autobiografien anzuführen. H. GRAPOWs Meine Begegnung mit einigen Ägyptologen504 fällt in die Kategorie der Memoiren. Auch hierbei erweist sich die definitorische Trennschärfe als problematisch:505 Grundsätzlich sind 498
Vgl. hierzu: GERTZEN, École de Berlin, 41–50; DERS., Begegnung mit Hermann Grapow, 13–22; A. CAPPEL, Adolf Erman und Georg Steindorff. Zur Dynamik eines Lehrer-SchülerVerhältnisses, in: Voss/Raue (Hrsg.), Georg Steindorff und die deutsche Ägyptologie im 20. Jahrhundert, Berlin 2016, 8–20. 499 Zitiert nach BECK/HENNING (Hrsg.), Die archivalischen Quellen, 2. 500 E. HENNING, Selbstzeugnisse, in: Beck/Henning (Hrsg.), Die archivalischen Quellen, 121f. 501 G. EBERS, Die Geschichte meines Lebens, Bd. 1: Vom Kind bis zum Manne, Stuttgart 1893; Bd. 2 ist nie erschienen. 502 BRUGSCH, Mein Leben und mein Wandern. 503 ERMAN, Mein Werden und mein Wirken. 504 GRAPOW, Meine Begegnung mit einigen Ägyptologen. 505 Hierzu grundsätzlich: H. TERSCH, Vielfalt der Formen, Selbstzeugnisse der Frühen Neuzeit als historische Quellen, in: T. Winkelbauer (Hrsg.), Vom Lebenslauf zur Biographie: Geschichte, Quellen und Probleme der historischen Biographik und Autobiographik. Referate der Tagung „Vom Lebenslauf zur Biographie“ am 26. Oktober 1997 in Horn, Horn 2000, 69–98; E. HENNING, Selbstzeugnisse. Quellenwert und Quellenkritik, Berlin 2012, 16– 28; M. MITTERMAYER, Die Autobiographie im Kontext der ‚Life-Writing‘-Genres, in: B.
Von der Quellenkunde zur Quellenkritik – ein Denkanstoß
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Autobiografien Gesamtdarstellungen des eigenen Lebens, während in Memoiren die Person des Verfassers hinter die geschilderten Ereignisse zurücktritt. In den genannten Fällen stellen sich dem Leser einige Schwierigkeiten in den Weg: Obwohl als Gesamtdarstellung angelegt, ist die Autobiografie von Ebers unvollständig geblieben. Grapow betont in seinen Memoiren zwar, dass seine Person darin lediglich als Zeitzeuge wichtiger Ereignisse der Fachgeschichte auftreten soll und er dabei nur „notgedrungen auch von [sich] selbst sprechen“506 muss, tatsächlich aber weist sein Text vielfach Züge einer persönlichen Rechtfertigungsschrift auf. Weiterhin bestehen auch Probleme bei der Bestimmung unveröffentlichter oder fragmentarischer Texte, die als Entwürfe auch vom Verfasser womöglich noch nicht eindeutig auf ein Format festgelegt gewesen sind.507 Hinzu kommen Autobiografien, die zunächst keinen unmittelbaren Bezug zur Ägyptologiegeschichte aufweisen, gleichwohl aber Informationen zu Ägyptologen bereitstellen. Ein prägnantes Beispiel hierfür ist die Autobiografie von THEODOR BRUGSCH mit dem Titel Arzt seit fünf Jahrzehnten, in der ein größerer Abschnitt dem Vater (Heinrich) sowie dem Onkel (Emil) gewidmet ist.508 Streng genommen handelte es sich bei jenem Abschnitt also um eine Biografie (vgl. Kap. 2.1.2.). Noch wichtiger als die Quellenkunde ist bei dieser Quellengattung die Quellenkritik.509 Selbstdarstellung ist notwendigerweise immer subjektiv. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Aussage Grapows: „Eine Selbstbiographie suche ich nach Möglichkeit zu vermeiden“,510 „wobei von den Selbstbiographien wohl feststeht, daß sie gelegentlich Mitteilungen über Geschehnisse und so weiter enthalten, nicht so sehr wie sie waren, als vielmehr wie der Biograph sie sah oder auch gesehen wissen wollte“.511 Fetz (Hrsg.), Die Biographie – zur Grundlegung ihrer Theorie, Berlin 2009, 69–101; D. CARLSON, Autobiography, in: M. Dobson, B. Ziemann (Hrsg.), Reading Primary Sources. The Interpretation of Texts from Nineteenth- and Twentieth-Century History, London 2009, 175–191. 506 GRAPOW, Meine Begegnung mit einigen Ägyptologen, 5. 507 So hat sich ein Entwurf einer autobiografischen Darstellung von G. Steindorff in dessen Nachlass in Leipzig erhalten; vgl. auch G. THAUSING, Tarudet. Ein Leben für die Ägyptologie, Graz 1989, 9: „Ich wollte eigentlich nur das [Wiener] Institut behandeln, aber unwillkürlich schob sich auch das eigene Leben hinein“; vgl. weiterhin: H. GRAPOW, Zur Geschichte der Akademie in den Jahren 1938–1945 (1960); ediert in: GERTZEN, Begegnung mit Hermann Grapow, 145–161. 508 Vgl. T. BRUGSCH, Arzt seit fünf Jahrzehnten, Berlin 51961, 11–37. 509 Vgl. HENNING, Selbstzeugnisse. Quellenwert und Quellenkritik, 28–43. 510 GRAPOW, Meine Begegnung mit einigen Ägyptologen, 6. 511 Ebenda, 10.
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Grundlagen der Forschung
Diese kritische Selbstreflexion hat Grapow allerdings nicht daran gehindert, Tatsachen falsch wiederzugeben, wobei mitunter auch ein bewusstes Eigeninteresse im Spiel gewesen sein dürfte.512 Überhaupt scheinen einige der Verfasser sehr darum bemüht gewesen zu sein, ihre Zielsetzung bei der Abfassung von Selbstzeugnissen zu verschleiern. Ein gängiger Topos ist dabei die Behauptung, die Lebenserinnerungen für die eigenen Kinder oder das persönliche Umfeld aufgezeichnet zu haben.513 Gerade die Autobiografie von Erman jedoch lässt eindeutig erkennen, dass es dem Verfasser vorrangig um die Deutungshoheit nicht nur über die eigene Laufbahn, sondern auch über das gesamte Fach gegangen ist. Schon Zeitgenossen haben dies kritisch angemerkt. Während Erman in seinem Vorwort behauptete, dass „es [ihm] nie angenehm gewesen ist, von [sich] selbst zu sprechen“,514 stellte Grapow im Vergleich zu dessen Nachruf auf K. Sethe eindeutig fest: „Was Erman geschrieben hat ist kalt und gerade so wärmelos, wie das, was er in seiner Selbstbiographie über seine nächsten Mitarbeiter und Freunde, zu denen ich mich auch rechne, gesagt hat. Wie in seinem Buch so ist auch in diesem Nachruf Erman der Lehrer, der Meister und überhaupt derjenige, der Alles gemacht hat, und der das, was seine Schüler mit und neben ihm geleistet haben, nur ansieht als ebensolche von ihm hervorgerufene Schülerarbeiten resp. umfangreichere Dissertationen.“515 Andere Zeitgenossen bemängelten die Nicht-Erwähnung bestimmter Kollegen. Im DAI Kairo ist ein Exemplar von Mein Werden und mein Wirken des ehemaligen Besitzers der Bibliothek, LUDWIG KEIMER (1892–1957),516 erhalten geblieben. Die zahlreichen Marginalien widerlegen Schilderungen Ermans unter 512
Vgl. hierzu A. GRIMM, S. SCHOSKE, Wilhelm Spiegelberg als Sammler (R.A.M.S.E.S. 1), München 1995, 90, Anm. 22; CAPPEL, Adolf Erman und Georg Steindorff, im Druck, 8–14. 513 Vgl. EBERS, Die Geschichte meines Lebens, der ein Gedicht „an meine Söhne“ voranstellt; BRUGSCH, Mein Leben und mein Wandern, ii: „so quälte mich doch der eine Gedanke, aus diesem schönen Jammerthale scheiden zu müssen, ohne eine Schuld abgetragen zu haben, nämlich der Familie und meinen Freunden meinen vielverschlungenen Lebenslauf in aller Wahrheit recht und schlecht beschrieben zu haben“; ERMAN, Mein Werden und mein Wirken, v: „Als ich dieses Buch für meine Kinder und Enkel schrieb, habe ich nicht gewünscht, daß es auch andere lesen sollten“. 514 ERMAN, Mein Werden und mein Wirken, v. 515 ÄMULA, NL Georg Steindorff, Korrespondenz, Grapow an Steindorff, 16.5.1934; zitiert nach: GERTZEN, Begegnung mit Hermann Grapow, 68. 516 Vgl. I. LEHNERT, „Vom heiligen Feuer wissenschaftlicher Neugierde durchglüht“: Zum 50. Todestag des Ägyptologen Ludwig Keimer (1892–1957), in: Antike Welt 38.6, 2007, 60–62; DIES., Was Bücher erzählen: Die Bibliothek des Instituts und die Schätze des Ludwig Keimer, in: Dreyer/Polz (Hrsg.), Begegnung mit der Vergangenheit, 16–24; DIES., Giant of Egyptology – Ludwig Keimer (1892–1957), in: KMT. A Modern Journal of Ancient Egypt
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Berufung auf dazu eingeholte Stellungnahmen von Zeitgenossen. Prägnant formuliert Keimer dabei auf dem Deckblatt: „Kurze Zeit nach Erscheinen dieses ekelhaften Machwerks traf ich hier in Cairo den Coptologen Carl Schmidt [1868–1938]. Er sagte mir, daß er als einer der ältesten Schüler Ermans von diesem nicht erwähnt sei, weil er seit sehr langer Zeit mit Erman gebrochen habe. [...] Nach diesem Buche sind natürlich auch die Beziehungen Ermans + [Heinrich] Schäfers noch schlechter geworden, als sie es ohnehin schon waren. ‚Kurz, Erman kennt die Treue nicht!‘“517 Nicht minder prägnant, aber deutlich sachlicher bezeichnete ELKE BLUMENTHAL Ermans Autobiografie als „ebenso amüsant wie medisant“518 und kommentierte konkret zu den darin gemachten Äußerungen über G. Ebers: „Auch Ermans abwertendes Urteil über den Forscher Ebers ist zu revidieren, weil es zu sehr von seinem eigenen positivistischen Ansatz und der Forderung der soeben entdeckten historisch-kritischen Methode ausgeht, die kein Verständnis für die mehr romantische oder historistische Vätergeneration zuließen.“519 Auch WOLFGANG SCHENKEL kam zu dem Schluss: „Sein Urteil ist auf weiten Strecken unreflektiert.“520 THOMAS GERTZEN konnte in seiner Dissertation über die Berliner Schule sogar eindeutig nachweisen, dass Erman in seinen Erinnerungen bestimmte Sachverhalte diametral zu den tatsächlichen Begebenheiten dargestellt hat, vor allem in Bezug auf sein Verhältnis zu seinem Lehrer Lepsius und dessen Einfluss auf Ermans sprachliche Schwerpunktsetzung in seinen akademischen Qualifikationsarbeiten.521 In bestimmten Abschnitten dieser Autobiografie sind auch der Zeitgeist bzw. zeitspezifische Haltungen und Ansichten erkennbar, etwa wenn Erman (1929) völkischen Konzepten eine Absage erteilt. 522 Der Verfasser einer Autobiografie
23.1, 2012, 74–77; DIES., A Thousand and One Books: the early travel literature of Ludwig Keimer, in: D. Fortenberry (Hrsg.): Souvenirs and new ideas. Travel and Collecting in Egypt and the Near East, Oxford 2013, 80–97. 517 DAIK: B Erma, Inv. 2561; zitiert nach: GERTZEN, École de Berlin, 43. 518 E. BLUMENTHAL, Koptische Studien in Leipzig im Laufe des 19. Jahrhunderts, in: P. Nagel (Hrsg.), Carl-Schmidt-Kolloqium an der Martin-Luther-Universität, Halle 1988, Halle a.d.S. 1990, 101. 519 BLUMENTHAL, Berliner und Leipziger Ägyptologie, 16f. 520 SCHENKEL, Bruch und Aufbruch, 238; mit weiteren Beispielen für Ermans Verhältnis zu seinen Kollegen und Vorgängern: 238–241. 521 Vgl. GERTZEN, École de Berlin, 110–123. 522 Vgl. ERMAN, Mein Werden und mein Wirken, 43.
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schreibt eben immer in der Retrospektive aus einem bestimmten zeitgenössischen Kontext heraus. Gelegentlich klingt dies sogar bei Erman selbst an, wenn er über sein Verhältnis zu H. Brugsch bemerkt: „ich glaube, daß ich heut im Alter, [...], mich mit dem alten Pascha mehr befreunden würde, als mir das in der Jugend möglich war.“523 Hierzu passt allerdings auch der von ECKART HENNING gebrauchte Begriff der „Rückvergoldung“.524 Durch die angeführten Beispiele soll die Quellengruppe der Selbstzeugnisse nicht vollkommen diskreditiert werden. Es sollte aber klar geworden sein, dass bei ihrer Auswertung verschiedene Aspekte zu berücksichtigen sind: (1) die Person des Verfassers und ihre Intentionen; (2) das Verhältnis zu den in der Schilderung genannten oder auch nicht genannten Zeitgenossen; (3) der Entstehungszeitraum und die damals herrschenden Umstände; (4) der konzeptionelle Hintergrund, bezogen auf die zeitgenössischen wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Auffassungen. Ohne den Abgleich mit anderen Quellengruppen können Selbstzeugnisse allein nicht Grundlage einer wissenschaftsgeschichtlichen Untersuchung sein. 2.1.2. Biografien, Nekrologe und Festschriften Die in diesem Abschnitt vorgestellten Darstellungen wurden von Dritten über Ägyptologen und ihre Lebenswege verfasst. Ihren Autoren muss dieselbe Aufmerksamkeit zuteil und ihre Aussageinhalte müssen ebenso quellenkritisch hinterfragt werden wie bei den Verfassern von Autobiografien (vgl. Kap. 2.1.1.). Entscheidende Kriterien sind neben dem persönlichen Verhältnis zu den Porträtierten die zeitliche Stellung sowie die fachliche Qualifikation des Verfassers der Biografie. Hier soll aber gleich bemerkt werden, dass auch Nicht-Ägyptologen aufschlussreiche Biografien von Vertretern dieser Disziplin verfasst haben und die fachliche Distanz mitunter neue Perspektiven eröffnet, die dem Fachvertreter allzu oft entgehen. Ein besonders gutes Beispiel hierfür geben zwei Biografien über C. R. Lepsius ab. Die erste stammt von dessen Schüler GEORG EBERS und wurde 1885 unter dem Titel Ein Lebensbild525 veröffentlicht. Die zweite wurde 2010 von dem Augenarzt HARTMUT MEHLITZ mit dem Untertitel Ägypten und die Ordnung der Wissenschaft publiziert. Bereits in den 523
Ebenda, 166. HENNING, Selbstzeugnisse, 121. 525 G. EBERS, Richard Lepsius. Ein Lebensbild, Leipzig 1885. 524
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Titeln wird ein eher persönlicher Zugang oder eine über die Person hinausweisende, damit aber auch etwas distanziertere Perspektive angedeutet. Bleibt man bei der Person des Begründers der Ägyptologie in Deutschland (vgl. Kap. 1.4.), wäre auch noch auf andere, zwar dezidiert personenbezogene, aber eben nicht eigentlich biografische Formate wie Tagungs- und Sammelbände hinzuweisen, die anlässlich eines bestimmten biografischen oder sonstigen Jubiläums erschienen sind.526 Biografische Information kann also immer auch außerhalb von Biografien gewonnen werden. Nekrologe (wörtl.: Totenreden) oder Nachrufe unterscheiden sich von Festschriften in der Regel dadurch, dass die darin behandelten Personen im ersten Fall bereits verstorben sind, im letztgenannten Fall noch leben. Das schließt nicht aus, dass eine verzögerte Festschrift durch ihr posthumes Erscheinen noch einmal ihren Charakter verändert und zu einer Gedächtnisschrift wird. Grundsätzlich handelt es sich zumindest tendenziell jeweils um Elogen. Die Frage, ob und wie kurzfristig die behandelte Persönlichkeit verstorben ist, hat dabei unmittelbare Auswirkungen auf die kritische Einschätzung der Aussageinhalte. Aus Respekt vor einem „in Ehren ergrauten“ Kollegen oder aus Pietät vor dem soeben Verstorbenen halten sich die meisten Verfasser mit ihrer Kritik zurück. Manche hingegen getrauen sich (erst) nach dem Ableben einer Person, Kritik zu üben. Dabei wird deutlich, dass die in diesem Abschnitt behandelten Textgattungen auch Einblicke in die Persönlichkeit ihrer Verfasser erlauben. Wichtig dabei sind die aus anderen Quellen zu gewinnenden Hintergrundinformationen, die oftmals zeigen, dass das, was in der publizierten Darstellung geschrieben steht, oft weit von den eigentlichen Ansichten der Verfasser entfernt liegt. Im Bereich der Nekrologe sollen hier drei Beispiele angeführt werden: Eines, welches das wechselseitige Abhängigkeitsverhältnis von Eigenwahrnehmung (des Verfassers) und Fremdwahrnehmung (des Porträtierten und der Leser) illustriert, und zwei, die die hohe Bedeutung von Nachrufen für Fragen der Wissenschaftspolitik bzw. wissenschaftlicher Karriereverläufe belegen. Laut Auskunft von H. Grapow hat A. Erman noch zu dessen Lebzeiten den Wunsch geäußert, einmal den Nachruf auf K. Sethe verfassen zu können.527 526
FREIER/REINEKE (Hrsg.), Karl Richard Lepsius (1810–1884); SPECHT (Hrsg.), Lepsius; anlässlich von Lepsius’ 200. Geburtstag sind erschienen: HAFEMANN (Hrsg.), Preussen in Ägypten, Ägypten in Preussen; LEPPER/HAFEMANN, Karl Richard Lepsius; FREIER/NAETHER/WAGNER (Hrsg.), Von Naumburg bis zum Blauen Nil. 527 GRAPOW, Meine Begegnung mit einigen Ägyptologen, 42.
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Nicht nur Grapow hielt dies, schon allein aufgrund des Altersunterschiedes von rund 15 Jahren zwischen den beiden, für befremdlich. Grapow hat Ermans Nachruf auf Sethe528 gegenüber dem Verfasser deutlich kritisiert (siehe auch das Zitat in Kap. 2.1.1.): „Er hat seinen Entwurf dann noch überarbeitet. Aber wesentlich besser ist er nicht geworden.“529 Grapow wusste auch einen Grund hierfür anzugeben: „ich habe manchmal [...] das Empfinden gehabt, als sei Erman auf Sethe eifersüchtig gewesen!“530 Erman selbst hat sich gegenüber G. Steindorff zu dem Nachruf auf Sethe folgendermaßen geäußert: „Da ich den Nachruf für Sethe machen musste, habe ich sehr viel mir von dessen Arbeiten vorlesen lassen. Dabei sehe ich dann immer wieder, was wir für verschiedene Naturen gewesen sind.“531 Diese unterschiedlichen Stellungnahmen sind natürlich ihrerseits quellenkritisch zu hinterfragen. Für das hier behandelte Fallbeispiel machen sie aber zweierlei deutlich: Die Haltung des Verfassers und die Wahrnehmung anderer weichen voneinander ab. Alle Beteiligten sind in ihren Äußerungen durch die jeweiligen Zeitumstände und ihr persönliches Verhältnis zueinander 532 beeinflusst: Nicht genug damit, dass Erman zunächst den ausdrücklichen Wunsch geäußert hat, einen Nachruf auf Sethe zu schreiben, was er dann später „machen musste“; auch berief sich Grapow in seiner Kritik daran auf zuvor geäußerte Einschätzungen Ermans über Sethes wissenschaftliche Arbeiten: „Auf seine [Ermans] erstaunte Frage, was ich zu bemerken hätte, wies ich darauf hin, daß die wissenschaftliche Leistung mit einem Satz wie ‚1899 erschien das Verbum,533 das uns wieder ein Stück weiterbrachte‘534 nicht gebührend zum Ausdruck käme.“535
528
A. ERMAN, Gedächtnisrede des Hrn. Erman auf Kurt Sethe, in: W. Peek (Hrsg.), Leipziger und Berliner Akademieschriften (1902–1934) (OPUSCULA 11), Leipzig 1976, cxi–cxvi. 529 Ebenda. 530 Ebenda. 531 ÄMULA, NL Georg Steindorff, Korrespondenz, Erman an Steindorff, 26.5.1935; zitiert nach: GERTZEN, Jean Pierre Adolphe Erman, 59. 532 Hierzu: GERTZEN, Begegnung mit Hermann Grapow, 56–61 (Erman an Grapow); 61–67 (Sethe anGrapow). 533 K. SETHE, Das ägyptische Verbum im Altägyptischen, Neuägyptischen und Koptischen, 2 Bde., Leipzig 1899. 534 Vgl. die Neuformulierung in: ERMAN, Gedächtnisrede des Hrn. Erman auf Kurt Sethe, cxii: „1899 erschien sein großes Werk über das Verbum, das eine Grundlage der äyptischen Grammatik geworden ist.“ 535 GRAPOW, Meine Begegnung mit einigen Ägyptologen, 41.
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In einer Gelehrtenformation wie der Berliner Schule (vgl. Kap. 1.5.) kam der Abfassung von Nachrufen eine besondere Bedeutung zu. Man sollte diese Metapher nicht überstrapazieren, aber der Vergleich mit einer „dynastischen“ Folge der Lehrstuhlinhaber drängt sich auf, wobei dem Nachfolger die Verantwortung für die Erinnerung an den Vorgänger und seine Verdienste zukommt und er dadurch Legitimation gewinnt. So ist die Schilderung von G. Ebers über die Veröffentlichung eines Nachrufes von H. Brugsch auf R. Lepsius – „Nach Lepsius’ Tode trat Brugsch wieder an die Spitze der Zeitschrift und widmete dem Altmeister einen im wärmsten Tone gehaltenen Nachruf“536 – keinesfalls nur eine wissenschaftsgeschichtliche Randnotiz, sondern markiert den Anfang eines Streits um die Nachfolge Lepsius’ zwischen Brugsch und Erman.537 Folgerichtig hatte Ebers seinen Schüler zuvor auch gewarnt: „Denken Sie an Brugsch, der als Haifisch herangeschwommen kommt.“538 Den Nachruf auf Lepsius hat Brugsch denn auch unmittelbar mit einer Mitteilung „An die Leser der Zeitschrift“ verknüpft: „Die Überzeugung, daß die Erinnerung an die segenreiche Theilnahme des dahingeschiedenen Altmeisters der Aegyptologie Richard Lepsius für die Zeitschrift am sichtbarsten durch die Fortsetzung seines zwanzigjährigen, nur durch den Tod unterbrochenen Wirkens für das Bestehen und den Aufschwung derselben erhalten werden dürfte, hat ihrem unterzeichneten Begründer den Muth geschenkt, das fernere Dasein des wissenschaftlichen Unternehmens nicht in Frage zu stellen, sondern im Geiste des Verstorbenen, nach Maßgabe eigener Kraft, ohne Zögern fortzusetzen und damit der Aufforderung der J. C. Hinrichs’schen Verlagsbuchhandlung zu Leipzig, die Redaction nach dem Ableben des großen Gelehrten von neuem zu übernehmen, mit vollster Bereitwilligkeit zu entsprechen.“539 Brugschs Stellungnahme liest sich beinahe wie eine „Regierungserklärung“, und Erman bezeichnete dieses Verhalten damals folgerichtig als „Staatsstreich“540; sicher auch an seine Adresse gerichtet, hatte Brugsch den Nachruf auf Lepsius mit den Worten enden lassen: „Mögen wir, die Jünger und Meister unserer Wissenschaft, stets eingedenk sein, daß der Geist des dahingegangenen ein versöhnender war, der sich den 536
EBERS, Richard Lepsius, 243. Vgl. GERTZEN, „Brennpunkt“ ZÄS, 67–70. 538 BStUB, Ebers an Erman, 10.1.1884; zitiert nach GERTZEN, École de Berlin, 66. 539 H. BRUGSCH, An die Leser der Zeitschrift, in: ZÄS 22, 1884, 49. 540 SBB-PK, NL Georg Ebers: Erman, Adolf, 21.7.1884; zitiert nach GERTZEN, École de Berlin, 341. 537
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höchsten Zwecken der Wissenschaft freudig geweiht hatte und wahr und klar, ohne die trübenden Gefühle persönlicher Eifersucht, ihre großen Aufgaben erfaßte.“541 Es ist inzwischen hinlänglich bekannt, dass weder Brugsch (vgl. Kap. 1.4.) noch Erman ein besonders inniges Verhältnis zu Lepsius unterhalten hatten, die ostentative Berufung auf den Vorgänger (vgl. Kap. 1.5.) diente jedoch beiden zur Legitimation ihrer jeweiligen Karriereziele. Die Würdigung des Verstorbenen wurde dabei zur Nebensache oder besser: Mittel zum Zweck. Die weitreichende Bedeutung von Nekrologen wird auch an einem späteren Fallbeispiel deutlich, dem Nachruf H. Grapows auf A. Erman von 1939.542 Kritik daran wurde in diesem Fall außerhalb der Berliner Schule, ja sogar außerhalb der deutschen Ägyptologie geübt. Die Zeitumstände ließen dies sogar zu einem Politikum werden.543 Der belgische Ägyptologe J. Capart (vgl. Kap. 1.7.) widmete dem Nachruf eine kurze Erwähnung in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift Chronique d’Egypte: „Grapow a mis en lumière, comme la circonstance l’exigeait, l’activité d’Adolf Erman académicien. Ce que le savant a fait pour l’égyptologie et pour son pays ne l’a malheureusement pas préservé de mesures qui assombrirent ses derniers jours.“544 Geschickt spielte Capart hierbei mit der „Licht und Schatten“-Metaphorik: Grapow „beleuchtete“ Ermans akademische Meriten, die nicht verhindern konnten, dass seine letzten Tage „verdunkelt“ wurden. Damit legte er den Finger in die Wunde. Erman war bereits 1934 aufgrund seiner „nicht-arischen Herkunft“ aus der Philosophischen Fakultät der Berliner Universität ausgeschlossen worden. Grapow war 1937 der NSDAP beigetreten und im Jahr darauf zum Ordentlichen Professor für Ägyptologie ernannt worden. 545 Auf diese Weise 541
H. BRUGSCH, Karl Richard Lepsius, in: ZÄS 22, 1884, 46. H. GRAPOW, Nachruf auf Adolf Erman von Hrn. Grapow, in: Jahrbuch der Preußischen Akademie der Wissenschaften 1939, Berlin 1940, 185–191. 543 Zu den Hintergründen: REBENICH, Adolf Erman und die Berliner Akademie der Wissenschaften, 363–365; SCHNEIDER, Ägyptologen im Dritten Reich, 159f.; GERTZEN, Begegnung mit Hermann Grapow, 161; zuletzt: H. G. BARTEL, Zu einer Bemerkung Jean Caparts über die durch Maßnahmen überschatteten letzten Tage Adolf Ermans – eine erneute Betrachtung und Hinterfragung, in: F. Feder, G. Sperveslage (Hrsg.), Gedenkschrift für Erika Endesfelder, in Vorbereitung. 544 J. CAPART, Rezension: H. Grapow, Nachruf auf Adolf Erman, Sonderdruck aus dem Jahrbuch der Preuss. Akademie der Wissenschaften zu Berlin, 1939, in: Chronique de’Egypte 15, 1940, 241. 545 Zu den Hintergründen und einer Einschätzung vgl. GERTZEN, Begegnung mit Hermann Grapow, 46–54 und 73f. 542
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kritisierte Capart indirekt sowohl die politischen Verhältnisse im „Dritten Reich“ als auch das Verhalten Grapows, der nun auch als Profiteur bloßgestellt wurde. Dieser reagierte, indem er über seine Vorgesetzten in der Preußischen Akademie der Wissenschaften SD und SS auf Caparts Äußerungen aufmerksam werden ließ, woraufhin der belgische Kollege von den deutschen Besatzungsbehörden zum Verhör abgeführt und das weitere Erscheinen seiner Zeitschrift verboten wurde. Den Verhörprotokollen 546 ist zu entnehmen, dass sich Capart auf einen Berlin-Besuch kurz vor Ermans Tod und die dabei empfangenen Mitteilungen seiner deutschen Kollegen berief. 547 Diese Aussagen führten schließlich zur Freilassung Caparts und zur Aufhebung des Erscheinungsverbots für die Chronique. Für Grapow allerdings waren sie überaus peinlich, zeigten sie doch, dass der ausländische Kollege seine negative Wahrnehmung der Verhältnisse in Deutschland durch Berliner Ägyptologen empfangen hatte, denen Grapow spätestens nach seiner Berufung zum Professor vorstand. Der frischgebackene „Parteigenosse“ schien also den eigenen akademischen Betrieb und die Stellungnahmen gegenüber dem Ausland nicht unter Kontrolle zu haben und beeilte sich, die Reichsbehörden davon zu überzeugen, „persönlich [...] von der Harmlosigkeit Herrn Caparts in dieser Sache nicht überzeugt“548 zu sein. THOMAS GERTZEN interpretiert Grapows Verhalten als einen gescheiterten Versuch, sich den Parteioberen gegenüber als besonders „linientreu“ zu beweisen, indem er die Negativdarstellung der Verhältnisse im „Dritten Reich“ durch Capart zur Anzeige brachte. Als dieser sich dann auf seine deutschen Kollegen berief, konnte Grapow nicht zurückweichen, sondern musste versuchen darzulegen, dass diese Negativdarstellung letztlich nicht auf die Berliner Schule der Ägyptologie zurückging, sondern durch die vermeintlichen propagandistischen Interessen des „feindlichen“ Auslands inspiriert war. Grapow hatte zunächst
546
Vgl. ABBAW, PAW (1812−1945), II-III, 59/1, Auszug aus dem Vernehmungsprotokoll. Vgl. GERTZEN, Begegnung mit Hermann Grapow, 105. 548 ABBAW, PAW (1812−1945), II-III, 59/1; zitiert nach: GERTZEN, Begegnung mit Hermann Grapow, 103. 547
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noch geäußert: „Capart wird in gutem Glauben, wie ich annehme, die Bemerkung […] geschrieben und zum Druck gebracht haben.“549 Nach dessen Aussage betonte er dann, dass ihm diese Sichtweise „schwerlich von den genannten Berliner Kollegen, am wenigsten von mir selbst, nahegelegt worden“550 sei. Der Vorwurf der mangelnden Unterstützung für seinen Lehrer Erman traf Grapow hart, berief er sich doch ausdrücklich auf die lange Tradition der Berliner Schule. An G. Steindorff schrieb er anlässlich seiner Ernennung zum Ordinarius: „Dem Senior der Ägyptologen erlaubt sich der jüngste Ordinarius des. mitzuteilen, dass ihm der Lehrstuhl für Ägyptologie an der Universität zu Berlin angeboten ist und dass er den Ruf auf den Lehrstuhl Lepsius – Erman – Sethes angenommen hat.“551 Den bereits zuvor von Steindorff vorgebrachten Vorwürfen mangelnder Solidarität mit Erman hingegen erteilte er eine Absage: „Es war einmal gesetzlich generell so bestimmt worden! Die Zeiten sind doch nun einmal andere geworden! Es muss hingenommen werden als ein Schicksal!“552 Die hier vorgestellten Fallbeispiele zeigen die mitunter eminente Bedeutung von Nachrufen für die Geschichte der Ägyptologie und belegen die Notwendigkeit, sich unbedingt mit deren Hintergründen auseinandersetzen zu müssen, bevor man die darin enthaltene Information verwertet; denn was in einem Nachruf ausgesagt (oder verschwiegen) wird, kann nur durch dieses Hintergrundwissen richtig eingeordnet werden. Die letzte in diesem Abschnitt zu behandelnde Textgattung der Festschriften bietet gleichfalls sowohl vordergründige als auch hintergründige Informationen zu den durch sie gewürdigten Ägyptologen. Zunächst ist der Informationsgehalt für den Wissenschaftshistoriker in der Regel überschaubar: Neben dem Vorwort und einigen persönlichen Bemerkungen der einzelnen Beiträger können meist noch ein Schriftenverzeichnis und vielleicht ein Lebenslauf oder eine biografische Skizze ausgewertet werden. Einige Festschriften edieren auch 549
ABBAW, PAW (1812–1945), II–III, 59/1, Bl. 62, zitiert nach: BARTEL, Zu einer Bemerkung Jean Caparts, in Vorbereitung. 550 ABBAW, PAW (1812–1945), II–III, 59/1, Bl. 57, zitiert nach: BARTEL, Zu einer Bemerkung Jean Caparts, in Vorbereitung. 551 ÄMULA, NL Georg Steindorff, Korrespondenz, Grapow an Steindorff, undat., um 1937; zitiert nach: GERTZEN, „In Deutschland steht Ihnen Ihre Abstammung entgegen“, in Vorbereitung. 552 ÄMULA, NL Georg Steindorff, Korrespondenz, Grapow an Steindorff, 25.2.1935; zitiert nach: GERTZEN, Begegnung mit Hermann Grapow, 106.
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bislang unpublizierte Arbeiten. Allerdings lohnt es sich auch hier wieder, genauer hinzusehen: Wer tritt als Herausgeber auf? Wer publiziert in einer Festschrift? Wessen Namen sind in einer Tabula Gratulatoria aufgelistet? Welche Aufsatzthemen erscheinen den einzelnen Beiträgern für die Festschrift angemessen, bzw. bei welchen gehen sie davon aus, dass sie den Adressaten interessieren (oder interessiert hätten)? Und wie stehen diese Themen in Zusammenhang mit dessen eigener wissenschaftlicher Schwerpunktsetzung? Auch wenn die in diesem Teilkapitel vorgestellten Textgattungen nicht in erster Linie als wissenschaftsgeschichtliche Darstellungen (vgl. Kap. 2.1.6.) abgefasst wurden und daher zunächst als Quellen aufzufassen sind,553 enthalten sie wichtige Information zum Thema. Der Übergang zur dezidiert wissenschaftsgeschichtlichen Sekundärliteratur ist allerdings zumindest bei den Biografien 554 fließend, insbesondere bei denen neueren Datums.555 Wie für alle Quellen gilt aber auch hier, dass die Korrelation mit anderen Quellengattungen zur wissenschaftlichen Auswertung unerlässlich ist. 2.1.3. Gelehrtennachlässe und Korrespondenzen Während man die in den beiden vorangegangenen Abschnitten behandelten Informationsmittel in der Regel problemlos in Bibliotheken einsehen kann, werden in den folgenden drei Abschnitten die archivalischen Quellen behandelt. Den Anfang machen, in Fortsetzung des personenbezogenen Charakters der bislang vorgestellten Textgattungen, persönliche Dokumente, wie sie in den Nachlässen von Ägyptologen erhalten geblieben sind. Wichtige Beispiele sind etwa der Nachlass Georg Ebers als Teil der Autografensammlung Ludwig Darmstädter in der Staatsbibliothek Berlin; 556 der Nachlass Adolf Erman in der Staats- und Universitätsbibliothek Bremen 557 und der Nachlass Georg 553
Vgl. B. FETZ, Der Stoff, aus dem das (Nach-)Leben ist. Zum Status biographischer Quellen, in: Ders. (Hrsg.), Die Biographie, 103–154. 554 Vgl. CH. KLEIN, Biographik zwischen Theorie und Praxis. Versuch einer Bestandsaufnahme, in: Ders. (Hrsg.), Grundlagen der Biographik. Theorie und Praxis des biographischen Schreibens, Stuttgart 2002, 1: „Die Biographie ist der Bastard der Geisteswissenschaften.“ Und weiter: „Die Biographie wurde dabei bislang zumeist als atavistischer Wurmfortsatz veralteter Disziplinentradition begriffen, dessen vermeintliche Unwissenschaftlichkeit man auf verschiedene Weise begegnete.“ 555 Vgl. U. RAULFF, Das Leben – buchstäblich. Über neue Biographik und Geschichtswissenschaft, in: Klein (Hrsg.), Grundlagen der Biographik, 55–68. 556 L. DARMSTAEDTER, Königliche Bibliothek zu Berlin. Verzeichnis der Autographensammlung, Berlin 1909. 557 H. KLOFT (Hrsg.), Der Nachlass Adolf Erman, Bremen 1982.
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Steindorff im Ägyptologischen Institut – Georg Steindorff – der Universität Leipzig.558 Am Anfang einer wissenschaftsgeschichtlichen Recherche stellt sich zunächst die Frage nach dem Vorhandensein von nachgelassenen Dokumenten. In einigen Fällen, etwa dem des britischen Orientreisenden Richard Francis Burton (1821–1890), der sich u.a. um die Entdeckung der Nilquellen bemüht hat, wurden persönliche Papiere unmittelbar nach dem Ableben des Besitzers verbrannt.559 Teile des Nachlasses Erman gingen durch die alliierten Bombenangriffe auf Bremen verloren. Die Feststellung über den Erhalt und Aufbewahrungsort von Gelehrtennachlässen im Bereich der Orientalistik war lange Zeit durch eine verdienstvolle Zusammenstellung von LUDMILLA HANISCH zumindest etwas erleichtert worden.560 Die Tatsache, dass der mit Abstand größte Teil dieser Quellengruppe aus Briefen besteht, bringt allerdings die zusätzliche Schwierigkeit mit sich, dass die Schreiben von Gelehrten an Verwandte, Freunde und Kollegen in deren jeweiligen Nachlässen zu suchen sind. Abgesehen also von dem Umstand, dass ein Einzelner kaum alle nachgelassenen Dokumente in einem Katalog erfassen konnte, erforderte der oben erwähnte Umstand zusätzlich die Rekonstruktion von „Korrespondenzen (1)“ – in diesem Fall verstanden als „wechselseitige Beziehungen“, nicht als „Schriftverkehr“ (s.u.) – zwischen den einzelnen Nachlässen. Dies kann nur mit Hilfe von Datenbanken geleistet werden. Glücklicherweise ist für den deutschsprachigen Raum bereits damit begonnen worden, so dass Dokumente nach Verfasser über die KALLIOPE-Datenbank der Staatsbibliothek Berlin recherchiert werden können.561 Dies sollte den Wissenschaftshistoriker jedoch nicht in allzu großer Sicherheit wiegen, denn erstens sind viele, insbesondere in Privat- oder Familienbesitz befindliche Bestände weder durch Nachschlagewerke noch durch Datenbanken erfasst, und zweitens befindet sich eine Reihe wichtiger Teilnachlässe deutscher Ägyptologen im Ausland, von den Nachlässen ausländischer Kollegen, mit denen deutsche Ägyptologen korrespondiert haben, natürlich ganz zu schweigen. Zwei Beispiele seien hierzu angeführt, wobei die zum Teil 558
Vgl. SEIDEL, Geschichte des Archivs am Ägyptologischen Institut/Ägyptischen Museum der Universität Leipzig. 559 Vgl. E. RICE, Captain Sir Richard Richard Francis Burton. A Biography, New York 1990, 611–619. 560 Vgl. L. HANISCH, Verzeichnis der Orientalistennachlässe in deutschen Bibliotheken und Archiven (Hallesche Beiträge zur Orientwissenschaft 23), Halle a.d.S. 1997. 561 Vgl. die Homepage mit Sucheinstieg: http://kalliope.staatsbibliothek-berlin.de/de/index.html [5.2.2016].
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erklecklichen Bestände mitunter als „Zugabe“ zu den eigentlich durch die betreffenden Institutionen angekauften Ägyptologenbibliotheken ins Ausland gelangt sind: Die Bridwell Library der Southern Methodist University (Dallas, Texas) besitzt umfangreiche Materialien aus dem Nachlass von G. Steindorff,562 und das Ägyptologische Institut der Universität Mailand hat gezielt einen Bestand von Nachlässen bedeutender Ägyptologen, unter ihnen H. Brugsch und Elmar Edel (1914–1997), angekauft.563 Dieser gezielten Schwerpunktsetzung verdankt auch die bislang einzige dezidiert wissenschaftsgeschichtliche ägyptologische Fachzeitschrift ihr Entstehen: Seit 2009 wird in Mailand die Zeitschrift Egyptian and Egyptological Documents Archives Libraries (EDAL) herausgegeben. Nachlässe können eine ganze Bandbreite von Materialien enthalten: Urkunden und Dokumente, Fotos, unpublizierte wissenschaftliche Arbeiten, Notizbücher und Korrekturfahnen. Die mit Abstand häufigste Quellengruppe sind allerdings Korrespondenzen (2) – hier Schriftverkehr (s.o.) –,564 die, wie schon erwähnt, zum einen meist nicht von dem Nachlassinhaber verfasst wurden, sondern von seinen Korrespondenzpartnern. Weiterhin liegen sie nicht immer vollständig vor, wobei zwischen einer bewussten Selektion und einer zufälligen Vernichtung zu differenzieren ist. Schließlich sind Korrespondenzen ihrerseits noch zu unterscheiden: Grundsätzlich kann zwischen privater/familiärer und geschäftlicher/wissenschaftlicher Korrespondenz differenziert werden,565 wobei die Übergänge hierbei fließend sein können. Sodann muss auch dem Format des Schriftverkehrs Rechnung getragen werden: Ob der Verfasser eine Postkarte566 beschriftet oder mehrere Bögen Briefpapier, sagt nicht nur etwas
562 Vgl. die Homepage: https://sites.smu.edu/bridwell/specialcollections/steindorff/steindorff.htm [5.2.2016]; die über die Seite gleichfalls abzurufenden pdf-Dateien gescannter Briefe stellen allerdings nur einen Teil des Gesamtbestandes dar. 563 Vgl. die Homepage des Instituts: http://www.unimi.it/ENG/university/31835.htm [5.2.2016]; P. Piacentini, Gli archivi egittologici del’Università degli Studi di Milano, Bd. 1: Il fondo Elmar Edel, Mailand 2006. 564 Vgl. I. SCHMID, Briefe, in: BECK/HENNING (Hrsg.), Die archivalischen Quellen, 111–118; E. KRAUSSE, Der Brief als wissenschaftshistorische Quelle (Vorbemerkung), in: Ders. (Hrsg.), Der Brief als wissenschaftshistorische Quelle (Monographien zur Geschichte der Biowissenschaften und Medizin 8), Berlin 2005, 1–28. 565 Vgl. P. BÜRGEL, Der Privatbrief. Entwurf eines heuristischen Modells, in: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 50.1/2, April 1976, 281–297. 566 Vgl. R. BAASNER, Briefkultur im 19. Jahrhundert. Kommunikation, Konvention, Postpraxis, in: Ders. (Hrsg.), Briefkultur im 19. Jahrhundert, Tübingen 1999, 22: „In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts, verstärkt nach 1880, nahm der Austausch von Post und Korrespondenzkarten erheblich zu.“
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über die „Wertigkeit“ eines Schriftwechsels aus (der verwandte Schriftträger bzw. der Umfang als Maßstab der Wertschätzung für den Korrespondenzpartner),567 sondern hat auch ganz unmittelbaren Einfluss auf die Gestaltung und Formulierung des Textes (eine Postkarte lässt grundsätzlich weniger Raum für ausführliche Formulierungen). Aufbau und Inhalt einer Korrespondenz sind stark von gesellschaftlichen Konventionen bestimmt. Der Briefschreiber des 19. Jahrhunderts orientierte sich dabei an der Gesprächskultur gelehrter Konversation im Salon, bei festlichen Gelegenheiten, Kollegen- oder Familienbesuchen. 568 Der Literaturwissenschaftler und Germanist RAINER BAASNER charakterisiert das dabei berücksichtigte Komment oder Dekorum folgendermaßen: „wohlwollende Grundhaltung gegenüber dem Gesprächspartner, abgewogene Urteile, […] Rücksichten auf die gemeinsamen Bildungsvoraussetzungen, thematische Einschränkungen auf das öffentlich Sagbare, Mäßigung bei der Selbstdarstellung.“569 Auch den Gruß- oder Schlussformeln sollte nicht zu viel individuelle Bedeutung beigemessen werden.570 In der Ägyptologie gibt es hierzu sogar eindeutige Stellungnahmen. So erklärte A. Erman seinem Schüler G. Steindorff in einem Brief: „Lieber Steindorff! also ‚sehr ergeben‘ habe ich geschrieben und das hat Sie befremdet. Das tut mir leid, denn ich habe das nur so formelhaft hingeschrieben, ohne mir etwas dabei zu denken. Ich achte wenig auf diese Dinge und überlasse es meiner Feder ‚ergeben, ergebenst, hochachtungsvoll‘, oder was sie will zu setzen. Im Ganzen wird sie es ja instinctiv richtig machen, aber wenn sie einmal irrt müssen Sie das nicht tragisch nehmen; es lohnt sich nicht.“571 Im Kontext mit der Auseinandersetzung mit der Fachgeschichte im „Dritten Reich“ ist auch schon die Verwendung der Schlussformel „Heil Hitler“ oder „Mit deutschem Gruß“ als Indiz für eine „Anpassung“ bzw. „Annäherung“ an
567 Ebenda, 16–24; bes. 21 mit der einschränkenden Beobachtung: „Die Papierqualität verliert im Laufe des 19. Jahrhunderts insgesamt an Bedeutung, erstens weil sich zunehmend Einheitspapiere aus industrieller Produktion durchsetzen und zweitens, weil gerade bei den Bildungsbürgern eine kollektive Neigung zur Sparsamkeit besteht.“ 568 Vgl. ebenda, 14. 569 Ebenda. 570 Vgl. ebenda, 18: „wobei allerdings die Anrede ‚Lieber Freund‘ allein noch nicht als Hinweis auf eine tatsächlich enge persönliche Beziehung zu werten ist. Es gehört durchaus zum guten Ton, Korrespondenzpartnern mit dem Freundes-Titel zu schmeicheln.“ 571 BStUB, Erman an Steindorff, 26.9.1912; zitiert nach GERTZEN, École de Berlin, 50.
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den Nationalsozialismus gewertet worden. 572 Auch hierbei handelte es sich jedoch um Konventionen, die noch dazu frühzeitig „staatlich verordnet“ worden waren, also keinesfalls ohne weiteres als ein Ausdruck einer entsprechenden Gesinnung gewertet werden sollten. 573 Der Aufbau eines Briefes574 folgt in der Regel einem gleichbleibenden Schema und lässt sich auf eine lange kulturgeschichtliche Tradition zurückführen. Dabei kann letztlich sogar auf eine „mittelalterliche“ Terminologie zurückgegriffen werden:575 (1) Salutatio (Begrüßung) (2) Benevolentia (Wegbereitung, Einleitung zum Gegenstand) (3) Narratio („Erzählung“ des zu erörternden Sachverhaltes) (4) Petitio (daraus abgeleitete Bitte, das Anliegen) (5) Conclusio (Schluss und Ehrenbezeugung) Der Status bzw. der „Rang“ von Absender und Empfänger sind dabei für die Ausgestaltung entscheidend. Grundsätzlich gilt: Je niedriger der Rang des Absenders gegenüber dem Adressaten, desto mehr Ehrenbezeugungen und Respektsbekundungen werden in dem Brief vorgebracht. Dabei sollte man immer unterschiedliche Sprachkulturen auch innerhalb des deutschsprachigen Raums berücksichtigen. Ein besonders extremes Beispiel „österreichischer“ Briefkultur sind die Schreiben des Ägyptologen Nathaniel Julius Reich (1876–1943), die er z.B. an den Direktor der Wiener k.u.k. Hofbibliothek, Joseph Maria Karabacek (1845–1918),576 gerichtet hat: „Ich schliesse und bitte Euer Hochwohlgeboren gütigst mich recht bald mit einigen Zeilen wieder zu erfreuen [...]. Indem ich der hochverehrten gnädigen
572
Vgl. SCHNEIDER, Ägyptologen im Dritten Reich, 150. Vgl. K.-H. EHLERS, Der „Deutsche Gruß“ in Briefen. Zur historischen Soziolinguistik und Pragmatik eines verordneten Sprachgebrauchs, in: Linguistik Online 55.5., 2012: http://www.linguistik-online.de/55_12/ehlers.html [6.2.2012]. 574 Zu der Textgattung allgemein: R. M. G. NICKISCH, Brief (Sammlung Metzler. Realien zur Literatur 260), Stuttgart 1991. 575 Vgl. S. ETTL, Anleitung zu schriftlicher Kommunikation. Briefsteller von 1880–1980 (Reihe Germanistische Linguistik 50), Tübingen 1984, 1f. 576 Vgl. G. MAUTHE, CH. GASTGEBER (Hrsg.), Die Direktion der Hofbibliothek zur Jahrhundertwende. Josef Ritter von Karabacek, Direktor der k. k. Hofbibliothek in Wien (1899– 1917). Katalog zur Ausstellung im Papyrusmuseum, Wien 1999, darin bes. Ch. Gastgeber, „Karabacek und Ägypten“, 44–58. 573
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Frau meine ergebensten Empfehlungen zu senden mir gestatte, grüsst Sie bestens und verharrt in aufrichtigster Verehrung und unwandelbarer Dankbarkeit, Euer Hochwohlgeboren allzeit treuer und ganz ergebenster Dr. N. Reich“577 Außerhalb Österreichs und insbesondere außerhalb des deutschen Sprachraums wurden solche Formulierungen, die Reich übrigens auch ins Englische übertrug, seit er ab 1921 in den U.S.A. lebte, mit Befremden zur Kenntnis genommen. F. L. Griffith informierte seinen amerikanischen Kollegen J. H. Breasted: „that his manners were good, of the Austrian type, though quite overdone (like his letters to his friends).“578 Zuvor schon hatte Reich sich genötigt gesehen, auch gegenüber österreichischen Institutionen seinen Stil zu rechtfertigen: „Bemerken möchte ich nur, dass meine Gesuche bisher immer so abgefasst waren – auch von anderen sah ich sie immer so stilisiert – ohne dass es für zu devot angesehen wurde.“579 Die hier angeführten Zitate belegen, dass trotz des starren Rahmens brieflicher Konventionen immer auch Raum für individuelle Ausprägungen bestanden hat. Somit können grundsätzliche Abweichungen von der Norm, die auch durch Zeitgenossen bemerkt und kommentiert werden, durchaus Rückschlüsse auf die Person des Verfassers ermöglichen. Mit Blick auf die Entwicklung von den Konventionen des ausgehenden 19. zur Mitte des 20. Jahrhunderts lässt sich eine Tendenz zu einer Versachlichung feststellen. So zumindest können auch Einlassungen H. Grapows interpretiert werden, der zu den Umgangsformen zwischen A. Erman und K. Sethe bemerkte: „Sethe hat stets mit respektvoller Hochachtung zum Meister aufgesehen, zum ‚hochverehrten‘ oder wie er ihn sonst anredete.“580 Grapow wollte wohl damit andeuten, dass ihm solche Umgangsformen, zumindest zum Zeitpunkt, als er seine Memoiren verfasste, veraltet vorgekommen sind. Schon zuvor jedoch waren „familiäre“ Anredeformen in Gebrauch gewesen, die jedoch gleichwohl die hierarchischen Verhältnisse zum Ausdruck brachten, so z.B. die Anrede „Onkel + [Nachname]“, im Falle G. Steindorffs auch in der Variante „Onkel Schorsch“ gebraucht, wobei sich jüngere Kollegen ihm gegenüber dann als „Neffe“ bezeichneten. Auch für H. Junker und die Kollegen in 577 ÖNB, Nachl. Karabacek, Nathaniel Reich 562/48, Autogr. 1504/15(1-18), Reich, N., 5.6.1909. 578 University of Chicago, Oriental Institute Archives, Director’s Office Correspondence, 1921; letter from Francis Llewellyn Griffith to James Henry Breasted. 2.10.1921. 579 Library of the Herbert D. Katz Center for Advanced Judaic Studies [= Katz Center], ARC MS20 – Nathaniel Julius Reich Collection, Box 1 FF 14, 2.6.1917. 580 Vgl. GRAPOW, Meine Begegnung mit einigen Ägyptologen, 40.
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seiner Umgebung sind ähnliche Umgangsformen bezeugt, die auch als Kennzeichen einer Ingroup zu deuten sind.581 Für eine wissenschaftsgeschichtliche Untersuchung werden in den meisten Fällen keine kompletten Gelehrtennachlässe ausgewertet. In der Regel bedingt die gewählte Fragestellung eine Konzentration auf bestimmte Laufzeiten von Korrespondenzen oder auf bestimmte Personen und Personengruppen. Vielfach tritt dann noch die Auswertung weiterer Gelehrtennachlässe sowie von Materialien aus institutionellen Archiven (vgl. Kap. 2.1.4.) hinzu. Dennoch kann auch ein einzelner Gelehrtennachlass für sich genommen ausgewertet werden, wobei die dabei gewonnenen Erkenntnisse bzw. die zu erhebenden Metadaten mittels bestimmter Software besonders anschaulich verarbeitet werden können. Ein Beispiel hierfür ist die im Internet frei verfügbare „Gephi“-Software,582 die es ermöglicht, Netzwerkbeziehungen zu illustrieren. Eingeschränkt wird die statistische Auswertung von Nachlassmaterialien aber immer durch die Überlieferungssituation. Im Falle des Nachlasses A. Erman kommentierte dessen Bearbeiter HANS KLOFT angesichts der erlittenen Kriegsverluste: „Damit ist ein Handicap im doppelten Sinne angedeutet. Umfang, Dichte und zeitliche Kontinuität der Briefe, im Allgemeinen wichtige Indizien eines Briefwechsels, lassen sich im vorliegenden Fall nicht historisch auswerten“.583 Neben der auszugsweisen Veröffentlichung einiger Briefpassagen im Rahmen von wissenschaftsgeschichtlichen Arbeiten und der vollständigen Edition bestimmter Briefwechsel bietet vor allem das Internet Möglichkeiten, auch umfangreichere Nachlassbestände öffentlich zugänglich(er) zu machen. Dabei variieren die Formate in Umfang und Qualität: angefangen von in pdf-Format gespeicherten Scans einzelner Dokumente, wie sie für einen Teil der bereits erwähnten „Dallas Steindorff-Collection“ erfolgt ist,584 über die Zurverfügungstellung von Brieftranskriptionen aus dem Nachlass Eduard Meyer durch das Institut für Geschichtswissenschaften der Humboldt-Universität Berlin,585 bis
581 Vgl. zu dieser Anredeform: Voss, Der lange Arm des Nationalsozialismus, 268, 277 und 281. 582 Vgl. die Homepage: https://gephi.org [6.2.2016]. 583 KLOFT, Der Nachlass Adolf Erman, iiif. 584 Vgl. die Homepage: https://sites.smu.edu/bridwell/specialcollections/steindorff/digitalprojects.htm [6.2.2016]. 585 Vgl. die Homepage: https://www.geschichte.hu-berlin.de/de/bereiche-und-lehrstuehle/alte-geschichte/forschung/abgeschlossene-projekte/briefbestaende-eduard-meyer [6.2.2016].
130
Grundlagen der Forschung
hin zu der integrierten und komplexen Aufbereitung im Rahmen des ECHOProjekts586 des Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte in Berlin. Der enorme Aufwand für die Bereitstellung digitaler Rohdaten (Scans), das Eingeben der erforderlichen klassifikatorischen Hintergrundinformation (Metadaten) und die Aufrechterhaltung und Pflege einer entsprechenden Internetplattform (Webhosting/Serverkapazität) ermöglicht es allerdings meist nur wissenschaftlichen Großinstituten, dauerhaft eine anspruchsvolle Archivnutzung über das Internet anbieten zu können. Die rasant voranschreitende technische Entwicklung überfordert dabei mitunter aber auch deren personelle und konzeptionelle Kapazität. Als Folge davon ist im Bereich Archäologie bereits eine Beratungs- und Koordinierungsstelle im Rahmen des DAI-IANUS-Projektes eingerichtet worden, die die inzwischen entstandenen digitalen Archivbestände einheitlich erfassen und pflegen helfen soll. 587 2.1.4. Institutionelle Archive Bei der Auseinandersetzung mit der Geschichte des eigenen Faches bzw. einer akademischen Disziplin ist es naheliegend, zunächst die Archivbestände an ägyptologischen Forschungsinstitutionen, wie universitären Seminaren und Instituten, an Museen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen wie den Wissenschaftsakademien heranzuziehen. Dabei bestehen im Bereich der Ägyptologie häufig Doppelstrukturen, die nicht unbedingt das Ergebnis einer bewussten oder planvollen Anlage und Pflege von Archiven sind. So ist z.B. das Archiv der Abteilung Kairo des DAI auf (mindestens) zwei Archivstandorte in Kairo und Berlin verteilt. Der (private) Nachlass des Institutsgründers L. Borchardt befindet sich heute im Schweizerischen Institut für Ägyptische Bauforschung und Altertumskunde588 (vgl. Kap. 1.6.2.). Das Archiv der Abteilung Kairo des DAI wurde 1939 bei Ausbruch des Zweiten Weltkrieges von der britisch-ägyptischen Administration beschlagnahmt.589 Von diesem Bestand, der auch die geschäftlichen Korrespondenzen aus der Zeit von 1899 bis
586
Vgl. Homepage: http://echo.mpiwg-berlin.mpg.de/home [6.2.2016]. Vgl. die Homepage: https://www.dainst.org/forschung/forschung-digital/ianus [6.2.2016]. 588 Vgl. die Homepage des Instituts: http://swissinst.ch/html/archiv.html [7.2.2016]. 589 Zur Geschichte des Bestandes vgl. T. GERTZEN, Die Digitalisierung der Altakten & „Fragen an das Institut“ – ausgesuchte wissenschaftliche Korrespondenzen aus den Archiven des DAI Kairo, in: GM 235, 2012, 6f. 587
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1939 enthielt, ist heute das Fotoarchiv des Instituts beim Ägyptischen Antikendienst erhalten.590 In den 50er Jahren bemühte sich H. Stock um die Rückgewinnung des Aktenarchivs, die aber nur teilweise gelang. Bis in die 90er Jahre hinein erfuhren sowohl die Unterlagen beim DAI als auch jene im Schweizer Institut kaum Beachtung, mitunter geriet ihr Vorhandensein sogar in Vergessenheit. Zu dieser Zeit bemühte sich NORBERT DÜRRING um die Sichtung und Erschließung des Bestandes an der Abteilung Kairo und sorgte für eine teilweise Verbringung in das Archiv der Zentrale des DAI in Berlin. Erst jedoch durch die ehrenamtliche Tätigkeit von ANDREAS HUTH wurde das Institutsarchiv ab 2010 erschlossen und ein Findmittel erstellt. Das von THOMAS GERTZEN begonnene Vorhaben einer Digitalisierung zumindest des Kairener Teilbestandes, auch vor dem Hintergrund einer erhöhten Gefährdungslage, 591 wird gegenwärtig nur in eingeschränkter Form fortgesetzt. Eine Nutzung des Archivs durch externe Wissenschaftler ist derzeit nicht möglich. 592 Ein weiteres Beispiel archivalischer Doppel- oder Parallelstrukturen sind die Archive des Ägyptischen Museums und der Papyrussammlung Berlin. Dieser Umstand wurde jedoch nicht durch die Trennung der Museen während der Zeit des Kalten Krieges verursacht, denn die Inventarbücher und Karteikarten waren im Ostteil der Stadt verblieben bzw. von der Roten Armee beschlagnahmt worden, während zahlreiche Auslagerungslisten im Westteil verblieben waren (vgl. Kap. 1.10.). Ein Teilbestand des Archivs befindet sich heute im Zentralarchiv der Staatlichen Museen zu Berlin,593 ein weiterer Teilbestand am Museum selbst, einschließlich des umfangreichen Fotoarchivs.594 Während die Bestände des Zentralarchivs professionell erschlossen wurden und für die Benutzung zur Verfügung stehen, ist der Zugang zu den im Keller der Verwaltungsräume des Ägyptischen Museums gelagerten Beständen nur eingeschränkt möglich. Nur das Fotoarchiv ist derzeit weitgehend erschlossen und 590 T. EL AWADY, Borchardt’s Photo Archive: a preliminary report, in: EDAL 1, 2009, 49– 52. 591 Am 23. Dezember 2011 ging das Institute d’Egypte in Kairo im Zuge der Auseinandersetzungen des „Arabischen Frühlings“ in Flammen auf; die traurigen Überreste der Bibliothek und des Archivs lagern heute als verkohlte Papierfetzen im Ägyptischen Nationalarchiv. 592 Vgl. die Homepage des Instituts: http://www.dainst.org/standort/-/organization-display/ZI9STUj61zKB/18449#_LFR_FN__organizationdisplay_WAR_daiportlet_INSTANCE_ZI9STUj61zKB_view_terms_of_use [7.2.2016]. 593 S.a. die Homepage des Archivs: http://www.smb.museum/museen-und-einrichtungen/zentralarchiv/home.html [7.2.2016]. 594 Vgl. CH. HANUS, Die Archivbestände des Ägyptischen Museums und Papyrussammlung und ihre Zukunft, in: Finneiser/Helmbold-Doyé (Hrsg.), Der andere Blick, 111–125.
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wird in entsprechend eingerichteten, d.h. klimatisierten Räumlichkeiten gelagert. Ein Konzept für die Erschließung dieses Bestandes und/oder eine Digitalisierung ist derzeit noch in Planung. Auch im Bereich institutioneller Archive stellt die digitale Erschließung eine große Herausforderung dar, die sowohl durch die Quantität als auch die unterschiedlichen Quellengattungen des zu erschließenden Archivguts bestimmt wird. Dem Roemer- und Pelizaeus-Museum Hildesheim ist es jedoch im Rahmen seines Giza-Projekts gelungen, umfangreiche Aktenbestände zu digitalisieren und eingebettet in einen wissenschaftshistorischen Referenzrahmen online zur Verfügung zu stellen. 595 Dabei sind die Bestände in Hildesheim mit Dokumenten des Bostoner Giza Archive Projects (vgl. Kap. 1.6.1.3.) sowie des Ägyptologischen Instituts – Georg Steindorff – in Leipzig vernetzt worden. Wie für Gelehrtennachlässe gilt auch hier, dass ein einzelner Archivbestand für sich genommen nur in den seltensten Fällen eine ausreichende Grundlage wissenschaftsgeschichtlicher Untersuchungen bilden kann und der enorme Aufwand einer Digitalisierung eigentlich nur durch den zusätzlichen Vorteil einer Verknüpfung räumlich getrennter Bestände zu rechtfertigen ist. Auch die Archivbestände zum Aegyptischen Woerterbuch an der BerlinBrandenburgischen Akademie der Wissenschaften (Berlin) sind auf das Akademiearchiv596 und die eigentlichen Arbeitsräume des Projektvorhabens verteilt. Allerdings sind sämtliche relevanten Dokumente systematisch erfasst worden.597 Hinzu tritt eine umfangreiche Internetpräsentation mit Hintergrundinformationen zur Geschichte des Projekts. 598 Besonders verdienstvoll und wichtig für die Auswertung archivalischer Quellen ist die Sammlung von Handschriftenproben der Mitarbeiter des Woerterbuchs.599 Diese ermöglichen einen Schriftvergleich, vergegenwärtigen dem Benutzer aber auch den
595
Vgl. die Projekthomepage: http://www.giza-projekt.org/Einleitung/Einleitung.html [7.2.2016]. 596 Vgl. die Homepage: http://archiv.bbaw.de [7.2.2016]. 597 Vgl. ST. GRUNERT, Bestandsverzeichnis der Materialien zum Projekt Wörterbuch der ägyptischen Sprache (1897–1944) im Archiv der Berliner Akademie, Berlin 2004, unveröffentlichtes Manuskript; s.a. S. KÖPSTEIN, Das Abklatscharchiv beim Wörterbuch der ägyptischen Sprache, in: Mitteilungen aus der Arbeit am Wörterbuch der Ägyptischen Sprache 1, 1994, 37–42; sowie die Übersicht auf: http://aaew.bbaw.de/archive [7.2.2016]. 598 Vgl. I. HAFEMANN, ST. GRUNERT, Abriss der Geschichte des Wörterbuchunternehmens: http://aaew.bbaw.de/projekt/geschichte [7.2.2016]. 599 Vgl. die Homepage: http://aaew.bbaw.de/archive/das-digitalisierte-zettelarchiv/album/handschrift_dza [7.2.2016].
Von der Quellenkunde zur Quellenkritik – ein Denkanstoß
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Umstand, dass alle Mitarbeiter an diesem Vorhaben die Lemma-Karten mit Autografentinte beschrifteten und dass handschriftliche Druckvorlagen – in Ermangelung hieroglyphischer Drucktypen – auch im später veröffentlichen Woerterbuch umgesetzt wurden. Dies hatte zur Folge, dass alle an dem Projekt Beteiligten eine möglichst ähnliche Handschrift an den Tag legen mussten und mitunter Schreiben von A. Erman, K. Sethe und H. Grapow nur auf den zweiten Blick bzw. durch die Unterschrift ihrer Verfasser zuzuordnen sind. Sucht man im universitären Rahmen nach personenbezogener Information, ist man auf die Bestände der Universitätsarchive angewiesen. In den dort lagernden Personalakten können biografische Rahmendaten ermittelt werden, aber auch akademische Qualifikationsarbeiten, bzw. deren Beurteilung durch Prüfungskommissionen, Berufungsverhandlungen, Anträge auf Forschungsförderung, Disziplinarverfahren u.v.m. An einigen Universitätsbibliotheken liegen auch alte Vorlesungsverzeichnisse, mitunter als Mikrofilm, vor. Da die Universitäten trotz weitreichender Autonomie und Selbstverwaltung immer auch Teil staatlicher Bildungs- und Hochschulpolitik gewesen sind, bilden sie hier auch den thematischen Übergang zu den staatlichen Archiven, die im nachfolgenden Abschnitt behandelt werden, wobei die dortigen allgemeinen Beschreibungen weitgehend auch auf die Universitätsarchive zutreffen. 2.1.5. Staatliche Archive Im Gegensatz zu den im vorangegangenen Abschnitt behandelten institutionellen Archiven, die häufig eine unmittelbare Anbindung an den ägyptologischen Forschungsbetrieb aufweisen, dienen staatliche Archive den übergeordneten Interessen von Verwaltung und politischer Lenkung. 600 Folgerichtig sind staatliche Archive in aller Regel durch einen weitaus größeren Aktenbestand gekennzeichnet. Dieser muss notwendigerweise durch ein komplexes Ablageund Ordnungssystem aufbereitet sein, um eine Nutzung zu ermöglichen. Man spricht bei der hierbei praktizierten Gliederung von einer Archivtektonik. Die Richtlinien für die Verzeichnung von Archivgut im Österreichischen Staatsarchiv definieren Archivtektonik als „hierarchisch gegliederte Struktur der Bestände entsprechend den Verzeichnungsstufen“.601 Dabei soll „[d]ie archivi-
600
Vgl. G. SCHMID, Akten, in: Beck/Henning (Hrsg.), Die archivalischen Quellen, 91–110. L. AUER et al., Richtlinien für die Verzeichnung von Archivgut im Österreichischen Staatsarchiv: http://www.oesta.gv.at/DocView.axd?CobId=32406 [10.2.2016], 4.
601
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sche Verzeichnung […] Zugang zu den im Archivgut überlieferten Informationen ermöglichen sowie den Entstehungszusammenhang und die Struktur des Archivguts transparent machen.“602 Anders ausgedrückt: Die Ordnung des Archivguts vollzieht die institutionelle Ordnung bzw. die Verwaltungszusammenhänge nach, in deren Kontext die Dokumente entstanden sind, angefangen bei den großen übergeordneten Strukturen bis hinein in die untersten und spezialisierten Unterabteilungen. Für das Österreichische Staatsarchiv wurde folgende Ordnungshierarchie entwickelt:603 Archiv(-abteilung) Bestandsgruppe Bestand Teilbestand Serie Unterserie Karton Geschäftsbuch und Kartei Akt Einzelstück Grundsätzlich gilt für die Aufbereitung des Archivbestandes: „Allgemeine Erschließung (genereller Überblick) hat Vorrang vor der Tiefenerschließung.“604 In der Praxis bedeutet dies, dass für den außenstehenden Archivnutzer, ohne eine genaue Kenntnis der zugrunde gelegten Verwaltungsstrukturen, eine zielgerichtete Recherche nach bestimmten Informationen nicht oder nur schwer möglich ist. Andererseits sollte vom Archivar keine Detailkenntnis über die Inhalte einzelner Aktenstücke erwartet werden. Bei der Suche nach einem für das eigene Thema relevanten staatlichen Archivbestand muss zunächst überlegt werden, in welchen Bereichen staatlicher Verwaltung oder politischer Lenkung die Ägyptologie eine Rolle gespielt hat. Hierbei ist auch darauf hinzuweisen, dass neben den zentralistischen Verwaltungsstrukturen eines modernen Staates lange Zeit auch noch parallele Strukturen einer höfischen, d.h. von den jeweiligen Landesfürsten ausgehenden Verwaltung bestanden haben. Im schon zitierten Fall des Österreichischen Staats-
602
Ebenda, 1. Vgl. ebenda, 4f. 604 Ebenda, 3. 603
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archivs ist dieser Bereich in einer Unterabteilung des „Haus-, Hof- und Staatsarchivs“ integriert.605 In Deutschland muss allerdings die föderale Struktur auch des Zweiten Deutschen Kaiserreichs berücksichtigt werden, und dies in zweierlei Hinsicht: Die entsprechenden Hofarchive lagern zusammen mit den Akten der einzelnen Bundesstaaten, im Falle Preußens also im Geheimen Preußischen Staatsarchiv (Berlin).606 Kultur- und Bildungspolitik, also auch die für die Ägyptologiegeschichte besonders relevante Hochschulpolitik, ist in Deutschland traditionell Ländersache, d.h. entsprechende Unterlagen finden sich auch in den Landesarchiven. Hier kommt allerdings auch eine weitere Besonderheit der deutschen Archivlandschaft zum Tragen: Die den Archiven zugrundeliegenden staatlichen Strukturen haben sich im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts immer wieder verändert, manche sind komplett aufgelöst worden bzw. in anderen Strukturen aufgegangen, etwa die der DDR.607 Archivalia jüngerer Epochen der deutschen Geschichte findet man daher im Bundesarchiv,608 welches aber auch die Bestände verschiedener Vorgängerstaaten bewahrt, etwa des „Dritten Reiches“, der Weimarer Republik, bis hin zum Heiligen Römischen Reich deutscher Nation. Auf der Ebene deutscher Gesamtstaatlichkeit kommt den Aktenbeständen des Politischen Archivs des Auswärtigen Amtes (Berlin)609 für die Geschichte der deutschen Ägyptologie eine besondere Bedeutung zu. Es enthält die Akten zur deutschen Außenpolitik seit der Gründung des Norddeutschen Bundes im Jahr 1867. Bei der Recherche personenbezogener, also biografischer Information ist man häufig auf kommunale Archive verwiesen, wobei auch Archivbestände in nicht-staatlichen Archiven biografische Basisdaten zu Geburt, Taufe, Heirat und Tod verzeichnen, nämlich die kirchlichen Archive. Ihre Benutzung setzt die Kenntnis des konfessionellen Hintergrunds des jeweiligen Ägyptologen voraus. Freimaurerlogen unterhalten dabei eigene Archive. Die Aufzeichnungen jüdischer Gemeinden sind aus nachvollziehbaren Gründen vielfach verloren. Die Erwähnung dieser nicht-
605
Vgl. die Homepage: http://www.oesta.gv.at/site/4980/default.aspx [12.2.2016]. Vgl. die Homepage: https://www.gsta.spk-berlin.de [12.2.2016]; die Privatarchive einzelner Fürsten oder Fürstenfamilien lagern in wiederum eigenen Archiven, etwa die Dokumente von Kaiser Wilhelm II., vgl.: J. HALLHOF, H. VAN DEN BERG, Ägyptologie im Exil. Eine bisher unbeachtete Quellensammlung zur Geschichte der Ägyptologie: http://www.wepwawet.nl/exil [12.2.2016]. 607 Mit der bemerkenswerten Ausnahme der sogenannten „StaSi-Unterlagenbehörde“; vgl. die Homepage: http://www.bstu.bund.de/DE/Home/home_node.html [12.2.2016]. 608 Vgl. die Homepage: http://www.bundesarchiv.de/index.html.de [12.2.2016]. 609 Vgl. die Homepage: http://www.archiv.diplo.de [12.2.2016]. 606
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staatlichen Bestände in diesem Zusammenhang ist aber durch den Umstand begründet, dass während des „Dritten Reichs“ gerade diese Daten zentral erfasst wurden. So gibt etwa die „Fremdstämmigenkartei“ in Berlin Auskunft über die Konfession und Konversion von Bürgern jüdischer Herkunft. Zunächst als Zusammenstellung genealogischer Information durch protestantische Pastoren im Auftrag der NSDAP 1933 begonnen, übernahm bald darauf das Reichsministerium des Inneren bzw. die dort angesiedelte „Reichsstelle für Sippenforschung“ die Federführung.610 Die Unterlagen können heute im Evangelischen Landeskirchenarchiv Berlin eingesehen werden.611 Am Anfang der Archivrecherche steht eine Anfrage über das Vorhandensein relevanter Aktenbestände an das Archiv. Der Archivnutzer sollte hierzu so viele konkrete Hintergrundinformationen zu dem von ihm zu untersuchenden Gegenstand bereithalten wie möglich. Die meisten Archive bieten Hilfestellung bei der Recherche an. Geht die Recherche weiter ins Detail oder erfordert sie einen größeren Bearbeitungsaufwand, sind über eine Erstanfrage hinausgehende Rechercheaufträge in aller Regel kostenpflichtig. Die Bearbeitungsdauer einer Anfrage variiert abhängig von Umfang und Komplexität und der Gesamtzahl der durch das Archiv zu bewältigenden Anfragen in Relation zu den vorhandenen personellen und technischen Ressourcen teilweise erheblich: Erhält man bei dem einen Archiv schon nach wenigen Tagen eine Antwort, machen andere Archive auf ihren Homepages auf eine durchschnittliche Wartezeit von bis zu zwölf Monaten (!) aufmerksam. In aller Regel wird für den nachfolgenden Archivbesuch und die hierfür erforderliche Aushebung des Aktenmaterials ein konkreter Termin vergeben. Die Zahl der Archivarbeitsplätze ist in der Regel begrenzt, „spontane“ Archivbesuche sind daher häufig nicht möglich. Über die Möglichkeit der Benutzung von Laptops im Archiv wie über alle übrigen Verhaltensregeln informiert die Archivnutzungsordnung, deren Anerkennung der Archivnutzer im Zuge seiner Registrierung ausdrücklich versichern muss. Er wird somit gewissermaßen selbst archiviert und im Zuge dessen auch über sein Einverständnis zur Weitergabe personenbezogener Daten bzw. seines Forschungsthemas an andere Ar-
610
Vgl. D. HERTZ, Wie Juden Deutsche wurden. Die Welt jüdischer Konvertiten vom 17. bis zum 19. Jahrhundert, Frankfurt a.M. 2010, 17–38. 611 Vgl. die Homepage: http://www.landeskirchenarchivberlin.de/forum-fur-erinnerungskultur/forum-schwerpunkte-der-arbeit/arbeitsbereiche/christen-judischer-herkunft/recherchewege [12.2.2016].
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chivnutzer befragt. In der Regel bleibt die Freigabe dieser Informationen praktisch folgenlos, gelegentlich kann man aber auf diesem Weg auch Kontakt zu auf ähnlichem Gebiet tätigen Kollegen herstellen und einen nützlichen Informationsaustausch beginnen. Nachdem man seinen Namen mit Bleistift (andere Schreibwerkzeuge sind häufig unzulässig) in das Benutzerblatt des Aktenstückes eingetragen hat, beginnt die Auswertung. Dabei sollte man sich nicht von den teilweise umfangreichen, auf den ersten Blick in ihrer Ordnung nicht ohne weiteres nachvollziehbaren und oftmals in einer unvertrauten Schrift geschriebenen (erst im Verlauf der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts treten vermehrt maschinenschriftliche Dokumente auf, die dann aber mitunter immer noch handschriftlich ergänzt wurden oder entsprechende Bearbeitungsvermerke erhielten) Aktenbündeln entmutigen lassen. Die Auswertung archivalischer Quellen braucht Zeit. In einigen Archiven können Handscanner oder Digitalkameras eingesetzt werden, um einzelne Aktenblätter zu reproduzieren. Smartphones sind in aller Regel vor dem Betreten eines Archivs auszuschalten. Die meisten staatlichen Archive erlauben den Nutzern allerdings ausdrücklich nicht, eigene Reproduktionen anzufertigen. Stattdessen können die Nutzer entsprechende Reproduktionsaufträge erteilen, wobei man sich, angesichts der teilweise beachtlichen Kosten, nicht nur gut überlegen sollte, welche und wie viele Aktenstücke man als Reproduktion erhalten will, sondern auch in welcher Qualität: Farb- oder s/w-Scans oder als einfache Papierkopien, gebrannt auf einer CD/DVD, über eine „Drop-box“ per E-Mail verschickt oder per Post versandt. Allerdings haben qualitätsvolle Reproduktionen den Vorteil, dass man die Bearbeitung zu Hause fortsetzen kann und durch Vergrößerungen am Bildschirm oder durch Bildbearbeitung mitunter die Lesbarkeit eines Dokuments erhöht wird. Was die Lesbarkeit alter Handschriften angeht, so bieten staatliche Archive im Gegensatz zu privaten Nachlässen (vgl. Kap. 2.1.3) den Vorteil, dass häufig eine standardisierte und oft besonders ordentliche Schriftform verwendet worden ist. Dabei ist natürlich nicht auszuschließen, dass der ein oder andere Aktenschreiber dennoch von diesem Ideal abgewichen ist. In der Regel eignet man sich die Lesefähigkeit der deutschen Kanzlei- oder Kurrentschrift durch einige Übung an. Es kann aber helfen, sich vor einem Archivbesuch mit alten Schriftformen grundsätzlich vertraut zu machen oder womöglich sogar entspre-
138
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chende Buchstabentabellen, die sich auf verschiedenen Seiten im Internet finden,612 ausgedruckt mit ins Archiv zu nehmen. Einige Archivnutzer lernen alte Handschriften selbst zu schreiben, um sie dann besser lesen zu können. Letztlich bleibt es jedem selbst überlassen, für sich die geeignetste Methode zu finden.
612
Vgl. z.B.: http://www.deutsche-kurrentschrift.de/index.php?s=abc_fraktur_offenbacher#oben; http://www.kurrentschrift.net/index.php?s=alphabet&l=abisg&r=kur1 [10.2.2016].
Von der Quellenkunde zur Quellenkritik – ein Denkanstoß
Abb. 2: Die deutsche Kurrent- und Sütterlinschrift
139
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Grundlagen der Forschung
Für die spätere Auswertung und Zitation des Aktenmaterials empfiehlt sich eine möglichst genaue Transkription der Akteninhalte. Dabei sollten das Format bzw. die Dokumentengattung, der Wechsel von hand- zu maschinenschriftlichen Dokumenten, nachträgliche Einfügungen, handschriftliche Vermerke, überhaupt möglichst viele Details der Beschaffenheit des Dokuments notiert werden, auch dann, wenn man zusätzlich eine Reproduktion vorliegen hat. Diese Aufzeichnungen dienen später auch als Grundlage einer möglichen Edition von Akteninhalten.613 Während die Transkription es dem Bearbeiter zunächst ermöglichen soll, die im Archiv gewonnene Information mit nach Hause zu nehmen und dort weiter auszuwerten, muss bei der Edition ein grundsätzlich höherer Aufwand betrieben werden. Zunächst gilt es die Erlaubnis des Archivs zur wörtlichen Zitation aus dessen Akten einzuholen. Das ist in der Regel nur eine Formsache, bietet aber zugleich die Möglichkeit, sich auch über die formal korrekte Zitation des Aktenmaterials zu vergewissern. Diese soll das Wiederauffinden der zitierten Akten und Einzelstücke ermöglichen und vollzieht die Tektonik des Archivs nach. Aufwendiger und ganz unbedingt genehmigungspflichtig ist die Veröffentlichung von durch das Archiv bereitgestellten Reproduktionen. Davon unbenommen sind die darüber hinaus zu berücksichtigenden gesetzlichen Bestimmungen zum Schutz von Persönlichkeits- und Urheberrechten bzw. Copyright. Viele Archive weisen ausdrücklich darauf hin, dass ihre Veröffentlichungsgenehmigungen keine Aussage über die Unbedenklichkeit bzw. Zulässigkeit einer Veröffentlichung der Akteninhalte in Bezug auf diese Fragen darstellen. Die Verantwortung hierfür liegt beim Archivnutzer bzw. Autor der Publikation. Bei der Wiedergabe der Akteninhalte in Transkription im Rahmen einer Veröffentlichung muss sich der Bearbeiter vergegenwärtigen, dass seine Leser die
613 Dabei hat sich Editionswissenschaft inzwischen zu einem eigenständigen Forschungszweig entwickelt. Vgl. hierzu: B. PLACHTA, Editionswissenschaft: Eine Einführung in Methode und Praxis der Edition neuerer Texte, Stuttgart 21997; zum Ursprung der wesentlichen Editionstechniken aus Mediävistik und Germanistik vgl.: T. BEIN, Textkritik: Eine Einführung in Grundlagen germanistisch-mediävistischer Editionswissenschaft. Lehrbuch mit Übungsteil, Frankfurt a.M. 2011; und zu ihrer interdisziplinären Anwendung vgl.: G. DANE, J. JUNGMAYR, M. SCHOTTE (Hrsg.), Im Dickicht der Texte: Editionswissenschaft als interdisziplinäre Grundlagenforschung (Berliner Beiträge zur Editionswissenschaft), Berlin 2013, darin zu den hier diskutierten Anwendungsgebieten: I. JENS, Was Akten erzählen können. Edieren und mögliche Folgen, 13–27; und R. S. KAMZELAK, Arbeiten für die Ewigkeit. Editionen aus der Sicht eines Archivs, 37–50.
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originalen Akten und ihr physisches Erscheinungsbild nicht kennen. Es ist daher immer zu überlegen, wie (und welche) Informationen dazu neben der bloßen Wiedergabe der Textinhalte bereitzustellen sind.614 Ein mögliches Problem könnte die Kennzeichnung bzw. Reproduktion der Zeilenumbrüche im Original darstellen: Gibt man die Umbrüche wie im Original wieder, kommt womöglich ein eigentümliches Textformat zustande, welches noch dazu sehr viel Raum beansprucht. Eine mögliche Alternative ist die Kennzeichnung von Zeilen-│und Seitenumbrüchen ║ durch einfache und Doppelstriche, unter Beibehaltung der originalen Worttrennung. Leider kann es vorkommen, dass ein unaufmerksamer Rezensent solche „Beistrichsetzungen“ dann als Druckfehler missinterpretiert. 615 Im Original benutzte Abk.[ürzungen] sollten aufgelöst werden. Rechtschreibund Zeichensetzungsfehler zu korrigieren oder den Text einer modernen Orthografie anzupassen, kann die Lesbarkeit eines Textes grundsätzlich verbessern. Auch hier stellt sich jedoch die Frage nach einer angemessenen Markierung der vorgenommenen Veränderungen in der Transkription gegenüber dem Original – denn dadurch wird Edition zur Interpretation von Seiten des Bearbeiters, die als solche kenntlich gemacht werden muss. Auch die Beibehaltung bei gleichzeitiger Kennzeichnung von im Text vorhandenen Eigenheiten, etwa durch Einfügung von „sic“, sollte überlegt erfolgen. Manchmal empfiehlt es sich, stattdessen in einer Einleitung oder einer entsprechenden Fußnote darauf hinzuweisen, dass der Text in seiner originalen Orthografie und Interpunktion wiedergegeben wird, da ansonsten allzu viele „sic’s“ den Lesefluss eher behindern.
614
Vgl. I. SCHMID, Anforderungen an die Kommentierung von Briefen und amtlichen Schriftstücken, in: W. M. Bauer, J. John, W. Wiesmüller (Hrsg.), „Ich an Dich“. Edition, Rezeption und Kommentierung von Briefen (Innsbrucker Beiträge zur Kulturwissenschaft, Germanistische Reihe 62), Innsbruck 2001, 35–45. 615 Vgl. M. PESDITSCHEK, Rezension: T. L. Gertzen, École de Berlin, in: Informationsmittel (IFB): Digitales Rezensionsorgan für Bibliothek und Wissenschaft: http://ifb.bszbw.de/bsz377954233rez-3.pdf [11.2.2016], 8.
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Für die Kennzeichnung von im Text vorgenommenen Veränderungen oder Ergänzungen kann man sich natürlich auch eines aus der Ägyptologie selbst vertrauten Klammernsystems bedienen,616 wobei aber immer ein angemessenes Verhältnis von Aufwand und Nutzen berücksichtigt werden sollte. So könnte man [Hinzufügungen und Kommentare] in eckigen Klammern einsetzen, Auslassungen durch drei Punkte kennzeichnen […] sowie unklare Stellen bzw. [schlecht lesbare Passagen?] durch ein Fragezeichen kenntlich machen. Ob man dann die oben erwähnten Korrektur(en) in runden Klammern, ergänzte oder im Original {im Original} zu viel Geschriebenes in geschweiften Klammern kennzeichnen möchte, bleibt dem Bearbeiter selbst überlassen. Bedenken sollte man dabei aber immer, dass bei der Wiedergabe lateinischer bzw. in europäischen Schriften geschriebener Texte alle hier vorgestellten Klammernformen auch im transkribierten Text selbst vorkommen können und dann Verwirrung über im Original Geschriebenes und vom Bearbeiter Ergänztes entstehen kann. 2.1.6. Ägyptologische Publikationen zur Wissenschaftsgeschichte Sekundärliteratur zur Disziplingeschichte der Ägyptologie ist, je nach Definition, in sehr überschaubarem Maße vorhanden. Schließt man zunächst alle wissenschaftshistorischen Darstellungen, die sich entweder nicht ausschließlich mit der Ägyptologie befassen oder nicht von Ägyptologen bzw. nicht mit einer dezidiert wissenschaftshistorischen Zielsetzung verfasste Arbeiten aus, bleibt wenig übrig. Dass eine solche Beschränkung bei der praktischen Auseinandersetzung mit dem Thema wenig Sinn ergibt, ist hoffentlich schon im Kapitel 0.3. deutlich geworden. An dieser Stelle soll aber gerade diese Überschaubarkeit zu einer Reflexion über die (Eigen-)Wahrnehmung und Selbstdarstellung der Ägyptologie in Bezug auf ihre eigene Fachgeschichte genutzt werden. Die hier angeführten Publikationen sollen also ausschließlich in ihrer Eigenschaft als wissenschaftsgeschichtliche Sekundärliteratur, nicht als Quellen für relevante Hintergrundinformation behandelt werden. Es geht um die (Art der) Forschungsdiskussion, nicht um die eigentlichen Forschungsinhalte. Im Zusammenhang mit der Periodisierung der Geschichte der Ägyptologie (vgl. Kap. 0.5.) sind bereits einige ältere Arbeiten und vor allem Überblicks-
616
Vgl. z.B. SCHENKEL, Tübinger Einführung, 35.
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darstellungen erörtert worden, die in aller Regel den Umfang längerer Artikel,617 kleinerer Broschüren618 oder von Abschnitten in größeren Publikationen619 besitzen. Erst in jüngerer Zeit gibt es Ansätze zu umfassenden monografischen Darstellungen, die noch dazu eine internationale bzw. transnationale Perspektive einnehmen wollen. 620 Jenseits der in Kapitel 2.1.2. diskutierten klassischen Gelehrtenbiografie hat es auch in jüngerer Zeit personenbezogene, um eine übergeordnete und über den individuellen Fall hinausweisende Fragestellung erweiterte Untersuchungen gegeben, wofür die Dissertation von HANS FISCHER über Georg Ebers621 als Beispiel genannt werden kann. In diesem Zusammenhang sei auch darauf hingewiesen, dass die relativ geringe Anzahl wissenschaftsgeschichtlicher Dissertationen oder das Fehlen einer entsprechenden Habilitationsschrift im Fach auch darauf zurückgeführt werden kann, dass ein Ägyptologe, der sich darauf einlässt, damit de facto seinen Austritt aus dem Fach bzw. den Verzicht auf eine universitäre Stelle im Bereich Ägyptologie erklärt. 622 Im Bereich der Institutionengeschichte könnten zunächst zahlreiche Jubiläumsschriften oder Vorworte zu Ausstellungskatalogen herangezogen werden, die aber häufig durch eine positivistische und nicht selten auch ausschließlich „positive“ Art der Darstellung gekennzeichnet sind. Sie müssen daher besonders kritisch ausgewertet werden, nicht zuletzt auch deshalb, weil sie oft unter großem Zeitdruck vor einem herannahenden Jubiläum bzw. einer Ausstellungseröffnung zusammengestellt wurden und so Auslassungen und Fehler auch ganz einfach aus Versehen passieren. Dabei soll diese Textgattung hier nicht grundsätzlich schlechtgeredet werden. Allerdings verfolgen Jubiläumsschriften
617
Z.B. KEES, Geschichte der Ägyptologie, 3–17. Z.B. SETHE, Die Ägyptologie. 619 Z.B. BRUGSCH, Die Aegyptologie, 1–19 und 126–169. 620 Vgl. J. THOMPSON, A History of Egyptology, Bd. 1: From Antiquity to 1881, Kairo 2015; Bd. 2: The Golden Age: 1881–1914; Bd. 3: From 1914 to the Twenty-first Century, in Vorbereitung; BEDNARSKI/DODSON/IKRAM (Hrsg.), A History of Egyptology, in Vorbereitung. 621 FISCHER, Der Ägyptologe Georg Ebers. 622 In Nachbardisziplinen ergibt sich ein ähnliches Bild. Ausnahmen sind etwa der Althistoriker Stefan Rebenich, der nach einer Habilitation über „Theodor Mommsen und Adolf Harnack. Wissenschaft und Politik im Berlin des ausgehenden 19. Jahrhunderts“ 2006 einen Lehrstuhl für „Alte Geschichte und Rezeptionsgeschichte der Antike bis in das 20. Jahrhundert“ in Bern erhielt, oder die Prähistorikerin Uta Halle, die sich 2001 mit einer Arbeit über „‚Die Externsteine sind bis auf weiteres germanisch!‘. Prähistorische Archäologie im Dritten Reich“ an der Humboldt-Universität Berlin habilitierte. 618
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eben in der Regel nicht das Ziel einer kritischen Wissenschaftsgeschichte, sondern dienen der Würdigung und Hervorhebung der durch die Institution und ihre Mitarbeiter erbrachten Leistungen. Als ein Beispiel hierfür sei der 2007 von GÜNTHER DREYER und DANIEL POLZ herausgegebene Band zur 100-JahrFeier des Deutschen Archäologischen Instituts in Kairo623 angeführt. Der Wissenschaftshistoriker würde an dieser Stelle darauf hinweisen, dass erst ab 1928 eine Abteilung des Deutschen Archäologischen Instituts in Kairo bestanden hat und dass das 1907 gegründete Kaiserlich Deutsche Institut für Ägyptische Altertumskunde nicht dem DAI-Verbund zuzurechnen ist (vgl. Kap. 1.6.2.). Eine solche Argumentation oder Kritik geht aber natürlich an den Intentionen der Herausgeber vorbei. Erkenntnisse zur Geschichte der Ägyptologie sind aus dem Band dennoch zu gewinnen. Im Kontext dieses Abschnittes jedoch fallen Jubiläumsschriften gemäß der eng gefassten Definition zu Beginn der Ausführungen (s.o.) als Betrachtungsgegenstand aus. Damit wird auch deutlich, dass die Sekundärliteratur gleichfalls vor dem Hintergrund ihres Entstehungskontextes und der zugrundeliegenden Motivation von Autoren und Herausgebern eingeordnet oder hinterfragt werden muss. Bleibt man beim Thema der Institutionengeschichte, liefert die Dissertation von SIEGFRIED WÖLFFLING zur „Geschichte des Deutschen Instituts für Ägyptische Altertumskunde“624 hierfür ein gutes Beispiel: Zum einen blieb dem Autor aufgrund des „Eisernen Vorhangs“ der Zugang zu in der BRD bzw. dem DAI Kairo befindlichen Archivmaterialien verwehrt, zum anderen ist diese Arbeit dem marxistisch-leninistischen Geschichtsbild verpflichtet und folgerichtig darum bemüht, der behandelten Institution eine „imperialistische“ Zielsetzung nachzuweisen. Dieses Beispiel sollte aber nicht nur zur Vorsicht gegenüber wissenschaftsgeschichtlichen Darstellungen aus der DDR mahnen, sondern vielmehr deutlich machen, dass auch Publikationen jüngeren Datums und solche aus der BRD immer durch die gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen geprägt sind. Will man eine „neutrale“ Darstellung zur Wissenschaftsgeschichte der Ägyptologie konsultieren, wäre man auf das Who was who in Egyptology625 zurückverwiesen. Obwohl sich dieses ausschließlich auf biografische und bibliografische Grundinformationen beschränkt, sie ohne Wertung in alphabetischer An-
623
DREYER/POLZ (Hrsg.), Begegnung mit der Vergangenheit. WÖLFFLING, Untersuchungen. 625 BIERBRIER, Who was who in Egyptology. 624
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ordnung präsentiert und grundsätzlich alle Personen, die etwas mit der Erforschung des Alten Ägypten zu tun haben, auflisten will, ist auch dieser Arbeit der Vorwurf der Voreingenommenheit oder Unausgewogenheit nicht erspart geblieben. So könnte man zunächst darauf verweisen, dass Gelehrte aus dem englischsprachigen Raum überproportional stark vertreten sind. Weiterhin fällt auf, dass vor allem die Einträge solcher Personen, die im Rahmen des/der Egypt Exploration Fund/Society gewirkt haben, besonders umfangreich ausfallen.626 Und gerade die Beschränkung auf vermeintlich wertfreie „faktische“ Hintergrundinformation ist Anlass zu Kritik gewesen: „Works such as Who was Who tend to abstract science from its socio-political context and downplay national and personal rivalries. This makes it impossible to understand Egyptology as these scholars lived it.“627 Aufgrund der engen Verknüpfung von Ägyptologie und staatlicher Wissenschaftsförderung in Deutschland sind Arbeiten, die sich mit der Wechselwirkung zwischen Wissenschaft und Politik befassen, im deutschsprachigen Raum besonders häufig anzutreffen. Die Fokussierung auf die wechselseitige Abhängigkeit von Fachgeschichte und politischer Geschichte ist sogar ein Distinktionsmerkmal der deutschsprachigen Forschung auf dem Gebiet gegenüber internationalen Arbeiten, vor allem aus dem englischsprachigen Raum. Von diesen unterscheiden sich die deutschen Publikationen auch durch eine stärkere Konzentration auf Institutionengeschichte zu Lasten biografischer oder soziologischer Untersuchungsansätze. Ägyptologie wird in Deutschland vorrangig als klar umrissene Disziplin und als „Profession“ wahrgenommen,628 im englischsprachigen Raum tendenziell stärker als ein gesellschaftliches Phänomen.629
626
So ist denn z.B. die Frage zu stellen, ob H. Carter oder A. B. Edwards eine so große Bedeutung für die Fachgeschichte zukommt, dass dies derart umfangreiche Einträge rechtfertigen würde, oder ob zu J. Dümichen oder G. Ebers nicht mehr zu schreiben gewesen wäre. Vgl. auch: REID, Whose Pharaohs?, 10: „The first edition of the indispensable reference work Who was Who in Egyptology (1951) omitted the pioneering Egyptian Egyptologist Ahmad Kamal altogether, the second and third editions of this British work made good the slight, but the third edition (1995) accorded Kamal a scant 20 lines to Maspero’s 82 and Petrie’s 134. Maspero and Petrie were indeed giants, but Kamal’s low profile cries out for contextual explanation.“ Der Eintrag zu A. Kamal umfasst nun, in der vierten Auflage, immerhin eine halbe Seite. 627 REID, Whose Pharaohs?, 10. 628 Vgl. JONKER, Gelehrte Damen, Ehefrauen, Wissenschaftlerinnen, 150–154 und 162–164. 629 Vgl. z.B.: TRAFTON, Egypt Land; BUCHWALD/JOSEFOWICZ, The Zodiac of Paris; GANGE, Dialogues with the Dead.
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Hierbei wirken sich aber nicht nur andersgeartete Auffassungen über die Ägyptologie als Wissenschaft bzw. eine andere „Verfasstheit“ des jeweiligen akademischen Betriebs aus (vgl. Kap. 1.6.1.1.). Auch die andersgelagerten allgemeinen nationalhistorischen Hintergründe lassen deutschen Ägyptologiehistorikern die Auseinandersetzung mit den politischen Rahmenbedingungen (vgl. Kap. 2.2.4.) lohnend erscheinen, während dies bei britischen Kollegen vor allem für die „postkoloniale“ Dimension (vgl. Kap. 2.2.2.) des Themas gilt. Zu guter Letzt wirkt sich aber vor allem auch die unterschiedliche Einbettung der Ägyptologie in den jeweiligen akademischen Kontext aus: Während sie im englischsprachigen Raum als Teil einer anthropology begriffen wird,630 was im Deutschen mit den Kategorien der Kulturanthropologie oder noch besser der Kulturwissenschaft zu umschreiben wäre, ist Ägyptologie in Deutschland primär eine Altertumswissenschaft. Dieser Begriff ist eigentlich nicht ins Englische übersetzbar. Die Prägung durch die philologisch-historische Methode, 631 das Paradigma der klassischen Altertumswissenschaft632 und der Umstand, dass die Ägyptologie in Deutschland traditionell zwar viele inhaltliche Anknüpfungspunkte zu Nachbardisziplinen aufweist,633 aber bis jetzt kaum jemals kontinuierlich an einem übergeordneten kulturwissenschaftlichen Diskurs teilgenommen hat, 634 führen dazu, dass die Auffassung von Ägyptologie und die Herangehensweisen an ihre Untersuchung im deutschsprachigen und englischsprachigen Raum grundsätzlich verschieden ausfallen. In diesem Zusammenhang kann es als ein Glücksfall gewertet werden, dass 2010 und 2011 in London sowie in Leipzig jeweils Konferenzen zur Geschichte
630
Grundlegend und differenzierend: A. STEVENSON, The Object of Study. Egyptology, Archaeology, and Anthropology at Oxford, 1860–1960, in: Carruthers (Hrsg.), Histories of Egyptology, 19–33. 631 Vgl. MUHLACK, Von der philologischen zur historischen Methode, 154–180. 632 Vgl. MARCHAND, Down from Olympus. 633 Vgl. S. MORENZ, Die Ägyptologie im Kosmos der Wissenschaften, , 345–357; LOPRIENO, Interdisziplinarität und Transdisziplinarität, 227–240. 634 Vgl. ASSMANN, Ägyptologie im Kontext der Geisteswissenschaften, 340: „Das Projekt einer theoretisch fundierten Kultursoziologie oder Kulturanthropologie hat sich in Deutschland bis heute nicht durchsetzen und etablieren können“; vgl. CH. AUFFARTH, Ein Gesamtbild der antiken Kultur. Adolf Erman und das Berliner Modell einer Kulturwissenschaft der Antike um die Jahrhundertwende 1900, in: Schipper (Hrsg.), Adolf Erman (1854– 1937) in seiner Zeit, 396–432.
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der Ägyptologie abgehalten wurden, 635 deren Beiträge 2013 und 2015 in Sammelbänden veröffentlicht worden sind.636 Schon die Titel dieser Publikationen deuten einen anders gelagerten Forschungsansatz an: Während der englische Band „Geschichte“ in den Plural setzt und die Interdisziplinarität betont (Histories of Egyptology. Interdisciplinary Measures), hebt der deutsche Band die Möglichkeit verschiedener Definitionen von Ägyptologie und den unmittelbaren Bezug zur politischen Geschichte hervor (Ägyptologen und Ägyptologien zwischen Kaiserreich und Gründung der beiden deutschen Staaten“). Letzterer klassifiziert das Fach im Untertitel aber eindeutig als Altertumswissenschaft, deren wissenschafts- bzw. erkenntnistheoretischen Grundlagen nachgegangen werden soll (Reflexionen zur Geschichte und Episteme eines altertumswissenschaftlichen Fachs). Interessant sind in diesem Zusammenhang zwei Einlassungen in den Grundsatzbeiträgen von DAVID GANGE637 und WILLIAM CARRUTHERS638 in dem Londoner Band. Gange erscheint die isolierte Betrachtung der Ägyptologie als einer nach außen vermeintlich klar abzugrenzenden Disziplin grundsätzlich problematisch: „In studies of the history of Egyptology, the discipline can often appear to have been created and developed in a hermetic compartment, separated cleanly from its surroundings and isolated in purely disciplinary space. Text without context, it seems to require theorizing only in its own terms, amenable to explanation only through its internal dynamics irrespective of the complex relations between Egyptology and society.”639
635 Vgl. die Homepage der SOAS an der University of London: „Disciplinary Measures? Histories of Egyptology in Multi-Disciplinary Context“: https://www.soas.ac.uk/cclps/cclpsconference/10jun2010-disciplinary-measures-histories-of-egyptology-in-multi-disciplinary-context.html; und der Universität Leipzig: „Ägyptologen und Ägyptologie(n) zwischen Kaiserreich und der Gründung der beiden deutschen Staaten (1871 bis 1949)“: http://www.zv.unileipzig.de/service/presse/nachrichten.html?ifab_modus=detail&ifab_id=4193 [12.2.2016]. 636 Vgl. CARRUTHERS (Hrsg.), Histories of Egyptology; BICKEL et al. (Hrsg.), Ägyptologen und Ägyptologien. 637 Vgl. die Angaben auf der Homepage der University of Birmingham: http://www.birmingham.ac.uk/staff/profiles/history/gange-david.aspx [12.2.2016]. 638 Vgl. die Angaben auf der Homepage des Max Weber Programme for Postdoctoral Studies: http://www.eui.eu/ProgrammesAndFellowships/MaxWeberProgramme/People/MaxWeberFellows/Fellows2014-2015/CARRUTHERS.aspx [12.2.2016]. 639 D. GANGE, Interdisciplinary Measures. Beyond Disciplinary Histories of Egyptology, in: Carruthers (Hrsg.), Histories of Egyptology, 64.
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Zwar benennt der Leipziger Band „Ägyptologien“ (im Plural), ohne darauf im Vorwort der Herausgeber640 weiter einzugehen, klassifiziert diese aber in jedem Fall als ein „altertumswissenschaftliches Fach“. Dadurch werden zwar gewisse Interpretationsspielräume eingeräumt, was alles „Ägyptologie“ sein kann, aber im Grunde doch eine eindeutige Zuordnung in den Bereich der Altertumswissenschaften vorgenommen, der daraufhin in seiner wechselseitigen Beziehung zu Politik und Ideologie untersucht werden soll. Dem lässt sich eine Bemerkung von Carruthers, allerdings bezogen auf eine andere deutschsprachige Publikation zum Thema, gegenüberstellen: „This binary is manifest in a recent […] lengthy piece by Thomas Schneider (2012)641 on the relationship between German Egyptologists and the Nazi regime. […]. Schneider details the biographies of these individual [Egyptologists] with view to understanding the relationship between their scholarly work and the wider political discourse […] in Germany. What emerges from this discussion […], is a recounting of the evidence for and against the links between two stable worlds: […] of German Egyptology […] and another of National Socialism. In this frame, the implication […] is that Egyptology is at heart a ,pureʻ discipline.“642 Zwar waren die Veranstalter der Konferenz in Leipzig bereit, verschiedene Definitionen von Ägyptologie zu erwägen, allerdings haben auch sie die Ägyptologie in einem „Spannungsfeld“ von (Altertums-)Wissenschaft einerseits und Politik und Ideologie andererseits verortet. Unter Berufung auf den Eröffnungsredner der Tagung, den Wissenschaftshistoriker STEFAN REBENICH, heißt es dazu im Vorwort: „Deutsche Ägyptologen und ägyptologische Institutionen in der Zeit des Nationalsozialismus sind ein prävalentes Thema des Bandes, doch nicht sein einziges. Der integrative Ansatz Rebenichs, der die Kontinuitäten in der Fachgeschichte von der Vor- bis zur Nachkriegszeit berücksichtigt, liegt auch unserer Aufsatzsammlung mir ihrem chronologischen Rahmen 1871/1949 zugrunde, besteht doch das Spannungsfeld von Wissenschaft und Politik über politische 640
BICKEL et al. (Hrsg.), Ägyptologen und Ägyptologien, 7–10. Vgl. SCHNEIDER, Ägyptologen im Dritten Reich, 120–247; Carruthers bezog sich auf die frühe Veröffentlichung desselben Beitrags im Journal of Egyptian History 5.1–2, 2012, 120– 247. Thomas Schneider hat seine Ergebnisse auch auf der Konferenz in Leipzig vorgestellt, von einer Publikation in dem Tagungsband jedoch abgesehen, weil er sie bereits an anderer Stelle publiziert hatte. 642 W. CARRUTHERS, Thinking about Histories of Egyptology, in: Ders. (Hrsg.), Histories of Egyptology, 3f. 641
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Zäsuren und Reiche hinweg, wie natürlich auch die Biographien der Akteure und die Routine der Institutionen.“643 Die Betonung liegt auf „Kontinuität“ des Spannungsverhältnisses zwischen Fach- und politischer Geschichte. Die Betrachtungsweise dieser beiden Pole erfolgt parallel. Demgegenüber wäre der englische Ansatz als integrativ, nicht konfrontierend zu charakterisieren, und zwar in dem Sinne, dass die Fachgeschichte nicht exklusiv in „ihrer“ historischen Betrachtung isoliert und die historische Fragestellung über die politische Geschichte hinaus erweitert wird. Gange hat recht, wenn er die isolierte Betrachtung der Fachgeschichte als ein abgeschlossenes System kritisiert. Auch die Warnung von Carruthers, dass die Gegenüberstellung von politischer und Wissenschaftsgeschichte zu der irrigen Annahme verleitet, man könne eine „reine“ Wissenschaft isolieren, die noch dazu in ihrem „Kern“ über die Zeitläufte Bestand hat, besitzt ihre Berechtigung. Andererseits bedeutet der „englische“ Ansatz, dass die Ägyptologie als Untersuchungsgegenstand diffus erscheint und auf die Rolle eines Fallbeispiels im Kontext einer breiter angelegten Sozialgeschichte reduziert wird; Ägyptologie oder auch Ägyptomanie (wobei es dann nicht mehr so sehr auf eine Differenzierung ankommt) werden hier als Phänomene einer gesamtgesellschaftlichen Entwicklung wahrgenommen und sind in diese eingebettet. Keiner der beiden hier vorgestellten Ansätze ist grundsätzlich richtig oder falsch. Beide bergen Risiken, und beide sind durch die unterschiedlichen akademischen Kulturen und anders gearteten geschichtlichen Erfahrungen geprägt: Ein britischer Ägyptologiehistoriker muss sich nicht so sehr mit staatlicher Einflussnahme auf einen ganz grundsätzlich weniger stark institutionalisierten Untersuchungsgegenstand befassen, der noch dazu wesentlich auf private Initiative angewiesen war und nur vor dem Hintergrund gesellschaftlicher (religiöser) Debatten und kolonialpolitischer Interessen richtig einzuordnen ist. Sein deutscher Kollege hingegen hat den Vorteil einer klar umrissenen, fest etablierten akademischen Disziplin, die zwar einerseits nicht unmittelbar staatlichen Zwecken dienstbar gemacht worden ist, sich aber andererseits hauptsächlich erst im Rahmen staatlich finanzierter Institutionen entfalten konnte. Jenseits solcher, durchaus anspruchsvoller Fragen der theoretischen Grundlagen einer Auseinandersetzung mit der Geschichte der Ägyptologie soll zum Abschluss dieses Abschnittes auch noch eine Auseinandersetzung mit populärwissenschaftlichen Darstellungen zur Fachgeschichte erfolgen. Dies zum 643
BICKEL et al. (Hrsg.), Ägyptologen und Ägyptologien, 9.
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einen, gerade weil die Grenzen für eine entsprechende Definition und Kategorisierung fließend sind (so vertreten manche Wissenschaftler etwa die Ansicht, Biografien seien grundsätzlich eher populärwissenschaftliche Untersuchungen); zum anderen weil auf dem früher in der Ägyptologie unterschätzten Gebiet der Wissenschaftsgeschichte (vgl. VORWORT) lange Zeit Arbeiten mit populärwissenschaftlichem Zuschnitt entstanden sind. Die Bandbreite der hierbei vorzustellenden Veröffentlichungen reicht von Ausstellungskatalogen, die zwar auf wissenschaftlicher Grundlage verfasst, aber an ein breiteres Publikum adressiert sind, bis hin zu dezidiert populärwissenschaftlichen Veröffentlichungen oder Coffee-Table-Books, die einer eher „leichten Lektüre“ dienen. Es gilt erneut zu betonen, dass die hier vorgestellten Arbeiten nicht abgewertet werden sollen – der Begriff „populärwissenschaftlich“ also ausdrücklich nicht pejorativ gebraucht wird. Weiterhin sei noch einmal an die eingangs vorgenommene Eingrenzung des Betrachtungsgegenstandes in diesem Abschnitt erinnert (s.o.): Nicht die Inhalte der Publikationen, sondern ihre Herangehensweise an das Thema sollen hier erörtert werden. Bei den Ausstellungskatalogen stellt sich zunächst das Problem, dass Wissenschaftsgeschichte darin zumeist nur einen Teilaspekt bildet, mitunter der Anlass aber selten das zentrale Thema der Ausstellung ist. Als ein Beispiel sei hier der Katalog der Ausstellung zum 100-jährigen Jubiläum der Entdeckung der Nofretete-Büste in Amarna, herausgegeben vom Ägyptischen Museum Berlin, angeführt.644 Der Wissenschaftshistoriker muss dabei bedauernd feststellen, dass sowohl in der Ausstellung als auch – trotz zum Teil hochkompetenter Beiträge – im Katalog die Chance zu einer umfassenden wissenschaftshistorischen Aufarbeitung der Forschungsgeschichte dieses Grabungsplatzes vertan wurde. Wissenschaftsgeschichte wurde nicht als ein geeignetes Hauptthema einer Ausstellung begriffen.645 Dass man Archäologiegeschichte in einer Ausstellung attraktiv präsentieren kann, hatte zuvor die Ausstellung „Das Große Spiel. Archäologie und Politik“ im Ruhrmuseum Essen eindrücklich bewiesen.646 Allerdings wird in dem zu-
644
F. SEYFRIED (Hrsg.), Im Licht von Amarna. 100 Jahre Fund der Nofretete, Petersberg 2012. 645 Vgl. T. GERTZEN, In the Light of Amarana. Centenary of the Nefertiti Bust Discovery Exhibition at the Berlin Egyptian Museum, in: KMT. A Modern Journal of Ancient Egypt 24.1, 2013, 18–35, bes. 31–35. 646 Vgl. TRÜMPLER (Hrsg.), Das große Spiel.
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gehörigen Ausstellungskatalog auch das Dilemma deutlich, die in den einzelnen Beiträgen diskutierten Fallbeispiele in einen übergeordneten und nicht zu komplizierten interpretativen Rahmen einzuordnen: in diesem Fall das Spannungsverhältnis zwischen archäologischer Wissenschaft einerseits und Kolonialpolitik andererseits, wobei sowohl weitgespannte wissenschaftliche Betrachtungsräume in der Archäologie als auch die Politik der verschiedenen Kolonialmächte in unterschiedlichen Regionen zusammengefasst präsentiert wurden. Dadurch wird eine bemerkenswerte Synthese erreicht, der Grad der Differenziertheit der Darstellung nimmt dabei allerdings zwangsläufig ab. Im Bereich der Coffee-Table-Books ist der von NICHOLAS REEVES publizierte Band Ancient Egypt. The Great Discoveries647 hervorzuheben. Darin werden, in chronologischer Reihenfolge, einige der herausragendsten archäologischen Entdeckungen und die an ihnen beteiligten Wissenschaftler vorgestellt. Wie für diese Publikationsgattung üblich, ist der Band reich bebildert, enthält dementsprechend weniger Text und bietet einen kursorischen Überblick. Ägyptologenbiografien und „Entdeckungsgeschichten“ begeistern ein großes Publikum und werden, nach Übersetzungen englischsprachiger Publikationen, 648 inzwischen auch von deutschen Fachautoren verfasst.649 Die Auswahl der behandelten Fallbeispiele und auch die Art der Darstellung sind dabei immer auch an den Interessen einer erfolgreichen Vermarktung orientiert. Einordnungen in einen übergeordneten wissenschaftsgeschichtlichen Kontext fallen meist eher schlicht aus. Dennoch sollte man auch diese Publikationen wegen ihres potentiellen Informationsgehalts durchaus konsultieren, in der Regel erfüllen sie jedoch nicht den Anspruch an eine disziplingeschichtliche Sekundärliteratur. 2.1.7. Oral History und die Arbeit mit Zeitzeugen In aller Regel müssen (Wissenschafts-)Historiker die Vergangenheit aus deren materiellen Hinterlassenschaften bzw. textlichen Zeugnissen rekonstruieren. Im Bereich der Neuesten Geschichte und Zeitgeschichte jedoch stehen ihnen mitunter die Berichte von Zeitzeugen zur Verfügung. Der Vorteil dieser Quellengruppe ist evident: Zeitzeugen können auf gezielte Fragen antworten und gegebenenfalls auf Nachfragen eingehen sowie Unklarheiten ausräumen helfen.
647
REEVES, Ancient Egypt. Vgl. J. TYLDESLEY, Egypt. How A Lost Civilisation Was Rediscovered, London 2006. 649 Vgl. BECKH/NEUNERT, Die Entdeckung Ägyptens. 648
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Wichtig zu betonen ist, dass die sogenannte Oral History den übrigen Quellen keineswegs überlegen oder ein Ersatz für diese ist. Auch muss die durch sie gewonnene Information genauso einer Quellenkritik unterzogen werden. Zeitzeugen sind keine Historiker.650 Sie werden zu ihren subjektiven Eindrücken und Erinnerungen befragt. Neben dem Vergessen, der bewussten Nicht-Erwähnung, der Beschönigung oder Verunglimpfung, bis hin zu gezielter Falschdarstellung oder Lüge muss man in den Stellungnahmen von Zeitzeugen all jene Möglichkeiten gewärtigen wie in anderen Selbstzeugnissen (vgl. Kap. 2.1.1.) auch. Dabei kommt aber immer noch ein weiteres Phänomen zum Tragen: Hat man etwas vergessen oder stellt man einen Sachverhalt falsch dar, muss man sich dessen nicht immer bewusst sein. Der Zeitzeuge kann in gutem Glauben falsche Angaben machen und von diesem Umstand, wird er ihm aufgezeigt, ehrlich überrascht sein. Der Sozialpsychologe HARALD WELZER drückte dies folgendermaßen aus: „Geschichte und Erinnerung sind zwei grundverschiedene Dinge. Während die Geschichtsschreibung eine möglichst objektive Wahrheit sucht und dabei ausgefeilte Techniken der Quelleninterpretation entwickelt hat, bezieht sich Erinnerung immer auf die Identität desjenigen, der sich erinnert. Er behält im Gedächtnis, was für ihn selbst und vor allem für die eigene Gegenwartsbewältigung wichtig ist. Erinnerungen an historische Ereignisse sind collageartige Gebilde, die sich aus vielen Quellen speisen.“651 Dabei muss man sich die Verfälschung der Erinnerung nicht nur als einen Löschungs- oder Verlustprozess vorstellen, mitunter werden auch Informationen aus anderen Quellen in die eigene Erinnerung integriert; Welzer schreibt hierzu: „‚False Memories‘ können sich aus ganz unterschiedlichen Quellen speisen, die jenseits des selbst erlebten liegen: Erzählungen anderer Personen, Romane, Dokumentar- und Spielfilme oder auch Erträumtes und Fantasiertes.
650
Vgl. D. WIERLING, Zeitgeschichte ohne Zeitzeugen. Vom kommunikativen zum kulturellen Gedächtnis – drei Geschichten und zwölf Thesen, in: BIOS 21.1, 2008, 28–36. 651 H. WELZER, Erinnerungen. Wie das Gehirn Geschichte fälscht, in: SPIEGEL.ONLINE, 12.5.2005: http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/erinnerungen-wie-das-gehirn-geschichte-faelscht-a-355525.html [13.2.2016]; s.a. H.-J. MARKOWITSCH, H. WELZER, Das autobiographische Gedächtnis. Hirnorganische Grundlagen und biosoziale Entwicklung, Stuttgart 2005; R. POHL, Das autobiographische Gedächtnis. Die Psychologie unserer Lebensgeschichte, Stuttgart 2007.
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Dieses Phänomen heißt ‚Quellenamnesie‘, weil das Ereignis als solches korrekt erinnert wird, aber die Quelle verwechselt, aus der die Erinnerung stammt.“ Als ein Beispiel hierfür sei ein Erlebnis des Neurologen OLIVER SACKS angeführt, der in seiner Autobiografie652 „seine“ Erinnerungen an die deutschen Bombenangriffe auf London im Winter 1940/41 schilderte. Dabei beschrieb er zwei Bombennächte, über die er sich, nach der Veröffentlichung der Autobiografie, mit seinem fünf Jahre älteren Bruder Michael unterhielt. Dieser bestätigte die Schilderung des ersten Bombenangriffs, sagte aber, dass sie beide den von Oliver beschriebenen zweiten Bombenangriff nicht selbst erlebt hätten. Wie sich herausstellte, waren die beiden Brüder zu diesem Zeitpunkt definitiv nicht in London gewesen, hatten aber eine sehr eindrückliche Beschreibung in einem Brief durch ihren ältesten Bruder David erhalten. Oliver hat diese Schilderung so beeindruckt, dass er sie als „eigene“ Erinnerung behalten hat.653 Ein weiterer nicht zu vernachlässigender Faktor ist das Alter des Zeitzeugen. Das sogenannte autobiografische Gedächtnis eines Menschen entwickelt sich erst ab dem dritten Lebensjahr, und erst zum Ende der Adoleszenz ist es voll entwickelt. Als junge Erwachsene sammeln wir die meisten Erinnerungen an, sogenannte „Reminiscence Bumps“ oder Erinnerungsberge.654 Die meisten Ägyptologen haben, erfahrungsgemäß, auch besonders viele und detaillierte Erinnerungen an ihre Studienzeit – zum einen, weil es sich ganz sicher um eine besonders prägende Phase in ihrem Leben handelt, zum anderen aber eben auch, weil die neurophysiologischen Voraussetzungen hierfür besonders günstig sind. Speziell im Kontext der Fachgeschichte im „Dritten Reich“ von Interesse sind sogenannte „Erinnerungskonflikte“. Selbst dann, wenn anderslautende Information vorliegt oder sogar die Betroffenen selbst Fehlverhalten eingeräumt haben, kann es vorkommen, dass ihnen nahe stehende Vertreter einer jüngeren
652
O. SACKS, Uncle Tungsten: Memories of a Chemical Boyhood, New York 2001. Vgl. O. SACKS, Speak, Memory, in: New York Times Review of Books, 21.2.2013: http://www.nybooks.com/articles/2013/02/21/speak-memory [13.2.2016]; mehr solcher Erfahrungen von Autobiografen jüngst zusammengestellt und untersucht in: M. KARR, The Art of Memoir, New York 2015; hierzu: G. COWLES, Review: The Art of Memoir by Mary Karr, in: The New York Times Sunday Book Review, 23.10.2015: http://www.nytimes.com/2015/10/25/books/review/the-art-of-memoir-by-mary-karr.html?_r=0 [13.2.2016]. 654 WELZER, Erinnerungen. 653
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Generation das genaue Gegenteil behaupten, z.B. einen überzeugten Antisemiten zum Helden des Widerstands stilisieren. Das menschliche Bedürfnis, die eigene Großelterngeneration – wobei auch akademische Lehrer in diese Rolle schlüpfen können – in „guter Erinnerung“ zu haben, wird zum bestimmenden Faktor für die persönliche Erinnerungskultur. Während man also durchaus die Verbrechen des Nationalsozialismus anzuerkennen und zu verdammen bereit ist, liegen die Erinnerungsakzente im persönlichen Umfeld eher auf dem selbst oder von nahestehenden Personen ertragenen Leid, wobei kompromittierende Erinnerungen ausgeblendet oder sogar verleugnet werden.655 Diese einschränkenden oder besser bei der Arbeit mit Zeitzeugen zu berücksichtigenden Faktoren sollten den Wissenschaftshistoriker jedoch nicht entmutigen. In der Ägyptologie hat es bereits erste Ansätze für Oral History-Projekte gegeben, so z.B. bei der Egypt Exploration Society.656 Die Bandbreite der dort geführten Interviews reicht von Fragen archäologischer Methodik, über bestimmte Verfahrensweisen, etwa im Bereich der Fundteilung bis hin zu eher anekdotischen Erinnerungen einzelner Ägyptologen zur Geschichte ihrer jeweiligen Forschungsprojekte. Ein weiteres Oral History-Projekt ist am Ägyptologischen Institut – Georg Steindorff – in Leipzig begonnen worden. Ausgehend von einem eher lokalhistorischen, d.h. die Ägyptologie in Leipzig fokussierenden Ansatz, wurde das Projekt um die Fragestellung bzw. die Zielsetzung erweitert, die Geschichte der Ägyptologie in der DDR zu erforschen. Bei der praktischen Umsetzung von Oral History bzw. der Zeitzeugenarbeit sind zahlreiche Dinge zu berücksichtigen. Mit einem ,netten Gesprächʻ zwischen dem Zeitzeugen und dem interviewenden Historiker ist es nicht getan, wobei eine angenehme und vertrauenswolle Gesprächsatmosphäre sicher eine wesentliche Grundlage für eine erfolgreiche Zeitzeugenarbeit darstellt. Hierzu muss zunächst auch eine gewisse Distanz zwischen den Vertretern verschiedener Generationen überbrückt werden, denn in der Regel ist der Zeitzeuge älter als sein Gesprächspartner. Weiterhin kann es auch Vorbehalte seitens des Zeitzeugen als Ägyptologen gegenüber dem Interviewer als Historiker
655
Vgl. H. WELZER, K. TSCHUGNALL, S. MOLLER, „Opa war kein Nazi“. Nationalsozialismus und Holocaust im Familiengedächtnis, Frankfurt a.M. 2002. 656 Vgl. CH. NAUNTON, The EES Oral History Project, in: Egyptian Archaeology 36, 2010, 3–5: http://www.ees.ac.uk/userfiles/file/EA36pp3_5Naunton.pdf; erste Ergebnisse in Form von YouTube-Videos auf: https://www.youtube.com/user/EgyptExplorSociety [14.2.2016].
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geben. In der Praxis kann es nämlich vorkommen, dass der Wissenschaftshistoriker mit der Überzeugung des Zeitzeugen konfrontiert wird, nur jemand, der selbst miterlebt hätte, worum es in dem Interview geht, könne dies richtig einschätzen bzw. die richtigen Fragen stellen. 657 Hier könnte man zunächst mit einem Zitat von MAXIM GORKIJ kontern, der sagte: „Man muß nicht in der Bratpfanne gelegen haben, um über ein Schnitzel zu schreiben.“ Dass man so aber das Vertrauen und die Sympathie eines Zeitzeugen gewinnt, ist eher unwahrscheinlich, es sei denn, die betreffende Person hat Humor. Es bleibt daher festzuhalten, dass der Umgang mit Zeitzeugen von vornherein eine gewisse Menschenkenntnis und Sensibilität erfordert. In letzter Konsequenz sollte der Historiker aber auch lieber auf ein Interview verzichten, wenn „die Chemie“ mit dem Zeitzeugen einfach „nicht stimmt“. Der Zeitzeuge soll seine Eindrücke und Erinnerungen berichten, sein Leben erzählen. Dies ist eine sehr persönliche Angelegenheit, wobei die Interviewinhalte später öffentlich zugänglich gemacht und wissenschaftlich ausgewertet werden. Damit sind Fragen zu privaten Angelegenheiten von vornherein praktisch ausgeschlossen. In der Regel besitzen diese ja auch allenfalls mittelbar Relevanz für wissenschaftsgeschichtliche Fragestellungen. Das Interview muss aufgezeichnet werden, entweder in Form einer Tonaufnahme oder sogar im Film. Diese Aufzeichnungen dienen später als Dokumentation der Interviewinhalte und des Interviewverlaufs. Sie sind als Quelle allerdings nicht unmittelbar zu verwenden. Obwohl eine Aufzeichnung grundsätzlich ja auch die Überprüfung der Wiedergabe der Aussagen und Interviewinhalte ermöglicht, kann es dem Historiker auch passieren, dass ein Zeitzeuge sich gegen eine Aufzeichnung ausspricht, weil diese „ja manipuliert werden kann“. Das ist sicher unbestreitbar richtig. Eine solche Aussage seitens des Zeitzeugens ist aber auch ein untrügliches Zeichen dafür, dass das für ein Interview erforderliche Vertrauensverhältnis nicht besteht. Der Historiker sollte sich höflich für die Bereitschaft zur Zusammenarbeit bedanken und auf das Interview verzichten. Zur Beruhigung des Zeitzeugen und zur Entlastung des Historikers empfiehlt es sich, dem Zeitzeugen unmittelbar nach Beendigung des
657 Zur Ägyptologie in der DDR vgl.: M. SABROW, Die DDR erinnern, in: Ders. (Hrsg.), Erinnerungsorte der DDR (Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung 1116), Bonn 2010, 9–25; dabei muss man auch das Phänomen einer staatlich kontrollierten Zeitzeugenschaft bzw. einer „Geschichtspolitik“ berücksichtigen; vgl. hierzu: D. WIERLING, Lob der Uneindeutigkeit. Zeitzeugenschaft und Deutungskonflikte nach dem Ende der DDR, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 3, 2008, 103–113.
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Grundlagen der Forschung
Interviews eine Kopie der Aufzeichnung zu überlassen, mit der sich beide Seiten auf eine unbearbeitete Dokumentation der Interviewinhalte berufen können. Eine Bearbeitung bzw. Aufbereitung ist dann allerdings dringend geboten. Filmaufnahmen müssen geschnitten und Übergänge gestaltet werden, will man die Aufzeichnung als YouTube-Video ins Netz stellen. Längere Interviews eignen sich hierfür weniger gut. Der Zeitzeuge und sein Gesprächspartner ermüden im Verlauf des Interviews, weshalb spätestens nach ca. einer Stunde Gesprächsdauer Pause gemacht werden sollte. Zudem wird eine Nachbearbeitung für die Veröffentlichung der Aufzeichnung immer aufwendiger, je länger das Interview gedauert hat. Für eine ausführlichere Zeitzeugenbefragung ist daher eine Tonaufzeichnung besser geeignet. Hier gehen zwar bestimmte Informationen, wie etwa die Mimik und Körpersprache des Befragten, verloren, dafür ist dieser aber auch weniger angespannt, weil er sich nicht um seine „Wirkung“ vor der Kamera sorgen muss. Auch die Tonaufzeichnung könnte später nachbearbeitet und geschnitten werden, um dann aber immer noch Denkpausen, Zögern, Räuspern und Formulierungsschwierigkeiten zu dokumentieren. Abgesehen davon, dass die Auswertung solcher Gesprächselemente eine hohe Kompetenz erfordert, wenn sie nicht zur „Küchenpsychologie“658 verkommen will, sollte man auch immer erwägen, ob der Zeitzeuge einer solchen „Analyse“ seiner Person zustimmen würde oder – in dem Bemühen, sich nicht durch entsprechende Reaktionen zu „verraten“ – nicht sogar vollkommen verkrampft. Daher empfiehlt sich die Verschriftlichung der Interviewinhalte. Die Transkription einer Interviewaufzeichnung kann die Ausdrucksweise, Wortwahl und charakteristische Formulierungen festhalten. Im Kontext von Interviews zur Geschichte der Ägyptologie in der DDR659 fallen dabei auch bestimmte Eigenheiten der Sprache auf,660 etwa wenn der Mauerbau mit den Worten „‘61 658 Vgl. H.-P. NOLTING, Abschied von der Küchenpsychologie. Das wichtigste für Ihre psychologische Allgemeinbildung, Berlin 2012. 659 Allgm. hierzu: J. STAADT, Es darf gefragt werden. Eine Oral-History-Reise in die DDR und zurück, in: Horch und Guck 54, 2006, 16–19: http://www.horch-und-guck.info/hug/archiv/2004-2007/heft-54/05404-staadt [15.2.2016]; CH. ERNST, Zeitzeugen der DDR-Geschichte – Überwältigungsrisiko oder Potential für Multiperspektivität, in: Bildungswerk der Humanistischen Union – Zeitpfeil-Studienwerk Berlin-Brandenburg (Hrsg.), Zeitzeugenarbeit zur DDR-Geschichte. Historische Entwicklungslinien – Konzepte Bildungspraxis (Werkhefte für politische Bildung 10), Potsdam 2012, 2–6. 660 Vgl. M. W. HELLMANN, Divergenz und Konvergenz – sprachlich-kommunikative Folgen der staatlichen Trennung und Vereinigung Deutschlands, in: K. Eichhoff-Cyrus, R. Hoberg (Hrsg.), Die deutsche Sprache zur Jahrtausendwende – Sprachkultur oder Sprachverfall, Mannheim 2000, 247–275; J. EIK, DDR-Deutsch. Eine entschwundene Sprache, Berlin 2010.
Von der Quellenkunde zur Quellenkritik – ein Denkanstoß
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kam die Grenze“ beschrieben wird oder es heißt: „der Altkaderbestand der Akademie war politisch wenig beeinflusst.“ Solche Formulierungen sind durchaus indikativ. Bei ihrer linguistisch-historischen Interpretation sollte man aber ebensolche Vorsicht walten lassen wie bei anderen „Subtexten“. Die Verschriftlichung ermöglicht es allerdings auch, dem Interviewten eine Textfassung der Interviewinhalte zur Kontrolle und Durchsicht vorzulegen. Er kann dann nachträglich Korrekturen, Streichungen und Ergänzungen vornehmen. Sind diese umgesetzt, liegt eine autorisierte Fassung des Interviews vor. Sie kann archiviert und als Quelle für zukünftige Forschung genutzt werden. Auch bei der Vorbereitung des Interviews ist eine gewisse Textarbeit dringend angeraten. Der Interviewer sollte sich selbst zunächst darüber klar werden, welche Fragen er stellen möchte. 661 Hat er diese verschriftlicht und eine sinnvolle Reihenfolge festgelegt, kann er dem Interviewten diesen Fragenkatalog vorab zur Verfügung stellen. Ein Interview im Bereich der Oral History ist kein „Verhör“. Gerade im Interesse einer vertrauensvollen Gesprächsatmosphäre (s.o.) sollte der Interviewte die Gelegenheit haben, sich auf die Fragen vorzubereiten. Dies hat dann den weiteren Vorteil, dass womöglich bestimmte Hintergründe und Fakten von dem Befragten vorab noch einmal verifiziert oder sogar entsprechende Unterlagen zu dem Interview mitgebracht werden können. Auch der beiderseitige Aufwand für die Transkription bzw. Nachbearbeitung der Textfassung fällt dann erfahrungsgemäß geringer aus. Nachdem man also die Rahmenbedingungen des Interviews geklärt, einen Fragenkatalog erstellt, ihn dem Interviewpartner zur vorherigen Durchsicht vorgelegt, ein Aufzeichnungsgerät bereitgestellt und einen Gesprächstermin vereinbart hat, kann es losgehen. Der Fragenkatalog gibt einen bestimmten Gesprächsablauf vor. Allerdings sind beide Seiten nicht sklavisch daran oder an die Abarbeitung aller Fragen gebunden. Gerade wenn man mehrere Personen zu dem gleichen Oberthema befragt, empfiehlt sich zwar einerseits die Verwendung eines standardisierten Fragebogens, es muss aber andererseits auch auf individuelle Abweichungen geachtet, bzw. diese im Gespräch berücksichtigt werden.
661
Vgl. ein dezidiert wissenschaftshistorisches „Frageraster“ in: KOCKA/MAYNTZ (Hrsg.), Wissenschaft und Wiedervereinigung. Disziplinen im Umbruch, 527–529.
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Grundlagen der Forschung
Grundsätzlich lässt sich der Ablauf eines Interviews mit ALEXANDER VON PLATO in vier Phasen unterteilen:662 (1) Die erste (offene) Phase: Darin soll der Interviewte zum Sprechen gebracht werden und möglichst frei und unbefangen einen eigenen Einstieg in das Interviewthema wählen dürfen. Plato schreibt hierzu: „Das Ziel dieser ersten offenen Phase besteht darin, dass die Interviewpartner die Bereiche, Zusammenhänge und Einzelheiten ihrer Geschichte so hervorheben und in Beziehung setzen können, wie sie es möchten, oder auch in spontanen Assoziationsketten erzählen dürfen – ohne störende Unterbrechung durch unsere Fragen.“663 (2) Die zweite (nur klärende) Phase: Nun werden etwaige Unklarheiten beseitigt, Nachfragen zum bisher Gesagten gestellt und daran angeknüpft. (3) Die dritte Phase (für offene Fragen): Jetzt erfolgt der Einstieg in die Beantwortung des Fragenkatalogs. Dabei sollten die Antworten den weiteren Gesprächsverlauf mit bestimmen und, wo es sinnvoll erscheint, von der zuvor bestimmten Reihenfolge abgewichen werden. (4) Die vierte Phase (für kritische Punkte): Nachdem man sich zunächst behutsam vorgearbeitet hat und – hoffentlich – eine entspannte Gesprächsatmosphäre geschaffen worden ist, kann nun dazu übergegangen werden, auch kritische Nachfragen zu stellen oder womöglich sensiblere Themen anzusprechen. Es hilft dabei, wenn bereits im Fragenkatalog erkennbar wird, dass man dem Interviewten seinerseits die Möglichkeit zur Kritik an der Interviewführung bzw. der Art der Fragestellung einräumen will und man ihm darüber hinaus auch die Möglichkeit zu einer abschließenden Bemerkung, zum „letzten Wort“ lässt. Ein Vorhaben zur Oral History erfordert also einen beachtlichen konzeptionellen und arbeitsmäßigen Aufwand. Im Schnitt dauert ein Interview ein bis zwei Stunden. Die für die Transkription der Interviewaufzeichnung erforderliche Arbeitszeit beträgt erfahrungsgemäß das Vierfache der Dauer der Aufzeichnung, also etwa vier bis acht Stunden. Danach muss der Interviewte das Tran-
662
Vgl. A. VON PLATO, Interview-Richtlinien, in: Ders., A. Leh, Ch. Thonfeld (Hrsg.), Hitlers Sklaven. Lebensgeschichtliche Analysen zur Zwangsarbeit im internationalen Vergleich, Wien 2008, 446–448. 663 Ebenda, 446.
Geschichte, Wissenschaftsgeschichte und Ägyptologie
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skript durchsehen und korrigieren, der Historiker es entsprechend nachbearbeiten und zur endgültigen Abnahme vorlegen. Erst dann können eine Archivierung und damit die Zugänglichmachung für die Forschung erfolgen. 2.2.
Geschichte, Wissenschaftsgeschichte und Ägyptologie
Wie bereits im einleitenden Kapitel ausgeführt worden ist, bewegt sich die Wissenschaftsgeschichte der Ägyptologie nicht im „luftleeren Raum“. Dabei weist die Wissenschaftsgeschichte grundsätzlich eine Reihe von Bezügen und Abhängigkeiten zu verwandten Disziplinen auf, und ihr hier behandelter Forschungsgegenstand, die Ägyptologie, steht im Kontext übergeordneter Fragestellungen. Ein Einführungswerk wie das vorliegende kann niemals alle diese Bezüge erschöpfend abhandeln. In diesem und den nachfolgenden Teilkapiteln sollen daher lediglich die wichtigsten Forschungsdiskurse, die für die Disziplingeschichte der Ägyptologie von Bedeutung sind oder in denen die Ägyptologie eine Rolle spielen kann, kurz vorgestellt werden. Der Leser wird hierbei auf die weiterführenden Literaturangaben in den Fußnoten verwiesen, die aber gleichfalls keinen Anspruch erheben können, eine erschöpfende Bibliografie des jeweiligen Themenfeldes zu sein. Zum Verhältnis von Geschichtswissenschaft und Wissenschaftsgeschichte hat sich die Wissenschaftshistorikerin LORRAINE DASTON grundsätzlich geäußert und dabei auch hervorgehoben, dass beide Fachrichtungen lange Zeit eher nebeneinander als miteinander geforscht haben. Hierfür macht sie die Konzentration der Wissenschaftsgeschichte auf naturwissenschaftliche Fächer einerseits und die Eigenschaft der Historiker als Geisteswissenschaftler andererseits verantwortlich – ein Gegensatz, den sie aber inzwischen als überwunden sieht und der für den hier zu behandelnden Kontext der wissenschaftsgeschichtlichen Auseinandersetzung mit einem geisteswissenschaftlichen Fach ohnehin nur sehr bedingt eine Rolle spielt. 664 Dass die Wissenschaftsgeschichte, begriffen als Spezialisierung und Teilbereich der Geschichtswissenschaft, auf deren Methoden und Erkenntnisse zurückgreifen muss, ist evident. Für die praktische Arbeit im Bereich Ägyptologiegeschichte bedeutet dies, dass sich der Wissenschaftshistoriker sowohl mit
664
L. DASTON, Geschichtswissenschaft und Wissenschaftsgeschichte, in: Jordan/Walther (Hrsg.), Wissenschaftsgeschichte und Geschichtswissenschaft, 11–16.
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Grundlagen der Forschung
diesen Methoden665 als auch den historischen Rahmenbedingungen der Entwicklung des Faches vertraut machen muss. Allzu oft jedoch vertrauen Ägyptologen, die sich dieser Herausforderung stellen, zu sehr auf ihre historische Allgemeinbildung bzw. bemühen sich zu wenig darum, Sekundärliteratur außerhalb ihrer eigenen Fachbibliotheken heranzuziehen und auszuwerten. Das ist sicher auch einer gewissen Arbeitsökonomie geschuldet: Selbst wenn man nicht nur „nebenbei“ (vgl. VORWORT) Wissenschaftsgeschichte treiben will, erscheint die Forderung nach dem Erwerb umfassender Kenntnisse sowohl auf dem eigenen Gebiet (der Ägyptologie) als auch im Bereich der Neueren und Neuesten Geschichte äußerst anspruchsvoll. Im Grunde müsste man ein zweifaches Universitätsstudium absolvieren. Hier kommt dem Wissenschaftshistoriker aber eine Vielzahl von Überblicksdarstellungen und Einführungswerken zugute, ebenso wie eine umfangreiche und zum Teil hochspezialisierte Forschungsliteratur zu bestimmten Detailfragen der jüngeren deutschen Vergangenheit. Man ist also eher mit dem Problem der Recherche und Auswahl geeigneter Informationsmittel konfrontiert als denn mit der Herausforderung, selbst historische Grundlagenforschung betreiben zu müssen. Einen ersten Einstieg in die Recherche bzw. Informationen über aktuelle Forschungen bieten Online-Plattformen wie CLIO und HSozKult.666 Ein dem Ägyptologen grundsätzlich eher wenig vertrautes Phänomen ist die große Meinungsvielfalt oder auch die politisch-weltanschauliche Tendenz historischer Darstellungen. Die Frage, ob z.B. im Rahmen einer Wilhelm II.Biografie die Ägyptologie Erwähnung findet, ist auch abhängig von der grundsätzlichen Einschätzung der Persönlichkeit des Monarchen: Während die dreibändige Standardbiografie von JOHN C. G. RÖHL lediglich die Lektüre eines Romans von Georg Ebers erwähnt,667 um so den eher geringen literarischen Anspruch des letzten deutschen Kaisers zu verdeutlichen, listet JOSKA PINTSCHOVIUS die Förderung des Aegyptischen Woerterbuchvorhabens unter Wilhelms Verdiensten um die Wissenschaft auf.668 Historiker erkennen dazu mitunter schon am Verlag, welche „Richtung“ eine Publikation hat. Im Bereich der deutschsprachigen Ägyptologie hatte die J. C. Hinrichs’sche Verlagsbuchhandlung bis 1945 ein Quasi-Monopol auf ägyptologische Veröffentlichungen,
665
Vgl. grundlegend: ST. JORDAN, Theorien und Methoden der Geschichtswissenschaft, Paderborn 32015. 666 Vgl. die Homepage: http://www.clio-online.de; http://www.hsozkult.de [15.2.2016]. 667 Vgl. J. C. G. RÖHL, Wilhelm II. Die Jugend des Kaisers, München 1993, 418. 668 Vgl. J. PINTSCHOVIUS, Der Bürgerkaiser. Wilhelm II., Berlin 2008.
Geschichte, Wissenschaftsgeschichte und Ägyptologie
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wodurch entsprechende Rückschlüsse zumindest in vielen Fällen nicht aussagekräftig wären.669 In Zukunft dürfte allerdings auch die Sensibilität von Ägyptologen gegenüber der weltanschaulichen Beeinflussung ägyptologischer Publikationen zunehmen, wenn die Wissenschaftsgeschichte dazu weitere Erkenntnisse geliefert haben wird. Hiermit soll zumindest angedeutet werden, dass die unterschiedlichen Verhältnisse und akademischen Kulturen in Ägyptologie und Geschichtswissenschaft bei wissenschaftsgeschichtlichen Projekten berücksichtigt werden müssen. Historiker und Ägyptologen, wiewohl beide Gruppen Geisteswissenschaftler sind, die sich mit der Erforschung der Vergangenheit befassen, haben mitunter sehr unterschiedliche Herangehens- und Betrachtungsweisen.670 2.2.1. Ägyptologie und „Orientalismus“ Das Konzept des Orientalismus geht zurück auf den palästinensischen Literaturwissenschaftler EDWARD W. SAID.671 Es besagt, vereinfacht ausgedrückt, Europäer und später auch die Amerikaner (der „Westen“) hätten „den Orient“ auf der Grundlage stereotyper Vorstellungen und der Projektion sowohl von Sehnsüchten als auch von Ängsten „erfunden“. Dies sei mit der Absicht geschehen, den Orient oder besser konkret die in der Region des Mittleren bzw. Fernen Ostens lebenden Menschen westlicher Kontrolle zu unterwerfen, wobei die orientalistischen Konzepte als Rechtfertigung dienten. Der Orient sei durch den Westen als rückständig dargestellt worden, um die Notwendigkeit einer westlichen „Kulturmission“ und die imperiale Fremdbestimmung zu legitimieren. Auf der Ebene der akademischen Auseinandersetzung sei es um die Erlangung von Deutungshoheit gegangen, die u.a. dazu geführt habe, dass pa-
669
Vgl. FRANZMEIER/WEBER, „Andererseits finde ich, dass man jetzt nicht so tun soll, als wäre nichts gewesen“, 116–118. 670 Vgl. WOLF, Die Ägyptologie als historische Wissenschaft, 243–262; CH. OPITZ, Ägyptologie im Umfeld historischer Wissenschaften. Beobachtungen zu Möglichkeiten und Problemen ägyptologischer Geschichtsforschung zu Beginn des 20. Jahrhunderts, Göttingen 2004, unveröffentlichte Magisterarbeit; M. FITZENREITER (Hrsg.), Das Ereignis. Geschichtsschreibung zwischen Vorfall und Befund. Workshop vom 3.10. bis 5.10.2008, in: IBAES 10, 2009, insbes. die „Thesen“ auf: http://www2.hu-berlin.de/nilus/net-publications/ibaes10/thesen.html [16.2.2016]. 671 SAID, Orientalism.
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Grundlagen der Forschung
radoxerweise „orientalische“ Gelehrte nicht als gleichberechtigte Diskussionspartner und Kollegen bei der Untersuchung und Interpretation „orientalischer“ Kultur akzeptiert worden seien.672 Diese Darstellung oder Kritik hat zu einer lebhaften Auseinandersetzung im Bereich der Orientwissenschaften geführt, wobei die Thesen Saids in ihrer Pauschalität zurückgewiesen wurden und, zum Teil mit Recht, auf fehlerhafte Grundannahmen und die letztlich unzureichende Forschungsgrundlage in Saids Arbeit verwiesen wurde. Die Hauptkritik richtete sich aber gegen Saids Verfahren, im Zuge seiner Kritik an einem stereotypen Orient-Konzept seinerseits ein nicht weniger undifferenziertes Okzident-Bild673 zu entwerfen.674 Für die deutschsprachige Orientalistik ergab sich ein weiteres Problem oder, wenn man so will, ein argumentativer Vorteil dadurch, dass Said diese in seiner Darstellung ausdrücklich unberücksichtigt gelassen hat: „Nevertheless there is a possibly misleading aspect to my study, where, aside from an occasional reference, I do not exhaustively discuss the German developments after the inaugural period dominated by [Sylvestre de] Sacy. […] I particularly regret not taking more account of the great scientific prestige that accrued to German scholarship by the middle of the nineteenth century.“675 Für ihn „the German Orient was almost exclusively a scholarly, or at least classical Orient [...], but it was never actual.“676 Im Rahmen einer postkolonialen (vgl. Kap. 2.2.2.) Fragestellung spielten die Deutschen demnach eine untergeordnete Rolle, indem sie allenfalls „geistige“ Deutungshoheit – nicht imperiale Kontrolle – über den Orient beanspruchten und sich dabei zudem auf dessen Vergangenheit, nicht aber den zeitgenössischen Orient konzentriert hätten. Es ist in gewisser Weise kennzeichnend für die von Said ausgelöste Orientalismusdebatte, dass 672
Vgl. zu der tatsächlich teilweise entwürdigenden Behandlung: T. MITCHELL, Die Welt als Ausstellung, in: Conrad/Randeria/Römhild (Hrsg.), Jenseits des Eurozentrismus, 439. 673 Vgl. BELLER, Fremdbilder, Selbstbilder, 94–99. 674 Zu der Kritik an Saids Arbeiten aus der deutschsprachigen Orientalistik, in Auswahl: M. H. KERR, Rezension: Orientalism by Edward W. Said, in: IJMES 12.4, 1980, 544–547; B. TIBI, Orient und Okkzident. Feindschaft oder interkulturelle Kommunikation? Anmerkungen zur Orientalismusdebatte, in: NPL 29, 1984, 268–272; ERKER-SONNABEND, Das Lüften des Schleiers, 17–21; H. FAHNDRICH, Orientalismus und Orientalismus. Überlegungen zu Edward Said, Michel Foucault und westlichen „Islamstudien“, in: Die Welt des Islams, NS 28.1.4, 1988, 178–186; J. OSTERHAMMEL, Edward W. Said und die „Orientalismus“-Debatte. Ein Rückblick, in: Asien-Afrika-Lateinamarerika 25, 1997, 597–607; R. LOIMEIER, Edward Said und der deutschsprachige Orientalismus. Eine kritische Würdigung, in: Wiener Zeitschrift für kritische Afrikastudien 2, 2001, 63–81; MANGOLD, Eine „weltbürgerliche Wissenschaft“, 21f. 675 SAID, Orientalism, 18. 676 Ebenda, 19.
Geschichte, Wissenschaftsgeschichte und Ägyptologie
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seine Thesen zwar eine kritische und vielfach ablehnende Reaktion hervorgerufen, durch die dadurch notwendig gewordene Auseinandersetzung aber auch zur Abfassung von Grundlagenwerken angeregt haben. Im konkreten Fall manifestiert sich dies in der Arbeit von SUZANNE MARCHAND über den „German Orientalism“.677 Für die deutschsprachige Ägyptologie wiederum ergeben sich zwei weitere Probleme bei der Auseinandersetzung mit der Orientalismusdebatte: (1) der Ursprung dieses Konzepts aus einem literaturwissenschaftlichen oder rezeptionsgeschichtlichen Kontext678 (vgl. Kap. 2.3.3.) und (2) der Umstand, dass sich der Orientalismusvorwurf im akademischen Bereich vorrangig gegen die Islam- und Orientwissenschaften richtet. Diese haben in Deutschland (wobei Said ja die deutsche Orientalistik erklärtermaßen nicht vollständig berücksichtigt hatte; s.o.) lange Zeit einen Schwerpunkt im Bereich der Erforschung „klassischer“ orientalischer Literatur und Kunst gesetzt,679 sich aber, aufgrund disziplinärer Grenzen, nicht mit den vorislamischen Epochen befasst. Die Ägyptologie, als eine Wissenschaft des Alten Orients, könnte sich somit, gemeinsam mit der Altorientalistik bzw. der Vorderasiatischen Archäologie, nicht angesprochen fühlen. ANDREA POLASCHEGG hat darauf hingewiesen, dass in der deutschen Wahrnehmung das alte Ägypten von dem zeitgenössischen lange Zeit getrennt wurde. Die zeitgenössischen Bewohner des Nillandes als „Orientalen“, „Araber“ oder (als Untertanen des Osmanischen Reiches) als „Türken“ wahrgenommen wurden.680 Berücksichtigt man weiterhin die Ausrichtung der Ägyptologie in Deutschland am Vorbild der klassischen Alter-
677
MARCHAND, German Orientalism, darin zu Said: xviii–xx. Was auch dazu führt, dass v.a. Nicht-Ägyptologen diesen Diskurs führen: Vgl. z.B. K.H. KOHL, Verdis Aida und die Orientalisierung des Ägyptenbildes im 19. Jahrhundert, in: B. Schnepel, G. Brands, H. Schönig (Hrsg.), Orient – Orientalistik – Orientalismus. Geschichte und Aktualität einer Debatte, Bielefeld 2011, 207–220; s.a. das Autorenverzeichnis, S. 308: „Karl-Heinz Kohl ist Professor für Ethnologie an der Goethe- Universität Frankfurt am Main […]. Er studierte Religionswissenschaft, Ethnologie, Geschichte und Philosophie. Ethnographische Forschungsaufenthalte verbrachte er in Ost-Indonesien und Neuguinea.“ 679 A. HARTMANN, Orientalistik und Islambegriff heute. Konzept und Gegenstand der Forschung – von Würzburg aus betrachtet, in: Ders., K. Schliephake (Hrsg.), Angewandte interdisziplinäre Orientforschung. Stand und Perspektiven im westlichen und östlichen Deutschland (Mitteilungen des Deutschen Orient-Instituts 41), Hamburg 1991, 121–148; eine der Orientalismuskritik gegenüber offenere Einschätzung in: B. G. FRAGNER, Die deutschen Orientalisten im 20. Jahrhunderts und der Zeitgeist, in: H. J. Hiery (Hrsg.), Der Zeitgeist und die Historie (Bayreuther Historische Kolloquien 15), Dettelbach 2001, 37–51. 680 POLASCHEGG, Der andere Orientalismus, 126. 678
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Grundlagen der Forschung
tumswissenschaften und die sich daraus ergebende Konzentration auf eine positivistisch-sprachwissenschaftliche Forschung (vgl. Kap. 1.5.), erscheinen deutsche Ägyptologen vor dem Orientalismusvorwurf gewissermaßen gefeit. MARTIN FITZENREITER stellt hierzu fest: „Den Anspruch, in möglichst objektiver und von jeder Parteinahme freien Weise die Vergangenheit aus ihren Quellen zu rekonstruieren, teilt die Ägyptologie mit den übrigen Altertumswissenschaften, die zeitgleich ihre akademische Etablierung erlebten.“681 Folgerichtig tut sich die Ägyptologie auch etwas schwer damit, sich mit einem etwaigen Orientalismus in den eigenen Reihen zu befassen. JAN ASSMANN hat in seiner „Sinngeschichte“ Ägyptens eine eindeutige Feststellung hierüber getroffen: „Natürlich hat die Ägyptologie auch den von Said beleuchteten ‚orientalistischen‘ Aspekt. [...] Es ist auch gar nicht zu bestreiten, daß die moderne Ägyptologie in Bezug auf die von ihr untersuchten Quellen zuweilen einen patronisierenden oder ironischen Ton angeschlagen hat, der ihr nicht ansteht.“682 Auch in der Kommentierung von Adolf Ermans Forschung zur Altägyptischen Religion683 hat er diesen Zusammenhang angedeutet, ohne dies weiter auszuführen.684 Gerade im Falle Ermans lassen sich tatsächlich punktuell Ansätze von Orientalismus nachweisen: Gegenüber Eduard Meyer äußerte Erman z.B. die bemerkenswerte Ansicht: „Ich will nicht betonen, dass man um die Religionsurkunden eines Volkes richtig zu beurteilen und zu werten, dieser Religion nicht selbst angehören darf – was hülfe uns ein mohammedanischer Kollege zur Erklärung des Koran?“685 Weitere Anzeichen von Orientalismus bei Erman können auch in seinen Kommentaren zu Georg Ebers’ Ägyptenromanen ausgemacht werden: „Gewiß sind die Ägypter, die er uns vorführt, geglättet und verzeichnet, aber man muß sich fragen, ob sie dem Publikum ebenso nahe gekommen wären, wenn er ihnen den Geruch des Orients belassen hätte.“686
681
M. FITZENREITER, Europäische Konstruktionen Altägyptens – der Fall Ägyptologie, in: Glück/Morenz (Hrsg.), Exotisch, weisheitlich und uralt, 329. 682 J. ASSMANN, Ägypten. Eine Sinngeschichte, Frankfurt a.M. 22000, 476; vgl. hierzu: FITZENREITER, Europäische Konstruktionen Altägyptens, 332f., Anm. 34; und AMIN, Ägyptomanie und Orientalismus, 42. 683 Konkret: A. ERMAN, Die Religion der Ägypter. Ihr Werden und Vergehen in vier Jahrtausenden, Berlin 1934. 684 Vgl. J. ASSMANN, Adolf Erman und die Forschung zur Ägyptischen Religion, in: Schipper (Hrsg.), Adolf Erman (1854–1937) in seiner Zeit, 92. 685 ABBAW, NL E. Meyer, Nr. 251, 27.12.1911. 686 ERMAN, Mein Werden und mein Wirken, 257; dazu: MARCHAND, Popularizing the Orient, 183.
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Hier offenbart sich allerdings auch die Komplexität der Fragestellung, denn diese Belege beziehen sich auf den „modernen“ Orient oder ein zeitgenössisches Orientbild (auch wenn sie natürlich Rückschlüsse auf Ermans Haltung gegenüber den alten Ägyptern zulassen). Persönliche Ansichten, ägyptologische Forschungsinhalte und weitergefasste Fragen der Ägyptenrezeption gehen dabei ineinander über. So hat FITZENREITER vorgeschlagen, sich gar nicht erst mit einer detaillierten Analyse ägyptologischer Publikationen aufzuhalten: „Aber man muss sich gar nicht die Mühe machen, aus Grabungspublikationen oder Texteditionen orientalistische Überheblichkeiten zu filtrieren, um die Fiktion der reinen Quelleninterpretation in Frage zu stellen. […] Der orientalistische Impetus in den interpretativen Passagen mag latent sein, ist aber meist wenig originell, weil in aller Regel dem Zeitgeist und bei anderen abgeschrieben.“687 Hier zeigt sich eine bemerkenswerte Tendenz, ägyptologische Forschung per se als Ausdruck von Orientalismus zu interpretieren, 688 was in der Forderung kulminiert: „Will man dem Orientalismus entgehen, muss man – zumindest in der Formulierung von Ziel und Anspruch – der modernen Ägyptologie entsagen.“689 Hierbei beruft sich FITZENREITER auf ASSMANN und dessen Ausführungen in dessen Buch Moses der Ägypter: „Nichts tat dem Ägyptenbild des Abendlandes größeren Schaden, als die Konfrontation mit den Entdeckungen und Rekonstruktionen der Ägyptologie. […] Nichts liegt mir ferner, als die Errungenschaften der positivistischen Wissenschaft herabzusetzen. Die Ägyptologie mußte eine positivistische Philologie werden, um ihre Fundamente zu legen. Aber im Zuge ihrer Etablierung als eigenständige akademische Disziplin im Kreise von Altertumswissenschaften und Orientalistik gerieten ihre ursprünglichen Fragestellungen in Vergessenheit, und der wachsende Abstand zwischen Ägyptophilie und Ägyptologie wurde zu einem Niemandsland gegenseitiger Verständnislosigkeit.“690 687
FITZENREITER, Europäische Konstruktionen Altägyptens, 330. Vgl. ebenda die Definition von Orientalistik als „wissenschaftliche Spielart des Orientalismus“; s.a. Anm. 24, die auf die mangelnde Unterscheidung von „Orientalismus“ und „Orientalistik“ im Englischen eingeht und auf die Diskussion des Begriffs bei SAID, Orientalism, 340–345, verweist. 689 FITZENREITER, Europäische Konstruktionen Altägyptens, 333. 690 ASSMANN, Moses der Ägypter, 42 f.; vgl. FITZENREITER, Europäische Konstruktionen Altägyptens, 333, Anm. 35. 688
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Grundlagen der Forschung
Aus wissenschaftshistorischer Perspektive fühlt man sich zunächst an das Zitat Adolf Ermans aus seiner Antrittsrede in der Preußischen Akademie der Wissenschaften von 1895 erinnert (vgl. Kap. 1.5.): „Aus der heiteren, an überraschenden Entdeckungen reichen Wissenschaft machten wir eine trockene Philologie mit unbequemen Lautgesetzen und bösen syntaktischen Regeln.“691 Tatsächlich können die Einlassungen Assmanns und Fitzenreiters hier aber nur bedingt eine Orientierung bieten. Zunächst ist hervorzuheben, dass alle hier zitierten Publikationen sich dezidiert mit der Ägyptenrezeption (vgl. Kap. 2.3.3.), nicht mit der Wissenschaftsgeschichte der Ägyptologie auseinandergesetzt haben. Wissenschaftsgeschichtlich aber ist die Aussage Fitzenreiters,692 man müsse sich nicht die Mühe machen, Einzelbelege zusammenzustellen, ebenso wenig weiterführend wie die pauschale Wertung entsprechender Inzidenzen als Ausdruck des „allgemeinen“ Zeitgeists. Denn man muss zunächst den vermeintlichen Orientalismus nachweisen, was nur durch die Zusammenstellung entsprechender Belegstellen aus der ägyptologischen Fachliteratur möglich ist, um dann die individuellen Äußerungen einzelner Ägyptologen vor dem Hintergrund des – seinerseits präzise zu beschreibenden – Zeitgeistes zu verorten, damit überhaupt eine Einschätzung des betreffenden Gelehrten vorgenommen werden kann. Auch scheint ein gewisser Widerspruch in der Auffassung der Ägyptologie als positivistische Altertumswissenschaft (Assmann) einerseits und der Feststellung einer „Fiktion reiner Quelleninterpretation“ (Fitzenreiter) zu bestehen: Denn entweder kritisiert man die analytische Distanz oder Entfremdung des Ägyptologen von seinem Untersuchungsgegenstand, die schließlich zu „Verständnislosigkeit“ (Assmann) führt, wobei man den vermeintlichen „orientalistischen Impetus“ (Fitzenreiter) als zu vernachlässigendes Beiwerk betrachtet; oder man untersucht die möglicherweise vorliegende Prägung der Wissenschaftler durch einen vermeintlichen Orientalismus und ihre sich dadurch ergebende Motivation zur Auseinandersetzung mit bzw. zur Interpretation der altägyptischen Kultur. Dann aber kann man Ägyptologie grundsätzlich nicht mehr als „rein“ positivistische Forschung auffassen.
691
Zitiert nach: GRAPOW, Worte des Gedenkens an Adolf Erman, 16. Wobei dieser den wissenschaftsgeschichtlichen Forschungsstand in der Ägyptologie ohnehin etwas zu optimistisch einschätzt; vgl. FITZENREITER, Europäische Konstruktionen Altägyptens, 323: „Die Herkunft der Ägyptologie aus einem komplexen abendländischen Rezeptionsphänomen ist bereits gut erforscht, von kultur- und kunsthistorischer Seite, aber auch unter dem Aspekt von Wissenschaftsgeschichte der Ägyptologen selbst.“ 692
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Hierin scheint sich einer der Grundfehler des Orientalismuskonzepts zu wiederholen, nämlich die Behauptung eines stereotypen oder zumindest extrem beschränkten (Alt-)Ägyptenbildes der Ägyptologie auf der Grundlage des Postulats eines nicht weniger stereotypen Ägyptologenbildes. Ob und, wenn ja, in welchem Umfang man von einem ägyptologischen Orientalismus sprechen kann, bleibt zukünftiger Forschung zu klären vorbehalten. Als Grundlage einer Disziplingeschichte sollte immer ein Bewusstsein für die Problematik einer „westlichen“ Auseinandersetzung mit einem „orientalischen“ Forschungsgegenstand vorhanden sein – beide Zuschreibungen sind allerdings ihrerseits Postulate. Daher sollte man seinen eigenen Untersuchungsgegenstand differenziert betrachten und nicht in das „Schema“ eines übergeordneten kulturwissenschaftlichen Diskurses „einzupassen“ versuchen. Anstatt mit FITZENREITER – unter Berufung auf Assmann – einen Gegensatz im Rahmen eines „entweder, oder“, nämlich „dass die wissenschaftliche Ägyptologie des 19. und 20. Jahrhunderts weniger ein Projekt der kulturellen Selbstbestimmung Europas, sondern eines der Fremdbestimmung Ägyptens ist“693 zu postulieren, sollte man lieber mit ABBAS AMIN – ebenfalls unter Berufung auf Assmann – ein „sowohl, als auch“ annehmen, worin: „[d]as europäische Interesse an Ägypten […] nicht nur kolonialistischer und imperialistischer Natur [ist]. Es ist auch integraler Bestandteil der eigenen Kultur und Identität. Jeder Versuch einer friedlichen geistigen Annäherung an Ägypten kommt daher auch einer Erkundung und einem besseren Verständnis der eigenen Geschichte und Kultur gleich.“694 2.2.2. Der „postkoloniale Diskurs“ Nachdem im vorangegangenen Abschnitt ein eher abstraktes Beispiel der geistigen Auseinandersetzung mit „dem Orient“ besprochen worden ist, geht es hier um eine sehr viel konkretere Form der Begegnung unterschiedlicher Kulturen. Kolonialismus wird von JÜRGEN OSTERHAMMEL wie folgt definiert: „Kolonialismus ist eine Herrschaftsbeziehung zwischen Kollektiven, bei welcher die fundamentalen Entscheidungen über die Lebensführung der Kolonisierten durch eine kulturell andersartige und kaum anpassungswillige Minderheit von Kolonialherren unter vorrangiger Berücksichtigung externer Interessen getroffen und tatsächlich durchgesetzt werden. Damit verbinden sich in der 693 694
Ebenda, 333. AMIN, Ägyptomanie und Orientalismus, 42.
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Neuzeit in der Regel sendungsideologische Rechtfertigungsdoktrinen, die auf der Überzeugung der Kolonialherren von ihrer eigenen kulturellen Höherwertigkeit beruhen.“695 In gewisser Weise könnte man den im Kapitel 2.2.1. behandelten Orientalismus auch als eine „sendungsideologische Rechtfertigungsdoktrin“ begreifen und damit als Bestandteil des Kolonialismus definieren. Tatsächlich weisen sowohl der postkoloniale als auch der orientalistische Diskurs eine Reihe von Überschneidungen bzw. Berührungspunkten auf. Im Gegensatz zum Orientalismus handelt es sich aber bei dem Begriff des Postkolonialismus um ein globales, nicht auf einen – allerdings im Falle des „Orients“ auch nicht gerade kleinen – Untersuchungsraum beschränktes Phänomen. Weiterhin ist der Postkolonialismus zunächst ein historischer Epochenbegriff und beschreibt die Phase nach dem Ende kolonialer Herrschaft in Staaten der sogenannten „Dritten Welt“ nach 1947 bzw. im Verlauf der 50er und 60er Jahre des 20. Jahrhunderts.696 Dieser ging die Phase des Imperialismus (1870–1914)697 voraus. Der Begriff wird vor allem im deutschen Sprachraum gelegentlich unmittelbar mit marxistisch-leninistischer Geschichtsschreibung in Verbindung gebracht, hat jedoch eine breitere theoretische Grundlage.698 Im Unterschied zum Kolonialismus setzt der Imperialismus kein territorial bestimmtes Herrschaftsverhältnis voraus. Dominanz oder Hegemonie können auch indirekt, z.B. durch wirtschaftliche Einflussnahme bzw. Abhängigkeitsverhältnisse, ausgeübt werden.699 Angesichts dieser Vorüberlegungen hat der postkoloniale Diskurs700 für die Wissenschaftsgeschichte der deutschsprachigen Ägyptologie nur mittelbare 695
J. OSTERHAMMEL, Kolonialismus. Geschichte, Formen, Folgen, München 62009, 21; s.a. 19–22. 696 Vgl. grundlegend: S. CONRAD, Kolonialismus und Postkolonialismus: Schlüsselbegriffe der aktuellen Debatte, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 44/45, 2012, 3–9: http://www.bpb.de/apuz/146971/kolonialismus-und-postkolonialismus?p=all [18.2.2016]. 697 Grundlegend: E. HOBSBAWM, The Age of Empire 1875–1914, London 1987. 698 Zum Imperialismus allgemein: W. J. MOMMSEN, Imperialismus – seine geistigen, politischen und wirtschaftlichen Grundlagen. Ein Quellen- und Arbeitsbuch, Hamburg 1979; DERS., Imperialismustheorien. Ein Überblick über die neueren Imperialismusinterpretationen, Göttingen 1980; zu marxistischen Konzepten: O. NACHTWEY, Weltmarkt und Imperialismus. Zur Entstehungsgeschichte der klassischen marxistischen Imperialismustheorie, Köln 2005; in der Ägyptologie: CH. LANGER, Aspekte des Imperialismus in der Außenpolitik der 18. Dynastie (Nordostafrikanisch-Westasiatische Studien 7), Frankfurt a.M. 2013, 17– 28. 699 Vgl. OSTERHAMMEL, Kolonialismus, 23–28. 700 Zum Stand der Diskussion vgl. ST. HALL, Wann gab es „das Postkoloniale“? Denken an der Grenze, in: Conrad/Randeria/Römhild (Hrsg.), Jenseits des Eurozentrismus, 197–223.
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Bedeutung: Eine deutsche koloniale Präsenz, im Sinne einer Landnahme oder der Ausübung politischer Kontrolle, hat es in Ägypten nie gegeben und war wohl auch zu keinem Zeitpunkt Ziel deutscher Außenpolitik. 701 Demgegenüber findet im englischsprachigen Raum eine weitaus intensivere Auseinandersetzung mit dem Thema statt (vgl. Kap. 2.1.6.).702 Deutsche Ägyptologen sind allerdings Teil einer internationalen scientific community gewesen und bewegten sich in der kolonialen Sphäre Ägyptens im ausgehenden 19. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts. „Mittelbare Bedeutung“ soll also nicht heißen, dass entsprechende Fragestellungen für die deutsche Ägyptologiegeschichte grundsätzlich zu vernachlässigen wären: Ob in dem deutschen Anspruch auf die Leitung der Kairener Khedivial-Bibliothek,703 der Ausbildung ägyptischer Ägyptologen durch Heinrich Brugsch, 704 dem Erwerb des Baugrundstückes des Deutschen Hauses in Theben durch das Deutsche Reich,705 bis hin zur Verbringung ägyptischer Altertümer nach Deutschland, kommt ein deutscher „Zugriff“ auf Ägypten zum Ausdruck. Womöglich könnte man also, berücksichtigt man die territoriale Bedingtheit des Kolonialismusbegriffes (s.o.), durchaus die Frage nach der Rolle eines deutschen Imperialismus in Ägypten stellen, der sich dann vornehmlich im Bereich der Kulturpolitik geltend gemacht hätte. Hierbei muss aber zweierlei klargestellt werden: (1) Aktuelle Forschungen zum Thema haben gezeigt, dass die deutsche Außenpolitik allenfalls auf die Wahrung wissenschaftspolitischer Interessen in Ägypten gerichtet war oder sich, im Rahmen auswärtiger Kulturpolitik, um die Schaffung bzw. Aufrechterhaltung guter Beziehungen zu Ägypten bemühte. Inwieweit der Imperialismusbegriff zur Beschreibung hierfür geeignet ist, wäre gründlich zu prüfen. (2) Deutlich wird dies, wenn man den in diesem Zusammenhang besonders wichtigen Vergleich mit den zeitgleichen Entwicklungen in Vorderasien bzw. Mesopotamien heranzieht. Denn, anders als in Ägypten, verfolgte das Deutsche Kaiserreich in dieser Region des Osmanischen Reiches sehr viel handfestere, zumindest wirtschaftspolitische Interessen, und die deutsche Außenpolitik trat dort sehr viel offensiver in Erscheinung. Auch die Durchsetzung 701
Vgl. KRÖGER, Le bâton égyptien – Der ägyptische Knüppel; KASSIM, Die diplomatischen Beziehungen Deutschlands zu Ägypten 1919–1936. 702 Vgl. grundlegend: T. MITCHELL, Colonising Egypt, Cambridge 1988; speziell zur Ägyptologie: REID, Whose Pharaohs?; COLLA, Conflicted Antiquities; QUIRKE, Exclusion of Egyptians, 379–405; DERS., Hidden Hands; REID, Contesting Antiquity in Egypt. 703 MANGOLD, Die Khedivial-Bibliothek zu Kairo, 49–76. 704 Vgl. REID, Whose Pharaohs?, 116f. 705 Vgl. VOSS, Geschichte der Abteilung Kairo des DAI, Bd. 1, 103.
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wissenschaftlicher, speziell altertumswissenschaftlicher Anliegen war auf eine engagierte und mit Nachdruck betriebene Interessenpolitik gegründet. 706 Doch obwohl man einen deutschen Kolonialismus in Ägypten ausschließen und den Begriff des Imperialismus nur sehr eingeschränkt ins Feld führen kann, schließt dies eine Beeinflussung der Geschichte der deutschsprachigen Ägyptologie durch den Postkolonialismus nicht aus. Dies machte sich schon Mitte der 20er Jahre bemerkbar, als, unter dem Druck eines erwachenden ägyptischen Nationalbewusstseins und der sich daraus ergebenden Ablehnung westlicher Bevormundung (vgl. Kap. 1.6.1.2.), die deutsche Ägyptologie mit der Forderung nach der Rückgabe ägyptischer Altertümer, konkret der Büste der Nofretete, konfrontiert wurde. Zunächst gilt es zu betonen, dass der Begriff des Postkolonialismus, verstanden als Epochenbezeichnung für die Zeit nach Überwindung der Kolonialherrschaft in Ägypten, streng genommen, erst ab 1952707 zur Anwendung kommen könnte. Er soll hier dennoch als Überschrift dienen, da das Fallbeispiel der Rückgabeforderung der Nofretete sich geradezu ideal zur Vorstellung eines postkolonialen Diskurses in der deutschsprachigen Ägyptologie eignet. Die genauen Hintergründe wurden zuletzt von SUSANNE VOSS untersucht und vorbildlich dargelegt708 und brauchen deshalb hier nicht noch einmal im Detail erörtert werden. Dies betrifft insbesondere alle möglichen Verschwörungstheorien, wie es dem Entdecker der Büste, Ludwig Borchardt (vgl. Kap. 1.6.) gelungen sei, die Büste außer Landes zu bringen. 709 Juristisch scheint der Fall grundsätzlich
706
Vgl. ST. R. HAUSER, Deutsche Forschungen zum Alten Orient und ihre Beziehungen zu politischen und ökonomischen Interessen vom Kaiserreich bis zum Zweiten Weltkrieg, in: W. G. Schwanitz (Hrsg.), Deutschland und der Mittlere Osten, Leipzig 2004, 46–65; DERS., History, Races, and Orientalism – Eduard Meyer, the Organization of Oriental Research, and Herzfeld’s Intellectual Heritage, in: A. C. Gunter, St. R. Hauser (Hrsg.), Ernst Herzfeld and the Development of Near Eastern Studies, 1900–1950, Leiden 2005, 505–559. 707 Wobei der Fall Ägyptens mit OSTERHAMMEL, Kolonialismus, 25f., als „quasi-koloniale Kontrolle“ oder „informal empire“ zu definieren ist. 708 Vgl. VOSS/PILGRIM, Ludwig Borchardt und die deutschen Interessen am Nil, 301–305; VOSS, Geschichte der Abteilung Kairo des DAI, Bd. 1, 35–113 und 182–185; s.a. 87–98; DIES., Die Rückgabeforderung der Nofretete-Büste im Jahre 1925 aus deutscher Sicht, in: Seyfried (Hrsg.), Im Licht von Amarna, 460–468. 709 Mit Verschwörungstheoretikern kann man sich argumentativ ohnehin nicht auseinandersetzen; vgl. D. GROH, Die Verschwörungstheoretische Versuchung, oder: Why do bad things happen to good people, in: Ders. (Hrsg.), Anthropologische Dimensionen der Geschichte, Frankfurt a.M. 1992, 267–304; U. CAUMANNS, M. NIENDORF (Hrsg.), Verschwörungstheorien: Anthropologische Konstanten – historische Varianten (Einzelveröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts Warschau 6), Osnabrück 2001.
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unzweifelhaft zu sein,710 jedenfalls hat der ägyptische Staat und sein Antikendienst niemals gegen die Bundesrepublik bzw. gegen die Staatlichen Museen Berlin auf Herausgabe der Nofretete-Büste geklagt. Die hier zu behandelnde Diskussion bewegt sich also folgerichtig nicht auf der Ebene der historischen Tatsachenrekonstruktion oder einer Einschätzung der internationalen Rechtslage. Vielmehr wird moralisch argumentiert: „Böse“ Imperialisten haben den Ägyptern ihr kulturelles Erbe „weggenommen“. Dieser Ansatz wurde u.a. in dem Band Nofretete will nach Hause. Europa, Schatzhaus der „Dritten Welt“711 aus dem Jahr 1984 vertreten. Schon der Untertitel macht deutlich, welche Stoßrichtung die Publikation verfolgt, wobei die Büste der Nofretete hier lediglich als ein besonders plakatives Fallbeispiel unter vielen angeführt wird. Der postkoloniale Ansatz wird also global betrachtet und somit verallgemeinert. Auf historische Detailuntersuchungen und eine differenzierte Darstellung kam es den Autoren, dem Journalisten GERT VON PACZENSKY und dem damaligen Direktor des Übersee-Museums in Bremen, HERBERT GANSLMAYER, also anscheinend weniger an. Der Gegensatz „Europa“ und die „Dritte Welt“ wird auch in der Überschrift des Einleitungskapitels „Nofretete – eine Preußin? Oder die Kunst der Armen in den Häusern der Reichen“712 erneut aufgegriffen. Folgerichtig wird später die Finanzierung der Grabungen in Amarna durch „den Berliner Großkaufmann Dr. James Simon“713 erwähnt. Borchardt wird dabei nicht nur als Imperialist, für den „die Ägypter, jedenfalls die lebenden, kein gleichwertiges Volk, und ägyptische Bestrebungen auf Selbstbestimmung und Unabhängigkeit ‚Nationalismus‘“714 gewesen seien, sondern auch als „Schurke“715 dargestellt. Die Rollenverteilung ist also eindeutig und besonders peinlich für die Autoren, da sie in der Undifferenziertheit ihrer Darstellung erstens gar nicht auf die Idee kommen, Konzepte wie „Nationalismus“ und ihre Bedeutung für Borchardt zu hinterfragen,716 und zweitens unreflektiert – und 710 Hierzu aktuell: K. CULBERTSON, Contemporary customary international law in the case of Nefertiti, in: Art Antiquity and Law 27.1, 2012, 27–68. 711 G. VON PACZENSKY, H. GANSLMAYR, Nofretete will nach Hause. Europa – Schatzhaus der „Dritten Welt“, München 1984. 712 Ebenda, 9. 713 Ebenda, 261. 714 Ebenda, 284. 715 Ebenda, 260. 716 Borchardt selbst ist politisch in einem „nationalistischen“ Spektrum zu verorten und gehörte entsprechenden Vereinen an. Als Jude wurde ihm das Bekenntnis zu Deutschland allerdings erschwert; vgl. M. HAMBROCK, Die Etablierung der Außenseiter. Der Verband nationaldeutscher Juden 1921–1935, Köln 2003, 382.
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wahrscheinlich auch unbewusst – antisemitische Stereotype gegen Simon und Borchardt bedienen. Es hätte aber auch die schlichte Dichotomie zwischen „bösen Imperialisten“ und der ausgebeuteten „Dritten Welt“ gestört, sich mit diesem Aspekt oder vielmehr der Tatsache auseinander zu setzen, dass sowohl der Finanzier der Grabungen als auch der leitende Archäologe zwischenzeitlich einer Damnatio memoriae durch die Nationalsozialisten zum Opfer gefallen waren, um hernach als „imperialistische Schurken“ vorgeführt zu werden. In jüngster Zeit ist die Auseinandersetzung um Nofretete auf eine sehr viel solidere wissenschaftsgeschichtliche Grundlage gestellt worden, wobei man sich insgesamt um eine Versachlichung der Debatte bemüht hat. Hierzu kann die Studie von BÉNÉDICTE SAVOY717 als Beispiel angeführt werden, die den Auslöser der Rückgabeforderung durch den französisch geleiteten ägyptischen Antikendienst in der deutsch-französischen „Erbfeindschaft“ seit 1870/71 bzw. dem Ersten Weltkrieg erkennt. Dadurch wird allerdings die einfache Dichotomie zwischen „Kolonialherren“ und „Kolonisierten“ lediglich durch eine zwischen „Franzosen“ und „Deutschen“ ersetzt. Die Gefahr, mit dem Konzept einer rein „deutsch-französischen Affäre“ einem monokausalen Erklärungsansatz erlegen zu sein, wurde allem Anschein nach von der Autorin selbst erkannt, die in einem später erschienenen Aufsatz dem Untertitel das entscheidende Wörtchen „auch“ vorangestellt hat.718 Tatsächlich wurde die Annahme, dass die Rückgabeforderung durch den Leiter des ägyptischen Antikendienstes, Pierre Lacau, durch Deutschfeindlichkeit motiviert war, inzwischen widerlegt.719 Noch problematischer im Zusammenhang eines postkolonialen Diskurses erscheint aber der Versuch, die Ägypter in dieser Frage zu einer quantité négligeable zu machen. Die Rolle des ägyptischen Nationalismus, der die französische Leitung des Antikendienstes dazu zwang, die ägyptischen Interessen bei der Ausfuhr altägyptischen Kulturguts stärker als bislang zu berücksichtigen, wird somit marginalisiert; der Konflikt um Nofretete wird so zu einer innereu-
717
B. SAVOY, Nofretete. Eine deutsch-französische Affäre 1912–1931, Köln 2011. Vgl. B. SAVOY, Nofretete und die Rückgabefrage. Auch eine deutsch-französische Affäre, in: Antike Welt. Zeitschrift für Archäologie und Kulturgeschichte 6, 2012, 13. 719 Für die – allerdings sehr dezente – Kritik bzw. den Nachweis der zugrundeliegenden Fehlannahmen vgl. S. VOSS, Archäologie und Politik am Nil. Nofretete und das Kaiserlich Deutsche Institut für ägyptische Altertumskunde in Kairo, in: Antike Welt. Zeitschrift für Archäologie und Kulturgeschichte 6, 2012, 17–22; aus der Perspektive der Wissenschaftsgeschichte der Ägyptologie erscheint es dabei hochproblematisch, dass die für das Thema relevanten Archivbestände in Kairo (vgl. Kap. 2.1.4.) von Savoy nicht herangezogen worden sind; vgl. SAVOY, Nofretete, 216f. 718
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ropäischen Angelegenheit, einer Auseinandersetzung zwischen zwei Kolonialmächten, einer „deutsch-französischen Affäre“, bei der die Ägypter eine allenfalls untergeordnete Nebenrolle spielen. So besteht das Verdienst SAVOYs unbestreitbar darin, die „französische Dimension“720 des Themas aufgezeigt zu haben, allerdings wurde in der Folge darin zu Unrecht die historische Erklärung für das Zustandekommen der Rückgabeforderung erkannt und die Aufmerksamkeit von den eigentlichen Hintergründen abgelenkt. Es ist ein kurioses Charakteristikum vieler Publikationen zu postkolonialen Fragestellungen, dass in dem vermeintlichen Bemühen, den „Kolonisierten“ wieder zu „ihrem Recht“ oder zur Deutungshoheit über ihr kulturelles Erbe verhelfen zu wollen, diese als erwähnenswerte Akteure ignoriert oder an den Rand gedrängt werden. Nachdem die „westlichen“ Gelehrten des Kolonialzeitalters die Deutungshoheit über die Kultur und Geschichte der kolonisierten Völker beansprucht haben, interpretieren „westliche“ Gelehrte nun die historischen Hintergründe im Rahmen einer westlich geprägten Geschichtswissenschaft. Das sollte niemanden von der Auseinandersetzung mit postkolonialen Fragestellungen abhalten. Dabei sollten jedoch keine allzu einfachen Erklärungsmuster angewandt werden. 2.2.3. Wissenschaft und Weltanschauung Bevor im Kapitel 2.2.4. die Beeinflussung bzw. Beeinträchtigung ägyptologischer Forschung durch politische Ideologien721 erörtert wird, soll hier zunächst allgemein auf die Wechselwirkungen zwischen den Inhalten und Aussagen wissenschaftlicher Forschung und der sie umgebenden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen eingegangen werden. Die dabei möglichen Untersuchungsfelder sind mannigfaltig: Bezeichnen protestantische Ägyptologen Pharao Echnaton tendenziell eher als „Reformer“ oder „Reformator“ und katholische ihn als „Ketzer“?722 Ist die Epochenbezeichnung „Zwischenzeit“ auf die Begeisterung und Überzeugtheit von der Überlegenheit des geeinten Nationalstaates zum Ende des 19. Jahrhunderts zurückzuführen?723 Welcher Zusam-
720
SAVOY, Nofretete und die Rückgabefrage, 14. Zur Abgrenzung dieses Begriffs vgl. K. VON BEYME, Politische Theorien im Zeitalter der Ideologien 1789–1945, Wiesbaden 2002, 48. 722 Zu den Hintergründen der Forschung zur Amarna-Zeit vgl. allgemein: MONTSERRAT, Akhenaten. 723 Vgl. L. MORENZ, Die Zeit der Regionen im Spiegel der Gebelein-Region. Kulturgeschichtliche Re-Konstruktionen, Leiden 2010, 6f. 721
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menhang besteht zwischen der Hinwendung ägyptologischer Forschung zu rassenkundlich-völkischen Themen in Großbritannien zum Ende des 19. Jahrhunderts (vgl. Kap. 1.6.1.1.) bzw. in Deutschland im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts (vgl. Kap. 1.8.) und kulturellen Krisenerfahrungen in diesen jeweiligen Zeitabschnitten? Inwieweit lässt sich die verstärkte Orientierung archäologischer Forschung an kulturanthropologischen und ökonomischen Fragestellungen in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts auf die Bedingungen des Kalten Krieges zurückführen?724 Alle diese Fragestellungen implizieren bereits eine wichtige Grundannahme: Eine „reine“, „wertfreie“ Forschung hat es in der Ägyptologie nie gegeben. Immer sind das Fach und seine Vertreter von den herrschenden Zeitumständen, dem Zeitgeist,725 beeinflusst. Dies gilt für die Vergangenheit wie für die Gegenwart. Bei einer entsprechenden Untersuchung muss der Wissenschaftshistoriker immer drei Ebenen unterscheiden: (1) die Zeitumstände, also die gesellschaftlichen, „zeitgeistigen“, politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen; (2) die individuelle Haltung, Überzeugung und persönliche Prägung des einzelnen Wissenschaftlers; und (3) die eingenommene oder nach außen vertretene Haltung. Gerade die Unterscheidung der beiden letztgenannten Punkte sollte nicht vernachlässigt werden, da sie in vielen bisherigen wissenschaftsgeschichtlichen Untersuchungen in der Ägyptologie allzu oft durcheinander geraten. Deshalb könnte sogar noch ein Punkt (4) ergänzt werden, nämlich die entsprechend differenzierte Einordnung der Verfasser wissenschaftshistorischer Sekundärliteratur. Als ein Beispiel hierfür sei ein Aufsatz von HANNELORE KISCHKEWITZ über die Weltanschauungen von C. R. Lepsius, H. Brugsch und G. Ebers angeführt. 726 Über Lepsius heißt es dort: „Lepsius, so sagen wir, ist in seinem Verhalten als Zeitgenosse nur aus seiner preußisch konservativen Umwelt zu erklären. Er bedarf zu seiner Selbstverwirklichung der monarchistischen Ordnung. Daher auch sein restauratives Denken.“727 724
Vgl. allgemein TRIGGER, A History of Archaeological Thought. Vgl. allgemein H. J. HIERY, Zur Einleitung: Der Historiker und der Zeitgeist, in: Ders. (Hrsg.), Der Zeitgeist und die Historie, 1–6. 726 H. KISCHKEWITZ, Die Ägyptologen Richard Lepsius, Heinrich Brugsch und Georg Ebers und ihre Stellung zu Zeitfragen, in: FuB 20: 150 Jahre Staatliche Museen zu Berlin (1980), 1980, 89–100. 727 Ebenda, 94. 725
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Über Brugsch erfahren wir: „Er unterläßt es, über Fragen der Zeit nachzudenken und Schlüsse zu ziehen. Seine eigene mißliche, und von fremdem Wohlwollen abhängige Lage definiert er fatalistisch als Folge der für seine Karriere nicht geeigneten sozialen Herkunft.“728 (vgl. Kap. 1.4.). Ebers schließlich wird wie folgt charakterisiert: „Im Rückblick auf sein Leben erscheint Ebers als der deutsche Ägyptologe des vergangenen Jahrhunderts, der sich Zeit seines Lebens als liberaler Demokrat offen auf die Seite des bürgerlichen Fortschritts zu stellen versuchte.“729 Gerade bei der Einschätzung der Person von Ebers offenbart Kischkewitz ihre eigenen Untersuchungsmaßstäbe, indem sie sich wiederholt auf Karl Marx beruft. Ebers’ Haltung sei daher nur aus der „zwiespältigen Klassennatur“ des Bürgertums zu verstehen,730 seine Darstellung der Ereignisse der Märzrevolution von 1848 nur insofern objektiv, als sie in ihrer Gliederung den Ansichten der marxistischen Geschichtswissenschaft entspricht. 731 Insgesamt aber sei Ebers zu sehr dem „typisch bürgerlichen Denken“732 verhaftet.733 Die intensive kritische Auseinandersetzung mit Ebers erklärt sich auch durch den Umstand, dass für die Einschätzung von dessen Lehrer Lepsius vor allem Ebers’ Biografie734 herangezogen wird, in der die Verfasserin ein „ängstliches Bemühen“ zur „Ehrenrettung der Ägyptologie vor der allzu-preußisch-konservativen Denkweise ihres deutschen Stammvaters“ erblickt.735 Welches „Bemühen“, welche Motivation steckt aber hinter einem Aufsatz, der anlässlich des 150-jährigen Bestehens der Staatlichen Museen zu Berlin die
728
Ebenda, 95. Ebenda, 100. 730 Ebenda, 96; hierzu: H. ALEXANDER, Geschichte, Partei und Wissenschaft. Liberale und demokratische Bewegungen in der Zeit der Restauration und im Vormärz aus der Sicht der DDR-Geschichtswissenschaft, Frankfurt a.M. 1988. 731 KISCHKEWITZ, Die Ägyptologen, 97. 732 Ebenda. 733 Vgl. zu den verwandten Kategorien und Begrifflichkeiten: K. H. JARAUSCH, Historische Texte der DDR aus der Perspektive des linguistic turn, in: HZ. Beihefte NS 27 (Die DDRGeschichtswissenschaft als Forschungsproblem), 1998, 261–279; eine Berücksichtigung und zurückhaltend positive Darstellung bürgerlich-liberaler Stimmen zur Märzrevolution war in der DDR-Geschichtswissenschaft erst seit Beginn der 70er Jahre möglich geworden; vgl. W. VOIGT, Die Revolution 1848/49 im Spiegel der deutschen Geschichtsschreibung. Im Gespräch mit Walther Schmidt, © Edition Luisenstadt, 1998: http://www.luise-berlin.de/lesezei/blz98_09/text01.htm [21.2.2016]. 734 EBERS, Richard Lepsius. 735 KISCHKEWITZ, Die Ägyptologen, 93. 729
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Weltanschauung dreier Berliner Ägyptologen zu seinem Untersuchungsgegenstand wählt? Schließlich würde man viel eher einen unmittelbaren Museumsbezug erwarten.736 Auch wenn Kischkewitz’ Beitrag die behandelten Ägyptologen sehr wohl auch im Hinblick auf ihre wissenschaftsgeschichtliche „Stellung“ einzuordnen versucht, ist er dennoch eminent politisch in seiner Analyse. Dreh- und Angelpunkt bzw. Grundlage der vergleichenden Darstellung ist die Wahrnehmung der Märzrevolution durch die drei Ägyptologen.737 Bevor man also die hier gebotenen Erkenntnisse über die Weltanschauung der Protagonisten dieser Untersuchung überhaupt auswerten kann, muss man sich mit der der Verfasserin, bzw. dem Entstehungskontext und wissenschaftlichen Hintergrund dieses Aufsatzes, auseinandersetzen: konkret der DDR-Geschichtswissenschaft.738 Ebenso wichtig ist es, sich die herangezogenen Quellen genauer anzusehen: Zwar werden von Kischkewitz Briefe und Autobiografien angeführt, 739 im Text aber hauptsächlich Biografien und Autobiografien und einzelne, dort enthaltene edierte Briefe zitiert. Diese werden, geht man den entsprechenden Angaben nach, auch nicht immer ganz getreu in ihren Aussageinhalten wiedergegeben. So sei Brugsch, als ihn der Begründer der deutschen Sozialdemokratie, Ferdinand Lassalle (1825–1864), um Privatunterricht ersucht habe, „[z]weifellos […] zunächst erschreckt“, während die entsprechende Schilderung in Brugschs Autobiografie lediglich von „Überraschung“ berichtet.740 Auch die Darstellung eines Zusammenhangs mit den Ereignissen der Märzrevolution ist nicht ganz korrekt, gibt Brugsch doch in seiner Biografie als Zeitpunkt seiner Begegnung mit Lassalle das Jahr 1858 – also zehn Jahre nach den Ereignissen der Märzrevolution – an.
736 Und tatsächlich hebt sich dieser Beitrag von den übrigen dezidiert sammlungsgeschichtlichen Beiträgen in dem Band ab; vgl. FuB 20, 1980, 7. 737 KISCHKEWITZ, Die Ägyptologen,, 89f. 738 Vgl. allgemein M. SABROW, Das Diktat des Konsenses. Geschichtswissenschaft in der DDR 1949–1969, München 2009, 394–441, und zum konkreten Hintergrund: H. SCHMITZ, Die DDR-Geschichtswissenschaft in der Mitte der siebziger Jahre: Paradigmenwechsel oder konservative Wende?, in: HZ. Beihefte NS 27 (Die DDR-Geschichtswissenschaft als Forschungsproblem), 1998, 227–239. 739 Vgl. KISCHKEWITZ, Die Ägyptologen, 90. 740 BRUGSCH, Mein Leben und mein Wandern, 230.
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Lassalle wird bei Kischkewitz als bürgerlicher Revolutionär eingeführt, der mit Aristokraten Salongespräche führte.741 Doch ebenso wie die Persönlichkeit Lasalles weist auch die Brugschs eine Reihe von Widersprüchen auf,742 die sich nicht ohne weiteres in ein marxistisches Geschichtsbild einordnen lassen: Brugsch war „durch persönliche Beziehungen mit den Machtträgern der preußischen Monarchie bekannt und davon abhängig.“743 Er stammte aus einfachen Verhältnissen, allerdings im Kontext des preußischen „Militarismus“ und so zeigte er ein „Denken, wie es dem Sohn eines preußischen Soldaten durchaus adäquat ist“,744 oder anders ausgedrückt: seiner „Klassenposition“ entspricht. Gerade die Einschätzung Kischkewitz’ über Brugschs Geschichtsbild in seinen ägyptologischen Arbeiten jedoch macht die Komplexität ihres Beitrages besonders deutlich: „Geschichtsschreibung ist für ihn ein Bericht von den Taten großer Männer […]. Damit reiht er sich in eine Tradition von subjektivistischidealistischen Historikern.“745 In ihrem Aufsatz präsentiert Kischkewitz ihrerseits die Geschichte der Ägyptologie gleichwohl als eine von den „Taten großer Männer“. Vor dem Hintergrund der Entwicklung der DDR-Geschichtswissenschaft kann dies durchaus als etwas Besonderes oder als Zeichen einer damals neuen Entwicklung gewertet werden.746 Insofern sollte man sich auch davor hüten, die Benutzung der Terminologie marxistischer Geschichtsschreibung in diesem Zusammenhang allzu schlicht als „Anbiederung“ an die staatliche Geschichtspolitik zu interpretieren (vgl. Kap. 2.2.4.). Gleichzeitig jedoch erscheint dieser Beitrag seinerseits als ein Versuch, die Ägyptologie von der „der allzu-preußisch-konservativen Denkweise ihres deutschen Stammvaters“747 zu distanzieren und dabei in
741
Vgl. KISCHKEWITZ, Die Ägyptologen, 95f. Es ist für die gesellschaftliche Stellung der hier Genannten durchaus bemerkenswert, dass Brugsch die Briefe, die er von Lassalle erhielt, später dem von ihm auf einer Ägyptenreise begleiteten Kronprinzen Rudolf von Österreich geschenkt hat. Brugsch war also ein gesellschaftlicher go-between; vgl. L. BRÜGEL, Vier unbekannte Briefe Lassalles. An den Ägyptologen Heinrich Brugsch, in: Der Kampf, August/September 1925; B. HAMANN, Kronprinz Rudolf. Ein Leben, München 42010, 135–141, bes. 174f.; KRONPRINZ RUDOLF VON ÖSTERREICH, Zu Tempeln und Pyramiden. Meine Orientreise 1881, hrsg. von H. Pleticha, Edition Erdmann, Lenningen 2005. 743 KISCHKEWITZ, Die Ägyptologen, 95. 744 Ebenda. 745 Ebenda. 746 Vgl. SCHMITZ, Die DDR-Geschichtswissenschaft, 235. 747 KISCHKEWITZ, Die Ägyptologen, 93. 742
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einem evolutionären (Wissenschafts-)Geschichtsbild eine allmähliche Entwicklung von „konservativ-restaurativem“ 748 Denken (Lepsius), über eine durch „Klassenposition“ und „Abhängigkeit“749 bestimmte Beschränktheit (Brugsch), hin zu einer liberalen, demokratischen, fortschrittlichen, wenn auch immer noch bürgerlichen Haltung750 (Ebers) aufzuzeigen. Der gebotene Überblick und die Einschätzung der behandelten Ägyptologen werden durch diese Hintergründe keineswegs völlig entwertet. Den allermeisten Einschätzungen über die Weltanschauung von Lepsius, Brugsch und Ebers wird man sich, wenn auch unter Verwendung einer anderen Terminologie, ohne weiteres anschließen können. Das hier behandelte Fallbeispiel zeigt aber, dass in der Wissenschaftsgeschichte der Ägyptologie, durch die Berücksichtigung von Entstehungskontexten, Informationen über den zunächst angegebenen Rahmen hinaus gewonnen werden können und eine Arbeit über die Weltanschauung von Ägyptologen aus der Mitte des 19. Jahrhunderts Rückschlüsse auf die Geschichte und die Verhältnisse der Ägyptologie in der DDR zulässt. 2.2.4. Ägyptologie in totalitären Systemen Das hier zu behandelnde Thema ist vor allem im deutschsprachigen Raum in jüngster Zeit intensiv diskutiert worden (vgl. Kap. 2.1.6.). Grundsätzlich können zwei Diktaturen oder totalitäre Systeme751 in der deutschen Geschichte untersucht werden: das sogenannte „Dritte Reich“ (vgl. Kap. 1.9.) und die Deutsche Demokratische Republik (vgl. Kap. 1.10.). Dabei muss sogleich darauf hingewiesen werden, dass viele ehemalige DDR-Bürger einen Vergleich ihres Staates mit dem „Dritten Reich“ grundsätzlich zurückweisen. An dieser Stelle bleibt nur darauf hinzuweisen, dass ein Vergleich eben noch lange keine „Gleichsetzung“ bedeutet. Dennoch ist es legitim, beide Staaten oder Systeme
748
Vgl. ebenda, 94. Vgl. ebenda, 95. 750 Vgl. ebenda, 100; zu den Implikationen vgl. J. SCHRADI, Die DDR-Geschichtswissenschaft und das bürgerliche Erbe. Das deutsche Bürgertum und die Revolution von 1848 im sozialistischen Geschichtsverständnis, Frankfurt a.M. 1984, bes. 222–229 und 258–262. 751 Vgl. zum Totalitarismusbegriff grundlegend: H. ARENDT, Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft. Antisemitismus, Imperialismus, totale Herrschaft, Frankfurt a.M. 1955; s.a. J. GEBHARDT, Was heißt totalitär?, in: Totalitarismus und Demokratie. Zeitschrift für internationale Diktatur- und Freiheitsforschung 2004.2, 165–182. 749
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in ihrem Herrschaftsanspruch als „totalitär“ zu bezeichnen und hier gemeinsam zu behandeln.752 Ausschlaggebend hierfür ist aber auch eine historische Betrachtungsweise, die den Untersuchungsrahmen nicht auf einen bestimmten Zeitabschnitt verengt oder, um es nochmals mit den Worten STEFAN REBENICHs zu sagen: „Doch unser Augenmerk darf nicht nur auf die Epoche des Nationalsozialismus gerichtet sein. Um Kontinuitäten und Diskontinuitäten der Altertumswissenschaften herauszuarbeiten, ist es notwendig, die zeitliche Perspektive zu erweitern und die Republik von Weimar, wie diejenige von Bonn (und Ostberlin) in den Blick zu nehmen. Nur so können die intellektuellen und wissenschaftlichen Voraussetzungen geklärt werden, die zahlreiche prominente Historiker veranlassten, mit dem nationalsozialistischen Wissenschaftssystem zu kollaborieren und nur auf diesem Weg können Inhalte und Methoden der Altertumswissenschaften nach 1945 überzeugend bewertet werden.“753 In der wissenschaftsgeschichtlichen Praxis kommt es also weniger auf die Behandlung bestimmter Epochen als denn vielmehr auf die Berücksichtigung der longue durée754 an. Doch auch bei der Bearbeitung eines spezifischen Fallbeispiels gilt es vielmehr, grundlegende menschliche Verhaltensmuster zu analysieren, als sich mit einer Diskussion der grundsätzlichen Vergleichbarkeit politisch-gesellschaftlicher Rahmenbedingungen aufzuhalten. Derartige Fragen haben ihre Berechtigung, besitzen für die Wissenschaftsgeschichte meist aber nur eingeschränkte Relevanz. Trotzdem oder gerade deswegen ist der Wissenschaftshistoriker angehalten, sich so umfassend wie möglich über die historischen Rahmenbedingungen seines Untersuchungszeitraumes zu informieren. In Abschnitt 2.2.3. ist deutlich gemacht worden, dass eine „reine“ Wissenschaft nicht existiert und ihre Entwicklung von den historischen Einflüssen nicht isoliert – und auch nicht isoliert betrachtet – werden kann.
752
Vgl. zum Überblick und zur differenzierten Betrachtung des Begriffs: W. MERKEL, Totalitäre Regimes, in: Totalitarismus und Demokratie. Zeitschrift für internationale Diktaturund Freiheitsforschung 2004.2, 183–202. 753 REBENICH, Zwischen Verweigerung und Anpassung, 15. 754 Vgl. hierzu: F. BRAUDEL, Geschichte und Sozialwissenschaften. Die longue durée, in: C. Honegger (Hrsg.), M. Bloch, F. Braudel, L. Febvre u.a. Schrift und Materie der Geschichte. Vorschläge zur systematischen Aneignung historischer Prozesse, Frankfurt a.M. 1977, 47– 85.
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Dabei ist eine Konzentration auf den Bereich der Wissenschaftspolitik naheliegend.755 In Einzelfällen können sich auch im Bereich von Biografien herausragender Vertreter politischer Regime Berührungspunkte mit der Ägyptologie ergeben, so etwa im Falle des „Stellvertreters des Führers“ Rudolf Hess (1894– 1987), der in Alexandria geboren wurde und dort aufwuchs. F. W. v. Bissing widmete diesem „deutschen Kämpfer vom Strande des Nils“756 seine Ägyptische Kunstgeschichte.757 Unabhängig davon bewegten sich Ägyptologen aber auch außerhalb des rein wissenschaftlichen Bereichs in einem gesellschaftlichen Umfeld, welches totalitäre Systeme gemäß ihrem Herrschaftsanspruch vollständig zu durchdringen versuchten. Auch die persönliche Biografie einzelner Gelehrter muss demnach zwingend zum Untersuchungsgegenstand der Wissenschaftsgeschichte werden. Hierbei sollte man sich wieder an der Empfehlung STEFAN REBENICHs orientieren: „Die intellektuelle, politische und wissenschaftliche Biographie der einzelnen Repräsentanten des Faches im ‚Dritten Reich’ muss rekonstruiert werden, um Apologie und Hagiographie gleichermaßen die Grundlage zu entziehen. Dabei sollte sich der Historiker allerdings nicht die Rolle des Strafrichters anmaßen, sondern sich mit der des Untersuchungsrichters bescheiden.“758 Das von Rebenich gebrauchte Bild einer gerichtlichen Untersuchung ist von THOMAS GERTZEN in seiner Kurzbiografie zu H. Grapow (vgl. Kap. 1.9.) aufgegriffen und im Rahmen eines sogenannten Indizienparadigmas759 umgesetzt worden.760 Auch wenn sich der Wissenschaftshistoriker einer juristischen Einschätzung zu enthalten hat und hierzu ja auch gar nicht befähigt ist, weisen gerichtliche und wissenschaftliche Untersuchungen eine Reihe von Gemeinsamkeiten auf: Sie sollen möglichst objektiv durchgeführt werden und auf einem ordentlichen Beweisverfahren beruhen. Angelehnt an die Ausführungen 755 Vgl. in Auswahl, für das „Dritte Reich“: F.-R. HAUSMANN, Die Rolle der Geisteswissenschaften im Dritten Reich 1933–1945, München 2002; E. ELLINGER, Deutsche Orientalistik zur Zeit des Nationalsozialismus 1933–1945, Edingen-Neckerhausen 2006; F.-R. HAUSMANN, Die Geisteswissenschaften im „Dritten Reich“, Frankfurt a.M. 2011; A. C. NAGEL, Hitlers Bildungsreformer; für die DDR: KOCKA, Wissenschaft und Politik in der DDR, 435– 459; MAYNTZ, Die Folgen der Politik für die Wissenschaft in der DDR, 461–483; SCHRÖDER, Wissenschaft in der DDR, 26–40. 756 Hierzu: RAULWING/GERTZEN, Friedrich Wilhelm Freiherr von Bissing, 44, Anm. 29. 757 F. W. VON BISSING, Ägyptische Kunstgeschichte von den ältesten Zeiten bis auf die Eroberung durch die Araber. Systematisches Handbuch, 2 Bde., Berlin 1934–1939. 758 REBENICH, Zwischen Verweigerung und Anpassung, 13f. 759 Hierzu grundlegend: C. GINZBURG, Spurensicherung. Die Wissenschaft auf der Suche nach sich selbst, Berlin 2002, 7–57. 760 Vgl. GERTZEN, Begegnung mit Hermann Grapow, 23–25 und 121f.
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des Wissenschaftstheoretikers KURT EBERHARD wären als weitere Anforderungen zu nennen: (1) die Ausschöpfung aller Tatsachen bzw. die Auswertung sämtlicher zur Verfügung stehender Quellen; (2) die Prüfung anderer möglicher Geschehensabläufe bzw. das Heranziehen von Vergleichsbeispielen; und (3) die lückenlose Darlegung urteilsbegründender Beweiszeichen bzw. die Beschränkung auf beweisbare Aussagen über den Sachverhalt.761 Subjektive Stellungnahmen oder moralische Werturteile haben in der Wissenschaftsgeschichte nichts verloren. Dabei bliebe es ja jedem Bearbeiter unbenommen, sich eine persönliche Meinung zu bilden. Für den Fall, dass diese dennoch im Rahmen einer wissenschaftsgeschichtlichen Untersuchung Erwähnung finden soll, wäre zunächst auf den richtigen Ort – wohl am besten das Vorwort – und dann darauf zu achten, sie entsprechend zu kennzeichnen bzw. einzuleiten; etwa durch Formulierungen wie: „Bei meiner Auseinandersetzung mit dem Thema …“ oder „Ich persönlich habe den Eindruck gewonnen, dass …“ oder „Meiner Meinung nach …“. Wer die „Ich-Form“ für nicht angemessen erachtet, kann diese natürlich ebenso gut durch Wendungen wie „Verfasser ist der Ansicht, dass …“ und „Nach Meinung des Verfassers …“ o.ä. ersetzen. Eine wissenschaftsgeschichtliche Untersuchung, die nicht zwischen solchen persönlichen Haltungen und Einschätzungen und dem objektiv vorliegenden historischen Befund unterscheidet, macht den Verfasser angreifbar oder seine Arbeit eventuell nahezu nutzlos für die Forschung. Warum kommt es gerade bei der Auseinandersetzung mit der Geschichte der Ägyptologie im „Dritten Reich“ dennoch immer wieder zu wertenden, objektiv nicht nachweisbaren Einschätzungen über den Grad politischer Belastung oder Kompromittierung von Wissenschaftlern in totalitären Systemen? Zum einen geschieht dies sicherlich, weil Objektivität in wissenschaftlichen Untersuchungen grundsätzlich nur näherungsweise erreicht werden kann.762 Weiterhin fühlen sich die Bearbeiter möglicherweise dazu verpflichtet, zu moralischen Aspekten des Themas Stellung zu nehmen und eine bestimmte Haltung zu zeigen. Die Vermeidung der Ersten Person Singular in diesem Zusammenhang deutet jedoch noch in eine andere Richtung: Neben den im deutschen Sprach-
761
Vgl. K. EBERHARD, Einführung in die Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie. Geschichte und Praxis der konkurrierenden Erkenntniswege, Stuttgart 21999, 103–108, bes. 105. 762 Vgl. L. DASTON, Eine Geschichte der wissenschaftlichen Objektivität, in: R. Mayntz (Hrsg.), Akteure – Mechanismen – Modelle. Zur Theoriefähigkeit makro-sozialer Analysen, Frankfurt a.M. 1997, 44–60.
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raum häufiger anzutreffenden grundsätzlichen sprachlich-stilistischen Vorbehalten (s.o.) spielt sicher auch der Umstand eine Rolle, dass kritische Äußerungen in diesem Bereich früher zu teilweise heftigen Reaktionen älterer Fachvertreter geführt haben, manche Karriere junger Wissenschaftler dadurch Schaden genommen hat und es daher ratsam erscheint, entsprechende Stellungnahmen nicht zu deutlich mit der eigenen Person in Verbindung zu bringen. Tatsächlich spielen alle hier genannten Faktoren eine Rolle. Die mangelnde Kennzeichnung subjektiver Werturteile als solche und die fehlende Differenzierung gegenüber eindeutig beweisbaren Fakten führt aber häufig dazu, dass wissenschaftsgeschichtliche Forschung in diesem Bereich per se als unsachlich, ja unwissenschaftlich wahrgenommen wird. Auch der umgekehrte Fall ist möglich. Wissenschaftsgeschichtliche Forschung wirbt für die Differenzierung bzw. die Beschränkung der Analyse auf objektiv feststellbare Tatsachen, die öffentliche Wahrnehmung aber reagiert mit Unverständnis bzw. ignoriert ausdrücklich den wissenschaftlichen Befund. Nach der öffentlichen Vorstellung der Ergebnisse aus der oben erwähnten Grapow-Biografie im Rahmen eines wissenschaftsgeschichtlichen Forschungs-Kolloquiums an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften763 kam die Zeitungsberichterstattung der „taz“ zu dem bemerkenswerten Schluss: „Dass die Seele Hermann Grapows vielleicht doch dem Nationalsozialismus gehörte, scheint dem nichtwissenschaftlichen Betrachter eindeutig. Allein, die Belege fehlen.“764 Das scheinbar so harmlose Zitat verdient, jenseits des darin behandelten konkreten Fallbeispiels, eine etwas genauere Betrachtung: Sprachlich wirkt es etwas unglücklich, dass erst „vielleicht“ etwas „scheint“, um dann als „eindeutig“ bezeichnet zu werden. Der „nichtwissenschaftliche Betrachter“ weiß es aber besser und das, obwohl „die Belege fehlen“. Noch einmal deutlich formuliert: Fehlende Beweise wären demnach irrelevant. Eine wissenschaftliche Untersuchung wäre also nur dann glaubwürdig, wenn sie Beweise für die „Schuld“ der behandelten Person liefert, von der der „nichtwissenschaftliche Betrachter“ ja ohnehin überzeugt ist. Und weiterhin: Das Fehlen von Belegen spräche dem-
763
Vgl. T. Gertzen, „Dixi et salvavi animam meam“ – der Fall Hermann Grapow. Der Vortrag ist über das Onlineportal der Gerda-Henkel-Stiftung, L.I.S.A., abrufbar: http://www.lisa.gerda-henkel-stiftung.de/beitraege?category=738&page=2 [23.2.2016]. 764 CH. RESCH, Wissenschaft im Dritten Reich. Ägyptologen mit Nazi-Hintergrund, in: taz, 13.4.2015: http://www.taz.de/!5012860 [23.2.2016].
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nach nicht für die „Unschuld“ und ließe auch keine Zweifel an der vorgefertigten Meinung zu. Hier wäre der Rechtsgrundsatz in dubio pro reo anzuführen oder wissenschaftlich ausgedrückt: Eine Hypothese, die nicht verifizierbar oder falsifizierbar ist, ist wissenschaftlich wertlos. Doch leider scheint eine Denkweise, wie sie in dem Artikel der „taz“ zum Ausdruck kommt, keineswegs nur im „nichtwissenschaftlichen“ Bereich vorzukommen. Gerade der hier angesprochene Fall H. Grapows liefert dafür eine Reihe interessanter Beispiele, wobei sich die Problematik vor allem in der mangelnden Reflexion der Wissenschaftshistoriker und Ägyptologen über ihre eigenen Denk- und Begriffskategorien offenbart. Hochproblematisch erscheint auch die grundsätzliche Motivation, dem untersuchten Gelehrten seine Schuld oder deren Ausmaß nachzuweisen und nicht den Quellenbefund daraufhin ergebnisoffen zu überprüfen. Dies deutet sich z.B. an, wenn im Zusammenhang mit Grapows – tatsächlich nachgewiesener und gut dokumentierter – Denunziation des belgischen Ägyptologen J. Capart (vgl. Kap. 1.7. und 2.1.2) darauf hingewiesen wird, dass Grapow, „schon im November 1934 ein Schwert im ägyptischen Museum in Berlin als ‚sicher nordische Arbeit‘ erkannt hatte“,765 oder wenn erwähnt wird, dass er in der Zeit des Nationalsozialismus eine „bemerkenswerte Karriere“766 gemacht habe. Die erste Einlassung soll belegen, dass Grapow sich frühzeitig auf ein völkisches und damit nationalsozialistisches Gedankengut eingelassen habe, die zweite deutet einen Zusammenhang zwischen seinem Parteieintritt und seinem beruflichen Aufstieg an. Unabhängig davon, ob man diese Einschätzung teilt oder nicht, wäre es in diesen Fällen die Aufgabe des Wissenschaftshistorikers, weitere Belege für völkisches Gedankengut bei Grapow zusammenzutragen und diese dann vor dem Hintergrund zeitgenössischer Debatten und der Bedeutung dieser Konzepte in der Geschichte der Ägyptologie zu untersuchen. Im Hinblick auf seine Karriereentwicklung müssten möglichst eindeutige Belege oder doch zumindest Dokumente vorgelegt werden, die einen solchen Zusammenhang plausibel erscheinen lassen. In den hier zitierten Fällen fand dies aber nicht statt, die implizierten Thesen: „H. Grapow war frühzeitig von völkischer Weltanschauung überzeugt“ und „H. Grapow verdankt seinen beruflichen Aufstieg seinem Eintritt in die NSDAP“ werden nicht verifizierbar oder falsifizierbar dargelegt – dennoch entsteht beim Leser ganz sicher der gewünschte Eindruck. 765
REBENICH, Adolf Erman und die Berliner Akademie der Wissenschaften, 365. FRANZMEIER/WEBER, „Andererseits finde ich, dass man jetzt nicht so tun soll, als wäre nichts gewesen“, 133.
766
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Aufbauend auf der Bezeichnung Grapows als „Erz-Nazi“ durch G. Steindorff (vgl. Kap. 1.9.), wurde erstgenannter als „überzeugter Nationalsozialist“ und „nationalsozialistischer Ägyptologe“ mit „absolute[r] Loyalität zum nationalsozialistischen Staat“ eingeschätzt.767 An der sprachlichen Eindeutigkeit dieser Einschätzungen besteht zunächst kein Zweifel. Klar und deutlich wird Grapow als Person und in seinem Verhalten als Nationalsozialist beschrieben. Probleme tun sich aber schon in eben diesen gebrauchten Bezeichnungen auf: Was ist ein überzeugter Nationalsozialist, und woran erkennt man ihn? Versucht man nationalsozialistische Ideologie zu definieren, ist man mit dem Problem erheblicher definitorischer Unschärfe konfrontiert: Jenseits des sogenannten „Führerprinzips“ offenbart sich nämlich eine beachtliche Idiosynkrasie. 768 Zur Frage des Nachweises nationalsozialistischer Überzeugung soll gleich noch ein weiteres Beispiel diskutiert werden. Aber auch eine Ägyptologie nationalsozialistischer Prägung müsste zunächst erst mit Inhalten gefüllt bzw. definiert werden. Absolute Loyalität ist nicht nur eine grundsätzlich äußerst seltene Charaktereigenschaft, sie wäre, auf Grundlage der zur Verfügung stehenden Quellen, auch nur sehr schwer nachweisbar. Denn im Rahmen der Quellenkritik müsste auch die Frage aufkommen, ob vermeintlich eindeutige Belege nicht vielmehr Ausdruck einer Anpassung oder Überlebensstrategie gewesen sind.769 Auch hierzu liefert der Fall Grapow bzw. seine Behandlung in der ägyptologischen Sekundärliteratur ein treffendes Beispiel. So konnte man in einer kürzlich veröffentlichten Darstellung zur Geschichte des Ägyptischen Museums Berlin über Grapow erfahren: „Er war NSDAP-Mitglied, trat gern in SAUniform auf und unterhielt Beziehungen zu höchsten Partei- und Regierungskreisen.“770 Der zuerst und der zuletzt genannte Punkt sind jeweils eindeutig nachweisbar und unbestritten.771 Die hier getroffene Einschätzung über Grapows modische Präferenzen verdient hingegen eine eingehendere Betrachtung: Zunächst wird keine der gemachten Aussagen durch eine Fußnote mit Quellennachweis belegt. Es ist anzunehmen, dass sie auf „Oral History“ (vgl. 767
SCHNEIDER, Ägyptologen im Dritten Reich, 130, 157 und 159. Vgl. hierzu: T. KLEPSCH, Nationalsozialistische Ideologie. Eine Beschreibung ihrer Struktur vor 1933, Münster 1990, 16–40. 769 Hier bietet sich die Gelegenheit zu einem „Vergleich“, der nicht als „Gleichsetzung“ (s. Abschnitt Anfang) verstanden werden soll: R. JAHN, Wir Angepassten. Überleben in der DDR, München 32014. 770 KISCHKEWITZ, Die Jahre 1933–1945 im Ägyptischen Museum, 293. 771 Vgl. hierzu allerdings: REBENICH, Zwischen Verweigerung und Anpassung, 17: „Parteimitgliedschaft allein [ist] kein exklusives Kriterium für die Bestimmung des Grades der Anpassung an die NS-Ideologie.“ 768
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Kap. 2.1.7.) beruht.772 Hier offenbaren sich dann auch die ersten Ungereimtheiten: Grapow war „Blockwart“773 und hätte wohl eine entsprechende Uniform, nicht jedoch die eines SA-Mannes getragen. Grapow war „Förderndes Mitglied der SS“, einer Formation, der vor allem Geschäftsleute angehörten, die ihre Zugehörigkeit durch eine Anstecknadel am Revers kennzeichneten, nicht durch das Auftreten in Uniform. In seinem Parteistatistischen Erhebungsbogen von 1939774 gibt Grapow als bei sich zu Hause vorhandene Uniformteile „keine“ an. Andere Ägyptologen wie F. W. v. Bissing haben sich äußerlich eindeutig zu ihrer Parteimitgliedschaft bekannt, aber dennoch keine Uniform getragen.775 Von wieder anderen, wie etwa H. Kees, liegen entsprechende fotografische Aufnahmen in Uniform vor – von Grapow bislang nicht. Das alles widerlegt die Aussage nicht, Grapow wäre „gern“ in Uniform aufgetreten. Aber dies bedeutete auch eine Umkehrung der Beweislast: Es muss nicht belegt werden, dass Grapow keine Uniform getragen hat oder er dies „ungern“ tat, sondern es müsste belegt werden, dass er es getan hätte. Treiben wir das oben erwähnte Indizienparadigma, das heißt den Vergleich einer wissenschaftsgeschichtlichen Untersuchung mit einem Gerichtsverfahren, einmal auf die Spitze und stellen uns vor, ein „Staatsanwalt“ wäre mit den hier vorgestellten Argumenten und Darstellungen angetreten, das „Gericht“ von der „Schuld“ des „Angeklagten“ Hermann Grapow zu überzeugen – im Gericht sitzt allerdings auch dessen „Anwalt“. Dieser würde die Anklage in ihren Ausführungen wohl des Öfteren mit „Einspruch“ belegen: „Spekulation“; „Hörensagen“; allenfalls „Indizienbeweise“ lauteten dann die Begründungen und die Verteidigung hätte gute Aussichten, für ihren „Mandanten“ einen Freispruch aus „Mangel an Beweisen“ zu erwirken. Das Schlimme daran: Für den „Angeklagten“ wäre es dennoch nur ein „Freispruch zweiter Klasse“, da ihn der „Gerichtsreporter“ der „taz“ ganz sicher als dennoch „schuldig“ darstellen würde und in dem Verfahren etwaige tatsächlich verwertbare Beweise nicht zur Sprache gekommen wären, weil sich die „Anklage“ zu siegessicher war. 772 Jedenfalls ist mir während eines Praktikums im Ägyptischen Museum Berlin im Jahr 2005 noch eine ähnliche Anekdote berichtet worden. 773 Vgl. D. SCHMIECHEN-ACKERMANN, Der „Blockwart“. Die unteren Parteifunktionäre im nationalsozialistischen Terror- und Überwachungsapparat, in: VfZ 48.4, 2000, 575–602. 774 BArch, R 9361/I, 987, Bl. 49635; zitiert nach: GERTZEN, Begegnung mit Hermann Grapow, 21, Anm. 26. 775 Den Parteioberen teilte Bissing brieflich mit: „ich kann immer nur in meiner gewohnten Kleidung gehen, die ich je nach den Umständen abändern muss und die ich nach Belieben öffnen oder schliessen kann“; Barch, OPG, Bissing, v. Friedrich Freiherr, 3.2.1935; zitiert nach: GERTZEN, Begegnung mit Hermann Grapow, 21, Anm. 27.
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Für diese Defizite bei der Auseinandersetzung mit der Wissenschaftsgeschichte der Ägyptologie im „Dritten Reich“ können zwei Gründe angeführt werden: (1) Die Bearbeiter waren keine Neuzeithistoriker, sondern in ihrer Mehrheit Ägyptologen. Sie besitzen daher nicht die notwendige geschichtswissenschaftliche Kompetenz und Methodenkenntnis und darüber hinaus auch keine praktische Erfahrung mit diesem Forschungsgegenstand. Dazu haben sie über ihr Vorgehen zu wenig reflektiert und sich nicht die Mühe gemacht, die von ihnen verwandten Begrifflichkeiten auf ihre definitorische Trennschärfe hin zu überprüfen. Vor allem aber haben sie es unterlassen, ihre Darstellung einer „Gegenprobe“ zu unterziehen, in die Rolle des „Advocatus Diaboli“ zu schlüpfen und zu prüfen, ob ihre Thesen stichhaltig, ja grundsätzlich überhaupt nachprüfbar sind. (2) Noch problematischer als die zuvor genannten Aspekte, die sich im Verlauf einer fortgesetzten Forschungsdiskussion früher oder später von selbst erledigen würden und am Beginn eines neu erschlossenen Forschungsgebiets auch ganz normale Erscheinungen darstellen, ist allerdings die sich in einigen Arbeiten abzeichnende Tendenz, die Auseinandersetzung als eine zwar anerkanntermaßen notwendige, aber eben doch als eine zu erledigende „Pflichtübung“ zu begreifen, nach deren Erledigung man sich wieder seiner eigentlichen ägyptologischen Forschung zuwenden kann, die in ihrem „Kern“ davon auch unberührt bleibt. So wurde kürzlich über die Arbeiten des Göttinger Ägyptologen Hermann Kees aus der Zeit des Dritten Reiches bemerkt: „Kees’ antisemitische Haltung lässt sich allerdings nicht nur durch seine führende Stellung in der programmatisch antisemitischen DNVP bis 1933 belegen. Sie findet sich auch in seinem zeitgenössischen ägyptologischen Schrifttum.“776 Derselbe Aufsatz kommt aber am Ende zu dem Schluss: „Mit Kees’ politischer Belastung kontrastiert seine überragende wissenschaftliche Leistung insbesondere im Bereich der ägyptischen Religionsgeschichte. […] Wie bei anderen Ägyptologen während des Nationalsozialismus offenbart sich eine Diskrepanz zwischen wissenschaftlicher Größe und politisch-menschlichem Verhalten.“777 Die hier gebotene Gegenüberstellung von „wissenschaftlicher Größe“ und „politisch-menschlichem Verhalten“ suggeriert, es bestehe die Möglichkeit, beide Bereiche voneinander getrennt zu betrachten (vgl. Kap. 2.1.6.). Sie ignoriert dabei nicht nur den eigenen wissenschaftshistorischen Befund (vgl. Zitat oben) 776
SCHNEIDER, Hermann Kees’ Tätigkeit in Göttingen 1924–1945, 350; s.a. die weitere Diskussion mit Belegen: 350–352. 777 Ebenda, 381.
(Wissenschafts-)Geschichte schreiben
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und relativiert das vorgestellte Fallbeispiel als „wie bei anderen Ägyptologen“, sondern erweckt den Eindruck, dass nach dieser wissenschaftsgeschichtlichen Katharsis wieder zur ägyptologisch-kulturwissenschaftlichen Tagesordnung übergegangen werden könnte. Eine solche Sichtweise aber wäre eine Illusion. 2.3.
(Wissenschafts-)Geschichte schreiben
Es soll hier keine regelrechte „Anleitung“ zur Abfassung wissenschaftsgeschichtlicher Arbeiten im Bereich der Ägyptologie geboten werden. Doch bereits im vorangegangenen Abschnitt ist angeklungen, dass der Autor einer solchen Untersuchung auch über sein eigenes Vorgehen und die Darlegung seiner Untersuchungsergebnisse nachdenken muss. Wer sich mit den Wechselwirkungen zwischen Wissenschaft und Weltanschauung oder ganz einfach den historischen Rahmenbedingungen der Disziplingeschichte befasst, sollte eigentlich auch erkennen, dass er selbst nicht weniger durch seine Umwelt in seiner Arbeit beeinflusst ist. Allerdings wäre es wenig zielführend, jeder wissenschaftsgeschichtlichen Untersuchung eine „Selbstbetrachtung“ voranzustellen. Vielmehr sollte man sich über seine Fragestellung im Klaren sein und diese vor dem Hintergrund bestimmter wissenschaftlicher Diskurse (vgl. Kap. 2.2.ff.) verorten können. Dabei ist eines der Hauptprobleme wissenschaftsgeschichtlichen Arbeitens in der Ägyptologie, dass viele Verfasser sowohl die inhaltliche Zielsetzung als auch das sich daraus (eigentlich) ergebende methodische Vorgehen für „gesetzt“ oder „klar“ erachten. Wissenschaftsgeschichte gerät dann sehr leicht zu einer positivistischen Aneinanderreihung von Daten, Personennamen, Publikationstiteln und Ereignissen – was im Übrigen auch die meisten Leser entsprechend schnell langweilt. Um nicht missverstanden zu werden: Die Klärung der Fragen „Wer? Wann? Was?“ ist die unabdingbar notwendige Voraussetzung für (Wissenschafts-)Geschichte. Eigentlich entscheidend, interessant und auch sehr viel anspruchsvoller ist aber die Frage nach dem Warum? oder: Warum so und nicht anders? Um sie zu beantworten, bedarf es allerdings auch eines sehr viel höheren Aufwands, der Klärung der Umstände, der längerfristigen Entwicklungslinien, der kulturgeschichtlichen Rahmenbedingungen – eine Aufgabe, die nicht „nebenbei“ (vgl. VORWORT) erledigt werden kann oder erledigt werden sollte. Es ist also sinnvoll, sich zuallererst über die Zielsetzung seiner Untersuchung klar zu werden; eine konkrete Fragestellung zu formulieren; sich über die hierzu relevanten theoretischen Grundlagen zu informieren; und schließlich
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Hypothesen aufzustellen. Dabei kann auch die Analyse ähnlich angelegter, bereits veröffentlichter wissenschaftsgeschichtlicher Untersuchungen eine Hilfe sein, mit denen man sich im Zuge der Zusammenstellung der Forschungsbibliografie ja ohnehin beschäftigen muss. Auch aus dem kritischen Hinterfragen oder der argumentativen Widerlegung bisheriger Forschungsergebnisse lassen sich Schlüsse für das eigene methodische Vorgehen ziehen. Rezensionen entsprechender Arbeiten vermitteln einen Eindruck von der Aufnahme und Akzeptanz der Publikationen durch die scientific community – wobei aber eine Rezension immer auch fast mehr über den Rezensenten als über das rezensierte Werk aussagt. Ist man sich über die eigenen Untersuchungsziele klar geworden und hat einen Überblick über die Forschungsliteratur gewonnen, ist man gerüstet für die Archivrecherche – wobei damit zunächst das Ausfindigmachen relevanter Archivbestände gemeint ist (vgl. Kap. 2.1.3.ff.). Im Archiv selber wird man dann mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf Dokumente mit spannenden, gänzlich unerwarteten Inhalten stoßen – und bei den ersten Archivbesuchen wahrscheinlich vom Stöbern in den alten Unterlagen ganz grundsätzlich fasziniert sein. Hier erweist sich eine konkret ausgearbeitete Fragestellung als äußerst „zielführend“, weil sie verhindert, dass man sich von seinem eigentlichen Untersuchungsgegenstand ablenken lässt – interessante „Nebenprodukte“ der Archivrecherche kann man sich in seinem Notizbuch verzeichnen und für eine spätere Bearbeitung im Hinterkopf behalten. Allerdings ist auch der tragische Fall denkbar, dass der archivalische Befund keine ausreichende Grundlage zur Beantwortung der zuvor entwickelten Fragestellung liefert: entweder weil keine relevante Informationen aus den Akten gewonnen werden können oder weil der Quellenbefund zeigt, dass die Fragestellung auf fehlerhaften Grundannahmen beruhte, die sich nicht mit den vorgefundenen Tatsachen in Einklang bringen lassen. Nach der Aufbereitung des aufgenommenen Materials (vgl. Kap. 2.1.5) ist daher ein Abgleich von Fragestellung, Sekundärliteratur und archivalischen Quellen nötig. Die Ausarbeitung des Manuskriptes mit den Untersuchungsergebnissen sowie der dabei angewandten Methodik ist themenspezifisch bzw. von der gewählten Fragestellung und dem Untersuchungsgegenstand abhängig. Im Folgenden soll daher lediglich kursorisch die Bearbeitung der wichtigsten Untersuchungsformen im Bereich der Wissenschaftsgeschichte vorgestellt und auf einige zu beachtende Aspekte hingewiesen werden.
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2.3.1. Die Gelehrtenbiografie, ein unterschätztes Genre Nicht zuletzt aufgrund der verbreiteten Unterschätzung biografischer Arbeiten778 (vgl. Kap. 2.1.2) gerät diese Einstellung bei der praktischen Umsetzung mitunter zu einer self-fulfilling prophecy. Die Lebensgeschichte eines Gelehrten zu erzählen, scheint eine denkbar einfache, zumindest aber in ihrem Aufbau klar vorgegebene Aufgabe: Am Beginn steht die Auseinandersetzung mit dem Familienhintergrund, gegebenenfalls in Form einer regelrechten Genealogie. Es folgt die Schilderung von Kindheit und Jugend, wobei meistens schon nach frühen Anzeichen des späteren beruflichen Interesses gesucht wird und die herangezogenen Selbstzeugnisse (vgl. Kap. 2.1.1.) meist auch entsprechende Schilderungen liefern. Vielleicht gilt es auch einige prägende Erlebnisse aus der Schulzeit zu berichten oder aber festzuhalten, dass der angehende Wissenschaftler schulisch nur mäßig erfolgreich war, was einen „beliebten“ Topos solcher Schilderungen darstellt. Eine Sonderstellung und besonders intensive Berücksichtigung erfährt das Studium bzw. die akademische Qualifikation, welche ja auch in der Erinnerung der meisten Akademiker besonders intensiv erinnerte Erfahrungen sind (vgl. Kap. 2.1.7.). Besonders berücksichtigt werden dabei auch die Beziehungen zu den akademischen Lehrern, vielleicht auch frühe Konflikte mit etablierten Fachvertretern. Die anschließende Schilderung der beruflichen Laufbahn kann unterschiedlich präsentiert werden und orientiert sich in ihrer zeitlichen Gliederung meist an bestimmten Stationen der akademischen Karriere, herausragenden Forschungsleistungen und dem Erscheinen bedeutender Arbeiten und Werke. – Das Familienleben und private Angelegenheiten werden meistens nur dann, wenn sie Einfluss auf die berufliche Tätigkeit hatten, oder aber gesondert in einem der späteren Kapitel behandelt. Am Ende schließt sich an die Erwähnung des Todesdatums und der Umstände meist noch eine Würdigung oder Einschätzung der Leistungen und des akademischen Nachwirkens der behandelten Forscherpersönlichkeit an. Das „Wer? Wann? Was?“ (vgl. Kap. 2.3.) wird dadurch ziemlich gut geklärt und auch die Frage nach dem „Warum“ scheint durch die Ermittlung früher Prägungen in der Kindheit sowie dem Zusammentragen und der Auswertung
778
Vgl. demgegenüber: O. HÄHNER, Historische Biographik. Die Entwicklung einer geschichtswissenschaftlichen Darstellungsform von der Antike bis ins 20. Jahrhundert, Frankfurt a.M. 1999; s.a. CH. KLEIN (Hrsg.), Handbuch Biographie. Methoden, Traditionen, Theorien, Stuttgart 2009.
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von Selbstzeugnissen und Korrespondenzen ausreichend gut dokumentiert – eben dokumentiert, nicht aber interpretiert. Und jede Biografie ist immer auch Interpretation. Ein anschauliches Beispiel dafür hat DIETRICH RAUE im Rahmen seines Beitrages zur SÄK in Leipzig 2011 geliefert, indem er die Biografie G. Steindorffs drei Mal, jeweils mit einem unterschiedlichen interpretativen Akzent vorstellte.779 Dabei wirken die „Drei Ansichten“ zunächst nur wie leichte Variationen ein und desselben Themas: (1) Ein Verfolgter im akademischen Milieu 780 (2) Ordinarienherrlichkeit und Totalitarismus 781 (3) Emigration eines Patriarchen 782 Allerdings werden die biografischen Fakten jeweils anders präsentiert und ausgewertet: Unter (1) erscheint Steindorff als der Spross eines liberalen jüdischen Elternhauses, der zeit seines Lebens bedrückende Erfahrungen mit dem Antisemitismus in der deutschen Gesellschaft und dem deutschen akademischen Betrieb machen musste. Trotz zwischenzeitlicher Erfolge muss er letztendlich vor der rassistischen Verfolgung durch die Nationalsozialisten aus Deutschland fliehen, nachdem er zuvor aus seiner einflussreichen Position innerhalb der deutschsprachigen Ägyptologie verdrängt worden ist. Unter (2) erscheint Steindorff als ein frühzeitig zum Christentum konvertierter äußerst erfolgreicher Ägyptologe, der eine glänzende Karriere durchläuft, die ihn an die Spitze der von ihm vertretenen Disziplin befördert. Die Verfolgung und Vertreibung der Nationalsozialisten trifft ihn umso härter, als er sich in seiner „Ordinarienherrlichkeit“ und seiner herausgehobenen gesellschaftlichen Stellung als Vertreter der deutschen Elite sicher fühlte. Unter (3) wird vor allem Steindorffs Einbettung in weitreichende sowohl private als auch berufliche Netzwerke hervorgehoben. Sein Leben und seine berufliche Laufbahn sind an persönlichen Beziehungen zu seinen Mitmenschen orientiert und auf dieser Grundlage aufgebaut. Die Vertreibung durch die Nationalsozialisten bricht in dieses persönliche Gefüge ein und zwingt den „Patriarchen“, seinen Lebensmittelpunkt und sein persönliches Umfeld, soweit möglich, ins Ausland zu verlagern. Keine der so gebotenen „Versionen“ der Gelehrtenbiografie G. Steindorffs kann Anspruch darauf erheben, die „richtige“ oder „richtiger“ als die anderen zu sein. RAUE selbst meint dazu: 779
Vgl. RAUE, Der „J’accuse“-Brief an John Wilson, 345–376. Ebenda, 347–351. 781 Ebenda, 352–356. 782 Ebenda, 357–367. 780
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„In der historischen Einschätzung wird man damit leben müssen, dass es Tage gab, an denen die eine, am nächsten aber auch die andere der oben skizzierten Versionen überwog und für […] Georg Steindorff […] jeweils relevant und wichtig war. Dies soll keinesfalls einer Beliebigkeit der Interpretation Tür und Tor öffnen. In dem Rahmen […] spiegeln sich die Schwankungen wieder, die für Menschen in ihrer persönlichen Entwicklung, und besonders in von Extremsituationen geprägten Zeiten möglich sind. Auf dieser Ebene sollte sich die Beschäftigung mit ihnen eine stets gut zu begründende Offenheit bewahren, und nicht eine Gewissheit anstreben, die die untersuchten Personen mit großer Wahrscheinlichkeit selbst nicht immer besaßen.“783 Dieser interpretative Rahmen, der im Übrigen auch die besondere Herausforderung an eine Gelehrtenbiografie ausmacht, deutet sich im englischsprachigen Raum oft auch durch die Verwendung des Untertitels „A Biography“ an. Der unbestimmte Artikel ruft dabei noch einmal ins Gedächtnis, dass es die „definitive“ Biografie nicht geben kann. Andere (Unter-)Titel sind – ob vom Verfasser bewusst gewählt oder nur als „Eyecatcher“ intendiert – nicht weniger aussagekräftig: Die Bezeichnung J. H. Breasteds (vgl. Kap. 1.6.1.3.) als „American Egyptologist“784 deutet bereits einen entsprechenden nationalen bzw. sprachlichen Untersuchungsschwerpunkt an. Die Verbindung von C. R. Lepsius (vgl. Kap. 1.4.) mit der „Ordnung der Wissenschaft“785 ist als eine klare Rollenzuschreibung zu verstehen. Darin kommt aber weit mehr als nur ein besonderer Aspekt oder eine zusätzliche Dimension der jeweiligen biografischen Darstellung zum Ausdruck. Die Wahl des Titels vermittelt bereits einen Eindruck von dem gewählten interpretativen Untersuchungsrahmen und erlaubt Rückschlüsse auf die zugrundeliegende Fragestellung. Dadurch wird aber auch deutlich, dass Biografien eine äußerst komplexe Aufgabe darstellen und sich – so praktisch und übersichtlich dies auch zunächst erscheinen mag – nicht auf einen tabellarischen Lebenslauf reduzieren lassen. Noch deutlicher wird dies, wenn die Lebensgeschichte eines einzelnen oder mehrerer Ägyptologen als Fallbeispiele für ein über die Einzelbiografie hinausweisendes Thema – etwa „Wissenschaft im ‚Dritten Reich‘“ – herangezogen werden. Bislang sind Doppelbiografien oder solche, die mehrere Gelehrte in ihrer Beziehung zueinander untersuchen, in der Ägyptologie recht selten. Eine
783
Ebenda, 367f. ABT, American Egyptologist. 785 MEHLITZ, Richard Lepsius. 784
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Ausnahme stellt die Arbeit von THOMAS GERTZEN über die Berliner Schule786 (vgl. Kap. 1.5.) dar, in der die Ägyptologen G. Ebers, A. Erman und K. Sethe in ihrem „Lehrer-Schüler-Verhältnis“ betrachtet wurden und durch einen parallelen Aufbau der Einzelbiografien eine unmittelbare Vergleichbarkeit erreicht werden sollte. Aber auch die Rolle des Autors einer Biografie muss nicht von nur einer Person ausgefüllt werden: Das Leipziger Forschungsprojekt „Wissenshintergründe und Forschungstransfer“787 hat gezeigt, dass auch mehrere Autoren spezialisierte Einzelbeiträge zu einer übergeordneten Fragestellung beisteuern können und so eine ganz neue Form von Gelehrtenbiografie entsteht. 2.3.2. Institutionengeschichte Für die Institutionengeschichte gilt es im Grunde ähnliche Aspekte, jenseits der reinen Ereignisgeschichtsschreibung, zu beachten wie bei einer Gelehrtenbiografie. Schließlich sind Institutionen von Menschen gemacht und werden von Menschen betrieben. Das lässt aber zunächst eine Auseinandersetzung mit dem Institutionenbegriff788 sinnvoll erscheinen. In der Soziologie werden Institutionen als fest etabliertes Regelsystem definiert, das das Verhalten der darin operierenden Individuen für einander vorhersehbar werden lässt und ihre Zusammenarbeit strukturiert und stabilisiert. Einrichtungen wie Universitäten, Akademien oder Museen können also in diesem funktionalistischen Zusammenhang als Institutionen bezeichnet werden. Andererseits eröffnet eine solche Definition die Möglichkeit, auch andere Phänomene wissenschaftlicher (Zusammen-)Arbeit als Institution oder „institutionalisiert“ zu begreifen, etwa akademische „Schulen“. Jenseits des bereits erwähnten „menschlichen Faktors“ sind auch Institutionen, vergleichbar dem Verhältnis des Wissenschaftlers zu der ihn umgebenden Gesellschaft, in ein Institutionengefüge eingebunden. Wechselseitige Beeinflussung, aber auch die Personalunion von Führungspersonal in verschiedenen Einrichtungen gilt es dabei zu berücksichtigen. Daraus folgt als praktische Konsequenz, dass die Geschichte einer Institution niemals nur auf der Grundlage des eigenen Hausarchivs geschrieben werden kann (vgl. Kap. 2.1.4.). Es müssen 786
Vgl. GERTZEN, École de Berlin. Vgl. VOSS/RAUE (Hrsg.), Georg Steindorff und die deutsche Ägyptologie im 20. Jahrhundert, Berlin 2016. 788 Vgl. hierzu grundlegend: H. ESSER, Institutionen (Soziologie. Spezielle Grundlagen 5), Frankfurt a.M. 2000, bes. 1–12. 787
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zwingend weitere Archivbestände anderer Institutionen, aber auch, soweit vorhanden, private Dokumente der Institutionsmitarbeiter hierfür herangezogen werden. Die für die Wissenschaftsgeschichte der Ägyptologie relevanten Institutionen sind bereits genannt worden: (1) Gerade im deutschsprachigen Raum kommt den Universitäten789 eine besondere Bedeutung für die dauerhafte Etablierung ägyptologischer Wissenschaft zu:790 Im Zuge eines konsequenten Professionalisierungsprozesses wurde die Anstellung an einer Universität bzw. die Berufung auf eine Professur zum entscheidenden Distinktionsmerkmal des Ägyptologen als Wissenschaftler gegenüber den interessierten Laien oder „Dilettanten“ (vgl. Kap. 1.6.1.1.). (2) Aber auch die Wissenschaftsakademien791 spielen im Rahmen des sogenannten „Großbetriebs der Wissenschaften“ am Ende des 19. Jahrhunderts (vgl. Kap. 1.5.) eine entscheidende Rolle für die dauerhafte Etablierung der Ägyptologie in Deutschland. 792 (3) Die Museen schließlich sind ein bislang von der wissenschaftsgeschichtlichen Forschung eher vernachlässigtes Untersuchungsgebiet. Das hat sicher auch mit der erst kürzlich erfolgten Erweiterung des Untersuchungsrahmens auf eine Wissensgeschichte jenseits des rein akademischen Umfelds der Wissenschaftsgeschichte zu tun (vgl. Kap. 0.1). Wichtig im Zusammenhang eines funktionalistischen Institutionenbegriffes (s.o.) ist auch die Auseinandersetzung mit der den Museen notwendigerweise vorausgehenden Sammlungstätigkeit.793 (4) Die Gruppe der wissenschaftlichen Schulen794 ist ein in der Disziplingeschichte der Ägyptologie gleichfalls wenig beachtetes Phänomen:795 dies vielleicht auch, weil eine
789
Vgl. W. E. J. WEBER, Geschichte der europäischen Universität. Vgl. für die Orientalistik allgemein: MANGOLD, Eine „weltbürgerliche Wissenschaft“, 18 und 89. 791 Vgl. L. DASTON, Die Akademien und die Einheit der Wissenschaften. Die Disziplinierung der Disziplinen, in: Kocka (Hrsg.), Die Königlich Preußische Akademie der Wissenschaften zu Berlin im Kaiserreich, 61–84. 792 Vgl. GERTZEN, École de Berlin, 47 und bes. 207f. 793 Vgl. K. POMIAN, Der Ursprung des Museums vom Sammeln, Berlin 1988; A. TE HEESEN, E. C. SPRAY (Hrsg.), Sammeln als Wissen. Das Sammeln und seine wissenschaftsgeschichtliche Bedeutung, Göttingen 22002. 794 Vgl. hierzu grundlegend: R. STOLZ (Hrsg.), Wissenschaft und Schulenbildung. 2. Arbeitstagung zum Thema „Die Bedeutung der Persönlichkeit für die Herausbildung und Entwicklung wissenschaftlicher Schulen“, Jena 1991; L. DANNEBERG, W. HÖPPNER (Hrsg.), Stil, Schule, Disziplin. Analyse und Erprobung von Konzepten wissenschaftsgeschichtlicher Rekonstruktion, Frankfurt a.M. 2005. 795 Vgl. GERTZEN, École de Berlin. 790
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„Zwergwissenschaft“796 scheinbar nicht den notwendigen Personalbestand aufweist, um einzelne Schulen voneinander unterscheiden oder über längere Zeiträume tradieren zu können; oder aber, weil die entsprechenden Begrifflichkeiten überhaupt nicht hinterfragt bzw. als etabliert angesehen werden. 797 Natürlich muss im Rahmen einer Institutionengeschichte immer berücksichtigt werden, dass sich Untersuchungen zur Geschichte der Ägyptologie meist auf bestimmte Ebenen der Institutionen konzentrieren – unabhängig von der Notwendigkeit, die weiter gefassten Rahmenbedingungen zu berücksichtigen (s.o.). (1) An den Universitäten wären dies z.B. die Lehrstühle, Institute und Seminare; (2) an den Akademien in der Regel die philosophisch-historische Klasse oder einzelne Akademienvorhaben; (3) im Bereich der Museen: Ägyptische Museen oder die ägyptischen Sammlungen als Bestandteil eines größeren Sammlungsverbundes. (4) Auch bestimmte Einzelprojekte oder Grabungen, Gesellschaften und Vereine können die daran beteiligten Ägyptologen prägen und eine gemeinsame Behandlung in diesem Kontext sinnvoll erscheinen lassen. Mehr noch als das Genre der Gelehrtenbiografie ist die Institutionengeschichte auf die Auseinandersetzung mit den Wechselwirkungen zwischen Wissenschaft und Gesellschaft angewiesen. Institutionen, zumindest die unter (1) bis (3) genannten, sind der „Ort“ wissenschaftlichen Arbeitens und auch der Rahmen, in dem wissenschaftliches Arbeiten wahrgenommen wird. Diese Überlegung erweitert den Untersuchungsgegenstand der traditionellen Disziplingeschichte und soll deshalb im folgenden Abschnitt aufgegriffen werden. 2.3.3. Ein größerer Kontext: Wissensgeschichte und Rezeptionsforschung Beide im Titel dieses Abschnitts erwähnten Untersuchungsgebiete sind aus der vorliegenden Einführung bislang ausgeklammert gewesen: Dabei erfolgte eine lediglich begriffliche bzw. definitorische Abgrenzung gegenüber der Wissensgeschichte (vgl. Kap. 0.1.) und eine inhaltliche gegenüber der Rezeptionsforschung (vgl. Kap. 0.2.). Sie soll hier nicht wieder aufgehoben oder diese Themen zum Abschluss doch noch (allzu) kurz abgehandelt werden. Allerdings dürfte gerade in den vorangegangenen Abschnitten noch einmal deutlich geworden sein, dass zwar im Rahmen einer Einführung in die Wissenschaftsgeschichte der Ägyptologie eine entsprechende Beschränkung möglich ist oder 796
Vgl. TRÜMPENER, Die Existenzbedingungen einer Zwergwissenschaft. Vgl. QUIRKE, Exclusion of Egyptians, 392–394, über die „British School of Archaeology in Egypt“.
797
(Wissenschafts-)Geschichte schreiben
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sogar sinnvoll erscheint, in der Praxis jedoch fast immer eine Erweiterung der Disziplingeschichte über den rein akademischen Rahmen hinaus bzw. auch eine Berücksichtigung der Außenwahrnehmung ägyptologischer Forschungsinhalte erfolgen sollte. Ein „Königsweg“ kann hierzu allerdings nicht aufgezeigt werden: Wo hört die reine Disziplingeschichte auf, wo fängt eine weitergefasste Wissensgeschichte an? Was ist Rezeption oder Ägyptomanie, 798 was ist „wissenschaftliche“ Ägyptologie (vgl. Kap. 0.). Wichtiger als eine begriffliche Trennung oder die abstrakte Definition eines Forschungsgebietes ist aber in diesem Zusammenhang der Hinweis darauf, dass Ägyptologie oder Ägyptologiegeschichte ihrerseits im Kontext von Forschungsdiskursen aufgegriffen und diskutiert werden können, in denen man sie zunächst eher nicht erwartet, etwa im Bereich der Musikgeschichte.799 Wie schnell die Antiken- oder Bibelrezeption800 auch unmittelbare Bedeutung für die Disziplingeschichte haben kann, zeigt sich exemplarisch am Beispiel der Nachbarwissenschaft der Assyriologie und dem Babel-Bibel-Streit (vgl. Kap. 1.6.) oder – wiederum musikgeschichtlich interessant – an der Opernaufführung „Sardanapal“.801 Ob gerade die deutschsprachigen Ägyptologen es wollten oder nicht, sie wurden immer wieder auch für solche Fragestellungen und Themen in Anspruch genommen.802 In der Rezeptionsforschung, etwa im Bereich der literarischen Ägyptenrezeption,803 werden immer wieder auch die ägyptologischen Quellen ermittelt. Eine wissenschaftsgeschichtliche Einordnung findet dabei aber in der Regel nicht statt. So ist es keineswegs ausreichend, nachzuprüfen, wann und durch welche Publikation ägyptischer Denkmäler oder deren Zugänglichmachung in Museen eine Aufnahme ägyptischer Elemente in der Literatur, bildenden Kunst oder 798
Vgl. B. BRIER, Egyptomania. Our Three Thousand Year Obsession with the Land of the Pharaohs, New York 2013. 799 Vgl. J. ASSMANN, Die Zauberflöte. Oper und Mysterium, Wien 2005. 800 Vgl. I. FISCHER (Hrsg.), Bibel- und Antikenrezeption. Eine interdisziplinäre Annäherung, Wien 2014. 801 Vgl. R. FREYDANK, „Sardanapal“ oder „Das Theater ist auch eine meiner Waffen“. Geschichte einer Festaufführung im Königlichen Opernhaus, in: MDOG 143, 2011, 141–167. 802 Vgl. etwa die an sich schon bemerkenswerte Übersicht in: H. ENGEL SJ, Die Vorfahren Israels in Ägypten. Forschungsgeschichtlicher Überblick über die Darstellungen seit Richard Lepsius (1849), Frankfurt a.M. 1979. 803 Vgl. A. GRIMM, Joseph und Echnaton. Thomas Mann und Ägypten, München 1992; DERS. (Hrsg.), Das Sonnengeschlecht. Berliner Meisterwerke der Amarna-Kunst in der Sprache von Thomas Mann, Mainz 1993; J. ASSMANN, Thomas Mann und Ägypten. Mythos und Monotheismus in den Josephsromanen, München 2006.
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Grundlagen der Forschung
eben Musik möglich wurde. Der jeweils zeitgenössische Stand ägyptologischer Forschung und ihre Stellung in, bzw. die Haltung der Vertreter der professionellen Ägyptologie zu zeitgenössischen Diskursen müsste dabei ebenso untersucht werden. Andersherum kann die Wissenschaftsgeschichte aber ebenso sehr von der Berücksichtigung dieser außerwissenschaftlichen, gleichwohl den Forschungsgegenstand der Ägyptologie unmittelbar betreffenden Entwicklungen nur profitieren.
Die ägyptische Antikengesetzgebung
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3. Fallbeispiele und Lesestücke In diesem Kapitel sollen die Leser an Quellentexte zur Geschichte der Ägyptologie herangeführt werden und die Methoden der Quellenkunde und Quellenkritik (vgl. Kap. 2.1.ff.) praktisch anwenden können. Bei der Auswahl wurde auf ein möglichst breites, internationales und zeitliches Spektrum, aber auch auf die Verschiedenartigkeit der Quellen geachtet. Wie in der Ägyptologie üblich, wird die Fähigkeit zum Umgang mit fremdsprachigen, konkret französischen und englischen Dokumenten beim Benutzer vorausgesetzt. Die Quellen werden teilweise als Faksimile, in der Regel als Transkriptionen vorgestellt. Die Kommentierung und Erläuterung beschränkt sich auf ein notwendiges Minimum, um eine Bearbeitung im Rahmen des universitären Unterrichts zu ermöglichen. Nicht immer konnten die behandelten Quellentexte oder auch die zum Vergleich herangezogenen Dokumente vollständig reproduziert werden. In diesen Fällen wird auf die entsprechenden bibliografischen Angaben verwiesen, wobei die zitierten Werke in jeder ägyptologischen Fachbibliothek zu finden sein sollten. Kurze einleitende Kommentare weisen auf mögliche Untersuchungs- oder Diskussionsansätze hin bzw. bieten entsprechende Literaturhinweise. Grundsätzlich gilt: Die hier präsentierten Quellentexte sollten auf keinen Fall unhinterfragt bleiben. Durch die bloße Edition oder in diesem Fall besser: Wiedergabe erfolgt keine ausreichende wissenschaftsgeschichtliche Einordnung, welche – im Idealfall – erst im Zuge der Auseinandersetzung der Leser mit den Dokumenten stattfindet. 3.1.
Die ägyptische Antikengesetzgebung
Die allgemeinen historischen Rahmenbedingungen zur ägyptischen Antikengesetzgebung wurden bereits in Abschnitt 1.6.1.2. behandelt. Darüber hinaus ist auf die übersichtliche, die ägyptische im Kontext der osmanischen bzw. der Antikengesetzgebung in der Region des Mittleren Ostens einordnende Darstellung von MORAG M. KERSEL zu verweisen, deren tabellarische Übersicht804 hier zugrunde gelegt und erweitert wird:
804
Vgl. M. M. KERSEL, The changing legal landscape für Middle Eastern archaeology in the colonial era, 1800–1930, in: G. Emberling (Hrsg.), Pioneers to the Past. American Archaeologists in the Middle East 1919–1920, Chicago 2010, 90.
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Fallbeispiele und Lesestücke
1834 Nationales Antikengesetz, Griechenland 1835 Antiken-Erlass vom 15. August (Mehemed Ali), Ägypten 1874 1. Osmanisches Antikengesetz 1880 Ausfuhrverbot (Dekret) für Antiken aus Ägypten (Mohammed Taufik) 1884 2. Osmanisches Antikengesetz 1906 3. Osmanisches Antikengesetz 1902 Gesetzesvorlage zur Verschärfung des ägyptischen Antikengesetzes (Gaston Maspero), sie wird durch den internationalen Gerichtshof in Alexandria abgelehnt. 1912 Grundlegende Novellierung des Antikengesetzes (Nr. 14), Ägypten 1918 Antiken-Proklamation, Mandatsgebiet Palästina 1924 Antikengesetz (Gertrude Bell), Irak 1929 Antiken-Erlass, Palästina 1936 Novellierung des Antikengesetzes (Nr. 59), Irak 1948 Gründung des Staates Israel, Wiederinkrafttreten des Antikenerlasses von 1929, ebenso im Gaza-Streifen (ägyptische Verwaltung) und der West Bank (jordanische Verwaltung) 1951 Novellierung des Antikengesetzes (Nr. 215), Ägypten 1970 UNESCO-Konvention zur Verhinderung des illegalen Exports oder Weitergabe von Kulturgut805 1983 Vollständiges Ausfuhrverbot von Antiken aus Ägypten Abb. 3: Tabellarische Übersicht der Antikengesetzgebung in der Region des Mittleren Ostens Der inhaltliche Zugang zur ägyptischen Antikengesetzgebung ist zunächst dadurch erschwert, dass die frühesten Bestimmungen zum Schutz von Antiken oftmals in Form einzelner Erlasse ägyptischer Herrscher formuliert worden sind und nicht als umfassende Antikengesetze erhalten blieben. Weiterhin 805
Vgl. die UNESCO-Homepage: http://www.unesco.org/new/en/culture/themes/illicit-trafficking-of-cultural-property/1970-convention/text-of-the-convention [2.3.2016].
Die ägyptische Antikengesetzgebung
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wurde die Ausfuhr von Antiken lange Zeit durch den Khediven persönlich genehmigt und durch einen sogenannten Firman806 bestehende Schutzbestimmungen umgangen bzw. „Sonderkonditionen“ vereinbart. Der Umgang mit Kulturgütern ist zudem Gegenstand einer internationalen Rechtsordnung, für deren Einschätzung juristischer Sachverstand benötigt wird. Im Folgenden sollen drei wichtige Etappen der ägyptischen Antikengesetzgebung vorgestellt werden: (1) der Antikenerlass von Mehemed Ali von 1835, der auf entsprechende Gesetzestexte von 1832/33 zurückgeht;807 (2) die, letztlich gescheiterten, Bemühungen Gaston Masperos um eine Verschärfung der bestehenden Antikengesetze von 1902, die ihrerseits auf Entwürfe von 1883 zurückgehen;808 und (3) das Antikengesetz von 1912, welches teilweise heftige Kritik von Ägyptologen hervorrief809 und für die Geschichte der deutschsprachigen Ägyptologie besondere Bedeutung erlangte, da es die gesetzliche Grundlage der Fundteilung in Amarna bildete (vgl. Kap. 2.2.2.). 3.1.1. Das erste ägyptische „Antikengesetz“ von Mehemed Ali (1835) Die Inhalte der verschiedenen Bestimmungen des Khediven zum Schutz der ägyptischen Antiken werden hier auszugsweise nach der Darstellung GASTON MASPEROs aus dem Bulletin de la société de la géographie V von 1836810 wiedergegeben: ANTIQUITES ÉGYPTIENNES. Mesures administratives récemment prises à ce sujet par le vice-roi d’Egypte. Les Musées égyptiens qui ont été établis dans plusieurs grandes villes d’Europe, renferment un nombre infini de monuments variés dont l’acquisition a coûté plusieurs millions aux gouvernements qui les possèdent. Cet état de choses et l’intérêt général que le monde savant accordent [sic] à ces débris historiques de l’ancien monde, ne pouvaient pas échapper à l’active at-
806
Vgl. JASANOFF, Edge of Empire, 230. Vgl. VOSS, Geschichte der Abteilung Kairo des DAI, Bd. 1, 11; zu den Hintergründen und einer Einschätzung vgl. COLLA, Conflicted Antiquities, 116–120. 808 Vgl. VOSS, Geschichte der Abteilung Kairo des DAI, Bd. 1, 20. 809 Vgl. FLINDERS PETRIE, The new law on the antiquities of Egypt, 128f. 810 G. MASPERO, Antiquités égyptiennes. Mesures administratif récemment prises à ce sujet par le vice-roi d’Égypte, in: Bulletin de la société de la géographie 5, 1836, 65–70. 807
200
Fallbeispiele und Lesestücke
tention du chef du gouvernement de l’Egypte actuelle; avec la plus grande libéralité il a laissé long-temps [sic] la science s’enrichir de ces précieuses dépouilles; mais cette libéralité n’était pas le fruit d’une ignorance réelle du prix de tels documents. Plusieurs projets avaient été adressés de Paris au vice-roi Mehemed-Ali, en 1829, il avait lui-même demandé à Champollion le jeune un mémoire sur l’utilité et les moyens d’assurer l’entière conservation des monuments dont le sol de l’Egypte est orné, et sur la police à introduire dans les fouilles archéologiques. Ce mémoire fut remis au vice-roi il y a aujourd’hui six années, et il porté ses fruits (1).811 Un acte du conseil, en date du 15 août 1835, défend sévèrement l’exportation hors de l’Egypte de tout objet antique, ordonne l’acquisition, pour le gouvernement, de tout ce qui sera découvert par les particuliers, et fonde un musée national au Caire. Voici la traduction de cet arrêté, publié en turc et en arabe dans la Gazette Officiel égyptienne, et dont nous sommes redevable [sic] à M. Bianchi, secrétaireinterprète du roi. EXTRAIT de la Gazette officielle turco arabe du Caire, du 20 de rebiussani de L’année 1251 de L’hégire. – Actes du conseil du gouvernement égyptien. Bien que les édifices remarquables et les admirables monuments d’art et d’antiquité du Saïd (la Haute-Egypte ou l’ancienne Thébaïde) attirent sans cesse de nombreux voyageurs européens dans ces contrées, il faut convenir cependant que du goût et de la recherche passionnée de ces derniers pour tous les objets qu’ils désignent sous le nom d’antiquités, est résultée [sic] pour les anciens monumens [sic] de l’Egypte une véritable dévastation. Tel a été jusqu’à ce jour, sous ce rapport, l’état des choses, qu’on peut craindre avec juste raison de voir bientôt ces monumens [sic], orgueil des siècles écoulés, disparaître du sol de l’Egypte, avec leurs sculptures et tous les objets précieux qu’ils renferment, pour aller, jusqu’au dernier, enrichir les contrées étrangères. Et cependant il est bien reconnu que, non seulement les Européens ne permettent en aucune façon l’exportation de semblable objets de leur pays, mais que partout où se trouvent des antiquités, ils s’empressent d’expédier des connaisseurs chargés de les recueillir, qui presque toujours, en font aisément l’acquisition en satisfaisant, pour de misérables sommes, la cupidité des propriétaires ignorans [sic].
811
Fußnote: Ce mémoire est imprimé à la suite des Lettres écrites d’Egypte et de Nubie, Paris, Firmin Didot, 1833; in 8°, avec planches.
Die ägyptische Antikengesetzgebung
201
Plus tard, ces sculptures, ces pierres ornées, et tous ces objets de même nature, recueillis, conservés en ordre dans des édifices particulièrement décorés et destinés pour cet usage, sont exposés aux yeux du public de toutes nations, et concourent puissamment à la gloire du pays qui les possède. C’est aussi par une étude approfondie des inscriptions et de figures hiéroglyphiques tracées sur les monumens [sic] et les objets d’antiquité, que les savants européens ont dans ces derniers temps considérablement ajouté au domaine de leur savoir. Considérant donc l’importance que les Européens attachent aux monumens [sic] anciens, et les avantages qui résultent pour eux de l’étude de l’antiquité; considérant en outre les richesses abondantes que l’Egypte, cette merveilles de tous les siècles, renferme sous ce rapport dans son sein, le conseil du gouvernement égyptien a pensé qu’il conviendrait; 1° Qu’à l’avenir l’exportation des objets d’antiquité de toute nature fût sévèrement prohibée ; 2° Que tous ceux de ces mêmes objets que le gouvernement possède déjà, ainsi que tous ceux qu’il pourrait recueillir des fouilles et recherches à venir, fussent déposés au Caire dans un local spécial, où ils seraient conservés et classés convenablement pour être exposés aux regard des habitans [sic], et particulièrement des voyageurs des étrangers, que leur vue amenerait [sic] journellement dans ces contrées; 3° Que non-seulement il fût expressément défendu de détruire à l’avenir les monumens [sic] antiques de la Haute-Egypte, mais que le gouvernement prît des dispositions pour assures partout leur conservation. Cette sage mesure aurait pour double résultat de conserver pour toujours aux voyageurs l’intégrité des monumens [sic]. Et de leur assurer dans tous le temps, au sein de l’Egypte même, l’existence permanente d’un riche dépôt d’antiquités véritablement digne de leur attention. Toutes ces sages et utiles dispositions, arrêtées en principe par le conseil, auraient déjà été mises en pratique par le gouvernement de l’Egypte, si leur exécution même n’eût dépendu jusqu’à ce jour de l’achèvement du collège d’interprétation dont l’administration a été confiée an cheikh Refaa. (1)812 Cet important établissement se trouvant présentement terminé sous les auspices de notre bienfaiteur, Son Altesse le vice-roi, le conseil a définitivement arrêté qu’à compter de ce jour, l’exportation des objets d’antiquité de toute nature
812
Fußnote: Le cheikh Refaa est l’un des anciens élèves les plus distingués de la mission égyptienne de Paris.
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Fallbeispiele und Lesestücke
étant défendue dans toute l’Egypte, tous ceux de ces précieux objets qui sont déjà en ce moment au pouvoir du gouvernement seront déposés dans une des parties, préparés à cet effet, du collège d’interprétation, et confiés aux soins et à la garde du cheikh Refaa: des ordres sévères ont déjà été donnés aux gouverneurs (moudirs) (2)813 des provinces du Saïd (la Thebaïde), pour que: 1° Tous les objets d’antiquité, qui se trouveraient dans leur département, fussent exactement envoyés au cheikh Refaa. 2° Pour qu’ils ne permettent plus la moindre dégradation sur les édifices et les monuments de l’antiquité; 3° Tous les travaux de fouille ou de démolition entrepris dans ce moment doivent être immédiatement suspendus, et les gouverneurs enverront au besoin des hommes armés pour maintenir la suspension des travaux et veiller à la garde des monuments; 4° On teindra rigoureusement la main à ce que dorénavant aucun objet d’antiquité ne soit exporté d’Alexandrie, du Caire, de Damiette ou de tout autre port de l’Egypte. 5° L’effendi, secrétaire général du divan, donnera des ordres à qui de droit, pour que, lorsque des objets d’antiquité se trouveront entre les mains des particuliers, il soit traité de gré à gré avec ces derniers de l’acquisition des dits objets, lesquels seront ensuite adressées au cheikh Refaa. 6° Bien que les appartements particuliers de feu l’ancien defterdar 814 aient été destinés pour le collège d’interprétation, la partie située au midi de ce local restant disponible, sera employée à la formation d’un musée, construit à la manière de ceux d’Europe, et destiné à recevoir les objets d’antiquité de toute nature. A cet effet, l’inspecteur général des bâtimens [sic], le cheikh Refaa et l’inspecteur général du génie, Hakiakine-Effendi, se rendront sur les lieux, et examineront attentivement le local. Hakiakine-Effendi dessinera ensuite le plan et l’élévation du musée, qui seront soumis à l’approbation du conseil. 7° Notification officielle de cette disposition sera donnée par l’entremise de Boghoz-Bey aux représentans [sic] des nations européennes, pour qu’ils en fassent part à leurs nationaux respectifs;
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Fußnote: L’Égypte est aujourd’hui divisée administrativement en moudirliks, gouvernemens [sic]; mémourliks, préfectures; aïánliks; sous préfectures; kiáchefliks, cantons; cheïkhul beledliks, communes. 814 Amtsbezeichnung für den obersten Finanzbeamten des Osmanischen Reiches, persischen Ursprungs.
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8° L’établissement de ce musée étant une de ces choses qui mérite la plus grande attention, la surveillance doit en être confiée à un inspecteur spécial qui l’administre dans tous les temps avec soin et vigilance; 9° Dès que ce dernier apprendra que, sur un point quelconque de l’Egypte, on est à la recherche d’antiquités, il s’y rendra immédiatement, arrêtera les fouilles déjà entreprises, et emploiera au besoin les autorités locales pour congédier les travailleurs; 10° Pendant l’année, l’inspecteur du musée sera tenu en outre de faire plusieurs tournées dans les provinces du Midi; 11° Jousouf-Zia-Effendi, réunissant toutes les qualités propres à ces fonctions, a été nommé inspecteur (nazir) du musée d’antiquités. Notification des toutes les dispositions précédentes, ainsi que du présent arrêté, a été donnée aux gouverneurs des provinces du sud, aux membres des conseils d’Alexandrie et de Damiette, à S. Exc. Boghoz-Bey, aux agas gouverneurs des ports de Suez et de Quosseïr à l’intendant général des bâtimens [sic], à l’inspecteur général du génie Hakiakine-Effendi, au Cheikh-refaa, à YouÄouf ZiaEffendi [sic] au trésorier du vice-roi et aux membres du conseil suprême, pour que chacun en prenne connaissance et en surveille l’exécution en ce qui le concerne particulièrement. BIANCHI, traducteur Cet acte doit avoir été communiqué officiellement aux agens [sic] consulaires et diplomatiques européens, accrédités auprès du vice-roi d’Egypte, il ne saurait être sans effet sur l’avenir des collections égyptiennes. (Moniteur du 28 novembre 1835.)
3.1.2. Der Versuch einer Verschärfung von Gaston Maspero (1883/1902) Die ursprünglich im Rapport sur la marche du SAE de 1899 à 1910 veröffentlichte Zusammenstellung wird hier nach der Edition bei ELISABETH DAVID815 wiedergegeben: Nous, Khédive d’Egypte, Sur la position de notre Ministre des Travaux Publics et l’avis conforme de Notre Conseil des Ministres, Le Conseil Législatif entendu, 815
DAVID, Gaston Maspero 1846–1916, 296–301.
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Décrétons: Chapitre Ier. Des Antiquités en général. Article premier. Sous réserve des dispositions de la présente loi, toute antiquité se trouvant sur ou dans le sol, dans toute l’étendue du territoire égyptien, appartiendra au Domaine public de l’Etat. Art. 2. Sont réputés antiquités toutes les manifestations et tous les produits des arts, des sciences, des littératures, des religions, de mœurs, des industries de l’Egypte pharaonique, grecque, romaine, byzantine et copte, temples païens, chapelles, basiliques et monastères abandonnés et désaffectés, forteresses et murs de villes, maisons, bains, nilomètres, puits maÄonnés, citernes, chaussées, carrières, obélisques, pyramides, mastabas et hypogées funéraires avec ou sans structures visible au-dessus du sol, sarcophages, cercueils en toute matière décorés ou non, cartonnages de momies, momies d’hommes ou d’animaux, portraits et masques peints ou dorés, stèles, naos, statues et statuettes épigraphes ou anépigraphes, inscriptions sur les rochers, ostraca, manuscrits sur peau, sur toile ou sur papyrus, silex taillés, armes, outils, ustensiles, vases, verreries, coffrets et objets d’offrande, étoffes et pièces d’habillement, parures, bagues, bijoux, scarabées et amulettes de toute forme et de toute matière, poids, monnaies, médailles, moules et pierres gravées. Art. 3. Sont réputés également antiquités les restes de murailles et de maisons en pierre ou brique cuite ou crue, les blocs en pierre et les brique cuite ou crue, les blocs en pierre et les briques éparses, les éclats de pierre, de verre ou de bois, les tessons, le sable, le homra, le sébakh,816 qui se trouvent sur ou dans les terrains appartenant à l’Etat et déclarés antiques par le Gouvernement.
816
Sebakh = arabisch für aus zerfallenen Lehmziegeln gewonnenen stickstoffhaltigen Dünger.
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Art. 4. Sont assimilées aux antiquités immobilières, aux fins de la présente loi, les antiquités mobilières attachées au sol ou difficilement transportables. Art. 5. Tous terrains appartenant à l’Etat, qui sont ou seront déclarés antiques par le Gouvernement, font partie du Domaine public. Art. 6. Font également partie du Domaine public toutes les antiquités qui sont ou seront conservées dans les musées de l’État. Chapitre II. Des Antiquités immobilières. Art. 7. Le Gouvernement pourra, soit procéder à l’enlèvement, à toute époque, de toute antiquité immobilière se trouvant dans une propriété privée, soit la conserver sur place en expropriant la partie du terrain sur ou dans laquelle elle se trouve, conformément aux lois en vigueur sur l’expropriation à payer par l’Etat, il ne sera tenu aucun compte de l’existence ni de la valeur des antiquités se trouvant sur ou dans le terrain exproprié. Art. 8. Tout inventeur d’une antiquité immobilière, tout propriétaire, locataire ou détenteur d’un terrain où une antiquité immobilière aura été découverte, sera tenu, sous peine d’une amende n’excédant pas L.E.817 10, d’en donner avis immédiatement, soit à l’autorité civile ou militaire la plus proche, soit aux agents locaux du Service des Antiquités. Pendant un délai de six semaines à partir du jour de la déclaration, le Service des Antiquités pourra procéder à toute mesure de surveillance et à toute recherche utile pour déterminer la nature de la découverte, à charge de remettre les choses en l’état à l’expiration de ce délai.
817
L.E. = französische Abkürzung für „livre égyptienne“, das ägyptische Pfund (Währung).
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Art. 9. Il est défendu, sous peine d’un emprisonnement ne dépassant pas un an et d’une amende n’excédant pas L.E. 10, ou de l’une de ces deux peines seulement: 1° de déplacer, abattre, mutiler ou détruire d’une façon quelconque des antiquités immobilières; 2° de s’emparer, sans autorisation spéciale du Gouvernement, des matériaux provenant de la destruction totale ou pareille des antiquités immobilières; 3° de transformer les hypogées, les carrières, les temples, et, en général, tous les édifices ou restes d’édifices antiques en habitations, en parcs à bestiaux, en dépôts, en tombeaux ou en cimetières. Il est défendu, sous peine d’un emprisonnement ne dépassant pas une semaine ou d’une amende n’excédant pas L.E. 1, de tracer des noms ou inscriptions sur des antiquités immobilières. Chapitre III. Des Antiquités mobilières. Art. 10. Quiconque aura trouvé une antiquité mobilière, se sera conformé aux prescriptions de l’article précédent recevra, à titre de prime, la moitié des objets trouvés ou de leur valeur. A défaut d’entente sur un partage amiable, le Service des Antiquités prélèvera les objets qu’il entend garder. Pour les autres objets, le partage en deux lots d’égale valeur sera fait par le Service, et l’inventeur aura le droit de choisir entre les deux lots. Pour tout objet prélevé par le Service, chacune des deux parties fixera la valeur qu’elle lui attribue. Au cas où l’inventeur n’accepterait pas la moitié du prix fixé par le Service, celui-ci aura la faculté, soit de prendre, soit d’abandonner l’objet, en payant ou en recevant la moitié du prix fixé par l’inventeur luimême. Chapitre IV. Des Fouilles. Art. 12. Nul ne pourra opérer des sondages, fouilles ou déblaiements à l’effet de chercher des antiquités, même sur un terrain lui appartenant, sans une autorisation
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préalable, accordée par le Ministère des Travaux Publics sur la proposition du Directeur Général du Service des Antiquités. Cette autorisation fixera la localité où les fouilles pourront être effectuées et la période pendant laquelle elle sera valable. Elle pourra accorder au fouilleur une partie des antiquités trouvées. Art. 13. Toute infraction à l’article précédent sera punie, indépendamment de la saisie au profit de l’Etat, d’un emprisonnement ne dépassant pas un an et d’une amende n’excédant pas L.E. 10, ou de l’une de ces peines seulement. Chapitre V. De la vente des antiquités. Art. 14. Tout marchand d’antiquités doit être muni d’une autorisation qu’il appartient à l’Administration seule d’accorder ou de refuser. Notre Ministre des Travaux Publics est chargé d’en réglementer les conditions. Art. 15. Toute antiquité revenant à l’inventeur, en vertu des dispositions des article 11 et 12 de la présente loi, pourra être vendue avec l’autorisation du Service des Antiquités. Il en sera de même pour les antiquités provenant de collections privées faites de bonne foi. Art. 16. Toute vente ou offre de vente d’antiquités, faites en dehors des conditions cidessus édictées, sont punies, outre la confiscation, d’une amende n’excédant pas L.E. 10 et d’un emprisonnement ne dépassant pas six mois, ou de l’une de ces deux peines seulement.
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Chapitre VI. De l’exportation des antiquités. Art. 17. L’exportation des antiquités est prohibée à moins d’une autorisation spéciale qu’il appartient à l’Administration seule d’accorder ou de refuser. Art. 18. Toute antiquité qu’on tentera de faire sortir de l’Egypte sans autorisation sera saisie et confisquée au profit de l’Etat. Chapitre VII. Dispositions diverses. Art. 19. L’administration pourra autoriser la prise du sébakh dans les endroits et aux conditions qu’elle déterminera. Toute antiquité trouvée au cours de l’enlèvement du sébakh doit être déclarée et remise immédiatement aux gardiens qui surveillent l’enlèvement, sous les peines édictées par l’article 10. Art. 20. Tout enlèvement du sébakh dans un endroit prohibé, ou en dehors des conditions réglementaires, sera puni d’une amende n’excédant pas 100 P.T.,818 ou d’un emprisonnement ne dépassant pas une semaine. Art. 21. La juridiction mixte sera compétente pour les infractions aux dispositions de la présente loi, commises par les étrangers. Elle sera également compétente à l’égard des indigènes poursuivis en même temps que des étrangers pour une même infraction. 819
818
P.T. = Abkürzung für Piaster; 100 Piaster = 1 L.E. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts bestanden in Ägypten mit ägyptischen und europäischen Richtern paritätisch besetzte internationale Gerichte, welche die Konsulargerichtsbarkeit, auf Grundlage der Gesetze aus den Herkunftsländern der Ausländer, ablöste. 819
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Art. 22. Sont considérés comme officiers de police judiciaire, pour ce qui concerne les services dont ils sont chargés, les Conservateurs, les Inspecteurs et les Sousinspecteurs du Service des Antiquités, ainsi que les agents en faisant fonction. Art. 23. Sont et demeurent abrogés les décrets mentionnés à l’annexe à la présente loi. Art. 24. Nos Ministres des Travaux Publics et de la Justice sont chargés, chacun en ce qui le concerne, de l’exécution de la présente loi. Annexe : Décret du 16 mai 1883 portant que le Musée de Boulaq, etc., sont déclarés propriétés du Domaine public de l’Etat. Décret du 17 novembre 1891 arrêtant les conditions auxquelles des autorisations de fouilles peuvent être délivrées. Décret du 1er août 1892 nommant les Conservateurs-inspecteurs et les Sousinspecteurs du SAE officiers de police judicaire. Décret du 12 août 1897 portant mesures de conservation pour les antiquités. Décret du 12 mars 1900 nommant officiers de police judicaire les Inspecteursconservateurs, Inspecteurs et Sous-inspecteurs du SAE. 3.1.3. Das Gesetz Nr. 14 von 1912 Die Novellierung des Antikengesetzes „Nr. 14“ wurde im Gesetzblatt der ägyptischen Regierung am 15. Juni 1912 veröffentlicht und mit Beginn des Jahres 1913 wirksam. Der eigentliche Gesetzestext wird hier als Scan aus den Beständen des Archivs der Abteilung Kairo des DAI wiedergegeben. Hinzu tritt dann die Transkription der entsprechenden ministeriellen Anordnungen, veröffentlicht im Journal Officiel vom 29. Januar 1913. Darin wird auch der Handel mit ägyptischen Antiken geregelt, der damals noch grundsätzlich möglich war.820 Diese Anordnungen bildeten die Anlage zu einem Bericht des Direktors des
820
K. RYHOLT, F. HAGEN, The Antiquities Trade in Egypt, 1880’s–1930’s. The H. O. Lange Papers, Kopenhagen, in Vorbereitung.
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Kaiserlich Deutschen Institutes für Ägyptische Altertumskunde in Kairo, Ludwig Borchardt (1863–1938), an das Auswärtige Amt und befindet sich heute in den Beständen des Bundesarchivs in Berlin-Lichterfelde.821
821
Die Akte trägt heute die Signatur: BArch, R 901/37121, Bd. 16, Aug. 1912 – Aug. 1913, Nr. 208; vgl. S. KÖPSTEIN, Das Abklatscharchiv beim Wörterbuch der Ägyptischen Sprache. Teil 1, in: Mitteilungen aus der Arbeit am Wörterbuch der Ägyptischen Sprache 3, 1994, 7 und 31, Anm. 214, wo noch der Standort des Bundesarchivs in Potsdam aus der Zeit der deutschen Teilung angegeben ist: BArchP, AA 37121, Bl. 42–52.
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Abb. 4: Das Gesetz Nr. 14 zum Schutz der ägyptischen Antiken, Seite 1
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Abb. 5: Das Gesetz Nr. 14 zum Schutz der ägyptischen Antiken, Seite 2
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Abb. 6: Das Gesetz Nr. 14 zum Schutz der ägyptischen Antiken, Seite 3
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JOURNAL OFFICIEL DU GOUVERNEMET ÉGYPTIEN 40me année, Mercredi 29 Janvier 1913, No 12 Ordonnances – Décrets – Arrêtés MINISTERE DES TRAVAUX PUBLICS Arrêté ministériel No 50. SERVICE DES ANTIQUITES Règlement sur les autorisations pour faire le commerce des antiquités. LE MINISTRE DES TRAVAUX PUBLICS, Vu l’article 13 de la Loi no 14 des 1912 sur les antiquités: ARRÊTE: ARTICLE PREMIER. Les autorisations pour faire le commerce des antiquités seront de deux espèces: 1° L’autorisation pour marchand d’antiquités en boutique; 2° L’autorisation pour vendeur d’antiquités à l’étalage. Les marchands dûment autorisés de la première classe auront seuls qualité pour tenir boutique ouverte; ils ne pourront, par contre faire le commerce des antiquités en dehors de la boutique ou autre établissement semblable mentionné dans leur autorisation. Les vendeurs à l’étalage n’auront qualité que pour vendre de menus objets dont le prix ne devra en aucun cas dépasser cinq Livres Egyptiennes, en les étalant à endroit ou à l’un des endroits mentionnés dans leu permis.
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ART. 2. Les autorisations pour marchand en boutique seront accordées par la Direction Générale du Service des Antiquités; celles de vendeur à l’étalage seront accordées par les directions locales du dit Service après avoir pris l’avis de l’autorité locale. Toutes les autorisations seront strictement personnelles. ART. 3. Les demandes d’autorisation pour marchand en boutique seront adressées par les intéressés à la Direction Générale du Service des Antiquités sur papier timbré de P.T. 3. Elles contiendront: 1° Les nom, prénoms et domicile du requérant; 2° L’indication du local où celui-ci désire exercer son commerce; 3° Un extrait du casier judiciaire du requérant. ART. 4. Les demandes d’autorisation pour vendeur à l’étalage seront adressées par les intéressés à la Direction locale du Service des Antiquités sur papier timbre de P.T. 3. Elles contiendront: 1° Le nom, prénoms et domicile du requérant; 2° L’indication du ou des endroits où celui-ci désire exercer sa profession. ART. 5. Tout marchand en boutique devra tenir registre suivant un modèle approuvé par le Service des Antiquités où il inscrira jour par jour et par numéro d’ordre toutes les antiquités par lui acquises avec tous les détails de dimensions, matière, couleur, etc., nécessaires pour l’identification da l’objet ainsi que des indications sur la provenance suffisantes pour établir que ’objet rentre dans le commerce. Lorsqu’un objet porté au registre est vendu, mention en sera faite au registre avec indication, autant que possible, des nom et qualité de l’acheteur.
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Avant d’être mis en usage, le registre devra être paraphé ou cacheté à chaque page par un inspecteur du Service des Antiquités. Seront seuls exempts des dispositions du présent article, les objets mis en vente à un prix ne dépassant pas L.E. 5. ART. 6. Aucun des objets d’antiquité dont dispose un marchand en boutique ne sera gardé en dehors du local où celui-ci est autorisé à exercer son commerce. ART. 7. Aucun objet d’antiquité ne pourra être transporté à l’intérieur du pays par un marchand en boutique qu’avec l’autorisation écrite du Service des Antiquités. Lorsqu’un marchand est propriétaire de plus d’une boutique, les transports d’une boutique à une autre seront mentionnés aux registres des deux établissements comme s’il s’agissait de vente et d’achat. ART. 8. Les inspecteurs du Service des Antiquités, accompagnés ou non des agents le la force publique, pourront à tout moment pénétrer dans tout local et dans toute partie d’un local affecté au commerce des antiquités pour inspecter le registre prévu à l’art. 5 et en contrôler la tenue régulière et pour vérifier le stock du marchand. Le marchand ainsi que le personnel de son établissement devront faciliter l’inspection en tant que de besoin. A la fin de l’inspection, l’inspecteur visera la registre de l’établissement et y consignera toute observation qu’il lui semblera utile. ART. 9. Sans préjudice des peines prévues à l’article 17 de la Loi sur les antiquités susvisée, le fait d’exercer, sans autorisation, la profession de marchand ou de vendeur d’antiquités, sera puni d’un emprisonnement ne dépassant pas sept jour et d’une amende n’excédant pas L.E. 1, ou de l’une de ce deux peines seulement.
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Toute autre contravention aux dispositions du présent règlement sera punie de l’une ou l’autre des peines susmentionnées. Tout antiquité, objet de la contravention, sera saisie et confisquée. ART. 10. En cas de condamnation pour contravention aux dispositions du présent règlement, le juge pourra toujours ordonner le retrait de l’autorisation. En cas d’une seconde condamnation pour une contravention commise dans l’année d’une première condamnation, le retrait de l’autorisation sera obligatoire. L’autorisation pourra toujours être retirée par le Service des Antiquités en cas de condamnation pour l’une des infractions prévues par la Loi sur les antiquités sus-visée. ART. 11. Le présent règlement entera en vigueur à partir du 1er janvier 1913. Le Caire, le 8 décembre 1912. Le Ministre des Travaux Publics, (Signé): ISMAÏL SIRRY.
MINISTERE DES TRAVAUX PUBLICS Arrêté ministériel No 51. SERVICE DES ANTIQUITES Règlement pour l’exploitation des antiquités. LE MINISTRE DES TRAVAUX PUBLICS, Vu l’article 13 de la Loi no 14 des 1912 sur les antiquités: ARRÊTE:
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ARTICLE PREMIER. Toute personne qui désirera exporter des objets antiques, par voie de mer ou par voie de terre, devra en demander l’autorisation par écrit, sur papier libre, à la Direction Générale du Service des Antiquités, pour obtenir l’autorisation exigée par l’art. 14 de la Loi no 14 de 1912 sur les antiquités. ART. 2. La demande devra contenir les nom [sic], prénoms, qualité et nationalité du requérant, ainsi que l’indication du port ou du point de sortie. En même temps les objets et les colis ou caisses les renfermant devront être présentés à l’examen de la Direction avec une liste indiquant le nombre des pièces, leur nature, leurs dimensions et leur prix d’achat ou leur valeur commerciale. Les colis ou caisses ne devront renfermer que des objets égyptiens des temps pharaoniques, gréco-romains, byzantins ou coptes; la présence de n’importe quel objet d’autre époque ou d’autre style entraînera le refus de l’autorisation. ART. 3. Au cas où l’examen ne révélerait la présence d’aucun objet d’origine suspecte, l’autorisation sera délivrée sans délai. S’il révélait la présence d’objets d’origine suspecte et que les explications fournies par le requérant à leur sujet ne fussent pas reconnues comme satisfaisantes par le Service, ces objets seront retirés, sans quoi l’autorisation serait refusée pour tout. ART. 4. Les colis ou caisses renfermant les objets dont la sortie aura été autorisée après examen seront entourés de fil de fer maintenu par un ou plusieurs sceaux; le requérant paiera pour chaque colis ou caisse un droit de P.E. 4, destiné à couvrir les frais de l’opération. Il devra en même temps acquitter sur la valeur déclarée des objets un droit de sortie de 1 ½ pour cent dont le montant sera remis à l’Administration des Douanes par la Direction Générale du Service.
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ART. 5. Après accomplissement des formalités et acquittement des droits ci-dessus, la Direction Générale remettra au requérant: 1° Un certificat adressé à l’Administration des Chemins de fer de l’Etat, et qui sera remis par lui ou par son représentant aux autorités de la gare par laquelle il expédiera les colis ou caisses contenant les objets; 2° Un certificat adressé à deux exemplaires à la Direction des Douanes et constatant que le droit de sortie en été acquitté. L’un des deux exemplaires demeurera en la possession du requérant ou de son représentant, l’autre sera expédié par les soins du Service à la douane de la ville ou du port de sortie. ART. 6. Les mêmes formalités d’examen seront exigées pour les envois faits par la poste. Toutefois, les paquets contenant les objets devront être assujettis par une ficelle dont les deux bouts seront pris dans un cachet en circe ou en métal. Un laissez-passer imprimé, détaché d’un cahier à souche et signé par le représentant du Service sera collé sur le paquet. Aucun droit autre que celui de scellage ne sera exigé pour les objets expédiés ainsi par la poste. ART. 7. Les colis ou caisses devront être présentés aux bureaux des chemins de fer, des douanes et de la poste avec les sceaux intacts, sous peine être saisis et remis au Service des Antiquités pour enquête. ART. 8. Le présent règlement entrera en vigeur à partir du 1er janvier 1913. Le Caire, le 8 décembre 1912. Le Ministre des Travaux Publics, (Signé): ISMAÏL SIRRY.
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MINISTERE DES TRAVAUX PUBLICS Arrêté ministériel No 52. SERVICE DES ANTIQUITES Règlement pour les fouilles. LE MINISTRE DES TRAVAUX PUBLICS, Vu l’article 13 de la Loi no 14 des 1912 sur les antiquités: ARRÊTE: ARTICLE PREMIER. Les autorisations de fouilles sont accordées par le Ministre des Travaux Publics sur la proposition du Directeur Général du Service des Antiquités après avis favorable du Comité d’Egyptologie. Des autorisations provisoires de fouilles ou de sondages préliminaires pourront être délivrées par le Directeur Général pour une période qui ne devra pas dépasser un mois, à condition pour lui d’en référer au Ministre et au Comité d’Egyptologie dans sa première séance utile. ART. 2. Les autorisations seront accordées qu’à des savants chargés de mission ou recommandés officiellement par les Gouvernements, par les Universités, par les Académies, par les Sociétés savantes, et aux particuliers qui paraîtront présenter des garanties suffisantes. Ceux-ci devront, s’ils ne sont pas déjà connus par leurs travaux sur le concours d’un savant réputé comme ayant l’expérience nécessaire. ART. 3. Les autorisations ne seront accordées que pour une seule saison entière ou pour une partie quelconque d’une saison, sans préjudice des dispositions de l’article
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16 ci-après. La saison entière comprend le temps qui s’écoule entre le 15 novembre d’une année et le 14 novembre de l’année suivante. ART. 4. Des autorisations ne pourront être accordées pour plus de deux sites à la fois à un même particulier, non plus qu’aux représentants d’un même Gouvernement, Université, Académie ou Société. ART. 5. Les demandes d’autorisations seront adressées, autant que possible, avant le 25 octobre de chaque année, à la Direction Générale du Service des Antiquités, au Caire. Elles devront contenir : 1° Les nom [sic], prénoms, qualités, domicile et nationalité du requérant; 2° En cas de mission officielle ou de recommandation, la mention du Gouvernement, de l’Université, de l’Académie ou de la Société savante qui les ont données, avec pièces à l’appui; 3° Au cas où il s’agirait d’un particulier ne possédant pas l’expérience voulue pour diriger les travaux en personne, les nom [sic], prénoms, qualités et nationalité du savant qu’il a l’intention de s’adjoindre; 4° L’indication exacte, avec plan ou croquis à l’appui, du nom, du l’emplacement et des limites du ou des sites qu’il se propose d’exploiter; 5° Une exposition sommaire du but des fouilles et du programme des travaux à exécuter. ART. 6. Les autorisations pourront porter sur une partie seulement du site ou des sites demandés.
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ART. 7. Tout concessionnaire sera tenu de verser du Secrétariat du Service des Antiquités, à la fin de chaque campagne et pour chaque jour écoulé entre le commencement et la fin des travaux, la somme de P.E. 10, qui sera affectée aux frais de gardiennage du ou des sites à lui concédés. Toutefois, au cas où il le préférait, il pourra se faire accompagner, pendant toute la durée des travaux, d’un délégué du Service, auquel il paiera la somme de P.E. 20 par jour à titre d’indemnité, et en plus les frais de voyage aller et retour. Il devra faire connaître le parti qu’il prend au moment où l’autorisation lui sera remise. ART. 8. Toute autorisation comportera l’obligation de continuer les travaux sur le site ou sur chacun des sites concédés pendant soixante jours au moins au cours de la période pour laquelle elle aura été accordée. ART. 9. Le concessionnaire sera tenu de laisser sur place et de remettre en leur état primitif, si leur déplacement ou leur déposer temporaire ont été autorisés par les termes de son permis: 1° Les monuments fixés au sol quel qu’en soit l’état qui, au jugement de la Direction Général, doivent être conservés sur place, ainsi que les fragments détachés qu’elle désirera remettre en position; 2° Les pièces entièrement renversées que la Direction Générale jugera devoir être relevées ou conservées telles quelles sur place; 3° Les pièces pesantes que le concessionnaire refusera d’emporter à ses frais. ART. 10. Il sera prohibé de prendre sur les monuments des estampages par procédé humide ou de se livrer sur eux à aucune manœuvre qui risquerait de les endommager.
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ART. 11. Les antiquités mobilières trouvées par les concessionnaire au cours des fouilles exécutées en conformité des dispositions de son permis seront partagées par l’art. 11 de la loi no 14 de 1912 sur les antiquités. Le partage sera opéré sur place ou au Musée, selon que la fouilleur ou le Directeur Général ou son délégué en feront la demande; dans les deux cas, le transport au Musée des pièces soumises au partage se fera aux frais du fouilleur. ART. 12. Le concessionnaire recevra du Service sur sa demande faite par écrit, les permis nécessaires aux transports à l’intérieur et à l’exportation des antiquités mobilières qu’il aura trouvées. Il pourra en outre lui être délivré des certificats constatant l’entrée dans le commerce de toute pièce importante qui lui sera échue au partage. ART. 13. A la fin de la campagne, il devra combler les tranchées et les puits, enterrer les fragments de momies ou de cercueils, et d’une manière générale, remettre en état, à la satisfaction du Service des Antiquités, les terrains sur lesquels il aura opéré. Il ne sera autorisé à exporter sa part des objets trouvés qu’après que le Service des Antiquités aura constaté l’état satisfaisant de ces terrains. Toutefois le fouilleur qui sera strictement conformé aux conditions de son autorisations et qui désirera reprendre ses travaux l’année suivante, pourra être autorisé, si se trouveront à la fin de la campagne. Il devra, dans ce cas, faire disparaître les ossements humains et les débris du même genre, dont la présence pourrait choquer les visiteurs ou les passants de hasard. ART. 14. Il remettra à la Direction Générale, à la fin de chaque campagne: 1° Un plan, ou tout au moins un croquis, du champ des fouilles, avec légende indiquant la position des objets et monuments découverts; 2° Une liste de tous ces objets et monuments, comprenant ceux-là même qui lui seront échus en partage;
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3°
Un rapport sommaire contenant l’historique des travaux et l’indication des principaux résultats obtenus, avec références au plan et à la liste; Le tout pour être publié s’il y a lieu, dans l’une des livraisons prochaines des „Annales du services des Antiquités“. ART. 15. Les concessionnaires ainsi que les Universités, académies et Sociétés qu’ils représentent, devront déposer au Musée, pour sa bibliothèque, et à la Bibliothèque Khédiviale, un exemplaire des ouvrages, tirages à part, recueils de gravures publiés par leurs soins sur les faits relevés et sur les objets découverts au cours de leurs fouilles. ART. 16. Lorsque le concessionnaire se sera strictement conformé aux conditions de son autorisations et qu’il aura, avant la fin de la campagne, adressé à la Direction Générale une demande tendant au renouvellement de l’autorisation pour la saison prochaine, ce renouvellement lui sera accordé à moins que le Ministre, sur avis motivé du Comité d’Egyptologie appuyé par le Directeur Général, n’en décide autrement. Toutefois, si l’on venait à constater qu’il n’est pas en état de maintenir des chantiers ouverts sur tous les points d’un site à la fois, le renouvellement pourra ne lui être accordé que pour une portion de ce site seulement. ART. 17. En cas de contravention à une quelconque des conditions de l’autorisation, les travaux pourront être suspendus par la Direction Générale ou par tout agent du Service autorisé à cet effet, jusqu’à ce que l’état de contravention ait cessé. L’autorisation pourra même être retirée en cas de contravention grave, par arrèté du Ministre des Travaux Publics pris sur avis motivé du Comité d’Egyptologie appuyé par le Directeur Général.
Das Immediatgesuch zur Finanzierung des Aegyptischen Woerterbuches (1897) 225
ART. 18. Outre les clauses ayant pour but de donner effet aux dispositions du présent règlement, les autorisations de fouilles pourront renfermer toutes les conditions techniques qui, proposées par le Directeur Général, auront été approuvées par le Comité d’Egyptologie. ART. 19. Le présent règlement entrera en vigeur à partir du 1er janvier 1913. Le Caire, le 8 décembre 1912. Le Ministre des Travaux Publics, (Signé): ISMAÏL SIRRY.
3.2.
Das Immediatgesuch zur Finanzierung des Aegyptischen Woerterbuches (1897)
Die grundlegende Bedeutung des „Woerterbuches der Aegyptischen Sprache“ ist im Teilkapitel 1.5. geschildert worden. Der Text des Immediatgesuches aus dem Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (Berlin) wurde von THOMAS GERTZEN ediert.822 Der hier als Faksimile gebotene Textvertreter stammt aus dem Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz in Berlin. 823 Die von HERMANN GRAPOW 1953 wiedergegebene Textfassung,824 weicht in Teilen davon ab. Dem Immediatgesuch vorausgegangen war ein Antrag auf finanzielle Förderung bei der Wentzel-Heckmann-Stiftung, der allerdings abgelehnt worden war.
822
Vgl. GERTZEN, École de Berlin, 210–215; und DERS., Begegnung mit Hermann Grapow, 137–143; beiden liegt ABBAW PAW II (1812–1945), VIII, 238, Bl. 3–7, zugrunde. 823 GStA PK, HA I Rep. 76, Vc, Sekt. 1, Tit. 11, Teil VD, Nr. 15, Bd. 1, Bl. 2–5. 824 ERMAN/GRAPOW, Das Wörterbuch der Ägyptischen Sprache, 18–21; vgl. GERTZEN, École de Berlin, 210.
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Abb. 7: Immediatgesuch Woerterbuch, Bl. 2 recto
Das Immediatgesuch zur Finanzierung des Aegyptischen Woerterbuches (1897) 227
Abb. 8: Immediatgesuch Woerterbuch, Bl. 2 verso
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Abb. 9: Immediatgesuch Woerterbuch, Bl. 3 recto
Das Immediatgesuch zur Finanzierung des Aegyptischen Woerterbuches (1897) 229
Abb. 10: Immediatgesuch Woerterbuch, Bl. 3 verso
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Abb. 11: Immediatgesuch Woerterbuch, Bl. 4 recto
Das Immediatgesuch zur Finanzierung des Aegyptischen Woerterbuches (1897) 231
Abb. 12: Immediatgesuch Woerterbuch, Bl. 4 verso
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Abb. 13: Immediatgesuch Woerterbuch, Bl. 5 recto
Das Immediatgesuch zur Finanzierung des Aegyptischen Woerterbuches (1897) 233
Abb. 14: Immediatgesuch Woerterbuch, Bl. 5 verso
234
3.3.
Fallbeispiele und Lesestücke
Zum Vergleich: Gesuch zur Anstellung eines Sachverständigen in Kairo (1899)
Nur ein Jahr nach der Bewilligung der Mittel zur Finanzierung des Woerterbuchvorhabens wandte sich A. Erman erneut an Wilhelm II., diesmal um eine Stelle für einen wissenschaftlichen Sachverständigen am deutschen Generalkonsulat in Kairo zu beantragen. Die Hintergründe sind im Teilkapitel 1.6. geschildert und kürzlich von SUSANNE VOSS umfassend dargestellt worden.825 Der hier in Abbildung und Transkription gebotene Textvertreter stammt aus dem Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz in Berlin. 826 Bei der Abfassung des Textes wurde Erman durch den einflussreichen Ministerialbeamten Friedrich Schmidt-Ott geraten, sich an dem Stil und der Argumentationsweise des Immediatgesuches zur Finanzierung des Woerterbuchvorhabens zu orientieren: „Die Hauptsache wird sein, ihn [Wilhelm II.] für die ganze Frage in Ägypten zu interessieren. In dieser Hinsicht würde ich ganz eingehend sein, die Akademieeingabe, wie auch ihre eigene wegen des äg[yptischen] W[örter]b[uchs] vom vorigen Jahre einfach ausschlachten, damit es rascher geht, u[nd] alles erzählen, was das Allerhöchste Interesse wachrufen kann.“827
825
Vgl. VOSS, Geschichte der Abteilung Kairo des DAI, Bd. 1, 35–71. GStA PK, HA I Rep. 7 Vc, Sekt. 1, Tit. 11, Teil IX, Nr. 6, Bd. 1, Bl. 15–18. 827 Zitiert nach: VOSS, Geschichte der Abteilung Kairo des DAI, Bd. 1, 55. 826
Zum Vergleich: Gesuch zur Anstellung eines Sachverständigen in Kairo (1899) 235
Abb. 15: Immediatgesuch Sachverständiger in Kairo, Bl. 15 recto
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Abb. 16: Immediatgesuch Sachverständiger in Kairo, Bl. 15 verso
Zum Vergleich: Gesuch zur Anstellung eines Sachverständigen in Kairo (1899) 237
Abb. 17: Immediatgesuch Sachverständiger in Kairo, Bl. 16 recto
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Abb. 18: Immediatgesuch Sachverständiger in Kairo, Bl. 16 verso
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Abb. 19: Immediatgesuch Sachverständiger in Kairo, Bl. 17 recto
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Abb. 20: Immediatgesuch Sachverständiger in Kairo, Bl. 17 verso
Zum Vergleich: Gesuch zur Anstellung eines Sachverständigen in Kairo (1899) 241
Abb. 21: Immediatgesuch Sachverständiger in Kairo, Bl. 18 recto
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Abb. 22: Immediatgesuch Sachverständiger in Kairo, Bl. 18 verso
Zum Vergleich: Gesuch zur Anstellung eines Sachverständigen in Kairo (1899) 243
Transkription des Immediatgesuches für einen wissenschaftlichen Sachverständigen in Kairo. Die im Text vorgenommenen Unterstreichungen finden sich so im Original. Abschrift I 19302 An den Reichskanzler (Auswärtiges Amt) und den Minister der geistigen p. Angelegenheiten zum Bericht. – Hubertusstock, den 21. September 1898. Berlin den 16. September 1898. Allerdurchlauchtigster Großmächtigster Kaiser und König! Allergnädigster Kaiser König und Herr! Eurer Kaiserlichen und Königlichen Majestät wagt die von den Königlichen Akademien zu Berlin und München und den Königlichen Gesellschaften der Wissenschaften zu Leipzig und Göttingen eingesetzte Kommission zur Herausgabe eines Wörterbuches der ägyptischen Sprache anläßlich Allerhöchst Ihres Besuchs in Kairo eine ehrfurchtsvolle Bitte vorzutragen. Was uns zu dieser ermutigt, ist das dankbare Gedenken an die großartige Förderung, die unsere Studien von Seiner Majestät erfahren haben. Es ist weiter die Erinnerung daran, daß für die wissenschaftliche Erschließung Aegyptens kein Fürstenhaus so großes gethan hat wie Eurer Majestät Hochselige Vorfahren, sie, die durch die Gründung des ägyptischen Museums die deutsche Aegyptologie geschaffen haben, sie, die durch Aussendung der Lepsius’schen Expedition die älteste Epoche Aegyptens der Vergessenheit entrissen und die Brugsch’s und Dümichen’s Forschungen ermöglichten. Die [Seitenumbruch] Die wissenschaftliche Bedeutung Aegyptens. Kein anderes Land unseres Kulturkreises besitzt solche Wichtigkeit für die Kenntnis des gesamten Alterthums wie Aegypten, dessen glückliches Klima auch die unscheinbarsten Erzeugnisse der menschlichen Thätigkeit durch die Jahrtausende zu bewahren vermag. Die Aegyptologie kann die Entwicklung der Bewohner Aegyptens durch fünf oder sechs Jahrtausende verfolgen in seiner Sprache, in seiner Religion, in seiner Wissenschaft und Litteratur, in seiner Kunst und Technik, in seinem staatlichen und geschäftlichen Leben. Und das alles nicht nur in großen Zügen sondern bis in das Einzelne und Kleinste hinein.
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Und umso schwerer wiegt der Segen, den der Boden Aegyptens unseren Wissenschaften gebracht hat, die [sic] ihm scheinbar fern stehende alttestamentliche Forschung hat er Aufschluß über die Verhältnisse des heiligen Landes in der Zeit vor der jüdischen Einwanderung und die älteste urkundliche Schrift über das Volk Israel gebracht. Die assyrisch-babylonischen Studien haben einen neuen Aufschwung genommen durch den Fund der Keilschrifttafeln von Tell Amarna, die Euer Majestät Museum aus Aegypten zugingen. Derselbe Fund hat von einer ganzen Periode der altorientalischen Geschichte den Schleier hinweggezogen und uns zum ersten Mal den diplomatischen Verkehr der Reiche des alten Morgenlandes kennen gelehrt. Die klassische Archäologie verdankt Aegypten unter an[Seitenumbruch] anderem die Datierung der sogenannten mykenischen Kultur Griechenlands. Die klassische Philologie hat Schriften der griechischen Litteratur (von Herandros, Bacchylides, Aristoteles’ Staat der Athener) aus seinen Papyrusfunden erhalten, Schriften, auf deren Gewinnung niemand mehr zu hoffen wagte. Und das gleiche gilt von der Theologie, die eine staunenswerte Bereicherung der altchristlichen Litteratur dankbar schon empfangen hat und noch immer wieder empfängt. Die Papyrus der römischen Epoche Aegyptens bilden eine unerschöpfliche Quelle für die Kenntnis des öffentlichen und privaten Lebens im römischen Reich und auch die Rechtsgeschichte hat reichen Nutzen aus ihnen und aus denen der älteren Epochen gezogen. Eine neue Seite der altchristlichen Kunst haben uns die ägyptischen Gräber spätrömischer Zeit mit ihren [Geweben?] und Stickereien kennen gelehrt. Es gibt kaum einen Zweig der Geisteswissenschaften, der nicht neues Leben aus dem ägyptischen Boden gesogen hätte und die Bezeichnung Aegyptens als „der gemeinsamen Schatzkammer der Wissenschaften“ enthält keine Uebertreibung. Es ist daher eine Nothwendigkeit für die deutsche Forschung, in fester Verbindung mit Aegypten zu stehen, sodaß sie über alle dortigen Funde rechtzeitig und genügend unterrichtet wird. Wir sind ferner daran interessiert, daß diese Schätze auch richtig ver[Seitenumbruch] verwaltet werden und allen Nationen gleichmäßig zugänglich sind. Wissenschaftliche Vorherrschaft der Franzosen und Engländer.
Zum Vergleich: Gesuch zur Anstellung eines Sachverständigen in Kairo (1899) 245
Dem ist indessen nicht so und bis in die jüngste Zeit hinein haben Franzosen und Engländer eine Art wissenschaftliches Vorrecht in Aegypten besessen, die Engländer dank ihrer allgemeinen Stellung im Lande, die Franzosen, weil sie von jeher die ägyptische Alterthumsverwaltung als ihr Monopol in Händen haben. Sie sind gewohnt, das Museum und die Alterthümer Aegyptens fast als ihr Eigenthum zu betrachten; sie stehen, wie sie selbst es ausdrücken, „unter ihrem Protektorat“. Deutschland dagegen, das doch in seiner Bedeutung für diese Studien den genannten Ländern zum mindesten nicht nachsteht, hat bisher von den Brosamen leben müssen, die von jener Tische fielen. Die Krisis in der ägyptischen Alterthümerverwaltung. Erst in den letzten Jahren scheint eine Verschiebung zum Besseren für uns einzutreten, die wir dem Widerstreit zwischen Frankreich und England und noch mehr den eigenen Fehlern der Franzosen verdanken. Der unwissenschaftliche Betrieb ihrer officiellen Ausgrabungen, die aufsichtslosen Gräberreien der Antikenhändler, die mangelnde Ordnung in dem großen Museum zu Kairo („musée de Gizeh“) hatten in den wissenschaftlichen Kreisen aller Länder allmählich einen Grad [Seitenumbruch] Grad der Unzufriedenheit erregt, der es der englisch-ägyptischen Regierung ermöglichte, einzugreifen. Ihr erster Schritt war die Einsetzung einer internationalen Kommission, die unter Leitung des deutschen Aegyptologen Dr. L. Borchardt die Katalogisierung des großen Museums besorgt. Des weiteren versuchten sie, den Franzosen die oberste Leitung der Alterthümerverwaltung abzunehmen und die Stelle des „directeur général du service des antiquités“ mit einem nicht französischen (einem Deutschen [sic] oder Schweizer [sic]) Gelehrten zu besetzen – ein Versuch, der an dem Widerstand der Franzosen gescheitert zu sein scheint. Neuerdings beabsichtigt man, dem französischen Generaldirektor eine internationale Aufsichtsbehörde zur Seite zu setzen. Plan eines deutschen wissenschaftlichen Instituts in Kairo. An dem Ausgang dieser Krisis würde die deutsche Wissenschaft sehr viel weniger interessiert sein, wenn ihr in Aegypten in anderer Weise die ihr gebührende Stellung und der ihr nothwendige Boden gesichert wären. Dies wäre der Fall, wenn wir dort, wie das schon oft geplant worden ist, ein wissenschaftliches Institut besäßen, das in ähnlicher Weise der Forschung diente, wie die archäologischen Institute zu Rom und Athen; es würde die deutsche Aegyptologie und
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Fallbeispiele und Lesestücke
eben [Seitenumbruch] ebenso die anderen an Aegypten interessierten Gelehrten über neue Funde unterrichten und ihnen bei ihren Studien einen festen Rückhalt gewähren. Bei der oben dargelegten Vielseitigkeit der ägyptischen Funde würde ein solches Institut den gesamten Geistesswissenschaften reichen Nutzen bringen. Ein deutscher wissenschaftlicher Vertreter in Kairo. Sollte es sich dennoch verbieten, es zu schaffen, so ließe sich dem dringendsten Bedürfnisse immerhin schon auf einfachere Art abhelfen. Es würde schon genügen, wenn für einen einzelnen Gelehrten eine Stellung geschaffen würde, die es ihm ermöglichte, sich dauernd in Aegypten aufzuhalten, um dort die deutschen wissenschaftlichen Interessen wahrzunehmen. Er würde unsere gelehrten Körperschaften und einzelne Forscher mit Mittheilungen und Auskunft unterstützen und könnte auch den deutschen Behörden in den einschlägigen Fragen Rath erteilen. Die Königliche Akademie der Wissenschaften zu Berlin hat neuerdings bei dem Preußischen Kultusministerium wegen der Begründung einer derartigen Stelle seitens des Reichs einen Antrag gestellt. Wenn die unterzeichnete Kommission es wagt, auch ihrerseits Eurer Majestät in dieser [Seitenumbruch] dieser Sache Vortrag zu halten, so glaubt sie dies thun zu dürfen, weil auch ihr die in Aegypten für uns bestehenden Schwierigkeiten bei den Vorarbeiten zu dem „Wörterbuche der ägyptischen Sprache“ entgegengestanden sind, das sie, mit Euer Majestät Allerhöchster Unterstützung aus dem Dispositionsfonds beim Reich unternommen hat. Als Grundlage für unser Werk bedürfen wir fortdauernd Abschriften und mechanische Kopien der Inschriften und Papyrus und gerade in Aegypten, also an der wichtigsten Stelle, stoßen wir in dieser Hinsicht auf unerwartete Schwierigkeiten. So wäre es uns z.B. unmöglich gewesen, von den berühmten Inschriften von den Pyramiden von Säkkara [sic], die als die ältesten Littteraturdenkmäler der Aegypter die Grundlage des Wörterbuchs bilden müssen, Abklatsche und Photographien zu erhalten, wenn nicht zufällig ein Landsmann Dr. Wilhelm Heintze, der zeitweise Eurer Majestät Generalkonsulat beigegeben war, uns seinen Beistand geliehen hätte. Aber wir dürfen nicht darauf rechnen, immer einen derartigen Beistand zu finden und so müssen auch wir im Interesse des großen Werkes, das Euer Ma-
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jestät Gnade uns anvertraut hat, wünschen, daß die deutsche Wissenschaft in Aegypten einen ständigen Vertreter erhalten möge. Daher [Seitenumbruch] Daher wagen wir es, Euer Majestät ehrfurchtsvollst mit der Bitte zu nahen, Euer Majestät möge durch den Reichshaushaltsetat die Begründung einer deutschen wissenschaftlichen Stellung in Kairo anordnen, sei es daß ein Gelehrter dem Kaiserlichen Generalkonsulat als Beirath beigegeben werde, sei es daß in anderer Wiese die nöthigen Mittel für seinen dauernden Aufenthalt in Kairo bereitgestellt werden. Euer Majestät würden so der deutschen Wissenschaft in Aegypten die ihr gebührende Stelle und damit auch unserem Werke ein ungehindertes Fortschreiten sichern. Euer Majestät treu-gehorsamste Akademische Kommission zur Herausgabe des Wörterbuches der Ägyptischen Sprache i.A. gez. Prof. Ad. Erman. An seine Majestät den Kaiser und König. 3.4.
Kurt Sethe, Die Ägyptologie. Zweck, Inhalt und Bedeutung (1921)
Die Niederlage im Ersten Weltkrieg und die drohende Gefahr eines Ausbleibens weiterer staatlicher Wissenschaftsförderung bewog namhafte Vertreter der Berliner Schule der Ägyptologie zur Abfassung regelrechter Rechtfertigungsschriften (vgl. Kap. 1.7.). In der Reihe „Der Alte Orient“, mit dem vielsagenden Untertitel „Gemeinverständliche Darstellungen“, versuchten KURT SETHE (1869–1934) und HEINRICH SCHÄFER (1868–1957) für ihr Fach zu werben und eine fortgesetzte Unterstützung aus öffentlichen Mitteln zu rechtfertigen. Der Beitrag Sethes ist Mitte der 70er Jahre Gegenstand einer kritischen Auseinandersetzung in den „Göttinger Miszellen“, verfasst durch BERND SLEDZIANOWSKI, gewesen.828 828
Vgl. SLEDZIANOWSKI, Ägyptologie zwischen Positivismus und Nationalismus, 43–50.
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Die Texte werden hier in Kopie abgedruckt, damit die Leser sich mit Frakturschrift829 vertraut machen können.
829
A. KAPR, Fraktur. Form und Geschichte der gebrochenen Schriften, Mainz 1993.
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3.5.
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3.6.
Ägyptologie und Welterklärung? Drei Fallbeispiele
Anders als die beiden Fallbeispiele aus den vorausgegangenen Abschnitten sollen im Folgenden solche Texte vorgestellt werden, die ägyptologische Forschung nicht aus sich heraus oder besser um ihrer selbst willen zu rechtfertigen versuchten, sondern vielmehr sie als einen Beitrag zu weltanschaulichen Debatten verstanden haben. Dies berührt das im Abschnitt 2.2.3. behandelte Spannungsverhältnis von Wissenschaft und Weltanschauung. Die gewählten Fallbeispiele decken dabei eine große zeitliche wie auch inhaltlich-methodische Bandbreite ab: Während Friedrich Wilhelm von Bissings Darstellung der Geschichte des klassischen Altertums (vgl. Kap. 3.6.1.) unter dem unmittelbaren Eindruck der Niederlage im Ersten Weltkrieg und den politischen Auseinandersetzungen in der Weimarer Republik entstanden ist, stellt die Arbeit von Walther Wolf (vgl. Kap. 3.6.3.) einen Versuch dar, die Vertreter nationalsozialistischer Wissenschaftspolitik für die Ägyptologie zu begeistern und diese von dem Stigma einer „semitischen Wissenschaft“ zu befreien. Die grundlegenden Arbeiten Heinrich Schäfers zur ägyptischen Kunst (vgl. Kap. 3.6.2.) sollen hier in zwei Auflagen einander gegenübergestellt werden und so den unmittelbaren Vergleich zwischen der Frühphase und dem Ende der Weimarer Republik ermöglichen, wobei die Auswirkungen der Zeitumstände dabei vorrangig „zwischen den Zeilen“ zu suchen sind. Aufgrund ihres Umfanges können die Werke von Bissing und Schäfer hier nicht reproduziert werden. Womöglich sind beide nicht (mehr) in jeder ägyptologischen Institutsbibliothek oder nicht in unterschiedlichen Auflagen vorhanden. In diesem Fall empfiehlt sich eine Recherche in der Universitäts- oder Staatsbibliothek, wobei eine Kopiervorlage für eine Verwendung im Rahmen einer universitären Lehrveranstaltung später auch für die Fachbibliothek gebunden und eingestellt werden könnte. 3.6.1. Friedrich Wilhelm von Bissing, Das Griechentum und seine Weltmission (1921) Der Ägyptologe F. W. von Bissing (1873–1956) ist in vielerlei Hinsicht eine Ausnahmeerscheinung in der Geschichte der deutschsprachigen Ägyptologie: Adliger Herkunft und mit einem beachtlichen Familienvermögen ausgestattet, politisch bis in die höchsten Kreise des Deutschen Kaiserreichs vernetzt,
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konnte er lange Zeit äußerst unabhängig agieren. Die Niederlage Deutschlands im Ersten Weltkrieg traf ihn besonders hart, weil dadurch diese Sonderstellung und Privilegierung aufgehoben wurde und sich zum Teil sogar gegen ihn wandte.830 Seine Rolle in der Fachgeschichte ist bereits in den Teilkapiteln 1.5.2. und 1.6. behandelt worden. Eine grundlegende Auseinandersetzung mit seiner politischen Biografie wurde von PETER RAULWING und THOMAS GERTZEN geleistet.831 In der hier vorzustellenden Publikation Das Griechentum und seine Weltmission832 nutzt von Bissing die Geschichte des klassischen Altertums als Projektionsfläche, um Stellungnahmen zu zeitgenössischen politischen Auseinandersetzungen abzugeben. Dies wurde im Fach vor allem durch Alexander Scharff (1892–1950) deutlich kritisiert (vgl. Abb. 23).833 Auch außerhalb der Ägyptologie, von Seiten der eigentlich „zuständigen“ klassischen Philologen, wurde der Band eher zurückhaltend aufgenommen. 834 Durch Bissing eindeutig als „Streitschrift für den völkischen und den Königsgedanken“ (S. 4) bezeichnet, offenbart sich der Verfasser darin allerdings mehr als Verfechter des zuletzt genannten. Der Altphilologe Otto Immisch gelangte zu dem Schluss: „eine leidenschaftliche Teilnahme an den Kämpfen der Gegenwart gestaltet das antike Bild nicht selten zu deren Gegenbild. Und es ist die Teilnahme eines national gesinnten, deutschen Edelmanns, die hier zu Worte kommt, grundkonservativ und monarchisch, abhold allem Auflösenden und Negativen.“835 So wurde Das Griechentum auch nicht in dem Anfang der 20er Jahre in der deutschsprachigen Ägyptologie einsetzenden völkischen Diskurs rezipiert.836 Zum besseren Verständnis der darin verfolgten Intentionen ist sicher eine Auseinandersetzung mit Bissings zuvor, während des Krieges, veröffentlichten Propagandaschriften, 837 insbesondere zur Nationalen Erziehung,838 hilfreich. 830
Vgl. zu den Hintergründen grundlegend: MALINOWSKI, Vom König zum Führer. Vgl. RAULWING/GERTZEN, Friedrich Wilhelm Freiherr von Bissing, 34–119; ergänzend hierzu: GERTZEN, „Der verlorene Sohn“?, 97–106. 832 BISSING, Das Griechentum und seine Weltmission. 833 Vgl. A. SCHARFF, in: OLZ 25, 1922, 440f. 834 Vgl. H. LAMER, in: Philologen-Blatt 4, 1923, 58. 835 O. IMMISCH, in: HZ 129.2, 1924, 289. 836 Vgl. hierzu grundlegend: VOSS, Ägyptologie als „völkische“ Wissenschaft, im Druck. 837 Vgl. hierzu: GERTZEN, Das Engagement des Ägyptologen Friedrich Wilhelm von Bissing, 2 Teile. 838 Vgl. F. W. VON BISSING, Nationale Erziehung. Gedanken über die künftige Erziehung des deutschen Volkes, seiner Lehrer und Beamten (Flugschrift des Vereins „Deutsche Wacht“), München 1916. 831
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Fallbeispiele und Lesestücke
Abb. 23: A. Scharffs Rezension zu Das Griechentum und seine Weltmission 3.6.2. Heinrich Schäfer, Von ägyptischer Kunst (1919 und 1930) Der relativ überschaubare Personalbestand der ägyptologischen Wissenschaft führt dazu, dass die meisten Publikationen in diesem Fach keine zweite, dritte oder mehrere veränderte bzw. erweiterte Neuauflagen erfahren: zum einen, weil die Verfasser mit weiteren Projekten befasst sind, zum anderen, weil bis
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zur Neubearbeitung eines Themas so viel Zeit verstreicht, dass dann bereits ein Kollege eine neue Publikation zu dem Gegenstand vorgelegt hat. Dieser, ja grundsätzlich auch in anderen Fächern zu beobachtende, Umstand bedeutet aber nicht, dass nicht doch einige grundlegende Werke vor allem aus der formativen Phase der Fachentwicklung im Übergang vom 19. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts von ihren Verfassern umgearbeitet und neu aufgelegt worden sind. Die dabei zu beobachtenden Veränderungen und Erweiterungen sind wissenschaftsgeschichtlich besonders interessant – einerseits weil in diesem Zeitabschnitt noch grundlegende Veränderungen jenseits wissenschaftlicher Detailfragen zu beobachten sind und diese Arbeiten auch einen sehr viel umfassenderen Anspruch vertraten als spätere Publikationen. Zum anderen lassen sich in ihnen auch die Wechselfälle der Geschichte und deren Auswirkungen auf das Fach nachvollziehen. Ein Beispiel hierfür ist eine grundlegende Arbeit von H. Schäfer zur ägyptischen Kunstgeschichte mit dem Titel Von ägyptischer Kunst, die hier in ihrer ersten Auflage von 1919839 und der dritten „neugestaltete[n] und stark vermehrten“ von 1930840 vorgestellt werden soll. Zunächst lassen sich relativ einfach gewisse Unterschiede entdecken, die auf die verschiedenen Entstehungszeiträume zurückzuführen sind: Etwa wenn die erste Auflage, nach der Gattin 841 „dem treuen Freunde Bruno Güterbock“ (vgl. Kap. 3.8.), die dritte aber dem „Andenken unseres ältesten Sohnes *13. Juni 1902 † 8. August 1924“ gewidmet ist oder das Vorwort der ersten Auflage „im fünften Kriegsjahre“ datiert wird. Zwar wird auch in der dritten Auflage immer noch eingangs ein Goethe-Zitat geboten,842 aber im darauffolgenden Vorwort distanziert sich der Autor von zuvor vertretenen Grundannahmen (S. v). Auch die Inhaltsverzeichnisse deuten bereits auf veränderte Sicht- und Herangehensweisen hin: Werden in der ersten Auflage noch „Vergleiche mit Assyrisch-Babylonischem“ behandelt und in dem entsprechenden Textabschnitt eingeräumt, dass „unleugbare Anklänge“ an „die Babylonische Kunst“ bestünden, der die
839
H. SCHÄFER, Von ägyptischer Kunst, besonders der Zeichenkunst. Eine Einführung in die Betrachtung ägyptischer Kunstwerke, 2 Bde., Leipzig 1919. 840 H. SCHÄFER, Von ägyptischer Kunst. Eine Grundlage, Leipzig 1930. 841 Elisabeth Wanda, genannt Lisbeth Schäfer (geb. Ihlbrock, 1876–1964); vgl. GERTZEN (Hrsg.), Boote, Burgen, Bischarin, 12f. 842 Vgl. hierzu KRAUSS, Ludwig Borchardts Fälschungen-Recherche von 1930, 126, Anm. 34: „Für Leser, die der deutschen Literatur fernstehen, sei bemerkt, dass der Goethe-Verehrer Schäfer mit dem Titel seines Buches den Titel von Goethes Aufsatz ,Von deutscher Baukunstʻ (1772) nachahmen dürfte.
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Erzeugnisse der ägyptischen aber bereits frühzeitig „weit überlegen“ seien (S. 19), so konzentriert sich die Darstellung der dritten Auflage stattdessen auf „[d]ie Entstehung der ägyptischen Art“, die „ihre Entstehung keiner fremden Kunst“ zu danken hat (S. 17). Vordergründig handelt es sich nur um einen Wechsel der Überschriften bzw. eine Umformulierung der Aussageinhalte, und tatsächlich lassen sich darin auch keine völligen Neupositionierungen Schäfers erkennen. Allerdings dürfte die Darstellung der ersten Auflage noch mehr vom Nachwirken des sogenannten Panbabylonismus843 geprägt sein, die der dritten Auflage wiederum den völkischen Diskurs in der Ägyptologie seit Beginn der 20er Jahre widerspiegeln.844 In beiden Fällen ging es Schäfer um die Betonung der ägyptischen Eigenständigkeit, nur hatte dies jeweils eine andere Konnotation. Das in der dritten Auflage komplett neu hinzugekommene Kapitel 7 (S. 328– 345) fasst dann vor allem solche Erkenntnisse Schäfers zusammen, die er vermutlich, wie im Vorwort beschrieben, durch „das Leben mit [seinen] Kindern“ und die Betrachtung von Kinderzeichnungen gewonnen hatte. Weiterhin räumt er im Vorwort ein: „Von theoretischen Ansichten der Nichtägyptologen habe ich mich bewußt solange möglichst ferngehalten, bis ich mein Eigenes aus dem Ägyptischen heraus genügend befestigt zu haben glaubte“ (S. vi). Gewissermaßen als „Katalysator“ dieses Klärungsprozesses bei der Auseinandersetzung mit kunsthistorischen und kunsttheoretischen Konzepten wird von Schäfer Hedwig Fechheimer (1871–1942) angeführt.845 Eine vergleichende Untersuchung der Ausgaben von Von ägyptischer Kunst aus den Jahren 1919 und 1930 müsste also vor allem drei Schwerpunkte berücksichtigen: (1) das Verhältnis der ägyptischen Kunst bzw. Kunstgeschichtsforschung zu der der klassischen Antike bzw. jener des Vorderen Orients; (2) die Rolle weltanschaulicher Konzepte, konkret des Panbabylonismus und völkischer Forschungsansätze;
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Vgl. ERMAN, Mein Werden und mein Wirken, 229; JOHANNING, Der Bibel-Babel-Streit, 265–287; LEHMANN, Friedrich Delitzsch und der Babel-Bibel-Streit, 38–49. 844 Vgl. VOSS, Ägyptologie als „völkische Wissenschaft“, im Druck. 845 Vgl. zu den Hintergründen: PEUCKERT, Hedwig Fechheimer und die ägyptische Kunst, 187–206.
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(3) die kunsthistorischen und kunsttheoretischen Grundlagen, mit denen bzw. gegenüber denen Schäfer seine Ansichten entwickelt und diskutiert hat. 3.6.3. Walther Wolf, Wesen und Wert der Ägyptologie (1932) Schon im Klappentext zur Reihe der „Leipziger Ägyptologischen Studien“ kommt der Anspruch des Herausgebers Walther Wolf (1900–1973) zum Ausdruck, die gesellschaftliche Relevanz ägyptologischer Forschung zu demonstrieren: „Die ‚Leipziger Ägyptologischen Studien‘ wollen in erster Linie solchen Arbeiten den Weg bereiten, die aus dem Geiste unserer Zeit die ägyptische Kultur in ihrer Besonderheit zu fassen suchen und damit unmittelbar auf den ägyptischen Menschen als Träger zielen. Deshalb rechnen sie auf das Interesse nicht nur des engen Fachkreises der Ägyptologie, sondern aller derer, die aus der Betrachtung der großen Kulturen der Weltgeschichte eine Klärung unseres geschichtlichen Bewußtseins und eine Vertiefung der Erkenntnis unseres eigenen Wesens erhoffen.“846 Damit stellt diese Reihe den Versuch einer unmittelbaren Antwort an die Kritiker des Faches, insbesondere des Althistorikers Helmut Berve,847 dar, der die Ägyptologie grundsätzlich abgelehnt hatte (vgl. Kap. 1.8.).848 Schon in dem ersten Band der Reihe hatte Wolf versucht, sich zeitgenössischen Debatten anzunähern und sich mit dem Thema „Individuum und Gemeinschaft“849 gesellschaftspolitisch zu positionieren. In seinem zweiten Beitrag zu der eigenen
846
WOLF, Wesen und Wert der Ägyptologie, Klappentext. Zu Berve vgl. K. CHRIST, Römische Geschichte und deutsche Geschichtswissenschaft, München 1982, 219–225; DERS., Neue Profile der Alten Geschichte, Darmstadt 1990, 125– 187; REBENICH, Alte Geschichte in Demokratie und Diktatur, 457–496; F.-R. HAUSMANN, „Deutsche Geisteswissenschaft“ im Zweiten Weltkrieg. Die „Aktion Ritterbusch“ (1940– 1945), Heidelberg 2007, 116–129, und zur Alten Geschichte im Nationalsozialismus allgemein: V. LOSEMANN, Nationalsozialismus und Antike. Studien zur Entwicklung des Faches Alte Geschichte 1933–1945, Hamburg 1977, 80–85. 848 BERVE, Zur Kulturgeschichte des Alten Orients, 216–230, bes. 228. 849 W. WOLF, Individuum und Gemeinschaft in der ägyptischen Kultur, Glückstadt 1935; die weiteren Titel der Reihe zeigen zumindest keinen so offensichtlichen Gegenwartsbezug; vgl. hierzu: K. THIELER, Gemeinschaft, Erfahrung und NS-Gesellschaft – eine Einführung; H. KNOCH, Die Zerstörung der sozialen Moderne. „Gemeinschaft“ und „Gesellschaft“ im Nationalsozialismus, beide in: D. Reinicke et al. (Hrsg.), Gemeinschaft als Erfahrung. Kulturelle Inszenierungen und soziale Praxis 1930–1960 (Nationalsozialistische Volksgemeinschaft. Studien zu Konstruktion, gesellschaftlicher Wirkungsmacht und Erinnerung), Paderborn 2014, 7–20; 21–34. 847
326
Fallbeispiele und Lesestücke
Reihe geht er immer wieder auch auf die Kritik an dieser ersten Publikation ein. Aber auch nach der Veröffentlichung von Wesen und Wert, welches als „grundlegende Deutung“ des oben zitierten Klappentextes in „Geschlossenheit und Einheitlichkeit“ von Kollegen aufgefasst wurde,850 setzten sich diese eher kritisch mit seinen Ausführungen auseinander.
850
Vgl. ANTHES, Zu Walther Wolfs „Wesen und Wert der Ägyptologie“.
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3.7.
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Erst in jüngster Zeit hat die filmische Aneignung von Altertum und archäologischer Wissenschaft eine verstärkte Aufmerksamkeit erfahren. 851 Dadurch wird ein sehr weites Forschungsfeld erschlossen, denn: „Den852 archäologischen Film als solchen gibt es nicht! Spielfilme, Zeichentrickfilme, Lehrfilme, Ausgrabungsdokumentationen, Fernsehserien und Rekonstruktionsfilme orientieren sich am jeweiligen Zielpublikum.“853 Im Rahmen dieses und der folgenden Teilkapitel sollen zwei frühe Filme zur Ägyptologie vorgestellt werden: eine Dokumentation zu den Forschungen und Projekten des Oriental Institute Chicago und ein Streifen zum Verhältnis altorientalischer und europäischer Kulturen aus der NS-Zeit. Beide Filme sind im Internet bei YouTube© abrufbar und auch schon in der wissenschaftlichen Sekundärliteratur besprochen worden. Die Auswahl ergibt sich an dieser Stelle durch den Umstand, dass im ersten Fall, neben den grundlegenden Hintergrundinformationen zur Geschichte der amerikanischen Ägyptologie, auch die einzig erhaltenen Filmaufnahmen von J. H. Breasted zu betrachten sind und im zweiten Fall ein inhaltlicher Bezug zu den im vorliegenden Band behandelten Wechselwirkungen zwischen Wissenschaft und Politik besteht. Damit sind die wissenschaftsgeschichtlich relevanten Fallbeispiele für „Ägyptologie im Film“ aber längst nicht erschöpft: So steht z.B. die Auswertung entsprechender Dokumentationen aus der DDR noch aus.854 3.7.1. James Henry Breasted und „The Human Adventure“ (1935) YouTube©-Link: [11.3.2016]
https://www.youtube.com/watch?v=yysHJk0v5XA
851 Vgl. etwa das Archäologie Film-Festival Cinarchea: http://www.uni-kiel.de/cinarchea/neu/index-d.htm [11.3.2016]. 852 Hervorhebung im Original. 853 Vgl. T. STERN, Das Verhältnis von Archäologie und Film, in: Archäologische Informationen 17.1, 1994, 9. 854 Ein Anfang wurde z.B. bei der Lesung „Archäologie im Schatten der Mauer. Eine literarische und filmische Annährung an die DDR-Archäologie der 1980er Jahre“, veranstaltet vom Ruhr Museum, Essen, gemacht: https://www.zollverein.de/aktuelles/archaeologie-imschatten-der-mauer; für die Ägyptologie in der DDR besonders interessant: G. OELSCHLEGEL, Im Wüstencamp (1966), DEFA-Stiftung: http://www.defa-stiftung.de/DesktopDefault.aspx?TabID=412&FilmID=Q6UJ9A004MYJ; und dazu: H. KRACHT, Guten Tag, Sudan (1969); DEFA-Stiftung: http://www.defa-stiftung.de/DesktopDefault.aspx?TabID=412&FilmID=Q6UJ9A004JJJ&qpn=0 [11.3.2016].
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Abb. 24: Screenshot: J. H. Breasted beim Vortrag in The Human Adventure Die Hintergründe zur Entstehung dieser Dokumentation sind kürzlich von JEFFREY ABT in seiner Biografie über J. H. Breasted (1865–1935) dargelegt worden.855 Breasteds Sohn Charles nutzte den sich 1932 ergebenden Kontakt zu einer Dokumentar- bzw. Lehrfilmproduktionsfirma dazu, ein Konzept für eine zweiteilige Filmdokumentation mit dem Titel The New Past zu entwickeln. Auch wenn sein Vater zunächst zurückhaltend reagierte, wussten beide doch um das lebhafte Interesse der Universität Chicago an einem solchen Projekt und erwarteten auch, dass der Einsatz von Film und anderen modernen Medien in Zukunft eine zunehmend wichtige Rolle für den Unterricht an Schulen und Universitäten spielen würde. Nachdem die Finanzierung des Projektes gesichert war, konnte im Dezember 1932 mit den Dreharbeiten in der Region des Mittleren Ostens begonnen werden. 1934 wurde der Film dann erstmals unter dem neuen Titel The Human Adventure öffentlich vorgeführt. Er beginnt mit der Abbildung des Tympanon oberhalb des Eingangs zum Oriental Institute.856
855 856
Vgl. ABT, American Egyptologist, 382–387. Vgl. hierzu ebenda, 350f.
368
Fallbeispiele und Lesestücke
Abb. 25: Das Tympanon über dem Eingang des Oriental Institute. © Wikimedia Commons, Public Domain Musikalisch untermalt wird der Film durch Felix Mendelssohn-Bartholdys Werk Die Hebriden. Nach einem schnellen Durchlauf durch die Erdgeschichte, für den auch einige Pappmaché-Dinosaurier einer Sinclair Oil Company-Ausstellung abgelichtet werden, wird das Oriental Institute vorgestellt. Nachdem bis jetzt Charles Breasted aus dem „Off“ gesprochen hat, wird nun sein Vater in seinen Arbeitsräumen gezeigt. Vor ihm sind eine Reihe archäologischer Objekte ausgebreitet, und er beginnt einen etwa zehnminütigen Eröffnungsvortrag. Wer aber glaubt, auf diese Weise die einmalige Gelegenheit zu haben, Professor Breasted und seine Vortragsfähigkeiten erleben zu können, wird von der heute eher steif wirkenden, reichlich ungelenken Redeweise überrascht sein. Allerdings ist auch hierzu wieder die Quellenkritik hilfreich, denn Breasted hatte keinesfalls seine ansonsten hochgeschätzte Rednergabe eingebüßt. J. Abt zitiert hierzu Breasteds eigene Einschätzung vor Beginn der Dreharbeiten: „My chief worry is to learn a speech verbatim. […] There are 16 paragraphs in my speech. Fifteen seconds additional in each paragraph would mean 4 minutes excess and add 360 feet of film. My speech must not exceed 10 minutes at the utmost. There are […] 900 feet of film in ten minutes. A reel is a maximum
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of 1000 ft. long. If I add 360 ft. my speech will exceed the reel! And I forget the actual terse wording of my speech as fast as I learn it! Humiliating experience! […] the very ease with which I can find the words for extemporaneous delivery is my undoing.“857 Gerade weil Breasted es gewohnt war, frei zu sprechen, bereitete ihm der vorgefertigte Text so große Schwierigkeiten. Der Film erweckt also einen falschen Eindruck von seinem Auftreten und seiner Redeweise. Die vermeintlich unmittelbare filmische Wiedergabe unterliegt also auch schon in diesen grundlegenden Aspekten der Quellenkritik. Angefangen bei den Expeditionen des Oriental Institute in Ägypten, wo unter anderem auch das Chicago House (vgl. Kap. 1.6.1.3.) gezeigt wird, arbeitet sich die Dokumentation durch den „fruchtbaren Halbmond“ bis zum damaligen Persien vor. Hervorzuheben ist der damals neue und kostspielige Einsatz von Luftbildaufnahmen. Die Kritik nahm den Film recht wohlwollend auf, wenngleich sie ihn als mehr „unterhaltend“ denn als „belehrend“ einstufte. Auch beim Publikum scheint der Film gut angekommen zu sein, so dass er an den verschiedenen Aufführungsorten zum Teil mehrfach gezeigt werden konnte. Wenngleich der Film 1935 sogar in der New Yorker Carnegie Hall gezeigt wurde, spielten die Eintrittsgelder weder die Produktionskosten und zum Teil noch nicht einmal die Kosten für die Aufführungen ein. 3.7.2. „Germanen gegen Pharaonen“ (1939) YouTube©-Link:
https://www.youtube.com/watch?v=1KIER-dVmeI https://www.youtube.com/watch?v=PY1VwHD6mDA
[11.3.2016]
857
Zitiert nach: ABT, American Egyptologist, 384f.
370
Fallbeispiele und Lesestücke
Abb. 26: Screenshot aus Germanen gegen Pharaonen: der Ägyptologe (links) im Streitgespräch mit dem „Pyramidenmystiker“ (rechts)
Abb. 27: Screenshot: der Ägyptologe (rechts) im Gespräch mit dem Pangermanisten (links)
Ägyptologie im Film
371
Der „Kulturfilm“ Germanen gegen Pharaonen ist ausführlich von TOM STERN besprochen worden.858 Der Film dauerte ursprünglich etwa 25 Minuten, verteilt auf zwei Rollen, und befindet sich heute im Filmarchiv des Bundesarchivs in Berlin. Ein zeitgenössischer Filmbericht fasst den Inhalt als „Nachweis vom hohen Stand frühgeschichtlicher nordischer Geisteswelt und […] ihrer Ergebnisse, die sogar bis nach Ägypten ausstrahlten“,859 zusammen. Schauplatz ist eine Hotelterrasse mit Aussicht auf die Pyramiden von Gizeh. Die drei Hauptfiguren und einzigen Sprechrollen sind ein Ägyptologe, ein Pyramidenmystiker und ein Pangermanist. Zu Beginn trägt der Ägyptologe, welcher als ein zwar liebenswürdiger, aber doch auch etwas altmodischer Professor dargestellt ist, den Kenntnisstand ägyptologischer Forschung über die Pyramiden und die altägyptische Kultur vor. Er wird unterbrochen von dem Pyramidenmystiker, der in seinem Erscheinungsbild und seinem Auftreten als zwielichtige und unhöfliche Person erscheint. Er tritt von rechts ins Bild, um damit in der Filmsprache des Dritten Reiches als Antagonist der Hauptfigur gekennzeichnet zu werden. Es fällt darüber hinaus nicht schwer, den Schauspieler in seinem Aussehen als stereotypen „Juden“ zu identifizieren.860 Dieser versucht nun zu erläutern, dass die Pyramiden weit älter sind, als von dem Ägyptologen behauptet, und sich in ihren Abmessungen astrologische Daten und Messungen nachweisen lassen. Auch wenn seine Ausführungen, ebenso wie die des Professors, filmisch durch die Aufnahme von Modellen und Tricktechnik unterstützt werden, kann er weder den Ägyptologen noch wohl die Zuschauer überzeugen und tritt wütend ab, nicht ohne zuvor die Sicherheit wissenschaftlicher Erkenntnisse bzw. die Wissenschaft der Ägyptologie grundsätzlich in Frage zu stellen. Der Ägyptologe behauptet also zunächst das Feld, versteigt sich aber dabei in eine einseitige Zuschreibung kultureller Errungenschaften an den (alten) Orient („ex oriente lux“) und wertet dabei die Kultur des Okzidents herab. Dies ruft den Widerspruch des Pangermanisten hervor, welcher, anders als der Pyramidenmystiker, sehr viel vorteilhafter auftritt. Seine äußere Erscheinung
858
T. STERN, Germanen gegen Pharaonen. Zur Archäologie Ägyptens im Kulturfilm des „Dritten Reichs“, in: K. Denzer (Hrsg.), Funde, Filme, Falsche Freunde. Der Archäologiefilm im Dienst von Profit und Propaganda. Ein Symposium im Rahmen von Cinarchea 2002, Kiel 2003, 96–108; er erwähnt als weitere Beispiele: „Geheimnisse der Mumien“ (1934); „Jahrtausende am Nil“ (1936); „Ägypten und das Land der Pharaonen“ (1936). 859 Zitiert nach: STERN, Germanen gegen Pharaonen, 97. 860 Vgl. ebenda, 98.
372
Fallbeispiele und Lesestücke
entspricht eher den damaligen Idealvorstellungen: anständig, aber nicht zu aufwendig gekleidet, ein Mann in „den besten Jahren“ mit grauen Schläfen und von ausgesuchter, aber nicht aufgesetzter Höflichkeit. Er adressiert den Ägyptologen als „Herr Professor“ und wird von diesem als „Herr Kollege“ angesprochen. Der Pangermanist versucht nun die kulturellen Errungenschaften des Nordens gegenüber dem Osten aufzuwerten („ex septentrione lux“) und bedient sich dabei der seltsamsten Argumente, was schließlich in dem Hinweis gipfelt, dass die astronomischen Beobachtungen der Völker des Nordens doch ungleich höher zu bewerten seien als die des Orients, schließlich hätte man im Norden bei der Beobachtung des Himmels mit viel mehr schlechtem Wetter zu kämpfen gehabt. Unterstrichen werden diese Ausführungen wieder durch Modellaufnahmen, diesmal von Stonehenge, welches den Pyramiden als gleichwertige Leistung gegenübergestellt wird. Der Ägyptologe verlangt textliche (philologische) Beweise, der Pangermanist kontert zunächst mit mittelalterlichen (!) Handschriften, verlegt sich danach aber doch lieber auf eine archäologische Argumentation, um schließlich ebenfalls bei den Pyramidenmaßen zu landen, die er aber, anders als der Pyramidenmystiker, nicht im Weltall, sondern in altenglischen Maßsystemen wiederzufinden glaubt. Die Argumente des Pangermanisten erscheinen nicht sehr viel stichhaltiger als die des Pyramidenmystikers, doch wirken sie durch die Art des Vortrages und die eher schwache Gegenargumentation des Ägyptologen sehr viel überzeugender. 3.8.
Die sogenannte „Steindorff-Liste“ (1945)
Die Stellungnahme Georg Steindorffs (1861–1951) zum politischen Belastungsgrad seiner in Deutschland verbliebenen Kollegen während der Zeit des Dritten Reiches ist kein singuläres Phänomen. Zum Vergleich werden hier ähnliche „Listen“ von Rudolf Anthes (1896–1985) und Hans Gustav Güterbock (1908–2000) herangezogen (vgl. Kap. 3.8.1.f.). Weiterhin lassen sich in der Korrespondenz in Steindorffs Nachlass (im Ägyptischen Museum Leipzig) zahlreiche Stellungnahmen von Zeitgenossen nachweisen, die in Vorbereitung oder als Reaktion auf die Liste an diesen geschickt worden sind. 861 Anders als bisher angenommen, ist Steindorff nicht zur Abfassung einer solchen Liste direkt aufgefordert worden, sondern hat wohl aus eigenem Entschluss gehandelt. In der Forschungsdiskussion wurde bislang immer der Textvertreter aus dem 861
Vgl. hierzu: VOSS, Ägyptologie als „völkische Wissenschaft“, im Druck, 302–317.
Die sogenannte „Steindorff-Liste“ (1945)
373
Archiv des Oriental Institute in Chicago zugrunde gelegt, wobei sein Inhalt längere Zeit über die Ancient Near East mailing-list bekannt war.862 Ausführlich besprochen und ediert worden ist dieses Dokument von THOMAS SCHNEIDER.863 Hier soll deshalb der Ursprungsentwurf aus dem Nachlass Steindorff in Leipzig vorgelegt werden, der sich in einigen Punkten von dem bisher besprochenen Dokument unterscheidet: So fehlt darin naturgemäß zunächst die Anrede „Dear John“ – was deutlich werden lässt, dass der Text wohl an mehrere Kollegen geschickt worden ist und nicht als „Kettenbrief“ nur an John Wilson. Die handschriftliche Überschrift „J’accuse“, deutet darauf hin, dass Steindorff dieser Ausruf Émile Zolas erst später eingefallen ist. Es findet sich in dem Brief an Wilson dann in der Überschrift für die Gruppe der politisch belasteten Ägyptologen, englisch, als „I accuse“ wieder. Der Vergleich mit der ursprünglichen Veröffentlichung im Internet, welche fairerweise auch nicht als der Versuch einer wissenschaftlichen Edition, sondern als Diskussionsgrundlage aufgefasst werden sollte, mit dem Chicagoer Textvertreter und dem Leipziger „Urtext“ macht die Notwendigkeit der Quellenkunde noch einmal besonders deutlich. Ebenso wichtig zu betonen ist es, dass für eine abschließende Auswertung der Aussageinhalte noch umfangreiche Forschungen nötig sind und die Einschätzungen Steindorffs keinesfalls kritiklos übernommen werden dürfen.
862
Vgl. http://oi-archive.uchicago.edu/research/library/ane/digest/v01/v01.n021 [11.3.2016]. 863 Vgl. SCHNEIDER, Ägyptologen im Dritten Reich, 120–247; mit der Reproduktion des Dokuments: 231–233.
374
Fallbeispiele und Lesestücke
Abb. 28: Das „J’accuse-Rundschreiben Juni 1945“, Blatt 1
Die sogenannte „Steindorff-Liste“ (1945)
Abb. 29: Das „J’accuse-Rundschreiben Juni 1945“, Blatt 2
375
376
Fallbeispiele und Lesestücke
3.8.1. Zum Vergleich (1): Die Liste von Rudolf Anthes Auf das Vorhandensein einer listenförmigen Stellungnahme von R. Anthes (1896–1985) zum Grad politischer Belastung deutscher Ägyptologen während der Zeit des „Dritten Reiches“ hat bereits HANNELORE KISCHKEWITZ hingewiesen.864 Das Dokument datiert vom 12. März 1947 und wurde anlässlich der Neugründung der Archäologischen Gesellschaft zu Berlin angefertigt. Am 21. April hat Anthes einen brieflichen Nachtrag an den Präsidenten des Deutschen Archäologischen Institutes gesandt. Beide Dokumente werden hier als Abbildung und in Transkription wiedergegeben. 865
864 865
Vgl. KISCHKEWITZ, Die Jahre 1933–1945 im Ägyptischen Museum, 301, Anm. 49. Die zugehörige Aktensignatur lautet: SMB-ZA, VA 283.
Die sogenannte „Steindorff-Liste“ (1945)
377
Abb. 30: Die Liste von Rudolf Anthes aus dem Jahr 1947 (Dokument 1), recto
378
Fallbeispiele und Lesestücke
Abb. 31: Die Liste von Rudolf Anthes aus dem Jahr 1947 (Dokument 1), verso
Die sogenannte „Steindorff-Liste“ (1945)
379
Abb. 32: Anthes’ brieflicher Nachtrag an den Präsidenten des Deutschen Archäologischen Institutes (Dokument 2) Dokument 1: Liste deutscher Ägyptologen Name
Anschrift
politische Belastung
Anthes, Dr.
Berlin-Steglitz
nicht belastet
v. Bissing, Frh. Prof.
Oberaudorf/Inn, Ob[er]b[ayern]
Entnazifizierung geplant
Böhlig, Dr. Bonnet, Prof. Dr.
unbekannt Bonn/Rh[ein], Colmanstr. 20 unbekannt
380
Fallbeispiele und Lesestücke
Brunner, Dr. E. u. H. Seminarlehrer
Blaubeuren, Seminar oder: Engenthal über Hammelburg/Unterfranken
Entnazifizierung geplant
Dittmann, Dr.
unbekannt
unbekannt
Edel, Dr. Institutsassistent
Heidelberg, Handschuhsheimerstr. 70
ist entnazifiziert
Tirchow, Dr. Universi- Hamburg 19. Henriettenstr. tätsassistent 17
unbekannt
Grapow, Prof. Dr.
belastet
Berlin-Zehlendorf, Diesterpfad 24 b[ei] Erdmann
Helck (s. Nachtr[a]g)866 Hermann, Dr. A.
z.Zt. interniert. Anschrift belastet der Frau: Eutin, Holstein Lübeckerstr. 40 b[ei] Hansen
Hintze, Dr. Potsdam, Saarlandanger 11 wissenschaftl[icher] Mitarbeiter a. d. Akademie (Wörterbuch)
nicht belastet
Hölscher, U. Prof. Dr.
Hannover-Kleefeld, Kirchröderstr. 44 Stephanstift
nicht belastet
Hölscher, Dr. W.
vermisst
unbekannt
Jacobsohn, Dr.
Marburg/Lahn, wohl durch die Universität zu erreichen.
nicht belastet
866
Handschriftlich eingefügt und fortan immer kursiv angegeben.
Die sogenannte „Steindorff-Liste“ (1945)
Kees, Prof. Dr.
Göttingen, Düsterer Eichenweg 12
belastet
Küthmann, Dr. anscheinend Direktor des Kestnermuseums
Hannover, Tramplatz 3
nicht belastet
Lüddekens, Dr.
unbekannt
unbekannt
Marcks, Dr. Dipl.-Ing.
Hornhausen üb. Oschersleben/Bode
nicht belastet
Morenz, Dr. Dozent
Leipzig S 36, Bornaischestr. 198 B
nicht belastet
wenden867 Müller, Dr. H. W. Habilitant
München 13, Elisabethstr.
unbekannt
Otto, Dr. (Dozent?)
Göttingen, Universität
unbekannt
Ranke, Prof. Dr.
Heidelberg, Marstallhof 4
nicht belastet
Ricke, Dr.-Ing.
Zürich, Schweiz, Gladbachstr. 17
nicht belastet
Roeder, Prof. Dr.
Hildesheim, Brehmestr. 49
belastet
Rubensohn, Prof. Dr.
Basel, Schweiz Adr[esse] unbekannt
nicht belastet
Schädel, Dr. ehemals Universitäts Assistent [sic]
München
unbekannt
867
Hervorhebung im Original, Seitenwechsel.
381
382
Fallbeispiele und Lesestücke
Schäfer, Prof. Dr.
Hessisch-Lichtenau, Bez[irk] nicht belastet Witzenhausen, Leipzigerstr. 304
Scharff, Prof. Dr.
München 23, Isoldenstr. 1
nicht belastet
Seidl, Erwin (s. Nachtrag) Spiegel, Dr. Dozent Steckweh, Dr. albaurat
Göttingen, Hansenstr. 1 a
Hannover-Buchholz Weideterstr. 46
Stock, Dr.
unbekannt unbekannt Provinzi-
Pfaffenhofen/Ilm, Ob[er]b[ayern], Türltor 9
ist entnazifiziert
Leipzig-Markleeberg Bismarckstr. 11
belastet
Wenzel (s. Nachtrag) Wolf, Prof. Dr. W.
Dokument 2: 21. April 1947 An den Herrn kommissarischen Präsidenten des Deutschen Archäologischen Institutes Berlin W 30 Marienstr. 1 Sehr verehrter Herr Präsident! Als Nachtrag zu meiner am 12. März Ihnen zugesandten Liste von Ägyptologen hole ich nach die m. W. allerdings schon von früher im Archäologischen Institut verzeichneten Namen, die ich übersehen hatte: Helck (Anschrift und politische Vergangenheit sind mir unbekannt). Wenzel (soll in Cassel [sic] sein; politische Vergangenheit ist mir unbekannt).
Die sogenannte „Steindorff-Liste“ (1945)
383
Seidl, Erwin, Dozent in München, Jurist[ische] Fakultät. Weiter ist m. W. bei Ihnen als Ägyptologe verzeichnet Richard Seider; dieser Name ist mir ganz fremd, und ich vermute, daß dieser Name irgendwie irrig in die Ägyptologenliste geraten ist. Mit aufrichtigem Gruß, Anthes 3.8.2. Zum Vergleich (2): Die Liste von Hans Gustav Güterbock Die Liste des Hethitologen H. G. Güterbock (1908–2000), Sohn des Indogermanisten und Schriftführers der D.O.G., Bruno Güterbock (1858–1940),868 stellt den Wissenschaftshistoriker vor eine Reihe grundlegender Probleme: Sie wurde erst 1993 erstellt und enthält womöglich Einschätzungen von beiden Gelehrten, die hier nicht mehr auseinandergehalten werden können. Auch die Art der Veröffentlichung birgt ein erhebliches Fehlerpotential: Von H. G. Güterbock diktiert, wurde der Text durch dessen Ehefrau Franziska (geb. Hellmann, 1919–2014) getippt und danach an CHARLES E. JONES übergeben, der diese Aufstellung im Rahmen der Ancient Near East mailing-list des Oriental Institute, Chicago, veröffentlicht hat.869 Der Text wird hier in der im Internet veröffentlichten Form wiedergegeben. Dabei wird die Nichtschreibung der deutschen Umlaute (ä, ü, ö) hier nicht durch „sic“ markiert. From: [email protected] (Charles E. Jones) Date: Fri, 29 Oct 93 11:13:11 CDT Subject: H G Guterbock’s response Communication forwarded from Hans Gustav Guterbock: *********Begin Guterbock**************************************** I am glad to contribute my recollections of Nazis in our fields. 868
Vgl. die Erinnerungen seiner Ehefrau: G. AUER, Wenn ich mein Leben betrachte … Wien, Bern, Marokko, Berlin, Berlin 1995. 869 Vgl. http://oi-archive.uchicago.edu/research/library/ane/digest/v01/v01.n024 [8.3.2016]. Ich bedanke mich bei meinem Kollegen Peter Raulwing für die Übermittlung dieser Hintergrundinformation.
384
Fallbeispiele und Lesestücke
The case of Wolfram von Soden870 is generally known. I know that he joined the party and I heard that he personally took part in the burning of synagogues on the so called “Kristallnacht” November 9, 1938. He was an older co-student of mine at Leipzig and I heard him say: “Ich kann diese Leute nicht riechen.” meaning Martin David871 and Lazar Gulkowitsch.872 I found von Soden rather naive about real life so that I am ready to believe that he really believed in National Socialism. Wilhelm Eilers873 is a different case. He was also my older co-student at Leipzig. For a long time we were rather close friends, even calling one another _ibri_ (“my friend” in Akkadian). He was interested and knowledgeable in literature and music and played the flute well. He moved from Leipzig to Berlin with his mentor H. H. Schaeder, 874 and I introduced him to my mother with whom he played music. In 1933 he appeared in brown uniform and with a Nazi pin and broke relations completely with us. Hans Heinrich Schaeder came to Leipzig as Professor of Arabic, but left for Berlin after a few years. his [sic] main interest was in Iran, and it was his influence which caused Eilers to shift his work from Assyriology to Iranian studies. I suspect that he also influenced Eilers politically. That Schaeder himself was a Nazi I learned in 1948 from my Swedish colleagues who told me that Schaeder had traveled through Sweden during the war giving propaganda speeches.
870 Assyriologe, 1908–1996; vgl. R. BORGER, Wolfram von Soden, in: AfO 44/45, 1997/98, 588–594; W. SOMMERFELD, s.v. „Soden, Wolfram Theodor Hermann Freiherr von“, in: NDB 24, Berlin 2010, 524–526. 871 Deutsch-Niederländischer Rechtshistoriker und Papyrologe, 1898–1986, vgl. J. A. ANKUM, Levensbericht M. David, in: Jaarboek der Koninklijke Nederlandse Akademie van Wetenschappen, Amsterdam 1987, 114–124: http://www.dwc.knaw.nl/DL/levensberichten/PE00004768.pdf [8.3.2016]. 872 Judaist, 1898-1941; S. HOYER, Lazar Gulkowitsch an den Universitäten in Leipzig und Dorpat (Tartu), in: Ephraim-Carlebach-Stiftung (Hrsg.), Judaica Lipsiensia – zur Geschichte der Juden in Leipzig, Leipzig 1994, 123–131. 873 Assyriologe, 1906–1989; vgl. H. BRAUN, Wilhelm Eilers (1906–1989), in: Der Islam 67.2, 1990, 193–198; R. SCHMITT, Wilhelm Eilers 1906–1989, in: Wiener Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes 80, 1990, 7–12; G. WIEßNER, Wilhelm Eilers. Leben und Werk, in: Oriens 33, 1992, 460–469; R. SCHMITT, s.v. „Eilers, Wilhelm“, in: Encyclopaedia Iranica 8.3, 1998, 271–273: http://www.iranicaonline.org/articles/eilers- [10.3.2016]. 874 Iranist, 1896–1957; vgl. Professorenkatalog der Universität Leipzig: http://www.unileipzig.de/unigeschichte/professorenkatalog/leipzig/Schaeder_523 [8.3.2016].
Die sogenannte „Steindorff-Liste“ (1945)
385
Heinrich Schafer875 was a close friend of my father’s until 1933. Supplementing the statement of Steindorff876 I would say that it was my impression that Schafer joined the party. Julius Jordan.877 His role as a Nazi agent in Iraq is well known. It is described by Seton Lloyd in his memoirs _The Interval_, Alden Press, Oxford, 1986.878 Helmut[h] Theodor Bossert. 879 I met Bossert in 1933 in the excavation of Boghazkoy. He described his own background as follows. He had studied Art History before the first [sic] World War. Since he found no employment in this field after the war he took a job with the publishing firm of Wasmuth in Berlin. He got interested in Hittite hieroglyphs and made valuable contributions at an early stage. As a result of the depression of the early 1930’s he lost his job with Wasmuth. For the summer of 1933 he got a travel grant (presumably from the Deutsche Forschungsgemeinschaft) to study the hieroglyphic inscriptions of Boghazkoy and Yazilikaya. He made an agreement with the Director of the German Institute in Istanbul, Martin Schede, 880 according to which he would be housed and fed by the expedition in return for photographic work. During the three months of our life in the camp at Boghazkoy he bragged how “we”, i.e. the Nazis, would change everything for the better. He confidentially told me that if my brother, who was then an apprentice in a bookstore, had any difficulties in his career he would be willing to help him, thanks to his good connections. At one time during that campaign it was announced that the Prime Minister of France, Her[r]iot, would visit Boghazkoy. Bossert insisted that the expedition should fly the Nazi flag. He even purchased red, white and black cloth for sewing it. Kurt Bittel881 as Direktor [sic] of the expedition tried to dissuade him by pointing out that Turkish law forbade the flying of foreign 875
Ägyptologe, 1868–1957; vgl. BIERBRIER, Who was who in Egyptology, 490f.; FINNEISER, Heinrich Schäfer, 80–82. 876 Bezieht sich auf die „Steindorff-Liste“. 877 Vgl. PETERSEN/RAULWING, Between Kaiser and Führer. 878 S. LLOYD, Interval. A Life in Near Eastern Archaeology, Faringdon 1986. 879 Vorderasiatischer Archäologe, 1889–1961. 880 Klassischer Archäologe, 1883–1947. 881 Prähistoriker, 1907–1991; vgl. H. G. GÜTERBOCK, Kurt Bittel (5 July 1907–30 January 1991), in: Proceedings of the American Philosophical Society 136, 1992, 579–583; und J. KLINGER, s.v. „Bittel, Kurt“, in: P. Kuhlmann, H. Schneider (Hrsg.), Geschichte der Altertumswissenschaften. Biographisches Lexikon (Der Neue Pauly. Supplemente 6), Stuttgart 2012, Sp. 108–110.
386
Fallbeispiele und Lesestücke
colors, but to no avail. We were saved when Her[r]iot canceled [sic] his visit.Apart from Bossert we had a second guest, Professor Friedrich Wachtsmuth,882 (Archaeology, esp. ancient architecture) who was also a Nazi, but less provocative. At the end of the excavation Bittel persuaded Bossert and me to go on a trip to Alishar and on to Kayseri, because he wanted to reduce his staff for the final packing. On the trip we spent one night at Terzili Hamam. Here Bossert insisted on marking his room door with a Swastika. In late 1933 Bossert got a job as professor at the newly organized University of Istanbul. At one point during the following years he engaged in a real Nazi intrigue together with his friend Eckhar[d] Unger.883 Unger was at that time curator of the Near East section of the Istanbul Museum. Together they went to the Nazi authorities suggesting that the Director of the German Institute, Schede, and his assistant Bittel, who were not National Socialists should be replaced by the good party members, Bossert and Unger. I heard this from Bittel at the time and found it now mentioned in his private memoirs. Thank god they were not successful. It was rumoured [sic] that this action led to Bossert’s exclusion from the party. After that and especially after the war Bossert tried to come close to our group of refugee Professors by claiming that he had always been a democrat and had joined the party only to camouflage his real feelings. I am sure that he was not the only old Nazi who used this excuse. Hans G. Guterbock The Oriental Institute 1155 E. 58th St. Chicago IL60637 (312) 702-9547 *********End Guterbock****************************************
882 883
Vorderasiatischer Archäologe, 1883–1975. Vorderasiatischer Archäologe, 1884–1966.
Ägyptologie in der marxistisch-leninistischen Geschichtsschreibung
3.9.
387
Ägyptologie in der marxistisch-leninistischen Geschichtsschreibung
Die Erforschung der Geschichte der Ägyptologie und Sudanarchäologie in der DDR steckt noch in den Anfängen (vgl. Kap. 1.10.). Ein entsprechendes Projektvorhaben soll vom Verfasser in naher Zukunft begonnen werden. Die Ausführungen in diesem Abschnitt haben also einen vorläufigen Charakter, sollten aber als Grundlage der in diesem Kapitel angestrebten selbständigen Auseinandersetzung des Lesers mit den vorgestellten Quellendokumenten genügen. Dabei macht diese Einleitung allerdings eine weitere wichtige Bemerkung nötig: Marxistische Konzepte haben nicht ausschließlich in der ägyptologischen Forschung der „Ostblockstaaten“ eine Rolle gespielt. Dort bildete die marxistische Geschichtsauffassung der Abfolge von „Urkommunismus“, „Sklavenhaltergesellschaft“, „Feudalismus“ und „Kapitalismus“ zwar die einzig zulässige Grundlage der Geschichtsschreibung, aber auch im „Westen“ hatte das Konzept des „historischen Materialismus“884 zeitweilig Konjunktur. Im Folgenden soll daher zunächst die Darstellung der altägyptischen Geschichte im Kontext marxistischer Geschichtsschreibung behandelt werden, bevor dann ein konkretes Fallbeispiel eines west-östlichen Forschungsdiskurses über marxistische Konzepte in der Ägyptologie vorgestellt wird. 3.9.1. Die „Weltgeschichte bis zur Herausbildung des Feudalismus“ Friedrich Engels hat den historischen Materialismus wie folgt definiert: „Die materialistische Anschauung der Geschichte geht von dem Satz aus, daß die Produktion, und nächst der Produktion der Austausch ihrer Produkte, die Grundlage aller Gesellschaftsordnung ist; daß in jeder geschichtlich auftretenden Gesellschaft die Verteilung der Produkte, und mit ihr die soziale Gliederung in Klassen oder Stände, sich danach richtet, was und wie produziert und wie das Produzierte ausgetauscht wird. Hiernach sind die letzten Ursachen aller gesellschaftlichen Veränderungen und politischen Umwälzungen zu suchen nicht in den Köpfen der Menschen, in ihrer zunehmenden Einsicht in die ewige Wahrheit und Gerechtigkeit, sondern in Veränderungen der Produktions- und Austauschweise; sie sind zu suchen nicht in der Philosophie, sondern in der Ökonomie der betreffenden Epoche.“885 884
Vgl. W. KUNKEL, Geschichte als Prozeß? Historischer Materialismus oder marxistische Geschichtstheorie, Hamburg 1987. 885 F. ENGELS, Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft, Neuausgabe, hrsg. von K.-M. Guth, Berlin 2013, 233.
388
Fallbeispiele und Lesestücke
Auf der Grundlage dieser Geschichtsauffassung veröffentlichte die Deutsche Akademie der Wissenschaften der DDR am Ende der siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts eine Weltgeschichte bis zur Herausbildung des Feudalismus.886 Für die Beiträge zum alten Ägypten zeichneten Walter Friedrich Reineke (1936–2015) und sein Team vom „Ägyptischen Wörterbuch“-Vorhaben verantwortlich. Deutlich erkennbar ist das Bemühen, den Denkkategorien der marxistisch-leninistischen Geschichtsschreibung zu entsprechen, wobei die Bedeutung der Ökonomie für die Geschichte Altägyptens immer wieder hervorgehoben wird. Religion, nach der Engels’schen Auffassung ein eher zu vernachlässigender Aspekt (vgl. Zitat oben), wird folgerichtig als Ausdruck der wirtschaftlichen Verhältnisse interpretiert (S. 201f.), dadurch aber gleichwohl thematisiert. Das Konzept der „orientalischen Despotie“ bzw. die „hydraulische Hypothese“, nach der die Herrschaft in den frühen Hochkulturen des Vorderen Orients von der Entwicklung und Kontrolle der künstlichen Felderbewässerung ausging (vgl. Kap. 3.9.2.) dient als Grundlage der historischen Interpretation, wobei dadurch allerdings auch die Möglichkeit eröffnet wird, der Vorstellung einer altägyptischen „Sklavenhaltergesellschaft“ eine Absage zu erteilen: „Die Art und Weise der Produktion im Bewässerungsbodenbau stand der Entwicklung einer Massensklaverei entgegen.“ (S. 206) Die vordergründige Anpassung an die marxistischen Denkkategorien sollte also nicht leichtfertig als Ausdruck einer kritiklosen Übernahme gewertet werden. Andererseits machen die erwähnten Beispiele die grundsätzliche Problematik eines vorgegebenen historischen Interpretationsschemas deutlich, in dem die Autoren abweichende Meinungen und Forschungsergebnisse durch eine dialektische Auslegung der zugrunde gelegten vermeintlichen historischen Gesetzmäßigkeiten zum Ausdruck bringen müssen. So kam der (westdeutsche) Rezensent Joseph Vogt auch zu dem Schluss, „daß in der Wertung des Überbaus die Auffassungen der Autoren nicht ganz einheitlich waren“.887 Seine Einschätzung zur Darstellung der altägyptischen Geschichte fiel dennoch positiv aus, wobei einzig die Nicht-Erwähnung der Sammlungsbestände des Ägyptischen Museums in Berlin-West kritisiert wurde.888
886
AUTORENKOLLEKTIV (Leitung: I. SELLNOW), Weltgeschichte bis zur Herausbildung des Feudalismus; darin zum Alten Ägypten: 192–221; zu „Napata-Meroe“: 456–460; vgl. auch die Rezension von J. VOGT, in: HZ 230, 1980, 126–130, bes. 128. 887 VOGT, in: HZ 230, 1980, 127. 888 Ebenda, 128.
Ägyptologie in der marxistisch-leninistischen Geschichtsschreibung
389
Trotz der herausragenden Stellung der Ägyptologie in der DDR bei der Erforschung der Kulturen des antiken Sudan fällt der Abschnitt der Kulturgeschichte zu „Napata-Meroë“ eher bescheiden aus. Der Grund dafür dürfte vor allem die darin vorgenommene Einschätzung sein – „Über die sozioökonomischen Verhältnisse Meroës wissen wir fast nichts“ (S. 457) –, wodurch dieser Abschnitt im Zusammenhang marxistischer Geschichtsschreibung natürlich wenig Bedeutung erlangen kann. Interessant ist noch zu beobachten, wie die Gesamtverantwortliche des Projekts, Irmgard Sellnow, in ihren Vorbemerkungen zu dem Band versucht, die teilweise divergierende Umsetzung der Konzepte des historischen Materialismus wieder „einzufangen“. So heißt es etwa: „Die altorientalischen Gesellschaften und Staaten interessierten Marx und Engels aus einem anderen Grunde. Hier ging es ihnen vor allem um die Widerlegung des zeitlosen unhistorischen Eigentumsbegriffs der bürgerlichen Wissenschaft.“ (S. 13) Die Absage an das Konzept einer altorientalischen Sklavenhaltergesellschaft, wie es durch die Altorientalisten in der DDR vertreten wurde (s.o.), wird durch die Behauptung aufgefangen, dass „die breite Masse der Produzenten […] auf die Position einer ‚latenten Sklaverei‘“ herabgesunken sei (S. 14). Im Hinblick auf die internationale, d.h. sowjetische Auffassung über die „Einordnung und Bewertung der altorientalischen Gesellschaften“ werden die Ausführungen des eigenen Autorenkollektivs letztlich relativiert: „Wenn die Autoren des vorliegenden Werkes demgegenüber eine andere Meinung vertreten, dann geschieht dies aus der Überzeugung, daß eine Analyse der Eigentums-, Distributions- und Ausbeutungsverhältnisse den eigenständigen Charakter dieser Gesellschaften offenbart. Die Autoren sind sich jedoch bewußt, daß die Diskussionen um die universalhistorische Einordnung dieser Gesellschaften noch nicht beendet sind. Sie mußten sich also festlegen, bevor eine Grundsatzfrage der alten Geschichte geklärt ist. Daher möchten sie ihre Ausführungen als einen Beitrag zur internationalen Diskussion dieses Problems betrachtet wissen.“ (S. 21f.) Ende der 70er Jahre war es also möglich, in der DDR ein alternatives oder zumindest modifiziertes Geschichtsbild zu vertreten. Dabei durfte erstens nicht das grundsätzliche Deutungsmonopol der marxistischen Geschichtsschreibung in Frage gestellt werden, und die Argumentation hatte sich folgerichtig in den etablierten Denkkategorien zu bewegen. Zweitens aber mussten Abweichungen vorsichtig vorgebracht und als tentativ gekennzeichnet werden.
390
Fallbeispiele und Lesestücke
3.9.2. Die „Hydraulische Hypothese“ in Ost und West Der Umstand, dass marxistische Theorien in den Altertumswissenschaften in Ost und West diskutiert wurden, ist bereits im vorangegangenen Abschnitt ausgeführt worden. Für die Ägyptologie bietet sich in diesem Zusammenhang ein Fallbeispiel in der Diskussion um die sogenannte „Hydraulische Hypothese“ an. Ausgehend von KARL MARX’s Konzept der „asiatischen Produktionsweise“, in der eine kleine Elite das landwirtschaftliche Mehrprodukt abschöpft und über dessen Redistribution Kontrolle ausübt, entwickelte KARL A. WITTFOGEL (1896–1988) die Idee einer „hydraulischen Gesellschaft“, in der die Organisation der großangelegten Felderbewässerung die Herrschaft der Elite legitimiert und überhaupt erst die Erwirtschaftung eines nennenswerten Mehrprodukts ermöglicht. 889 Diese Entwicklung wurde auch als „Bewässerungsrevolution“ bezeichnet. Wittfogel ging davon aus, dass alle frühen Hochkulturen aus einer solchen Entwicklung hervorgegangen waren, und interpretierte auch die stalinistische Herrschaft als „hydraulische Despotie“. Seine Kulturtheorie hatte also eine dezidiert antikommunistische oder doch zumindest gegen den Sowjetkommunismus stalinistischer Prägung gelenkte Stoßrichtung. Für die Frage der Staatsentstehung im Alten Ägypten wurde das Modell einer „Bewässerungsrevolution“ ab Mitte der siebziger Jahre in mehreren Beiträgen von WOLFGANG SCHENKEL (*1936, BRD)890 und ERIKA ENDESFELDER (1935– 2015, DDR)891 diskutiert. Aus ägyptologischer Sicht lässt sich die Diskussion etwa dahingehend zusammenfassen, dass Belege für einen Zusammenhang zwischen der Organisation und Kontrolle der Felderbewässerung und der Ausübung von Herrschaft für Ägypten zwar grundsätzlich zu erbingen sind, sie allerdings erst in die Erste Zwischenzeit datieren und die „hydraulische Hypothese“ bestenfalls auf lokaler Ebene der Gaufürsten bestätigt werden kann.892 Auch dort jedoch liefert sie keinesfalls die alleinige Erklärung für die Herausbildung bestimmter Herrschafts- und Machtstrukturen. Aus wissenschaftsgeschichtlicher Sicht bieten die Publikationen der beiden genannten Ägyptologen aber die Möglichkeit zu einem unmittelbaren Vergleich 889
Vgl. K. A. WITTFOGEL, Die orientalische Despotie. Eine vergleichende Untersuchung totaler Macht, Köln 1962. 890 SCHENKEL, Einführung der künstlichen Felderbewässerung, 41–46; DERS., Die Bewässerungsrevolution. 891 ENDESFELDER, Zur Frage der Bewässerung, 37–51. 892 Vgl. hierzu auch: B. BELL, The Dark Ages in Ancient History. The First Dark Age in Ancient Egypt, in: AJA 75, 1971, 1–26; DERS., Climate and the History of Egypt: The Middle Kingdom, in: AJA 79, 1975, 223–269.
391
der Forschungsdiskurse in Ost- und Westdeutschland, wobei zunächst hervorzuheben ist, dass beide Forscher zu dem gleichen oder doch zu sehr ähnlichen Ergebnissen gelangten. Auch die methodische Herangehensweise, welche sich vornehmlich auf eine philologische Beweisführung stützt, spricht zunächst dafür, dass sich auch zum Ende der siebziger Jahre die deutschen Ägyptologen auf beiden Seiten des „Eisernen Vorhangs“ auf derselben fachlichen und methodischen Grundlage bewegt haben. Ein detaillierter Vergleich der jeweiligen Beiträge könnte allerdings Unterschiede im Detail oder in der Argumentationsstruktur aufzeigen.
392
Nachwort und Danksagung
4. Nachwort und Danksagung „Und so sehen wir betroffen / Den Vorhang zu und alle Fragen offen.“ Wenn dem Leser dieses Buches nach der Lektüre der Ausspruch Marcel ReichRanickis, frei nach Bert Brechts Der gute Mensch von Sezuan, in den Sinn kommt, so würde der Verfasser dies nicht notwendigerweise als schlechtes Zeichen werten. Zwar hoffe ich darin ein wenig grundlegende Information zur Geschichte der deutschsprachigen wie auch internationalen Ägyptologie vermittelt zu haben, doch wäre es ein schlechtes Zeichen, wenn keine Fragen mehr zur Geschichte der Ägyptologie bestünden. Im Gegenteil: Die Forschung auf diesem Gebiet hat gerade erst begonnen. Die methodischen Vorgehensweisen bei der Auseinandersetzung mit der eigenen fachgeschichtlichen Vergangenheit müssen weiter entwickelt und sollten kontrovers diskutiert werden. Wissenschaftsgeschichte bedeutet dabei immer auch die Auseinandersetzung mit dem eigenen Tun: Nicht nur die Frage „Wie hätte ich mich verhalten?“, sondern auch jene, welche Rückschlüsse die geschichtlichen Erkenntnisse für die fachliche Gegenwart zulassen, sollten den Wissenschaftshistoriker umtreiben. Manch älterer oder gar nicht so alter Fachgenosse äußerte mir gegenüber schon, mehr oder weniger scherzhaft, die Befürchtung, selbst einmal Gegenstand der Wissenschaftsgeschichte zu werden oder im Gegenteil nicht in die Fachgeschichte „einzugehen“. Die Antwort darauf kann nur sein, darauf hinzuweisen, dass Wissenschaftsgeschichte ihre Legitimation gerade durch den Aktualitätsbezug gewinnt, man also nicht erst darauf warten muss, selbst zum „Gegenstand“ der Fachgeschichte zu werden. Die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit ermöglicht überhaupt erst, das eigene Forschen richtig einzuordnen. Wer nicht will, dass seine Arbeit zu einer bloßen Fußnote der Wissenschaftsgeschichte wird, sollte sich über seine eigene Stellung darin klar werden. Insofern kommt der wissenschaftsgeschichtlichen Ausbildung der Ägyptologen eine eminente Bedeutung auch für das Überleben dieses Faches im heutigen akademischen Betrieb zu. Das Motto der 48. Ständigen Ägyptologenkonferenz 2016 in Wien aufgreifend, kann man deshalb resümieren: „Keine Zukunft ohne Vergangenheit“.893
893
Der Titel der Konferenz lautete „Die Zukunft der Vergangenheit“, womit natürlich auf die Erforschung der Vergangenheit des Alten Ägypten angespielt wurde.
393
Zahlreiche Freunde und Kollegen haben mich im Laufe meiner inzwischen mehr als ein Jahrzehnt andauernden Auseinandersetzung mit der Geschichte meines Fachs unterstützt und durch Anregungen und Kritik begleitet. Für den vorliegenden Band möchte ich mich zuallererst bei PETER RAULWING (Indoeuropäist und Wissenschaftshistoriker) für die kritische Durchsicht meines Manuskriptes bedanken: Er hat wesentlich zur Lesbarkeit und Allgemeinverständlichkeit meiner Ausführungen beigetragen sowie viele Detailinformationen und bibliografische Hinweise ergänzt. Alle etwaig verbliebenen Fehler und Unzulänglichkeiten gehen dabei natürlich auf mich zurück. Meinem Kollegen JENS THIEL (Historiker) möchte ich für die zahllosen informativen wie instruktiven Gespräche danken, die mir auch eine Orientierung auf dem mir ursprünglich „fachfremden“ Gebiet der Neueren und Neuesten Geschichte geboten haben – ich hoffe, diese Hilfe gut genutzt zu haben. Den Mitarbeitern des Leipziger Steindorff-Projektes, allen voran meinen Kolleginnen SUSANNE VOSS und ALEXANDRA CAPPEL (Ägyptologinnen und Wissenschaftshistorikerinnen), danke ich für einen freien und offenen Informationsaustausch und die Bereitschaft, komplexe Fragestellungen ernst und gewissenhaft zu diskutieren. Mit KERSTIN SEIDEL (Ägyptologin) beginnt auch die Reihe der Kollegen, denen ich den Zugang zu und die geduldige Bereitstellung von Archivgut zu verdanken habe. Hier ist auch ganz besonders ISOLDE LEHNERT (Ägyptologin und Bibliothekarin) zu erwähnen, die mir Digitalisate aus dem Archiv des Deutschen Archäologischen Institutes hat zukommen lassen und auch für exotische bibliografische Anfragen immer eine Ansprechpartnerin gewesen ist. Dem Direktor der Abteilung Kairo des DAI, STEFAN SEIDLMAYER, möchte ich ausdrücklich für die mir erteilte Sondergenehmigung zur Verwendung der erwähnten Digitalisate danken. Den Mitarbeitern des Bundesarchivs in Berlin-Lichterfelde, des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz und des Kartenlesesaals der Staatsbibliothek Berlin danke ich für die stets kompetente und zuvorkommende Bereitstellung von Archivgut, stellvertretend für alle Archivare, die mir zuvor schon Dokumente zugänglich gemacht hatten, deren wissenschaftsgeschichtliche Auswertung in früheren Publikationen in den vorliegenden Band eingeflossen ist. Der Enkelin von Heinrich Schäfer, GERTRAUDE FIEBELKORN, danke ich für Hintergrundinformationen zu ihrer Familiengeschichte. CORNELIA KLEINITZ (Ägyptologin und Sudanarchäologin) ermöglichte mir im Rahmen der Einführungsvorlesung der Archäologie und Kulturgeschichte
394
Nachwort und Danksagung
Nord-Ostafrikas an der Humboldt Universität zu Berlin, meine Überlegungen zur Vermittlung wissenschaftsgeschichtlicher Grundlagen, während der Entstehung dieses Textbuches, bereits im universitären Unterricht zu erproben. CHRISTOPH ROOLF (Historiker und Lektor) möchte ich für die professionelle, gründliche und gewissenhafte Durchsicht meines Manuskriptes danken und dafür, in einem Einführungswerk nicht allzu viele formale Unkorrektheiten zugelassen zu haben. Zu guter Letzt möchte ich den Herausgebern der Reihe, Frau LOUISE GESTERMANN und Herrn CHRISTIAN LEITZ, für die Aufnahme dieses Bandes in die „Einführungen und Quellentexte zur Ägyptologie“ danken und ebenso dafür, diesen vermeintlich randständigen Themenkomplex weiter ins Zentrum ägyptologischen Forschungsinteresses und universitären Unterrichts gerückt zu haben. Last but not least danke ich den Mitarbeitern des LIT-Verlages für die professionelle Zusammenarbeit und die gelungene Umsetzung meines Manuskriptes in dem vorliegenden Band. Berlin, 2016 Thomas L. Gertzen
395
5. Abkürzungs- und Abbildungsverzeichnis 5.1.
Abkürzungsverzeichnis
Soweit hier nicht anders angegeben, entsprechen die in den Fußnoten verwendeten Abkürzungen ägyptologischer Literatur denen des Lexikons der Ägyptologie. ABBAW
=
Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften
AE
=
Ancient Egypt
ÄMULA
=
Ägyptisches Museum und Universität Leipzig, Archiv
AfO
=
Archiv für Orientforschung
AJA
=
American Journal of Archaeology
APuZ
=
Aus Politik und Zeitgeschichte
AZ
=
Allgemeine Zeitung, München
BArch
=
Bundesarchiv
BStUB
=
Staats- und Universitätsbibliothek, Bremen
EDAL
=
Egyptian & Egyptological Documents, Archives and Libraries
FuB
=
Forschungen und Berichte
GStA PK
=
Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz
HdO
=
Handbuch der Orientalistik
HZ
=
Historische Zeitschrift
IBAES
=
Internetbeiträge zur Ägyptologie und Sudanarchäologie
IJMS
=
International Journal of Middle East Studies
JBPK
=
Jahrbuch Preußischer Kulturbesitz
396
Abkürzungs- und Abbildungsverzeichnis
MDAV
=
Mitteilungen des Deutschen Archäologenverbands
MDOG
=
Mitteilungen der Deutschen OrientGesellschaft
MittSAG
=
Mitteilungen der Sudanarchäologischen Gesellschaft zu Berlin
NDB
=
Neue Deutsche Biographie
NPL
=
Neue Politische Literatur
NS
=
Neue Serie
ÖNB
=
Österreichische Nationalbibliothek
PAW
=
Preußische Akademie der Wissenschaften
PSBA
=
Proceedings of the Society of Biblical Archaeology
R.A.M.S.E.S.
=
Recherchen zu Aegyptiaca in München Studien zur Erwerbungsgeschichte der Sammlung
SBB-PK
=
Staatsbibliothek Berlin – Preußischer Kulturbesitz
SMB-ZA
=
Staatliche Museen Berlin – Zentralarchiv
VfZ
=
Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte
ZDMG
=
Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft
ZfG
=
Zeitschrift für Geschichtswissenschaft
ZPE
=
Zeitschrift für Papyrologie und Epigraphik
ZÄS-B
=
Zeitschrift für Ägyptische Sprache und Altertumskunde, Beihefte
397
5.2.
Abbildungsnachweis
Abb. 1:
Tabellarische Übersicht über unterschiedliche Ansätze zur Periodisierung der Geschichte der Ägyptologie.
Abb. 2:
Die deutsche Kurrent- und Sütterlinschrift. Nach: http://www.deutsche-kurrentschrift.de/index.php?s=abc_fraktur_ offenbacher#oben; http://www.kurrentschrift.net/index.php?s= alphabet&l=abisg&r=kur1 [10.2.2016].
Abb. 3:
Tabellarische Übersicht der Antikengesetzgebung in der Region des Mittleren Ostens. Nach: M. M. KERSEL, The changing legal landscape für Middle Eastern archaeology in the colonial era, 1800–1930, in: G. Emberling (Hrsg.), Pioneers to the Past. American Archaeologists in the Middle East 1919–1920, 90.
Abb. 4–6:
Das Gesetz Nr. 14 zum Schutz der ägyptischen Antiken, 1–3.
Abb. 7–14: Immediatgesuch zur Finanzierung des Woerterbuches der Aegyptischen Sprache: GStA PK, HA I Rep. 76, Vc, Sekt. 1, Tit. 11, Teil VD, Nr. 15, Bd. 1, Bl. 2–5. Abb. 15–22: Immediatgesuch zur Anstellung eines wissenschaftlichen Sachverständigen in Kairo: GStA PK, HA I Rep. 76, Vc, Sekt. 1, Tit. 11, Teil IX, Nr. 6, Bd. 1, Bl. 15–18. Abb. 23:
A. Scharffs Rezension zu „Das Griechentum und seine Weltmission“. Aus: OLZ 25, 1922, 440 f.
Abb. 24:
Screenshot: J. H. Breasted beim Vortrag in „The Human Adventure“. Aus: https://www.youtube.com/watch?v =yysHJk0v5XA.
Abb. 25:
Das Tympanon über dem Eingang des Oriental Institute. © Wikimedia Commons, Public Domain.
Abb. 26–27: Screenshot aus „Germanen gegen Pharaonen“. Aus: https://www.youtube.com/watch?v=1KIER-dVmeI. Abb. 28–29: Das „J’accuse-Rundschreiben Juni 1945“: ÄMULA, NL Georg Steindorff, Korrespondenz, G. Steindorff, Juni 1945. Abb. 30–32: Die Liste von Rudolf Anthes aus dem Jahr 1947 und ihr Nachtrag: SMB-ZA, VA 283.
398
Literaturverzeichnis
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