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German Pages 284 Year 2015
Christian Bielefeldt, Udo Dahmen, Rolf Großmann (Hg.) PopMusicology
Christian Bielefeldt, Udo Dahmen, Rolf Grossmann (Hg.) PopMusicology. Perspektiven der Popmusikwissenschaft
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© 2008 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung und Innenlayout: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Lektorat & Satz: Marie Beyeler, Christian Bielefeldt, Rolf Großmann Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-89942-603-8 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]
INHALT Einleitung
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POP & ÄSTHETIK Aesthetic Value, Cultural Significance, and Canon Formation in Popular Music Anne Danielsen Warum wir Populäre Musik mögen und warum wir sie manchmal nicht mögen. Über musikalische Präferenzen, ihre Geltung und Bedeutung in ästhetischen Praxen Christian Rolle
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POP & THEORIE Pop(Musik)Geschichte(n). Geschichte als Pop – Pop als Geschichte Peter Wicke
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What’s the Difference? Populäre Musik im System des Pop Dietrich Helms
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Popularity of Slovenian Popular Music. A Psycho-Social Outline Leon Stefanija
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POP & MEDIEN Die Geburt des Pop aus dem Geist der phonographischen Reproduktion Rolf Großmann Keine Musik ohne Medien, keine Medien ohne Musik? Pop(-kulturwissenschaft) aus medienwissenschaftlicher Perspektive Christoph Jacke
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POP & ANALYSE Musikanalyse in der Popmusikforschung. Ziele, Ansätze, Methoden Martin Pfleiderer Lesen – Aneignen – Bedeuten: Poptheorie als pragmatische Ästhetik populärer Musik. Der Videoclip Esperanto von Freundeskreis Michael Rappe Every Love but True Love: Unstable Relationships in Cole Porter’s „Love for Sale“ Michael Buchler
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POP & STIMME Voices of Prince. Zur Popstimme Christian Bielefeldt
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Das Narrative der Stimme Bob Dylans Richard Klein
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POP & PRAXIS Orchidee ade: Angewandte Musikwissenschaft als Innovationsforschung für die Musikwirtschaft Marc Pendzich Popmusik ist lehrbar. Geschichte, Struktur und Ziele des Studiengangs Popmusikdesign an der Popakademie Baden-Württemberg Udo Dahmen/Tobias Wollermann
Autorinnen und Autoren
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EINLEITUNG Eine Popmusicology gibt es nicht – zumindest nicht im Sinne einer selbstständigen wissenschaftlichen Disziplin mit klar abgestecktem Forschungsgebiet und festem Ort im universitären Fächerkanon. Zu vielfältig und widersprüchlich werden dazu die Begriffe Pop, Populäre Musik, Popularmusik und neuerdings Populärmusik in den Räumen und Subräumen verwendet, die sich zwischen Fankultur, Musikjournalismus und Universität auftun. Auch ist, sagen wir, Cole Porter zweifellos aus anderen Gründen und für andere Hörer ‚populär‘ als Freundeskreis, Prince, Bob Dylan oder die slowenische Turbo-Folk-Formation Atomik Harmonik. Dennoch gibt es nicht nur die allfälligen Narrative der Starkultur über herausragende Pop-Acts und ihre glamourösen Lebenswege, sondern zunehmend auch die der Popmusik als solcher, als erschließe (und konstruiere) sich das so unübersichtliche wie vielfältige Feld populärer Musik immer bewusster die eigene Geschichtlichkeit. Was hier zu Tage kommt – historische Kontinuitäten, Brüche und Genealogien, Knotenpunkte und Zerstreuungen, Hauptstraßen, Nebenwege und Sackgassen – macht zugleich die Kontingenz solcher Strukturmetaphern und ihrer Versuche handgreiflich, die Dynamik als populär geltender Musiken auf die Muster irgendwelcher Affinitäten, Tradierungen, Innovationen oder ReEntrys zu reduzieren. Der Beitrag der Musikwissenschaft zu dieser Historiographie besteht seit vielen Jahren vornehmlich in Untersuchungen zu kulturellen und sozialen Phänomenen; genaue musikalische Analysen liegen dagegen nur in geringer Zahl vor. Der Grund dafür ist ein methodischer: Eines der Probleme, mit dem sich die Popmusicology seit ihren Anfängen herumschlägt, ist paradoxerweise die ungeklärte Relevanz von Popmusik als Musik. Während in den 1970er und 1980er Jahren Studien im Sog des Birminghamer Subkulturparadigmas mit dazu beitrugen, Popmusik als Gegenstand der Geistes- und Kulturwissenschaften zu etablieren, rieben sich Forscher, die sich für Bauweise und Mittel der Soundtexturen selbst interessierten, an der Frage auf, was denn das ästhetisch Interessante des Pop sei und mit welchen analytischen Werkzeugen es angemessen beschrieben werden könnte. Nicht einmal, dass die Beschaffenheit des mu-
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sikalischen Klanggeschehens überhaupt für den Gebrauch populärer Musik von Bedeutung war, wusste man mit Sicherheit zu sagen – und nicht hoffnungslos im Hintertreffen gegenüber den Szenenerien der jeweiligen Aneignungskontexte, ganz zu schweigen von den Semantiken, die über mediale Diskurse in Internetforen, Zeitschriften, Musikfernsehen usf. erzeugt werden. Schließlich, so eine verbreitete Erkenntnis der Cultural Studies, lässt sich allein vom Standardisierungs-, Innovations- oder Komplexitätsgrad eines Popsongs auf nichts weiter schließen, weil zum einen fraglich ist, inwieweit Abweichendes und Schwieriges überhaupt wahrgenommen wird und andererseits noch das letzte Fließbandprodukt prinzipiell gegen den Strom genutzt und in subversive Praktiken eingebunden werden kann. Popmusikforscher der ersten Reihe wie Richard Middleton und Simon Frith haben dieses Problem schon früh erkannt. Allerdings harrt die Frage nach den Begründungszusammenhängen ästhetischer Urteile über populäre Musik bis heute der Antworten, mit denen die kulturalistische Schlagseite der Popmusicology auch nur annähernd wieder ins Lot zu bringen wäre. Und das, obwohl der typische Einwand der Cultural Studies, die Bewertung populärer Musik habe weniger mit deren klanglichen Eigenheiten als mit ihren Nutzungskontexten zu tun, nicht selten den Eindruck einer Ausrede erweckt, die es erlaubt, über Musik selbst nicht reden zu müssen. Entgegnen lässt sich unter anderem, dass die Wertschätzung bestimmter Bands oder Songs mit den Aufwertungsprozessen zwischen High & Low und den von Bourdieu und anderen beschriebenen Kämpfen gesellschaftlicher Gruppen und Institutionen um die ‚richtige Scheibe‘ nur unzureichend zu erklären ist. Zumindest gilt das dort, wo auch für die Musikindustrie unvermutet neue Stile und Musiker in den Pop-Kanon aufgenommen werden. Solche Kanon-Umbildungen von unten können in der Regel eher festgestellt als erklärt werden, weil sie im Kern auf individuelle ästhetische Urteile zurückgehen und damit eine subjektive Form der Begegnung mit Musik voraussetzen, die, so Anne Danielsen in ihrem Beitrag, mit kulturanalytischen Argumenten allein nicht zu begründen sind. Bewertungen von Musik sind zwar bis zu einem gewissen Grad durch Lebensumstände, Umfeld und Biographie voreingestellt und in die auf unterschiedlichsten Ebenen geführten gesellschaftlichen Debatten verwickelt. Dennoch aber bleiben sie eine prä-argumentative Angelegenheit, an welche Kanonisierungsdiskurse jeglicher Couleur immer erst nachträglich anschließen. Der Prozess der Aufwertung zuvor aus dem Kanon ausgeschlossener Musik setzt sich erst in Gang, wenn ihr das individuelle Hören von Musik als guter Musik vorausgeht.
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Einleitung
Umgekehrt garantiert ein weitgehender (gesellschaftlich oder gruppenintern ausgehandelter) Konsens über die Qualität einer Musik noch nicht, dass jeder Einzelne ästhetische Erfahrungen mit ihr macht und machen kann, und handle es sich auch um einen zu den Top Ten des PopKanons gehörigen Meilenstein. Aus philosophischer Sicht, die Christian Rolle in seinem Beitrag einnimmt, hängt das vielmehr von der Art der ästhetischen Praxis ab, in die Musik einbezogen wird. Hier macht es Sinn, wie Rolle im Anschluss an Martin Seel vorführt, zwischen verschiedenen Umgangsweisen mit Musik zu unterscheiden. Während der Pophörer im sinnlich-kontemplativen Modus von jeglichen Textinhalten und Aussagen absieht und sich wahlweise dem Sound oder den rhythmischen Pattern eines Songs hingibt, ohne assoziative Bezüge zuzulassen oder sich das Gehörte bewusst zu machen, sucht er über die verstehendimaginative Praxis nach möglichen Bedeutungen und Symbolgehalten der Musik, erforscht Ausdruck und stilistische Besonderheiten, geht historischen Bezügen nach und ist bestrebt, sich über Musik zu verständigen. Eine atmosphärisch-korresponsive Praxis schließlich nutzt Musik als Beigabe zum Essen, Feiern, zum Autofahren und als Stilisierung alltäglicher Situationen und Handlungen. Erst das Gelingen einer dieser Praktiken soll die Präferenz für eine bestimmte Musik erklären, ein einleuchtender Befund, der über Popmusik weit hinausgeht. Solche Nutzungsformen machen deutlich, wie komplex der Gegenstand ist, der in einer historischen Perspektive zu berücksichtigen ist. Popmusikgeschichten, die in eine Historiographie der Popmusik münden sollen, sind nicht nur kurzlebig, sie bringen einen ganzen Strauß von Problemen mit sich, wenn auf eingeführte Methoden der Musikgeschichtsschreibung zurückgegriffen werden soll. Peter Wicke erörtert die Facetten solcher Probleme, die von der kommerziellen Prägung und kurzfristigen Interessenlage bis zum Konflikt mit dem klassisch romantischen Musikbegriff reichen. Weder eine Geschichte der Helden oder der Songs, deren Analyse zudem meist auf ihre Texte reduziert wird, noch eine Orientierung an den Charts, welche musikalische Bedeutung mit der Zahl verkaufter Tonträger verwechselt, ist hier akzeptabel. Stattdessen skizziert Wicke in einer Weiterführung der Überlegungen von John Shepherd und Richard Middleton die Vision einer integralen Musikgeschichte, in der Popmusik als Teil der Reproduktions- und Entwicklungsmechanismen von Gesellschaft begriffen wird. Mit Musik als gleichzeitig resultierendem und gestaltendem Medium sozialer und kultureller Prozesse wäre hier eine Geschichte gesellschaftlicher Konstitution und Bedeutung von populärer Musik zu erzählen, die nicht Gefahr läuft, in den Relativismus eines von ästhetischen Vorlieben und kommerziellen Aspekten geprägten Szeneblicks zu verfallen.
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Der Identität der populären Musik geht Dietrich Helms mit vergleichsweise neuem methodischen Werkzeug nach. Die Systemtheorie Niklas Luhmanns als umfassendes Erkenntnisinstrument soll dabei den komplexen Gegenstand besser fassen als die unpassend erscheinenden Verfahren etablierter Musikologie. Musik ist hier, durchaus ähnlich wie in Wickes Ansatz, ein kulturelles Medium, nun allerdings im System Pop. Es geht nun nicht mehr um Musikstücke oder musikalisches Material als zentrale Identitätskriterien, sondern um eine spezifische Form der Kommunikation. Populäre Musik ‚erbt‘ als Teil des Systems Pop auch dessen Differenzkriterium, welches die Kommunikation in diesem System im Vergleich zu anderen Systemen abgrenzt und definiert. Helms’ Vorschlag für eine solche Abgrenzung ist die spezifische Relation zwischen Individuation und Proliferation der Kommunikation im System Pop. Nur im Pop, so die Hypothese, findet eine spezifische Balance zwischen einer als individuell erfahrenen Sinnbildung und gleichzeitiger massenhafter Verbreitung der entsprechenden Wahrnehmungsangebote statt. Wie erwähnt, ist die Popularität von Love For Sale natürlich eine ganz andere als die der Musiken beispielsweise von Missy Elliott oder der slowenischen Acts DJ Umek und Siddharta. Die Diversivität populärer Musik schon innerhalb eines vergleichsweise kleinen und jungen, in den letzten fünfzehn Jahren durch Balkankrieg, das folgende Nationbuilding und die damit verbundenen kulturellen Abgrenzungsstrategien aber zugleich in besonderer Weise geprägten europäischen Landes führt Leon Stefanija am Beispiel slowenischer Bands vor Augen. Atomik Harmonik, Neisha, DJ Umek, die Bands Laibach und Siddharta und der Jazzmusiker Vasko Atanasovski machen zum einen die unterschiedlichen Funktionen deutlich, die ‚Popularität‘ als eine Eigenschaft von Musik abhängig von Umfeld, künstlerischem Anliegen und der jeweils angesprochenen Rezipientengruppe annehmen kann. Nicht zufällig ist ihnen dabei die Suche nach expressiven Potentialen gemeinsam, die weniger den ausdrücklichen Anschluss an nationale Volksmusiktraditionen anstrebt als verschiedene Strategien der Authentifizierung thematisiert. Zum anderen verweisen die Beispiele auf unterschiedliche psychologische, physiologische und kulturelle Rezeptionsformen und (stimulierende, sedierende etc.) Wirkungsweisen populärer Musik, die Stefanija in diesem Zusammenhang und mit kritischem Blick auf die entsprechenden Methoden der Popmusikforschung diskutiert. Um eine besondere Relation von technischer Kultur und populärer Musik geht es im Beitrag von Rolf Großmann. Er beschäftigt sich mit dem Verhältnis von elektronischen Medien und populärer Musik. Popmusik ist
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Einleitung
demnach ‚die‘ Musik der elektronischen Medien. Sie bildet das einzige musikalische Genre des 20. Jahrhunderts, dessen musikalische Gestaltung mit der Phonographie und der elektronischen Klangerzeugung unauflösbar verbunden ist. Ohne die Kenntnis ihrer medialen Existenz und entsprechende technikkulturelle Reflexion, so die These Großmanns, ist populäre Musik weder zu verstehen noch zu erklären. Eine technikkulturelle Sicht, wie sie im englischsprachigen Raum etwa Paul Théberge vorantreibt, könnte danach das Bindeglied zwischen einer alten und neuen musikwissenschaftlich orientierten Betrachtung bilden. Traditionelle Musikwissenschaft ist unter anderem aufgrund der bisher dominanten (Noten-)Schriftlichkeit ihrer Gegenstände nicht in der Lage, eine Medienmusik wie die populären Musik zu erfassen, die auf der phonographischen Schrift beruht. Sie wäre daher durch eine interdisziplinäre Sicht zu ergänzen, welche die vielfach bestehenden medienwissenschaftlichen Ansätze zur Kenntnis nimmt und – wo möglich – nutzbar macht. Das heißt jedoch nicht, dass ihre Methoden und Verfahren grundsätzlich unzuständig wären und zugunsten einer rein medienwissenschaftlichen Orientierung aufgegeben werden sollten. Anschlussfähig werden Material und Strukturanalysen allerdings erst dann, wenn ihre Konzeption im Sinne elektronischer Medien erweitert wird. Den ergänzenden Perspektivenwechsel aus der Sicht einer kulturorientierten Medienwissenschaft vollzieht Christoph Jacke. Ihn verbindet mit dem Autor des vorausgehenden Beitrags nicht nur die langjährige Arbeit im konstruktivistischen Paradigma des Literatur-und Medienwissenschaftlers Siegfried J. Schmidt, sondern auch eine gemeinsame theoretische Konzeption des kulturellen Mediums Musik. Danach ist Musik ein Konstrukt individueller Wahrnehmung, genauer: eine spezifische Klasse von Kommunikaten, deren Konstruktionsmechanismen soziokulturell vorgeformt sind. Die Medientechnologien sind hier ein Element eines komplexen Bedingungsgefüges von Kommunikationshandlungen, in denen mittels auditiver Wahrnehmungsangebote musikalische Kommunikate erzeugt werden. Jackes Beschreibung der komplexen Wechselwirkungen von Medien und Musik in ihrer sozialen und kulturellen Konstruktion mündet in den Vorschlag, eine Medienkulturwissenschaft als erweiterten Rahmen für ein medienorientiertes Verständnis von Popmusik zu entwerfen. In der Tat könnte hier eine produktive Schnittstelle – der Komplementarität und Ergänzung, nicht der Konkurrenz – zwischen Medien- und Musikwissenschaft entstehen. Nicht zuletzt versammelt der vorliegende Band einige Analysen, welche das Spektrum möglicher Methoden vor dem Hintergrund der vorausgegegangenen Überlegungen verdeutlichen. Eine Analyse von populärer
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Musik als Musik tut zweifelsohne gut daran, Formen der Aneignung und Nutzung von Popmusik in ihre Untersuchungen einbeziehen. Sie sollte sich aber nicht darauf beschränken. Zwar geraten Musikanalysen, deren Maßstäbe an den Gestaltungsmitteln europäischer Kunstmusik entwickelt wurden, leicht in die Untiefen eines Eurozentrismus, der Popmusik mit seinen gewohnten Kriterien (z.B. Komplexität und Werkautonomie) aufzuwerten versucht, gleichzeitig aber nicht in der Lage ist, landläufige Prinzipien vieler populärer Musikstile wie Prozessualität, Kollektivität, melodische und harmonische Einfachheit und andererseits einen stark ausdifferenzierten Umgang mit neuen Soundtechnologien zu erfassen, geschweige denn zu verstehen. Die Popmusicology sollte deswegen aber, so Martin Pfleiderer in seinem Beitrag, nicht in rezeptionsästhetischer Askese verharren, sondern vielmehr geeignete analytische Vorgehensweisen entwickeln, die Musik, Aneignungshintergrund und Primärmaterial wie CD-Cover und -booklet gleichermaßen berücksichtigen und dabei beispielsweise auch Verfahren der Transkription von Musikaufnahmen einbeziehen. Nicht nur die große Fülle an biographischer Literatur über die großen Stars und ihre Bands spricht dafür, dass das Interesse vieler Popfans durchaus auch Produktionsaspekten ihrer Musik gilt. Das Ziel einer musikalischen Analyse sollte daher sein, die Nutzung von Popmusik nicht nur, aber auch über Beschreibungen des Klanggeschehens zu begründen, deren Instrumente jeweils den musikalischen Gegebenheiten und dem Erkenntnisinteresse entsprechend auszuwählen sind. Pfleiderer entwickelt dazu ein analytisches Stufenmodell, in dem auch die körpertechnische Wahrnehmung von Musik über den Tanz berücksichtigt wird. Michael Rappes Beitrag erinnert in diesem Zusammenhang daran, dass es für viele Pop-Insider zunächst so schlicht wie entscheidend um die Verstehensangebote geht, die in der popkulturellen Zeichenwelt (etwa eines Videoclips) enthalten sind. Eine Analyse, die diese Rezeptionshaltung ernst nimmt, muss sich darum vor allem um diese Zeichenkonstellationen kümmern und einen Song als komplexes Bedeutungsgefüge lesen, das Bezüge zu anderer Musik herstellt, Subtexte generiert und versteckte Semantiken zur Verfügung stellt. Ein Beispiel für diese Form musikarchäologischer Spurensuche gibt Rappe mit seiner Analyse des Freundeskreis-Clips Esperanto, der eine Fülle szeneinterner Codes verwendet und somit eine Hör- und Sehkompetenz voraussetzt, ohne die der Song verkannt werden muss. Michael Buchler dagegen stellt unter Beweis, dass manche populäre Musik entgegen den Befürchtungen vieler Popmusikologen auch oder sogar erst mit den traditionellen Werkzeugen harmonischer Analyse, also vermittels der Funktionsharmonik und ihren Kategorien des Konventio-
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nellen, Formelhaften bzw. Abweichenden und Innovativen lesbar werden. Mit Cole Porters Love For Sale wählt er dazu einen Gegenstand, um dessen harmonischen Bau bis in die vom Komponisten selbst arrangierte Klavierstimme man wissen muss, um ihn und den Interpretationsansatz Porters zu verstehen. Im Rahmen der American Popular Music um 1930, in dem Porter komponiert, legt die Deutung der Akkordbeziehungen ein entscheidendes Merkmal seiner Verarbeitung des Themas käuflicher Liebe frei. Eines der zentralen Ausdrucksmittel populärer Musik ist, wer wollte es bezweifeln, die Stimme, mit der sich die Sängerinnen und Sänger des Pop in unsere Herzen spielen und in unserem Körper einnisten, ihn einnehmen, umschmeicheln oder, mit Roland Barthes gesprochen, erotisch berühren und sich zu erkennen geben. Erstaunlicherweise ist die Popmusicology eingehende Studien zu Stimme und Gesang dennoch bis heute schuldig geblieben. Das ist umso bedauerlicher, als der Stimme-Diskurs in der Kultur- und Medienwissenschaft seit Ende der 1990er Jahre erhebliche Fahrt aufgenommen und eine ganze Reihe von interessanten Vorlagen geliefert hat, die zu verwerten alle Mühe wert sind. Aufzuarbeiten wäre in diesem Zusammenhang vor allem der Beitrag populärer Musik zur Ausgestaltung des Verhältnisses zwischen Stimme, Körper und den modernen Audiomedien, das sich im 20. Jahrhundert ausbildet und entscheidende Impulse nicht nur innerhalb der populären Kultur setzt. Natürlich sind Popstimmen, auch wo sie nicht unnatürlich verzerrt klingen oder sogar als Maschinen-Sound daher kommen wie im Fall von Kraftwerk oder Daft Punk, zunächst einmal und weitgehend eine Angelegenheit der Sound-Technologien. Unsere Empathie gilt Disembodied Voices, Stimmen, bei denen keine beständige Relation zwischen Körper, Stimme und Raum mehr besteht und das Klangdesign am Bildschirm und mit Hilfe studiotechnischer Bearbeitungsschritte passiert. Dennoch hat die Popforschung nicht ohne Grund den Körper als zentralen Referenzbegriff für das Stimme-Hören entwickelt; eines Hörens allerdings, das sich nicht im ausdruckspsychologischen Sinn auf eine sich selbst ausstellende Innerlichkeit richtet, sondern auf Signale, die ihren Ursprung in der organischen Konstitution einer Stimme haben, ihren körperlichen Vorzüge wie ihren irreversiblen Verletzungen und ‚Fehlern‘, dem unkontrolliert Entgleitenden ihres Vortrags. Warum es dabei gleichwohl nicht um die Enttarnung von stimmlichen Maskeraden zugunsten eines personalen, sich körperlich äußernden Kerns gehen kann, zeigt der Beitrag von Christian Bielefeldt. Auch das Korn, die berühmte Barthessche ‚Rauheit der Stimme‘ entsteht erst beim Aufeinandertreffen von (teils unbewusst angeeigneten) Körpertechniken
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und kulturellen Praktiken im Medium Musik, als Ausprägung eines bestimmten Vorrats an Möglichkeiten, Klang (auch technisch) zu organisieren. Die ‚grain de la voix‘ ist darum weder umstandslos mit einem rauchigen Timbre, intonatorischen Besonderheiten oder einer besonders verschliffenen Aussprache gleichzusetzen noch auf rein körperliche Aspekte zu reduzieren. Ein musikwissenschaftlicher Anschluss an Barthes könnte aber darin bestehen, Eigenheiten einer Stimme im Umgang mit Sprache und mit Timbre, Stimmsitz und physischen Merkmalen zu beobachten, die sie über den einzelnen Song hinaus auszeichnen, und diese vokalen Signaturen zugleich als biographische Echos zu lesen, in die sich Materie und Körper, Geschlecht, Alter und Herkunft und schließlich auch die Rhetorizität stimmlicher Ausdrucksmodelle und ihrer phonographischen Basis einschreiben. Das Beispiel Prince, sicherlich einer der stimmlich wandlungsfähigsten Sänger des Pop, spricht dafür, dass hier zudem und alles andere als nachgeordnet auch kulturelle Figuren des Singens und des Sängers eine Rolle spielen, vom Engelsgesang und seinem Gegenbild, der diabolischen Stimme, über den virilen Verführer und den ekstatischen Gesang bis hin zur narrativen oder politischen Stimme. Während Prince in seinen vokalen Performances vor allem die Figuren des androgynen Wanderers zwischen den Geschlechtern, der exzentrischen Diva und des African-American Lover aufgreift, zeichnet Bob Dylan, bekannt für das ‚Zersingen‘ seiner Songtexte und das Nuschelnde, Enge und Näselnde seiner Stimme, dennoch eine besondere Affinität zum Erzählen aus. Wie Richard Klein darlegt, bedeutet Narrativität bei Dylan allerdings nicht nur in konventioneller Bardenpose oder mediativer Versonnenheit von vergangenen Geschehnissen zu berichten, sondern gewissermaßen die Zeithaftigkeit des Erzählens selbst in einer Stimme zu spiegeln, die in diesem Sinn dann weitaus mehr ist als die Stimme einer bestimmten Person mit individueller Geschichte und Herkunft. So bringt Dylan einerseits etwas Unverwechselbares zu Gehör, über die Liedtexte hinaus und in einer Singtechnik, mit der er die Sprache in ihre klanglichen Kleinstbestandteile zersetzt. Diese Anarchismen gehen jedoch oft Hand in Hand mit der Entfaltung neuer Semantiken und stellen zudem gerade bei Dylan weniger bloße physische Merkmale als vielmehr Ausdrucksgestalten dar, die historische Symboliken mit sich führen. Im Durchgang durch verschiedene Phasen zeigt Klein, dass sich das Verhältnis von stimmlicher Autonomie, Darstellung und Ausdruck dabei immer wieder neu justiert. Je älter er wird und je mehr der Rekurs auf das eigene Repertoire in den letzten Jahren in den Blickpunkt rückt, werden Zeitlichkeit und Geschichte von Dylan umso offener thematisiert.
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Weder bei Dylan noch bei Prince, Cole Porter, Freundeskreis oder Laibach gilt es allerdings einen Aspekt aus den Augen zu verlieren, der in der Auseinandersetzung mit und der Analyse von Popmusik auf eine lange und teilweise unselige Tradition zurückführt: Popsongs – und die Kollegen der ‚ernsten Musik‘ haben hier längst gleichgezogen – sind medial distributierte, betriebswirtschaftlich kalkulierte Ware und unterliegen somit den Produktions- und Verbreitungsbedingungen industrieller Güter. Eine Selbstverständlichkeit, die gleichwohl die Frage aufwirft, in welcher Form die Musikwissenschaft diesen Sachverhalt nicht nur akademisch analysieren (und reflexartig verteufeln), sondern möglicherweise auch nutzen und ins Spiel der Popkulturindustrie eintreten könnte und wollte. Umrisse eines derartigen, angewandten Studiengangs, der künftige Absolventen gezielt auf kulturindustrielle Berufsfelder vorbereiten will, skizziert der Beitrag von Marc Pendzich. Er wagt es, das Undenkbare zu denken: eine Musikwissenschaft, deren vorrangiges Ziel in ihrer Verwendbarkeit in der Ökonomie der Musikwirtschaft läge. Nicht genug ist es danach, diese Disziplin von der Last des Historismus zu befreien und ihre Systematik den aktuellen Phänomenen der Gestaltung und den Prozessen der Distribution und Rezeption zu öffnen. Seine Vorschläge umfassen Innovationsforschung, Markt- und Markenanalysen und andere Zuarbeiten für die Tonträgerfirmen und werden ergänzt durch eine Sichtung der Krise des deutschen Musikmarkts. Ob der von Pendzich skizzierte Weg hierfür gangbar ist, wird zu diskutieren sein. Sein Beitrag kann in unserem Spektrum der Ansätze jedoch schon deshalb nicht fehlen, weil er offenlegt, um welche Diskursfacetten es hier geht. Nach Theorie, Analyse und Ökonomie findet zum Abschluss des Bands eine ‚Erdung‘ des Themas statt: Eine Akademie der Popmusik präsentiert einen ihrer Studiengänge und stellt selbstverständlich und engagiert – nicht zuletzt ist hier einer der Herausgeber beteiligt – nicht nur in der Theorie, sondern maßgeblich in der Praxis fest, dass Popmusik lehrbar sei. Ein Thema, das eine lange Geschichte hat. Spätestens seit der Aufnahme des Jazz in das Studiengangsszenario der deutschen Musikhochschulen wurde und wird hierzulande über die Akademisierung von in ihrer Genese her (scheinbar) völlig unakademischer Musikformen gestritten. Subkultur, Provokation, Subversion oder noch schlimmer Jugendkultur und akademische Institution gelten als inkompatibel, hinzu kommt die vermeintliche Theorieferne einer auf der phonographischen Notation der (Massen-)medien beruhenden Musikkultur. Die Frage ‚Gibt es ein akademisch vermittelbares Handwerk der Popmusik?‘ wird sicherlich auch weiterhin umstritten bleiben. Es gibt, soviel ließe sich konsensuell feststellen, einen Kanon der Popmusik (also auch ein musikalisch-handwerkliches ‚Repertoire‘) und es gibt die Me-
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chanismen der Medien und der Ökonomie. Nicht zuletzt zeigt der vorliegende Band die Charakteristika der konstitutiven Elemente von Popmusik in diesem Spannungsfeld und ihre Rolle im akademischen Feld. Bei Udo Dahmen und Tobias Wollermann geht es nun nicht um den Theoriediskurs, sondern um das Alltagsgeschäft einer Bildungseinrichtung, in anderen Worten um die Operationalisierung des praktischen und theoretischen Wissens, dem akademische Theoriebildung eigentlich vorgelagert sein sollte. Dabei sind alte und neue Wege einzuschlagen. Denn das sequenzielle Modell der Erarbeitung gesicherten Wissens, seiner didaktischen Umsetzung und überprüfbaren berufsbezogenen Vermittlung an vermeintlich unwissende Studierende funktioniert – wie in allen dynamischen Berufsfeldern – kaum mehr. Eher ist im ständigen Abgleich mit dem Wandel theoretischer Diskurse, aktueller ästhetischer Strömungen und berufspraktischer Erfordernisse eine Parallelität von inhaltlicher Konzeption und akademischer Reflexion notwendig, die Mut zu neuen Inhalten und Formen erfordert. Es ist Zeit, ein altes Modell neu zu beleben und ernstzunehmen: die Einheit von Forschung und Lehre. Gepaart mit einem neuen Modell der Integration studentischer Kompetenz und dem kompetenten, berufsfeldorientierten Blick auf eine sich wandelnde Praxis, kann daraus ein gangbarer Weg für Studiengänge zur populären Musik werden, wie ihn bereits die Popakademie Baden-Württemberg beschreitet. Die Popmusicology befindet sich indessen noch am Anfang, sie hat auch für diesen Kontext anschlussfähige Themen und Methoden zu erarbeiten und zu entwickeln und – sie hat selbst anschlussfähig zu sein. Das breite Themenspektrum unseres Bands ist ein Ausdruck dieser Absicht. Die Herausgeber Lüneburg, Mannheim und Zürich, im Juli 2007
Ohne engagierte institutionelle und persönliche Unterstützung wäre diese Publikation nicht zu verwirklichen gewesen. Unser Dank geht an die Universität Lüneburg, dort die Universitätsgesellschaft, die Fächer Musik und Kulturinformatik, den Schwerpunktbereich „((audio)) Ästhetische Strategien“, an die Popakademie Baden-Württemberg und die Autoren der Beiträge. Für ihre Geduld und gründliche Bearbeitung der Druckvorlage sei Marie Beyeler herzlich gedankt.
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AESTHETIC VALUE, CULTURAL SIGNIFICANCE, AND CANON FORMATION IN POPULAR MUSIC ANNE DANIELSEN
At first glance, one might think that the question of canon formation is of minor relevance when dealing with popular music. One aspect behind this is that the notion of canon is deeply immersed within high art traditions. However, even though it is almost never accounted for under that name, there is also canon formation within the field of popular music, in the sense that there is a striking consensus regarding what music, what artists or bands, perhaps even to the level of what songs, are simply the best. In order to form an impression of the canon formation in popular music, no more is in fact needed than a quick glance at the contents of a few of the authorized historical accounts within the field, such as the BBC series „Dancing in the Street“ 1 or the American „The Rolling Stone Illustrated History of Rock’n’Roll“ (cf. De Curtis/Henke 1992). With some minor variations, they are all there: Elvis Presley, Little Richard, Chuck Berry, Jerry Lee Lewis, Buddy Holly, James Brown, the Beach Boys, the Beatles, the Rolling Stones, Bob Dylan, Neil Young, Aretha Franklin, the Velvet Underground, the Who, Jimi Hendrix, the Band, Sly and the Family Stone, Led Zeppelin, David Bowie, Bruce Springsteen, Prince, U2, Madonna, and so on, each filling a somewhat varying number of pages, according to their influence. 2 (Some other artists and bands are also to be found, but always in the context of summarizing articles on striking trends or special styles, or general phenomena within youth culture.)
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Dancing in the Street, (BBC/WBGH 1996). This list is – with the exception of some idiosyncratic considerations – identical to a compiled list of the artists and bands that fill up more than five pages in „The Rolling Stone Illustrated History of Rock’n’Roll“ (DeCurtis and Henke 1992). Cf. also Regev 2002, p. 254. 17
Anne Danielsen
As becomes obvious from studying such sources, the canon of popular music is not identical with a list of the most popular songs in popular music history in commercial terms. A lot of songs and artists, although immensely popular at a certain point in history, are not present in these accounts. They have simply vanished from the historical „charts“. There is, in other words, a filtering mechanism at work in the process of canon formation through which some artists, bands and songs are included in the canon and others are not. One might perhaps say with Lindberg et al., that the music has become subject to a historical narrative which „redraft[s] the opposition between ‚old‘ and ‚new‘ in noncommercial terms“ (Lindberg et al. 2003, p. 42). Generally speaking, there are traditionally two different ways to approach these filtering processes. The first can be linked to a notion of cultural significance, while the other springs from a belief in aesthetic value. Historically, the academic field of studies of popular music has also been marked by a tension between these two poles. On one hand, we have researchers whose interest has primarily been in the cultural aspects of the field. On the other, we have researchers primarily focusing on popular music as music. As a consequence, popular music studies have developed into a highly interdisciplinary field, where different traditions are present, with their different sets of theories, methods, ideologies and, not least, different views on why the music they study has value. Up to the late 1970s, however, the field was not interdisciplinary in the strict sense, since the situation was rather that there were two separate currents, unified by an interest in the same object, namely popular music (Hesmondhalgh/Negus 2002, pp. 3-6). Today, discussions of value among fans, critics and academics usually tend to include both the musicalaesthetical and the cultural aspects of the phenomenon (cf., for example, Moore 2003). However, regarded as ideal types in the Weberian sense, one might say that on the one hand there are legitimating discourses centered on musical and aesthetic features. These are focused on the artistic means, effects and qualities of popular music, without concern for social functions or cultural processes. Conversely, there are legitimating discourses focused on questions of cultural significance, emphasizing the social and cultural aspects of popular music. In this article, I wish to discuss this tension in relation to the question of canon formation in popular music. First, I will present different forms of critique of canon within musicology and ethnomusicology from the last few decades. Then I will focus on how we, as academic scholars of popular music, have approached and also influenced processes of canonization. In the second part I go on to discuss the importance of what I call the canonizing experience for the canonizing of music, before mov-
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Aesthetic Value, Cultural Significance, and Canon Formation
ing on to a discussion of the relation between cultural significance and aesthetic value, using Pierre Bourdieu’s notion of habitus as a starting point for a discussion on the possibility of mediating between the sphere of individual aesthetic judgment and the cultural domain.
Different Forms of Critique of Canon During the last thirty years, the notion of canon has been subject to substantial critique, and in 1994, Harold Bloom, professor at Yale, found it necessary to write a book in defense of the canon of Western literature. Bloom’s book, „The Western canon: the books and school of the ages“ (1994), was in fact a paradoxical project, since a canon by definition, so to say, does not need defense: it should defend itself by way of aesthetic value. The backdrop of Bloom’s book, however, was what he considered to be the threat to the canon from the new fields of study of so-called other’s culture, such as post-colonial studies, feminist studies or the different disciplines focusing on popular culture. In particular, he was concerned with fighting back the tendency to attempt to expand the canon on non-aesthetic premises. According to Bloom, these are simply false, since in the end aesthetic choice has guided, and will always guide, every secular aspect of canon formation, or as he writes: „Aesthetic value is sometimes regarded as a suggestion of Immanuel Kant rather than an actuality, but that has not been my experience through reading“ (Bloom 1994, p. 1). 3 The critique of canon from the abovementioned fields of study was also a threat to the traditional curriculum of literary studies, or as Bloom writes: „Things have fallen apart, the center has not held, and mere anarchy is in the process of being unleashed upon what used to be called ‚the learned world‘“ (ibid.). The book launched a rich debate about the relevance of the classical canonized works for our time, in fact affecting all art histories within the Western world. The heated debate in many ways re-actualized the question of the relevance of canon for academia. Part of the reason for the debate following Bloom’s book was probably that Bloom wanted to re-install aesthetic value as the one and only premise 3
A main point for Bloom is that aesthetic value, as well as the classic literary canon, is of current interest. A canonized work is equal to a work that is impossible to pass by, when one is writing after it in history. A canonized work is in short something that every serious writer has to struggle with, to compete with and relate to when trying to find his or her own place in the literary field. It is because of this that every canonized work has a highly resonant history of reception. 19
Anne Danielsen
for canon formation (cf., for example, Agora no. 3/4 1999). Conversely, he sought to dismiss all socially or politically or, for that matter, culturally motivated arguments for value in literary criticism. Also within musicology, the debate on canon came in the form of contributions from researchers with an interest in music outside of the dominant canon or in alternative perspectives, such as post-colonial studies, feminist studies or the different disciplines focusing on popular culture, but also ethnomusicologists and scholars within the fields of cultural studies and cultural sociology have been engaged in discussions on canon formation in music (cf. Middleton 2003, p. 2). 4 In the beginning of the 1990s, the anthology „Disciplining Music. Musicology and Its Canons“ (1992), for example, set out to explore „the ideological and social practices that inform the disciplining of music – understood in the terms of our scholarly ‚disciplines‘ of historical musicology, music theory and ethnomusicology – and the connection such practices have to that valued space we call canon“ (Bergeron/Bohlman 1992, p. 1). Marcia J. Citron’s book „Gender and the Musical Canon“ (1993) was also important in its examination of how certain practices and attitudes may have contributed to the exclusion of women composers from canon (Citron 1993). Thematically, the critique may be divided into three strands. First, it has been concerned with revealing the power relations and hierarchies of taste linked with gender, ethnicity, and so on, that surround the focus, interest and curriculums that dominate in the study of music history, and in keeping with this, it has focused on the hidden shadows of canon, such as popular music, the music of the ‚people‘, or by non-Western or female composers. Second, the critique of canon came in the form of a renewed interest in the study of the cultural aspects of all music. Last, but not least, one has questioned the notion of aesthetic value and canon as such. Both have been heavily criticized as an ideological construction made to preserve the hegemony of Western culture within the art world. In the following, I will briefly present these three forms of critique of canon, as well as pointing to some examples of the different positions. The first example of a milder version of canon critique is closely linked with the so-called „new musicology“. New musicology emerged as an alternative to a more formalist oriented American musicology during the 1980s. It was pioneered by, among others, Joseph Kerman, and may be characterized as an ambition to merge perspectives from musicology, music history and cultural studies. The criticism coming from this strand of musicology is aimed at exposing the special historical and 4
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By and large, this division follows Richard Middleton’s instructive overview of the different scholarly traditions that have contributed to the cultural study of music.
Aesthetic Value, Cultural Significance, and Canon Formation
social context of the traditional canon formation in Western art music. In line with this, the point has not been to devalue the importance of the canonized masterworks of the German-Austrian tradition from Bach to Beethoven and beyond, but rather to undertake a kind of musicological self-reflection on how this greatness has been justified. One important issue has been to focus on the fact that the aesthetic criteria circulating in debates on aesthetic value in music are neither given nor universal, but are to a great extent linked with social and historical conditions. In the case of Western art music these values may be recognized as some important formal characteristics closely linked with the notion of an organic musical work, that is, structural complexity, unity, and development (cf., for example, Solie 1980). The demand for new, innovative, and within modernism, true music has also formed an important part in the normativity underlying the dominating discourses in the field of Western art music. The latter claim became sharpened in the twentieth century through the writings of Th. W. Adorno (cf. Adorno 1970 and 1975). After the Second World War much work has been done within both German and American musicology, by for example Carl Dahlhaus and Joseph Kerman, to bring the link of these apparently neutral values to the canon of the classical-romantic period to the surface (cf. Kerman 1985 and Dahlhaus 1977). And even though their work may not have changed the canon in itself, the road was probably laid open for more radical attempts at changing, expanding or supplying canon, and to new perspectives on the canonized works, drawn from for example feminist, postcolonial and gay and lesbian studies (cf. McClary 1991; Kramer 1995; Brett/Thomas/Wood 1994). The second form of critique of canon came from what might be called a culturalist position. Regarded historically, this comes forward as a necessary response to musicology at a time where the reluctance towards cultural analysis of music was substantial. As Richard Middleton points out, „the sense of music’s ‚autonomy‘ intensified in the late eighteenth century, setting off a development in Western music which resulted in the growth of that monstrous superstructure of meaning surrounding musical processes today“ (Middleton 2000, p. 59). Richard Leppert and Susan McClary, in the foreword to „Music and Society“ (1987), one of the first anthologies of essays presenting a culturally grounded analysis of music in the US, also point out how music was one of the last arts to be subject to critical examination by the socially and politically grounded academic enterprises mentioned above. In Scandinavia, the cultural turn was clearly related to a general radicalization of the humanities in the 1970s, a period when there was a renewed interest in political and societal matters in academic circles. This
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also had as a consequence a renewed interest in studying the art of the „oppressed“, or perhaps rather, the culture of what has been labeled the internal others of Western society (cf., for example, Born/Hesmondhalgh 2000, p. 6). 5 In keeping with this, questions regarding musical quality were suspended. Due to its cultural significance, all music was in principle worthy of study and should be considered a potential object of research, regardless of the presence or absence of musical qualities. The different variants of the culturalist position, from the cultural turn in ethnomusicology to the interest of cultural sociology in music, stand, according to Middleton, „for the proposition that culture matters, and that therefore any attempts to study music without situating it culturally are illegitimate“ (Middleton 2003, p. 3). However, this sometimes turned out as a tendency to implicitly or explicitly reduce the experience of music to its cultural aspects, either in the form of a complete passing over the topic of the musical qualities of music, or by explicitly subordinating musical experience to the social domain. An example of the latter from Scandinavian musicology/ethnomusicology is found in an article by Even Ruud and Tellef Kvifte from 1987, entitled „Musikk, identitet, musikkformidling [Music, identity, music communication]“. In this article, they emphasize the importance of taking cultural perspectives on music into account (Kvifte/Ruud 1987). However, in the course of the argument they leave no place for the importance of aesthetic value, as becomes clear, for example, in the following quote: „Om vi trekker fra hele den sosiale situasjonen som er spunnet rundt musikken og som vi møter i den samtale eller diskurs som finnes omkring musikk, blir det ingenting tilbake: med andre ord selve kjernen i musikkopplevelsen vil forsvinne [If we subtract the entire social situation that is spun around the music and that we find in the conversation or discourse on music, nothing remains: in other words, the very core of the musical experience will disappear]“ (Kvifte/ Ruud 1987, from „Innledning [Introduction]“).
In this statement, the critique represents more than a shift of perspective. Rather, the aesthetic is completely subordinated to the social realm. 6 5 6
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For a slightly different, although familiar conception of the internal other, see Danielsen 2006, chapter 11. It should, however, be noted that in a recent debate in the Norwegian weekly Morgenbladet, Even Ruud modified the central claim of the article, stating: „hovedtesen her [i artikkelen om Musikk, identitet og musikkformidling] handler, […], om at ‚vi ikke finner mening i musikken ved å dekonstruere musikken selv, men bare gjennom å dekonstruere de sosiale situasjoner vi som individer har lært oss å verdsette musikken i‘. Det er mulig det lille, men sentrale ordet ‚bare‘ skulle ha blitt flyttet til setningens første ledd og at ordene ‚i tillegg‘ kunne ha kommet inn som erstatning i setningens siste del [„the main thesis here [in the article on music, identity and
Aesthetic Value, Cultural Significance, and Canon Formation
Even for the culturalist, however, the question of canon seems to reappear in that the notion of canon also has a more pragmatic aspect, perhaps more in line with the way canon is understood in the theological field: what music should be listed in the history of music? What music should be studied in schools and universities in music history courses? There was, in other words, still a need to clarify the curriculum of music studies, and to clarify the subject of music history. It follows, from a culturalist position, that the arguments for the selection of music worthy of study should rely on other aspects than aesthetic value. Rather than the preferred music by critics and other elitist providers of the premises for aesthetic discourse, the curriculum ought to consist of the music that has cultural significance. Thus, in accordance with a culturalist approach, one should not go for canonized music, but for the music that really means something to someone, someone here definitely not referring to the academic or critic or any other elitist expert listener, but rather to a class, or a group, or a group within the group: a subculture, or simply the people. This re-orientation as regards the curriculum of music studies is evident in works within Swedish and Danish musicology from the same period. One example is the shift of focus towards social history in the Danish publisher Gyldendal’s textbook in music history from 1983 (cf. Brincker/Ketting 1982-84). In Sweden, Jan Ling and his fellow researchers in Gothenburg represented a similar interest in music sociology and sociohistorical perspectives on art music, on the one hand, and in popular music culture and the music of the ‚people‘, on the other (this in turn inspired Norwegian interest in similar matters, as expressed, for example, in Kvifte’s and Ruud’s article quoted above). Regarding the latter, it should be pointed out that the notion of the ‚people‘ is problematic, since, as Richard Middleton reminds us, drawing on Stuart Hall and Pierre Bourdieu, „‚the people‘ names a character seen as inhabiting an imagined social space. [...] The configuration of this space varies historically and in accordance with ideological assumptions“ (Middleton 2003, p. 253). Olle Edstrøm’s study of Michael Jackson’s album „Dangerous“ is an interesting example in this context (Edstrøm 1992). „Dangerous“ was a record that could be used to represent the musical taste of the people, in the sense that it was made by a top-selling mainstream pop artist music communication] concerns the fact that ‚we do not find the meaning in music through deconstructing the music itself, but only through deconstructing the social situations in which we have learned to appreciate music.‘ It is possible that the small but significant word ‚only‘ should have been moved to the first part of the sentence, to be replaced by the words ‚in addition‘ in the last part.“].” Morgenbladet, February 11, 2005. 23
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with a huge audience. Still, it clearly differed from the usual people’s music, understood as non-commercial music, typical of this milieu. In general, the close connection to commercial music was potentially problematic for the left-wing oriented research on subculture and youth culture, and studies of mass culture were, partly due to the influence of the writings of the Frankfurt school, not part of the pioneering work within much of cultural studies (cf. Adorno 1941; Horkheimer/Adorno 1972). As becomes clear from the Jackson example, however, within the field of popular music and popular culture in general, the culturally significant often comes close to the popular in the commercial sense. The third strand of canon critique concerns the issue of the ideological character of notions like aesthetics and canon. I have already mentioned this in the discussion of new musicology above. At its most extreme, however, such a critique is compatible with the idea that the notion of a canon formation, or, probably more appropriate in this context, canon construction based on aesthetic value, is ideological to its very core, or put differently, the notion of canon is in itself a means of repression, as is the notion of aesthetic value itself. In the foreword to „Music and Society“, Janet Wolff comes close to taking such a position. She attacks the myth of aesthetic autonomy, which she sees as deeply linked to the notion of Great Art. She writes, „aesthetics – the philosophy of art – […] exists in a symbiotic relationship with the idea of ‚Art‘ as comprehensible in terms which are purely intrinsic“ (Wolff 1987, p. 4). The critique of the universalizing aspect of Kantian aesthetics is perhaps most strikingly worked out in Pierre Bourdieu’s social critique of judgment. In his seminal contribution to the analysis of the close relations between social and economic power and the cultural hierarchies of taste, „Distinction. A Social Critique of the Judgement of Taste“ from 1984, Bourdieu clearly has Kant’s third critique as one of his targets. One of the key concept by which Bourdieu deconstructs the opposition between the subjective sphere of aesthetic judgment and the objective sphere of the social patterns documented by the statistics of quantitative sociology, is the notion of habitus: „the habitus is an infinite capacity for generating products – thoughts, perceptions, expressions and actions – whose limits are set by the historically and socially situated conditions of its production, the conditioned and conditional freedom it provides is as remote from creation of unpredictable novelty as it is from simple mechanical reproduction of the original conditioning“ (Bourdieu 1990, p. 55). Habitus signifies a set of culturally determined bodily dispositions to act, think, and feel in certain ways. It is internalized and does not manifest itself in the form of beliefs or desires. Moreover, it has no representative content and at no stage passes through
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Aesthetic Value, Cultural Significance, and Canon Formation
consciousness. Habitus is thus a socially founded, embodied structural disposition for acting in this or that way in a given situation. By way of this concept, Bourdieu’s critique was able to demonstrate how even the sphere of the subjective, aesthetic judgment included, is socially, historically and culturally grounded, an issue to which I will return towards the end of the article. The dividing line between the different forms of critique of canon is not easy to draw in practice. Summing up, however, it seems that the critique, at least at a principal level, has two modes: a mild or revisionist criticism, aimed at expanding or opening up the canon, or supplying the dominant canon with other canon formations from outside the white, male, upper- and middle-class dominated ethnocentric art field of the West. In keeping with this, the aim of such revisionist criticism is not to abolish canon altogether. Rather, it seems to be to investigate the hidden „shadows“ of canon, to shed light on the music not yet in consideration for canonization due to the prevailing hierarchies of taste, as well as providing new perspectives on already canonized works. The critique of canon may, however, also take the form of a more radical criticism, to be understood almost as an attempt to abolish or liquidate the whole notion of canon as such, which is seen as a reminiscence of a certain elitist and oppressing attitude. Thus, where the revisionist strand may be said to still believe in aesthetic value in some sense, a more radical form of canon criticism is characterized by the view that canon comes into being through cultural and social processes only. In the ideal type version of this radical position, canon has nothing to do with aesthetic supremacy. Rather, it has to be approached as a question of cultural struggle or cultural dominance, and in keeping with this, it is, in a certain sense, constructed, and is spoken of as canon construction.
Resonances in Popular Music Studies A central theme within both the revisionist and the radical versions of the critique of canon – it is difficult to draw a clear line between them in practice – has been how the traditional terminology, methodology and ideology of musicology, rather than enlightening the musical experience, tends to interfere with the music at hand, often with the result that the music is devalued, or that the aesthetic focus is displaced in a negative way. Due to the dominant position of Western art music within the discipline, the aesthetic values linked with the ideology surrounding the art music canon have also become part of the discourse on the value of popular music. This happened partly as an effect of the emerging institu25
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tionalization of popular music in musical education, but also came as a consequence of the increasing inclusion of popular music in music history as an academic discipline. Even though this process has taken place with a clear consciousness as to the fact that the musicological ideology has grown out of a certain repertoire that it was particularly suited to legitimize, it often seems that many popular music scholars, consciously or unconsciously, have had an eye on the dominant normativity of the discipline. This problem concerns, for example, the evaluation of music that in some contexts might be described as simple or repetitive music. Many popular music genres cultivate simplicity as an explicit value. Moreover, recirculation of musical forms and material is rather the rule than the exception, and the prejudice in favor of repetition is manifest. It goes without saying that it is somewhat problematic to explain the preeminence of popular music made within such a universe by way of the musicological notions of complexity and innovation, to take two central themes from the discourse on canon within Western art music. Due to the discursive inferiority caused by the prescribed normativity of the dominant ideology of art music, we, that is, popular music scholars, have sometimes confronted serious difficulties when trying to defend our music as music. Sociologically or culturally motivated arguments have often been necessary to support the claim that popular music is worthy of musicological interest. However, due to the dominance of what might be called an absolutist aesthetics within traditional musicology – often summed up in Eduard Hanslick’s account of music as „Tönend bewegte Formen“ (‚sounding form in motion‘) – such a legitimation of aesthetic value by way of „extra-musical“ features appeared as a secondary solution. This has had an effect on two counts. First, white, „artful“ and/or avantgardist music is over-represented in the musicological literature on popular music, and especially in works that locate themselves within musicological branches of music theory or music analysis. 7 In the introduction to his analysis of Yes’ ‚Close to the Edge‘, John Covach in fact points out the concern with „exploring the ways in which this 1972 composition shares structural and compositional practices with Western art music of the eighteenth and nineteenth centuries“ as a main focus of his analytical interest. He continues, „By analyzing the piece according to criteria typically applied to Western art music (that is, formal, harmonic, rhythmic, motivic, and text-music analysis), I hope to demonstrate not only that the piece is a hybrid of rock and art music at 7
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In Ashgate’s series on folk and popular music, we find, for example, entire volumes dealing with bands or artists such as Madonna, Pink Floyd, and Radiohead (cf. Fouz-Hernandez/Jarman-Ives 2004; Russell 2005; Tate 2005).
Aesthetic Value, Cultural Significance, and Canon Formation
the surface level, but also that the underlying structure of the work exhibits features common to both common-practice art music and the British-invasion pop from which the progressive-rock style emerged“ (Covach 1997, p. 9).
The institutionalization of popular music and the process of legitimizing popular music as a field worth studying for musicologists, may in other words have twisted the musicological discourse on popular music onto a specific course. Traditionally, academics unconsciously play an important role in canonizing processes, and we may have influenced the canonizing process through our choice of music for study. As Adam Krims has noted, especially music-theoretical approaches to popular music seem to play an important part in the formation of a canon (Krims 2003, p. 199). We may, for example, have tended to choose music that is complex and innovative in a traditional musicological sense, which is therefore likely to evoke more interest from our fellow researchers within the classical field. Second, the ideology surrounding canon as well as the so-called traditional musicology, seems to have had as a consequence that, contrary to the situation within the study of Western art music, cultural approaches have been dominating the study of popular music. In fact it seems that this trend has been nurtured, both from the side of cultural studies, with its skepticism towards aesthetics, and from the side of musicologists in art music, who seem to have had less trouble to include popular music in the music institutions when presented in the form of music sociology or subculture studies. The dominance of culturally oriented studies and the neglect of the musical aspects of popular music eventually caused a process of selfreflection within popular music studies on aesthetic value and aesthetic criteria. This first took place within the aesthetic and/or musicological strands of popular music studies. Richard Middleton’s „Studying Popular Music“ (1990) was a pioneering work in this respect (cf. Middleton 1990, chapter 3). In the United States, Robert Walser and Susan McClary have argued for the importance of studying popular music as both music and culture. At the same time they have pointed out the need to maintain a critical attitude towards the analytical and interpretational tools of traditional musicology: „to deconstruct the premises of [our] discipline“, as they once put it (McClary/Walser 1990, p. 279). 8 Simon Frith, in the first place a sociologist, was also early on advocating the need for including questions of aesthetics in the study of popular music. In fact, this was the 8
In my work on Prince, I was also concerned with emphasizing the necessity of disclosing the „hidden” normativity circulating in the musicological discourse on aesthetic value, in order to delimit its relevance both in time and space. See Danielsen 1998. 27
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main issue in his contribution, called „Towards an aesthetic of popular music“, to the previously mentioned anthology „Music and Society“. Coming from the side of popular music, there was probably no need to emphasize the importance of a culturally grounding of musical analysis. Rather, it was the lack of musical analysis that needed to be addressed, for as he states, „sociologists have tended to explain away pop music.“ But as he writes, „the sociological approach to music does not rule out an aesthetic theory but, on the contrary, makes one possible“ (Frith 1987, p. 133). 9
The Canonizing Experience In its most extreme form, the culturalist position happens to accomplish a rather reductionist gesture, excluding any influence from a possible aesthetic dimension. On the other hand, also Harold Bloom’s aestheticist approach to canon was rightly accused of serious reductionism in its ignorance of the cultural grounding of canonized masterworks and the relations of power’s significance for the process of canon formation. In his view, however, the new historicists and other culturally oriented ways of reading the masterworks amounted to no more than a „School of Resentment“ (Bloom 1994, p. 20). The heated debate between the different fractions, however, pointed to an important factor as regards the question of canon formation, namely the difference between what might be called the canonizing experience and the discourse about canon. Both are important for the process of canon formation. However, the canonizing experience, or to use the vocabulary of Kant, aesthetic judgment, and the critical discourse preceding and following this judgment, should not be confused. Put differently, one might say that they belong to different stages in the epistemological process. While aesthetic judgment is a wordless, subjective, pre-discursive activity, discourse is a domain of communication and intersubjective exchange, or put differently, for debate and struggle over these judgments. As discussed above, Bourdieu’s critique has called attention to the fact that the act of judgment is not free of cultural inclinations either. By way of his concept of habitus, Bourdieu has managed to show how previous history and cultural patterns, in the form of embodied socialization, 9
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A reaction against the reductionist tendency of earlier cultural approach to popular music also surfaces in many of the sociologically oriented compilations of popular music studies from the recent years. See, for example, Hesmondhalgh/Negus 2002; Shepherd/Wicke 1997; Herbert/Clayton/Middleton 2003.
Aesthetic Value, Cultural Significance, and Canon Formation
constrain our way of understanding the world, even on such a fundamental level as actions and perceptions. This „objectivity in subjectivity,“ however, does not amount to a view of the subject as being totally determined by social and cultural factors. The subject is still a world within the world, Bourdieu states: „As an acquired system of generative schemes, the habitus makes possible the free production of all thoughts, perceptions and actions inherent in the particular conditions of its production – and only those“ (Bourdieu 1990, p. 55). Thus, even though the structures characterizing „a determinate class of conditions of existence produce the structures of habitus, which in their turn are the basis of the perception and appreciation of all subsequent events“, these subsequent perceptions and appreciations are not entirely predictable (ibid., p. 54). Viewed this way, even taking Bourdieu’s critique into consideration, there might still be a space – severely diminished by the constraints of habitus, but nonetheless still a space – for a notion of aesthetic judgment in the Kantian sense. According to Kant, aesthetic judgment, or the feeling of aesthetic pleasure, is an experience of „the form of the purposiveness of an object, so far as this is perceived in it without any representation of a purpose“ (Kant 1951, p. 73). An important aspect of this, highly relevant in the present context, is how Kant focuses our attention on the fact that the aesthetic dimension is not given with a supposed work of art, nor with any other object or event, for that matter. The aesthetic ‚now‘ is rather constituted through a certain way of relating to the world. This means that Kant does not put forward any claims as regards the greatness of a particular form of art. According to Kant, it is impossible to say in advance how art should be in order to have value in an aesthetic sense, since aesthetic pleasure is not predictable beforehand. It is a feeling that may occur in the confrontation with something, for example a work of art. Thus the rules of art, as Bourdieu has called them (cf. Bourdieu 1996), circulating, for example, in the discourse on canon10, should not be regarded as the cause of canon, but rather as an effect of many people’s attempts to try to explain why they found the confrontations with certain musical works so extremely powerful. Of course, and in accordance with the critique of Bourdieu, such powerful experiences are more likely to occur if the poetics of the artwork fits well with the possible trajectories for appreciating art possibly generated by the habitus of the beholder. Conversely, to know or follow the rules is in itself no guarantee for aesthetic pleasure to take place. Whether it worked or not, can only
10 The emphasis on complexity, unity, and development within the discourse on Western art music in the late 19th and 20th century is one example. 29
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be judged after the fact. Aesthetic value is thus a pre-argument experience. It is not a consequence of a convincing argument, but can only occur as a consequence of an actual meeting of music and listener. A main point regarding the relation of canon and aesthetic value is, in other words, that the arguments and the criteria given in debates on aesthetic value are all based on the premise that a confrontation with aesthetic quality has taken place. This means that the values circulating in the discourse were not there beforehand, independent of, or prior to, the canonical works. The starting point for a debate on aesthetic value is not a certain set of criteria for magnitude in art, but rather that the speaker, as well as her audience, has had an aesthetic experience irreducible to other realms of reality. This means that arguments and criteria do not work as ways of choosing what works or what music should be labeled good music. They are rather ways of conceptualizing an aesthetic experience that has already taken place. In keeping with this, it should be pointed out that the perceived link between a general aesthetics and a particular history of canonized masterworks does not necessarily find a grounding in Kant’s work. Aesthetics is not necessarily equal to the philosophy of art, and when it is, it should perhaps rather be linked to the reception of Kant in the century following his third critique. 11 To Kant, the emphasis is rather on the beholder, on the way something is perceived. It is not the object, but the beholder and the way of perceiving that constitutes the presence of an aesthetic dimension. Put simply, one might say that aesthetic judgment is a way of sensing things. Kant refers to this as disinterestedness. This claim for a disinterested attitude is often misunderstood, in the direction of the view that the object at hand can never be used for purpose, or that it has to be without purpose in the first place. Rather it must be understood within the context of the formulation above, about the pleasure of experiencing „the form of the purposiveness of an object, so far as this is perceived in it without any representation of a purpose“. The disinterestedness is deeply linked to the aesthetic now, and also limited to this moment. It is in the nature of aesthetic judgment, Kant states, that we do not allow others to be of another opinion about the quality of the music experienced. This claim, however, is not grounded on concepts or reasoning, but only in our feeling. This part of Kant’s analysis may also deserve 11 In an article on „The ethos of art” („Kunstens etos”), Jørgen Langdalen points out how Kant’s critiques point back in time to a pre-romantic ideal of unity between the spheres that are covered by the three critiques, and at the same time lay the foundation for the romantic aesthetics of art as a separate sphere (Langdalen 2003, pp. 60-61). 30
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some attention within the context of the present discussion, since it implies that aesthetic value cannot be revealed by reason nor explained by practical ends. Agreement can simply not be achieved if there is no aesthetic experience in the first place. Put differently, one might say that the only hope, and the whole point of arguing, is to try to get the other to hear what I hear. Or in Kant’s words: „The necessity of the universal agreement that is thought in a judgment of taste is a subjective necessity, which is represented as objective under the presupposition of a common sense“ (Kant 1951, p. 76). This does not mean that everyone will agree with my judgment, but that I, when making an aesthetic judgment, unavoidably think that they ought to do so. Summing up, one might say that the critical discourse will always take the form of an after-the-fact-activity, in the sense that it is not in the critique itself, seen as a discursive practice, that the judgment is reached. It is already made. This, however, does not exclude any influence from the social sphere on the judgment. Put differently, even though judgment in one sense precedes the critical discourse, there is also discourse before the act of judging, since a judgment always already, so to speak, is influenced by previous discursive activities, as well as by embodied history and cultural predispositions in the form of habitus. Nevertheless, the canonizing experience, understood as the moment of aesthetic pleasure, the moment, the aesthetic now, where everything falls into place – whether that be in a sonic montage, the contour of a melody, the shape of an object of everyday life or the grace of a movement – cannot be predicted nor eliminated by argument or reasoning, or by appealing to ethical considerations. After the fact, however, the canonizing discourse works out the rationales for why this experience took place; the canonizing experience is brought into the social domain.
Cultural Significance and Individual Judgments As pointed out above, the processes of revealing how the core values of the discourse on the canon of Western Art Music emerged from a certain repertoire, namely the German-Austrian tradition from Bach to Brahms, have been going on for decades. As a consequence, criteria such as complexity, unity, and development have lost their claim of universal relevance. However, to engage in a process aimed at revealing the criteria circulating in the musicological discourse on aesthetic value, and how they belong to a certain tradition, is not equal to the claim that the prevailing canon is wrong. Nor does it equal the claim that the aesthetic domain is irrelevant. Canon should rather be viewed as a consequence of 31
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complex processes involving both the level of individual experience and that of social structure. Or put differently, canon comes into being not only through communicative battles on an intersubjective or cultural level, but also on the basis of aesthetic experiences taking place in individual members of a culture. And even though these individuals undoubtedly enter the musical sphere with a certain pre-understanding – they are situated in time and space – they still have an irreducible aesthetic experience. As should be clear by now, in my view, habitus is not necessarily incommensurable with the Kantian notion of aesthetic judgment, but it is clearly another perspective on this act that offers a link to the social sphere – this latter aspect being completely transparent in Kant’s work. In this sense, the notion of habitus comes forward as a tool in the mediation between the subjective and the intersubjective, between judgment and discourse, but without collapsing the two domains. Or put differently, the concept of habitus offers an opportunity to bridge the traditional gap between aesthetic value and cultural significance, between the two traditionally opposed views on why canon came into being. As Frith also argues, cultural significance does not exist separately from actual individuals; it is an accumulation of individual acts – not individual acts performed in splendid isolation, but acts performed as part of a community (Frith 1987, pp. 148-149). Bourdieu is also concerned with the tendency of social science to rule out the individual level and exchange social structure for actual reality. In his „Outline of a Theory of Practice“ (1977) he writes: „in order to escape the realism of structure … it is necessary to pass from opus operatum to the modus operandi, from statistical regularity or algebraic structure to the principle of the production of this observed order“ (Bourdieu 1977, p. 72). A focus on the underlying power relations of canonizing processes surfacing in this observed order is, however, necessary, perhaps not first of all in order to explain why some music holds a certain position as canonized music, but rather in order to shed light on why particular traditions, genres, artists or bands have been left in the shadow. The point may rather be to reveal how they were omitted from serious consideration in the first place, for example due to an inferior cultural position of its beholder. The aesthetic experiences of some individuals obviously weigh more in the canonizing process. They are more easily heard and may in the end influence the very premises of the canonizing discourse. It does not follow from this, however, that canonized music is without aesthetic value or that canon is wrong. Rather, investigating the link between cultural power and canon may reveal why other music, or perhaps more accurately, other canons, have not become part of the dominant one.
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Aesthetic Value, Cultural Significance, and Canon Formation
This may, however, also be the case when moving in the opposite direction: Even the cultural significance that lies underneath the non-elitist decision to study „people’s music“ or a certain cultural or subcultural preference, and not the music of the academic, highly educated musicologist, may in fact rely on aesthetic judgment, namely the aesthetic judgment of the alleged „people“, of the majority, or in the case of a subculture, of the members of a certain group. Such a perspective does not preclude aesthetic value, nor the existence of aesthetic pleasure, only the idea that these experiences have taken place in the margins from the point of view of hegemonic culture. In a perspective such as this, aesthetic value also influences the culturalist agenda. The culturalist project may in fact be reformulated: rather than dismissing aesthetic experience as such, it aims to bring to light the judgment of other social groups than the ones traditionally delivering the premises for discussions on art and value. Today, it is possibly clearer than ever before that there are different cultural spheres. The hegemony of the traditional high culture is less definite. As an extension of this, other canon formations can also come to the surface more easily. However, these are most likely not new, they have probably always existed. Changes in the „supracanon“ can thus be approached as a dynamics involving different levels of subcanon formations, as a dynamics between the hegemonic culture and different subcultures. 12 The history of popular music is in this respect a good case to study, as more new styles constantly seem to be lifted into the high culture of popular music, more or less on their own premises. In fact, any change in the canon formation of popular music may be read as a sign of an underlying change in the relations of power in the field of popular music. In a perspective such as this, the history of popular music, understood as the history of a broad variety of popular music styles, may be regarded as an ongoing negotiation of high and low within the field of popular music. Every decade new genres make the leap from low to high, and as a consequence of these processes new artists, bands and songs are being included in the pop/rock canon. Nevertheless, what is lifted into the canon, every time a new field is surveyed for inclusion, every time a new field and its canon is brought closer to the dominant canon – maybe as a consequence of the changes in 12 I borrow here from David Brackett’s analyses of the dynamics governing the relation of what he calls the supragenre, that is, the popular mainstream, and the different subgenres contributing to it. (See Brackett 2002.) It should be noted, however, that the supragenre or mainstream is not equal to the canon of popular music. Cf. also previous discussion in the introduction of this article. 33
Anne Danielsen
the makeup or taste of the group of people governing the canon discourse – is not accidental. Canon is nothing entirely arguable; canon cannot be changed by good will only. Music becomes canonical, not due only to the efforts of influential critics, representatives of the music industry, academics and other expert listeners in charge of discursive power, of cultural capital, within the, no doubt, Western, middle class, male dominated field of popular music. Nor has it become canonical as a mere effect of subcultural group processes or the general need for means of identity production in youth culture. Rather, different bands, artists and songs have become canonical because they were experienced as good music – and perhaps still are.
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WARUM
WIR
POPULÄRE MUSIK
MÖGEN
UND WARUM WIR SIE MANCHMAL NICHT MÖGEN.
ÜBER IHRE
MUSIKALISCHE
GELTUNG
ÄSTHETISCHEN
UND
PRÄFERENZEN, BEDEUTUNG IN
PRAXEN
CHRISTIAN ROLLE
Eine kürzlich durchgeführte Untersuchung zu den musikalischen Vorlieben indischer Jugendlicher ergab unter anderem, dass die befragten Versuchspersonen populäre Genres im Vergleich zu klassischer Musik deutlich bevorzugten (Ullrich 2005, S. 47). 1 Warum überrascht uns dieses Ergebnis so wenig? Die Feststellung, dass es sich bei der Beliebtheit populärer Genres um ein kulturübergreifendes Phänomen handelt, entspricht unseren Erwartungen, weil wir sie lediglich als Bestätigung des Sprachgebrauchs empfinden. Dabei ist es ja durchaus denkbar, dass eine Musik, die in einer Kultur populär ist, in einer anderen gar nicht gemocht wird. Sollte es jedoch irgendwann eine Untersuchung geben, in der populäre Musikformen überwiegend auf die hinteren Ränge der Präferenzskalen verwiesen werden, müssten wir neu über die Verwendung des Wortes „populär“ nachdenken. Das sollte man allerdings sowieso hin und wieder tun, ohne sich der trügerischen Erwartung hinzugeben, dass die notwendige begriffliche Reflexion irgendwann abschließend in eine zufriedenstellende Definition münden könnte. Peter Wicke (2002, S. 13; s. auch ders. 2001, S. 13 f.) weist darauf hin, dass die eigentlich naheliegende Erklärung, das Wort beziehe sich auf das, was die Tonträgerindustrie oben in den Verkaufscharts listet, unzureichend ist. Der Sprachgebrauch sei nicht ohne Grund so uneinheitlich und es sei kein Wunder, dass die Menschen unterschiedliche Vorstellungen mit dem Begriff „Populäre 1
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Die Studie berücksichtigt neben westlicher auch indische Popmusik, indische Filmschlager und indische Bearbeitungen westlicher Popmusik. Ein interessantes Ergebnis ist, dass diese Bearbeitungen auf den Beliebtheitsskalen der indischen Jugendlichen besonders weit oben rangieren.
Warum wir Populäre Musik mögen …
Musik“ (und seinen Unterkategorien) verbinden, weil – wie Wicke unter Bezugnahme auf diskurstheoretische Überlegungen Foucaults ausführt – solche Begriffe ein normatives Eigenleben führen und insofern einem beständigen Bedeutungswandel unterliegen. Die damit angesprochenen terminologischen Probleme sind für den folgenden Text glücklicherweise unerheblich, weil es darin eigentlich gar nicht um Populäre Musik geht, sondern um Musik, die wir mögen, und um solche, die wir nicht mögen. In beiden Fällen handelt es sich allerdings häufig um Populäre Musik, und ein großer Teil der empirischen Präferenzforschung ist ihren Genres gewidmet. Während es üblich und verbreitet ist, sich der Frage, welche Erscheinungsformen Populärer Musik von wem aus welchen Gründen gemocht werden, mit musikpsychologischen und musiksoziologischen Modellen und Forschungsmethoden zu nähern, ist eine eher ästhetisch-philosophische Herangehensweise, die nicht nach kausalen Erklärungen für die Entstehung musikalischer Präferenzen sucht, sondern sich für den Geltungscharakter musikbezogener ästhetischer Urteile und insofern für die Begründungen interessiert, selten. Es ist dieser Weg, der im Folgenden eingeschlagen werden soll.
Ästhetik Populärer Musik? Gelegentlich ist von der „Ästhetik des Pop“ oder von anderen auf bestimmte musikalische Bereiche bezogenen „Ästhetiken“ die Rede („Techno-Ästhetik“, „Videoclip-Ästhetik“ usw.). Gemeint ist damit meistens eine mehr oder weniger kohärente Menge überwiegend impliziter Regeln und Kriterien, aus denen hervorgeht, worauf (innerhalb dieses Bereiches) beim Musikmachen und beim Musikhören geachtet wird, was die Produzenten und Fans für wichtig, für schön oder für gelungen halten. Manchmal werden solche ästhetischen Auffassungen sprachlich expliziert, zum Beispiel wenn sich die Betroffenen nicht einig sind. Ästhetische Diskurse zu unterschiedlichen Bereichen Populärer Musik findet man in Fanzeitschriften wie in Internetforen. Wenn in diesem Aufsatz ohne Anführungszeichen von Ästhetik gesprochen wird, dann ist damit nicht ein bestimmter Zusammenhang von Ansichten und Meinungen über eine spezifische Klasse von ästhetischen Objekten gemeint, sondern eine Theorie darüber, wie solche Ansichten und Meinungen miteinander zusammenhängen. Obwohl zumindest umgangssprachlich ganz selbstverständlich verschiedene „Ästhetiken“ innerhalb der Populären Musik unterschieden werden, könnte der Versuch, mit den Mitteln ästhetischer Theorie wissenschaftlich danach zu fragen, was eigentlich eine musikalische Praxis auszeichnet, die in diesem Sinne „eine Ästhetik hat“, auf 39
Christian Rolle
Misstrauen stoßen. Wer an den traditionellen musikästhetischen Problemstellungen arbeitet, die in der Musikwissenschaft gewöhnlich im Zusammenhang mit Kunstmusik diskutiert werden, könnte die Aufweichung seriöser Begrifflichkeiten befürchten. Zwar ist es längst selbstverständlich geworden, den Umgang mit Populärer Musik als kulturelle Praxis zu verstehen und als solche zum Gegenstand ernsthafter wissenschaftlicher Auseinandersetzung zu machen, aber der Rede von ästhetischem Handeln und dem Versuch, popmusikalische Präferenzen als ästhetische Geschmacksurteile aufzufassen, dürfte von zwei Seiten mit Argwohn begegnet werden. Sowohl die Kritiker wie die Freunde Populärer Kultur verlangen nach einer Erklärung. Der Ästhetikdiskurs ist ja – so könnte eine der Befürchtungen lauten – üblicherweise eher dazu geeignet, Populäre Musik abzuwerten, auszugrenzen und einem illegitimen Geschmack zuzuordnen. 2 Sobald es um die Probleme der Bewertung von Musik geht und Fragen der Beurteilung musikalischer Qualität auf der Tagesordnung stehen, droht das Populäre schlecht wegzukommen, denn – so die schlechte Erfahrung – in den normativen Geschäften der Musikästhetik werden zumeist Maßstäbe angelegt, die aus dem Bereich der Kunstmusik stammen und nicht zu HipHop, Hardrock, Gothik und Punk passen. Und wer Widerspruch wagt, muss Angst haben vor einem Bündnis des Ästhetikers mit dem Sozialphilosophen, die ihm die undankbare Rolle des hilflos unmündigen Opfers unausweichlicher kulturindustrieller Manipulation zuteilen. Diese Sorgen mögen nicht unbegründet sein, doch sei daran erinnert, dass es immer wieder Anstrengungen gegeben hat, die ästhetische Theorie aus der Enge einer bloßen Kunstphilosophie zu befreien. Jüngere Erweiterungsversuche berufen sich dabei gerne auf die Etymologie und den Philosophen Alexander Gottlieb Baumgarten als Begründer der Disziplin Ästhetik (s. z.B. Baumgarten 1759) und betonen, dass es dabei im Kern nicht um Kunst, sondern um Aisthesis, um sinnliche Wahrnehmung gehe (s. z.B. Welsch 1990 und Böhme 2001). Neue Formen medialer Wahrnehmung und ihre Besonderheiten können auf diese Weise fruchtbar zum Gegenstand ästhetischer Theorie gemacht werden. Das, was umgangssprachlich längst selbstverständlich ist, nämlich im Zusammenhang mit dekorativ und formschön gestalteten Gebrauchsgegenständen und Dingen des täglichen Lebens in ästhetischen Kategorien zu reden, lässt sich im Rahmen einer Ästhetik des Designs berücksichtigen. Eine Theorie ästhetischer Wahrnehmung wird die Gestaltungen des alltäglichen Lebens genauso einbeziehen wie die Welt und die Objekte der Kunst, muss dabei
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Diese Sorge äußert beispielsweise Renate Müller (im Einleitungskapitel zu Müller et al. 2002, S. 11).
Warum wir Populäre Musik mögen …
jedoch darauf achten, dass sie die ästhetische Differenz zu erfassen in der Lage ist, nämlich die Möglichkeit zur Unterscheidung zwischen Formen der Wahrnehmung, die in zweckhaften Alltagsverrichtungen oder in wissenschaftlichen Praxen eine Rolle spielen, und nicht in gleicher Weise zielgerichteten Wahrnehmungsvollzügen in ästhetischer Einstellung. Wo dies gelingt, muss die Populäre Musik keine Angst davor haben, aus einem gesonderten Kapitel zu den Werken der Kunst in einen Abschnitt über das Design von Espressomaschinen verbannt zu werden. Ein vielversprechender jüngerer Versuch, Populäre Musik als legitimen Gegenstand ästhetischer Erfahrung zu adeln und ihre Abwertung gegenüber der Kunstmusik zu kritisieren, wurde auf deren eigenem Feld, der Kunstphilosophie unternommen. Der amerikanische Philosoph Richard Shusterman (1992) beruft sich in seinen Überlegungen und Untersuchungen auf die ästhetische Theorie Deweys (s. u.a. Dewey 1988) und entkräftet – sprachanalytisch geschult – eine Vielzahl von Argumenten, die den geringeren Wert Populärer Musik gegenüber Kunstmusik zu belegen suchen. Für die Verwendung ästhetischer Kategorien in der Auseinandersetzung mit Populärer Kultur plädiert auch Hans-Otto Hügel (s. z.B. Hügel 2003). Er hält den Begriff „ästhetische Wahrnehmung“ für hilfreich, um das Zusammenspiel von Rezipient und Artefakt, Qualität und Erwartung, Medium und Produzent angemessen in den Blick zu bekommen. Unter Hinweis auf die genannten und weitere Gewährsleute könnte nun versichert werden, dass die Befürchtung, die beabsichtigten ästhetische Überlegungen zur Populären Musik würden wie üblich mit deren Abwertung enden, durchaus unbegründet ist. „Ästhetische Praxis“, würde die Erklärung anheben, „das kann und muss man in einem weiten Sinne verstehen; gemeint sind Handlungszusammenhänge, die durch ihre Orientierung an erfüllten Wahrnehmungsvollzügen gekennzeichnet sind; bei dem, was da wahrgenommen wird, muss es sich nicht um Kunstmusik handeln.“ Die Frage ist nur, warum diejenigen unter den Lesern, die mit kultursoziologischen Modellen und musikpsychologischen Forschungsergebnissen bislang ganz gut zurecht gekommen sind, die Geduld aufbringen sollten, der Entfaltung dieses Gedankens auf den nächsten Seiten zu folgen. „Mal angenommen, Sie haben nicht zu viel versprochen und finden eine solche ästhetische Theorie, für die Populäre Musik ein legitimer Gegenstand ist“, fragt (mit Recht) der Skeptiker, „was ist damit gewonnen? Wo ist das Problem, das Sie auf diese Weise zu lösen hoffen?“ Der Grund, warum der Autor dieser Zeilen mit vorliegenden Erklärungen zur Entstehung musikalischer Präferenzen nicht ganz zufrieden ist, sondern sich darüber hinaus für den Geltungscharakter ästhetischer
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Christian Rolle
Urteile interessiert und damit für die Art, in der Bewertungen von Musik begründet werden (können), liegt in dem Gefühl, dass im Radio gelungene und weniger gelungene Musikstücke laufen; dass es Bands gibt, die großartige Musik machen, und andere, die eher peinlich sind. Vermutlich teilt der eine oder andere Leser diesen Eindruck. Dabei halte ich es jederzeit für möglich, dass ich mich irre und dass das, was mir in diesem Moment und unter diesen Bedingungen gefällt, bei anderer Gelegenheit einer kritischen Beurteilung nicht standhalten könnte, und dass sich mir das, was ich im Augenblick für misslungen halte, erst später erschließt. Mir ist durchaus bewusst, dass es Menschen gibt, die ganz anders urteilen würden und deren Vorlieben und Einschätzungen sich von meinen unterscheiden; und ich kann und will nicht grundsätzlich ausschließen, dass diese Leute im Recht sind und dass ich falsch liege. Aber noch hat mir niemand widersprochen und ich wüsste nicht, warum jemand anderer Ansicht sein sollte als ich, denn ich habe doch immerhin gute Gründe für meine Beurteilung: Der eine Titel, den ich da im Radio höre, groovt einfach nicht. Der ganze Rhythmuspart ist irgendwie lieblos produziert, die Gitarre schrammelt und schleppt; vom einfältigen Gesang wird das nicht ausgeglichen („na nanana nanana na“), und der Text, tausendmal gehört, kann das nicht wettmachen. Was soll an dem Stück dran sein? Ich höre es nicht. Dagegen das andere: Da wippen meine Füße unwillkürlich mit, das Bassriff geht in den Bauch, Tanzmusik vom Feinsten, und an der Stelle, wo im Refrain die Background-Stimmen einsetzen, geht die Sonne auf. „Die Geschmäcker sind nun mal verschieden, die eine Musik ist eben eher was für diese, die andere für jene Leute. Es hat auch gar keinen Sinn, darüber zu streiten; das führt zu nichts. Jedem seine Ästhetik“, versucht der Musiksoziologe in mir, meine Gewissheit zu trüben. Aber es gelingt ihm nicht, und ich weiß, dass ich nicht der einzige bin, der auf den Geltungsansprüchen seiner musikalischen Bewertungen beharrt. Der Musikpädagoge Peter Röbke gesteht, dass er „bei den ersten Gitarrenakkorden fast jeder Rolling-Stones-Nummer denk[t]: So muss E-Gitarre klingen“, dass er „Eric Claptons Solo in der Cream-Nummer »Spoonful« für das definitive Solo“ hält, dass ihn das „Riff von Michael Jacksons ‚Beat It‘ immer wieder ins Mark trifft“, und dass „der trockene Sound von Madonnas ‚Don’t Tell Me‘ [ihn] immer wieder umwirft“ (Röbke 2002, S. 5). Und mit Unterstützung Immanuel Kants glaubt er, „mit Recht und zwangsläufig Anspruch auf allgemeine Gültigkeit“ (ebd., S. 6) für seine ästhetischen Urteile erheben zu können. Allerdings sieht Röbke keine Möglichkeit, seine Einschätzungen argumentativ zu begründen und will sich allein auf die Evidenz des Schönen verlassen. Das reicht mir aber nicht, denn der gemeinsame Sinn für Schönheit, der auf das Offen-
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Warum wir Populäre Musik mögen …
sichtliche sich berufen könnte, endet erfahrungsgemäß meistens an den Grenzen der einen oder anderen „Ästhetik“. Es kann Situationen geben, in denen es wirklich drauf ankommt. Nehmen wir an, eine Band probt und arbeitet an einem neuen Stück, das der Gitarrist mitgebracht hat. Die Mitmusiker finden den Song im Prinzip super, aber in der Strophe, da sind sich der Sänger und der Bassist einig, da müssen andere Akkorde her: viel sparsamer, nicht so unruhig, damit es besser zum Text passt, und das Schlagzeug sollte auch erst später einsetzen. Der Sänger drückt ein paar Tasten auf dem Klavier, wie es sein könnte, und sie probieren gemeinsam etwas aus und versuchen verschiedene Versionen, sind sich aber nicht einig, was besser ist; der Bassist bemüht sich, seinen Eindruck in Worte zu fassen, der Gitarrist widerspricht und erklärt noch einmal, was er meint, sie vergleichen die Aufnahmen, die sie haben mitlaufen lassen ... Nehmen wir an, in diesem Moment meldet sich im Hintergrund ein befreundeter Musiksoziologe zu Wort, der zufällig bei der Bandprobe dabei ist, und erklärt den Musikern, dass die Geschmäcker nun mal verschieden seien und dass es keinen Zweck habe, über Geschmack zu streiten. Die Freunde werden wahrscheinlich gar nicht verstehen, wovon er redet, denn das ist doch genau das, was sie tun müssen, wenn sie sich zu einer gemeinsamen Bandprobe treffen: sich über ihren Geschmack streiten, um sich schließlich zu einigen. Häufig werden sie sich dabei gegenseitig etwas vorspielen, um zu überzeugen, aber nicht immer können sie sich auf die Evidenz musikalischer Präsentationen verlassen, denn die Musik, an der sie gemeinsam arbeiten, existiert ja noch gar nicht; also müssen sie mit Worten und Tönen an das Vorstellungsvermögen der anderen appellieren.3 Für die hier gesuchte ästhetische Theorie ist es wichtig zu verstehen, was Hörer tun und was Musiker tun, wenn sie sich über ihre musikalischen Präferenzen streiten. Aber es gilt Vorsicht walten zu lassen: Geht es denn bei dem Beispiel der kollektiven Produktionssituation im Probenraum und bei den zuvor genannten Musikstücken überhaupt im gleichen Sinne um musikalische Präferenzen wie in Fällen, wo der eine Fan von Xavier Naidoo ist und der andere auf Metallica steht? Geht es in den oben angeführten Beispielen nicht einfach nur um die Frage, ob die Musik technisch und handwerklich korrekt produziert, ob das Arrangement stilgemäß ist und gut gespielt? Dafür lassen sich ja durchaus Kriterien angeben, denn jede Stilrichtung hat ihre Traditionen und jedes Genre seine Konventionen. Auch wenn diese nicht (oder nur selten) als ausformuliertes Regelwerk vorliegen, auf das man sich in ästhetischen Streitfällen 3
Dazu, was beim gemeinsamen Komponieren, Arrangieren, Produzieren in Gruppen tatsächlich passiert, gibt es bislang leider wenig Untersuchungen (siehe aber Rosenbrock 2004). 43
Christian Rolle
berufen könnte, lassen sich unter Verweis auf die Geschichte und anhand typischer und herausragender Musikbeispiele in vielen Fällen doch Normen explizieren, die zur Entscheidung herangezogen werden können. Zu einem echten Bluestitel passen halt keine Harfen-Arpeggien und kein Kopfstimmen-Gesäusel. Aber das ist eben gar nicht klar. Vielleicht passt es ja doch. Ich kenne kein solches Musikstück, aber man müsste es erst mal anhören. Zwar geht es beim Streit über unterschiedliche musikalische Urteile häufig auch um Fragen der Technik und des Handwerks, aber das ist längst nicht alles und in ästhetischer Hinsicht oft nicht einmal das Entscheidende. Ist der Gesang so intoniert, wie es sich für solch ein Stück gehört? Ist der Gitarrensound „amtlich“ für diese Art von Musik? Sind die Bläserstimmen so gesetzt, wie es bei einem derartigen Bläsersatz üblich ist? Dass auf solche Fragen mit ja geantwortet werden kann, ist häufig erst die Mindestvoraussetzung, damit ein Titel als Kandidat besonderer Wertschätzung überhaupt in die engere Wahl kommt. In anderen Fällen sind die Fragen irrelevant. Letztlich kommt es auf die ästhetische Wahrnehmung an und die kann an der Erfüllung poetischer Regeln genauso Gefallen finden wie an der Abweichung von, vielleicht am Bruch mit der Tradition.
Exkurs: Musikpädagogisches Erkenntnisinteresse Warum mögen wir die eine Musik und die andere nicht? Das Problem ist nicht nur ästhetisch und philosophisch, sondern es ist darüber hinaus pädagogisch und bildungstheoretisch von Interesse. Die Musikpädagogik interessiert sich schon deshalb für den Umgang Jugendlicher mit Populärer Musik, weil der für das Fach Musik in der Schule relevant ist – zum einen als Bedingung und zum anderen als möglicher Gegenstand des Musikunterrichts. Welche musikbezogenen Kenntnisse, Kompetenzen, Vorlieben und Abneigungen die Schüler aus ihren jugendkulturellen Praxen in die Schule mitbringen, hat Folgen für den Unterricht. Manches wird dadurch erschwert, manches erleichtert oder erst ermöglicht. Populäre Musik kann ein lohnenswerter und fruchtbarer Unterrichtsinhalt sein, indem beispielsweise stilistische Entwicklungen der Popmusikgeschichte in ihrem soziokulturellen Kontext behandelt oder indem einfach aktuelle Titel in geeigneten Arrangements im Klassenverband gespielt werden. Aber was auch immer im Einzelnen im Musikunterricht oder in der schulischen Chor- und Bandarbeit gemacht wird: Letztlich geht es um ästhetische Bildung. Wie auch immer das Lernziel der Einzelstunde lautet, auf lange Sicht kommt es darauf an, den Schülern in der Auseinandersetzung 44
Warum wir Populäre Musik mögen …
mit Musik, in musikalischer Praxis einen ästhetischen Zugang zur Welt zu eröffnen. Der Musikunterricht hat - wie alles, was an der Schule pädagogisch stattfindet – zweifellos mehrere Aufgaben, aber hier (in der Eröffnung eines ästhetischen Zugangs zur Welt durch Musik) liegt gewissermaßen das Spezifikum musikalischer Bildung. 4 Das heißt natürlich nicht, dass dieses Ziel immer erreicht wird. Es wird – wie manches andere Ziel schulischer Bildung und Erziehung – vermutlich viel zu selten erreicht, und gelegentlich ist es die Schulmusik selbst, die die Zugänge verstellt. Das kann zum Beispiel passieren, wenn die eigentlich gute Absicht, dass nämlich die Schüler ästhetische Urteilsfähigkeit erwerben, missverstanden wird – als sei damit die Übernahme herrschender ästhetischer Normen gemeint, als sei das Klassenziel erreicht, wenn die Schüler am Ende so denken und urteilen wie ihr Lehrer. Dabei ist es in der Kunst und im Bereich des Ästhetischen nicht anders als in der Ethik und der Werteerziehung. Moralisches Urteilsvermögen hat nicht derjenige erworben, dessen Auffassungen und Einstellungen nach endlich erfolgreichen pädagogischen Maßnahmen denen des Erziehers entsprechen. Wer hundert Meisterwerke aufzählen und ihre wichtigsten Merkmale referieren kann, verfügt deshalb noch nicht über eigene ästhetische Urteilsfähigkeit. Zu der gehört zwar Wissen, vor allem aber, dass man es erträgt, wenn die eigene Überzeugung von anderen in Frage gestellt wird. Dazu gehört, dass man sich einlassen lernt auf die Perspektiven und die Argumente der anderen, dass man kommunizieren kann. Ästhetisches Urteilsvermögen bedeutet nicht, dass man auf die eigenen musikalischen Vorlieben zugunsten analytisch fundierter Sachurteile verzichtet. Geschmack darf man nicht nur, den soll man sogar haben, wenn man ggf. bereit ist, ihn zu ändern. Wer musikalische Präferenzen hat, der kann andere zu überzeugen versuchen – oder sich überzeugen lassen.
Musikalische Präferenzen Bevor ein Begriff ästhetischer Praxis vorgestellt werden kann, der unterschiedliche Formen des Umgangs mit Populärer Musik und die Geltung und Bedeutung musikalischer Präferenzen zu erfassen in der Lage ist, soll zunächst ein Blick auf Ergebnisse und verschiedene Ansätze empirischer Präferenzforschung geworfen werden. Dazu gehört auch die Berücksichtigung von Modellen, mit denen sich die Konstitution musikali4
Eine Begründung für diese These kann hier nicht gegeben werden. Siehe dazu u.a. Rolle 1999 und Wallbaum 2000. 45
Christian Rolle
scher Jugendkulturen und der Prozess musikalischer Sozialisation beschreiben lässt. 5 Im Zentrum von Forschungen zu musikalischen Vorlieben und Abneigungen stehen in der Regel Erhebungen, welche Musik oder welche Arten von Musik von wem wie sehr gemocht bzw. nicht gemocht werden. Korrelationen zwischen den gewonnenen Daten lassen sich dann (mit der gebührenden Vorsicht) als spezifische, möglicherweise kausale Zusammenhänge deuten. Um verschiedene Untersuchungen miteinander vergleichen, aufeinander beziehen und ihre Aussagekraft einschätzen zu können, kommt es darauf an, was für Daten genau erhoben wurden (Behne 1993, S. 339f.; Dollase 1997, S. 342). Mit musikalischen Präferenzen kann nämlich Unterschiedliches gemeint sein. Sie können die Form verbaler Urteile haben bzw. sich in Graden der Zustimmung oder Ablehnung zu Behauptungssätzen auf einem Fragebogen äußern. Derartige Präferenzbekundungen können in unterschiedlicher Weise situationsabhängig sein: vielleicht geht es (nur) um die Vorliebe für die eine oder andere Musik in einer bestimmten Situation (Welche Musik hörst du gerne mit Freunden, wenn du alleine bist, zum Tanzen …?); sicherlich wird die Präferenz in einer bestimmten Situation geäußert (unter anderen Umständen hätte der Betreffende vielleicht anders geurteilt). Es kann sich bei Präferenzen um einzelne Vorkommnisse und aktuelle Entscheidungen oder um relativ beständige Wertorientierungen handeln. Wenn von Stilrichtungen und nicht von einzelnen Musikstücken die Rede ist, bleibt bis zu einem gewissen Grade unklar, was eigentlich der Gegenstand des verbalen Urteils ist, denn musikalische Genrebezeichnungen sind kaum trennscharf und werden von verschiedenen Personen häufig mit unterschiedlichen Bezügen gebraucht. Abweichungen in der Beurteilung von „Klassischer Musik“ (oder kunstmusikalischen Stilbereichen als Begriffen in einem verbalen Fragebogen) und Klassischer Musik (in Form von exemplarischen Musikstücken in einem klingenden Fragebogen) geben außerdem Anlass zur Vermutung, dass in verbal geäußerten Präferenzen nicht nur musikalische Klangereignisse, sondern auch Konnotationen der verwendeten Begriffe beurteilt werden (s. auch Behne 1986). Und wenn verschiedene Personen ihre Präferenzen anhand der gleichen klingenden Musik äußern, können sich die Urteile auf Unterschiedliches beziehen, weil die einen vorwiegend auf den Text achten, es den anderen nur auf den Sound ankommt und dritte vor allem auf die Melodie im Refrain warten. Der Präferenzbegriff bezieht sich außerdem nicht nur auf sprachliche Äußerungen, sondern es kann damit auch auf
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Eine etwas ausführlichere Version dieses Abschnitts findet sich bei Rolle 2003.
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einzelne musikbezogene Handlungen oder langfristige Verhaltensdispositionen abgehoben werden. Welchen Geschmack man jemandem zuschreibt, hängt u.a. davon ab, auf welche Artikulationsform man achtet. Wer verbal eine Vorliebe äußert („Die Musik von x finde ich gut“), ist deshalb nicht immer geneigt, seine Präferenz handelnd erkennen zu geben (indem er eine CD von x kauft oder sie häufig hört oder ein Konzert von x besucht); die unterschiedlichen Dimensionen des Geschmacks müssen nicht miteinander einhergehen (Dollase 1997, S. 343). In quantitativen Untersuchungen zur Präferenzforschung werden die musikalischen Vorlieben und Abneigungen einer größeren Zahl von Versuchspersonen ermittelt und zu möglichen Korrelaten wie Alter, Geschlecht, Sozialstatus u.a. in Beziehung gesetzt, um Zusammenhänge zu ermitteln und Typisierungen zu finden. Zu Beginn wurde bereits eine solche Untersuchung erwähnt, die den musikalischen Vorlieben indischer Jugendlicher gewidmet ist (Ullrich 2005); ein weiteres Beispiel für Präferenzforschung mit quantitativen Methoden ist eine Studie von Daniel Müllensiefen über spanische Jugendliche, die zu dem Ergebnis kommt, „dass spanische Musik für spanische Jugendliche wichtiger zu sein scheint als angelsächsische Popmusik. […] Durch Clusteranalysen lassen sich verschiedene Hörertypen ermitteln, die sich hinsichtlich ihrer musikalischen Umgangsweisen, ihrer Präferenzen oder ihrer musikalischen Aktivitäten unterscheiden“ (Müllensiefen 1999, S. 122 f.).
Der Autor nennt sieben solcher Hörertypen: Es gibt die Gruppe der „Jungen Hispanophilen“, die ausschließlich spanische Gruppen und Interpreten bevorzugt, mehrheitlich jünger ist und aus doppelt soviel Jungen wie Mädchen besteht. Zu den „Toleranten Radiohörerinnen“ zählen dagegen dreimal mehr Mädchen als Jungen, für die das Radio als Medium wichtig ist und die – bei Dominanz spanischer Stile - weitgefächerte Präferenzen haben. Der Hörertypus der „Bourgeoisen Rocker“ liebt harte Musik und gehört der oberen Mittelschicht an. Die „Mainstream Radiohörer“ sind intensive Radiohörer und bevorzugen internationalen Rock/Pop. Weitere Gruppen mit typischen Eigenschaften, die sich in den Namen andeuten, sind die „Spanischen Pophörerinnen“, die „Interessierten Knaben“ und die „Internationalen Popper“ (Müllensiefen 1999, S. 119 ff.). Die Untersuchung beschränkt sich weitgehend auf das Beschreiben und Ordnen der erhobenen Daten und geht möglichen Ursachen für die dargestellten Zusammenhänge nicht nach, was laut Behne (1993, S. 343) nicht ungewöhnlich ist für Studien im Bereich der Präferenzforschung. Eine Antwort auf die Warum-Frage kommt von dieser Seite nicht in Sicht. Um zu erklären, wieso den einen Menschen gerade diese und den anderen jene Musik gefällt, könnte man wissenschaftliche Modelle ent-
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wickeln, prüfen und zugrunde legen, die dem Entstehen musikalischer Präferenzen im Jugendalter gewidmet sind (Dollase 1997, S. 346 ff.). 6 Aussichtsreich klingt beispielsweise der Versuch, unter Bezugnahme auf Modelle wie Klassische und Operante Konditionierung oder das Modellbzw. Imitationslernen zu zeigen, wie musikalische Präferenzen durch Assoziationen mit positiven bzw. negativen Reizen entstehen können. Die Vermutung ist ja nicht abwegig, dass ein langweiliger kunstwerkorientierter und tafelzentrierter Musikunterricht zu Abneigungen gegenüber der dort vorwiegend thematisierten Klassischen Musik führen kann und dass, wer als Jugendlicher unter Freunden und auf Partys viel Spaß hat, wenn Populäre Musik erklingt, möglicherweise eine dauerhafte Vorliebe dafür entwickelt – insbesondere wenn Gleichaltrige auf die Äußerung solcher Präferenzen wiederholt mit Anerkennung und Zuwendung reagieren. Ein Erklärungsansatz, der musikalische Präferenzen als Verhaltensdispositionen begreift, deren Ursache in individuellen oder gemeinsamen Konditionierungsgeschichten liegt, vermag allerdings kaum eine befriedigende Antwort auf die Frage zu geben, was wir tun, wenn wir nicht nur musikalische Vorlieben äußern oder zeigen, sondern darüber hinaus bereit sind, unsere Beurteilungen mit Gründen zu verteidigen. Theoretisch konsequent wäre der Versuch, die Begründungsdimension ästhetischer Urteile in das Modell zu integrieren, indem die Nachfrage „Warum gefällt Dir dieses Musikstück?“ als ein Reiz aufgefasst wird, auf den spezifisch konditionierte Menschen mit dem Nennen von Gründen reagieren. Das Problem, ob und wann Begründungen plausibel sind, ist einer solchen behavioristischen Argumentationstheorie allerdings nicht mehr zugänglich. Das ist aber entscheidend für ein angemessenes Verständnis ästhetischer Praxen: Man muss die Frage stellen können, ob die Geltungsansprüche, die mit der Äußerung von Vorlieben und Abneigungen erhoben und bestritten werden, zu Recht bestehen. Die Sicht der Betroffenen einschließlich der Gründe, die für sie in der jeweiligen Musikpraxis eine Rolle spielen, lässt sich leichter im Rahmen qualitativer Präferenzforschung berücksichtigen. Als Beispiel kann hier eine Untersuchung von Andreas Kunz dienen, in der es explizit um die Frage geht, „wie und warum Musik für ein Individuum bedeutend wird, bedeutend bleibt und persönlichkeitsprägend wirkt“ (Kunz 1998, S. 91) und in der dafür die Individuen selbst befragt werden. Die inhaltsanalytische Auswertung eines der leitfadengestützen Interviews zeigt u.a. folgende Ergebnisse: Für den Befragten Zimmermann war und ist 6
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Dollase unterscheidet vier Erklärungsansätze auf der Grundlage psychologischer Leitvorstellungen: tiefenpsychologische, lerntheoretische, solche auf der Basis kognitiver Theorien sowie sozialpsychologische.
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„sein Musikgeschmack seit der Pubertät immer auch ein Mittel gewesen, zwischenmenschliche Beziehungen zu festigen bzw. Abgrenzungen zu bestimmten gesellschaftlichen Gruppen zu definieren. So war mit seiner Präferenz für die Punkmusik in der frühen Jugendzeit eine ganz klare Abgrenzung gegenüber den Eltern, der Gesellschaft und gegenüber anderen Jugendkulturen verbunden. […] andererseits schätze er jedoch an dieser Jugendkultur gerade die persönlichen Kontakte zu gleichgesinnten Altersgenossen, mit denen zusammen er dieselbe Musik hörte“ (Kunz 1998, S. 97).
Die Lieblingsmusik des Befragten änderte sich im Laufe der Zeit und entsprach dabei immer seinem jeweiligen Lebensgefühl. Auffällig ist, dass die musikalischen Vorlieben zunehmend exklusiver wurden. Kunz schließt aus seiner Untersuchung, dass musikalische Lebenswelten – wie er es ausdrückt – und damit die Entstehung musikbezogener Präferenzen hochgradig individualisiert sind, weshalb sich alle monokausalen Erklärungsansätze verbieten (Kunz 1998, S. 99).
Musikalische Sozialisation Es ist in der Forschung kaum umstritten, dass Jugendkulturen eine große Bedeutung für die Entstehung musikalischer Präferenzen haben. Streit gibt es gelegentlich über die angemessene Begrifflichkeit, d.h. ob man von Jugendkulturen, Jugendszenen oder jugendkulturellen Szenen sprechen sollte. Winfried Pape, der den Ausdruck „Jugendszenen“ bevorzugt, definiert diese „als spezifische, von Suche nach Kontakt, Intimität, Solidarität und Spaß gekennzeichnete Interaktionsbereiche […], die mit Aneignung symbolischer Räume innerhalb eines gegebenen ökonomischen und kulturellen Rahmens entstehen. Sie ermöglichen soziale Zugehörigkeit, identitätsstützende und identitätsfördernde Erfahrungen und prägen Lebensstile. Die jeweilige Ausrichtung von Jugendszenen erfolgt vornehmlich auf der Ebene medialer Vermittlung (z.B. von Mode, Musik, Sprache). Dabei sind die Trennlinien zwischen einzelnen Gruppierungen vielfach fließend, können allerdings auch ausgrenzende Funktion haben“ (Pape 1998, S. 109).
Allerdings wird die Vorstellung, eine Jugendkultur entspreche einer Musikrichtung und wer ihr angehöre, entwickle entsprechende musikalische Vorlieben und Abneigungen, der Wirklichkeit nicht gerecht. Aufgrund immer komplexer werdender Sozialisationsbedingungen und der gegenüber dem Einfluss der Medien abnehmenden Bedeutung von klar zuzuordnenden Sozialisationsinstanzen (soziale Schicht, Eltern usw.) muss man von einer zunehmenden Individualisierung musikalischer Sozialisation und damit musikalischer Präferenzen ausgehen. Heiner 49
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Gembris weist darüber hinaus auf das hin, was er den durch die ständige mediale Verfügbarkeit von Musik und schwindende Berührungsängste zwischen E und U verursachten „Cross-Over-Effekt“ nennt: „Es gibt nicht den Hörertypus, der eine Richtung von Musik bevorzugt, sondern wir haben es mit Präferenzspektren zu tun, die mehrere stilistisch divergierende Musikrichtungen umfassen“ (Gembris 1995, S. 141). Das theoretische Konzept der Selbstsozialisation, das in der musikalischen Sozialisationsforschung in jüngerer Zeit verschiedentlich aufgegriffen wurde (s. z.B. Müller 2002; Knolle/Münch 1999; Knolle 2006) versucht auf diese Entwicklungen zu reagieren. Laut Renate Müller (1998, S. 58) meint musikalische Selbstsozialisation das Mitgliedwerden in musikalischen Jugendkulturen. Jugendliche wählen sich ihre Sozialisationskontakte selbst aus, machen sich mit der gewählten Symbolwelt und dem dazugehörigen Lebensstil vertraut und konstruieren Identität durch die (jedenfalls zeitweise) Übernahme dieses Lebensstils und durch die Benutzung der entsprechenden kulturellen Symbole. Die Besonderheit des Theoriekonzepts der Selbstsozialisation besteht nach Auffassung von Niels Knolle und Thomas Münch (1999, S. 198f.) darin, dass Sozialisation als interaktiver Prozess der Persönlichkeitsentwicklung begriffen und im Spannungsverhältnis zwischen Individuation und Vergesellschaftung besonders auf die eigenschöpferischen Kräfte der Jugendlichen abgehoben wird. Müller (1998) beschreibt musikalische Selbstsozialisation als einen Vorgang der Distinktion, in dem Jugendliche sich sozial positionieren. Im sozialen Gebrauch von Musik und durch die Äußerung musikalischer Vorlieben wird angezeigt, wozu man sich kulturell zugehörig fühlt bzw. wovon man sich abgrenzt. Das Modell der Distinktion, das dieser Beschreibung zugrunde liegt, geht ursprünglich zurück auf Bourdieu (z.B. 1987) und beschreibt, wie die feinen Unterschiede, die das ästhetische Urteilsvermögen zu treffen vermag, der sozialen Positionierung dienen. Lebensstile und Geschmack werden bestimmt im Rahmen der Aneignung von statusspezifischen Kulturgütern und Verhaltensformen und sind wiederum für die Abgrenzung von anderen gesellschaftlichen Statusgruppen verantwortlich (s. im Hinblick auf Musik auch Rösing 1995). Die musikalischen Vorlieben verraten den sozialen Standort. Bei Renate Müller hat das Distinktionsmodell eine etwas andere Form angenommen: Es geht bei den Jugendlichen und zwischen den Jugendkulturen nicht um die Unterscheidung Hochkultur/ Populäre Kultur, sondern um interne Ab- und Ausgrenzungen mittels musikalischer Präferenzen. Eine solche formale Distinktionstheorie hat allerdings nur begrenzte Erklärungskraft. Auf die Frage, welche Jugendkultur Jugendliche auf der Suche nach Identität und Orientierung auswählen, gibt sie keine Antwort.
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Sie sagt nichts dazu, wie Musikgeschmack und Selbstkonzept zusammenhängen. Die Funktion der Abgrenzung ist in vielen Kontexten zweifellos wichtig für das Verständnis musikalischer Präferenzen – zur Erklärung reicht sie aber nicht aus. Für welche Jugendszene sich benachteiligte, diskriminierte Jugendliche entscheiden, steht nicht fest (Müller 1998): die einen orientieren sich an fremdenfeindlicher Gewalt und landen bei Hooligans, andere identifizieren sich mit schwarzer HipHop/RapKultur und wieder andere bevorzugen das tagelange Tanzen im Rahmen der Rave- und Technoszene. Die Gründe, warum jemand eine bestimmte Musik mag, haben in einem bloß formalen Modell der Distinktion keinen angemessenen Platz. Begründungen werden lediglich als Mittel im Diskurs der gegenseitigen Aus- und Abgrenzung begriffen, doch ob sie überzeugend oder plausibel sind, ob sie zutreffen oder nicht, steht theoretisch nicht zur Debatte. Damit entgehen der Theorie entscheidende Informationen. Es sind doch erst die feinen ästhetischen Unterscheidungskompetenzen der Jugendlichen, die ihnen die Abgrenzung von und Zuordnung zu musikalischen Szenen und Kulturen ermöglichen. Eine Distinktionstheorie alleine kann die Entstehung der lebensstilbezogenen Wertigkeit von Kultur nicht erklären. 7 Musikalische Präferenzen gewinnen ihre Distinktionsfunktion dadurch, dass sich in ihnen eine sensible, differenzierte, verständnisvolle und kenntnisreiche ästhetische Wahrnehmung äußert (Seel 1987, S. 24 ff.).
Ästhetische Praxis Beim Versuch, verschiedene Formen des Umgangs mit Populärer Musik (nicht nur in Jugendkulturen) als ästhetisches Handeln zu beschreiben, soll ein mehrdimensionaler Begriff ästhetischer Praxis helfen, den der Philosoph Martin Seel entwickelt hat. 8 Grundsätzlich lässt sich ästhetische Praxis verstehen als ein Komplex von Handlungen, der bestimmt ist durch das Interesse an erfüllten Wahrnehmungsvollzügen. Das gilt für alle Sinnesbereiche, nicht nur für die Musik, und das betrifft sowohl die Produktion wie die Rezeption ästhetischer Objekte; zu den Handlungen
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Diaz-Bone (2002) versucht deshalb, den Bourdieuschen Ansatz unter Bezugnahme u.a. auf Foucault diskurstheoretisch zu erweitern. Seine beispielhaften Analysen des Heavy Metal- und des Techno-Diskurses anhand von Zeitschriften sind überzeugend, obwohl die Frage bleibt, ob nicht zum Verständnis der jeweiligen „Ästhetik“ doch die ästhetischen Musikpraxen als ganze in den Blick genommen werden müssten. Seel 1996, 2000; s. auch Kleimann 2002 sowie im Hinblick auf musikalische Jugendwelten Wallbaum 2002. 51
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im Rahmen ästhetischer Praxis zählen auch das ästhetische Urteilen und die Kommunikation über Musik. Die Besonderheit ästhetischer Praxis ergibt sich aus der spezifischen Weise ästhetischer Wahrnehmung, die vollzugsorientiert und selbstzweckhaft ist. Damit von erfüllten Wahrnehmungsvollzügen die Rede sein kann, müssen das ästhetische Interesse an einem Gegenstand und die geeignete Beschaffenheit dieses Gegenstandes zusammentreffen. Martin Seel unterscheidet drei Modi ästhetischer Wahrnehmung, von denen jeweils einer überwiegen und die Praxis bestimmen kann. Im Folgenden soll versucht werden, diese Unterscheidung auf die ästhetischen Praxen im Umgang mit Populärer Musik zu übertragen.
Sinnlich-kontemplative Wahrnehmung Ästhetische Praxis kann geprägt sein von einer – gewissermaßen der „reinsten“ – Form auditiver Wahrnehmung, in der von allen Bedeutungen abgesehen wird. Wir versuchen in diesem Falle nicht, eine Ordnung zu erkennen, Zusammenhänge zu verstehen oder das akustische Geschehen mit etwas anderem zu verbinden, sondern unsere Aufmerksamkeit gilt einzig dem Spiel der klingenden Erscheinungen selbst – unabhängig von jeglichem Sinn. Ein solcher Modus sinnlich-kontemplativer Wahrnehmung kann beispielsweise dort dominieren, wo wir uns den unaufhaltsamen Wiederholungen rhythmischer Pattern in repetitiver Musik anvertrauen oder uns in den vielschichtig sich entwickelnden Sounds und Raumeffekten eines klangbewusst produzierten Popstückes verlieren. Entscheidend ist, dass wir bei dieser Art der Wahrnehmung von möglichen Textinhalten, ausdruckshaften musikalischen Gesten, Stilzitaten und ihrer Herkunft usw. gewissermaßen abstrahieren und uns ganz auf das konzentrieren, was sich unserem Ohr unmittelbar sinnlich präsentiert. Ästhetische Kontemplation ist etwas anderes als Träumen oder sich von Assoziationen treiben zu lassen und es ist gar nicht so leicht, denn unsere Wahrnehmung ist eigentlich ständig darauf aus, etwas wiederzuerkennen oder zumindest Beziehungen zu bereits Bekanntem herzustellen. Welche Abstraktionsleistung diese Art des Hörens erfordert, können wir uns klar machen, indem wir uns vorstellen, was es bedeutet, aufmerksam einer Rede zu lauschen, deren Sinn wir nicht verstehen oder deren Sinn uns nicht interessiert, ohne einfach abzuschalten und an etwas anderes zu denken, sondern die Worte und den Klang der Stimme „wie Musik“ wahrzunehmen.
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Ein Beispiel für sinnlich-kontemplative Formen der Wahrnehmung im Umgang mit Populärer Musik finden wir möglicherweise im Zusammenhang mit Techno-Raves u.ä. Einen Hinweis geben bereits einige für Techno-Tracks typische Produktionstechniken, wenn beispielsweise musikalische Zitate ihrem ursprünglichen Bedeutungskontext entrissen oder Sprachfetzen bis zur Unkenntlichkeit verfremdet und rhythmisiert werden. Die Musik abstrahiert gewissermaßen von Bedeutungen und konzentriert sich ganz auf das Schallereignis; dem Produzenten geht es in der Regel nicht darum, etwas musikalisch zum Ausdruck zu bringen, sondern Wirkung zu erzielen; und die Teilnehmer einer Techno-Party sind zumeist nicht daran interessiert, eine musikalische Stimmung nachzuempfinden oder zu verstehen, wie die Musik gestaltet ist. Das, was aus den Lautsprechern kommt, lädt nicht ein zum Träumen und Assoziieren, sondern erfordert Hingabe, die volle Aufmerksamkeit, nicht mehr zu denken, nur noch zu fühlen, ganz hier und jetzt zu sein. Mitterlehner hat die veränderten Bewusstseinszustände untersucht, die bei solchen Gelegenheiten auftreten können, und schreibt, dass das fixierende, differenzierende und urteilende Bewusstsein zu schmelzen beginne (Mitterlehner 1996, S. 24). Diese „Auflösung des Subjektes“ lässt sich laut Mitterlehner allerdings nicht allein als Wirkung der Musik begreifen, sondern beruht auf kulturellen Lernprozessen; damit solche Zustände erreicht werden können, bedarf es musikalischer Vorerfahrungen, der Übung gewissermaßen. Ästhetische Urteile, die unter dem Eindruck sinnlich-kontemplativer Wahrnehmung gefällt werden, empfehlen die Musik, auf die sie sich beziehen, zur sinnlichen Kontemplation und damit gleichzeitig diesen Modus ästhetischer Wahrnehmungspraxis selbst.
Verstehend-imaginative Wahrnehmung Ästhetische Praxis kann geprägt sein von einem Modus der Wahrnehmung, bei der sich die Aufmerksamkeit auf die Bedeutungen, mögliche Symbolgehalte und/oder den Ausdruck der Musik richtet und das Hören von dem Versuch gekennzeichnet ist, das Erklingende zu verstehen. Eine solche Wahrnehmung konstruiert Sinn, indem sie beispielsweise versucht zu erfassen, wie eine Musik im Produktionsprozess gestaltet wurde. Imaginativ hört, wer sich bemüht, eine Fremdkomposition mit dem gewünschten Ausdruck zu interpretieren (in anderen Worten: eine eigenständige Coverversion zu singen und zu spielen). Verstehend nimmt wahr, wer seine Aufmerksamkeit auf das Wort-Ton-Verhältnis eines Songs richtet und darauf achtet, wie die eine Dimension die andere inter53
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pretiert. Ob als Musikliebhaber oder Profi, als Fan oder Musiker: beim Hören historische Bezüge herzustellen, stilistische Besonderheiten zu entdecken, Anspielungen zu erkennen, den Ausdruck mitzuempfinden, Botschaften zu entschlüsseln – all das erfordert verstehend-imaginative Wahrnehmung. 9 Wer sich bei solchen Gelegenheiten lobend zu einer Aufnahme, Aufführung o.a. äußert, behauptet, die Musik sei gelungen, weil sie etwas hörbar macht; der empfiehlt die Musik, weil die ästhetische Wahrnehmung sich lohne. Man muss nicht Musiker, Produzent, Musikjournalist oder Wissenschaftler sein, um auf diese Weise zu hören. Jeder, dem Musik etwas bedeutet, wird bei Gelegenheit darauf achten, was sie bedeutet. Allerdings werden die verstehend-imaginativen Formen ästhetischer Wahrnehmung in Produktionsvorgängen häufig eine andere Rolle spielen als in Rezeptionsprozessen. Helmut Rösing (2000) unterscheidet sogar drei Ebenen der Sinnkonstruktion im Zusammenhang mit populären Musikpraxen: 1. die Produktebene des Musikmachens, 2. die Distributionsebene inszenierter (medialer) Konstruktionsangebote sowie 3. die kreativen Sinnkonstruktionsleistungen auf der Rezeptionsebene. Auf allen drei Ebenen der Sinnkonstruktion wird imaginativ wahrgenommen, auf den ersten beiden Ebenen entstehen darüber hinaus Wahrnehmungsprodukte, aber auch auf der dritten ist das hörende Verstehen ein aktiver Vorgang. Welche Angebote zur Sinnerschließung Populäre Musik bereithalten kann, hat der oben bereits erwähnte Philosoph Shusterman deutlich gemacht, indem er das Rap-Stück „Takin’ All That Jazz“ von Stetsatronic aus dem Jahre 1988 sorgfältig analysiert und interpretiert hat (Shusterman 1992, S. 179 ff.). Die semantische Komplexität und Polysemie des Textes lässt sich anhand des mehrdeutig verdrehten Spiels zeigen, das mit dem Schlüsselbegriff „jazz“ gespielt wird. Der verweist einerseits auf die musikalische Kunstform, andererseits bedeutet er in der Wendung „talkin’ jazz“ soviel wie törichtes Gerede oder Lügen. Die Ablehnung des „neuen Jazz“, nämlich rap, von dem behauptet wird, er sei bloßes Gequatsche, wird selbst als „jazz“, nämlich als Lüge entlarvt, während doch in Wirklichkeit der neue „talkin’ jazz“ wahr, die wahre Kunst sei. Shusterman versucht mit seiner einfühlsamen hermeneutischen Auseinandersetzung vor allem den Kunstanspruch Populärer Musik zu belegen. Bourdieu hat seine an Gedichtinterpretationen geschulten Analysen allerdings zurückgewiesen, weil die angelegten hochkulturellen Maßstä-
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Im Unterschied zu den kontemplierenden Techno-Ravern, von denen oben die Rede war, nimmt der Kenner, der ein Ohr für die Intertextualität von House-Produktionen hat, die Musik imaginativ wahr.
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be der Musik und ihrer Rezeption unangemessen seien. 10 Dieser Streit weist auf ein Problem hin, das man aber besser unter Verzicht auf so voraussetzungsreiche und unklare Begriffe wie „Hochkultur“, „Kunstanspruch“ und „angemessene Rezeption“ diskutieren sollte. Aus Sicht einer Theorie ästhetischer Wahrnehmung und ästhetischer Praxis stellt es sich so dar: Zweifellos kann man Popmusik auf die Weise, in der Shusterman es tut, verstehend-imaginativ wahrnehmen. Die Frage ist jedoch, ob diese Form des Umgangs mit Populärer Musik nicht auf akademische Hauptseminare und wenige andere Orte beschränkt ist und mit den ästhetischen Praxen beispielsweise von Jugendlichen wenig zu tun hat. Ähnliche Bedenken könnte man gegenüber vielen einfühlsamen Interpretationen äußern, die sich sorgfältig und kenntnisreich einzelnen Werken Populärer Musik widmen. Der Hermeneutiker wird aber darauf bestehen, dass man sich darüber klar werden müsse, welches Angebot Musik zur Interpretation bereit hält, um verstehend-imaginative Wahrnehmungspraxen überhaupt erst bemerken zu können. Hügel (2003, S. 16) beklagt, dass die Stellung des Artefakts im kulturellen Bedeutungsprozess im Rahmen kulturwissenschaftlicher Untersuchungen und vor dem Hintergrund extremer rezeptionsästhetischer Vorstellungen häufig vernachlässigt und verkannt würde, und besteht darauf, dass in der Bedeutungsproduktion der Rezeption etwas realisiert wird, was Text und Kontext strukturiert anbieten. Eine „Hermeneutik populärer Texte“ müsse klären, worin deren „Rezeptionswert“ liege. Für eine Theorie ästhetischer Wahrnehmungspraxis sind beide Seiten entscheidend, denn es geht um ihr Verhältnis: mit den wahrnehmenden Subjekten müssen stets die wahrgenommenen Objekte in den Blick genommen werden – und umgekehrt. Jugendliche schreiben nun selten Analysen und Interpretationen ihrer Lieblingsmusik, aber sie kommunizieren, sprechen miteinander, empfehlen sich Musik. So wurde z.B. in einer Studie zu Medienerfahrungen Jugendlicher festgestellt, dass Musik soziales Medium in Gleichaltrigen-Gruppen ist. „Musik und deren Stile dienen in den Gruppen für Gesprächsthemen, für Gemeinsamkeit und Abgrenzung, für Anregung und Austausch“ (Barthelmes/Sander 2001, S. 107). Was die Jugendlichen untereinander genau sagen und wie sie es sagen, wenn sie über Musik sprechen, wurde in der Studie zwar nicht erfasst, aber für das Reden über Medien in den Familien unterscheiden die Forscher verschiedene Gesprächsformen (Barthelmes/Sander 2001, S. 239). Im Typus diskursiver Gespräche wird „berichtet, was man gelesen, gehört und gesehen hat. In den Gesprächen wird einander mitgeteilt, was
10 Das erwähnt Fuchs 1998. Siehe auch die Kritik an Shusterman in Fuchs 1996. 55
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einem gefällt bzw. nicht gefällt“. Wünschenswert wären weitere Untersuchungen darüber, wie Bedeutungen im Umgang mit Populärer Musik wahrgenommen und kommuniziert werden, welche verschiedenen Formen verstehend-imaginativer Wahrnehmung es möglicherweise gibt.
Atmosphärisch-korresponsive Wahrnehmung Ästhetische Praxis kann dominiert sein von einer Wahrnehmungsweise, in der die ästhetischen Objekte der Stilisierung des Lebens, dem Ausdruck und der Erzeugung von Lebensmöglichkeiten dienen. Musik wird in diesem Fall Teil der ästhetischen Gestaltung des alltäglichen Lebens. Die Hintergrundmusik, die jemand wählt, wenn er verschiedenen häuslichen Verrichtungen nachgeht, Gäste zum Essen empfängt oder sich nach einem anstrengenden Tag genüsslich in den Sessel setzt, ist ja in der Regel nicht irgendeine Musik, sondern es ist dieses Stück, dieser Interpret, das Repertoire dieses Radiosenders, das zur gewünschten Atmosphäre beitragen soll. Auch wenn die Anwesenden sich den Tönen nicht konzentriert zuwenden, füllt der Klang doch den Raum und wird zwar vielleicht nicht bewusst gehört, aber wohl gespürt. Dieser atmosphärischkorresponsive Modus ästhetischer Wahrnehmung 11 hängt eng mit dem persönlichen Lebenskonzept der Wahrnehmenden zusammen und der musikalische Geschmack ist in diesem Fall nicht nur musikalischer Geschmack, denn geliebt bzw. abgelehnt wird nicht nur die Musik selbst, sondern mit ihr die Lebensform, die sie zum Ausdruck bringt. So wie die Bilder an der Wand und das Design der Möbel, mit denen jemand seine Wohnung einrichtet, so verrät auch die Musik, mit der sich jemand umgibt, etwas über die Person. Deshalb ist atmosphärisch-korresponsive Wahrnehmung immer dort ausschlaggebend, wo Menschen nach ihrem Musikgeschmack beurteilt werden. Weil Musik auf diese Weise der anschauliche Vergegenwärtigung und Kommunikation von Lebenskonzepten dienen kann, sind musikalische Präferenzen so geeignet zur Distinktion. Dass es dabei nicht immer um die Differenz zwischen Hochkultur und Populärer Kultur gehen muss, sondern dass feine Unterschiede im Bereich Populärer Musik ausschlaggebend sein können, machen zwei kurze Ausschnitte aus dem Roman High Fidelity von Nick Hornby deutlich:
11 Der Gedanke, dass Atmosphäre oder das Atmosphärische erster Gegenstand der Wahrnehmung sei, liegt dem Konzept einer Aisthetik von Gernot Böhme zugrunde (siehe z.B. Böhme 2001), auf das sich Seel (2000) in der Wahl seiner Begrifflichkeit bezieht. 56
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„‚Anna ist Simple-Minds-Fan‘, gesteht Dick. […] ‚Schau an.‘ Ich weiß nicht, was ich sagen soll. In unserem Universum ist so was eine erschütternde Information. Wir hassen die Simple Minds. Sie waren die Nummer eins unserer Top Five Bands oder Musiker, die nach der musikalischen Revolution erschossen gehören. […] Daß Dick an einen Simple-Minds-Fan geraten konnte, ist für mich so unvorstellbar, als wäre er mit einem Mitglied der königlichen Familie oder des Schattenkabinetts liiert: Erstaunlich ist weniger, dass sie sich voneinander angezogen fühlen, als dass sie sich überhaupt kennengelernt haben“ (Hornby 1999, S. 162). „‚Geh dir ihre Platten ansehen‘, sagt Laura. […] Also schlendere ich ans Regal und wende kurz meinen Kopf und sehe nach, und wie erwartet ist es ein Katastrophenschauplatz, eine CD-Sammlung der Sorte, die so scheußlich giftig ist, dass man sie in ein Stahlfaß einschweißen und auf eine Giftmülldeponie in der Dritten Welt verschiffen sollte. Sie sind alle beisammen: Tina Turner, Billy Joel, Kate Bush, Pink Floyd, Simply Red, die Beatles, natürlich, Mike Oldfield […], Meat Loaf …“ (Hornby 1999, S. 275).
Dort, wo Menschen sich den Handlungs- und Hörweisen ihrer alltäglichen atmosphärisch-korresponsiven Praxis und den musikalischen Präferenzen, die darin eine Rolle spielen, reflexiv zuwenden, findet schon ein Wechsel der Wahrnehmung statt. Der ursprünglich distanzlos dem Leben verhaftete korresponsive Modus ästhetischer Wahrnehmung wird verlassen, wenn jemand das, womit er sein tägliches Leben gestaltet, zum Gegenstand verstehend-imaginativer Wahrnehmung macht, oder wenn er die musikalischen Vorlieben anderer als Ausdruck von Lebensmöglichkeiten deutet. Insofern liegt schon sehr einfachen musikalisch-gestalterischen Tätigkeiten wie dem Zusammenstellen von Compilation-Tapes bzw. entsprechenden selbstgebrannten CDs der Modus verstehendimaginativer Wahrnehmung zugrunde: „Ich verbrachte Stunden damit, die Kassette zusammenzustellen. Ein Tape zu machen, ist für mich wie einen Brief zu schreiben – da gibt es jede Menge auszuradieren, neu zu überdenken und von vorne anzufangen. […] Ein gutes Compilation-Tape aufzunehmen ist … ein hartes Stück Arbeit“ (Hornby 1999, S. 93).
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P O P (M U S I K )G E S C H I C H T E ( N ). GESCHICHTE ALS POP – POP ALS GESCHICHTE PETER WICKE
„Heroes and Villains“, Helden und Halunken, auf dieses simple Muster des gleichnamigen Songs der Beach Boys aus dem Jahre 1967 1 lassen sich noch immer die meisten Geschichtsdarstellungen bringen, die sich der Popmusik und ihrer Entwicklung annehmen. Die popmusikalischen Heroes, so will es dieser geschichtsträchtige Topos, setzen ihre musikalischen Vorstellungen im unermüdlichen Kampf gegen die geballte Inkompetenz und unerträgliche Kleinkrämerei auf den Chefetagen der Tonträgerfirmen durch und ernten als einzigen Lohn meist doch nur Erfolglosigkeit, während die anderen, die Halunken im Spiel, den korrupten Ausverkauf aller Ideale an ein durch und durch manipuliertes Publikum betreiben, was zwar in der Regel von Erfolg gekrönt ist, aber eigentlich nur popphilosophisch begründete Verachtung verdiente. Doch die Geschichte geht auch anders – dann reiten die Helden des Geschehens auf den oberen Rängen der Charts als ‚Spitzenreiter‘ durch die Höhen und Tiefen des popmusikalischen Terrains, während die Halunken diesmal auf den Chefsesseln der Tonträgerfirmen sitzen und die Musiker mit Knebelverträgen um ihr Geld bringen. Der Gipfel der Halunkerei besteht in dieser Version der Geschichte dann freilich darin, den Musikern die Knebelung durch einen Plattenvertrag rundheraus zu verweigern. Und schweift der geschichtsversessene Blick tatsächlich einmal zurück bis in jene grauen Vorzeiten, in denen die Menschen noch nichts von Tonträgern wussten – was im popmusikalischen Kontext selten genug geschieht –, dann wiederholt sich das martialische Ritual, geht es nach den Autoren der einschlägigen Darstellungen, im heroischen Ringen zwischen Komponist und Verleger, der eine den Blick starr auf die Kunst, der andere ebenso starr auf das Konto gerichtet.
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Beach Boys „Heroes und Villains“, auf: Smiley Smile (Capitol, USA 1967). 61
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Das ist weit weniger übertrieben, als es der satirische Ton vermuten lassen könnte. Von höchst seltenen Ausnahmen abgesehen, 2 durchziehen geschichtliche Darstellungen in Sachen Popmusik äußerst simple Vorstellungen von historischen Abläufen, musikalischen und kulturellen Entwicklungsprozessen. 3 Zwar ist fairerweise hinzuzufügen, dass eine eher schlichte Denkungsart in musikhistorischen Zusammenhängen auch anderswo anzutreffen ist, aber selten nur ist das Missverhältnis zwischen der historischen Komplexität des in Rede stehenden Gegenstandes und dessen Abbild in entsprechenden Darstellungen so eklatant wie im Umfeld der populären Musik. 4 Die Gründe dafür sind vielgestaltig und reichen von der unübersehbaren Kommerzialisierung, die auch die einschlägige Literaturproduktion erfasst hat, bis hin zum offenkundigen Fehlen eines entsprechenden historischen Bewusstseins in der realen Praxis dieser Prozesse selbst, dem die beschriebene Situation als Mangel erscheinen würde. Welcher Musiker versteht sich hier schon als Teil des Geschichtsprozesses und welchen Fan interessiert der historische Stellenwert des Objekts seiner Verehrung? Dennoch ist der Blick auf die geschichtlichen Dimensionen des Populären in der Musik keineswegs nur von akademischem Interesse. Als alter ego der Tonkunst sind nicht nur die entsprechenden Formen musikalischer Praxis, sondern nicht minder auch die Konstruktion solcher polaren Gegensätzen entlang der Grenzverläufe zwischen den Elementen jener vielfach geschichteten Mannigfaltigkeit, zu der Musikkulturen ausdifferenziert sind, unerlässlich für ein Geschichtsverständnis, das mehr sein will als bloßer Legitimationszusammenhang für die eine oder andere 2
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Zu verweisen ist in diesem Zusammenhang vor allem auf die leider unvollendet gebliebene Geschichte der populären Musik von Klaus Kuhnke, Manfred Miller und Peter Schulze (Kuhnke/Miller/Schulze 1977), die auch fast dreißig Jahre nach ihrem Erscheinen, trotz der einen oder anderen in der Zwischenzeit fällig gewordenen Korrektur im Detail, in methodologischer Hinsicht noch immer Maßstäbe setzt. Um nur besonders charakteristische Beispiele herauszugreifen, die jeweils mit dem Anspruch auftreten, die Popmusikgeschichte gültig zu repräsentieren, vgl. z. B. Cohn 1971, Gillett 1983, Belz 1972, Boeckman 1972, Byrne 1975, DeCurtis/Henke 1993, Hoffmann 1981, Szatmary 1991. Nicht ohne Signifikanz ist es in diesem Zusammenhang wohl auch, dass seit Anfang der neunziger Jahre, seitdem die Rockmusik mit der Entwicklung von HipHop und elektronischer Tanzmusik als historischer Dreh- und Angelpunkt der Popmusikgeschichte nicht mehr taugt, Geschichte als größerer Entwicklungszusammenhang kein Thema mehr ist. Der vorliegende Zusammenhang ist nicht der Ort, um die Problematik der Kategorie „populäre Musik“ und das damit verbundene Gegenstandsfeld zu diskutieren. Der interessierte Leser sei deshalb auf die Ausführungen des Autors zum Stichwort „populäre Musik“ in der Neuausgabe der MGG (Wicke 1997a) verwiesen; vgl. auch Wicke 1992.
Pop(Musik)Geschichte(n). Geschichte als Pop – Pop als Geschichte
ästhetische Position. Insofern irrte Dahlhaus, als er mit Bezug auf die populären Musikformen meinte, sie seien nichts anderes als „der Schutt, den die Vergangenheit hinterlassen hat“ (Dahlhaus 1977, S. 149). Sie sind wie die Hinterlassenschaften jener klangproduzierenden Aktivitäten, die sich selbst gern – um nochmals Dahlhaus zu bemühen – „in einem emphatischen Sinn“ als Verkörperung von „Tonkunst“ bezeichnen lassen (Dahlhaus 1985, S. 65), Zeugnisse eines kulturhistorischen Prozesses, der entweder ganz oder gar nicht begriffen ist. Viel wichtiger als die müßige Frage, wo denn die Gemeinsamkeiten zwischen Schubert und den Beatles liegen, die es rechtfertigen würden, beides als Gegenstand einer Geschichtsschreibung zu betrachten, die sich den Maßstäben von Kunstpraxis verpflichtet sieht, wäre somit die Frage nach eben diesen Maßstäben. Sie sind Produkt einer Entwicklung, die mit deren alter ego ebensoviel zu tun hat (vgl. Sponheuer 1987), wie sie sich in einer aus Linien, Knoten, Plattformen, konzentrisch und dezentrisch fortschreitender Mannigfaltigkeit im Wortsinn ent“faltet“. Seinen „Faltungen“ und vielfältig verästelten Lebensadern ist nur habhaft zu werden, ist dieser Prozess als Ganzheit in den Blick genommen, so dass die Verwerfungen ebenso erscheinen können wie die Höhenlinien, die in ihn eingegrabenen Grenzbefestigungen ebenso wie die Plateaus auf den diversen Niveaus. Von einer solchen komplexen Sicht auf ihren Gegenstand ist Musikgeschichte noch weit entfernt, zumal die vergleichsweise wenigen, nach wie vor als seltene Ausnahme figurierenden Arbeiten zur Popmusik, die Licht auf die weißen Flecken auf der musikhistorischen Landkarte werfen könnten, in methodologischer Hinsicht nicht viel anderes sind als ebenfalls nur Legitimationskonstruktionen für die eigene Sache, nur dass hier die Akzente etwas anders verteilt und die musikimmanenten Maßstäbe entsprechend umgepolt sind. Statt den polaren Gegensatzkonstruktionen in der geschichtlichen Mannigfaltigkeit von Musikpraxis auf die Spur zu kommen, bewegen sich musikgeschichtliche Darstellungen sowohl auf der einen wie auf der anderen Seite nicht ohne Borniertheit mitten in ihnen und fördern somit auf beiden Seiten immer nur das zutage, was den angelegten ästhetischen Prämissen entspricht. 5 Am Ende erscheinen diese Prämissen dann als Resultat eben des Prozesses, der mit ihnen in den Blick genommen wurde, womit der Kreis geschlossen ist, egal ob auf dem Gipfel in seiner Mitte Beethoven, Schönberg oder die Beatles platziert sind. Popmusikgeschichten haben in diesem Zusammenhang allerdings den Vorzug, dass ihre Halbwertzeit wesentlich geringer
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Dahlhaus formulierte dann auch ganz unumwunden: „Das Verhältnis zwischen Historie und Ästhetik hat Zirkelstruktur“ (Dahlhaus 1977, S. 37). 63
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ist, so dass die Zirkelschlüssigkeit des geschichtsmethodologischen Verfahrens umso deutlicher hervortritt. Bislang hat noch jedes Jahrzehnt eine neue Version der Popmusikgeschichte hervorgebracht. Nach den fünfziger Jahren erfüllte sie sich in Elvis Presley, nach den sechziger Jahren in den Beatles, nach den siebziger Jahren in den Sex Pistols und in der bislang letzten Version, im Gefolge der achtziger Jahre, haben die TechnoJünger das Gipfelplateau in Besitz genommen. 6 Die Situation verweist auf gravierende theoretische Defizite, die weit grundsätzlicherer Natur sind, als dass ihnen mit der bloßen Forderung nach komplexeren Herangehensweisen beizukommen wäre. Der wohl problematischste Punkt, weil von ebenso zentraler wie fundamentaler Bedeutung, ist hierbei der Musikbegriff, der jeweils als Fixpunkt fungiert, von dem aus Musikgeschichte konzipiert ist. Der Begriff, den sich Musikforscher von ihrer Sache – der Musik – machen, gehört zu den theoretischen Fundamenten, die weitreichende methodologische, aber auch forschungspraktische Konsequenzen haben. Verwiesen sei nur auf die fraglose Unbekümmertheit, mit der in musikwissenschaftlichen Arbeiten in der Regel auf eine Weise von Musik die Rede ist, die den überwiegenden Teil der Musikpraxis in Gegenwart wie Vergangenheit schlicht ausgrenzt – sowohl die populäre Musik wie die diversen Volksmusikpraktiken. Damit soll keineswegs dafür plädiert sein, Grenzen zu verwischen – ästhetische, kulturelle und soziale –, sondern lediglich in Erinnerung gebracht werden, dass die Disziplin auf der Verallgemeinerung eines historisch und faktisch eng begrenzten Teilausschnitts dessen beruht, was Musikkultur ausmacht. Eher grotesk wird es allerdings, werden die Paradigmen des von diesem Ausschnitt abgezogenen Musikbegriffs in der zugestanden gutgemeinten Absicht, das musikwissenschaftliche Gegenstandsverständnis aus tradierter Enge zu befreien, auf jene Formen von Musikpraxis übertragen, die landläufig als Popmusik firmieren – dann sind bestenfalls Elaborate über mühsam transkribierte Klangstrukturen zu lesen, in denen entweder unterschlagen wird oder aber mangels Kenntnis übersehen ist, dass das Resultat eines Computerprogramms auf dem analytischen Seziertisch liegt. Dass selbiges einer etwas anderen Logik folgt – von der Ästhetik ganz zu schweigen – als die originäre kreative und spieltechnische Leistung eines Musikers im engeren Sinne des Wortes, die Kreativität eines musikalischen Software-Designers nicht mit derjenigen eines traditionellen Musikers, Mixing nicht mit Komponieren, der
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Als charakteristisches Beispiel sei auf Anz/Walder 1995 verwiesen, die sich mit der Popmusik allein nicht zufrieden geben, sondern die gesamte Kunstgeschichte seit dem Dadaismus der zehner Jahre in der Technokultur der neunziger Jahre zu sich selbst gekommen sehen wollen.
Pop(Musik)Geschichte(n). Geschichte als Pop – Pop als Geschichte
vokale Input in eine komplexe technische Apparatur nicht mit Singen gleichzusetzen ist, reißt das Problem nur an. 7 Schlimmstenfalls freilich führt das unbewusste oder anmaßende Hantieren mit den Kriterien des Musikbegriffs der klassisch-romantischen Tradition zu dem seit Adorno sattsam bekannten Verdikt von der „Regression des Hörens“ (Adorno 1956), mit dem nicht nur nichts begriffen ist, sondern das den akademischen Betrieb wohl vor allem ob seiner Folgenlosigkeit unbeirrt in seinem Bann hält. Dass sich auch diese Logik zu ausgesprochen bizarren Blüten treiben lässt, haben Reinhard Flender und Hermann Rauhe in einer 1989 erschienen Publikation über Geschichte, Funktion, Wirkung und Ästhetik von Popmusik unter Beweis gestellt (Flender/Rauhe 1989). Hier sind die Adornoschen Befunde – Begriffe wie „kollektive Regression“, „atavistische Verhaltensmuster“ oder „trivialisierte Mythenbildung“ stehen bei ihnen dafür – musikwissenschaftlich ins Positive gewendet, zu einer durch Kunst vermittelte Triebentsorgung der postmodernen Erlebnisgesellschaft erklärt. Man könnte es durchaus dabei belassen, denn es bleibt recht unerheblich, ob die Musikwissenschaft, auf welche Weise auch immer, Popmusik nun zu einem Gegenstand akademischer Geistesübung macht oder nicht, wäre da nicht der begründete Verdacht, dass die populären Musikformen gerade deshalb so allgegenwärtig geworden sind, weil die von ihnen produzierten Werte, Bedeutungen und sozialen Erfahrungen einen ganz entscheidenden kulturellen Reproduktionsfaktor moderner Industriegesellschaften darstellen, der mit den subtilen Mechanismen kultureller Machtausübung ebensoviel zu tun hat wie mit der Entwicklung von Subjektivität, von sozialer und persönlicher Identität. Dem freilich ist mit der opportunistischen Beschreibung von Oberflächenphänomen ebenso wenig auf die Spur zu kommen wie mit einem Zugriff, der die Augen vor den kulturellen, sozialen, technologischen und ökonomisch-kommerziellen Implikationen dieser Musikpraxis verschließt und sich statt dessen aufs Notenpapier verlässt. Hierzu braucht es dann schon eine erhebliche Anstrengung des Begriffs. Die weitreichenden methodologischen und forschungspraktischen Konsequenzen der Frage nach dem Musikbegriff treten beim genaueren Blick auf die Entwicklung der Popmusikforschung noch um einiges schärfer hervor. Aus durchaus verständlichen Gründen ist hier nämlich der drohenden Verzettelung in den theoretischen und definitorischen Legitimationskämpfen vor allem mit der Musikwissenschaft erst einmal dadurch zu entgehen versucht worden, dass ein hemdsärmliger Pragmatis-
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Beispiele hierfür lassen sich vor allem im musikpädagogischen Umfeld in überaus großer Zahl finden - besonders eklatant Jerrentrup 1993. 65
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mus an die Stelle der theoretischen Klärung von Begriffen, Axiomen und Paradigmen getreten ist. Doch dabei ist aus Musikgeschichte genau das geworden, was eingangs beschrieben war. Der Werkzentrismus der traditionellen Musikgeschichtsschreibung ist zum Songzentrismus mutiert, die Musikgeschichte der großen Namen mit ihrer ehrwürdigen Ahnengalerie zu einer Parade von Namensträgern etwas anderer Art geworden, der Stars der Popmusik. Abgesehen einmal von der grundsätzlichen Problematik dieses Verfahrens, es gibt im Kontext der populären Musikformen nicht einen guten Grund, mit dem sich die Herausgehobenheit des einen gegenüber dem anderen, etwa der Beatles gegenüber den Hollies oder von Michael Jacksons „Bad“ gegenüber Afrika Bambaataas „Planet Rock“ einigermaßen sinnvoll begründen ließe. Nicht, dass es ihnen an Unterschieden mangelt, aber diese sind Ausdruck der höchst unterschiedlichen kulturellen (und damit auch musikalischen wie ästhetischen) Wertewelten, womit die Basis ästhetischer Vergleichbarkeit fehlt. Selbst auf die üblicherweise als Basis genommenen Verkaufszahlen und die Hitlisten der Industrie ist – genauer betrachtet – in diesem Zusammenhang nicht zu verweisen, weil diese einzig und allein auf die Operationalisierung der Tonträgervermarktung abgestimmt sind (vgl. Wicke 1996). Der amerikanische Musikhistoriker Charles Hamm hat schon vor Jahren anhand des zugänglichen Zahlenmaterials, inklusive programmbezogener Einschaltquoten bei Rundfunk und Fernsehen, darauf aufmerksam gemacht, dass – nähme man den quantitativen Verbreitungsgrad wirklich ernst – eine ganz andere Geschichte der populären Musik geschrieben werden müsste, da der Kauf von Tonträgern nur einen einzigen Faktor unter den messbaren Größen darstellt, der zudem keinerlei verlässliche Rückschlüsse auf den Umgang mit der so zugänglich gemacht Musik zulässt (Hamm 1982). So bleibt dann eine recht tiefe Kluft zu konstatieren zwischen den theoretisch-ästhetischen Implikationen der auf der einen Seite errichteten soziologischen, strukturalistischen, kulturanalytischen, feministischen und postmodernen Kategoriengebäude um die Popmusik (vgl. Shepherd/ Wicke 1997) und der bereits angesprochenen theoretischen Unbedarftheit und Bedürfnislosigkeit der musikgeschichtlichen Auseinandersetzung mit dem Thema Popmusik auf der anderen Seite. Auf die Unmöglichkeit mit einem werk- und strukturzentrierten Musikbegriff gegenüber der Popmusik zu operieren, Klangstrukturen hier als bedeutungstragende Texte zu interpretieren, haben bislang noch alle Theoretiker der Popmusik hingewiesen – bis hin zu der zugespitzten Formulierung des britischen Soziologen Simon Frith von „Musik als leerem Zeichen“, mit der er dieses Charakteristikum der Popmusik begrifflich zu fassen suchte (Frith 1990, S. 96) –, forschungspraktisch sind solche Theoreme bislang
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Pop(Musik)Geschichte(n). Geschichte als Pop – Pop als Geschichte
freilich nahezu völlig folgenlos geblieben. Sobald es um die geschichtliche Dimension der populären Musik geht, ist diese in überaus traditioneller Manier auf einzelne, nach welchen Kriterien auch immer herausragende Songs und Musiker bezogen, erscheinen Inhaltsanalysen, die angesichts der Schwierigkeiten, die Befunde in den stereotypisierten Klangstrukturen der Songs zu vermitteln, schlicht und einfach an den Songtexten festgemacht. Solange die theoretischen Einsichten nicht in einem Musikbegriff vermittelt sind, der auch historisch handhabbar bleibt, wird diese Kluft auch kaum zu schließen sein. Mit Richard Middletons Studying Popular Music (Middleton 1990) und John Shepherds Music as Social Text (Shepherd 1991) sind aus dem Umfeld der Popmusikforschung allerdings zwei theoretisch ambitionierte Versuche zu einer grundlegenden Revision des Musikbegriffs vorgelegt worden, die einen Ausweg aus den angesprochenen Dilemmata bieten könnten. Shepherd und Middleton haben beide ein in seinen theoretischen Implikationen jeweils unterschiedliches Konzept von Musik vorgelegt, das die bisherigen Erfahrungen im theoretischen Umgang mit populärer Musik in einem Begriff von Musik zu bündeln sucht, der einem sinnvollen und differenzierten analytischen wie historischen Umgang mit der realen Mannigfaltigkeit musikalischer Praxis einen Weg weist. Middleton hat hierfür den Begriff des „musikhistorischen Feldes“ geprägt, den er durch sozial geprägte, historisch wandelbare und sich wandelnde, stets im Widerstreit miteinander liegende Musikbegriffe und diesen entsprechende Musikpraktiken umrissen sieht. Er plädiert für eine multidimensionale topographische Lokalisierung auch der populären Musik auf diesem musikhistorischen Feld, die er in einem Widerspruchszusammenhang verortet sieht, der „... durch Begriffspaare wie ‚oktroyiert‘ und ‚authentisch‘, ‚elitär‘ und ‚allgemein‘, ‚dominiert‘ und ‚subordiniert‘, gebildet wird und durch die populären Musikformen auf eine je spezifische Art und Weise organisiert ist“ (Middelton 1990, S. 7).
Er geht im Kern also von einer sozial-relationalen Fassung des Musikbegriffs aus, den er zudem im Plural denkt, denn die mit den genannten Begriffspaaren angedeuteten Polaritäten sind sozial entfaltet und historisch im Fluss. Für ihn sind die populären Musikformen jener in den Umrissen fließende Ausschnitt des musikhistorischen Feldes, in denen grundlegende soziale Widerspruchsverhältnisse vermittelnd organisiert werden. Leider ist er in seiner umfänglichen Studie die Antwort darauf schuldig geblieben, wie diese Vermittlung musikalisch denn nun eigentlich realisiert wird. Das von ihm in Anlehnung an Gramsci entwickelte Artikulationsmodell lässt in dieser Hinsicht mehr Fragen offen als es beantwortet. Dennoch steckt in Middletons Konzept ein überaus fruchtbarer
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Ansatz, der gar nicht nachdrücklich genug hervorgehoben werden kann – nämlich die konsequente Historisierung des Problems. Statt die Kategorie populäre Musik voraussetzungslos als Gegebenheit hinzunehmen und die dabei auftretenden Widersprüche dann in der Regel ebenso umständlich wie abstrakt wegzudefinieren, ist hier vielmehr danach gefragt, wie, auf welche Weise und warum Gesellschaften eine solche musikalische Kategorie eigentlich hervorbringen. Sie ist nicht als Ausgangspunkt sondern als Resultat sowohl des historischen wie des Forschungsprozesses genommen. In der Tat erweist sich eine Herangehensweise, die, statt davon auszugehen, dass es so etwas wie populäre Musik als festen Gattungs- und Genrezusammenhang gibt und man diesen nur richtig definieren müsse, vielmehr danach fragt, wie diese Kategorie gesellschaftlich jeweils produziert ist, als wesentlich aussichtsreicher. Nimmt man die Charts beispielsweise, die wöchentlich von der Industrie nach bestimmten Gesichtspunkten zusammengestellten Ranglisten von Tonträgerverkäufen, nicht in ihrer von der Industrie vorgegebenen Funktion als vermeintliches Instrument zur Messung von Popularität und damit als aktuelles Abbild der Genres und Gattungen der populären Musik, sondern vielmehr als den wesentlichen Mechanismus, die Kategorie populäre Musik und die sie begleitenden Subkategorien überhaupt erst zu produzieren, eine Vereinbarung darüber herzustellen bzw. durchzusetzen, was als ‚populäre Musik‘, ‚Popmusik‘, ‚Rockmusik‘ usw. gelten soll, dann werden auch die Widersprüche hierbei als solche in der Sache fassbar. Es ist nämlich völlig aussichtslos, nach widerspruchsfreien Kriterien für die entsprechenden Absteckungen und Markierungen auf Middletons „musikhistorischem Feld“ zu suchen, weil die mit dem Instrument der Charts und über die Institution Markt von den Hauptakteuren dieses Prozesses – der Industrie, den Musikern und den Konsumenten – im Gegeneinander ihrer Vorstellungen immer wieder neu ausgehandelten Kategorien alles andere als widerspruchsfrei sind. Der Industrie ist es gelungen, durch ihr faktisches Übergewicht eine Bindung der populären Musik an den Tonträger herbeizuführen 8 , der Musiker ist dafür nur in einer Funktion als Dienstleistender an der Tonträgerproduktion, der Rezipient nur als Tonträgerkonsument genommen. Der Tonträgerkonsument ist dies aber nur, insofern er Musikrezipient ist. Für ihn ist der Erwerb des Tonträgers ebenso Mittel zum Zweck wie für die Industrie dessen Produktion, nur dass sich beide Zwecke diametral 8
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Die zur Zeit zu beobachtende Hysterie um File-Sharing und P2P-Netzwerke im Internet hat damit zu tun, dass diese Bindung gerade im Prozess der Auflösung sich befindet und dabei mehr auf dem Spiel steht als ein bloßes Marketing-Problem und seine Lösung.
Pop(Musik)Geschichte(n). Geschichte als Pop – Pop als Geschichte
entgegenstehen. Und auch der Musiker agiert in diesem Zusammenhang als Subjekt seiner Kreativität mit Interessen, die wiederum von denjenigen der beiden anderen Akteure deutlich unterschieden sind. Und damit sind nicht mehr als die Eckpunkte eines komplexen Prozesses benannt, in dem Techniker, Software-Designer und Produzenten eine nicht minder große Rolle spielen. Das Resultat ihres Zusammenwirkens kann weder widerspruchsfrei sein noch ist es primär ein musikalisches. Dieses Resultat ist vielmehr primär ideologischer Natur, nämlich der Konsens darüber, was Musik jeweils ist – erst das macht den Musikprozess in einer bestimmten Form möglich. Die Strukturen, in denen sich dieser Prozess innerhalb der Institutionen Markt und Medien vollzieht sind überaus komplex, gebrochen durch Traditionen, interne Normierungen wie etwa professionelle Standards und Entscheidungshierarchien. Dieser Prozess ist ferner in sozial produzierte kulturelle und subkulturelle Zusammenhänge eingebunden, die ihrerseits den Reproduktionsnotwendigkeiten der sie hervorbringenden Gesellschaften folgen. Darauf genauer einzugehen verbietet der Rahmen. Doch auch so sollte deutlich sein, dass populäre Musik, eingeschlossen alle ihre Subkategorien, damit eine funktionale, im Wesen ideologische Kategorie ist, die musikalisch auf ebenso unterschiedliche wie widerspruchsvolle Weise ausgefüllt wird. Für das Funktionieren von Märkten und Medien, für die Organisation von Musik in den Formen eines industriellen Massenprozesses freilich spielt sie eine essentielle operationale Rolle. Wenn dem so ist, dann muss es zu einem vergeblichen Unterfangen werden, hierfür nun einen musikalischen Gegenstandsbereich definitorisch fixieren zu wollen, der sich als distinkte Form musikalischer Praxis fassen oder gar theoretisch verselbständigen ließe, um ihn so auf seine Historizität befragen zu können. Dass die Popmusikforschung bislang recht ahistorisch geblieben ist, mit einem Geschichtsverständnis operiert, das kaum über die letzten fünfunddreißig/vierzig Jahre hinausreicht, hat wesentlich damit zu tun. Genre- oder gattungsgeschichtliche Entwicklungszusammenhänge lassen sich hier weder rekonstruieren noch konstruieren. Mit anderen Worten: Statt von populärer Musik als einer definitorisch fassbaren Kategorie auszugehen und sie als einen gesonderten Gegenstandsbereich der Musikforschung zu definieren, hätte danach Musikgeschichtsschreibung hier ihren Gegenstand vielmehr in jenem sozialen und kulturellen Prozess, in dem diese Kategorie als ein historisches Konstrukt überhaupt erst produziert wird. Dass das für die theoretische Konzipierung des Forschungsprozesses weitreichende Folgen hat, liegt auf der Hand. Den sozialen und kulturellen Produktions- oder besser Konstruktionsprozess der Kategorie „populäre Musik“, eingeschlossen ihre Unterkategorien „Rockmusik“, „Pop-
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musik“ usw. zu verfolgen, statt darin musikalische Genre- und Gattungsbezeichnungen zu sehen, zwingt den Blick auf die Strukturverhältnisse des Musikmarktes, der Medien, der kulturellen Zusammenhänge, in denen sich die Prozesse des Marktes vermitteln. Das Musikalische wäre dann als eine je konkrete Vermittlung, als die in Klang geronnene Organisationsform der Widersprüche in diesen Strukturverhältnissen zu sehen. Auch Shepherd kommt in seiner Arbeit Music as Social Text von einem ganz anderen Ausgangspunkt zu durchaus ähnlichen Konsequenzen. Vor allem die feministischen Theorieansätze, die in Anlehnung an Michel Foucault und die poststrukturalistische Schule um Julia Kristeva sowie die psychoanalytische Arbeiten Jacques Lacans mit großem Nachdruck die Funktion der Popmusik in den sozialen Reproduktionsmustern geschlechtsspezifischer Verhaltensweisen und -normen auf die Tagesordnung gesetzt haben (vgl. Shepherd/Wicke 1997, S. 56 ff.), sind von Shepherd auf ihre Konsequenzen für den Musikbegriff hinterfragt worden. Die damit anvisierte diskursive Konstitution von Realität und Realitätserfahrung – Diskurse positionieren die Individuen vermittels der sozial sehr ungleich verteilten Macht zur Definition und strukturieren auf diese Weise nicht nur Realitätserfahrung, sondern produzieren somit auch soziale Realität, weil die Individuen aus den diskursiv gesetzten Positionen heraus agieren – dieser im Kern von Foucault entwickelte Gedanke erhält bei Shepherd einen in jeder Hinsicht zentralen Stellenwert. Nach ihm sind nämlich auch Musikbegriffe – und dies bezieht er keineswegs allein auf die Popmusik – diskursiv konstituiert und keinesfalls nur neutrale Label, die einer immer schon existierenden Praxis nachträglich angeheftet werden. Die Macht zur Definition, auch dessen, was Musik ist, was populäre Musik, was Kunst, was Unterhaltung, was Authentizität usw. ist, ist eine faktische, die das, was sie vermeintlich bloß abbildet, in Wirklichkeit strukturiert und konstituiert. Statt blind mit Begriffen an einer vermeintlich immer schon – nämlich begriffslos – existierenden musikalischen Praxis herumzuoperieren, hätte die Musikforschung vielmehr die diskursive Konstruktion musikalischer Begrifflichkeit und deren positionierende, strukturierende und konstituierende Funktion aufzudecken (vgl. Wicke 1997b). 9 Shepherd hat ein überaus treffendes Beispiel für diese diskursive Konstruktion musikalischer Begriffe geliefert, das er modellhaft analysiert. Nicht zuletzt über die feministischen Theorieansätze ist die Tatsache inzwischen längst zu Bewusstsein gelangt, dass die Kategorie popu9
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Das gilt übrigens auch für die strukturelle Machtverteilung zur Definition innerhalb der akademischen Hierarchien von Musikwissenschaft selbst – doch das nur am Rande.
Pop(Musik)Geschichte(n). Geschichte als Pop – Pop als Geschichte
läre Musik nahezu ausschließlich, auf jeden Fall aber dominant durch Männer, durch einen männlichen Diskurs konstituiert ist. Die strukturelle Machtposition, die Männer als de facto ausschließliche Musikproduzenten, in ausnahmslos allen Spitzenpositionen des Industriemanagements, als Musiker und als der quantitativ weit überwiegende Teil der Tonträgerkonsumenten sowie in der Regel auch des Live-Publikums einnehmen, gibt ihnen nicht nur die Möglichkeit zu definieren, was populäre Musik jeweils ist, sondern sie definieren damit auch zugleich die Position von Frauen in dieser Musik. Die Folge dessen ist nun keineswegs etwa nur, dass Frauen in der Popmusik üblicherweise auf die Rolle der Sängerin beschränkt sind, sondern anhand der Analyse einiger für die Popmusik typischer Stimmklangbilder und der damit verbundenen Soundformen weist Shepherd nach, dass diese diskursive Struktur in der klanglichen Organisation des Musikalischen eine unmittelbare Entsprechung findet. Die überaus ungleichgewichtige diskursive Positionierung von Frauen und Männern in der Popmusik reproduziert sich auf der klanglichen Ebene in Form der in dieser Musikpraxis tolerierten weiblichen Stimmklangbilder, ihrer Tonlagen und dazugehörigen Soundkonzepte – ganz unabhängig von jeder musikalischen Stilistik – durch einen in Klang umgesetzten kulturellen Kode von Weiblichkeit. Der – überwiegend männliche – Hörer wird durch die klanglichen Signale einer enthemmten Sinnlichkeit entweder in die Rolle des Voyeurs gesetzt (die Frau als Lust- und Sexobjekt des Mannes) oder aber, durch ausgeglichene Klangbilder und dunkle Mittellagen, in einen Entspannungszustand versetzt (die Frau als Mutter und entspannende Häuslichkeit herstellende Gattin). 10 Gleiches nur in umgekehrter Richtung ließe sich ähnlich offenkundig an dem in der zeitgenössischen Popmusik nahezu immer mit den Insignien von Macht, Gewalt und harter Arbeit versehenem Klangbild der ebenso ausnahmslos von männlichen Musikern gespielten elektrisch verstärkten Gitarre festmachen (vgl. Wicke 2004). Die damit angedeutete musikalisch organisierte Positionierung des Subjekts in der sozialen Wirklichkeit, zielt auf die Kehrseite des oben skizzierten Zusammenhangs. Nicht nur ist – statt von den populären Musikformen als einer Gegebenheit auszugehen – danach zu fragen, auf welche Weise diese Kategorie sozial produziert ist. Es gilt vielmehr auch umgekehrt danach zu fragen, wie sie, sobald vorhanden, das Musikalische konstituiert und über dessen diskursive Strukturierung die soziale Realität, in der diese Prozesse stattfinden, zumindest mitproduziert, auf jeden Fall aber reproduziert.
10 Für eine weitergehende, ausführliche und detaillierte Analyse dieses Zusammenhangs vgl. Giles/Shepherd 1988 sowie Shepherd 1987. 71
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Sowohl Shepherd wie Middleton haben darauf verzichtet, den letzten Schritt in dieser Argumentationskette zu gehen und die Eigentümlichkeit des Musikalischen in solchen Zusammenhängen genauer zu qualifizieren, nämlich als ein Medium, in dem die angedeuteten Prozesse organisiert sind und ablaufen. Musik als in Klang entfaltetes Medium sozialer und kulturelle Prozesse (vgl. Wicke 1990, Wicke/Shepherd 1997) und damit nicht nur Produkt, sondern zugleich Agens des historischen Wandels – so ließe sich das Credo eines musikhistorischen Ansatzes beschreiben, der über die bloße Legitimation der eigenen ästhetischen Position hinausgeht, ohne deshalb in der Beliebigkeit eines grenzenlosen Relativismus zu versinken. So gesehen, fände Musikgeschichte ihren Gegenstand dann freilich weder an dem einen noch an dem anderen Pol des „musikhistorischen Feldes“ – weder in „Pop“ noch in „Art“, weder in „U“ noch in „E“ und auch nicht in einem „Sowohl-als-Auch“. Sie wäre dann kein geringeres Unterfangen als eine musikalische Analyse der Gesellschaft in ihrer Geschichtlichkeit, oder – etwas weniger metaphorisch – eine historische Analyse der musikalisch vermittelten Reproduktionsmechanismen von Gesellschaften, ihrer sozialen und kulturellen Reproduktion im Medium der Musik. Dass diese Aufgabe noch einer Lösung harrt, dürfte wohl kaum bestreitbar sein.
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WHAT’S THE DIFFERENCE? 1 POPULÄRE MUSIK IM SYSTEM
DES
POP
DIETRICH HELMS
Die Diskussion um Möglichkeiten einer systemtheoretischen Beschreibung der populären Musik ist noch sehr jung. Einen Anfang machen einige kürzlich in der Zeitschrift Soziale Systeme (2004) erschienene Beiträge, die das Thema aus soziologischer Perspektive, ohne Beteiligung von Musikwissenschaftlern, diskutieren. Die Meinungen, ob Pop als ein eigenständiges, geschlossenes System im Sinne Niklas Luhmanns (1984) dargestellt werden könne, gehen weit auseinander. Beobachtungen des Alltags sprechen für diese Annahme: Pop und Kunst versuchen nach wie vor, sich voneinander abzugrenzen, auch wenn die Konflikte nur noch selten zutage treten. Die Grenzen sind weitgehend gezogen, in den Köpfen wie auch in den Institutionen: in Radioprogrammen, Handelskatalogen, GEMA-Gebührenordnungen, in den Curricula des Musikunterrichts, der Ausbildung von Musikern, ja sogar in der Musikwissenschaft selbst, wenn man den Titel dieses Buchs als Programm lesen darf. Allerdings geht es in der Systemtheorie weniger um die Zuordnung von Gegenständen wie Musikstücken zu Kategorien. Es geht – alltagssprachlich ausgedrückt – vielmehr um die Beschreibung von Regelsystemen in der Kommunikation, die das Verstehen ermöglichen. Ein Wort, eine Geste, ein Ton können tausenderlei bedeuten. Systeme schränken diese chaotische Vielfalt ein. Sie grenzen manche Bedeutungen vollständig aus – d.h. sie verdrängen sie aus dem System und schreiben sie seiner Umwelt zu – und weisen anderen größere oder geringere Wahrscheinlichkeit zu. Sie ermöglichen, dass Handlungen überhaupt als Kommunikation erkannt werden können, dass sie Sinn machen, und sie stellen gleichzeitig eine ebenfalls beschränkte Anzahl an möglichen Anschlusshandlungen an die Mitteilung bereit, so dass ein Gegenüber wiederum eine Reaktion als Kommunikation mit einem bestimmten Sinn verstehen kann. Diese Re1
Ein Titel von Dr. Dre featuring Eminem und Xzibit auf der CD 2001, 1999. (Interscope 490 486-2). 75
Dietrich Helms
gelsysteme – so die These Luhmanns – werden jedoch nicht von Menschen festgelegt; Kommunikation entsteht immer nur aus sich selbst heraus: Soziale Systeme sind „autopoietisch“. Auch wenn ein Definitionsmächtiger eine neue Wortbedeutung durchzusetzen versucht: Kommunikation ändert sich nur durch Kommunikation. Zur Definition von Bedeutungen kann sich Kommunikation auch nicht auf Dinge in der „Realität“ beziehen: Vereinfacht gesagt: Musik durch den Verweis auf Musikstücke definieren zu wollen, bedeutete lediglich einen logisch unzulässigen Zirkelschluss: Man muss ja bereits vorher gewusst haben, dass es sich um Musik handelt, doch woher? Sicherlich nicht abgeleitet aus den Eigenschaften des beobachteten Gegenstands, sondern allein durch Kommunikation. Das Problem des Zirkelschlusses der alten Bedeutungstheorien löst Luhmann in der Annahme geschlossener Systeme einer sich selbst erzeugenden, selbst erhaltenden und selbstbezüglichen Kommunikation auf. Doch ist Pop ein solches eigenständiges, in sich geschlossenes und sich aus sich selbst heraus reproduzierendes Regelsystem vergleichbar mit den großen, ausführlich beschriebenen Systemen Wirtschaft, Wissenschaft, Religion und der Gesellschaft als System aller sozialen Systeme, oder ist Pop nur ein Teil des Systems Kunst im Sinne Luhmanns (1999), wie viele Soziologen vermuten (vgl. Hahn/Werber 2004, Hutter 2004, Schumacher 2004, Stäheli 2004)? Ich gehe in diesem Aufsatz von der These aus, dass Pop tatsächlich als eigenes System operiert.
Individuation/Proliferation An die Stelle der materialen Letztelemente im dingontologischen Denken tritt bei Luhmann als letztmögliche Reduktion von Komplexität und als der entscheidende Unterschied, der die Identität des Systems ausmacht, eine Differenz, die der Beobachter in das Zentrum des Prozessierens des Systems stellt (Luhmann 1984, S. 19). Es geht hier also nicht um die Substanz, die die populäre Musik in ihrem Innersten zusammenhält, um die typischen Schemata des musikalischen „Materials“, die im dingontologischen Denken eine ähnliche Funktion der Reduktion von Komplexität haben, sondern um die Differenz, durch deren Prozessieren sich ein mögliches Kommunikationssystem von seiner Umwelt abgrenzt. An anderer Stelle habe ich als Differenz für ein System Pop die Differenz von Individuation und Proliferation vorgeschlagen. 2 Ich möchte diesen Vor2
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In meinem Vortrag „‚We’re Only In It For The Money‘. Populäre Musik, Jugendlichkeit und das Geld aus systemtheoretischer Perspektive“ auf dem XIII. internationalen Kongress der Gesellschaft für Musikforschung, Weimar, 16. bis 21. September 2004 (Kongressbericht im Druck).
What´s the Difference? Populäre Musik im System des Pop
schlag hier noch einmal aufgreifen und weiterentwickeln. Der Begriff der Individuation steht für den Prozess der Vereinzelung eines Phänomens bzw. für die Darstellung und Herausstellung einer Identität in und durch Kommunikation. Der Begriff der Proliferation beschreibt zutreffend den Sachverhalt einer eigendynamisch zunehmenden Verbreitung von Kommunikation. Bereits die ersten Forschungen zur populären Musik bzw. zur damals noch so genannten Unterhaltungsmusik weisen in die Richtung dieser möglichen Leitdifferenz. So schreibt Adorno in den zwischen 1934 und 1940 entstandenen Musikalischen Warenanalysen von der „Idiotie des speziell für Einen hergestellten Massenproduktes“ (Adorno 1997, S. 290). Sønstevold und Blaukopf (1968) verwenden den Begriff der „Musik der einsamen Masse“ sogar als Buchtitel. Um Einwänden gleich am Anfang vorzubeugen: Selbstverständlich gilt die Differenz von Individuation und Proliferation auch für andere, ähnliche Phänomene: den Film zum Beispiel oder ganz besonders die Mode. Ein entscheidendes Problem bisheriger Versuche, populäre Musik systemtheoretisch zu beschreiben, lag in der Beschränkung des Blickwinkels eben auf „Musik“. Ich gehe davon aus, dass Musik zwar als symbolische Generalisierung für eine Vielzahl überwiegend akustischer Medien, z.B. die Verstehensmedien Ton, Sound (vgl. Helms 2003) und Tanz, beschrieben werden kann. Wer populäre Musik als eigenständiges System beschreiben will, muss auch sagen können, wie sich Musik allgemein als dann gegebenenfalls übergeordnetes System ausdifferenziert. Wie auch dingontologische, analytische Definitionsversuche an der Vielfalt der Musik gescheitert sind, muss das Vorkommen von „Musik“ in so vielen Systemen der Gesellschaft jedem Versuch ihrer Reduzierung auf eine Differenz widerstehen. Manche Beiträge zu einer systemtheoretischen Beschreibung des Pop können sich – eben durch die falsche Fragestellung nach einem System „populäre Musik“ – nur schwer von ihrer Fixierung auf Musikstücke lösen. Es geht nicht um das Stück und seine Beschaffenheit, oder um eine Menge von Stücken mit einem gemeinsamen Nenner, sondern um die Kommunikation, die z.B. einen Titel als „populär“ beansprucht – wobei es andere Kommunikationssysteme gibt, in denen der gleiche Titel 3 zu „Kunst“ werden kann. Popsongs taugen nicht als empirische Basis für die systemtheoretische Beschreibung des Systems. Nein: Pop ist das System, Musik ein mögliches Medium. Eben deshalb lassen sich im System Pop auch Musik, Mode und verschiedene Bildmedien so weit miteinander verschmelzen, dass bereits Rauhe (1972, 1974) bei seiner Suche nach dem Material der populären Musik feststel3
Der eben deshalb nicht derselbe ist, sondern nur dieselben Zeichen als symbolische Generalisierung (sprich die Worte des Titels) verwendet, die jedoch ganz andere Gegenstände generalisieren. 77
Dietrich Helms
len musste, dass nicht nur Musik, sondern auch u.a. Bilder und Kleidung („Lancierung“, „Verpackung“) dazugerechnet werden müssten. Wenn ich in der Folge vorwiegend Beispiele aus den Teilbereichen des Systems wähle, in denen Kommunikation mithilfe von musikalischen Medien zustande kommt und statt zwischen Filmemachern und Zuschauern oder Modemachern und Modekäufern vor allem Mitteilungen zwischen Musikern und Hörern beschreibe, liegt das im eigenen, aber auch im Interesse dieses Buches begründet. In der Geschichte der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Phänomen Pop hat es seit den Anfängen der Popularphilosophie in der Aufklärung zwei Gegenpole gegeben: die einen schrieben – meist despektierlich – über die „Vermassung“ kultureller Phänomene und meinten damit ein Herabziehen hochkultureller Gegenstände in den Sumpf der niederen Schichten und später auch und meist neutraler einen Verlust von Distinktionspotential durch die Aneignungsversuche von Prätendenten auf sozial begehrte Positionen. Die anderen, Theoretiker von Subkultur, Dissidenz oder Subversion, sahen in der populären Kultur vor allem das Distinktionspotential für soziale Gruppen, die zuvor zumeist durch Ausgrenzung anderer existierten und hierdurch Möglichkeiten des eigenen Aufbaus einer Identität erhielten. Es hat sich kein Lager im wissenschaftlichen Diskurs endgültig durchsetzen können. Ich behaupte, weil nur beides zusammen Pop vollständig beschreiben kann: Abgrenzung und Vereinnahmung, Vereinzelung und Vermassung, Anpassung und Protest, Individuation und Proliferation. Nur durch diese Differenz erhält Pop seine Dynamik, bzw. theoriekonformer: seine Temporalität, die ihn zu einem selbstreferenziellen und autopoietischen System macht. Die Verbreitung gefährdet immer wieder die Mitteilung von Individualität durch ihre Vermassung – ein Song, in den der Musiker vorgeblich viel von seinem Denken und Fühlen einfließen lässt, wird millionenfach reproduziert, die dargestellte Individualität ubiquitär, das Stück millionenfach von Hörern mit Bedeutungen gefüllt, der Sound tausendfach von Musikern kopiert, so dass die Individualität sowohl für den Musiker als auch für den Hörer als Beobachter in der Vielheit und Vielfalt verschwindet, was zwangsläufig zu ständig neuen Bemühungen um Individuation führen muss, denn nur individualisierende und individualisierte Mitteilungen haben in diesem System eine Chance auf Verbreitung, mangelnde Individualität gefährdet ihre Wahrnehmbarkeit. Das System Pop emergierte in den 1950er Jahren. Auslöser war nicht die Einspielung von „Rock around the Clock“ durch Bill Haley and the Comets, sondern eine Suche nach neuen Differenzierungen in vielen Systemen der Gesellschaft nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, die u.a. die Neudefinition von Jugendlichkeit nicht mehr als Lebensalter sondern
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What´s the Difference? Populäre Musik im System des Pop
als Zeit für das Spiel mit Identität bewirkte. 4 Entscheidend für die Emergenz war aber auch die Entwicklung von Massenmedien, die eine massenhafte Verbreitung individualisierter Kommunikation ermöglichen: Zunächst die Schallaufzeichnung, die die Kunst des Komponisten hinter der Darstellung der Fähigkeiten des Interpreten und seines Körpers (besonders im Gesang) verblassen ließ; dann der Film, der aus der Verkörperung einer Rolle durch einen Schauspieler die Darstellung des Körpers des Schauspielers durch die Verkörperung einer Rolle machte und schließlich, in den 1950er Jahren, die zunehmende Verwendung des Tonbandgeräts für die Musikproduktion, das durch die Möglichkeit der Nachbearbeitung, des Schneidens und Überspielens endgültig die auf Schallplatte verbreitete Interpretation zu einem Original werden ließ, indem es sie zu einem einmaligen, nicht wiederholbaren Konstruktionsprozess mit beliebiger Wiederholbarkeit des fertigen Konstrukts machte. Erst diese Verbreitungsmedien ermöglichten die endgültige Schließung des Systems Pop durch das ständige Prozessieren von Individuation und Proliferation. Das System hat durch die vielen beteiligten Verstehensmedien – sprachliche Medien, musikalische Medien, Bildmedien – ein enormes Potential an Komplexität, so dass sich trotz millionenfach produzierter Identitäten Individuation und Proliferation nach wie vor nicht ausschließen – und das, obwohl einmal produzierte Identitäten durch die „speichernde“ Funktion der Verbreitungsmedien im System ständig präsent bleiben. Die Schließung des Systems Pop und sein selbstreferentielles Operieren zeigt sich unter anderem daran, dass die Identitäten inzwischen weitgehend aus Zitaten von Teilen älterer, bekannter Identitäten des Pop zusammengesetzt werden. Ein HipHop-Track definiert sich vor allem durch die (wieder-)verwendeten Samples. Das prototypische Instrument des Systems Pop ist ein Zwischenspeicher und Abspielgerät für gebrauchte Identitäten: der Sampler, der das Ausschneiden charakteristischer „sound bites“ (Beadle 1993, S. 190) als Rückverweis und gleichzeitige Rekontextualisierung perfektioniert. Anders als das Sprechen über das Medium Ton, das mit Tonbuchstaben und Akkordbezeichnungen Informationen für Interpreten liefert, ist das Sprechen über das Medium Sound in der Kommunikation zwischen Musikern und/oder Hörern ein ständiges Zitieren der Vergangenheit: Musiker wie Hörer orientieren sich untereinander durch Verweise auf bekannte Songs („Spiel Dein Solo doch ’mal mit einem Hendrix-Sound“, „Die neue Platte klingt ein wenig nach Oasis“). Identitäten, deren Proliferation zusammengebrochen ist, werden so immer wieder in das System zurückgeführt (re-entry), um In4
Vgl. Fußnote 2. 79
Dietrich Helms
dividuation zu bewirken und wiederum in den Prozess der Proliferation zu geraten. Provokation spielt im Pop eine große Rolle. Fuchs/Heidingsfelder (2004, S. 304-312) sehen darin sogar ein mögliches konstitutives Element ihres Vorentwurfs eines Systems der populären Musik. Dagegen argumentiert Stäheli (2004), dass Provokation ebenfalls im System Kunst vorkomme und kein Argument für die Existenz eines Systems der populären Musik sei. In der Tat ist Provokation lediglich eine riskante Strategie, Kommunikation, die unwahrscheinlich zu werden droht, gerade durch die Auswahl unwahrscheinlicher Anschlusshandlungen wieder wahrscheinlicher zu machen, so dass das System sich neu differenzieren kann. In einem eventuellen System Familie könnte das z.B. bedeuten, die schwierige Kommunikation zwischen Eltern und jugendlichen Kindern durch Provokation so weit zu treiben, dass Kommunikation zumindest über die Schwierigkeiten der Kommunikation verstärkt möglich wird, um das System neu zu definieren, die Rollen von Eltern und Kindern neu zu fassen. Es ist anzunehmen, dass Provokation in allen sozialen Systemen vorkommen kann. Eine Eigenart eines Systems ist hiervon nicht abzuleiten. Da sich jedes System durch eine andere Differenz von der Umwelt abgrenzt, funktioniert Provokation auch in jedem System anders. Die Provokation im System Kunst entspringt dem Versuch des Künstlers, dem Publikum durch versuchsweise Erweiterung der Anschlussmöglichkeiten des Systems die für das System zentrale Reflektion über die Unterscheidung von Medium und Form aufzuzwingen, oder in Alltagssprache: das Publikum zur Auseinandersetzung mit der Machart des Kunstwerks (auch des musikalischen Kunstwerks) zu bewegen. Provokation im Pop dagegen verweist niemals auf die Machart des Beitrags, sondern auf die Individualität des Beitragenden. Es schockiert nicht die Komposition, sondern die Interpretation, nicht die Form, sondern die Individuation: das Aufschreien der Gitarre, das typisch ist für den Gitarrenstil eines Jimi Hendrix, die unnachahmliche „boogification“ (Middleton 1990, S. 1821) im Gesang eines Elvis, die nackte Brust einer Janet Jackson, die religiösen Anspielungen in der Show einer Madonna. Die Musik vieler Tanzkapellen belegt: Popsongs als Kompositionen lassen sich von einer anderen Band so nachspielen, dass sie, der Individualität des Musikers beraubt, nicht mehr provozieren. Bei Kompositionen der Neuen Musik wird dieses Experiment nicht gelingen. Die Provokation im System Pop ist eine Konsequenz aus der immer problematischer werdenden Individuation angesichts der ständigen Proliferation. Sie ist der extreme Versuch der Produktion einer Identität angesichts massenhaft verfügbarer IchKommunikationen und daher typisch für das Funktionieren des Systems,
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What´s the Difference? Populäre Musik im System des Pop
allerdings nicht unabdingbar und auch deshalb nicht schlüssig als konstituierendes Element heranzuziehen.
Die Auflösung des Paradoxons in der Zeit Die Ausbildung einer Identität bei möglichst weiter Verbreitung macht Kommunikation problematisch. Individualität wird in Kommunikation vor allem durch die systematische Auswahl möglicher, aber unerwarteter oder wenig wahrscheinlicher Anschlusshandlungen erzeugt – in der Sprache wäre das z.B. die Auswahl dialektal gefärbter Worte, im Sound z.B. die Wahl einer auffällig devianten Singstimme („Der kann doch gar nicht singen!“). Individuation in der Kommunikation gefährdet eben durch ihre „Eigensinnigkeit“ das Verstehen und riskiert damit den Abbruch der Kommunikation. Dieses Problem wird durch die Verbreitung noch einmal geschärft (Luhmann 1984, S. 218-219), denn je weiter eine Mitteilung durch Raum und Zeit transportiert wird, desto universeller muss sie eigentlich formuliert sein, um im Sinne des „Absenders“ verstanden zu werden. Individuation und Proliferation sollten sich daher eigentlich gegenseitig ausschließen. Dass trotz dieses scheinbaren Paradoxons Kommunikation möglich ist, wird durch verschiedene Faktoren garantiert. Multimedialität
In einer Kommunikation, die einkanalig geführt wird, d.h. mithilfe nur eines Verstehensmediums, kann eine Anreicherung mit Zeichen, durch die das kommunizierende Gegenüber auf sich selbst verweist, das Verstehen gefährden. Doch Pop ist multimedial. Die individuierenden Zeichen können über ein Medium – z.B. über die Kleidung, die Frisur, den Tanzstil, die Komposition in Tönen, den Text oder den Sound – vermittelt werden, während für alle anderen Medien konventionelle, d.h. sehr wahrscheinliche Anschlüsse gewählt werden, die aufgrund ihrer fast banalen Selbstverständlichkeit wiederum Anschlussfähigkeit sichern. In den Songs Bob Dylans z.B. bewirkt außer den Texten vor allem die Singstimme die Individuation, während die kompositorische Struktur alles andere als auffällig ist. Auch wenn man der Meinung ist, Bob Dylan könne nicht singen, kann man dennoch seine Songs mögen und sie sich „zu eigen“ machen. Individuation im Pop findet vielfach mit Hilfe nichtmusikalischer Medien statt. Von den musikalischen Medien ist es nicht das Medium Ton (die so genannten Primärkomponenten Melodik, Harmonik, Rhyth81
Dietrich Helms
mik), das für die Bildung einer Identität verwendet wird. Ein einmal vorgegebener Rhythmus wird selten ernsthaft und irritierend gestört, Melodik und Harmonik sind selten auffällig. Dissonanzen oder rhythmische Unregelmäßigkeiten lenken die Aufmerksamkeit auf das Stück selbst, auf seine Faktur im Medium Ton, fordern „kunstgemäßes“ Hören, eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob die Dissonanz absichtlicher oder unabsichtlicher Regelverstoß ist, und stören so den Unterhaltungswert. Sound dagegen weist von der musikalischen Faktur weg, ist beobachtbares Machen statt Werk, und lenkt die Aufmerksamkeit auf die Identität des Musikers. Sound definiere ich als das Medium, dessen Form die Differenzierung des Musikers bzw. Interpreten (und nicht des Komponisten) bewirkt (vgl. ausführlicher hierzu Helms 2003). Ermöglicht wird dies durch die Form des Verbreitungsmediums Schallaufzeichnung, das eng an die Ausbildung des Verstehensmediums Sound gekoppelt ist. Im Gegensatz zu dem alten Verbreitungsmedium der Musik, der Notenschrift, braucht die Schallaufzeichnung keinen Übersetzungsvorgang (sprich keine Interpretation) durch eine menschliche Mittlerinstanz (den Interpreten). Die Mittlerfunktion wird durch Maschinen übernommen, deren Zeichensysteme für Menschen sinnlos sind und die daher im Verstehensprozess ausgeblendet werden. Es entsteht der Schein einer unmittelbaren face-to-face Kommunikation. Man meint, im Video oder auf der CD die Handlungen des Musikers, das Musizieren, direkt beobachten zu können. Die Konstruktionsprozesse des Songs im Studio und die digitale Übermittlung werden in der Wahrnehmung des psychischen wie auch im Verstehen des sozialen Systems genauso vollständig ausgeblendet, wie die Identitäten der eigentlichen Urheber des Songs: der Komponisten, (Studio-)Musiker, Textdichter, Produzenten, Tontechniker, Drehbuchautoren des Videos, Regisseure... 5 Verweise auf die letztgenannten führen tatsächlich zu Irritationen und zu Ablösungen aus dem System Pop. 6 Die Individuation im System Pop stört die Kommunikation nicht, weil sie auf den Musiker bezogen ist, nicht auf die Mitteilung, den Song. 7
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Was hier und in der Folge als „Musiker“ bezeichnet wird, muss als Generalisierung für ein großes Team von Personen verstanden werden, die an der Produktion beteiligt sind. Zu beobachten z.B. im Fall der Videos von „künstlerischen“ Regisseuren wie Chris Cunningham oder Spike Jonze, die auch vom Kunstsystem vereinnahmt werden. Das hier Dargestellte sollte die Frage von Fuchs/Heidingsfelder (2004, S. 303) klären, warum „Informationsverschmierungen“ wie z.B. das „Yeah Yeah Yeah“ der Beatles kommunikativ so erfolgreich sind. Sie verweisen nicht auf den Sinn des Textes, sind jedoch auch nicht weitgehend selbstreferentiell, sondern verweisen vielmehr auf die Identität des Musikers. „Ye-
What´s the Difference? Populäre Musik im System des Pop
Verstehenstoleranz
Dass die scheinbare Paradoxie von Individuation und Proliferation nicht zu einem Zusammenbruch des Systems führt, liegt auch an der eingebauten Verstehenstoleranz im Prozessieren des Systems, die durch seine mediale Struktur gewährleistet wird. Hier wird seine ungeheure, durch die Multimedialität bedingte Komplexität aufgefangen und reduziert. Ich habe das System bisher überwiegend aus der Perspektive eines Beobachters beschrieben, dem vom System die Rolle des Hörers/Zuschauers zugewiesen wird, der die Mitteilungen eines Gegenübers in der Rolle des Musikers beobachtet. Da Kommunikation jedoch erst durch reziproke Prozesse entsteht, d.h. keine Einbahnstraße, sondern ein ständig wechselseitiges Reagieren auf Handlungen des jeweiligen Gegenübers ist, muss zur Vervollständigung der funktionalen Beschreibung des Systems die Perspektive gewechselt werden. Während für den Hörer eine multimedial übermittelte Flut von Informationen zu beobachten ist, sind die Möglichkeiten des Musikers, die Reaktionen seiner Hörer auf seine Mitteilungen zu beobachten, extrem eingeschränkt. Produziert er prototypisch lediglich CDs und Videos, bekommt er sein Publikum niemals zu Gesicht. Gibt er auch Konzerte, kann er immerhin eine mehr oder weniger große, mehr oder weniger bewegte Masse Mensch wahrnehmen. Beantwortet er seine massenhaft anfallende Fanpost nicht persönlich und ausführlich, hat er keine Möglichkeit, die Individualitäten seiner Gegenüber in der Kommunikation wahrzunehmen – ganz im Gegenteil zum Hörer, der den Musiker, wie oben dargestellt, in virtueller face-to-face Kommunikation erlebt. Dieses Ungleichgewicht in der Kommunikation ist unbedingt notwendig für die Existenz des Systems, hier entsteht seine Verstehenstoleranz. Der Musiker, der nur im Studio arbeitet, kann das Verhalten seiner Hörer nur über symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien beobachten. Die Reaktionen der Hörer auf sein Kommunikationsangebot muss er seinem Bankkonto entnehmen, den Charts, Hitlisten und den Statistiken seines Airplay, den Einschaltquoten der Sendungen, in denen er auftritt, der Menge der Fanpost, die seine Agenten erhalten. Diese Medien (Geld, Zahlen/Statistiken) messen innerhalb des Systems jedoch nur eines: Wie viele Hörer wie oft und gegebenenfalls auch wie lange auf die Mitteilung, den Song, reagieren. Sie fassen Anschlusshandlungen in sehr großen Mengen und sehr global (Kaufen, Abstimmen, Einschalten…) zusammen, so dass das Verstehen der Hörer für den Musiker nur wahrnehmbar wird, wenn er die Proliferation seines Songs mit allen Mit-
ah Yeah Yeah“ war Markenzeichen der frühen Beatles, wie der tausendfach gesamplete, heisere Falsettschrei Markenzeichen James Browns ist. 83
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teln betreibt. 8 Das Verstehen im System Pop, das die Spirale der Kommunikation weiter dreht, ist lediglich an eine Bedingung gebunden: die Beobachtbarkeit von Aufmerksamkeit. Das bedeutet, dass letztlich jeder Hörer mit dem Song anfangen kann, was er will, so lange er die CD kauft, das Radio nicht abstellt, die Sendungen im Fernsehen anschaut, kurz: Aufmerksamkeit erkennbar und messbar macht. Der Musiker kann nur feststellen, dass er gehört wird, nicht jedoch warum. Es ist wichtig zu bemerken, dass der Musiker auf diese Art von indirekter Kommunikation – anders als in der face-to-face Situation eines Konzerts – keine Rückmeldung auf musikalische Details seiner Songs erhält, sondern immer nur auf die gesamte statistische Einheit. Er kann also nur spekulieren, warum eine bestimmte Mitteilung ein für ihn beobachtbares Anschlussverhalten erzeugt und eine andere nicht, welches Detail des Songs besonders gut angekommen ist. Auch aufgrund dieses „blinden Flecks“ des Systems, der unmöglichen Kommunikation mit und über musikalische Details, kann es im System Pop nicht um die musikalische Faktur, sondern nur um die Identität des Songs und des Musikers gehen. Natürlich kann man durch Lancierung im Rundfunk und durch massive Werbung versuchen, die Proliferation anzustoßen, d.h. man kann versuchen, den Prozess der Verbreitung anzuschieben, doch der Hit bleibt nicht programmierbar. Man versendet zwar Mitteilungen, die möglichst global verständliche Symbole enthalten, kann jedoch nie wissen, was den einzelnen an der Musik anspricht (da man ihn nicht beobachten kann). Und so kann man auch nie genau wissen, was tatsächlich den massenhaften Erfolg eines Stücks ausmacht – trotz aller Trendscouts und trotz aller Marktforschung. Legendär ist z.B. das Schicksal von Harry Enfields Song „Loadsamoney (Doin’ up the House), der 1987 die Top 10 in Großbritannien erreichte, weil gerade diejenigen, die der Song kritisieren sollte, die vermeintlich unkultivierten, geldgierigen Neureichen der Thatcher Ära, ihn zu ihrer Hymne machten (s. Beadle 1993, S. 120). Ähnlich war es bereits Geier Sturzflug mit ihrem Schlager „Bruttosozialprodukt“ gegangen, der 1983 unfreiwillig zum Begleitsong der von Helmut Kohl ausgerufenen „Wende“ wurde.
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Auch hier liegt ein gravierender Unterschied zum System Kunst. Kommunikation wird für den Künstler beobachtbar, wenn er ein Original ausstellt oder es einem Käufer übergibt, eine Auftragskomposition abliefert oder an der Uraufführung mitwirkt. Der Verkauf von Reproduktionen mag zum System Kunst hinzugerechnet werden, wie es Hutter (2004, S. 325) tut, ist jedoch nicht systemnotwendig. Im System Pop gibt es keine Originale, alle Mitteilungen sind Original und Reproduktion zugleich. Kommunikation ist erst dann beobachtbar, wenn Anschlusshandlungen durch ihre schiere Masse wahrnehmbar werden.
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Eine gesellschaftliche Institution, die das Manko der Beliebigkeit ausgleicht und Verstehen auf der Hörerseite wiederum vereinheitlicht, gibt es nicht – im Gegensatz zum System Kunst. Dieses hat zwar ähnliche Verstehensprobleme durch Verbreitungsmedien (vor allem im Bereich der Kunstmusik), diese werden jedoch durch Institutionen wie die Musik- oder Kunstwissenschaft, bzw. die Musik- und Kunstkritik aufgefangen. Eine hermeneutisch arbeitende „Popmusicology“ dagegen wird, so sie denn überhaupt versucht wird, im System Pop weder anerkannt noch wahrgenommen. Der Popmusikjournalismus ist zum großen Teil ein Personalityjournalismus, der als Individuationsmaschine der Musiker genutzt wird, statt zur Auseinandersetzung mit der Machart des Songs. 9 Selbstverständlich existieren auch Diskussionen über „Bedeutungen“ von Songs. Für das System Pop haben sie jedoch keine funktionale Bedeutung. Sie finden weitgehend in Systemen statt, die lediglich an das System Pop gekoppelt sind, z.B. im Kunstsystem, im Rechtssystem (bei der Bewertung von Verstößen gegen Paragraphen der Volksverhetzung oder der Pornographie) oder im System der Politik (beim Einsatz eines Songs als Wahlkampfhymne). Dadurch dass der Hörer lediglich Aufmerksamkeit erkennbar machen muss für die gesamte Dauer des Songs oder der CD, damit das System Pop weiterläuft, gewinnt das System Zeit für die Koppelung an andere Systeme: an psychische Systeme – der Hörer kann unbelastet von irgendwelchen Vorgaben dem Song seinen eigenen Sinn geben (als Auslöser und Hintergrund für Träume oder Erinnerungen) – oder auch an andere soziale Systeme – z.B. indem der Song als Medium einer Individuation z.B. innerhalb der Familie oder vor allem im Freundes- und Bekanntenkreis genutzt wird. Man stellt seine Individualität dar, indem man die neusten Platten kauft und bisher unbekannte Musiker entdeckt und dann für die Verbreitung des eigenen Geschmacks sorgt: indem man seine Musik möglichst laut spielt, oder auf Parties die Funktion des DJs übernimmt, indem man Mix-CDs zusammenstellt und seine Freunde am eigenen Geschmack teilhaben lässt. Die Funktionalisierung von Songs in anderen sozialen Systemen als Medium der Darstellung von Differenz und Individualität wirkt auch auf das System Pop zurück, indem es Hörer dazu veranlasst, vor allem den Mitteilungen von Musikern Aufmerksamkeit zuzuwenden, die „Distinktionsgewinne“ versprechen, weil sie sich selbst deutlich von anderen Musikern und anderen Songs unterscheiden. 9
Selbstverständlich besprechen Zeitschriften wie Rolling Stone oder Musikexpress einzelne Songs. Eine kritische Lektüre der Kritiken ergibt jedoch, dass sie sich in der Regel mit dem Sound auseinandersetzen, d.h. der Tatsache, dass eine Band oder ein Titel wie eine andere Band oder ein anderer Titel klingt. D.h. sie betreiben die Individuation des Musikers. 85
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Diese „Distinktionsversprechen“ wiederum befördern die Proliferation der Songs, wodurch sie nach einer bestimmten Zeit und einem bestimmten Verbreitungsgrad wiederum an Wert für die Individuation verlieren, so dass neue Sounds produziert werden müssen. Auch auf der Hörerseite löst sich das Paradoxon der Differenz von Individuation und Proliferation durch die Koppelung mit anderen Systemen in die typische Temporalität des Systems Pop auf. Symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien
Im System Pop überschneidet sich das Verstehen nach der systemtheoretischen Terminologie mit der Bedeutung von Erfolg (vgl. zum Begriff Luhmann 1984, S. 218): Der Musiker kann das Verstehen seiner Songs auf der Seite der Hörer nur beobachten, wenn diese eine Anschlusshandlung im Sinne des Musikers wählen: z.B. die CD kauften. Der Hörer hat in der Kommunikation mit dem Musiker nur die Wahl zwischen Zuhören oder Weghören, zwischen Annahme der Mitteilung oder vollständiger Verweigerung. Er hat keine Möglichkeit, die Mitteilung zu negieren, zu widersprechen oder unerwartete Anschlusshandlungen zu wählen. 10 Der Musiker, verdammt zum Erfolg, versucht mit aller Macht, sein Gegenüber zum Zuhören im weitesten Sinne zu bewegen. Er reichert seine Mitteilung daher stark mit symbolisch generalisierten Erfolgsmedien an, die den Hörer überzeugen sollen, die Kommunikation aufrecht zu erhalten. Sie sollen die Ich-Botschaften des Musikers, seine hervorgehobene Individualität, plausibilisieren und diese hochpersönliche Kommunikation akzeptabel machen. Die Mitteilung individueller Befindlichkeiten an Fremde führt in der Regel zum sofortigen Abbruch von Kommunikation. Was soll man auch der Supermarktkassiererin erwidern, die unvermittelt beginnt, ihre Lebensgeschichte zu erzählen? Man sucht sein Heil in einer verlegenen Flucht, beendet die Kommunikation, so schnell es die Höflichkeit erlaubt. Ähnlich sollte es eigentlich auch dem Hörer von Songs gehen, in denen z.B. ein persönlich unbekannter Sänger namens Sting mit brechender Stimme verkündet, er sei „so lonely“. Dieses massive Senden von Mitteilungen, die auf den Mitteilenden rückverweisen, ist für den Beobachter letztendlich nur akzeptabel, wenn gleichzeitig und unterschwellig Botschaften der Freundschaft, der Intimität, der Liebe 10 Wenn ein Schüler einen bestimmten Song zum Anlass nimmt, in seiner Schule Amok zu laufen, ist dass kein möglicher Anschluss im System Pop. Eine kausale Verbindung zwischen Gewalt verherrlichenden Texten und dem konkreten Verbrechen ist für das System nicht herstellbar. Die Überraschung der Musiker über entsprechende Anschuldigungen ist echt. Sie können nur zu Aufmerksamkeit, nicht aber zu Gewalttaten überreden. 86
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mitbeobachtet werden können. Liebe, oder genereller Freundschaft, in der Kommunikation subkutan mitgeteilt, hat als symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium die Funktion, das Schwellenproblem einer „höchstpersönlichen Kommunikation“ zu lösen, mit der sich ein Gegenüber von anderen Individuen zu unterscheiden versucht (Luhmann 1994, S. 24). Der Musiker behauptet: „So bin ich, so fühle ich, so sehe ich die Welt“ und zwingt den Beobachter damit zur Entscheidung: Sieht er es genauso, ist er ein Freund, ein Geliebter. Der Beobachter muss handeln: den Musiker so annehmen wie er sich selbst sieht, seinen Herzergießungen Aufmerksamkeit zukommen lassen oder sich aus der Kommunikation hinausstehlen (bzw. entrüstet oder genervt das Radio ausstellen) (ebd.). Als Gegenwert für diese Übernahme einer fremden Weltsicht erhält der Beobachter die Möglichkeit, etwas sonst eher Unmögliches zu erfahren: Er erhält scheinbar Einblicke in das Erleben eines psychischen Systems, von dem er sonst nur Input und Output beobachten kann. Das Gegenüber wird in seinen Handlungen scheinbar berechenbarer, vertraut. Wer Popsongs Aufmerksamkeit schenkt, meint den Musiker persönlich kennen zu lernen (anders als der Hörer von Kunstmusik, der lediglich einen Kompositionsstil konstruieren kann). Typisch für Kommunikation von Fans über Musiker ist die Selbstgewissheit über ihre Persönlichkeit – umso problematischer sind Imagewechsel. Popsongs vor allem des Mainstreams suggerieren auf massive Art Liebe, Freundschaft, Nähe. Nicht nur in den Texten, die – je weiter sie Verbreitung finden sollen – desto persönlicher werden. Der deutsche Schlager z.B. spricht fast nur vom Du – womit eigentlich das Ich des Sängers darstellt wird, das die Reaktion seines Gegenübers auf seine Mitteilung bereits vorweg nimmt: „Ganz in Weiß, mit einem Blumenstrauß, / so siehst du in meinen schönsten Träumen aus. // Ganz verliebt schaust du mich strahlend an, / es gibt nichts mehr, was uns beide trennen kann.“ 11
Aber auch der Sound symbolisiert Nähe, Freundschaft, Liebe: Tonbandtechnik, Mikrophon und Stereophonie machen es möglich, dass Sänger oder Sängerin akustisch auf den Schoß des Hörers rücken können. Behauchte Stimmen, leises, fast flüsterndes Singen, suggerieren große körperliche Nähe. Gestik und Mimik sind von einer Direktheit und Intimität, die im Alltag zu erheblichen Irritationen und Verstehensproblemen führen würden. Jedoch nicht alle Genres der populären Musik operieren mit dem Medium Liebe. Auch das Medium Macht kann dazu verwendet werden,
11 Kurt Hertha (Text): Ganz in Weiß. Musik: Rolf Arland, Interpretation: Roy Black. München: August Seith 1965. 87
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die Wahrscheinlichkeit der Akzeptanz hochpersönlicher Selektionen eines beobachteten Gegenübers zu erhöhen und sie zur Prämisse der Handlungen des Beobachters zu machen (Baraldi/Corsi/Esposito 1997, S. 113), jedoch nicht aus dem Bedürfnis heraus, die Welt- und Selbstsicht des anderen anzunehmen, sondern als Gehorsam. HipHop z.B. ist prototypisches Machttheater. Seine Texte stellen die Selbsteinschätzung des Musikers dar, der sich seinen Konkurrenten gegenüber haushoch überlegen fühlt. Anerkennung finden nur die Großen der Vergangenheit, Mitbewerber werden massiv beleidigt und erniedrigt. Bestätigt wird der Rapper durch seine „Homies“, die sich drohend optisch und akustisch hinter ihm aufbauen, durch seinen Reichtum und die vielen Frauen, die ihm gefügig sind. In keinem anderen Genre der populären Musik wird so sehr der Nachwuchs, die künftige Konkurrenz, gefördert: Der Rapper braucht den „Lehrling“, muss eine Schule gründen, um seine Autorität zu beweisen, um „Respekt“ zu bekommen (vgl. die Darstellung in Elflein 2006, S. 20-21). Gestik und Kameraführung in den Videos weisen dem Betrachter eine kniende, wenn nicht sogar kriechende Position zu. Hier wird im Bild körperliche Distanz aufgehoben, jedoch nicht zur Darstellung der Intimität, sondern zur Verdeutlichung der Machtposition, die es dem Mitteilenden erlaubt, in die persönliche Sphäre des Beobachters einzudringen. Stärke und Macht spricht aus den gebellten, abgehackten, oft auch schnarrenden, manchmal abgeklärt souveränen aber selten freundlichen Stimmen. Der Hörer von HipHop akzeptiert die persönliche Kommunikation, die Individuation des Musikers, nicht aus Liebe oder Freundschaft, sondern weil er muss, wenn er dazu gehören will, wenn er sich als „Homie“ fühlen will. HipHop ist erfolgreich, wenn es dem Rapper gelingt, den Hörer zur Akzeptanz seiner Individualität zu zwingen, seine „realness“ oder „street credibility“, seine (Definitions-)Macht anzuerkennen, ihm „respect“ zu erweisen. Medien wie Liebe oder Macht machen die Individuation durch Kommunikation erst möglich und wahrscheinlich, laufen jedoch eigentlich der Proliferation zuwider, da beide Ablehnung provozieren. Das Problem löst sich, indem im System Pop neben den Ich-Botschaften immer auch Fiktionalität mittransportiert wird. Der Hörer kann die Liebeserklärungen akzeptieren, und muss doch nur insofern handeln, als er der Mitteilung medial messbare Aufmerksamkeit schenkt. Er muss die Weltsicht des Gegenübers nur für die Dauer des Songs übernehmen, die Geliebte nur für die Dauer von drei Minuten verstehen wollen. Die Schlagerhörerin hat die Gewissheit, niemals mit Gerd Höllerich vor den Traualtar treten zu müssen, der HipHop-Fan die Sicherheit, niemals von Fünf
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Sterne Deluxe gedemütigt und gequält zu werden. 12 Fiktionalität wird durch die Proliferation der Kommunikation in das System gebracht. Die Verbreitungsmedien CD und vor allem Internet erreichen jeden einzelnen und zwar in der überwiegenden Zahl der Kommunikationskontexte tatsächlich allein, das jedoch massenhaft. Am Ende der Mitteilung, am Ende des Songs oder der CD, wird das nur zu deutlich: durch die Stille oder das Geplapper des Moderators im Rundfunk, durch die das Verbreitungsmedium auf sich selbst verweist, den Hörer zurückholt „in die Realität“, ihm deutlich macht, dass Millionen anderer Hörer die CD besitzen, das Radioprogramm hören. So entsteht aus der Differenz von Individuation und Proliferation eine fiktive Welt: eine Parallelzeit der Unterhaltung, in der zwar Lebenszeit verbraucht wird, die jedoch durch ihre Geschlossenheit keine Anschlüsse an den Alltag erfordert (vgl. Luhmann 1996, S. 96-98). Es entsteht eine Parallelwelt des Spiels mit Individualität – mit einer Individualität, die durch ihre Verbreitung und durch die vielfachen Koppelungsmöglichkeiten an andere soziale wie auch an psychische Systeme immer unverbindlich getestet werden kann. Wenn man nach einem „Sonderproblem“ der Gesellschaft sucht, dass das Funktionssystem Pop lösen hilft (diese Frage stellen Hahn/Werber 2004, S. 348 an den Ansatz von Fuchs/Heidingsfelder 2004), müsste man hier suchen: In den Möglichkeiten der spielerischen Erprobung von Identität.
Authentizität als Code Fuchs und Heidingsfelder (2006, S. 317-320) schlagen für das von ihnen konstruierte System der populären Musik die Differenz von Hit/Flop als binären Code vor, mit dessen Hilfe das System intern die Zugehörigkeit zum System reguliert: Ein Hit gehört ins System, der Flop wird in die Umwelt ausgesondert (aus der er freilich nach einigen Jahren wieder hervorgeholt werden und als Coverversion mit einem Re-entry ins System wieder aufgenommen werden kann). Allerdings führt die Differenz von Hit und Flop schnell zurück in die Anfangstage der Erforschung der populären Musik, in denen das Problem: „Was ist populäre Musik?“ mithilfe von Chartnotierungen geklärt werden sollte. Wo liegen die Grenzen zwischen Hit und Flop? Beim Chart-Entry eines Songs? Beim Erreichen des hundertsten, vierzigsten, dritten Platzes? Wie lange muss ein Hit in den Charts notiert sein? Oder reicht es gar, einen Song einfach als „den neusten Hit“ anzukündigen? Welche Seite des Systems entscheidet über 12 So im Video zu „Ja Ja Deine Mudder“ (Regie Nick Schofield, 1999), in dem der Zuschauer durch das Auge der Kamera an der Handlung teilnimmt, gequält und schließlich hingerichtet wird.
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Hit und Flop, die Musiker (und ihre Vermarkter) oder die Hörer? Das Problem des Ansatzes von Fuchs/Heidingsfelder ist, dass es ihnen zuvor nicht gelungen ist, das System Pop klar zu umgrenzen. Für Pop als Teilsystem des Wirtschaftssystems mag der Code sicherlich gelten. So kann Stäheli (2006, S. 336) bemerken, die Unterscheidung Hit/Flop sei eine „marodierende ökonomische Unterscheidung, die in unterschiedlichsten Systemen zitiert und abgewandelt eingesetzt wird, um auf diese Weise Ordnungsgewinne zu erzeugen.“ Hutter (2006, S. 327), der die populäre Musik als Teil des Kunstsystems beschreibt, hält den Code schön/hässlich für ausreichend und Hahn/Werber (2006, S. 352) schlagen, aus derselben Warte, die von ihnen für das Kunstsystem postulierte Differenz von interessant und langweilig vor. Beide Codes überzeugen nur im Kontext des Kunstsystems, wie es Luhmann (1999) beschrieben hat. Sicherlich: Songs der populären Musik können auch dem Kunstsystem als Medien zur Verfügung stehen und mit dem Code schön/hässlich auf ihre Zugehörigkeit zum System durch das System getestet werden. Man muss jedoch anerkennen, dass sich ein großer Rest von Kommunikation beobachten lässt, für den die vorgeschlagenen Codes nicht befriedigend sind. Das stärkt die These, dass es auch ein System Pop gibt, für das eine andere Differenz als Code funktioniert. Der von Fuchs/Heidingsfelder vorgeschlagene Code zielt sicherlich in eine mögliche Richtung. Beobachtet man Kommunikation unter dem Begriff Pop, ist in der Tat festzustellen, dass es fast immer um die mehr oder weniger explizite Darstellung von Erfolg geht (vgl. z.B. Borgstedt 2004), allerdings nicht nur von Erfolgen, die sich in den Charts niederschlagen: Auf der Hörerseite bedeutet geringe Verbreitung nicht unbedingt Misserfolg. Vielmehr enthält ein weniger verbreiteter Song ein sehr hohes Individuationspotential, kann also vor allem in der Kommunikation zwischen Hörern außerordentlich Erfolg versprechend sein, während der Charthit kaum noch erfolgreiche Individuation hoffen lässt. Ähnliches kann auf der Seite des Musikers gelten: Ein Titel ist vor allem dann erfolgreich, wenn er erfolgreich die Individuation des Musikers betreibt. So kann ein Song wichtig und erfolgreich für die Produktion des Images des Musikers sein, ohne jedoch einen kurzfristigen Chart-Erfolg zu haben. In den so genannten Hunderterlisten, die regelmäßig in Musikzeitschriften publiziert werden, befinden sich zahlreiche Titel, die niemals besonders große Hits waren, die jetzt jedoch auf der Hörerseite für typisch und herausragend gehalten werden (vgl. z.B. Appen/Doehring 2006). Eine hypothetische Differenz von erfolgreich/erfolglos als binärer Code für das Funktionieren des Systems Pop verspricht keine ausreichende Trennschärfe. Ein Code, der imstande ist, einen Begriff von Erfolg auf dem Hintergrund der Differenz von Individuation und Prolifera-
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tion zusammenzufassen, und der zudem auf das System Pop beschränkt werden kann, ist allerdings die Differenz von authentisch/nicht-authentisch. Die Diskussion von Authentizität, von Glaubwürdigkeit oder gar „realness“ steht im Zentrum der zu beobachtenden Kommunikationen über Pop. Sie kontrolliert die Spannungen der Leitdifferenz, indem sie den Ausgleich zwischen erfolgreicher Proliferation und erfolgreicher Individuation schafft. So bewirkt sie z.B., dass massive Maßnahmen zur Proliferation wie z.B. der massenhafte Rückkauf von CDs zur Verbesserung der Chartpositionierung oder ein kostenloser Download im Internet nicht allein schon für die Aufnahme in das System ausreicht. Massive Vermarktung bewirkt vielmehr Zweifel an der Authentizität von Song oder Band. Auf das Wirken des Codes der Authentizität ist auch zurückzuführen, dass die Songs von Teilnehmern an Castingshows trotz enormer Proliferation keine weiteren Anschlüsse im System finden. „Künstlich“ wirkende Mitteilungen, denen man zu sehr das Fremddesign der Individuation anmerkt (die damit aufhört, Individuation zu sein), werden – auch wenn sie einen kurzfristigen Charterfolg haben – durch den Code als „Hype“ entlarvt und aus dem System verbannt: Sie bekommen keine zweite Chance. Gleichzeitig verhindert der Code auch eine zu extreme Individuation. Für viele Systeme der Gesellschaft stellen Personen wie der gern als „Schock-Rocker“ bezeichnete Marilyn Manson sicherlich extreme Formen der Individuation dar, deren Forderung nach Anschlussfähigkeit das System belastet. Im Kontext der härteren Genres des Rock jedoch zitiert sein Auftritt gekonnt Sounds und Images älterer Vorbilder, seine Individuation verweist auf das System zurück und wird daher als authentisch angenommen. Ein rockiger Sound und eine rockige Show, kombiniert mit Schlagermelodien und Schlagertexten dagegen bestehen den Authentizitätstest nur als Parodie. Bands, denen durchaus die Individuation gelingt, deren Songs jedoch keine Verbreitung finden, bestehen ebenfalls den Authentizitätstest nicht, da Glaubwürdigkeit im System durch massenhafte Anschlüsse bestätigt werden muss. Bei unbekannten Bands stellt sich die Frage nach Authentizität überhaupt nicht. Da das System jedoch keinen Beitrag vergisst – alles bleibt durch die Verbreitungsmedien gespeichert –, sondern lediglich die Anschlusswahrscheinlichkeit variiert (mit extremen Unterschieden), kann jeder Song potentiell als re-entry im System noch einmal prozessiert werden (Fuchs/Heidingsfelder 2004, S. 320). Dabei ist allerdings die Chance, dass ein bereits erfolgreicher Song als Coverversion noch einmal ins System eintritt, ungleich höher.
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POPULARITY OF SLOVENIAN POPULAR MUSIC. A P S Y C H O -S O C I A L O U T L I N E LEON STEFANIJA The aim of this essay is to unfold the question of popularity in music as a set of qualia wavering between aesthetic and social variables. As an example, a set of six (more or less) contingently chosen examples from Slovenian popular music are discussed pointing to their fields, or areas, of popularity.
Popularity of music It should not be too difficult to survey the main phenomena underlying the changing popularity of musical genres and forms in music throughout history – even the most modest historical surveys mention them while describing institutional, economical, biographical, or social and intellectual histories as parts of specific „musical practices“ (Blaukopf), „sound groups“ 1 , „musical communities“ or „musical scenes“ (Straw) 2 . In the long run, each historical period and culture can reveal some kind of hierarchy in popularity in auditive forms, used universally (Blacking 1995, p. 224; Merriam 1964, p. 227) 3 for expressing thoughts and feelings. The main question regarding popularity may be directed either toward the music „itself“, understood broadly as a human activity of producing and listening to „intentionally formed sound“, or might demand reports about perception of music – psychologically, physiologically, or within certain cultural and geographical confines – the many functions attached to mu-
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As a term, it is meant in the sense of John Blacking as commented by Magrini (Magrini 2006, pp. 150-151). The difference between them being comparable to oppositions of relative stable musical practice and with differences saturated musical milieus (Straw 1991). See for instance Blacking 1995 or Merriam 1964.
Popularity of Slovenian Popular Music. A Psycho-Social Outline
sic (discussed later on in more detail), or describing effects emanating from musics. Musics, after all, „may be heterogeneous and heteronomous“, but they are „irrefutably grounded in human behaviors“. (Cross 2003, p. 20) Thus, talking about popularity, not only in music, may be a relatively clearly confined field of reflection: it could either take a form of sociological (also ethnographical or anthropological) reflection founded on empirical research regarding dis/likeness of the musical examples chosen for demonstrating (arguing for or against) a certain theoretical point, or it might be discussed in terms of psycho-, bio-, or physiologically oriented reports on musical preferences, offering „hard“ evidence for discussing different segments involved in the processess of memorizing, perceiving, or reacting to chosen auditive stimuli. If tackled as a broad category, then, popularity is a simple denominator. Yet if understood as terminus technicus, it seems to be a rather perplexed notion, stretched between common sense pragmatism, cultural programmes, and several epistemological approaches. Offering common ground for discussing music from a variety of different aspects, one might be tempted to add popularity to the existent list of „theoretical instances“ of discussing music – „tradition“, „nature“, „reason“, „classical“, „practice“ and „history“ (Dahlhaus 1984, p. 34). However, indexing popularity among similar „umbrella“ terms contributes to a common historiographic ontology in which hierarchies of different approaches emphasize epistemological complexities, indicating but a bulk of intertwined phenomena as, for instance, formulated by Richard Middleton: „the broader historical usages of the word ‚popular‘ have given it a semantic richness that resists reduction“ – „it is better to accept the fluidity that seems indelibly to mark our understandings of the ‚popular‘„ (Middleton/Manuel 2007). The question of „locating the people, music and the popular“ (Middleton 2003) – a kind of universalistic „Schichtenlehre“ topic which seems to indicate the range of popularity in music – is extremely valuable as a nominal indicator of the links through which certain types of music may appear popular. But at the same time, it also reveals the antinomies of a holistic approach to music research. 4 Popularity emerges as
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In musicology, for instance, the holistic paradigm could be detected in the very core of „formalism“, in the 19th-century music theory of A. B. Marx. As the prime mover of his Formenlehre was supposedly „more appropriate approach“ to musical structures than the whole music theory of his predecessors as being too fragmented in separate, partial theories (of harmony, rhythm, melody, etc.). With his Formenlehre, Marx aimed to surpass the bad habit of „Gesetzgeberei“ in music theory, convinced he has offered a 95
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a process of identifying variables stemming from, according to Middleton, at least „three approaches“: popularity is considered to be a set of qualia emerging out of a „scale of activity“, different „means of dissemination, and particularly with the development and role of mass media“, or „social group“ issues (Middleton 2007). Middleton’s demand is exhaustive: its presupposes interdisciplinary potency, which has to be developed on deduction from individual cases. It is, I believe, this „connectivistic“ bias, ladling issues and methods out of musicology as well as of different branches of social studies, humanities as well as from the „hard“ sciences, especially from behavioral sciences, that should be more carefully considered within popular music research. Ultimately, interdisciplinarity as a common scholarly ideal of the scientific mind has been stimulating the differentiation between disciplines, entailing for music research a view of holistic idea(l)s as a trajectory of knowledge streched between research of music as a physically tangible phenomenon, as an aesthetic thing, as bio- and physiological function on the one hand, and, music as a social agent, as a vehicle of spiritual and ritual order.
Functions of music and popularity Even the most torpid opponent of popular music, as well as the most eager critic of the „bourgeois“ or „middle class“ music have but a limited arsenal to deny the importance of a common belief that any music fulfills a certain set of functions (be it „purely aesthetic“, cultural, or biological, etc.). Furthermore, nobody would wish to deny the importance of „the
theory of a „künstlerische Erkenntniss“ (Marx 1887, p. 2), emphasizing the evasivenes of substantialism in music in favour of relational processes, a balance between the artistic ideas and their embodiment in suitable musical forms. Marx’s Formenlehre, the central analytical approach of the 19th century, is a notoriously descriptive lesson in analysis of structuring the musical flow, although it is at the same time one of the finest examples of a prescriptive approach to musical work, defining several musical forms (two-, three-part song forms, sonata, rondo etc.) as petrified in many textbooks on musical form. Although currently known analytical approaches cannot be set in a line with it as far as the methodology is concerned, Marx’s ideas of hierarchy among the musical elements, organicistic views, or priciples of interplay of musical parameters, and also his concern with the ideas behind the musical text, are hardly outdated. The concept of music analysis has been expanded, but not changed since A. B. Marx: to offer a ground for a holistic picture of all the structural details that might shed some light to music as a specific „artifact“ with its many appearances. 96
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voice“ in music research – „the authenticities“, „the sublime“, „the Real“, in a word: the importance of the distinguished feature(s) of a piece (style, genre) of music on any possible level. Yet there is all but a provisional conformity between different formulations of music’s many functions through which any of the mentioned qualities are usually addressed. Functions of music, or values attached to it, have been studied by scholars with different epistemological backgrounds 5 or by specific fields 6 . However worthwhile it may be, further differentiation would not change the strategies of generating a rather basic set of concepts that opens up further fields of contextual variables 7 : music’s function is seen as „either psychological, physiological, or behavioral“ arousal (McMullen 1996, quoted from Radocy and Boyle 2003, p. 41) having either „stimulating, invigouring“ or „soothing, sedating“ effects (Radocy and Boyle 2003, p. 41). It seems that the many functions of music are anchored in a rather basic process of forming, creating, establishing, etc., hierarchies of socialisation through music in which elemental personal (psychological, biological, physiological) as well as interpersonal (social, political, but also economical as well as a plethora of pragmatical) determinants are involved. However, if one tries to find cohesive bonds between them and the other more explicitly personal functions of music, the process of forming hierarchies of socialisation through music becomes a primarily epistemological issue, not so much a phenomenological one, as the piled up sets of functions above might suggest. In other words, functions of music are pertaining to „the body“ and/or „the voice“. Evidence for either addressee should be searched for (as the whole field of music therapy testifies perhaps most clearly) on different bio-physiological levels and specific (and specifying) contexts (social structures, political agendas, cultural environments, economic hierarchies, etc.). And as a concept of knowledge, not only as a field of scientification of one’s own personal set of preferences for, and biases towards, certain musical styles and genres (or any other forms of musical activity), popularity is a trajectory, or a cross-section, of phenomena con-
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psychology Radocy and Boyle 2003, pp. 10-19, pp. 32-33; anthropology Nettl 2001, p. 468; social psychology Hargreaves & North 1999; psychology Lehmann 1996 or Kaplan 1990, pp. 18; popular music research Middleton 1990, p. 253 or Frith 1987, pp. 140-144; sociology Karbusicky 1986; music perception Behne 1986 et passim; music therapy Gaston 1968, pp. 21-27; anthropology Merriam 1964. as, for instance, film music; cf.: Julien 1987, pp. 28-41, Gorbman 1987, Karlin & Wright 1990. as indicated, for instance, in Bersch-Burauel 2004, pp. 36, esp. 197-221, or Behne 1986. 97
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sisting of two mutually connected sets of complexities: of „musical complexity“ (Parry 2004) as a bio-physological entity and hermeneutically understood „complexity in music“ (R. Toop). Both views can be traced not only in the current debates involving postmodernity or popular culture, they also have a respectful history of epistemological oppositions, mediating between facts of nature and variables of nurture that have been granting musicology a rather complex tradition of connections, leveling different functions of music with regard to a series of basic oppositions, such as „outer“ and „inner“ levels of the musical structure (18th century treatises, as summed up in H. Ch. Koch Anleitung zur Komposition, 1787-1793); form and expression (as in the 19th-century historiographical aesthetics); absolutist’s (formalist’s) and referentialist’s (expressionist’s) approach to explaining music (Meyer 1956); aesthetical and epistemological understanding of music [ästhetisches /erkennendes Verstehen] (Eggebrecht 1995); musical and musicological listening (Cook 1992, pp. 152); musical and everyday listening (Gaver 1993); cognitive and connotative understanding (Hübner 1994, pp. 26-38); listening as a fantasy thing and listening as fantasy space (Schwarz 1997, pp. 3); body-mind opposition (as, for instance, in Lidov 2005, pp. 145164); even between ethic and emic issues, where „the ethic point of view is that of the researcher who is outside of the culture; [while] the emic point of view corresponds to the cognitive categories […] of the local inhabitants (Nattiez 2004, p. 13 [after Kenneth Pike]). All the mentioned oppositions, however, are but the opposite poles of „our continuing wavering between two modes of listening“ (Bujiü 1997, p. 22) to music – to „two levels of musical understanding“: of listening to music as to a physical structure on the one hand and, on the other, of listening to „telling details“ and „assigning value“ to them (Bujiü 1997, p. 19). The functions of music, as it may be observed from a disciplinary perspective, seem to be a kind of a „march of the names“ – a process of transgressing cognitive levels through different identifying variables. And it is rather this relativistic stance that might, in turn, allow one to accept Middleton’s rather problematic concept of „gestural habitus“ (Middleton 1993) – „a place where, as an embodied organism rather than a reflecting consciousness, one can ‚feel at home‘“ (Middleton 1993; 2000, p. 78) – as a useful analytical pointer. It indicates the relations between „negotiation of meaning“ about music and the „levels of signification“, between „primary“ and „secondary signification“ (Shepherd and Wicke 1997, pp. 14, 103, 203), between syntactic and semantic pregnancy of the musical flow (Middleton 1990, pp. 176). Further on, six more or less arbitrarily chosen examples of Slovenian popular music will be discussed, having particularly one issue in mind – 98
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to point at specific features of popularity. The loosely conceived analytical focus will hopefully appear acceptable in its mediation between the „visceral responses“ (Cook 2000, p. 79) to the music and its cultural background. 8
Atomik Harmonik: archetypes of zest One of those invoking the most love-hate reactions is a group of two blond girls accompanied by two accordion youngsters, Atomik Harmonik, which won in 2004 the first prize at the 27th annual festival of popular tunes Melodije sonca in morja (Melodies of the sun and the sea) with the hit Brizgalna brizga („The squirting tire hose“). As a representative of „Oberkreiner“ music, they found immediately a broad population eager to enjoy (and buy) their music as well as several successful peers. They seem to be by far the most popular band of any performing in Slovenia, if the ubiquity of their music is considered as the main criterion. From their busy production of 7 CDs in 2 years (so far all with Menart records), the piece called Polkaholik (Polkaholic) may be seen as a representative example of their work. The formal dance features, such as rhythmic and metric regularity and transparent harmonic structure are
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It is worth mentioning, however, that it is difficult to avoid a fragmented analysis in spite of several fine analytical approaches. For instance: J.-J. Nattiez’s search for complementarity in analytical methods (Nattiez 1992) might be seen as a symptomatic task also for the current state of the musicological self-reflectivity, trying to find, as it is alluringly formulated in David Huron’s work, methodological footing between the „hard“ and „soft“ sciences. Yet, what musicologists have at hand for the analysis of popular music besides the theoretically indispensable writings of, say, R. Middleton, J. Shepherd, P. Wicke, H. Rösing, to name only few influential scholars, is but a dispersed space of ethnographic approaches, psychoanalytic and psychological concepts, social and cultural issues, and case studies developing specific analytical methods for recounting popular music phenomena. There is but one comprehensive attempt to musicologically tackle the multimedial form of (also popular) music that seems to cope with the complexities of „formal“ analysis (cf. Cook 2000). Further on, only two relationships of musical phenomena will be addressed: the relationship between music and the lyrics and between musical style and its semantic implications (Nattiez 1992). 99
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founded on a simplistic melodic gesture, an elemental progression from T via D back to T again.
The fluidity of the expectable is reached after the introductory guitarbased heavy metal gesture on „sorry, babe, I am polkaholic“ (a quote from AC/DC?), spoken – as another exclamation in the middle („Everybody’s love is accordion style“) in English (the rest of the song is in Slovenian).
POLKAHOLIC (D. Kauriþ/ D. Kauriþ / A. ýadež; translation is mine, L.S.) SORRY, BABE, I’M A POLKAHOLIC HEY, SORRY, BABE, YOU HAVE A POLKAHOLIC. THE ACCORDEON IS IN ME. I’D JUMP, HAVE FUN, GO CRAZY, TWIST, I’D JUMP TO THE SKY. (Everybody’s love is accordeon style) OFF WE GO TOGETHER NOW. ACCORDEON IS SMILING, WOW. IT MAKES ONE FOOL WITH „YODELDEE“ EVERYBODY IN THE HOUS GOES CRAZY. YOU CAN HIDE AND RUN AWAY, BUT NEVER ESCAPE. WE ARE FLYING ALREADY AROUND THE WORLD AND THIS SONG COMES STRAIGHT FROM THE HEART. HEY, SORRY, BABE, YOU HAVE A POLKAHOLIC.
The story renders a „clinical diagnosis“ of „polkaholicism“, emphasized also in the video spot with a doctor examining a female patient dressed as hard-worker with rather emphasized décolletage finding out that she suffers from: „polkaholicism“. The whole song should be seen within the context of an efficient music entertainment craftsmanship, fastidiously balancing between innuendos, basic instincts and needs, and professional refreshment of (a rich Slovenian, a Central-European tradition of) „Oberkreiner“ musical style, combining it with minor sound effects and allusions, citations, resemblances, etc., of different popular styles. This song was promoted on their internet site along with a telling invitation to join the CAP – The Club of Anonymous Polkaholics: „Do you find yourself dancing, sometimes, without a reason, and laughing at completely ordinary things? Have you noticed inclination toward enjoying sausages, beer, and admiring ladies’ ample bosom? Are you being mocked in the
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society that swears by art, men of letters, and music? Are your parents, or closer relatives, adherents of punk, metal, or rap and they cannot tolerate that their child enjoys polkas? If your answers were „yes‘, you might well be addicted to polka and you are showing off the first signs of polkaholicism! Therefore, do not hesitate: become a member of CAP [Club of Anonymous Polkaholics], where you’ll find ways to overcome the difficulties […]“ (www.atomikharmonik.com, 5.7.07).
It is difficult not to recognize the banal yet powerful vitality of their Polkaholic: although the music seems to act vigorously, to stimulate, primarily due to the motoric nature, the text relates to music fairly awry, as a soothing, almost stupefying space of experience. It may be seen as a fragmented set of existential archetypes, thematizing the notions of inevitability, sensualism, authenticity, and pathos. Both, music and lyrics, form in Polkaholik by Atomik Harmonik almost the ideal antinomy of by far the most widespread musical style in Slovenia: the „happy / sad groove“ of the Oberkreiner musical flow and the realities imposed by the lyrics (forming in Atomik Harmonik’s case extremely ironical musical fact) are not only one of the finest places to define the differences between „how folk [music] consolation differs from pop ‚escapism‘“ (Frith 2006, p. 161), but to point at basic modes of interpersonal, cultural as well as psychological, effects specific to (not only popular) music.
Intermezzo: electronic music It might seem almost sacrilegious to a fan of a certain style, yet it is rather inevitable to bring into focus an important cultural premise in which „turbo-folk“ of Atomik Harmonik and soundscapes developed in popular electronic music by DJs equipped with advanced multimedia technologies. My intent here is far from addressing the relations between specific issues of popular electronic music, in Slovenia perhaps best personified in DJ’s Umek, and discussing them arbitrarily in connection with the „folkish popular“ music. Instead, it seems reasonable to mention one important common feature between these cultural antipodes. It is the status of the popular electronic music in the current music consumption market that is comparable to the status of pop-folk music (or „turbo-folk“, such as Atomik Harmonik). Although in all other aspects they are opposites – they are all but the extremes of the same premise: a premise of „a more mutable, pliable construction of [music’s] autonomy, adapted to our relativized, post-modern frame, oblivious neither to other determinants of 101
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musical experience […] nor to the social medium in which it operates“ (Clarke 2003, p. 170). In other words, if the „turbo-folk“ style has taken for granted the formal patterns of functional harmony, schematized as early as in J. Ph. Kirnberger’s Der allezeit fertige Polonoisen- und Mennuettencomponist (1753), and has obtained an unsurpassed popularity more or less during the whole second half of the 20th century, the reason for its popularity should lie around the same ideals that also popular electronic music strives for: to catch at least a handful of stable, recognizable, almost petrified figments and stimuli in which one’s subjective reality „feels at home“ (Middleton). 9
Neisha: subjective idealities The young singer with the artistic name Neisha (b. 1983), professionally educated as a composer and pianist creating music she performs almost entirely by herself – climbed with her firstling „Neisha“ (distributed by Nika Records) to the top of the popularity charts already in 2005 and remained a bestseller also in 2006, bringing her also some international recognition. Comparing Neisha’s appearance to that of Atomik Harmonik, a reviewer of the weekly journal Mladina (10 Oct. 2005) greeted her with relief: „Here it is, it is not true that only the turbo blond babes are performing and recording. Also blond babes happen to mix jazz, pop, soul along with quality texts.“ Her hit from the first album (2005), Planet za zadet [literally: „Planet to make oneself stoned“], was recorded also in English as Straight to the moon. The formal skeleton of this piece is wrapped up in „economically“ sounding pop-soul quintett 10 without any special musical effects, leaving space for expressivity to the somewhat husky solo voice of Neisha as the prime force of the colloquial utterance. The repeated bar form with intro-
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To claim that popular electronic music and Oberkreiner musical style are ulimately schematized does not imply that the notion of novelties plays no role – on the contrary: almost any artist in both genres pretends to achieve at least a certain point of subjectivity. 10 Neisha (solo, keyboards) and Katarina Habe (back) vocals, Matej Mršnik and Anže Langus electric and bas guitar, Boštjan Gradišek drums and tambourine. 102
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duction formed by a metrically smoothly repeating riff of 7ths based on T, VIIb+, S, VIb, VIIb, T and final variational expansion (introduction, A, A, B, A, A, B + b) comprising three „sighs“: (q = 60)
T7
VIIb+7 S7
VIb+7 VIIb+7
WATCH THE WHISPERS HOW THEY SQUASH ALL THE LEAVES AWAY YOU GOTTA SAVE THE DAY I CAN SEE IT SHINING I CAN SEE IT SHINING GOTTA KEEP IT SHINING LET’S TAKE A RIDE OUT STRAIGHT TO THE MOON WE’RE GONNA FIND A LITTLE DARK PLACE TRY THE BIGGEST MADNESS CUZ IT’S HIGH TIME TO BREAK THE RULE YOU GOTTA KEEP IT COMING GOTTA KEEP IT COMING KEEP IT COMING… KEEP IT COMING… STRAIGHT TO THE MOON (Lyrics by Neisha, www.neisha.org) I WOULD LIKE TO HEAR YOUR STORY, BABY MAYBE YOU WILL TELL ME WHAT’S GOING ON (CUZ) LIKE AN OPEN PAGE HOW I WISH I COULD READ YOUR MIND STEAL THE PEARLS THAT YOU KEEP INSIDE AND IT DOESN’T REALLY MATTER ABOUT WHO YOU ARE AND WHAT YOU DO GO TO PLACES WHERE YOUR FINGER LONGS TO LINGER
Although the English translation has lost some of the intellectual flexibility sparkling from the Slovenian version, the point of this classically well rounded-off pop hit could be brought in line with a tradition of „partylove“ enticement, calling for positive thinking – for a ride to a point which is placed in the imagery of a „little dark place“. The luring refrain – „Let’s take a ride out straight to the moon“ – can be hardly understood as a symbolic gesture: it rather anticipates the rapture of an amiable, imbued with the positive naïvety of „keep it shining“. Although the point of the Slovenian version makes the goal message much catchier – reading in my free translation: „Let’s fly to the moon, into the sky / where amusements are different whilst our heads / are the best planet to get stoned / so do not let it go, the sun should not sink“ – the stimulating character of the
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lyrics remains ineluctably clear uttered in both versions: a search for a half-dreamland within one’s subjective idealities.
On thick ideology and philosophical imagery: Laibach and Sidharta Since, in 2003, the group Siddharta won two Viktor prizes, claimed to be prestigious annual acknowledgment of success in the field of media and popular culture. They were given the prizes for popularity as well as for special achievements for a live concert in Ljubljana that year. The current fame of Siddharta can be inferred easily from the following news (December 2006) announced by the government Public Relations and Media Office: „Slovenian Rock Band Wins Best Adriatic at MTV Europe Music Awards Lisbon, 4 November The rock sensation Siddharta triumphed at Thursday’s MTV European Music Awards in Lisbon as the best act in the region, the regional programme MTV Adria, which participated in the event for the first time this year, said on Friday. Siddharta was nominated for ‚Best Act – MTV Adria‘ together with Slovenian pop group Leeloojamais, and three Croatian performers – the electro pop quartet Leut Magnetic, pop rock band Urban & 4, and Massimo Savic. The choice of the nominees was based on their placement in the World Chart Express, where Leeloojamais’ ‚Ne zameri mi‘ (Don’t Hold It against Me) and three of Siddharta’s songs (My Dice, Ring and Thor) have been played. Siddharta were thrilled about the award: ‚A few years ago we were watching the event on television and now were are here ... We thank all ... those who believe in us and voted for us,‘ they said upon receiving the award. After a sold-out concert at the Ljubljana central stadium in September 2003, which the band performed together with RTV Slovenija’s Symphony Orchestra, and unbelievable popularity, Siddharta set another milestone in the music history of the region, MTV Adria said. Since the band first appeared in 1995, Siddharta has managed to become the most popular pop rock band in Slovenia, with an elaborate and catchy mixture of Gothic and melodic rock. Their audience comes from all generations, from teenagers to students and even their parents. […]“ (www.siddharta.net, 5.7.07).
It is not only the diction of the quoted news, but also the context of the announcement – the government public relations office – that encompasses Siddharta’s popularity. Siddharta is successful in joining dif104
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ferences, as the quoted notice above clearly indicates and the following review of Siddharta’s album Rh (2005) by Vince Curiger in SleazeMetal.Com expresses with telling details that deserve to be fully quoted: „Was für ein sensationelles Release noch vor Ostern, das bereits dritte Album der Slowenen von ‚Siddharta‘ ist ein echter Meilenstein in der Geschichte des Rock. Wer meine Äusserung für übertrieben hält, soll sich gefälligst ‚Rh‘ anhören, was sie Band hier bietet ist schlicht weg ‚genial‘. Kommen wir aber zuerst einmal auf die Musik zu sprechen die ‚Siddharta‘ spielen. Die Truppe lässt sich in keine Schublade stecken, nebst Rock, Metal, Folk, Medivian und Gothic Einflüssen, ist der ‚Klassik‘ Touch nicht wegzudenken. Genre übergreifend fackelt die Band um Sänger ‚Tomi M.‘ ein wahres Feuerwerk an einzigartigen Melodien ab. In Slowenien sind ‚Siddharta‘ bereits Stars, wenn es mit rechten Dingen zugeht, wird diese Combo innert kürzester Zeit die Welt im Sturm erobern. Gehen wir nun aber ein bisschen auf die Songs vom dritten Streich dieser Künstler ein. Nach einem kurzen Intro, wird das Album vom magistralen ‚Japan‘ eröffnet, dieser Track reißt einen sofort mit und der Refrain ist eine echte Offenbarung. ‚My Dice‘ ist eher ruhig und wird von einer wundervollen Melodie getragen, ein gewisser Goth Touch lässt sich hier nicht leugnen. ‚Insane‘ driftet dann ins Mittelalterliche ab, auch diesen Stil beherrschen die Slowenen perfekt, der Chorus trifft voll ins Schwarze. Bei ‚Sim Hae‘ handelt es sich um die erste Ballade auf ‚Rh‘- und diese ist wie nicht anders zu erwarten ein voller Erfolg. Ich bin wirklich wahnsinnig von diesem Release begeistert, ich hätte nie gedacht dass mich diese Scheibe so in Euphorie schweben lässt. Jeder Track auf diesem Longplayer ist wirklich grandios, die Melodien sind absolute Weltklasse und ich zolle ihnen meinen Respekt mit diesem Review. Mein Favorit auf ‚Rh‘ ist ohne Zweifel die grandiose Ballade ‚Core‘ der Chorus bei diesem Song ist wahrlich nicht von dieser Welt, ein Track wie von Gottes Hand geschrieben. Hier bei überrascht der Titel auch mit interessanten Lyrics die meines Erachtens wohl ziemlich persönlich sind. Noch eine kleine Anmerkung zur Band History von ‚Siddharta‘, im vorletzten Jahr spielten die Jungs in einem riesen Stadion in Slowenien vor 30 000 begeisterten Fans, begleitet wurden sie vom RTV – Slovenia Symphonie Orchestra mit über 60 Tänzer. Dies muss ein unglaubliches Ereignis gewesen sein. Dieses Konzert zeigte die unglaubliche Beliebtheit im eigenen Land. Ich kann jedem Musik Liebhaber, egal ob Rock, Metal, Gothic oder Pop Fan dieses Album ans Herz legen, mit ‚Re‘ haben ‚Siddharta‘ Musikgeschichte geschrieben die seines Gleichen sucht“ (www.sleaze-metal.com, 5.7.07).
The post-modern mixture of styles, obviously appealing to several generations and musical tastes, results from a professionally accomplished mode of all stages of music production. But not only production, since all aspects of their appearance tend to be carefully prepared: from their web official site (www.siddharta.net), accessible in eight languages 105
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and their music promotion in an integral form within KD FINIS MUNDI („KD“ standing probably for cultural society), to their carefully produced video spots and public relation tactics. It is especially their integrative habitus on all levels of Siddharta’s appearance 11 that allows drawing a parallel between them and perhaps one of the most notorious Slovenian popular bands, the Laibach. Founded in 1980 in an industrial-coal Laibach mining town in the centre of Slovenia, at the time still a part of the Socialistic Federative Republic of Yugoslavia, Laibach is a part of an art collective NSK (Neue Slowenische Kunst) forming a „state within a state“. Beside Laibach, NSK is formed by IRWIN (group of painters), Noordung (theater, originally: Scipion Nasice Sisters Theater alias Red Pilot), New Collective Studio (also New Collectivism; graphics), Retrovision (film), and the Department of Pure and Applied Philosophy (theory). As their creed demands, they stick to the politically ambitious mission(s):
11 As a fine example Siddharta’s FAQ Regarding Press might be mentioned: „PRESS QUESTIONS Are there any special guidelines when it comes to Siddharta’s presence in the media? We ask that the following general guidelines be taken into account: 1. Siddharta should be mentioned as a 6-member band at any time, with no special focus on individual band members. In addition, this preference is to be taken into account with photo sessions, i.e. whole-band photographs are to be taken. 2. Band members are not giving out their surnames. Instead, only the first name and maximum the surname initial are to be used, like quoted in the album booklets. 3. Interviews are to be requested for the whole band. The band is to be given to choose a pair to represent them in the interview. 4. Siddharta’s music is always to be the main content. Personal lives of band members should not be part of the interviews or they will not be answered. No questions about politics and religious affiliation are to be asked. Yellow press or cheesy questions are to be avoided. 5. All info about promotion activities is to be presented to Siddharta management beforehand. After description of promo activities, Siddharta make the decision as to who shall be available for the interview requested as the choice is topic-dependent. 6. All TV performances are to be fully live and using Siddharta’s own equipment.“ 106
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„LAIBACH works as a team (the collective spirit), according to the principle of industrial production and totalitarianism, which means that the individual does not speak; the organization does. Our work is industrial, our language political.“ (The first from the 10 Items of the Convenant, http://www.laibach.nsk.si/l9.htm, 5.7.07).
Although also Laibach’s music bears features of hybrid aesthetics, incorporating patterns from punk and disco as well as from pop kitsch and industrial rock, the comparison with Siddharta’s music would have to immerse into rather pedantic slicing of two „musical monoliths“ (Monroe 2003 and 2005). Far from intending that, the following juxtaposition may offer an idea for further elaboration: if Laibach’s power is to be seen above all as a cultural mirror of oppressive political mechanisms, miming them also musically while gleaning from various popular sources and re-melting them into a kind of industrial clockwork of loud repetitive gestures, Siddharta seems to be integrating a much wider variety of musical styles into musically much more flexible diction, trying to offer a picturesque, more philosophically than culturally and politically imbued mosaic of issues and fluid sets of imageries. In both cases, the relations between the musical style, text and the semantic values involved in their respective appearances are forms of compound monoliths: politically stout (Laibach) and philosophically flexible (Siddharta) monoliths, functioning, although with different intentions and for different groups of listeners, as a kind of musical catalyst strongly activating the listeners’ communal sense.
Did folklore go pop, or is it pop being folklorized? As far as the popularity is concerned, one of the noteworthy phenomena in the contemporary cultural climate is affection for Slovenian folk music. Although persistent in a milieu with strong peasant and middle-class „Liedertafel“ culture since the end of the 19th century, the folk song became increasingly attractive for pop musicians especially in the 1990s, coinciding with disintegration of Yugoslavia in 1991 (Šivic 2006). It is difficult to say whether the interest in folklore was triggered by the cultural shock of the „transitional period“ that led Slovenia to EU membership in 2004, whether it is to be seen simply as a generational phenomenon of rediscovering the rich musical heritage, successfully mediated by Slovenian pop-folk classics in the 1980s and 1990s, such as Vlado Kreslin, growing up in scope with the accessibility to, and consciousness of, different world musics.
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The intellectual debate over „popularization of folklore“ has been unfolding on a premise of post-modern discussions reflecting issues on the renewal and revival as a part of a permanent though evasive identity debate. This, in turn, became specific to the overflow of world musics, yearly reaping laurels since 2004 at the Druga godba festival. One may agree with pop critic Iþo Vidmar (Deloskop št. 11/2004) that the festival Druga godba hosted the biggest stars of world movement, „its musical breadth exactly because of the ‚better colorfulness‘ specific to the world music. Politics of the musical reality has brought back, in return, unification of the festival with respect to its productions, sounds, and forms – they were ethnicized, racisized, nationalized.“
Yet it is exactly this process of formalizing a new idiosyncratic features that makes groups such as Katalena, or even singers and story-tellers such as Ljoba Jenþe, to spark off identity scruples regarding differences between „reshaping Katalena folklore“ to fit in rock, or jazzy, or pop, or soul clothing (Katalena) and performances claiming a status of authentic folk musicianship for themselves (Ljoba Jenþe). Is the folk music going pop, or is the pop culture searching for certain „forgotten“, „abandoned“, or in any other way discontinued, or (in this case) even hidden values? Both, at least, would have to read the answer: the noteworthy interest in folklore, roughly concurring in Slovenia with the longrun political uncertainties as well as with the thorny redefinitions of some fundamental social and cultural identities, seems to be a result of rediscovering Slovenian folk traditions and transferring them into more urban contexts, as well as a footage for a subjective creative process aiming to achieve authentic, alluringly recognizable artistic expression. Namely, one can never miss the humanistic values of Ljoba Jenþe’s endeavours, although she is a „living folk-music museum“. On the other side, one may hesitate to talk about Katalena’s music as recreation of the Slovenian folklore: they are inspired by folklore yet their work is far from both – far from pop-folk (popular folklore, as „turbo-folk“ or „Oberkreiner“) as well as ethnic music. Katalena reverts the folklore into a kind of folkinspired-pop (or jazz-rock, or soul-jazz, or whatever stylistic labels one may wish to apply), transgressing the boundaries of musical styles rather smoothly into a recognizable, flexibly understood pop-musicality.
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Jazz In similar respect, folk music’s vicinity – although without any folkrevival aspirations – is to be found in jazz, winning institutional recognition especially since Bled’s festival of popular music in 1960 (from 1967 renamed as International jazz festival Ljubljana). Vasko Atanasovski is momentarily perhaps the most imaginative jazz musician (saxophone and flute player). As far as one may claim wide popularity for a musical genre that bridges the gap between pop and artificial, it can be seen in Atanasovski’s music as a result of virtuosity and deep intimacy with both, jazz as well as folk music idioms. One of the critics, seeing him „patiently but persistently becoming one of the most innovative musicians in our region“ wrote: „Vasko Atanasovski doesn’t leave anything to chance. His attitude towards composing isn’t hermetically artificial style that only recitates the shades of jazz history anew. In his exposition, he is an extremely flexible and inventive musician; thus each project of his is based on an intimate axis of individual reliving of certain genre or tradition. On the one hand, there is reflection of a space impregnated with improvisational content, on the other, communication, attached to the fluid currents of heritage.“ (Gregor Bauman, Delo, 25.1.2005, p. 10.)
Atanasovski’s music is carefully designed acoustic „re-living“ of chosen musical styles rooted in – not only Slovenian – cultural heritage, but in the music heritage of the wider space around Slovenia. Mediating between the ideals of immediacy of affection and more „hedonistic“ style mixVasko Atanasovski tures, such as to be found in the more world-music oriented Slovenian group Terra folk (in 2003 they won BBC 3 World music Audience Award), Atanasovski’s ethno tinge remains restrained (or luxuriant) in the virtuosic efficacy of modern jazz idioms.
Between the pleasure and enjoyment of the voices As Middleton puts it, „Plaisir results, then, from the operation of the structures of signification through which the subject knows himself or herself; jouissance fractures these structures.“ (Middleton 1990, p. 261) What is being structured and what fractured in the above discussed examples? 109
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Instead of proceeding with multifactorial analysis, which could assume a decisive role for the further discussion, Helmut Rösing’s postulate of „exact ‚diagnosis‘“ is taken as the objective – a definition of the „Bedeutungszusammenhänge zwischen Rezeptionsstrategien und soziokulturellem Kontext“ (Rösing 1994, p. 76). One may well linger to point to the decisive features specific to the examples of Slovenian music given above, if popularity is thematized, as it regularly is, with several common sociological or anthropological premises, such as local-global, low-high, plagiaristic-authentic, utilitarian-autonomous etc.; or with cognitive premises such as Rentfrow and Gosling’s four factor-analytically-derived dimensions („reflective and complex“, „intense and rebellious“, „upbeat and conventional“ and „energetic and rhythmic“; Rentfrow and Gosling 2003, p. 1421); or with primary sociological dimensions such as Hofstede’s (Hofstede 1980 and 2004) power distance (equality—inequality between people in the country’s society), individualism (interpersonal relations, individualism and collectivism), masculinity (gender roles and power), and uncertainty avoidance (tolerance for uncertainty and ambiguity), and long-term orientation (long-term devotion to social values). The list of popularity would have to be differentiated according to tastes (Behne 1986, Droe 2004), habits (Lehmann 1993), behavior (Walsh, Mitchell, Frenzel and Wiedmann 2003), uses of music (Behne 1996, North, Hargreaves and Hargreaves 2004), musicality (in the sense of Karbusicky 1975, pp. 154 or Phillips 1976) etc. within certain social groups. It could be hardly denied that the pieces and groups mentioned above should be seen as representatives of a culture, in which – contrary to the common sense persuasion, met frequently also in music research – the category of authenticity and its epistemological peers are far from being exhausted. Each of the above mentioned examples from the recent Slovenian pop-music history has won recognition due to some kind of culturally definable surplus: Atomik Harmonik with their excessive „partying groove“; Neisha with her specific voice, bringing to the fore an inviting „veiled philosophy“ for the grown-up teenage population; DJ Umek with skillful technological know-how solutions; Siddharta with their explicit philosophical stance veiled in a stylistically much more „cosy“ appearance for the wider audience at the moment than that of the ideologically militant image of Laibach; Katalena with its well thoughtout re-creation of the chosen folk songs and Ljoba Jenþe with her „hereditary zeal“; Vasko Atanasovski with his combination of virtuosity and creative imagination. In spite of their roots in certain traditional patterns, the urge for a search toward persuasive expressive potentials, distinctive
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artistic means in comparison with their musical peers (even if only momentarily), is rather obvious. For music, as well as for any other art claiming importance of whatever sort, it seems that also for fast changing popularity in popular music Boris Groys’ thesis holds true: „Das Neue ist nicht bloß das Andere, sondern es ist das wertvolle Andere.“ (Groys 1992, p. 43). The difficulty in defining novelty is comparable to these in defining popularity: in both cases one has to define the scope of each of the categories in terms of differentiated relations between both sets of qualia, addressed earlier on, as levels of aesthetic and noetic apprehension of music. If taken seriously, the criteria defining the popularity would have to be understood as a chain of preferences for selected pieces and musical groups, centered on the question about degrees of aesthetic and noetic complexity. Being a category that is intimately bound up with the history of modernisms as well as popular music, complexity seems to be a technical term upon which popularity is often (if not predominantly) discussed. In both virtual worlds of music, the popular as well as the artificial (classical, concert, E-music …), the popularity is but an indication of the degree to which a certain piece, or style, „tickles“ one’s musical capacities, needs, or habits. Accordingly, the quantitative data, necessary to specify the thorny roses and their fragrances hinted at in this text while describing individual musical examples, would have to become a subject of a rather vast array of „right degrees“ regarding likes and dislikes for certain music, entailing far more methodological issues and differentiation than I am able to offer in this survey. Of course, the piled up functions of music mentioned above – along with the sociological, anthropological and psychological factorial keys – could offer fine insight in the processes of developing values attached to the music under discussion. Yet the important historical background, crucial to popularity as an emergent, changing phenomenon, would still be missing from this survey: functions, as discussed mainly on an empirical basis primarily in the behavioral sciences, would have to be seen as correlates of the „historical“ issues. One such correlate, probably the crucial one, is the category of complexity, as, for instance, offered by Karsten Mackensen (Mackensen 2006). Mackensen’s analysis of the 18th century notion of „Leichtigkeit“ – the analysis of the semantic range of the term – captures the psychological and sociological concept of factorial analysis, indicating the epistemological levels of usage specific to the notion of „Leichtigkeit“, which is one among the central sociological and aesthetic pillars enabling pleasure and stimulating enjoyment also in „the popular“ of music.
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If, by analogy, popularity is seen as a contiguous structure of joys and pleasures, the chosen examples should be considered as a compass needle pointing to at least the following areas: 1) One should not deny the aesthetic potency of Atomik Harmonik’s „saucy“ texts accompanied by a „repetitive narrativeness of polkaholicism“ as a powerful subversive potential: its sensualistic immediacy, dwelling on elemental dance fluency and instinctive messages, is a counterpart to the philosophical and ideological reflection met in Laibach and Siddharta. The primeval transparency of music-text relation in all three bands, only halfway realized in electronic dance music, seems to reinstate a scholastic wisdom according to which „the deepest secrets are hidden in front of your eyes“. The aesthetic immediacy of Atomik Harmonik, a sonic space where a considerable number of listeners „feels at home“ (R. Middleton), has hardly a peer in the above mentioned examples – just as Siddharta and Laibach are privileged to claim strong philosophical positions within the current pop music in Slovenia. Yet: a comparison between Atomik Harmonik’s immediacy, Siddharta’s eloquent rhetoric, even reflectivity, mantled in a „tuneful hard-rock“ velocity and shadiness, and Laibach’s political mimicry, clad in acoustic loops, would seem a farfetched, misused, or at least fruitless endeavour (at least for Slovenian music research) as social, also ideological, and anthropological catalysts. 2) The scruple regarding comparison of the three musical phenomena mentioned above is understandable to a certain extent. There can be no comparison (at least not a fruitful one), if one tries to ground the argument on stylistic or textual differences between Atomik Harmonik, Siddharta and Laibach. Even the most elemental „pleasure“ differs in their „musicing“. If the „pleasure of pop is that we can ‚feel‘ tunes, perform them, in imagination, for ourselves“ (Frith 2006, p. 173), a Laibach piece would be memorizable probably as a „factory style“ with „avantgarde“ political meaning, whereas Siddharta’s and Atomik Harmonik’s pieces would leave to a listener certain melodic phrases, but a completely different overall „sound“ imprint as well as an incomparable philosophical message. However, all three bands are important for different social groups that form „a culture in which few people make music but everyone makes conversation“ and „where access to songs is primarily through their words“ (Frith 2006, p. 173). In short: „If music gives lyrics their linguistic vitality, lyrics give songs their social use“ (ib.), the three bands should be compared on a level of intensity of their artistic intentions. Namely, if pop „songs do not ‚reflect‘ emotions, but give people the romantic terms 112
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in which to articulate and experience their emotions.“ (Frith 2006, p. 174), the question of sociological and anthropological differences between Atomik harmonik, Siddharta and Laibach would nonetheless be worth a comparison regarding the efficacy of their intentions which are implied in (in this case actually set to the fore of) their artistic volition. 3) In all three cases, the stylistic as well as textual features are directed to the „populus“, to the public. By contrast, Neisha’s upright lyricism, balancing on the edge of the Eurovision Song Contest tinsels and pop-rock intimism of a witty performer-songwriter, reverts the public domain into a fairy-tale-like commodity, comparable to the romantic „aah, so beautiful“ of the 19th century solo miniatures and their intimate reading-rooms atmosphere (here of course with loudspeakers and rock riffs, though not without delicacies). Her lyricism is far from offering overtly any socially relevant implications. But taking into account the somewhat broader historical perspective, it is exactly a combination of intimate poetry, pop-rock stylistic smoothness, and sensual „voicing“ that is pointing to her popularity as a consequence of her attachment to an „evergreen“ pop tradition of the 1950’s and 1960’s. It seems that her popularity should be reckoned more as a contextual mirror of some classical pop-rock music traditions than of the elemental stylistic or philosophical efficacy of her music. With Neisha, the popularity of popular music seems to subvert itself into a question regarding novelties from a „pool of deflections“ bringing to the fore the canonical pop music repertoire: it seems to arise much more from a skilful treatment of issues stemming from what might be called the classical pop-music repertoire than from any philosophical or „pure“ aesthetical values. 4) With similar arguments one may indicate different cultural bonds of popularity in Katalena’s „uprooting“ of the folk song and transferring it into a stylistically pop-rock idiom as well as Ljoba Jenþe’s „archival fascination“ with the folk legacy. Traditionally, an arc leading from local to global and vice versa would be the first theoretical issue pointing towards different functions attachable to this music. Moreover, the folk revival, specific for the last two decades in Slovenian music, seems to be far more popular – the same goes for Atanasovski’s jazz – not only because it is re/introducing otherness from the past clad in compelling attire, but especially due to a fact that these musicians have introduced novel intensity in dealing with folk music. However minor, or short-breathed, these novelties may prove themselves later on, they have gained popularity especially because of a common, rather elemental „prime mover“ in the arts: they 113
Leon Stefanija
have found specific musical idioms which function attractively in the „household of the pop music“. Among other things, the following question remains appropriate here: which forms, or processes, should be indicated as valuable in the hinted process of transforming the old into something new? Instead of attempting an answer, a comment seems more appropriate. It seems that the popularity of the selected musical examples is also a result of Groys’ cited axiological thesis. To whom are the here discussed musical examples popular, and especially: to what consequences are they leading for music as a common cultural phenomenon? This remains probably a rhetorical question for a culture, where „die Unendlichkeit der Textualität oder der Differenz hat die gleiche Funktion, die Kultur vor der Vernichtung zu schützen, wie früher die Vernunft oder die transzendentale Subjektivität“ (Groys 1992, p. 138).
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DIE GEBURT
DES
POP
AUS DEM
D E R P H O N O G R AP H I S C H E N
GEIST
REPRODUKTION
ROLF GROSSMANN
„Zu Pop hatten wir von dessen Geburt an, die mehr oder weniger unsere Geburt war, das beste Verhältnis.“ (Neumeister 2001, S. 19)
Keineswegs. Weder war die Geburt von Pop meine Geburt – wie im Appell an gemeinsame Jugendkultur unterstellt wird – noch hatten wir sofort zu Pop das beste Verhältnis. Im Gegenteil, wie Martin Büsser treffend schreibt, wurde von ‚uns‘ Anfang der siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts der Begriff Pop für „besonders seichte, kommerzielle Musik“ verwendet (Büsser 2000, S. 8). Pop war damals, anders als in den 80ern, keine ernstzunehmende und schon gar nicht positive Kategorie. Progressive Rock, Psychodelic, Rock Jazz und ähnliches bewegte unsere Gemüter, eine Musik, die nicht wirklich im quantitativen Sinn populär war. Wirklich populär war: der Schlager. Er war ein vertrauter medialer Ort der Nachkriegsjugend, während der „Beat-Club“ mit seiner TeenieGöttin Uschi Nerke ein Ort der medialen Begegnung nicht mit dem Vertrauten, sondern mit dem Fremden, mit Subkultur und plakativer ästhetischer Subversion war. Pop und Rock waren aber auch – gerade für die (meist männlichen) Studio-Akteure und solche, die es werden wollten – geprägt durch die Faszination des technischen Instrumentariums, durch Verstärker, Effekte, durch Studio- und PA-Equipment. Die mystische Aufladung dieser technisch medialen Aura der populären Musik lässt sich in der heutigen Ära des Bedroom-Producing nur annähernd nachvollziehen, wenn Software Tools und Plug-Ins als Objekte der Begierde inszeniert werden. Die Musik der Bands in den Siebzigern sollte ‚wie auf der Platte‘ klingen, selbst wenn es (noch) gar keine Platte gab. Um das nötige Geld zu beschaffen, war kein Ferienjob zu mühsam.
119
Rolf Großmann
Kulturindustrie und Massenmedien Soweit der Umriss persönlicher Erfahrung, der zugleich den Ausgangspunkt meines Beitrags und die Relativität des historischen Bezugssystems markiert. Das Problem, dass ‚Pop‘ nicht gleich ‚Pop‘ ist und dass ‚populär‘ als Beiwort weder eine Gattung noch einen irgendwie konsistenten musikalischen Gegenstand beschreibt, zog und zieht sich von Anfang an durch den Diskurs jeder popmusicology, die sich ihres Arbeitsfelds vergewissern wollte. Erste und gängige Definitionen verliefen ex negativo komplementär zur hochkulturellen E-Musik. Sie definierten als Gegenstand, was sich jenseits der Kunstmusik befand und von der etablierten Wissenschaft vernachlässigt wurde. Tatsächlich wurde der Schlager als „Popular Music“ – wie Adorno ihn 1941 beschrieb – vorrangig als massenhaft produzierte Ware verstanden, welche sich durch die Mechanismen ihrer kulturindustriellen Marktorientierung („Standardisierung“) von der Musikkultur autonomer Werke der Kunstmusik abgrenzte. So gab es zwar eine Charakteristik populärer Musik, dieser war aber damit zugleich ihre ästhetische Existenzberechtigung entzogen und durch ihre kommerzielle Funktion ersetzt worden. Kaum verwunderlich, dass in Adornos Klassiker die kommenden Probleme bereits paradigmatisch angelegt waren. Was folgte, die Übertragung der Analysemethoden, der musikalischen Deutung und Bewertung der anderen, ‚besseren‘ Musik auf Schlager und später Rock und Pop einerseits, und das musikalisch hilflose Fokussieren auf Texte und soziokulturelle Kontexte andererseits, war kaum geeignet, populäre Musik als ästhetisches Phänomen zu erschließen. Einer der ersten Ausbruchsversuche aus dieser Sackgasse atmet den oben beschriebenen Geist der siebziger Jahre und stammt aus der Feder eines intellektuellen und engagierten Avantgarde-Rockers: Chris Cutlers „File under Popular“ (1995) 1 war der Versuch einer positiven Definition populärer Musik, der von einer positiven Erfahrung der Musik selbst und ihrer positiv verstandenen Produktionszusammenhänge ausgeht und auf musikalische Formen und neue kollektive Formen der Produktion gerichtet ist. Von Adorno hierin nicht weit entfernt, verweigert Cutler die quantitative Orientierung an den Charts und fordert den qualitativen Blick auf die Ausdrucksmittel der Musik und ihre kulturelle Existenz. Die Bedeutung populärer Musik – und das ist neu – erschöpft sich allerdings nun nicht mehr in ihrer marktwirtschaftlichen Funktion, sondern besteht in ihrer 1
Die in der deutschen Ausgabe enthaltenen Einzelbeiträge stammen zumeist aus den 1980er Jahren (z.B. „Notwendigkeit und Auswahl musikalischer Formen“, 1982).
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Die Geburt des Pop aus dem Geist der phonographischen Reproduktion
kulturell und musikalisch innovativen Produktion. So wird also neben „zahlenmäßig ‚populär‘“, „‚populär‘ als ‚vom Volke‘“, „‚populär‘ als Gattungsbegriff“ auch der in unserem Kontext interessante „Produktionsmodus“ als Kriterium populärer Musik diskutiert (ebd., S. 10 ff.). Dieser enthält den „neuen Modus“ der Tonaufnahme als Mittel der medientechnischen Gestaltung und musikalischen Komposition. Mit welcher zentralen Bedeutung und welchem Gestus dieser Modus bei Cutler aufgeladen ist, zeigt seine Einschätzung „...dass die Freisetzung und Entwicklung revolutionär neuer musikalischer Mittel, die Ästhetisierung und Manipulation von Klangerfahrung des heutigen Lebens, und die Überwindung des toten Punktes, an dem der Mainstream der Kunstmusik angelangt war, nur durch den oben beschriebenen elektronischen oder neuen Modus erreicht werden kann“ (ebd., S. 17).
Damit sind die technischen Medien im Spiel und zwar an entscheidender Stelle: nicht als notwendiges Übel der Massendistribution, sondern als positiv verstandene technikkulturelle Erweiterungen musikalischer Gestaltung. Genau dieser Aspekt eröffnet eine Perspektive auf die Rolle der Medien in der populären Musik, die bislang gerne übersehen wurde und die erst in den letzten Jahren an Dynamik gewinnt. 2 Nicht nur in der deutschen Musikwissenschaft, deren Konzept des Populären durch Theodor W. Adornos Kulturindustriethesen geprägt ist, erscheint das Medientechnische zunächst einmal als zentrales Element der industriellen Produktion und Distribution und damit einer Marktorientierung der Kunst in einer bestimmten sozialen und ökonomischen Verfasstheit von Gesellschaft – verkürzt gesagt: als Zeichen der kulturellen Entfremdung arbeitsteiliger Kulturproduktion im Kapitalismus. Die technische Reproduzierbarkeit war, wie Peter Wicke am Beispiel von Bruno Nettl, Tibor Kneif, Simon Frith, David Horn und Richard Middleton herausstellt, schon früh im Blickfeld der Theorie populärer Musik. Die „Verbreitung“ durch die „Massenmedien Funk und Schallplatte“ (Nettl) ist dort ein Mechanismus arbeitsteiliger Gesellschaften, „... in denen kulturelle Produkte im wesentlichen von professionellen Produzenten geschaffen, auf Massenmärkten verkauft und durch Massenmedien reproduziert werden“ (Wicke 1992). Selbst wenn die Reproduktionstechnik als „immanentes Moment des Kunstzusammenhangs“ eines „auf technische Reproduktion angelegten Kunstwerks“ verstanden wird, wie es Wicke mit Blick auf Kneif und Frith formuliert, sind diese engen Verbindungen primär Belege dafür, wie weitgehend „Industrie und Marktbeziehungen“ im Herzen
2
S. z.B. Green/ Porcello 2005; Katz 2004; Lysloff/ Gay 2003; Taylor 2001; Zak 2001. 121
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der populären Musik verankert sind. 3 Dass auch der Bruch der Regeln durch alternative Subkulturen – etwa durch die zweckfremde Nutzung von Medientechnologie – immer wieder in den ökonomischen Mainstream der Unterhaltungsindustrie integriert wird, ist ein weiteres gängiges Argumentationsmuster (z.B. Hebdige 1983, S. 85). Dieser Mechanismus ist in der Tat ein Grundzug jeder populären Kultur in der Mediengesellschaft, sorgt er doch erst für die Popularisierung einer partiellen alternativen Praxis. Die ästhetischen Gestaltungsoptionen, die mit dem Regelbruch entstehen, werden allerdings erst so zum allgemein verfügbaren und akzeptierten Material. Von der gedanklichen Dominanz einer unseligen Liaison von Technologie und Kulturindustrie hat sich der Diskurs um die technischen Medien und populäre Musik kaum erholen können. Bis hin zum Konsum präformierter Technologie („Consuming Technology“) bei Paul Théberge (1997) rückt immer wieder der Verdacht ins Zentrum, die Medienpraxis der populären Kultur sei der ‚eigentlichen‘ ästhetischen Produktion und Rezeption abträglich, da sie der Fremdbestimmung durch die Zwänge einer massenhaften Vermarktung unterliege, sei es hinsichtlich der ästhetischen Produkte selbst oder der technologischen Standardisierung der Werkzeuge ihrer Produktion und Distribution. Diese Argumentation ist sicherlich im Kern nicht falsch, lässt sich allerdings von der Dominanz des Quantitativen beherrschen. Wenn von vornherein die Innovationen der ‚wahren‘ Musik von der arbeitsteilig vorproduzierten Warenmusik überdeckt würden, könnte popmusicology über die affirmativen Momente einer bestehenden Trivialkultur kaum jemals hinauskommen. Bruchlos könnte damit das Denken in Dichotomien von ‚Hoch‘ und ‚Niedrig‘ bzw. ‚E und U‘ fortgesetzt werden, ohne erklären zu können (und zu wollen), wie sich ästhetische Prozesse, an denen technische und kulturelle Medienkonfigurationen integral beteiligt sind, entwickeln und verändern. Solche Prozesse sind allerdings keineswegs auf populäre Musik beschränkt. Kurt Blaukopf, der die „Mediamorphose“ der Musik, wie er sie versteht, ausführlich beschreibt, nimmt dabei die ernste Musik explizit nicht aus (Blaukopf 1996, S. 271). Die Warenform jeder Musik erhält danach in der „Einzigartigkeit des Verwandelns von musikalischem Handeln in ein reales Objekt“ durch die Phonographie eine völlig neue Qualität (ebd., S. 190). Doch bereits Blaukopf bemerkt vorsichtig und trotz des Risikos, sich im Kollegenkreis dem Vorwurf der Geschmacklosigkeit auszusetzen, eine positive Sonderrolle der Medien in der damaligen Jugendkultur der populären Musik:
3
Tim Renner (ehemals Universal Music) bringt es auf die einfache Formel: „Pop=Kunst + Kapital x Massenmedien“ (Renner 2004, S. 12).
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Die Geburt des Pop aus dem Geist der phonographischen Reproduktion
„Hörfunk und Schallplatte lösten eine Welle von Eigenaktivität aus: Rock- und Beatgruppen traten auf [...] Musiksoziologen aber, die dort, wo es sich um den Gegenstand ihrer Forschung handelt, zur Geschmacklosigkeit verurteilt sind, konnten es sich leisten, den positiven Aspekt dieses Phänomens zu vermerken. Er bestand ohne Zweifel darin, daß junge Leute aus den Zwängen der technischen Musikwelt ausbrachen, um selbst tätig zu werden“ (ebd., S. 189).
Eine wichtige Beobachtung, aber zugleich ein Missverständnis: diese jungen Leute agierten nicht außerhalb, sondern innerhalb der technischen Musikwelt. Ihr Klangideal war der Sound der Schallplattenproduktion und in den Händen hatten sie keine Lauten, sondern E-Gitarren. Die Zwänge, von denen sie sich befreit hatten, waren das Diktat der Notationskultur und die Passivität der Einbahnstraße massenmedialer Vermittlung. Die Musik, oder besser: der Sound, der bis dahin nur auf Schallplatte oder im Radio zu hören war, rückte in Reichweite der Probenkeller.
Sound, Grammophon und Radio Es ist notwendig und folgerichtig, die Argumentation vom Kopf auf die Füße zu stellen: Popmusik zeichnet sich nicht dadurch vor anderen Musiken aus, dass sie durch Medientechnik kulturindustriell zugerichtet wird. Jede Musik, die in der Medienöffentlichkeit präsent ist, durchläuft diesen Prozess. Es ist dagegen die spezifische ästhetische Relation zu den medientechnischen Vorrichtungen, welche populäre Musik vor anderen auszeichnet und definiert. Sie ist die Musik der phonographischen Reproduktion und Übertragung, entstanden aus der massenhaften Verbreitung kultureller Produktion in den technischen Medien. Soweit besteht Einigkeit unter nahezu allen aktuellen Ansätzen zur populären Musik, für die stellvertretend Jürgen Terhag zitiert sei: „Ohne die technisch-mediale Produktion von Musik im Studio und auf der Bühne und ohne deren massenmediale Distribution war populäre Musik von Anfang an undenkbar“ (Terhag 2000, S. 8). Die Distribution, und mit ihr die technische Reproduktion, ist von der populären Musik als einer auf massenhafte Verbreitung abzielende musikalische Form des 20. Jahrhunderts von vornherein mitgedacht, sie ist – wie oben gesagt – „immanentes Moment“ und essentielles Element ihrer Gestaltung. Die daraus resultierenden ästhetischen Strategien bleiben jedoch meist ausgeblendet, sie befinden sich im blinden Fleck zwischen den Analyseverfahren etablierter Wissenschaft und der Szenesprache der Musikmagazine. Medienästhetische Verfahren machen indessen einen großen Teil der musikalischen Innovationen der Popkultur aus, Innovationen, die auch für andere Mu123
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sikpraxis richtungsweisend wurden und die aus dem Blickwinkel einer traditionellen Notationskultur unverständlich und unerklärlich bleiben müssen. Dabei ist der Hinweis auf die Verschränkung von „oraler Tradierung“, „Improvisation“ und „medialen Lebenswelten“ – wie ihn Jürgen Terhag wiederum im Einklang mit vielen aktuellen Autoren gibt (ebd.) – hilfreich, aber nicht ausreichend. In der Tat ist die Phonographie eine Voraussetzung zur massenhaften Verbreitung von bisher oral tradierter Musik in der Unterhaltungskultur Anfang des 20. Jahrhunderts. Mit dem amerikanischen Blues und den race records wurde eine Musik populär, deren ästhetische Gestaltungsmerkmale von der traditionellen Notation der europäischen Kunstmusik nur unzureichend erfasst werden und deshalb in den Printmedien auch nicht verbreitet werden konnten. Spielweise, Intonation und Klangformung des Blues wurden nun zusammen mit in Kurzform geronnenen Improvisationen zum öffentlich verfügbaren Material musikalischer Gestaltung, jedoch gerade nicht in oraler, sondern in phonographischer Verbreitung. Die vermeintlich orale Tradierung der Popmusik ist eine Funktion des Medienwandels, sie basiert – wie es Marshall McLuhan und eingehender Walter Ong formulieren – auf einer second orality, einer medientechnischen Oralität zweiter Ordnung (Ong 1987). Das Wissen über das musikalische Material des Blues wird dabei in einem Prozess phonographischer Verschriftlichung abgelöst von persönlicher Weitergabe und lokaler Kultur. Diese im Zuge einer beginnenden kulturindustriellen Vermarktung entstandene Medienförmigkeit entfremdet zwar die Spielpraxis und musikalische Kultur des Blues von ihren ursprünglichen Kontexten, bildet aber gleichzeitig die – nun mediale – Basis für die Weiterentwicklung populärer Musikformen. Die beginnende phonographische Massendistribution von bisher oral tradierter Musik ab Mitte der 1920er in den USA bedeutete auch den Anfang vom Ende der Dominanz einer musikstrukturellen Orientierung populärer Musik an der westeuropäischen Kunstmusik, einer Dominanz, die im wesentlichen auf dem Verschriftlichungs- und Verbreitungsmonopol der Notenschrift basierte. Der Sound, mit dem deutschen Wort Klang nur unzureichend übersetzt, beginnt ein mediales Eigenleben zu führen. Er wird, als reintegrierte Einheit der vormals durch die Notenschrift getrennten und kulturell normierten musikalischen Parameter, zum Leitbegriff populärer Musikkultur des 20. Jahrhunderts. Parallel zum Grammophon verbreitet sich der Hörfunk und mit ihm ein neuer Typus der Konstruktion musikalischer Medienrealität. Das Mikrophon als Medium der Übertragung veränderte nicht nur grundlegend Rolle und Disposition des öffentlichen Sprechens, sondern auch die ästhetische Disposition der musikalischen Aufführung. In seiner Übertra-
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Die Geburt des Pop aus dem Geist der phonographischen Reproduktion
gung in den medialen Raum wird der vormalige Bühnenraum nicht nur physisch, sondern auch ästhetisch transformiert. Bereits die akustischen Grammophonaufnahmen hatten in ihrer kuriosen Anordnung der Musiker und mit eigens konstruierten Instrumenten wie der Strohgeige deutlich gemacht, dass Spielpraxis, Aufführung und Medienkonfiguration direkt aufeinander abzustimmen sind. Mit der elektronischen Verstärkung des Mikrophons in der Live-Situation des Hörfunks war nun die Voraussetzung gegeben, die mediengemäße Zurichtung der Aufführung fruchtbar zu machen und den Transformationsprozess ästhetisch zu nutzen. Die ersten musikalischen Popstars des Live-Mediums Radio entstanden als Ergebnis einer solchen aktiv betriebenen Transformation. Sie machten sich dessen technische und kommunikative Situation zu eigen und schufen einen neuen musikalischen Raum, der in der Realität nicht zu finden war, aber der Als-Ob-Ear-to-Ear-Kommunikation des Radios vollständig entsprach: „Crooning arose because other styles of singing – operatic, Broadway and vaudeville, for example – were too loud for radio equipment in the 1920s. [...] Rudy Vallee became the first hugely popular crooner, however, and indeed the first national mass-media popular music star in America. [...] The striking feature about crooning was that, even when it was broadcast or played back on phonograph records, it offered a greater sense of intimacy than live singing“ (Taylor 2005, S. 260).
Die Stimmen der Crooner hatten den persönlichen Sound eines intimen Miteinanders, medialer Raum und private Hörsituation korrespondierten. Die Folge war der Einzug von Mikrophon und Verstärkung auch in die live-Aufführungssituation der Bühne, denn anders als in den traditionellen Formen der Oper und des Vaudeville-Theaters konstruierte das spezifische technische Setting nun einen Raum für die Projektion des persönlichen, privaten Sounds nicht-öffentlicher Kommunikation in die öffentliche Sphäre des großen Publikums. Die nächsten Stationen des Popsounds, die hier nur kursorisch erwähnt werden können, gehören zum Bereich der Effekte in der Medienproduktion. Ein früher, sehr wirkungsvoller Effekt bezieht sich ebenfalls auf den medial konstruierten Raum: das Slap-Back Echo des Rock’n’ Roll der 1950er Jahre, wie es bei Chuck Berry, Elvis Presley, Buddy Holly u.v.a. zu hören ist. Natürlich war künstlicher Hall, etwa durch Zumischungen von Mikrophon-Installationen in Hall-Kammern, durchaus bekannt und wurde eingesetzt. Die Echo-Effekte des Rock’n’Roll sind in der Regel Bandecho-Effekte und treten nicht als Simulation von natürlichen Räumen auf, sondern wiederum als Teil eines spezifischen stilprägenden Sounds. Spätestens hier wird – symptomatisch für die unzähligen Sound-Effekte der späteren Jahrzehnte – klar, wie das Verhältnis von
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elektronischem Medium und populärer Musik zu verstehen ist: das Medium tritt nicht als Vermittler einer außermedialen musikalischen Struktur auf, sondern ist konstruktiver Teil der Musik selbst.
Teilhabe und Aneignung Ab den 1960er Jahren erfolgte eine Aneignung der neuen Produktionsmittel und technischen Gestaltungsverfahren jenseits der im engeren Sinne kulturindustriellen Produktion durch die damalige Jugendkultur. Wie in der oben zitierten Bemerkung Blaukopfs schon angesprochen, passte die Erprobung der medienorientierten Gestaltungsverfahren in einer breiten Musikpraxis wenig zur Rolle der durch die Kulturindustrie ferngesteuerten passiven Konsumenten. Die „sprachlose Opposition“, wie Dieter Baacke die aufkommende Beatkultur nannte (Baacke 1968), nutzte elektronische Apparate. „Im Bereich der kommerziellen und massenmedial verbreiteten Unterhaltungsund Tanzmusik kam es aber bis weit in die 1950er Jahre zu keiner eigenen Produktion und Reproduktion derartiger Musik durch Jugendliche. Das geschah, nach den Anfängen des Rock’n’Roll, in zunehmenden (sic!) Maß erst ab den 1960er Jahren und unter dezidierter Anwendung der neuen Produktionsmittel (E-Instrumentarium, Verstärker- und Tonstudiotechnik)“ (Rösing 2002, S. 17).
Damit war der Grundstein zu einer langfristigen kulturellen Eroberung der technischen Settings gelegt. Das durch die Massenmedien verbreitete musikalische Material verband sich mit einer neuen ebenso verbreiteten Spielpraxis, auf der – jeweils auf ihre Weise – weitere Generationen aufbauen sollten. Dass nun die amerikanische und britische Populärkultur in der Musik den Ton angab, war nur scheinbar überraschend und nicht nur der Nachkriegssituation des Zweiten Weltkriegs zu verdanken. 4 Die Entwicklung der Massenmedien und der mit ihnen verbundenen Gestaltungsverfahren war in den USA bereits fortgeschritten und traf sich mit der musikalischen Sozialisation von Bevölkerungsgruppen, deren soziale Situation eine Teilhabe an der tradierten Kunstmusik weitgehend ausschloss oder die eine bewusste Gegenposition einnahmen. Während Beat und Rock das medienästhetische Paradigma erprobten und verfeinerten – als Produzentenbeispiele seien hier nur Phil Spector (‚Wall of Sound‘) und Alan Parsons (Pink Floyd) erwähnt 5 – gingen die Kids der Bronx und die Betreiber der jamaikanischen Soundsystems radikalere Wege. 4 5
S.a. Théberge 1997, S. 7ff. Dazu ausführlicher Théberge 2001, S. 10ff sowie Smudits 2003.
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Rap und HipHop entwickelten sich Mitte der 1970er Jahre parallel zur Discomusik der New Yorker Vergnügungstempel in den Blockpartys der Bronx. Der Weg der Hiphop-DJs war insofern ein Bruch mit jeder vorherigen Praxis des Instrumentalspiels, als ihre Instrumente bereits vorgefertigte Klänge mitbrachten. Die von der Kunst- und Musikavantgarde ab Ende der 1920er Jahre (u.a. László Moholy-Nagy, Ernst Toch, Paul Hindemith) in Experimenten und Theorien manifestierte Vision, Reproduktionsmedien als Instrumente musikalischer Gestaltung einzusetzen, wurde so gängige Praxis. In einer ganz wesentlichen Hinsicht unterschied sich die neue Praxis jedoch von den Visionen der europäischen Avantgarde und der von Pierre Schaeffer bereits erprobten Reproduktionsmusik: die reproduzierten Klänge waren nicht eigens für ihre Manipulation angefertigt oder gar wie bei Moholy-Nagy per Hand in den Schellack geritzt, verwendet wurden statt dessen die vorhandenen Medienprodukte der kulturindustriellen Produktion. Eine Idee, die so weit vom europäischen Verständnis von Autor und Werk entfernt ist, dass sie nur in einer ‚uneuropäischen‘ soziokulturellen Situation entstehen konnte, welche durch die globalisierte second orality der Massenmedien entstanden war. Voraussetzung war, dass das stockpiling of music (Attali 1985, S. 101) der zur Schallplatte geronnenen Warenmusik in den privaten Regalen und Second-Hand Läden sich in Form kultureller Archive zweiter Ordnung ausreichend sedimentiert hatte (s. dazu Großmann 2005). Tricia Rose, deren 1994 erschienenes Buch „Black Noise“ bis heute zu den kompetentesten HipHop-Publikationen gehört, hat sich bereits 1989 ausführlich mit der Argumentation einer phonographischen Fortsetzung der oralen afro-amerikanischen und karibischen Kultur in Rap und HipHop auseinander gesetzt. Sie betont – unter Einbeziehung der Gedanken Walter Ongs – das hybride Miteinander von oraler Tradition und Technologie. „The literate and the musical texts in rap are a dynamic hybrid of oral and advanced technological forms. Rap lyrics, fundamentally linked to the rappers, clearly indicates the importance of authorship and individuality. There are shared phrases and slang words in rap lyrics, but a given rap text is the voice of the rapper. The music is a complex cultural reformulation of a community’s knowledge and memory of itself“ (Rose 1989, S. 42).
Rap eignet sich danach sein musikalisches Material aus den Medienarchiven an und nutzt es zur ästhetischen Reformulierung des kollektiven Gedächtnisses kultureller Gemeinschaften. Zusammen mit dem individuell verfassten und gesprochenen Text entsteht eine individualisierte Medienmontage, welche – und das ist entscheidend – direkt auf die phonographischen Dokumente der eigenen Tradition zugreift. Solche Verfahren aus dem DJ-, Sampling- und Remix-Kontext werden zuweilen als
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Recycling missverstanden, mit der ökonomischen Wiederverwertung kulturindustriellen Schrotts haben sie allerdings wenig zu tun. Rose hat diese Position – ebenso wie Jacques Attalis These von der Repetition als kulturindustriellem Vermächtnis der Phonographie (Attali 1985) – als den problematischen Ausdruck einer neuerlichen Dominanz weißer, an der westeuropäischen Kunstmusik orientierter Perspektiven zurückgewiesen (Rose 1994, S. 64 f.). Als zweites – und teilweise ähnlich diskreditiertes – Element der DJCulture nimmt der Remix eine zentrale Stellung ein. Er entwickelt sich – noch als als Vorläufer des Rap und HipHop – parallel in zwei musikalischen Kulturen, im jamaikanischen Dub und im Disco der 1970er Jahre. Im Kreis der New Yorker Discoszene arbeitete ein Klangbastler namens Tom Moulton 1972 mit einem Verfahren, das er „Remix“ nannte und das sich bald als gängige Praxis der Verlängerung von Discostücken (u.a. auf der dafür geschaffenen Maxi-Single) durchsetzte. Während im Disco der Remix unter Zuhilfenahme der Masterbänder eine Produktion durch Umstellung, Wiederholung von Parts und durch Hinzufügung von percussiven Teilen im Sinne des Nonstop-Dancing optimierte, ging das gestalterische Konzept des Dub tiefer. Hintergrund des Dub-Remix ist die Verselbständigung der Background-Spur eines Songs ohne Vocals auf der B-Seite einer Platte. Diese „Version“ genannte Praxis erlaubte es den DJs der Soundsystems, besser mit dem Publikum zu kommunizieren, es selbst singen zu lassen oder zu „toasten“, wie die jamaikanischen Vorform des Rap genannt wird. Gleichzeitig werden mit ein und demselben Background mehrfache Produktionen möglich und üblich. Die Identität eines Songs wechselte auf diese Weise von Melodie und Text über zur rhythmischen Grundstruktur, die als „riddim“ zum Volksgut wurde. Da der Dub-Remix zumeist in der live-Situation der mobilen Beschallungsanlagen, der Soundsystems, vor den Augen und Ohren des Publikums stattfand, war auch auf der Rezipientenseite die Grundlage für die Akzeptanz dieser neuen medienästhetischen Praxis gelegt. Osbourne Ruddock alias King Tubby, einer der Pioniere des Dub, beginnt etwa den Live-Remix 1972 noch im Zweispurverfahren unter Hinzufügung von Echo- und Delayeffekten, später verwendete er vier und mehr Spuren sowie Filter und weitere Effekte. Eine rudimentäre Studiokonfiguration samt Mischpult und Bandmaschine war somit auf die Bühne ausgewandert. Seine Performances sind wegweisend für den Gebrauch der Phonographie in einer globalisierten populären Kultur, welche die eingeführten Mechanismen der kulturindustriellen Produktion überschreitet und für neue Formen der Gestaltung nutzt. Anders als bei den ausgefeilten Studiotricks des Rock, die für den Hörer un-
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einsehbar sind, hat das Publikum hier die Möglichkeit, die Gestaltung zu verfolgen und über seine Reaktion direkt zu beeinflussen. Dem Remix, sowohl im Disco als auch im Dub, liegt also die Idee zu Grunde, in phonographisch gespeicherter Musik verschiedene Versionen eines eingeführten musikalischen Stücks, einer Musikstruktur oder eines Grundmusters auszuarbeiten und zu erproben. Damit ermöglichte er sowohl historisch als auch medienästhetisch erst die Entfaltung der DJCulture im HipHop. Tatsächlich ist es das Soundsystem des Jamaikaners DJ Herc, das zum Ausgangspunkt des HipHop wird. Die Idee der Versions wird im HipHop mit dem produktiven Gebrauch der Medienarchive verbunden und führt so zu einer umfassenden neuen medienästhetischen Strategie. Während die analoge Phonographie vom Reproduktions- zum Produktionsmedium mutierte, fand bereits die nächste technologische Revolution statt. Ab Ende der 1970er Jahre waren Synthesizer und Sequenzer Repräsentanten eines neuen Sounds geworden, welcher wiederum ausgehend von der funktionalen Musik der Discos eine neue Orientierung populärer Kultur bewirkte. Die Zeit des Pop im engeren Sinne hatte begonnen und wir Spät-1968er hatten auch bei dieser zweiten Revolution das Nachsehen, sie war an uns unerkannt vorbeigezogen (s. Eingangszitat). Die Hinterlassenschaft der 68er waren der Psychodelic- und ProgressiveRock und dass Donna Summers „I feel love“, 1977 von einem schnauzbärtigen Münchner Managertyp produziert, eines Tages für den Durchbruch der sequenzer-orientierten Basslinie im Pop Museum stehen würde, war schlicht unvorstellbar. Natürlich war Kraftwerk bereits bekannt, hatte aber eher den Gestus des Exotischen, Provozierenden. Das Maschinenhafte, was Karl Bartos und andere damals mangels programmierbarer Musiktechnologie noch mühsam simulieren mussten, war ab 1983 mit dem MIDI Standard, der die zentrale digitale Steuerung von elektronischen Klangerzeugern ermöglichte, endgültig Sache der Maschinen. Die Verfahren der DJ-Culture, der elektronischen Musik und des Sampling begannen zu verschmelzen. „Es war die Welt der Synthesizer und Computermusik und der seltsamen Frisuren geworden...“ kommentiert Pete Townshend in einem Interview seinen 1982 vollzogenen Ausstieg bei den Who. 6 Die E-Gitarre hatte ihren Status als Ikone des Popsongs verloren, die Jugendkultur wendete sich dem DJ-Set, den Grooveboxen oder wenig später den digitalen Sequenzern zu. Der Prozess von Aneignung und Regelbruch bezog sich nun auf die elektronischen Maschinen des technologischen Kon-
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Interview in der Süddeutschen Zeitung (SZ Nummer 130/2007, Seite VIII). 129
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sums. Dazu noch einmal der bereits eingangs zitierte Andreas Neumeister: „Revolution 909. Revolution 606. Revolution 303: das Gerät, das die Revolution auslöste, wurde nach eineinhalb Jahren wegen Unverkäuflichkeit vom Markt genommen. Als Spanky und DJ Pierre das Gerät, das die Revolution auslöste, als Geniestreich entdeckten, war es im regulären Handel schon nicht mehr erhältlich. (Das Gerät, das die Revolution auslöste, war ziemlich billig)“ (Neumeister 2001, S. 24).
Mit der Informationstechnologisierung waren nicht nur die elektronischen Klangerzeuger durch automatische Prozesse steuerbar geworden. Auch die Phonographie war berechenbar geworden, ihre analogen Repräsentationen des Schalls wurden in die maschinenlesbaren diskreten Zeichen der informationsverarbeitenden Maschinen gewandelt. Ein Medienwandel in Richtung einer neuen Stufe der Schriftkultur hatte begonnen, der die analogen Repräsentationen des Schalls der Phonographie buchstäblich auflöst und diese einer automatischen Transformation symbolischer Formen zugänglich macht. Dass dieser Prozess nur noch vollständig technisch vermittelt stattfinden kann, ändert nichts an seiner Gestaltbarkeit. Im Gegenteil, die medialen Formen der analogen Phonographie werden simulativ in die Oberfläche des neuen Mediums aufgenommen. Hinzu kommen die in Software-Produkten verfügbaren Verfahren der digitalen Produktion: Sequenzerprogramme, Sample-Editoren, PlugIns und Tools werden selbst zu Medienobjekten, in denen spezifische Transformationsprozesse Gestalt annehmen. Voraussetzungslos sind die neuen Verfahren allerdings nicht, sie setzen auf der Praxis des Cut’n’Mix, des Layering, der Tempo- und Pitchvariation der analogen DJ-Culture und der Electronica auf. Eine eigene Ästhetik der digitalen Formen, wie sie sich aus dem Sampling, der Granularsynthese des Liquid Audio, der automatischen Transformation und Komposition und anderen Techniken ergibt, beginnt sich im augenblicklichen Stadium des Zeitalters der digitalen Medien erst auszubilden (s. a. Großmann 2003). Wie weitgehend die phonographische Schrift als kompositorisches Material in das Selbstverständnis des HipHop und seiner digitalen Nachfolger eingezogen ist, lässt sich nicht zuletzt bei Autoren wie Kodwo Eshun nachlesen. Für Eshun hat die „Breakbeat Science“ der populären Musik längst die Theoriediskurse der Wissenschaft überflügelt. „Der Breakbeatwissenschaftler schwitzt niemals: Rhythmatik dreht sich nicht mehr ums Üben, mehr ums ‚Denken und Hören‘, wie Kraftwerk gesagt haben. [...] Von der ‚Zukunft der Computermusik‘ zu sprechen setzt automatisch einen akademischen Komponisten/Wissenschaftler voraus, der in einem Vorkriegsmodell der von oben nach unten durchhierarchisierten Wissenschaft befangen ist. Aber Breakbeatwissenschaft ist die uneinholbare Zukunft der Computermu-
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sik, in der alphanumerischer Sound aus dem Labor entkommt und sich in einer Serie geheimer Operationen durch alle Schlafzimmerstudios vervielfältigt. Breakbeatwissenschaft ist die geheime Technologie des genspaltenden Sounds, die inoffizielle Wissenschaft des rhythmischen Beatzerhackens, bis eine Passage in den Drumtrip und den Drumkick freigelegt ist, eine Eskalation rhythmischer Timbreeffekte“ (Eshun 1999, S. 80 f.).
Eine nicht unberechtigte Argumentation, denn die Arbeit an Sounds und Loops als kompositorisches Verfahren setzt einen höchst analytischen Umgang mit dem Material voraus, der in der Theorie erst ansatzweise erreicht ist. Schon die Beobachtung der konkreten Arbeitsschritte bei der analytischen und höchst präzisen Zergliederung des Audiomaterials in den Sample-Editoren verrät, dass es sich hier nicht um ein rein spontanes Musizieren oder Improvisieren handelt, sondern um einen höchst komplexen, technisch wie intellektuell anspruchsvollen Vorgang der Materialanalyse, der Dekonstruktion und Rekombination.
Ästhetisches Material und Popmusicology Es sollte deutlich geworden sein, dass eine popmusicology, die sich mit den musikalischen Gegenständen aktueller populärer Musikkultur befasst, die phonographischen und digitalen Medien als grundlegenden ästhetischen Bestandteil ihrer Gestaltung zu begreifen hat. Ein Verständnis der Medien als ökonomische Mittel der Distribution greift selbst dann zu kurz, wenn die soziokulturellen Verhältnisse der medialen Lebenswelten berücksichtigt werden. Wird populäre Musik als ästhetischer Gegenstand ernst genommen, so ist die produktive Nutzung der phonographischen Schrift und der ihr nachfolgenden digitalen Notationen als musikalisches Material einzubeziehen. In das westeuropäische Verständnis, der Klang sei als musikalischer Parameter zwar höchst bedeutend in populärer Musik, jedoch zur ‚eigentlichen Musik‘ akzidentiell, sind medienästhetische Verfahren der Phonographie kaum zu integrieren. Dabei ist bereits die darauf folgende Stufe digitaler Schriftlichkeit mitzudenken, die eine der klassischen Notation vergleichbare Verfügbarkeit des musikalischen Materials erlaubt. Dieses Material ist jedoch ein anderes als jenes der notierten melodischen, harmonischen und rhythmischem Formen. Es schliesst sowohl die Medienarchive der Phonographie wie auch die Formen ihrer gestalterischen Nutzung als programmierte Objekte (Programme, PlugIns, MAX- und PD-Patches) ein. Diese Objekte bilden wiederum Me-
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dienarchive dritter Ordnung, die als Ressource ästhetischer Prozesse dienen. 7 Populäre Musik basiert im Gegensatz zur westeuropäischen Kunstmusik auf einer klangschriftlichen Notation und – noch wichtiger – sie begründet in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts medienästhetische Verfahren ihres Gebrauchs, die in eine breite musikalische Praxis münden. Für sie gilt nicht, was Douglas Kahn durchaus berechtigt dem „musical discourse“ der Kunstmusik vorwirft, nämlich im Vertrauen auf die Überlegenheit der eigenen Kulturtradition das durch die Phonographie geöffnete Universum neuer Gestaltungsmöglichkeiten übersehen zu haben: „Phonography did, nevertheless, promise an alternative to musical notation as a means to store sonic time and, in the process, deliver all sound into artistic materiality, and musical discourse responded by trivializing the complexity of significant sounds and their settings“ (Kursivierung im Original, Kahn 2003, S. 79).
Es mangelt im wissenschaftlichen Diskurs zwar nicht an Hinweisen auf die zentrale Rolle des Sound in der populären Musik, die Möglichkeit, eine weitergehende unmittelbare Relation zwischen der Klangschriftlichkeit der technischen Reproduktion bzw. Übertragung und der musikalischen Struktur herzustellen, wird jedoch meist zu Gunsten einer übergreifenden kulturellen (oder kulturindustriellen) Interpretation übergangen. Die Phonographie liefert wie die Notation „geistfähiges Material“ (um mit Eduard Hanslick einen Urvater der Formalästhetik zu zitieren), allerdings als medientechnische Schrift des Schalls, welche die kulturelle Normierung nicht in der Symbolstruktur der Zeichen selbst, sondern in den technischen Dispositionen ihres Gebrauchs mit sich trägt. Diese sind wandelbar, sowohl als Hardware der analogen Phonographie („DJ-Set“) wie auch als Softwareoberflächen der digitalen Bearbeitung. Werden diese gestalterischen Strategien der Klangschriftlichkeit als ästhetisches Material der populären Musik angesehen, so sind sie wissenschaftlichen Analysen genauso zugänglich wie der Diskursivität begründeter Werturteile. Ein allein phänomenologischer Zugang zu den technikkulturellen Gestaltungsphänomenen und den daraus entstandenen kulturellen Zeichen ist zwar durchaus berechtigt, erlaubt jedoch keine Einschätzung der inneren Dynamik der Gestaltungsprozesse und ihrer ästhetischen Optionen. Für ein umfassenderes Verständnis der Musik selbst bedarf es jedoch zunächst einmal eines genauen Blicks in die ‚Mechanics‘ der zu generativen Instrumenten gewordenen Medientechnologie,
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S. dazu Großmann 2005.
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um die Beschaffenheit der Gegenstände zu verstehen, welche die kulturellen Mechanics der Popkultur bewegen.
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KEINE MUSIK OHNE MEDIEN, KEINE MEDIEN OHNE MUSIK? P O P (- K U L T U R W I S S E N S C H A F T ) MEDIENWISSENSCHAFTLICHER
AUS
PERSPEKTIVE
CHRISTOPH JACKE
You Are My Sister! Leben in der Medien-Popkultur „Pop steht für das Einfache, hinter dem sich das Komplexe verbirgt.“ (Kemper 2005, S. 302)
Wenn der kanadische Songwriter Antony & The Johnsons 1 auf seiner von Zuhörenden und Medien gleichermaßen gefeierten CD I Am A Bird Now (Secretly Canadian 2004) das Duett „You Are My Sister“ mit und zu seinem popmusikalischen Helden Boy George singt, dann wird die Kontingenz in der Interpretation populärer Musik offensichtlich. Dann wird klar, warum jede(r) meint, beim Thema Popmusik mitreden zu können. Songs wie „You Are My Sister“ wirken gewissermaßen wie Diskussions- und Geschichten-Provokateure, die Anschlusskommunikationen fordern. Schnell ließen sich auch – und insbesondere als Popforschender – an diesem, einen Song eine ganze Reihe Überlegungen anstellen, die die von Kemper erwähnten thematischen Komplexitäten hinter vermeintlich einfachen Popsongs aufzeigen: x Wieso etwa hat Antony gerade den längst von der Bildfläche verschwundenen Boy George reaktiviert? (Stars und Helden) x Wieso fiel dieser (Boy George) zuletzt eher durch Drogenskandale denn durch zu diskutierende Popmusik auf und was können wir aus 1
Antony & The Johnsons heißt sein Projekt, hinter dem Antony Hegarty selbst im Wesentlichen steht. Gefeiert und unterstützt wird Antony ‚popideologisch‘ allerdings von einer Reihe Pop-Stars wie etwa Lou Reed, Björk oder Rufus Wainwright. Zur Information vgl. http://www.antonyandthejohnsons.com, 10.05.2007. 135
Christoph Jacke
der Berichterstattung (dem Was und dem Wie) lernen? (Medienberichterstattung und Zeitgeist) Was sagt der Song, vor allem in seinen Lyrics, über die sexuelle Neigung von Antony aus? (Geschlechterverhältnisse, Hetero, Homo, Queer, Gender) Wie findet ein zunächst unbekannter Künstler/Musiker seinen Weg über ein kleines kanadisches Nischen-Label (Secretly Canadian) in den popmusikalischen Mainstream der Minderheiten und eventuell sogar ins Main 2 des Pop? (Vermarktung, Distribution, Medien und Aufmerksamkeitsökonomie) Wieso wählt sich Antony als prominente Gäste dieses Albums schillernde und in ihrer sexuellen Neigung zumindest ambivalente Gestalten wie Lou Reed, Rufus Wainwright und eben Boy George? (Produktion, Kooperationen, Politik und Pop) Inwiefern gesellt sich das Album von Antony & The Johnsons in einen Reigen erfolgreicher, neuer stiller Songschreiber und orchestralen Pops in den USA und Kanada, die durch Zurückgenommenheit auffallen? (Moden und Stile in der Popmusik und ihrer Historie) 3 Wer nutzt und verarbeitet Songs von Antony & The Johnsons wie, also etwa zur Identifikation in bestimmten Szenen? (Rezeption, Nutzung und Weiterverarbeitung von Medienangeboten) …
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Das Leben als Popforschender in der Medien-Popkultur scheint also herrlich einfach, man muss nur den eigenen Alltag genau genug beobachten, die Themen fliegen einem dann zahllos zu. So etwa lief, während ich mich an diesen Vortrag setzte, das eben genannte Album, welches ich vor ungefähr einem Jahr für ein Stadtmagazin als Musikjournalist euphorisch rezensiert hatte. Anlässe zum Nachdenken wären also zur Genüge geschaffen, doch warum möchte ich trotzdem an dieser Stelle zunächst nicht weiter auf das Phänomen Antony & The Johnsons eingehen? Nun, betrachtet man Einzel-Phänomene in der populären Kultur oder eben Medien-Popkultur, unter der ich den Bereich industrieller Produktion von Medienangeboten, die von großen Rezipientengruppen mit Vergnügen genutzt und verarbeitet werden, verstehe (vgl. Jacke 2004, S. 21), dann gelangt man als Popforschender (zunächst einerlei, welcher Disziplin) sehr schnell in das Fahrwasser von beurteilenden Kommentierungen oder intrinsisch motivierten Beobachtungen (der Rockprofessor, der über 2 3
Vgl. zur produktiven Dialektik von Sub und Main im Pop Jacke 2004 sowie aktuell 2007. Vgl. zu einer ausführlichen Betrachtung dieses popmusikalischen Phänomens „Quiet Is The New Loud“ Jacke 2005b.
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Keine Musik ohne Medien, keine Medien ohne Musik?
seine Lieblingsband schreibt). Genau dieser Gefahr versuche ich seit Jahren zu entkommen, indem ich zum Einen als Musikjournalist in verschiedenen Bereichen arbeite und mich dort mal mehr, mal weniger reflektiert über einzelne Acts, Platten, Phänomene oder Tracks auslassen kann – diese Plattform dient mir gewissermaßen als emotionalessayistischer Katalysator intrinsischer Motivationen. Zum Anderen bemühe ich mich – gerne ausgehend von Phänomenbeobachtungen aus dem Leben mit und in der Medien-Popkultur – um die Untersuchung der Rolle der Popkultur im Ganzen und der Popmusik im Speziellen für die Gesellschaft. Dazu bedarf es einer Erfassung größerer Zusammenhänge und Kontexte, einer abstrakten theoretischen Modellierung und daraus einer Konstituierung von Beobachtungssettings und -instrumentarien zum wissenschaftlichen Umgang mit Pop. Insofern können die CD und der Song von Antony & The Johnsons Reflexions- und Kommunikationsanlass sein, um die Fülle von Beobachtungsmöglichkeiten exemplarisch aufzulisten. Und aus dieser, eben aufgezählten, ersten Liste, die beliebig fortsetzbar wäre, ergibt sich ein chaotisches Feld, in das ich versuche, analytisch und vorübergehend etwas Ordnung zu bringen. Dabei kristallisiert sich für mich beim Umgang mit und Nachdenken über Pop immer wieder ein besonders prägnanter und häufig zu beobachtender Zusammenhang heraus: der zwischen Medien und Musik. Auf diesen möchte ich im Folgenden genauer eingehen (2), bevor ich danach aus meinem eigenen, ansozialisierten disziplinären (medienkultur- und kommunikationswissenschaftlichen) Blick schildere, inwiefern dieser Zusammenhang bisher zu wenig behandelt wurde und daraus die Institutionalisierung einer eigenen Popkulturwissenschaft, einer Popmusicology, fordere (3), die, wen wundert es, sich im Besonderen (aber nicht nur!) mit Popmusik auseinandersetzen soll.
Musik und Medien – wechselwirksame Zusammenhänge Bevor auf die Zusammenhänge der beiden Untersuchungsfelder Musik und Medien genauer eingegangen werden soll, gilt es, zumindest in aller Kürze Arbeitsdefinitionen vorzulegen, die es erlauben, diese Felder zu strukturieren und zu analysieren. Ferner sollen diese Definitionen dazu dienen, das offensichtlich insbesondere in Beobachtungen zu Musik und zu Medien vorherrschende Durcheinander zu ordnen, um von einem vorläufig gemeinsamen Plateau aus zu argumentieren.
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Musik In meinem Musikbegriff lehne ich mich an die Überlegungen des Kommunikationswissenschaftlers Torsten Casimir an, dessen ausführliche theoretische Analyse zur Musikkommunikation und ihren Wirkungen bis heute eine der wenigen Ausnahmen kommunikations- und medientheoretischer Beschäftigung mit Musik darstellt. Casimir kritisiert dabei aus systemtheoretischer Perspektive den Mangel an wissenschaftlichen Beobachtungen und – wenn Musik überhaupt einmal aus dieser Warte thematisiert wird – die Einseitigkeiten der Analysen, und zwar sowohl thematischer als auch theoretischer als auch empirischer Art. Darauf werde ich später innerhalb meiner Ausführungen zur medien- und kommunikationswissenschaftlichen Behandlung von Musik noch zurückkommen. Casimir (1991, S. 192-197) verlangt eine kognitionsfundierte Beschreibung von Musik, die sich also nicht am Wesen, Werk oder der Existenz von Musik orientiert, sondern an deren Wahrnehmung und deren Gebrauch durch kognitiv autonome Aktanten, die gleichzeitig sozial orientiert wahrnehmen. Erst durch solcherlei kulturelle Orientierungen etwa wird der Unterschied eines erlebten Musikstücks zu einem tropfenden Wasserhahn als akustisches Ereignis sinnvoll. Dabei betont Casimir (1991, S. 89) den Selbstbezug elementarer musikalischer Ereignisse, indem man die Einheit von Musik als intervallförmigen Ton bestimmt. Dieser kann aber eben erst in seiner Wahrnehmung beobachtet werden. Casimir (1991, S. 80) fasst unter Musik also nicht etwas objektiv Gegebenes, als physikalische Realität, sondern bemüht sich um die Integration systemtheoretisch-konstruktivistischer Erkenntnisse, wie dies aus kommunikationstheoretischer Perspektive auch R. Großmann (1991, 1999) und später G. Jöns-Anders (2003a, 2003b) versucht haben, um sowohl das Prozesshafte von Musik in ihren Kontexten von Produktion, Distribution, Rezeption/Nutzung und Weiterverarbeitung als auch die lange Zeit vernachlässigte Bedeutung des Musik-Wahrnehmens zu berücksichtigen. Casimir spricht sogar vom Handlungssystem Musikkommunikation, das „[…] als ein Quadrupel (eine geordnete Menge mit vier Elementen), bestehend aus Musikproduzenten, Musikvermittlern, Musikrezipienten und Musikverarbeitern“ (1991, S. 83) definiert werden kann und sich am Handlungssystem Literatur des Medienkulturwissenschaftlers S. J. Schmidt (1989, S. 280-380) orientiert. Ganz ähnlich, wenn auch häufig nicht so systematisch umfassend und analytisch scharf, argumentieren medienkulturtheoretische Ansätze der Cultural Studies, wenn sie die Rolle der aktiven Rezipienten in deren Aneignungen von
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Medienangeboten betonen. 4 Darauf verweist auch D. Diederichsen, der mit der Musikzeitschrift Spex bereits in den frühen Neunziger Jahren einzelne Ansätze und Forscher der britischen und amerikanischen Cultural Studies in die Popkultur-Diskussionen eingebracht hat: „Pop-Musik ist offen, die Rezipienten leisten ganze Arbeit. Und nur zu oft ist ihr Anteil bedeutender als der der Musiker, Produzenten, Graphiker, Videoregisseure und wer sonst noch an einem Werk der Pop-Musik beteiligt ist.“ (Diederichsen 2005, S. 13)
Musik und Popmusik sind also soziale Konstrukte, sind offene Texte innerhalb diverser Kontexte, die sich kommunikativem Handeln verdanken und die wissenschaftlich zunächst einmal situationsunabhängig strukturiert (theoretisch-verallgemeinernd) und dann situationsabhängig analysiert (exemplarisch-plausibilisierend) werden können. Durch einen solchen Perspektivenschwenk weg von der kritischtheoretischen Ohnmacht der Rezipienten hin zum Aktanten und dessen kognitiven und kommunikativen Operationen gelingt eine undogmatischere Herangehensweise an Musik und Popmusik. 5 Dabei soll nicht verschwiegen werden, dass insbesondere systemtheoretische und konstruktivistische Beobachtungen, aber auch einzelne Überlegungen der Cultural Studies in ihrer Betonung der Aktivität des Rezipienten eine ganze Zeitlang den Blick auf Machtverhältnisse und Kritikpotenziale verstellt haben, sich aber in letzter Zeit vermehrt solchen Themen widmen. 6
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Vgl. immer noch grundlegend die Beiträge in Lull 1992, der nebenbei bemerkt in der Einleitung zu seinem Band bereits in den frühen Neunzigern von der Transkulturalisation im Gemenge der Klänge und Stile der internationalen Popmusik sprach, einem Aspekt, der jüngst im Zuge der wissenschaftlichen Diskussionen um Transkulturalität und die Rolle transkultureller Kommunikation wieder sehr en vogue erscheint. Hierbei spielen emotionale Aspekte insbesondere bei der Musikrezeption eine gewichtige Rolle. Kemper (2005, S. 301) schreibt sogar von Lovesongs als kommunikablen Modellen von Begehren und Gefühlsverstärkern. Vgl. zu Emotionen und Medien einführend Schmidt 2005a; zu Emotionen/Stimmungen und Musikrezeption zuletzt Schramm 2005. Vgl. zu einer ausführlichen Darstellung und Diskussion der Kritikpotenziale von Kritischer Theorie, Cultural Studies und sozio-kulturellem Konstruktivismus Jacke 2004. Vgl. darüber hinaus zu Kritik und Konstruktivismus Schmidt 2000, S. 155-174, Schmidt 2005b sowie aktuell zu Macht und Verantwortung Jacke et al. 2007, Track 8 und 9; vgl. zu Auswegen aus Paradoxien und Autologiefallen der Kritik Jacke/Jünger 2006. 139
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Medien Waren also bei der Arbeitsdefinition von Musik die Aspekte der mangelnden Kontextualisierung und Rezipientenorientierung ausschlaggebend, so erscheinen bei der Verwendung des Begriffs Medien vorrangig dessen unterschiedlich angewandte Termini problematisch. Sicherlich gab es auch im wissenschaftlichen Verständnis im letzten Jahrhundert eine Phase der Unterstellung besonders starker Medien-Wirkungen, die mit der Ohnmacht des Rezipienten einherging, doch nicht zuletzt durch Untersuchungen im Rahmen von Uses&Gratifications-Ansatz, Systemtheorie, Konstruktivismus und insbesondere Cultural Studies gilt der MedienRezipient als durchaus mächtig, wenn eben auch nicht allmächtig, denn er oder sie kann bekanntlich auch nur auswählen oder anwählen, was wählbar ist. Aber dies ist eine andere Diskussion. 7 Jedenfalls scheint die Machtfrage des Medien-Rezipienten in der Wissenschaft schon wesentlich weiter ausdifferenziert und problematisiert als die des MusikRezipienten, wobei letztere sicherlich aus den Erfahrungen der Diskursstränge zu ersterer lernen kann. Will man den Medienbegriff in seiner Komplexität modellieren und präzisieren und soll dies für einen Massenmedienbegriff geschehen, um den es bei Popmusik und Medien – also hier und heute – gehen soll, dann bietet sich der Medien-Kompaktbegriff von S. J. Schmidt (2002) an. 8 Dieser verteilt den massenmedialen Kommunikationsprozess (die bereits mehrfach angesprochenen Prozessstufen Produktion, Distribution, Rezeption/Nutzung, Weiterverarbeitung) auf folgende vier Ebenen: 1. Kommunikationsinstrumente: Materiale Gegebenheiten, die zeichenfähig sind und zur gesellschaftlich geregelten, dauerhaften, wiederholbaren und gesellschaftlich relevanten strukturellen Kopplung von Systemen im Sinne je spezifischer Sinnproduktion genutzt werden können. Als Prototyp von Kommunikationsinstrumenten sieht Schmidt gesprochene, natürliche Sprache, weil seit der Entstehung von Sprachen das grundlegende Prinzip der genannten Sinn-Kopplung von Systemen durch signifikante Materialitäten (und nicht etwa Bedeutungen) für alle nachfolgenden Kommunikationsinstrumente (Schriften, Bilder, Notationen usw.) exemplarisch geworden ist. 2. Medientechnologien: Das technische Dispositiv beeinflusst, ja bedingt jede Produktion, Distribution, Rezeption und Weiterverarbeitung von 7 8
Vgl. den einführenden Überblick bei Schmidt/Zurstiege 2000, S. 67-138. Ich paraphrasiere und zitiere im Folgenden Schmidts Ausführungen 2002, S. 56-57; Vgl. im Weiteren ausführlich Schmidt 2000, S. 70-279.
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Medienangeboten laut Schmidt nachhaltig. Denn nur was dem jeweiligen technischen Entwicklungsstand einer Technologie gemäß ist, kann von den Nutzern als Handlungsschema von Medienangeboten auch tatsächlich eingesetzt werden, sofern diese technischen Zugang und Medientechnologie-Kompetenz besitzen. Denn der Umgang mit solchen Medientechnologien muss sozialisatorisch erlernt und zum festen Bestandteil der Kompetenzen von Aktanten werden. Durch Routinisierung werden diese Kompetenzen in der Regel zur Selbstverständlichkeit, invisibilisiert und damit weder bewusstseinsfähig noch bewusstseinspflichtig. 3. Sozialsystemische Organisationen: Die gesellschaftliche Durchsetzung eines Kommunikationsinstruments, der dafür erforderliche Aufbau einer Medientechnologie sowie die Sozialisations- und Kompetenz-Möglichkeiten sind gebunden an die Herausbildung der sie tragenden sozialen Einrichtungen (Organisationen und deren Bereiche wie Redaktionen, Verlage, Fernsehanstalten, Schallplattenfirmen, Institutionen wie Schulen, Akademien und Universitäten), deren Stellung in der Gesellschaft wiederum die Lösung ökonomischer, rechtlicher, politischer und sozialer Probleme erforderlich macht. Schmidt betont, dass diese sozialsystemische Komponente den Kommunikationsinstrumenten und Medientechnologien keinesfalls äußerlich ist, sondern das Beziehungsgefüge zwischen den Komponenten als selbstorganisierend betrachtet werden muss. 4. Medienangebote: Auch bei dieser Komponente wird die Verstrickung in das gerade genannte Beziehungsgefüge deutlich. Die drei anderen Komponenten wirken auf die Produktion, Distribution, Rezeption/Nutzung und Weiterverarbeitung von Medienangeboten ein. Medienangebote sind die professionell und institutionell erstellten Träger von Texten jedweder Art (Leitartikel, Feature, Track auf einer CD, Werbespot, Plakat, Homepage etc.), die diese dem Markt und somit vor allem den Rezipienten verfügbar machen, eben anbieten. Diese Komponenten wirken vor jeweils ganz spezifischen soziohistorischen Hintergründen wechselseitig aufeinander ein und können nur analytisch getrennt werden. Trotzdem erweist sich dieser umfassende Medienbegriff in der Forschung als sinnvolle Grundlage, da er das gesamte Untersuchungsfeld für Medien- und Kommunikationswissenschaft berücksichtigt und zudem ganz unterschiedliche Begriffe integrieren helfen kann. Nachdem also die Begriffe Musik und Medien aneinander anschlussfähig definiert wurden, stellt sich nun die Frage ihrer konkreten Kopplung in der Forschung aus verschiedenen Blickwinkeln.
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Medialisierung von Musik: Medienmusik Viel ist in den letzten Jahrzehnten in Wissenschaften und Feuilletons die Rede von der Medialisierung des Alltags, des Menschen, der Gesellschaft etc. Völlig undramatisch betrifft dies kultürlich auch die Musik, und zwar auf allen eben genannten Prozessstufen des Handlungssystems Musik. Aber was genau ist mit Medialisierung von Musik gemeint? R. Großmann (1999, S. 241-243) etwa bezieht sich sehr stark auf die Ebene der Medientechnologien in Produktion und Rezeption, wenn er von Medienmusik als medialer gegenüber nicht-medialer Musik schreibt. Großmann berücksichtigt allerdings offensichtlich auch schon ansatzweise die anderen Stufen des hier verwendeten Medien-Kompaktbegriffs, wenn er sowohl die Produktion (das Spielen, Vorführen) als auch die Rezeption (Aufnahme, Wahrnehmung) von Musik als medien-beeinflusst beschreibt, um damit – so verstehe ich ihn – auch einen Schritt weit weg von der Frage nach Original und Kopie zu gelangen. Wobei Großmann zwar die Prozessstufen berücksichtigt, sich in seinem Medienbegriff aber nicht explizit auf die vier hier geforderten Komponenten bezieht. Wenn er etwa über die begrenzten Möglichkeiten von Musik, den Medien zu entfliehen, schreibt, scheinen mehrere Komponenten des MedienKompaktbegriffs angesprochen zu sein: „Selbst die Abgrenzung des vermeintlichen Refugiums ist von den Medien mitgeneriert und kann von ihnen – unter dem Etikett ‚unplugged‘ – assimiliert werden.“ (Großmann 1999, S. 230) Mit der pauschalen Bezeichnung ‚Medien‘ meint Großmann offensichtlich die Medialisierung der Flucht der Musik aus der Medialisierung, also das Berücksichtigen der Medien-Organisationen, Sender etc. dieser Flucht als neue Vermarktungsform. Dieser Mechanismus begegnet uns im Übrigen insbesondere in der Popkultur und -musik – daher stammt ja auch Großmanns Beispiel. 9 Legt man den Medien-Kompaktbegriff zu Grunde, darf man unter Medialisierung des Handlungssystems Musik aber eben nicht entweder die Beeinflussung von Musikproduktion und -rezeption durch neue Medientechnologien oder die Vermarktung und formatgerechte Aufarbeitung einzelner Musiker verstehen, sondern den wechselseitigen Zusammenhang aller vier Komponenten Kommunikationsinstrumente, Medientechnologien, sozialsystemische Organisationen und Medienangebote. Dadurch wird die Intensität der Medialisierung in unserer Gesellschaft und somit u. a. in der Popkultur umso deutlicher. Gleichzeitig verlangt dieser Begriff eine Präzision der oftmals pauschalen Verurteilungen der
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Vgl. zur erfolgreichen Vermarktung von Vermarktungsverweigerung in der Popmusik Jacke 2004, S. 270-300.
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Medien und kann m. E. so zu einer genaueren und plausibleren Beobachtung der Medialisierung von Musik beitragen. 10 Medialisierung kann dann genauer differenziert und erst im Anschluss unterschiedlich bewertet werden. Um zahlreichen eher apokalyptischen Beurteilungen (Ende der Musik, Ende des Autors, Ende des Werks, 11 Verschwinden des Menschen etc.) eine positive Beurteilung der Medialisierung von Musik (hier im Sinne der Komponente Medientechnologie) entgegenzusetzen, zitiere ich den Musikwissenschaftler N. Schläbitz, der sich ausgiebig mit dem Zusammenhang vom Medium Internet und Musik auseinandergesetzt hat: „Dass Medientechnologie Gattungen und Stile mitbedingt und Ideen zuweilen erst reifen lässt, ist das eine (und zu wissen im Grunde genommen ein Allgemeinplatz mittlerweile), dass darüber hinaus bspw. durch Tauschbörsen im Internet Wertschätzungen der Musik gegenüber neu definiert werden, ist das andere, was über die Musik hinaus auch das Medium Internet zum Gegenstand der Untersuchung erhebt.“ (Schläbitz 2004, S. 2)
Schläbitz fordert in seinen theoretischen Grund-Überlegungen die Anpassungsfähigkeit der Wissenschaften an eben diese sich ständig ändernden Verhältnisse in einer Mediengesellschaft und macht deutlich, inwiefern etwa kritische Beobachtungen durch die Digitalisierung und damit zusammenhängend gänzlich neue Medientechnologien anders ansetzen müssen. 12 Im Prinzip sind wir heute soweit zu sagen, dass es keine Medienrealität auf der einen und alltägliche Realität auf der anderen Seite mehr gibt, sondern unsere alltägliche Realität stets bereits von den Medien geprägt ist – und so eben auch der Bereich der Popkultur und -musik. Nun wird also interessant, wie diese Realitäten erschaffen werden.
10 Auf die Varianz der Nutzung im medienmusikalischen Handeln hat Großmann (1991, 1999) im Allgemeinen hingewiesen, für den speziellen Bereich der Musikproduktion vgl. Jöns-Anders 2003a, 2003b. 11 „Gerade die Auseinandersetzung mit dem Werkbegriff ist notwenig wenn nicht sogar zwingend, weil die Neuen Technologien diesen im binären Kombinationsspiel praktisch aufheben, ja als gegenstandslos und bloße Fiktion verdeutlichen, indem sie den Beobachter als blinden Fleck der Beobachtung freilegen, der so sieht und beobachtet, wie er eben sieht und beobachtet. Sofern das Wesen des Werkes als relationales dazulegen gelingt, ist der Eingriff in Werke auch kein Angriff mehr auf absolute Formen und die Diskussion darum schlicht obsolet.“ (Schläbitz 2004: 20) 12 Vgl. einen ersten Versuch bei Jacke/Jünger 2006. 143
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Musikalisierung von Medien: Musikmedien Verschränkt mit der Medialisierung von Musik ist insbesondere in der Popkultur eine Musikalisierung der Medien zu beobachten. D. h., dass aus dem Handlungssystem Musik Angebote personeller und vor allem inhaltlicher Art in die Bereiche der Medien diffundieren, und zwar in allen Komponenten des Medien-Kompaktbegriffs. Diese Musikalisierung ist auf den ersten Blick längst nicht so auffallend und prägend wie die Medialisierung von Musik. Schaut man allerdings genauer hin, dann kann Musik in den Medien mannigfaltig auf ganz verschiedenen Ebenen beobachtet werden: Sicherlich finden sich musikalische Aspekte auch bei den Komponenten der Kommunikationsinstrumente und Medientechnologien, am bemerkenswertesten (zumal für einen Medienkultur- oder Kommunikationswissenschaftler) erscheinen aber Medieninstitutionen und -organisationen sowie Medienangebote, die Musik selbst anbieten oder Musik thematisieren, also etwa VIVA, Spex oder EinsLive sowie ganz spezielle Musikclips 13 , Dokumentationen oder Artikel über ein Popmusikphänomen oder einen Künstler. Man kann hier also zwischen Musik-Medienangeboten und Medienangeboten über Musik unterscheiden, wobei diese häufig in Kombination etwa in Jim Jarmuschs Dokumentations-Kinofilm „Year of The Horse“ (Arthaus 2005 [USA 1997]) über Neil Young & Crazy Horse zu beobachten sind. Der Kommunikationswissenschaftler und Musikpsychologe H. Schramm benutzt in seiner gerade erschienen Studie zum Mood Management bei der alltäglichen Musikrezeption ebenfalls den Begriff Musikangebot, um – ganz ähnlich dem Medien-Kompaktbegriff – darauf zu verweisen, dass Musik selbst kein Medium ist. Allerdings fasst Schramm Musik als Medieninhalt auf, der Stimmungen und Gefühle ‚transportiert‘ (vgl. Schramm 2005, S. 50). Dieses theoretische Verständnis erscheint wenig kompatibel mit den vor allem bei Casimir und Großmann entwickelten Überlegungen zur Musikkommunikation als Konstruktion sozialer Realität. 14 Zuzustimmen ist Schramm (2005, S. 46-54) allerdings sehr wohl in seiner Beurteilung der wissenschaftlich eher raren Beobachtung von Musik in den Medien, obwohl Musik sowohl schwerpunktartig in speziellen Angeboten als auch und erst Recht ‚nebenbei‘ im Hintergrund – also als Filmmusik, als Werbemusik 15 , als Teaser-Musik etc. – eine bedeutende Rolle spielt. 16 13 Vgl. zu einer Strukturierung des Untersuchungsfelds Musikclip Jacke 2003. 14 Zudem vermengt Schramm die Begriffe Musikangebot, Musikmedien und Medien; auch hier wäre der Medien-Kompaktbegriff strukturierend hilfreich gewesen. 15 Vgl. zu einführenden Erläuterungen von Musik und Werbung Jacke/Jünger/Zurstiege 2000. 144
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Aus diesen Beobachtungen zu Musik und Medien lässt sich neben der grundsätzlichen Forderung nach einer stärkeren und vielseitigeren Berücksichtigung dieser Zusammenhänge in den hier genannten Ausdifferenzierungen vor allem R. Großmanns ‚Wunsch‘ nach einer Erweiterung und Veränderung der erkenntnistheoretischen Perspektive von 1999 mit Nachdruck re-aktualisieren: „Es bedarf einer übergreifenden Theoriekonzeption, die es ermöglicht, den medialen Einfluss auf die Konstruktion musikalischer Wirklichkeit für den gesamten Bereich musikalischen Handelns zu erfassen. Übergreifend soll diese Theorie nicht im Sinne alleiniger Gültigkeit oder omnipotenter Zuständigkeit, sondern in der grenzüberschreitenden Anwendbarkeit auf vorher disparate Bereiche sein.“ (Großmann 1999, S. 231)
Eine solche Konzeption schlage ich ausgehend von den erwähnten Strukturierungen und Perspektivierungen als Medienkulturwissenschaft vor.
Popkulturwissenschaft als Medienkulturwissenschaft Es wurde bisher klar, dass im Rahmen einer hier angerissenen Medienkulturwissenschaft also auch Platz für Analysen zu den Zusammenhängen von Musik und Medien ist. Im Besonderen gilt meine Aufmerksamkeit dabei wiederum den popkulturellen Feldern und einer damit einhergehenden Popkulturwissenschaft als Medienkulturwissenschaft. 17 Für deren Untersuchungsbereiche gilt im Prinzip dasselbe wie für den Bereich der Musik in den Medien: nämlich eine festzustellende wissenschaftliche Vernachlässigung bei alltäglicher Omnipräsenz des Phänomens und eine oftmalige Einseitigkeit der Blicke auf diese Untersuchungsgegenstände, wenn überhaupt einmal Beachtung geschenkt wird. Die Kommunikationswissenschaftler Friedrichsen/Gerloff/Grusche/von Damm haben etwa 2004 eine hoch interessante empirische Studie zu Musikmarkt und -industrie veröffentlicht, sie aber leider nur marginal an theoretische Überlegungen wie etwa Marketing-Konzepte angedockt. In Bezug auf Pop im Allgemeinen konstatierte etwa der Kunsthistoriker W. Grasskamp jüngst: „Wollte man […] die Position der Theoriefeindlichkeit stark machen, ließe sich sagen, Pop sei eine Lebensstrategie, bei der die ganze Intelligenz darauf verwendet wird, den Spaß zu organisieren statt ihn zu analysieren – eine Art prak-
16 Vgl. zu Daten zum deutschen und internationalen Musikmarkt Schramm 2005, S. 46-50, sowie Friedrichsen et al. 2004, S. 18-40. 17 Dies wurde von mir zuletzt immer wieder proklamiert (vgl. Jacke 2005a, 2005c, 2006b). 145
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tische Philosophie ohne Theorierückstände und damit kulturell leicht zu entsorgen.“ (Grasskamp 2004, S. 11)
Dagegen spricht laut Grasskamp, „[…] dass sich Pop längst sedimentiert hat – in Museen und Filmen, in CD-Ständern und Bücherregalen, in Kleiderschränken und Fernsehserien – und somit bereits als Archiv existiert, das eine historische Aufarbeitung fundiert und herausfordert.“ (Ebd., S. 11) Wobei die Institutionalisierung in Museen, Schulen und insbesondere Universitäten/Akademien wohl eher noch zu wünschen übrig lässt und eben derzeit nur immer wieder gefordert werden kann. 18 Einerlei, ob man nun über die Medienkultur- und Musikwissenschaft oder über das Feuilleton 19 in diese Diskussionen gerät, eine eigene, zusammenhängende, institutionalisierte Einrichtung für Popkultur und -musik fehlt den Wissenschaften, zu oft wird Pop eben nur in einzelnen Disziplinen oder Seminaren betrachtet. Um die Beobachtungen von Casimir, Großmann und Schramm noch einmal zu unterstreichen und somit das Gesprächsangebot von Seiten der Medien- und Kommunikationswissenschaft also noch einmal zu bekräftigen, sei ein weiteres Beispiel für die Vernachlässigung von Musik und Popmusik in diesen Disziplinen genannt: In dem vom Soziologen H. Willems 2002 herausgegebenen, umfassenden und versierten Sammelband „Die Gesellschaft der Werbung“, der auf knapp eintausend Seiten zumeist kommunikations- und medienwissenschaftliche Beiträge integriert, beschäftigt sich kein Beitrag explizit mit Musik und Werbung, Popmusik und Werbung oder Popkultur und Werbung, lediglich die Analysen von U. Göttlich/J.-U. Nieland („Kultinszenierungen und Vermarktungsstrategien im Kontext von Endlosserien und Musiksendungen: Grenzen und Perspektiven“) und A. Hepp („Populäre Medienevents zwischen Werbung und skeptischem Vergnügen: Die Aneignung des Medienereignisses ‚Zindler/Maschendrahtzaun‘“) beschäftigen sich zumindest mit Thematisierungen von Musik und Popmusik in den Medien. Was demnach aus meiner Perspektive klar geworden sein sollte: Es sollte ein integratives Konzept von Popmusik und Popkultur an der Hochschule hin zu praxiserfahrener Theorie und theoriemutiger Praxis etabliert werden. Dabei wird Pop zunächst medienkulturwissenschaftlich entlang der hier bereits erläuterten Ebenen Kommunikationsinstrumente (z. B. Sprachen, Schriften, Bilder, Töne), Technologien (z. B. Medien, 18 Vgl. dazu ausführlich Jacke/Zierold 2007, Jacke/Meinecke 2007 und Jacke 2006a. 19 „[E]s fällt doch auf, dass Schreiben über Pop-Musik so oft beim Schreiben über die Künste und die Politik landet, so wie auch ein wichtiger Teil der Pop-Musik selbst früher oder später Kunst wird (oder zumindest so rezipiert und abgeheftet):“ (Diederichsen 2005, S. 11) 146
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Instrumente), Organisationen/Institutionen (Verlage, Redaktionen, Agenturen, Unternehmen) und Pop-Angebote (z. B. Radio-, Fernsehsendungen, Konzerte, Werbespots, Homepages) systematisiert und im Anschluss an alltagspraktische Lebenswelten und Ereignisse anhand dichter Beschreibungen ganz konkreter Phänomene untersucht. Das Konzept legitimiert sich aus folgenden Beobachtungen: Der tägliche Umgang mit Popmusik und Popkultur provoziert ganz spezifische Sensibilitäten bei ihren Aktanten (Produzenten, Distributoren, Rezipienten, Nutzer) und erfordert damit einhergehend Kompetenzen, die auch für die Ausbildung von Künstlern, Managern, Wissenschaftlern und Ausbildern selbst in Mediengesellschaften von übergreifender Bedeutung sind: Wandlungssensibilität (Anpassungsfähigkeit), Komplexitätssensibilität (Reduktionsfähigkeit) sowie Kontingenzsensibilität (Entscheidungsfähigkeit). 20 In ihrer Stilvielfalt und vor allem ihrer Massenwirksamkeit kann Popmusik gesamtgesellschaftlich als Seismograph für alltägliche Aneignungen und Kämpfe um Bedeutungen zwischen Kunst und Kommerz unter besonderem Zeit- und Innovationsdruck aufgefasst werden. Popmusik funktioniert als Trendbarometer und als Indikator für spätere umfassendere Entwicklungen. Popmusik als Sparte von Popkultur verdeutlicht die Vergänglichkeit der Gegenwart popkultureller Ereignisse besonders gut. Dieses dauerhafte Voranschreiten manifestiert sich in Mediengesellschaften in keinem Bereich treffender als in Form der globalisierten Popmusikkulturen. Was eben noch in war, ist nun schon out und morgen eventuell über Wiederbelebung im Gewand von Retro-Effekten erneut in. Deswegen kann die genauere Betrachtung eines popkulturellen Stils, ausgehend von der Musik, als Basis größerer Forschungen zur Popkultur dienen. Ausgehend von einer Bewegung, die sich an den stilistischen Leitlinien Musik, Mode und Literatur manifestiert und somit beobachtbar macht, können Schlüsse auf allgemeine Mechanismen popkultureller Phänomene gezogen werden. Von der Popmusik wiederum können Fäden zu anderen gesellschaftlichen Bereichen (z.B. Werbung, Kunst, Politik, Wissenschaft) gesponnen werden. 21 Eine daran anschließende Auseinandersetzung mit den sich ständig verändernden Begriffen Pop, Musik, Kultur und Medien setzt eine Sensibilität für den Möglichkeitenüberschuss an Definitionen und den Mangel an Eindeutigkeiten geradezu voraus. Eine Theorie soll keinesfalls die Popmusik und Popkultur statisch analysieren und somit bis ins kleinste Detail erklären. Sie soll weder den Trendscouts der Werbewirtschaft Hinweise für das Geschäft von morgen noch den Musikindustriellen das 20 Vgl. dazu auch Jacke 2007. 21 Zu sowohl grundlegenden als auch exemplarischen Analysen auf diesem Bereich vgl. die Beiträge in Jacke/Kimminich/Schmidt 2006. 147
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Patentrezept für das Next Big Thing liefern, sie soll Beschreibungen offerieren, die so aus der Praxis nicht geleistet werden. Die Probleme bleiben: Der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Popkultur bzw. Popmusik erging es ähnlich wie ihrem Gegenstand bis in die 1970er Jahre: Sie wurde zunächst als trivial und minderwertig belächelt und musste sich aus Randbereichen heraus etablieren. Heute gilt es, übergreifende Analysen in Lehre und Forschung vorzustrukturieren. Dazu bedarf es einer Zusammenführung verschiedener Ansätze und Methoden, wie sie derzeit vorwiegend aus Musik- und Medienkulturwissenschaft entwickelt werden, also etwa die Kombination aus Inhaltsanalysen, Befragungen und Musikanalysen im Rahmen von Rezeptionsstudien. So gelangt man zu einer Popmusikwissenschaft als Medienkulturwissenschaft, wie sie H. Rösing (2002) und P. Wicke (2002, 2004) aus musikwissenschaftlicher Perspektive wiederholt einklagen; also einer Popkulturwissenschaft. Nur in einem solchen, institutionalisierten Rahmen können Einseitigkeiten vermieden werden, die geschehen, wenn Musikwissenschaftler bei Musikclipanalysen auf die Berücksichtigung visueller und sprachlicher Kommunikationsangebote verzichten (müssen) und gleichermaßen Medien- und Kulturwissenschaftler auf akustische Kommunikationsangebote und deren hochbedeutsame emotionale Aspekte nicht näher eingehen (können). Auch wenn damit das Distinktionsgewinne versprechende AmRande-Sein aufgegeben würde, bleibt die zentrale Aufgabe eine curriculare Erweiterung und Präzision des Untersuchungsfeldes. Populäre Kultur und Musik müssen unumgänglicher Bestandteil aktueller Gesellschafts-, Kultur- und Medientheorie werden. Noch deutlicher: Es sollte in einer Wissenschaft von Pop nicht nur um die Analyse populärer Musikund Kulturformen gehen. Eine umfassende Popkulturforschung sowie Popmusikforschung verlangt nach der Berücksichtigung gesellschaftlicher Kontexte. 22 Diese Kontextualisierungen und Systematisierungen können m. E. in Forschungs- und Lehr-Teams einer transdisziplinären Popmusikwissenschaft als Medienkulturwissenschaft quer zu bisherigen starren Disziplinen und ihren noch unflexibleren Mainstreams geleistet werden – und zwar durchaus mit Vergnügen von Studierenden und Dozierenden. Damit komme ich zu meinem Fazit und zugleich zum Anfang meines Beitrags zurück: Die wissenschaftliche Behandlung von Pop – sei dies nun umfassend Kultur oder speziell Musik – erscheint also legitimierter als man – und man heißt hier der medien-, kommunikations- und musikwissenschaftliche Mainstream – zunächst meinen könnte. Zudem lässt 22 Vgl. dazu ausführlich Wicke 2002. 148
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sich hinter vermeintlich trivialen Aspekten sehr wohl mit Kempers Eingangszitat Komplexes entdecken, und zwar ohne in die von Diederichsen so treffend beschriebene Falle der Überinterpretation zu laufen: „Wir wollen Pop-Musik so verhandelt wissen wie die anderen kulturellen und politischen Gegenstände, mit denen wir uns beschäftigen. Voraussetzungsreich, komplex und, ja, geradezu verbissen ernst.“ (Diederichsen 2005, S. 12)
Popkulturelle Themen, so wollte ich mit meinem Beitrag zeigen, sind äußerst voraussetzungsreich und komplex und bedürfen einer ebensolchen wissenschaftlichen Beobachtung, Strukturierung und Ausstattung mit Arbeitsdefinitionen von Musik und Medien, die nicht verbissen ernst sein muss, sondern den seismographischen Charakter von Pop erkennt. Es erscheint schließlich naheliegender, dass ein Musiker wie Antony sich in einem Soul-Rock-Song-Duett auf CD mit seinem Helden Boy George offen und unspektakulär zu seiner Homosexualität und gegen Stigmatisierung qua Geschlechterkategorien äußert und somit öffentliche Diskussionen anregt, als dass Guido Westerwelle in der ARD bei Sabine Christiansen zu Klaus Wowereit sagt, dieser sei seine Schwester. Warum eigentlich?
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Keine Musik ohne Medien, keine Medien ohne Musik?
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Christoph Jacke
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MUSIKANALYSE IN DER POPMUSIKFORSCHUNG. ZIELE, ANSÄTZE, METHODEN MARTIN PFLEIDERER
„Die musikalische Analyse ist gegenwärtig einer der wichtigsten Teile musikwissenschaftlicher Arbeit, insofern sie es sich zum Ziel setzt, Aussagen über Musik durch diese selbst zu begründen“ (Dahlhaus/Eggebrecht 1989, Bd. 1, S. 38). „Textual analysis has been a subsidiary strand in the expanding field of popular music studies; at the same time, much of the work has been marked by methodological hesitations which suggest deep-lying doubts about the viability of the enterprise itself“ (Middleton 2000, S. 1). 1
Während die musikalische Analyse nach wie vor unangefochten im Zentrum der etablierten Musikwissenschaft steht, kommt ihr innerhalb der Popmusikforschung noch immer eine eher untergeordnete Rolle zu. Analysen des Klanggeschehens werden hier, so zumindest die Diagnose von Richard Middleton, zögerlich betrieben und sind von tiefliegenden Zweifeln begleitet. Dies hängt vermutlich mit der großen Kluft zusammen, die sich, so Peter Wicke, noch immer zwischen den beiden wissenschaftlichen Herangehensweisen an populäre Musik, dem musikanalytischen und dem kulturanalytischen Ansatz, auftut. Die Ursache für diese Kluft sieht Wicke in Defiziten auf Seiten der Musikanalyse: „Solange es [...] nicht gelingt, musikalische Praxis und musikalische Analyse in ein angemessenes, theoretisch begründetes und begrifflich schlüssiges Verhältnis zueinander zu bringen, so lange wird die Kluft zwischen musikanalytischen und kulturanalytischen Zugängen sich nicht schließen lassen“ (Wicke 2003, S. 124).
Wenn diese Einschätzung zutrifft, so ist es nur folgerichtig, dass die Zielsetzungen und Vorgehensweisen der Analyse populärer Musik wiederholt ins Zentrum der fachlichen Diskussion gerückt wurden und wer1
Mit „textual analysis“ ist hier nicht die Analyse von Songtexten oder Notentexten, sondern die Analyse des „musikalischen Textes“ einer Aufnahme oder Aufführung im Sinne eines Zeichengefüges gemeint. 153
Martin Pfleiderer
den (vgl. Tagg 1982, Middleton 1993, Brackett 1995, Covach 1997, Griffiths 1999, Everett 2000, Moore 2001, Helms 2001, Hawkins 2002, Wicke 2003). Ich möchte zunächst an die Diskussion um Methode und Praxis der Analyse populärer Musik anknüpfen und sodann ein Stufenmodell des Analyseprozesses durch die Analyse eines Drum’n’BassStückes, „The Hidden Camera“ von Photek, veranschaulichen. Was versteht ein Musikwissenschaftler unter musikalischer Analyse und welche Musikauffassung liegt diesem Verständnis zugrunde? Laut New Grove Dictionary of Music and Musicians meint Analyse, „[t]he resolution of a musical structure into relatively simpler constituent elements, and the investigation of the functions of those elements within that structure“ (Bent 1980, S. 340). Es geht demnach bei der Musikanalyse um ein Zergliedern oder Auflösen der musikalischen Struktur in einfachere Einheiten oder Elemente, deren Funktion innerhalb der Gesamtstruktur sodann beschrieben wird. Die Beschreibung des inneren Zusammenhangs und des formal-strukturellen Aufbau eines Musikstücks folgt dabei in der Regel dem Ziel, dessen ästhetische Qualitäten aufzuzeigen. Das Brockhaus Riemann Musiklexikon vertritt folgende Auffassung: „Unter musikalischer Analyse wird generell die Zurückführung von Werken auf ihre rhythmischen, harmonischen oder formalen Elemente und Prinzipien, weithin speziell die Formen-Analyse verstanden“ (Dahlhaus/Eggebrecht 1989, Bd. 1, S. 38). Diese Definition bringt zwei musikanalytische Ansätze ins Spiel: Die Unterscheidung zwischen verschiedenen musikalischen Parametern (Rhythmus, Harmonik, Form usw.) sowie die Reduktion des Klanggeschehens auf bestimmte übergeordnete Elemente und Prinzipien. Der Parameter-Ansatz entstand in der Musiktheorie des 18. und 19. Jahrhunderts aus dem Bestreben, die musikalischen Zusammenhänge in bestimmte kategoriale Hinsichten aufzulösen und so als eine Synthese, eine Zusammensetzung (‚Komposition‘) verständlich werden zu lassen (vgl. Redmann 2002, S. 154ff.). Diese Vorgehensweise spiegelt sich in der üblichen Untergliederung der Musiktheorie in Formenlehre, Harmonielehre, Rhythmustheorie usw. wider. Auch innerhalb der Analyse populärer Musik wurde ein analytisches Vorgehen anhand von Parametern, etwa mit sog. Checklisten, vorgeschlagen, wobei der überkommene Parameterkanon mitunter durch weitere Parameter, z.B. durch Klangfarbe und Klanggestaltung, ergänzt sowie der Stellenwert der einzelnen Parameter untereinander neu bewertet wurde (vgl. Tagg 1982, Pfleiderer 2003b). 2 Allerdings ist dieser Ansatz 2
Ein analytisches Vorgehen anhand von musikalischen Parametern erscheint insbesondere dann sinnvoll, wenn nicht ein einzelnes Musikstück, sondern ein größeres Stück-Repertoire im Hinblick auf übergreifende Gemein-
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Musikanalyse in der Popmusikforschung. Ziele, Ansätze, Methoden
nur dann sinnvoll, wenn auch die Wechselbeziehungen zwischen den einzelnen Parametern ins Blickfeld gerückt werden und es so zu einer synthetischen Zusammenschau kommt. Denn sowohl der musikalische Schaffensprozess als auch der Wahrnehmungsprozess orientiert sich in der Regel nicht an isolierten musikalischen Parametern, sondern richtet sich auf ganzheitliche klangliche Einheiten. Bei reduktiven Analyseansätzen, so beim im angelsächsischen Raum verbreiteten Schichtenmodell von Heinrich Schenker, das insbesondere von einigen amerikanischen Popularmusikforschern vertreten wird (vgl. Covach 1997, Everett 2000), werden musikalische Einheiten der klanglichen „Oberflächenstruktur“ (z.B. einzelne Tonhöhen oder Motive) auf hierarchisch tiefer liegende Einheiten zurückgeführt. Durch diese Reduktion sollen strukturtragende und zusammenhangstiftende Komponenten eines Musikstückes aufgedeckt werden. In der praktischen Durchführung bleibt die reduktive Analyse allerdings in der Regel auf Aspekte der Tonhöhenorganisation, Harmonik und Stimmführung beschränkt. Die strukturellen und reduktiven Analyseansätze gründen auf der Annahme, dass sich Hörerinnen und Hörer das zeitliche Nacheinander eines Musikstückes aus der Erinnerung heraus als ein synchrones Ganzes vorstellen und vergegenwärtigen und auf diese Weise strukturelle Zusammenhänge erkennen. Es ist jedoch fraglich, ob Musik tatsächlich auf diese Weise rezipiert wird, oder ob das Hören nicht vielmehr zumeist dem zeitlichen Verlauf der klanglichen „Oberfläche“ folgt bzw. nur einzelne, momentane Klangepisoden fokussiert – Hörweisen, die gerade bei vielen populären Musikstilen weit verbreitet und hier auch durchaus angemessen sind. Ähnliche Zweifel äußert der Musikwissenschaftler Bernd Redmann im Blick auf Stilrichtungen europäischer Kunstmusik: „Polarisierend könnte man [...] zwischen Stilen, Gattungen bzw. Werken differenzieren, für deren Hörverstehen strukturierende und integrierende Gedächtnisleistungen bedeutsam sind, und solchen, die auf eine eher moment- und prozessbezogene Höreinstellung hin konzipiert sind“ (Redmann 2002, S. 80).
Gerade im Falle populärer Musikrichtungen, in denen Reihungsformen, Variationen und Wiederholungen dominieren, ist daher fragwürdig, ob ein reduktiver Analyseansatz angemessen ist und zu relevanten Ergebnissen führen kann. Denn „Musikstücke und Stile, die zu einer Bedeutungsgleichheit aller Elementarstrukturen und Formteile tendieren, widersetzen sich [...] einer Anwendung der Reduktionsmethode [...]“ (Redmann 2002, S. 159). samkeiten der musikalischen Gestaltung untersucht werden soll; hierbei können auch statistische Auswertungs- und Darstellungsmethoden zum Tragen kommen, vgl. etwa Rob Bowmans Analyse des Repertoires von Stax Records (Bowman 1995). 155
Martin Pfleiderer
Die Alternative wäre ein Ansatz, der sich dem Hörvorgang folgend an der klanglichen Oberfläche der Musik vorantastet und nicht nach tieferliegenden Strukturen sucht, die erst im Nachhinein aus der Oberflächenstruktur des Klanggeschehens abgeleitet werden können. Dieser prozessorientierte Ansatz könnte gerade bei populärer Musik weit eher zu adäquaten Ergebnissen führen als reduktiv oder strukturell ausgerichtete Vorgehensweisen. 3 Geht es in den bislang dargestellten Analyseansätzen, die sich in der Regel an mehr oder weniger formalisierte musiktheoretische Systeme anlehnen, vor allem um das Aufzeigen einer strukturell begründeten ästhetischen Kohärenz klanglicher Gebilde, so widmen sich semantisch und hermeneutisch orientierte Analyseansätze einer Verknüpfung von Aussagen zum Klanggeschehen mit Interpretationen des „Gehalts“ oder der Bedeutung eines Musikstücks. Musikalische Bedeutungen werden dabei vielfach mit Intentionen des Komponisten, oder aber mit der Wirkungsgeschichte eines Musikstücks in Zusammenhang gebracht. Laut Siegfried Mauser ist eine Dichotomie von Analyse und semantischer Interpretation längst überholt, „da sowohl der Analysebegriff erweitert wurde und selbstverständlich Fragen der semantischen Dechiffrierung einbezieht als auch Aspekte der Rezeptionsästhetik und Wirkungsgeschichte zentrale Bedeutung bekamen“ (Mauser 1996, S. 262). Allerdings hat sich diese Auffassung in der historischen Musikwissenschaft noch nicht allgemein durchsetzen können, sodass hier weiterhin von einer Methodenpluralität ausgegangen werden muss. In der Popmusikforschung wird vielfach der Rezeptionsprozess als Ausgangspunkt für Musikinterpretationen gewählt. Besonders pointiert hat diesen Ansatz Dietrich Helms formuliert: „Die Vorstellung eines Gehalts, der vom Komponisten bewusst oder unbewusst im musikalischen Text codiert wurde, und den es zu entschlüsseln gibt, liegt ihm [dem Diskurs populärer Musik] fern und wird als unangemessen empfunden. Ähnliches gilt für alle formalen Analysen, die über eine Anleitung zur technischen Reproduktion eines Stückes für den Musiker hinausgehen. Der 3
Carl Dahlhaus beschreibt den prozessorientierten Analyse-Ansatz folgendermaßen: „Er zielt nicht – oder jedenfalls nicht ausschließlich – auf die Rekonstruktion einer ‚Tiefenstruktur‘ als der ‚eigentlichen‘ Bedeutung, die sich in den sukzessiv im musikalischen Bewusstsein konstituierten ‚Oberflächenstrukturen‘ nur ‚uneigentlich‘, in getrübter und verzerrter Gestalt manifestiert, sondern lässt sich gerade umgekehrt von der Erwartung leiten, dass der Hörvorgang, der sich an der ‚Oberflächenstruktur‘ entlangtastet, einen Reichtum an Sinn erschließt, der durch den Rekurs auf eine einzige – wie ein Kern in einer Schale verborgene – Bedeutung geschmälert würde. Der Sinn besteht in den Umwegen, die zu seiner Entdeckung führen“ (Dahlhaus 1977, S. 36).
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Musikanalyse in der Popmusikforschung. Ziele, Ansätze, Methoden
Diskurs der populären Musik bevorzugt eine Rezeptionsästhetik, Bedeutungen – einschließlich aller Funktionalisierungen – werden an die Musik herangetragen, nicht aus ihr herausinterpretiert. Ein Stück wird angeeignet und in Übereinstimmung mit der aktuellen Lebenssituation gebracht. Dementsprechend fragt der Diskurs der populären Musik nach möglichen Kontextualisierungen eines Stücks, wobei der Kontext immer gleichzeitig auf struktureller bzw. materialer, auf individuell-psychischer und auf sozialer Ebene zu suchen ist“ (Helms 2002, S. 102).
Im Fokus des „Diskurses populärer Musik“ stehen nach Helms’ Einschätzung die Hörerinnen und Hörer und ihre individuellen und sozialen Kontexte, ergänzt allerdings durch die „strukturellen und materialen Kontexte“ des Klanggeschehens. Angesichts der Fülle von biographisch orientierten Publikationen zu einzelnen Musikern sowie den vielen spielpraktisch orientierten Beschreibungen einzelner Stilbereiche populärer Musik ist es jedoch fraglich, ob sich der „Diskurs populärer Musik“ tatsächlich vorwiegend oder ausschließlich auf Rezeptionsweisen bezieht. Vielmehr besteht auch in diesem Diskurs ein großes Interesse daran, Musik aus ihren Produktionskontexten heraus zu verstehen 4 und die grundlegenden Gestaltungsmittel bestimmter Stile präzise zu beschreiben. Um die Funktionen und Bedeutungen zu ermitteln, die Musik in einem ganz bestimmten historischen, kulturellen und sozialen Kontext im Leben der Menschen hat, sind umfangreiche historische bzw. empirische Untersuchungen notwendig: eine Auswertung historischer Zeugnisse von Hörerinnen und Hörern, oder aber, so weit möglich, deren qualitative Befragung. Nur durch diese minutiöse Rekonstruktionsarbeit lässt sich der Tendenz zu einer bloß spekulativen Interpretation populärer Musik entgegenwirken, welche die englische Musiksoziologin Tia DeNora als „theoretischen Kurzschluss“ kritisiert hat: „This short cut consists of substituting an analyst’s understanding of music’s social meanings for an empirical investigation of how music is actually read and pressed into use by others, how music actually comes to work in specific situations and moments of appropriation“ (DeNora 2000, S. 31). 5 4
5
Vgl. etwa die Untersuchungen in der Folge der Kunstsoziologie Howard S. Beckers (Becker 1982) und des „Production-of-culture“-Ansatzes sowie die zahlreichen ethnographischen Studien zu musikalischen Schaffensprozessen und einzelnen Musikerszenen, s. hierzu im Überblick Pfleiderer 2006, S. 22ff. Ähnlich problematisch ist der semiotische Ansatz, mit dem Philip Tagg (1982) die Bedeutungen bestimmter musikalischer Einheiten ermitteln will – auch wenn er dies durch Hörerbefragungen und die Methode der hypothetischen Substitution sinntragender musikalischer Einheiten, die übrigens an die Gedankenexperimente in der phänomenologischen Methode Edmund Husserls erinnert, abzusichern versucht. Denn musikalische Be157
Martin Pfleiderer
Was von der Musikanalyse erwartet wird, sind freilich nicht nur Aussagen über bestimmte Rezipientengruppen oder über das persönliche Musikverständnis eines Popularmusikforschers, sondern immer auch Aussagen über die gehörte Musik. Auch bei Interpretationsansätzen, die sich in erster Linie auf die musikalischen Bedeutungsgebungsprozesse und deren kulturelle Rahmenbedingungen beziehen, steht daher das Klanggeschehen zur Disposition. Denn erfahrungsgemäß erfolgt die musikalische Bedeutungsgebung nicht völlig beliebig, sondern knüpft an bestimmte klangliche Gegebenheiten an. 6 In diesem Zusammenhang gilt es den Vorschlag von Stan Hawkins (2002, S. 24) und Peter Wicke zu bedenken, das Klanggeschehen als Knotenpunkte eines kommunikativen Netzes zu verstehen, das in nicht-klangliche kulturelle Räume hinausweist: „Werden die klanglichen Konfigurationen als Knotenpunkte eines sich ausdehnenden Netzwerkes von Beziehungen verstanden, dann sind die Klanggestalten kontextabhängig vorstellbar, ohne ihre internen strukturellen Determinanten deshalb an eine Konstellation von situations- und wahrnehmungsabhängigen Beliebigkeiten zu überschreiben“ (Wicke 2003, S. 122).
Hieran anknüpfend ließe sich das Ziel von Musikanalysen darin bestimmen, die Knotenpunkte des Klanggeschehens angemessen zu beschreiben und dadurch einen Verstehensprozess im Hinblick auf das mannigfaltige Netz von kulturellen Beziehungen, in welches das Klangliche eingebettet ist, in Gang zu bringen – oder in Abwandlung des Zitats aus dem Brockhaus Riemann Musiklexikon: Musikalische Analyse versucht, Aussagen über das „Netzwerk Musik“ durch Aussagen über das Klanggeschehen zu begründen. Musikanalysen sind kommunikative Handlungen, die sich an bestimmte Adressaten richten (vgl. Redmann 2002, S. 53ff.), z.B. an die Leserinnen und Leser wissenschaftlicher Texte oder an Zuhörerinnen und Zuhörer in Universitätsseminaren oder bei Vorträgen. Innerhalb dieser kommunikativen Kontexte verfolgen die Musikforscher mit ihren Musikanalysen bestimmte Ziele, und die Adressaten haben ihrerseits in der Regel gewisse Erwartungen. So sind analytische Verweise auf das Klanggeschehen vielfach in übergreifende Argumentationszusammen-
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deutungsgebungen sind stets in einen sich wandelnden historischen Kontext eingebunden und können nur in diesem Rahmen adäquat rekonstruiert werden. Vgl. die „strukturellen und materialen“ Kontexte bei Helms (2002, S. 102). In DeNoras empirischer Rezipientenforschung ist das Konzept der Bereitstellung („affordance“) zentral: Musik stellt Erfahrungs- und Handlungsmöglichkeiten bereit, die von den Hörern mehr oder weniger bewusst und reflektiert genutzt werden (DeNora 2000, S. 38ff.).
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Musikanalyse in der Popmusikforschung. Ziele, Ansätze, Methoden
hänge eingebunden, die sich auf verschiedene Aspekte des „Netzwerkes Musik“ richten. Die Adressaten erwarten in der Regel, dass die Musikanalysen das Klanggeschehen nachvollziehbar beschreiben und sich dabei auf jene Aspekte konzentrieren, die für die Musiker und Hörer relevant sind. Außerdem erwarten die Adressaten mitunter Hintergrundinformationen über das Musikstück, dessen Produktionszusammenhang sowie gegebenenfalls dessen sozialen und kulturellen Rezeptionskontext. Hieraus können sich Interpretationsansätze entwickeln, die durch analytische Aussagen zum Klanggeschehen entweder gestützt, oder aber in Frage gestellt werden. Indem Eigenheiten des Klanggeschehens benannt, Hintergrundinformationen zugänglich gemacht und beides mit möglichen Interpretationsansätzen verknüpft werden, wird ein Verstehensprozess initiiert, der das Vorverständnis des Klanggeschehens und des betreffenden kulturellen Zusammenhangs im besten Fall erweitert und bereichert. Wie geht der Musikforscher nun konkret vor, wenn er – etwa im Kontext eines Universitätsseminars oder eines Vortrags – mit Hilfe einer Analyse des Klanggeschehens zu einer begründeten Interpretation der Musik gelangen bzw. bestehende Interpretationsansätze stützen oder kritisieren will? Auf welche erprobten Vorgehensweisen, auf welches musikanalytische Handwerkszeug kann er dabei zurückgreifen? Ich möchte zunächst ein Stufenmodell des Analyseprozesses vorstellen, in dem idealtypisch mehrere Handlungsschritte unterschieden werden: 7 1. Am Beginn des Analyseprozesses steht das möglichst unvoreingenommene Wahrnehmen und Beschreiben des Klanggeschehens. Unvoreingenommenheit ist dabei ein Postulat, das de facto nie völlig eingelöst werden kann. Denn die Musikwahrnehmung bzw. -beschreibung wird immer durch erlernte Wahrnehmungsschemata und die eigene Hörbiographie, durch die überkommene Terminologie der Musikbeschreibung und die verwendeten Darstellungsmedien (Sprache, graphische Darstellungsformen, Notenschrift usw.) geprägt. 2. In einem zweiten Schritt werden die Verstehenshorizonte des Musikstückes erschlossen. Es werden Hintergrundinformationen gesammelt und recherchiert, die sich etwa auf den Kontext der Produktion, auf Intentionen der Musikschaffenden, oder aber auf Prozesse der Rezeption und Bedeutungszuschreibung innerhalb bestimmter kultureller Kontexte beziehen. Parallel dazu versucht der Analysierende gezielt seine eigenen Analysekompetenzen zu mobilisieren und der Musik angemessen zu erweitern.
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Mit meinem Modell lehne ich mich an Überlegungen von Bernd Redmann (2002, S. 212-267) an. 159
Martin Pfleiderer
3. Sodann werden deskriptive Aussagen zum Klanggeschehen (1) punktuell mit den erschlossenen Verstehenshorizonten (2) verknüpft. 4. Aus diesen punktuellen Verknüpfungen (3) ergeben sich ein oder mehrere hypothetische Interpretationsansätze, die sodann in Bezug auf das Klanggeschehen ausgearbeitet werden. 5. Am Schluss des Analyseprozesses steht die Darstellung der Analyse, die in ihrem inneren Aufbau nicht unbedingt der Reihenfolge der Analyseschritte folgen muss. Vielmehr können bereits zu Beginn der Darstellung Fragen an die Musik herangetragen oder Interpretationsmöglichkeiten als Hypothesen formuliert werden, die dann im weiteren Verlauf durch Hinweise auf das Klanggeschehen entfaltet, belegt oder kritisiert werden. Doch auch die Analyseschritte selbst folgen in der Regel nicht der genannten idealtypischen Abfolge, sondern greifen auf vielfältige Weise ineinander. Mitunter machen im Analyseverlauf entstehende Fragestellungen oder Interpretationsmöglichkeiten die Rückkehr zu einem früheren Analysestadium notwendig. Insbesondere die Schritte (3) und (4) sind eng ineinander verwoben und erfordern mitunter eine Rückkehr zu den Schritten (1) oder (2). Mitunter stehen Fragen und hypothetische Interpretationsansätze bereits am Beginn des Analyseprozesses, sodass der Einstieg in den Analyseprozess über Schritt (4) erfolgt. Ich möchte nun am Beispiel eines Drum’n’Bass-Stückes, „The Hidden Camera“ von Photek (Rupert Parkes), den Analyseprozess verdeutlichen. Meine Wahl fiel auf ein Stück aus dem Bereich der neueren elektronischen Tanzmusik, weil ich damit zugleich einen Interpretationsansatz illustrieren möchte, der sich auf eine grundlegende Komponente der Erfahrung populärer Musik bezieht, auf das Verhältnis zwischen den zeitlichen Strukturen des Klanggeschehens und der körperlichen Bewegungserfahrung beim Musikhören und Tanzen. Zu Beginn des Analyseprozesses geht es um ein aufmerksames und möglichst unvoreingenommenes Wahrnehmen des Klanggeschehens und um dessen Beschreibung. „The Hidden Camera“ beginnt mit drei E-Piano-Akkorden. Die langsame, quasi rubato gespielte Akkordfolge wird vier Mal wiederholt. Nach einer halben Minute setzen Bass und Schlagzeug (Bass Drum, Snare Drum, Tamburin) ein. Vermutlich handelt es sich um synthetisch erzeugte, gesampelte oder zumindest stark nachbearbeitete Instrumentalstimmen: Der Instrumentalklang des Basses ist einem Kontrabass nachempfunden, allerdings klingen die verschiedenen Töne einheitlicher und „cleaner“. Beim Schlagzeug sticht der helle, metallische Klang der Snare Drum heraus, der zudem abgehackt klingt (was möglicherweise auf eine steile Gate-Einstellung oder aber harte Schnitte bei der Sample-Be-
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Musikanalyse in der Popmusikforschung. Ziele, Ansätze, Methoden
arbeitung zurückzuführen ist). Die Bass Drum klingt recht tief und „pappig“. Während mit dem Tamburin ein regelmäßiger, schneller Puls geschlagen wird, sind die Basslinie und die Akzente von Snare Drum und Bass Drum in rhythmischer Hinsicht relativ komplex und unregelmäßig gestaltet. Schnell wird jedoch deutlich, dass ein knapp acht Sekunden dauerndes Pattern von Bass und Schlagzeug während des Stückes unverändert wiederholt wird; insgesamt erklingen 48 Wiederholungen. Nur an wenigen Stellen kommt es zu einigen subtilen Variationen der Schlagzeug-Patterns durch zusätzliche Snare-Drum-Akzente am Schluss eines Zyklus sowie durch eine zusätzliche Beckenstimme. Zu Beginn eines jeden Patternzyklus erklingt ein E-Piano-Akkord, dessen Töne einmal nacheinander, beim nächsten Einsatz synchron angeschlagen werden. Zusätzlich sind innerhalb des Patterns verschiedene Geräusche platziert, die entfernt an Vogelrufe erinnern. In der zweiten Spielminute kommt die im Folgenden recht dominante Klangschicht eines Synthesizers hinzu, dessen Klangspektrum sehr obertonreich ist und sich unablässig verändert. Zwei Synthesizer-Episoden (Spielminute 1’ bis 2’30’’ und 3’ bis 4’) mit unterschiedlichen Tonhöhenkonturen und Klangfarbenveränderungen lassen sich unterscheiden; beide erklingen im letzten Viertel des Stückes (4’35’’ bis 6’) gleichzeitig. An einer Stelle des Stückes (2’48’’) erklingt ein auffälliges Klickgeräusch, das von einer Pistole oder einem Kameraauslöser stammen könnte. Da das Geräusch relativ laut ist und direkt vor dem Beginn des Bass/Drum-Pattern erklingt, sticht es aus der Klangtextur besonders heraus. In den letzten 30 Sekunden des Stückes (ab 6’20’’) wird zunächst das Schlagzeug, sodann der Bass ausgeblendet, sodass am Ende einzig eine Synthesizer-Klangfläche zu hören ist, die schließlich ebenfalls ausgeblendet wird. Die verbale Beschreibung des Klanggeschehens könnte nun zusätzlich durch graphische Darstellungen illustriert und verdeutlicht werden, etwa durch einen Ablaufplan (vgl. Pfleiderer 1999, S. 35, 41), bei dem die verschiedenen Stimmen, Abschnitt und musikalische Elemente auf den zeitlichen Verlauf des Stückes bezogen werden, oder eine Spektraldarstellung, durch die bestimmte klangliche Eigenheiten des Stückes vor Augen geführt werden (vgl. Pfleiderer 2006, S. 34, 223ff, 312). Für eine detailliertere Untersuchung des rhythmischen, melodischen oder harmonischen Geschehens können außerdem notenschriftliche Darstellungsformen herangezogen werden. So ermöglicht das Transkribieren und notenschriftliche Darstellen des zyklisch wiederholten Patterns des PhotekStückes (vgl. unten, Abb. 1) detailliertere Aussagen zu dessen rhythmischer Struktur oder zu etwaigen tonalen Zusammenhängen.
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Martin Pfleiderer
In der Musikethnologie und Popularmusikanalyse kann inzwischen auf vielfältige Erfahrungen und zahlreiche methodologische Überlegungen zur Transkription und Notation zurückgegriffen werden (vgl. Ellingson 1992a, Ellingson 1992b, Winkler 1997, Stockmann 1998), aus denen jeweils eine dem untersuchten Stück angemessene Darstellungsweise abgeleitet werden sollte. Das Transkribieren lässt sich zunächst als ein Vertiefen des Wahrnehmungsprozesses verstehen, bei dem zugleich quasi als „Nebenprodukt“ graphische Darstellungen (Diagramme, Notentexte) entstehen. Dabei handelt es sich wohlgemerkt um deskriptiv-analytische Notationsformen, die einen grundlegend anderen Status und eine andere Funktion besitzen als die präskriptiven Spielvorlagen in der europäischen Musiktradition. Nachdem in der populären Musik spätestens seit den 1950er Jahren Klangaufnahmen alle notenschriftlichen Speicherformen der Musik weitgehend ersetzt haben, dienen hier graphische Darstellungsformen einzig dem Zweck, die Auseinandersetzung mit dem Klanggeschehen zu erleichtern und die Analyseergebnisse zu vermitteln. „In recent years“, so die Einschätzung von Richard Middleton, „[…] it has become clear that notation as such is not necessarily as big a problem as used to be thought – or at least that it is no more of a problem that any metalinguistic commentary on music (such as words). New forms of notation (sensitive transcription; sonic graphs) have been developed […]; more generally, it has become clear that how notation is used within the analytical method is more important than any inherent properties it may possess“ (Middleton 2000, S. 5).
Es ist übrigens durchaus legitim, mit dem Transkribieren erst dann zu beginnen, wenn sich im Analyseverlauf die entsprechenden Fragestellungen ergeben haben. Da sich bei deskriptiven Notationsformen die gewählte Art der Darstellung immer aus der entsprechenden Fragestellung herleitet, ist, „auf Vorrat“ zu transkribieren, nicht automatisch Kennzeichen einer zielgerichteten analytischen Vorgehensweise. Als ein vertiefendes, detailorientiertes Hören ist der Transkriptionsprozess jedoch fast immer sinnvoll, ertragreich und erkenntnisfördernd. Im weiteren Verlauf des Analyseprozesses werden die Verstehenshorizonte des Musikstückes und des Analysierenden erschlossen und erweitert. Dies umfasst auf der einen Seite die Entstehungsbedingungen und die Entstehungsgeschichte eines Musikstückes, seine Rezeptionsbedingungen und Rezeptionsgeschichte sowie die Stellung des Stückes innerhalb eines stilistischen Kontextes. Auf der anderen Seite geht es um ein Erschließen und Erweitern des Vorverständnisses des Analysierenden, seiner Analyseerfahrungen und -kompetenzen. Der Analysierende verfügt über methodische Herangehensweisen und Interpretationsansätze, die auf ihre Angemessenheit befragt und gegebenenfalls dem Analy-
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Musikanalyse in der Popmusikforschung. Ziele, Ansätze, Methoden
segegenstand angepasst werden müssen. Es geht also darum, bereits vorhandene Informationen und Analysekompetenzen zu aktivieren und Wissenslücken und Kompetenzdefizite durch gezielte Recherche zu schließen. Hierbei kann der Entwurf eines oder mehrerer Interpretationsansätze oder verstehensleitender Modelle entstehen, die sodann auf das Klanggeschehen bezogen werden müssen. „The Hidden Camera“ entnehme ich der CD Risc vs Reward, die im Jahre 1997 bei Virgin erschienen ist. 8 Photek wird auf dem Cover als alleiniger Urheber und Produzent genannt („written and produced by Photek“) – ein Hinweis auf den im Bereich elektronischer Musik üblichen Schaffensprozess, bei dem der Drum’n’Bass-Produzent, ausgestattet mit Sequencern, Sampling-Geräten und Synthesizern, seine Musik quasi autark, ohne Hilfe anderer Musiker erzeugt (vgl. Pfleiderer 1999). Rupert Parkes (alias Photek) wird gemeinhin dem englischen Jungle oder Drum’n’Bass und innerhalb dieser Musikszene dem sog. „Intelligent Drum’n’Bass“ zugerechnet – einer Stilrichtung, die der Musikjournalist Peter Shapiro im Rough Guide Drum’n’Bass dadurch charakterisiert, dass in ihr „[...] jazz-fusion as the model of the union of ‚complexity‘ and groove, ‚concept‘ records and a pseudo-scientific approach to beat con- struction“ (Shapiro 1999, S. 159) zur Geltung kommen. Damit ist zugleich ein Diskurs über angeblich „verkopfte“ Drum’n’Bass-Produktionen angesprochen 9 , auf den sich auch ein Interpretationsansatz des Photek-Stückes beziehen ließe. Einen weiteren Verstehenskontext eröffnet die Titelgebung – „Die Versteckte Kamera“ – und Covergestaltung der Photek-CD. Neben Angaben zu den einzelnen Tracks sind auf dem achtseitigen CD-Cover von Risc vs Reward sowie auf der Rückseite der CD-Box sechs Screen-Shots einer Überwachungskamera vor dem Hintergrund einer unverputzten Wand abgebildet; am unteren Rand der Screen-Shots sind jeweils Datum und Uhrzeit eingeblendet. Auf dem Screen-Shot auf der Cover-Vorderseite sind drei Männer in einer Tiefgarage zu sehen; auf der Rückseite der CD-Box drei Männer auf einer nächtlichen Straße. Die vier ScreenShots in der Cover-Innenseite zeigen zwei junge Männer auf einer Straße bei einem Auto, drei Männer mit Schusswaffen, drei Personen, die durch ein Fenster fotografiert werden, sowie drei Personen an einem Tisch; laut 8
9
Die CD enthält einen weiteren Mix des Stückes („Static Mix“), auf den ich hier nicht weiter eingehen möchte. Er unterscheidet sich vor allem in der rhythmischen Gestaltung (Schlagzeug, Bass) grundlegend von der hier analysierten Version. Vgl. hierzu etwa die Ausführungen des Musikjournalisten Simon Reynolds (Reynolds 1998, S. 335ff.), der Photek ebenfalls dem Intelligent Drum’n’ Bass zurechnet. 163
Martin Pfleiderer
Datierung wurde das Schusswaffen-Foto als letztes aufgenommen. Innerhalb des Klanggeschehens von „The Hidden Camera“ unterstützt das erwähnte markante Klickgeräusch die Semantik von Überwachung und Gewalt. Titelgebung, Covergestaltung und denotatives Geräusch-Sample eröffnen somit ein Geflecht semantischer Bezüge, in deren Kontext sich das Stück interpretieren ließe und das vermutlich auch der folgenden Deutung Shapiros zugrunde liegt: „The Hidden Camera was a neurotic commentary on the full arrival of the security state in Britain and his [Photeks] best release to date“ (Shapiro 1999, S. 161). Eine solche gleichermaßen naheliegende wie plakative semantische Deutung läuft freilich Gefahr, weiterführende Überlegungen zu verhindern und so den Verstehensprozess vorschnell abzuschließen. Denn selten erschöpft sich das klangliche Bedeutungsgeflecht von Musik in griffigen Aussagen. Vielmehr fungiert Klang in der Regel auch als Ausdruck von etwas Vagem, Unkonkreten und Vieldeutigen, etwa einer vagen Stimmung oder eines undeutlichen Gefühls. Hierdurch werden aktive Verstehens- und Interpretationsleistungen mitunter erst herausgefordert und initiiert – mit den Worten des historischen Musikwissenschaftlers Bernd Redmann: „Die in der Hörrezeption erfahrene Sinnoffenheit kann entweder als ästhetische Qualität und metaphysisch-uneinholbare Dimension musikalischen Sinns ‚akzeptiert‘ werden oder zu eigenkreativen Konkretisierungen [...] anregen“ (Redmann 2002, S. 194). In der Regel wird Drum’n’Bass eine „düstere“ Grundstimmung zugeschrieben. Dies hängt sicherlich mit den mit Vorliebe verwendeten Geräusch- und Sprach-Samples und der Cover-Gestaltung zusammen, die oftmals an die Klang- und Bilderwelt von Thrillern, Science Fiction- und Horrorfilmen anknüpfen. Interessant wäre jedoch eine Klärung der Frage, durch welche musikalischen Mittel diese Stimmung erzeugt, verstärkt oder gebrochen wird. Dieser Frage ließe sich am Beispiel von „The Hidden Camera“ durch die detaillierte Analyse der klanglichen Konstellation weiter nachgehen: etwa der spezifischen Kombination eines schnellen, „nervösen“ Rhythmus und der sphärischen, ruhig in sich kreisenden Synthesizer-Klangflächen. Der Analyseprozess hat nun längst eine Reihe von Interpretationsmöglichkeiten eröffnet, die durch eine Verknüpfung mit detaillierteren Untersuchungen des Klanggeschehens weiter konkretisiert werden müssten. Die anfangs vorgestellten herkömmlichen formalistischen Analyseansätze – reduktive Ansätze, Strukturanalyse, Schichtenmodell, Prozessanalyse – helfen bei der Analyse des Drum’n’Bass-Stückes offensichtlich kaum weiter. Denn weder ist der formale Aufbau (Wiederholung eines
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Musikanalyse in der Popmusikforschung. Ziele, Ansätze, Methoden
Patterns) noch die Tonhöhenorganisation 10 grundlegend für die musikalischen Qualitäten von „The Hidden Camera“; aufschlussreicher erscheinen vielmehr Eigenheiten der Klang- und Bewegungsgestaltung. Neben den angedeuteten semantischen Interpretationsmöglichkeiten folgt ein weiterer Interpretationsansatz dem Verhältnis von Klang, körperlicher Bewegung und Tanz. 11 Da Drum’n’Bass vorwiegend als Tanzmusik rezipiert wird, sind Bezüge der Klangstrukturen zur Körper- bzw. Bewegungserfahrung zentral. Diese Bezüge werden in Clubs und Raves einerseits durch die hohe Lautstärke insbesondere der Bässe hergestellt, deren Schallenergie direkt fühlbar auf den menschlichen Körper einwirkt, andererseits durch die rhythmischen Strukturen der Musik (vgl. Fikentscher 2000, Rietvield 1998). Es handelt sich hier wohlgemerkt nicht um ein zeichenhaftes, semantisches Verhältnis. Nicht etwa „bedeutet“ das Klanggeschehen Bewegung (im Sinne eines zeichenhaften Verweises), sondern Musik wird durch „verkörperte“ Bewegung erfahren, lädt zur Bewegung ein. Aspekte der Verkörperung, des leiblichen Mitvollzugs des Klanggeschehens sperren sich gegenüber semantischen oder semiotischen Interpretationsansätzen (vgl. Kaden 1998, Sp. 2162ff.) und können in einem wahrnehmungs- und bewegungspsychologischen Argumentationszusammenhang vermutlich weit besser erhellt werden. 12
10 Wenn bei „The Hidden Camera“ überhaupt von einer Tonhöhenorganisation bzw. einem tonalen Bezugssystem gesprochen werden kann, so ist dies nur sehr schwach ausgeprägt und aufgrund von Dissonanzen außerordentlich instabil: Der Tonvorrat der Basslinie umfasst insgesamt nur vier Tonhöhen: c, e, fis und h (vgl. Abb. 1). Zwar wäre denkbar, den Ton h aufgrund der Betonung zum Zyklusanfang als tonales Zentrum wahrzunehmen (im Laufe des Patterns erklingt zudem mehrmals der Ton fis, die Dominante zu h). Zusätzlich erklingen aber die beiden dissonante Töne e und c. Auch das E-Piano spielt ein h; allerdings liegt darunter die Dissonanz einer kleinen Sekunde e - f. Der Tonvorrat des Synthesizers ist auf wenige Töne beschränkt (h, c, d, e, f, a, h), die jedoch eher eine in sich kreisende Klangfläche als eine zielgerichtete Melodiebewegung erzeugen. 11 Zum in populärer Musik zentralen Aspekt der Klanggestaltung und zu Möglichkeiten ihrer Beschreibung und Interpretation vgl. Pfleiderer 2003a. 12 Vgl. hierzu ausführlich Pfleiderer 2006, S. 94-112. Nach Lawrence Zbikowski (2004) ist bei der Rhythmus-Wahrnehmung in der Regel verkörpertes Wissen involviert: „The concepts key to our understanding of rhythm – regularity, differentation and cyclicity – draw on focal features of both our embodied and musical experience. It is thus natural to imagine music that correlates with some of our favourite bodily motions, and to imagine bodily motions that correlate with some of our favourite music“ (Zbikowski 2004, S. 279). Anders liegt der Fall, wenn Bewegungseinheiten zusätzlich bestimmte Bedeutungen zugeschrieben werden und es sich somit um „musikalische Gesten“ handelt. Hieran knüpfen die Interpretationsansätze von Hatten (2001) und Middleton (1993) an. 165
Martin Pfleiderer
Für Simon Frith sind die rhythmischen Qualitäten populärer Musik eine zentrale Ursache für deren Popularität: „The reason why rhythm is particularly significant for popular music is that steady tempo and an interestingly patterned beat offer the easiest ways into a musical event; they enable listeners without instrumental expertise to respond ,actively‘, to experience music as a bodily as well as a mental matter“ (Frith 1996, S. 143).
Das stetige Tempo und die interessant gebauten rhythmischen Muster bieten auch musikalisch weniger gebildeten Hörerinnen und Hörern Möglichkeiten, an der Musik aktiv körperlich und mental teilzuhaben. Dabei geht es sowohl um die Erfahrung von Regelmäßigkeiten der zeitlichen Gestaltung – vor allem um die Referenzebene eines regelmäßigen Grundschlags („steady tempo“), mit dem sich periodische Körperbewegungen synchronisieren können – als auch um eine rhythmische Gestaltung, durch die ein Musikstück interessant wird („interestingly patterned beat“) und komplexere, aber dennoch synchronisierte Bewegungsmöglichkeiten bereitstellt.
Abb. 1: Photek „The Hidden Camera“, zwei Durchgänge des Patterns
Das Wechselspiel von Regelmäßigkeit und Abwechslung lässt sich durch eine detaillierte Analyse der rhythmischen Struktur von „The Hidden Camera“ konkretisieren. Hierbei stütze ich mich auf eine Transkription des grundlegenden, zyklisch wiederholten Patterns (Abb. 1). Ich habe in dem Notenbeispiel bewusst auf Taktstriche verzichtet, da sich aufgrund
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Musikanalyse in der Popmusikforschung. Ziele, Ansätze, Methoden
der rhythmischen Struktur von „The Hidden Camera“ bei der möglichen Wahrnehmung eines Taktmetrums eine Reihe von Mehrdeutigkeiten auftun. 13 Eine regelmäßige Schlagfolge in einem gleichbleibenden Tempo, die sich direkt wahrnehmen oder aber aufgrund des Klanggeschehens konstruieren lässt, ist die zentrale Voraussetzung dafür, dass sich Körperbewegungen antizipierend mit der Musik synchronisieren können. „The Hidden Camera“ enthält streng genommen nur eine durchgehende, regelmäßige Schlagfolge: den Puls des Tamburins in einem überaus schnellen Tempo von über 500 Schlägen pro Minute (beats per minute, bpm). Allerdings gibt es innerhalb der Tanzmusik einen eingegrenzten Tempobereich, in dem gewöhnlich das Referenztempo des Grundschlags liegt. Dies hängt höchstwahrscheinlich mit den Bewegungsweisen des menschlichen Körpers zusammen, denn das bevorzugte Tempo des entspannten Gehens, aber auch das bevorzugte Klopftempo liegt normalerweise im Bereich von ca. 80-120 bpm (vgl. Pfleiderer 2006, S. 48f.). Das Grundtempo in der elektronischen Tanzmusik ist in der Regel etwas schneller und liegt im Bereich von 120 bis 130 bpm. Dagegen kann das Tempo in Rap Music, Funk und R&B auch langsamer sein (bis 90 bpm und weniger), und im Drum’n’Bass ist es mitunter deutlich schneller (bis 160 bpm und mehr), was den Tänzern sowohl die Möglichkeit bietet, zum schnellen Tempo zu tanzen, als auch sich im halben Tempo zu wiegen. Anders als in House und Techno, wo das Grundtempo direkt als regelmäßige Schlagfolge der Bass Drum („four to the floor“) zu hören ist, muss im Drum’n’Bass die Referenzebene des Grundschlags in der Regel erst vom Hörer aus dem Klanggeschehen erschlossen werden. Hierbei sind bestimmte stilspezifische Regelmäßigkeiten hilfreich, die sich bei Hörern populärer Musik zu kognitiven Schemata verfestigen. So verweisen die lauten Snare Drum-Schläge auf das in populärer Musik weit verbreitete rhythmische Schema des sog. Backbeat-Patterns. Beim Backbeat-Pattern werden jeder zweite, vierte usw. Schlag der Grundschlagfolge akzentuiert, zumeist durch Schläge auf die Snare Drum (vgl. Pfleiderer 2006, S. 219ff., London 2004, S. 20). Allerdings kommt es in „The Hidden Camera“ hier zu Unregelmäßigkeiten: Der dritte Snare DrumSchlag erklingt einen Schlag später, als nach dem Backbeat-Schema zu erwarten wäre, der vierte wird dagegen vorgezogen. Diese Umplatzierung wiederholt sich im zweiten Teil des Patterns. Die Basslinie weist in „The Hidden Camera“ zumindest in der ersten Hälfte des Patterns eine 13 Bei der notenschriftlichen Darstellung der Schlagzeugstimme sind allein die zeitlichen Strukturen der relativ kurzen perkussiven Klangimpulse relevant, nicht jedoch die verwendeten Notendauern; um die Lesbarkeit zu erleichtern, habe ich weitgehend auf Pausenzeichen verzichtet. 167
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gewisse Regelmäßigkeit der Tonabstände auf (mit einem Tempo von ca. 65 bpm). Da das doppelte Tempo der Basslinie (im Notenbeispiel eine Viertelnote) mit einem Tempo von ca. 130 bpm dem üblichen Tempo der Tanzmusik entspricht, kann es als die zentrale Referenzebene für die Synchronisierung von Körperbewegungen und musikalischen Strukturen angesehen werden. In der zweiten Hälfte der Basslinie werden allerdings einige Töne gegenüber dem zuvor etablierten Grundschlag verschoben. Eine weitere Irritation wird dadurch erzeugt, dass der erwartete Hauptakzent am Patternanfang ausgespart bzw. um einen halben Grundschlag (Achtelnote) vorgezogen wird – sowohl in der Basslinie als auch durch einen entsprechenden Bass Drum-Akzent. Ansonsten unterstützt die Bass Drum vor allem die langsame Bewegung (halbe Noten) des Basses und liefert so ein Gegengewicht zu den Backbeat-Akzenten der Snare Drum; allerdings pausiert die Bass Drum während der Verschiebungen zu Beginn der zweiten Hälfte der Basslinie, wodurch diese Unregelmäßigkeiten noch stärkeres Gewicht bekommen. Im stilistischen Kontext des Drum’n’Bass ist eine hohe Komplexität der Schlagzeug-Gestaltung nichts Ungewöhnliches; allerdings finden sich vergleichbare Verschiebungen innerhalb der Basslinie relativ selten. Der schnelle Puls des Tamburins und die zusätzlichen leiseren Schläge der Snare Drum, die jeweils gegenüber dem Grundschlag verschoben (also „Offbeat“) auf die lauten Snare-Drum-Akzente „zulaufen“, intensivieren das rhythmische Geschehen zusätzlich. Die rhythmische Textur von „Hidden Camera“ ist somit durch verschiedene Bewegungsgeschwindigkeiten sowie durch zahlreiche gegenüber dem Grundschlag verschobene Akzentuierungen (Snare Drum, Bass, z.T. Bass Drum) gekennzeichnet. Allerdings geht das Desorientierungspotential der dichten und komplex gebauten rhythmischen Textur nicht so weit, dass keine Regelmäßigkeiten wahrnehmbar bzw. konstruierbar wären. Aufgrund der unablässigen Wiederholungen lernt ein aufmerksamer Hörer zudem die Eigenheiten der rhythmischen Struktur schnell kennen. Auf diese Weise wird einerseits eine antizipierende Synchronisierung mit den zeitlichen Strukturen der Musik erleichtert, andererseits wird ein „interessanter“ Beat geschaffen, der durch gegenläufige Akzentuierungen und Bewegungsebenen zusätzlichen Drive erzeugt, vielfältige Bewegungsmöglichkeiten bietet und auch nach mehrmaligem Hören interessant bleibt. Ich habe versucht, mehrere mögliche Interpretationsansätze zu „The Hidden Camera“, die aus einer detaillierten Beschreibung des Klanggeschehens und aus Hintergrundsinformationen hergeleitet wurden, zu skizzieren. Welcher der Interpretationsansätze jeweils weiterverfolgt und detailliert ausgearbeitet wird, hängt dabei stark von den Erkenntnisinte-
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Musikanalyse in der Popmusikforschung. Ziele, Ansätze, Methoden
ressen des Analysierenden und der Adressaten ab. Redmann spricht in diesem Zusammenhang von einer möglichen Pluralität der Interpretationsmodelle: „Mehrere, kontroverse Modellhypothesen werden entworfen, deren Erklärungs- und Interpretationspotentiale kritisch durchleuchtet und reflektiert werden“ (Redmann 2002, S. 250). Dabei kann entweder eine Synthese der Interpretationsmodelle angestrebt werden, oder aber verschiedene, konkurrierende Verstehens- und Interpretationsansätze bleiben nebeneinander bestehen. Entscheidend für das musikanalytische Vorgehen ist jedoch stets der Bezug auf das Klanggeschehen, durch den mögliche Interpretationen begründet oder in Frage gestellt werden. Übergeordnetes Ziel meiner Überlegungen war es, musikalische Praxis – also das Klanggeschehen und die auf das Klanggeschehen gerichtete produktive und rezeptive Aktivität von Musikern und Hörern – und musikalische Analyse in ein angemessenes und theoretisch begründetes Verhältnis zu bringen, weil sich nur so die von Wicke (2003, S. 124) beklagte Kluft zwischen musikanalytischen und kulturanalytischen Ansätzen schließen lässt. Will man nicht eine völlig neue Methodologie der Analyse populärer Musik entwickeln und sich damit der Gefahr aussetzen, das Rad neu zu erfinden, so gilt es, der in der Popmusikforschung verbreiteten Strategie zu widerstehen, die etablierte Musikwissenschaft als einen Strohmann und Gegner aufzubauen und sodann auf die Analyse des Klanggeschehens gänzlich zu verzichten. Vielmehr müssen die Voraussetzungen und Methoden der musikalischen Analyse, wie sie innerhalb verschiedener Richtungen der Musikwissenschaft diskutiert werden, kritisch im Hinblick auf ihre Übertragbarkeit und Tauglichkeit für die Analyse von populärer Musik befragt werden. Dabei ist es von Nutzen, auch Forschungsergebnisse der neueren Musikpsychologie zur Kenntnis zu nehmen. Hierdurch können wechselseitige Anschlussmöglichkeiten an die bestehenden Diskurse der Musikwissenschaft eröffnet werden (vgl. Pfleiderer 2006, S. 337f.). Zumindest dürfte deutlich geworden sein, dass kaum noch Anlass für ein distanziertes und zögerliches Verhältnis der Popmusikforschung (Middleton 2000, S. 1) zur musikalischen Analyse besteht.
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Musikanalyse in der Popmusikforschung. Ziele, Ansätze, Methoden
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LESEN – ANEIGNEN – BEDEUTEN: POPTHEORIE ALS PRAGMATISCHE ÄSTHETIK POPULÄRER MUSIK. DER VIDEOCLIP ESPERANTO 1 VON FREUNDESKREIS MICHAEL RAPPE „Statt daß die Theorie die Musik vor sich selbst rettet, vor ihren schlimmsten, also ihren besten Exzessen, wird Musik als die Popanalyse verstanden, die sie schon ist. Producer sind bereits Poptheoretiker.“ (Eshun 1999, 00 [-004])
Über Populäre Musik zu sprechen birgt sehr schnell die Gefahr, sich in einer schwer überschaubaren Gemengelage von Meinungen, Vorstellungen und Theorien zu verirren. Diskurse, die sich sowohl in der Soziologie, der systematischen und historischen Musikwissenschaft, den Kulturwissenschaften oder dem ambitionierten Popfeuilleton ereignen, sind zudem nicht immer widerspruchsfrei oder gar deckungsgleich. Daneben hat sich die Populäre Musik, so wie sie sich heute darstellt, längst zu einem Kontinuum pluraler Subgenres mit zahlreichen Substilen entwickelt. Und die Frage, ob diese oder jene Band noch Thrash Metal oder schon Death Metal ist, interessiert höchstens noch die Spezialisten solcher Stile, so genannte „subkulturelle Cheerleader“ wie der Kulturwissenschaftler Simon Frith diese Gralshüter des Undergrounds nennt (Frith 1999, S. 211). Gleichzeitig differenzieren sich in diesem Kontinuum nicht nur die einzelnen Stile immer weiter aus. Sie verbinden sich auch untereinander immer wieder zu neuen Stilen. Und schließlich entsteht durch ständige Revivals älterer Stile eine Gleichzeitigkeit aller Stile. Populäre Musik und ihre Geschichte ist keine chronologische Abfolge von Musik- und Kulturereignissen, sondern eine ahistorische und komplex vernetzte An-
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Freundeskreis feat. Déborah, Esperanto, Four Music/Sony Columbia 1999.
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Lesen – Aneignen – Bedeuten: Poptheorie als pragmatische Ästhetik ...
ordnung gleichzeitig ablaufender Ereignisse, in der sich nicht zuletzt die postmoderne Gesellschaft bzw. reflexive Moderne widerspiegelt. 2 Die Strategien und Versuche, sich dem Phänomen Populäre Musik deutend zu nähern und vermittelbar zu machen sind ebenso vielgestaltig wie komplex. Dabei haben sich bei der Analyse von Populärer Musik vor allem die literatur- und kulturwissenschaftlich fundierten Forschungsfelder wie die Cultural Studies Birminghamer Prägung 3 hervorgetan. Diese Arbeiten gehen von der Annahme aus, „[...] dass Bedeutungen wie auch deren Erzeugung [...] untrennbar mit der sozialen Struktur verbunden sind und sich nur über diese Struktur und ihre Geschichte erklären lassen. Entsprechend dazu wird die soziale Struktur von den Bedeutungen aufrecht erhalten, die die Kultur produziert [...]“ (Fiske 2001, S. 18).
Cultural Studies betrachten Populäre Kultur und ihre Musik als einen Ort des Kampfes, an dem über kulturelle Produkte (Zeichen, Äußerungen, Handlungen) Macht und Ideologie ausgeübt wird, die wiederum von den Konsumenten durch Gegenstrategien wie z.B. Subkulturbildung unterlaufen werden (vgl. u.a. Hall 2004; Fiske 2003 u. 1989; Grossberg 2000). Einen anderen Schwerpunkt bilden die Arbeiten von Wissenschaftlern postkolonialer Prägung, die sich mit Populärer Musik als einem transnationalen Phänomen auseinander setzen. Ihren Ursprung hat dieses Phänomen in den alten Routen der Sklavenschiffe, die auch unter dem von Paul Gilroy etablierten Begriff des „Black Atlantic“ subsumiert werden. Diese alten Seewege wurden zu freiwilligen und unfreiwilligen Wegen akkulturativen Austausches. Die Beschäftigung mit Populärer Musik unter diesem Aspekt ist immer eine Beschäftigung mit Kooperationen, Allianzen, sowie freiwilligen und unfreiwilligen Verbindungen verschiedenster Kulturen. Theoretiker wie Paul Gilroy, Homi K. Bhabha oder George Lipsitz betrachten demzufolge Populäre Musik unter dem Aspekt ihres lokalen Entstehens und – im zweiten Schritt – deren globalisierter strategischer Aneignung als identitätsstiftendem Moment: Sie sehen in der Art, wie mit Populärer Musik umgegangen wird, Strategien, Identitäten nicht geografisch, sondern sozial zu verorten (vgl. u.a. Lipsitz 1999; Bhabha 2000; Gilroy 1993). 2
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Diese zeichnet sich durch einen starken gesellschaftlichen Individualisierungsschub und (damit einhergehend) eine fortschreitende Ausdifferenzierung der Gesellschaft in pluralisierte Lebensstile und Zusammenhänge aus (vgl. Beck 1986; Beck 1995: 9-15, 105-113 oder 165-175). Centre for Contemporary Cultural Studies (CCCS), University of Birmingham mit VertreterInnen wie Paul Willis, Dick Hebdige, Angela McRobbie oder Stuart Hall. 173
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Die Verdienste und Bedeutung dieser Ansätze für ein besseres Verständnis Populärer Musik sind gar nicht hoch genug einzuschätzen. Allerdings fällt auf, dass in diesen Auseinandersetzungen die ästhetischen Dimensionen Populärer Musik stark vernachlässigt werden, bzw. wenig Berücksichtigung finden. Ausnahmen dieser Regel sind genau abgegrenzte subkulturelle Bereiche wie z.B. Minimal Techno oder bestimmte Spielformen virtuosen Heavy Metals. Hier handeln Pop-Eingeweihte nach dem Motto: nur die Platte, die keiner kennt, nur das einsam Minoritäre genießt die Weihe des Subversiven und damit des Echten, Wahren und Guten. „Der Kampf um die richtige Platte“, nennt der Journalist und Kulturwissenschaftler Günther Jacob, in der Tradition Pierre Bourdieus stehend, diese Art des Kampfes um die Authentizität und die Sprachmacht auf dem weiten Feld der Populären Musik (vgl. Jacob 1993 u. 2001). Wie schnell solche Reservate jedoch gesprengt werden können und wie das grelle Licht des Mainstream verzweifelte Ratlosigkeit in den eher nächtlich-gedämpften Gefilden der Subkultur erzeugt, hat einst die Band Nirvana mit der Popularisierung des Grunge deutlich gemacht. Auch die Popmusikpresse fällt oft durch das Nichtverhandeln ästhetischer Dimensionen auf. Hier erleben wir häufig einen so genannten ‚Befindlichkeitssprech‘: Ich erfahre beispielsweise in einem Bericht über ein Konzert oder in einem Interview mit einer Band, ob der Autoparkplatz des Rezensenten 40 oder 60 Minuten Fußmarsch vom ‚Venue‘ entfernt lag, wie warm das Bier war und wie er das alles so fand, aber eigentlich nichts von der Band, vom Konzert und – was ja in unserem Zusammenhang nicht unwichtig ist – von der Inszenierung, der Musik und ihren Wirkungsweisen. Dies bestätigt auch Simon Frith, wenn er sagt, dass es so scheint, „[…] dass wir […] tatsächlich nicht viel über derartige ästhetische Allianzen und Unterscheidungen und deren Implikationen wissen, auch wenn wir selbst mit ihnen leben. Selbst wenn wir zu meinen wissen, was die Leute mögen, haben wir selten Interessantes über die innere Struktur dieses Mögens zu sagen“ (Frith 1999, S. 211).
Doch genau um dies muss es, meiner Ansicht nach, gehen: Um die genaue und analytische Auseinandersetzung mit den inneren Strukturen Populärer Musik und um die Beschreibung einer Popästhetik, die als Ausgangspunkt den Gegenstand und seine ästhetischen Allianzen hat. Mein Ansatz, sich Populärer Musik in dieser Pluralität zu nähern, ohne sofort in die Fallstricke der unendlich vielen Diskurse über Populäre Musik zu geraten, wie ich sie der Kürze halber nur Stichwort artig anreißen konnte, ist weder rein musik-, noch rein kulturwissenschaftlicher Art. Es handelt sich um eine Form der Musik-Archäologie, um eine Spurensuche, bei der, vom konkreten ästhetischen Produkt ausgehend, mög-
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Lesen – Aneignen – Bedeuten: Poptheorie als pragmatische Ästhetik ...
lichst alle musikalischen und visuellen Zeichen, aber auch die subjektiven Eindrücke, Affekte und Fantasien zusammengetragen und in Deutungsprozesse überführt werden. Die Ergebnisse einer solchen Analyse werden im weiteren Verlauf durch medienspezifische Gesichtspunkte wie Audiovisualität, Inszenierung und Performance, aber auch durch verschiedene (Meta-)Diskurse über Populäre Musik im Pop-Feuilleton und in der Literatur erweitert und erfahren anhand der in den englischen und amerikanischen Cultural Studies entwickelten Ansätze der Kulturanalyse eine weitere Kontextualisierung. Poptheorie als eine praktisch angewandte Theorie bedeutet somit für mich nicht mehr und nicht weniger, als Populäre Musik verstehen zu lernen: ihre teilweise neuen Techniken und Technologien, ihre Virtuosität, ästhetische Differenziertheit und ihre Wirkungsweise im gesellschaftlichen Rahmen ihres sozialen Gebrauchs. Ein Schwerpunkt meiner Arbeit ist die Analyse von Videoclips und deren visuelle Repräsentanzen. Dort kann innerhalb von drei Minuten eben genau jenes komplexe Zeichengefüge entstehen, das auf vielschichtige Art und Weise den betreffenden Pop-Stil im besonderen wie die Populäre Musik im allgemeinen auszeichnet. Es entsteht, um eine Formulierung Stuart Halls aufzugreifen, eine „Landkarte der Bedeutungen“ (Hall 2004, S. 74). Und so kann es passieren, dass in den ersten drei Bildeinstellungen eines Hip Hop-Clips – wir reden von gerade mal 20 Sekunden – die Geschichte des Hip Hop, die wichtigsten Kulturtechniken des Hip Hop, Kulturtechniken der europäischen Moderne und Themen wie Globalisierung und Rassismus auf musikalischer und visueller Ebene verhandelt werden.
ESPERANTO Das Intro: Tausend Milliarden Gesichter
Die fotografierten Portraits der Freundeskreis-Mitglieder sind zu sehen, sie dreiteilen sich und die einzelnen Teile verändern sich. Bei jedem Bandmitglied überlagern sich verschiedene Styles und verfremden die Portraits: diverse Kunststile, verschiedene Mal- und Fotografietechniken. Wie bei alten Kinderbüchern, wo ich durch die Vierteilung von Tieren ein Kamelhundschweinvogel habe oder wie bei den „Hunderttausend Milliarden Gedichten“ des französischen Literaten Raymond Queneau, der 10 Sonette in 14 Einzeiler zerschnitt, um sie willkürlich zusammenfügen zu können (Queneau 1984). Die Überlagerungen machen jedes Bild zu einem multiplen Bild, das unzählige Facetten der Persönlichkeit präsentiert.
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Erster Aufzug: Der Kontext ist im Arsch oder Revolution - Propaganda - Identität
Wir befinden uns in der Welt von Freundeskreis (FK). Wörter, Bilder, Musik verschmelzen zu einer Botschafts-Mixtur. Worte wie: WortSchätze, bundesdeutsche Vorstädte, Headz 4 , die 0711 5 lieben, Stuttgarter Barrios oder Streetpoetry werden von den dazu passenden gemalten Bildern und Worten kommentiert. Bilder von den Headz (also den Köpfen) der Band, gemalte Vorstädte, das geschriebene Amikaro, das KolchoseLabel 6 mit der Statue einer Freiheitskämpferin im Stil des sozialistischen Realismus, Flugzeuge, die Plattenbomben aus Vinyl abladen und der Stuttgarter Fernsehturm als Symbol für die Verbreitung der Botschaft lassen ein Bild von Revolution, Subversion und Internationalismus entstehen. Mit Bild und Wort wird Identität hergestellt. Dabei werden sowohl Hip Hop interne Codes wie Headz und 0711 verhandelt, als auch der traditionelle Kampf des Underground Hip Hop gegen den Mainstream auf eine internationalistische Tradition des Kampfes bezogen: „Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen […]“ (Marx/Engels 1986, S. 44). Esperanto, das bedeutet gemeinsamer Kampf aller Unterdrückten oder sich so Fühlenden, denn in Stuttgart gibt es genauso Barrios, Plattenbausiedlungen, Banlieus, Projects wie überall in Europa, wie überall in der Welt. Hip Hop wird zum transnationalen Modell einer Widerstands-Kultur stilisiert, mit der revolutionäres Potenzial oder Missstände weltweit verbalisiert werden können. Streetpoetry ist das Schlüsselwort und Wort-Schätze sind das Gedanken-Gut. Worte so gefährlich wie Bomben werden eingesetzt, um authentisch Hip Hop zu leben: Man selbst als Head ist wahrhaftig, „nur der Kontext ist im Arsch“, rappt FK. Wörter wie Bombing oder Headz werden bildhaft dargestellt. Ein Wesen mit einem 1210er 7 -Kopf oder eine
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Synonym für Hip Hop-Aktivist aber auch Hip Hop-Fan. 0711 ist die Vorwahl von Stuttgart, steht aber nicht nur für die Heimatstadt von FK, sondern auch für die dortige Szene und deren Institutionen wie z.B. den 0711-Club oder die Booking-Firma 0711. In der Kolchose organisierten sich Anfang der 1990er-Jahre Stuttgarter Hip Hops. Aus dieser Vereinigung gingen in den folgenden Jahren erfolgreiche Acts wie die Massiven Töne, Afrob oder Freundeskreis hervor (vgl. dazu Loh, Hannes / Verlan, Sascha 2006: 288-289). Der DJ-Plattenspieler Technics-SL 1200 MK2 (in silber) bzw. SL 1210 MK2 (in schwarz) der Firma Matsushita Electronic Industrial Co aus Osaka, Japan.
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vinylbombende B52 8 . Bomben, das bedeutet im Hip Hop mit meinem Tag 9 die U-Bahn vollbomben und mir meinen Raum durch Graffiti zu erkämpfen, das bedeutet tanzend Körperpolitik zu betreiben, das bedeutet, wie das die Hamburger Hip Hop-Formation Doppelkopf rappt, im Keller zu sitzen und Text-Bomben zu basteln (Doppelkopf 1999). Refrain: Hip Hop Attitudes
Kompletter Szenenwechsel. Eine geloopte Comic-Sequenz im Stil früher amerikanischer 1920er-Jahre-Zeichentrickfilme verdichtet Hip Hop: Plattenkratzen, Backgroundsängerin, ein sich in den Schritt fassender Rapper und ein Trommler wiederholen karikierend Attribute des Hip Hop. Gleichzeitig ist dieser Refrain der Kommentar zur Lage des Hip Hop. Die A&Rs 10 der ersten Strophe, die wie B-Boys aussehen, beuten Hip Hop aus. Es geht um die schnelle Geldmache. Als reines Entertainment verkümmert Hip Hop zur wertlosen Popkonserve, von der man nur Kopfschmerzen bekommen kann. Zweiter Aufzug: Lasst hundert Blumen blühen oder Pop und Ware
Die Bildästhetik ändert sich, man ist an die Popmusik der 1960er Jahre erinnert. Mit einer Bildersprache, die heute oft die vermeintlich unschuldige Zeit des Pop repräsentiert, wird das Popmusik-Business thematisiert: knallbunte Popfiguren, bunteste Farben, Flowerpower und eine Maltechnik, die an die von dem Grafiker Heinz Edelmann geschaffene Ästhetik des Zeichentrickfilms „Yellow Submarine“ [1968] der Beatles erinnert. Über diese Folie läuft der Text der zweiten Strophe, der sich mit der Ausbeutung der Musik im Allgemeinen und von Hip Hop im Besonderen auseinander setzt: „Esperanto, Standpunkt unseresgleichen von denen die die und nicht nur sich an der Kultur bereichern ein Synonym für lasst hundert Blumen blühn hundert Schulen in Rapcyphers miteinander wetteifern Esperanto: Antwort auf den kulturellen Bankrott, Musik ist Weltsprache, keine schnelle Geldmache 8
Langstreckenbomber der US-Luftwaffe. Die B52 wurde in den 1940er Jahren von der Firma Boeing entwickelt und kam mit Beginn der 1950er Jahre zum Einsatz. 9 Namenskürzel eines Writers (Graffiti-Maler). 10 Artists & Repertoire: Bezeichnung für Talent- bzw. Trendscouts der Platten-industrie. 177
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esquchar el lenguache raps belcanto fiedel dem Biz wie Castro die erste Geige zu seinem letzten Tango Esperanto: eloquente Definition ein schnell erlernter Lingo zur Verständigung der Nation“
Maximilian rappt über den Kampf gegen das übermächtige Biz (Business), gegen das nur authentisches, subversives Handeln innerhalb der eingeschworenen Hip Hop-Community („lasst […] hundert Schulen in Rapcyphers [Rapcodes] miteinander wetteifern“) hilft, während auf dem Bildschirm knallbunte Pop-Geldscheine verbrennen und verbindet diesen Gedanken mit dem Gedanken der Weltsprache Esperanto. Esperanto und Hip Hop als eine Sprache der Subkultur, als ein Sound des Widerstandes, ist ein Modell zur „Verständigung der Nationen“, ist eine Gegenmacht zum Sprach-, Kultur- oder Identitäts-Imperialismus. Dritter Aufzug: Wortspiele
Ein erneuter Wechsel der Bildsprache. Durch kurze Zwischenschnitte angekündigt, tauchen komplexe Collagen voller Symbole, Bilder und Sprachen auf, die sich organisch verändern. In den meisten erkennt man noch das Gesicht einer der FKs. Darüber legt sich jedoch Zeichenschicht um Zeichenschicht Bedeutung. Wir sehen das Label des 0711-Clubs, das Bild eines Technics 1200, das Logo der Zeitschrift Spiegel, Zeitschriftenausrisse, japanische Manga-Comics, Fotos eines Samplers, Lautsprecher, Soundmixer, den Schriftzug FK ‘99, eine plattenkratzende Hand, Städte, Häuser, asiatische Kalligrafien, Wörter wie Amikaro, Enemy, der Schriftzug vom Techniks-Plattenspieler, das Wort Cultura, das Kinn von Che Guevara oder das Kolchose Emblem. Wie bei den gemalten Bildern gehen auch die Collagen ineinander über. Sie sind jedoch in Bewegung und verändern sich dynamisch. Es entstehen animierte, maschinenartige Dinge: Menschenmachinen, Bildermaschinen, Zeichenmaschinen. Maximilian fordert während dieses Bildersturms auf, zwischen den Zeilen zu lesen. Und dafür ist genug vorhanden. Bilder und Texte wirbeln herum, entstehen ständig neu und verweisen permanent auf verschieden Ebenen von Beziehung, Widerstand und Kultur. Auf der ästhetischen Ebene sind diese Collagen ähnlich den Collagen des Dadaisten Kurt Schwitters. Jetzt wie damals wird mit Worten, Bildern und Bedeutungen gespielt, fühlt sich der Hip Hop eines Maximilian durchaus in der Tradition der avantgardistischen Wortspieler der 1920er-Jahre. In den Bildern fangen die Zeichen miteinander zu kommunizieren an. Das Wort Cultura wird in der ‚Maximilian-Collage‘ ‚gegessen‘ während Maximilian von seinem persönlichen Input spricht. Wörter, Bilder, Musik bildlich wie tonal erfahren eine ungeheure Dichte. Immer mehr und schnellere Bild-
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Folgen und -Überlagerungen ‚bomben‘ den Betrachter förmlich zu. Der gesamte Bildschirm steht kurz vor der Explosion während der StyleRepresentanto, internationale Linguist, Soulguerillero und Textpartisane Maximilian seine letzten Textbomben der zweiten Strophe rappt, um im Refrain einer scheinbar neuen Geschichte Platz zu machen. Zweiter Refrain - Die Sprache Liebe
Wie im ersten Refrain, so ändert sich auch im zweiten Refrain komplett die Szenerie. Wir sehen ein asiatisches Scherenschnitt-Theater. Wie die meisten asiatischen Theaterstücke handelt auch dieses von der Liebe, dem Kampf, dem Verrat und dem Tod. Der Refrain erzählt weiter vom Esperanto als Weltsprache – und zwar in Französisch, der ‚Sprache der Liebe‘ – während auf der Bildebene über das private Gefühl der Liebe verhandelt wird. Die Musik ändert sich abrupt. Hip Hop bricht ab und verändert sich in einen afrikanisch anmutenden Rhythmus, der zum Teil mit den Mitteln des Human Beatboxing präsentiert wird. Das Outro: Tausendmilliarden Gesichter und ein Kreis
Ein Portrait der Sängerin Déborah erscheint. Wie zu Beginn, im Intro des Stücks, werden verschiedene Facetten ihrer visuellen Persönlichkeit anhand diverser Kunststile, Mal- und Fotografietechniken entworfen, bis diese schnelle Bildfolge bei einem Portrait stehen bleibt. Ein Gemälde in der Art eines simplifizierten Realismus mit starken schwarzen Strichen. Sie dreht sich nach rechts und verweist auf das nächste Mitglied, das sich auf den gleichen Style runterrechnet, sich ebenfalls nach rechts dreht und auf das nächste Mitglied verweist usw. bis im Drehen der Köpfe der Kreis geschlossen ist: Der Freundeskreis – Amikaro!
Der Sound in dem sich die Welt spiegelt – Eine Annäherung Hip Hop als eine transnationale Kultur sucht eine transnationale Sprache. Esperanto ist die Idee einer solchen Sprache. Gleichzeitig steht Esperanto für die Unmöglichkeit so etwas bewusst einzuführen. Längst ist die ‚imperialistische‘ Sprache Englisch zur Weltsprache geworden, nicht zuletzt durch das Internet. So bleibt im Wunschtraum Esperanto etwas wehmütig Klagendes, Einforderndes, Abgrenzendes. Freundeskreis weiß um das Idealtypische des Esperanto, weiß um die Unmöglichkeit der Durchsetzung des Esperanto als internationale Sprache und weiß bestimmt auch 179
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um die Tatsache, dass diese Sprache in den Ländern am meisten gefördert wurde, in denen ein vermeintlich libertäres Regime im Namen des Sozialismus und Internationalismus Menschen unterdrückt hatte. Und FK weiß ebenfalls, dass sie ihr Video, ihre Musik und ihre Botschaft über eine ganz große Plattenfirma vermarkten lassen. Sony/Columbia ist einer der größten multinationalen Konzerne der Unterhaltungsindustrie, geführt von eben genau jenen A&Rs, die sich dann zur Not auch mal kleiden wie B-Boys. Trotzdem oder gerade deswegen: Esperanto ist ein Lied über Verständigung, über internationale Kultur, über Authentizität. Gleichzeitig ist es das Nachdenken über Widerstand und diasporisches Leben. Auf verschiedenen Ebenen werden Internationalität, Widerstand, Beziehungen, Verrat, Revolution verhandelt. Und immer wieder steht die Aufforderung von Maximilian zwischen den Zeilen zu lesen, in die Bilder oder vielleicht auch hinter die Bilder zu sehen und den Wortspielen zu folgen. Wichtig ist FK, dass Internationalität und lokaler Bezug immer in einem Atemzug genannt werden. FK steht in der Hip Hop-Tradition, von ihren Wurzeln auszugehen und darauf zu verweisen. Gleichzeitig ist dieser Mikrokosmos Ausgangspunkt, um wie Maximilian rappt „es von Stuttgarts Hügeln in die ganze Welt zu spreaden“. So entstehen Verbindungen zu anderen lokalen Hip Hop-Orten: Kollaborationen, Querverweise in die Geschichte oder Spuren zu anderen Geschichten, Kontinuitäten von Bedeutungen, Ambivalenzen und Identitäten, die sich im Sound, im Text und in der Bildersprache niederschlagen. „ [...] die Heimat des Menschen [...]“, schreibt Kurt Schwitters in den 1920er-Jahren, „[...] ist in die vierte Dimension gehoben worden. Sein Haus ist ein sicherlich gefühlsbetonter Aufenthaltsort geworden, in dem er sich aufhält“ (Schwitters 1928). Und vielleicht findet die Suche nach einer neuen Dimension von Heimat mit Hilfe von Musik statt, oder hat sich der heutige Mensch in die Rhythmen und Soundlandschaften von Musik gehoben, wird Musik zum Knoten- oder Kreuzungspunkt, an dem sich nach George Lipsitz „Konstruktionen lokaler Identität“ mit dem Bewusstsein der ganzen Welt verbindet (Lipsitz 1999, S. 77-82). Break: Was bedeutet also Hip Hop?
Represent what? Hip Hop ist Ausverkauf, ist schnelle Geldmache, ist lokal agierender Widerstand, der international vernetzt ist, ist illegales Sprayen&Tagging, Rap, B-Boying, ist Revolution, sind revolutionäre, libertäre und emanzipatorische, aber auch sexistische und homophobe Texte und Kontexte, ist Scratching, sind brennende Mülltonnen, ist afroamerikanische Geschich-
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te, ist Sprachspiel, ist Breakbeat, ist Soundsprache, ist Körperpolitik, ist Identität, eingespeichert in Rhythmen, ist Dada, ist Liebe und Verrat, sind Verweise in die gesamte Kulturgeschichte und wieder zurück, sind ‚Mittelschichts-Bubis‘, die sich in der Che Guevara-Pose eines Revolutionärs begeben, ist diasporisches Denken, ist der reale oder imaginierte Kampf unterdrückter Völker oder Gesellschaftsschichten, ist Underground, ist Mainstream, ist Pop … Ein Kontinuum der Vieldeutigkeiten tut sich auf. Vieldeutigkeit, das bedeutet gleichzeitig Ambivalenz, das bedeutet Widerstreit. Und diese entstehenden Ambivalenzen und Differenzen sind dabei von besonderer Wichtigkeit. Es geht nicht darum, den Widerstreit aufzulösen, sondern ihn als Wesen von Pop zu akzeptieren. Denn Musiker und Pädagogen brauchen keine schnelle Erklärung, was Pop ist oder nicht ist, sondern differenzierte Reflexionswerkzeuge zur Klärung der eigenen ästhetischen Positionen. Poptheorie in diesem Sinne muss eine praktisch anwendbare, pragmatische Theorie sein, die in der Lage ist, die kulturellen Zeichen Populärer Musik zeitnah zu deuten und diese als Verstehens- und Wissensebene für ein künstlerisches, pädagogisches und wissenschaftliches Handeln nutzbar zu machen. Durch diese Form der Auseinandersetzung könnte ein Erfahrungsraum entstehen, in dem, um das Bild Stuart Halls aufzugreifen, nicht nur die kulturellen Orte innerhalb einer solchen „Landkarte der Bedeutungen“ das Entscheidende sind, sondern auch die Wege und Verbindungslinien, die ich deutend beschreite – auch um mich in den Auseinandersetzungen mit diesen kulturellen Verbindungen immer wieder selbst neu zu verorten. Damit akzeptiere ich Musik als ein grundlegendes Kommunikationsmittel, als Ausgangspunkt und als Medium künstlerischen, ästhetischen und sozialen Lernens; und nach meinen Erfahrungen sowohl als Wissenschaftler und Pädagoge, als auch als Musiker und Kulturmanager wird diese Herangehensweise als eine Form der Verstehensinszenierung den Phänomenen der Populären Musik am ehesten gerecht.
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EVERY LOVE BUT TRUE LOVE: UNSTABLE RELATIONSHIPS IN COLE PORTER’S „L O V E F O R S A L E “ MICHAEL BUCHLER
No one would mistake Cole Porter’s „Love for Sale“ for a love song. Yet this less-than-subtle song about the world’s oldest profession, from the 1930 musical „New Yorkers“, confronts the nature of love and, by extension, the love song genre. Because of its daring text, it was not only banned in Boston but was considered so risqué that at the time it could not even be played on radio stations across America. 1 In this chapter, I will argue that Porter’s musical setting of those infamous lyrics also deviated from the normative structures found in contemporaneous popular – and especially love – songs, and that his structural departures were not simply motivated by relatively obvious concerns for text painting. Before commencing an analytical investigation of „Love for Sale“, we will briefly examine two more typical exemplars of this genre. In the so-called Golden Era, love songs (and, indeed, most popular songs) tended to be relatively predicable numbers. With traditional foursquare phrase structure and resolutely functional harmonic syntax, the love song only rarely challenged our harmonic or formal expectations. Even Cole Porter, who by all accounts was among the most sophisticated songwriters of his time, seldom deviated from convention when portraying mutual affection. 2
1
2
In fact, it was not just his text that was socially problematic. The prostitute character in „The New Yorkers“ was initially white. Porter switched to an African-American prostitute to make the show more palatable to a white audience. (McBrien, William (1998): Cole Porter. A Biography. New York: Knopf, p. 137). Indeed, if there is a single adjective that has been most commonly applied to Cole Porter, it is undoubtedly „sophisticated.“ That Porter was sophisticated has even been declared in a book title: Citron, Stephen (1993): Noel and Cole. The Sophisticates. Oxford: Oxford University Press. Admittedly,
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Example 1 reproduces the first sixteen bars of the refrain from Cole Porter’s 1955 ballad „True Love.“ These four phrases follow an alternating pattern. In the first and third phrases, the tonic is introduced and expanded through neighboring plagal motions and common-tone diminished seventh chords, followed in the even phrases by „true love, true love“ set to a simple but firm dominant-tonic affirmation. It is charming, if a bit sappy, and it still holds a deserved place among the wedding reception canon. In Porter’s somewhat unconventional 1941 love song „I Hate You, Darling,“ the singer deceptively declares animosity for his true love. The opening sixteen bars are shown in Example 2. While our protagonist is „hating“ his darling, his harmonies are atypical and do little to affirm the home key of E-flat major. 3 But everything settles down harmonically as we approach the end of the initial section and the singer explains that he hates his darling because he ‚loves her so.‘ Only at that point does Porter invoke a strong dominant/tonic motion, quelling any of our notions that his character might be harboring genuine animosity. Mutual love was not typically a harmonically interesting topic during the Golden Era. Such matters befit virtuosity and repetition, but only seldom do they invoke harmonic originality. 4 But, again, Cole Porter’s „Love for Sale“ can be thought of as an anti-love song. Though the primary topic of the song and one of its most frequent lyrics is, in fact, „love,“ this song is more about the absence of love – not in the silly, playful manner of „I Hate You, Darling,“ but in a much more real and disturbing sense. This, I suggest, gave Porter license, and perhaps even a mandate, to confront some of the tonal and contrapuntal norms of this genre.
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this designation was primarily attributable to Porter’s (and Coward’s) flair for lyrics and to their well-known social status. One particularly slippery (and beautiful) moment comes at the lyrics „all else above“ in mm. 11-12. At that location, a melodic B-flat is held as the bass descends from C to C-flat, recalling the famous transition from verse to refrain in Porter’s song „Night and Day“ (at the lyrics „So a voice within me keeps repeating ‚you, you, you.‘ Night and Day, you are the one…“). „Night and Day“ (1932) stands apart as a notable exception in Porter’s oeuvre. I do not mean to imply that Cole Porter’s songs were formulaic, indeed his works exhibit tremendous variety (consider love songs as diverse as „So in Love,“ „Do I Love You,“ „I Get a Kick Out of You,“ „I love Paris,“ „Every Time I Say Goodbye,“ „I’ve Got You Under My Skin,“ „Let’s Do It (Let’s Fall in Love),“ „You’re the Top,“ and „You’d Be So Nice To Come Home To“), but any harmonic or contrapuntal anomalies do tend to be ironed out within sixteen bars, just as they were in „I Hate You, Darling.“ 185
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Such confrontations run throughout „Love for Sale.“ The introductory verse, which in this song forms something of a dramatic imperative, comprises two rather exceptional ten-bar phrases. Phrases longer than four measures are atypical of this literature, but these phrases are also remarkable for the manner in which they establish the key. Contrapuntally, both phrases complete stepwise octave descents that seem to meander through a variety of tonal regions. The overall linear motion seems goal directed; the moment-to-moment harmonic progression often does not. Prior to considering the song’s counterpoint and its dramatic motivation, it is worth mentioning that by most accounts Porter meticulously worked out his own published piano/vocal scores (at least in his music of this period) and, unlike some contemporaneous successful songwriters, he did not hire others to harmonize or arrange them. Matthew Shaftel produced a compendium of evidence for this in his 1999 Journal of Music Theory article on „Night and Day“. 5 Throughout this article, I will adopt the position of Shaftel, Forte, and others, and treat these piano/vocal scores as authoritative sources, worthy of the same analytical scrutiny as scholarly editions of classical concert music. 6
The Verse Example 3 presents an analytical view of the verse of „Love for Sale“, excluding the piano introduction. Almost throughout the first ten-bar phrase (mm. 5-14, shown in the top half of Example 3), the melody and bass move in parallel sixths, each descending a complete octave. This stepwise pattern initially progresses by whole tone until m. 8 in the melody and m. 9 in the bass. Both parallel counterpoint and especially motion by whole tones effectively oppose any sense of tonal function (or directionality), creating a musical fog that only lifts slightly at the „lonesome cop’s“ arrival in m. 10. The cop is the first character to enter this scene and his presence is melodically uplifting. Structurally, however, the descending line presses onward. The „lonesome“ G-flat arises from a 5
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„Porter was personally involved in nearly all levels of his sheet music publication including the correcting of proofs and fair copies so that the printed versions differed only superficially from his own manuscripts.“ Shaftel, Matthew (1999): From Inspiration to Archive. Cole Porter's „Night and Day,‘“ Journal of Music Theory 43 (2), p. 316. See Shaftel (1999); Forte, Allen (1993): Secrets of Melody. Line and Design in the Songs of Cole Porter, Musical Quarterly 77 (4), pp. 607-47; and id. (1995): The American Popular Ballad of the Golden Era, 1924-1950, Princeton: Princeton University Press.
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voice exchange between the melody and bass; it signals an abandonment of the initial upper voice in the upper register. 7 As my sketch in Example 3 illustrates, that contrapuntal line continues in the accompaniment where, in m. 10, the suspended E-flat descends to D-flat, and then to C in m. 11, and finally to B-flat in m. 13. To summarize: the initiating B-flat4 in m. 5 descends an octave over the course of that unusual ten-bar phrase, moving from outer to inner voice when the cop arrives. Meanwhile, the hopeful and unexpected leading tone (A4) sung in m. 11 is left unresolved in that register when the singer leaps down an augmented second just as her character ‚opens shop‘. That dominant in m. 11 is further undermined by the bass’s stepwise descent in m. 12 4 (through a passing dominant 2 ), resulting in a first-inversion tonic arrival at the cadence. The endpoints of this initial descent also highlight one of the song’s central musical dichotomies: between major and minor tonic, or, more specifically, between D-natural and D-flat, two notes that respectively signify hope and alienation throughout much of the song. The second ten-bar phrase (mm. 15-24) resembles the first one, except that the harmonies are uniformly first-inversion dominant seventh chords (not triads), and the octave descent now progresses entirely by whole-tone in the outer voices from mm. 15-18. The tonally grounding half step from mm. 7-8 is notably missing in mm. 17-18, where the „wayward ways of this wayward town“ initiate a wayward tonicization of A major, surreally setting the word „smile“. The descending octave line briefly loses its momentum at this tonicization, but, as ‚smiles‘ turn to ‚smirks,‘ any sense of A major as a local tonic is bluntly eradicated by Porter’s surprisingly direct progressions to A-flat and then F-major triads. In very short order, Porter guides us from an extraordinary tonicization of the major leading-tone triad to a functional dominant in the home key. Only the smooth voice leading provides a measure of continuity throughout this passage. Indeed, were it not for the unfailingly parsimonious counterpoint, the melodic leading tone on which we circuitously arrive in m. 22 might not feel so badly abandoned as the vocal part leaps away yet again, this time diving a perfect fifth to complete the octave descent with a long-awaited perfect authentic cadence at „I go to work“. Ella Fitzgerald, in her otherwise conservative Cole Porter Songbook recording (arranged and conducted by Buddy Bregman), took the liberty of resolving the leading tone in m. 22 properly. It sounds lovely, but I am not sure that „lovely“ is exactly what is called for here. To my ears, Porter’s blatantly „improper“ resolution acts as an important signifier in set-
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I am invoking the contrapuntal sense of „voice,“ which moves by step and is distinct from a „melody,“ which can articulate several voices. 187
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ting the words „I go to work“ and preparing us – in a sense – for the well-known refrain.
Refrain At least in terms of formal structure, the refrain is far more normative than the verse. It follows a standard AABA song form, with each section lasting sixteen measures, divided into four four-bar hypermeasures (not all are bona fide phrases 8 ); the final A section concludes with an eightbar coda-like cadential prolongation (mm. 89-96). Porter’s adherence to standard formal design might well belie the highly idiosyncratic tonal and contrapuntal structure of this refrain. The B-flat major foundation that was strongly established in the introductory verse is immediately challenged at the beginning of the refrain. As I suggest on the foreground sketch in Example 4, the oscillating E-flat major and B-flat minor chords that occupy the first nine refrain bars (mm. 25-33) can reasonably be interpreted in at least two different tonal contexts. I personally tend to hear this passage as tonic and minor dominant chords in E-flat major, rather than as plagal motions in B-flat. 9 It is only with the words „slightly soiled“ in m. 36 that I feel convinced we are genuinely in the key of B-flat. This Chopinesque play of tonality that obscures the roles of tonic and subdominant commences all three A sections of the refrain. E-flat major plays a particularly prominent role at the beginning of the final A section (labeled A3), where it is tonicized by the climactic progression that ends the bridge (B section). This tonicization and its significance will receive considerably more attention later in this chapter. 10 Whether E-flat is heard as tonic or subdominant, it seems to represent a certain hopeful optimism, whereas B-flat – especially B-flat minor – correlates with cold reality. E-flat major depicts „Love“ and even „Appetizing young love“; B-flat minor sets the word „sale.“ B-flat is our tonic, but 8
C.f. Rothstein, William (1989): Phrase Rhythm in Tonal Music, New York: Schirmer Books, pp. 1-32. 9 Despite the tonally conclusive introductory verse, the refrain sounds to me like an auxiliary cadential structure. I have, however, polled others and heard both interpretations articulated (i.e. in E-flat and B-flat major). 10 Perhaps this bespeaks my own harmonic gullibility, or perhaps I am just overly willing to be swayed by tonicization, but I find myself convinced of E-flat major’s viability each time we return to the tune’s famous opening. I simply do not hear that section-initiating E-flat chord as subdominant, even when I know that it must be by virtue of the cadence in B-flat that it both follows and eventually precedes. 188
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perhaps the key of E-flat is where we long to be. Porter’s setting of „Love“ is hopeful, but in this song it simply is not real. Cole Porter’s counterpoint also reveals a great deal about the song’s protagonist. As illustrated in Examples 4 and 5, the refrain begins with a relatively static melody that operates in two distinct registers (see the opening eight bars: mm. 25-32). The upper line only begins to move in m. 33 at „love that’s fresh and still unspoiled“. B-flat ascends to C, and the accompanying harmonic motion would certainly suggest that the line should continue to D-flat. However, the ascending line is cut off at the next clause: „love that’s only slightly soiled.“ The melodic A-flat that descends to G-flat at that point is not part of the same line of counterpoint; it originates as an inner voice and achieves melodic prominence. 11 The line initiated by the B-flat-C gesture in mm. 33 and 34 does continue to ascend, but only after being transferred into an inner voice. It reaches D-flat in m. 35 and continues to ascend to a neighboring E-flat in m. 36 before dropping back down to D-flat in m. 37. The textual connection involved with the subjugated upper voice seems almost too obvious. The ascending „love that’s fresh and still unspoiled“ is taken by the primary voice, while the descending „love that’s only slightly soiled“ is relegated to a contrapuntal inner voice. Analogously, „Love“ at the beginning of the refrain belongs to the primary voice, while „for sale“ comes in an inner voice. The refrain’s first legitimate dominant-tonic resolution underscores the section-ending lyric „love for sale“ in mm. 37-40. The melodic closure on a low B-flat marks the reunification of the vocal part with what had been the top contrapuntal voice. Though this utterance of „love for sale“ articulates a descending minor tonic triad, both the fifth and the third are supported by dominant harmony: a cadential six-four and its resolution. 12 As such, this authentic cadence is distinctly imperfect. The second sixteen bars of the refrain, labeled section A2 on the sketches, follow essentially the same model as the first sixteen bars. The initial eight bars of A2 (text: „Who will buy? Who would like to sample my supply?“) reflect little more than a surface-level elaboration of the refrain’s opening: „Love for sale, appetizing young love for sale.“ But over the next eight bars, the melodic ascent from B-flat to C continues upward 11 Motivically, „love that’s fresh and still unspoiled“ and „love that’s only slightly soiled“ mirror each other, a clever association of musical and textual inversion. ^ ^ 12 In this literature, one frequently hears 3 substituting for 2 at the dominant (this might be called a „sub6“ chord). However this substitution is more ^ ^ ^ complex: 2 is replaced by flat-3 (rather than natural-3 ), invoking the parallel minor mode. 189
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– in the same contrapuntal voice, that is – to D-flat. The melodic goal here is the same as in the first sixteen-bar section, but where the character’s line was initially derailed (text: „love that’s only slightly soiled“), this time it clearly continues (text: „who’s prepared to pay the price for a trip to paradise?“). However, just as soon as we arrive on D-flat in m. 52 that goal is undermined: at the word „paradise,“ the melody once again dips into the inner voice. Some measure of self-assurance has been gained, but the F in m. 53 that sets the word „love“ still occupies the lower register, and „paradise“ has pretty clearly been lost. Only in the final refrain section (A3) does the melody ascend all the way to F5, the song’s apex. This dramatic ascent to 5^ is animated by the text „if you want to buy my wares, follow me and climb the stairs,“ reaching the high note on the following word, „Love.“ And while from a Schenkerian perspective it might seem that this note, not D-flat, should serve as the song’s true head tone (Kopfton), it simply appears too late. The arrival on F in m. 85 occurs at the structural dominant, and the song cannot at this point support a complete linear descent from 5^ . But by ascending to this height, Porter not only fulfills a long-standing melodic goal (suggested by the earlier E-flat neighbor tones), he also brings the singer to rest on B-flat in the initial (obligatory) register, creating a firmer sense of closure than in earlier cadences. The structural cadence in m. 87 really is the first contrapuntally and harmonically conclusive moment in the song. The three A-section ascents can be most easily compared in Example 5, which provides an analytical summary. In the song’s final eight bars, which I somewhat equivocally deemed „coda-like,“ the title lyric is restated and melodically expanded. This is analytically sketched in Example 6. Though the song has already attained structural closure by this point, Porter’s harmonies here are worth at least brief comment. In particular, the word „sale“ in m. 93, which should carry both melodic and harmonic resolution, instead conveys only the former. The harmonic denouement is extended with a chromatic motion to the minor subdominant (E-flat minor) in m. 94. This plagal ending – a mere surface interruption of the authentic cadence – reminds us of the plagal versus authentic ambiguities in the refrain’s opening and definitively confirms the weaker role of E-flat, even while undermining the strong closure that we expect. If E-flat major represented love and hope, this E-flat minor gesture conveys something very different as the song concludes, now finally, on B-flat major. This conflict between major and minor tonic is subtly foreshadowed in the song’s four-bar introduction, which initiates the dichotomy between D and D-flat. According to Shaftel, „Porter usually wrote the piano introductions last and thus could highlight important features of a
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song from the very outset“. 13 As shown both on the score and in the analytical sketch in Example 7, the introduction melodically outlines a B-flat minor triad, followed by a B-flat major triad, and yet Porter harmonically presents neither B-flat major nor minor in this passage. Instead, the initial tone is supported by a lowered submediant (flat-VI), a harmony that plays asignificant role in the song’s B section (bridge). Linear analysis provides a valuable means for uncovering some of the motivic connections between the bridge and the outer sections of the refrain. A voice-leading sketch of the bridge appears in Example 8. The play of D and D-flat becomes harmonically recontextualized in this section as those tones are stripped of their associations with the (major and minor) tonic triad. What I find most striking about this section, however, is the chromatic linear descent from D-flat to B-flat that, from a merely melodic or motivic standpoint, seems to mimic the way the song achieves melodic closure – except that this descent is built upon the shakiest of harmonic pillars. The melodic D-flat (flat- 3^ ) is supported in Schubertian fashion by the expansion of the lowered mediant triad (flat-III), 14 but in mm. 70-72 the outer voices descend in parallel fourths, many of which are augmented. This musical passage underscores the climactic text „old love, new love, every love but true love“ and the culminating words, „true love,“ are set to parallel tritones – quite a far cry from the sincere setting of „true love“ in Porter’s song of that title. Porter creates a sense of enjambment as the bridge moves seamlessly into the last statement of the refrain tune at m. 73 (text: „every love but true love. Love for sale.“). Not only does Porter immediately reiterate the word „love,“ but he does so on the same pitch. Many singers take advantage of this by eliding the repeated word „Love.“ 15 Contrapuntally, the last tritone of „every love but true love“ is harmonized as a dissonant 13 Shaftel, p. 325. 14 This expansion of flat-III is foreshadowed both in the first measure of the song’s piano introduction and in the A sections of the refrain (e.g., „Love that’s only slightly soiled“). Moreover, like the instances of the lowered submediant in the A sections, here too the progression ultimately leads to a minor subdominant. What is truly exceptional is the that the bridge’s subdominant never makes its way to a dominant, but instead merges into the tonicized major subdominant chord that begins the A3 section. 15 In 1931, the well-known and controversial torch singer Libby Holman produced one of the earliest recordings of this song. She does not repeat the word „love“ at this moment, but merely holds it through the seamless section change: „Every love by true love — for sale.“ This recording was preserved by the Indiana Historical Society and re-released in a three-disk set of Porter’s songs from the thirties. See You’re the Top: Cole Porter in the 1930s (Indianapolis: Indiana Historical Society, 1992), disk one: DMC11020. 191
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dominant of E-flat (a so-called French V 3 of E-flat, or a secondinversion dominant seventh chord with a lowered fifth), providing a weak tonicized return to E-flat which, as in the previous A sections, has only seemed to be our home (key). E-flat, in this sense, perhaps functions more as a hotel room than a residence. And love, by association, is both untrue and unreal.
References Citron, Stephen (1993): Noel and Cole. The Sophisticates. Oxford: Oxford University Press. Forte, Allen (1993): Secrets of Melody. Line and Design in the Songs of Cole Porter. In: Musical Quarterly 77 (4), pp. 607-47. Id. (1995): The American Popular Ballad of the Golden Era, 1924-1950. Princeton: Princeton University Press. McBrien, William (1998): Cole Porter. A Biography. New York: Knopf. Rothstein, William (1989): Phrase Rhythm in Tonal Music. New York: Schirmer Books. Shaftel, Matthew (1999): From Inspiration to Archive. Cole Porter’s „Night and Day“. In: Journal of Music Theory 43 (2).
Film Indiana Historical Society, You´re the Top. Cole Porter in the 1930s, Indianapolis 1992, disk one: DMC1-1020.
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Appendix
Example 1. Cole Porter, „True Love,“ refrain, mm. 1-16
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Example 2. Cole Porter, „I Hate You, Darling,“ refrain, mm. 1-16
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Example 3. Voice-leading analysis of the introductory verse
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Example 4. Voice-leading analysis of the refrain A sections
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Example 4, continued
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Example 5. Analytical summary of the refrain A sections (stem directions reflect distinct strands of voice leading)
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Example 6 (left). Voice-leading analysis of the codetta (mm. 89-96)
Example 7. Voice-leading analysis of the piano introduction (mm. 1-4)
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Example 8.Voice-leading analysis of the bridge (B section), mm. 55-72
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VOICES
OF
PRINCE. ZUR POPSTIMME
CHRISTIAN BIELEFELDT „Popular music is overwhelmingly a ‚voice music‘“ (Middleton 1990, S. 261).
Die Stimme hat in letzter Zeit einen starken Aufschwung als Gegenstand kulturtheoretischer sowie medien- und theaterwissenschaftlich ausgerichteter Untersuchungen erfahren, in einer Art Gegenbewegung zur „Verdrängung der gesprochenen Sprache, ja überhaupt von Sprechkultur und Sprachmusik“ (Meyer-Kalkus 2001, S. 446) in den Jahrzehnten davor. Ins Visier geriet dabei eine derartige, von verschiedensten Fachdisziplinen bestückte Fülle literarischer, theatraler, rhetorischer, philosophischer, politischer, religiöser und auch juristischer Stimmpraktiken, dass man durchaus geneigt ist, den Herausgeberinnen des 2006 erschienenen Suhrkamp-Bands zuzustimmen, die von der Stimme als „Nukleus dessen [sprechen], worum Geistes-, Human- und Kunstwissenschaften kreisen“ (Kolesch/Krämer 2006, S. 7) und auch das passende Schlagwort dazu parat haben: „The humanities are, at their core, voice arts“ (Peters 2004, S. 85). Im bunten Reigen der Stimme-Forschung ist allerdings eine auffällige Lücke zu verzeichnen. Sieht man von wenigen, verstreuten Ausnahmen ab, ist im Konzert akademischer Auseinandersetzungen mit der Sprech-, Theater- und Politikerstimme, der mechanischen, technisch übertragenen und simulierten Stimme sowie der mythologischen und der Traum-Stimme ausgerechnet dasjenige Phänomen entschieden unterrepräsentiert, das nach wie vor und quer durch die Kulturen des anbrechenden 21. Jahrhunderts einen der prominentesten Plätze beanspruchen darf: die Singstimme, in all ihren Nuancen zwischen Geräusch, Gesang und Schrei, den sie sich im Zuge der musikalischen Innovationsgeschichten des 20. Jahrhunderts erschlossen hat. Ein erstaunlicher Befund, weil es andererseits gerade Klanglichkeit und Sound der Stimme sind, die viele dieser Studien gegenüber der stimmlichen Darstellungsfunktion akzen-
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tuieren. 1 Derrida hatte sich das Primat der Schrift gegenüber der – romantisch als Sitz des Lebendigen und Beseelten gedachten – Stimme noch damit erkauft, den sinnlich-klanglichen Eigenwert vokaler Laute buchstäblich stillschweigend auszublenden. In Auseinandersetzung mit diesem tauben Ohr seiner Phonozentrismus-Kritik konzentriert sich das neuere Interesse an der Stimme nun auf all das, „was sich als Überschuss oder auch als Störung oder Unterbrechung von Aussagen darstellt, wie Atem, Rhythmus, Zögern, Lautstärke etc., bis hin zu stimmlichen Manifestationen jenseits des Sinns wie Lachen, Weinen, Schreien, Wimmern etc.“ (Weigel 2006, S. 17),
und mehr noch auf die Nebengeräusche, Patzer und vokalen Missklänge, auf jenes Entgleitende in unserem Sprechen und Artikulieren, das gerade in ästhetischen Kontexten oft entscheidend mehr als ein bloßes Störmoment bedeutet. Wo es um einen „Laut-Überschuss“ geht, der „keinen Sinn ergibt, der einfach so da ist, spaßeshalber, um seiner Schönheit willen, zum reinen Vergnügen“ (Dolar 2004, S. 200), spätestens aber, wenn die Rede vom „Wie des Sagens“ ist, „seinem Rhythmus, seiner Musikalität, seiner Klangfarbe und Modulation“ (Kolesch 2003, S. 279) und seiner „an Melos und Timbre gebundenen Sinnlichkeit“ (Krämer 2006, S. 280), bewegt man sich jedoch nicht nur im Sprachgebrauch auf das Terrain der Musikwissenschaft zu; und das zumal, wenn diese sich auf mehr einlässt als die Leistungen klassisch ausgebildeter Singstimmen. Der von Roland Barthes so eindrücklich beschriebene Widerstreit zwischen der Rezeption ästhetisch bedeutungsvollen Gesangs und dem von erotischer Attraktion durchströmten Genuss des Stimme-Hörens eröffnet hier ein für unser Wahrnehmen von Stimmen zentrales Feld. Leider handelt es sich zugleich um ein wenig erschlossenes Terrain, denn bis auf wenige Ausnahmen fehlen entsprechende musikologische Untersuchungen; zumindest im deutschsprachigen Raum wurde die Auseinandersetzung mit Barthes’ Texten zur Musik vorrangig von Literaturwissenschaftlern geleistet. 2 Das ist zu bedauern und verweist auf das seit vielen Jahren schon gestörte Verhältnis zwischen musikwissenschaftlicher Methodik und neuerer Kultur- und Medientheorie (man lese nur einmal nach, mit wel1
2
Vgl. die Monographien von Göttert 1998 und Meyer-Kalkus 2001. Neuere Sammelbände zur Stimme liegen u.a. vor von Kittler/Macho/Weigel 2002, Epping-Jäger/Linz 2003, Felderer 2004, Kolesch/Schrödl 2004 und Kolesch/Krämer 2006. Zu den wenigen Ausnahmen gehört Richard Kleins Dylan-Buch (Klein 2006), das einleuchtende Anschlüsse an Barthes aufzeigt; vgl. auch seinen Beitrag in diesem Band. In der englischsprachigen Popmusikforschung nehmen zuerst Laing/Taylor 1979 Barthessche Gedanken auf; vgl. auch Middleton 1990 und zuletzt 2006.
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chen Argumenten die deutsche Musikwissenschaft Mitte der 1980er die Postmoderne zu erledigen können glaubte). Auch in der diesbezüglich ungleich offeneren Popmusikforschung besteht, sobald es um Fragen der Ästhetik geht, eine noch immer viel zu selten gebrochene Feuerpause im Austausch mit kulturtheoretischen Paradigmen. Im Folgenden geht es mir darum zumindest eine der Perspektiven zu bezeichnen, unter denen die Popmusicology in die benannten Lücken vorstoßen und sich in die derzeitige Diskussion um die Stimme einbringen könnte. Um meine Überlegungen dabei möglichst anschaulich zu halten, entwickle ich sie aus Songs und Videoclips von Prince. Eine der signifikantesten und zugleich vielgestaltigsten Stimmen der letzten dreißig Jahre Popgeschichte bildet damit den vokalen Leitfaden durch den Text und gleichzeitig die Bewährungsprobe für meinen Versuch die Barthessche Essayistik ein Stück weiter für die Popmusicology aufzuschließen.
Disembodied Voices Beginnen wir mit einer kurzen, nur Sekundenbruchteile dauernden Einstellung im Videoclip zu Prince’ drittem Nr.1-Hit, der Funk-Nummer „Kiss“ (1986). Was wir (bei 1:30-31) sehen und hören, ist zunächst nicht mehr als ein kleiner, unspektakulärer Gag, vom Superstar selbst im nächsten, ebenfalls nur wenige Augenblicke dauernden Shot mit einem Überraschung schauspielernden, übertriebenen Aufschwingen der rechten Augenbraue kommentiert. Unerwartet erklingt ein ‚Yeah‘-Ruf in tiefer Lage und dunklem, männlichem Timbre, nachdem der Multi-Instrumentalist zuvor ausschließlich mit einer Mischung aus Fistelstimme und hohem Falsett gesungen hat, einer Stimme also ohne wirkliche Körperresonanz, die sich zudem an einigen Stellen kaum noch von den begleitenden Keyboardsounds unterscheidet. Just nun aber in dem Augenblick, wo Prince erstmals jenes tiefe und signifikant geräuschhafte, Körperresonanzen nutzende Timbre anschlägt, das wir von seiner Sprechstimme kennen, wird ausnahmsweise nicht Prince selbst gezeigt. Die Einheit von Bild und Ton, Sängerkörper und Stimmklang aufhebend, erscheint stattdessen hinter einer leicht milchigen Glasscheibe und vor einem blauen Hintergrund ohne Raumtiefe der Körper seiner exotischen Tanzpartnerin, welcher der Gesang nunmehr gleichsam bauchrednerisch aus dem Leib zu tönen scheint. Ein Lapsus, den Prince allerdings sogleich wieder mimisch zurechtrückt (vor einem jetzt gänzlich untiefen und zugleich leeren Bluescreen).
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In Gestalt augenzwinkender Spielerei reflektiert das Video damit eine der Leitfiguren der Stimme im 20. Jahrhundert: Die disembodied voice, gespenstische Tochter der Phonographie, die das naturgegebene Band zwischen einer Stimme und dem sie hervorbringenden Körper ebenso zerschneidet, wie sie das Phantasma der Univozität demaskiert, die Idee der Einheit der Stimme und ihrer Funktion als das „scheinbar uneinnehmbare Reservat des Menschen in seiner Unverfügbarkeit“ (MeyerKalkus, S. 61). Körper, Geschlecht und Stimme, in der von ständigen Rollenwechseln geprägten Selbstinszenierung von Prince Mitte der 1980er sowieso schon permanent in Frage gestellte Größen, fallen, das macht der „Kiss“-Clip gewissermaßen sogar lächerlich deutlich, für einen Moment vollends auseinander. Bild, Ton und Raum, in diegetischen Musikformen fest aneinander gekoppelt, entpuppen sich als bewegliche Elemente eines Spiels, in dem ihre herkömmliche, Realität und Persönlichkeit garantierende Verknüpfung jederzeit lösbar erscheint. Und weil wir uns im Medium Videoclip befinden, erscheint die entkörperte Stimme gleich gemeinsam mit ihrer medialen Schwester, die ihrerseits das naturgesetzliche Klang-Raum-Verhältnis in Frage stellt. Ihren Siegeszug beginnt die vom Körper abgespaltene Stimme mit der modernen Klangaufzeichnungstechnik. Wenn wir der Prosodie und der leichten Akzentfärbung lauschen, mit dem der Erfinder des Phonographen im Jahr 1877 den Volksliedvers „Mary had a little lamb“ in sein soeben fertig gestelltes Gerät rief (oder sang?), hören wir ein technisches Klangbild, von dem wir zumindest eines sicher wissen, nämlich dass es zwar Aufschlüsse über die Beschaffenheit der Stimme Edisons vermittelt, dem aufgezeichneten Stimmklang selbst gleichwohl aber nur entfernt ähnelt. Mit Edison (und Emile Berliner), heißt das, setzt sich die Geschichte der Stimme als Geschichte des Stimmklangs im Zeitalter seiner audiotechnischen Aufbereitung fort. Es ist eine der unerledigten Aufgaben der Popmusicology, dies aufzuarbeiten und einen Überblick über Verzerrung, Bearbeitung und Synthetisierung des Vokalen in den verschiedenen Stilen populärer Musik zu schaffen. 3 Was sich an Prince so gut sehen lässt ist, dass die Trennung von Gesangston und Körper im Fall der populären Stimme gleichwohl nicht nur, 3
In diesem Zusammenhang wäre auch Stimmpraktiken nachzugehen, welche die populäre Musik gleichsam als Reflex auf die disembodied voice entwickelt. Simon Frith nennt hier die „ethereal voice (which is, nevertheless, female – the Cocteau Twins’ Elizabeth Fraser)“, „the heavenly choir (ditto – Morricone’s I Cantori Moderni d’Alessandroni)“, sowie „the computer voice (which is, nevertheless, male – Kraftwerk)“ und „the collective voice of religious submission (ditto – the Stanley Brothers)“ (Frith 1996, S. 196). Die Frage der Konservierbarkeit des Stimmklangs diskutiert bezüglich Edison Frisius 2003.
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und wahrscheinlich nicht einmal primär, jene von halluzinativen Effekten begleitete Alienation bedeutet, wie sie aus guten Gründen im Blick auf Telefon oder Film beschrieben worden ist. Obwohl Prince zu den erfolgreichsten Mainstreamkünstlern der 1980er Jahre gehört und somit nicht unbedingt unter Avantgardeverdacht steht, finden sich bei ihm weitaus mehr Beispiele dafür, dass die „Armierung der Sinne“ (Göttert 1998, S. 11) im Fall der populären Musik weniger eine Entstellung als ein Produktivmachen der jeweiligen Aufzeichnungs-, Speicherungs- und Wiedergabetechnik zugunsten größerer Freiräume für eine Artifizialisierung der Stimme bedeutet. 4 Schon im Titelsong seines Debutalbums „For You“ (1978) verwendet Prince beispielsweise ein mehrfaches vokales Overdubbing, eine von Les Paul um 1950 in die populäre Musik eingeführte Technik, dem ersten Popsänger, der mit sich selbst im Duett sang. In Analogie zu der kunstvoll verwischten Abbildung seines Fotos auf dem Albumcover, das Prince in einer Mischung aus schüchternem afrikanisch-amerikanischen Jüngling und sinnlichem Glam-Star zeigt, präsentiert sich uns im Eröffnungsstück eine auch vokal stark verwischte Signatur: ein eng gesetzter, mehrstimmiger Vokalsatz, der den gesamten Song a-cappella bestreitet. Prince erscheint zu Beginn seiner Karriere somit buchstäblich als vielstimmiges Ensemble, ein Sachverhalt, der nachgerade zu seiner Charakterisierung mit Hilfe postmoderner Termini wie Netzwerk, Geflecht oder auch (Stimmen-)Pluralität drängt. Der Witz dieses Openers besteht zudem nicht nur darin, dass hier ein einzelner Sänger alle Vokalparts singt. Vielmehr ähneln sich diese verschiedenen Stimmen gleichzeitig derart, dass sie nicht anders denn als Vielheit aufgefasst werden können, innerhalb derer sich kaum wirklich tragende Differenzen ausmachen lassen. Mit einem zentrumlosen und pluralen, sich ständig verändernden Raumeindruck verweist „For You“ im zweiten Teil (ab 0:40) schließlich auch darauf, dass nicht nur die elektronische Avantgarde, sondern spätestens seit den 1970ern auch Produzenten populärer Charts-Musik an verkünstlichten und potentiell heterotopen Klangräumen arbeiten, die mit den Gesetzen (und der Ästhetik) realer Konzertsituationen und insgesamt der Live-Akustik wenig oder nichts mehr gemein haben.
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Dieser Aspekt entgeht Corina Caduff und ihren Kollegen, wenn sie die disembodied voice ausschließlich „in Form von verzerrten und zerbrochenen Körpern, in Form von falschen Tönen und von pathologischem Gesang“ durch die Geschichte moderner Medien begleiten und den Zusammenhang zwischen der medial zerstückelten Stimme und der „einstigen Lösung vom Mutterkörper als dramatischer Urszene des Werdens“ herausstellen (Caduff et al. 2006, S. 11). 205
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Nicht weniger auffällig ist die Arbeit von Prince mit rückwärts abgespielten Stimmaufnahmen („Darling Nikki“) und vor allem Tonhöhenmanipulationen, letzteres programmatisch eingesetzt in „If I Was Your Girlfriend“ (1987), wo seine Stimme klingt wie hochgepitcht in eine virtuell weibliche Existenz. Ohne ganz unkenntlich zu werden, erhält seine Stimme in Stücken wie „1999“, „Love or Money“, „Rockhard In A Funky Place“ oder „3121“ dagegen durch verschiedene Verfremdungseffekte eine nahezu maschinelle Signatur. Schon in „For You“ besteht der Reiz des Vokalsatzes nicht zuletzt darin, dass sich die stehenden Akkorde des Backgroundgesangs kaum noch von üblichen Synthesizer-Sounds der späten 1970er Jahre unterscheiden. Der Stimmkranz, der die Leadstimme umgibt, fängt an einigen Passagen des Songs gewissermaßen an elektronisch zu leuchten. Neuere Beispiele sind die stark beschleunigten, wie verzerrte Gitarrensounds klingenden Stimmaufnahmen (-samples?) zu Beginn eines Live-Clips von „Kiss“ aus dem Jahr 1999 (Rave Unto The Year 2000-Konzert) oder „Incense & Candles“ (2006), ein Song aus dem Album 3121, in dem die Stimme von Prince an einigen Stellen durch extreme Einstellungen einer Intonationskorrektursoftware verfremdet und gleichsam zurechtgerastert ist. Der mit solchen, Mensch und Maschine ineinander übergehen lassenden Phänomenen angesprochene, popmusikalische Topos bezeichnet ein Forschungsgebiet, das so unterschiedliche Beispiele besetzen wie Kraftwerk („Mensch-Maschine“), der ‚Gesang‘ von Daft Punk oder das vokale PCing auf Ghostface Killahs „Fishscale“ (2006) und seiner systematischen Aufarbeitung weiter harrt. Die populären Stimmen, die wir hören und manchmal auch lieben, sind keine fest an einen Körper gebundenen und von ihm geprägten Stimmen mehr, sondern audiotechnische Kreationen, in denen der Sängerkörper nur noch ein virtuelles Dasein führt – ohne unbedingt der Radikalität von Slavoj Zizek zu folgen, der überhaupt jede Beziehung zwischen einer Stimme und ihrem Träger bestreitet (Zizek 1996), hätte man mit diesem Befund wohl manchen Medientheoretiker auf seiner Seite. Eben weil er kein „durch Körpertechnik einigermaßen einlösbares Stimmideal“ (Pfeiffer 2006, S. 79) mehr besitze, seien die entscheidende Referenzgröße für den populären Gesang nicht mehr die „Psycho- und Körpertechniken“ (ebd., S. 82) der Sängerinnen, sondern die Standards der Soundtechnologien, folgert in diesem Sinne auch K. Ludwig Pfeiffer. 5 So sehr das auf das Stimmdesign der meisten Chart-Sängerinnen zutreffen mag, er5
Für den allein die Opernstimme in Kategorien des Nicht-Medialen und Körperlichen zu erfassen ist. Solche Einseitigkeiten müssen jedoch im Blick auf die Vielfalt populärer Stimmphänomene kurzschlüssig erscheinen.
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scheint es aber doch fraglich, ob die Offenheit, die sich mit dem Lösen des natürlichen Bands zwischen Stimme, Körper, Raum und Zeit ergibt, die Hörer populärer Musik wirklich von der physiognomischen Übung abhält vom Klang einer Stimme auf die singende Person zu schließen. Nicht nur im Blick auf populäre Gesangstars kann man mit guten Gründen auch genau das Gegenteil behaupten, nämlich dass die medial armierte Stimme diese appellative Wirkung nur umso stärker entfaltet. „Der physiognomische Imperativ wird durch die Medien nicht nur nicht entwertet, er erfährt vielmehr eine ungemeine Verschärfung“ (MeyerKalkus 2001, S. 453), so die über mehrere hundert Seiten entwickelte These des Literaturwissenschaftlers Reinhard Meyer-Kalkus. Überträgt man diese These auf den Bereich populärer Musik, lebt der Popfan, der die Stimme seines Idols aller Technik zum Trotz physiognomisch hört, weniger eine romantische Weltflucht aus, als dass er der „medialen Anmutung zum ‚re-embodiment‘“ (ebd., S. 68) folgt, die noch den extremsten phonographischen Experimenten eingeschrieben ist. „Mit der nackten Stimme oder der ‚disembodied voice‘ gibt sich unsere Einbildungskraft nie zufrieden, sondern sucht hinter der Stimme die ganze Person, die sich in ihr verkörpert“ (ebd., S. 453). Dem kann die Popmusicology nur aus vollem Herzen zustimmen. 6 Allerdings gilt der physiognomische Imperativ in den medialisierten Stimmen populärer Musik in besonderer Weise.
Der Rest der Stimme Eine singende Stimme kann höchst unterschiedlich wahrgenommen werden, je nachdem, welchem Aspekt ihres Vortrags jeweils mehr Gehör geschenkt wird; ihrem Umgang mit Sprache, ihrer Expressivität, Stilsicherheit und Brillianz, ihrer Virtuosität und ihrem Timbre, aber auch ihrer Präsenz und Intensität, ihrem Umgang mit der eigenen Körperlichkeit. Ob es dabei im anglo-europäischen Kunstgesang wirklich um die restlose Tilgung des Eigenen und (zu) Persönlichen zugunsten des zu interpretierenden Kunstwerks geht, ist hier nicht weiter zu klären. 7 Für die Pop6
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„The centrality of the voice in popular music – attesting to the presence of a human body – is a mark of a certain ‚humanizing‘ project“ (Middleton 1990, S. 262). Unübertrefflich formuliert dieses Prinzip Wolf Rosenberg im kulturkritischen Blick auf die weibliche Opernstimme des 20. Jahrhunderts schlechthin: „Man wollte die Callas hören, und man hörte Gluck – das klingt sehr bescheiden, ist aber das Maximum dessen, was man von einem Interpreten erwarten kann: Objektivität der Darstellung. Dass sie möglich sei, wird häufig bestritten; aber wenn es einer Sängerin gelingt, das komponierte Espressivo einer melodischen Linie herauszubringen, ohne ihr eigenes 207
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stimme jedenfalls hat Simon Frith vor einigen Jahren ein wesentlich komplexeres Verhältnis von Sängerpersönlichkeit, Interpretation und Song geltend gemacht. Demnach ist die Stimme das wichtigste Mittel der Interaktion zwischen Sängerin und Fan, weil sie eine performative Stimme ist, in der sich angenommene Haltungen und Posen mit Eigenem mischen: Eine Popsängerin agiert zugleich als Starikone, Songinterpretin, Person und Körper. Sie schlüpft singend in Rollen und verlässt diese wieder, bedient Images, bricht mit ihnen, geht mit den Songtexten um und verleiht ihnen Leben, stellt ihre musikalische Könnerschaft aus und bringt uns gleichzeitig immer auch ihre Physis zur Erfahrung (erfasst unseren Körper, in dem sie nachschwingt und Resonanzen auslöst). Diese tendenzielle Inkongruenz von Performer, Songinterpret, Star und Sängerkörper lässt jede Selbstausstellung und Selbststilisierung einer populären Stimme als gewissermaßen unfertig, vorläufig, gebrochen erscheinen. Und das, darin stimmt Frith mit anderen Autoren wie Umberto Fiori oder Anne Danielsen überein, ist zugleich der Grund, warum wir aus einer solchen Stimme immer auch ein „’inner‘ self“ (Danielsen 1997, S. 279) heraushören (oder in sie hineinphantasieren) können. Die menschliche Stimme ist Kennzeichen des Menschlichen überhaupt, „the profoundest mark of the human“ (Middleton 1990, S. 262), weil uns die Stimmen der Sängerinnen und Sänger populärer Musik, auch wenn sie ihrem Image nach Kräften zu entsprechen versuchen, ihre Rollen glaubwürdig spielen und in jeder Pose künstlerisch überzeugen, doch immer mehr als das erzählen (und in den meisten Fällen lieben wir sie genau dafür). Ein Rest bleibt in ihnen hörbar, der weder in der Interpretation noch in der Selbstausstellung als Star aufgeht. Die Frage ist allerdings, inwieweit musikwissenschaftliche Aussagen über diese individuelle Spur getroffen werden können. Was genau ist dieser „Überschuss an Wirkung“ (Poizat 2002, S. 219) in einer Stimme, der uns so buchstäblich merkwürdig anrührt und wie können wir ihn beschreiben? Die englischsprachige Popmusikforschung hat zur Beantwortung dieser Frage einen vom traditionellen physiognomischen Modell signifikant abweichenden Ansatz entwickelt, der über Roland Barthes vermittelt auf Jacques Lacans Konzept der Stimme als einem der primären, verlorenen Objekte eines Genießens zurückgeht, das in jedem intensiven, an Selbstaufgabe grenzenden Stimme-Hören gleichwohl in einer wenn auch nie ganz vollständigen Bewegung restituiert wird. Mit Barthes, aber entgeEspressivo hineinzufügen (wozu es allerdings enormer technischer Mittel bedarf), so wird die Musik hörbar; trägt man jedoch das Espressivo sozusagen von außen heran, so wird die Sängerin hörbar und nicht mehr die Musik. Die Callas demonstriert, was der Komponist getan hat, die anderen demonstrieren, was sie selbst tun“ (Rosenberg 1968, S. 9). 208
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gen der ausdruckspsychologischen Konvention, nach der die Stimme ein Spiegel subjektiver Innerlichkeit ist, argumentiert sie dabei im Anschluss an Barthes Figur der ‚rauen‘ Stimme vor allem mit der organischmaterialen Stimmsignatur, also der Spur des Körpers in der Stimme. Im Sprachgebrauch nicht ganz einig, ist die Rede wahlweise von der naked voice (so Umberto Fiori in Bezug auf Peter Gabriel), vom vocal body (Richard Middleton) und auch bei Frith, der die voice as a person und die voice as a body im Stimme-Kapitel seiner Performing Rites noch als getrennte Kategorien verhandelt, wenig später von einer sinnlichmimetischen Erfahrbarkeit der real person über die körperliche Stimmdimension. 8 Entscheidend ist, dass der Stimmlaut anders als im herkömmlichem physiognomischen Modell somit nicht mehr als ‚geistfähiges Material‘ betrachtet wird, in dem sich Inneres ausdrückt und offenbart, sondern selbst als das personale Element einer Stimme: Populäre Musik spricht nicht (nur) von der Seele, sondern wesentlich vom und zum Körper. Der springenden Punkt dieser konzeptuellen Verschiebung ist sicher der, dass der personale Index der Stimme damit einer Dimension vokaler Äußerungen zugeschrieben wird, auf die der Singende selbst paradoxerweise kaum Einfluss hat. Ein derartiges ‚inner self‘ ist keine Sache des Subjekts mehr oder irgendeiner sich selbst ausstellenden Innerlichkeit, sondern – zumindest in entscheidenden Teilen – die einer unverfügbaren und gleichzeitig alles andere als statischen, wie ein Instrument beherrschbaren Materialität. Was eine Stimme uns über ihren Träger sagt, teilt sich jenseits von musikalischer Expressivität und vokaler Gestaltung über Signale mit, die ihren Ursprung in der organischen Konstitution dieser Stimme haben, ihren körperlichen Vorzügen und Unvollkommenheiten, ihrer Fähigkeit, Resonanzräume zu nutzen, ihren erlittenen Narben und irreversiblen Verletzungen – hier bietet sich ein Brückenschlag an zu dem, was als pathische Kommunikation in der Philosophie diskutiert wird; eine Form vorsprachlicher Intersubjektivität, die über oft unwillkürlich vollzogene Körpergesten und eben auch stimmliche Tonlagen stattfindet und dadurch eine starke „Bindungs- und Entzweiungsenergie gegenüber dem Mitmenschen freisetzt“ (Krämer 2006, S. 275). Die starke Wirkung, die gerade populäre Stimmen auf dieser Ebene ausüben, lässt sich kaum bestreiten. Dennoch tauchen an dieser Stelle mindestens zwei Probleme auf. Erstens ist der Bereich „appellativer und affektiver Intersubjektivität“ (Krämer 2006, S. 275) im Fall der voice arts immer auch ein ästhetischer, in dem neben rhetorischen und körper-
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Vgl. Fiori 2000, S. 187, Middleton 1990, S. 264, Frith 1996, S. 191-198 und 215. 209
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sprachlichen selbstverständlich auch musikalische Kodes existieren, mitsamt ihren oft umfangreichen ideologischen Anhängen. Für die Popmusikforschung gäbe es dazu vieles und Grundlegendes zu sagen; etwa, dass eine raue, unkontrolliert kieksende oder brechende Stimme und jegliches „Pfeifen und Kratzen und dergleichen mehr“ (Mersch 2006, S. 221) zwar ein einfaches gesangstechnisches Misslingen signalisieren, genauso gut aber auch stilgerecht, gewollt und eine mit spezifischer Semantik besetzte Angelegenheit sein kann (wie im Blues mit seinen Mythisierungen des verlassenen und verletzten Lonesome Man). Um das zu sehen, muss man sich nur die vielleicht offenkundigste aller Eigenschaften populären Gesangs ins Gedächtnis rufen, stimmliche Limits und Aussetzer nicht wie im klassisch-romantischen Kunstgesang zu kaschieren, sondern zugunsten eines charakteristischen Stimmklangs produktiv zu machen. 9 Wie Dai Griffiths überzeugend in Bezug auf Bruce Springsteen vorgeführt hat, gilt das jedenfalls für solche Spielarten, in denen das ‚Ungekünstelte‘ eines Sängers hoch bewertet wird (Griffiths 2000). Zweitens hieße es jedoch an Barthes vorbeizudenken, wollte man der Stimme an dieser Stelle mit zusätzlichen musikanalytischen Kategorien beikommen. Ein rauchiges Timbre, mikrointonatorische Besonderheiten oder eine besonders verschliffene Aussprache allein sagen noch nichts weiter über die Fähigkeit einer Stimme aus uns anzurühren und zum Genießen einzuladen; „vielmehr wirkt die ‚grain‘ am meisten, wo sie diskret bleibt, da ist, ohne aufzufallen“ (Klein 2006, S. 67). Und obwohl Barthes die Rauheit oder Körnung der Stimme durchaus für erlernbar hält und die entsprechende Aussprachetechnik seines Lehrers Charles Panzera ausführlich reflektiert, interessiert er sich letzten Endes doch vor allem für das, was „diese Stimme über das Intelligible und das Expressive hinaus“ (Barthes 1990, S. 271) zum Klingen bringt. „Etwas ist da, unüberhörbar und eigensinnig (man hört nur es), was jenseits (oder diesseits) der Bedeutung der Wörter liegt, ihrer Form (der Litanei), der Koloratur und selbst des Vortragsstils: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, der in ein und derselben Bewegung aus der Tiefe der Hohlräume, Muskeln, Schleimhäute und Knorpel und aus der Tiefe der slawischen Sprache an
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Ein ästhetisches Phänomen, das mit der Bemerkung, Popstimmen emanzipierten sich von ihren Songs „häufig nur auf Kosten stimmlicher Ausdruckskraft und nicht selten von gesanglicher Technik überhaupt“ (Klein 2006, S. 67), nur unzureichend beschrieben ist, einfach weil die gesangstechnischen Ziele in den meisten Stilen populärer Musik andere sind als im Operngesang (etwa gerade das ‚Versagen‘ der Stimme ins Geräusch oder eine für den Kunstkenner unrein wirkende Intonation).
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das Ohr dringt, als spannte sich über das innere Fleisch des Vortragenden und über die von ihm gesungene Musik ein und dieselbe Haut“ (ebd.),
so Roland Barthes über den Klang eines russischen Kirchenbasses. Nimmt man Barthes an dieser Stelle ernst, müssen Stimmsitz, Klangfarbe, rhythmische Eigenheiten, Artikulationsweise und spezifische Tongebung, aber auch die charakteristischen Stimmgeräusche, Unreinheiten und ‚Fehler‘ einer Sängerstimme noch einmal auf das hin untersucht werden, was auf diesen Ebenen jenseits von Ausdruck und Gestaltung hörbar wird, was sich also neben der jeweiligen Song-Interpretation und dem performativen Spiel mit Rollen, Images, Stimmungen und vokalen Techniken zusätzlich in dieser einen, besonderen Stimme und ihrem Umgang mit Sprache und Musik vernehmbar macht. Das ist im Einzelfall – und nur über den lässt sich überhaupt mit Barthes reden – weder endgültig zu entscheiden noch ernsthaft zu versuchen und man darf vermuten, dass es die wenigen mit Musik beschäftigten psychoanalytischen Arbeiten in der Nachfolge von Barthes und Lacan aus gutem Grund bei allgemeinen Überlegungen zu ‚der Musik‘ und der Stimme als solcher belassen. Dennoch sei hier ein Beobachtungskonzept skizziert, das die personale Stimme zumindest in Teilen musikwissenschaftlich erschließen und auf diese Weise dazu beitragen will, in ihr mehr als subjektive Idiosynkrasien oder aber einen kommunikativen Effekt des PopmusikDispositivs zu sehen, der mit den stimmlichen Eigenschaften selbst wenig bis nichts zu tun hat. 1. Innerhalb „der gesamten extremen Vokalität außerhalb der Rede“ (Poizat 2002, S. 230) und außerhalb des ‚schönen‘ Gesangs sollte die Popmusicology gegenüber einer allzu geläufigen Gleichsetzung der Materialität der Stimme mit einem Jenseits des Sinns auf der Einführung einer weiteren Unterscheidung beharren und besonders im Fall populärer Stimmen zwischen interpretatorisch eingesetzten Gestaltungsmitteln auf der einen Seite und andererseits solchen Elementen trennen, die einer Stimme in anderer, persönlicherer Weise anhaften und zusätzlich zur stimmlichen Affektdarstellung und Songinterpretation zu Gehör kommen (können). Dabei kann es allerdings nicht um die Enttarnung von stimmlichen Maskeraden und Verstellungen zugunsten eines ‚eigentlichen‘, sich körperlich äußernden Kerns gehen. Im Bereich der populären Musik reicht es nicht aus das Körperliche der Stimme gegen die Standards expressiven Gesangs auszuspielen, weil das Körperliche in den meisten populären Stilen selbst ein ebenso standardisiertes Ausdrucksmittel darstellt wie stimmliche Limits und Kontrollverluste. Beobachten lassen sich aber Eigenheiten einer Stimme im Umgang mit Timbre, Stimmsitz und anderen körperlichen Merkmalen, die sie zwar nicht unabänderlich, aber doch, vorläufig
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gesagt, über den einzelnen Song hinaus auszeichnen und innerhalb historischer, sozialer und kultureller Zusammenhänge verorten. 2. In Auseinandersetzung mit einem Text von Doris Kolesch zur Stimme der Schauspielerin Marianne Hoppe habe ich vorgeschlagen den popmusikalischen Körper-Diskurs an dieser Stelle mit dem Argument zu erweitern, dass die personale Signatur einer Stimme erst dann als solche wahrgenommen wird, wenn sie zugleich als biographische Signatur gehört wird (Bielefeldt 2006). Eine personale Stimme wäre demnach nicht nur als Spur des Körpers zu entziffern, sondern gleichzeitig als Echo erlebten Lebens, in das sich Organisches und Soziales, Materie, Körper und Geschlecht, Alter und Herkunft einschreiben; das ist übrigens auch Barthes bewusst, auch wenn er diesen Aspekt in seinen Texten nur streift. 10 Sofern es sich lebensgeschichtlich entwickelt, enthält das Personale immer auch Kollektives und Nicht-Eigenes, spiegelt eine individuelle Stimmpraxis unvermeidlich die Praktiken anderer Stimmen, die sich ihr eingeprägt haben. Barthes betont in diesem Zusammenhang die Rolle der Materialität der vokalen Signifikanten, welche die Stimme nicht nur hervorbringt, sondern an der sie sich auch abarbeitet. Sofern die Signifikanten populären Gesangs immer schon Produkte einer disembodied voice sind, wäre das an dieser Stelle um den Aspekt der Sound-Technologien zu erweitern. Die ‚grain de la voix‘ ist weder ein einfaches Gestaltungsmittel noch auf rein körperliche Aspekte zu reduzieren, sondern entsteht beim Aufeinandertreffen (teils unbewusst angeeigneter) Körpertechniken und kultureller Praktiken im Medium Musik, als eines bestimmten, historisch gewachsenen Vorrats an (auch technischen) Möglichkeiten Klang zu organisieren. 3. Darum ist aber schließlich auch davon auszugehen, dass sich populäre Stimmen nicht nur mit Hilfe der Audiotechnik artifizialisieren und abhängig von Textinhalt, musikalischer Stilistik und Aufführungssituation verstellen und stilisieren, sondern überdies mit unterschiedlichsten kulturgeschichtlichen Figuren des Singens und des Sängers überlagern, Figurationen großer kollektiver (sozialer, religiöser, ethnischer etc.) Fragen, die in den Medien und Archiven des kulturellen Gedächtnisses zirkulieren und ins Bild gesetzt werden. Solche kulturellen Muster des Singens sind bislang wenig erforscht; Ansätze dazu haben unter anderem Linda Lister und neuerdings Richard Middleton 10 Barthes über die kollektive Prägung russischer Bass-Sänger: „Diese Stimme ist nicht persönlich: Sie drückt nichts vom Sänger, von seiner Seele aus; sie ist nicht originell (alle russischen Sänger haben grosso modo die gleiche Stimme) und ist dennoch gleichzeitig individuell: Sie lässt einen Körper hören“ (Barthes 1990, S. 271). 212
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vorgelegt. 11 Die folgende, selbstverständlich unvollständige Liste mag verdeutlichen, woran hierbei gedacht ist. der Engelsgesang (die ‚reine‘ Stimme); Jungfrauen-/Kinderstimme die diabolische (‚dreckige‘) Stimme (z.B. Heavy Metal, Dark Wave) der Erzähler (z.B. Griot/Rapper, Folk-Sänger, Blues-Barde) der Verführer (Don Juan; schmeichelnde oder geräuschhaft-virile Stimmen quer durch diverse Stile) der Nymphengesang (zwischen Jungfrau und Hure; viele Beispiele aus der jüngeren Mainstream-History) der Predigergesang (die erleuchtete Stimme; z.B. im Gospel) die ekstatische Stimme (religiös, erotisch; z.B. Soul, Funk) die frenetische Stimme (Singen im Rausch; Gebrüll; geräuschorientierte Stile wie Punk, Hardcore und Industrial) die prosaische (Arbeiter-)stimme / die unkünstelte, ‚unverstellte‘ Stimme die politische Stimme (diskursiv, aufklärerisch, anklagend, empathisch) die virtuose – instrumentale – Stimme (Scat-Gesang, Human beat box) u.a. 12
Mein Vorschlag läuft somit darauf hinaus, die personale Stimme als ein komplex verschaltetes Netzwerk von Stimm-Körper, biographischen Spuren, audiotechnischen Prozessen und kulturellen Mustern des Singens und des Sängers zu verstehen, dessen Profil dann in der Vortragsweise einzelner Vokalisten zu konkretisieren wäre. Prince, um noch einmal zu ihm zurückzukehren, greift in seinen Songs und Videoclips aus den Warner-Jahren zwischen 1979 und 1992 vor allem die Figuren des androgynen Wanderers zwischen den Geschlechtern, der exzentrischen Diva und des Afrikan-American Lover auf. Kennzeichnend für seine Performance sind dabei die immer wieder zu beobachtenden Diskrepanzen zwischen 11 Linda Lister unterscheidet mehrere Varianten der ‚Pop-Diva‘, darunter die ‚Prima Divas‘ (Kategorie Whitney Houston, Mariah Carey), Madonnen und Gründermütter (‚Groundbreakers‘ wie Courtney Love, Suzanne Vega, Lauryn Hill) sowie Liliths (Singer/Songwriter wie Sarah McLachlan, Joan Baez, Sheryl Crow). Middletons (2006) Diskussion der frühen BlackMusic-Stimmen und seine Darstellung der Bezüge zwischen Musical-, Blues- und Jazzsängern bis hin zu Country-Stars seit den 1920ern praktiziert eine Form der Popgeschichtsschreibung, die Netzwerke von Stimmen und historischen Konstellationen an die Stelle der gewohnten linearen Abfolgen von Songs, Stilen und Stars setzt. 12 Die Auflistung dieser kulturgeschichtlichen Stimm- und Sängerfiguren verdanke ich der Zusammenarbeit mit Martin Pfleiderer. 213
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Songtext, Rollenspiel und einem Gesang, der in sich noch einmal das Verhältnis zwischen Körper und Stimme reflektiert. Das führt unter anderem ein früher Live-Videomitschnitt von Dirty Mind aus dem Jahr 1980 vor Augen, 13 dem programmatischen Titelsong des dritten, NewWave-inspirierten Prince-Albums, in dem es textlich gesehen recht explizit zugeht. Während das ‚I‘ jedesmal auf schmutzige Gedanken kommt und auf die schnelle Rücksitznummer im Wagen des Vaters drängt, sobald es dem begehrten ‚You‘ begegnet, verweigert sich dieses. „Whenever I’m around U, baby / I get a dirty mind /.../ I just wanna lay ya down / In my daddy’s car / It’s U I really wanna drive / But U never go too far / I may not be Ur kind of man / I may not be Ur style / But honey all I wanna do / Is just love U for a little while“.
Ein Ansinnen, dessen Dringlichkeit (und zugleich verzweifelte Aussichtslosigkeit?) im Angebot deutlich wird die fehlende Einstellung notfalls käuflich zu erwerben: „If U got some time / I’ll give U some money / to buy a dirty mind“. Danach dreht sich zunächst alles um Wunschbilder des Vollzugs: „U just gotta let me lay ya / Gotta let me lay ya, lay ya / U just gotta let me lay ya / Gotta let me lay ya down“.
Die letzte Strophe kehrt unvermittelt zu den zaghaften Beteuerungen des Anfangs zurück. „I really get a dirty mind / Whenever U’re around“. Im Gegensatz zu seiner um 1980 üblichen, freizügigen Kleidung (nackter Oberkörper, schwarzer Leder-Tanga, weiter silbergrauer, paillettenbesetzter Mantel, Halstuch und Kette, hohe glänzende Lederstiefel) setzen Musik, Gesang und Tanz diese Dirtiness allerdings nur bedingt um. Der Instrumentalsatz etwa beschränkt sich auf ein fast schon minimalistisch anmutendes, karges Gerüst, in dem maschinelle Beats und der artifizielle Sounds des von Band-Mitglied Dr. Fink entwickelten, zentralen Keyboard-Riffs dominieren. Die antreibenden Schläge des Beckens und (vor allem in der Kadenz) der funkigen Bassgitarre klingen in diesem Umfeld denn auch merkwürdig isoliert. Zugleich legt Prince eine aktionsreiche Tanzchoreographie hin, deren intensive Schrittfiguren und Körperbewegungen vielleicht zur Texthaltung der vierten Strophe passen, kaum aber zur Musik. Eine Unaufgelöstheit zwischen der Zurschaustellung von Intensität und Distanz, die sich in der Stimme noch einmal verdichtet. Wie in „For You“ singt Prince den Song durchgehend im Falsett, jenem Register, mit dem er zu Beginn seiner Karriere hörbar an führende afrikanisch-amerikanische R&B-Sänger der 1970er wie Marvin Gaye, Curtis Mayfield und Stevie Wonder anschließt. Was seine Stimme den13 Vgl. http://www.youtube.com/watch?v=HJKNKPHZ7Ow, 18.5.2007. 214
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noch von den meisten Soul-Falsettisten abhebt, ist ihre extreme Wandelbarkeit vom intimen Crooning bis hin zu einer mit den Jahren immer mehr an James Brown erinnernden Exzessivität, die sich in oft starken Geräuschanteilen und dem Einsatz extremer stimmlicher Mittel wie Schreien und Stöhnen niederschlägt. 14 Diese ins sehr hohe, kaum noch Rumpfresonanzen nutzende Falsettregister zu übersetzen heißt wiederum bei Prince die für den Godfather of Funk und seinen Musikstil so charakteristische, offensive Zurschaustellung der eigenen Körperlichkeit gleichzeitig stimmlich in Frage zu stellen. Ganz ohne diese herausfordernde Überzeugtheit eröffnet Prince den Song „Dirty Mind“ in einem recht verhaltenen Tonfall, der in merkwürdigem Kontrast steht zum textlich bekundeten erotischen Anliegen an das ‚You‘ und sich durch verschiedene mikrorhythmische Verschiebungen auch von der maschinellen Indifferenz des Instrumentalsatzes abhebt. Hier und auch am Ende des Songs erscheint sein Falsett vielmehr – in starkem Kontrast etwa zu Womanizer Marvin Gaye – fast körperlos 15 und geschlechtlich mindestens ambivalent; so schüchtern und geradezu unschuldig erklingt sie, als sei nicht nur die Bereitschaft des ‚You‘ zu sexuellem Handeln, sondern auch die eigene Dirtiness mehr als alles andere eine Wunschphantasie (womit übrigens, wie in vielen anderen PrinceStücken, auch eine autoerotische Lesart des Songstexts denkbar wäre). Nur vorübergehend gibt es Ansätze zu verführerischer Anmache (ein anzügliches „It’s you I really wanna drive“) sowie zu exzessiverem, in Lautstärke und Affekt gesteigertem Gesang, in dem Prince allerdings wiederum weitgehend von den Stimmen seiner Co-Sänger verdeckt wird („But honey all I wanna do / Is just love you for a little while“ sowie in der vorletzten Strophe „I really get a dirty mind“ etc.). 16 Und am Schluss verwendet Prince überraschend seine Sprechstimme und gibt ein intimes Versprechen ab, dessen leiser, einschmeichelnder Tonfall zugleich seine eigene Negation zusagt: „I don’t want to hurt you, baby“.
14 Der Schrei, mit dem viele Prince-Songs beginnen (u.a. auch „Kiss“), eröffnet darum alles anderes als ein ‚Jenseits des Sinns‘, sondern erscheint vielmehr als musikalische Ekstase-Formel, persönliche Reverenz an James Brown und, sofern dessen Musik für den rassenemanzipatorischen Appell des ‚Say it loud: I’m black, I’m proud‘ steht, sogar als ethnisches Signal. 15 Gesangstechnisch gesehen produziert Prince, soweit ich höre, einen fast nebengeräuschfreien, weil randschwingungsbetonten Stimmklang und vermeidet vor allem die Nutzung des Sängerformanten, d.h. bestimmter, besonders tragfähiger Obertonbereiche zwischen etwa 2800 und 3000 Hz, die klassisch ausgebildete Stimmen aufgrund der dadurch steigerbaren Durchsetzungsfähigkeit gegenüber begleitenden Orchestern anstreben. 16 Auf der Album-Version singt nach allem, was ich höre, diese Stimmen wiederum Prince selbst. 215
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Natürlich sind solche Brüche zwischen Text, visueller Performance und Gesang einerseits selbst Bestandteil der Expression und konstitutiv für eine Live-Interpretation, die den Song gleichzeitig über Musik, Tanz, Text und Gesang aufführt und dabei verschiedene Sinnebenen miteinander verknüpft. Das Auseinandertreten von stimmlichem, instrumentalem und visuellem Affekt berechtigt nicht dazu, von Dimensionen jenseits von Aufführung und Expression zu sprechen. Auf der anderen Seite vermittelt sich in der Stimme des jungen Prince, nimmt man sich über „Dirty Mind“ hinaus weitere Songs aus dieser Zeit vor, auffällig oft eine seltsame Nicht-Übereinstimmung zwischen der über unterschiedliche Rollen erarbeiteten Aufführung von Intensität und einem Versteckspiel und Zurückweichen, das bis heute als ein grundsätzliches Merkmal seiner Selbstinszenierung gelten darf. Die Mehrdeutigkeit der Performance bei Prince macht aus, dass sie eben nicht nur wie der Glamrock eines Gary Glitter oder etwas später die Protagonisten der New Romantics mit dem Faszinosum der Androgynität spielt, sondern auch das Gegenteil aufgreift und weiterschreibt, die virile Macho-Eindeutigkeit eines James Brown, und beides gemeinsam mit Momenten divenhafter Egozentrik zu einer neuen Konstellation verarbeitet; und einer Stimmsignatur, die im übrigen nicht zuletzt die beweglich-filigrane Körperlichkeit des Tänzers Prince Roger Nelson reflektiert. Der besungene Zustand eines dirty mind ist Wunschprojektion und Maske, oder: das sicher auch. Aber er ist ebenso Vehikel einer Zurschaustellung intensiven körperlichen Begehrens, in welchen Körper und Geschlecht jedoch paradoxerweise selbst problematische Größen bleiben. Die personale Stimme von Prince ließe sich demnach im Zeitraum von „Dirty Mind“ als eine von vielen Brüchen und Wandlungen durchzogene und diesen Bruch immer wieder ins Spiel bringende vokale Signatur bezeichnen; die Signatur einer Stimme, die ihr großes expressives Potential (zu geräuschhaft-körperlichem Ausbruch, zu intimer Nah-Rede, zu laszivem Raunen) immer nur ansatzweise zeigt und vor sich selbst zurückweicht bis in den synthetischen Sound, in dem sie sich neu konstruiert. Man könnte am Ende darum sogar geneigt sein, das Produktivmachen des Bruchs zwischen Körper und Stimme selbst als zentrales Element des Gesangs von Prince zu hören und seine personale Signatur als die einer paradigmatischen disembodied voice.
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DAS NARRATIVE
DER
STIMME BOB DYLANS
RICHARD KLEIN Für Sonja Dierks
In No Direction Home, dem Dokumentarfilm von Martin Scorsese, sagt Izzy Young, Anfang der 60er Jahre Leiter des Folkcenters in Greenwich Village/New York, über den jungen Bob Dylan sinngemäß dies: „Er sang nicht alte Lieder (wie Pete Seeger), sondern Lieder von heute, mit modernem Inhalt, aber er sang sie so, dass es klang, als ob sie zweihundert Jahre alt wären.“ Young meint damit nicht, das musikalische Material der Songs sei auf dem Entwicklungsstand von, sagen wir: Karl Friedrich Zelter stehen geblieben. Vom Kontext her ist zudem klar, dass es ihm weniger um die Songs als solche geht als um den Vortrag, respektive um Dylans Stimme, ihr Timbre und ihre sprachliche Artikulation. Genauer gesagt: Um sein Singen und Sprechen im Hinblick auf Zeit, auf die Präsenz von Alter, Geschichte in den Songs. Nicht Lieder von früher, sondern solche von jetzt sollen es sein, aber dies auf eine Weise, dass die Stimme just jenes Frühere jetztfähig macht, präsentiert. Statt überliefertes Liedgut demütig wiederzubeleben, bringt das Zeitgenössische von Dylans Gesang selbst eine Aura des Vergangenen mit hervor. In seiner Rezension von Time Out Of Mind, jenem Album von 1997, in dem sich der Beginn des Dylanschen Spätwerks ansetzen lässt, spricht Greil Marcus von der „seltsam vermittelten Vehemenz, da ein einzelner mit fünfzig Staaten und vierhundert Jahren in seiner Stimme zu sprechen scheint“ (Marcus 1997). Das Überkandidelte der Formulierung können wir beiseite lassen. Geht es ihrem Autor doch nicht um chronometrisch datierbare historische Relationen, sondern um das Narrative, Erzählerische von Dylans Gesang. Marcus’ Überlegungen kreisen um verschiedene Facetten einer Frage: Wie ist Vergangenheit in dieser Musik präsent? Wo hat sie ihren Ort? Und: Von welcher Vergangenheit wird da erzählt, berichtet, gesungen? Zwar bleibt weitgehend dunkel, was die assoziativen Stoffschichten, die sich im Buch von den „Basement Tapes“ manchmal wie Luftschlösser über dem musikalischen Gegenstand auftürmen, mit Dylans Gesang genau zu tun haben (Marcus 2001). Trotzdem trifft der Gedanke, dass die Dimension des Erinnerns, des langen
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Das Narrative der Stimme Bob Dylans
Rückblicks, der Präsenz ältester Zeiten bei Dylan primär von der Stimme ausgeht, und eben nicht vom Inhalt erzählter Geschichten oder Legenden (Marcus 2005), einen entscheidenden Punkt, mag Marcus auch die Sprache fehlen, denselben näher zu bestimmen. Ich habe die Statements von Young und Marcus zitiert, weil sie an die Substanz dessen rühren, was ich im Folgenden unter dem Titel der „narrativen Stimme“ zu entfalten suche. Sie zeigen zum einen, dass ein komplexer Gedanke wie derjenige der narrativen Stimme auf einen einfachen Kern zurückgeführt werden kann: die Erschließung eines Zeithorizontes, der in der Gegenwart wurzelnd Vergangenheit erscheinen lässt. Zum anderen lässt sich daraus, dass diese Vergangenheit vorwiegend wenn auch nicht ausschließlich von bzw. in der Stimme erschlossen wird, folgern, dass bei Dylan mehr passiert als ein bloßes Erzählen von Geschichten, eine stimmliche Abbildung oder Verdoppelung dessen, was die Story eines Songtextes vorgibt. Vielmehr hat Dylans Stimme als solche narrative Qualitäten, unabhängig davon, ob erzählbare Geschichten oder Begebenheiten ihr Thema sind oder nicht. 1 Aber was ist eine narrative Stimme? Auch wenn sich in jüngster Zeit die Forschungslage ein wenig zum Positiven hin verschoben hat, ist die skurrile Diskrepanz zwischen dem Rang des Phänomens Stimme und dem Fehlen eines allgemeinen Verständnisses seiner noch nicht aufgehoben (vgl. Klein 2006, S. 52 ff.) Der einzige Theoretiker von Gewicht, der Stimme als musikalisches wie sprachgestaltendes Phänomen ernst genommen und die Aufmerksamkeit auf ihren Grenz- und Zwischencharakter gelenkt hat, war Roland Barthes (vgl. Barthes 1991, Barthes 2002). Seine „grain de la voix“ zielt weniger auf das Animalische des sprechenden Wesens als auf eine Schicht, in der sich Physis und Zeichen gegenseitig durchdringen. Für Barthes ist die Stimme Körper, nicht als rohe Natur, sondern als eine Materialität, die sich den Maximen idealistischer Ausdruckskultur widersetzt. Und als Element erotischer Irritation, an dem Werte wie Vergeistigung und Verinnerlichung abgleiten, so oft sie auch versuchen, seiner habhaft zu werden. Zugleich begreift Barthes Stimme als ein symbolisches Medium, welches Sprache als ein Geschehen darstellt, in dem sich die Differenz von Körper und Geist, Begehren
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Siegfried Schmidt-Joos spricht mit Bezug auf einige der frühen Songs zu Recht von „Erzählgedichten“ (Schmidt-Joos 2004, S. 426). Allerdings kann so das Element der Narrativität nicht von der Seite der musikalischen Form in den Blick treten. Der Zusammenhang von Narrativität und Musik bleibt ausgespart, wenn Schmidt-Joos schreibt: „Seine Songs waren für ihn immer nur Geschichten, und er war der Erzähler, der sich dazu – na, wenn schon – auch musikalischer Mittel bedient.“ (Ebd., S. 382) Zum Thema Erzählen und Musik bei Dylan vgl. auch Wesche 2007. 221
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und Sinn selbst differenziert: Stimme baut Sprache auf und zerlegt sie, fasst sie zusammen und lässt sie auseinanderfallen, konstruiert Bedeutungen und entzieht ihnen den Boden. Man braucht Barthes’ idiosynkratischen Urteilen über Fischer-Dieskau und Panzera nicht zuzustimmen, um ohne Abstriche seinen Grundgedanken übernehmen zu können: dass die „grain“ der Stimme etwas irreduzibel Physisches hervorbringt, in dem sich eine konflikthafte Geschichte niedergeschlagen hat: der Stimmkörper als Einschreibfläche eines Lebens, einer endlichen Biographie, einer historischen Kultur. Barthes hätte es gewiß abgelehnt, Dylans Stimme als Exempel für das zu begreifen, was ihm mit der „grain“ vorschwebte. Seine Intention blieb auf den Körper des Textes, den der Sänger singt, ausgerichtet, nicht auf den des Sängers selbst. Gleichwohl gibt er eine wesentliche Voraussetzung zum Verständnis des Dylanschen Gesangs an die Hand, die auch auf die zitierten Kommentare von Izzy Young und Greil Marcus ein Licht wirft. Barthes zwingt nämlich zu der Frage, was es mit dem Erzählen in der Stimme auf sich hat: in Bezug auf den Stellenwert der Zeit im Singen und dessen konstruktiv-destruktive Artikulation von Sprache. Der erste Aspekt meint den Niederschlag von Alter, Geschichte, Tradition im Gesang, der zweite das Verhältnis von Zerlegung und Aufbau, Analyse und Synthese sprachlicher Elemente. Soviel lässt sich bereits sagen: Wenn es ein narratives Singen gibt, dann lässt sich dieses nur mittels der Verbindung der Stimme zu Zeit und Sprache bestimmen, nicht anhand des einen oder des anderen Moments. Auf dem Weg zu einer Konstruktion des Narrativen von Dylans Stimme bin ich in meinem Buch zunächst von den stimmlichen Grundcharakteren „Apollo“ und „Kojote“ ausgegangen. 2 „Apollo“ ist im Grunde ein anderer Name für die Distanz zu sich und die Begrenzung des (nicht nur) zeitlich Negativen, welche beide Dylans Gesang in hohem Maße kennzeichnen. Gemeint ist kein konkreter vokaler Stil, sondern ein Modell, das auf verschiedene stilistische Formen Anwendung findet. Der prophetische Folk der frühen Jahre gehört zu ihm nicht weniger wie als die akustischen Meditationen der Englandtournee 1966, die Liebesklage von Blood On The Tracks, das spröd Historische des Albums John Wesley Harding oder auch die Integration der vielen Zeiten in der „Never Ending Tour“ von heute. Selbst die Gospelphase lebt von der Distanz des Apollo, sofern sie zwischen propagandistischer Rhetorik von oben und inbrünstiger Expression von unten auszugleichen hat. Apollinisch ist „Desolation Row“, wo der junge Dylan gegen das diabolisch zersplitternde Szenario des Textes den Märchenton des „Es war einmal“ aufbie2
Vgl. Klein 2006, Kap. III.
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tet (Highway 61 Revisited). Auch „Like A Rolling Stone“ fällt unter diese Kategorie: Das Modell existenzialistischer Ausweglosigkeit, das die Verse realisieren, wird durch die Musik in einen sportiv-lässigen Typus von Tanz überführt. Apollinisch ist ohnehin ständig aufs Neue, und ganz anders als Nietzsche sich einst dies dachte, die Musik gegen den Text, dessen negativistische, tragische oder katastrophische Implikationen sie durch Klangbindung, durch ein Folge sängerischer Formen auffängt. Daran gemessen ist der „Kojote“ ein Störenfried, ein Spielverderber, der für das steht, was sich der apollinischen Integration im Singen widersetzt. Vielleicht hätte Roland Barthes in ihm ein „unsublimes“ Anschauungsmaterial für seine „grain de la voix“ erkennen können, wenn er nur mehr gewusst hätte: Anschauungsmaterial, weil der Kojote das Moment des Tierhaften im sprechenden Wesen und damit den Körper im Kontext der symbolischen Ordnung präsentiert; ein unsublimes, weil er weniger die Physis musikalischer Texte darstellt als die Aufmerksamkeit auf das Körperliche des Singens als solches lenkt. Nicht so sehr auf das Leibding der Person allerdings als auf den Sänger als Kraftzentrum der Kreation unterschiedlicher Körperbilder: Körperbilder und nicht einfach physischer Eigenschaften. Was man für gewöhnlich mit dem Kojoten in Verbindung bringt, das Enge, Näselnde, auch Grummelnde des Dylanschen Gesangs, seine Züge des Bellens, Fauchens, Nödelns und Bleckens, benennt keine naturalen physischen Merkmale, sondern Ausdrucksgestalten, die eine bestimmte historische Symbolik assoziativ mit sich führen. Die Hinweise im Buch auf die Geschichte der Indianer, den Vernichtungskampf der weißen amerikanischen Farmer gegen den Wildhund oder auch auf das Motiv der heulenden Schakale der Apokalypse machen keine objektiven Gehalte des Dylanschen Gesangs dingfest, sondern arbeiten eine kulturelle Bedeutungsschicht heraus, mit der Dylans vokale Praxis vielfältig vernetzt, aber keineswegs identisch ist (Klein 2006, S. 76-81). Das demonstrative Zeigen des Materiellen, Physischen, Tierhaften, das der Kojote vollführt, ist ein Akt der Kultur so gut wie einer der Natur, physiognomisches Selbstporträt nicht minder als intellektive Figuration. Erdenschwere scheint da am Werk, aber auch exterritoriales Denken, Außenseitergeist. Am Anfang nahm ich unbefangen an, die drei stimmlichen Prinzipien, „Apollo“, „Kojote“ und „Erzählen“, seien gleichartig und darum gleichwertig. Aber weder das eine noch das andere ließ sich aufrechterhalten. Vielmehr hat sich im Verlauf der Arbeit gezeigt, dass dem Dritten in diesem Bunde, dem „Erzählen“ die komplexeste und zugleich systematisch höchste Bestimmung zukommt. Die Spannungen zwischen den beiden anderen scheint er und er allein vermitteln zu können. Er verbindet in sich die distanzierend-synthetische Kraft Apollos, die sich auch
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von belastenden Materialien nicht irre machen lässt, mit einer Parteinahme für den Quertreiber, den Negativisten im Bunde: eben den „Kojoten“, der Sinnzusammenhänge auflöst, Kontinuitäten zersetzt und Distanzen einzieht. Erweckt der erste Name noch den Eindruck, als fußten die Songs auf einem „ewigen“ Formgesetz, einer Duplizität von Zeitlosem und Zeitlichem, die sich durch sich selbst regeneriert, bezeugt der „Kojote“ die Vormacht einer historischen Kultur gegenüber den sich in ihr bildenden künstlerischen Formen. „Apollo“ steht bei Dylan im Banne einer Negativität, die er nicht mehr zu bändigen vermag oder allein noch insofern, als er sich seinerseits verzeitlicht, historisiert, zum „Erzähler“ wandelt. 3 Erzählen bei Dylan ist Synthese und Analyse zugleich. Das Moment der Synthese rührt daher, dass das Erzählen Apollo und den Kojoten in sich verbindet, in gewissem Sinn einen Oberbegriff beider bildet. Und partiell auch jene Tradition fortschreibt, deren Idee es ist, dass Geschichten, Fälle, Ereignisse erzählt werden: von einem Erzähler, der die dispersiven Details des Erzählten stimmig zu einem Ganzen zu organisieren weiß. Auch wenn wir inzwischen, nicht zuletzt im Hinblick auf die amerikanische Literatur des 20. Jahrhunderts, gelernt haben, das Recht einer solchen Tradition anzuerkennen, statt sie in Bausch und Bogen als „vormodern“ zu verwerfen, bleibt die Distanz bestehen, die Dylan gegenüber jedem betont sinnhaften Verständnis von Narration einnimmt. Zu diesem passen Texte, die einen politischen Casus vorstellen, durchaus, nicht aber solche, die surreal, entrealisierend oder via Zitatcollage mit Sprache umgehen. 4 Noch weniger, wenn das narrative Element zwischen den Medien Sprache und Musik hin- und her spielt. Musikalisch entspricht dem Sinnmodell am ehesten das Genre der Ballade. Beider Erzählbegriff setzt eine intakte Vorstellung von Realität und zugleich eine realitätsmächtige Sprache voraus, ein bestimmter Level von Sprachzerlegung und Entsemantisierung verbietet sich hier von selbst. Fraglos trägt Dylan solche konventionellen Typen des Narrativen auch vor: „North Country Blues“, „John Brown“, „Only A Pawn In Their Game“, „The Lonesome Death Of Hattie Carroll“, „Lily, Rosemary And The Jack Of Hearts“, „Hurricane“ – um nur einige, sehr unterschiedliche Songs zu nennen. Diese Gestalten gehören sozusagen mit zum Angebot, haben aber als Exempel einer Gattung wenig mit dem narrativen Kern 3 4
Wolfram Ette analysiert das zu Recht als Vorrang der Zeit vor der Gegenwart, des Werdens vor dem Sein; vgl. Ette 2007. Dass Dylan auch sie gleichwohl so darstellt, d.h. singt, als handelte es sich um Geschichten, die sich erzählen lassen, steht auf einem anderen Blatt. Als Poem ist „Desolation Row“ das dezidierte Gegenteil eines narrativen Ganzen. Aber es wird vom Sänger vorgetragen wie eine Sage aus alten Zeiten.
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seines Singens zu tun. Bleibt der doch vorrangig einer der Stimme und insofern genretypologischen Kriterien entzogen. Was den Einsatz von Genre-Elementen nicht ausschließt: instrumentalen Figuren zum Beispiel, die noch vor Beginn des Gesangs auf diesen einstimmen. So lässt sich z.B. das Gitarren-Intro von „Desolation Row“ aus Highway 61 Revisited als eine Geste des „Horcht einmal her, es gibt etwas zu erzählen“, als Aufruf an eine potentielle Hörerschaft, sich zu versammeln, verstehen. Jedenfalls wenn man die zeitliche Spannung zum Einsatz der Stimme mitveranschlagt, deren Erzähltypus durch die instrumentale Gebärde vorab umrissen, „eingestellt“ wird. Auch in der solistischen Fassung von 1966 geht dem Gesang eine solche Einleitung voraus. Dort aber singt Dylan, wie ein Mönch in seiner Zelle betet: vor sich hinmurmelnd, aufs Äußerste introvertiert, ohne jeden Ansprechpartner. 5 Die instrumental erzeugte Raumweite, die auf der Albumversion der Stimme eine Größe zuspiegelte, welche von den allerentscheidendsten Dingen zu berichten autorisiert schien, fehlt jetzt völlig. Haben wir es darum mit „nichtnarrativem“ Singen zu tun? Die Frage ist falsch gestellt, weil sie den Gegensatz von lyrischem Innen und epischem Außen, dessen Gattungscharakter angesichts solcher Songs zu überprüfen wäre, wie selbstverständlich voraussetzt. Dylans narrative Substanz lässt sich aber erst plausibel machen, wenn man diese Konvention hinter sich lässt und die Möglichkeit eines meditativen Erzählens in Betracht zieht. Kehrt nicht im Zentrifugalen der Innerlichkeit, in welche sich Dylan in Manchester und anderswo verliert, das Äußere, Entgrenzende des Epischen wieder? Erzählen kann nicht derart einsinnig vom Arrangement abhängen, dass es in der einen Version da ist und in der anderen nicht. Geht es doch nicht um ein musikalisches oder literarisches Formgesetz, dem seitens des Gesangs stilgetreu Rechnung getragen würde, sondern um eine Grunderfahrung, die nur durch das Unverwechselbare, d.h. das Autonome dieser Stimme (hindurch) offenbar wird, sich anders also gar nicht sagen ließe und nicht da wäre.
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Allerdings ist Dylan an einer direkten, empirischen Kommunikation mit seinem Publikum nicht interessiert. Was an seinem Gesang den Charakter von Mitteilung hat, steht im Zeichen eines Autonomieanspruchs im Ganzen, der strikt auf den Song und nicht auf den Hörer gerichtet ist. Dylan singt weder für noch zu jemanden, er trägt vielmehr Lieder vor, die je für sich stehen. Alles Kommunikative steht bei ihm unter dieser Voraussetzung. Ich muß diesen Aspekt hier unberücksichtigt lassen; vgl. Klein 2006, S. 385 sowie Wesche 2007, der sich mit ihm besonders auseinandersetzt. 225
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Wie gesagt, zum synthetischen Moment gesellt sich bei Dylan ein analytisches, etwas, das vom Erzählen im traditionellen Verstande wegführt, es in seine Bestandteile auflöst. Zu denken ist an das anarchisch Sinnkritische in seinem Umgang mit Sprache, an die Schärfe des Artikulierens und deren Komplement, das vielberedete „Nuscheln“, die Zerlegung von Strophen in Verse, von Versen in Worte, von Worte in Silben und von Silben in Konsonanten und Vokale, welche gedehnt werden oder hingehaucht, sistiert oder zerspuckt. Ohne diese auflösende, differentiale Bewegung, die in den Konzerten der letzten Jahre eine immer größere Bedeutung gewinnt, wäre Erzählen hier ebenso wenig zu denken wie unabhängig von dem Integral, das beide Extreme, das Aus-der-Reihe-Fallen und das Integrieren, das Destruieren und das Stiften von Einheit immer auch zusammenschließt. Insoweit Dylans Erzählen davon lebt, Sprache zu zerlegen und ihre Elemente neu zu kombinieren, ist es mehr als eine modische Redensart, wenn von seinen Songs gesagt wird, sie seien „dekonstruktiv“. Nur wäre zu zeigen, dass die dekonstruktive Tendenz ihre Pointe in einer besonderen Form von Narrativität findet. Was macht dieses Besondere aus? Ich denke, es kommt darauf an, den Aspekt der Sprache mit dem der Zeit zu verbinden. In den Songanalysen des Buches haben wir gesagt, Dylan stelle singend die Sprache dar. Tatsächlich die Sprache und nicht einfach den Text. Den Text singen hieße, Sinnzusammenhänge zu artikulieren, auf Bedeutungen aus zu sein und den Gesang dazu zu benutzen, sie herauszustellen und so stringent wie möglich miteinander zu verknüpfen. Je nachdem macht Dylan das, natürlich, auch: Die Performance von „Hard Rain“ im Gaslight-Café oder im Halloweenkonzert, wo der prophetische Tonfall, aus dem der ganze Song herauswächst, direkt mit der Botschaft des Poems liiert scheint, ist dafür ein fulminantes Beispiel. 6 Aber singend gestaltet Dylan nicht nur Sinneinheiten oder Botschaften, sondern er legt auch die Axt an das an, was er gestaltet. Davon, dass er die Sprache in ihre Bestandteile, von den Strophen bis zu den Vokalen und Konsonanten hin, zerlegt, sprachen wir bereits. Letztere werden gedehnt oder verkürzt, verschluckt oder aufgebläht, ja sogar in Geräusche, in schiere Klangphysis verwandelt. Semantisierung wird mit der einen Hand durchgeführt und mit der anderen zurückgenommen oder aufgelöst. Wenn es sein muß, lässt der späte Bob Dylan den regulären Aufbau ganzer Strophen zerfallen, um deren Elemente unter rhythmischen und klanglichen Gesichtspunkten neu zu ordnen. Nicht selten mutiert der Text zu einem anonymen Materialbestand, der eine Umwertung über sich ergehen lassen muß, welche eine
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Zur Analyse der Stimme am Beispiel unterschiedlicher Versionen von „Hard Rain“ vgl. Dierks 2007.
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andere Rhythmik und Syntax, eine noch nie gehörte Logik von Wortfolgen und Wortkomplexen herbeizitiert. In anderen Fällen verbindet sich der destruierende Zug des Singens wiederum mit einer Restituierung kommunikativer Strukturen und Sinnzusammenhänge. So gerät z.B. der Plot von „John Brown“ am 25.10.2005 in Berlin zur Herausforderung von Dylans Technik des „Zersingens“. 7 Ein Song, den er live eher selten oder selten besonders gesungen hat, zwingt ihn gerade angesichts der eigenen entsemantisierenden, analytischen und amelodischen Optionen, die Frage nach dem Sinn einer Erzählung, einer Geschichte neu zu stellen. In dieser Performance bekommt jedes einzelne Wort eine Zuwendung, als sollte es das Offene, Unerledigte der Story gegen die geschlossene Rhythmus- und Harmoniestruktur der Musik positionieren: die Sprache des Individuellen gegen den Sog des Rituals. Dylan singt die Sprache, das will sagen: Er lenkt die Aufmerksamkeit auf sie, auf ihre Zeitgestalt, ihre Bedeutungen, ihr Gewimmel. Auf ihre Zeitgestalt, in dem er die Folge der Silben, Worte und Verse solch freien rhythmischen Relationen unterwirft, dass die Spannung, die damit entsteht, dazu zwingt, auf den sprachlichen Prozeß zu hören. Jeder Song teilt etwas mit, das über ihn hinausgeht, ob es nun mit bestimmten Inhalten konform geht oder nicht. Aber Dylan zeigt singend auch das Gewimmel der Sprache, ihre zentrifugale Klangkörperlichkeit, die Inhalte, Aussagen und Botschaften torpediert, indem sie diese auf ihre vielstelligen Basispartikel, d.h. Phoneme hin durchsichtig macht. Solche Phoneme bilden die Kehrseite der Bedeutung, und noch die auf die Spitze getriebene Textdestruktion ist kein versonnenes Glasperlenspiel, sondern ein Freiwerden des Sinnfernen inmitten alles sprachlichen und sprachmusikalischen Geschehens. Dylan misst gleichsam die Kluft zwischen diesen Extremen aus und bezieht beide immer wieder anders aufeinander. Nur wenige Sänger besitzen so wie er die Fähigkeit, Spannungen und gegenseitige Abhängigkeit von Gewimmel, Physis und Sinn der Sprache obsessiv durchzuforsten und durchzugestalten. Das Wechselspiel von Semantisierung und Entsemantisierung benennt einen zentralen Zug von Dylans Narrativität. Erzählen heißt hier nicht nur und nicht einmal primär, von bestimmten Ereignissen oder gar einer Geschichte zu berichten, sondern, metaphorisch gesprochen, in den Schacht hinabsteigen, der solcher Darstellung vorausgeht. Es heißt, sin7
Manchmal hört man, dass derjenige, der mit Bootlegs wissenschaftlich arbeite, ein Geheimwissen in Anspruch nehme, von dem Normalverbraucher ausgeschlossen seien. Aber das verrät allein Uninformiertheit. Jedes aufgezeichnete Konzert und so auch die Berliner Performance vom 25. Oktober 2005 ist als Kopie über http://www.notdarkyet.de/0000009687080d801/ index.html erhältlich, einer Adresse unter sehr vielen anderen. 227
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gend die Materialität der Sprache, das Nichtige, Chaotische ihrer Phoneme vorzuführen, es aber nicht als Reich für sich, als Nacht ohne Tag zu nehmen, sondern seine Relation zu den bedeutungsbildenden Kräften der Sprache, zum Sinn aufzuzeigen. Jener Schacht aber ist das Einfallstor der Zeit in der Stimme, die Physis der Worte und Wortpartikel so etwas wie Ursprungsgestammel mit temporalem Index und imaginäre Brücke zu einer Geschichte, die nicht die des eigenen Lebens ist. Auch wenn wir gut daran tun, Greil Marcus’ Diktum von den „vierhundert Jahren“ in Dylans Stimme nicht buchstäblich zu nehmen, ist doch der Erfahrung Rechnung zu tragen, welche ihm zugrunde liegt. Der Eindruck des besagten Alters liegt ja nicht in Stories vom „alten, unheimlichen Amerika“ begründet, sondern darin, dass diese Stimme, sofern sie das Elementarische der Sprache inszeniert, für den Abgrund der Zeit in ihr selbst darstellerisch frei wird. Dass Dylans heutiges Organ schon rein biographisch gesehen alt ist, erklärt kaum die narrative Tiefe, die ihm eignet. Der Gesang gewinnt historischen Charakter, weil sein Narratives nicht am einzelnen Stoff hängt, der sich im traditionellen Verstande erzählen ließe, sondern vom Zeitfundus zeugt, aus dem her Erzählen als solches entspringt. Indem die Stimme in den Abgrund der Sprache steigt, erschließt sie singenderzählend die Übermacht der Zeit. Dylan erzählt weniger Geschichten, als dass er auf die Grunderfahrung stößt, die zum Erzählen erst nötigt: die Notwendigkeit, sich zur Übermacht der Zeit zu verhalten und ein „Standbein“ in ihr zu gewinnen. Dazu gehört ein „Klangalter“, das die Grenzen von Lebenszeit ästhetisch, performativ übersteigt. Es genügt nicht, bloß von der Rauheit, vom Schorf, vom Röchelnden oder Näselnden zu sprechen, als handele es sich um isolierte Qualitäten eines Stimmkörpers. Man muß einen Schritt weitergehen und solche Einzelzüge als Elemente einer temporalen Schicht erkennen, welche auf die Erfahrung des narrativen Grundgeschehens stößt. Nicht bestimmte historische oder mythologische Motive machen den Erfahrungsgehalt des Dylanschen Gesangs aus, sondern der „Horizont der Zeit“, in dem diese stehen oder der sie freigibt. Ereignisse und Inhalte lassen sich im nachhinein je nachdem wieder in diesen eintragen, aber nicht selbst zum Zeithorizont zurechtzimmern. Auch ist es ein Unterschied ums Ganze, ob ich Dylans Stimme als Transportinstanz für bestimmte Inhalte und Bilder begreife, die auch unabhängig von ihr existieren, oder ob ich begreiflich zu machen suche, inwieweit ihre dimensionale Zeitaura, die ja unbestreitbar da ist, als Projektionsmedium historisch-mythologischer Stoffe taugt oder nicht (vgl. Klein 2006, S. 233 ff.). Es verblüfft, dass Izzy Young seine Feststellung über alt und neu, historisch und modern bei Dylan auf dessen Anfangszeit bezieht. Wenn
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solche Erfahrungen bereits so früh gemacht werden konnten, um wie viel mehr Gewicht müssen sie in Bezug auf den späten Dylan haben, dessen Drang zur Sprachzerlegung, zum Rückgang in den Schacht der Sinnproduktion ja noch weit stärker ist als in den Jahren von Greenwich Village? Nun bestand das Besondere des jungen Dylan gewiß nicht nur darin, dass er den internen Konflikt zwischen Unterbau und Überbau der Sprache sängerisch ausgetragen hätte. Kaum minder wichtig ist die rätselhafte Diskrepanz zwischen der Aura zeitloser Frühe, die ihn damals umgab, und dem mythischen Gestus des Alten, der auf mehr als nur auf ein Leben zurückzublicken schien. Am Anfang gab sich Dylan als jemand, der aus dem Nichts kommt, keine Geschichte hat, keine Erinnerungen und keine Eltern, aber seine Stimme aus einer Haltung heraus einsetzen lässt, als sei keine Weisheit der Väter und Ahnen an ihm vorübergegangen. Er erzählte – und weissagte –, wo er nicht bzw. bevor er überhaupt erfahren haben konnte. Dass dieser apriorische, folglich immer irgendwie träumende Zugriff auf die Welt jenseits der Kunst ohne auch nur eine Spur von Altklugheit möglich war, ist die Pointe jener Jahre und vielleicht auch eine Geheimformel für das Ferne, Fremde (in) dieser Stimme, das ihr so völlig anstrengungslos zuzugehören schien. Anders als heute hatte Dylans Gesang damals einen ausgesprochenen Mitteilungscharakter, eine Nähe zu den Inhalten und inhaltlichen Motiven seiner Songs. Sie wird von der Tendenz zur Sprachzerlegung je nachdem unterfüttert oder gebrochen, aber sie bleibt eigenständige Darstellungsqualität und wohl auch Darstellungsintention. Gewimmel, Physis und Bedeutung durchdringen sich nicht gegenseitig, sie machen vielmehr voneinander abhebbare Momente aus. Das Element des Ansprechens im Singen behält sein manifestes, stimmliches Gewicht noch in den Stücken, wo via Poesie die sinndestruierenden Elemente nur so übereinander zu purzeln scheinen. Später verändert sich dieser Aspekt dann so sehr, dass man manchmal denken könnte, es sei ein anderer Sänger am Werk, oder zwischen den Phasen seines vokalen Lebens lägen Welten und mehr als nur ein Tod. Nicht, dass Dylans Impuls zur Mitteilung heute völlig verschwunden wäre, er hat nur sehr verwickelte und vermittelte Formen angenommen. Die relativ klare Differenz von Mitteilung und Verrätselung in den Anfangsjahren hat mit der radikalen Distanz zu tun, die in dieser Zeit von Dylan ausgeht. Auch wo seine Stimme scheinbar ganz da ist, ihre Bühnenpräsenz bis zum Rande ausschöpft, setzt sie doch wie aus der Ferne ein, tritt sie den Zuhörern entgegen, als käme sie aus einer anderen Welt. Das ist nicht kurzfristig oder buchstäblich religiös zu verstehen; jene Distanz fällt mit dem Gestus der Prophetie nicht zusammen, wiewohl sie sich häufig in deren Tonfall äußert. Eher ist die Verkündigungsrhetorik, die sich etwa im Halloweenkonzert (31. Oktober 1964) bei „Gates Of
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Eden“ und „Hard Rain“ mit schneidender Schärfe und Überhelle äußert, als spezielle Ausprägung solcher Abständigkeit zu begreifen, neben der durchaus andere Varianten existieren: die Jugendphilosophie von „Blowin’ In The Wind“, vorgetragen mit der Stimme eines Greisen; die analog tönenden Aphorismen zur Lebensweisheit von „Don’t Think Twice“, wo sich der Adoleszente mittels rauher Farben und abgehackter Worte stoische Gelassenheit einzuimpfen bemüht, oder jene Mischung aus Erzähler- und Akklamationsgebärde, wie sie „The Lonesome Death Of Hattie Carroll“ so unnachahmlich macht. Nicht das vielberedete Kratzen oder Nödeln als solches macht die Substanz dieses Gesangs aus, sondern die Unnahbarkeit, die hinzutritt und stilistisch wie atmosphärisch alles andere verwandelt, zumal durch die Verweigerung voller Körperresonanz: statt Brust und Lunge Kehle, Nase und Gaumen. 8 Wie vielfältig Dylans Sprachgestaltung zu dem Zeiteffekt beiträgt, den Izzy Young im Sinn hat, kann man schon an dem Lied erkennen, das später als Schmachtfetzen für Pfadfinder zu Tode gesungen werden sollte: „Blowin’ In The Wind“. An der Aufnahme vom Freewheelin-Album fällt als erstes die sperrige, asketische Art des Vortrags auf. Das Stück ist supereinfach, aber genau dies nutzt der Sänger für eine Demonstration des komplexen Wechselverhältnisses von Singen und Sprechen. Ständig bewegt sich seine Aussprache zwischen deklamatorischer Schärfe, Abschattierungen des Tons und dem gezielten Verschlucken von Silben hin und her. Auf einer zweiten Ebene liegen die Akzente, Dehnungen und Sforzati. Weit davon entfernt, Glottisschläge zu vermeiden, steigern sie sich von Strophe zu Strophe und versetzen die an sich farblose Melodie 8
Die Bedeutung von Mikrofon und Verstärker für den Rockgesang liegt auf der Hand. Worin sie jedoch konkret besteht und welche innovativen Folgen daraus im Hinblick auf das Verständnis von „Natur und Kultur“ hervorgehen, ist unklar. Es handelt sich um mehr als ein reines Entlastungsphänomen, welches unmittelbar an die Stelle der artistischen Körperlichkeit klassischer Gesangskultur einen technischen Apparat treten ließe, der den Mangel an physischer Stimmtechnik des Popsängers einfach kompensierte – wie K. Ludwig Pfeiffer behauptet, ohne den Sachverhalt zu analysieren; vgl. Pfeiffer 2006. Dass Popgesang kein durch Körpertechnik allein einlösbares Stimmideal hat, macht ihn noch nicht zum bloßen Appendix von Soundtechnologien – wie man bei Dylan sehr schön zeigen könnte. Umgekehrt ist der Operngesang keineswegs per se von Soundtechnologien unabhängig: So hat Fischer-Dieskau im Studio Rollen eingespielt, die er niemals auf der Bühne hätte verkörpern können. Umgekehrt wäre Frank Sinatra, der erste Sänger, der das Mikrofon als Verlängerung des eigenen Körpers einsetzte, technisch jederzeit in der Lage gewesen, auf der Opernbühne aufzutreten; mit Opernsängern hat er Duette aufgenommen, in denen „the voice“ wahrhaft eine „bella figura“ machte. Ein Beispiel aus neuerer Zeit wären Marianne Faithfulls Auftritte in Opern von Kurt Weill. So oder so, die Diskussion steht am Anfang.
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des Songs in einen Spannungszustand, der paradoxerweise Unruhe im Einzelnen mit Unauffälligkeit im Ganzen zu verbinden weiß. Aus etwas Glattem wird ein Rauhes, aber so, dass das Glatte noch mitgedacht werden kann, wenn es im Rauhen schon nicht mehr spürbar ist. Analoge Effekte des Harmonikaspiels verstärken diese Körnung des Stimmlichen. Hinzu kommen das Zerschneiden von Phrasen durch „unmotivierte“ Atemzäsuren und jene Freiheit des rhythmischen Spiels, die noch heute Dylans Markenzeichen darstellt. Dylan ist ein Meister der Agogik ebenso sehr wie der Artikulation. Wäre er nur Agogiker oder allein Bedeutungsagent oder ausschließlich sprachfremder Materialist („Kojote“), man könnte ihn lediglich als einen unter vielen zur Kenntnis nehmen. Aber sein Gesang ist dadurch definiert, dass er diese drei Elemente verbindet: den rhythmischen Anarchismus mit der Entfaltung des sprachlichen Sinns und dessen Suspension durch vokale Physis, Stimm-Materie. Dylan betont etwa scheinbar periphere Silben, um den Bedeutungszusammenhang labil zu machen und „nuschelt“ manche Worte hastig weg, damit er sich um so gezielter den Partien zuwenden kann, denen er alles sinnhafte Gewicht geben will. Just dieses Wechselspiel zwischen dem Inszenieren und dem Auflösen von Sinn qua Stimme ist es aber, das die Aura des Alten und Vonweit-her-Kommenden wesentlich erzeugt. Noch mehr als bei „Hard Rain“ tritt der Gesang bei „Blowin’ In The Wind“ als Medium eines Eremiten auf, der leise vor sich hin murmelt und krächzt. Dylan singt, als befinde er sich allein und verlassen in einer Kammer, aus der nichts nach außen dringt. Wenn die Metapher der Flaschenpost je auf einen Song gepaßt hat, dann auf diese Aufnahme. Gefallen will sie keinem, Ornamentales ist ihr fremd, Interesse an genießerischen Details hat sie nicht. Und doch vermittelt der Sänger, der so ungemein subtil gegen die Freilegung von Sinnbeziehungen arbeitet, den Eindruck, dass Bedeutsames vonstatten geht. Seins dekonstruktive Darstellungstypik entzieht jedem direkten Zugriff auf Bedeutungen die Basis, gleichwohl will da jemand unzweifelhaft verstanden werden. Mehr noch: Je rätselhafter sich Dylan gibt, um so mehr nötigt er zum Interpretieren. 9 Die Kehrseite seiner Verweigerung ist ein unbedingter Wahrheitsanspruch, der Mann letzten Endes zu 9
Aus der Episode, die von Joan Baez in „No Direction Home“ glaubwürdig erzählt wird, wird deutlich, wie nahe Selbstverrätseln und Verstandenwerden-wollen hier beieinander liegen. Laut Baez sagt Dylan (im Herbst 1963): „Warte ab, in ein paar Jahren werden all diese Leute [...] über den ganzen Mist, den ich schreibe, schreiben. Ich weiß nicht, wo zum Teufel das herkommt, wohin zum Teufel es geht. Aber sie werden über das schreiben, worum es geht.“ Vorab, d. h. beim Songschreiben, macht er sich über seine künftigen Interpreten lustig. Und antizipiert im gleichen Moment die Notwendigkeit ihres Tuns. 231
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modern oder zu existenzialistisch 10 , zu sehr an unhintergehbaren Fragen des Menschseins orientiert, um im Ernst Songtexte zum bloßen Anlass eines selbstgenügsamen Sinnauflösungssports nehmen zu können. In den 70er Jahren verschwindet die zeitfremde Prophetie der Anfangsjahre ebenso wie die entrückte Mystik oder die autistische Ekstase der Englandtournee (erste bzw. zweite Hälfte): Formen eines „transzendentalen Erzählens“, welches Erfahrungen von Distanz und Nicht-dasein, Nichtgegenwart artikuliert, die zum Erzählen im üblichen Sinne erst führen. Was einmal das Rätsel Bob Dylan war, also dass da jemand sagte oder so tat wie: Ich habe keine Heimat, keine Herkunft, keine Geschichte, aber „ich werde es erzählen, damit alle Seelen es sehen können“ („Hard Rain“), ist wie weggeblasen. An seine Stelle treten Ausdrucksformen, deren Vorzüge sich überhaupt erst auf den Trümmern der Aura der Distanz bilden konnten. Verglichen mit den frühen Jahren scheinen sie moderater, ja fast gefällig zu sein; das forcierte Energy-Gehabe der 74er Tournee etwa verhält sich zu den Rockgesangsekstasen von 1966 wie professionelle Virtuosenroutine zum gefährlichen Leben. Zuvor war bereits mit John Wesley Harding eine wichtige Neuerung vonstatten gegangen. Das Album gibt der Distanz zum Hic et Nunc ein verändertes Profil, aber es setzt sie auch fort, insoweit es Text wie Musik aus einem retrospektiven, historischen Geist heraus gestaltet. Was Izzy Young als das moderne Uralte der Dylanschen Stimme in jedem einzelnen Song empfand, wird hier als amerikanische Geschichte in Bezug auf das Album insgesamt zum Thema gemacht; nicht, wie bei den Basement Tapes als mythologische Zeitgruft, wo zeitlich Fernes nah und Zeitgenössisches zugleich fern erscheinen, sondern im Sinne einer Archäologie des kühlen Blicks, des spröden, rauscharmen Eingedenkens an Traditionen und alte Zustände. Singend hält sich Dylan so sehr zurück, dass noch die Partien, in denen seine Stimme an Hank Williams gemahnt, eher wie Zitate über dem Abgrund der Erinnerung hinweg denn wie buchstäbliche Imitate sich anhören. Der Ausdruck ist reduziert, des Sängers innerer Blick schweift zurück, aber streng, wenn nicht asketisch wird jede Vermischung mit Gegenwärtigem vermieden. 11 Die Songs klingen, analog zu gewissen Fotoalben, wie mit Altem eingefärbt und ganz gezielt nicht 10 Dass die Annahme einer Nähe Dylans zu gewissen existenzialistischen Positionen ihr Recht hat, lässt sich Honneth 2007 entnehmen. 11 Man ist versucht, Izzy Youngs Bemerkung hier auf den Kopf zu stellen: Dylan sang nicht neue Lieder wie so viele andere, sondern alte mit historischem und biblischem Inhalt, aber die sang er so, dass sie als Songs des Jahres 1967, von dem sie sich ästhetisch so distanziert hatten, gleichwohl erkennbar wurden. „John Wesley Harding“ z.B. klingt wie Country-Musik der amerikanischen Vorzeit, stellt aber zugleich eine Reaktion auf das amerikanische Kinoereignis von 1967 dar: Arthur Penns „Bonnie And Clyde“. 232
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wie „von heute“. Nicht nur das Cover, sondern auch die Musik, respektive der Gesang sind auf John Wesley Harding schwarzweiß. In den 70er Jahren reißt dieses Interesse an Erinnerung erst einmal ab. Narrativität ist jetzt weder mehr Idee einer Produktion noch manifester vokaler Charakter. Allerdings lässt sich dies nicht einfach monieren, setzt doch das Aussparen des Narrativen im Singen eine Neuorientierung der Expression frei, ohne die Dylans spätere Auseinandersetzung mit Tradition und Geschichte undenkbar wäre: So bieten die Auftritte mit Band (1974, 1975, auch 1978) imposante Kraftakte und ein Energietheater, bei dem die physische Präsenz des Sängers das herkömmlich Zerrissene seiner Stimme, d. h. das Absente, Nichtgegenwärtige des Kojoten in den Hintergrund drängt, während die akustischen Nummern subjektiv differenzierte Gefühlsszenarien entwerfen, die die sehr körperliche, aber gebrochene Intensität des alten Dylan vorwegnehmen. Selbst wenn in der Rolling Thunder Revue die Soloauftritte den elektrischen Teilen mit Band sängerisch durchweg überlegen sind, bleibt das Neue zu veranschlagen, welches Dylan im Kollektiv hervorbringt. Ich würde sagen: Hier gewinnt, im Prinzip wie Nashville Skyline, aber mittels ganz anderer Darstellungstypen, die Gegenwart physischer Affirmation eine dominante innovative Qualität. Was auf der 74er Tournee der Musik noch gewaltsam oktroyiert wurde, gibt der Rolling Thunder Revue eine unverwechselbare Farbe. Im Gegensatz zu allem, was den Dylan der Sixties ausgezeichnet hat, führt die Inszenierung von Kraft jetzt zu einem Kultus des ganz und gar Aktuellen, der zeitliche Spannungen hinwegfegt. Verstärkt wird dies dadurch, dass Sänger und Band wie ein in sich zusammengeschweißter Klangkörper agieren, der Möglichkeiten eines freien Wechselspiels seiner Teile zugunsten der sinnlichen Summierung ihrer Sounds reduziert. Dylans Singen hat etwas ungeheuer Mitreißendes an sich, eine Energie, die die komplizierten Brüchigkeiten des eigenen Organs raffiniert zurückhält, einklammert. Der Preis dafür ist der Verzicht der Stimme auf narrative Autonomie. Am deutlichsten merkt man das bei dem Song aus dieser Zeit, der von einer expliziten Geschichte ausgeht: „Hurricane“. Mehr als alle topical songs der Frühzeit ist dieses Stück durch eine direkte politische Funktion definiert: den Kampf um die Wiederaufnahme des Prozesses gegen den schwarzen Boxer Rubin Carter. Musikalisch ist es jedoch, wie manch anderes auf Desire, eher dünn, eine Popnummer, die so exotisch wie vital tönt (swingendes Äolisch, Mexikanerfidel, fetzige Drums), seine Message effektvoll positioniert, am Ende aber vom Material her einfach zu wenig Substanz hat, als dass die acht Minuten Spielzeit, die von der Textmasse erzwungen werden, nicht gut doppelt so lang wie nötig wirken. Dylan spürt dieses Manko und versucht in den Konzerten gegenzusteu-
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ern: indem er das Tempo anzieht, die agogische Spannung steigert und die Artikulation virtuos in immer weitere Partikel bricht. Letztlich aber gelingt es nicht, die Erzählung, die als politische in einem externen Anlass zündet, als eine eigenständige Dimension auch der stimmlichen Performance selbst zu präsentieren. Das Narrative bleibt ein Inhalt des Textes, ihm entspricht kein autonomes Darstellungsmoment der Stimme. Was Dylan sonst so über alle Maßen auszeichnet, der Sensus fürs Epische, für die im Singen widerklingende Zeit, kommt hier nicht zustande, weil der betont sportliche Habitus, mit dem der Sänger die drohende Monotonie des Ganzen aufzuhalten sucht, jedem Innehalten, jeder Zäsur entgegenarbeitet. Komposition wie Performance geraten gleichermaßen zu bravourös wie zu glatt, um ein musikalisches Erzählen, das seinen temporalen Namen verdiente, realisieren zu können. Anders Blood On The Tracks. Dort hält das kammermusikalische Für-sich-sein der Stimme zu der prophetischen, der meditativen wie der ekstatischen Ferne früherer Zeiten gleichermaßen Abstand. Stattdessen entfaltet es Figuren einer Intimität, die sich über Trennungs- und Verlusterfahrungen definiert und derart dem Aspekt des Narrativen erneut sich annähert. Wir haben eine biographische Lebenserzählung vor uns, auch wenn Dylan zu reflektiert vorgeht, als dass sich die geballte zeitliche und erotische Negativität, die seine Lyrics durchzieht, als Abbild der privaten Krise jener Jahre bestimmen ließe. Aber kein anderes Album lebt von einer solchen Aura des Intimen, Innerlichen. Die Texte entwerfen eine Dramaturgie des klagenden Rückblicks, der Gesang übt sich in der Kunst sublimer Zurückhaltung. Das Poem leckt Wunden und überhöht sie zugleich mithilfe mythischer und religiöser Bilder, während die Musik sich darüber ausschweigt und den Ausdruck von Leiden bestenfalls als diskreten Farbton zulässt. Blood On The Tracks ist das Dokument einer Trauer ohne Körper. Das verbindet dieses Album mit den Werken der 60er Jahre und trennt es zugleich von ihnen: Es verbindet, sofern die reduzierte Körperresonanz früher den Grundzug des Fremden, den Zeitcharakter dieser Stimme und dessen Distanz zu aktueller Ausdrucksinnerlichkeit entscheidend geprägt hat; es trennt, weil diese Distanz jetzt nicht mehr existiert. Das Körperferne von Dylans Gesang dient nunmehr weniger der Figuration eines Rätsels, welches aus der Gegenwart der Musik selbst herausfiele, als dem Aufbau eines Intérieur, dem ein fester und vergleichsweise enger Rahmen gesetzt ist. So bleiben die narrativen Elemente auf Blood On The Tracks eigentümlich begrenzt, mögen sie sängerisch auch noch so intensiv und nuanciert vorgetragen werden. Der Blick für Vergangenheit und Zukunft öffnet sich primär in einem lebensgeschichtlichen Sinne; zugleich geraten Dylans Versuche, seinem biographischen Leiden mittels Poesie zusätzlich etwas „Mythos“
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anzuschaffen (vor allem in „Idiot Wind“ und „Tangled Up In Blue“), etwas künstlich. Aus dem enigmatischen Abstand der Stimme, der seine Musik in den ersten Jahren so unverwechselbar wie unwiderstehlich machte, ist auf dem Album von 1975 ein Hang zu betont kunstvollen Bildern und Gebärden geworden, die die Spuren des eigenen Lebens kaschieren helfen sollen. 12 Mit den Basement Tapes (1967/75) und John Wesley Harding (1968) ist, wenn auch unscheinbar, etwas eingeleitet worden, das, so muss man aus heutiger Sicht sagen, wesentliche Elemente des Spätwerks vorwegnahm. Angesichts einer Popmusik, deren historische Moden und Trends sich nur so zu überstürzen und jede auch nur relative Sinndauer preiszugeben schienen, standen diese Alben für eine Intensität des Verweilens und Erinnerns, die zu allem kurzlebig Zeitgenössischen auf Distanz ging. Es hat noch gut zwanzig Jahre gedauert, bis „Vergangenheit“, „Erinnerung“ und „Archäologie“ als zentrale Prinzipien von Dylans Musik einer breiteren Öffentlichkeit ins Bewusstsein rückten. Ende der 90er Jahre war diese Kehre zwar durchweg akzeptiert, aber noch lange nicht verstanden. Für viele erweist sich der Gesangsstil des späten Dylan nach wie vor als besonders sperrig und missverständlich. Häufig spricht man von der „Zerstörtheit“ seiner Altersstimme, von ihrem Verlust an Höhe und der letzten melodiösen Fähigkeiten, dem Überhandnehmen einer akustischen Körpersprache, die sich gegen die Musik selbst richte. Uneingestanden oder nicht, solche Phrasen trauern den früheren Zeiten hinterher. Es heißt etwa, in den Sixties sei Dylan ein „Gott“ gewesen, heute höre man einen alten Mann. Andere schwören darauf, in den 70er Jahren, sei er „am jugendlichsten“ gewesen, habe „am meisten gepowert“, heute altere er zwar in Würde, aber die Kraft sei dahin. Bei solchen Aussagen geht es nicht oder nicht nur um Musik und Gesang, sondern um biographische und generationelle Identifikationen, um den praktischen Umgang mit Idealen von Jugend, Lebenskraft, Endlichkeit und Heldentum. Das hat sein Recht und ist bis zu einem gewissen Grad unvermeidbar. Jeder von uns tut sich schwer damit, lebensgeschichtlichen Fixierungen zu entkommen. Trotzdem bleibt eine Deutung des Dylanschen Spätwerks fragwürdig, die dieses der sogenannten biologischen Lebenskurve unterwirft. Solche Parteinahmen für Jugend und manifeste physische Kraft nehmen die Dimension der Narrativität, die doch im Spätwerk ihre Spitze er-
12 Ausgearbeitet und gegenüber dem entsprechenden Kapitel im Buch deutlich verändert findet sich meine Kritik an „Blood On The Tracks“ in: Klein 2007. 235
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reicht, überhaupt nicht oder nicht adäquat wahr. 13 Dass Dylan seit Ende der 90er Jahre zunehmend an einem Raum freier Erinnerung arbeitet, erscheint in dieser Sicht als konventionelles Spiel mit Reminiszenzen, das keiner wahren Aktualität von Rockmusik mehr entspreche. Aus seiner abgründigen Differenzierung im sängerischen Erzählen wird wenn nicht eine Schwäche des endlichen Körpers so doch eine der biographischen Person gemacht. Aber so stimmt das schwerlich. Bob Dylan ist kein Mick Jagger, der Stil, Aura und Bühnengestik einer vergangenen Zeit so perfekt wie möglich zu konservieren und Jungsein als lebenslangen Triumph der Adoleszenz über das Altern als solches vorzuführen sucht. Dylans Thema ist Zeit, Werden, Geschichte, und dies um so offener und ausdrücklicher, je älter er wird. Dass es Phasen gibt, in denen dieses Thema zurücktritt, gehört zur Logik der Sache. Narratives Singen ist kein Programm, das Dylan durchziehen könnte oder wollte. Es braucht die Abwege und Abweichungen von sich selbst. Auch in der langen Krise der 80er und frühen 90er Jahre sollte man die Spuren und Symptome von Dylans Kampf um die Geschichtlichkeit des eigenen Tuns erkennen. Wenn seine heutigen Konzerte von gar nicht wenigen als Verlust von Jugend und Power wahrgenommen werden, so zeigt das nur, wie fremd seine Orientierung an Zeit und Narrativität immer noch ist und wie sehr sie sich dem Widerstand gegen die etablierten Rockmusikkreise verdankt. Fraglos sind Sänger dem Alterungsprozess des Körpers direkter ausgesetzt als andere Musiker. Genau darum ist der Blick auf die Entwicklung von Dylans Gesang aber nicht an einer linearen Lebenszeit auszurichten, sondern auch an einer artistischen Natur, die sich (möglicherweise) gegen den Kräfteverlust der primären Physis stemmt. Vielleicht wird so erst fassbar, was die Rede vom Klassischen in diesem Zusammenhang sachlich meinen könnte, nämlich: keine Harmonie oder Ausgeglichenheit 13 Überaus typisch der Kommentar zu der 2002 erschienenen offiziellen CD der Rolling Thunder Revue (Bootleg Series 5) bei amazon.de: „Live war Dylan noch nie so gut gewesen, und später sollte er nie mehr so gut sein, das wusste man nur noch nicht. Danach setzte der bis heute anhaltende Prozess vokaler Brüchigkeit ein, was Dylan inzwischen geschickt mit Lässigkeit abfedert. Damals aber vibrierte er vor Energie. Er war weiß geschminkt, sang schneidend wie eine Motorsäge [...]. Hört euch „Isis“ an, und ihr wisst, wie ein aggressiver, arroganter Superstar auf dem Höhepunkt seiner Virilität klingen kann.“ Als Werturteil ist diese Feststellung dubios, phänomenologisch trifft sie etwas: Die „Brüchigkeit“ von Dylans Stimme tritt in der Tat auf der 75er Tournee und der von 1978 so stark zurück wie später nie mehr. Der Kojote gibt sich eine Karenzzeit. Dazu passt, dass dieser Gesangstyp nicht zur Karikatur taugt. Die nicht wenigen Dylankarikaturen jener Zeit (etwa von Lennon, Baez und Zappa) orientieren sich bezeichnenderweise an vokalen Eigentümlichkeiten der 60er Jahre. 236
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jenseits von Gut und Böse, sondern eine prekäre Balance, die den Extremen abgerungen ist: eine Klassizität mit dem Tod als Nachbar, wenn nicht als Untermieter im eigenen Haus (vg. Klein 2006, Kap. VI). Eindringlich lässt sich das an „Not Dark Yet“ von Fishkill, 10. August 2004, belegen. Auf Time Out Of Mind steht der Song ganz im Zeichen eines klanglichen Panoramas, das weder technische noch atmosphärische Härten kennt. Nicht erst in Fishkill macht Dylan sängerisch gegen diesen schönen Verfall Front, aber dort gelingt es ihm auf ganz besondere Weise. Ich kenne nur wenige Aufnahmen, wo sich der Mann so alt, so schwarz, aber auch so tierisch anhört wie hier. Tierisch durchaus im Sinne unseres Kojoten, nur dass sich dessen Funktion zwischenzeitlich gewandelt hat. Am Anfang stand sein Rauhes, sein Bellen, seine Animalität für etwas anderes als Form oder Ordnung. Es war ein der klassischen Gesangskultur, aber auch jedem apollinischen Gestaltungswillen entgegengesetztes Moment. Entsprechend nahm die Rede vom „Kojoten im Stacheldraht“ (Scaduto) Dylans Stimme als Medium eines Leidens, einer Verletztheit in den Blick, das allgemeine Anerkennung nicht besaß und keine andere Stimme hatte als die des Kojoten. Im August 2004 indes kann von einer in diesem Sinn exterritorialen Position nicht mehr die Rede sein. Agiert der Kojote dort doch keineswegs im Verborgenen und in Bezug auf einzelne Gebärden, sondern an vorderster Front und im Dienst des Ganzen. Sein Ausdrucksgebaren ist selbst zu einer Formgestalt geworden. Gebellt, gefaucht und geheult hat Dylan seit je. Aber erst in seiner Spätzeit gewinnen solche an sich desorganisierenden Elemente eine organisierende Qualität. Frappierend, wie der Sänger eine ganze Skala leiblicher Lautgesten in den expressiven Radius seiner Stimme einfügt und dann zum integrierenden Bestandteil der Form eines Songs macht. Manchmal stellt er allein mit dem Wie seines Ausatmens rhythmische Proportionen her. Sein Blasen setzt Akzente, das Bellen organisiert Abschnitte, und Fauchen bringt Kontraste zum einen wie zum anderen hervor. In „Not Dark Yet“ agiert die Stimme zum Teil abseits aller Musik. Ihr Klang steht im Raum wie ein vitales Brikett, aber wie eines, in das versprengte Elemente des Melodischen Einlass gefunden haben, als seien es Kostbarkeiten aus der Fremde, die man mehr ersehnt, als dass man über sie verfügen könnte. Erzählt wird keine Geschichte. Aber die Stimme klingt, als ob sie schon immer dagewesen wäre, von oder gar aus einer unvordenklichen Zeit berichtete. Die Faszination des Stücks liegt in seiner Verschränkung von Musikalischem und Musikfremdem. Dieses ist ein Faktor von jenem, umgekehrt gibt es weniges an der Musik, das sein Profil nicht aus dem Kontrast zum Körperklang des Sängers zöge. Ein tierähnliches Ausdrucksgeschehen wandelt sich zum intellektiven Gestaltungsspektrum,
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Verletztheit selbst wird zum Bindemittel. Dylans berühmter Satz „Wenn ein Bär heult, erzählt er wirklich was“ hat mehr Wahrheit, als seinem Urheber an Ort und Stelle im Sinn gewesen sein dürfte. Die Pointe liegt nicht allein darin, den Vergleich der eigenen Stimme mit Lauten eines Bären schlagfertig oder humorvoll anzunehmen, sondern mehr noch in der Verbindung, die damit generell zwischen Tiergeheul und Narrativität gezogen wird. Vielleicht sollte man nicht alles im Sinne von Leiden und Misshandlung auffassen. Die brüchig, rauh, verkratzt und beschädigt klingende Stimme Dylans mag von entsprechenden Ausdrucksgehalten voll sein, wichtiger ist aber noch, dass Erzählen hier prinzipiell auf den Bereich des Sprachlosen oder Sprachfernen, auf das, was im traditionellen Verstande gar keine Geschichte hat, bezogen wird. Zum sprachfernen narrativen Grundgeschehen tritt in Dylans Spätwerk ein zweites Moment: die Auseinandersetzung mit seinem Repertoire. Egal, wie weit die Eingriffe in der konkreten Songgestalt reichen, das Arbeiten an der eigenen Liedergeschichte impliziert einen eigenen erzählerischen Aspekt. Die offene Geschichtlichkeit, die dabei frei wird, ergänzt das narrative Grundgeschehen des Sprechsingens und kontrapunktiert es zugleich. Sie ergänzt es, sofern sie zeigt, dass das Narrative der Stimme nicht bloß durch eine Phänomenologie vokaler Merkmale bestimmbar ist, sondern je schon in einen Kontext gehört, der ein Bewusstsein der Geschichtlichkeit eines Songs erzwingt. Aber sie kontrapunktiert es auch, weil ein Freiraum entsteht, der aus dem nonverbalen Schacht, in den der Sänger gestiegen ist, wieder nach oben zum sprachlichen Sinn führt. Beschreibt man bloß, was in der Stimme, die die Sprache darstellt, für sich geschieht, bleibt man vom Banne der „zweihundert Jahre“ ihres imaginären Alters geschlagen. Das komplexe Darstellungsverhältnis dieser Effekte in Bezug auf die Musik fällt dann schlicht weg. Man verhält sich so, als ob es nicht da wäre. Die Stimme wird bloß noch als das Organ wahrgenommen, das singend von der Übermacht der Historie über das Jetzt zeugt und die Abgründe der eigenen Ton- und Geräuschproduktion als Signum des Immer-schon-gewesen-Seins darstellt. Das wird in dem Moment anders, wenn man sich klar macht, dass dieses Immer-schon-gewesen-Sein sich unter Bedingungen abspielt, die ständig neue Möglichkeiten der Abweichung, Variation und Umgestaltung erzeugen und auf der Autonomie der Präsenz eines Konzerts gegenüber welchen historischen Vorgaben auch immer bestehen. Tatsächlich wird bei Dylan die Übermacht der Zeit über das Jetzt dargestellt im Rahmen eines Jetzt, das seinerseits Distanz zu solcher Übermacht reklamiert. Historisch gesättigt ist es gerade, insofern es aus dem Vergangenen nicht ableitbar ist. Der junge Dylan vermochte diese Differenz von Jetzt und Zeit noch im Taumel einer apriorischen Erfahrung zu überlis-
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ten, die auf genial ahnender Sensibilität beruhte, aber von historischer Erinnerung schlicht noch nicht betroffen sein konnte. Was in jenen Jahren eine Antizipation leistete, die noch im Überfliegen der Dinge paradox in sich selbst zu ruhen schien, muß der späte Dylan durch wirkliche und oft mühe-, manchmal qualvolle Erzählarbeit einholen. Infolgedessen ist der geschichtliche Horizont der Musik, die er darzustellen weiß, aber viel reicher und differenzierter als in seiner Anfangszeit. Charakteristisch für ihn ist allerdings auch die Gefahr geworden, zum Revenant des eigenen Werks zu werden, sich krud faktisch als denjenigen zu geben, der immer schon da war. Während die Idee, die ihn antreibt und wahrhaft eine Utopie benennt, eine ganz andere ist: der Übermacht der Zeit in ihren verschiedenen Gestalten das ihre zu geben, um sich von ihr zu befreien. Die Faszination der Dylanschen Narrativität lebt von dieser Ambivalenz. Erst innerhalb des Grundrisses, der damit gezeichnet wird, erhalten die traditionellen musikalischen und poetischen Momente von Narration ihren Stellenwert. Sie treten hinzu, liefern Farbtupfer, aber sie sind nicht das Entscheidende.
Literatur Barthes, Roland (2002): Die Körnung der Stimme. Interviews 1962– 1980. Frankfurt a. M.: Suhrkamp. Ders. (1991): Der entgegenkommende und der stumpfe Sinn. Kritische Essays. Bd. III, Frankfurt a. M.: Suhrkamp. Dierks, Sonja (2007): Dylans Stimme. Am Beispiel Hard Rain. In: Honneth, Axel/Kemper, Peter/Klein, Richard (Hg.): Bob Dylan. Ein Kongreß. Frankfurt a. M. 2007: Suhrkamp. Ette, Wolfram (2007): Zeit bei Bob Dylan. Vom Frühwerk bis zur Gospelphase. In: Honneth, Axel/Kemper, Peter/Klein, Richard (Hg.): Bob Dylan. Ein Kongreß. Frankfurt a. M. 2007: Suhrkamp. Honneth, Axel (2007): Verwicklungen von Freiheit. Bob Dylan und seine Zeit. In: Ders./Kemper, Peter/Klein, Richard (Hg.): Bob Dylan. Ein Kongreß. Frankfurt a. M. 2007: Suhrkamp. Klein, Richard (2007): Blood On The Tracks. Bob Dylans Ort in den 1970er Jahren. In: Kreuzer, Johann/Mohr, Georg (Hg.): Der Sinn des Hörens. Würzburg: Königshausen & Neumann. Ders. (2006): My Name It Is Nothin’. Bob Dylan: nicht Pop, nicht Kunst. Berlin: Lukas. Marcus, Greil (2005): Ich spiele mit der Imagination. Ein Gespräch über amerikanische Mythen und in Folksongs gespeicherte Erinnerung. In: TAZ, 13. Juni.
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ORCHIDEE ADE: ANGEWANDTE MUSIKWISSENSCHAFT INNOVATIONSFORSCHUNG FÜR DIE MUSIKWIRTSCHAFT
ALS
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Einleitung: Musikwissenschaft als PopMusicology Popmusik ist ein Industrieprodukt. Das Erzeugnis wird unter betriebswirtschaftlichen Aspekten vorwiegend von Großkonzernen erdacht, konzipiert, hergestellt, vermarktet und vertrieben. Das ist heute so und war früher, zur Zeit des Rock’n’Roll oder der Beatles, letztlich nicht anders. Musikwissenschaft ist als „Wissenschaft von Musik“ die Disziplin, die sich maßgeblich mit diesen Produkten beschäftigt. Sie ist – wenn sie sich überhaupt mit aktuellen popmusikalischen Erscheinungen auseinander setzt – i. d. R. kulturwissenschaftlich ausgerichtet. Forschung und Forschungsgegenstand weisen daher zum Teil deutliche Diskrepanzen auf, sodass das derzeitige Verhältnis zwischen Musik-/Medienwirtschaft und Musikwissenschaft als distanziert zu beschreiben ist. Dieser Beitrag analysiert die Situation der popmusikalisch ausgerichteten Systematischen Musikwissenschaft in Deutschland und stellt ihr bislang weitgehend unerschlossenes potentielles Anwendungsfeld als Innovationsforschung für die Musik- und Medienwirtschaft vor. Dies geschieht anhand von Beispielen betreffend die aktuelle Situation des Musikmarkts und mittels der Darstellung der Vorteile, Möglichkeiten und Erkenntnisgewinne, die sich aus der Nutzung eines erweiterten musikwissenschaftlichen Ansatzes ergeben können. Musikwissenschaft gilt seit jeher als „Orchideenfach“, als praxisferne Diszplin der Schöngeister mit wenigen Anwendungsfeldern. Historische Musikwissenschaft ist nach eigenem Verständnis primär Geschichtswissenschaft und als solche ausschließlich auf die Bewahrung und Erforschung der abendländischen Kunstmusikgeschichte ausgerichtet. Ihre Praxis-Relevanz liegt deshalb vorrangig in der Bereitstellung von kriti241
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schen Notentextausgaben, von Erkenntnissen zur historischen Aufführungspraxis sowie in dem daraus resultierenden Einfluss auf das Hochkulturleben. Die Wahrnehmung von Musikwissenschaft als Geschichtswissenschaft dominiert auch heute noch das gesellschaftliche Bild. Systematische Musikwissenschaft vereint drei konkurrierende Ausrichtungen, namentlich x den naturwissenschaftlich-psychologischen Zweig, der akustische Erscheinungen und kognitive Rezeptionsvorgänge untersucht, x die Musikethnologie, die sich mit der Erforschung außereuropäischer Musik beschäftigt und x die Musiksoziologie, die die Entstehung und Rezeption von Musik im sozialen und soziologischen Kontext betrachtet – und die mittels dieses Blickwinkels Popularmusikforschung betreibt. Dem Forschungsgegenstand Popmusik, der das Musikleben seit mehreren Generationen weltweit maßgeblich bestimmt, sind in Deutschland relativ gesehen nur wenige Lehrstühle zugeordnet. Ausnahmen wie das Forschungszentrum Populäre Musik an der Humboldt Universität zu Berlin bestätigen hier die Regel. Unabhängig davon, ob das historische, ethnologische, naturwissenschaftliche oder soziologische Forschungsinteresse im Fokus steht, es geht dem Geisteswissenschaftler vorrangig um das Verständnis des Kulturguts Musik.
Einbezug neuer Perspektiven: Angewandte Musikwissenschaft Systematische Musikwissenschaft geht oft vom Rezipienten des Kulturguts aus: Soziologische und psychologische Forschungen, Genderstudies, Publikumsbefragungen etc. machen das deutlich. Doch die Musik existiert zu diesem Zeitpunkt längst: Eine Gruppe von Menschen hat das Stück komponiert, getextet, gesungen, aufgenommen, gemastered, lizensiert, auf CD gepresst, vermarktet und vertrieben. Der Produktionsprozess, der das Produkt-Resultat stark beeinflusst, ist zu diesem Zeitpunkt längst abgeschlossen. Viele Menschen haben bereits an das Lied geglaubt und in das Projekt investiert – lange Zeit, bevor der Song das analysierte Publikum erreicht. Allzu leicht gerät in der Forschung aus dem Blick, dass Musik selbstverständlich zunächst ein Wirtschaftsgut ist. Menschen, die einen Musik- oder Musikerberuf ergreifen, wollen und müssen damit Geld, d. h. ihren Lebensunterhalt verdienen. Dies ist dem Musikwissenschaftler zwar bewusst, doch seine Perspektive bleibt meist die des Kulturwissen242
Orchidee ade: Angewandte Musikwissenschaft als Innovationsforschung …
schaftlers. Dieser weiß zwar um die Notwendigkeit und Unvermeidlichkeit des zu erwirtschaftenden finanziellen Mehrwerts, ist aber eigentlich der Auffassung, dass (Pop-)Kunst in erster Linie um ihrer selbst willen kreiert, produziert und vertrieben werden sollte. Entsprechend gering sind die Bereitschaft und Motivation, ökonomischen Aspekten in der Forschung explizit Rechnung zu tragen. In diesem Widerspruch befindet sich quasi jegliche popmusikalische Forschung seit den Anfängen der PopMusicology. Doch diese Perspektive verkennt, dass jede veröffentlichte Musik kommerziell ist – auch qualitativ hochwertige Musik für den Massenoder Nischenmarkt. Manche CD mag mit genauerem Blick auf die Zielgruppe hergestellt sein als andere. Doch im Prinzip ist jede Musik ein Produkt, mit dem Mehrwert erzielt werden soll, kann und muss. 1 Nun könnte man diese musikwissenschaftliche Ausblendung ökonomischer Sachzwänge als „weltfremd“ brandmarken, aber das trifft nicht den Punkt: Musikwissenschaft – und damit sind sämtliche Fachausrichtungen eingeschlossen – hat die gesellschaftliche und kulturelle Aufgabe, Musik und Musikkultur in ihrem Kern zu verstehen, zu erforschen und die Ergebnisse allgemein verwertbar und für die Gesellschaft verständlich aufzubereiten. Dieser Aufgabe wird sie jedoch nicht gerecht, wenn sie ausgerechnet den Wirtschaftskreislauf (sowie die musikrechtliche Perspektive) weitgehend ausblendet. Wie soll der Forscher einen Musikact 2 umfassend und einen Popmusikstil adäquat verstehen, wenn er den Entstehungsrahmen lediglich partiell in die wissenschaftlichen Überlegungen und Abwägungen einbezieht? Ein Wirtschaftsgut kann nur in seiner Ganzheit verstanden werden, wenn es auch als solches aufgefasst wird. Daher besteht die wissenschaftliche Notwendigkeit, diese ökonomische Komponente bzw. den Bezugsrahmen der Entstehung stärker in die Analyse und Forschung zu integrieren. Neben der wissenschaftlichen Erfordernis ergeben sich auch praktische Notwendigkeiten: x Musikwissenschaft ist, wie viele andere Fachbereiche auch, stark auf die Ausbildung und Förderung von wissenschaftlichem Nachwuchs ausgerichtet. Doch die meisten Studenten der kultur- und geisteswissenschaftlich bestimmten Musikwissenschaft sind nachfolgend im Berufsleben in der Musik- und Medienwirtschaft tätig. Beim Be1
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In diesem Zusammenhang weist Peter Wicke darauf hin, dass die „beliebte Unterscheidung von Musikformen nach ihrem Kommerzialisierungsgrad nicht den geringsten Sinn [macht], weil eine mehr oder weniger große Distanz zu diesen Zusammenhängen nicht möglich ist“ (Wicke 1993). Der Begriff „Act“ umfasst sowohl den Einzelinterpreten als auch die Band. 243
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rufseintritt erleben sie regelmäßig – stärker als viele andere Berufsanfänger – den Realitätsschock musikwirtschaftlicher Wirklichkeit. Mit Einführung der Bachelor- und Masterstudiengänge und der damit verbundenen Zurückdrängung des Humboldt-geprägten UniversitätsBildes ist es mehr denn je erforderlich, Studenten möglichst praktisch verwertbares Wissen und Know-how mit auf den Weg zu geben. Vor rund zehn Jahren haben Musikwissenschaftler, die nicht in der Forschung blieben, noch relativ leicht eine Vollzeitstelle in der Tonträgerindustrie erhalten. Dies ist heute aus diversen Gründen schwieriger. Ein wichtiger Grund ist, dass sich in der gesamten Musikbranche die Zusammensetzung der Belegschaft sowie die Unternehmensphilosophie und Firmenpolitik verändert haben: Musikwissenschaftler sind nach Studienabschluss in der Kulturlandschaft von Kulturmanagern umgeben sowie in der Tonträger-, Musik- und Medienwirtschaft von Betriebswirten, Medienmanagern und Juristen. x Der stärkere Fokus auf musikwirtschaftliche Aspekte nähert daher den Musikwissenschaftler an zukünftige Arbeitsfelder an – und macht ihn konkurrenzfähiger. Letztlich wirkt eine positive Karriere-/ Erfolgs-Quote der Absolventen auf das ganze Fach und seine Budgetierung zurück. Und das ist in seinem Interesse, denn: x Musikwissenschaft steht gegenwärtig unter dem Zwang, ihre Daseinsberechtigung nachzuweisen. In den letzten Jahren wurden im Zuge der desolaten Finanzlage der deutschen Universitäten und im Zusammenhang mit den Hochschulreformen die Etats der fachbezogenen Institute und Bibliotheken, die Zahl der Lehrstühle und die Vergabemöglichkeiten von Lehraufträgen zur Vermittlung und Generierung von aktuellem Forschungswissen zum Teil drastisch eingeschränkt. Als Angewandte Musikwissenschaft besetzte das Fach neue praxisorientierte Felder. Im Idealfall lieferte sie dann die Fakten, aus denen auch der potentielle große Informationsabnehmer und StudienAuftraggeber, die Musikwirtschaft, Nutzen ziehen könnte – und wäre in dieser Flucht nach vorn mit einem innovativen Image belegt und dem Zugriff des alljährlichen Budgetabbaus vermehrt entzogen. Tatsächlich gibt es die Anwendungsfelder längst – und diese möchte ich im Folgenden kurz darstellen: So meldete im April 2006 die Branchenfachzeitschrift Der Musikmarkt beispielsweise die Veröffentlichung einer wissenschaftlichen Studie über die Situation der Independent Labels im Anbruch des digitalen Zeitalters in Deutschland. Diese universitäre Forschungsarbeit mit dem Titel „Wachstum gegen den Trend“ ist auf die Bedürfnisse der Tonträgerindustrie zugeschnitten – und die Ergebnisse der Studie wurden vom Multiplikator Musikmarkt direkt der Zielgruppe zugänglich gemacht. Dies ist Angewandte Musikwissenschaft – handelt
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es sich doch um einen Beitrag zur Innovationsforschung für die Musikwirtschaft, die von einem Musikwissenschaftler stammen könnte, bedauerlicherweise aber nicht von einem solchen stammt. Der Autor der Studie, Christian Hanke, besitzt einen „M. A. in Science, Technology and Society“ und ist am Centre for British Studies der Humboldt Universität zu Berlin tätig. Auch in den Medienwissenschaften nehmen musikorientierte Themen einen beträchtlichen Raum ein. Beispielsweise lieferte der Medienmanager Marcel Drews mit der quantitativen Studie „Ich sing ein deutsches Lied“ (2005) einen relevanten wissenschaftlichen Beitrag zur Diskussion um die Einführung einer Radioquote in Deutschland. Prominent besetzte Ringvorlesungen zum aktuellen Musikmarkt gehören z. B. am Institut für Journalistik und Kommunikationsforschung (IJK) Hannover ebenso zum Lehrplan dazu wie Seminare über „Popmusik und Markentechnik“. Auch Studiengänge wie Marketingmanagement haben das Thema „Krisenbewältigung in der Musikwirtschaft“ für sich entdeckt. Unlängst ist die wegweisende Dissertation von Marcel Engh „Popstars als Marke“ (2006) erschienen. Hier wird die Markentheorie von Meffert und Burmann als identitätsorientiertes Markenmanagement zur Entwicklung einer Alternative zum bisherigen Geschäftsmodell auf die Tonträgerwirtschaft übertragen. Einzig die Komplexität und Abstraktheit der Theorieorientierten Studie verhindert die direkte Umsetzung durch die Musikwirtschaft. Hier wäre eine anwendungsbetonte Auswertung der Erkenntnisse mit konkreten Aussagen zur Markenführung angezeigt, wie Alexander Deichsel sie in seiner Markensoziologie anbietet. Tatsächlich sind die Ansätze dieser wichtigen Studien dem wissenschaftlichen Instrumentarium der „Bindestrich-Wissenschaft“ 3 Musikwissenschaft keineswegs fremd, d. h. die Themen sind grundsätzlich auch von Musikwissenschaftlern zu bewältigen. Doch das Feld zur Erforschung praxisorientierter Popmusikthemen wird derzeit meist (noch) anderen überlassen. Blick über den Tellerrand: Musikwirtschaft in der Krise Dabei gäbe es viel zu tun für eine Anwandte Musikwissenschaft als wissenschaftlicher Background der deutschen Tonträgerwirtschaft. Diese befindet sich seit etwa zehn Jahren in einer existentiellen Krise aufgrund 3
Bindestrich-Wissenschaft meint hier die Zusammenfügung des Begriffs Musik mit der jeweiligen wissenschaftlichen Disziplin, z. B. Musik-Soziologie. 245
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der Auflösungserscheinungen ihres bisherigen Geschäftsmodells: des Verkaufs von physischen Tonträgern über den Handel. Die Musikwirtschaft hat infolgedessen aktuell grundsätzlich erheblichen Bedarf an Analyse, Beratung, Changemanagement sowie versierten zukunftsorientierten Absolventen und Spezialisten der branchennahen Studiengänge. Seit neun Jahren in Folge bricht der Umsatz der deutschen Tonträgerwirtschaft jährlich teilweise zweistellig ein. In diesem Zeitraum hat der Markt etwa 40 Prozent an Volumen verloren. Dies bedeutet vereinfacht: Wo früher 100 CDs verkauft wurden, sind es nun nur noch ca. 60. In vergleichbarer Größenordnung verzeichnet die Branche Arbeitsplatzverluste – auch unter den Künstlern, deren Verträge vielfach vorzeitig gekündigt wurden. Umsätze der deutschen Tonträgerindustrie 1996 und 2005 3000
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in Mio. Euro
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Anzahl der Beschäftigten der Tonträgerhersteller 1996 und 2005 16000 14000
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Anzahl
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Eigene Darstellung, Zahlen beziehen sich auf die sog. Verbandsstatistik und sind dem Jahrbuch 2006 der Phonographischen Wirtschaft entnommen (S. 11 u. 22).
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Betroffen von der Krise sind alle Glieder der Verwertungskette. In der Industrie lähmt die Sorge um den Arbeitsplatz jede Risikobereitschaft. Ein Produktmanager erledigt heute oftmals die Arbeit, die noch vor fünf Jahren drei Mitarbeiter beschäftigte. Der Handel verzeichnet seinerseits schrumpfende Verkaufsflächen. CD-Läden mit Vollsortiment sind in Deutschland selten geworden – mit der Folge, dass für Acts abseits des Mainstreams mangels Endverbraucher-Convenience kaum mehr eine physische Verkaufs-Plattform existiert. Damit ist eine existenzbedrohende und auch kulturell unerwünschte Abwärtsspirale entstanden. Der Bundesverband der Phonographischen Wirtschaft, der u. a. die großen Tonträgerunternehmen vertritt, macht auch heute noch maßgeblich die illegalen Peer-to-Peer-Tauschbörsen (im Folgenden P2P) und das Brennen von CDs für die Umsatzeinbrüche, d. h. letztlich die potentielle Kundschaft für die Misere verantwortlich. Gleichwohl die Analyse zu einem guten Teil zutreffend und durch diverse sog. Brennerstudien belegt ist, greift diese Argumentation zu kurz. Es ist an dieser Stelle hervorzuheben, dass trotz ähnlicher technischer Voraussetzungen im betreffenden Zeitraum kein anderer bedeutender westlicher Tonträgermarkt in vergleichbarer Dimension eingebrochen ist. Die britische Musikindustrie befindet sich nach Auskunft ihres Verbandes British Phongraphic Industry Ltd. gegenwärtig in einem Sieben-Jahres-Hoch (vgl. BPI 2006). Den Märkten Frankreichs und der USA ist gemeinsam, dass der Abwärtstrend später einsetzte und aufgrund ebenfalls zu verzeichnender positiver Nachrichten und Trends weniger unumkehrbar und existenzbedrohend erscheint. Dies bedeutet, dass P2P und bespielbare CDs nicht zwangsläufig zu derart dramatischen Umsatzverlusten führen. Aus Sicht der Angewandten Musikwissenschaft ist daher die Frage aufzuwerfen, welche Eigenheiten den deutschen Musikmarkt besonders anfällig für P2P und CD-Brennerei machen. Bei der Analyse der Eigenheiten des deutschen Musikmarktes stechen besonders die hiesige Konzentration auf den „schnellen Hit“ und die heutige audiovisuelle mediale Vermittlung von Musik hervor.
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Konzentration auf den „schnellen Hit“ Seit Mitte der 1960er Jahre nimmt die Single im Musikgeschäft eine „Trailer-Funktion“ für das eigentliche wertschöpfende Produkt, das Album, ein. Getragen wird das Medium „Album“ von den Marken der Musikindustrie, d. h. den internationalen und nationalen Stars. Als Erfahrung gilt: Stars verkaufen Alben, Sternchen vorwiegend Singles. Album-Erfolge von Stars finanzieren letztlich sämtliche Flops mit – etwa 80 Prozent der Erzeugnisse. Die wirtschaftliche Abhängigkeit von der Karriereentwicklung der wenigen großen Stars ist daher gewaltig. Mit dem Niedergang des deutschen Schlagers Ende der 1970er Jahre verlor die deutsche Tonträgerindustrie ihr ureigenes „Domestic Product“ 4 . Nachfolgend verdeckte der CD-Verkaufs-Boom ab Mitte der 1980er Jahre das ungelöste Problem der deutschen Tonträgerfirmen: das Fehlen eines systematischen Künstleraufbaus zur Etablierung von Album verkaufenden Acts. Die Gründung von VIVA durch die hiesigen Tonträgerfirmen markierte 1993 einen Schritt in die richtige Richtung, bot dieser Sender den Firmen eigentlich eine Medien-Plattform zur Überwindung der „inhaltlichen Lücke“. Das VIVA-Management drehte jedoch bereits kurz nach erfolgreichem Sendestart den Spieß um und setzte mit Techno/Dance auf neue, vom Rundfunk ignorierte Musikstile – und nahm die Tonträgerfirmen ins Schlepptau. Techno/Dance bedeutet(e) Single-Produkte ohne hohes Studio- und Marketing-Investment und ohne langwierigen riskanten Künstleraufbau. Zur Hit-Optimierung wurde in den 1990er Jahren vorrangig auf die Produktion von Coverversionen gesetzt, da unbekannte Projekte zur Vermarktung einen Hook („Aufhänger“) benötigen: „It’s The Cover – Not The DJ“. Die Folgen sind unüberhörbar: Gegenwärtig befinden wir uns im Jahre 11 einer Veröffentlichungsflut von Coverversionen, die einer systematischen Auswertung des gesamten Hit-Backkatalogs der Rock/PopMusikgeschichte gleichkommt. Alles in allem ist in Deutschland seit 1996 durchschnittlich jeder fünfte aktuelle Single-Hit eine Coverversion (vgl. Pendzich 2004, S. 319 ff.). Der Coverversionen-Anteil hat sich damit seit 1985 mehr als verdreifacht.
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„Domestic Product“ ist im Unterschied zum „International Product“ ein Act, der im betreffenden Markt entwickelt wurde und/oder unter Vertrag steht. Auch Tonträger wie z. B. Compilations werden entsprechend bezeichnet.
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5 0 '80 '81 '82 '83 '84 '85 '86 '87 '88 '89 '90 '91 '92 '93 '94 '95 '96 '97 '98 '99 '00 '01 '02 '03 '04
Eigene Darstellung. Anzahl der Coverversionen unter den jährlich 200 meistverkauften Singles von 1980 bis 2004 in Deutschland (Grafik basiert auf Pendzich 2004, S. 319)
Neben der quantitativen ist auch eine qualitative Verschiebung festzustellen – von Coverversionen als „Erst-Hits“ hin zu Secondhand-Hits 5 . Die Zunahme von Coverversionen ist international zu verzeichnen, als Folge von studiotechnischen und ästhetischen Neuerungen. Doch ein HitRecycling in genannter Dimension ist allein dem deutschen Musikmarkt eigen. Album-Produktionen waren und sind für derartige One-Hit-WonderProjekte gar nicht mehr vorgesehen. Ihre Produkte wurden wenige Wochen nach Veröffentlichung über Hit-Compilations wie z. B. „BravoHits“ erstverwertet. Diese Praxis ist eine endemische Erscheinung des deutschen Musikmarktes, d. h. auf sämtlichen anderen großen westlichen Märkten kommt Hit-Compilations keine herausragende Bedeutung zu. Auf den Punkt gebracht markiert die hier illustrierte Prioritätensetzung den Versuch, den Faktor Mensch/Künstler als störendes, weil mit Risiken verbundenes Element aus dem Musikbusiness zu eliminieren. Dies ging so lange gut, bis die jugendliche Zielgruppe mit P2P und bespielbaren CDs gleich mehrere Alternativen hatte, um die „Tagesware von der DJ-Stange“ ohne Griff ins Portemonnaie zu erhalten: HitCompilations gerieten zu besonders beliebten Brenn-Objekten. Denn der Vorteil einer Hit-Compilation ist zugleich ihr Nachteil: Die hochaktuelle, teuer erworbene Tagesware von heute ist der Ladenhüter bzw. Staubfän5
Der Begriff „Secondhand-Hits“ bezeichnet Songs, die bereits zuvor in einer anderen Aufnahme ein Hit waren und deren Hit-Promotion sich auf diesen Fakt und auf die Popularität der Vorlage stützen kann. 249
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ger von morgen: Hit-Compilations schaffen keine Intensivkäuferschaft und keine emotionale Fan-Bindung. Das Fehlen von Intensivkäufern und Fans ist ein wichtiger Grund, weshalb der deutsche Musikmarkt so krisenanfällig ist und Umsatzeinbrüche in Rekordhöhe verzeichnet. So ging dann auch ein Raunen durch die Musikbranche, als inmitten zweistelliger Umsatzverluste Herbert Grönemeyer 2002 von seinem Album „Mensch“ innerhalb weniger Wochen mehr als 2,5 Mio Exemplare verkaufte. Seit Heintjes „Mama“ (1968) waren solche Zahlen nicht mehr erreicht worden. Daraus ist zu schließen, dass Grönemeyers CD auch von vielen Kunden erworben wurde, die sie hätten brennen können: Das an einen Star gekoppelte und mit Fan-Bindung versehende Markenprodukt war es dem Kunden wert, für rund € 18.- käuflich erworben zu werden. Das Hit-Recycling auf dem deutschen Musikmarkt ist, gepaart mit der wirtschaftlichen Krise, letztlich eine gigantische Seifenblase: Einerseits gab und gibt es in den Charts mehr Coverversionen denn je, andererseits verkauft sich jede einzelne aufgrund der Marktübersättigung immer weniger. Und seit dem Single-Markteinbruch stehen hinter den vermeintlichen Chart-Erfolgen letztlich keine entsprechenden Verkaufszahlen mehr. Im Zuge der Krise der Werbe- und Musikbranche geriet auch das vormalige Vorzeigeprojekt „VIVA“ um 2002 ins Straucheln. Mit dem faktischen Ende des Systems VIVA 2004 schwand auch die Dominanz von Dance. In der Folge ist der Anteil von Coverversionen – auf hohem Niveau – leicht gesunken.
Heutige audiovisuelle mediale Vermittlung von Musik Über die Playlist von MTV und VIVA entscheidet sich seit Mitte der 1990er Jahre – im Wechselspiel mit dem Käufer und Konsumenten – weitgehend die Gestaltung der deutschen Single-Charts. Diese Rolle hatte der Rundfunk mit einer ungleich größeren Anzahl verschiedener Programme noch in den 1980er Jahren inne. Die öffentlich-rechtlichen Anstalten sind in die Zwickmühle geraten, Quote zu erzielen, um nicht in die Diskussion um die GEZ-Gebühren zu geraten. Letztlich hat sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk dem vermeintlichen Druck der privaten Radiosender gebeugt, das eigene Programm weitgehend formatiert 6 und den privaten Sendern angeglichen – 6
Mit Einführung des dualen Rundfunksystems kam auch das Formatradio – zunächst bei den privaten Sendern, dann auch bei den öffentlich-rechtlichen Radioprogrammen – in Deutschland auf. Dahinter verbirgt sich maßgeblich der Gedanke und Ansatz, dass der betreffende Radiosender zu jeder Tages-
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und geriet mangels Unterscheidbarkeit in genau die Kritik und Diskussion, die vermieden werden sollte. Der ehemalige Polydor-Produktmanager und heutige Consultant Holger Müßener bemerkt dazu: „Als wir noch nicht das Formatradio hatten, waren Radio-Moderatoren nicht ausschließlich Ansager, sondern Gestalter von Sendungen wie z. B. dem NDR Club. Die hatten ein eigenes Profil und wollten dabei auch sich selbst promoten, indem sie z. B. als Erste ein Musikstück entdeckten und dem Hörer als etwas Besonderes nahe brachten. Das besteht heute nicht mehr. Heute ist Formatradio eine bloße Ummantelung, um Hörer für die Werbezeit zu generieren.“ (Müßener in Pendzich 2004, S. 407)
Die Zeiten, in denen Rundfunk-Moderatoren Einfluss auf die Playlist hatten, sind um 1990 zu Ende gegangen. Radiomoderatoren waren die Multiplikatoren, an denen die Musikindustrie nicht vorbeikam: Was dieser Gruppe von Mittlern nicht gefiel, hatte nur wenig Chancen zum Hit zu werden. Mit dem Verlust dieses „Filters“ der gestaltenden Radiomoderatoren ist der Musikindustrie das Korrektiv abhanden gekommen, welches für eine verstärkte Nachhaltigkeit im Umgang mit Stars sorgte. Die heutigen „Chart-Abspielstationen“, bei denen das Format alles und der Moderator nur wenig zählt, sind aus Sicht des Musikmarketings unattraktiv. Es ist zudem bedenklich, dass Mainstream-Radiosender selbst kaum Impulse setzen und Hits breaken 7 . Sie nehmen neuartig klingende Stücke oft erst dann ins Programm auf, wenn es sich aufgrund der Chart-Position nicht mehr vermeiden lässt. Das Airplay 8 der letzten 10 Jahre z. B. von Rosenstolz oder 2raumwohnung steht in keinem Verhältnis zu deren Popularität und zu ihren Verkaufszahlen. Die Bedeutung und Macht von MTV und VIVA korreliert mit der strukturellen Schwäche insbesondere des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Der Industrie stehen zwei zentrale TV-Plattformen statt vieler dezentraler Rundfunksender zur Verfügung. Doch MTV und VIVA nehmen jeweils wöchentlich lediglich etwa acht Titel aus den Industrievorschlägen ins Programm auf. Musikfernsehen ist das Nadelöhr, das eine Rock/Pop-Single zu passieren hat, um überhaupt eine Hit-Chance zu ha-
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zeit vom Hörer sofort erkannt werden, d. h. keinerlei Irritationen hervorrufen soll. Zu diesem Zweck ist das Programm im Gegensatz zum vor 1990 bei den öffentlich-rechtlichen Sendern vorherrschenden Magazin-Radio streng zyklisch eingeteilt. Die Sendung von Musik überwiegt den Wortanteil um ein Vielfaches und wird vom Computer anhand einer Reihe von Zielgruppen-orientierten Variablen ausgesucht. „Breaken“ (von „Chartbreak“) ist ein Branchenbegriff für den Eintritt einer Single oder eines Albums in die Hitparade. Der Begriff „Airplay“ umschreibt den Vorgang, dass ein Song von Radiosendern gespielt wird. 251
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ben. Mit einem Nadelöhr ist aber der Musikindustrie nicht gedient: VIVA wurde – wie erwähnt – ursprünglich mit dem Ziel gegründet, ein erweitertes Forum für die eigenen Produktionen zu schaffen. Die Industrie war und ist dennoch dringend auf Musik-TV angewiesen: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk geriet im Zuge der starken Formatisierung zur Zielgruppen-gefilterten passiven Abspielstation von Charts, die andere bestimmen. Das bedeutet: Selbst wenn die Industrie mehr Künstleraufbau betreiben würde, stünde ihr für diese Acts derzeit keine angemessene Rundfunk-Plattform zur Verfügung.
Ein Thema - verschiedene Blickwinkel Mit dieser an musikindustriellen Gesichtspunkten orientierten Analyse erhält die Diskussion um die Gründe für einen für P2P und CD-Brennerei besonders anfälligen deutschen Musikmarkt eine ganze Reihe neuer Aspekte. Ähnliches gilt für die hier mitschwingende Frage nach den Gründen für die enorme Produktion von Coverversionen. Die Gründe für das heutige, allumfassende Hit-Recycling in den internationalen Charts sind aus kulturwissenschaftlicher Perspektive vielschichtig und eng miteinander verwoben: x Postmoderne (Retro-)Tendenzen bzw. der Zeitgeist, x eine durch technische Möglichkeiten niedrigere Einstiegshürde für das Musikproduzieren, x ein neuartiger kreativer Zugang zu Musik und die daraus resultierenden Musikstile Techno/Dance und HipHop sowie x die eine Eigendynamik erzeugenden ersten Coverversionen-Erfolge wie Marushas „Somewhere Over The Rainbow“ (1994) und „Gangsta’s Paradise“ von Coolio (1995) tragen zu der Coverversionen-Flut seit den 1990er Jahren bei. Die Analyse ist zulässig und zutreffend – aber nicht ausreichend. Die Mechanismen, die im Zusammenhang mit Hit-Recycling ineinander greifen, sind – wie im vorherigen Abschnitt gezeigt – erheblich komplexer und bedürfen der ökonomisch und industriell orientierten musikwissenschaftlichen Analyse. Weitere Beispiele einer zu eingeschränkt wirkenden, wissenschaftlich nicht ausreichenden kulturwissenschaftlichen Perspektive lassen sich anfügen: x Allgemein gilt die Neue Deutsche Welle (im Folgenden: NDW) in den 1980er Jahren als eine Independent- und Underground-Er-
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scheinung, die sich als so beliebt erwies, dass die Major Companys diesen Trend aufgriffen und kommerziell ausnutzten: Letztlich fegte die NDW die bis dahin „heile“ Schlagerwelt hinweg. Dieser Sichtweise fehlt eine entscheidende Komponente: Der deutsche Schlager hatte bereits seit Mitte/Ende der 1970er Jahre wirtschaftlich gesehen dramatisch an Boden verloren. Große Hits gelangen selbst damaligen Protagonisten wie Jürgen Drews und Howard Carpendale fast nur noch in Form von Sprachversionen, die mittels einer TrittbrettfahrerStrategie im Zuge eines hiesigen aktuellen englischsprachigen Hits aufgenommen wurden. Der deutsche Schlager war bereits ab Mitte der 1960er Jahre zu einer zunehmend generationsspezifischen Erscheinung geworden. Dieser Abstieg traf die komplett auf Schlager ausgerichtete deutsche Tonträgerindustrie empfindlich. Letztlich handelte es sich um den Verlust des einzigen Domestic Products, sodass die deutsche Tonträgerwirtschaft immer mehr zur bloßen Vertriebsabteilung für internationale Produkte der Mutterkonzerne wurde. NDW war bis 1981 nicht derart populär, dass sie nicht auch hätte ignoriert werden können; doch die Industrie brauchte diesen neuen Stil zur Belebung des Marktes und zur Erschließung neuer Zielgruppen. NDW zerstörte in diesem Sinne nicht den Schlager. Ihre Existenz dokumentierte vielmehr, dass der Schlager ein Relikt der Vergangenheit war. Das Aufkommen der Mode des deutschsprachigen Pop/Rocks seit 2004 kann kulturwissenschaftlich als „neues Selbstbewusstsein“ im Umgang mit der eigenen Sprache und Gesellschaft und als Ausdruck des Bedürfnisses nach Authentizität gedeutet werden. Aus musikwirtschaftlicher Sicht ist dieser Sichtweise hinzuzufügen, dass 2001 mit reiner One-Hit-Wonder-Politik (s. o.) vor dem Hintergrund des Einbruchs des Single-Markts und Single-orientierten Dance-Geschäfts keine zufriedenstellenden Umsätze mehr generiert werden konnten. Die Mode „deutschsprachiger Pop/Rock“ bringt mit Bands wie z. B. Silbermond oder Juli wieder Album-tragende Bands hervor. Das ist gut so, jedoch sind in der Branche keine grundlegenden Strukturveränderungen oder firmenpolitische Neuausrichtungen zu beobachten, sodass es sich bisher lediglich um eine Gegenbewegung zum Dance und eine möglicherweise vorübergehende Mode handelt.
Die Beispiele „Fehlender Künstleraufbau und mangelnde Medienplattformen als Ursache der Krisenanfälligkeit des deutschen Musikmarktes“, „Neue Deutsche Welle als Folge des Niedergangs des deutschen Schlagers“ und „Musikwirtschaftliche Aspekte der Mode der deutschsprachigen Rock/Pop-Musik“ verdeutlichen, wie sehr die kultur- und musikwirt-
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schaftlichen Perspektiven sowie der Erkenntnisgewinn differieren. Jede der Perspektiven ist ohne die andere unvollständig. Zur wissenschaftlichen Untersuchung von Popmusik ist die Nutzung der sich ergänzenden Ansätze erforderlich.
Ausblick: Innovationsforschung Es wurde gezeigt, dass nachhaltiger Künstleraufbau mit der systematischen Etablierung von Album-Acts in Deutschland im Grunde seit Ende des deutschen Schlagers nur vereinzelt und insbesondere in den 1990er Jahren zu wenig betrieben und durch eine Coverversionen/OneHit-Wonder/Hit-Compilations-Strategie ersetzt wurde. In Deutschland gilt Künstleraufbau heute aufgrund verkürzter Produktzyklen als riskanter und schwieriger denn je. Doch in den USA, in Großbritannien und in Frankreich findet Künstleraufbau weiterhin mit großem Erfolg statt. Tatsächlich sprechen heute auch in Deutschland immer mehr Argumente für systematischen Künstleraufbau: Davon ausgehend, dass x Musik von One-Hit-Wonders und Sternchen tendenziell eher gebrannt und getauscht wird, x der Kunde ein genaues Gespür besitzt, von welchen Acts sich der Kauf eines Albums lohnt – und von welchen nicht, x kein CD-Kopierschutz je perfekt sein wird, x es immer neue Formen von P2P geben wird, gibt es – und hier sei der Musikproduzent Leslie Mandoki zitiert – folglich „nur emotionale Gründe, einen Tonträger käuflich zu erwerben“ (Leslie Mandoki zit. in Scholz 2002, S. 12). Emotionale Gründe sind vorrangig über Fan-Bindung und Identifikation und damit über das StarPrinzip gegeben. Das gilt umso mehr, weil x die demographisch rückläufige Zielgruppe der Jugendlichen als Intensivkäufer von der Musikbranche missverstanden wird, x die reiferen Käufer sich nicht mit Tagesware abspeisen lassen, x die Single inzwischen reines Promotion-Instrument ist und daher letztlich nur selten Anlass besteht, Singles außerhalb der Bewerbung von Alben zu veröffentlichen. Das Musikgeschäft ist, weil es auf der Arbeit mit Menschen, d. h. mit Musikern, Künstlern und Stars aufgebaut ist, ein prinzipiell mittelfristiges. Heutige Umsatzträger wie R.E.M. oder Grönemeyer – deren Umsätze sämtliche Tagesware und Flops mitfinanzieren – haben viele Jahre und mehrere Alben zu ihrer künstlerischen Entfaltung gebraucht. Ihnen
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würde heute unter Umständen keine Chance mehr eingeräumt werden. Derzeit lebt die Tonträgerbranche vorrangig von den vor 1985 aufgebauten Stars. Doch irgendwann werden die Rolling Stones, Joe Cocker und Pink Floyd bzw. David Gilmour sich aus dem Business zurückziehen. Und dann? Angewandte Musikwissenschaft, verstanden als wissenschaftlicher Background der Musik- und Medienwirtschaft, liefert zur Evaluierung solcher Fragestellungen im Verbund mit den verwandten Disziplinen als Spezialist für Popmusik die notwendigen Ansätze, Erkenntnisse und Analysen. So liegen die erforderlichen Grundlagen für eine auf aktuelle Themen zugeschnittene praxisorientierte Lehre und Forschung vor – beispielsweise durch Anwendung der soziologisch ausgerichteten Markentechnik nach Deichsel auf den Themenkreis „Popstars als Marken“. Der Lösungsansatz unterstützt das Management hinsichtlich der Strategie, Popstars als Marken zu begreifen und auf dieser Basis verlässlichen Künstleraufbau zu betreiben. Im Verbund mit der erwähnten Dissertation von Engh sind hier Forschungsansätze für weitere Innovationsforschung und Anregungen für die Lehre gegeben, die Musikwissenschaft als Angewandte Musikwissenschaft voranbringt.
Literatur British Phonographic Industry [BPI] (2006): Key Facts on the UK Music Industry [Press Release 14.2.2006]; http://www.bpi.co.uk/news/ press/news_content_file_978.shtml, 10.7.2006. Bundesverband der Phonographischen Wirtschaft (2006): Jahrbuch 2006. [Jahreswirtschaftsbericht für das Geschäftsjahr 2005]. München: Musikmarkt-Verlag. Drews, Marcel (2005). Ich sing ein deutsches Lied. [masch.-schr.]. IJK Hannover; http://www.ijk.hmt-hannover.de/institut/absolventen/ medienmanagement%20bachelor.htm, 10.7.2006. Engh, Marcel (2006): Popstars als Marke. Identitätsorientiertes Markenmanagement für die musikindustrielle Künstlerentwicklung und -vermarktung. [Diss.]. Wiesbaden: Deutscher Universitätsverlag. Hanke, Christian (2005): Wachstum gegen den Trend. Website des Verbandes unabhängiger Tonträgerunternehmen, Musikverlage und Musikproduzenten; http://www.vut-online.de/ studie_wachstum_gegen_den_trend_-_vut.pdf, 10.7.2006.
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Marc Pendzich
Pendzich, Marc (2004): Von der Coverversion zum Hit-Recycling. Historische, ökonomische und rechtliche Aspekte eines zentralen Phänomens der Pop- und Rockmusik. Münstler: LIT Verlag. Scholz, Lothar (2005): Tonträgerwirtschaft – Wachstum gegen den Trend. In: Musikmarkt. Online-Ausgabe; http://www.musikmarkt.de/ site/start/il/1/bid/17889/ridtb/77, 10.7.2006. Wicke, Peter (1993): Popmusik als Industrieprodukt. In: Ders.: Vom Umgang mit Popmusik. Berlin: Volk & Wissen, hier zitiert von: http://www2.rz.huberlin.de/fpm/texte/popindu.htm, 2.8.2003.
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POPMUSIK IST LEHRBAR. GESCHICHTE, STRUKTUR UND ZIELE DES STUDIENGANGS POPMUSIKDESIGN AN DER P O P A K A D E M I E B A D E N -W Ü R T T E M B E R G UDO DAHMEN / TOBIAS WOLLERMANN
Im Verlauf der letzten beiden Jahrzehnte hat sich in der Bundesrepublik Deutschland ein deutlicher Wandel im öffentlichen Bewusstsein vollzogen, der „aus den populären Musikgenres als den einstigen ‚Schmuddelkindern‘ des öffentlichen Musikbetriebes ein anerkanntes und gefördertes Kulturgut hat werden lassen“ (vgl. Wicke 2004). Popmusik ist zwar bei Weitem noch davon entfernt, ein musikpolitisches Schwerpunktthema zu sein, aber der Wandel lässt sich z.B. anhand der Rede von Staatsminister Bernd Neumann zur Eröffnung der Popkomm in Berlin am 20. September 2006 verdeutlichen: „Ich bin heute hier hergekommen, um als Kulturstaatsminister zu demonstrieren, dass aus Sicht der Bundesregierung die Musik und insbesondere die Popmusik […] wichtig ist und als Wirtschaftsfaktor einen Faktor darstellt, der nicht zu unterschätzen ist.“
Daneben weist Neumann in seiner Rede auf die große Anfrage der CDU/CSU-Bundestagsfraktion mit der Überschrift „Bestandsaufnahme und Perspektiven der Rock- und Popmusik in Deutschland“ aus dem Jahr 2002 hin, aufgrund derer sich der Deutsche Bundestag erstmalig in seiner Geschichte mit diesem Thema beschäftigt hat (vgl. Neumann 2006). Auch in den einzelnen Bundesländern ist in den letzten Jahren die populäre Musik zum festen Bestandteil der Kulturförderung geworden (vgl. Mischke/Müller 1999). Im Rahmen einer solchen Förderung wurde nach über 50 Jahren Popkultur mit der Popakademie Baden-Württemberg erstmals in Deutschland die Möglichkeit geschaffen, mit akademischem Anspruch fokussiert auf die Bereiche Popularmusik und Musikwirtschaft
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Udo Dahmen / Tobias Wollermann
auszubilden. Der Standort Mannheim als „heimliche Musikhauptstadt“, 1 in dem Popmusik als Kultur- und Wirtschaftsfaktor sehr ernst genommen wird, bietet mit seiner lebendigen Kulturszene, seiner aktiven Popförderung und Institutionen wie dem Musikpark Mannheim 2 ein ideales Umfeld für die Institution. Die Popakademie versteht sich nicht nur als Hochschule, sondern als Kompetenzzentrum für sämtliche Aspekte der Musikbranche. Dieser Anspruch wird neben dem Studium im engeren Sinne durch zahlreiche Projekte in den Bereichen europäische Zusammenarbeit, Regionalentwicklung und Wirtschaftsförderung eingelöst. Bevor im weiteren Verlauf auf die Ausbildung im Studiengang Popmusikdesign eingegangen wird, soll zunächst ein Überblick über die Institution als solche gegeben werden. Kernbereich der Institution sind die beiden Studiengänge Popmusikdesign und Musikbusiness. Der künstlerisch-kreative Studiengang Popmusikdesign bietet Raum für alle modernen Stilrichtungen der Populären Musik von Punk bis Funk, von Pop bis HipHop. Schlagzeuger, E-Gitarristen, DJs, E-Bassisten und Keyboarder finden hier ebenso eine Plattform wie Singer/Songwriter und Producer. Die Akademie entwickelt Künstlerpersönlichkeiten und bietet ihnen eine Basis, um ihr Potenzial zu entfalten. Im Mittelpunkt stehen Kreativität, künstlerischer Ausdruck und der unbedingte Wille, sich als Künstler erfolgreich zu etablieren. Neben der künstlerischen Ausbildung wird fundiertes Musikbusiness-Knowhow vermittelt, das für ein erfolgreiches Agieren im Musikgeschäft unerlässlich ist. Die Ausbildung im Popmusikdesign-Studium erfolgt durch ein Team aus erfahrenen Musikern, Textern, Musikwissenschaftlern,
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Mannheim entwickelt sich derzeit zum profilierten Zentrum in Sachen Popmusik. Das liegt vor allem am „Mannheimer Modell“: Ein neues, ganzheitliches Netzwerk, das neben Musik und künstlerischen Themen auch die wirtschaftlichen Aspekte der Branche berücksichtigt. Den Kern dieser bundesweit einzigartigen Struktur bilden die Institutionen Popakademie Baden-Württemberg, Existenzgründerzentrum Musikpark Mannheim sowie die kommunale Popförderung. Hinzu kommt als viertes, entscheidendes Element die auch überregional außerordentlich erfolgreiche Musikszene der Stadt. S.a. http://www.stadtmarketing-mannheim.de/index.php?id=34, 15.9.2006. Der Musikpark Mannheim wurde als erstes Existenzgründerzentrum für die Musikwirtschaft in Deutschland im März 2004 eröffnet. Mittlerweile haben sich auf den 4300qm rund 40 Unternehmen mit insgesamt ca. 130 Arbeitsplätzen angesiedelt. S. dazu http://www.musikpark-mannheim.de, 15.9.2006.
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Popmusik ist lehrbar. Geschichte, Struktur und Ziele des Studiengangs …
Tontechnikern, Stylisten und Choreographen. Das Spektrum reicht hier vom freischaffenden Künstler bis zum Hochschulprofessor. 3 Im Studiengang Musikbusiness wird eine neue Generation von Musikmanagern mit den Schwerpunkten „Event- und Labelmanager“, „Marketingexperte“, „Künstlerentwickler“ und „Community-Manager“ ausgebildet. Vermittelt wird neben Business-Inhalten auch künstlerisches Know-how. Ziel ist ein praxisnahes Studium, das speziell für die besonderen Bedürfnisse des Musikmarktes im digitalen Zeitalter qualifiziert. Ein wichtiger Partner des Business-Studiums und gleichzeitig Gesellschafter der Einrichtung ist das größte deutsche Tonträger-Unternehmen Universal Music, das seine Ausbildung von Berlin nach Mannheim verlegt hat, um gemeinsam mit der Popakademie seinen Nachwuchs zu entwickeln. Eine Zusammenarbeit besteht darüber hinaus mit zahlreichen weiteren Unternehmen (z.B. MTV, Sony BMG, AOL) und Hochschulen (z.B. TU Darmstadt). Das Musikbusiness-Studium wird als Pilotprojekt durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert (vgl. Pressemitteilung des BMBF vom 13.10.2003). Das Dozententeam für das Musikbusiness-Studium rekrutiert sich im Wesentlichen aus Branchenprofis, die aktiv im Beruf stehen und ihr aktuelles Wissen direkt an die Studierenden weitergeben, ergänzt um Experten aus Wissenschaft und Lehre. Neben den Dozenten vom Ausbildungspartner Universal Music lehren regelmäßig Dozenten aus Unternehmen wie z.B. Sony BMG, MTV, Südwestrundfunk, Four Music, IHK Rhein-Neckar, Zimmermann & Decker oder A.S.S. Concerts & Promotion. Von großer Bedeutung in der Ausbildung ist die Praxisorientierung des Studiums. Einer der Hauptbausteine zur Erhöhung der Praxisorientierung ist die Projektwerkstatt, in der im Hauptstudium den Studierenden die Möglichkeit gegeben wird, in Zusammenarbeit mit Dozenten aus der Musikbranche an realen anspruchsvollen Projekten zu arbeiten. Im Fokus stehen hier vor allem Themen wie Marktforschung, Musikvermarktung im eigenen Popakademie-Label oder der Aufbau einer eigenen BookingAgentur. Ein Beispiel für die Praxisorientierung des Studiums ist die maßgeblich von Studierenden beider Studiengänge im Jahr 2005 realisierte Veranstaltungsreihe „School of Rock“ 4 . Aufgrund der großen Resonanz wird sie im Jahr 2007 erneut durchgeführt. 3
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Als Dozenten tätig sind bzw. waren u.a. Xavier Naidoo, Edo Zanki, Prof. Peter Weihe, Wir sind Helden, Mel Gaynor, TM Stevens, Prof. Dr. Peter Wicke, Frank Itt, Florian Sitzmann, Annette Marquard, Heinz Rudolf Kunze, Prof. Dr. Bernd Enders, Jane Comerford oder Matthias IA Eklundh. Ziel des Projekts „School of Rock“ war es, ca. 50 Klassen aller Schularten aus Mannheim und Ludwigshafen mit dem Thema Pop/Rockmusik vertrauter zu machen. Die Klassen bekamen jeweils einen Tag vom Coaching259
Udo Dahmen / Tobias Wollermann
Die Ausbildung von kreativem und qualifiziertem Nachwuchs über die deutsche Grenze hinaus ist eine wichtige kulturelle und bildungspolitische Aufgabe. Aus diesem Grund wird in engem Zusammenhang mit dem Studium im Rahmen des Projektes „Mu:zone Europe“ 5 versucht, gemeinsam mit den Projektpartnern ein „Europäisches Popmusikstudium“ zu entwerfen. Ganz praktisch soll es den Studierenden durch die Einführung des „Credit Point Systems“ (ECTS) ermöglicht werden, verschiedene Ausbildungsabschnitte an verschiedenen europäischen Bildungseinrichtungen zu absolvieren. Hierzu bedarf es einer Erarbeitung und Anpassung von Bildungsstandards für die verschiedenen Themenund Fachbereiche der Ausbildungseinrichtungen im Bereich Popmusik. Am Projekt nehmen unter Federführung der Popakademie zwölf Partnerinstitutionen 6 aus sieben Ländern teil: Deutschland, England, Finnland, Irland, Niederlande, Schweden und Ungarn. In der ersten Projektphase wurde eine Bestandsaufnahme der gegenwärtigen Situation der Popmusikausbildung in den Partnerländern und in Europa erhoben. Dieser Status quo muss vergleichbar gemacht werden, um auf dessen Grundlage ein funktionierendes Curriculum entwickeln zu können. Der europäische Austausch sollte nicht nur konzeptionell erarbeitet werden, sondern wurde in der zweiten Projektphase bereits als Pilotprojekt durchgeführt. In der gerade laufenden dritten Projektphase wird ein erneuter Studentenund Dozentenaustausch durchgeführt und versucht, basierend auf den Er-
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Team, bestehend aus Dozenten und Studenten des Studiengangs Popmusikdesign der Popakademie, einen Einblick in die Welt des Rock’n’Roll. Themenschwerpunkte waren u.a. Bodypercussion, Meet the Band, Singalong, Words & Raps, PC-Producing oder Bandcoaching. Organisiert und geplant wurde das Projekt von Musikbusiness-Studierenden im Rahmen der Projektwerkstatt. Zum Projekt „School of Rock“ s. http://www.popakademie. de/ index.php?name=ezcms&menu=79&page_id=122, 16.9.2006. Das Projekt „Mu:zone Europe“ läuft im Rahmen des Leonardo da VinciProjektes der EU. Projektlinks und Informationen: http://www.leonardodavinci-projekte.org/public/project_fs.php?n=1528, 15.9.2006, unter http://www.muzone-europe.com, 15.9.2006, oder in Reinhardt, Gunther: Europa rockt zusammen. In: Die ZEIT (3.3.2005 NR. 10). Die Partnerinstitutionen des Projektes sind die Westminster University (GB), das Ballyfermot College of Further Education (Irland), die Fontys Rockacademie (Niederlande), die Rockcity Hultsfred (Schweden), die Sibelius Academy (Finnland) sowie das Koebanyai Zenie Studio (Ungarn). Außerdem gibt es noch die so genannten „Pool of Competence“-Partner, zu denen die Rockschool (GB), das National Pop Institut (Niederlande), die Rock City (Schweden) sowie das Sziget Cultur Management (Ungarn) gehören. Strategische Partner des Projektes sind das Staatsministerium BadenWürttemberg (Deutschland), Universal Music (Deutschland), ein zusätzlicher ständiger „Beirat“-Partner ist das Ministerium für nationales und kulturelles Erbe (Ungarn).
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fahrungen des Austauschs, die ECTS-Punkte an das endgültige Curriculum anzupassen und das Austauschsystem zu evaluieren. Das eigene Know-how beständig zu erweitern und zu aktualisieren, ist wichtig für ein erfolgreiches Agieren in der Musikwirtschaft. Aus diesem Grund bietet die Popakademie neben dem Studium ebenfalls ein Weiterbildungsprogramm 7 an, durch das sich Branchenprofis oder solche, die es werden wollen – auch außerhalb des Studiums – qualifizieren und fortbilden können. Analog zu den beiden Studiengängen werden Seminare in den Bereichen Musikbusiness und Popmusikdesign angeboten. Schwerpunktthemen im Businessbereich sind u.a. Musikmarketing, Musikrecht und Event-Planung, im Popmusikdesignbereich Instrumental- und Vocal-Coaching, PC-Producing sowie Sound & Recording. Das Weiterbildungsangebot der Popakademie wird als spezielle berufsqualifizierende Maßnahme von der EU gefördert. Des Weiteren wurden bereits seit Beginn des Schuljahres 2003/04 im Bereich Musikpädagogik in Kooperation mit der Jazz und Rock Schule und mit Unterstützung der Deutschen Phono-Akademie e.V. zwei Weiterbildungsangebote durchgeführt. Hierbei handelt es sich zum Einen um den berufsbegleitenden Lehrgang „Popmusik an der Musikschule“ 8 für Musikschullehrer, der von der Bundesakademie für musikalische Jugendbildung Trossingen in Kooperation mit dem Verband deutscher Musikschulen (VdM) in Bonn, der Popakademie Baden-Württemberg und der Jazz & Rock Schule Freiburg durchgeführt wird. Zum Anderen wurde Im Rahmen des zweijährigen Pilotprojekts „Popmusikfortbildung für Musikpädagogen“ ein zielgruppengerechtes Fortbildungsangebot speziell für diejenigen Lehrkräfte entwickelt, die sich an allgemein bildenden Schulen, Musikschulen, Musikvereinen und anderen Jugendinstitutionen in Sachen Popmusik engagieren. Auf der Basis sämtlicher Erfahrungen aus der Pilotphase bietet die Jazz & Rock Schule Freiburg nun in enger Kooperation mit der Popakademie Baden-Württemberg eine neue Form der Weiterbildung an. 9
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S.a. http://www.popakademie.de/index.php?name=ezcms&menu=15&page _id=21, 16.9.2006. Musiklehrer sowie ausübende Musiker finden eine Übersicht der angebotenen Workshops im Lehrerfortbildungskatalog, http:// www.popakademie.de/downloads/JRS_Lehrerfortbildung.pdf, 15.9.2006. Auskünfte zu weiteren Kursen bzw. zukünftigen Teilnahmemöglichkeiten können bei der Bundesakademie für musikalische Jugendbildung in Trossingen (vgl. http://www.bundesakademie-trossingen.de/, 16.9.2006) eingeholt werden. Informationen zum Kursangebot sowie die aktuellen Bewerbungs- und Anmeldeformulare finden sich unter http://www.jrs.org, 16.9.2006. 261
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Neben der Aus- und Weiterbildung sind noch einige weitere Projekte an der Popakademie angesiedelt, die an dieser Stelle der Vollständigkeit halber noch kurz erwähnt werden sollen: 10 x Bandpool: Hierbei handelt es sich um ein 18-monatiges Coachingprogramm für ambitionierte Bands, Solo-Künstler und Projekte. Im Bandpool bekommen Newcomer aus ganz Deutschland seit 1998 die Chance, sich in der Musikbranche zurechtzufinden und zu etablieren, konkret an eigenen musikalischen Ideen und Zielen zu arbeiten und sich ein individuelles Kontakt-Netzwerk aufzubauen. Das Ziel des Bandpools ist ein künstler- und branchengerechtes Artist-development. Gemeinsam mit Hilfe der Dozenten wird an allen wichtigen Themen vom Songwriting über Interviewtraining bis hin zum Businessplan gearbeitet. 11 x Kongress ZukunftPOP: Hierbei handelt es sich um eine Plattform für Vertreter aus der Musik- und Medienbranche, Wissenschaft, Politik und Wirtschaft, um in Arbeitsgruppen Thesen zu innovativen und relevanten Themen zu erarbeiten. Der Kongress ist Opinionleader für den deutschen Popmarkt und als Klausurtagung – das „Davos der Popmusik“ – angelegt. x RegioNet: Hierbei handelt es sich um ein effektives, zielgerichtetes Förderprogramm für die Populärkultur und Populärmusikszene in Baden-Württemberg. In das Projekt sind auch Wirtschaftsunternehmen sowie Einrichtungen der Wirtschaftsförderung eingeschlossen. x StartUps: Bei diesem Projekt steht die branchenbezogene Beratung von Existenzgründern im Musikbereich im Mittelpunkt. Dabei werden eigene sowie vorhandene Angebote, wie z.B. die der IHK, ifex und RKW, einbezogen und die Kontaktherstellung zu diesen vorangetrieben. Gemeinsame Veranstaltungen schärfen das Profil dieses Existenzgründerangebots. x popforum.de: Dieser Online-Service bietet dem Nutzer News, Informationen und Links rund um die Musikbranche. Neben tagesaktuellen Branchennachrichten und Künstlernews gibt es hier interaktive Austauschbörsen mit Weiterbildungsmöglichkeiten, Job- und Praktikumsangeboten, Tipps für die Existenzgründung, Messeterminen und
10 Detaillierte Informationen zu allen Projekten finden sich auf der Homepage der Popakademie unter http://www.popakademie.de, 16.9.2006. 11 Bislang erhielten elf Bands bei namhaften Plattenfirmen Verträge – zehn Charts-Singles und drei Charts-Alben sowie drei ECHO-Nominierungen inklusive. Der Bandpool-Act revolverheld bekam 2006 für sein DebutAlbum Gold. 262
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Wettbewerben. Musiker werden fündig in Sachen Equipment, Auftrittsmöglichkeiten und Mitmusiker. Im Folgenden soll im Detail auf den Studiengang Popmusikdesign eingegangen werden. Um für das Studium zugelassen zu werden, muss eine Aufnahmeprüfung absolviert und bestanden werden. Für die beiden Studiengänge Musikbusiness und Popmusikdesign bewerben sich jährlich ungefähr 600700 Interessenten, von denen ca. 75% auf letzteren entfallen. Die Bewerber für den Studiengang Popmusikdesign reichen zunächst einen Tonträger und die im Internet zur Verfügung gestellten Bewerbungsunterlagen ein. Nach einer Vorauswahl durch Fachdozenten werden ca. 80-90 Bewerber zur Aufnahmeprüfung eingeladen. Diese besteht im Wesentlichen aus drei verschiedenen Teilen: Die schriftliche Prüfung beinhaltet Aufgaben in Musiktheorie, Gehörbildung, allgemeiner Musiklehre und Popmusikgeschichte sowie eine Stellungnahme zu einem aktuellen Thema aus dem Musikbusiness. Es sollen Intervalle, drei- und vierstimmige Akkorde sowie Tongeschlechter gehört und bezeichnet werden können. Weitere Klausurbestandteile sind ein einstimmiges rhythmisches, sowie ein melodisches Musikdiktat. Die anschließende praktische Prüfung besteht aus einem öffentlichen LiveVorspiel entweder mit Begleitband oder Solo mit Playback, bei dem drei Titel mit insgesamt 15 Minuten Spielzeit vorgetragen werden sollen. Hierbei können entweder eigene oder fremde Kompositionen, diese allerdings in eigener Interpretation, gespielt werden. An das Live-Vorspiel schließt sich dann eine mündliche Prüfung an, die aus einem Einzelgespräch zu musikrelevanten Fragen, sowie zum musikalischen Werdegang und zur Motivation des Bewerbers besteht. In der Regel besitzen die Bewerber die allgemeine oder fachgebundene Hochschulreife. Bewerber mit mittlerem Bildungsabschluss können bei besonderer künstlerischer Befähigung eine Zusatzprüfung ablegen, die in der Regel bei der Aufnahmeprüfung in Form einer gesonderten mündlichen Prüfung stattfindet. Das sechssemestrige Studium endet nach zwei Semestern Grund- und vier Semestern Haupt- bzw. Projektstudium mit dem Abschluss „Bachelor of Arts“. 12 Dieser Abschluss steht vergleichbaren berufsbefähigenden Abschlüssen an staatlichen Kunsthochschulen gleich. Neben studienbegleitenden Prüfungen müssen die Studierenden nach dem zweiten Semester eine Bachelorvorprüfung und nach dem sechsten Semester eine Bachelorprüfung ablegen. Das Studium ist kostenpflichtig. Neben dem
12 Der Studiengang wird zur Zeit gemeinsam mit dem MusikbusinessStudiengang akkreditiert. 263
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normalen Studentenwerksbeitrag von z.Z. 49 Euro müssen pro Semester 500 Euro Studiengebühr gezahlt werden. In das Studium eingebunden sind zwei Praktika von mindestens zwölf Wochen Dauer. Diese Praktika können in allen verschiedenen Bereichen der Musikbranche, wie in Tonstudios, in Tonträgerunternehmen, in Booking- und Eventagenturen, in Medienunternehmen etc. absolviert werden. Zudem besteht auch die Möglichkeit, sein eigenes Bandprojekt im Rahmen des Praktikums zu fördern. Neben der Aufnahme eines eigenen Albums im professionellen Studio gehört eine selbst organisierte Tour mit mindestens zwölf Auftritten, von denen ein Showcase in einer Medienstadt (Hamburg, Berlin, Köln, etc.) absolviert werden muss, zum Praktikum. Das zweisemestrige Grundstudium besteht aus dem jeweiligen Pflichtfachunterricht „Instrument/Gesang“, „Songwriting/Komposition“ oder „Producing/DJ-Producing“, dem Pflichtfach „Keyboard/Gitarre“ 13 , den PMD-Grundlagenfächern „Popmusikgeschichte/Repertoire“, „Musiktheorie/Gehörbildung“ sowie „Recording, Produktion, Arrangement“, dem Fach „Bandcoaching“, sowie aus vier Themenkursen, die gemeinsam von Popmusikdesign- und Musikbusiness-Studierenden besucht werden. Der jeweilige Pflichtfachunterricht, der sich auf die Schwerpunkte Singing/Songwriting, Producing, Gitarre, Bass, Drums und Keyboard verteilt, findet wöchentlich in Abwechslung mit dem Pflichtfach „Gitarre/Keyboard“ in einer Mischform aus Gruppen- und Einzelunterricht statt. Dies bedeutet für die Studierenden im Vergleich zu normalem Einzelunterricht, der oft an vielen Musikhochschulen und Universitäten die Regel darstellt, nicht nur ein „Mehr“ an Unterricht. Vielmehr ist der Gruppenunterricht gerade in der Popmusik auch didaktisch als sehr wertvoll einzustufen, da bei ihr – im Vergleich zu anderen Musikarten – die zwischenmenschliche Kommunikation beim Musizieren entscheidend für die musikalische Qualität ist. „Der Kommunikationswert eines Musikstückes ist oft wesentlich mitentscheidend für dessen musikalischen Wert. Das Eigenschöpferische, die persönliche Mitteilung sind in der Populären Musik verbreiteter als Reproduktion und Nachvollzug.“ (Vgl. Terhag 2000, S. 8-20.)
Die Studierenden nehmen im Gruppenunterricht teilweise auch eine beobachtende Perspektive ein, von der sie zusätzlich profitieren können. Zudem können manche Fähigkeiten, wie beispielsweise sicheres Intonieren beim Singen oder sicheres Timing in der Rhythmsection, nur im
13 Jeder Studierende belegt während des Studiums zusätzlich zum Schwerpunktfach entweder das Fach Gitarre oder das Fach Keyboard. 264
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Gruppenunterricht erlernt werden. Der Gruppenunterricht findet meist in homogenen Lerngruppen statt. Auch in inhomogenen Gruppen können die Studierenden durch gegenseitige Motivation und Vermittlung voneinander profitieren. Zusätzlich zum regelmäßigen Unterricht werden pro Fach und Semester je ein bis zwei themenzentrierte Specials mit meist international bekannten Musikern/Dozenten angeboten. Zu jedem Instrumentalfach existiert ein Curriculum verknüpft mit einem jeweiligen Lernziel für das Ende des Grundstudiums, welches am Beispiel des Faches „Drums“ kurz dargestellt werden soll. Das Lernziel wird im eigenen Curriculum wie folgt beschrieben: „Der durchschnittlich begabte Studierende mit dem Instrumentalfach Drums soll nach dem zweisemestrigen Grundstudium in der Lage sein, die wichtigsten Grundtechniken und Stilistiken des modernen Drumsetspiels spielen zu können, verschiedene Stilistiken wie Rock, Pop, Funk und Latin stilsicher zu spielen und in der Band sowie im Solospiel die erworbenen Fähigkeiten miteinander zu verknüpfen.“ 14
Das Curriculum gliedert sich dabei in folgende Module, die jeweils in einer Mischform aus Gruppen- und Einzelunterricht anhand eines Stoffverteilungsplans gelehrt werden: x Handwerkliche Fähigkeiten: In diesem Modul werden grundlegende Techniken des Drumsetspiels erarbeitet. Hierbei geht es vor allem um das Erlernen von Basismaterial in Bezug auf Haltung, Anschlagtechnik, Ausdauer, Geschwindigkeit, Timing und Rudimental Training, Koordination, Akzenttechnik sowie Gruppierungssysteme incl. Prima-Vista-Spiel. x Stilistik: Hier werden hinsichtlich der Stilistiken Rock, Pop, Funk und Latin grundlegende Materialien wie z.B. typische Grooves, Fills und Tempi erarbeitet. x Repertoire: In diesem Modul steht das Spielen von sowohl vorgefertigten als auch selbstverfassten Songs zu einem Playalong wie z.B. „music minus one“ aber auch zu ausproduzierten Titeln incl. Drums im Vordergrund. x Improvisation/Solo: Hier geht es vor allem um das Erlernen der Soloimprovisation, um das Entwickeln unterschiedlicher Soli zu selbstgewählten Themenfeldern sowie um das Notieren eigener Solokompositionen. x Sound/Technik: Im Mittelpunkt dieses Moduls steht das Drumset im Studio und auf der Bühne. Grundlagen sind in diesem Zusammenhang Tuning, Stimmen, Instrumentenauswahl und Timing.
14 Vgl. internes Curriculum Pflichtfach Instrumental/Gesang „Drums“. 265
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Mentale Grundlagen: Thematisiert wird hier der Umgang mit Lampenfieber, die Erlangung von mentaler Stabilität unter Stress etc.
Am Ende jeden Semesters muss in dem entsprechenden Fach eine Einzelprüfung abgelegt werden. Am Beispiel Drums soll kurz dargelegt werden, was von den Studierenden erwartet wird. Im ersten Studienjahr 3 Titel: x Snaredrumsolo (Rudimental, Klassik, o.ä.) x Playalong (z.B. D. Weckl, Dennis Chambers oder eigene Produktion) x unbegleitetes, freies Solo mit schriftlicher Vorbereitung (Leadsheet) Im zweiten Studienjahr 4 Titel: x Rudimentalsolo x zwei Playalongs (s.o.) x unbegleitetes, freies Solo mit schriftlicher Vorbereitung (Leadsheet) Im dritten Studienjahr 5 Titel: x Rudimentalsolo x drei Playalongs (s.o.) x unbegleitetes, freies Solo mit schriftlicher Vorbereitung (Leadsheet) Im zweiten und dritten Studienjahr sollen die Playalongs und das unbegleitete Solo jeweils unterschiedliche Stilistiken zur Grundlage haben. Beispielsweise kann als erstes Playalong eine Funknummer, als zweites Playalong eine Rocknummer und als Solo eine Latinnummer gewählt werden. Wie bereits erwähnt, belegt jeder Studierende zusätzlich zu seinem Schwerpunkt entweder das Pflichtfach „Keyboard“ oder das Pflichtfach „Gitarre“. Hier wird aufgrund der sehr unterschiedlichen Vorkenntnisse15 überwiegend die Form des Einzelunterrichts gewählt. Auch in diesen Fächern muss am Ende jeden Semesters eine Einzelprüfung abgelegt werden. In den PMD-Grundlagenfächern „Musiktheorie/Gehörbildung“, „Popmusikgeschichte“ und „Recording, Produktion, Arrangement“ wird den Studierenden aufbauend auf den in der Aufnahmeprüfung erwarteten Grundkenntnissen im Grundstudium ein vielseitiges Allgemeinwissen vermittelt.
15 Diese reichen von „keine Vorkenntnisse“ bis „exzellente Vorkenntnisse“. Studierende müssen vor dem Studium nicht unbedingt schon Gitarre oder Keyboard spielen können. 266
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Im Fach „Popmusikgeschichte“, welches auch von den Musikbusinessstudierenden besucht werden muss, geht es vornehmlich darum, die zentralen und prägendsten Stile sowie deren Künstler bzw. Vertreter kennen zu lernen. Bei Popmusik handelt es sich schon längst nicht mehr um eine Jugendkultur, vielmehr gehört sie stil- und vor allem generationsübergreifend zum musikalischen Ausdrucksrepertoire unserer Gegenwart. „Die hier zusammengefassten Akkulturationsphänomene haben die Kultur des ausgehenden 20. Jahrhunderts wesentlich nachhaltiger verändert und geprägt als die abendländisch geprägte Neue Musik“ (vgl. Terhag 2000, S. 8-20).
Als Ausgangspunkt wird eine vertiefte Beschäftigung mit der Jugendkultur der 50er Jahre gewählt. In dieser treffen Jazz, Soul und erste populäre Musikstile aufeinander. In der Auseinandersetzung mit einer zeitlich eher entfernten Jugendkultur fällt es den Studierenden leichter, die Zusammenhänge von Lebensstil, Werteentwicklung, Kommerzialisierung, Populärer Kultur und der zugrunde liegenden Musik zu erleben und zu reflektieren. Auf Grund des im Fach „Popmusikgeschichte“ erworbenen Wissens sollen die Studierenden auch in der Lage sein, selbständig ihnen bekannte als auch unbekannte Stücke ihren entsprechenden Epochen bzw. Stilen zuzuordnen. Nach Ende jeden Semesters wird in diesem Fach eine Klausur geschrieben. Das Fach „Musiktheorie/Gehörbildung“ zielt von seiner Ausrichtung her primär auf die Musikpraxis. Hier geht es neben musiktheoretischen Teilaspekten wie Gehörbildung, Stilkunde und Ästhetik vor allem um das Verwenden einheitlicher Akkordsymbole, die Akkord-SkalenTheorie, Arrangiertechnik sowie um die stilistische und formale Analyse von Popmusik. Auch in diesem Fach wird nach Ende jeden Semesters eine Klausur geschrieben. Da der Rhythmus in der Popmusik von zentraler Bedeutung ist, wird zusätzlich das Theorie und Praxis umfassende Fach „Bodypercussion/rhythmische Gehörbildung“ angeboten. Neben diesen beiden speziellen Fächern „Musiktheorie/Gehörbildung“ und „Bodypercussion/rhythmische Gehörbildung“ ist die Musiktheorie als solche auch in den Instrumentalunterricht integriert, zumal hier instrumentenspezifisch spezielle Zusammenhänge, wie beispielsweise Kadenzzusammenhänge im Keyboardunterricht oder rhythmische Zusammenhänge im Drumunterricht, besser vertieft werden können. Im Fach „Recording, Produktion, Arrangement“ sollen die Studierenden lernen, mit Hilfe der entsprechenden Software, wie z.B. Cubase oder Logic, ein eigenes Stück aufzunehmen, zu arrangieren und zu pro-
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duzieren. Im Zeitalter von vollständig digitalen Studios ist es für Musiker unabkömmlich, einen Überblick über verschiedene Aufnahme- und Produktionstechniken, sowie die entsprechende Software zu haben und diese in den Grundzügen auch zu verstehen und bedienen zu können. Aus diesem Grund geht es bei der Prüfung auch nicht darum, eine „Hochglanzproduktion“ abzugeben, vielmehr wird geprüft, ob die Studierenden das nötige Handwerkszeug zum einfachen Einspielen und Aufnehmen eines eigenen Projektes haben. Letzter Baustein des Grundstudiums sind die vier Themenkurse. Auch hier sind die beiden Studiengänge Popmusikdesign und Musikbusiness miteinander verzahnt, da die Themenkurse von allen Studierenden gemeinsam besucht werden. Hier geht es weniger darum, Detailwissen zu vermitteln, als den Studierenden einen fundierten Überblick von der Entstehung eines Songs (Themenkurs 1) über das Aufbauen eines Musikacts (Themenkurs 2) über eine Gründung eines eigenen Unternehmens (Themenkurs 3) bis zum Auftritt auf der Bühne (Themenkurs 4) zu geben. Zwei Themenkurse sind künstlerisch ausgerichtet und zwei geben einen Einblick in das Musikbusiness: x Themenkurs 1: „Wie produziere ich einen Hit?“ (Popmusikdesign) Hier geht es vor allem darum, die verschiedenen Stationen bei der Entstehung eines Songs kennen zu lernen. Einzelne Bausteine sind Einführungsvorlesungen in: „Popmusikgeschichte“, „Komposition/Theorie“ mit Vertiefung (einfache Formanalyse etc. mit praktischem Anteil in Gruppenarbeit), „Komponieren am PC“ mit Vertiefung (mit praktischem Anteil in Gruppenarbeit), „Recording“. Zudem gehören ein Ganztagsworkshop zum Thema „Live-Recording“, „Texten“, sowie zum Thema „Kreativtechniken“ ins Curriculum des Themenkurses. Am Ende des Themenkurses wird eine Klausur geschrieben, in der nicht nur wichtige Fakten reproduziert werden müssen, sondern auch Gelerntes auf neue Zusammenhänge transferiert werden muss. x Themenkurs 2 „Wie baue ich einen Act auf?“ (Musikbusiness) In diesem Themenkurs geht es vor allem darum, den Studierenden einen fundierten Branchenüberblick zu geben, sowie die Vernetzung der einzelnen Institutionen untereinander darzustellen. Zudem wird erörtert, welche Maßnahmen bei der Entwicklung eines Acts ergriffen und welche Faktoren berücksichtigt werden müssen. Einzelne Themenfelder sind z.B. „Einführung in den Musikmarkt“, „Künstlermanagement“, „Musik-TV“, „Online-Promotion“ oder „Einführung Digitale Musikwirtschaft“. Am Ende des Kurses steht eine praxisbezogene Projektarbeit.
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Themenkurs 3 „Existenzgründung im Musikbusiness“ (Musikbusiness) Gerade in einer Zeit, in der die Musikbranche im Umbruch ist, sind neue Geschäftsmodelle gefragt und es bieten sich für kleine innovative Unternehmen viele Chancen, aber auch zahlreiche Risiken bei der Gründung neuer Unternehmen und Unternehmensformen. In diesem Themenkurs steht der Weg in die Selbstständigkeit – von der Geschäftsidee bis zur Erstellung des Businessplans, der im Anschluss an den Themenkurs in einer Präsentation vorgestellt und bewertet wird – im Mittelpunkt. Einzelne Themenfelder sind hier z.B. „Grundlagen Businessplan“, „Unternehmensformen“, „Crashkurs Steuern“, „Marketing“, „Erlösquellen in der Musikbranche“ oder „Finanzplanung“. x Themenkurs 4 „Image, Stage, Performance“ (Popmusikdesign) Der letzte Themenkurs thematisiert alles rund um das Thema “Bühne & Live“. Neben einer Vorlesung zum Thema „Popmusikdesign“ und dem Erarbeiten eines Image- & Stylingkonzepts für einen Künstler oder eine Band geht es beispielsweise auch darum, die Situation im Fernsehstudio kennen zu lernen. Nach einer theoretischen Einführung wird im Fernsehstudio ein reales Interview durchgeführt und aufgezeichnet, welches dann am nächsten Tag mit den Dozenten gemeinsam ausgewertet wird. In der Vorlesung und praktischen Übung zum Thema „Lichtdesign, Bühnengestaltung & Projektion“ wird der Entwicklungsprozess von der kreativen Idee über die Erstellung eines Bühnenplans und eines entsprechenden Budgetplans bis zur konkreten Umsetzung thematisiert. Sofern es gerade möglich ist, schließt sich noch eine Exkursion zu einem großen Konzert mit Bühnenführung, Erläuterung des Bühnen-/Lichtkonzeptes etc. an diese Vorlesung an. In weiteren Vorlesungen und praktischen Übungen geht es um die Themen „Performance“, „Livetechnik & Sound“ und „Video“. Dieser Themenkurs endet mit einer Projektarbeit: Die Studierenden müssen in einer Gruppenarbeit je ein Bandkonzept für eine real existierende Popakademie-Band entwickeln und präsentieren. Die Gruppenarbeit besteht aus folgenden Einzelthemen: „Gesamtkonzept“, „Styling“, „Live-Performance“, „Video“ und „Medien & Kommunikation“. Der letzte, aber wichtigste Baustein neben dem Instrumentalunterricht ist die gecoachte Bandarbeit. Unterrichtsgegenstand ist die Arbeit an der eigenen Kompositon, am eigenen Text und am Arrangement. Zu Beginn des Studiums wird eine so genannte Bandbörse veranstaltet, bei der die entsprechenden Studierenden mit dem Schwerpunkt Singing/Songwriting ihre jeweiligen Songs oder Projekte vorstellen, an denen sie im Studium
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arbeiten möchten. Nach dieser Vorstellung werden die ersten Bands/ Projekte unter Berücksichtigung der Wünsche der Studierenden zusammengestellt 16 und können von Beginn an gemeinsam proben. Während des laufenden Semesters wird diese Bandarbeit von Dozenten begleitet. Gemeinsam wird im Proberaum an Arrangements, Texten, Formen, Backingvocals etc. gefeilt. Im Mittelpunkt steht dabei aber immer die Eigenverantwortlichkeit der Studierenden. Das Fach Bandcoaching wird seitens der Dozenten auch bewertet. Die Note, die die Studierenden am Ende des Semesters bekommen, setzt sich aus den Teilen „Disziplin/Kommunikation“, „Engagement/Teamfähigkeit“, „Technische Fähigkeiten“ und „Musikalität/Umsetzung“ zusammen. Am Ende des ersten Semesters muss jeder Studierende als Semesterarbeit 20 Minuten Programm auf der Bühne performen und wird von einer Jury, die aus ca. 6 Dozenten besteht, bewertet. Am Ende des zweiten Semesters müssen als Semesterarbeit 40 Minuten Programm vorgeführt werden. Alternativ haben die Studierenden auch die Möglichkeit, einen fertigen Tonträger entsprechender Länge mit ihren Songs einzureichen. Die Studierenden mit dem Schwerpunkt Producing reichen entsprechend eine Produktion ein und werden von den Dozenten in einem Kolloquium darüber geprüft. Nachdem die einzelnen Module des Grundstudiums beschrieben wurden, soll im weiteren Verlauf detaillierter auf das Hauptstudium bzw. Projektstudium eingegangen werden. Wie der Name schon sagt, wird den Studierenden hier wesentlich mehr Zeit für ihre eigenen Projekte bzw. Bands eingeräumt. Lediglich der Instrumentalunterricht (das Schwerpunktfach sowie Gitarre oder Keyboard) und die gecoachte Bandarbeit werden wie im Grundstudium weitergeführt. Zusätzlich werden im Hauptstudium Wahlpflichtfächer angeboten, aus denen die Studierenden je nach Schwerpunkt bestimmte Fächer belegen müssen und andere frei wählen dürfen. Die Wahlpflichtfächer lassen sich in drei Blöcke bzw. Bereiche einteilen: Popmusikdesign-Block: x Sound: Recording- und Livetechnik I x Sound: Recording- und Livetechnik II x Popmusikgeschichte/Repertoire x Bandtraining/Ensembleleitung x Songanalyse/Arrangement 16 Dieses „Eingreifen“ von Seite der Studiengangsleitung bzw. der Dozenten dient lediglich dazu, den kreativen Prozess möglichst schnell in Gang zu bringen. Natürlich sind die Studierenden letztlich in der Wahl ihrer Projekte/Bands frei. Gerade im Laufe des ersten Semesters ändert sich bei den Bandkonstellationen erfahrungsgemäß noch einiges. 270
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Performance Texten
Musikbusiness-Block: x Tonträgerindustrie/Musikvertrieb x Konzert-/Eventagentur x Verlag x Medien x Künstlermanagement/Booking x Projektmanagement/Networking/Kooperation x Existenzgründung x Artistdevelopment Kulturtheoretischer Block: x Medienkunde/Kommunikation x Popkultur x Multimediatechnologie/optische Gestaltung Während des Projektstudiums müssen von jedem Studierenden, je nach Studienschwerpunkt, insgesamt 7 oder 8 Fächer belegt werden. Das Wahlpflichtfach Songanalyse/Arrangement muss von allen Studierenden belegt werden. Hier geht es um die praktische Anwendung und Vertiefung des in den ersten beiden Semestern erworbenen Wissens hinsichtlich der Musiktheorie und Gehörbildung. Bei dem Fach Popmusikgeschichte handelt es sich beispielsweise um eine Ringvorlesung zu unterschiedlichen Themenfeldern innerhalb der Popmusikgeschichte. In den Wahlpflichtfächern geht es vor allem darum, das im Grundstudium erworbene Grundlagenwissen an elementaren Punkten zu vertiefen. Dies soll am Beispiel der Wahlpflichtfächer „Tonträgerindustrie und Musikvertrieb“ (Musikbusiness-Block) und „Sound: Recording- und Livetechnik I“ (Popmusikdesign-Block) kurz dargestellt werden. Das Wahlpflichtfach „Tonträgerindustrie und Musikvertrieb“ setzt den im Grundstudium gebotenen Einstieg in die Tonträgerindustrie fort und geht vor allem auf zukünftige Entwicklungen und Chancen des sich wandelnden Tonträgermarkts ein. Die zukünftige Rolle der Majorcompanies und Independent-Labels im Wandel ihrer Bedeutung und Positionierung am Markt steht dabei im Fokus. Welches sind die Geschäftsmodelle der Zukunft? Welche Auswirkungen haben neue technische Entwicklungen auf den Musikmarkt? Um Antworten auf diese Fragen zu finden, wird untersucht, wie sich die Umsätze in den letzten Jahren entwickelt haben und welche Veränderungen bei den Konsumenten zu beobachten sind. Konkrete Themen, die behandelt werden, sind u.a.: Ent-
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wicklungen von Major- und Indie-Labels, neue Formate und Technologien, neue Finanzierungsmodelle für Musik, Net-Labels, klassische und neue Vertriebssysteme, Hörbuchmarkt, DVD-Markt oder Mobile Music. Im Wahlpflichtfach „Sound: Recording- und Livetechnik I“ geht es um die Vertiefung der bereits im Themenkurs I des Grundstudiums behandelten Inhalte des Themas „Recording“. Das Fach besteht zur einen Hälfte aus einer Vorlesung, in der die Themenschwerpunkte „Physikalische Grundbegriffe“, „Mischpulte“, „Mikrofone und Mikrofonierung“ sowie „Regelverstärker“ vertieft werden. In der anderen Hälfte werden zu jedem der oben erwähnten Themenschwerpunkte praktische Übungen im Studio angeboten, in der die Studierenden lernen sollen, das in der Vorlesung erworbene Wissen auch praktisch umzusetzen. Der Leistungsnachweis besteht in diesem Fach aus einer eigenen Studioaufnahme. In einem Kolloquium muss der Studierende seine Arbeit vorstellen und zusätzlich am Mischpult anhand vom Dozenten gestellten Aufgaben demonstrieren, dass er mit diesem auch praktisch umgehen kann. Nachdem die Inhalte dieser beiden Wahlpflichtfächer exemplarisch umrissen wurden, soll noch kurz auf die Prüfungsformen der Wahlpflichtfächer im Allgemeinen eingegangen werden. Hierbei handelt es sich entweder um mündliche Prüfungen, um Klausuren oder um Semesterarbeiten. Unter letzteren sind schriftliche und vor allem praktische Studienarbeiten zu verstehen. Semesterarbeiten können von den Studierenden auch arbeitsteilig in Gruppen erstellt werden, sofern die als Prüfungsleistung zu bewertenden Teile der einzelnen Gruppenmitglieder aufgrund objektiver Kriterien, die eine eindeutige Abgrenzung ermöglichen, unterscheidbar und bewertbar sind. Zudem können Sozialkompetenzen, insbesondere Teamfähigkeit, Engagement und Motivation in die Bewertung mit einfließen. Als Semesterarbeiten gelten außerdem Konzerte und Studienprojekte und die ihnen zugrunde liegenden hierfür erstellten musikalischen und performerischen Programme. Am Ende des sechssemestrigen Studiums steht die Bachelorarbeit. Diese umfasst im Studiengang Popmusikdesign entweder die vollständige Produktion eines eigenen Albums oder ein Konzert von ca. 45 Minuten Dauer. Die Note der Bachelorarbeit fließt zu 50% in die Gesamtnote der Bachelorprüfung ein. Die weiteren 50% setzen sich aus der Bachelorvornote (10%), sowie aus den einzelnen Teilprüfungen im Projektstudium (40%) zusammen.
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Fazit Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass Popmusik tatsächlich lehrbar ist. Warum und unter welchen Bedingungen soll abschließend kurz dargelegt werden. Im Zentrum der Ausbildung muss immer der Studierende stehen: Es gilt, dessen Potenzial zu erkennen und die spezifischen Fähigkeiten jedes Einzelnen weiterzuentwickeln. Popmusikkarrieren sind selten geradlinig oder vorhersehbar, denn die zyklische Fortschreibung der Popmusik bringt immer wieder neue stilistische Ausprägungen und Kombinationen von Genres hervor. Auch die Branche selbst unterliegt einem ständigen Wandel, gleichzeitig aber zeichnet sich eine Revitalisierung der bestehenden Musikformen ab. Die Wandelbarkeit der Popkultur birgt für den Studierenden also eine spezielle Aufgabe, nämlich das Herunterbrechen komplexer Inhalte auf einfache Zusammenhänge, die in stetig neuen Kontexten flexibel umgesetzt werden müssen. Aber so klar diese Zielsetzung formuliert ist, so anspruchsvoll gestaltet sich deren Umsetzung. Im Mittelpunkt des Studiums muss eine fundierte Ausbildung stehen, die den Studierenden das richtige Handwerkszeug sowie das notwendige Know-how vermittelt, um diesem Vorhaben gerecht zu werden. Die Absolventen müssen durch das Studium in die Lage versetzt werden, den ständig verändernden Anforderungen gerecht werden zu können. Beim Erlernen von Popmusik sind in diesem Zusammenhang insbesondere prozessorientierte und erweiterte Formen des Instrumental- bzw. Gesangsunterrichts, die vor allem auch körperorientierte und notenfreie Lehr- bzw. Lernprozesse beinhalten, unabdingbar. Daneben sind natürlich auch die klassisch tradierten herkömmlichen Unterrichtsformen und -methoden, wie sie sich an Musikhochschulen oder Universitäten wiederfinden, von Bedeutung. Viele Hochschulabteilungen, in denen eine professionelle Ausbildung für „Populäre Musik“, meist im musikpädagogischen Zusammenhang, bisweilen stattfindet, sind von einem solchen prozessorientierten Unterricht noch weit entfernt, da zum großen Teil auch der aktuelle Bezug, respektive eine generationsspezifische Sensibilität fehlt. Auch hinsichtlich klassischer Unterrichtsfächer wie z.B. Tonsatz/ Gehörbildung erscheinen neue Vermittlungsformen sehr sinnvoll. Dieses Fach lässt sich beispielsweise hervorragend mit kreativen Prozessen, wie zum Beispiel dem Songwriting, verbinden. Letztendlich sind auch die entstehenden Netzwerke zwischen Studierenden und Dozierenden sowie den „Szenen“, die mit einer entsprechenden Einrichtung, egal ob Akademie, Musikhochschule oder Universität auf vielfältige Weise verbunden sein sollten, von großer Bedeutung. Tatsächlich ist der Aufbau von Netzwerken, sowie die Nutzung von Syner-
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Udo Dahmen / Tobias Wollermann
gien heute essentiell für jeden Studiengang bzw. jede Studienrichtung, um auf diese Weise den Praxisbezug zwischen Wissenschaft, Wirtschaft, Kunst und den „Szenen“ zu gewährleisten. Nur so können zukünftige Arbeitsfelder und Beschäftigungsmöglichkeiten für Absolventen sichergestellt werden.
Literatur Bundesministerium für Bildung und Forschung: BMBF unterstützt Nachwuchs für Rock- und Popmusik (Pressemitteilung Nr. 187/03 vom 13.10.2003); http://www.bmbf.de/_media/press/akt_20031013187.pdf, 15.9.2006. CDU/CSU: Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU ‚Bestandsaufnahme und Perspektiven der Rock- und Popmusik in Deutschland’, Deutscher Bundestag, 14. Wahlperiode, Drucksache 14/4290. Dahmen, Udo (1996): Musikalische Reisen für Amateure und Profis. Live-Kompositionen als Mittel der Bandprozessentwicklung. In: Terhag, Jürgen (Hg.): Populäre Musik und Pädagogik. Bd. 2., Oldershausen: Lugert, S. 52 ff. Kontny, Karin (2006): Töne Mannheims. In: 1stein, Das Magazin des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, Ausgabe Juni 2006; http://www.bmbf.de/pub/1stein_juni_2006.pdf, 15.9.2006. Kraemer, Rudolf D. (2004): Musikpädagogik – eine Einführung in das Studium. Augsburg: Wißner. Mischke, Jörg/Müller, Lothar: Rockmusik und Politik. In: PostScriptum 6, hrsg. vom Forschungszentrum populäre Musik der Humboldt Universität Berlin; http://www2.hu-berlin.de/fpm/popscrip/themen/ pst06/index.htm, 22.9.2006. Dies. (1999): Rockmusik im föderalen System der Bundesrepublik Deutschland. Förderkonzepte und Fördermöglichkeiten. Studie im Auftrag der Kulturstiftung der Länder. Berlin: Verlag. Neumann, Bernd (2006): Rede von Staatsminister Bernd Neumann zur Eröffnung der Popkomm in Berlin am 20. September 2006; http://www.miz.org/artikel/popkom06_neumann.pdf, 21.9.2006. Reinhardt, Gunther (2005): Europa rockt zusammen. In: Die ZEIT (3.3.2005 NR. 10); http://www.zeit.de/2005/10/C-Europop?page=all, 15.9.2006. Terhag, Jürgen (2000a): Populäre Musik und Pädagogik. Bd. 3: Orale Tradierung – Musiktheorie – Improvisation – Mediale Lebenswelten, Oldershausen: Lugert.
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Popmusik ist lehrbar. Geschichte, Struktur und Ziele des Studiengangs …
Ders. (2000b): Zwischen oraler Tradierung und medialen Lebenswelten, Populäre Musik in Forschung und Lehre. In: Ders. (Hg.): Populäre Musik und Pädagogik. Bd. 3, Oldershausen: Lugert, S. 8-20. Ders. (1996): Populäre Musik und Pädagogik, Bd. 2: Rockgeschichte – Mädchenarbeit – Multimedia – HipHop. Oldershausen: Lugert. Ders. (1994a) (Hg.): Populäre Musik und Pädagogik, Bd. 1: Grundlagen und Praxismaterialien. Oldershausen: Lugert. Ders. (1994b): Live-Arrangement und Live-Komposition. Gruppenorientierte Methoden für Hochschule und Fortbildung. In: Ders. (Hg.): Populäre Musik und Pädagogik. Bd. 1, Oldershausen: Lugert, S. 183 ff. Ders. (o.J.; Internet-Publikation): Populäre Musik; http://www.terhag.de/ jthaupt.htm; 16.9.2006. Wicke, Peter (2004): Populäre Musik in der Bundesrepublik Deutschland; http://www.miz.org/artikel_themenportale_vorbemerkungen_ tpjrjazz.html; 21.9.2006. Ders.: (1993): Vom Umgang mit Popmusik. Berlin: Volk und Wissen. Ders. (1992a): Jazz, Rock und Popmusik. In: Stockmann, D. (Hg.): Volks- und Popularmusik in Europa, (= Neues Handbuch der Musikwissenschaft Bd. 12). Laaber: Laaber, S. 445-477. Ders. (1992b): Popmusik und Politik – Provokationen zum Thema, Hauptreferat zur Konferenz „Popmusik und Politik“, Oybin; http://www2.hu-berlin.de/fpm/texte/dresden.htm; 22.9.2006.
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AUTORINNEN
UND
AUTOREN
Christian Bielefeldt (geb. 1968), Arbeitsschwerpunkte populäre Musik und Didaktik populärer Musik, sowie Neue Musik nach 1945. Studium von Musikwissenschaft, Schulmusik und Germanistik in Hamburg, Stipendiat am DFG-Graduiertenkolleg ‚Intermedialität‘, Siegen. Promotion 2002, zweites Staatsexamen 2004. Drei Jahre Lehrkraft für besondere Aufgaben im Fach Musik der Universität Lüneburg. 2006/2007 ErasmusLehraufträge in Norwegen, Schweden und Slowenien. Seit Sommer 2007 Musiklehrer an der Atelierschule Zürich. E-Mail: [email protected] Michael Buchler is Assistant Professor of Music Theory at Florida State University in Tallahassee, Florida (USA). He is currently a member of the Society for Music Theory Executive Board and an editorial board member of Music Theory Online. He has published his work in a variety of journals, including Journal of Music Theory, Music Theory Online, Perspectives of New Music, and he has an article forthcoming in Music Theory Spectrum. He has presented papers at a number of national and international societies, including Society for American Music, Society for Music Theory, American Mathematical Society, and the International Conference on Music Perception and Cognition. He is currently writing a book on Guys and Dolls for Indiana University Press. Udo Dahmen (geb. 1951) ist seit 2003 künstlerischer Direktor und Geschäftsführer der Popakademie Baden-Württemberg in Mannheim, Vizepräsident des Deutschen Musikrates und Kuratoriumsmitglied der Deutschen Phonoakademie. Nach einem klassischen Schlagzeugstudium an den Musikhochschulen Aachen und Köln und Jazzschlagzeugstudien bei Dante Agostioni in Paris, ist er seit 1967 als Schlagzeuger tätig. Seit 1980 war Dahmen in mehr als 100 Seminaren als Dozent tätig, u.a. 1983 bis 2003 an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg. Dort war er von 1994 bis 2003 Sprecher des Kontaktstudienganges Popularmusik. Im selben Zeitraum war er Leiter der Abteilung Rock/Pop/Jazz an
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der Berufsfachschule für Musik in Dinkelsbühl. Seit 1995 ist er Präsident des deutschen Schlagzeuververbandes „Percussion Creativ“. Udo Dahmen hat als Drummer aufgenommen und/oder konzertiert mit: Kraan, Lake, Charly Mariano, Inga Rumpf, Achim Reichel, Hellmut Hattler, Känguru, Herb Geller, Georg Danzer, Sarah Brightman, Joachim Kühn, Terry Bozzio, Steve Ferrone, Luis Conte, Eberhard Schöner (feat. Sting, Gianna Nannini, Nina Hagen, Jack Bruce, Gary Brooker), Gamelanorchester d. Fürsten Agung Raka v. Saba und Pinda u. v. a. Anne Danielsen is a researcher in the Department of Musicology at the University of Oslo and the author of Presence and Pleasure: the Funk Grooves of James Brown and Parliament. She has also published articles in Popular Music and Studia Musicologica Norvegica. She is currently head of the research project ‚Rhythm in the Age of Digital Production‘, investigating micro-rhythmic relationships and the impact of digital music technology on groove oriented popular music of the 1990s. Rolf Großmann (geb. 1955), Studium der Musikpädagogik und -wissenschaft, Germanistik, Philosophie, Physik an den Universitäten Bonn, Siegen und Gießen; Promotion über „Musik als Kommunikation“. Leiter des Schwerpunktbereichs ((audio)) „Ästhetische Strategien“ in den Fächern Musik und Kulturinformatik an der Universität Lüneburg. Lehrund Konzerttätigkeit als Jazzmusiker; Studioarbeit in der digitalen Musikproduktion; Performances und Klanginstallationen mit elektronischen und digitalen Medien; von 1990-1997 Mitarbeiter im Sonderforschungsbereich 240 „Bildschirmmedien“. Lehraufträge zur digitalen Musikproduktion, -ästhetik und Medienkunst an der Kunsthochschule für Medien Köln, der Popakademie Baden-Württemberg und den Universitäten Hamburg, Siegen und Lüneburg. Arbeitsschwerpunkte: Technikkultur und Medienästhetik der Musik, auditive Gestaltung in den digitalen Medien. http://audio.uni-lueneburg.de Dietrich Helms, Studium der Musikwissenschaft, Anglistik und Soziologie in Münster, 1991 bis 1995 Mitarbeiter der Arbeitsstelle Theaterpädagogik der Universität Münster, 1992/93 Erasmus-Stipendiat am St. Peter’s College, Oxford University, 1994 Forschungsstipendium des DAAD für Arbeiten in englischen Bibliotheken und Archiven, 1995 Promotion an der Universität Münster. Ab 1997 wissenschaftlicher Angestellter am Institut für Musik und ihre Didaktik der Universität Dortmund. 2004 Habilitation an der Universität Dortmund. Seit April 2006 Professor an der Universität Osnabrück.
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Seit 2003 Mitherausgeber der Beiträge zur Popularmusikforschung, zuletzt: Sound and the City. Populäre Musik im urbanen Kontext, Bielefeld: transcript 2007; Cut and paste. Schnittmuster populärer Musik der Gegenwart, Bielefeld: transcript 2006. Christoph Jacke (geb. 1968), wissenschaftlicher Mitarbeiter und Koordinator im Studiengang „Angewandte Kulturwissenschaften/Kultur, Kommunikation und Management“ der Universität Münster. Lehraufträge in Berlin, Wien, Bremen, Paderborn, Köln, Mannheim. Arbeitsschwerpunkte Popkultur/musik, Medienkulturkritik, Cultural Studies. Zuletzt erschienen: „Medien(Sub)kultur. Geschichten – Diskurse – Entwürfe“ Bielefeld: Transcript 2004; „Siegfried J. Schmidt: Beobachtungsmanagement. Über die Endgültigkeit der Vorläufigkeit.“ Köln: Supposé 2007 (Audi-CD, Hg. mit S. Jünger, K. Sander und G. Zurstiege) „Populäre Kultur und soziales Gedächtnis: theoretische und exemplarische Überlegungen zur dauervergesslichen Erinnerungsmaschine Pop“, Frankfurt/M.: Peter Lang 2007 (Hg. mit M. Zierold). E-Mail: [email protected] Richard Klein. Studium Kirchenmusik (A-Examen). Konzerte, Rundfunkaufnahmen. Dozent für Orgelspiel und Musiktheorie. Studium Musikwissenschaft, Philosophie und Neuere Literatur. 1990 Promotion zum Dr. phil. Lehre in Musikwissenschaft und Philosophie. Wissenschaftliche Leitung internationaler Symposien. Herausgeber von Musik & Ästhetik. Wichtige Publikationen (Auswahl): Antinomien der Sterblichkeit. Reflexionen zu Heidegger und Adorno (1999); Musik in der Zeit – Zeit in der Musik (2000, Hg.), Narben des Gesamtkunstwerks. Wagners »Ring des Nibelungen« (2001); Adorno im Widerstreit. Zur Präsenz seines Denkens (2004, Hg.), My Name It Is Nothin’. Bob Dylan: nicht Pop, nicht Kunst (2006), Das Lied der unreinen Gattung. Zum Regietheater in der Oper (2007; mit Johanna Dombois). Marc Pendzich (geb. 1971), Studium der Systematischen und Historischen Musikwissenschaften sowie der Soziologie in Hamburg. Komponist von Theatermusik sowie von Werken für Chansoniere und Orchester (z.B. „Borchert“). Nach dem Studium Produktmanager in der Tonträgerwirtschaft. Die 2004 veröffentlichte Dissertation „Von der Coverversion zum Hit-Recycling“ beleuchtet das Phänomen Coverversion in rechtlicher, ökonomischer und historischer Hinsicht – und diente als Grundlage der dreistündigen TV-Sendung „Yesterday und immer wieder“. 2007 feiert das mit Anne Hentschel verfasste musikverwobene Theaterstück für
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junge Menschen „Tita und Leo – Ferien zwischen den Jahrhunderten“ Premiere in der Theaterfabrik Hamburg. Derzeit ist Pendzich als musikwissenschaftlicher Gutachter und Komponist sowie als Lehrbeauftragter der Universität Hamburg und der HMT Hannover tätig. Martin Pfleiderer (geb. 1967), Musikwissenschaftler und Musiker. 1988-1993 Studium der Musikwissenschaft, Philosophie und Soziologie in Gießen; Promotion 1998 („Zwischen Exotismus und Weltmusik. Zur Rezeption asiatischer und afrikanischer Musik im Jazz der 1960er und 1970er Jahre“, Karben 1998). 1999-2005 wissenschaftlicher Assistent für Systematische Musikwissenschaft an der Uni Hamburg; Habilitation 2006 („Rhythmus. Psychologische, theoretische und stilgeschichtliche Aspekte populärer Musik“, Bielefeld 2006). Seither zahlreiche Lehraufträge. 2007 Professur-Vertretung im Studiengang „Populäre Musik und Medien“ der Universität Paderborn. Michael Rappe war als Kulturmanager, Rapper, Musikpädagoge und DJ tätig. Daneben war er zehn Jahre Lehrbeauftragter für Poptheorie an der Fachrichtung Musik der Universität Kassel. Seit 2004 ist er Professor für Geschichte und Theorie der Populären Musik an der Hochschule für Musik Köln. Darüber hinaus bietet er Seminare im Bereich der Lehrerfortbildung an (z.B. Arbeitskreis für Schulmusik, Verband Deutscher Schulmusik, Goethe Institut). Lehraufträge u.a. an der Musikhochschule Zürich (Studiengang Pop) und der Popakademie Baden-Württemberg. Veröffentlichungen u.a.: Express yourself! Europas kulturelle Kreativität zwischen Markt und Underground (Bielefeld: 2007, mit Eva Kimminich u.a.). Ich rappe, also bin ich! – Hip Hop als Grundlage für eine Pädagogik der actionality. In: Ute Canaris (Hg.): „Musik im politischen Kontext“ (Köln: 2005). pop&mythos – Pop-Kultur – Pop-Ästhetik – Pop-Musik (Schliengen: 2001, mit Heinz Geuen). http://www.michael-rappe.de Christian Rolle (geb. 1961) studierte Musik, Philosophie und Erziehungswissenschaft in Hamburg. Er war Teilnehmer am Kontaktstudiengang Popularmusik der Musikhochschule an der Alster und arbeitete viele Jahre als Pianist, Komponist und Korrepetitor an Theatern. Als Stipendiat im Graduierten Kolleg „Ästhetische Bildung“ des Fachbereichs Erziehungswissenschaften promovierte er 1998 mit einer Dissertation zum Thema „Musikalisch-ästhetische Bildung. Über die Bedeutung ästhetischer Erfahrung für musikalische Bildungsprozesse“ bei dem Musikpädagogen Hermann-Josef Kaiser. Nach mehreren Jahren Tätigkeit als Musiklehrer an einem Hamburger Gymnasium sowie verschiedenen
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Lehraufträgen an Hochschulen wurde Christian Rolle 2002 als Professor für Musikpädagogik an die Hochschule für Musik Saar nach Saarbrücken berufen. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen u.a. Fragen der Didaktik der Populären Musik. Leon Stefanija joined the Department of Musicology, Faculty of Arts, University of Ljubljana in 1995 and chairs the systematic musicology there since 2001. His main research and teaching areas are epistemology of music research, contemporary (primarily Slovenian, classical and popular) music, sociology, psychology of music and music education. Main publications: On The New In Music, Ljubljana 2001, and Methods of Music Analysis: A Historical And Theoretical Survey, Ljubljana 2004. http://www.ff.uni-lj.si/muzikologija E-Mail: [email protected] Tobias Wollermann (geb. 1975), Musik- und Medienwissenschaftler, Promotion 2005, Mitglied der Forschungsstelle für Musik- und Medientechnologie an der Universität Osnabrück, Studiengangsmanager an der Popakademie Baden-Württemberg. Mitarbeit am Computerkolleg Musik, veröffentlicht bei Schott Music International. Veröffentlichungen: „Zur Musik in der ‚Drei Farben‘-Trilogie von Krzysztof Kieslowski“, 2002; „Musik und Medium“, 2006 (beide epOs-Music, Osnabrück). E-mail: [email protected] http://www.popakademie.de Peter Wicke (geb. 1951), Professor für Theorie und Geschichte der populären Musik und Direktor des Forschungszentrums populäre Musik am Seminar für Musikwissenschaft der Humboldt-Universität sowie Adjunct Research Professor am Department of Music der Carleton University Ottawa. Er studierte in Berlin bis 1974 Musikwissenschaft, promovierte 1980 mit einer Arbeit zur Ästhetik der populären Musik zum Dr. phil.; habilitierte sich 1986 zum Dr. sc. phil. 1988 wurde er als Adjunct Research Professor an das Department of Music der Carleton University in Ottawa, Kanada, berufen, 1993 erhielt er einen Lehrstuhl an der Humboldt-Universität. Er ist Mitglied der International Association for the Study of Popular Music und war 1987/1991 ihr Generalsekretär; seit 1986 ist er Europa-Direktor des International Communication and Youth Culture Consortiums bei der UNESCO. Er gehörte von 1993 bis 1997 dem Präsidium der Kulturpolitischen Gesellschaft der BRD an; seit 1998 ist er Mitglied des Deutschen Musikrates. Von ihm ist eine Vielzahl von Artikeln im In- und Ausland zu theoretischen, historischen und kulturpo-
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litischen Problemen der populären Musik erschienen, die in mehr als fünfzehn Sprachen übersetzt wurden. Gastvorlesungen und Vortragsreisen führten ihn an viele Universitäten im Ausland, darunter nach Großbritannien, den USA und nach Kanada.
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Kultur- und Medientheorie Michael Dürfeld Das Ornamentale und die architektonische Form Systemtheoretische Irritationen Mai 2008, ca. 166 Seiten, kart., ca. 24,80 €, ISBN: 978-3-89942-898-8
Ulrike Haß, Nikolaus Müller-Schöll (Hg.) Was ist eine Universität? Schlaglichter auf eine ruinierte Institution Mai 2008, ca. 160 Seiten, kart., ca. 12,80 €, ISBN: 978-3-89942-907-7
Matthias Bruhn, Kai-Uwe Hemken (Hg.) Modernisierung des Sehens Sehweisen zwischen Künsten und Medien Mai 2008, ca. 300 Seiten, kart., ca. 29,80 €, ISBN: 978-3-89942-912-1
Claudia Lillge, Anne-Rose Meyer (Hg.) Interkulturelle Mahlzeiten Kulinarische Begegnungen und Kommunikation in der Literatur Mai 2008, ca. 230 Seiten, kart., ca. 24,80 €, ISBN: 978-3-89942-881-0
Dorothee Kimmich, Wolfgang Matzat (Hg.) Der gepflegte Umgang Interkulturelle Aspekte der Höflichkeit in Literatur und Sprache
York Kautt Image Zur Genealogie eines Kommunikationscodes und zur Entwicklung des Funktionssystems Werbung April 2008, 370 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 30,80 €, ISBN: 978-3-89942-826-1
Marcus S. Kleiner Im Widerstreit vereint Kulturelle Globalisierung als Geschichte der Grenzen April 2008, ca. 150 Seiten, kart., ca. 16,80 €, ISBN: 978-3-89942-652-6
Christa Sommerer, Laurent Mignonneau, Dorothée Gestrich (eds.) Interface Cultures Perspectives on Contemporary Interaction Design and Interactive Art April 2008, 350 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 32,80 €, ISBN: 978-3-89942-884-1
Julia Pfahl Zwischen den Kulturen – zwischen den Künsten Medial hybride Theaterinszenierungen in Québec April 2008, ca. 350 Seiten, kart., ca. 33,80 €, ISBN: 978-3-89942-909-1
April 2008, ca. 180 Seiten, kart., ca. 19,80 €, ISBN: 978-3-89942-820-9
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Kultur- und Medientheorie Alma-Elisa Kittner Visuelle Autobiographien Sammeln als Selbstentwurf bei Hannah Höch, Sophie Calle und Annette Messager
Simone Loleit Wahrheit, Lüge, Fiktion: Das Bad in der deutschsprachigen Literatur des 16. Jahrhunderts
April 2008, ca. 300 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 29,80 €, ISBN: 978-3-89942-872-8
März 2008, ca. 320 Seiten, kart., ca. 32,80 €, ISBN: 978-3-89942-666-3
Ines Kappert Der Mann in der Krise oder: Eine konservative Kapitalismuskritik in der Mainstreamkultur
Ronald Kurt, Klaus Näumann (Hg.) Menschliches Handeln als Improvisation Sozial- und musikwissenschaftliche Perspektiven
März 2008, ca. 232 Seiten, kart., ca. 23,80 €, ISBN: 978-3-89942-897-1
Derrick de Kerckhove, Martina Leeker, Kerstin Schmidt (Hg.) McLuhan neu lesen Kritische Analysen zu Medien und Kultur im 21. Jahrhundert März 2008, ca. 450 Seiten, kart., zahlr. Abb., inkl. DVD, ca. 39,80 €, ISBN: 978-3-89942-762-2
Peter Seibert (Hg.) Samuel Beckett und die Medien Neue Perspektiven auf einen Medienkünstler des 20. Jahrhunderts März 2008, 218 Seiten, kart., 24,80 €, ISBN: 978-3-89942-843-8
März 2008, ca. 232 Seiten, kart., ca. 25,80 €, ISBN: 978-3-89942-754-7
Hans Dieter Hellige (Hg.) Mensch-Computer-Interface Zur Geschichte und Zukunft der Computerbedienung März 2008, 360 Seiten, kart., ca. 29,80 €, ISBN: 978-3-89942-564-2
Bettine Menke Das Trauerspiel-Buch Der Souverän – das Trauerspiel – Konstellationen – Ruinen März 2008, ca. 120 Seiten, kart., ca. 14,80 €, ISBN: 978-3-89942-634-2
Kati Röttger, Alexander Jackob (Hg.) Theater und Bild Inszenierungen des Sehens März 2008, ca. 250 Seiten, kart., ca. 27,80 €, ISBN: 978-3-89942-706-6
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Kultur- und Medientheorie Geert Lovink
Elemente einer kritischen Internetkultur März 2008, ca. 300 Seiten, kart., ca. 27,80 €, ISBN: 978-3-89942-804-9
Thomas Ernst, Patricia Gozalbez Cantó, Sebastian Richter, Nadja Sennewald, Julia Tieke (Hg.) SUBversionen Zum Verhältnis von Politik und Ästhetik in der Gegenwart
Jan Deck, Angelika Sieburg Paradoxien des Zuschauens Die Rolle des Publikums im zeitgenössischen Theater
Februar 2008, 402 Seiten, kart., ca. 28,80 €, ISBN: 978-3-89942-677-9
Februar 2008, ca. 120 Seiten, kart., ca. 15,80 €, ISBN: 978-3-89942-853-7
Cora von Pape Kunstkleider Die Präsenz des Körpers in textilen Kunst-Objekten des 20. Jahrhunderts
Doris Kolesch, Vito Pinto, Jenny Schrödl (Hg.) Stimm-Welten Philosophische, medientheoretische und ästhetische Perspektiven Februar 2008, ca. 216 Seiten, kart., ca. 24,80 €, ISBN: 978-3-89942-904-6
Christian Bielefeldt, Udo Dahmen, Rolf Großmann (Hg.) PopMusicology Perspektiven der Popmusikwissenschaft Februar 2008, 284 Seiten, kart., 26,80 €, ISBN: 978-3-89942-603-8
Februar 2008, ca. 232 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 27,80 €, ISBN: 978-3-89942-825-4
Helge Meyer Schmerz als Bild Leiden und Selbstverletzung in der Performance Art Januar 2008, 372 Seiten, kart., zahlr. Abb., 35,80 €, ISBN: 978-3-89942-868-1
Annett Zinsmeister (Hg.) welt[stadt]raum Mediale Inszenierungen Januar 2008, 172 Seiten, kart., zahlr. Abb., 18,80 €, ISBN: 978-3-89942-419-5
Susanne Regener Visuelle Gewalt Menschenbilder aus der Psychiatrie des 20. Jahrhunderts Februar 2008, ca. 220 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 25,80 €, ISBN: 978-3-89942-420-1
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