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German Pages 168 Year 2014
Franco Barrionuevo Anzaldi Politischer Tango
TanzScripte hrsg. von Gabriele Brandstetter und Gabriele Klein | Band 23
Para mi hermano Maurizio
Franco Barrionuevo Anzaldi (Dipl.-Pol.) hat Politikwissenschaft an der Universität Hamburg und an der Universidad Torcuato Di Tella (Argentinien) studiert. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Kultur, Medien und Gesellschaft an der Universität Hamburg. Seine derzeitigen Arbeitsschwerpunkte sind: Stadt- und Raumsoziologie, Urbane Tanzkultur und Tourismus.
Franco Barrionuevo Anzaldi
Politischer Tango Intellektuelle Kämpfe um Tanzkultur im Zeichen des Peronismus
Diese Publikation beruht auf der Diplomarbeit ›Polarisierter Tango im Zeitalter des Postperonismus‹, die im Jahre 2009 am Institut für Politikwissenschaft an der Universität Hamburg abgeschlossen wurde.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2012 transcript Verlag, Bielefeld
Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Mariano Pais Lektorat & Satz: Franco Barrionuevo Anzaldi Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-1794-8 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]
Inhalt Einleitung | 9 Nation, Nationalismus und Intellektuelle | 21
Nation als Politik der politischen Gemeinschaft | 21 Die Macht der Intellektuellen | 25 Narrative Dimensionen der Nationalisierung | 29 Überlegungen zur diskurstheoretischen Wissensanalyse | 35
Diskurs und Subjekt | 35 Diskurs und Wissen | 39 Diskurs und Macht | 42 Diskurs und Nation | 44 Tangokorpus | 47 Text, Kontext und Darstellung | 49 Widerspenstige Tangos | 53
Barbarische Tangos | 53 Zivilisierte Tangos | 55 Peronistische Tangos | 58
Zwei Nationen, ein Argentinien | 67
Auf dem Weg zum Bürgerkrieg | 67 Expansion und Politisierung des Kulturbetriebes | 73 Intellektuelle Barrikadendiskurse | 78 Diagnose: Polarisierung der Gesellschaft | 82 Tangographie: zwischen Tango und Politik | 85
Die Entstehung einer Tangographie | 85 Die politische Verortung (Verlage und Biographien) | 92 Zwischenbetrachtung | 95
Tangographie als peronistisches Nationalwissen | 97
Die Formationsregel | 97 Der Tangologe… | 99 …als Kehrseite eines liberalen Intellektuellen | 100 …als Kritiker eines marxistischen Intellektuellen | 102 …als Sprachrohr der Nation | 103 …als peronistischer Intellektueller | 106 Die peronistische Geschichtsdeutung | 108 Die historische Kontinuitätslinie | 108 Tangographie versus traditionelle Geschichtsschreibung | 110 Die peronistische Gegenwart | 115 ‚Oligarchie‘ versus ‚Volk‘ | 115 Cabecita negra versus petitero | 121 Das peronistische Tangowissen | 123 Der Tango als ein Stadtphänomen | 124 Boedo versus Florida | 127 Der kreolische Ursprung des Tango | 130 Ein moralisch einwandfreier Nationalheld: der Compadrito | 134 ‚Authentischer‘ versus ‚liberaler‘ Tango | 137 Fazit | 141 Literaturverzeichnis | 149
Sekundärliteratur | 149 Primärquellen | 158 Anhang | 161
Der Tangokorpus | 161
Danksagungen
Das vorliegende Buch ist eine überarbeitete und erweiterte Fassung meiner Diplomarbeit, die ich im Rahmen meines politikwissenschaftlichen Studiums an der Universität Hamburg 2009 eingereicht habe. Ich möchte mich zuvorderst bei meinen beiden Betreuern, Prof. Dr. rer. soc. Gabriele Klein und Prof. Dr. phil. Friedbert W. Rüb, bedanken. Die Entstehung dieser Arbeit verdankte sich unter anderem der Offenheit und Wertschätzung, die Friedbert Rüb meinem transdisziplinären Unterfangen entgegenbrachte. Gabriele Klein danke ich für die Ermutigung, das Vertrauen und die unermüdliche Unterstützung während meines Denk- und Schreibprozesses. Auch möchte ich mich bei Prof. Dr. Gustavo Paz und Prof. Dr. Fernando Rocchi für ihre, an der Torcuato Di Tella in Buenos Aires gehaltenen, inspirierenden Seminare zur lateinamerikanischen Geschichte bedanken. Des Weiteren bin ich den Mitarbeitern der Linga Bibliothek der Universität Hamburg für ihr Entgegenkommen und ihre Geduld zu Dank verpflichtet. Rieke Schäfer danke ich an dieser Stelle für das Lektorieren einiger Textpassagen. Für die Kraft und den Zuspruch aus der Ferne möchte ich mich bei meinen Eltern, Carolina Rosanna Anzaldi und José Luis Barrionuevo, sowie bei meinem Bruder Maurizio Barrionuevo bedanken. Schließlich bedanke ich mich für die Unterstützung bei Juan Miguel Rodríguez López, Nina Elena Eggers, María Candelaria Ortíz, José María Gordobil, Andrés Carreño, Mohamad Mohamad und Ariel Vercelli.
Einleitung
Tango – ein Bandoneon, ein Vers, eine Cortada und ein „trauriger Gedanke, den man tanzen kann“. Er ist Musik, Literatur, Tanz und ein Lebensgefühl gleichermaßen. Und doch jeder Versuch ihn zu beschreiben, zu bestimmen, ihn festzuhalten, scheitert zwangsläufig. An ihm haftet etwas Unaussprechliches an, das ihn durchdringt und das ihn ausmacht. Und genau hier trifft er sich mit etwas Anderem, etwas, das genau wie er jeder Beschreibung entgleitet, und das ihn deswegen zu Seinesgleichen macht. Genau hier bittet er seinen Ebenbürtigen zum Tanz und erlangt erst seine wahre Bestimmung: der Tango trifft auf den Argentinier und wird auf schicksalhafte Art und Weise zum Tango Argentino. Dass diese ‚schicksalhafte‘1 Begegnung jedoch eine politische ist, mehr noch, dass sie zu einer bestimmten historischen Zeit unter dem Vorzeichen des Peronismus stand und nur dadurch erst verstehbar wird, macht den leitenden Gedanken dieses Buches aus. Weitab von jeglicher ästhetischen Bestimmung, ist der Tango zuvorderst ein Kulturgut, das unmittelbar mit Argentinien in Verbindung gebracht wird. Tango gilt als Ausdruck einer gesamten Nation und erhält damit eine besondere kulturelle Bedeutung. Dabei ist es vor allem das Populäre an
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In diesem Buch werden Hervorhebungen und übernommene Diskursfragmente in einfachen Anführungszeichen gesetzt. Die doppelten Anführungszeichen bleiben den direkten Zitaten vorbehalten.
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ihm, das ihm den Hauch des Authentischen verleiht, und durch das er 2009 von Seiten der UNESCO sogar zum Weltkulturerbe erklärt worden ist.2 Doch dass das authentisch Populäre gleichzeitig das national Authentische evoziert, ist für ein postkolonial geprägtes Land wie Argentinien, in dem sich die weißen bürgerlichen Schichten traditionellerweise der europäischen Hochkultur zugewandt fühlten, nicht selbstverständlich. Vielmehr verweist es auf eine ‚erfolgreiche‘ Geschichte der Nationalisierung und der Vereinnahmung des Populären: Noch zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts war der Tango geradezu eine Schande für die junge, aufstrebende Nation. Seine laszive, proletarische und vor allem aus bürgerlicher Sicht amoralische Konnotation passte in das Bild eines modernen Argentiniens, das zu jener Zeit noch mit den Vereinigten Staaten um die Vormachtstellung auf dem amerikanischen Kontinent rang, nicht hinein. Erst im Fortlauf des Jahrhunderts erfuhr der Tango eine Aufwertung und konnte im nationalen Selbstverständnis einen privilegierten Platz erhalten. Mittlerweile ist die Bezeichnung Tango Argentino zu einem konsumierbaren Label geworden, das Tangotouristen aus der ganzen Welt nach Argentinien pilgern lässt. Ausdruck dieser erfolgreichen Nationalisierung des Tangos ist vor allem seine wirkungsmächtige Verankerung im kollektiven Gedächtnis der Menschen in Argentinien. Die Geschichte des Tangos, das heißt seine Ursprungsmythen, seine berühmten Orchester, seine zwiespältigen Helden und seine Krisen, gingen mit der Zeit als Nationalgeschichte in einen festen Bestandteil eines allgemeinen Wissensbestandes über. Das Wissen um den populären Tango ist in diesem Zuge zu einem populären Wissen um die argentinische Nation geworden. In populärwissenschaftlichen Abhandlungen, bei den nächtlichen Taxifahrten durch Buenos Aires, auf der Milonga, in den touristischen Reise-
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Gleichwohl Argentinien und Uruguay gemeinsam den Antrag zum Weltkulturerbe gestellt haben, ist die kulturelle Zuschreibung des Tangos als ‚argentinisch‘ viel wirkmächtiger als die seiner Nachbarnation.
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führern, in Stadtteilrundgängen um die Boca3, im Radio und bei Familienfesten tauchen unzählige, widerspruchsvolle Fragmente einer nichtsdestoweniger kohärenten Tangogeschichte auf und werden über das Performative lebendig gehalten und überliefert: Der Tango sei in den Bordellen von Buenos Aires entstanden, heißt es, er sei anfänglich auf der Straße unter Männern getanzt worden, er käme ursprünglich aus Schwarzafrika, dann wieder stamme er doch eher aus der spanischen Zarzuela, er sei ein Tanz der armen Migranten gewesen und schließlich sei der legendäre Tangosänger Carlos Gardel doch in Argentinien und nicht in Frankreich geboren. Trotz ihrer Widersprüchlichkeit greifen diese populären Narrationen der Tangogeschichte auf einen gemeinsamen Fundus, auf einen geteilten Wissensspeicher zurück, der sich, aus unzähligen Fäden bestehend, durch die argentinische Geschichte durchzieht und stetig Wandlungen erfährt. Da die meisten Fäden durch mündliche Überlieferungen ihren Weg zur Gegenwart gefunden haben (vgl. Krüger 2011: 2f), ist es vor allem die von Intellektuellen verschriftlichte Tangoliteratur, die in diesem Wissensspeicher eine hervorgehobene Stellung einnimmt. Sie scheint über das gesamte zwanzigste Jahrhundert hinweg immer wieder dem ‚unsicheren‘ Gewirr an populären Überlieferungen einen legitimatorischen Halt, einen korrektiven Referenzrahmen zu geben. Jene Tangoliteratur setzt sich aus unterschiedlichen Genres zusammen und lässt sich, wenn man eine literaturwissenschaftliche Sicht einzunehmen versuchte, kaum einheitlich fassen. Doch aus einer sozialwissenschaftlichen Perspektive, die auf die Frage der Nationalisierung des Tangos abhebt, lässt sich innerhalb dieser heterogenen Masse der Tangoliteratur eine narrative Kohärenz erkennen. So stellt sie doch immer einen Versuch dar, Fluchtlinien zur Frage nach dem scheinbaren Wesen des Argentiniers zu ziehen. Sie kann damit als Produktion eines ‚Wissens‘ um die argentinische Nation begriffen werden. Seit
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La Boca ist ein traditioneller Stadtteil im Hafengebiet von Buenos Aires, das touristisch aufbereitet worden ist, und gegenwärtig als ein wesentlicher Repräsentationsort des Tangos inszeniert wird.
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Anbeginn des zwanzigsten Jahrhunderts, so bescheinigt es Eduardo Archetti, haben Intellektuelle über den Rückgriff auf den Tango, die Frage nach der nationalen Identität zu beantworten versucht: „Argentinian writers, at different periods, have explored the relationship between this ‚popular’ literature and aspects of Argentinian reality and cultural identity“ (Archetti 1999: 142).
Für die Nationalisierung des Tangos hat das intellektuelle Feld insofern eine privilegierte Position eingenommen, als es eine gewisse Vormachtstellung innehatte, die es ihm erlaubte, das Populäre mit dem Nationalen glaubhaft zusammenzubringen. Intellektuelle sind gewiss nicht die einzigen ‚Konstrukteure‘ nationaler Identitätsentwürfe, allerdings verfügen sie über jene sprachlichen und bildungsinstitutionellen Ressourcen, die notwendig sind, um in der Öffentlichkeit als autorisierte Sprecher aufzutreten (Giesen 1993: 70; Bourdieu 1991: 42-45). Als Autoritätspersonen artikulieren sie ein epistemologisch als ‚wahr‘ zugeschriebenes Wissen, auf das im Zweifelsfall immer wieder zurückgegriffen werden kann. Indem sie, des Weiteren, selbst über ihre lebenslange Bildungssozialisation Zielscheibe staatlicher Nationalisierungsstrategien sind, überliefern sie hierbei gleichzeitig, ohne dies zwangsläufig explizit machen zu können, ein national kodiertes Wissen. Auf die Frage, was der Tango ist und was er über die argentinische Nation aussagt, produziert das intellektuelle Feld somit legitime Antworten. Wenn man sich nun diesen einen Faden des Wissensspeichers, das heißt die Produktion von Tangoliteratur im zwanzigsten Jahrhundert in Argentinien anschaut, dann fällt auf Anhieb die unglaubliche Menge an Werken auf, die in den ‚langen‘ sechziger Jahren des Postperonismus, zwischen 1955 und 1973, veröffentlicht worden ist.4 Während
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In diesem Buch wird mit den ‚sechziger Jahren‘ auf das in der Sekundärliteratur feststehende ‚Zeitalter des Postperonismus‘(Pirro 2007: 2) abgeho-
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vorher der Tango relativ sporadisch und marginal im intellektuellen Feld Eingang fand, scheint es in diesem Zeitraum zu einem regelrechten Boom an Literatur gekommen zu sein, die ihn diesmal explizit zu ihrem Hauptgegenstand erhob. Anders als in der früheren Tangoliteratur, fällt nunmehr dem Tango nicht die Funktion eines literarischen Motivs zu. Stattdessen bemühen sich viele Werke um eine essayistisch dargelegte historische Rekonstruktion der Tangogeschichte. Wenn man sich des Weiteren noch die Namen einiger Autoren vergegenwärtigt, die zu jener Zeit über Tango veröffentlichten, so stechen nicht nur renommierte Literaten wie Jorge Luis Borges und Ernesto Sabato ins Auge, sondern vor allem auch berühmte Werke der Tangogeschichtsschreibung wie Ciudad del tango von Blas Matamoro oder Tango. Su evolución y historia des Tangopoeten Horacio Ferrer. Ein wenig erstaunt es, dass diesem Umstand in einer interdisziplinär angelegten Forschung, die sich mit der Nationalisierung des Tangos beschäftigt, bislang noch nicht Rechnung getragen wurde. Weder rückten die Zeit zwischen 1955 und 1973, noch das intellektuelle Feld bisher ins Blickfeld: Florencia Garramuño befasst sich mit dem Zeitraum zwischen 1920 und 1930 (Garramuño 2007), Andrea Matallana nimmt sich die Zeit zwischen 1910 und 1940 vor (Matallana 2008), Donald Castro untersucht den Tango zwischen 1880 und 1955 (Castro 1991) und Eduardo Archetti fragt nach den Nationalisierungsstrategien der Gegenwart (Archetti 1999: 128-160). Auch das mittlerweile als grundlegend zu bezeichnende Buch von Martha Savigliano Tango and the Political Economy of Passion nimmt diesen Zeitraum nicht explizit auf. Sie streift ihn zwar, geht aber, da sie sich um eine epochenübergreifende Darstellung der Nationen-, Ethnizitäts- und Geschlechterkonstruktion im Tango bemüht, auf die historische Spezifizität, die jene Zeit abverlangt, nicht ein (Savigliano 1995). Dieser ‚blinde Fleck‘ mag aus zwei sich überschneidenden Gründen herrühren. Einmal erlebte der Tango nach den goldenen Jahren der
ben. Es beginnt 1955 mit der Exilierung von Juan Domingo Perón und endet mit seiner Wiederkehr als Präsident im Jahre 1973.
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Dreißiger und Vierziger, ab Mitte/Ende der fünfziger Jahre, eine große Krise. Den Musik- und Tanzproduktionen fehlte, so die Meinung vieler Zeitgenossen, der Glanz der ‚alten Zeit‘. Hinzu kam, dass er vermehrt mit dem aus den USA kommenden Rock ’n‘ Roll konkurrieren musste. Über die sich daraus ergebenden neuen Jugendkulturen sah sich der Tango stark verdrängt. Die Erforschung des Tangos zu dieser Zeit macht somit augenscheinlich nicht sehr viel Sinn. Der andere Grund mag im Verhältnis liegen, das die aktuellen wissenschaftlichen Abhandlungen über den Tango zum intellektuellen Feld der damaligen Zeit haben. Die Tangoliteratur der langen sechziger Jahre wird in der heutigen Tangoforschung als wissenschaftliche Sekundärliteratur für die eigene Argumentation herangezogen. Wie noch zu zeigen sein wird, erhob ein Großteil der damals produzierten Literatur den Anspruch, eine ‚wissenschaftlich‘ fundierte Geschichte des Tangos zu dokumentieren. Das Selbstbild der Intellektuellen der damaligen Zeit, in ihrer Tangoliteratur wissenschaftliche Geschichtsschreibung betrieben zu haben, eine sogenannte ‚Tangographie‘ (Carella 1966: 12), wird von der gegenwärtigen Forschung5 und der argentinischen Presse6 als de-
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Für den Tangoforscher Horacio Salas sind die Tangowerke der sechziger Jahre ernstzunehmende, ‚wissenschaftliche Abhandlungen‘ (Salas 2004: 343). Als Beispiel für den ihnen zugewiesenen Status lässt sich das deutschsprachige Tangostandardwerk von Dieter Reichhardt heranziehen: von 28 argentinischen Tangowerken, die der Autor als ernstzunehmende Basisbibliographie in seinem Literaturverzeichnis auflistet, sind 23 im Zeitraum zwischen 1955 und 1973 entstanden (Reichhardt 1984: 399ff). Ein anderes Beispiel ist die erwähnte Studie von Donald Castro. Dort basiert der Großteil seiner Geschichtsdarstellung zwischen 1943 und 1955 auf einem einzigen Tangowerk, das von Norberto Galasso im Jahre 1973 veröffentlicht worden ist (Castro 1991).
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Auch die größte argentinische Tageszeitung La Nación attestiert der damaligen Tangoliteratur den Status der Wissenschaft. Sie brachte im Mai 2007 einen Artikel heraus, an dem viele Tangoautoren der sechziger Jahre als ‚Tangologen‘ bezeichnet wurden (Conde 2007: 4).
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ckungsgleiches Fremdbild kritiklos übernommen. Als ‚Tangographie‘ kommt jene Tangoliteratur somit nicht in Verdacht, an der Nationalisierung des Tangos beteiligt gewesen zu sein. Die Folge ist, dass ihre Aussagen bis heute als wissenschaftlicher Referenzrahmen dienen und somit nicht als Gegenstand der Erforschung ins Blickfeld geraten können. Doch es ist gerade die Verbindung dieser beiden ‚Fallstricke‘ und vor allem ihre Einbettung in einen durch den Peronismus geprägten politisch-historischen Kontext der sechziger Jahre, die auf eine spezifische Nationalisierung der damaligen Tangoliteratur hinzuweisen vermag: Nach der Exilierung von Juan Domingo Perón 1955 und der Ergreifung der Macht durch die Antiperonisten geriet die argentinische Gesellschaft in eine langwierige Zerreißprobe, die schließlich in einen Bürgerkrieg mündete, der erst 1973 mit der Rückkehr Peróns beendet zu sein schien. In diesen knapp zwanzig Jahren spaltete sich die argentinische Gesellschaft in ihrem Selbstverständnis in zwei Nationen, in ‚zwei Argentinien‘ (Neiburg 1998: 99), ein antiperonistisches und ein peronistisches. Die damit einhergehenden Nationalvorstellungen artikulierten sich über zwei sich entgegengesetzte Subjektzuweisungen: das antiperonistische Argentinien definierte sich als kosmopolitisch, städtisch, modern, wirtschaftlich und politisch liberal; das peronistische Argentinien dagegen als ländlich, traditionell, katholisch, wirtschaftlich und politisch antiliberal. Der dunkelhäutige, proletarische und aus den inneren Landesteilen stammende Kreole füllte die idealtypische Subjektposition des ‚Peronisten‘ auf, und der weiße, der europäischen Zivilisation sich verpflichtende Stadtbürger die des ‚Antiperonisten‘ (ebd.). Die Art und Weise wie sich diese zwei Nationalvorstellungen aufeinander bezogen, lässt sich als Polarisierung begreifen – das meint, dass das eine Argentinien sich in Feindschaft und in Negation zum anderen Argentinien konstruierte. Sowohl die Peronisten als auch die Antiperonisten verstanden sich als alleinige Vertreter der argentinischen Nation. Beide rangen um den gleichen Platz: auf argentinischem Bo-
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den der legitime Souverän der staatlichen Ordnung zu sein. Der Antiperonismus verfügte allerdings von 1955 bis 1973 über das staatliche Gewaltmonopol und machte den Peronismus zu einer außerparlamentarischen, sich in der Illegalität befindenden, ‚subversiven‘ Opposition. In solchen Zeiten politischer Krisen nehmen Intellektuelle, wie Anthony Smith argumentiert, grundsätzlich die Rolle eines Sprachrohrs der Nation ein (Smith 1999: 84). Sie formulieren Zukunftsvisionen und zeigen der Öffentlichkeit mögliche Wege der weiteren Entwicklung auf. Dies lässt sich vor allem auch für die Intellektuellen in Argentinien bescheinigen. Sie nahmen in diesem Kampf um den Peronismus eine hervorgehobene Stellung ein: Indem sie als Autoritätspersonen in ihren Diskursen die politischen Geschehnisse kommentierten und beurteilten, prägten sie die Deutungsversuche über die politische Realität maßgeblich mit (Neiburg 1998: 26). Statt allerdings Lösungsvorschläge zu den verhärteten Fronten aufzuzeigen oder vermittelnde Schlichtungsversuche zu wagen, beschränkte sich der Großteil der intellektuellen Diskurse auf die Parteinahme für eine der beiden Positionen (ebd.). Die polarisierte Konfliktlinie zwischen Peronismus und Antiperonismus wurde im intellektuellen Feld somit nicht nur aufgenommen, sondern als solche stetig wieder aktualisiert. Das bevorzugte Themengebiet, auf dem der Konflikt ausgetragen wurde, war dabei das, was man gemeinhin als Kultur bezeichnen kann (Goebel: 2007: 76). Dies erscheint nicht weiter verwunderlich. Denn es ist die Kultur, an der man die Grundzüge einer Nation abzulesen glaubt. Sie muss immer wieder als Ausweis des Authentischen herhalten. Als eine Art ‚zweite Haut‘ werden über Fragen der Kultur dann kurzerhand essentialistische Schlüsse über die nationale Identität gezogen. Hinter den harmlos anmutenden Fragen nach der Authentizität von Kulturpraktiken verbergen sich politische Konflikte um nationale Repräsentationshoheiten.7
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Ein Beispiel für die kulturbezogene Polarisierung zwischen Peronisten und Antiperonisten im intellektuellen Feld sind die hierin entstandenen Überlieferungen der Folkloreerzählungen (Storini 2004: 98-102).
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Unter Berücksichtigung dieses historischen Kontextes erscheint die zwischen 1955 und 1973 entstandene Tangoliteratur in einem anderen Licht. Es ist kein Zufall, dass genau zu jener Zeit in so massiver Weise über Tango geschrieben worden ist. Vielmehr kann gezeigt werden – und das ist hier mein Ziel –, dass diese intellektuelle Produktion an Tangoliteratur, die in der Selbst- und Fremdbeschreibung als ‚Tangographie‘ firmiert, an der Polarisierung zwischen Peronisten und Antiperonisten teilnahm – mehr noch, dass sie ein peronistisches Nationalwissen begründete und somit den ‚Peronisten‘ als Nationalsubjekt mit hervorbrachte. Gerade die Krise des Tangos, sein drohendes Verschwinden, machte aus ihm ein vorzügliches Motiv zur Rehabilitierung einer sich in der Opposition befindenden peronistischen Nation. Die in der ‚Tangographie‘ überlieferte Geschichte des Tangos, die bis heute den epistemologischen Status eines ‚wissenschaftlichen‘ Wissens genießt, lässt sich als ein antihegemonialer Diskurs verstehen, mittels dessen ein im Verhältnis zum Antiperonismus entgegengesetztes Nationalprojekt formuliert werden konnte. Die Entstehung dieses Tangodiskurses bettete sich dabei in einen gleichursprünglichen Prozess einer Peronisierung des intellektuellen Feldes ein: während noch zu Zeiten von Perón die Intellektuellen hauptsächlich antiperonistisch gestimmt waren, fand im Laufe der sechziger Jahre im intellektuellen Feld ein Gesinnungswandel statt. Die ‚Tangographie‘ reihte sich somit innerhalb des ‚Peronistischen Widerstandes‘ (Altamirano 2007: 107) ein. Indem sie die Polarisierung zwischen Peronismus und Antiperonismus in das Feld der historiographisierenden Tangonarrationen hinein übersetzte, trug sie zu einer Verschärfung des damals vorherrschenden politischen Konfliktes bei. Diese hier nur in ihren Grundzügen skizzierte Deutungsthese ist das zu zeigende Ergebnis bzw. die im Einzelnen noch zu untermauernde Arbeitshypothese dieses Buches. Mit ihr wird ein wesentlicher Faden des nationalisierten Wissensspeichers um den Tango sowohl deals auch rekonstruiert. Ein Großteil der heute noch lebendig gehaltenen Geschichte des Tangos, die den epistemologischen Status der ‚Wissenschaftlichkeit‘ für sich beansprucht, entstand in den benannten sechzi-
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ger Jahren. Das intellektuelle Feld und der Tango dienten hierbei als peronistische ‚Klammer‘, die einerseits das ‚authentisch‘ Populäre nationalisierte und andererseits das ‚authentisch‘ Nationale rückübersetzte und popularisierte. Auf der forschungsoperativen Ebene gründet diese Deutungsthese auf die folgenden, hier explizit zu bearbeitenden Fragen: Wie verortete sich die zwischen 1955 und 1973 im intellektuellen Feld entstandene Tangoliteratur, die sogenannte ‚Tangographie‘, innerhalb der polarisierten Konfliktlinie zwischen Peronismus und Antiperonismus? Wie begründete sie einen in sich kohärenten Nationaldiskurs? Und vor allem, durch welche diskursiven Nationalisierungsstrategien brachte sie ein peronistisches Nationalsubjekt im Einzelnen hervor? Diese Fragen zielen perspektivisch darauf ab, die politisch-historischen Entstehungsund Wirkungsbedingungen der ‚Tangographie‘ im Hinblick auf ihre nationenkonstitutive Funktion zu untersuchen. Methodisch erweist sich hierfür ein diskursanalytisch informierter Ansatz in Anlehnung an den ‚frühen‘ Michel Foucault als nützlich. Im Rahmen seiner Archäologie des Wissens bietet er die Möglichkeit, die zwei Analysestränge, Kontext- und Textanalyse, epistemologisch gleichwertig und integrativ zu behandeln. Dies ist notwendig, da es sich hier nicht um eine Werk- oder Autorenanalyse im Sinne einer literaturwissenschaftlichen Arbeit handelt. Weder die Intentionen der Autoren noch die Bedeutungen von als in sich geschlossen unterstellten Werken stehen hier im Zentrum. Stattdessen geht es um das Aufzeigen der politischen bzw. nationenkonstitutiven Funktion der Tangoliteratur, das heißt um das Herausschälen eines spezifisch peronistischen Nationaldiskurses. Zu diesem dringt man vor, indem man sowohl den politisch-historischen Kontext als auch die disparaten und heterogenen Textfragmente als eine gemeinsame Wissensformation wechselseitig de- und rekonstruiert. Im ersten Teil des Buches wird der theoretische und methodische Rahmen präzisiert. Es werden die Begriffe der Nation, des Nationalismus, des Intellektuellen und die narrativen Dimensionen der Nationalisierung dargelegt und in Beziehung zueinander gebracht. Anschließend
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folgen die an Foucault entlehnten, diskurstheoretischen Annahmen und ihre methodische Umsetzung. Der zweite Teil des Buches bietet einen genealogischen Faden an. Hier werden die verschiedenen Nationaldiskurse der Tangoliteratur im intellektuellen Feld vom Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts bis 1955 nachgezeichnet. Im dritten Teil wird der historische Kontext rekonstruiert. Durch eine engere Kontextualisierung der Texte wird der Eindruck erhärtet, dass die scheinbare ‚Tangographie‘ einen peronistischen Nationaldiskurs begründete. Schließlich erfolgt eine detaillierte Textanalyse, über die die Diskursfragmente herauspräpariert werden. Am Ende soll ein integrativer Deutungsversuch gewagt werden, indem die Diskursfragmente zusammengeführt und im Hinblick auf ihre politisch-historische Bedeutung kommentiert werden.
Nation, Nationalismus und Intellektuelle
N ATION ALS P OLITIK G EMEINSCHAFT
DER POLITISCHEN
In den ‚langen‘ sechziger Jahren durchzog sich der bürgerkriegsähnliche, politische Konflikt zwischen Peronismus und Antiperonismus durch die gesamte argentinische Gesellschaft. Hiervon blieb auch das intellektuelle Feld nicht verschont. Im Gegenteil, da die Frage nach der Zugehörigkeit zum Peronismus bzw. zum Antiperonismus über die Semantik der nationalen Identität verlief, rückten die Intellektuellen als Vorsprecher, Wegweiser und Aufklärer der Nation in den Vordergrund der Öffentlichkeit. Die produzierten Geschichtserzählungen bzw. die Narrative der Tangoliteratur haben sich – wie noch zu zeigen sein wird – in dieser polarisierten Semantik um die Nation auf eine bestimmte Art und Weise eingefügt. Doch bevor die Tangonarrative und ihre intellektuellen Apologeten auf ihre nationenkonstitutive Funktion hin untersucht werden können, bedarf es zuallererst einiger, wenn auch knapper Vorbemerkungen über den schillernden Begriff der Nation bzw. des Nationalismus, des Intellektuellen und ihrer narrativen Verknüpfung zueinander. Dass die Nation ein ‚schillernder‘ Begriff ist, gar unter dem Verdacht eines ‚anything goes‘ steht, erkennt man alleine schon an der unerschöpflichen Menge an Literatur, die sich an diesem Begriff abarbeitet. Die Literatur allerdings, die innerhalb einer sich selbst als Nationalismusforschung bezeichnenden Disziplin als wegweisend angesehen
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wird und die für die hiesigen Zwecke als ausreichend gilt, ist deutlich überschaubarer. Vor den achtziger Jahren war die Beschäftigung mit dem Gegenstand der Nation bzw. des Nationalismus in akademischen Kreisen eher sporadisch: „Before around 1980 [...] the field, while not exactly fallow, was hardly very inspiring. Indeed, it was almost as if academics and other communicators were united in dismissing the subject as irrelevant and marginal, as something that would disappear“ (Schöpflin 2000: 1).
Zwar wurden auch schon vorher bedeutende Werke veröffentlicht, die an die Gründungsväter der Nationalismusforschung Carlton Hayes und Hans Kohn anknüpften1, eine breite Rezeption und Aufarbeitung dieser Literatur entstand jedoch erst im Zuge einer paradigmatischen Wende in den späten achtziger bzw. neunziger Jahren. Die Hauptvertreter dieser Wende waren Ernest Gellner (1995), Eric Hobsbawm (1991) und Benedict Anderson (1998).2 Sie vertraten zwar nicht ein gänzlich neues, aber doch ein diesmal systematisch konsolidiertes Paradigma, das innerhalb der Nationalismusforschung unter der Bezeichnung ‚Modernismus‘ eine eigene Theorieströmung begründete (Özkirimli 2000). Entgegen den älteren primordialen Ansätzen geht die modernistische Theorieströmung von der selbstredenden Annahme aus, dass Nationen ein historisches Produkt der Moderne sind. Sie seien nicht ‚natürlich‘, ‚von unten‘ erwachsen, ‚so alt wie die Geschichte selbst‘ und somit außerhalb der historischen Zeit stehend. Vielmehr sei die Nation
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Zu den Ursprungswerken der Nationalismusforschung siehe Hans Kohn (1948) und Carlton Hayes (1929); andere bedeutende Werke der Nationalismusforschung vor den achtziger Jahren sind unter anderem (Deutsch 1953), (Kedourie 1961) und (Smith 1971).
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Gerard Delanty und Patrick O’Mahony (2002: 81) bezeichnen diese Vertreter als ‚key figures‘ der Nationalismusforschung; Michael Kennedy und Ronald Suny (1999: 25) sehen in den Werken dieser Vertreter einen eigenen ‚school turn‘.
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eine spezifische Gemeinschaftsvorstellung, die unmittelbar mit den historischen Ereignissen der bürgerlichen Aufklärung, der kapitalistischen Ökonomie und dem Nationalstaat zusammengedacht werden müsse (ebd.: 85ff). Für die Hauptvertreter dieser Strömung sind Nationen damit keine homogenen und quasi-naturgegebenen Gemeinschaften, aus denen heraus sich die jeweiligen Staatsgründungen kulturell haben rechtfertigen können. Es waren gerade andersherum die Staaten, die sich im Zuge ihrer Konsolidierung eine Nation als moderne Legitimationsquelle haben geben müssen. Dass die Mitglieder einer Nation sich dennoch durch einen vorgeschichtlichen oder zumindest vorstaatlichen Wesenszug wie Rasse, Sprache, Religion oder etwaige andere homogenisierende Merkmale mitunter bis heute verbunden glauben, sei vielmehr der ‚erfolgreiche‘ Ausdruck historisch langwieriger, nationalistischer Praktiken. Der Nationalismus sei in diesem Sinne nicht lediglich als eine übertriebene Form nationaler Identifikation zu verstehen, vielmehr müsse er als der nationalen Gemeinschaftsvorstellung vor- und eingelagert begriffen werden (Gellner 1995: 8). Unter Nationalismus versteht Gellner ein grundlegendes Legitimationsprinzip, das kulturell-nationale und staatliche Ordnung insofern zusammen denkt, als sich aus der scheinbar vorpolitisch ersteren die zweite zu ergeben hat (ebd.). Diesem normativen Prinzip lagen unweigerlich Nationalisierungsstrategien zu Grunde, die über Praktiken der Essentialisierung den Glauben an einen naturwüchsigen Charakter der Nation erst hervorbringen konnten. Die große ‚Leistung‘ des Nationalismus bestünde bis heute also darin, den historisch kontingenten, prozesshaften und als machtvolle Aushandlungspraxis stets politischen Charakter der nationalen Gemeinschaftsbildung zu verschleiern. Erst durch solche essentialisierenden Nationalisierungsstrategien könne politische Herrschaft wirkungsvoll legitimiert und die Nation als scheinbar autonomes Subjekt der Geschichte an den Staat nachhaltig gebunden werden (ebd.). „Nationalismus zielt also darauf ab, die für eine Nation spezifischen, gleichwohl konstruierten Eigenschaften herauszubilden, um die substanzhafte Gleich-
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artigkeit [...] einer Nation zu konstituieren, gewährleisten und zu bewahren“ (Rüb 1997: 123).
Diesen konstruktivistischen Gedanken hat Benedict Anderson mit seiner Definition der Nation als ‚vorgestellte politische Gemeinschaft‘ (Anderson 1998: 14) in prominenter Weise hervorgehoben. Dieser Definition zufolge sind Nationen in besonderem Maße ‚konstruiert‘, da – anders als bei face-to-face Gemeinschaften – die Mitglieder selbst der kleinsten Nation den meisten anderen nicht begegnen, nicht von ihnen hören und dennoch im Kopf eines jeden die Vorstellung einer sie alle einbeziehenden Gemeinschaft existiert. Nationen werden insofern als ‚Gemeinschaften‘ vorgestellt, als sich trotz aller tatsächlich vorhandenen Unterschiede ihrer Mitglieder untereinander als Gleiche denken. Sie werden als ‚politisch‘ begriffen, weil sie nur in Verbindung mit einem Staat und einem begrenzten Staatsterritorium gedacht werden, auf dem sie als legitimer Souverän der politischen Ordnung auftreten (ebd.: 15f). In diesem theoretischen Sinne lässt sich schließlich die Nation hier als eine durch Nationalisierungsstrategien, politisch umkämpfte Gemeinschaftsfigur verstehen, die auf der kulturellen und symbolischen Ebene operierend eine mit dem Staat zusammengedachte, das heißt politische Subjektform, ein akteurhaftes ‚Wir‘ begründet.3
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Hier finden explizit zwei verschiedene aber aufeinander bezogene Bedeutungen von ‚politisch‘ Anwendung: einerseits ist die Nation eine im Sinne Anderson ‚politische‘ Gemeinschaft, da sie als das souveräne und legitime Subjekt der staatlichen Ordnung gedacht wird. Gerade deswegen sind, andererseits, die essentialisierenden Nationalisierungsstrategien, die das souveräne Subjekt als solches erst konstituieren, selbst stetig umkämpft und somit als ein Ausdruck von Machtverhältnissen als ‚politisch‘ zu begreifen.
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Eine Vormachtstellung in der Artikulation von Nationalisierungsstrategien hat vor allem der Intellektuelle. Er verfügt über die notwendigen kulturellen und institutionellen Ressourcen, die es ihm ermöglichen, an den nationalen Gemeinschaftsvorstellungen machtvoll ‚mitzustricken‘. Ihm ist die unerlässliche Kapitalform der ‚wahren Sprache‘ eingeschrieben, durch die er als Autoritätsinstanz im Namen der ‚Nation‘ sprechen kann. In dieser Funktion tauchte der Intellektuelle, wie Karl Mannheim es beschreibt, erst nach der Zersetzung des kirchlichen Deutungsmonopols auf. Er trat in die Fußstapfen des Priesters und begann mit ihm zu konkurrieren (Mannheim 1978: 12). Genauso wie er, beansprucht der Intellektuelle für sich die Deutungshoheit über das ‚Wesen der Welt‘. Genauso wie er hat der Intellektuelle Zugang zu einer spezifischen Form der ‚heiligen‘ Sprache: „Dieses ‚Heilige’ bleibt dem Alltagshandeln verborgen und entrückt. Im Gegensatz zum Offensichtlichen und Vorhandenen konstruieren Intellektuelle eine jenseitige Welt, deren Ordnungsprinzipien sich nur durch besondere Anstrengung und spezielle Schulung erschließen“ (Giesen 1993: 70).
Die Machtausübung des Intellektuellen begründet sich durch seinen privilegierten Zugang zur ‚jenseitigen Welt‘. Dieser Zugang eröffnet sich ihm durch seinen institutionalisierten und lebenslangen Bildungsweg. Er ist meist eingebettet in höhere Bildungsinstitutionen wie die Universität oder prestigereiche Stiftungen und Redaktionen. Aber wie Pierre Bourdieu anmerkt, lässt sich der Intellektuelle nicht allein durch seine Aufgabe definieren, die ihm innerhalb jener Institution zufällt. Seine bildungsinstitutionelle Sozialisation ist zwar mitunter eine Voraussetzung, aber sie ist nicht hinreichend für die Verwendung des Intellektuellenbegriffes. Vielmehr nimmt der Intellektuelle erst dann seine Subjektposition ein, wenn er sein Wissen in die Öffentlichkeit hineinträgt. Erst wenn der Intellektuelle sein Expertenwissen einem ano-
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nymen, nicht fachspezifischen Publikum mitteilt, lässt er sich als solcher erkennen (Bourdieu 1991: 42-45). Weil sich der Intellektuelle somit genau an der diskursiven Schnittstelle zwischen den beiden Feldern, der Bildungsinstitution und der Öffentlichkeit, verorten lässt, wird er von Bourdieu als ein ‚bi-dimensionales Wesen‘ (Bourdieu 1991: 42) bezeichnet. Die bildungsinstitutionelle Einbettung befähigt den Intellektuellen in der Öffentlichkeit als Autoritätsperson ‚Wahrheiten‘ zu formulieren. Damit ist er grundsätzlich im Stande, die gesellschaftliche Gegenwart und vorherrschende Interpretationen über sie zeitdiagnostisch in Frage zu stellen. Es ist gerade diese autorisierte Interpretationsleistung, die Helmut Schelsky dazu veranlasst, den Intellektuellen als potenziellen Widersacher und Herausforderer der Regierenden zu begreifen: „Die entscheidende Austragung der politischen und sozialen Spannungen in unseren Gesellschaften, hängt gar nicht mehr primär von dem Gegensatz der ... Parteien ab, sondern vom Gegensatz der Regierenden und der Intellektuellen […] Heute sind die Intellektuellen der grundsätzliche Ort der Opposition“ (Schelsky 1977: 158).
Dabei gehen die Intellektuellen häufig eine Koalition mit den ‚Herrschenden von Morgen‘ (ebd.: 157) ein. In jedem Fall kann der Intellektuelle aus der Perspektive von Schelsky in einem grundsätzlichen Spannungsverhältnis zu den Regierenden stehen, da ihm das Potential zukommt, ihr Handeln wirkungsvoll in die Kritik zu nehmen. Insbesondere bei der Formulierung von Nationalvorstellungen wird das Spannungsverhältnis zwischen Intellektuellen und staatlichen Agenten deutlich. Nationalvorstellungen sind parallel zu der Konsolidierung des modernen Staates entstanden. Mit der Abschaffung monarchischer Regierungssysteme und der, wenn auch eingeschränkten, Demokratisierung westeuropäischer Staaten im 19. Jahrhunderts stand der Staat vor der Notwendigkeit sich der Loyalität seiner ‚Untertanen‘ auf eine neue Art und Weise zu vergewissern. Die Herausbildung nationaler Identitäten war Bestandteil der Staatsräson, durch die der Bürger zu
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seiner Pflichterfüllung bewegt wurde; diese reichte von seiner Pflicht als Steuerzahler bis zu seinem Dienst an der Waffe. Die Bezugnahme auf eine nationale Identität ist bis heute ein Mittel zur Legitimationsbeschaffung (Hobsbawm 1991: 99-101). In dem Maße, in dem die politische Elite sich über die stetige Aktualisierung einer Nationalvorstellung Legitimität beschafft, hinterfragt oder bekräftigt der Intellektuelle diese. In der Artikulation von nationalen Gemeinschaftsvorstellungen nimmt er die Rolle des Avantgardisten ein (Smith 1999: 84). Er hinterfragt die vorhandenen Wissensbestände und formuliert daran anknüpfend neue kollektive Vorstellungsformen. Nicht selten ermöglicht das Eingreifen in alttradierte nationale Wissensbestände dem Intellektuellen, seinen eigenen persönlichen Status innerhalb der Gesellschaft aufzubessern. Vor allem in Zeiten politischer Krisen, in denen die Nation in Gefahr zu sein scheint, keimt beim Intellektuellen verstärkt die Hoffnung auf den sozialen Aufstieg auf: „By tracing a distinguished pedigree for his nation, he [the intellectual] also enhances the position of his circle and activity; he is no longer an ambiguous ‚marginal’ on the fringes of society, but a leader of the advancing column of the reawakened nation, the leaven in the movement of national regeneration“ (Smith 1999: 84).
Diese Führungsposition, die der Intellektuelle in Zeiten politischer Krisen einnimmt, verhilft ihm nicht selten zu bezahlten Arbeitsstellen beispielsweise in einflussreichen Redaktionen, Erziehungsanstalten, Beratungsfirmen, Parteiapparaten und Think Tanks (ebd.: 85). Wie noch zu zeigen sein wird, haben beispielsweise zwei sehr bekannte Tangoexperten der sechziger Jahre, Horacio Ferrer und Andrés Carretero, die zwei wichtigsten Positionen in der 1990 vom Staat gegründeten Academia Nacional de Tango (Nationale Tangoakademie) eingenommen. Horacio Ferrer ist bis heute Präsident und Andrés Carretero war bis zu seinem Tode 2004 Bibliotheksdirektor dieser Institution (Academia Nacional de Tango 2010).
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Allerdings sind Intellektuelle keine autonomen Schöpfer der Nation. Sie selbst sind innerhalb bestimmter Nationalvorstellungen sozialisiert worden. Über den Weg der Bildungsinstitutionen wurden sie zur Zielscheibe staatlicher Nationalisierungsstrategien. Wie Ernest Gellner bekräftigt, war die wirkungsvollste Einrichtung zur Etablierung von Nationalvorstellungen traditionsgemäß das staatliche Bildungswesen (Gellner 1995: 57). Die Einführung der allgemeinen Schulpflicht ermöglichte es, eine disziplinäre Kontrolle über die heranwachsende Bevölkerung auszuüben. Über die Schule wurde das notwendige nationale Wissen vermittelt. Geschichte, Literatur und Erdkunde wurden zu Pflichtfächern jeglicher Schulbildung (Raphael 2003: 28). Aber auch die Wissenschaften waren staatlich kontrollierte Institutionen, durch die Nationalvorstellungen artikuliert wurden. Es ist bezeichnend, dass beispielsweise die Etablierung der Geschichtswissenschaft zeitgleich mit der Etablierung des Staates erfolgte. Diese Zeitgleichheit lässt sich sowohl für die europäischen Länder wie England, Deutschland, Frankreich und Italien ausmachen (Berger 2002: 49-56) wie auch darüber hinaus für die postkolonialen Länder in Afrika und Asien (Raphael 2003: 51-53). Auch in Argentinien entstanden die geschichtswissenschaftlichen Institutionen erst innerhalb der Konsolidierungsphase des Nationalstaats zwischen 1852 und 1880 (Ravina 2001: 429-435). Geschichtswissenschaft wurde so in unmittelbaren Zusammenhang mit dem Wissen um die Nation gebracht. Die wissenschaftliche Objektivierung der Vergangenheit diente dem Staat oftmals als Legitimationsquelle seiner Handlungen: “Erfundene Vergangenheiten mit dem Siegel der Wissenschaftlichkeit zu versehen, wurde zu einer vielfach benutzten Waffe zur Erhaltung politischer Macht“ (Raphael 2003: 44). Intellektuelle durchlaufen nun in der Regel diese staatlichen Bildungsapparate. Aufgrund ihrer langen Sozialisation von der Schule bis über die Universität sind sie selbst Ausdruck staatlicher Nationalvorstellungen. Die Intellektuellen sind somit nicht die geschichtslosen Gründer der Nation, ihre eigenmächtigen ‚Konstrukteure‘. Sie sind nicht
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“[...] those mythical actors who are conscious and autonomous imposers of values, but [at] real historical beings who are formed by social, political, historical, and cultural forces... and then attempt to reshape those worlds sometimes by virtue of their direct political activity ...or by the intellectual products they leave behind“ (Kennedy/Suny 1999: 392).
N ARRATIVE D IMENSIONEN
DER
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Es stellt sich nun die Frage, durch welche narrativen Strategien Intellektuelle eine durch die Moderne geprägte Gemeinschaftsvorstellung wie die der Nation artikulieren. Sowohl Bernhard Giesen als auch Ruth Wodak sind sich darin einig, dass Nationalnarrative idealtypisch auf drei Dimensionen gründen: die der Zeit, die des Raumes und die der Reflexivität bzw. der Personifikation. Während die temporale Dimension die Unterscheidung zwischen früher oder später bzw. zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft betrifft, kommt der räumlichen Dimension die Differenz zwischen oben/unten, innen/außen, links/rechts zu. Die reflexive Dimension unternimmt schließlich die Trennung zwischen Subjekt und Objekt. Bei der letztgenannten Dimension handelt es sich um die Personifikation von Nation, prominenter Weise in Form von Heldenfiguren. Bei allen drei Dimensionen geht es um die Differenz zwischen einem ‚Wir‘ und dem ‚Anderen‘. Innerhalb der nationalen Grenzen herrscht Gleichheit und Einzigartigkeit. Jenseits davon liegt das Nichtnationale, das ‚Unbekannte‘ und im äußersten Fall der Feind. In jedem Falle prägen diese Grenzziehungen die unterschiedlichen Vorstellungsweisen einer Nation (Giesen 1993: 31f; Wodak 1998: 66f). Dabei gibt es viele Möglichkeiten, wie über das Ziehen von Grenzlinien Nationalvorstellungen Kontur erlangen können. Im Folgenden sollen lediglich einige Möglichkeiten skizziert werden: Eine der wesentlichen Nationalisierungsstrategien im Hinblick auf die Zeitdimension ist beispielsweise die Etablierung eines Gründungsmythos (Kolakowski 1995: 54; Smith 1999: 63; Hall 1994: 202). Jede
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Nation bedarf eines Anfangs, der weit in der Vergangenheit zurückliegt. Manchmal ist ihr Gründungsakt nicht auf ein bestimmtes Jahr festzumachen, sondern vielmehr ist er der historischen Zeitzählung vorgelagert: der Nationaldiskurs erzählt eine Geschichte, „...die den Ursprung der Nation ... so früh ansetzt, dass er sich im Nebel nicht der ‚realen’, aber der ‚mythischen’ Zeit verliert“ (Hall 1994: 203). Indem die Nation so alt wie die Geschichte selbst ist, wird der scheinbar vorhistorische Charakter der Nation offenbart. Während diese Form des Gründungsmythos jedoch mehr in den europäischen Nationalerzählungen zu finden ist, sehen die Mythen der postkolonialen Länder anders aus. Dort wird vielmehr die nationale Unabhängigkeit zum Gründungsmythos erhoben. Diese Unabhängigkeit liegt nicht in einer verschwommen mythischen Zeit, sondern wird auf eine konkrete Jahreszahl festgeschrieben. In diesen Ländern haben Nationalfeiertage die Funktion, die Gründungsmythen Jahr für Jahr zu aktualisieren. Dabei dienen die Zahlen selbst als eigenständige Evidenz ihres Wahrheitsausspruches: „Fix points in time act as barriers to the flood of meaninglessness; they are essential gauges of collective developments; and they place the ‚generations of our ancestors’ in a definite linear succession stretching back to the sacred moment of birth“ (Smith 1999: 63).
Über diesen ‚benennbaren Anfang‘ (Kolakowski 1995: 54) wird der Ursprung der Tradition begründet. Dort sind die Vorfahren zu verorten, die über bestimmte Tugenden verfügen, die bis zur Gegenwart hinein die Moralvorstellungen der Nation zu bestimmen vermögen. Dabei ist es wichtig, dass eine direkte Linie von den Vorfahren zu den gegenwärtigen Bürgern gezogen werden kann. Die Tugenden der Vorfahren sollen die wahren Charaktereigenschaften ihrer Nachfahren abbilden (Smith 1999: 64). Meistens, aber nicht zwingend, beschreibt der Gründungsmythos ein ‚Goldenes Zeitalter‘. Die Vorfahren sind Helden, die sich von der Unterjochung der Fremden zu befreien wussten. Aufgrund ihrer Taten begann ein Zeitalter der gesellschaftlichen Wohlfahrt, bei
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der die Geschichte der Nation sich mit der ‚wahren Seele‘, dem nationalen ‚Volksgeist‘ deckte (Kolakowski 1995: 52). Dieser ‚nationale Geist‘ ist im Unterschied zu den geschichtlichen Ereignissen nicht Gegenstand der Erfahrung, er ist ihr vorgelagert; er ist eine scheinbar metaphysische Entität, eine ‚Substanz‘ (ebd.). Die Aktualisierung eines Gründungsmythos und eines ‚Goldenen Zeitalters‘ hat vornehmlich die Funktion, die Gegenwart zu kritisieren: Moralische Wertvorstellungen sind verlorengegangen, die Souveränität der Nation leidet unter der Fremdherrschaft des Auslands, der antinationalen Elite, etc. Nach dem Goldenen Zeitalter folgt meistens ein Mythos des Zerfalls. In einem bestimmten Moment der Geschichte ist die Nation in Irrwege geraten. Der ‚Volksgeist’ wurde vergessen: „We are strangers to ourselves because we have no clear idea of the real, the historic, the Self “ (Smith 1999: 67). Die Selbstwerdung der Nation sei durch eine Vielzahl von Ereignissen verhindert worden. Diese aus der Gegenwart heraus gesponnene Vergangenheitserzählung geht letztendlich mit einer bestimmten Zukunftsprojektion einher. Das Wissen um die Vergangenheit impliziert eine normative Vorstellung über die zu gestaltende Zukunft. Das ‚Goldene Zeitalter‘ kann wiederhergestellt werden, indem die Nation wiedergeboren wird (Smith 1999: 68). Die Zukunft soll wieder zur alten Idylle der verloren gegangenen Zeit zurückkehren: „Oft verdeckt jedoch gerade dieser Rückzug in die Vergangenheit einen Kampf, der ‚das Volk‘ mobilisieren soll, seine Reihen zu säubern, ‚die Anderen‘, die seine Identität bedrohen, auszuschließen und sich für einen neuen Marsch vorwärts zu rüsten“ (Hall 1994: 204).
Die Erzählung um die Vergangenheit beinhaltet also zugleich einen Mythos der Wiederauferstehung. Das ‚Goldene Zeitalter‘ liege nicht hinter uns, sondern in Wirklichkeit erst vor uns. In Bezug auf die zeitliche Dimension ist somit das ‚Wir‘ oftmals in einer fernen Vergangenheit situiert, die Fremden befinden sich in der Gegenwart und die
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Zukunft entspricht einer verheißungsvollen Rückkehr in die ursprünglichen Innengrenzen der Nation. Diese zeitliche Dimensionierung der Nation geht, wie oben beschrieben, mit ihrer reflexiven Positionierung einher. Die Nation wird oftmals über bestimmte Heldenfiguren personifiziert. Verschiedene Helden sind Träger des ‚Volksgeistes‘, sind Subjekte der Erzählung, während die ‚Anderen‘ die konturlosen Objekte darstellen.4 Schließlich findet die Nation innerhalb einer bestimmten Raumvorstellung ihren Platz. Wie Anthony Smith behauptet, besteht eine Nationalvorstellung vor allem in ihrer Territorialisierung (Smith 1999: 151). Damit wird der Tatsache Rechnung getragen, dass die narrativen Ereignisse an bestimmten narrativen Orten stattfinden, die auf einer bestimmten Art und Weise die Vorstellung von Nation bedingen. Landschaften erzeugen eine bestimmte Vorstellung von Heimat (ebd.: 149). Sie produzieren die Natureigenschaften par excellence von Nationen. Ihre vermeintlich unwiderrufliche Beschaffenheit dient einerseits dazu, den Nationalcharakter zu bestimmen, andererseits dazu, das Territorium als national zu rechtfertigen. Flüsse wie der Rhein dienten beispielsweise als naturalisierende Grenzen von Nationen (Suckow 2006: 200), die gleiche Funktion erfüllte die Gebirgsgrenze der Alpen
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Dabei ist es nicht unerheblich, ob diese Personifikation über männliche oder weibliche Heldenfiguren erfolgt (vgl. Hall 1994: 206). Begrifflichkeiten wie ‚Vaterland‘ suggerieren schon eine geschlechtsorientierte Vorstellung von Nation. In ihrem Tatendrang, in ihrer Stärke, in ihrer Militarisierung und ihrem Aufruf zur Mobilisierung sind Nationalsubjekte dabei hauptsächlich männlich kodiert. Zum konstitutiven Verhältnis zwischen Nationalismus und Geschlecht vgl. vor allem die grundlegende Studie von George L. Mosse (1985). Auch wenn die geschlechtskodierte Konnotation von Nationalvorstellungen für die Tangorepräsentationen von besonderer Bedeutung ist, wurde dieser Aspekt für die vorliegende Forschungsarbeit nicht aufgegriffen. Eine detaillierte geschlechtsspezifische Dekonstruktion von Tangorepräsentationen erfolgte schon in prominenter Weise an einer anderen Stelle (vgl. Savigliano 1995).
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(Gallina 2006: 151). Das wohl prominenteste Beispiel konkurrierender Nationalvorstellungen im Hinblick auf die Rechtfertigung von nationalen Territorien ist der Nahost-Konflikt zwischen Israel und Palästina. Es lässt sich festhalten, dass die Etablierung einer Nationalvorstellung über die drei Dimensionen der Zeit, des Raumes und der Person erfolgt. Die eben skizzierten narrativen Nationalisierungsstrategien sind bei weitem nicht erschöpfend und nicht zwingend. Wie diese im Einzelnen aussehen, ist keine theoretische Frage, sondern vielmehr eine empirische, die hier am Gegenstand der Tangoliteratur der sechziger Jahre zu beantworten ist. Nichtsdestotrotz dienen die hier vorgestellten Dimensionen dazu, die narrative Grundstruktur der Nationalisierungsstrategien analytisch in den Blick zu bekommen.
Überlegungen zur diskurstheoretischen Wissensanalyse
D ISKURS
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S UBJEKT
Die folgenden Überlegungen zu Michel Foucaults Archäologie des Wissens stecken insofern den heuristischen Rahmen dieses Buches ab, als sie die Frage nach der Nationenbildung in der Tangoliteratur in ein diskurstheoretisches Vokabular übersetzen. Wie eingangs argumentiert wurde, ist die Nation eine im Zuge der Moderne, historisch gewordene Gemeinschaftsform. Insoweit sie zum legitimen Souverän des Nationalstaates avancierte, wurde sie stets zum zentralen politischen Subjekt der Geschichte hypostasiert. Gerade diese normative Ineinssetzung zwischen Gemeinschaft und staatlicher Souveränität macht die Nation zur wesentlichen Repräsentationsfigur politischer Auseinandersetzung. Die Nation ist also nicht nur eine Gemeinschaftsvorstellung, wie es im Anschluss an Anderson argumentiert werden kann, sie geht weit darüber hinaus. Denn die Pointe liegt nicht darin, den artifiziellen Charakter einer nationalen im Gegenzug zu einer scheinbar lokalauthentischen face-to-face Gemeinschaftsform hervorzuheben, sondern vielmehr die stets konflikthafte Instituierung und Wirkmächtigkeit von Nationalsemantiken in den Blick zu bekommen.1 Insofern der Fou-
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Eine mittlerweile als klassisch angesehene Studie über die Wirkmächtigkeit nationalisierter Wissensordnungen ist Banal Nationalism. Hier untersucht
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cault’sche Diskursbegriff als eine Macht-Wissen-Subjektbeziehung verstanden wird, kann er gerade auf die hier interessierende Problematik der wirkmächtigen Nationalisierungsstrategien in der Tangoliteratur der sechziger Jahre abheben. Als erste Annäherung lässt sich aus der Perspektive eines an Foucault orientierten Ansatzes die Nation als eine spezifische Subjektposition begreifen, die innerhalb eines historischen Archivs über Diskurse bzw. diskursive Praktiken hervorgebracht und aktualisiert wird. Für Foucault lässt sich der gesamte historische Horizont als ein ‚Gewimmel‘ (Foucault 1981: 13) von Diskursen lesen. Unter einem Diskurs versteht Foucault eine ‚Menge von Aussagen‘ (ebd.), die aufgrund eines einheitlichen Prinzips, der ‚diskursiven Formation‘ bzw. der ‚Formationsregel‘ (ebd.: 58), zusammengehalten werden. Obwohl der historische Horizont aus einer Vielzahl von potenziellen Diskursen besteht, ist ihre Anzahl beschränkt. Denn er erlaubt nur das zu sagen, was zu einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Ort als sagbar erscheint. Foucault konzeptionalisierte dieses Sagbare als ‚Archiv‘: „Das niemals vollendete, niemals restlos vollzogene Hervorbringen des Archivs bildet den allgemeinen Hintergrund, zu dem die Beschreibung der diskursiven Formationen, [...] gehören“ (ebd.: 190). Das Archiv funktioniert als ein historischer Wissensspeicher, der sich durch die Zeit fortschreibt und fortwährend ein kontingentes, mit Brüchen versehenes, stets zu aktualisierendes Repertoire an möglichen sinnstiftenden Symbolen und Bedeutungen bereithält. Wie es später noch detailliert zu beschreiben gilt, war es die polarisierende Frage nach der Zugehörigkeit zum Peronismus, die das Sagbare der langen sechziger Jahre grundsätzlich bestimmte. Vor dem Horizont des Archivs erscheinen nun Diskurse als verwirklichte Potenzialität – wie in diesem konkreten Fall der peronistische Nationaldiskurs in der Tangoliteratur. Sie verorten sich auf der ‚überindividuellen‘ wie auch auf der ‚überkollektiven‘ Ebene, das heißt auf sie kann man nicht instrumentell zurückgreifen.
Michael Billig (2004) amerikanische Symbole des Alltagslebens als konstitutive Dimensionen des Nationalismus.
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Vielmehr wehrt sich der Diskursbegriff gegen jegliche Vorstellung eines intentionalen, bewusstseinsphilosophisch geprägten Subjektbegriffs. Diskurse sind eher mit den Sinnstrukturen selbst gleichzusetzen. Sinn entsteht in und durch Diskurse. Außerhalb von ihnen gibt es keinen Sinn. Das bedeutet, dass das Individuum von Diskursen umgeben wird und, abhängig von seiner konkreten Verortung im sozialen Raum, eine spezifische Position darin einnimmt (Bublitz et. al. 1999: 12). Dasselbe Individuum, das sich beispielsweise im intellektuellen Feld bewegt oder zu Hause als Familienvater zu seinem Kind spricht, ist jeweils in unterschiedliche Diskursen eingebettet, aus denen heraus es sich artikuliert. Es ist in der jeweiligen Situation ein jeweils unterschiedliches, aber in beiden Fällen ‚autorisiertes Subjekt‘ (Dreyfus/Rabinow 1987: 72). Dabei ist das tatsächliche Individuum mit dem Foucault‘schen Subjektbegriff nicht zu verwechseln. Das Subjekt ist vielmehr eine ‚diskursive Figur‘ (Hall 1994: 189), eine Position im Diskurs. Es ist „ein determinierter und leerer Platz, der wirklich von verschiedenen Individuen ausgefüllt werden kann“ (Foucault 1981: 139). Das Subjekt ist aber gleichzeitig auch Objekt. Einmal taucht es als sprechendes Subjekt im Diskurs auf und ein anderes Mal als ein Gegenstand, über den im Diskurs sinnhaft gesprochen wird. Foucault analysierte beispielsweise in Wahnsinn und Gesellschaft wie der Geisteskranke erst dadurch zum Subjekt wurde, dass er Gegenstand eines psychiatrischen Diskurses wurde. Dieser Diskurs brachte ein spezifisches Wissen hervor, durch das ein Individuum erst zum Geisteskranken gemacht werden konnte, und von dessen Position aus es sich nunmehr als geisteskrankes Subjekt artikulierte (Foucault 1973). So bringen auch Diskurse, in denen ein bestimmtes Wissen um die Nation eingelagert ist, die Nation selbst als Subjektposition hervor, die dann handelt und spricht. Wie noch zu zeigen sein wird, konstituierte die Tangoliteratur als ‚Tangographie‘ ein spezifisch peronistisches Wissen, das dazu führte, dass sich der ‚Peronist‘ insoweit als Nationalsubjekt legitimierte, als er sich fortan mit dem symbolischen Wissensbestand der Tangowelt zu verbinden wusste.
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Aber entgegen einer vereinfachten Perspektive bedeutet dies wiederum nicht, dass Individuen durch jene Subjekt- und Objektpositionen im Diskurs determiniert werden. In diesem Sinne bricht Foucault mit dem Totalitätsgedanken der strukturalistischen Theorietradition. Gleichwohl der Diskursbegriff auf die Strukturdimension der Sinngenerierung abhebt, ergibt sich das sinnstiftende Prinzip daraus nicht aus einem außerhalb der Geschichte stehenden, universalistischen Sprachspiel. Indem Foucault den Begriff der ‚diskursiven Praktiken‘ ins theoretische Feld führt, versucht er sich – so die hier übernommene Lesart von Andreas Reckwitz – gerade gegen diesen strukturalistischen Totalitätsgedanken zu erwehren. Mit den diskursiven Praktiken kehrt er die strukturalistische Sprachlogik von ‚langue‘ und ‚parole‘ um. Es ist nicht die ‚langue‘, die Sprache, aus der heraus die ‚parole‘, der konkrete Sprechakt, sich deduzieren lässt, sondern es sind die einzelnen Sprechakte, die in ihrer einzigartigen, historischen Ereignishaftigkeit paradoxerweise eine Sinnstruktur offenbaren. Diskursive Praktiken sind somit in einem Spannungsverhältnis eingebunden, das, auf der einen Seite, die Materialität, Unwiederholbarkeit und schließlich die radikale Kontingenz von Sinngenerierungsprozessen hervorhebt, und diesen auf der anderen Seite im gleichen Atemzug doch eine quasistrukturalistische Regelmäßigkeit und Stabilität unterstellt (Reckwitz 2006: 262-276). Für die Subjektposition bedeutet dieses poststrukturalistische Moment nun, dass sie nicht von Diskursen determiniert ist, sondern dass sie als stetige Effekte diskursiver Praktiken kontingent bleibt – das heißt dass Individuen durchaus an ihren eigenen Subjektpositionen mitwirken. So lässt sich später begreifen, dass obwohl die Tangoliteratur ein spezifisch peronistisches Wissen begründete, sie nicht vollkommen in dieser Funktion aufging. Im Gegenteil, es fehlten nicht die Kontingenzen, durch die der Tango immer wieder auch den peronistischen Nationalisierungsstrategien des intellektuellen Feldes entglitt und durch die die Subjektposition des Peronisten gerade nicht angerufen wurde. Allerdings übersteigen Diskurse und die diskursiven Praktiken das Reflexivvermögen von jedem Einzelnen. Diskurse „transpor-
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tieren ein Mehr an Wissen, als den Subjekten bewusst ist“ (Hervorhebung vom Verfasser; Jäger 2001: 86). Dieses Mehr veranlasst auch Hannelore Bublitz den Diskurs weder gänzlich auf der Strukturebene, noch auf der Ereignisebene zu verorten. Vielmehr begründet er beides zugleich: „Diskurs im Foucault’schen Sinne bezeichnet also beides: die Dimension der Struktur und des Ereignisses. Beide konstituieren sich im selben Akt. Sie sind gleichursprünglich zu denken“ (Bublitz 1999: 95). Subjektpositionen sind also Artikulationsinstanzen, die zwischen Struktur und Ereignis oszillieren, und ihren objektivierenden Status im und durch den Diskurs aushandeln. Gleichzeitig definiert sich die spezifische Subjekt- bzw. Objektposition über ihr relationales Verhältnis zu anderen Positionen im diskursiven Feld. Die Grenzziehung definiert das Innen und das Außen einer Position. Diese Grenzlinien werden durch bestimmte Macht/Wissensbeziehungen im Diskurs gezogen (Foucault 1987b: 246). Denn für Foucault gehen Diskurse nicht in linguistischen Sprachspielen auf, sondern sie verfügen, wie Foucault es etwas mystisch ausdrückt, über eine eigene ‚Existenzform‘ (Foucault 1981: 128). Und diese besteht aus der Eigenheit der Diskurse, gerade solche Macht/Wissensbeziehungen zu begründen (ebd.: 258-262).
D ISKURS
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W ISSEN
Mit seinem Wissensbegriff grenzt sich Foucault von einer erkenntnistheoretischen Wahrheitsproblematisierung, wie sie innerhalb der theoretischen Philosophie vorherrscht, dezidiert ab. Die Bedingungen von Wahrheit lassen sich für ihn nicht auf eine erkenntnistheoretische Ebene zurückführen, sie sind dagegen in den gesellschaftlichen Selbstbeschreibungsprozessen selbst zu suchen. Der epistemologische Wahrheitsstatus ist das Ergebnis von effektiven gesellschaftlichen Zuschreibungen bzw. diskursiven Praktiken. Aus diesem Perspektivenwechsel heraus wird das erkenntnistheoretische Wahrheitsproblem dann zu einem eher soziologisch gewendeten Wissensproblem. Diese Wendung
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geht mit einer radikalen Veränderung der Frageperspektive einher: es interessiert nicht, was Wahrheit ist, sondern wie sie nunmehr als ‚Wissen‘ im Zuge gesellschaftlicher Zuschreibungsprozeduren Wahrheitseffekte produziert (ebd.: 48-61). Dieser Punkt ist für die vorliegende Analyse deshalb wichtig, weil es hier nicht darum geht, ein wahres Wissen über den Tango zu ermitteln. Vielmehr soll aufgespürt werden, wie sich die Tangoliteratur als ‚Tangographie‘ objektivierte und darüber einen peronistischen Nationaldiskurs zu stabilisieren vermochte. Das Wissen gründet bei Foucault auf den Objektbereich, den der Diskurs stetig anruft, das heißt die Themen, die er berührt, die Begriffe, die er verwendet und die Dinge, über die er spricht. Da Diskurse ein ‚System der Streuung‘ (ebd.: 58) bilden, da sie also zuvorderst aus disparaten diskursive Praktiken bestehen, bedarf es einer strukturierenden ‚Rationalität‘, den sogenannten Formationsregeln, durch die der Objektbereich als solcher erst konstituiert und relativ stabil gehalten werden kann: „Man wird Formationsregeln die Bedingungen nennen, denen die Elemente dieser Verteilung unterworfen sind (Gegenstände, Äußerungsmodalität, Begriffe, thematische Wahl). Die Formationsregeln sind Existenzbedingungen […] in einer gegebenen diskursiven Verteilung“ (ebd.).
Es ist diese interne Kohärenz der Verkettung von Aussagen, die einer bestimmten ‚Rationalität‘ folgen, durch die das Wissen seinen begrifflich immanent angelegten Wahrheitsstatus erhält: “Es ist immer möglich, dass man im Raum eines wilden Außen die Wahrheit sagt; aber im Wahren ist man nur, wenn man den Regeln einer diskursiven ‚Polizei’ gehorcht...“ (Foucault 1998: 25). Zu dieser ‚diskursiven Polizei‘ dringt man nur durch die Beschreibung der ‚diskursiven Formation‘ (Foucault 1981: 58) vor. Mit diesem Begriff versucht sich Foucault wieder vom Totalitätsgedanken zu befreien, der bei der Vorstellung einer strukturellen Rationalität – wie beim Begriff beispielsweise der ‚Ideologie‘ – stets mitschwingt. Vielmehr erkennt die diskursive Formation die Ereignishaftigkeit der dis-
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kursiven Praktiken an und somit zwangsläufig die damit einhergehende Fragilität der herauszudestillierenden Formationsregeln. Die Beschreibung der diskursiven Formation verbleibt auf der radikalen Ebene der ‚Positivitäten‘ (ebd.182), das heißt auf der deskriptiven Ebene der tatsächlich materiell erschienenen, diskursiven Praktiken. Dies hat zur Folge, dass der peronistische Nationaldiskurs aus einem tatsächlich erschienen Tangokorpus herausgeschält wird. Hinter der Theoretisierung der diskursiven Formationen und der Formationsregeln verbirgt sich ein Begriff der ‚Aussage‘, die weder mit der logisch-grammatikalischen, noch der linguistischen oder der hermeneutisch geprägten Vorstellung von ‚Aussage‘ deckungsgleich ist. Aussagen haben für Foucault nicht den Status von Dokumenten, sondern von Monumenten (ebd.: 13). Während Dokumente auf die Repräsentationsfunktion von Sprache, also auf einen ‚verborgenen‘ Sinn verweisen, ist das Monument das absolut Faktische, das aus sich selbst heraus spricht. Mit dieser nicht ganz metaphorisch gemeinten Gegenüberstellung von Dokument und Monument hebt Foucault auf eine Besonderheit seines Aussagenbegriffes ab. Die Aussage ist keine gänzlich in einem subjektiv gemeinten Sinn aufgehende Bedeutungseinheit, sondern vielmehr ein Code, das auf einer quasi vorsemantischen Ordnungsebene angesiedelt ist. Es ist diese Ordnung zweiten Grades – der Sinn über den Sinn –, auf die letztendlich der Diskurs als Wissensordnung zu verorten ist: „Der Wissenscode und die Formationsregeln legen damit gewissermaßen ein kulturelles Schema des Denk- und Sagbaren fest, dass sich dann in verschiedenen Semantiken ausdrücken kann und das in diesem Sinne vor-semantisch ist“ (Reckwitz 2006: 275).
Da, wie oben erwähnt, Diskurse als diskursive Praktiken auf der Ebene der Positivitäten bzw. des materiellen Zeichens angesiedelt sind, ist es auch dort, wo sich diese Wissenscodes bzw. die Formationsregeln verorten. Der objektivierte Sinn, das kulturelle Schema, ist also den diskursiven Praktiken selbst eingeschrieben. Wie noch zu zeigen sein
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wird, besteht der konstitutive Wissenscode der Tangoliteratur in der polarisierenden Sinngenerierung, die jenseits vom Sagbaren des damaligen historischen Archivs gleichzeitig eine typische Formationsregel des peronistischen Nationaldiskurses war.
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Indem Diskurse auf der materiellen Ebene der diskursiven Praktiken Wissensordnungen konstituieren, sind sie gleichursprünglich in Machtbeziehungen verwoben. Im ‚Gewimmel‘ zueinander begründen Wissensordnungen damit ein bestimmtes ‚Machtgewebe‘ (Foucault 2004: 46): „Alles Wissen ist an Macht gekoppelt, in jedem Wissen, das sich durchsetzt, setzt sich Macht durch. Es ist durch Macht erzeugt und übt Macht aus. Wo es ein Wissen gibt, gibt es also Macht. Wo ein Wissen geschwächt wird, kann Macht geschwächt werden“ (Jäger 2001: 110).
Dabei sind Macht und Wissen analytisch gesehen nicht dasselbe (Dreyfus/Rabinow 1987: 243). Sie beziehen sich auf unterschiedliche Aspekte des Diskurses. Während der Wissensaspekt vornehmlich auf die Sinnstrukturen der Diskurse abhebt, rückt der Machtbegriff die Objektivierungsprozesse jener Sinnstrukturen ins Blickfeld. Das heißt der Machtaspekt fragt nach den Voraussetzungen und Wirkungsbedingungen, die es ermöglichen, dass bestimme Zeichen überhaupt zu Wissensordnungen werden können. Macht definiert sich hierbei nicht, wie im Weber’schen Sinne, über ihre Mittel. Sie verfügt nicht über eine Identität, sondern begründet immer ein Beziehungszusammenhang, eine Relation (Foucault 1987b: 253). Macht kann man sich am besten als ein Netz disparater, diskursiver Praktiken vorstellen, an dessen Knotenpunkten sich Wissensordnungen als ein Ensemble von Machtbeziehungen verdichten.
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Sinnstrukturen werden über jene Machtbeziehungen hervorgebracht, verändert und vor allem als Wissensordnungen objektiviert. Das heißt die Machtbeziehungen, durch die die ‚flottierende‘ Zeichen sinnhaft werden, geht mit der objektivierenden Macht der Diskurse einher, soziale Wirklichkeit zu konstituieren. Erst durch Diskurse werden Dinge für die Menschen als ‚natürlich‘ sichtbar, wird die Welt zu ihrer vertrauten Umwelt. Die Macht des Diskurses liegt darin begründet, dass die transportierten Sinnstrukturen den Status jener Natürlichkeit erhalten, die der Begriff des Wissens als ein objektivierter Sinn zweiten Grades wiederum abverlangt. Hierbei lässt sich erkennen, dass die Macht von Diskursen nicht repressiv, sondern vielmehr produktiv ist: Sie begründet die Bedingungen zur Herstellung sozialer Wirklichkeit, innerhalb der die Menschen sich erst sinnhaft bewegen können. “Eine Gesellschaft ohne ‚Machtbeziehungen’ wäre nur eine Abstraktion“ (Foucault 2007: 99). Das Wissen der Diskurse, wie hier das nationalisierte Tangowissen im historischen Kontext des Peronismus, bringen aufgrund ihrer Machtwirkung bestimmte Subjektformen wie den ‚Peronisten‘ hervor. Die Individuen, die sich innerhalb dieser Diskurse artikulieren, werden allerdings – wie oben schon angemerkt – nicht von den diskursiven Machtwirkungen aufgesogen und determiniert, vielmehr liegt im Begriff der Macht die Möglichkeit selbst zu ihrem kontingenten Handeln begründet: „’Freiheit’ wird [...] zur Existenzbedingung von Macht“ (Lemke 1997: 305). Andererseits prägen die Diskurse und ihre Machtwirkungen als kulturelle Denkschemata die Erfahrungsmöglichkeiten der Menschen. Sie erschaffen einen Kontingenzrahmen, der unterschiedlich eng oder weit geschürt sein kann. Es ist allerdings gerade dieser Kontingenzrahmen, der es auch ermöglicht, dass Menschen sich gegebenen Machtbeziehungen und Subjektivierungsweisen zu widersetzen versuchen: „Gerade weil Freiheit ein unverzichtbares Element einer Machtbeziehung bildet, gibt es kein Machtverhältnis ohne die Möglichkeit von Widerstand“ (ebd.). Dieser Widerstand kann die gegebenen Machtverhältnisse und die damit einhergehenden Wissensordnungen verändern, nicht jedoch im Sinne eines emanzipatorischen
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Telos auflösen. Somit besteht der diskursive Kampf nicht darin, sich vom Subjektstatus als solchem, von der Subjektposition, zu befreien, um gewissermaßen wieder Mensch sein zu dürfen. Stattdessen wird um eine bestimmte Subjektform bzw. um eine bestimmte Wissensordnung gerungen. Aus dieser Perspektive ist das genuin Politische der diskursiven Praktiken das kontingente Aushandeln und Durchsetzen bestimmter Subjektformen: „Politics take on the nature of a death-struggle between competing definitions of universal subjectivity“ (Koch 2007: 128). Dieser Kampf verläuft über die ständig vom Wandel bedrohten Grenzziehungen zwischen Wissen und Nicht-Wissen. Da Diskurse niemals durch einen einzigen Bezeichnungsakt eine Wissensordnung bzw. eine Subjektform determinieren können, müssen ihre Bezeichnungsakte durchgängig wiederholt werden. Diskurse können nur ‚objektive‘ Subjektformen etablieren, indem sie repetitiv sind. Der Diskurs ist ein stetiges Wiederholen seines Wissens (Butler 1993: 57). Die Stabilität und Bewahrung einer Subjektform, ihr Wahrheitsstatus, ist somit weniger ihrer zugrundeliegenden Sinnkohärenz geschuldet, als vielmehr der reiterativen Macht des Diskurses, diese Sinnstrukturen als Wissen ständig zu objektivieren. Die Macht ist allerdings immer im Verhältnis zu konkurrierenden Diskursen zu setzen, die potenziell eine andere Subjektform für die gleiche Subjektposition zu objektivieren beanspruchen. Die Subjektposition, der Subjektstatus selbst, ist dabei ein leerer Signifikant der mit unterschiedlichen Sinnstrukturen gefüllt werden kann.
D ISKURS
UND
N ATION
Analog zu dem vorhergesagten lässt sich nun zusammenfassend der Begriff der Nation diskurstheoretisch übersetzen. Die Nation ist mehr als eine Vorstellung, sie ist eine Subjekt- und Objektposition im historischen Archiv, die über eine Vielzahl von potenziellen Diskursen angerufen wird. Sie konstituiert sich als Subjektposition, indem sie sich
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als diskursive Wissensordnung verfestigt. Das Wissen um die Nation entsteht aus den Semantiken heraus, die zur wirkungsmächtigen Instituierung eines legitimen Souveräns beitragen. Während die verschiedenen Semantiken kontingent und aushandelbar sind und sich um die Instituierung als Wissensordnung bemühen, bleibt die Subjektposition selbst als leerer Signifikant – wie oben schon angemerkt – innerhalb eines historischen Archivs relativ stabil: “Die Leere des Grabes ist ebenso wie die Leere der Begriffe, die die Nation, das Volk oder die ‚Rasse’ bezeichnen, die Voraussetzung dafür, dass sich dieser Signifikant mit dem nationalen Imaginären füllen kann“ (Sarasin 2003: 157).
Die Nation ist der leere Platz, um dessen ‚Füllung‘ als Wissensordnung gestritten wird. Nationaldiskurse lassen sich somit als Macht/Wissensbeziehungen verstehen, die über die historisch bedingte Heterogenität von Semantiken ein sinnhaftes und zugleich als legitim erachtetes Nationalwissen etablieren und damit gleichzeitig auch das Nationalsubjekt hervorbringen. Dieses Wissen formt sich vornehmlich über historisierende Narrative, deren grobe Grundstruktur auf die drei genannten Dimensionen der Zeit, des Raumes und der Person verweist. Der Versuch allerdings, aus diesen Narrativen ein Nationalsubjekt zu fixieren, eine Wissensordnung endgültig zu verfestigen, scheitert zwangsläufig. Das Scheitern liegt in der schon oben skizzierten Annahme begründet, dass Nationalsemantiken nicht umstandslos objektiviert werden können: die Narration entgleitet letztendlich den Anforderungen, die eine Formationsregel bzw. ein Wissenscode an sie stellt. Denn der „claim [einer Narration] to be representative provokes a crisis within the process of signification and discursive adress“ (Bhabha 1990: 297). Diese Krise besteht aus der Bedrohung, von der potenziellen Wissensordnung ausgeschlossen zu werden. Mit den Worten von Judith Butler kann man sagen, dass die Materialisierung, das heißt die gelungene Objektivierung der narrativen Figur, nur durch ein stetiges Wiederholen der dis-
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kursiven Praktiken erfolgt (Butler 1993: 68). Aber dieses Wiederholen offenbart die nie vollendete Objektivierung der Nationalsubjekte; es zeitigt eine kontinuierliche Instabilität bzw. eine produktive Krise des Diskurses (ebd.). Dies zeigt sich darin, dass die Nationalsemantiken nicht nur die Innengrenzen, sondern auch gleichzeitig die Außengrenzen des Nationalsubjekts bestimmen und damit erst das diskursive Feld des Nichtnationalen markieren. Aus dem Nichtnationalen heraus kann wiederum Widerstand im Namen des Nationalsubjekts artikuliert werden (Bhabha 1990: 300). Das Außen ist konstitutiver Bestandteil der Nationalnarrativen bzw. der nie vollkommen zu fixierenden Wissensordnung. Das ‚Schreiben der Nation‘ ist somit insofern ambivalent, als es immer schon eine kontingente Gegenerzählung in sich trägt: „The Nation reveals, in its ambivalent and vacillating representation, the ethnography of its own historicity and opens up the possibility of other narratives of the people and their differences“ (ebd.).
Verschiedene Nationalsemantiken konkurrieren um die Etablierung eines Nationalsubjekts. Sie erheben den Anspruch, die Subjektposition der Nation hegemonial auszufüllen. Die angestrebte Hegemonie wird allerdings aufgrund der Eigentümlichkeit diskursiver Praktiken niemals erreicht.2
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Die hier skizzierte Ambivalenz zur Fixierung einer nationalen Identität geht über eine doch noch sehr strukturalistisch verbleibende Perspektive, wie sie in der Archäologie des Wissens eingenommen wird, hinaus. Das genuin Politische lässt sich aus einer postfundamentalistischen Theorietradition heraus besser begründen: die antiperonistische Gouvernementalität wurde stetig von peronistischen, antihegemonialen Artikulationsversuche herausgefordert. Der Tango war ein symbolischer Raum, wo die Normen der liberalen, antiperonistischen Ordnung – wie noch zu zeigen sein wird – einer radikalen Kritik unterworfen und deren Anspruch auf Universalität als partikular sichtbar gemacht werden konnten. Die Instituierung des
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Von einem Nationaldiskurs lässt sich sprechen, wenn bestimmte Semantiken immer wieder in den zu analysierenden Texten erscheinen, und die ihnen zugrundeliegenden, nationenkonstitutiven Formationsregeln plausibel gezeigt werden können. Dies ist ein Indiz dafür, dass sich ein zumindest vorübergehendes Wissen stabilisiert bzw. durchgesetzt hat und sich ein dazugehöriges Nationalsubjekt etablieren konnte. Das historische Archiv bildet die Foucault’sche Hintergrundfolie, auf der die Nationaldiskurse erst in Erscheinung treten können. Die Intellektuellen, die hier im Zentrum der Arbeit stehen, sind hierbei nicht Urheber der Diskurse, sondern sie nehmen vielmehr selbst eine diskursive Position ein, aus der heraus sie im Namen des nationalen Intellektuellen sprechen. Das intellektuelle Feld ist dabei an den spezifischen politischen Kontext rückgekoppelt. Die political issues werden von den Intellektuellen aufgenommen und in ihren Schriften bearbeitet. Dabei können, wie schon erwähnt, die Intellektuellen vielmehr zu einer Verschärfung als zu einer Schlichtung der politischen Auseinandersetzungen beitragen.
T ANGOKORPUS Bis zu diesem Punkt wurden die diskurstheoretischen Prämissen beschrieben, auf denen die folgende Analyse fußen wird. Die Frage, wie sich die Tangoliteratur zwischen 1955 und 1973 an der polarisierten Konfliktlinie um das legitime und souveräne Nationalsubjekt verortete, lässt sich nunmehr insofern methodisch in den Blick nehmen, als aus ihren Narrativen heraus ein Nationaldiskurs rekonstruiert werden kann. Zuvorderst bedarf es allerdings der Explizierung und Präzisierung des zu untersuchenden Textmaterials bzw. des Tangokorpus:
Streits als Ausdruck der Unmöglichkeit von universalistischen Letztbegründungen rückt bei den postfundamentalistischen Theorien, wie beispielsweise bei Jacques Rancière und Ernesto Laclau bzw. Chantal Mouffe, geradezu in den theoretischen Mittelpunkt (vgl. Marchart 2010: 178-221).
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Für den Korpus werden nur schriftliche Texte herangezogen. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass Intellektuelle vor allem über ihre schriftliche Produktion in der Öffentlichkeit auftreten und Aufmerksamkeit erlangen. Des Weiteren sind die verschriftlichten Texte Einzelmonographien. Diese Einschränkung ist forschungspragmatischer Natur. Da sich die vorliegende Analyse als ‚Pionierstudie‘ begreift, bleibt die Untersuchung weiterer Quellen wie Aufsätze, Kommentare, Interviews und Artikeln, die in Medien, wie beispielsweise in Zeitungen und Magazinen, über diesen Zeitraum von Intellektuellen potenziell haben auftauchen können, den hieran anknüpfenden Studien vorbehalten. Es ist zu erwarten, dass in Einzelmonographien die wesentlichen Diskursstränge in verdichteter Form erscheinen und daher für einen Erstzugriff geeignet sind. Weiterhin finden nur solche Monographien in den Korpus Eingang, die den Tango zum expliziten Gegenstand haben. Dabei werden nur diejenigen in Erwägung gezogen, die aufgrund ihres sich selbst zugeschriebenen Erkenntnisinteresses den Anspruch erheben, eine nicht-fiktionale und somit ‚wahrheitsgetreue‘ Tangonarration zu präsentieren. Literarische Abhandlungen über den Tango fallen damit aus dem Korpus heraus. Schließlich werden nur solche Monographien als Bestandteil des Korpus betrachtet, die zwischen 1955 und 1973 in argentinischen Verlagen veröffentlicht worden sind. Diese Einschränkung ist dem hier vorliegenden Erkenntnisinteresse selbst geschuldet: es wird danach gefragt, wie die argentinische Tangoliteratur in diesem Zeitraum in ihrer Selbstbeschreibung eine spezifische nationale Subjektposition einnahm.
Für die Erstellung des Tangokorpus müssen jedoch die potenziell zur Analyse in Betracht gezogenen Monographien erst in Erfahrung gebracht werden. Hierfür ist der Rückgriff auf eine möglichst erschöpfende Bibliographie unausweichlich. Das vollständigste und aktual-
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isierteste Bibliographienverzeichnis, das hier zur Erstellung des Tangokorpus herangezogen wird, brachte Deborah Jakubs von der Faculty of Latin American and Carribean Studies an der Duke University heraus (Jakubs 2010).3 Ergänzt wird diese Bibliographie durch die Recherche von Tangowerken an der größten musikwissenschaftlichen Bibliothek Argentiniens, dem Instituto Nacional de Musicología Carlos Vega und der Bibliothek der Universidad Torcuato di Tella. Schließlich finden sich auch in der Linga-Bibliothek der Universität Hamburg zahlreiche Bibliographienergänzungen. Die gefundenen Bibliographienverzeichnisse sind nach den vier oben genannten Kriterien gefiltert worden und bilden den virtuellen, das heißt möglichen Korpus der Analyse. Da allerdings nicht auf alle Veröffentlichungen zurückgegriffen werden kann – da entweder viele Tangowerke in den Bibliotheksbestand nicht aufgenommen wurden oder sie über den Büchermarkt nicht mehr zu erhalten sind - muss aus dem virtuellen, ein konkreter Korpus gezogen werden.4 Dieser besteht schließlich aus 65 Monographien (vgl. Anhang). Aus ihm heraus wird die Diskursanalyse getätigt. Er bildet den „...Ausgangpunkt, von dem aus untersucht wird, wie Rahmenbedingungen konstruiert, soziale Beziehungen hergestellt und Bedeutungen hervorgebracht werden“ (Landwehr 2001: 108).
T EXT , K ONTEXT
UND
D ARSTELLUNG
Gleichwohl der hier ausgewählte Tangokorpus, der für die intellektuelle Tangoliteratur der sechziger Jahre stehen soll, den Ausgangspunkt der Analyse bildet, ist er nicht mit dem Diskurs selbst gleichzusetzen. Da sich der Nationaldiskurs über seine Wissensfunktion, das heißt über seine zugrundeliegende Formationsregel definiert, muss diese aus dem
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Andere Bibliographienverzeichnisse, wie das von Lidia Ferrari (2010) oder Andrés Carretero (1964) sind weniger umfangreich oder veraltet.
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Die hier verwendete Unterscheidung zwischen dem ‚virtuellen‘ und ‚konkreten Korpus‘ entstammt von Achim Landwehr (2001: 107).
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Textkorpus erst freigelegt werden. Bei einer Foucault’schen Diskursanalyse geht es nicht darum, einen gegebenen Diskurs zu untersuchen, sondern über die Analyse des Textkorpus einen Diskurs zu finden (Gehring 2006: 129). Das bedeutet, dass aus der gegebenen Textmenge, eine zu beschreibende diskursive Formation und eine sich daraus wiederum verdichtende Formationsregel gesucht werden, die den ‚Peronisten‘ und/oder ‚Antiperonisten‘ als eine spezifische Subjektposition und einen Wissensgegenstand hervorzubringen vermögen. Foucault nennt diesen Suchprozess in seiner Wissensanalyse ‚Individualisierung‘ (Foucault 1981: 100). Forschungspragmatisch gesehen besteht der Individualisierungsprozess aus einer gegenseitigen Annäherung zwischen Text- und Kontextanalyse. Unter Berücksichtigung der drei narrativen Dimensionen der Zeit, des Raumes und der Person filtert die Textanalyse diejenigen Aussagen heraus, die ein Wissen um die Nation suggerieren. Dabei werden die Tangowerke in beliebig kleine Textstellen dekonstruiert und mit anderen Textstellen von anderen Autoren und anderen Werken, die allerdings aus dem Korpus entstammen, zu Diskursfragmenten verknüpft. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass nicht alle in der Narration versprachlichten Sätze in der Tangoliteratur gleichzeitig Aussagen im Sinne eines Nationaldiskurses sind: einige Texte werden aufschlussreicher erscheinen als andere; einige Texte werden gar nicht zu dem hier zu isolierenden Nationaldiskurs gehören, da aus ihnen nichts herausgezogen werden kann; andere wiederum erhalten eine Vorrangstellung insofern, als sie charakteristisch für den zu individualisieren Nationaldiskurs sind. Die theoretische Grundlage dieses Dekonstruktionsverfahrens besteht darin, dass das Werk für Foucault keine in sich geschlossene Analyseeinheit darstellt: „Die Grenzen eines Buches sind nie sauber und streng geschnitten: über den Titel, die ersten Zeilen und den Schlusspunkt hinaus, über seine innere Konfiguration und die es autonomisierende Form hinaus ist es in einem System der Verweise auf andere Bücher, andere Texte, andere Sätze verfangen: ein Knoten in einem Netz“ (Foucault 1981: 36).
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Die Leistung der Textanalyse besteht darin, Aussagen zu isolieren; das heißt, in der Vielzahl an Texten, Äußerungen zu finden, die ein nationales Subjekt positionieren. Diese Aussagen erkennt man im Tangokorpus daran, dass sie eine wiederholbare Materialität haben (ebd.: 149). Wie in den diskurstheoretischen Ausführungen beschrieben, bedürfen Objektivierungsprozesse der ständigen Wiederholung ihrer Äußerung. Erst ihre regelmäßige Erscheinung macht eine Äußerung zu einer Aussage und zum Bestandteil eines Nationaldiskurses. Die Aussage ist „mit einer bestimmten modifizierbaren Schwere, mit einem Gewicht ausgestattet, das in Beziehung zu dem Feld steht, in dem sie sich befindet, mit einer Beständigkeit ausgestattet, die verschiedene Verwendungen erlaubt, mit einer zeitlichen Permanenz...“ (ebd.: 153). Sie muss innerhalb einer bestimmten Zeitspanne stabil bleiben, was jedoch nicht heißt, dass dadurch ihr materieller, ereignishafter Charakter verloren ginge. Allerdings ist die spezifisch nationenkonstitutive Funktion einer Aussage nur dann ermittelbar, wenn man ihren historischen Kontext berücksichtigt. Erst wenn man weiß, wie sich die Subjektformen ‚Peronist‘ und ‚Antiperonist‘ artikuliert haben, wird die nationenkonstitutive Funktion der Tangoäußerungen sichtbar. Denn wie Achim Landwehr bemerkt, erschöpft sich eine von Foucault inspirierte Diskursanalyse nicht in der Analyse von Texten, sondern vielmehr sind die nicht-diskursiven Praktiken, die die Produktion dieser Texte begleiten, von gleichwertiger Bedeutung: Eine Foucault’sche Diskursanalyse „...vermeidet es explizit, einen wie auch immer gearteten Vorrang entweder des Textes oder des Kontextes, in dem der gesprochene oder geschriebene Text produziert wurde, anzunehmen“ (Landwehr 2001: 107). Die Kontextanalyse ist nicht lediglich ein Beiwerk der vermeintlich ‚eigentlichen‘ Analyse, sondern bildet einen integrativen Bestandteil der ausstehenden Diskursanalyse. Die Kontextanalyse rekonstruiert die historischen Rahmenbedingungen bzw. das historische Archiv und expliziert das Sagbare zu einer bestimmten Zeit. Erst innerhalb dieses Sagbaren entstehen mögliche Nationaldiskurse, das heißt sagbare und denkbare Sinnzusammenhänge über die nationale Gemeinschaft.
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Die historische Rekonstruktion verläuft in dieser Analyse über zwei Ebenen: Einer Beschreibung der allgemeinen historisch politischen Lage und der spezifischen Beschreibung des intellektuellen Feldes, innerhalb dessen die Tangowerke erschienen sind. Diese zwei Ebene entsprechen Landwehrs Unterteilung zwischen ‚historischem‘ und ‚institutionellem Kontext‘ (ebd.: 110). Während das Erstgenannte die von der Politik aufgenommenen political issues zu skizzieren beansprucht, soll das Letztere die Problematisierungsweisen der Nationenkonstruktion im intellektuellen Feld grob nachzeichnen. Erst innerhalb dieser kontextuellen Einbettung der Texte wird ein Nationaldiskurs innerhalb der Tangoliteratur erkennbar. Anders als bei der Textanalyse wird bei der Kontextanalyse keine Primär- sondern Sekundärliteratur herangezogen. Es gibt, wie Hannelore Bublitz es anmerkt, allerdings nicht zwei, sondern drei Momente einer Foucault’schen Diskursanalyse: Dekonstruktion, Rekonstruktion und Konstruktion (Bublitz 2001: 234). Eine Wissensformation wie die Tangoliteratur soll ihrer Evidenzen als ‚Tangographie‘ beraubt werden, indem die Tangonarrationen dekonstruiert und die politisch-historischen Bedingungen dieser Texte rekonstruiert werden. Das Ziel dieser De- und Rekonstruktion ist schließlich eine Konstruktion, eine „reine Beschreibung der diskursiven Ereignisse“ (Foucault 1981: 41). Die deutende Darstellung des historisch bedingten Nationaldiskurses und die Sichtbarmachung seiner zugrundeliegenden Formationsregel ist somit das Ergebnis der vorliegenden Analyse. Auf diese Konstruktion wird in den folgenden Kapiteln hingearbeitet. Hierfür wird als nächstes mit einer genealogischen Rekonstruktion der Tangodiskurse begonnen, die im intellektuellen Feld vom Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts bis 1955 vorherrschten. Nach der Darstellung des politischen Kontextes, des intellektuellen Feldes und der ersten Sichtung des Materials erfolgt schließlich die detaillierte Textanalyse, aus der heraus die Diskursfragmente herausgeschält werden.
Widerspenstige Tangos
B ARBARISCHE T ANGOS Auch wenn es aus heutiger Perspektive schwer fällt, den Tango nicht mit Argentinien in Verbindung zu bringen, so kam diese Verwandtschaft doch erst im Laufe der Geschichte zu Stande. Noch 1910 sei auf der Bühne eines Pariser Kabaretts der Tango als ein brasilianischer Tanz angekündigt worden. Daraufhin standen plötzlich einige Argentinier empört auf und reklamierten den Tango für sich. Eine brasilianische Gruppe, die sich ebenfalls dort aufhielt, war ihrerseits vom Einwand der Argentinier sichtlich erstaunt (Garramuño 2007: 5). So wie Florencia Garramuño diese Anekdote kommentiert, hätte die Geschichte zu der Zeit noch ganz anders verlaufen können, und heute müsste man an dieser Stelle über brasilianische statt über argentinische Intellektuelle schreiben (ebd.). Aber nicht nur aufgrund der zwischenstaatlichen Konkurrenz hätte der Tango eine andere Geschichte durchleben können, sondern vor allem aufgrund seiner Verleumdung, die er innerhalb Argentiniens erfuhr. Der Tango galt Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts, nämlich vor dem Pariser Boom der zwanziger Jahre, bei der argentinischen Mittel- und Oberschicht, das heißt sowohl bei der ländlichen Aristokratie wie auch beim aufstrebenden, städtischen Bürgertum, zu denen unter anderem die Intellektuellen gehörten, als das vorzüglichste Emblem des Antinationalen. Der Tango stand geradezu für die nationale Schan-
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de. Er wurde von dem Teil der Bevölkerung getanzt, der außerhalb jener halb aristokratischen, halb bürgerlichen Gesellschaft stand: von den verarmten, meist aus Südeuropa stammenden Immigranten, von der ländlichen Bevölkerung, von den damals schon wenig verbliebenen Schwarzen, von den Tagelöhnern und Kriminellen und schließlich von den Frauen, die ihre Körper verkauften. Auch geographisch gehörten die Tangotanzenden weder zum städtischen Bürgertum noch zur ländlichen Aristokratie. Denn sie lebten weder auf dem Land, noch in der Stadt, sondern in den orillas, den Außenrändern der Stadt. Sie lebten eingepfercht in sogenannten conventillos. Dieses waren sehr prekäre, gemeinschaftliche Behausungen, in denen auf über fünfzehn Zimmern lediglich eine Toilette fiel: „After all, it was the marginal, hybrid, and low working-class local sectors that had originally created and practiced the tango“ (Savigliano 1995: 137). Der Klassenunterschied wurde von Seiten der Oberschicht über das kulturelle Dispositiv des Primitiven und Barbarischen artikuliert. Es war die wahrgenommene Amoralität des Tangos, an der sich die argentinische Elite, und vor allem die Intellektuellen, rieb. Ezequiel Martínez Estrada artikulierte noch 1930 diese moralische Verachtung, die der stereotypische Intellektuelle eher Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts gegenüber dem Tango empfand: „Der gesamte Tango findet unterhalb der Gürtellinie statt, er gehorcht nicht dem Verstand, sondern den vegetativen Trieben“ (eigene Übers.; Martínez Estrada 1991: 163), oder noch deutlicher, „der Tango ist der Geschlechtsakt selbst mit anderen Mitteln“ (eigene Übers.; ebd.: 164). Diese Kodierung der Amoralität ging einher mit einer Verneinung des Tangos als Kunstform: „Es ist eine laszive Musik, dessen Texte die allgemeine Masse mit wirklicher Poesie verwechselt“ (eigene Übers.; ebd.: 163). Diese Verachtung führte auch dazu, dass die besser gestellten Tanzlokale, die im Norden der Stadt lagen, von Polizisten überwacht wurden. Jedes Mal, wenn der Verdacht aufkam, dass der Mann eine bestimmte unkeusche Tanzfigur auszuüben versuchte, wie die Quebrada oder den Corte, riefen die Polizisten in den Raum ‚Que haya luz!‘ (Licht einschalten!; Savigliano 1995: 146). Hinter diesem moralistischen Diskurs verbarg sich ein
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klassenkodierter Kampf um die Repräsentationshoheit der nationalen Gemeinschaft: „The Problem was a class struggle over representations of national identity“ (ebd.: 147). Dieser vorherrschende und hegemonial anmutende Diskurs über die Argentinidad gründete immer noch auf das politische Denken der liberalen Gründungsväter des neunzehnten Jahrhunderts, allem voran auf das Denken des Intellektuellen Domingo Sarmiento. Für Sarmiento sollte sich die argentinische Nation an das europäische und später an das nordamerikanische Modell der Moderne halten. Darunter verstand er eine Gesellschaft, die durch eine ‚vernunftgeleitete Erziehung‘ ihren kapitalistisch erworbenen Wohlstand mehrt und ihre bürgerlichen Rechte verteidigt. Diese Erziehung zur Vernunft sollte die kulturelle Basis liefern, durch die eine argentinische Nation befähigt sein würde, Teil der kosmopolitischen Weltordnung zu werden. Die westliche Welt galt in dieser argentinischen Nationalvorstellung somit als Vorbild und Vorreiter der Zivilisation. Sinnbild für den Fortschritt und die ‚hohe‘ Kultur war für Sarmiento die Stadt und die städtische Kultur im Gegensatz zum Land. Nur wenn Argentinien seine ‚Barbarei‘, das heißt seine rückständigen, ländlichen Traditionen und vor allem seine damit einhergehenden amoralischen Züge aufgeben würde, könne es Teil der zivilisierten Welt werden (Halperin Donghi 2005: 67ff). Aus dieser Perspektive heraus scheint es nicht weiter verwunderlich zu sein, dass die Intellektuellen, die sich per definitionem der ‚Vernunft‘ verpflichtet fühlten, den scheinbar verruchten Tango konsequent ablehnten.
Z IVILISIERTE T ANGOS Diese ablehnende Haltung gegenüber dem Tango änderte sich jedoch mit seinem Pariser Boom in den zwanziger Jahren und mündete schließlich in seine Nationalisierung. Martha Savigliano hat diesen Nationalisierungsprozess in ihrer Studie Tango and the Political Economy of Passion nachgezeichnet (Savigliano 1995). Erst nachdem damit be-
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gonnen wurde, den Tango in Paris zu tanzen – damals die Metropole des ‚guten Geschmacks‘ –, konnte er bei der heimischen Oberschicht Anerkennung finden (ebd.: 137-144). Anfänglich war sie darüber entrüstet, dass ein Tanz der ‚Marginalisierten‘ und der ‚Unzucht‘ in solch einer ‚feinen Gesellschaft‘ wie in der Pariser getanzt werden konnte. Der damalige argentinische Botschafter von Paris, Enrique Rodríguez Larreta wollte die internationale Gemeinschaft diesbezüglich ‚aufklären‘: „In Buenos Aires wird Tango nur in den unanständigsten Wirtshäusern und Tavernen getanzt. Er wird niemals in vornehmen Salons und unter einer auserlesenen Gesellschaft getanzt“ (eigene Übers.; Larreta o.A., zitiert nach Savigliano 1995: 139).
Aber der Tangoboom konnte nicht aufgehalten werden. Wie Savigliano bemerkt, hat dieser Boom im europäischen Ausland die Repräsentationsmacht der heimischen (und für Savigliano ‚kolonialisierten‘) Oberschicht insofern gefährdet, als sie nicht mehr die alleinigen, legitimen Vorsprecher eines argentinischen Nationaldiskurses waren: „Through Tango, the disputes over national identity had shifted from the domestic terrain controlled by the colonized elite to the international terrain controlled by imperial powers“ (ebd.: 142). Der marginalisierte Sektor wurde durch die europäische Anerkennung des Tangos dazu autorisiert, wenn auch nur in Ansätzen, an der Beschreibung einer argentinischen Nation mitzuwirken. Allerdings war der zu zahlende Preis dafür sehr hoch: der sozialpolitische Charakter dieser Kulturform sollte sich im Zuge einer kommodifizierten Exotisierungsstrategie verdrängt sehen (ebd.: 144). Unter ‚Exotik‘ versteht Savigliano eine diskursive Position im europäischen Hegemonialdiskurs. Sie beschreibt das ‚Wilde‘, das ‚Primitive‘, die ‚Leidenschaft‘, das ‚Unzähmbare‘ und die ‚Lust‘ (ebd.: 2). Durch die steigende Nachfrage an Exotik folklorisierten die westlichen Diskurse die argentinischen Nation. Diese wurde in Opposition zum modernen Europa gestellt. Das ‚moderne‘ Paris stand dem ‚exotischen‘ Buenos Aires gegenüber. Die-
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se Umkodierung in den Bedeutungsgehalten des Tanzes wurde dann nicht nur von den Tangoorchestern, Tangosängern und Tangotänzern übernommen, die sich damit ihre eigene Existenz zu sichern suchten, sondern schließlich auch von der heimischen Oberschicht und den Intellektuellen (ebd.: 137-144). Aber wie konnte die ‚Autoexotisierung‘ (ebd.: 2) der Intellektuellen erfolgen, wenn man bedenkt, dass sie rigorose Fürsprecher eines ‚modernen‘ und ‚zivilisierten‘ Argentiniens waren? Florencia Garramuño brachte die Antwort auf einen Begriff: ‚Primitive Modernität‘ (Garramuño 2007: 15). Die einstige Amoralität des Tanzes erhielt von den Intellektuellen nun den Status einer pittoresken Erzählung, einer nationalen Legende, die lediglich als Erinnerung in das kollektive Gedächtnis eingehen sollte. Die ‚Welt des Tangos‘ sei lediglich literarisch; die dort auftauchenden Figuren seien literarische Gattungen, entsprächen einer fernen, irrealen Zeit (ebd.). Jorge Luis Borges, ein Hauptvertreter dieser diskursiven Nationalisierungsstrategie, verglich beispielsweise den Tango mit den griechischen Rhapsoden, das heißt der mythischen Sagenerzählung (Borges 2002: 98). Die Mythifizierung des Tangos warf die sozialen Probleme, die sich damit einst verbanden, in eine Unwirklichkeit zurück und machte aus realem Missstand poetisches Heldentum. Die einzige Botschaft des Tangos war für Borges die folgende: „Den Argentiniern die Gewissheit geben, dass sie tapfer gewesen sind, dass sie die Forderung des Muts und der Ehre schon erfüllt haben“ (eigene Übers.; ebd.: 99). Diese Nationalisierungsstrategie trennte die Vergangenheit des Tangos von seiner damals gegenwärtigen Praxis. Die Tangopraxis wurde nicht von den Intellektuellen aufgegriffen, sondern eher von den Medien und von der ökonomischen und politischen Oberschicht. Für sie hatte sich der Tango durch die ‚Pariser Säuberung‘ ‚modernisiert‘ und ‚zivilisiert‘: Er sei salonfähig geworden, er würde nicht mehr so sehr getanzt, sondern gesungen werden, die Amoralität fände lediglich in den Texten und nicht mehr über die Körper statt, die Flöte und die Gitarre seien durch das stilvollere Klavier und das aus Krefeld stammende Bandoneon ersetzt worden (Garramuño 2007: 54-78). Somit
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war dem Intellektuellen der Raum eröffnet, über den Tango in literarischer Form zu schreiben, während die ökonomische und politische Oberschicht die damals sich verändernde Tangopraxis als ‚modern‘ kommentierte. Diese ambivalente, diskursive Strategie zwischen literarischer Folklorisierung des Tangos einerseits und medialer Inszenierung von Modernität andererseits, ermöglichte die Konstruktion einer Nationalvorstellung, die sich von der europäischen Modernität differenzierte, gleichzeitig ihr aber als ebenbürtige Kunstform die Stirn zu bieten beanspruchte. Wie man abschließend zusammenfassen kann, bestand das ‚zivilisatorische Dispositiv‘ (Garramuño 2007: 54) Ende der zwanziger Jahre in der Etablierung einer „legend of the collective self, which turned modern and urban“ (Steingress 1998: 157).
P ERONISTISCHE T ANGOS Während der Tango in den zwanziger und dreißiger Jahren einem zivilisatorischen Dispositiv unterlag, trug er in den vierziger und fünfziger Jahren – mit dem Auftauchen des ‚offiziellen Peronismus‘1 – einer anderen diskursiven Strategie Rechnung. Der Peronismus zwischen 1946 und 1955 begriff sich selbst als ein Gegendiskurs zum bis dahin vorherrschenden politischen und ökonomischen Liberalismus der Gründungsväter. Mit Juan Domingo Perón an der Macht brach ein nationalistisches Zeitalter an, das den Tango und sein Verhältnis zu den Intellektuellen veränderte. Die klassische Studie von Christian Buchrucker aus dem Jahre 1987, der die Reden von Perón und Eva María Duarte (Evita) analysierte, bietet eine synthetische Darstellung der peronistischen Doktrin an, die bis zum Jahre 1973 als das einflussreichste Ideologiengebäude der politischen Auseinandersetzungen galt:
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Der Zusatz ‚offiziell‘ verweist auf die erste und zweite Regierungsperiode von Juan Domingo Perón zwischen 1946 und 1955. Damit unterscheidet er sich vom Peronismus der postperonistischen Epoche ab.
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Die peronistische Doktrin hatte sich zur Aufgabe gemacht, das ‚liberale Argentinien‘ zwischen 1810 und 1930 zu kritisieren und gänzlich zu verändern. Der Peronismus sah sich als eine ‚dritte Alternative‘ (Buchrucker 1987: 330) zu den aufsteigenden bipolaren Mächten an. Laut dieser Doktrin hätten die ‚imperialistischen‘ Ländern, zu denen sowohl die kapitalistischen Vereinigten Staaten und Westeuropa als auch die kommunistische UdSSR gleichermaßen gehörten, dazu beigetragen, die drei Hauptpfeiler des Peronismus zu untergraben: die ‚wirtschaftliche Unabhängigkeit‘, die ‚politische Souveränität‘, und vor allem die ‚soziale Gerechtigkeit‘. Dabei sah der Peronismus in den lohnabhängigen Bauern, Industriearbeitern, aber auch in den kleinen und mittelständischen Unternehmern die authentischen Repräsentanten der Nation. Diese machten das Volk aus. Dem Diskurs zufolge sei diese masa popular (Volksmasse) bis zum Auftauchen des offiziellen Peronismus von der argentinischen, aber in ‘Wirklichkeit‘ antinationalen Elite unterjocht worden. Die Oligarquía (Oligarchie) sei dabei die Kehrseite der ‘Volksmasse‘ und somit der Inbegriff des ‚Antinationalen‘. Sie bestünde aus einem Bündnis zwischen den Parteien, einer institutionell legitimierten liberalen Demokratie, dem internationalem Handel, der exportierenden Großgrundbesitzern und auch der europäisierten Intellektuellen. Die Parteien haben, so diese diskursive Figur weiter, seit jeher zu einer stetigen Instabilität beigetragen, in dem sie ihre partiellen Interessen vertraten. Demgegenüber sei der Peronismus keine Partei, sondern eine ‚Bewegung‘, die die gesamte Nation als ‚harmonische Einheit‘ umfasse. Die ‚liberale Demokratie‘ habe zwar dem Bürger einige juristische Rechte erbracht, habe aber die soziale Lage der arbeitenden Bevölkerung nicht verbessert. Die Liaison der ‚Oligarchie‘ mit dem internationalen, vor allem britischen und nordamerikanischen Kapital habe die Nation in wirtschaftlicher Abhängigkeit und Sklaverei gebracht. Der Peronismus demgegenüber setze sich zum Ziel, wirtschaftliche Unabhängigkeit zu erlangen, indem er nationale Industrien aufbaue und sich von der ‚elitären‘ Agrarwirtschaft verabschiede, ohne dem Kommunismus jedoch anheim zu fallen. Er fördere das private Kapital, gäbe aber gleichzeitig darauf Acht, dass
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der Rhythmus des Wachstums mit dem der ‚sozialen Gerechtigkeit‘ Schritt halte. Damit dies möglich sei, müsse sich die Arbeiterschaft organisieren. Das private Kapital und die organisierte Arbeiterschaft stünden dann unter der Obhut des argentinischen Staates, der für die Erhaltung einer ‚nationalen Einheit‘ eine korporative Struktur anstrebe. Als ‚Organismus‘ solle dann die ‚nationale Einheit‘ in der Geschichte ‚evolutionieren‘. Perón selbst sei dabei el líder, der die Volksmasse zur Evolution hinführe (ebd.: 325-333). Aus der Perspektive dieser peronistischen Doktrin bestand die Nation vor allem aus den ländlichen Bauern, die aufgrund der wirtschaftsstrukturellen Veränderung des präperonistischen Argentiniens in die Stadt zugezogen waren: „Between 1929 and 1949 land under grain crops declined from 16.817 hectares to 10.396 hectares and an estimated 1.703.000 peasants moved to Buenos Aires by the early 40s“ (Castro 1991: 225). In realpolitischer Hinsicht stellte diese relativ neu zugezogene Inlandsbevölkerung die politische Basis von Perón dar (ebd.: 207). Unter Berücksichtigung dieser demographischen Veränderung erscheint es nicht weiter verwunderlich, dass Perón vor allem in den kreolischen, d.h. inländischen, Wurzeln den Inbegriff nationaler Authentizität sah. Der ‚Argentinier‘ war für ihn nicht der europäische Immigrant, sondern der aus dem Inland stammende Gaucho, der sich aufgrund des ‚Imperialismus‘ in der Stadt niederlassen musste (ebd.: 218). Wie Donald Castro in seiner Studie über Peronismus und Tango anmerkt, bestand die peronistische Nationalisierungsstrategie in der Umkehrung der sarmentinischen Formel: “The ‚barbarism’ of the interior was now to be the ‚civilization’ of the new Argentina“ (ebd.: 221). Nun schien der Tango auf den ersten Blick nicht die ideale Kulturform für eine peronistische Nationalvorstellung zu sein: Erstens entsprach der bis dahin überlieferte ‚zivilisierte‘ bzw. ‚exotisierte‘ Tango einer städtischen und nicht einer ländlichen Folklorisierung und zweitens drückten viele Tangotexte der zwanziger und dreißiger Jahren immer noch einen sozialen Missstand aus, den es in einem peronistischen Regime nicht geben durfte. Sie erzählten von Hunger, Armut, Prostitution und unfairen Arbeitsbedingungen. Aber trotz dieser augen-
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scheinlichen diskursiven Widersprüche, erfuhr der Tango der vierziger Jahre, nach dem Pariser Boom der Zwanziger, erstmalig wieder eine großflächige, heimische Renaissance (ebd.: 227). Perón hegte ein freundschaftliches Verhältnis zu den damals wichtigsten Tangodichtern wie Enrique Santos Discépolo, Homero Manzi und Cátulo Castillo wie auch Francisco García Jiménez (ebd.: 223, 239). Und diese wiederum wurden zu Anhängern des Peronismus. Manzi beispielsweise erhielt eine eigene Radiosendung, das staatliche Theater Teatro Presidente Alvear wurde zu Ehren von Discépolo in Teatro Enrique Santos Discépolo umbenannt (ebd: 241) und Cátulo Castillo wurde zum Vorsitzenden der Nationalen Kommission für Kultur ernannt (ebd.: 242). Diese Peronisierung der Tangodichter, die in der postperonistischen Phase nach 1955 aus ihren staatlichen Positionen und Ehrenämtern entlassen wurden, ging mit einer Veränderung der Tangotexte und der Tangomusik der vierziger Jahre einher: die Tangotexte drückten nicht mehr sozialen Missstand und auch nicht amoralische Anzüglichkeit aus, sondern Nostalgie; der Rückgriff auf eine verlorene Vergangenheit der Kindheit und der Jugend ersetzte die bis dahin geläufige Kommentierung der gegenwärtig gelebten Realität: „This silence is perhaps the most transcendental impact of the Perón Era, a period when the tango was silenced. Its voice was nostalgic, lost was its power to comment on the reality of porteño life“ (ebd.: 247).
Diese peronistische Nationalisierungsstrategie wurde dadurch noch bestärkt, dass die einstige Vormachtstellung des gesungenen Tangos durch den instrumentellen und tanzbaren Tango gebrochen wurde. Dies erleichterte das Übertünchen der Widersprüche zwischen den Tangotexten und dem peronistischen Diskurs: „The evolution of the tango from dance to song has now reversed itself. Therefore, the offensive lyric of the old tango in terms of language and then of content was of no matter. The tango was now more for dance“ (Castro 1998: 65).
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Perón ermöglichte auch die Ausstrahlung einer Vielzahl von Tangofilmen, in denen der zur Legende gewordene Tangosänger Carlos Gardel die Hauptrolle übernahm. Damit wurde eine Identifikation zwischen Gardel und Perón unumgänglich. Viel später, 1975, sollte in einem offiziellen Schreiben seine zweite Ehefrau, María Estela Martínez Cartas, auf seinen Ehegatten in folgender Weise Bezug genommen haben: „Er ist Führer eines Volkes, Führer einer Bewegung der sozialen Gerechtigkeit, Lehrer für seine Nation […] und Perón wusste auch über den Tango Bescheid“ (eigene Übers.; Martinez, o.A. zit. Nach Castro 1998: 66), oder an einer anderen Stelle, „Wenn Gardel Tango ist, dann ist Perón auch Tango, und das argentinische Wesen lebt folgerichtig dann auch durch Tango“ (eigene Übers.; ebd.).
Man kann also in diesem kurz skizzierten genealogischen Abriss argumentieren, dass der zivilisierte Tango trotz seiner anfänglich diskursiven Widersprüchlichkeit mit einem peronistischen Diskurs zu einem peronistischen Tango avancierte. Die Einführung der Nostalgie in den Texten, die Verfilmungen von Gardel, die persönlichen Äußerungen von seiner Ehefrau zusammen mit den Verdrängungen des gesungenen Tangos zu Gunsten seines Tanzes schienen die Strategie einer Peronisierung des Tangos zu folgen. Dass Perón den Tango förderte, lag womöglich darin begründet, dass er das politische Potenzial, das sich in ihm verbarg, erkannte: „The political base for Perón was also the cultural base for the tango“ (Castro 1991: 234). Die in die Stadt zugezogenen Kreolen identifizierten sich entgegen einer doktrinären Annahme des Peronismus mehr mit dem Tango als mit der inländischen Folklore (ebd.: 235). Als Pragmatiker erkannte Perón dieses Potenzial und förderte den Tangoboom der vierziger Jahre zu seinen Gunsten. Wenn man Sylvia Molloy folgt, dann ging diese Rechnung auf. In Bezug auf diese Zeit erzählt Molloy ein für sie typisches Szenario, das hier trotz seiner Länge zitiert werden soll:
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„I think tango and I think of Perón. Let me explain: as a child I used to hear tangos sung by our maid, a woman who had left the pampa to come down to the city, and whose political leanings were the exact opposite to those of my parents. Justa was a fervent peronista. Thanks to Perón she had discovered that she could be more than a maid. My mother let her have two afternoons off a week so that she could attend the School of Nursing founded by Evita […] During Perón’s first term in office, nationalism was the order of the day and radio stations were made to broadcast national music. National music meant the music of the provinces but it meant, above all, tango....Justa sang [tango] while she pushed a very heavy brush along the oak floors to make them shine. I learned words: percanta, bulín, gil, words that I knew not to repeat before my parents, aware that neither Justa nor I would benefit from this vounting of knowledge […] Tango, the language of tango was the voice of resistance“ (Molloy 2007: 9).
Aus dieser Erzählung heraus lässt sich erkennen, dass der Tango als kultureller Ausdruck mit der peronistischen Doktrin assoziativ in Zusammenhang gebracht wurde. Er wurde über die Praxis Teil des peronistischen Diskurses: Justa war Peronistin und sang Tangos, während sie als Dienstmädchen putzte. Der Tango war genauso wie der Peronismus von der ‚Oligarchie‘, nämlich von den Hausherren, verachtet und verpönt. Es war nicht so wichtig, was der Inhalt dieser Texte nun besagte, zählen tat vielmehr seine gesellschaftliche Funktion, eine alte politische Ordnung herauszufordern. In dieser Funktion war der Tango mit dem Peronismus vereinbar. Während nun der Tango und der Peronismus bei der Bevölkerung an Beliebtheit gewannen, entfernten sich die Intellektuellen von beiden. Sowohl Jorge Luis Borges als auch Victoria Ocampo, die zwei Herausgeber der renommierten Zeitschrift Sur, sollen den Tangopoeten Discépolo und Manzi aufgrund ihrer Loyalität zu Perón mit Distanz und Misstrauen begegnet sein (Castro 1991: 240). Wenn die Intellektuellen etwas über Tango publizierten, dann wie gewohnt in literarischer Form. Beispielsweise fand der Tango in den 1948 erschienenen Roman El túnel (Der Tunel) von Ernesto Sabato in ein paar Nebensätzen Ein-
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gang (Sabato 1998: 48). Allerdings war der Tango bei den Intellektuellen zu jener Zeit kein beliebtes Thema. Dies mag wiederum an der unmittelbaren Assoziation zwischen dem Tango und Perón gelegen haben. Die meisten Intellektuellen standen dem Peronismus und der Figur Perón aufgrund seiner geradezu antiintellektuellen Haltung feindlich gegenüber. Der Peronismus hatte unter dem Feindbild der ‚Oligarchie‘ auch den Intellektuellen subsumiert (Fiorucci 2001: 2). Die Slogan ‚Schuhe ja, Bücher nein!‘ (Fiorucci 2001: 2) oder ‚Für das Vaterland töten Sie einen Studenten‘ (ebd.) brachten die peronistischen Präferenzen klar zum Ausdruck. Für den Peronismus gehörten die Intellektuellen aufgrund ihrer traditionellen Verbundenheit mit einem kosmopolitischen Liberalismus nicht zum ‚Volk‘ und konnten deswegen auch nicht die Repräsentanten einer peronistischen Nation sein. In der Sekundärliteratur wird einstimmig diagnostiziert, dass der Peronismus eine antiintellektuelle Bewegung war: „Eine generalisierte Meinung zu der Zeit war, dass die Selbstidentifikation als Peronist unvereinbar mit einer Selbstidentifikation als Intellektueller war“ (eigene Übers.; ebd.). Das intellektuelle Feld wurde während des Peronismus über Repressionsmaßnahmen zum Schweigen gebracht. Die wichtigste argentinische Intellektuelleninstitution, die Sociedad Argentina De Escritores (SADE; Vereinigung Argentinischer Schriftsteller), wurde unmittelbar nach Peróns Wahlkampfsieg 1946 verboten (ebd.: 17). Weiterhin wurden 423 Professoren aus der Universität von Buenos Aires zwangsweise entlassen und weitere 825 kündigten ‚freiwillig‘ (ebd.: 22). Für die Herausgeber von Sur brach ein ‚finsteres Zeitalter‘ (ebd.: 7) an. Das intellektuelle Feld war trotz interner, ideologischer Differenzierung durch ihren vehementen Antiperonismus verbunden. Die Intellektuellen sahen in Perón einen Mussolini oder einen Hitler, in jedem Falle das Emblem des Faschismus, ausgestattet mit der Macht eines korporativen Staates (ebd.: 3). Nichtsdestotrotz gab es Intellektuelle, die dem Peronismus mit Wohlwollen begegneten, vor allem aufgrund seiner linksorientierten Programmatik (Fiorucci 2002: 4). Aber auch diese wurden letztendlich von Perón selbst im Stich gelassen: die peronistische Gegeninstitution zur SADE, die Asociación De Escritores
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Argentinos (ADEA; Vereinigung Argentinischer Schriftsteller), erhielt keine staatlichen Zuschüsse und musste ihre publizierende Tätigkeit nach nur kurzer Zeit einstellen. Perón begründete dieses Desinteresse mit dem Argument, dass es wichtigere Notsituationen gäbe, vor allem wirtschaftlicher und sozialer Art, als das Schicksal der ADEA (ebd.: 5). Fiorucci erklärt diese illoyale Haltung gegenüber den Intellektuellen in den eigenen, peronistischen Reihen mit der These, dass Perón in jeglicher intellektueller Beschäftigung, eine potenzielle Gefahr der Untergrabung seines ideologischen Systems sah; Perón selbst rechtfertigte sich ideologisch mit der Aussage, sein Peronismus sei eher eine „Herzenssache als ein Kopfunternehmen“ (eigene Übers.; Perón, o.A., zitiert nach Fiorucci 2002: 6). Es lässt sich abschließend zusammenfassen, dass das Verhältnis zwischen dem Tango und der Nation sehr konfliktbeladen war. Anfänglich beschrieben die Intellektuellen den Tango aufgrund seiner Amoralität als barbarisch und antinational. Nach dem Pariser Boom in den zwanziger Jahren wurde der Tango zwar als nationales Symbol anerkannt, aber von seinem sozialpolitischen Charakter ‘gesäubert‘ bzw. zivilisiert. Die ‚Welt des Tangos‘ fand lediglich als literarische Gattung in Gedichte und Stadtsagen Eingang. Diese literarische Mythifizierung der Intellektuellen verlief parallel zu einem Modernitätsdiskurs von Seiten der argentinischen Medien, die im Tango eine modern-städtische Kulturpraxis erkannten, die Argentinien internationale Anerkennung einbrachte. Mit dem Auftauchen des Peronismus nahm der Tango eine Wendung. Der einstige hegemoniale Nationaldiskurs des sarmentinischen Liberalismus wurde durch einen peronistischen Nationaldiskurs verdrängt. Der Peronismus schaffte es, den Tango für seine Nationalvorstellung zu gewinnen, obwohl die peronistische Doktrin, die in dem ländlichen Kreolen den stereotypischen Nationalhelden sah, nicht mit den ‚zivilisierten‘ Stadtlegenden eines Borges harmonisierte. Nichtsdestotrotz wurde der Tango zum Symbol einer peronistischen Nation. Dieser Widerspruch zwischen dem überlieferten Tango und der peronistischen Doktrin fasst Castro zusammen:
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„The nationalization of the tango may also be viewed as another example of European cultural influence on Argentina because it was the European view that the tango was ‚Argentine’. It is ironic therefore, that the tango should come to represent an attempt to resist the imposed culture of Europe so readily accepted in pre-Perón Argentina“ (Castro 1991: 248).
Die Peronisierung des Tangos gelang dennoch: Einerseits, durch eine veränderte Tangopraxis - die Texte wurden nostalgisch, die Musik wurde vielmehr getanzt als gesungen, die Tangodichter wurden zu Anhängern von Perón, die Verfilmungen von Gardel suggerierten eine Identifikation mit Perón - und, andererseits, vor allem durch die breite Akzeptanz des Tangos durch die peronistische Basis. Mit diesem Trend ging auch die Macht der Intellektuellen verloren, über die Mythifizierung des Tangos eine bestimmte Nationalvorstellung zu artikulieren. Die Intellektuellen standen dem Peronismus feindlich gegenüber und waren aus diesem Grunde nicht gewillt, ihre Tangonarrationen zu ändern. In den Jahren zwischen 1946 und 1955 veröffentlichten die Intellektuellen nur wenige Werke, die vom Tango handelten. Diese wenigen behielten den traditionellen Charakter einer literarischen Erzählung bei. Eine intellektuelle Annäherung an den Tango, allerdings in vollkommen veränderter Form, sollte erst wieder in den postperonistischen Jahren zwischen 1955 und 1973 erfolgen: nämlich nachdem Perón von einer konservativen Militärregierung ins Exil verbannt wurde und bevor er dann Ende 1973 zum dritten Male argentinischer Präsident wurde. Um die diskursive Verortung jener Tangos im intellektuellen Feld bestimmen und nachzeichnen zu können, bedarf es jedoch zuvorderst der historischen Rekonstruktion des postperonistischen Zeitalters.
Zwei Nationen, ein Argentinien
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Das peronistische Regime zwischen 1946 und 1955 sah sich vor einer Vielzahl von politischen Gegnern konfrontiert. Das gesamte Parteienspektrum, das von der bürgerlichen Partei der Union Cívica Radical bis zum linken Flügel des Partido Socialista und dem Partido Comunista reichte, sah in Perón einen Faschisten und in seinem Regime einen totalitären Staat. Seine Bewegung wurde in Analogie zum deutschen Nationalsozialismus als ‚Nazi-Peronismus‘ bezeichnet (Sarlo 2007: 25). Die ansonsten ideologisch sehr unterschiedlichen Parteien verbündeten sich gegenüber Perón zu einer antiperonistischen Front. Das peronistische Regime verurteiltete seinerseits das Parteiensystem – unabhängig der ideologischen Ausrichtung der einzelnen Parteien – als Teil des liberaldemokratischen und institutionellen Übels. Zudem hatte jede Partei noch ihre eigenen Differenzen mit dem peronistischen Regime. Während die Union Cívica Radical die Verstaatlichungen der Eisenbahnlinien, der Schwerindustrie und der Ölvorkommnisse mit Entsetzen begegnete, sahen sich die linken Parteien ihrer proletarischen Klientel beraubt. Perón gliederte die ländliche Bevölkerung, die in die Stadt zugezogen war und den Großteil der arbeitenden Gesellschaft ausmachte, in seinen von ihm kontrollierten staatskorporativen Ge-
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werkschaften ein.1 Vor seiner Machtübernahme hatten die traditionellen Gewerkschaften und die linken Parteien es nicht geschafft, die inländische Bevölkerung in ihren basisdemokratischen Gewerkschaftsorganisationen einzugliedern (Altamirano 2007: 37). Ihre Mitglieder setzten sich aus den frühen europäischen Einwanderern zusammen, die schon Ende des neunzehnten und Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts nach Buenos Aires kamen. Anders als die später aus den ländlichen Gegenden hinzugezogenen Migranten brachten sie schon ein Klassenbewusstsein und Gewerkschaftserfahrungen aus Europa mit. Die ländlichen Migranten dagegen kamen erst mit Perón in Kontakt mit einer genuinen Gewerkschaftskultur (Goebel 2007: 105). Eine Peronisierung der Massen bedeutete damit einen Machtverlust der traditionellen Gewerkschaften und ihrer linken Parteiflügel. Nicht nur die Parteien waren jedoch in einer antiperonistischen Koalition miteinander verbunden, sondern auch der Klerus und seine nahestehenden konservativen und nationalistischen Gruppierungen von Seiten der Militärführung, die einst Perón zur Macht verholfen hatten, befanden sich nunmehr in der Opposition (Altamirano 2007: 65). Während sie den autoritären und korporativen Staat von Perón begrüßten, verurteilten sie seine redistributive Sozialpolitik. Sie sahen darin eine Hinwendung zum gefürchteten, atheistischen Kommunismus. Schließlich waren naturgemäß die gesamten Wirtschaftsverbände, allen voran der exportie-
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Hier wird in Anlehnung an den klassischen Aufsatz von Phillip C. Schmitter unter ‚Korporativismus‘ und ‚Syndikalismus‘ bzw. ‚basisdemokratischen Gewerkschaften‘ unterschieden. ‚Korporative Gewerkschaften‘ werden idealtypisch vom Staat ins Leben gerufen, die Mitgliedschaft ist zwingend, der interne Aufbau ist hierarchisch und funktional differenziert. Zudem verfügen sie über das Monopol der Interessenvertretung. ‚Basisdemokratische Gewerkschaften‘ unterscheiden sich von ‚korporativen Gewerkschaften‘ vor allem hinsichtlich ihrer Beziehung zum Staat. Sie werden weder vom Staat ins Leben gerufen noch vom ihm kontrolliert. Die Mitgliedschaft ist freiwillig, der interne Aufbau ist demokratisch und nicht hierarchisch (Schmitter 1974: 93ff).
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rende Landwirtschaftsverband, gegen ihn eingestellt (Ruffini 2005: 135). Sie hofften auf eine baldige Wiederherstellung des freien Marktes, um ihre Primärgüter auf dem internationalen Markt wieder anbieten zu können (ebd.). Diese heterogene, antiperonistische Front erzwang 1955 schließlich einen Putsch. Die antiperonistische Militärjunta verbannte Perón ins Exil nach Madrid, aus dem er erst 1973 zurückkehren sollte. Die Antiperonisten stellten bis zu jenem Jahr ausnahmslos die Regierungen. Der Peronismus dagegen fiel in die Illegalität zurück. Er wurde über den gesamten Zeitraum verboten; sowohl der Rückgriff auf seine Symbole, wie beispielsweise das Singen seiner alternativen Nationalhymne, als auch eine politische Partizipation als Partei blieben ihm bis 1973 versagt. Schon der alleinige Besitz eines Portraits von Perón oder seiner Gemahlin Evita galt als ein hinreichender Grund, um als Staatsfeind ins Gefängnis zu kommen (Altamirano 2007: 68). Die ‚Freiheitsrevolution‘, wie sich die antiperonistische Militärjunta von 1955 selbst nannte, leitete eine großflächige ‚Deperonisierung‘ der Gesellschaft ein (ebd.). Das Interimregime sah sich als Garant der liberaldemokratischen Ordnung an und versuchte diese wiederherzustellen. Für diesen Zweck wurde eine Reihe von Maßnahmen getroffen. Zunächst kehrte man zu der alten Verfassung von 1852 zurück, die Perón durch seine peronistische Verfassung ersetzt hatte. Anschließend wurden die staatskorporativen Organisationsstrukturen der Gewerkschaften demontiert, die peronistischen Gewerkschaftsführer aus ihren Positionen entlassen und dafür die alten, vom Staat unabhängigen Gewerkschaftsorganisationen mit freiwilliger Mitgliedschaft wiederhergestellt. Man übergab die Gewerkschaftsführung wieder dem Personal der antiperonistischen, Kommunistischen und Sozialistischen Partei. Parallel dazu wurde die Wirtschaftsordnung deperonisiert. Der Wirtschaftsplan von Raúl Prebisch sah vor, die importsubstituierende Industrialisierungspolitik von Perón zu beenden. Stattdessen sollte der internationale Handel wieder für den argentinischen Landwirtschaftssektor geöffnet und die Eisenbahnen und die Ölindustrie wieder privatisiert werden (ebd.: 68-73).
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Auch die Universität erfuhr eine Deperonisierung. Die einstigen Entlassungen der Universitätsdozenten, die Perón verordnet hatte, wurden wieder aufgehoben. Demgegenüber wurden alle dem Peronismus freundlich gesonnenen Dozenten aus der Universität vertrieben (Goebel 2007: 79). Schließlich wurden die Medieninstitutionen deperonisiert. Die peronistisch sympathisierenden Chefredakteure der Zeitungen, der Verlage und der Zeitschriften wie beispielsweise La Razón, Democracia, El Laborista, La Época, Crítica und Noticias Gráficas wurden durch antiperonistische Chefredakteure ersetzt. Einige genuin peronistische Zeitungen wie El Líder, Esto Es und De Frente wurden gänzlich verboten (Pirro 2002: 2f). Die hier kurz angerissenen Maßnahmen zur Deperonisierung der Gesellschaft fußten allerdings auf einer Annahme, die sich als falsch und fatal erweisen sollte: die antiperonistische Front sah in dem Peronismus lediglich eine historische und kurze Episode, die überwunden werden konnte (Sarlo 2007: 27). Aber wie Carlos Altamirano attestiert, spaltete der Peronismus die argentinische Geschichte nicht nur vorübergehend, sondern nachhaltig in zwei unversöhnliche Lager (Altamirano 2007: 23). Die antiperonistische Front stellte schnell fest, dass die größte politische Macht, nämlich die lohnabhängige Bevölkerung, ihren Líder zurückforderte. Die Gewerkschaften blieben, trotz der Deperonisierungsversuche von Seiten der Militärregierungen, die maßgeblichen Artikulationsinstanzen einer peronistisch gesonnenen Bevölkerung. Sie waren nicht mehr gewillt, auf ihre sozialen Errungenschaften zu verzichten. Der antiperonistische Versuch, der Bevölkerung die alten, liberalen Bürgerrechte zu vermitteln, scheiterte. Perón hatte ein neues Bürgerschaftsmodell eingeführt, das nunmehr die Identität des ‚peronistischen Volkes‘ und der peronistischen Gewerkschaften ausmachte: „Peronism reshaped the idea of citizenship by incorporating into it, and actually putting at its very core, a social identity content. Under the perspective introduced by Peronism, the set of rights associate with citizenship were primarily identified with social issues“ (Barros 2000: 29).
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Während die antiperonistischen Diskurse die despotische und antiliberale Seite des Peronismus verurteilten, bekämpfte das ‚peronistische Volk‘ die mit dem liberalen Staat assoziierte soziale Ungerechtigkeit. Hinzu kam, dass weder auf der peronistischen noch auf der antiperonistischen Seite ein homogener, ideologischer Konsens vorherrschte. Sie waren eher ex negativo durch gemeinsame antiperonistische bzw. peronistische Feindbilder verbunden als durch eine gemeinsame Programmatik (ebd.: 29ff). Diese Konfliktkonstellation führte zu einer chronischen politischen Instabilität. Zwischen 1955 und 1973 gab es insgesamt zehn verschiedene antiperonistische Regierungen, die entweder direkt das Militär stellten oder indirekt durch die von ihnen kontrollierten antiperonistischen Parteien.2 Jedes Mal wenn der Verdacht aufkam, dass eine wie auch immer definierte ‚Peronisierung‘ der Regierung stattfand, gab es einen Militärputsch aus den eigenen antiperonistischen Reihen. Die Peronisten wurden währenddessen über den gesamten Zeitraum aus der institutionellen Politik ausgeschlossen. Aus diesem Grunde erhoben sie sich zu einem ‚Peronistischen Widerstand‘ (Altamirano 2007: 107). An diesem Widerstand nahmen, abgesehen von den peronistischen Gewerkschaften, noch andere peronistisch gesonnenen Gruppierungen teil: die Juventud Peronista (Peronistische Jugend), Juventud Trabajadora Peronista (Peronistische Arbeiterjugend), der Movimiento Villera Peronista (Peronistische Bewegung in den Elendsvierteln) und die Union De Estudiantes Socialistas (Vereinigung Sozialistischer Stu-
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Die dazugehörigen antiperonistischen Präsidenten waren: 1955-1958 General Eduardo Lonardi und General Pedro Aramburú, 1958-1962 Arturo Frondizi, 1962-1963 José María Guido, 1963-1966 Arturo Illía, 1966-1970 General Carlos Onganía, 1970-1971 Kommandant Roberto Levingston, 1971-1973 General Alejandro Lanusse, 1973 José Hector Cámpora und 1973 Raúl Lastiri. Vgl. dazu die kommentierte Zeittafel (Todo Argentina 2010).
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denten). Die Schirmherrschaft des Peronistischen Widerstands fiel dem exilierten Líder Juan Domingo Perón persönlich zu (ebd.: 124f). Der Peronistische Widerstand bestand aus außerinstitutionellen Boykottmaßnahmen. Eine wichtige symbolische Boykottmaßnahme war die Protestwahl. Sowohl bei den Präsidentschaftswahlen von 1957 als auch von 1962 gab es jeweils einen Anteil von 25% peronistischer Protestwähler, die einen ungültigen Wahlzettel abgaben (Sigal 2002: 152). Da die Peronisten nicht antreten durften, wiesen sie damit auf die Illegitimität der Wahlen hin. Eine weitere Maßnahme war der Streik oder die Massendemonstration. Das ‚peronistische Volk‘ – artikuliert durch die eben genannten peronistischen Gruppierungen – boykottierte jede Regierung mit solchen Maßnahmen. Jeder Versuch einer Überwindung dieser Opposition zwischen Peronisten und Antiperonisten scheiterte kläglich (Altamirano 2007: 79). Die unversöhnliche Dichotomie sollte sich im Hinblick auf die weltpolitischen Ereignisse der damaligen Zeit noch weiter zuspitzen und radikalisieren. Der Erfolg der Kubarevolution von 1959 und die Dekolonisierungsbewegungen der sechziger Jahre in Afrika und in Asien, wie beispielsweise in Algerien, Kenia und Vietnam, eröffneten den Peronisten eine neue Perspektive für die Zukunft ihres Landes. Der Peronismus konnte nunmehr als eine nationale Variante des postkolonialen Diskurses der Dritten Welt gelesen werden (ebd.: 103). Perón selbst soll im Exil gesagt haben, dass die kubanische Revolution und der Peronismus unter dem gleichen Stern stünden: Beide seien in ihrem ‚Antiimperialismus‘ und ihrem Kampf um ‚soziale Gerechtigkeit‘ verbrüdert (Sigal 2002: 165). Die Antiperonisten dagegen, und vor allem der von der USA unterstützte konservative Militärflügel, sah im Peronismus eine Sonderform der kommunistischen Infiltration bzw. der ‚subversiven Kräfte‘, die die ‚nationale Sicherheit‘ in Gefahr brächte (ebd.: 104). Mit der Militärregierung von General Carlos Onganía mündete schließlich diese Dichotomie in einen gewalttätigen Bürgerkrieg (Barros 2000: 33). Die antiperonistischen Regime standen fortan der peronistischen Guerillatruppe Movimiento Peronista Montoneros (Peronis-
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tische Bewegung Montoneros, kurz: Montoneros) gegenüber. Sie galt als der bewaffnete Flügel des benannten Peronistischen Widerstands. Die Eskalation der Gewalt hatten beide Seiten zu verantworten; die Montoneros entführten hochgradige Manager der internationalen Konzerne, wie beispielsweise von Exxon, überfielen Banken und ermordeten 1970 General Pedro Aramburú, der 1955 das peronistische Regime gestürzt hatte (Altamirano 2007: 126). General Onganía wiederum traf bei Studenten- und Gewerkschaftsdemonstrationen repressive Maßnahmen. So wurden beispielsweise bei solchen Demonstrationen in Córdoba 1969 zwanzig Studenten getötet. Darüber hinaus gab es 1966 bei einer Militärintervention in der Universität 400 Verletzte (Goebel 2007: 95). Dass an den Universitäten interveniert wurde, lag vor allem darin begründet, dass sich dort ein wichtiger locus des bewaffneten Peronistischen Widerstands befand. Trotz der Deperonisierung der Universität Mitte der fünfziger Jahre, erfuhr die neue Generation von Studenten und Dozenten ab den sechziger Jahren eine Peronisierung, die von den antiperonistischen Regimen als gefährlich eingestuft wurde. Wie Thomas Goebel erklärt, war diese Peronisierung teils Ausdruck eines Generationswechsels, bei dem die Studenten sich von ihren einstigen antiperonistischen Eltern zu emanzipieren suchten, und teils Ausdruck der weltweiten Studentenlandschaft der sechziger und siebziger Jahre. In jedem Falle hat die Peronisierung der Studenten und der Universitätsdozenten ab Mitte der sechziger Jahre zu der bewaffneten Radikalisierung des Peronistischen Widerstandes beigetragen (ebd.: 97).
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Innerhalb dieses historischen Kontextes trug auch das intellektuelle Feld zu einer Verschärfung der Krise zwischen Peronisten und Antiperonisten bei. Verantwortlich dafür war ein Wandel, den das intellektuelle Feld ab 1955 im Vergleich zu den Vorjahren erfuhr.
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Im Rahmen einer expandierenden und modernisierenden Kulturindustrie vergrößerte sich das intellektuelle Feld. Trotz der verschärften Zensurmaßnahmen entstand eine Vielzahl an neuen Zeitschriften, wie Contorno, Pasado y Presente als auch die einflussreiche Universitätszeitschrift Ruba (Ponza 2007: 3). Auch bis heute wichtige Verlage wurden in jener Zeit ins Leben gerufen; Corregidor, Peña Lillo, Eudeba und America Lée sind darunter die bekanntesten (Cattaruza 2003: 175). Aufgrund eines kostengünstigeren Druckbetriebs und einer Vereinfachungstechnologie in der Vervielfältigung erlangten diese Verlage eine bislang nicht gekannte Reichweite und eine ungeahnte große Leserschaft: die Bücher wurden nunmehr nicht nur in exklusiven und schwer zugänglichen Büchereien verkauft, sondern auch in lokalen Kioskständen (Goebel 2007: 76). Das Buch verlor im Zeitalter des Postperonismus seinen Luxusstatus. Diese nicht nur argentinische, sondern regionale Modernisierung der Kulturindustrie ermöglichte eine Popularisierung der Literatur, die vormals den gutbürgerlichen Kreisen vorbehalten war. Mit ihr ging auch eine vorher nie gekannte Wertschätzung für die heimischen Autoren einher. Schriftstellergrößen wie Julio Cortázar, Carlos Fuentes, Gabriel García Márquez und Mario Vargas Llosa und viele mehr haben unter diesem populärnationalen Vorzeichen massive Anerkennung geerntet. Der ‚Lateinamerikanische Boom‘ war nur im Rahmen dieser kulturellen Modernisierung möglich gewesen (Dill 1999: 321). Die Expansion der argentinischen Kulturindustrie verlief parallel zu einer strukturellen Veränderung der Universitätslandschaft. Während vor 1955 der Zugang zu den Universitäten lediglich einer Minderheit vorbehalten blieb, erhöhte sich im Zeitalter des Postperonismus die Anzahl der Studenten in erheblichem Maße. Studierten noch 1950 nur 82 000 Menschen, so verzeichneten die Universitäten 1970 über 274 000 Immatrikulierte (Ponza 2007: 7). Die Studentenschaft hatte sich damit mehr als verdreifacht: „In the late sixties, Argentina had far more students per one million inhabitants than any other Latin American country, more than France and twice as many as
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the United Kingdom. By 1975, more than a quarter of all Argentines between 20 and 24 years of age were enrolled in higher education“ (Goebel 2007: 75).
Sowohl neue Universitäten, wie beispielsweise die Universität Torcuato Di Tella, als auch neue Studiengänge, wie das Fach Soziologie, wurden in den Jahren des Postperonismus gegründet (Neiburg 1998: 248). Die ‚Vermassung‘ der Universitäten und damit einhergehend die Erhöhung des durchschnittlichen Bildungsniveaus für einen wesentlichen Teil der Bevölkerung führte zu einer erhöhten Nachfrage und Produktion von intellektuellen Gütern. „Durch größere Zahl von Lehrern, Freiberuflern und überhaupt von Intellektuellen erhöhte sich die Zahl anspruchsvoller Leser“ (Dill 1999: 321). Das intellektuelle Feld war nunmehr in einer größeren, lesenden und schreibenden Öffentlichkeit eingebunden. Das intellektuelle Feld hatte sich aber nicht nur vergrößert, sondern auch politisiert. Pablo Ponza attestiert, dass in jenen Jahren des Postperonismus das intellektuelle Feld in erhöhtem Maße die politischen Geschehnisse aufnahm, kommentierte und beurteilte (Ponza 2007: 3). Sogar die sonst als apolitisch und als höchst literarisch erachtete Literaturzeitschrift Sur versäumte es nicht, 1955, kurz nach dem Putsch von Perón, eine gesamte Ausgabe zur Lage der Nation zu veröffentlichen (Sarlo 2007: 24). Diese Politisierung einer Literaturzeitschrift war kein Einzelfall. Vielmehr verwies sie auf eine allgemeine Tendenz, die sich im intellektuellen Feld der ‚langen‘ sechziger Jahre abzeichnete: Die damals neu entstandenen Verlage und Zeitschriften bemühten sich nicht mehr wie die Jahre zuvor ausschließlich um selbstreferentielle Literaturkritik. Ihnen war das neue Profil eigen, Literatur, Wissenschaft und Kommentare zur politischen Realität ineinander fließen zu lassen. Dabei tauchte eine neue, für Argentinien typische Gattung auf, die diesem Anspruch gerecht werden sollte: der Essay. „Er wurde die wesentliche Gattung, um die politische und soziale Situation Argentiniens zu reflektieren“ (eigene Übers.; Neiburg 1998: 75). Der Essay zeichnete sich durch eine ungeordnete und unsystematische Interdisziplinarität aus: Sowohl historische, soziologische und psychologische
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Erkenntnisse als auch persönliche und autobiographische Bemerkungen wie auch ästhetische Bemühungen waren miteinander verwoben (ebd.: 76). Die Essays nahmen sich zum Ziel, das Wesen und die Eigenart des Argentiniers zu entlarven. Mit der Konstruktion unterschiedlicher Nationalvorstellungen versuchten sie die damals politisch entscheidende Frage nach dem legitimen Souverän zu beantworten.3 Viele dieser Essays wurden zu Bestsellern: Dies war beispielsweise der Fall mit den Essays Imperialismo y Cultura von Hernández Arregui, El Medio Pelo en la Sociedad Argentina und Los Profetas del Odio von Arturo Jauretche (Goebel 2007: 76). Aus dieser Perspektive heraus wird es nicht weiter verwunderlich erscheinen, dass die Tangoliteratur hauptsächlich eine Essayform annahm. Aufgrund der breiten Rezeption einer Vielzahl von Essays in der Öffentlichkeit hatte das intellektuelle Feld an politischer Relevanz gewonnen. Einige Intellektuelle gelangten durch die einflussreiche Rezeption ihrer Werke gar zu politischen Ämter oder wurden an renommierte, staatliche Institutionen berufen.4 Diese öffentlichkeitswirksame Auseinandersetzung um das scheinbar ‚wahre Argentinien‘ war allerdings alles andere als der Versuch, die Spannungen zwischen Peronismus und Antiperonismus zu besänftigen. Im Gegenteil, dieser Konflikt wurde im intellektuellen Feld nicht nur ausgetragen, sondern immer wieder neu begründet. Die Essays stellten, wie Federico Neiburg es benennt, vor allem ‚Barrikadendiskurse‘ (Neiburg 1998: 26) dar. Sie brachten entweder ein peronistisches oder ein antiperonistisches Nationalsubjekt als legitimen Souverän der politischen Ordnung hervor. Während die antiperonistischen Intellektuellen meistens institutionell eingebunden waren, standen ihre Widersacher den Kulturinstitutionen wie den Universitäten oder den prestigereichen Schriftstellerver-
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Die unterschiedlichen Nationalvorstellungen werden bei Federico Neiburg (1998: 49-93) nachgezeichnet.
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Für einen statistischen Überblick zu den politischen Funktionen der Intellektuellen zwischen 1955 und 1969 siehe Marsal/Arent (1970).
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einigungen fern (Goebel 2007: 80). Die Deperonisierungsmaßnahmen hatten die peronistischen Intellektuellen aus den offiziellen Institutionen verbannt. Nichtsdestotrotz war es der institutionellen Politik versagt geblieben, den Bücher- bzw. Zeitschriftenmarkt erfolgreich zu kontrollieren. Zwar wurden peronistische Verlage und Zeitschriften verboten und peronistische Redakteure durch antiperonistische ersetzt, aber diese Maßnahmen blieben letztendlich wirkungslos. Der Peronistische Widerstand hatte in der informellen Öffentlichkeit einen maßgebenden Artikulationskanal gefunden (Altamirano 2007: 107). Einige peronistische Intellektuelle schrieben aus dem Exil und veröffentlichten ihre Werke in renommierten, argentinischen Verlagen, deren Zensur politisch schwer zu legitimieren war. Andere wiederum gründeten in der Illegalität neue Verlage und Zeitschriften wie Palabra Argentina, Qué und Azul y Blanco (Pirro 2002: 11). Indem antiperonistische Intellektuelle sich auf ihre Widersacher beriefen und sie nicht ignorierten, sondern, im Gegenteil, sie rezipierten und vehement bekämpften, räumten sie den peronistischen Intellektuellen ironischer Weise einen Platz in der Öffentlichkeit ein. Allerdings hätte diese Entwicklung keine destabilisierende Wirkung auf die antiperonistischen Regierungen gehabt, wenn sich nicht ein wesentlicher Teil der einst antiperonistischen Intellektuellen im Laufe der Jahre ‚peronisiert‘ hätte. Noch 1955 waren die meisten Intellektuellen antiperonistisch gesonnen. Zu gut erinnerten sie sich an das peronistische Sprichwort ‚Schuhe ja, Bücher nein‘. Zu gut erinnerten sie sich an die peronistische Intervention an den Universitäten. Die peronistischen Stimmen dagegen waren unmittelbar nach dem Putsch von Perón noch klar in der Minderheit gewesen. Jedoch änderte sich dieses Kräfteverhältnis im Laufe der politischen Geschehnisse. Es stellte sich heraus, dass die neuen antiperonistischen Regierungen mindestens genauso intellektuellenfeindlich gestimmt waren wie das einstige peronistische Regime. Spätestens mit den Repressionsmaßnahmen von General Onganía 1966 wurde deutlich, dass die antiperonistischen Regime die geistige Freiheit und die universitäre Autonomie untergraben würden. Zwischen 1966 und 1973 kündigten insgesamt 8 600 Dozen-
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ten aus Protest (Goebel 2007: 95). Die antiperonistischen Regime gingen im Laufe der Jahre ihrer Legitimität, die sie einst über das intellektuelle Feld erhalten hatten, verlustig. Zeitlich parallel zu den Entwicklungen in der institutionellen Politik löste sich auch im intellektuellen Feld der einst einheitliche antiperonistische Konsens auf. Antiperonistische Intellektuelle begannen nun, den Peronismus neu zu prophezeien.5 Wenn die Deperonisierungsmaßnahmen im intellektuellen Feld anfänglich noch ihre Wirkung zeigten, sollten sie Ende der sechziger Jahre eher als verzweifelte Versuche gelesen werden, die Hinwendung der Intellektuellen zum Peronismus mit Gewalt zu stoppen.
I NTELLEKTUELLE B ARRIKADENDISKURSE Worin bestand jedoch der peronistische und antiperonistische Barrikadendiskurs, den die Intellektuellen in ihren Essays artikulierten? Der Ausgangspunkt der Argumentation war bei beiden Diskursen ähnlich. Beide Positionen stimmten in ihrer Diagnose über die politische Realität überein: Argentinien befand sich in der Krise. Gemäß der Wahrnehmung der Intellektuellen beider Lager bestand sie in der Unvereinbarkeit einer sich als ‚peronistisch‘ definierenden Bevölkerung und einer ‚antiperonistischen‘ Regierungspolitik: auf der einen Seite befand sich ein ‚peronistisches Volk‘, das führungslos geworden war, und auf der anderen Seite stand ihr eine ‚antiperonistische Politik‘ gegenüber, die nicht fähig zu sein schien, dieses ‚Volk‘ institutionell einzugliedern. Für die Intellektuellen lag der Schlüssel zur Behebung dieser Krise in einer korrekten und wahrheitsgetreuen Interpretation des offiziellen Peronismus (Neiburg 1998: 20f). Unabhängig der divergierenden Interpretationen waren sich die Intellektuellen darin einig, dass der offizielle Peronismus zwischen 1946 und 1955 das gegenwärtige Problem des Landes darstellen würde
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Die verschiedenen Gedankengänge, die den Intellektuellen bei ihrer ‚Peronisierung‘ zugrunde lagen, zeichnete Beatriz Sarlo (2007: 23-55) nach.
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(ebd.: 95). Nur in seiner normativen Beurteilung schieden sich die Gemüter: Für die Antiperonisten war das Auftauchen des Peronismus eine Anomalie auf dem Weg zur erwünschten ‚Modernisierung‘ des Landes, für die Peronisten dagegen stellte es eine erstmalige ‚nationale Befreiung‘ von einer ‚imperialistischen Ordnung‘ dar. Im Zuge dieser unterschiedlichen Interpretationen brachten die Essays zwei verschiedene Nationaldiskurse zum Vorschein: Für die antiperonistisch gesonnenen Intellektuellen wie Gino Germani lag das Auftauchen des Peronismus in der rückständigen Kultur der peronistischen Basis von Perón begründet. Dieser antiperonistischen Diskursfigur zu folge verfügten die ländlichen Migranten, die sogenannten cabecitas negras, die in die Stadt zugezogen waren, über keine Gewerkschaftserfahrung und über kein Klassenverständnis, durch die sie sich in die moderne, städtische Welt hätten anders integrieren können. Stattdessen hätten sie ihre typischen Kultureigenschaften einer ‚traditionellen‘, nicht modernen Gesellschaft in ihrem neuen städtischen Milieu beibehalten. Als Abkömmlinge vom Gaucho und vom Caudillo seien sie gewohnt gewesen, sich in paternale Strukturen einzugliedern. Sie seien irrational und tendenziell autoritätshörig gewesen. Perón seinerseits habe diese ‚traditionellen‘ Eigenschaften seiner politischen Basis ausgenutzt, um ein totalitäres Regime aufzubauen: „Peronism came to be seen as the latter-day descendants of the nineteenth-century gaucho hordes that followed a caudillo“ (Goebel 2007: 83). Die wünschenswerte Nation wurde dagegen ex negativo nicht durch den inländischen Kreolen, sondern durch den ‚liberalen‘, ‚modernen‘ und ‚kosmopolitischen‘ Stadtbürger repräsentiert (ebd.). Im Gegensatz dazu sahen die peronistischen Intellektuellen die aus dem Inland stammenden Kreolen nicht als kulturell rückständig, sondern als die authentischen Vertreter der Argentinidad an. Die inländischen Kreolen verfügten, laut der peronistischen Nationalvorstellung, über eine ‚jungfräuliche Mentalität‘ (ebd.: 85). Sie hätten sich nicht von ausländischen Ideen infizieren lassen. Im Gegenteil, sie hätten ihre hispanischen und katholischen Wertvorstellungen in die Stadt mitgebracht und die vom Kosmopolitismus infizierte Stadt ‚argentinisiert‘
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(ebd.: 48). Damit hätten sie, so diese diskursive Figur weiter, einem American Way of Life widerstehen können (ebd.: 121). Dagegen sei der Modernisierungs- und Zivilisationsdiskurs der antiperonistischen Intellektuellen eine ‚liberale Illusion‘ (ebd.: 104). Er repräsentiere den hegemonialen Diskurs der antiperonistischen Regime. Er sei die Fortführung der vom Gründungsvater Domingo Sarmiento eingeführten Dichotomie Zivilisation und Barbarei und erhalte die zivilisatorische Illusion von Fortschritt, Modernität und formal-rechtlicher Souveränität Aufrecht. Er verkenne die Tatsache, dass die ‚nationale Realität‘ eine ‚imperialistische Ordnung‘ darstelle, in der eine kulturell ‚europäisierte Oligarchie‘ mit dem britischen und nordamerikanischen Kapital eine nationalverräterische Liaison eingegangen sei. Sinnbilder dieser ‚europäisierten Oligarchie‘ waren die Stadt und der kosmopolitische Bürger (Sarlo 2007: 45). Mit diesen zwei unterschiedlichen Interpretationen des Peronismus und den damit einhergehenden, verschiedenen Auffassungen der politischen Realität der sechziger Jahre, brachten die intellektuellen Schriften ein ‚peronistisches‘ und ein ‚antiperonistisches‘ Argentinien hervor: „Es war der Widerspruch zwischen zwei Argentinien. Das eine war sichtbar, städtisch, kosmopolitisch und modern, über die Metropole von Buenos Aires mit dem internationalen Handel verbunden. Das andere Argentinien dagegen war verborgen, nicht unmittelbar sichtbar, ländlich, traditionell, mit dem inländischen Markt verbunden und seinen höchsten Ausdruck fand es nicht in Buenos Aires, sondern in den Provinzen des Inlandes“ (eigene Übers.; Neiburg 1998: 99).
Die Intellektuellen waren sich einig, dass das letztgenannte Argentinien das peronistische sei und das erstgenannte das antiperonistische. Sie waren sich auch darin einig, dass diese zwei Nationen schon vor dem Auftauchen Peróns existiert hatten: Der Konflikt zwischen diesen beiden Subjekten sei so alt wie das Land selbst, beteuerten sie. Die Intellektuellen stimmten auch darin überein, dass die damals vorherrschen-
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de Krise auf diesen zwei widersprüchlichen Nationalvorstellungen gründete. Sie waren sich weiterhin einig, dass sich die Krise nur durch die Vormachtstellung des einen Argentiniens über das andere lösen lassen würde. Worin sie sich allerdings unterschieden, war die Beurteilung, welches der beiden Argentiniens nun die authentische Nation repräsentierte und welche folglich die Vormachtstellung zu übernehmen hatte (ebd.: 113). Für die Antiperonisten war der ‚wahre Argentinier‘ der kosmopolitische Stadtbürger, für den Peronisten dagegen der aus dem Inland stammende Kreole. Für die ersten ging es darum, das Volk zu erziehen, sie für das kosmopolitische Leben zu zivilisieren und für die liberaldemokratischen Werte zu gewinnen. Für die letztgenannten dagegen ging es darum, den westlichen ‚Imperialismus‘ und die ‚europäisierte Oligarchie‘ zu bekämpfen, um wieder ‚soziale Gerechtigkeit‘ zu erfahren (ebd.). Es lässt sich also zusammenfassend feststellen, dass die Intellektuellen die argentinische Krise als einen Konflikt zwischen zwei Nationalsubjekten wahrnahmen. Dieser Kampf war Ergebnis einer Deutungsschlacht um eine richtige und einzig gültige Interpretation des Peronismus und damit einhergehend um die authentische Repräsentationsfigur der Nation. Das intellektuelle Feld nahm über den Weg einer expandierenden Öffentlichkeit Einfluss auf die Wahrnehmungsmodi der politischen Elite. Es trug dazu bei, dass die argentinische Krise in dieser Form von den politischen Akteuren mitinterpretiert wurde. Die Politisierung des intellektuellen Feldes ging, wie Pablo Ponza argumentiert, mit einer ‚Kulturalisierung der Politik‘ (Ponza 2007: 5) einher; sowohl die Gewerkschaften, wie die Parteien, als auch das Militär und die Guerrillatruppen identifizierten die argentinische Krise mit einer Gegenüberstellung zweier unvereinbarer Kulturen: die ‚Welt‘ des inländischen Kreolen und die ‚Welt‘ des mittelständischen und liberalen Stadtbürger (ebd.).
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D IAGNOSE : P OLARISIERUNG
DER
G ESELLSCHAFT
Aus einer diskursanalytischen Perspektive lässt sich das beschriebene politische Szenario im Zeitalter des Postperonismus als eine Polarisierung, d.h. als eine unversöhnliche Gegenüberstellung von zwei sich ausschließenden Subjektformen begreifen, den Peronisten und den Antiperonisten. Beide kämpften um die Subjektposition der Nation. Die Frage nach der ideologischen Gesinnung bestimmte die Hauptkonfliktlinie der damaligen Zeit: „the central problem in Argentine politics was whether to be in favour or against Peronism“ (Barros 2000: 30). Dabei war eine versöhnende Vermittlung zwischen den zwei Subjektformen oder gar die Formulierung eines alternativen Nationalprojekts unmöglich. Die Subjektzuweisungen ‚Peronismus‘ und ‚Antiperonismus‘ konkurrierten nicht nur miteinander, sondern sie gründeten auf die diskursive Exklusion des jeweils Anderen: „The ‚other’ was merely rejected, externalised, excluded. Identities were constituted in such a way that articulatory practices between the elements of either of the two poles were impossible. The relation between groups could only be one of potential war“ (ebd.: 34).
Wie Sebastian Barros argumentiert, definierte sich die eigene nationale Subjektform ex negativo. Ausgangspunkt der Subjektkonstruktion war die Etablierung eines expliziten Feindbildes, das im existentiellen Gegensatz zur eigenen Position zu stehen beanspruchte. Über die Instituierung des Politischen im Sinne Carl Schmitts wurden somit Gemeinschaftsvorstellungen artikuliert, die sich eher darüber definierten, was sie nicht waren, als das, was sie waren.6 Diese Exklusionsstrategie zur Etablierung einer nationalen Gemeinschaft lässt sich als Polarisie-
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Damit folgt das intellektuelle Feld der sechziger Jahre einem traditionsreichen nationalistischen Denken, das in Argentinien, trotz den simplifizierenden Rezeptionen, von der Schmitt’schen Idee des Politischen eingehend geprägt ist (vgl. Dotti 2000).
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rung bezeichnen. Hierbei hat die Polarisierung eine hegemoniale Artikulation zur Etablierung eines übergreifenden Nationaldiskurses unmöglich gemacht: „The extreme particularism of Peronist and anti-Peronist positions meant that their demands could not be articulated into a wider hegemonic operation that would stabilize the political formation. In such a situation, only the disappearance of the other would have provided the possibility of a stable resolution of the socio-political division“ (ebd.).
Aus diskursanalytischer Sicht ist es gerade diese Art der Nationalbildung, die eine stabile, politische Ordnung erschwerte und einen gewalttätigen Bürgerkrieg zu Tage förderte. Man kann sicherlich nicht sagen, dass das intellektuelle Feld für diese Polarisierung verantwortlich war. Genauso wenig kann man die Ursache bei einem einzelnen politischen Akteur suchen. Die Suche nach der Ursache dieser Polarisierung ist aus einer Foucault’schen Diskursperspektive ohnehin unerheblich. Entscheidend ist allerdings die Tatsache, dass diese Polarisierung zwischen zwei Nationalsemantiken das historische Archiv zwischen 1955 und 1973 ausmachte; sie begründete die Rahmenbedingungen des Sagbaren. Schon 1963 bemerkte der renommierte Geschichtswissenschaftler Felix Luna zur Reichweite der Polarisierung: „Sie vergiftet den gesamten nationalen Konsolidierungsprozess und durchzieht sich jenseits der formalen Institutionen“ (eigene Übers.; Luna 1963: 9).
Tangographie: zwischen Tango und Politik
D IE E NTSTEHUNG
EINER
T ANGOGRAPHIE
Zu dieser polarisierten Zeit entsteht nun im intellektuellen Feld ein vorher nie dagewesener Boom an Tangoliteratur. Nach einem langen Desinteresse von Seiten der Intellektuellen für den Tango erlebt er nach dem Zerfall des peronistischen Regimes in ihren Kreisen eine erstaunliche Renaissance, die weder zufällig noch beliebig ist. Hierbei scheint der Tango noch 1956, unmittelbar nach dem Militärputsch, wie ausgestorben zu sein. Laut Tulio Carella sei es „ [...] durchaus möglich seltene Bücher zu finden, unerwartete Bücher, moderne und antiquierte Bücher, sogar handgeschriebene Manuskripte; man findet erlesene Gedichtsbände der unterschiedlichsten Auflagen; man findet sogar aus allen Themenbereichen zensierte Bücher. Man kann alles finden, nur nicht Bücher über Tango“ (eigene Übers.; Carella 1966: 110).1
Es scheint jedoch nicht nur einen Mangel an Tangobüchern zu geben, sondern der Tango selbst, sein Tanz und seine Musik, scheinen vom
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Die Anmerkung stammt aus dem Jahre 1956. Leider ließ sich die erste Auflage von Carellas Buch nicht ausfindig machen. Daher wird hier die dritte Auflage aus dem Jahre 1966 herangezogen.
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Aussterben bedroht zu sein. Nirgendwo höre man mehr seine ‚argentinischen‘ Klänge oder sehe ihn getanzt. Der Tango sei in der Krise genauso wie sein Land. Es sei notwendig, den Tango aus seiner verstaubten Geschichte herauszuholen, um ihn wieder in das kollektive Gedächtnis einzugliedern (Carretero 1964: 63; Mafud 1966: 56-58). Für diese Aufgabe sollte man sich aber nicht an die überlieferten Mythen halten. Carellas Buchtitel Tango: mito y realidad (Tango: Mythos und Realität) offenbart das Vorhaben: Es gelte sich nicht in die fiktive Literatur zu flüchten, wie einst Borges dies getan habe, sondern vielmehr solle man ihnen die ‚tatsächliche Realität‘ entgegenhalten (vgl. auch Galasso 1973: 17f). Über die ‚Realität‘ des Tangos könne man dann die ‚Realität‘ des gesamten Landes erfassen, und bestenfalls gar eine Lösung zu der gegenwärtigen, nationalen Krise finden. Diese ‚Realität‘ müsse durch eine Reihe von Studien ermittelt werden, „[...] die den Tango in all seinen Aspekten zu erfassen im Stande sind; nämlich in seinen soziologischen, psychologischen, philosophischen und ästhetischen wie auch musikwissenschaftlichen, choreographischen, poetischen und grammatikalischen“ (eigene Übers.; De Lara 1961: 183).
In jedem Falle sei der Tango ein ‚reales Phänomen‘, das es systematisch zu untersuchen gelte. Tulio Carella spricht dabei zum ersten Mal von einer ‚Tangographía‘ (‚Tangographie‘;1966: 12) und hebt somit den angestrebten Objektivitätscharakter seiner Untersuchung hervor. Tulio Carella steht mit diesem Anspruch nicht allein. Vielmehr ist seine Forderung nach einem objektiven Tangowissen ein Diskurselement, das sich durch den gesamten Tangokorpus hindurchzieht. Auch Andrés Carretero spricht in seinem Tangowerk über eine ‚Analyse der Realität‘ (Carretero 1964: 70). Julio Mafud nimmt sich gar zur Aufgabe, über die Analyse des Tangos das ‚reale Argentinien‘ aufzuzeigen (Mafud 1966: 110). Für die Tangoliteratur des zwanzigsten Jahrhunderts ist dieser Objektivitätsanspruch ein gänzlich neues Diskursmerkmal. Zwar gibt es vor 1955 auch einige wichtige Werke, wie Cosas de negro von Vicente Rossi aus dem Jahre 1926 oder Carlos Vegas be-
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rühmtes Werk Danzas y canciones argentinas aus dem Jahre 1936, die einen quasi- wissenschaftlichen Wahrheitsstatus für sich beanspruchen. Allerdings bleiben diese Studien bis 1955 eher sporadisch. Man könnte sogar sagen, dass die eben genannten Werke erst nach 1955 eine breite Rezeption erfahren. Denn erst 1958 werden sie zum zweiten Mal verlegt und können in diesem Zuge zu ‚Klassikern‘ der Tangoliteratur avancieren (vgl. Rossi 1958; vgl. Vega 1958). Die Objektivierung des Tangos mündete in einer Reihe von Wörterbüchern und Tangolexika wie beispielsweise das Breve diccionario de lunfardo2 (Das kleine Lexikon des ‚lunfardos‘; Gobello 1959), das Vocabulario familiar y del lunfardo (Wörterbuch der Familie und des ‚lunfardos‘; Cammarota 1963), das Diccionario de voces lunfardas y vulgares (Lexikon der ‚lunfardo‘- und Alltagswörter; Casullo 1964), El Tango (García Jimenez 1964) und das Manual, Guia y diccionario del tango (Handbuch, Leitfaden und Lexikon des Tangos; Sobrino 1971). Den größten Anteil des Tangokorpus macht allerdings die Gattungsform des Essays aus. Die Essays zeichnen sich dadurch aus, dass sie die einzelnen Tangothemen, wie den Ursprung des Tangos, das Bandoneon, ihre Heldenfiguren, etc. nicht intensiv ergründen, sondern vielmehr auf ein paar Seiten abhandeln und dem Leser als eine narrative Gesamtdarstellung über die ‚Welt des Tangos‘ präsentieren.3 Dieses Format deutet schon darauf hin, dass der Tango nicht in seinen detailgetreuen Einzelaspekten rekonstruiert wird, um daraus wissenschaftlich präzise Aussagen über ihn zu treffen. Auch wenn die ‚Tangographie‘ im Nachhinein als Wissenschaftsdiskurs betrachtet und von der gegenwärtigen Tangoforschung als solcher zitiert wird, sind
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Unter Lunfardo versteht sich eine spezifische Sprachpraxis, von der gesagt wird, dass sie in den argentinischen Gefängnissen entstanden ist, und dass sie für die Kommunikationsweise der ‚Tangowelt‘ konstitutiv war.
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Zur Überprüfung dieser Beobachtung vgl. vor allem (Ferrer 1960; Carretero 1964; Stilman 1965; Bischoff 1966; Carella 1966; Mafud 1966; Sierra 1966; Carella 1967; Rossler 1967; Cassadevall 1968; Matamoro 1969; Barcia 1973; Guibert 1973).
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seine inhaltlichen Ausführungen darauf bedacht, von der ‚Realität des Tangos' auf eine Essenz des Argentinischen zu schließen. Der Titel Tango y los Argentinos (Tango und die Argentinier) von Fernando Guibert offenbart einen instrumentellen Rückgriff auf seinen zu untersuchenden Gegenstand: „Denn über den Weg des Tangos, kann man die tiefe Bedeutung, die determinierende Substanz unserer argentinischen Bedingung und unseres nationalen Seins verstehen“ (eigene Übers.; Guibert 1973: 10).
Der Tango dient hier als Projektionsfläche einer nationalen Identität. Durch seine Ergründung solle das Wesen der Nation aufgedeckt werden: „Der Tango ist das unbezweifelbare Nationale, er verbindet uns mit unserem tiefsten Inneren“ (eigene Übers.; Carella 1966: 17). Dieses von ihnen selbst benannte Bestreben der Autoren begegnet dem Leser den gesamten Tangokorpus hindurch. Dabei stößt man auf Worte wie ‚sustancia‘ (Substanz; Guibert 1973: 10), ‚raices‘ (Wurzeln; Borges 1968: 85), ‚espiritualidad‘ (Spiritualität; Centeya 1966: 11; Rossler 1967: 18), ‚esencia criolla‘ (kreolische Essenz; Casadevall 1968: 10) und ‚alma‘ (Seele; Galasso 1973: 15). Mit Hilfe dieser Worte wird auf den scheinbar substanziellen Charakter der argentinischen Nation und ihrer Mitglieder verwiesen. Auf einen plastischen Begriff, der im Korpus stetig aufscheint (z.B. Mascia 1970: 238; Mafud 1966: 13), sollte es dann wieder Tulio Carella bringen: Der nationale Geist sei für ihn in der tanguidad zu finden (Carella 1966: 28). Ohne dass dieser Begriff jemals genauer beschrieben wird, dient er als Leerstelle für eine scheinbar argentinische Wesenhaftigkeit. Der essentialistische Charakter der tanguidad kommt insofern zum Vorschein, als der Mensch sich weder von ihr befreien, noch sie im Laufe des Lebens erlangen könne. Die tanguidad verortet sich für die Autoren in einem vor-sozialen Raum. Sie sei der ‚natürliche und gemeinsame Atem‘ (Rossler 1967: 18) der Argentinier. Zudem sei sie holistisch zu begreifen. Denn für die Autoren ist sie eine Gesamtheit, ein Alles, eine nicht fragmentierbare Einheit:
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„Hinter dem Begriff Tango verbergen sich nicht Verse, Musik, Gesang oder Tanz, sondern eine Landschaft, eine Gemeinschaft, Gefühle […], schließlich eine Seele“ (eigene Übers.; ebd.: 238).
Es kann also vermutet werden, dass die Objektivierung des Tangowissens mit der Essentialisierung einer nationalen Gemeinschaftsvorstellung einhergeht. Der Intellektuelle taucht dabei in seinen Tangotexten nicht als Wissenschaftler auf. Auch wenn die Autoren von Berufs wegen Akademiker sind – Norberto Galasso und Andrés Carretero sind beispielsweise Historiker, Blas Matamoro Jurist und Julio Mafud Soziologe –, so bringen sie zwar ihren akademischen Jargon und womöglich auch ihr Fachwissen in ihre Tangonarrationen mit ein, allerdings distanzieren sie sich von einer institutionalisierten, wissenschaftlichen Tätigkeit. Wie Osvaldo Rossler argumentiert, ist ihm die Universität nicht fremd, aber die Distanz, die Wissenschaftler gegenüber ihrem Gegenstand einnehmen, sei für den Gegenstand des Tangos vollkommen abwegig. Aussagen über den Tango könne man nur treffen, wenn man selbst einen direkten Bezug zum Tango habe, wenn man durch ihn gelebt und gelitten habe. Schließlich sei der Intellektuelle nur insofern autorisiert zu sprechen, als er selbst Träger jener argentinischen Essenz bzw. jener tanguidad sei (Rossler 1967: 20f). So erscheint es folgerichtig, dass in den hier zu behandelnden 18 Jahren nur zwei Tangowerke über hausinterne Universitätsverlage veröffentlicht worden sind.4 Als ‚Tangologe‘, wie bis heute noch in der Presse manche dieser hier aufgelisteten Auto-
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Die zwei Werke sind El tango. Historia de medio siglo 1880-1930 (García Jiménez 1965a) veröffentlicht im hausinternen Verlag der Universität von Buenos Aires – Editorial Universitaria de Buenos Aires –; und El Tango. Sus relaciones con el folklore musical y su ubicación en la cultura Argentina (Cerrutti 1967), veröffentlicht im Verlag der Universität von Resistencia - Departamento de Extensión Universitaria y Ampliación de Estudios.
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ren der sechziger Jahre bezeichnet werden5, nimmt man zu jener Zeit eine diskursive Position ein, die sich nicht innerhalb eines wissenschaftlichen Spezialdiskurses platziert, sondern in einer politisierten, aber intellektuell interessierten Öffentlichkeit. Dass an dieser Öffentlichkeit nicht die breite Masse beteiligt ist, erkennt man daran, dass damals lediglich 2 500 bis 3 000 Exemplare je Auflage gedruckt werden.6 Die limitierte Produktion von Tangotexten, vor allem hinsichtlich seines erschwerten und begrenzten Zuganges, bedeutet jedoch nicht, dass die Objektivierung eines Tangowissens erfolglos geblieben ist. In Anlehnung an das, was schon über die Intellektuellen im Rahmen der Ausführungen zur Nation angemerkt worden ist, lässt sich sagen, dass gerade diese begrenzte, in sich gekehrte Produktion von Tangotexten, den Status einer ‚heiligen‘ Sprache erlangte, die damit im Stande war, Wahrheiten über den Tango zu erschaffen. Vor allem, wenn man die Liste der Intellektuellen im Korpus durchgeht, fallen Namen wie Jorge Luis Borges (1968) und Ernesto Sabato (1963) auf. Diese waren ohne Zweifel die renommiertesten Intellektuellen der damaligen Zeit. Andere Intellektuelle sollten Jahre später gerade durch ihre Beschäftigung mit dem Tango nicht nur zu Ruhm, sondern gar zu einer staatlichen Institutionalisierung gelangen. Dies ist beispielsweise der Fall bei José Gobello. Mit der Veröffentlichung von Lunfardología (etwa: ‚Lunfardologie‘) und Vieja y nueva lunfardía (Alter und neuer Lunfardo; Gobello 1963) erhielt Gobello ein so hohes Prestige, dass der argentinische Staat eine staatlich finanzierte Academia Porteña de Lunfardo ins Leben rief und ihn zum Präsidenten erhob (vgl. Colecciones de
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Zu dieser Bezeichnung siehe den dazu veröffentlichten Artikel in La Nación (Conde 2007). Sowohl Julio Mafud, José Gobello als auch Blas Matamoro, deren erste Werke im Tangokorpus enthalten sind, werden hier zu ‚Tangologen‘ gekürt.
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Diese Information lässt sich aus den Werken des Tangokorpus selbst entnehmen. In Argentinien ist es üblich, dass auf der letzten Seite eines Buches die Anzahl der gedruckten Exemplare erscheint.
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Buenos Aires 2010). Auch Horacio Ferrer erwarb sich unter anderem durch seine Werke El tango: su historia y evolución (Der Tango: seine Geschichte und Entwicklung;1960), Discepolín: El poeta del hombre de corrientes y esmeralda (Discepolín: Der Dichter der Menschen aus Corrientes und Esmeralda; 1965), El libro de tango (Das Tangobuch; 1970) und schließlich Canciones (Gesänge; 1973) ein hohes Prestige. Heute ist Horacio Ferrer Präsident der staatlichen Academia Nacional de Tango (Academia Nacional de Tango 2010). Ein weiteres Beispiel ist Andrés Carretero. Er schrieb 1964 ein viel beachtetes Tangowerk, das ihn zum Tangoexperten erhob und erhielt ein paar Jahre später den Posten des Bibliotheksdirektors der Academia Nacional de Tango (El Ortiba 2010). Diese Beispiele zeigen, dass die ‚Tangographie‘ zwar eine kleine, intellektuell interessierte Öffentlichkeit versorgte, dass aber der Einfluss auf das überlieferte Wissen deswegen nicht gering war, zumal viele Jahre später dieses Wissen in staatliche Institutionen mündete. Es lässt sich somit festhalten, dass die Tangoliteratur als ‚Tangographie‘ einen Wahrheitsstatus erlangte und damit ein bestimmtes, noch zu untersuchendes Tangowissen überlieferte und, dass sie gleichzeitig über den Rückgriff auf dieses Wissen ein ‚argentinisches Wesen‘ und eine damals gegenwärtige ‚argentinische Realität‘ zu zeigen beanspruchte. Wenn man sich nun vergegenwärtigt, dass im intellektuellen Feld genau über diese Semantik polarisierende Barrikadendiskurse verliefen, und dass diese wiederum um die normative Beurteilung des Peronismus kreisten, liegt die Vermutung nahe, dass sich auch die Tangographie zu einen dieser beiden Lager dazugesellte.
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D IE POLITISCHE V ERORTUNG (V ERLAGE UND B IOGRAPHIEN ) Und tatsächlich wird der Tangographie von Seiten ihrer Autoren eine politische Funktion zugeschrieben. Für Alfredo Mascia beispielsweise begründe sie die Basis für eine ‚authentische Politik‘ (Mascia 1970: 227). Erst aus der Ermittlung der argentinischen Essenz, die sich in der tanguidad wiederfinde, sei die Formulierung ‚richtiger‘ Politiken möglich. Was mit ‚richtige‘ und ‚authentische‘ Politik gemeint sein kann, wird in keinem Tangowerk explizit gemacht. Allerdings reicht diese Aussage von Mascia aus, um die Behauptung aufzustellen, dass sich die ‚Tangographie‘ als ein politisches Instrument in eines der beiden Lager einzureihen wusste. Wenn man sich die Verlage anschaut, in denen die Tangowerke erschienen sind, dann lässt sich diese Behauptung in eine bestimmte Richtung hin konkretisieren. Es fällt auf, dass die Verlage in der Regel über ein peronistisches Profil verfügen. Diese Verlage sind vor allem Peña Lillo, CEDAL7, Schapire, Pampa y Cielo und El Mate. In dem Verlag Schapire beispielsweise wurde 1973 die Kampfschrift Apuntes para la Militancia Peronista (Anleitungen zum Peronistischen Widerstand) des offiziellen, daheim gebliebenen Vertreters Peróns, John William Cooke, veröffentlicht (Cooke 1973). Dort vertritt Cooke die Meinung, dass „...der Peronismus bereit ist, die Macht wieder an sich zu reißen“ (eigene Übers.; ebd.: 17). Auch der im Jahre 1959 ins Leben gerufene Verlag Peña Lillo setzt sich zum Ziel, „...über den Umweg seiner Autoren, das wahrhaftige Denken und Fühlen eines Volkes auszudrücken, das weder eine Stimme noch eine Presse hat“ (eigene Übers.; Couselo 1964: 7). Diese fehlende Stimme, die über ‚nationale Stimmbänder‘ (ebd.) verfügt, ist offensichtlich der von konservativen Militärs verbotene Peronismus und sein vermeintlich ‚unterdrücktes‘, ‚peronistisches Volk‘. Andere, kleinere Verlage wie Pampa y Cielo
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Für eine eingehendere Betrachtung über die politische Ausrichtung des Verlages CEDAL siehe das Werk von Monica Bueno (2006).
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oder El Mate suggerieren allein aufgrund ihres Verlagnamens eine peronistische Ausrichtung; die Pampa als der ländliche Ort der Nation und der dazugehörige Mate als das vom ‚Volk‘ getrunkene Nationalgetränk. Das heißt natürlich nicht, dass nur peronistische Verlage Werke über den Tango veröffentlichten. Auch der eher konservative und renommierte Verlag Losada veröffentlicht in dieser Zeit drei Bücher zum Thema Tango.8 Aber gemessen an der Gesamtmenge der erschienenen Tangowerke, bleiben diese Veröffentlichungen vielmehr Einzelphänomene denn ein Regelfall (vgl. Anhang). Wenn man sich des Weiteren die Biographien der Autoren anschaut, soweit sie überhaupt in Erfahrung zu bringen sind, lässt sich der Verdacht einer peronistischen Tangographie weiter erhärten.9 Der Historiker Norberto Galasso beispielsweise verschreibt sich bis heute einer peronistisch freundlich gesonnenen Historiographie, die sich Historischer Revisionismus nennt (Hernández 1997: 141). Ein anderes Beispiel ist Julio Mafud. Er schrieb nach seiner Studie zum Tango ein Buch über den Peronismus, dem er freundlich gegenübertrat (Mafud 1972). Wieder ein anderes Beispiel ist Andrés Carretero. Er schrieb 1972 ein Werk über den Caudillo Juan Manuel Rosas, das damals als das typische und personifizierte Emblem von Perón galt (Hernandez 1997: 81-88). Aber der interessanteste Fall scheint Blas Matamoro zu sein: Als die antiperonistische Militärjunta 1976 die Macht übernahm, musste er aufgrund seiner peronistischen Schriften nach Madrid ins Exil flüchten. Sein Buch Olimpo wurde von der Militärdiktatur verboten. Laut der Junta habe sein Buch die ‚nationalen Werte‘ Argentiniens verunglimpft
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Diese Werke sind Tango. Discusión y clave von Ernesto Sabato (1963), Buenos Aires dos por cuatro von Osvaldo Rossler (1967) und Así nacieron los tangos von Francisco García Jiménez (1965b).
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Auch wenn eine von Foucault inspirierte Diskursanalyse strenggenommen den Autor selbst nicht berücksichtigt, erleichtert der Einblick in die biographische Landschaft der Autoren die diskursive Verortung der Äußerungen zum Tango.
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(Sebreli 2007). Blas Matamoro selbst beschrieb sich rückblickend auf die Zeit des Postperonismus als ein ‚linksnationaler Revolutionär‘ (Matamoro 2007). Ein entscheidender Hinweis im Hinblick auf eine peronistische Tangographie lässt sich aus seinem Tangowerk Ciudad del tango entnehmen. In dem Epilog seiner Zweitauflage, die erst nach der Aufhebung der Zensur im Jahre 1973 erschienen ist, fügt Matamoro einen Kommentar ein, der in seiner Erstauflage von 1969 nicht erschienen war: „1955, nach einer kurzen Krise, wird die peronistische Regierung gestürzt und eine konservative Restauration wird entsprechend dem Vorbild von 1930 wieder eingeführt. Es ist nicht zufällig, dass die Entwicklung des amerikanischen Rocks und das Aussterben des argentinischen Tangos mit dem Aufleben der rechten Militärdiktatur einhergehen“ (eigene Übers.; Matamoro 1982: 225).
In dieser Textstelle wird dem Leser suggeriert, dass der Fall des Peronismus parallel mit dem Niedergang des Tangos verläuft, und dass der amerikanische Rock mit der konservativen Militärdiktatur zusammenfällt. Dies lässt vermuten, dass die tanguidad, die scheinbar argentinische Essenz im Tango, mit der peronistischen Vorstellung von Nation in Verbindung steht. Aber nicht alle Biographien der über Tango schreibenden Autoren geben Hinweise auf eine Peronisierung der Tangographie. Jorge Luis Borges und Ernesto Sabato schrieben in jener Zeit ebenso Bücher über Tango. Sie galten in der Zeit des peronistischen Regimes zwischen 1946 und 1955 als rigorose Antiperonisten. Aber auch der Fall von Jorge Luis Borges bleibt, in Analogie zum konservativen Verlag Losada, ein Einzelphänomen. Wenn man sich die Tangowerke anschaut, dann fällt auf, dass sich die übrigen Autoren von ihm abzugrenzen versuchen und ihm gar den Status eines Tangoexperten absprechen. Laut Carretero mag Borges ein ‚respektabler Schriftsteller‘ sein, aber über die ‚Realität‘ des Tangos habe er keine Ahnung. Seine Ausführungen über Tango entsprächen einer literarischen, irrealen Phantasiewelt, die mit dem tatsächlichen Phänomen nicht zu verwech-
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seln seien. Bei ihm herrsche nämlich das ‚Imaginative‘ über das ‚Reale‘ (Carretero 1964: 91f). Erstaunlich ist allerdings, dass auch Ernesto Sabato sich von Jorge Luis Borges in Sachen Tango abgrenzt. Sabato schreibt in seinem Vorwort zu Tango. Discusión y clave aus dem Jahre 1963, dass er einst Borges als politischen Gleichgesinnten ansah, dass er sich aber jetzt von ihm entfernt habe, weil die politischen Differenzen zu groß geworden seien (Sabato 1963: 9). Ernesto Sabato ist das Beispiel eines Intellektuellen, der während des peronistischen Regimes ein rigoroser Antiperonist war und sich in der Zeit des Postperonismus wie viele andere seiner Kollegen zumindest ansatzweise ‚peronisierte‘ (vgl. Sigal 2002: 101).
Z WISCHENBETRACHTUNG Bis zu diesem Punkt erfolgte eine erste Annäherung zwischen dem politischen und intellektuellen Kontext der sechziger Jahre und der darin auftauchenden Tangoliteratur. Dabei wurde argumentiert, dass die Tangoliteratur als ‚Tangographie‘ den Status von Wahrheit erlangte, d.h. eine Wissensformation konstituierte. Gleichzeitig jedoch wurde der Verdacht geschöpft, dass die Tangoliteratur zugleich einen Nationaldiskurs begründete: Hinter den objektivierenden Tangoaussagen verbarg sich von Seiten der Intellektuellen der Wunsch, über den Rückgriff auf den Tango die ‚argentinische Realität‘ und das ‚argentinische Wesen‘ aufzuzeigen. Anhand der Darstellung des intellektuellen Feldes konnten die historischen Rahmenbedingungen dieser Wissensproduktion rekonstruiert werden. Dabei lässt sich feststellen, dass die Frage nach der ‚argentinischen Realität‘ und des ‚argentinischen Wesens‘ kein spezifisches Erkenntnisinteresse der Tangoliteratur war. Im Gegenteil, sie war das wichtigste political issue der damaligen Zeit. An ihr entzündete sich der Bürgerkrieg zwischen Peronisten und Antiperonisten. Beide Gruppierungen empfanden sich als die ‚wahren‘ Vertreter der ‚argentinischen Nation‘. Das intellektuelle Feld nahm diese Konfliktlinie inso-
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fern auf, als es Aussagen über die ‚wahre Nation‘ traf. Dabei konstruierte sie den ‚Peronisten‘ und ‚Antiperonisten‘ in polarisierter Form, das heißt als zwei sich kulturell ausschließende Subjektformen. Während die eine Subjektform als der Inbegriff des ‚Nationalen‘ galt, vereinigte die andere alles ‚Nichtnationale‘. Da sich das intellektuelle Feld im Allgemeinen ‚peronisierte‘, lässt sich die Vermutung aufstellen, dass auch die Tangoliteratur dieser Tendenz folgte. Dieser Verdacht erhärtet sich, wenn man sich die Erscheinungsorte der Tangowerke und die Biographien der Autoren anschaut: Viele Tangotexte wurden in peronistischen Verlagen veröffentlicht und einige ihrer Autoren waren dem Peronismus wohl gesonnen. Im Folgenden soll diese Vermutung weiter bekräftigt werden. Hierfür wird der Textkorpus dekonstruiert und zu einzelnen Diskursfragmenten neu zusammengefügt. Es wird argumentiert, dass die Tangographie ein peronistisches Nationalwissen begründete. Die Formationsregel dieser Wissensproduktion lässt sich genau wie das historische Archiv als Polarisierung bezeichnen. Ein peronistisches Nationalsubjekt wird somit über die Instituierung eines kulturell definierten Feindbildes hervorgebracht. Während die ‚Peronisten‘ sich als das kulturell ‚authentische Volk‘ bzw. als die ‚wahre Nation‘ konstruieren, würdigen sie die ‚Antiperonisten‘ als eine ‚antinationale‘ und ‚europäisierte Oligarchie‘ herab. In der Tangoliteratur erfolgt die Konstruktion eines peronistischen Nationalsubjekts – wie im Folgenden noch zu zeigen sein wird– über diese kulturell definierte Polarisierung. Dabei lassen sich drei große, ineinander verwobene Wissensbereiche unterscheiden: Aussagen über die eigene Sprecherrolle als Tangologe, Aussagen über die damals vorherrschende politische Realität und schließlich Aussagen über die scheinbar ‚wahre‘ und ‚authentische‘ Geschichte des Tangos. Mit der Beschreibung dieser drei Wissensbereiche wird dem Umstand Rechnung getragen, dass die Tangotexte vornehmlich diese drei Themen behandeln. Da die Texte vor allem die zwei letztgenannten Wissensbereiche aufgreifen, wird diesen eine verstärkte Aufmerksamkeit geschenkt.
Tangographie als peronistisches Nationalwissen
D IE F ORMATIONSREGEL Da die Tangographie unter dem Verdacht steht ein peronistisches (und kein antiperonistisches) Nationalwissen hervorgebracht zu haben, erscheint es an dieser Stelle angebracht, die Formationsregel des peronistischen Nationaldiskurses, der zwischen 1955 und 1973 vorherrschte, etwas genauer zu explizieren. Auch wenn die Polarisierungsstrategie vom antiperonistischen Diskurs ebenfalls verfolgt wurde, ging sie ursprünglich von den Peronisten aus, die diese Strategie bereits 1946 implementierten: „Peronism introduced a new articulation of the political order based on the incorporation of the, until then, excluded popular sectors“ (Barros 2000: 29). Die neue Artikulation verlief über die Gegenüberstellung zwischen einer ‚antinationalen Oligarchie‘ einerseits und einem ‚nationalen Volk‘ andererseits. In diesem Sinne ist der peronistische Diskurs als eine simplifizierende, nationale Variante des von Frantz Fanon, Fernando Cardoso, Ernesto Faleto wie auch von dem Ägypter Samir Amin beeinflussten postkolonialen Dritte-Welt-Diskurses zu verstehen (Sarlo 2007: 118; Goebel 2007: 103). Einem solch simplifizierenden Diskurs entsprechend repräsentiert die ‚Oligarchie‘ die ‚imperialisti-
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schen Kolonialherren‘ und das ‚Volk‘ die leidtragenden ‚Marginalisierten‘ und ‚Kolonialisierten‘ der Gesellschaft: „[...] Peronism constitutes a paradigmatic case of populist discourse insofar as one of the defining characteristics of populism is the tendency to divide society between dominant and dominated [...] the totality of society around fundamental antagonism“ (Barros 2000: 29).
Das Kernmerkmal des peronistischen Diskurses ist somit die Hervorbringung polarisierter Freund-Feind-Bildern. Diese Formationsregel basiert auf einem „[...] set of binary oppositions, such as authenticity versus falsification, people versus anti-nation, masses versus oligarchy, sovereignty versus imperialist yoke, caudillos versus effeminate liberal ideologues, interior versus port city and real nation versus intelligentsia“ (Goebel 2007: 119).
Das peronistische Nationalsubjekt wird dabei immer in Opposition zu seinem Feindbild gesetzt. Die Artikulation dieser Gegensatzpaare verläuft vor allem über die Hervorhebung kultureller Eigenschaften. Auch wenn die Betonung der sozialen Ungerechtigkeit ein wesentlicher Bestandteil des peronistischen Diskurses ist, so artikuliert sich diese sozialökonomische Differenz auf der Ebene des Kulturellen. Der peronistische Diskurs grenzt sich damit von einem klassisch marxistisch kodierten Diskurs ab. Für die Peronisten „...were the classical parties of the Left incapable of understanding the authentically Argentine spirit of the working class“ (Hervorhebung durch den Verfasser; ebd.: 107). Der ‚Peronist‘ beschreibt sich zwar als ein Arbeiter, aber allem voran als ein Inländer, der kreolischen Ursprungs ist: „class and nation were condensed into a single organic object that was the agent of national liberation“ (Hervorhebung durch den Verfasser; ebd.: 124). Die idealtypischen Peronisten definieren sich somit als eine ‚gaucho working class‘ (Hervorhebung durch den Verfasser; ebd.: 85).
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Aus diesem Grund scheint es nicht weiter verwunderlich, dass das Feindbild der ‚Oligarchie‘ primär über kulturelle statt über sozioökonomische Eigenschaften konstruiert wird: „The oligarchy was defined through its cultural rather than its economic properties; it was a parasitic rather then an exploitive class“ (ebd.: 122). Diese kulturellen Eigenschaften sind jene Aspekte, die mit dem kosmopolitischen Stadtleben von Buenos Aires in Verbindung stehen. An erster Stelle ist es die ‚französische‘ bzw. ‚europäisierte‘ Hochkultur, die mit der Subjektform ‚Oligarchie‘ und der antiperonistisch gesonnenen, ‚imperialistischen Ordnung‘ zusammengebracht wird. Sie stehe für die ‚imperialistische Kolonialisierung‘ der vermeintlich ‚authentischen‘, kreolischen Kultur (ebd.) Indem die Tangographie auf diese kreolische Kultur zurückgriff‚ so die hier vertretene These, begründete sie ein peronistisches Nationalwissen und brachte damit ein entsprechendes, peronistisches Subjekt hervor, das im Folgenden näher zu bestimmen gilt.
D ER T ANGOLOGE ... In den folgenden Ausführungen wird die diskursive Position des sprechenden Subjekts beschrieben. Dabei liegt die Pointe in der Rekonstruktion des Tangologen als einem peronistischen Intellektuellen. Der Tangologe autorisiert sich als sprechendes Subjekt, indem er sich als die Kehrseite eines traditionellen und in nuancierter Abgrenzung zu einem marxistischen Intellektuellen begreift. Im Gegensatz zu diesen beiden Intellektuellentypen authentifiziert er sich als Sprachrohr der Nation. Indem er nicht intellektuell veranlagt ist, sondern die gleichen leiblichen Erfahrungen mit dem ‚Volke‘ teilt, kann er die ‚wahren‘ Bedürfnisse der ‚Nation‘ zum Ausdruck bringen – so das von ihm propagierte Selbstbild.
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...als Kehrseite eines liberalen Intellektuellen Der Intellektuelle, der sich in der Tangoliteratur artikuliert, nimmt eine spezifische diskursive Position als Tangologe ein. Entsprechend der Formationsregel des peronistischen Diskurses baut sich diese Position über die Konstruktion eines Feindbildes auf: die des traditionellen Intellektuellen, auf den in der Tangoliteratur lediglich als ‚Intellektueller‘ verwiesen wird. Diese diskursive Strategie findet sich im gesamten Tangokorpus wieder. Laut der diskursiven Figur ist der traditionelle Intellektuelle derjenige, der im liberalen Argentinien emporkam und bis heute noch fortweilt. Seine Geburt erfahre er mit Juan Domingo Sarmiento, dem Vertreter des ‚zivilisierten‘ Argentiniens, der das ‚barbarische‘ Argentinien zu erziehen beanspruchte (Mafud 1966: 102). Das ‚Volk‘ als ‚barbarisch‘ zu bezeichnen, sei schon die erste ‚Todsünde‘ gewesen und verdeutliche die Tatsache, dass der Intellektuelle seit jeher von den Bedürfnissen des ‚Volkes‘ fern gestanden habe. Es sei beispielsweise unmöglich, dass Sarmiento keinen einzigen Kommentar über das erste Gaucho-Buch Argentiniens geäußert habe (ebd.). Der traditionelle Intellektuelle habe es verpasst, die ‚Realität‘ und die daraus entspringende Kunst des ‚Volkes‘ wahrzunehmen. Stattdessen sei er ‚europäisiert‘; er höre Mozart und Strawinsky (Rossler 1967: 19) und ‚sauge‘ überhaupt, wie Tulio Carella es ausdrückt, jeden ‚Schmutz‘ (Carella 1966: 95) aus dem Ausland auf und verachte dafür die heimischen Kunstformen. Dass der traditionelle Intellektuelle das Heimische verachte, liege in der Tatsache begründet, dass er genauso wie die Nordamerikaner und die Europäer eine ethnozentrische Perspektive einnehme. Horacio Ferrer positioniert den traditionellen Intellektuellen im Diskurs mit folgenden Worten jenseits der nationalen Grenze: „In Argentinien glauben die meisten derer, die über die Ressourcen und die Kapazitäten verfügen, über unsere Kunst urteilen, aufzuklären oder eine Meinung äußern zu können, ihr Fenster zeige auf romantische Weise auf die Stra-
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ßen von Montmartre oder glauben, ihre Schreibmaschine stände in der Redaktion des ‚Times Magazines’“ (eigene Übers.; Ferrer 1960: 12).
Im Original kommt die Verachtung, die der Tangologe gegenüber dem traditionellen Intellektuellen empfindet, mit der im Deutschen nicht übersetzbaren Diminutivform callecitas (etwa Sträßchen) besonders zum Ausdruck. Diese Diminutive tauchen in Verbindung mit dem traditionellen Intellektuellen immer wieder auf. Sie unterstreichen die geringe Wertschätzung, die der Tangologe gegenüber seinem antinationalen Kontrahenten empfindet. Der traditionelle Intellektuelle sei zudem ein ‚Idealist‘, der sich in ästhetischen und stilistischen Bemühungen verliere. Er sähe die Kunst in seinem Elfenbeinturm als l’art pour l’art (Mafud 1966: 115). Indem er die stilistischen Maßstäbe aus Europa imitiere, versuche er die ‚hohe Kultur‘ zu pflegen und zu perfektionieren; er sei mehr mit der Form als mit dem Inhalt beschäftigt (ebd.). Diese ‚Europäisierung‘ des Intellektuellen habe dazu geführt, dass der Intellektuelle nicht die Sprache des ‚Volkes‘ gesprochen habe (ebd.: 114). Aber für schlimmer noch befindet der Tangologe die vermeintlich apolitische Haltung des traditionellen Intellektuellen. Aus Angst, ‚intellektuellen Selbstmord‘ zu begehen, habe sich der traditionelle Intellektuelle von der Politik ferngehalten und dem ‚bürokratischen Politiker‘ (ebd.: 107) den Platz geräumt: „Er möchte sich nicht beflecken, um seine literarische Jungfräulichkeit nicht zu verlieren“ (eigene Übers.; ebd.). Dabei sei diese politische Unschuld Teil des ja-sagenden und komplizenhaften Verhältnisses, das er mit der ‚Oligarchie‘ (Galasso 1973: 17) des Landes eingegangen ist. Julio Mafud resümiert das Feindbild des traditionellen Intellektuellen und bringt es auf den Punkt: „Er [der traditionelle Intellektuelle] betrachtet Europa nicht aus Argentinien heraus, sondern er betrachtet Argentinien aus Europa heraus. Er konstruiert das ideale Argentinien nicht aus dem realen Argentinien, sondern verurteilt das reale Argentinien aus einem idealen Argentinien“ (eigene Übers.; Mafud 1966: 110).
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Das ‚reale Argentinien‘ sehe der traditionelle Intellektuelle nicht. Dieses ‚reale Argentinien‘ sei die Kehrseite von Montmartre und New York, es sei das ‚Nationale‘ im Gegensatz zum ‚Antinationalen‘. Dieses sei nur beim ‚Volke‘ selbst zu finden. ...als Kritiker eines marxistischen Intellektuellen Der Tangologe positioniert sich allerdings nicht nur in Opposition zum traditionellen Intellektuellen, sondern auch in klarer Abgrenzung zu einem marxistischen Intellektuellen. Auch dieser lasse sich von ausländischen Ideen vereinnahmen. Während sich die traditionellen Intellektuellen an den Werken der französischen Schriftsteller orientiert haben, lasen die marxistischen Intellektuellen russische Schriftsteller wie Fjodor Dostojewski (Mafud 1966: 118) oder Leo Tolstoi (Ferrer 1960: 14). Julio Mafud kritisiert die marxistischen Intellektuellen, weil sie „...über Russland schreiben und über Dinge, die mit jenem Land in Verbindung stehen“ (eigene Übers.; 1966: 120). Sie würden somit genauso wie die traditionellen Intellektuellen nicht die argentinische Realität sehen können. Keiner der beiden Intellektuellentypen könne Sprachrohr einer argentinischen Nation sein. Allerdings fühlt sich der Tangologe dem marxistischen näher als dem traditionellen Intellektuellen. Immerhin zeige ersterer ein ‚soziales und politisches Engagement‘ (Mafud 1966: 118). Darunter versteht der Tangologe die Hinwendung zum ‚Volke‘. Der marxistische Intellektuelle habe immerhin versucht, die sozialen und politischen Bedürfnisse des ‚Volkes‘ zu verstehen (ebd.). Er habe es auf die ‚Soziale Revolution‘ vorzubereiten versucht (ebd.). Aufgrund seiner Kritik am sozialen Missstand Argentiniens sei er authentischer als der traditionelle Intellektuelle (ebd.: 119). Der Tangologe teilt mit dem marxistischen Intellektuellen somit eine sozialkritische Perspektive. Aber trotz dieser sympathisierenden Worte differenziert sich der Tangologe von einem marxistischen Intellektuellen. Dieser verfüge über ein international ausgerichtetes Klassenverständnis. Das histori-
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sche Subjekt sei für den ‚Marxisten‘ das internationale Proletariat und nicht die ‚Nation‘. Er habe keinen Begriff von der ‚Nation‘. Er selbst habe dagegen als Tangologe zwar auch ein Klassenverständnis vom ‚Volk‘, aber diese Klasse sei immer gleichzeitig national gebunden. Julio Mafud kritisiert ein internationales Klassenverständnis, indem er einen ‚Volksdichter‘ zitiert: „Geh zu deinem Herren / denn an erster Stelle stehen die Kinder Argentiniens / nicht die Kinder Russlands /Dass er wissen solle / Er, der doch so gerecht ist / dass hier Leid ist / im Chaco Santafesino1, im Inland / [...] / dass Indianer getötet werden / auf schlimmste Art und Weise / [...] / dass die Mächte der argentinischen Heimat / seine Einflussnahme hier zügeln mögen / [...] /Denn bevor das Elend von Russland bekämpft wird/ soll unser Elend ein Ende finden“ (eigene Übers.; García o.A., zitiert nach Mafud 1966: 120).
Das Zitat verdeutlicht, dass der Tangologe keinen internationalen Klassenkampf befürwortet, sondern darum bemüht ist, ein nationales Elend zu beseitigen. Allerdings bleibt die Kontur des marxistischen Intellektuellen in der Tangographie sehr vage. Die Positionierung des Tangologen erfolgt vielmehr über die Gegenfigur des traditionellen Intellektuellen als in Opposition zum marxistischen Intellektuellen. Die eigene diskursive Verortung lässt sich besser ex negativo durch die polarisierte Konstruktion eines ‚europäisierten‘ und ‚oligarchischen‘ Feindbildes evozieren als durch die schwächere Abgrenzungsstrategie gegenüber dem ‚Marxisten‘. ...als Sprachrohr der Nation Die Subjektposition des Tangologen ergibt sich also aus einer Polarisierung zu einem traditionellen und aus der Abgrenzung zu einem marxistischen Intellektuellen: der erste sehe jegliche, der zweite die
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Das ist der Name einer verarmten Region in Argentinien.
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argentinische Realität nicht. Mit diesen diskursiven Strategien nimmt er den Platz eines peronistischen Intellektuellen ein. Denn sowohl die Kritik an einem ‚europäisierten‘ wie auch an einem klassenorientierten Intellektuellen sind dem peronistischen Intellektuellen eigen (Goebel 2007: 86). Um diese These noch weiter zu erhärten, soll gezeigt werden, dass sich der Tangologe ferner über die diskursive Hervorhebung von authentischer Erfahrung als autorisierter Sprecher legitimiert. Der Sprecher autorisiert sich nicht durch seine eloquente, intellektuelle Tätigkeit, sondern durch seine persönliche Erfahrung, die gleichzeitig die Erfahrung der Nation zu sein scheint. Ein solches Erfahrungsmoment zeichnet Tulio Carella paradigmatisch in seinem autobiographischen Epilog nach: Er sei wie ein Pilot über fremdem Territorium abgestürzt, und habe, auf dem Boden angekommen, das Verhalten und die Geschichte jener ihm fremden Menschen zu erforschen begonnen, bis er schließlich entzückt entdeckte, dass dieses Land das Seinige und diese fremden Menschen er selbst waren (Carella 1966: 123). Diese metaphorische Reise, die Carella zu sich selbst unternimmt, ist eine Rückbesinnung auf seine Kindheit. Er habe als Erwachsener viele Jahre Musik studiert, habe Werke vieler europäischer Philosophen und Denker gelesen und gerade diese intellektuelle Tätigkeit habe ihn von seiner Herkunft, von seiner Kindheit, und damit verbunden, vom Tango entfernt (ebd.: 101). Er habe den Tango geradezu vergessen. Aber jetzt erinnere er sich an seine ‚Wurzeln‘ und entdecke, dass der Tango zusammen mit dem Mate und mit dem Asado (eine Bezeichnung für ein argentinisches Grillritual) schon immer Teil seiner ‚Realität‘ gewesen sei (ebd.: 100). Er habe den Tango im Radio gehört und sogar selbst mitgesungen (ebd.): „Der Tango war dort, an allen Ecken, überall und jeder sang ihn“ (eigene Übers.; ebd.: 98). Im Gegensatz zu den abstrakten und irrealen Gedankengebäuden einer ‚europäisierten‘ oder ‚fremden‘ Intellektualität sei der Tango konkreter Alltag eines Kindes gewesen. Die Hervorhebung einer Textstelle scheint hier besonders aufschlussreich zu sein:
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„Dank der Tica konnte ich auf der Silberhochzeit meiner Eltern Tangotanzen, und damit konnte ich viele Jahre später auch beweisen, dass die Theorien von Ezequiel Martínez Estrada vollkommen falsch waren“ (eigene Übers.; ebd.: 102).
Mit dem Argument der persönlichen und ‚authentischen‘ Erfahrung werden die ‚Irrealitäten‘ einer vermeintlich ‚verkopften‘ Intellektualität verschmäht. Der Tangologe sei mit dem ‚Volke‘ verbunden, weil auch er diese persönliche Erfahrung zusammen mit der Tica, seinem Kindermädchen, teile. Er sehe die argentinische ‚Realität‘, weil er durch seine persönliche Erfahrung teil an ihr gehabt habe. Der Tangologe autorisiert sich den gesamten Tangokorpus hindurch immer wieder als Sprecher selbst, indem er auf diese persönliche Erfahrung zurückgreift. Dabei ist sie ein routiniertes Erleben. Osvaldo Rossler beispielsweise autorisiert sich auf den ersten Seiten seines Buches selbst, indem er sich als Tangoerlebender präsentiert: „Ich bin einer derjenigen, der mindestens zwei Stunden am Tag Tango hört, auch bin ich derjenige, der nachmittags Mate trinkt“ (eigene Übers.; Rossler 1967: 9).
Demgegenüber nehme der typische Universitätsgelehrte eine distanzierte Haltung gegenüber dem Tango ein (ebd.: 21). Denn für diese Gelehrten finde sich, wie Sabato es ausdrückt, „[...] die Metaphysik nur in langatmigen Abhandlungen von deutschen Gelehrten, wobei wie Nietzsche es sagt, sie auf der Straße liegt, bei den Erlebnissen des alltäglichen Menschen aus Fleisch und Blut“ (eigene Übers.; Sabato 1963: 21).
Ungeachtet dessen, ob Nietzsche dies formulierte oder nicht, zeigt jene Stelle, wie sich der Tangologe dadurch berufen fühlt, die ‚Nation‘, das ‚Volk‘ und die ‚nationale Realität‘ auszudrücken, indem er sich selbst als ein Teil davon sieht. Laut der diskursiven Figur ist er das Volk bzw.
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das Volk spricht durch ihn. Durch ihn erhält die tanguidad, oder, wie Sabato es formuliert, die metafísica tanguística (Tangometaphysik) eine Stimme (ebd.). Und die Kraft der ‚Wahrheit‘ dieser Stimme liegt nicht in der logischen Stringenz der Argumentation, sondern in der persönlichen und kollektiven Erfahrung des sprechenden Subjekts: der ‚Nation‘. ... als peronistischer Intellektueller Entsprechend der Formationsregel eines peronistischen Diskurses konstituiert sich die diskursive Position des Tangologen vor allem in Polarisierung zu einem ‚europäisierten‘, ‚verkopften‘, ‚städtischen’ Intellektuellen. Er selbst konstruiert sich als Sprachrohr der ‚Nation‘ insofern, als er als Tangoerlebender Teil der scheinbar ‚authentischen‘ Kultur der Nation ist. Die ‚Nation‘ sei hierbei die semantische Kehrseite des traditionellen Intellektuellen. Sie sei nicht ‚städtisch‘, nicht ‚verkopft‘, nicht ‚europäisch‘ ausgerichtet, sondern ex negativo ‚ländlich‘, sinnlich ‚erfahrbar‘ und ‚national authentisch‘. Die diskursive Position des Tangologen entspricht aufgrund dieser Gegensatzpaare der typischen diskursiven Position eines peronistischen Intellektuellen. Denn wie Thomas Goebel bemerkt, stilisiert der peronistische Intellektuelle den traditionell bürgerlichen Intellektuellen stets zu seinem Feindbild (Goebel 2007: 89). Für den peronistischen Intellektuellen sei sein bürgerlicher Kontrahent Teil der ‚oligarchischen Ordnung‘. Er sei ‚europäisiert‘ und vergöttere demnach die ‚französische‘ Kunst, fühle sich als Teil der europäischen ‚Zivilisation‘ und habe konsequenterweise keine Ahnung vom argentinischen ‚Volke‘ (ebd.). Seine politischen wie auch theoretischen Fundamente seien aus Europa importiert: Er habe die liberaldemokratische Verfassung genauso wie den Glauben an den internationalen Handel aus Europa übernommen und versucht, beides in Argentinien karikaturhaft umzusetzen. Der traditionelle Intellektuelle sei ein typischer ‚Akademiker‘; er schreibe für die ‚Elite‘ und nicht für das ‚Volk‘. Genauso wie die gesamte ‚Oligarchie‘ sei er ein
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Fetischist des Stadtlebens, dort fände er die ‚hohe Kultur‘, wobei sich die ‚eigentliche‘ Kultur im Landesinneren befinde (ebd.: 49). Der peronistische Intellektuelle dagegen konstruiert sich wie der Tangologe als Sprachrohr der ‚Nation‘: Anders als sein Widersacher sei er beim ‚Volke‘, er teile mit ihm das gleiche Schicksal. Er sei kein Akademiker, er setze keine Fußnoten (ebd.: 90). Vielmehr spreche er durch das ‚Volk‘, dessen Teil er ist. Ein paradigmatisches Beispiel für diese Position ist das Bekenntnis des peronistischen Intellektuellen Arturo Jauretche: „’Between being an intellectual and being an Argentine’, he affirmed: I do not accept being defined as an intellectual. I vote for the second. Without reservations’“ (Jauretche, o.A. zitiert nach Goebel 2007: 90).
Hier erkennt man, dass ‚Intellektueller‘ und ‚Argentinier‘ zwei gegenüberstehende Subjektpositionen begründen, die in den Bedeutungen, die diesen beiden Positionen im peronistischen Diskurs zukommen, nicht miteinander harmonieren können. Der peronistische Intellektuelle autorisiert sich nicht durch seine eloquente und politisch unabhängige geistige Tätigkeit. Im Gegenteil, er legitimiert seine Autorität, genauso wie der Tangologe, indem er die gleichen Erfahrungen teilt wie das vermeintlich authentische Volk: „Ich bin weit davon entfernt ein belesener Mensch zu sein [...] die wenigen Bücher, die ich gelesen habe dienten nicht dazu meine Weltsicht zu rechtfertigen. Ich verachte die billige Wissenschaft, die in fachspezifischen Lexika mündet […]. Meine Wahrheiten haben einen bescheidenen Ursprung; es sind Ideen, die ich aus meiner persönlichen Beobachtung gewonnen habe und die gleichzeitig die Erfahrung meiner Landsleute repräsentieren“ (eigene Übers.; Jauretche, o.A., zitiert nach Neiburg 1998: 53).
Diese ‚Landsleute‘ werden hier als die ‚Marginalisierten‘ der Gesellschaft begriffen. Der peronistische Intellektuelle wiederum avanciert in diesem Diskurs zur „spokesperson of the marginalized new proletariat
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and of Peronism“ (Goebel 2007: 86). Anders als der marxistische weiß der peronistische Intellektuelle seiner Selbstbeschreibung nach allerdings, dass dieses Proletariat gleichzeitig der Inbegriff einer ‚argentinischen Essenz‘ ist; Nachfahre des Gauchos und des Caudillos. So lässt sich erkennen, dass auch die Abgrenzung des Tangologen von dem marxistischen Intellektuellen ein typisches Merkmal eines peronistischen Intellektuellen ist.
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Der Tangologe artikuliert sich, indem er die Subjektposition eines peronistischen Intellektuellen einnimmt, als Sprachrohr der Nation. Im Gegensatz zum traditionellen und zum marxistischen Intellektuellen kann der Tangologe vermeintlich die ‚nationale Realität‘ sehen. Wie im Folgenden argumentiert wird, formiert sich diese ‚nationale Realität‘ in Polarisierung zu einer scheinbaren ‚liberalen’ Illusion. Die Herausbildung dieses Gegensatzpaares erfolgt über den Rückgriff auf die Vergangenheit und ihrer peronistischen Deutung. Durch das stillschweigende Ziehen einer Kontinuitätslinie wird die Vergangenheit mit der Gegenwart verbunden. Die peronistisch gedeutete Vergangenheit wird damit zum zeitlichen Repräsentationsort einer peronistisch wahrgenommenen Gegenwart. Die historische Kontinuitätslinie Die historiographische Repräsentationsfigur, auf die die Polarisierung zwischen ‚nationaler Realität‘ und ‚liberaler Illusion‘ gründet, sieht folgendermaßen aus: Die Unabhängigkeit Argentiniens erfolgte 1810 vor dem Hintergrund eines größer werdenden Einflusses liberaler Ideen. Mariano Moreno, der erste Präsident Argentiniens, übersetzte als erster, kurz vor der Unabhängigkeit, den Gesellschaftsvertrag von Jean-Jacques Rousseau ins Spanische und forderte repräsentativ dafür die Übernahme von liberalen Ideen für den neu zu entstehenden argen-
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tinischen Staat. Cornelio Saavedra sah in den liberalen Ideen allerdings einen Verrat an der katholisch-hispanischen Tradition. Ein kontraktualistischer Verfassungsentwurf bedeutete für ihn, die Gesellschaft als eine ahistorische Summe abstrakter Individuen zu sehen. Die hispanische Tradition forderte dagegen eine nach Statusgruppen differenzierte korporative und organische Sicht auf den Gesellschaftskörper.2 Die Frage nach der rechtmäßigen Gestaltung der politischen Ordnung zog einen lang zehrenden Bürgerkrieg nach sich, der bis 1852 andauerte. Während sich die inländischen Provinzen an Saavedras Position anschlossen, galt Buenos Aires als die Bastion liberaler Ideen. Ironischerweise sollte gerade Buenos Aires einem hispanisch gesonnenen Caudillo, Juan Manuel de Rosas, zum Opfer fallen. Er galt bei seinen liberalen Gegnern als ein barbarischer Tyrann. Rosas hatte damals die städtische Oberschicht – sowohl die Gründungsväter wie auch die Großgrundbesitzer – aus Buenos Aires vertrieben. Er hatte das ländliche bonaerensische Einzugsgebiet zu seiner politischen Basis gemacht. Sie bestand aus den einstigen gefürchteten Outlaws, den Gauchos. Die städtische Oberschicht verbündete sich dagegen mit den inländischen Provinzen. Zwar waren ihnen die liberalen Ideen von Buenos Aires zuwider, jedoch sahen die Provinzen in Rosas eine noch größere Gefahr. Diese Koalition gewann letztendlich 1852 die historiographisch berühmte Schlacht von Caseros. Rosas sah sich gezwungen nach Europa zu flüchten, während die Gründungsväter aus ihrem Exil zurückkehrten, um ihren liberalen Gesellschaftsvertrag letztendlich einzuführen (Myers 1995; Ternavasio 2002). Diese Geschichtserzählung dient als zeitlich versetzter, repräsentativer Ort für das Schicksal des Peronismus. Perón galt allgemein als der Nachfahre von Rosas. Die Schlacht von Caseros, in der Rosas von der liberalen Koalition gestürzt wurde, diente als Emblem für die
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Für ein eingehenderes Verständnis der Konfliktlinie zwischen den unterschiedlichen Ordnungsvorstellungen, die für die Unabhängigkeitsbewegungen im hispanischen Lateinamerika konstitutiv waren, vgl. FrancoisXavier Guerra (1992).
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‚Freiheitsrevolution‘ von 1955. Denn analog zu Rosas wurde auch Perón, in diesem Fall von General Aramburú, ins Exil verbannt (Goebel 2007: 167). Nun gab es zwischen 1955 und 1973 zwei Interpretationen zu dieser Geschichte: Während die Schlacht von Caseros und die ‚Freiheitsrevolution‘ durch die antiperonistisch gesonnene, traditionelle Geschichtsschreibung als ein Siegeszug der ‚Demokratie‘ gegen die ‚Barbarei‘ bzw. gegen den ‚Nazi-Peronismus‘ gedeutet wurde, sahen die Peronisten darin eine ‚Restauration‘ der alten liberalen Ordnung von 1810. Die Interpretation der Antiperonisten wurde von den Peronisten als eine ‚liberale Illusion‘ degradiert. Ihr stünde die ‚nationale Realität‘ gegenüber (ebd.: 166). Tangographie versus traditionelle Geschichtsschreibung Die Tangographie spricht sich für eine peronistische Deutung der Vergangenheit aus. Die Wortwahl ‚nationale Realität‘ (Carretero 1964: 70) deutet schon darauf hin. Die Tangographie erhebt den Anspruch, jene Realität zu zeigen und den vermeintlichen Schleier der antiperonistischen, ‚liberalen Lüge‘ aufzudecken. Norberto Gallasso bringt dieses Bestreben für den Tangokorpus paradigmatisch zum Ausdruck: „In Anbetracht der heutigen Zustände in einem semikolonialen Argentinien ist es von dringender Notwendigkeit, das Land, seine Geschichte, seine Künste und seine Ideen neu zu durchdenken. Dafür bedarf es vor allem des Vergessens: man muss die Geschichte von Mitre vergessen, die Wirtschaftsvorstellung von Pinedo, die Literatur von Borges, die Verlagshäuser der ‚La Nación’, die Konferenzen von der SADE und schließlich alle Universitätsbibliotheken. Nachdem unser Gehirn von so viel unnötigem Ballast gesäubert ist, können wir uns denjenigen Dichtern und Schriftstellern widmen, in deren Werken das Fleisch und Blut des echten Argentiniens pocht“ (eigene Übers.; Galasso 1973: 17).
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In dieser radikalen, aber gut sichtbaren Motivationsbeschreibung eines Tangologen wird die polarisierte Konstruktionsweise eines ‚echten Argentiniens‘ bzw. einer ‚nationalen Realität‘ deutlich. Sie wird der traditionellen Geschichtsschreibung entgegengesetzt. Vertreter dieser Geschichtsschreibung sind die antiperonistischen und liberalen Ikonen: Bartolome Mitre war ebenso wie Domingo Sarmiento und Mariano Moreno einer der Gründungsväter des liberalen Argentiniens, die sich zum Ziel gesetzt hatten, das Land nach europäischem Vorbild zu modellieren; Federico Pinedo war der Gründer der argentinischen Zentralbank und Vertreter einer freien Handelspolitik; Jorge Luis Borges galt als der traditionelle Intellektuelle par excellence und das Verlagshaus La Nación avancierte zum Sprachrohr des antiperonistischen Regimes. Laut der diskursiven Figur müssen diese Ikonen des antiperonistischen Argentiniens vergessen werden. Indem man die ‚andere Seite Argentiniens‘ in den Blick bekomme, könne man die ‚nationale Realität‘ sehen. Im Gegensatz zu jener ‚liberalen Illusion‘ komme allerdings die ‚andere Seite‘, in der das ‚Fleisch und Blut des echten Argentiniens pocht‘, nicht ans Licht. Die antiperonistische Zensur verhindere es: „Die nationale Kultur wird von jeder offiziellen Institution marginalisiert; von den Zeitungen wird sie verpönt, von den Verlagshäusern wird sie nicht aufgenommen, in der Schule wird sie verleugnet, schließlich wird sie stetig von der Oligarchie sabotiert, so dass wir unsere Vergangenheit nicht kennen und dadurch uns der authentische Weg zur Zukunft versperrt bleibt“ (eigene Übers.; ebd: 16).
Auch Horacio Ferrer ist der Meinung, dass die ‚nationale Kultur‘ verdrängt werde. In den Schulbüchern und Lehrplänen fänden sich für ihn immer noch die alten ‚Lügen‘ von Sarmiento und Mitre wieder (Ferrer 1960: 7). Die Tangographie könne allerdings diese Zensur unterlaufen und die ‚nationale Realität‘ im Gegensatz zur ‚liberalen Illusion‘ des Antiperonismus aufzeigen. Das ‚wahre Argentinien‘, das die Geschichte des Tangos ans Licht bringen könne, sei die Kehrseite der ‚liberalen
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Illusion‘, d.h. der positiven Bewertung einer antiperonistisch triumphierenden Kontinuitätslinie 1810-1852-1955: „An erster Stelle, zwischen 1870 und 1900 kristallisiert sich ein starrer Imperialismus der europäischen Nationen; an zweiter Stelle herrschte in unserem Land eine führende – im Hinblick auf ihr Denken - europäisierte Elite; an dritter Stelle, während die materiellen Reichtümer des Landes an britische Pfunde von jener Elite veräußert wurden, erschaffte das Volk, das authentische Arbeitervolk als Gegenzug zur Immigration und zum Verkauf des Landes den einzigen künstlerischen Ausdruck Argentiniens: den Tango, um die Seele des Volkes zu retten“ (eigene Übers.; Carretero 1964: 15).
Statt eine Erfolgsgeschichte des liberalen Wirtschaftsmodells zu erzählen, revidiert die ‚Tangographie‘ diese Erzählung. Dabei wird die traditionelle Geschichtsschreibung als Feindbild konstruiert und ihre Erfolgserzählung zur ‚liberalen Illusion‘ degradiert. Laut der Tangoliteratur verschleiere die traditionelle Geschichtsschreibung in ‚Wahrheit‘ den ‚Imperialismus‘, der bis heute noch fortbestehe: die Unabhängigkeit Argentiniens sei lediglich formaler Natur gewesen. Denn einst von den Spaniern befreit, sei man nun vom englischen Kapital abhängig. Die Gründungsväter seien keine Helden, sondern eine ‚europäisierte Elite‘, die mit diesem englischen Kapital eine Liaison eingegangen sei. Das Ergebnis dieser als ‚imperialistisch‘ bezeichneten Ordnung sei nicht, wie die traditionelle Geschichtsschreibung es sähe, Wohlstand und Fortschritt, sondern Armut. Der freie Handel habe Argentinien zur wirtschaftlichen Abhängigkeit geführt (ebd.: 30) Hier ist anzumerken, dass die Antiperonisten und die traditionelle Geschichtsschreibung in dem agroexportierenden Wirtschaftsmodell, das zwischen 1870 und bis Ende 1920 vorherrschte, ein Erfolgsmodell der argentinischen Wirtschaft sahen. Dagegen begriffen sie die importsubstituierende Industrialisierungspolitik von Perón als eine gefährliche staatliche Einmischung. Die Tangographie stellt sich dieser Einschätzung entgegen. Das agroexportierende Wirtschaftsmodell habe, so die Argumentation, dazu geführt, dass eine eigene Schwerindustrie in
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Argentinien verunmöglicht wurde (ebd.: 31). Im Gegenteil, die ‚liberale Elite‘ habe durch dieses Modell das Land auf Kosten des ‚Volkes‘ veräußert: „Der Export von Millionen Tonnen von Weizen und Fleisch haben Argentinien mit Divisen versorgt, die allerdings nur eine kleine Minderheit an Eigentümern und Großhändlern zu Reichtum brachte. Das restliche Land dagegen verhungerte“ (eigene Übers.; ebd.: 30).
Die wirtschaftliche Abhängigkeit und die daraus resultierende Armut ging, so die Tangologen, Hand in Hand mit der Konsolidierung der liberaldemokratischen Institutionen: Parallel zur Wirtschaft verlief auch der politische Prozess (ebd.: 31). Während die traditionelle Geschichtsschreibung in der Konsolidierung der demokratischen Institutionen einen Garanten von Freiheit und Fortschritt sah, ‚entlarvt‘ die Tangographie sie als Lüge und als eine Art ‚imperialistischen Überbau‘. Um die vermeintliche ‚Lüge‘ der demokratischen Freiheit zu revidieren, greift sie auf die historischen Ereignisse der Verfassungsgebung von 1852 und der Wahlreform von 1912 zurück. Die Etablierung der Verfassung und die Wahlreform hätten zur Absicherung der ‚imperialistischen Wirtschaftsstruktur‘ gedient (ebd.: 32). An dem Beispiel der Wahlreform sei diese Komplizenschaft besonders erkennbar: 1912 wurde erstmalig die geheime Wahlpflicht eingeführt. Vor der Reform stand es den Bürgern frei, zur Urne zu gehen oder nicht. Seit dem Gesetz von Saenz Peña ist die Ausübung des Wahlrechts allgemeine Pflicht. Zusätzlich war die Wahl vor der Reform nicht geheim, sondern öffentlich. Auch dies änderte sich mit dem Gesetz. Für die traditionelle Geschichtsschreibung war dieser institutionelle Schritt Ausdruck eines sich zivilisierenden und modernisierenden Argentiniens. Für den Tangologen Andrés Carretero war jene Wahlreform hingegen eine Strategie der ‚Oligarchie‘, die in Anbetracht der aufkommenden sozialen Frage die ‚wahren Bedürfnisse der Massen‘ verschleierte (ebd.). Die institutionelle Integration der Massen ha-
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be, so Carretero, die Entstehung eines ‚sozialkritischen Nationalbewusstseins‘ zu verhindern gesucht (ebd.). Auch die Zeit des Peronismus zwischen 1946 und 1955 wurde von der ‚Tangographie‘ gänzlich anders bewertet als von ihren antiperonistisch gesonnenen Widersachern. Während Perón für die traditionelle Geschichtsschreibung ein Despot war, der die liberalen Werte verunglimpfte, sah die Tangographie in ihm einen ‚nationalen Befreier‘. Er habe die ‚liberale Illusion‘ aufgedeckt, indem er den dahinterliegenden ‚Imperialismus‘ sah. Heute dagegen, im Zeitalter des Postperonismus, werde wieder die ‚alte liberale Ordnung‘ hergestellt: „Das Paradies des peronistischen Sozialvertrags ist tot, und dieser Tod ist einzigartig“ (eigene Übers.; Matamoro 1982: 220).
Der ‚peronistische Sozialvertrag‘ wird hier als Gegenbegriff zum kontraktualistischen, liberalen Gesellschaftsvertrag konstruiert, auf den die argentinische Verfassung von 1852 gründete. Perón habe, laut der diskursiven Figur, erstmalig in der argentinischen Geschichte die de iure Verfassung von 1852 in eine de facto ‚Sozialverfassung‘ überführt. Im Rahmen der Deperonisierungsmaßnahmen sei allerdings 1955 die ‚liberale‘ Verfassung von 1852 wiederhergestellt worden. Aus diesem Grunde bezeichnet der Tangologe Blas Matamoro das gegenwärtige Regime von 1955 als ‚Restaurator‘. Es habe die ‚alte liberale Ordnung‘ der Gründungsväter von 1810 und 1852 ‚restauriert‘ und das ‚peronistische Paradies‘ ermordet (ebd.). 1810, 1852 und die ab 1955 vorzufindende postperonistische Gegenwart werden in der Tangographie als historische Kontinuität konstruiert. Sie begründe allerdings keine Nationalgeschichte, sondern eine Antinationalgeschichte. Die von der traditionellen Geschichtsschreibung postulierte Erzählung des wirtschaftlichen Fortschritts und der politischen Freiheit wird in Opposition zu der vermeintlich ‚nationalen Realität‘ als eine ‚liberale Illusion‘ konstruiert und damit zum Gegenpol eines peronistischen Argentiniens erhoben. Sie sei insofern eine Farce, als sie in ‚Wahrheit‘ eine ‚imperialistische Ordnung‘ verberge. Politischer Liberalismus und wirtschaftliche Abhängigkeit seien viel-
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mehr zwei Seiten einer Medaille. Nur Perón habe die Nation von der ‚imperialistischen Unterjochung‘ befreien können. Er sei kein Tyrann gewesen, sondern ein ‚nationaler Befreier‘. Gegenwärtig herrsche allerdings wieder die ‚liberale Illusion‘ des antiperonistischen Argentiniens. Die Tangographie nimmt sich zur Aufgabe, dieses antiperonistische Argentinien aufzuzeigen und macht damit ein polarisierendes Spannungsverhältnis auf.
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Die eben ausgeführte Vergangenheitsdeutung der Nationalgeschichte zielt darauf ab, die antiperonistischen Regime der sechziger Jahre zu delegitimieren. Gemäß der Formationsregel des peronistischen Nationaldiskurses erfolgt die Wahrnehmungskonstruktion der damaligen politischen Gegenwart auch hier über die Polarisierung zweier Subjektpositionen. Wie im Folgenden dargestellt werden soll, stehen sich in der Tangographie die zwei semantischen Felder der ‚Oligarchie‘ und des ‚Volkes‘ gegenüber. ‚Oligarchie‘ versus ‚Volk‘ In der Tangoliteratur werden unter dem semantischen Feld der ‚Oligarchie‘ nicht nur Politiker oder Führungspersonen der Wirtschaft gefasst, sondern alle Menschen, die über ein ‚europäisiertes‘ kulturelles Kapital verfügen. Neben den traditionellen Intellektuellen oder den ‚Herren der Feder‘ (Gallasso 1973: 17), wie Norberto Gallasso sie herablassend benennt, sind es vor allem die kulturell ‚Privilegierten‘ und die gente bien (die Menschen ‚aus gutem Hause‘) (De Lara 1961: 128;139), die sich vom ausländischen ‚Imperialismus‘ kolonialisieren lassen, um ein ‚gut betuchtes‘ ‚high life‘ (De Lara 1961: 126) zu führen. Dabei bestehe die kulturelle Elite aus Konsumenten, die die ‚wahre‘ Kunst nicht erkennen würden. Stattdessen seien sie lediglich darauf aus, Statussymbole zu akkumulieren. Sie verstünden nicht einmal die Bedeutung
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eines Gemäldes von Picasso (Ferrer 1960: 14). Am allerwenigsten könnten sie selbst Kunst erschaffen. Dafür würden sie jeglicher Authentizität entbehren. Vielmehr liefen sie den europäischen Trends hinterher und wollten sie imitieren (Ferrer 1960: 14). Gleichgültig welche sozioökonomische Stellung oder gesellschaftliche Rolle sie in anderen Kontexten einzunehmen vermag, wird in der Tangographie die diskursive Subjektform der ‚Oligarchie‘ stets über ihren scheinbar ‚europäisierten‘, ‚oberflächlichen‘ und ‚unauthentischen‘ Kulturgeschmack bestimmt. Das heißt natürlich nicht, dass sie nicht auch über ihre sozioökonomische Stellung definiert wird. Sie gilt insofern als eine bürgerliche Klasse, als sie über die Produktionsmittel verfügt, mit deren Hilfe sie das ‚arbeitende Volk‘ unterjocht. Allerdings werden in keinem Tangowerk diese klassenspezifischen Eigenschaften der ‚Oligarchie‘ hervorgehoben. Weder Eigentum noch Produktionsmittel sind explizites Thema der Tangoliteratur. Vielmehr wird die ‚Oligarchie‘ als eine kulturelle Elite begriffen, die ihren Kulturgeschmack zum Inbegriff der ‚Zivilisation‘ erhebt. Aus dieser Perspektive heraus lässt sich verstehen, warum auch der argentinische ‚Durchschnittsbürger‘ zur Zielscheibe der Kritik wird (Mafud 1966: 21). Der Tangoliteratur zufolge ist er Teil der ‚oligarchischen Ordnung‘. Die Zugehörigkeit, so heißt es hier, ist seinem Musikgeschmack geschuldet. Er höre den amerikanischen Twist oder den amerikanischen Rock (Matamoro 1982: 215). Diese Musik sei nach außen gerichtet und ‚oberflächlich‘. Als Beispiel dieser Oberflächlichkeit argumentiert Julio Mafud mit den Titelnamen der Musikstücke: Twist and Shout sei für die amerikanische Musik charakteristisch (Mafud 1966: 23). Sie drücke die fehlende Kritik und die ‚infantile Anpassung‘ an die soziale Umgebung aus (ebd.: 24). Der ‚Durchschnittsbürger‘ sei ein ‚Kollektivmensch‘, der immer gleich aussehe, sich immer gleich kleide und jeglichen Sinn für seine wahre Individualität verloren habe; er sei ein hombre estandar (ein Standardmensch) (ebd.: 22). Er stabilisiere die ‚imperialistische Ordnung‘, indem er ein Mitläufer der Mode und der städtischen, elitären Kultur sei. Aus diesem Grunde sei er Teil der ‚Oligarchie‘ (ebd.).
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Als Gegenpol zu der kulturell definierten ‚Oligarchie‘ bzw. dem hombre estandar steht in der Tangographie das ‚Volk‘ (ebd.). Zu den wahren Vertreter des ‚Volkes‘ werden die ‚Marginalisierten der Stadt‘ (Ferrer 1960: 32) erhoben, die ‚Geschundenen‘ (Carella, o.A., zitiert nach De Lara 1961: 132), die aus dem Land stammenden ‚Bauern’ (Ferrer 1960: 18) und letztendlich alle diejenigen Menschen, die in der Stadt mittellos seien und am Rande der Gesellschaft lebten. Aber auch hier definiert sich das ‚Volk‘ nicht über die klassenspezifische Eigenschaft eines ausgebeuteten Mehrwertes. Analog zur Bestimmungsweise der ‚Oligarchie‘ wird das semantische Feld des ‚Volkes‘ ebenfalls über den Kulturgeschmack bestimmt. Wie nicht anders zu erwarten, hört, tanzt und singt das ‚Volk‘ den Tango. Im Diskurs verortet sich der Tango als eine Heterotopie der Stadtkultur. Der Tango wird weder als ländliche Folklore, noch als städtische Hoch- oder Popkultur aufgefasst, sondern vielmehr als der gänzlich ‚andere Raum‘ der Stadtkultur, aus dem heraus dessen Hegemonie kritisiert werden kann. Für die Tangographie repräsentiert dieser heterotopische Tango das ‚Volk‘ und damit zugleich die genuine ‚nationale‘ Kultur (vgl. Ferrer 1960: 6-26). Im Gegensatz zum amerikanischen Twist oder Rock sei der Tango nach innen gekehrt (Mafud 1966: 22). Er werde nicht in einer ‚oberflächlichen‘ Gesellschaft konsumiert, sondern in einer ‚religiösen Gemeinschaft‘ zelebriert (Carella 1966: 17). Der Tango sei nichts Vergnügliches, sondern etwas Ernstes: „Ein Napolitaner tanzt die Tarantela, um sich zu vergnügen; der Argentinier tanzt Tango um über sein Schicksal und über die allgemeine menschliche Existenz zu meditieren. Der Deutsche trinkt Bier und dreht sich zur Tiroler Musik im Kreis, lacht und hat Spaß; der Argentinier lacht nicht und hat keinen Spaß, und wenn er lacht, dann ist das lediglich ein groteske Geste“ (eigene Übers.; Sabato 1963: 17).
Laut dieser diskursiven Figur spiegelt die Tarantela, die Musik aus Tirol, der amerikanische Twist und der Rock nicht das ‚authentische‘ Ge-
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fühl des ‚Volkes‘ wider. Nur das Bandoneon, das typische Instrument und Markenzeichen des Tangos, kann dieses Gefühl „... der Ohnmacht, der Frustration, der Nostalgie, der Traurigkeit, der menschlichen Dramatik, der Unzufriedenheit und des Ressentiments“ (eigene Übers.; ebd.: 19) ausdrücken. Es offenbart die ‚nationale Realität‘ der ‚imperialistischen Ordnung‘, das heißt den sozialen Missstand, den das ‚Volk‘ gerade zu durchleben hat: „Andere Musik schließt die Wunden, aber der Tango spielt und singt, damit die Wunden sich weiter öffnen, damit sie offen bleiben, um sich ihrer Ursache zu erinnern, um den Daumen in sie hineinzubohren“ (eigene Übers.; Rossler 1967: 19).
Aber der Tango sei nicht nur der Kulturausdruck des Volkes par excellence, weil er die leidvolle, ‚nationale Realität‘ offenbart, sondern vor allem weil er die apriorische ‚Essenz‘ der ‚Nation‘ in sich trägt: die bekannte tanguidad. Sie wird als die scheinbar ahistorische Substanz eines als ‚argentinisch‘ begriffenen ‚Volkes‘ dargestellt: „Die tanguidad ist ein gesamter Lebensstil. Eine Metaphysik und eine Psychologie, die die Gesamtheit aller argentinischen Eigenschaften in sich trägt. Tanguero ist nicht nur derjenige, der den Tango singt und tanzt. Es ist derjenige, der ohne ihn ausüben zu müssen, all die Eigenschaften lebt und verkörpert, die hinter der tanguidad sich verbergen“ (eigene Übers.; ebd.).
Die tanguidad wird als die Summe aller argentinischen ‚Essenzen‘ begriffen. Der ‚Argentinier‘ sei ein tanguero bzw. ein hombre de tango (ein Tangomensch) und, umgekehrt, sei der hombre de tango ein ‚Argentinier‘ (Mafud 1966: 17-20). Dieser durchleide die ‚nationale Realität‘, welche die ‚Oligarchie‘ und der hombre estandar zu verantworten haben. Aber er verfüge im Gegensatz zu seinen Widersachern über die tanguidad. Diese historisch vorgelagerte ‚Essenz‘ dient als leerer Signifikant für die quasi-naturgegebenen kulturellen und biologischen Ei-
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genschaften der ‚Nation‘. Laut der Tangoliteratur sind die ‚Nation‘ bzw. die hombres de tango „[...] die Männer und Frauen, die von den Gebirgen kommen. Sie bringen dunkles Blut mit; in ihren Gesängen hört man das süße Zuckerrohr; ihre Haut ist die der Sonne und in ihren Händen staut sich die geballte Kraft eines Landes. Sie sind die edle Mischung aus Indio, Kreole und Erde: sie sind der nationale Wille; sie kommen, um die Stadt zu argentinisieren. In ihren Schultern tragen sie das authentisch Nationale, weil sie noch nicht von einer deformierten Kultur korrumpiert worden sind“ (eigene Übers.; Carretero 1964: 24).
An dieser Textstelle erkennt der Leser, dass das entscheidende Distinktionsmerkmal der ‚Nation‘, die tanguidad, aus ihrem quasinaturgegebenen, kulturellen Hintergrund besteht. Die ‚authentische‘ und ‚nationale‘ Kultur, die das ‚Volk‘ aus dem unberührten Land mitbringe, ‚argentinisiere‘ die verdorbene, ‚deformierte Kultur‘ der Stadt. Weiter noch, die kulturelle spitzt sich zu einer vermeintlich biologischen Differenz zu: das ‚nationale Volk‘ sei nicht nur Inbegriff der ländlichen Kultur, sondern gar Ausdruck einer unterschiedlichen Rasse. Wie man oben aus der Textstelle von Andrés Carretero herauslesen kann, fließe in der ‚Nation‘ dunkles statt helles Blut. Es stamme vom Indio und vom Kreolen ab. Der Kreole stammt zwar auch vom Spanier, seinem ehemaligen Kolonialherren, ab, allerdings gilt die spanische Herkunft für den Peronismus nicht als Ausdruck einer ‚westlichen‘ und ‚europäisierten‘ Welt. Das Spanische steht nicht für Modernität, sondern für Christentum und katholische Tradition. Wie Thomas Goebel es für den peronistischen Diskurs attestiert: „Spain’s hierarchic Catholicism was preferable to Britains corrupting materialism and liberalism, which simply replaced the former colonial power“ (Goebel 2007: 31). Das ‚Volk‘ sah sich, laut dieser diskursiven Figur, gezwungen, aus seiner ursprünglichen, ländlichen Heimat in die Stadt zu ziehen. Obwohl es jetzt das städtische Elend zu ertragen habe, lasse es sich nicht von der ‚imperialistischen Ordnung‘ assimilieren. Vielmehr wehre es sich gegen die gegenwärtige Ordnung und lehne sich auf. Der hombre
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de tango bzw. das ‚nationale Volk‘ verfüge über einen Widerstandswillen. Im Gegensatz zu einem angepassten hombre estandar lasse sich der hombre de tango nicht von der oberflächlichen Welt vereinnahmen: „Der Tangomensch ist immer in Feindschaft mit seiner gegenwärtigen Welt, in der er lebt“ (eigene Übers.; ebd.: 20).
Er habe eine ungebändigte Wut gegenüber seinen kosmopolitischen Mitmenschen, die dafür verantwortlich seien, dass es ihm so schlecht geht. Die tanguidad drücke die ‚Männlichkeit‘ und den ‚eisernen Mut‘ des inländischen Kreolen aus (Rossler 1967: 17). Sie wecke in ihm den Wunsch zur ‚Verteidigung‘ und zur ‚Rebellion‘ (Mafud 1966: 20). Während die Zugehörigkeit zur ‚Oligarchie‘ über den ‚importierten‘ und ‚elitären‘ Kulturgeschmack festgelegt wird, artikuliert sich das ‚nationale Volk‘ über seinen ‚authentischen‘ Kulturausdruck Tango. Die ‚imperialistisch‘ bedingte soziale Ungerechtigkeit, die die ‚Tangographie‘ als ‚nationale Realität‘ im Gegensatz zur traditionellen Geschichtsschreibung hervorhebt, wird primär auf der Ebene der Kultur artikuliert: der hombre estandar bzw. die ‚Oligarchie‘ höre amerikanische Musik, konsumiere ‚exotische Folklore‘, lebe in der Stadt, interessiere sich für französische Literatur, sei dadurch ‚oberflächlich‘, ‚angepasst‘ und ‚ohne Seele‘. Schließlich sei sie ‚weiß‘. Der hombre de tango bzw. das ‚nationale Volk‘ dagegen konsumiere nicht, sei ‚tiefgründig‘, ‚mutig‘, ‚widerstandswillig‘, stamme vom Land, lebe in den Slums und sei ein hispanisch stämmiger Kreole. Die erste Subjektposition sei ‚antinational‘ und ‚unauthentisch‘, die zweite ‚national‘ und ‚authentisch‘. Die letzte verfüge über die tanguidad, die erste nicht. Einem peronistischen Diskurs entsprechend wird dieser Konflikt als Polarisierung konstruiert, das heißt als Exklusion des Anderen. Die Gegenüberstellung substanzhafter Andersartigkeit versperrt die Möglichkeit, jegliche Vermittlung zwischen beiden Subjektpositionen zuzulassen. Der leere Signifikant ‚Nation‘ bleibt nur einem dieser beiden
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Subjekte vorbehalten: dem scheinbar authentischen ‚nationalen Volke‘, das gleichzeitig ein hombre de tango ist. Cabecita negra versus petitero Die Tangographie interpretiert die damalige politische Gegenwart in peronistischer Manier als einen Konflikt zwischen ‚Oligarchie‘ und nationalem ‚Volk‘. Diese beiden Akteurskonstruktionen werden des Öfteren als solche benannt. Manchmal allerdings werden sie durch die Figuren hombre estandar und hombre de tango indirekt repräsentiert. Unabhängig davon, wie sie im Einzelnen in den Tangotexten bezeichnet werden, beziehen sich diese Gegensatzpaare letztendlich auf den Kampf zwischen Peronisten und Antiperonisten. Diese zwei Subjektformen sind die zwei sich negierenden leeren Signifikanten, die mit unterschiedlichen Benennungen gefüllt werden. Dass die Tangographie diesen Konflikt hervorbringt, lässt sich an einer spezifischen Textstellte im Korpus nachzeichnen: „Ab 1955 ändert sich die Lage. Heute regiert nicht mehr der cabecita negra, der aufgrund der paternalen Fürsorge und der im Lande herrschenden sozialen Gerechtigkeit aufgestiegen ist. Heute werden keine karierten Hemden und Leinenhosen mehr getragen. Heute dagegen regiert der liberale und restaurierende petitero. Er besucht die eleganten Kaffeehäuser [im Original: petit café] der Stadt, trägt enge Jeans und noble Herrenschuhe. Er lernt nicht Tangotanzen, sondern verdreht sich die Füße mit dem aus den USA importierten Rock!“ (eigene Übers.; Hervorhebung vom Verfasser; Matamoro 1982: 220).
Der petitero und der cabecita negra sind zwei stilisierte Bezeichnungen des peronistischen Diskurses für einen Antiperonisten und für einen Peronisten. Die Bezeichnung cabecita negra (‚Schwarzes Köpfchen‘) entstand ursprünglich in den vierziger Jahren als rassistische Klassifikation von Seiten der bürgerlichen Mittelschichten. Damit bezeichneten sie die in die Stadt neu zugezogene ländliche Bevölkerung. Aufgrund ihrer sonnengegerbten Haut, ihrer kleiner ausfallenden Statur
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und ihrer Dunkelhäutigkeit sahen viele Antiperonisten den cabecita negra als biologisch und kulturell minderwertig an (Guber 1999: 110). Um den cabecita negra zur kulturellen und politischen Basis des Peronismus zu erheben, nahm Eva Perón diese diskriminierende Bezeichnung als ironisierende Selbstidentifikation auf; cabecita negra wurde zur offiziellen peronistischen Selbstbeschreibung (ebd.: 113). Der petitero dagegen ist der Name, den die Peronisten als Racheakt den Antiperonisten gaben. Petitero ist eine Hispanisierung des französischen Begriffs petit. Diese Bezeichnung ist eine Anspielung auf ihre vermeintlich französische Kulturalisierung; das petit café ist der symbolische Ort von verachtender Eleganz und kultureller Distinktion (Gobello, o.A., zitiert nach Lopez 2007: 43). Mit der Bezeichnung petitero wird der vermeintlich ‚imitierende‘ und ‚unauthentische‘ Charakter des Antiperonisten hervorgehoben. Er sei kein Original, sondern lediglich eine minderwertige Kopie. Er sei ein afrancesado (‚Französisierter‘) (ebd.). Dieser Begriff wiederum hat eine weitreichende Tradition in Argentinien und bezieht sich ursprünglich auf die Kolonialzeit der napoleonischen Kriege, in dem Ferdinand der VII. von Napoleons Bruder hintergangen und gestürzt worden ist. Die Machtübernahme Frankreichs eröffnete in ganz Lateinamerika die Frage nach der Legitimität der französischen Regierung. Die afrancesados waren diejenigen Argentinier, die sich der spanischen, katholischen Kultur entledigen wollten und sich dem modernen und republikanischen Frankreich verpflichtet fühlten. Für die Anderen galten die afrancesados als Verräter der spanischen Krone und der katholischen Kultur (ebd.). In dieser fast unscheinbaren und im ganzen Tangokorpus nur ein einziges Mal auftauchenden, expliziten Gegenüberstellung zwischen cabecita negra und petitero kondensiert sich der Konflikt zwischen dem ‚Volk‘ und der ‚Oligarchie‘ als ein Konflikt zwischen Peronismus und Antiperonismus. Die Artikulation der peronistischen Wahrnehmung des Konfliktes zwischen petitero und cabecita negra erfolgt in der gleichen Form wie die im letzten Kapitel erwähnte Konfliktlinie zwischen hombre de tango und hombre estandar. Der petitero und der cabecita negra werden in kultureller und biologischer Opposition zu
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einander gesetzt. Der petitero wird nicht durch seine Produktionsmittel charakterisiert, der cabecita negra nicht durch seinen sozioökonomischen Status, sondern durch die Kleidung, die sie tragen, durch die Musik, die sie hören und die kulturellen Orte, die sie besuchen: der eine trägt Jeans, noble Schuhe, hört amerikanischen Rock und besucht die elitären Kaffeehäuser der Stadt; der andere trägt ein kariertes Hemd und Leinehosen, hört Tangomusik und besucht die Milongas (Tangotanzlokale). Cabecita negra / hombre de tango / ‚Volk‘ sind somit austauschbare Semantiken für den leeren Signifikanten ‚Peronist‘. Petitero/hombre estandar/‚Oligarch‘ sind austauschbare Semantiken für den leeren Signifikanten ‚Antiperonist‘. Schließlich repräsentiert die tanguidad die peronistische ‚Essenz‘: das vermeintlich dunkle Blut, die kreolische Abstammung und die ländliche Herkunft. Der Tango wird somit zum Kulturausdruck des Peronismus erhoben. Die diskursive Figur sieht dann folgendermaßen aus: Der ‚Peronist‘ stammt ursprünglich aus dem Inland, sieht sich dann gezwungen in die Stadt zu ziehen und durchleidet dort die ‚nationale Realität‘, die sozialen Missstände, für die der ‚Antiperonist‘ die Verantwortung trägt. Als einzige Bastion dient dem ‚Peronisten‘ seine ahistorische, unzerrüttelbare und apriorische ‚Essenz‘, die tanguidad. Die Authentizität seiner inländischen Kultur, die im Tango seinen Ausdruck findet, wird als Quelle des Widerstandes, nämlich des ‚Peronistischen Widerstandes‘ (Altamirano 2007: 107) verstanden.
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Bis hier her lässt sich festhalten, dass die Tangoliteratur die politische Realität der sechziger Jahre als einen Kulturkampf zwischen Peronisten und Antiperonisten konstruierte. Hierbei wird der Tango zum genuinen Kulturgeschmack des ‚Peronisten‘ erhoben. Damit ihm allerdings die Funktion eines peronistischen Kulturausdrucks zufallen kann, bedarf es einer genuin peronistischen Deutung der Tangogeschichte. Die-
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se wird, wie die folgenden Ausführungen zeigen, in der Tangographie an verschiedenen Stellen geleistet. Die Geschichte des Tangos dient als ein historischer Schauplatz des Konfliktes. Der Tango wird dabei fortwährend auf seine scheinbar peronistischen Wurzeln zurückgeführt. Die Genealogie wird entsprechend der Formationsregel des peronistischen Nationaldiskurses hauptsächlich in Polarisierung zu einem kulturell definierten, antiperonistischen Feindbild gesetzt. Der Tango als ein Stadtphänomen Damit die Geschichte des Tangos zum Schauplatz des Konfliktes zwischen antiperonistischer ‚Oligarchie‘ und peronistischem ‚Volk‘ werden kann, greift die Tangographie der sechziger Jahre auf eine diskursive Strategie zurück, die es ihr ermöglicht, sich von den Tangonarrationen ihrer Vorgänger abzugrenzen. Die Tangographie wendet sich sowohl von der Barbarisierungsstrategie eines Martínez Estradas als auch von der Zivilisierungs- bzw. Exotisierungsstrategie eines Borges ab. Während diese Strategien den Tango folklorisierten, verwirft die Tangographie jenen, dem Tango zugeschriebenen Folklorismus. Der Tango sei ihr zufolge kein Kulturausdruck einer traditionellen Gemeinschaftsform, dessen pittoreske Erscheinung dann von der modernen Welt, sei es vom Ausland oder von der heimischen Elite, konsumiert werden könne: „Der Tango ist nicht folkloristisch […]. Der wirkliche Tango besitzt nicht die historischen Eigenschaften, damit er in die Kategorie der Folklore fallen kann“ (eigene Übers.; De Lara 1961: 40).
Eine der zwei im engeren Sinne wissenschaftlichen Abhandlungen, nimmt sich explizit zum Thema, den folkloristischen Charakter des Tangos zu dementieren. Sie fragt sich ob der
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„[...] authentische Tango argentinische Folklore ist, das heißt, ob er jene geographischen, sozialen, traditionellen, etc. Bedingungen teilt, die der Kategorie ‚Folklore’ eigen sind?“ (eigene Übers.; Cerrutti 1967: 1).
Die Pointe dieser Studie besteht darin, den Tango als ein modernes, städtisches Phänomen zu begreifen. Während die Kategorie der ‚Folklore‘ nur im Zusammenhang mit traditionellen, nicht-kapitalistischen Gemeinschaften zu denken sei, zeichne sich der Tango gerade durch seine unmittelbare Einbettung in moderne, kapitalistische Gesellschaftsstrukturen aus (ebd.: 8). Während folkloristische Gemeinschaften, so die Argumentation weiter, der Natur und der Religion verhaftet blieben und gemessen an ihrer Anzahl klein seien, kennzeichnen sich städtische Kulturen durch ihre Heterogenität, Größe und vor allem durch kapitalistische, rationalisierte und arbeitsteilige Interdependenz aus (ebd.: 9). Der Tango sei zwar vor allem durch die städtischen Intellektuellen als Folklore romantisiert worden, allerdings gehöre es zur ‚wissenschaftlichen Erkenntnis‘, diesen folkloristischen Status des Tangos als Mythos zu entlarven und ihn stattdessen als moderne, urbane Kulturpraxis zu kategorisieren (ebd.: 2). Indem diese neu entstandene Wissensproduktion den Tango in das Einzugsgebiet der Stadt hineinkatapultierte, eröffnete sich die Möglichkeit, über den (Um)weg des Tangos Kritik am kosmopolitischen Stadtleben zu üben, und damit verbunden an der ‚Oligarchie‘, am ‚imperialistische Ausland‘ und an den traditionellen Intellektuellen, deren gemeinsames, symbolisches Zuhause die Stadt war. Die Geschichte des Tangos konnte damit zu einer vermeintlich entmystifizierenden und, kraft des Wissenschaftsstatus ihrer Aussagen, ‚wahren‘ GegenNarration der ‚liberalen Illusion‘ werden. Aus der Sicht der ‚Tangographie‘ zeigte sie die Kehrseite des modernen und zivilisierten Stadtlebens, und damit konsequenterweise die Kehrseite des politischen und wirtschaftlichen Liberalismus. Im Gegensatz dazu galt die Folklorisierung des Tangos als eine diskursive Strategie des antiperonistischen Diskurses und somit Teil der ‚liberalen Illusion‘. Mit ihrer Hilfe hätte
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die ‚Oligarchie‘ ihren Glauben an die kulturelle Modernität und an den politischen und wirtschaftlichen Liberalismus zu stärken gesucht: „Aus dem Blickwinkel der Vereinigten Staaten scheint die Musik aus Lateinamerika eines der wenigen Elemente zu sein, die nicht ansteckende Krankheiten übertrage, das aufregend und pittoresk genug zu sein scheint, dass es in ihre Moden integriert werden kann. Die sogenannte ‚lateinamerikanische Folklore’ ist der höchste Ausdruck unseres schlimmsten Snobismus und gleichzeitig Ausdruck eines Yankee Interesses“ (eigene Übers.; Ferrer 1960: 11).
Die Intellektuellen wie Borges, die in den Jahrzehnten zuvor über den Tango schrieben, waren aus der Sicht der Tangographie insofern Teil dieses Snobismus, als sie mit ihren folkloristischen Tangoerzählungen den amerikanischen Kulturmarkt bedienten. Sie hätten die Dichotomie ‚Barbarei‘ und ‚Zivilisation‘ nicht aufgebrochen, sondern an ihr festgehalten. Indem sie das ‚Barbarische‘ als ‚exotisch‘ und ‚folkloristisch‘ umkodierten, indem sie den Tango aus der Nationalgeschichte in die fiktive Literatur verbannten, hätten sie ihr kosmopolitisches Ideal aufrecht erhalten können. Denn der Tango wäre damit außerhalb des ‚realen‘ Stadtlebens positioniert worden. Jetzt allerdings sei es an der Zeit, so die Argumentation, die scheinbare ‚nationale Realität‘ des Tangos offen zu legen, ihn aus der fiktiven Literatur in die realhistorischen Geschehnisse zurückzuholen. Die Dichotomie ländliche ‚Barbarei‘ und städtische ‚Zivilisation‘ müsse durch die vermeintlich ‚reale‘ Dichotomie zwischen ‚Unterdrückten‘ und ‚Unterdrückern‘ ersetzt werden. Dabei seien die ‚Unterdrückten‘ die aus dem Land stammenden, aber in die Stadt zugezogene Menschen und die ‚Unterdrücker‘ die traditionell städtische Elite. Damit sei das Szenario der Liberalismus- und Imperialismuskritik im Stadtraum zu verorten. Dort komme diese ‚nationale Realität‘ zum Vorschein. Sie bestehe aus dem sozialen Elend:
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„Wir alle wissen, dass es in der Boca oder in Palermo oder in San Telmo keine Barbarei gab, sondern nur materielles und seelisches Elend“ (eigene Übers.; De Lara 1961: 40).
An dieser Stelle wird die Abwendung vom Zivilisationsdiskurs deutlich: die Stadtteile, die dem Tango seinen vermeintlichen Geburtsort gaben, werden nicht außerhalb der Stadt, sondern innerhalb der Stadt konstruiert. Damit einhergehend werden pittoreske ‚Exotik‘ und ‚Barbarei‘ zu ‚realem‘ Elend umkodiert. Mit dieser diskursiven Strategie wird das Elend des postperonistischen Argentiniens kritisiert. Denn jenes Elend, dass in der vergangenen Tangowelt vorzufinden war, finde sich auch ab 1955 wieder. Genauso wie die traditionelle Geschichtsschreibung eine Parallele zwischen den einzelnen liberalen Siegeszügen zieht – zwischen der Unabhängigkeit, der Schlacht von Caseros und der ‚Freiheitsrevolution‘ von 1955 –, etabliert die Tangographie eine ihr gegenüberstehende, sozialkritische Kontinuität: die Villas Miserias (die modernen Slums) des postperonistischen Zeitalters seien die Nachfahren der in der Tangowelt vorfindbaren Conventillos des beginnenden 19. Jahrhunderts (ebd.: 130). Genau wie in den Conventillos lebten die Menschen des Postperonismus in jenen Slums auf engstem Raum zusammengepfercht. Genau wie damals würden auch heute (das heißt 1955 bis 1973) die nationalen Fabriken an ausländische Investoren verkauft (Rossler 1967: 16). Genau wie früher seien auch heute die Transportbedingungen unzureichend und teuer (De Lara 1961: 121). Genau wie damals seien auch heute schließlich die Leidtragenden das scheinbar ‚authentische Volk‘ (ebd.). Boedo versus Florida Für die Tangographie ist 1880 das paradigmatische Entstehungsjahr des Tangos (vgl. Sierra 1966: 12; Matamoro 1982: 25). Dieses Datum ist nicht zufällig gewählt. Es ist das Jahr, an dem eine wirtschaftsliberale und politisch konservative Regierung die Macht übernahm und ein
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Zeitalter des wirtschaftlichen Aufstiegs einleitete. Für die Tangographie jedoch stellt es den Beginn der imperialistischen und antiperonistischen Unterjochung dar: „Es wurde gesagt und bis zum Ermüden immer wieder wiederholt, dass die Jahre zwischen 1880 und 1930 von Wohlstand und großer Kaufkraft gekennzeichnet waren. Es wurde immer wieder die Entwicklung und die Modernität des Landes beteuert. Es wurde allerdings nicht gesagt, dass dieser Wohlstand auf den antinationalen Interessen der heimischen Elite und des Auslandes basierte und dass er auf Kosten der Söhne der Erde ging“ (eigene Übers.; Matamoro 1982: 69).
Aus der Sicht der Tangoliteratur entstand die Tangowelt als Kehrseite der kosmopolitischen Stadt. Dieser Polarisierung wird in der Tangographie durch die Konstruktion stadträumlicher Grenzen Rechnung getragen: die Tangoliteratur legt das ‚unechte‘ bzw. ‚antinationale‘ und kosmopolitische Argentinien in den Norden der Stadt, das ‚authentische‘ Argentinien dagegen in den Süden. Der Tango sei als ‚authentischer‘ Kulturausdruck demzufolge im Süden der Stadt entstanden. Diese polarisierte Diskursfigur sieht folgendermaßen aus: Im Norden (in den Stadteilen von Palermo, Recoleta und Belgrano) lebten die aristokratischen Familien, die Großgrundbesitzer, die aus Europa ihre Möbel importierten (ebd.: 32). Sie wohnten in neoklassischen Villen und flanierten entlang der Florida Promenade (ebd.). Dort befanden sich europäisch inspirierte Kaffeehäuser, Theater, Hotels und luxuriöse Bürogebäude (ebd.). Auf der anderen Seite der Stadt, vor allem in Boedo, Boca, Paso de Julio und in Misere, lag hingegen das ‚wahre Argentinien‘. Diese Stadtviertel waren weder Teil des kosmopolitischen Stadtlebens, noch gehörten sie zu den einstigen ländlichen Regionen. Vielmehr lagen sie zwischen der Pampa und dem Stadtkern (ebd.). Die Tangographie nennt jene Stadteile orillas (Ränder). Damit soll der Tatsache Rechnung getragen werden, dass diese Stadteile die Außenränder der Stadt darstellten.
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Dort lebte die "einfache, friedliche, und ehrlich arbeitende Bevölkerung“ (eigene Übers.; Carretero 1964: 38), die aus dem mondänen Stadtleben ausgeschlossen und damit gesellschaftlich marginalisiert war. Sie arbeitete in den sogenannten Saladeros der Großgrundbesitzer (ebd.). So wurden die Schlachtereien genannt, die das Fleisch einsalzten, um es exporttauglich zu machen. Während die Großgrundbesitzer durch ihren Fleischexport zu beef barons avancierten, galt die Arbeit der orilleros als gesundheitsgefährdend und unterbezahlt. Während die Großgrundbesitzer in ihren Stadtvillen residierten, hausten die orilleros in den conventillos. Hier lebten die Gaucho-stämmigen Kreolen wie auch die verarmten europäischen Immigranten (ebd.: 40). Der vermeintliche Wohlstand Argentiniens hatte damit seine Kehrseite im Süden der Stadt. Die Landbevölkerung musste, da sie unter anderem von den Großgrundbesitzern vertrieben wurde, aus ihrer inländischen Heimat fliehen, um in der Stadt Arbeit zu suchen. Sie brachten ihre inländische Kultur mit, wurden aber durch das Stadtleben gezwungen, sich neue Gewohnheiten anzueignen. Nichtsdestotrotz wurden sie nie zu Stadtbürgern, sondern behielten ihre inländische, kreolische ‚Seele‘ bei (ebd.: 39). In den orillas gab es keine auserlesenen Kaffeehäuser und Theater wie das berühmte Teatro Colón; stattdessen vergnügte sich die arbeitende, vor allem männliche Bevölkerung in den Bordellen, auf den Straßen und in den conventillos (Matamoro 1982: 59-63). Anhand dieser eben nachgezeichneten diskursiven Figur lässt sich festhalten, dass für die Tangoliteratur das ‚wahre‘ Argentinien in jenen orillas lag, während sie die im Norden der Stadt Lebenden zur ‚antinationale Oligarchie‘ deklariert. Diese räumliche und polarisierte Grenzziehung findet ihren emblematischsten Ausdruck im folgenden Zitat: “Boedo ist ein weites Boulevard mit lebendigem Antlitz. Verfügt ebenso über ein authentisches Volk wie Florida über Parisanhänger verfügt; die gleichen Gegenstände in unterschiedlichem Gewand, der Diamant aus Glas, auf der einen Seite, und der Goldbarren, auf der anderen. Und nichtsdestotrotz versteht man, dass Boedo mehr Buenos Aires ist als Florida“ (eigene Übers.; Estrada, o.A., zitiert nach Gobello 1972: 53).
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Hier wird die typisch peronistische Art und Weise der Nationalkonstruktion deutlich: Boedo als räumlicher Ort der ‚Nation‘ wird als Gegenbegriff des Stadtteils Florida gebraucht. Weiterhin wird die Polarisierung zwischen dem ‚nationalen‘ Boedo und dem ‚antinationalen‘ Florida auf der Ebene des Kulturellen vollzogen: Florida sei gekennzeichnet durch die ‚europäisierte‘ und Boedo durch die ‚authentische‘ Kultur seiner Einwohner. Es wird hier der Konflikt zwischen Peronisten und Antiperonisten als räumliche Dichotomie hervorgebracht; während der cabecita negra idealtypisch im ‚authentischen‘ Boedo lebte, habe man den petitero im ‚französischen‘ Florida vorgefunden; während der erste in den conventillos wohnte, sei der zweite in ‚neoklassischen Villen‘ mit europäischem Mobiliar zu Hause gewesen; während der eine das Teatro Colón besuchen konnte, habe der andere sich in den Bordellen, auf den Straßen und in den conventillos vergnügen müssen. Das ‚wahre Argentinien‘ habe im Süden, das antiperonistische Argentinien dagegen im Norden der Stadt gelegen. Der Tango als ‚authentisches‘ Kulturgut sei demzufolge im Süden der Stadt entstanden. Der kreolische Ursprung des Tango Nun reicht es nicht aus, die Entstehung des Tangos im Süden der Stadt zu situieren. Damit der Tango als ein peronistischer Kulturausdruck verstanden werden kann, muss er ferner von dem inländischen Kreolen stammen, das heißt, die Genealogie des Tangos muss idealtypisch zu diesem zurückführen. Allerdings ist diese diskursive Konstruktion schwer durchzusetzen. Denn der diskursive Rahmen des Tangowissens, in dem sich die Tangologen der damaligen Zeit artikulierten, hatte allseits den hybriden Charakter des Tangos als das Sagbare schon etabliert. Es war unmöglich die afrikanischen und europäischen Einflüsse zu negieren. Die in den sechziger Jahren wiederentdeckten Autoren Vicente Rossi und Carlos Vega hatten den nicht-kreolischen Einfluss schon
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Anfang der dreißiger Jahre herausgearbeitet (De Lara 1963: 34-40; Guibert 1973:59-66). Während Vicente Rossi den Tango auf die Musik und den Tanz der afrikanischen Sklaven zurückführte, sah Carlos Vega den Ursprung des Tangos im spanischen tango andalúz (ebd.). Der nicht-kreolische Einfluss auf den Tango war weiterhin insofern evident, als das allgemeine historische Wissen der damaligen Zeit einstimmig belegte, dass die meisten Immigranten um die Jahrhundertwende im südlichen Teil der Stadt ihre neue Heimat fanden; dort lebten die europäischen Immigranten, die verbliebene afrikanische Bevölkerung und die aus dem Inland zugezogen Kreolen (Carretero 1964: 105117). Aus diesem Wissensbestand heraus sollte sich die diskursive Konstruktion eines ‚reinen‘, kreolischen Tangos als schwer erweisen. Dies mag gerade der Grund dafür sein, dass die Tangologen dem Ursprung des Tangos nicht viel Wert beimaßen (Carella 1966: 23; Carretero 1964: 42). Für Carella beispielsweise ist der Ursprung des Tangos ein „Problem ohne größere Bedeutung“ (eigene Übers.; ebd.). Ohnehin gab es im Tangokorpus auch Stimmen, wie die von Horacio Ferrer, die in dem hybriden Charakter des Tangos kein Problem sahen. Das Feindbild war die ‚Oligarchie‘ aus dem Norden der Stadt, das heißt der petitero. Der verarmte Immigrant, der Sklave und der Kreole waren schon dadurch vereint, dass sie nicht Teil der ‚Oligarchie‘ waren. Ihnen wurde ex negativo eine nationale Identität attestiert (Ferrer 1960: 16). Für Horacio Ferrer war „der Tango [...] die authentische Repräsentation dieses Mosaiks“ (eigene Übers.; ebd.). Die Metapher des Mosaiks galt aus dieser Perspektive als ein Sammelbecken für all jene Restbestände, die nicht Teil der ‚Oligarchie‘ waren und somit ex negativo Inbegriff der peronistischen Nation. Ferner hätten sich die Immigranten im Laufe der Jahre ohnehin argentinisiert, so dass der Tango letztendlich trotz der Immigration als argentinisch klassifiziert werden konnte (De Lara 1961: 130). Allerdings ging diese Rekonstruktion dem Großteil der Autoren des Tangokorpus nicht weit genug. Ein expliziter, genealogischer ‚Beweis‘ für die peronistische Urheberschaft des Tangos erschien trotz der
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Irrelevanz des Problems, den die Tangologen vermeintlich in der Ursprungsfrage sahen, geradezu erwünscht. Es ist bezeichnend, dass beispielsweise Carretero, nachdem er ausdrücklich bekundet hat, dass die Ursprungsfrage nicht von Interesse sei, sie auf den folgenden fast zwanzig Seiten zu beantworten sucht (Carretero 1964: 37-54). Seine These stellt neben den beiden genannten Argumentationslinien von Vicente Rossi und Carlos Vega die dritte und in jenen Jahren durchsetzungsfähige Rekonstruktionsthese dar, aus dem heraus die criolledad (Kreolität) des Tangos machtvoll hervorgebracht wird (De Lara 1961: 192). Die These besagt, dass der Tango weder von den Schwarzen, noch von den europäisch stämmigen Immigranten ins Leben gerufen worden sei. Stattdessen sei er von den Kreolen als Antwort auf die Immigration entstanden (Carretero 1964: 44). Die Argumentationsfigur für diese Wissensproduktion sieht folgendermaßen aus: Die Schwarzen brachten ihre Musik aus Afrika und tanzten zu ihr auf dem Straßenkarneval. Die europäisch stämmigen Weißen nahmen diese Tänze auf und versuchten es den Schwarzen gleichzumachen. Allerdings verfügten sie nicht über die notwendigen Fähigkeiten und Kenntnisse der Choreographie. Die Kreolen fanden diese Imitationsversuche der Weißen lächerlich. Sie machten sich über sie lustig, indem sie sie parodierten und ihnen eine eigene, kreolische Choreographie entgegenhielten. Der Tango sei somit als Parodie entstanden (ebd.: 44-46). Die kreolische und parodisierende Choreographie sei ein Protestzug gegenüber der Einwanderungspolitik der ‚Oligarchie‘ gewesen: „Es war eine anonyme Entstehung, eine Reaktion des Volkes, eine intuitive Antwort auf die Massenimmigration, ein nationaler (da er von den Kreolen kam) Protest gegen die Deformation und Zerstörung der ursprünglichen Lebensformen zu Gunsten ausländischer Wertvorstellungen, die die Oligarchie in jener Zeit zu importieren begann“ (eigene Übers.; ebd.:44).
Der Tango ist aus dieser radikalen Perspektive ein kreolisches Produkt. Seine Choreographie sei dabei die tänzerische Umsetzung des einstigen duelo criollos der Gauchos (Mafud 1966: 41). Duelo criollo (kreo-
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lisches Duell) bezeichnet den ländlichen Messerkampf, den die Gauchos untereinander führten. Er ist das emblematische Zeichen des ‚kreolischen Mutes‘ und des ‚instinktiven Gerechtigkeitsempfindens‘, der im Gegensatz zu den vermeintlich formalen Gerechtigkeitsbekundungen der staatlichen Gesetze steht. Jedes Mal, wenn der Gaucho ein Unrecht empfindet, fordert er seinen Kontrahenten zu einem Messerkampf auf. Wenn er dabei den Tod erleiden muss, ist dies ein ehrbarer Preis, den er für seine Freiheit zu zahlen gewillt ist (Mascia 1970: 250255). Dieser Mythos des duelo criollos sei nun der genealogische Ursprung des Tangotanzes: „Fast alle Schritte im Tango sind Ausdruck der Choreographie des duelo criollos“ (eigene Übers.; Hervorhebung vom Verfasser; Mafud 1966: 41). Diese Verwandtschaftsbeziehung wird insofern gezogen, als die Bezeichnungen der Tanzfiguren die gleichen Namen tragen wie die Figuren im Messerkampf: „Der corte [Schnitt] des Messers entspricht im Tango dem plötzlichen corte [Stopp] des Vorwärtsgehens. Das Marcar [Führen mit dem Messer] seines Gegenübers entspricht dem Marcar [Führen] der Frau. Die corrida oder asentada [Sitz der Frau auf dem Bein des Mannes] im Tango entspricht der asentada [der eine beugt den anderen über das Knie, um ihn den Todesstoß zu versetzen] des Gauchos“ (eigene Übers.; ebd.).
Aber nicht nur der Tanz wird in eine Genealogie zu der ländlichen Kultur gesetzt, sondern auch die Musik, der Gesang und die Texte des Tangos werden als Nachfahren einer ländlichen Tradition vorgestellt. Der Tangoliteratur zufolge sei die Tangopoesie die Fortschreibung der einstigen Gauchesca-Literatur, und ihre Interpreten seien die einstigen payadores (Carella 1966: 74; Mafud 1966: 27; Sábato 1963: 40-56; Carretero 1964: 41; Galasso 1973: 17). Der payador ist der ländliche Musiker gewesen, der mit einer Gitarre durch das Land zog und Verse improvisierte. Genauso wie er habe der Tangomusiker mit einer Gitarre angefangen und seine Verse erfunden. Sogar der legendäre Tangosänger wird in diese ländlichen Genealogie eingefügt: „Carlos Gardel –
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wie man weiß – war, bevor er Tangosänger wurde, ein payador“ (eigene Übers.; Hervorhebung vom Verfasser; Mafud 1966: 26). Diese diskursive Strategie, die hier als Kreolisierung bezeichnet werden kann, mündet schließlich in einer abstrusen Schlussfolgerung: „Es gibt im Tango nichts Ausländisches. Wir kennen kein anderes argentinisches Phänomen, außer vielleicht den Truco und den Mate, das im selben Maße national ist. In Bezug auf den Mate, können wir sogar einräumen, dass er aus Paraguay und Brasilien vielleicht auch aus Uruguay, Chile oder Peru kommt. Der Truco ist ursprünglich portugiesisch, und die hiesige Art und Weise ihn zu spielen, ist in ganz Südamerika verbreitet. Der Tango, allerdings, ist ein absolut argentinisches Phänomen [...] und ist somit mit keinem anderen Phänomenen vergleichbar“ (eigene Übers.; ebd.: 191).
Der Mate gilt in Argentinien als Nationalgetränk der Kreolen, und der Truco ist ein in Argentinien sehr verbreitetes Kartenspiel. Den Tango über diese ansonsten als national identifizierten Kulturartefakte zu stellen und ihm jegliche Hybridität abzusprechen, ist ein diskursives Moment, durch das der Tango zum Inbegriff der Kreolität überhaupt wird. Ein moralisch einwandfreier Nationalheld: der Compadrito Der Tango erfährt im in der Tangographie eine moralische Aufwertung. Soll ein peronistisches Nationalsubjekt als der legitime Souverän der politischen Ordnung gerechtfertigt werden, muss sein Kulturausdruck immer zugleich auch das moralisch Gute und Edle repräsentieren. Bei den Intellektuellen galt allerdings der Tango traditionell als moralisch verwerflich. Vor allem seine Hauptfigur, der vom Gaucho stämmige und somit kreolische Compadrito, war ein Emblem für das Antinationale. Er galt als ein barbarischer, unzivilisierter Antiheld, der sich in den Bordellen nicht nur mit den Frauen vergnügte, sondern sie zugleich als Zuhälter ausbeutete. Er wurde als ein Verbrecher angese-
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hen, ein Schurke, der das Gesetz missachtete und Selbstjustiz ausübte. Er galt als ein trinksüchtiger Zeitgenosse, vor dem man sich in Acht nehmen musste. Man verstand ihn nur schwer. Denn er verfügte nicht über die gängigen Kenntnisse der spanischen Sprache. Vielmehr nahm einen Verbrecherslang, den lunfardo, an (Mascia 1970: 247). Gerade gegen diese Wissensproduktion versucht sich die intellektuelle Tangoliteratur der sechziger Jahre zu wehren. Um eine moralische Aufwertung des Compadritos herbeizuführen entsteht eine differenziertere Wissensproduktion hinsichtlich der Figuren des Tangos. Die Tangowelt bestehe nicht nur aus dem Compadrito, sondern auch aus anderen Figuren, von denen sich der scheinbare ‚wahre Nationalheld‘ unterscheide: „Er war weder ein Zuhälter noch ein Verbrecher, sondern diese waren lediglich seine Nachbarn“ (eigene Übers.; Matamoro 1982: 54). Einer dieser Nachbarn ist der Rufián bzw. Cafisho (Carretero 1964: 22; Matamoro 1982: 47). Im Gegensatz zum Compadrito sei der Rufián ein Zuhälter, der von den Diensten seiner Frauen lebt. Im Gegensatz zum ‚wahren Nationalheld‘ sei er kein richtiger Mann, sondern ein afeminado (ein ‚verweiblichter Mann‘) (Matamoro 1982: 48). Diesen ‚homoerotischen‘ (ebd.: 51) Zug erkenne man anhand der Art und Weise, wie er sich kleide. Er trage meistens ein farbenfrohes, glänzendes und blusenähnliches Hemd und glätte sich sogar mit Puder das Gesicht (ebd.: 50). Dagegen offenbare die Kleidung des Compadritos die männlichen und vom Gaucho verbliebenen Spuren: genau wie der Gaucho trüge er noch die Sporen an seinen Stiefeln (ebd.). Diese Differenzbildung zwischen dem Compadrito und dem Rufián mündet schließlich in der Konstruktion unterschiedlicher Herkunftsorte: während der erstere vom Inland stamme bzw. Nachfahre des Gauchos sei, komme der zweite aus Europa. Für Matamoro ist der Rufián slawischer oder französischer, für Carretero italienischer Herkunft (Carretero 1964: 51; Matamoro 1982: 48). Aus ihrer Perspektive brachte der Immigrant aus Europa seine Erfahrung als Zuhälter mit und führte sie in Argentinien fort:
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„Ich bin der Überzeugung, dass die Immigration aus dem Süden von Italien ihre alte Gewohnheit nach Argentinien mitbrachte, nämlich die kleinkriminelle Prostitution“ (eigene Übers.; Carretero 1964: 51).
Mit dieser Konstruktionswindung werden Europa und seine Kultur zum Inbegriff der Amoralität. Dagegen werden der Compadrito und der von ihm abstammende Tango als moralisch unanfechtbar dargestellt. Der Rufián ist allerdings nicht die einzige Figur, die von der Tangographie konturiert wird. Der Compadrito grenzt sich ferner von anderen Figuren wie dem Malevo und dem Niño bien ab. Der Begriff Malevo kommt von mal (schlecht, böse). Der Malevo sei ein Bösewicht, der mit seinem Messer grundlos töte. Der Compadrito dagegen habe den Messerkampf in die Tanzchoreographie übersetzt. Er benütze sein Messer lediglich als Arbeitsinstrument und nicht mehr als Waffe. Er sei tagsüber ein Arbeiter und abends ein Tänzer. Seine Streitigkeiten trüge er im Tanzen und nicht im Messerkampf aus (Carretero 1964: 21). Der Compadrito „...zettelt höchstens einen Streit an, um zu wissen, wer der beste Tänzer ist“ (eigene Übers.; Carella 1966: 31). In diesem Sinne unterscheidet sich der Compadrito von dem Malevo. Der Compadrito sei entgegen seinem verbrecherischen Widersacher ein ‚aufrichtiger Arbeiter‘ (Carretero 1964: 21). Der Niño bien (‚Kind aus gutem Hause‘) sei schließlich der ‚oligarchische Feigling‘. Er sei der junge Mann, der aus einer ‚oligarchischen‘ Familie stamme, im Norden der Stadt lebe und nachts die Bordelle aus Boedo aufsuche. Aus Angst vor dem Malevo, dem Rufián und dem Compadrito erscheine der Niño bien nie alleine, sondern immer nur in einer Gruppe (ebd.: 24). Er sei ein wohlbehüteter ‚Feigling‘, der zu seinem Schutz nicht ein Messer trüge, sondern einen teuren Revolver (ebd.: 52). In Gegensatz zum ‚europäischen‘ Rufián und zum ‚oligarchischen‘ Niño bien und dem ‚verbrecherischen‘ Malevo, ist der kreolischstämmige Compadrito Inbegriff der nationalen Tugendhaftigkeit. Seine nicht selbst verschuldete Armut kompensiere er mit seinem ‚Mut‘, sei-
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ner ‚Aufrichtigkeit‘, seiner ‚Sittlichkeit‘ und seinem ‚Gefühl für Gerechtigkeit‘. Der Compadrito gehe in die Bordelle, um sein soziales Elend zu vergessen und nicht um sich zu vergnügen. Die käufliche Liebe sei ihm nicht von Bedeutung. Er sei nicht von sexueller Lust geplagt, denn von dieser könne er sich in diesen Etablissements schnell entledigen (Sabato 1963: 14). Sein Tanz sei ihm wichtiger. Für Matamoro bestand die Mehrzahl der männlichen Bevölkerung im Süden der Stadt aus Compadritos (Matamoro 1982: 54). Der Compadrito dient somit als Repräsentationsfigur einer moralisch einwandfreien ‚Nation‘. Er wird als Held einer peronistischen Nation etabliert. Der Compadrito wird entsprechend dem cabecita negra und entgegen den anderen, ‚europäisierten‘ Figuren wie dem Rufián und dem Niño bien als ein inländischer Kreole konstruiert. Anders als der Malevo sei er kein Verbrecher, sondern ein vermeintlicher Vertreter der Gerechtigkeit. Diese moralische Aufwertung des Compadritos impliziert eine moralische Aufwertung des ‚Peronisten‘: der Compadrito sei genau wie der cabecita negra nicht der biologisch und kulturell Minderwertige, sondern der ‚authentische‘ und ‚tugendhafte‘ Repräsentant der ‚Nation‘. Auch die Art und Weise wie die Compadritofigur diskursiv hervorgebracht wird, ist für einen peronistischen Diskurs bezeichnend. Sie wird in Opposition zu den anderen Figuren gesetzt. Der Compadrito ist immer die Negation des Malevos, des Rufians und vor allem des Niño biens. Der Compadrito wird stets als der kreolische Anti-Oligarch konstruiert. ‚Authentischer‘ versus ‚liberaler‘ Tango Schließlich wird durch die beschriebene polarisierte Konstruktion eines ‚authentischen‘ versus ‚unauthentischen‘ Tangos ein peronistisches Nationalsubjekt hervorgebracht. Ein ‚liberaler Tango‘ (Matamoro 1982: 94) bzw. ein ‚exotischer Tango‘ (ebd.: 85) wird in Opposition zu einem vermeintlich wahrhaftigen und nationalen Tango gestellt.
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Der ‚echte‘ Tango, so heißt es in der Literatur, sei zwischen 1880 und 1910 zu finden. Der ‚unechte‘ Tango dagegen entwickle sich ab 1912 (ebd.: 73). Diese Epocheneinteilung ist nicht zufällig. 1912 wird die allgemeine und geheime Wahlpflicht eingeführt. Aus peronistischer Perspektive gilt dieses Jahr als ein Triumph der liberalen Ordnung. Die Wahlpflicht habe die außerhalb des Systems stehende Masse assimilieren können. Der Kampf um soziale Gerechtigkeit sei dadurch erstickt worden. Die Geschichte des Tangos wird nun parallel zu dieser politischen Entwicklung gedeutet: Der aristokratisch stämmige Niño bien habe ab 1912 den Tango aus den orillas in den Norden der Stadt geholt. Dort werde er nicht mehr in heruntergekommenen Bordellen getanzt, sondern in edlen Kabaretts, die auf dem berühmten Boulevard Maipú liegen. Diese Entwicklung wird zeitgleich mit dem Pariser Boom der zwanziger Jahre gesetzt: durch den Erfolg des Tangos im Ausland habe die aristokratische Gesellschaft Gefallen an dem Tanz gefunden. Der ‚unechte‘ Tango wird somit als eine Liaison zwischen Paris und der heimischen ‚Oligarchie‘ etabliert. Die Konstruktion dieser vermeintlich verschwörerischen Koalition verläuft über die Namensgebung der auf der Straße Maipú liegenden Kabaretts: Élysées, Royal Pigalle, L’Abbaye und Moulin Rouge tragen französisierte Namen und repräsentieren den symbolischen, kosmopolitischen Ort des ‚unechten‘ Tangos (ebd.: 97). Um den Verfall des Tangos weiter hervorzuheben, werden in der Tangographie auch die Musik, der Tanz und die Texte als ‚französisiert‘ gedeutet: die Texte seien nicht mehr die einstigen Verse der kreolischen payadores, sondern Kopien der französischen Kultur, die nicht mehr das soziale Elend besingen würden, sondern eine aus Europa importierte Vorstellung von romantischer Liebe. Ausdruck dieser Verschiebung seien die Titelnamen der Tangos wie beispielsweise Sanc Souci (ebd.: 104). Auch der Tanz habe seine ursprüngliche kreolische Choreographie verloren. Kurze, zackige und rhythmische Schritte des einstigen ländlichen Messerkampfes seien durch lange und melodische Schritte ersetzt worden. Diese Verschiebung der Tanzchoreographie gehe mit einem unterschiedlichen Tanzraum einher: während in den
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Bordellen die Räumlichkeiten eng waren, verfügten die Kabaretts über große und weite Salons (Mafud 1966: 43). Auch die Tangomusik sei nicht mehr spontan entstanden, sondern würde vielmehr von studierten und aus aristokratischer Herkunft stammenden Musikern komponiert (Matamoro 1982: 106). Schließlich sei das gesamte Tangoklischee ein Produkt der Liaison der ‚Oligarchie‘ mit der Pariser Kultur. Die Farbe Rot, der Rock mit Schlitz und die Ausstattung der Milonga (der Tanzraum) seien aus Frankreich importiert worden (ebd.: 82). Genau wie in den vorherigen Fällen wird auch hier die Wissensproduktion des Tangos durch die polarisierte Konstruktion von Peronismus und Antiperonismus hervorgebracht. Der ‚authentische‘ Tango steht stellvertretend für einen peronistischen, der ‚unechte‘ für einen antiperonistischen Tango. Die Konstruktion von Authentizität verläuft über die Hervorhebung kultureller Unterschiede. Der eine Tango sei ‚echt‘, weil er aus dem Inland stamme, der andere ‚unecht‘, weil er eine Kopie der französischen Kultur sei. Der ‚wahre Tango‘ wird von der ‚wahren Nation‘ hervorgebracht, der ‚unechte‘ von einer ‚antinationalen Oligarchie‘.
Fazit
An erster Stelle sollte die vorliegende Analyse verdeutlichen, dass ein wesentlicher Bestandteil dessen, was in Argentinien an populärem Tangowissen alltagsweltlich zirkuliert, wenn wohl nicht in den Jahren zwischen 1955 und 1973 entstanden, so doch zu jener Zeit sedimentiert worden ist. Insofern als das bis dahin zerstreute und vornehmlich mündlich überlieferte Tangowissen überhaupt verschriftlicht und in eine kohärente narrative Struktur eingelassen wurde, erhielten die Tangonarrationen der damaligen Zeit im nationalkollektiven Gedächtnis Argentiniens einen festen Platz. Da sie, des Weiteren, aus dem intellektuellen Feld entsprangen, wurde ihnen der epistemologischen Status eines ‚wahren‘ Wissens zuteil. Nicht nur die unzähligen populärwissenschaftlichen Abhandlungen, die es über Tango gibt, greifen immer wieder auf genau die Autoren und Werke zurück, die in dem hier ausgewählten Beobachtungszeitraum fallen. Sondern auch in der akademischen Welt wird – sofern sie sich mit dem interdisziplinär geradezu prädestinierten Phänomen des Tangos beschäftigt – das Selbstbild der damaligen Tangoliteratur, eine wissenschaftlich fundierte ‚Tangographie‘ begründet zu haben, meist kritiklos übernommen. Nun bestand die Absicht hier allerdings nicht darin, die Tangographie als einen großangelegten Mythos zu entlarven. Es ist sogar wahrscheinlich, dass, wenn man einen positivistisch gewendeten Blick einnähme, viele der Aussagen der Tangographie, wenn auch in sehr reduktionistischer Weise, einen historiographisch nachvollziehbaren ‚Wahrheitskern‘ berühren. Die Infragestellung des tatsächlichen Wahr-
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heitsgehalts der Tangographie war aber nicht das Ziel dieser Arbeit. Stattdessen wurde einer an Foucault inspirierte Fragetradition gefolgt, die auf die Produktionsweise von kulturellem Wissen abhebt. Ausgangspunkt der Überlegung war, dass der alltagsweltliche Glaube an einem substantiell nationalkodierten Tango als tango argentino ein historisches Produkt des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts ist. Parallel zur konflikthaften Konsolidierung des argentinischen Nationalstaates und seines Selbstverständnisses gegenüber der westlichen Welt avancierte der Tango zu einer der wichtigsten nationalen Identifikationsfiguren. Seit Anbeginn seiner Entstehung war er ein kultureller Repräsentationsort, über den das Fremd- wie Selbstverständnis argentinischer Identität ausgehandelt wurde. Im Laufe der Geschichte verdichtete sich somit das Wissen um den Tango zu einem Wissen um die argentinische Nation. Die Tangographie der sechziger Jahre bildete einen wesentlichen Faden in der Konstituierung dieses nationalkollektiven Gedächtnisses um den Tango. Sie aus dem politischen Kontext heraus zu beleuchten und sie darin zu verorten, war das Ziel dieser Arbeit. Erst vor dem Hintergrund des damaligen politischen Antagonismus zwischen Peronismus und Antiperonismus, der nahezu alle gesellschaftlichen Institutionen entzweite, lassen sich die Aussagen über den Tango, wie sie im intellektuellen Feld formuliert worden sind, verstehen. Die als Tangographie objektivierte Tangoliteratur reaktualisierte einen peronistischen Nationaldiskurs. Die symbolische Welt des Tangos wurde in den diskursiven Horizont des Peronismus eingespeist, wie auch er um ein bestimmtes Repertoire an Tangowissen erweitert wurde. Die Entstehung eines peronistischen Tangowissens hatte jedoch eine Vorgeschichte: Vor 1955 war die politische Basis von Perón gleichzeitig die kulturelle Basis des Tangos. Ein Großteil der damals in die Stadt Buenos Aires zugezogenen Inländer tanzte, sang oder hörte den Tango. Das hieß nicht, dass der Tango de facto peronistisch war. Es bedeutete lediglich, dass eine geschichtliche Assoziation zwischen dem ‚Tango‘ und dem ‚Peronismus‘ schon vor 1955 vorhanden war. Erst dieser diskursive Horizont ermöglichte das Erscheinen eines peronisti-
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schen Tangowissens im intellektuellen Feld der sechziger Jahre. Die Gleichschaltung zwischen Peronismus und Tango erfolgte somit nicht aus dem Nichts heraus, sondern bedurfte in den sechziger Jahren eines bestimmten Bestandes an Erinnerungen, auf dem jener Konstruktionsprozess fußen konnte. Erst in diesem Zuge ließ sich der populäre aber marginalisierte Tango zum stilisierten Emblem des authentisch Nationalen erheben. Eine populär-urbane Kultur wurde somit über den (Um)weg des Peronismus zum Sinnbild eines territorialen Nationalstaates. Ausschlaggebend für diese Deutung der Tangographie als einen peronistischen Nationaldiskurs war die Bestimmung gemeinsamer Formationsregeln, die sich auf der Sinngenerierungsebene als Polarisierung begreifen ließen. Diesen Formationsregeln folgend wurde der diskursive Raum in zwei sich feindlich gegenüberstehende Subjektpositionen geteilt. Die eine Position stellte den leeren Signifikanten ‚Nation‘ dar, während die andere alles Nichtnationale in sich vereinigte. Einem peronistischen Nationaldiskurs entsprechend wurden die ‚Nation‘ mit dem ‚Peronisten‘ und die ‚Nicht-Nation‘ mit dem ‚Antiperonisten‘ gleichgesetzt. Dabei verlief die binäre Grenzziehung über die Hervorhebung biologischer und kultureller Eigenschaften: der ‚Peronist‘ wurde als dunkelhäutig, kreolisch, inländisch, volkstümlich und authentisch, der ‚Antiperonist‘ dagegen als elitär, weiß, städtisch, europäisiert und imperialistisch dargestellt. Diese polarisierende Konstruktion eines scheinbar national authentischen Peronisten und eines unauthentischen Antiperonisten erfolgte über zwei Wissensgebiete: die Tangonarrationen machten sowohl Aussagen über die Geschichte des Tangos als auch Aussagen über die von den Autoren wahrgenommene politische Realität der sechziger Jahre. Im Hinblick auf die Wahrnehmungskonstruktion der politischen Realität ließ sich eine diskursive Figur rekonstruieren, die Argentinien als in einer ‚imperialistischen Ordnung‘ gefangen beschreibt. Diese Ordnung wurde in einer wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Abhängigkeit von den westlichen Ländern erkannt. Dabei geht eine heimische ‚Oligarchie‘ eine vermeintlich nationalverräterische Liaison mit den
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westlichen ‚Kolonialherren‘ ein. Als Agent des Imperialismus wird sie für die ‚nationale Realität‘ Argentiniens verantwortlich gesehen. Die argentinische Realität drückt sich dabei in sozialem Elend aus, das das ‚wahre Volk‘ zu erleiden hat. Entgegen dem ‚Volk‘ wird die ‚Oligarchie‘ dadurch erkennbar, dass sie national ‚unauthentisch‘ ist. Sie ‚konsumiert‘ amerikanische Musik und erschafft nicht, wie das ‚Volk‘, den ‚authentischen‘ Kulturausdruck Tango. Während der erstere mit einem ‚elitären Stadtbürger’ gleichgesetzt wird, der ein ‚europäisiertes‘ Bild von der ‚Zivilisation‘ übernommen hat, gilt das ‚Volk‘ dagegen als die ‚kreolische‘ Bevölkerung des Inlandes. Diese peronistische Wahrnehmungsstruktur der politischen Realität bildete den Ausgangspunkt, von dem ausgehend die Aussagen über die Geschichte des Tangos entstanden sind. Die Intellektuellen, die über Tango schrieben, artikulierten eine Geschichtserzählung, indem sie, wie Philipp Sarasin dies für die Geschichtskonstruktion im Allgemeinen anmerkt, „die Chronologie umkehr[t]en und die Zeit rückwärts l[a]sen, weil sie ihren genealogischen Faden von der Gegenwart aus in die Vergangenheit ausleg[t]en“ (Sarasin 2003: 160). Damit griff die peronistische Formationsregel der Polarisierung auch auf die ‚objektivierende‘ Geschichtserzählung des Tangos über. Dabei erfüllte diese Wissensproduktion die Funktion, den Tango zum Kulturausdruck des Peronisten zu erheben. Für diesen Zweck unterschied die Tangoliteratur einen ‚authentischen‘ von einem ‚unauthentischen‘ Tango. Den ‚echten‘ Tango gab es zwischen 1880 und 1910. Ihn hat man scheinbar im Süden der Stadt, in den ärmlichen Randgebieten getanzt. Auch wenn er in den Bordellen vornehmlich Eingang fand, hatte der Tanz mit der käuflichen Liebe nichts zu tun. Vielmehr drückte er den sozialen Missstand des Compadritos aus. Dieser wurde als der ‚authentische‘ Held jener Tangowelt gesehen. Entgegen den Tangodiskursen der Jahre davor, wurde er in der Tangoliteratur der sechziger Jahre als das Emblem der ‚Nation‘ gefeiert: Er war kein Krimineller, sondern im Gegenteil ein ‚aufrichtiger‘ und ‚mutiger‘ Kreole. Als solcher stammt er aus dem Inland und nicht aus Buenos Aires ab. Seine Vorfahren waren die inländischen und kreolischen Gauchos und nicht die europäi-
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schen Immigranten. Aber bedingt durch die Profitsucht der ‚Großgrundbesitzer‘ und ‚Aristokraten‘ sah er sich gezwungen aus dem Inland in die Stadt ziehen. Dort musste er eingepfercht in den conventillos leben und in den saladeros arbeiten. Das einzig ‚Authentische‘, was ihm verblieb, war seine vermeintlich unberührte, ländliche Kultur. Der Tanz, die Musik und der Gesang waren Ausdruck seiner ländlichen Traditionen. Diese erzeugten den ‚echten‘ Tango zwischen 1880 und 1910. Im Gegensatz dazu entstand ein ‚unechter‘ Tango nach 1912, zeitgleich zum Erfolg des Tangos im ‚imperialistischen Ausland‘ und zur Einführung des liberalen Wahlgesetzes von Saenz Peña. Der ‚unechte‘ Tango wurde nicht mehr vom Compadrito getanzt, sondern vom ‚oligarchischen‘ und europäisch stämmigen Niño bien. Zusammen mit dem Rufián repräsentierten sie die Dekadenz der ‚nationalen Moral‘. Der erste war ‚feige‘ und ‚verwöhnt‘, der zweite war ein ‚verweiblichter‘ Zuhälter. Der ‚unechte‘ Tango wurde nicht im Süden, sondern im Norden der Stadt, in den ‚edlen‘ und ‚weiträumigen‘ Kabaretts von der ‚oligarchischen Gesellschaft‘ getanzt. Diese bestand aus ‚Großgrundbesitzern‘ und ‚Aristokraten‘. Sie wohnten in ‚neoklassisch‘ eingerichteten Villen und waren Teil der ‚französisierten‘ Kultur. Wie an dieser diskursiven Figur deutlich wurde, ließ sich auch das historische Tangowissen nach der Formationsregel des peronistischen Nationaldiskurses rekonstruieren: der ‚echte‘ Tango wurde als kreolisch, inländisch und somit als peronistisch dargestellt; der ‚unechte‘ galt in Negation dazu als städtisch, oligarchisch und europäisch. Den diskurstheoretischen Annahmen dieser Arbeit entsprechend verblieb diese hier zusammengefasste Rekonstruktion nicht auf der Ebene der Textanalyse. Sondern es ging auch darum, über eine parallel verlaufende Kontextanalyse die politischen Entstehungs- und Wirkungsbedingungen der Tangoliteratur herauszuarbeiten. Eine der wesentlichen, diskurstheoretischen Prämissen dieser Arbeit bestand darin, den Diskurs nicht als Repräsentationsmedium zu sehen. Vielmehr wurde ihm als Macht/Wissenskomplex eine wirklichkeitskonstituierende Funktion zugesprochen. Das Wissen in der Tangoliteratur aktualisierte bestimmte, historische Machtverhältnisse.
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Dass die Tangoliteratur einen peronistischen Nationaldiskurs begründete, zeugte von der steigenden Macht, die dem Peronistischen Widerstand zu der damaligen Zeit zufiel. Während der Antiperonismus sich in den staatlichen Institutionen Raum verschaffte, fand der peronistische Nationaldiskurs in der nicht zu kontrollierenden Öffentlichkeit seine stetige Verbreitung. Die Macht dieses Diskurses nahm über den gesamten Zeitraum zu und förderte schließlich die Wiederkehr von Juan Domingo Perón. Das intellektuelle Feld ließ sich dabei als ein Paradebeispiel dieser Machtverschiebung rekonstruieren. Während es noch 1955 im Allgemeinen eine antiperonistische Gesinnung hatte, ‚peronisierte‘ es sich eine kurze Zeit später. Das intellektuelle Feld avancierte zu einem privilegierten Nähr- und Resonanzboden des Peronistischen Widerstandes. Durch die Modernisierung des Buchdrucks und der vorher nicht gekannten, massiven Nachfrage nach intellektuellen Gütern wuchs seine öffentlichkeitswirksame Bedeutung. Im Rahmen dieser steigenden Macht des peronistischen Nationaldiskurses entstand im intellektuellen Feld die Tangoliteratur als ein bedeutender Wissensgegenstand. Sie erfüllte die Funktion, den Tango als scheinbar authentischen Kulturausdruck des Peronisten hervorzubringen. Der ‚Peronist‘ definierte sich nunmehr auch über den ‚Tango‘, und der ‚Tango‘ galt als der symbolische Repräsentant einer ‚peronistischen Nation‘. Indem diese Subjektzuweisung über die stetige Konstruktion eines vermeintlich naturgegebenen Feindbildes erfolgte, aktualisierte sie das historische Archiv als einen unversöhnlichen Kampf zwischen Peronisten und Antiperonisten immer wieder neu. Mit ihrer polarisierten Nationenkonstruktion erschwerte die Tangoliteratur die Etablierung eines vermittelnden und schlichtenden Hegemonialdiskurses. Gerade dieser aber wäre notwendig gewesen. Denn aus einer diskursanalytischen Perspektive bestand die politische Instabilität, laut Sebastián Barros, aus der „.... impossibility of constituting a stable hegemonic articulation“ (Barros 2000: 27). Sowohl der peronistische als auch der antiperonistische Nationaldiskurs ließen keinen Raum zu einer versöhnenden Vermittlung.
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Indem die Tangoliteratur in einem peronistischen Nationaldiskurs eingelassen wurde, hatte das intellektuelle Feld damit eine Verantwortung für den bürgerkriegsähnlichen Zustand der sechziger Jahre zu tragen. Obwohl man gemessen an der Menge der veröffentlichten Exemplare (etwa 2500- 3000 Exemplare pro Tangowerk) nicht davon ausgehen kann, dass die Tangoliteratur eine signifikante Wirkung auf die Öffentlichkeit der damaligen Zeit erzielte, lässt sich ihre Verantwortung insofern nicht geringschätzen, als sie im intellektuellen Feld produziert worden ist. Dieser Tatbestand erscheint insofern aufschlussreich zu sein, als er einen Einblick in das Verhältnis der Politik und der intellektuellen Wissensproduktion gewährt: Wider Erwarten bietet das intellektuelle Feld nicht zwangsläufig politische Lösungen an. Im Gegenteil, wie an diesem Beispiel der Tangoliteratur gezeigt wurde, verschärft – ganz im Sinne Schelsky’s – das intellektuelle Feld mitunter die politischen Konfliktlinien. Indem Intellektuelle als Sinnproduzenten ‚Wahrheiten‘ formulieren, haben sie zumal noch die Macht, diese Konfliktlinien als kollektive Wahrnehmungsstruktur der politischen Gegenwart zu objektivieren. Allerdings muss hier zugleich bemerkt werden, dass sich das peronisierende intellektuelle Feld in einer anti-hegemonialen Attitüde gegenüber einem politisch konservativen und wirtschaftlich liberalorientierten Staat positionierte, der sich fortwährend militarisierte, und schließlich als ein historischer Vorläufer zu der sich anbahnenden Katastrophe des Militärputsches von 1976 gelesen werden sollte. In ihrer polarisierenden Diskursstruktur hat zwar die Tangographie zu der Perpetuierung und Radikalisierung der Fronten beigetragen, allerdings nahm sie damit eine zivilgesellschaftliche Sprecherposition gegenüber einem sich verselbstständigenden, diktatorischen Staat ein, der den potenziellen Raum der Öffentlichkeit schon im Keim zu ersticken ersuchte. Dieser demokratieerwirkende Impetus, das genuine Moment des Politischen der Tangographie wurde jedoch im Zeichen ihrer peronistischen ‚Vereinnahmung‘ insofern zum Schweigen gebracht, als sie eine Tango-Heterotopie erschuf, die sich aus verklärenden, anti-imperialistischen Semantiken speiste. Der ‚imperialistischen Ordnung‘ des
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Staates wurde mit der Erschaffung einer Tangowelt begegnet, die über ihre Narrationen eine kulturelle und in sich kohärent geschlossene Gegenordnung errichtete, die den Tango nationalisierte, essentialisierte und ihn damit in seiner Sinnzuschreibung zu schließen versuchte. Wenn man eine postkoloniale Perspektive einnähme, ließe sich die Beobachtung aufstellen, dass der zu zahlende Preis einer versuchten Dekolonisierung des Tangos schließlich seine zumindest genauso essentialisierende und nachhaltige Nationalisierung war. Die Verachtung, die am Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts die argentinische Aristokratie, für den Tango übrig hatte, geht einher mit der von Seiten der bürgerlichen Mittelschichten später auftauchenden und bis heute noch vollkommen intakten, euphorischen Zuschreibung des Tango als argentinisch. Während in den sechziger Jahren die Vorstellung eines nationalen Tangos eine antihegemoniale Kraft besaß, ist sie heute Teil jedes staatlichen Kulturdiskurses geworden. Aufgrund seiner eingeführten Nationalsemantik bot der im Widerstand erzählte peronistische Tango ironischerweise geradezu den Nährboden für seine spätere Vereinnahmung von Seiten des Staates und der bürgerlichen Mittelschichten an. Nichtsdestotrotz wirkt die Widerständigkeit, die dem Tango in den sechziger Jahren von Seiten der Intellektuellen zugeschrieben wurde, als genealogischer Faden bis heute noch nach. In einem veränderten gegenwärtigen Kontext, wo der Tango vor allem als sinnstiftende Tanzpraxis im Zuge der kulturellen Globalisierung eine massive städtische Realität nicht nur in Buenos Aires, sondern weltweit in vielen Städten geworden ist, lässt sich vermuten, dass er auch hier die wesentliche Funktion einer urbanen Heterotopie, eines vollkommen anderen Raumes, einnimmt. Die Frage allerdings, wie diese im Kontext einer postfordistischen und kulturalisierten Urbanität genau zu beschreiben ist und worin ihr widerständiger Sinn liegt, steht sowohl empirische wie auch theoretisch noch weitestgehend aus. In Anbetracht des Tangobooms, der seit den neunziger Jahren in vielen Städten der Welt als alltagsgelebte Tanzpraxis um sich greift, verspricht die Durchdringung dieser Frage ein lohnenswertes Unterfangen zu sein.
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Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de
TanzScripte Yvonne Hardt, Martin Stern (Hg.) Choreographie und Institution Zeitgenössischer Tanz zwischen Ästhetik, Produktion und Vermittlung Oktober 2011, 316 Seiten, kart., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-1923-2
Gabriele Klein, Gitta Barthel, Esther Wagner Choreografischer Baukasten Juni 2011, 564 Seiten, Kasten mit Modulheften, Praxiskarten und einem Buch, zahlr. Abb., 44,80 €, ISBN 978-3-8376-1788-7
Laurence Louppe Poetik des zeitgenössischen Tanzes 2009, 340 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1068-0
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TanzScripte Christiane Berger Körper denken in Bewegung Zur Wahrnehmung tänzerischen Sinns bei William Forsythe und Saburo Teshigawara 2006, 180 Seiten, kart., 20,80 €, ISBN 978-3-89942-554-3
Reto Clavadetscher, Claudia Rosiny (Hg.) Zeitgenössischer Tanz Körper – Konzepte – Kulturen. Eine Bestandsaufnahme 2007, 140 Seiten, kart., 18,80 €, ISBN 978-3-89942-765-3
Susanne Foellmer Am Rand der Körper Inventuren des Unabgeschlossenen im zeitgenössischen Tanz 2009, 476 Seiten, kart., zahlr. Abb., 39,80 €, ISBN 978-3-8376-1089-5
Susanne Foellmer Valeska Gert Fragmente einer Avantgardistin in Tanz und Schauspiel der 1920er Jahre 2006, 302 Seiten, kart., zahlr. Abb., Prof. Begleit-DVD, 28,80 €, ISBN 978-3-89942-362-4
Sabine Huschka (Hg.) Wissenskultur Tanz Historische und zeitgenössische Vermittlungsakte zwischen Praktiken und Diskursen 2009, 246 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 26,80 €, ISBN 978-3-8376-1053-6
Annamira Jochim Meg Stuart Bild in Bewegung und Choreographie 2008, 240 Seiten, kart., zahlr. Abb., 28,80 €, ISBN 978-3-8376-1014-7
Gabriele Klein (Hg.) Tango in Translation Tanz zwischen Medien, Kulturen, Kunst und Politik 2009, 306 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN 978-3-8376-1204-2
Friederike Lampert Tanzimprovisation Geschichte – Theorie – Verfahren – Vermittlung 2007, 222 Seiten, kart., 24,80 €, ISBN 978-3-89942-743-1
Gerald Siegmund Abwesenheit Eine performative Ästhetik des Tanzes. William Forsythe, Jérôme Bel, Xavier Le Roy, Meg Stuart 2006, 504 Seiten, kart., 32,80 €, ISBN 978-3-89942-478-2
Christina Thurner Beredte Körper – bewegte Seelen Zum Diskurs der doppelten Bewegung in Tanztexten 2009, 232 Seiten, kart., 25,80 €, ISBN 978-3-8376-1066-6
Arnd Wesemann IMMER FESTE TANZEN ein feierabend! 2008, 96 Seiten, kart., 9,80 €, ISBN 978-3-89942-911-4
Pirkko Husemann Choreographie als kritische Praxis Arbeitsweisen bei Xavier Le Roy und Thomas Lehmen 2009, 280 Seiten, kart., zahlr. Abb., 28,80 €, ISBN 978-3-89942-973-2
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de