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German Pages 284 Year 2014
Rosemarie Brucher Subjektermächtigung und Naturunterwerfung
Theater | Band 51
Rosemarie Brucher (Dr. phil.) ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fachbereich Theaterwissenschaft der Universität der Künste Berlin sowie Lehrbeauftragte am Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft der Universität Wien. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Ästhetik, Body Art, Subjekttheorie und Kunst/Psychiatrie.
Rosemarie Brucher
Subjektermächtigung und Naturunterwerfung Künstlerische Selbstverletzung im Zeichen von Kants Ästhetik des Erhabenen
Gedruckt mit Förderung der Österreichischen Forschungsgemeinschaft (ÖFG) und der Universität Wien.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2013 transcript Verlag, Bielefeld
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Inhalt
1. 2.
3.
3.1 4.
Das Erhabene und die Body Art | 9 Die Renaissance des Erhabenen im ausgehenden 20. Jahrhundert – Positionierung des Forschungsansatzes | 17 Das Erhabene als Ästhetik des Subjekts | 25
Freiheit und Dualismus | 27
Kants ästhetisches Programm | 41
4.1
Die Ästhetik des Erhabenen | 47
5.
Die Struktur des dynamisch-Erhabenen | 53
5.1 5.1.1 5.1.2 5.1.3 5.1.4 5.2 5.2.1 5.3 5.3.1 5.3.2 5.4 5.5 5.6 6.
Gefährdung | 53 Die Qualität der Unlust im dynamisch-Erhabenen | 53 Die Spezifität der Größenschätzung im dynamisch-Erhabenen | 56 Das Scheitern der Einbildungskraft als Scheitern der Physis | 61 Schmerzliche Rührung – interesselose Lust | 65 Aufopferung: Die Funktionalisierung des Leidens | 69 Die Aufopferung der Physis durch die Aufopferung der Einbildungskraft | 69 Erhebung | 77 Die Qualität der Lust: Die Selbsterhebung des Subjekts | 77 Das Erhabene und die Moral | 81 Distanz – Distanziertheit | 86 Freiwilligkeit statt Imagination | 92 Von der Wahrnehmungsästhetik zur erhabenen Handlung | 96 Das Erhabene bei Friedrich Schiller | 99
6.1 6.2 6.3
Ästhetik der Endlichkeit | 106 Das Erhabene der Handlung | 111 Ästhetischer Wille – moralischer Wille | 117
7.
Zusammenfassung: Kant und Schiller | 121
8.
8.1 8.2
Künstlerische Selbstverletzung | 125
Zur Entwicklung der Body Art | 125 Zur Rezeption künstlerischer Selbstverletzung | 131
8.3 9.
Künstlerische Selbstverletzung und die Ästhetik des Erhabenen | 138 VALIE EXPORT: Künstlerische Selbstverletzung als Akt der Subjektwerdung | 141
9.1
Gefährdung: Der (weibliche) Körper als Ort der Fremdbestimmung | 149 9.2 Aufopferung: Die Überwindung des Körpers als Akt der Befreiung | 158 9.2.1 Selbstverletzung zwecks Bewusstseinsbildung | 160 9.2.2 Die Überwindung der fremdbestimmten Natur als Überwindung der Gesellschaft | 165 9.2.2.1 Exkurs: Künstlerische Selbstverletzung und Ritualtheorie | 177 9.2.3 Die Distinktion von der Natur als Legitimation des subjektiven Freiheitsanspruches | 179 9.2.3.1 Exkurs: Künstlerische Selbstverletzung und die christliche Leidenstradition | 182 9.3 Erhebung: Die Künstlerin als Souverän – „Ichfindung, Selbstwerdung“ | 186 10.
10.1 10.2 10.2.1 10.2.2 10.2.3 10.2.4 10.3 10.3.1
Stelarc: Der posthumane Körper | 191
Gefährdung: „THE BODY IS OBSOLETE“ | 198 Aufopferung: Die Transgression des humanen Körpers | 207 Verletzung: Suspensions und Deprivations | 210 „Aesthetic of prosthetics“: The Third Hand | 219 Die Reorganisation des Humanen: Ear on Arm | 230 Enteignung: Involuntary Body | 237 Erhebung: Der Künstler als Prothesengott | 250 Die Überwindung der Natur als Überwindung der Dialektik des Erhabenen | 255
11.
Ausblick | 257
12.
Bibliografie | 261
Abbildungsverzeichnis | 280
Die vorliegende Studie ist als Dissertation an dem Institut für Theater-, Filmund Medienwissenschaft der Universität Wien entstanden, für den Druck wurden marginale Überarbeitungen vorgenommen. Für das konkrete Entstehen der Arbeit danke ich herzlich meiner Betreuerin Prof. Dr. Brigitte Marschall, die mir stets mit konstruktivem Rat und kritischem Auge zur Seite stand. Auch Frau Prof. Dr. Doris Kolesch sei für ihre Betreuung und ihr fundiertes Feedback während meines Aufenthaltes in Berlin gedankt. Ebenso gilt mein Dank Frau Prof. Dr. Konstanze Fliedl, die mich während meiner Tätigkeit am Institut für Germanistik der Universität Wien stets mit großer Wertschätzung unterstützt hat. Für meine Zeit in Berlin danke ich dem Graduiertenkolleg InterArt Studies unter der Leitung von Frau Prof. Dr. Erika Fischer-Lichte, wo ich sehr herzlich aufgenommen wurde und ein spannendes sowie bereicherndes Arbeitsklima vorfand. Mein Dank gilt auch VALIE EXPORT und Stelarc, welche auf Fragen zu ihrer künstlerischen Tätigkeit stets interessiert eingegangen sind sowie der Generali Foundation, die mir ihr EXPORT-Archiv für Forschungszwecke zur Verfügung gestellt hat. Die Dissertation wurde durch ein dreijähriges Doc-Stipendium der österreichischen Akademie der Wissenschaften finanziert, auch dafür sei herzlich gedankt.
„Und setzet ihr nicht das Leben ein, Nie wird euch das Leben gewonnen sein.“ (FRIEDRICH SCHILLER WALLENSTEINS LAGER)
„Denn das Leben hat doch immer nichts Erhabeneres, als nur dieses, daß man es erhaben wegwerfen kann.“ (HEINRICH V. KLEIST, BRIEF AN ULRIKE VON KLEIST AM 1. MAI 1802)
1. Das Erhabene und die Body Art „Das Kantsche Erhabene ist darum die teils begleitende, teils vorauseilende [...] ästhetische Fassung des neuzeitlichen Programms von 1
Subjektermächtigung und Naturunterwerfung.“
1968 setzt sich der Wiener Aktionist Günter Brus, als eines der frühesten Beispiele selbst verletzender Kunst, im Rahmen einer ersten Körperanalyseaktion Dissoziation und Schmerz aus und verstört so Publikum und Gesellschaft. Die Selbstverletzung des österreichischen Künstlers bleibt jedoch kein Einzelfall, sondern bildet vielmehr den Auftakt eines Phänomens, welches sich in den 1970er Jahren unter der Bezeichnung Body Art international etabliert und in variierter Form bis in die Gegenwart fortsetzt: VALIE EXPORT nutzt ihren verwundeten Körper als Demonstrationsfläche normierender Herrschaftsstrukturen, Gina Pane fügt sich im Rahmen ihrer Aktionen Verletzungen zu, um als ,Künstler-Märtyrerin‘ kathartisch auf ihr Publikum einzuwirken, Chris Burden erprobt mittels Extrembelastungen die Stärke seines Willens, Marina Abramović übt sich in Schmerzerfahrungen zwecks Bewusstseinserweiterung, Ron Athey aktualisiert im Moment der Selbstverletzung die Vulnerabilität und Gebrechlichkeit des Menschen, Orlan modelliert im Zuge mehrerer Operationen ihr Gesicht nach modellhaften Schönheitsidealen aus der Kunstgeschichte, Yang Zhichao lässt sich chirurgisch Fremdmaterial in seine Bauchdecke einpflanzen und Stelarc initiiert unter dem Motto The body is obsolete zu Beginn des 21. Jahrhunderts den Einbau von Technologie in seinen Körper und schafft so eine Symbiose von Mensch und Maschine.
1
Böhme H. (1989), S. 126.
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Scheint dieser Grenzbereich der Kunst in all seiner Radikalität auch geradezu symptomatisch für das ausgehende 20. Jahrhundert, so soll anhand der nachfolgenden Studie aufgezeigt werden, dass wesentliche Aspekte selbst verletzender Körperkunst in direkter Analogie zu ästhetischen Konzepten sowie Subjektmodellen stehen, wie sie in der europäischen Aufklärung des 18. Jahrhunderts ihren Höhepunkt fanden. Dieser Annahme folgend, nähert sich die vorliegende Arbeit selbst verletzender bzw. den Körper modifizierender Aktionskunst unter dem Gesichtspunkt einer Ästhetik des Erhabenen, präziser Immanuel Kants Konzeption derselben sowie deren Weiterführung durch Friedrich Schiller. Diese Annäherung der beiden auf den ersten Blick entfernten Kontexte wird dabei wechselseitig erfolgen, d.h., Kants Ästhetik soll auf der einen Seite dazu dienen, eine innovative Lesart dieser Kunstform zu eröffnen. Auf der anderen Seite hält jedoch auch künstlerische Selbstverletzung, so die These, eine mögliche Antwort bereit, wie das Erhabene – welches von Kant primär hinsichtlich der Konfrontation des Menschen mit der Natur behandelt wurde, jedoch von Schiller bereits in seine Tragödientheorie integriert worden war – eine zeitgenössische ,Anwendung‘ in der Kunst erfahren könne. Diese aktuelle ,Umsetzung‘ ermöglicht, Tendenzen der theoretischen Ansätze konkret sowie in ihrer Konsequenz zu denken und zugleich implizite Aspekte der kantschen Theorie, wie etwa die Rolle der Physis, explizit zu machen. Nicht zuletzt kann die Interpretation künstlerischer Selbstverletzung mit Kant und Schiller zugleich auch über die Theoretiker ,hinausführen‘, indem das künstlerisch-philosophische Konzept des Posthumanen die in der Aufklärung noch unlösbare Dichotomie aus Natur und Freiheit gedanklich überschreitet. Die Zusammenführung der beiden Kontexte führt auf diese Weise zu einem erweiterten Blick auf die historischen Schriften. Mit dieser Herangehensweise lehnt sich die vorliegende Auseinandersetzung formal an François Lyotards Wiederentdeckung des Erhabenen für die abstrakte Malerei der späten Moderne und Postmoderne an, welche ebenso eine Relektüre der kantschen Ästhetik sowie eine Zusammenführung derselben mit konkreten Kunstwerken, wie beispielsweise den Bildern von Barnett Newman, implizierte. Während sich Lyotard jedoch ausschließlich mit dem mathematisch-Erhabenen auseinandersetzte – Kant unterscheidet in seiner Kritik der Urteilskraft die mathematische von der dynamischen Form dieses ästhetischen Gefühls –, widmet sich die vorliegende Studie dessen Pendant, dem dynamisch-Erhabenen, dessen Relektüre sowie Bezugsetzung zur Gegenwartskunst bislang ein Desiderat darstellte. In diesem Fokus auf das dynamisch-Erhabene steht die vorliegende Lektüre inhaltlich geradezu im Kontrast zu Lyotards Interpretation, denn während der französische Philosoph im Erhabenen die Entmachtung des Ichs und folglich die gefühlte Hinterfragung abendländischer Subjektivität auszumachen
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suchte, zeigt die nachfolgende Studie, dass Kants Ästhetik des Erhabenen ganz im Gegenteil als ,Ästhetik des Subjekts‘ verstanden werden muss, innerhalb derer sich das Individuum zu ermächtigen strebt, indem es seine Natur unterwirft. Diese konträren Lesarten Kants, die in erster Linie aus der jeweiligen Bezugnahme auf die beiden unterschiedlichen Formen des Erhabenen resultieren, begründen nicht nur die Divergenz der ausgewählten Forschungsgegenstände – die abstrakte Malerei Newmans wird um die Konkretheit künstlerischer Selbstverletzung ergänzt –, sondern auch den Umstand, dass im Folgenden Lyotards Theorie nur peripher zur Interpretation selbst verletzender Body Art herangezogen wird und stattdessen ein direkter Rückbezug auf Kants Ästhetik stattfindet. Dieser Rückbezug folgt dabei der Annahme, dass sowohl selbst verletzende Performance Art als auch das kantsche Modell auf einer analogen strukturellen Dynamik respektive einem analog ausagierten Konflikt basieren, welche trotz aller Abweichungen im Detail einen solchen komparatistischen Zugang nicht nur ermöglichen, sondern bei näherer Auseinandersetzung auch nahe legen. Dieser grundlegende Konflikt lässt sich als ein solcher aus Freiheitsstreben und Gebundenheit verstehen. Sowohl in der Ästhetik des dynamisch-Erhabenen als auch hinsichtlich künstlerischer Selbstverletzung aktualisiert sich somit eine Krise, welche nicht nur den Freiheitsanspruch des Subjekts existenziell in Frage stellt, sondern auf diese Weise auch das abendländische Subjekt selbst – als, so Schiller, „Wesen, welches will“ – in seiner Grundstruktur gefährdet. Beiden Kontexten liegt somit die Frage, ob sich der Mensch der Macht der Natur unterworfen denken muss, folglich jene nach der Heteronomie bzw. Autonomie seines Willens, zugrunde. Diese drohende Unterwerfung kann wie im dynamisch-Erhabenen Kants und vor allem wie in Schillers Auseinandersetzung eine durch den Tod selbst sein, welche aus der physischen Verfasstheit und folglich der Vulnerabilität des Menschen erwächst. Sie kann aber auch jede andere Form der Heteronomie annehmen, wie beispielsweise politische Fremdbestimmung – in jedem Fall jedoch konfrontiert sie das Individuum in fundamentaler Weise mit dessen Ohnmacht und existenzieller Ausgeliefertheit. Die Frage, welche sich daraus stellt und welche auch die nachfolgende Studie initiierte, ist jene nach der Art und Weise, wie das Individuum mit dieser existenziellen Aktualisierung seiner Limitiertheit operiert. Dabei wird aufgezeigt, dass sich paradoxerweise gerade aus dieser Prekarität des Menschen das neuzeitliche Selbstverständnis als starkes und souveränes Subjekt firmiert, dies aber nur, indem die dualistische Aufspaltung in autonomes Bewusstsein und gebundene Sinnlichkeit, welche als zentrales Charakteristikum diesem Subjektmodell traditionell inhärent ist, nicht nur fortgesetzt, sondern in einem Akt der
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Selbstaufopferung zugleich forciert wird. Denn lediglich durch eine solche gewaltsame Distinktion scheint es dem prekären Subjekt möglich, dasjenige, welches in erster Linie als unfrei erfahren wird – was sowohl in Kants und Schillers Ästhetik des Erhabenen als auch in der selbst verletzenden Body Art der Körper ist –, als das ,Andere‘ des Selbst zu setzen, um damit dieses Selbst auch im Moment äußerster Gebundenheit als frei denken respektive empfinden zu können. Entsprechend dieser Analogien aus Distanznahme und Selbstvergewisserung, lässt sich die dem Erhabenen zugrunde liegende Dynamik wie auch jene künstlerischer Selbstverletzung als eine dreiteilige Struktur begreifen, welche durch die Begriffe Gefährdung, Aufopferung und Erhebung gefasst werden kann. Der anfänglichen Gefährdung individueller Freiheit folgt demnach die dualistische Aufopferung der Physis, als primär vulnerable Natur, was schließlich mit einer gefühlten Erhebung des mittels Dichotomie ,befreiten‘ wollenden Subjekts einhergeht. Beiden Phänomenen gemein ist somit, wie Jörg Villwock hinsichtlich sublimer Rhetorik feststellt, die „Einkehr zu sich selbst im Moment höchster Bedrohung, der Selbstgewinn aus der äußersten Gefahr des Selbstverlustes 2 heraus.“ Sowohl die Auseinandersetzung mit den Ästhetiken Kants und Schillers als auch jene mit ausgewählten Künstler/-innen der Body Art werden in ihrer Gliederung diesem Dreischritt aus Gefährdung, Aufopferung und Erhebung folgen. Der Fokus auf zeitgenössische Kunst wird folglich verdeutlichen, dass die Fortführung der dualistischen Trennung von Körper und Geist respektive freier Wille folglich auch gegenwärtig in einer Zeit stattfindet, wo man meist nicht mehr an der Idee eines transzendenten Bewusstseins, wie sie Kant und Schiller noch vertraten, festhält. Es lässt sich dahingehend von einem ,immanenten Dualismus‘ sprechen, welcher die tradierte Spaltung des Menschen in homo sensibilis und homo intelligibilis dem Prinzip der Disjunktion nach zwar beibehält, indem er den Willen nach wie vor als das ,Andere‘ der bloßen Körperlichkeit definiert sowie die klassischen Attributen dieser Andersartigkeit, Omnipotenz, Souveränität, Gestaltungsvermögen und vor allem Freiheit, ungebrochen affirmiert, ohne jedoch über sich hinaus noch auf das Unendliche bzw. auf Transzendenz verweisen zu können. Dieses Festhalten an dualistischen Strukturen ist umso bemerkenswerter, als es hinsichtlich der Body Art der 70er und 80er Jahre vor einem philosophischen Hintergrund stattfindet, wo das abendländische, freie Subjekt nicht nur, wie bereits in der Moderne, Kritik erfährt, indem gerade seine herrschaftszentrierten
2
Villwock (1989), S. 36.
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und leibfeindlichen Züge freigelegt werden (Adorno/Horkheimer), sondern nun auch als Subjectum, d.h. als selbst Unterworfenes und folglich in seinem Freiheits- und Machtanspruch lediglich Konstruiertes, entlarvt und einer umfassenden Dekonstruktion preisgegeben wird. Der als Ziel dieses Dekonstruktionsprozesses proklamierte „Tod des Subjekts“ (Foucault) impliziert neben verabschiedeten Erkenntnis- und Machtansprüchen gerade auch die Aufgabe der strikten Trennung von Subjekt und Objekt, welche, auf das Individuum projiziert, auch als jene von Geist und Körper begriffen werden muss. Indem künstlerische Selbstverletzung gerade diese Trennung reaffirmiert, steht sie folglich, so eine der zentralen Thesen dieser Studie, geradezu im Kontrast zu den subjektkritischen Tendenzen der Postmoderne (Lyotard, Vattimo), des Poststrukturalismus (Derrida, Deleuze, Foucault) sowie des poststrukturalistischen Feminismus (Butler, Irigaray), auch wenn sie immer wieder allzu voreilig in diese Denktraditionen eingereiht wurde (vgl. z.B. Jones [1998]). Anstatt jedoch das Subjekt und dessen Freiheitsanspruch in einem postmodernen Gestus euphorisch zu verabschieden, zeugt ihr unbedingtes und radikales Festhalten an diesen zentralen Parametern abendländischer Selbstdefinition von deren Aktualität bzw. Widerständigkeit und vermag zugleich auf mögliche Grenzen postmoderner Subjektkritik bzw. deren ,blinde Flecken‘, wie beispielsweise die Frage nach Handlungsautonomie und politischer Verantwortung, zu verweisen. Zugleich wird hieran ersichtlich, dass die Erschütterungen, die das abendländische Subjektmodell im 20. Jahrhundert erfährt, keine neuen Systeme des Selbst hervorzubringen vermochten bzw. ein solches systemisches Denken auch im Zuge der Kritik an den „großen Erzählungen“ (Lyotard) der Moderne programmatische Ablehnung erfuhr. Aus diesem ,Vakuum‘ an Bezugssystemen bzw. aus dieser ,Bruchstückartigkeit des Selbst‘ im auslaufenden 20. und beginnenden 21. Jahrhundert erfolgt, so wird verdeutlicht werden, im Rahmen künstlerischer Selbstverletzung der Rückgriff auf das aufklärerische Konzept des ,starken Subjekts‘. Dieser Rückgriff muss jedoch immer ein solcher aus der Gegenwart, d.h. einer, dem die Subjektkritik des 20. Jahrhunderts bereits inhärent ist, und folglich ein Verharren zwischen den Modellen bleiben. Ein Umstand, der insbesondere in der Betonung der Krisenhaftigkeit dieses dualistischen Selbst trotz Affirmation desselben abzulesen ist. Denn indem sich das reaffirmierte dualistische Konzept des ,starken Subjekts‘ gerade aus der Krise, aus dem Leiden am Körper ,nährt‘, bleibt dieses Leiden auch im Akt der Distinktion präsent; eine Präsenz, die exemplarisch in dem künstlerischen Gestus der Selbstverletzung zu Tage tritt. Die Erhebung über die Sinnlichkeit muss daher sowohl in der Ästhetik des Erhabenen als auch in der selbst verletzenden Body Art zugleich immer auch ihr Scheitern und folglich
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ihre unauflösbare Dialektik illustrieren – die Selbstversicherung der eigenen Freiheit kann letztlich stets nur ex negativo erfolgen.3 Die Selbsterhebung des Subjekts birgt somit aufgrund seiner Körpergebundenheit immer zugleich den Schmerz des drohenden Selbstverlustes. Die folgende Studie gliedert sich in zwei Hauptabschnitte, einen vorangestellten Theorieteil sowie einen angewandten Forschungsteil. Dabei gilt es zunächst in der Analyse des kantschen Erhabenen vor allem dessen Dynamik der Beherrschung bzw. Überwindung des Körpers zwecks Erhöhung des Subjekts und Demonstration des freien Willens herauszuarbeiten. Hierfür wird insbesondere die für das Erhabene charakteristische Gefühlsdichotomie der negativen Lust analysiert, da sich in diesem widersprüchlichen Gefühl die dichotomen Vermögen des Subjekts widerspiegeln. Neben der textnahen Lektüre der Kritik der Urteilskraft werden auch andere für die Fragestellung relevante Schriften Kants herangezogen. Die kantsche Konzeption des dynamisch-Erhabenen wird schließlich durch Schillers Auseinandersetzung ergänzt. Indem Schiller das Erhabene in seine Tragödientheorie integriert, gelingt ihm nicht nur dessen Überführung in die Kunst, sondern auch der Übergang von dem vorwiegend wahrnehmungsästhetischen Ansatz Kants hin zur Idee einer erhabenen Handlung. Dem Anspruch geschuldet, dass mit der Bezugsetzung der Ästhetik des dynamisch-Erhabenen zu zeitgenössischer Body Art auch eine erweiterte Sicht auf Erstere einhergehen soll, dient die Beschäftigung mit Kants und Schillers Schriften nicht nur dazu, ein theoretisches ,Rüstzeug‘ für die nachfolgende Analyse zu eröffnen, sondern zugleich auch als textanalytische Relektüre derselben; ein Umstand, der zu einem nahezu identen Umfang von Theorieteil und angewandtem Teil geführt hat. Der zweite Abschnitt der Studie setzt sich mit der Interpretation selbst verletzender Körperkunst unter dem Gesichtspunkt erhabenen Handelns auseinander. Anhand zweier ausgewählter Künstler/-innen, VALIE EXPORT und Stelarc, deren Ansätze beispielhaft verschiedenen Strömungen innerhalb der
3
Wenn Žižek mit Blick auf das mathematisch-Erhabene in Abgrenzung zur metaphysischen Schwärmerei feststellt: „Die Schwärmerei ist ein Wahnsinn, ein wahnsinniges Beharren darauf, dass man das Übersinnliche, das Ding, unmittelbar sehen kann, während der Enthusiasmus, den ein erhabener Gegenstand entfacht, ein Beispiel negativer Lust ist, in ihm ist das Ding auf negative Weise dargestellt“, so gilt dies gleichermaßen für die Demonstration von Freiheit im dynamisch-Erhabenen. Auch hier kann die Idee des Unbedingten in dem Scheitern der Physis lediglich eine Negativdarstellung erfahren. (Žižek [2008], S. 145).
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Body Art zuzuordnen sind, werden die Analogien zur Ästhetik des Erhabenen aufgezeigt. Dabei gilt es vorweg zu betonen, dass sich die folgende Auseinandersetzung nicht nur als Studie zu EXPORT bzw. Stelarc versteht, sondern dass deren Arbeiten in erster Linie exemplarisch herangezogen werden, um sich dem Phänomen der selbst verletzenden Body Art als Ganzem anzunähern. Insofern wird auch im Ausblick der Studie eine mögliche Anwendung des herausgearbeiteten Modells auf andere Protagonisten und Protagonistinnen dieser Kunstrichtung skizziert. Der eigentlichen Analyse vorausgehend, wird im Anschluss eine knappe Positionierung des Forschungsansatzes innerhalb der philosophischwissenschaftlichen Beschäftigung mit der Ästhetik des Erhabenen erfolgen, um darüber zugleich die Aktualität sowie Relevanz der mit diesem Ansatz einhergehenden Fragestellungen zu verdeutlichen. Hierfür gilt es die wesentlichen Tendenzen in der Beschäftigung mit dem Erhabenen aufzuzeigen bzw. die richtungsweisenden Positionen innerhalb dessen philosophischer Wiederentdeckung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts vorzustellen. Dabei wird an dieser Stelle davon Abstand genommen, die umfassenden wissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit Kants respektive Schillers Konzeption des Erhabenen anhand einzelner Texte im Detail zu erörtern. Wo diese Auseinandersetzungen für die vorliegende Arbeit entweder als Vorarbeiten oder aber als Kontrapunkte von Relevanz sind, wird in der anschließenden Analyse selbst, im Rahmen welcher die unterschiedlichen Ansätze in ihrer Differenz respektive Konvergenz konkret zu erläutern sind, auf sie Bezug genommen.
2. Die Renaissance des Erhabenen im ausgehenden 20. Jahrhundert – Positionierung des Forschungsansatzes
Schien in der Moderne die Idee des Erhabenen zunächst aus der Kunst verschwunden – Hegel bezeichnet dessen ,Erscheinung‘ als unmöglich, da sie das Angesicht der Götter voraussetze, was dem modernen Bewusstsein widerspräche, und Nietzsche nennt es schlichtweg überholt –, so erfährt die Ästhetik des Erhabenen seit Mitte der 1980er Jahre, ausgehend von dem französischen Ästhetikdiskurs rund um Lyotard, eine unerwartete Renaissance. Man bedarf dieser „große[n] Entdeckung des späten 18. Jahrhunderts“1 nicht nur, um die Kunst der Moderne retrospektiv zu charakterisieren, auch die Ästhetiker der Postmoderne beziehen sich ausdrücklich auf Kants Analytik des Erhabenen, um die Kunst ihrer Zeit zu erschließen. So stellt Lyotard mit Hinblick auf avantgardistische Malerei fest, es sei für eine Beschäftigung mit dieser „unerläßlich, auf die Analytik des Erhabenen der Kritik der Urteilskraft von Kant zurückzugehen“2. Ausgehend von diesem lyotardschen Diktum, kommt es im Zuge der (Wieder-)Entdeckung des Erhabenen in der Analyse zeitgenössischer Malerei3 zu dessen Bezugsetzung zur Literatur4, zur Musik5 sowie zu einer umfangreichen Bearbeitung dieser ästhetischen Idee im Bereich der Philosophie6.
1
Assmann (2007), S. 167.
2
Lyotard (2006a), S. 157.
3
Vgl. Lyotard (2001; erstmals 1984); Imdhal (1989); Bashoff (2001); Kania (2006).
4
Z.B. Homann (1977); Giordani (2004); Vierle (2004); Hoffmann (2006); Marot
5
Z.B. Nicklaus (1989); Caduff (2002).
(2007); Brittnacher (2010). 6
Z.B. Nancy/Deguy (1988); Böhme H. (1989); Crowther (1989); Sollbach (1996); Assmann (2007); Pöpperl (2008) u.a. Angesichts dieser vielfältigen Bezugsetzung
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Im Rahmen dieser Wiederentdeckung schwankt die Auseinandersetzung mit dem kantschen Konzept zwischen überschwänglicher Vereinnahmung, welche gerade das Gefühl des Erhabenen als „Gefühl unserer Zeit“ versteht7, und oft vereinfachender Diabolisierung, indem dieses mit Faschismus und Terror gleichgesetzt wird. Dahingehend stellen etwa Pries und Welsch fest: „Im Duktus des Metaphysisch-Erhabenen wird Terror ersehnt, betrieben und legitimiert.“8 Diese Aufspaltung in der Auseinandersetzung geht meist mit einer scharfen Trennung von mathematisch- und dynamisch-Erhabenem einher, welche der Aufteilung in Kants Kritik der Urteilskraft folgt. Während das mathematischErhabene, welches in dem Kontext von räumlicher Überdimensionalität und Formlosigkeit anzusiedeln ist, allen voran durch Lyotard postmoderne ,Legitimierung‘ erfährt, scheint das dynamisch-Erhabene aufgrund seiner dualistisch-metaphysischen Auseinandersetzung mit Macht, die ein hierarchisches Verhältnis von Sinnlichkeit und Vernunft impliziert, „hochproblematisch“ und daher mitunter denselben Theoretiker/-innen für eine zeitgenössische Aktualisierung weniger „annehmbar und fruchtbar“9. Mit dieser systematischen Exklusion des dynamisch-Erhabenen wendet man sich gezielt gegen eine Lesart, die im 19. Jahrhundert in der Nachfolge Kants und Schillers (v.a. Schopenhauer [1819]; Vischer [1837], [1846]) gerade dieses ins Zentrum der Auseinandersetzung stellte, dabei jedoch in metaphysischer Euphorie10 die Gebundenheit der Vernunft an die Sinnlichkeit und folglich die Paradoxie des Erhabenen, welchem immer auch die Präsenz der aufgeopferten, zugleich aber letztlich nicht zu überwindenden Sinnlichkeit inhärent bleibt, aus den Augen verloren hatte. In einer solchen Lesart, so wurde zu Recht kritisiert, liegt die Gefahr transzendenter Macht- und Herrschaftsphantasien des sich apotheotisch stilisierenden Vernunftsubjektes, welche folgerichtig in der – wenn auch meist impliziten – Vereinnahmung erhabener Ästhetik durch den Faschismus bzw. allgemein durch totalitäre Systeme mündete. Gegen diese Entwicklung richtete sich nach dem zweiten Weltkrieg eine Auseinandersetzung mit dem Erhabenen, welche gerade – den Faschismus vor Augen – die sich darin aktualisierende metaphysische Selbstverherrlichung des
des Erhabenen fällt auf, dass eine Zusammenführung mit darstellender Kunst bzw. mit Performance Art bislang weitgehend ausgeblieben ist. 7
Pries (1995), S. 24.
8
Pries/Welsch (1988), S. 66f.
9
Pries (1995), S. 56.
10
Lyotard wählt hierfür die treffende Bezeichnung eines mithilfe des Erhabenen autorisierten „Delirium[s] des Absoluten“ (Lyotard [1994], S. 170).
P OSITIONIERUNG DES F ORSCHUNGSANSATZES
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Subjekts kritisierte. Statt folglich eine solche Tradition fortzusetzen, versuchte man sich stattdessen in einer „Rehabilitierung“11 dieses ästhetischen Gefühls sowie in dessen Kontextualisierung mit moderner Kunst. Als zentraler Vertreter dieser frühen kritischen Lesart ist insbesondere Adorno zu nennen, welcher in seiner Ästhetische[n] Theorie (1970)12 das Erhabene entgegen der kantschen Version gerade als potenzielle Subversion des herrschaftlichen Subjekts begreift, und zwar insofern als sich seinem Verständnis nach gerade in diesem das „Selbstbewusstsein des Menschen von seiner Naturhaftigkeit“13 enthülle. Er vertritt folglich eine Konzeption des Erhabenen, welche bewusst mit dessen Konnotation zu Heroismus, Superiorität sowie Macht bricht und dabei „das Nachhaltige, welches die Idee des Erhabenen wollte, umkehren“ 14 versucht. Zeugte „Kants bürgerlich Erhabenes“15 von der „Größe des Menschen als eines Geistigen und Naturbezwingenden“16, so mündet in Adornos oppositioneller
11 12
Welsch (1989), S. 187. Spielt das Erhabene in Adornos Ästhetische[r] Theorie ausgewiesenermaßen auch lediglich eine implizite Rolle, so vertreten Theoretiker/-innen wie etwa Wolfgang Welsch (1989) oder Peña Aguado (1994) die Auffassung, dass das Erhabene gerade aufgrund seiner herrschafts- und subjektkritischen Funktion für diese geradezu zentral sei, ja, dass Adornos Text gar eine „implizite Ästhetik des Erhabenen“ darstelle, in der das Schöne „seiner ganzen Struktur nach bloß noch ein Deckname für das Erhabene“ wäre. (Welsch [1989], S. 190) So Welsch: „In Wahrheit ist die Erschütterung, die für das Subjekt einst stellvertretend vom Erhabenen der Natur ausging, inzwischen zum Nerv aller Kunst geworden. Das Erhabene bildet den Kern und Code der modernen Kunst.“ (ebd.) Demgegenüber versucht insbesondere Albrecht Wellmer aufzuzeigen, dass die Kategorie des Erhabenen bei Adorno lediglich eine zentrale Stelle innerhalb seiner versöhnungsphilosophischen Konstruktion der Kunst einnehme. Es bezeichne eine „Möglichkeitsbedingung dessen […], was in der modernen Kunst noch Schönheit genannt werden mag; es wird zum Konstituens des Kunstschönen.“ (Wellmer [1991], S. 47) Peter Zima versucht einen Kompromiss zwischen beiden Positionen, indem er das Erhabene zwar als Aspekt des Schönen annimmt, jedoch nicht des Schönen im kantschen Sinne, sondern der Konzeption eines Negativ-Schönen, welche er insbesondere über Adornos Valéry- und Mallarmé-Rezeption herleitet. (vgl. Zima [2005]).
13
Adorno (1970), S. 295.
14
Ebd., S. 296.
15
Adorno (1998), S. 237.
16
Adorno (1970), S. 295.
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Lesart die Konfrontation mit der „Entfesselung des Elementarischen“17 gerade im „Eingedenken der Natur im Subjekt“18 und damit in der Abkehr von Superioritätsstreben und dualistischem Herrschaftsdenken: „Vor dem Erhabenen ist das Subjekt bereit, sich mit der Natur zu versöhnen“19. Wird nämlich der „Geist selbst auf sein naturhaftes Maß gebracht, so ist in ihm die Vernichtung des Individuums nicht länger positiv aufgehoben.“20 Statt also jener „Hybris des zum Absoluten sich aufspreizenden Geistes“21 rücke gerade die Aufgabe derselben zugunsten der Idee einer Versöhnung von Körper und Geist und damit einer „Rückkehr von Natur“22 ins Zentrum der Erfahrung. Neben Adornos Beschäftigung mit dem Erhabenen setzte sich bereits in den 1960er Jahren Wilhelm Weischedel (Weischedel [1960]) mit jener ästhetischen Kategorie kritisch auseinander, indem er ein Festhalten an dieser proklamierte, jedoch lediglich sofern deren Endlichkeitsbezug in den Vordergrund rücke. Beide Konzepte implizieren damit eine von Kants Analytik beträchtlich abweichende Neukonzeption des Erhabenen, indem sie dem Gefühlskonglomerat aus Unlust und Lust zugunsten Ersterer eine neue Gewichtung verleihen sowie die Qualität der beiden ästhetischen Gefühle in einer grundlegend anderen und eigenständigen Weise interpretieren. Ist Adornos Lesart des Erhabenen gewissermaßen charakteristisch für die Spätmoderne, so entdeckt Lyotard dieses, nachdem es zwischenzeitlich nahezu in Vergessenheit geraten war, für die Postmoderne neu. Hierbei greift er anders als Adorno explizit auf Kants Kritik der Urteilskraft zurück, um anhand dieser seine Beschäftigung mit dem Erhabenen zu profilieren. Oszillierte Adornos Auseinandersetzung noch zwischen Subjektkritik und Verteidigung desselben, so vollzieht Lyotard einen radikalen Bruch mit dem abendländischen Subjektbegriff, der sich exemplarisch in dessen Konzeption des mathematischErhabenen widerspiegelt. Dabei wendet er sich dieser ästhetischen Kategorie insbesondere unter dem Gesichtspunkt einer Darstellungsproblematik zu, worin
17
Ebd., S. 292.
18
Wellmer (1991), S. 54. So resümiert Wellmer: „Was bei Kant als intelligible Sphäre der Naturverfallenheit der empirischen Einzelwesen entzogen bleibt, enthüllt sich als selber naturverfallen. […] Die Erfahrung der Hinfälligkeit des empirischen Subjekts, der Überforderung seiner Vermögen, wird jetzt zur Erfahrung der Hinfälligkeit des intelligiblen Subjekts selbst.“ (ebd., S. 49).
19
Zima (2005), S. 122.
20
Adorno (1970), S. 295.
21
Ebd., S. 112.
22
Ebd., S. 293.
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| 21
er das Grundanliegen avantgardistischer Kunst ausmacht. Im Gegensatz zu Kant versteht er das Undarstellbare nicht ausschließlich als eine Idee der Vernunft, sondern als das Ereignis des Seins, il arrive, wodurch es seinen Bezug zur Transzendenz verliert und stattdessen als das newmansche „hier und jetzt“ – als Präsenz, die das Denken übersteigt, indem sie außerhalb dessen Raum-ZeitKonstituierung liegt – verstanden wird. Das newmansche „now“ ist demnach das, „was das Bewusstsein außer Fassung bringt, es destituiert, was ihm nicht zu denken gelingt und was es vergißt, um sich selbst zu konstituieren.“23 Statt einer Bestätigung der Willens- bzw. Vernunftpotenz basiert Lyotards Auffassung des Erhabenen somit wie letztlich auch bei Adorno auf der Aufhebung der souveränen Selbsttätigkeit des Subjekts, im Rahmen derer Wille und Vernunft außer Kraft gesetzt werden: „Durch die erhabene Kunst der Avantgarde wird die hybride Spontaneität des autonomen Subjekts in einer asketischen ,Not‘ des Geistes entmachtet.“24 Die Folge davon sei keine Affirmation des Subjekts respektive des Denkens, sondern vielmehr deren „Entäußerung“25. In der Nachfolge Lyotards setzen Theoretiker/-innen wie Christine Pries oder Wolfgang Welsch dessen Lesart des Erhabenen, welche sie für den deutschsprachigen Raum erschließen, fort, indem sie die bei Kant angelegte Hierarchisierung von Sinnlichkeit und Intelligiblem weiter abzuschwächen versuchen. Hierfür lassen sie zum einen ebenso wie Adorno und Lyotard dem Gefühl der Unlust innerhalb der von Kant beschriebenen negativen Lust eine größere Gewichtung als dem Anteil der Lust zukommen, zum anderen versuchen sie die Einbildungskraft als sinnliches Vermögen in ihrem Konflikt mit der Vernunft ,aufzuwerten‘: „Die Vernunft nähme dann nicht (zumindest nicht uneingeschränkt) die Rolle eines allgegenwärtigen und prädominanten ,Supervermögens‘ ein, sondern beide Vermögen würden ,nebeneinander‘, ,zugleich‘ gedacht.“26 In diesem Sinne ist es häufiges Anliegen zeitgenössischer
23
Lyotard (2006), S. 108. Lyotard rekurriert hierbei auf einen Subjekt- bzw. Bewusstseinsbegriff, der sich wesentlich über eine einheitliche Erkenntniskonstituierung definiert. Gerade bei dieser Erkenntnisvoraussetzung des einheitlichen Bewusstseins, welche Kant durch die Annahme der transzendentalen Apperzeption gewährleistet sieht, setzt Lyotard an, um den abendländischen Subjektbegriff zu kritisieren, indem er die Unvereinheitlichbarkeit der einzelnen Erkenntnisvermögen aufzuzeigen versucht.
24
Barone (2004), S. 14.
25
Lyotard (2006), S. 108.
26
Pries (1995), S. 70. Auch wenn Pries wiederholt die konstitutive Funktion der Sinnlichkeit in der Dynamik des Erhabenen hervorhebt, um deren ,Aufwertung‘
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Auseinandersetzungen mit dem Erhabenen, dieses von dem moralischen Gefühl der Achtung, und damit dem genuinen ,Herrschaftsgebiet‘ der Vernunft, abzugrenzen (vgl. auch Park [2009]). Gerade Pries verfällt jedoch bei dem Versuch, gegen die metaphysische Deutung des Erhabenen „deutlich Stellung zu beziehen“, damit auch „heute noch positiv vom Erhabenen die Rede sein könne“27, allzu leicht selbst moralischer Dogmatik. Ihr Streben, das Erhabene von Kants dualistischer Moral- sowie Subjektkonzeption und deren sinnenfeindlichen Zügen abzugrenzen, weist, wenn auch durchaus in Bezug auf die Differenzierung vom moralischen Gefühl gelungen, gewisse Tendenzen einer ideologischen ,Zensur‘ auf, indem diejenigen Aspekte, welche ihr nicht zeitkonform, d.h. nicht politisch bzw. ethisch korrekt, erscheinen, programmatisch ausgespart werden. 28 Wurde auch in der direkten Nachfolge Kants und Schillers der Superioritätssowie Unendlichkeitsbezug des Erhabenen ins Zentrum des Interesses an diesem gestellt, dabei jedoch zugleich sein kritisches Potenzial unterschlagen, so lässt sich umgekehrt sowohl in der spätmodernen als auch in der postmodernen29
geltend zu machen, so wird im Folgenden aufzuzeigen sein, dass das Interesse der Sinnlichkeit nicht als solches notwendig ist, sondern lediglich als Widerstand, um anhand dessen die Unabhängigkeit von diesem fühlbar zu machen. Zwar bleibt die Unlust somit auch in der Lust erhalten und diese dadurch ein gemischtes Gefühl, jedoch nicht als Bewahrung, sondern als ,unvergessliche‘ Aufopferung der Sinnlichkeit. 27
Ebd., S. 63.
28
Darüber hinaus ist auch ihre diesbezügliche Argumentation, dass die Vernunft lediglich in dem dynamisch-Erhabenen Gewalt auf die Einbildungskraft und damit die Sinnlichkeit ausübe, im mathematisch-Erhabenen jedoch das Handeln der Einbildungskraft freiwillig und somit ,unproblematischer‘ sei, textanalytisch nicht haltbar. Vielmehr lassen sich für beide Formen des Erhabenen Textstellen finden, die auf die Gewalttätigkeit der Vernunftforderung, Ideen darzustellen, zugleich aber auch auf die Freiwilligkeit der Einbildungskraft bei dem Versuch, dieser Forderung dennoch gerecht zu werden, hinweisen.
29
In Lyotards Auseinandersetzung mit Kant gilt es zwischen denjenigen Schriften, welche sich in erster Linie der Analyse der kantschen Ästhetik des Erhabenen widmen, und denjenigen Texten, welche, wenn auch mit explizitem Rückgriff auf Kant, eine eigenständige Ästhetik des Erhabenen entwickeln, zu unterscheiden. Während Erstere (Lyotard [1994]) sich dezidiert mit der Lust an der Überwindung der Natur auseinandersetzen, wird in Lyotards eigener Konzeption die Lust fundamental umgedeutet (Lyotard [2006]; [2006a]). So definiert er diese nun als eine
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sowie in der zeitgenössischen Auseinandersetzung mit dieser ästhetischen Kategorie eine Tendenz der ,Säuberung‘ des kantschen Konzepts ausmachen. Dies zeigt sich, indem entweder die zweite Form des Erhabenen, das dynamischErhabene, beinahe zur Gänze aus der wissenschaftlichen Auseinandersetzung und insbesondere der Zusammenführung mit zeitgenössischer Kunst exkludiert wurde oder aber wesentliche Aspekte desselben, wie beispielsweise die aus dem Scheitern der Sinnlichkeit geborene Lust, bewusst vernachlässigt bzw. uminterpretiert wurden. Beide Auslegungen werden damit jedoch, indem sie einem der beiden beteiligten Gefühle den Vorzug einräumen, der eigentümlichen Zwiespältigkeit bzw. der Paradoxie des Erhabenen nur begrenzt gerecht. Denn so wie man die Dialektik erhabener Freiheit überging, indem man es in der Nachfolge Kants und Schillers als positiv-metaphysische Selbsterhebung bar der von Kant unhintergehbaren Unlust feierte, so tut man dies auch, wenn man ihm in der so genannten kritischen Lesart die Lust an der dualistischen Selbstunterwerfung abspricht. Die aus dem Gleichgewicht aus Lust und Unlust hervorgehende Paradoxie als solche zu erhalten und nicht voreilig in eine Richtung aufzulösen, ist Ziel der 30 vorliegenden Studie. Diese versteht sich damit als bewusst anti-moralisierend , der Überzeugung schuldend, dass die gewählten Themenfelder, sowohl die Ästhetik des Erhabenen als auch die selbst verletzende Body Art, eine solche Herangehensweise gebieten, um nicht vorschnell Phänomene in einer Weise zu beurteilen, wie sie der Komplexität des Forschungsgegenstandes lediglich begrenzt gerecht werden kann. Über die bisherigen Debatten hinaus soll daher im Folgenden aufgezeigt werden, dass die gewaltsame Überwindung der Sinnlichkeit in dem kantschen Konzept des Erhabenen keine Verleugnung erfährt, sondern dass diese vielmehr im Triumph der Selbsterhebung immer erhalten bleiben muss, weshalb das vollständige Gelingen einer solchen Erhebung auch nicht positiv, im Sinne von der Erfahrungswelt zugehörig, gedacht werden darf. Denn eine tatsächliche Überwindung der Sinnlichkeit würde zwangsläufig im
solche an der Selbstauflösung des starken Subjekts. In beiden Fällen steht jedoch das mathematisch-Erhabene im Zentrum der Auseinandersetzung. 30
Es steht außer Frage, dass einzelne Textpassagen, wie etwa die Befürwortung erhabener Ertüchtigung des Volkes durch Krieg, das dynamisch-Erhabenen, insbesondere angesichts der nationalsozialistischen Vergangenheit, problematisch erscheinen lassen. Mit der Rekonzeptualisierung dualistischer Selbstüberwindung, wie sie der vorliegenden Studie zugrunde liegt, soll dieses aus heutiger Sicht vielfach problematische Potenzial des dynamisch-Erhabenen keineswegs verharmlost werden, sondern vielmehr eine möglichst neutrale Annäherung erfahren.
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Tod enden. Dass Kant diesen paradoxen Triumph, seiner ,Nachtseiten‘ bewusst, dennoch für anstrebenswert erachtete, ist, so die einleitend angedeutete und in der Folge ausgeführte These, nicht zuletzt auf die Erfahrung respektive das Bewusstsein existenzieller Ausgesetztheit zurückzuführen. Neben diesem Fokus auf die Dialektik des Erhabenen wird der im 20. Jahrhundert auszumachenden Strategie der Exklusion des dynamisch-Erhabenen die Konzentration auf dieses sowie dessen Reaktualisierung anhand zeitgenössischer Performance Art entgegengesetzt. Hierdurch wird deutlich werden, dass das dynamisch-Erhabene nicht nur nicht im Widerspruch zur avantgardistischen Kunst des ausgehenden 20. Jahrhunderts steht, sondern dass diese, fokussiert man künstlerische Selbstverletzung, gerade von dem Festhalten an dessen dualistischer Konzeption zeugt. Dabei kann es nicht Ziel dieser Studie sein, die durch den Akt der Selbstverletzung angestrebte Freiheit des Subjekts in irgendeiner Weise zu verifizieren. Auch gilt es nicht, mögliche Handlungsalternativen bei dem Versuch, Freiheit trotz physischer Gebundenheit zu erlangen, aufzuzeigen. Fragen dieser Art spielen für die hier erörterte Themenstellung insofern keine signifikante Rolle, als hier subjektive Freiheit lediglich als regulative Idee, d.h. als Handlungsmovens, untersucht wird, nicht jedoch als mögliches Ergebnis eines Handlungsprozesses. Der Annahme folgend, dass Kants Konzeption des dynamisch-Erhabenen durch deren dualistisches Dispositionsschema wesentlich auf dessen Subjektbzw. Freiheitsphilosophie Bezug nimmt, ist im Anschluss der eigentlichen Analyse des Erhabenen eine dahingehende kultur- bzw. philosophiegeschichtliche Einleitung vorangestellt.
3. Das Erhabene als Ästhetik des Subjekts „Aus der Verwüstung des Lebens durch die Erschütterung des Nichts, in das der Mensch sich aus Freiheit geben kann, mag er gerade zu sich selbst geführt werden.“
1
In der jeweiligen Theorie zum Erhabenen ist immer zugleich ein Subjektentwurf ablesbar, da es seit Kant neben seinem attributiven Gebrauch in der Beschreibung erhabener Naturgegenstände in erster Linie auf das erlebende Ich selbst und dessen subjektive ,Beschaffenheit‘ verweist. Nicht mehr die äußere gewaltige oder grenzenlose Natur ist nach Kant erhaben, sondern lediglich der Mensch als vernunftbegabtes und auf diese Weise zur Freiheit fähiges Wesen. Für eine fundierte und umfassende Auseinandersetzung mit Kants Ästhetik des Erhabenen kommt man daher nicht umhin, diese vor dem Hintergrund seiner Subjektbzw. Freiheitsphilosophie zu führen. Denn Kants Unterteilung in mathematischund dynamisch-Erhabenes steht in unmittelbarem Zusammenhang zu den zwei elementaren Feldern, über welche das neu erstarkte Subjekt der Aufklärung seinen Freiheitsanspruch zu legitimieren versucht: Jenes der Erkenntnis, d.h. das Vorhandensein selbsttätiger Vernunft, und jenes der Freiheit, d.h. das Vorhandensein selbsttätiger praktischer Vernunft. Während das mathematisch-Erhabene die theoretische Vernunft als Vermögen, selbst das Unendliche denken zu können, entdeckt, thematisiert das dynamisch-Erhabene, welchem sich die vorliegende Studie in erster Linie widmet, die Fähigkeit der praktischen Vernunft zur autonomen Selbstbestimmung. Komplementär zu diesem Freiheitsbezug verweisen aber auch beide Formen des Erhabenen auf die letztlich unhintergehbare sinnliche Begrenztheit des Menschen, welche dessen Freiheitsanspruch immer wieder vehement unterläuft. Sieht sich das Subjekt im mathematisch-
1
Ebeling (1967), S. 34.
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Erhabenen mit Gegenständen konfrontiert, welche sein sinnliches Erkenntnisvermögen außer Kraft zu setzen drohen, so ist es im dynamisch-Erhabenen Phänomenen ausgesetzt, die seine physische Widerstandspotenz zu überwältigen vermögen. Es besteht damit in beiden Fällen, so Hartmut Böhme, die Gefahr, „die als chaotisch wahrgenommene Natur könnte unwiderstehlich in das subjektinterne Ordnungsgefüge einschlagen und dieses zum Kollaps bringen.“2 Diese Gefährdung führt im Erhabenen, wie einleitend skizziert, zur Dichotomisierung von Sinnlichkeit und Vernunft, im Rahmen derer Erstere zwecks Erhebung der Zweiten eine Aufopferung erfährt. Durch ihr ,Versprechen‘, den Bedrohungen der Natur mittels Autonomie, d.h. der Selbstgesetzgebung des Willens, Widerstand entgegensetzen zu können, stellt sich die Idee des Erhabenen somit in unmittelbaren Zusammenhang zur dualistischen Subjektkonzeption der Aufklärung. In dieser konsequenten Fortschreibung der elementaren Trennung von mundus sensibilis und mundus intelligibilis kann sie daher, vor allem innerhalb Kants Systemphilosophie, als ,Ästhetik des Subjekts‘ begriffen werden. Entsprechend dieser Annahme dient der folgende Abschnitt gewissermaßen als kultur- bzw. philosophiegeschichtliche Einleitung der anschließenden Erörterung. Dabei soll der Frage nachgegangen werden, inwieweit nicht auch die mit Descartes einsetzende Subjektphilosophie der Neuzeit und insbesondere der Aufklärung insgesamt in den Kontext einer existenziellen Krise zu stellen sei, wie sie im ästhetischen Gefühl des Erhabenen als ,Anlass‘ der nachfolgenden Forcierung des ,starken Subjekts‘ dient. Eine solche Annahme nahelegend, verweisen zahlreiche Theoretiker/-innen auf die existenzielle Angst vor dem „Haltlosen des Nichts“3 als Folge des Verlustes eines umfassenden religiösen Deutungshorizonts, welcher die Neuzeit einleitet. Dabei gilt es im Folgenden aufzuzeigen, dass bereits hier die leidvolle Faktizität des Menschen, welche sich insbesondere an der Vergänglichkeit des Körpers aktualisiert, im Zentrum dieser Angst und folglich der Besinnung auf die intelligibele Vernunft steht. Gerade das Streben, sich von der Ausgesetztheit des Körpers abzugrenzen, führt damit in der Neuzeit analog zur Dynamik des Erhabenen eine Forcierung des bereits seit Platon vorhandenen dualistischen Dispositionsschemas mit sich, innerhalb dessen Freiheit als radikale Unabhängigkeit von der Natur definiert wird.4
2
Böhme H. (1989), S. 120.
3
Ebeling (1967), S. 22.
4
Dieses dualistische Dispositionsschema fand jedoch von seiner neuzeitlichen Erstarkung an wiederholt in einzelnen Theoretikern, wie beispielsweise Spinoza, Hobbes oder Diderot, auch Widerspruch.
D AS E RHABENE ALS Ä STHETIK DES S UBJEKTS
3.1 F REIHEIT
UND
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D UALISMUS „Mag er [der Mensch, R. B.] auch als endliches Wesen zugrundegehen – in seinem innersten Selbst ist er gegen allen Ansturm der Naturmächte gefeit.“
1
Die frühe Neuzeit ist gekennzeichnet durch Momente existenzieller Verunsicherung. Seien es die großen Pestwellen, die ab 1348 durch Europa wüten, die so genannte kleine Eiszeit, die von Beginn des 15. Jahrhunderts bis Mitte des 19. Jahrhunderts anhält und Hungersnöte nach sich zieht, die nachhaltig irritierenden Erkenntnisse der Wissenschaft – insbesondere die durch Copernicus angestoßene Ablösung des geozentrischen Weltbildes durch das heliozentrische sowie Giordano Brunos Entdeckung der Ausdehnung des Kosmos ins Unendliche – oder schließlich der sukzessive Verlust der metaphysischen Fundierung, welcher maßgeblich durch die das Deutungsmonopol der Kirche einschränkenden, neuen Erkenntnisse der Physik und Astronomie beeinflusst wird. Das Zusammenspiel dieser Verunsicherungen bedingt im Zuge der Neuzeit ein Gefühl der Verlassenheit und Ausgesetztheit, welches, so Hans Blumenberg, in der Angst vor existenzieller Sinnlosigkeit, vor einer umfassenden Kontingenz, welche einen 2 letztgültigen Wesensgrund alles Seienden radikal in Frage stellt, kulminiert. Damit einher geht die seit dem Mittelalter zunehmend erstarkende Annahme eines Deus absconditus, eines verborgenen Gottes, als dem ,ganz Anderen‘, die den Verlust des Vertrauens auf diesen als Garanten der Schöpfungsordnung sowie auf die Gewissheit der Unsterblichkeit zur Folge hat3; eine Angst, die Pascal eindrücklich in Worte fasst:
1
Weischedel (1960), S. 340.
2
Vgl. v.a. Blumenberg (1974).
3
So auch Konhardt: „der ,verborgene‘ Gott konnte nicht mehr wie ehedem als der Erlösergott empfunden werden, so daß der Tod als Pforte zu unbekannten Gefilden betrachtet und das ,Jenseits‘ als Ort des Schreckens gefürchtet wurde.“ (Konhardt [2004], S. 77). Jan Assmann geht in seinem Aufsatz Über das Erhabene der These nach, dass diese Idee eines Deus anonymus insbesondere für Schiller den Inbegriff des Erhabenen darstelle. Dabei nimmt er in erster Linie auf dessen Essay Die Sendung Moses (1790) sowie seine Ballade Das verschleierte Bild zu Sais (1795) Bezug. So
28 | S UBJEKTERMÄCHTIGUNG UND N ATURUNTERWERFUNG „Wenn ich die Verblendung und das Elend der Menschen sehe, wenn ich das ganze stumme Weltall betrachte und den Menschen: Ohne Licht, sich selbst überlassen und verirrt in diesen Winkel des Weltalls, ohne zu wissen, wer ihn dahin gestellt hat, wozu er dahin geraten ist, was aus ihm werden wird, wenn er stirbt, unfähig jeder Erkenntnis – kommt das Entsetzen über mich, wie über einen Menschen, den man schlafend auf eine verlassene und furchtbare Insel getragen, und der erwacht, ohne zu erkennen, wo er ist, und ohne Möglichkeit, sie wieder zu verlassen. Und dann wundre ich mich, daß man nicht der Verzweiflung über einen so erbärmlichen Zustand verfällt.“
4
Sowohl in kosmologischen Konzepten der Antike als auch im mittelalterlichen Christentum hatte der Mensch einen ihm zugeordneten Platz in der Welt, sein Dasein war metaphysisch gesichert: „Über allem steht die göttliche Ordnung, sei es als Weltenlogos, sei es als Schöpfergott […]. Wie immer er sein Ende sehen mag, als tragischen Untergang oder als Übergang in eine höhere Wirklichkeit – in seinem endlichen Sein ist er sich des Grundes sicher, der ihn trägt.“5 Diese ,geborgene‘ Position innerhalb einer stabilen Gottes- bzw. Weltvorstellung wird zunehmend prekär, als die „Sicherungssysteme der Metaphysik“6 in der Neuzeit ins Schwanken geraten. Dabei schwindet nicht nur sukzessive die Annahme einer in sich kohärenten, auf den Menschen ausgerichteten Schöpfung, auch die christliche Erlösungshoffnung bzw. die unteilbare Einheit der Seele und damit deren Unsterblichkeit – wie sie, basierend auf Platons Konzeption des Menschen als zusammengesetztes Wesen aus teilbarem, d.h. sterblichem Körper und unteilbarer Seele, noch bei Descartes ebenso wie in seiner Nachfolge bei Spinoza, Leibniz, Wolff oder Mendelssohn als philosophische ,Gewissheit‘ vorlag – scheinen zunehmend zweifelhaft. Hatte bereits David Hume diese Gewissheit in Frage gestellt (Of the Immortality of the Soul (postum [1779]), so setzte ihr schließlich Kant in dem I. Paralogismus der Kritik der reinen Vernunft (1781)7 ein Ende, wobei bei beiden Philosophen die Kritik an dem angeblichen
Assmann: „Der Gedanke der All-Einen, allumfassenden, unpersönlichen Gottheit ist die höchste Herausforderung, der sich […] der menschliche Vorstellungstrieb aussetzen lässt, er bedeutet akute Todesgefahr für Geist und Seele.“ (Assmann [2007], S. 176). 4
Pascal (1937), S. 183.
5
Hirsch (1992), S. 15. Zur Parallelität des Geborgenheitsdenkens in der antiken Kosmologie sowie dem christlichen Schöpfungsgedanken und zugleich deren strukturellen Differenzen vgl. Konhardt (2004).
6
Böhme H. (1989), S. 124.
7
Kant (AA III), S. 262f.
D AS E RHABENE ALS Ä STHETIK DES S UBJEKTS
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Substanzcharakter der Seele im Zentrum stand. Kant argumentierte insbesondere dergestalt, dass man von der Annahme einer selbstbewussten Ichinstanz lediglich auf ein logisches Subjekt, nicht jedoch auf eine reale Substanz ,dahinter‘ schließen könne.8 Der sich daraus ergebenden metaphysischen Ungewissheit geschuldet, werden insbesondere die leidvolle Faktizität und der nunmehr auf seine vergänglichen Elemente reduzierte Körper zu neuzeitlichen ,Zentralproblemen‘, welche in Naturkatastrophen, verheerenden Krankheitswellen9 und Kriegen eine beständige Aktualisierung erfahren. So führt etwa Hartmut Böhme die „gewaltige[n] philosophische[n] Anstrengungen für die säkulare Selbstbegründung des menschlichen Daseins“ auf die „physische Endlichkeit und metaphysische Obdachlosigkeit des Menschen“10 zurück und verweist in Bezug auf Kant insbesondere auf die Schockerfahrung des lissabonschen Erdbebens im Jahre
8
In der Kritik der praktischen Vernunft (1788) setzt Kant jedoch schließlich jener logischen Ungewissheit der Unsterblichkeit ein sich aus dem Sittengesetz notwendig ergebendes Postulat der „moralischen Gewissheit“ entgegen: „Der Begriff der Freiheit, so fern dessen Realität durch ein apodiktisches Gesetz der praktischen Vernunft bewiesen ist, macht nun den Schlußstein von dem ganzen Gebäude der reinen, selbst der speculativen, Vernunft aus, und alle anderen Begriffe (die von Gott und Unsterblichkeit), welche, als bloße Ideen, in dieser ohne Haltung bleiben, schließen sich nun an ihn an, und bekommen mit ihm und durch ihn Bestand und objective Realität, d.i. die Möglichkeit derselben wird dadurch bewiesen, daß Freiheit wirklich ist; denn diese Idee offenbart sich durchs moralische Gesetz.“ (Kant [AA V / KpV], S. 3f.) Da die Diskrepanz von Sittlichkeit und Glückseligkeit „nur in einer Ewigkeit völlig aufgelöset werden kann“, sei somit sowohl auf ein Leben nach dem Tod als auch auf die Existenz Gottes begründet zu hoffen. (ebd., S. 124) Zudem erweist sich Unsterblichkeit als notwendige regulative Idee und als praktisches Bedürfnis bei der Durchsetzung des Sittengesetzes: „Die Unsterblichkeit der Seele ist nicht Selbstzweck oder als Belohnung zu verstehen, sondern um die Sittlichkeit im diesseitigen Dasein des Menschen zu bewerkstelligen.“ (Frankenhäuser [1991], S. 206) Der Tod wird somit zu einem Geschehen, „das es in transzendentaler Art und Weise zu übersteigen gilt.“ (ebd., S. 141).
9
Der Tod avanciert in Zeiten der Pest mehr noch als sonst zu einer kollektiven Angst, d.h. zu einem „Gefühl allgemeiner Unsicherheit“, welche die Bevölkerung einer Stadt gleichermaßen und gleichzeitig erfasst. Dadurch werden Polaritäten des Eigenen und des Fremden bzw. die Abgrenzung von Letzterem sowie Dynamiken der Schuldzuweisung aktuell. (Delumeau [1985], S. 29).
10
Böhme H. (1989), S. 125.
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1755. So Böhme: „Kants Philosophie ist in toto die Bewältigung der ungeheuren Erschütterung und Angst vor der Natur, die, ausgehend vom Erdbeben in Lissabon, als Beben des Bewußtseins durch ganz Europa liefen.“11 Dabei scheint nicht nur die Endgültigkeit des Todes, sondern vielmehr die Angst vor der Sinnlosigkeit des Nichts und der Vernichtung besonders virulent. So hebt etwa Kant als besonders schmerzlich hervor, dass der Mensch, der da glauben konnte, „Endzweck der Schöpfung“ zu sein, angesichts des nun scheinbar nur noch zweckwidrigen Skandalons Tod „gleich den übrigen Tieren der Erde unterworfen“ und in den „Schlund des zwecklosen Chaos der Materie“ 12 zurückgeworfen werde. Die Zeitweiligkeit des Menschen erscheint somit angesichts des drohenden Aufgangs ins Nichts geradezu als Affront, gegen welchen es sich im Sinne der Aufklärung selbstbestimmt, wie etwa mithilfe des medizinischen Fortschritts, zur Wehr zu setzen gelte. Die hierzu notwendige Vorstellung eines ,natürlichen Todes‘, d.h. eines in erster Linie körperlichen Geschehens und nicht mehr eines Akts Gottes, existiert seit dem 16. Jahrhundert und impliziert die Hoffnung, dem Sterben auch durch entsprechende Lebensführung entgegenwirken zu können, um diese vermeintliche ,Fehlkonstruktion‘ der Natur schließlich gänzlich zu überwinden. Eine Vorstellung, wie sie etwa bereits Descartes vertrat, und auch Kant erklärt den Tod in seinen anthropologischen Schriften rein naturwissenschaftlich als mechanische Reaktion der Lebenskraft.13 Analog zu diesen existenziellen Verunsicherungen stieg die Relevanz philosophischer Konzepte der Selbstversicherung, nicht zuletzt um das Gefühl der Ausgesetztheit zu kompensieren. So hatte gerade die „kosmologische Herausforderung“14 am Beginn der Neuzeit auch eine Neupositionierung des Menschen als autonomes Subjekt zur Folge: Gerade die metaphysische Verlassenheit birgt zugleich auch die Möglichkeit der Selbstfindung. Proportional zur metaphysischen Verlassenheit beginnt folglich eine Transformation im Selbstverständnis des Menschen vom Geschöpf zum sich selbst bestimmenden sowie sich und
11
Ebd., S. 125. Begemann spricht hierbei von einer „historische[n] Schwellenposition des Bewusstseins“ in Folge des neuzeitlichen Wandels, in der sich der Mensch seiner Unterlegenheit gegenüber der Natur und somit Selbstrelativierung zwar bewusst ist, zugleich jedoch die gänzliche Überwindung der Natur bereits andenkt. (Begemann [1987], S. 137).
12
Kant (AA V / KdU), S. 252.
13
Vgl. Frankenhäuser (1991)
14
Begemann (1987), S. 137.
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seine Wirklichkeit disponierenden Subjekt15, welche in dem umfassenden Emanzipationsprogramm der Aufklärung gipfelt. Die elementare Rolle in diesem Prozess der Selbstermächtigung wird dabei der Vernunft zugewiesen, welche fortan, als das Menschliche an sich, für die Fähigkeit zur selbstständigen Erkenntnis und zum selbstbestimmten Handeln bürgt. Zwar basieren auch dualistische Konzepte der Antike sowie des christlichen Mittelalters auf der Superiorität des Menschen gegenüber der übrigen Natur durch seine Vernunftbegabung, doch galt diese als bloße Teilhabe an der Kosmosordnung bzw. an der göttlichen Vernunft und folglich nur begrenzt als eigenständig. Erst mit der Neuzeit avanciert die menschliche Vernunft allmählich selbst zur Norm und damit zum Signum von Emanzipation und Selbstbestimmung. Dass diese Selbstfindung des Subjekts wesentlich aus der metaphysischen Krise zu Beginn der Neuzeit zu erklären ist, verdeutlicht auch Konhardt: „die Irritation des nunmehr gänzlich ,auf sich selbst gestellten‘ Subjekts durch die Persistenz der ,Übel‘ machte eine Besinnung auf die dem aus den bergenden Ordnungen der Antike und des Mittelalters herausgerissenen Menschen einzig noch verbleibende, ,eigene‘ Potentialität der ,Vernunft‘ geradezu erforderlich, zumindest aber verständlich. Denn worin sollte der ,Sinn‘ der Existenz des Menschen als eines überaus begrenzten und überdies endlichen, sterblichen Wesens bestehen, wenn nicht in der konsequenten ,Vervollkommnung‘ und ,Steigerung‘ desjenigen Potentials, das ihm als – ihn von reinen
15
Vgl. Hirsch (1991), S. 18. Für die Etablierung des Subjektbegriffs ist auch die Entdeckung der Zentralperspektive zu Beginn der Neuzeit elementar. Das Streben nach einem blickgeleiteten Durchdringen der sichtbaren Welt und nach dem daraus resultierenden umfassenden Verständnis alles Seienden wird kennzeichnend für das neuzeitliche Subjekt. Die mit der Zentralperspektive einhergehende Konstruktion eines autonomen, freistehenden Charakters sollte als „Beweis […] für die reale Existenz eines rationalen Geistes und eines alles sehenden, panoptischen Ichs gelten.“ (Hentschel [2004], S. 203) Darüber hinaus entspricht die auf einen subjektiven Betrachter ausgerichtete Perspektive, über welche sich das Subjekt die Welt respektive den Bereich des Objektiven durch Messung und Einteilung erschließen und sich derer dadurch auch versichern könne, ebenso der dualistischen Aufteilung von subjektivem Geist und objektivierbarem Körper; eine binäre Gegenüberstellung, die auch in der sich ebenfalls zu Beginn der Neuzeit entwickelnden Disziplin der Anatomie ihren Niederschlag findet.
32 | S UBJEKTERMÄCHTIGUNG UND N ATURUNTERWERFUNG Naturwesen einzig unterscheidendes – Merkmal verblieben war: des Potentials der ,Vernunft‘?“
16
Durch ihre Fähigkeit, zum gegebenen Bedingten das Unbedingte zu denken, ist die Vernunft sowohl als Teil des Erkenntnisvermögens als auch des Begehrungsvermögens dasjenige, was über die Sinnlichkeit hinaus zu ,blicken‘17 und auf diese Weise das Subjekt über seine bloße Natürlichkeit zu erheben vermag. Damit gibt Kants ,kopernikanische Wende‘ der Philosophie, d.h. die „Dynamisierung des Wissens zur produktiven Faktur“18, dem Menschen dank seiner Fähigkeit zum spontanen Denken jene Position zurück, welche ihm durch das von Copernicus initiierte Bewusstsein seiner kosmischen Bedeutungslosigkeit abhanden gekommen war. Dementsprechend lässt sich die bereits mit Descartes’
16
Konhardt (2004), S. 105. So betont Klaus Konhardt in seiner Habilitationsschrift Endlichkeit und Vernunftanspruch, dass der emanzipatorische Wandel des Vernunftverständnisses in der Neuzeit, der eine radikale Subjektivierung mit sich führt, Folge der zerbrochenen Einheit von Schöpfer und Schöpfungsordnung aufgrund der spätmittelalterlichen Überlegung sei, „daß Gott selbst in seiner unbeschränkten Machtfülle nicht an seine eigene, von ihm selbst geschaffene Ordnung gebunden sein müsse.“ (ebd., S. 75) Dies hätte eine metaphysische Krise zur Folge gehabt, in der das Vernunftsubjekt selbst „notgedrungen zum letzten Gewißheitsfundament avancierte“ (ebd., S. 82). Konhardt bezieht sich in seiner These in erster Linie auf Hans Blumenbergs Werk Säkularisierung und Selbstbehauptung, wo auch dieser die Entstehung der neuzeitlichen Subjektivität als Reflex auf die Unergründlichkeit und Fremdheit des nominalistischen Gottes und dessen potentia absoluta gedeutet hatte. (Blumenberg [1974], S. 201); vgl. darüber hinaus auch Blumenberg (1986).
17
Um das Unbedingte denken zu können, findet sich nach Kant weder ein Anlass in der Natur, da diese ausnahmslos eine Kette von Bedingungen ist, noch reicht hierzu ein rein logischer Rückschluss aus den Verstandeskategorien, da auch dadurch lediglich auf eine endlos fortsetzbare Kausalreihe geschlossen werden könne. Es handelt sich hierbei also um ein synthetisches Prinzip a priori, welches die Vernunft spontan erschließen kann. Diese Spontaneität des Erkenntnis konstituierenden Subjekts wird auch zur Voraussetzung sowie zugleich zum allgemeinen Garanten seiner Handlungsfreiheit und verweist so auf das im Gesamtwerk Kants vorherrschende „Primat der reinen praktischen Vernunft“ (Kant [AA V / KpV], S. 119).
18
Sollbach (1996), S. 42.
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anthropozentrischem Weltbild19 einsetzende Bewusstseinsphilosophie als Geschichte einer grandiosen Selbstermächtigung lesen, welche die Vernunftkräfte des Menschen über alle Triebe und naturhaften Gebundenheiten stellt und gerade in deren Überwindung die Willensfreiheit eines ganz auf sich gegründeten Menschentums festzumachen sucht. Dabei ermöglicht die Vernunft nicht nur Willensfreiheit, sondern ist nach Kants Auffassung, „als Antipode zur Endlichkeit“20, die einzig wahre Autonomie, d.h. die Fähigkeit zur Selbstgesetzgebung des vernunftbegabten Subjekts. Exkurs: Die apriorische Möglichkeit von Freiheit: Kants III. Antinomie Eine entscheidende Auseinandersetzung für das grundsätzliche Verständnis von Kants Freiheits- und Dualitätsprinzip findet sich in der Kritik der reinen Vernunft, und zwar in der III. Antinomie der transzendentalen Dialektik, die sich mit der Möglichkeit von Freiheit befasst. Kant geht hierbei der Frage nach, ob man unbedingte Kausalität, d.h. ein Vermögen, eine Handlung von selbst anzufangen, annehmen dürfe oder ob alles lediglich nach Gesetzen der Natur geschehe und daher bloß mechanisch sei. Die Frage ist insofern für Kant besonders relevant, als ein ,Beweis‘ absoluter Spontaneität auch die Schlussfolgerung erlauben würde, dass der Mensch als intelligibeles Wesen zu freien Handlungen fähig sei. Umgekehrt jedoch würde die: „Aufhebung der transscendentalen Freiheit zugleich alle praktische Freiheit vertilgen. Denn diese setzt voraus, daß, obgleich etwas nicht geschehen ist, es doch habe geschehen sollen, und seine Ursache in der Erscheinung also nicht so bestimmend war, daß nicht in unserer Willkür eine Causalität liege, unabhängig von jenen Naturursachen und selbst wider ihre Gewalt und Einfluß etwas hervorzubringen, was in der Zeitordnung nach empirischen Gesetzen bestimmt ist, mithin eine Reihe von Begebenheiten ganz von selbst anzufangen.“
21
Zugleich steht jedoch durch die Annahme absoluter Spontaneität die Natur selbst, als Zusammenhang aller Erscheinungen und deren Gesetzmäßigkeiten,
19
Descartes’ cogito postuliert ein reines Ich, das in einem dekonstruktiven Prozess alles außerhalb seiner Selbstevidenz, darunter auch seine Körperlichkeit, in Zweifel zieht.
20
Konhardt (2004), S. 25.
21
Kant (AA III), S. 364.
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auf dem Spiel. Die Möglichkeit einer ersten Ursache und vor allem das Vorhandensein absoluter Spontaneität in der Welt scheinen durchgängig zusammenhängende Erfahrungen zu torpedieren. Kant kommt letztlich zu dem Schluss, dass beide Positionen berechtigt seien, und zwar insofern als sie auf verschiedene Vermögen Bezug nehmen und daher nicht disjunktiv gedacht werden dürfen: Die Idee unbedingter Freiheit ist in der spekulativen Vernunft anzusiedeln und kann durch keine Anschauung ,begriffen‘ werden, jene der Bedingtheit jeglicher Erscheinung basiert hingegen auf der Verstandeserkenntnis bzw. diese setzt eine ununterbrochene Kette von Ursachen voraus. Diese Möglichkeit, beide Thesen nebeneinander bestehen zu lassen, basiert auf Kants grundsätzlicher Unterscheidung zwischen Dingen an sich und bloßen Erscheinungen. Denn „sind Erscheinungen Dinge an sich selbst, so ist Freiheit nicht zu retten“22, da dies ansonsten bedeuten würde, die „unwandelbaren Naturgesetze“23 aufzugeben. Eine Unterscheidung von Erscheinung und Ding an sich ermöglicht jedoch, die Naturgesetze für die Sinnenwelt der Erscheinung beizubehalten, wohingegen die Dinge an sich, als „intelligibele Ursache“24 hinter den Erscheinungen, von deren Gesetzen unabhängig gedacht werden können, obwohl sie dennoch, als deren Ursache, Einfluss auf diese hätten. So Kant: „Sie [die intelligibele Ursache, R. B.] ist also samt ihrer Causalität außer der Reihe; dagegen ihre Wirkungen in der Reihe der empirischen Bedingungen angetroffen werden.“25 Die Wirkung in der Erscheinungswelt wäre demnach beides: „in Ansehung ihrer intelligibelen Ursache als frei, und doch zugleich in Ansehung der Erscheinungen als Erfolg aus denselben nach der Nothwendigkeit der Natur“26 anzusehen. Demzufolge kann auch die Kausalität des Menschen, der ein sinnliches, jedoch zugleich dank seiner Vernunft auch ein intelligibeles Wesen ist27, von zwei Seiten betrachtet werden: „als intelligibel nach ihrer Handlung, als ein Ding an sich selbst, und als sensibel, nach den Wirkungen derselben, als einer Erscheinung in der Sinnenwelt.“28 Damit ist das Subjekt zugleich beides: Als Sinnen-
22
Ebd., S. 365.
23
Ebd., S. 365.
24
Ebd., S. 365.
25
Ebd., S. 365.
26
Ebd., S. 365.
27
Obwohl die Annahme eines transzendentalen Subjekts für Kants Freiheitsbegriff unabdingbar ist, bleibt dieses, als bloß regulative Idee der Vernunft, ein theoretisch „leerer Begriff“ (Kant [AA V / KpV], S. 56).
28
Kant (AA III), S. 366.
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wesen, d.h. in erster Linie durch seine Physis, den Gesetzen der empirischen Kausalbedingungen unterworfen, durch seinen „intelligibelen Charakter“29 in seinen Handlungen jedoch unabhängig und frei von diesen. Daraus folgert Kant, dass auch jede Handlung des Menschen sowohl empirisch „vorher bestimmt, ehe noch als sie geschieht“ als auch „unmittelbare Wirkung des intelligibelen Charakters der reinen Vernunft“30 und mithin frei sei. Wäre der Mensch lediglich Teil der Sinnenwelt, so würden seine Handlungen „gänzlich dem Naturgesetz der Begierden und Neigungen, mithin der Heteronomie der Natur gemäß genommen werden müssen“31, aber als Vernunftwesen hat der Mensch die Möglichkeit, seine Handlungen unabhängig von dem Mechanismus der Naturkausalität, d.h. „unabhängig von der Nöthigung durch sinnliche Antriebe“32, von selbst zu bestimmen. Der Widerstreit zwischen Natur und Freiheit kann mit diesem Ergebnis, dass Natur und Freiheit gleichzeitig in einer Handlung wirken können, beigelegt werden. Kants Freiheitsantinomie ist nicht zuletzt deshalb in Bezug auf das Erhabene besonders interessant, da beiden Entwürfen eine analoge Struktur des unauflösbaren Widerspruchs zwischen Sinnlichkeit und Freiheit inhärent ist.33 Dieser Analogie gemäß erlangen im Erhabenen die Unterscheidung von Ding an sich und Erscheinung sowie die darauf aufbauende Idee des Unbedingten gefühlte Evidenz.
Eine solchermaßen anthropologisch verstandene Freiheit ist in der kantschen Philosophie nicht mehr ausschließlich als institutionelles Recht zu verstehen, sondern meint vielmehr die Möglichkeit des Menschen, sich durch seine Vernunftbegabung selbst zu bestimmen.34 Als solche auch synonym mit Willensfreiheit, welche grundsätzlich als Fähigkeit zur Spontaneität verstanden werden kann, ist Freiheit konstitutiv für unser humanes Selbstverständnis, das sich in der
29
Ebd., S. 367.
30
Ebd., S. 374.
31
Kant (AA IV / Grundlegung zur Metaphysik der Sitten), S. 453.
32
Kant (AA III), S. 364.
33
Demzufolge vertritt Christine Pries die These, das Erhabene, „als Gefühl des Widerstreits“, bilde auch den Widerstreit der ersten Kritik gefühlsmäßig ab. (Pries [1995], S. 156).
34
Birgit Recki weist darauf hin, dass der Autonomiebegriff erst durch seine ethische Verwendung eine „philosophische Kontur“ bekommt, wodurch Kant „als der Begründer des Autonomie-Denkens zu gelten“ habe. (Recki [1988], S. 80).
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Vorstellung eines verantwortlichen, disziplinierten und vernünftigen Selbst konkretisiert. Ohne auf eine metaphysische Sicherheit zurückgreifen zu können bzw. zu wollen, entwerfen Theoretiker wie Kant somit das Bild eines gänzlich auf sich allein gestellten Wesens Mensch, das sich „keinem Einflusse der Natur unterworfen halten darf“35. Es liegt auf der Hand, dass ein solches Subjekt, welches sich in nahezu ausschließlicher Weise über seine transzendentale Bestimmung zu definieren sucht, sein Freiheitsstreben in Opposition zu der fundamental gebundenen Sinnlichkeit erfahren muss. Der Körper, als Teil der mechanischen Gesetzen gehorchenden und somit determinierten Natur, avanciert damit im Zuge der Aufklärung zur vordersten Bedrohung subjektiver Autonomie. Ihn zu beherrschen, um auf diese Weise die von ihm ausgehende Gefahr zu minimieren, wird fortan programmatisches Ziel. Dahingehend macht Kants Feststellung, „Freiheit im praktischen Verstande ist die Unabhängigkeit der Willkür von der Nöthigung durch Antriebe der Sinnlichkeit“36, deutlich, dass seine Freiheitsphilosophie auf ein hierarchisch-dualistisch gedachtes Verhältnis von Geist und Körper rekurriert. Im Rahmen dessen zeichnet sich die menschliche Vernunft gerade dadurch aus, dass sie sich zu den naturhaften, kreatürlichen Bedingungen, wenn nötig auch mit Gewalt, in Distanz zu setzen vermag: „Freiheit wird so per definitionem zum Vermögen, Natur negieren zu können, ihr nicht anzugehören, ihr nicht unterworfen zu sein; sie wird, im genauen Sinne des dichotomischen Schemas, zum Nicht (oder ,Anderen‘) der Natur.“37 Im Zuge dessen wird in der Aufklärung dem eben erst erstarkten Subjekt die ungeistige, triebhafte, irrationale Natur des Menschen als das ,Andere der Vernunft‘ programmatisch entgegengesetzt und sukzessive unterworfen.38 Denn die aufklärerische Strategie, um „von den Menschen die Furcht zu nehmen und sie als Herren einzusetzen“39, ist bekanntlich die Entdeckung des Körpers als steuer- und beherrschbare Maschine; die „absolute Autonomie des Willens wäre soviel wie absolute Herrschaft über die innere
35
Kant (AA V / KdU), S. 435.
36
Kant (AA III), S. 363.
37
Riedel (2007), S. 61.
38
Rudolf zur Lippe prägt dahingehend den Begriff der „Substraktionsanthropologie“, im Rahmen derer sich das menschliche Selbstverständnis gerade in Abgrenzung zu seiner Körperlichkeit definiert. (zur Lippe [1982], S. 28).
39
Adorno/Horkheimer (2008), S. 9.
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Natur“40. Der Heteronomie wird somit nur entgegengewirkt, indem sich diese in Form von Selbstkontrolle und Selbstgestaltung ins Subjekt verlagert. Damit zeichnet sich jedoch eine Dynamik ab, innerhalb derer sich die bereits seit der Antike hierarchisch gedachte Binarität von Geist und Körper zunehmend radikalisiert. Denn indem die Überwindung der Sinnlichkeit zu einem konstitutiven Moment der Selbstvergewisserung als autonomes Wesen avanciert, impliziert eine solche Freiheit ihrem Begriff nach Tendenzen der Selbstverletzung bzw. der Selbstaufopferung. Im gleichen Maße nämlich wie der Körper als Gefahr für den autonomen Willen wahrgenommen wird, gerät er auch zum ,Kampfplatz‘, auf welchem das Subjekt seine Unabhängigkeit von diesem unter Beweis zu stellen strebt. Freiheit, zumindest im kantschen Sinne, und Dualismus scheinen somit unauflösbar miteinander verstrickt. Dabei liegt es nahe, dass die gewaltsame Unterwerfung des Körpers insbesondere dann forciert wird, wenn dessen Hinfälligkeit die Selbstbestimmung des Subjekts zu unterlaufen droht. Denn je mehr der aufklärerische Mensch dazu tendiert, Freiheit, Selbstbestimmung, ja, den ,Wert‘ seiner Menschlichkeit insgesamt lediglich an einer übersinnlich gedachten Vernunft festzumachen, desto stärker muss die „Gefangen41 schaft des physischen Lebens“ als Desavouierung seiner Independenz und folglich als zu überwindendes Übel wahrgenommen werden.42 Dabei ist es in besonderem Maße die Sterblichkeit selbst, als der „demüthigendste[n] Ausspruch, der über ein vernünftiges Wesen nur gefällt werden kann (,du bist Erde
40
Adorno (1998), S. 253. Bereits Descartes ortet als den Grund für die Achtung unserer selbst den „Gebrauch unseres freien Willens und die Herrschaft, die wir über unser Wollen haben. Denn es sind nur die Handlungen, die allein von diesem freien Willen abhängen, für die wir mit Grund gelobt oder getadelt werden können, und dieser macht uns in gewisser Weise Gott ähnlich, indem er uns zum Herrn über uns macht“ (Descartes [1996], Artikel 152, S. 239). Ein hierzu analoger Prozess ereignet sich auch hinsichtlich der äußeren Natur. Durch den Rückgang theologischer Deutungen und der damit einhergehenden Sinnzuschreibung wird jene zunehmend als feindliches, wildes Residuum, das gezähmt werden muss, wahrgenommen. So schreibt Briese auf Kants Theodizee-Verlust Bezug nehmend: „Die Natur, als widriger ontischer Bezirk, gewann eigenständige Macht und konnte als furchtbar erfahren werden.“ (Briese [1996], S. 329).
41
Schiller (1995), S. 93.
42
Dementsprechend stellt auch Begemann fest, dass die Furcht der Aufklärung „primär auf die physische, den Körper des Menschen betreffende Macht der Natur“ zurückzuführen sei. (Begemann [1987], S. 125).
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und sollst zu Erde werden‘)“43, welche als unhintergehbares Zeichen unserer Begrenztheit dem Autonomieanspruch des Subjekts diametral entgegengesetzt scheint. Denn, so Friedrich W. Graf: „In dem Maße, wie das als frei imaginierte ,moderne Subjekt‘ durch das Interesse an Selbstverfügung und Selbsterhaltung bestimmt wurde, konnte der Tod nur als Depotenzierungskatastrophe, als entmächtigende Heteronomie und Zerstörung der eigenen Subjektivität durch eine fremde Schicksalsmacht gedacht werden.“44 Auch Ebeling verweist auf den fundamentalen Gegensatz von Freiheit und Tod, wenn er feststellt: „Daran findet die Freiheit ihre entscheidende Grenze, dass sie als Freiheit geboren ist und der Tod sie überhöht.“45 Es ist somit letztlich die Angst vor Ohnmacht und Freiheitsverlust, welche der dualistischen Distanznahme vom eigenen Körper zentral zugrunde liegt. Die Distinktion von der Natur kann dabei als Versuch verstanden werden, die Souveränität des Subjekts auch – und gerade – angesichts der physischen Ausgeliefertheit, welche schließlich unweigerlich im Tod mündet, zu bewahren. Dass diese Distinktion auch eine gewaltsame sein kann, zeigt nicht nur der Extremfall des Freitodes, den Schiller ob der ihm impliziten Souveränität explizit als erhabene Handlung wertet, auch künstlerische Selbstverletzung, so wird der zweite Teil der Arbeit zeigen, lässt sich in dieser Weise verstehen. Dabei wird, von der dreiteiligen Dynamik des kantschen Erhabenen ausgehend, aufzuzeigen sein, dass künstlerische Selbstverletzung insbesondere da stattfindet, wo Künstler/-innen ihre Körper einer Fremdmacht, sei diese politisch oder existenziell, ausgesetzt sehen, von welcher ihr Wille sich durch einen ,befreienden Schnitt‘ zu distanzieren sucht. Erst dort, wo die Unsterblichkeit des Menschen als reale Möglichkeit gedacht wird, so wird die Auseinandersetzung mit Stelarc zeigen, rückt der selbst verletzende Zugriff auf die eigene Sinnlichkeit in den Hintergrund, da der posthumane, entnaturalisierte Körper der Drohung des Todes entledigt scheint. Sowohl bei der Beschäftigung mit Beispielen dieser Kunst als auch in der vorausgehenden Analyse des Erhabenen muss vor Augen gehalten werden, dass solche Versuche, die fundamentale Heteronomie der Sinnlichkeit zu überwinden, in Anbetracht „aller unserer Gebrechlichkeit“46 die Aufgabe von etwas sind, das den handelnden Individuen immer bereits verloren scheint. Gerade dieses
43
Kant (AA VII / Streit der Fakultäten), S. 99.
44
Graf (2004), S. 13.
45
Ebeling (1967), S. 8. Vgl. zum Prinzip der Selbsterhaltung im Rahmen neuzeitlicher Subjektkonstitution auch Ebeling (1996).
46
Kant (AA V / KdU), S. 273.
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Moment der scheinbaren Ausweglosigkeit kommt in der kritischen Auseinandersetzung sowohl mit dem kantschen Freiheitsbegriff47 als auch mit selbst verletzender Body Art häufig zu kurz. Ein verstärkter Fokus darauf könnte jedoch in der vom aufklärerischen Dualismus ausgehenden Gewalt statt einer bloß leibfeindlichen Hypostasierung des Subjekts die Folgen einer vorausgehenden ,Gewalterfahrung‘, in deren „Hintergrund [...] die Angst, das Entsetzen über die Fremdheit der Welt“48 lauert, erkennen. Dadurch könnte verdeutlicht werden, dass erst die Selbstwahrnehmung des Menschen als defizitär und abhängig die Evidenz eines dichotomen Willens fordert; eine Dynamik, welche es im Folgenden anhand Kants Ästhetik des Erhabenen zu veranschaulichen gilt.
47
Die Annahme einer Selbstgesetzgebung der Vernunft, welche auf der einen Seite von den deutschen Idealisten, allen voran Fichte, eine emphatische Radikalisierung erfuhr, fand auf der anderen Seite bereits unter Zeitgenossen, so etwa bei Jacobi, in ihrer Ablösung von göttlicher Heteronomie auch heftige Kritik. Diese Kritik an der scheinbaren Selbstvergottung, wenn auch bar des stattdessen eingeforderten Festhaltens an einer göttlichen Instanz, der allein absolute Freiheit zustände, findet sich auch im 20. Jahrhundert wieder, insbesondere in Adornos und Horkheimers Dialektik der Aufklärung (1947) bzw. radikalisiert in der poststrukturalistischen Subjektkritik. Dabei werden insbesondere das dualistische Herrschaftsstreben der Vernunft sowie dessen exkludierender Erkenntnisanspruch dekonstruktivistisch hinterfragt.
48
Böhme/Böhme (1985), S. 73.
4. Kants ästhetisches Programm
Kants 1790 publizierte Kritik der Urteilskraft fällt erklärtermaßen die Aufgabe zu, eine Brücke zwischen den beiden ersten Kritiken – genauer – den in ihnen behandelten Vermögen der Erkenntnis und des Begehrens zu schlagen, um damit sein „kritisches Geschäft“1 zu beenden. Hatte die Kritik der reinen Vernunft (1781) die Möglichkeiten und Grenzen des menschlichen Verstandes untersucht und die Kritik der praktischen Vernunft (1788) den Bereich von Sittlichkeit und Freiheit, so hinterließen diese beiden Felder eine „unübersehbare Kluft“2 zwischen dem sinnlichen Substrat der theoretischen Philosophie und jenem intelligibelen Substrat der praktischen, welche die III. Kritik nun schließen sollte. Das Gelingen dieser Vermittlung galt Kant insofern als entscheidend, als nur so die Einheit der Vernunft trotz ihrer unterschiedlichen Vermögen gewährleistet sei, „weil es doch am Ende nur eine und dieselbe Vernunft sein kann, die bloß in der Anwendung unterschieden sein muss“3. Dies schien Kant insbesondere deshalb unabdingbar, da ansonsten Freiheit lediglich im Übersinnlichen wirkend wäre und somit auf die Sinnenwelt keinen Einfluss nehmen könnte. Dahingegen sei es aber gerade ,Wesen‘ des Freiheitsbegriffs, „den durch seine Gesetze aufgegebenen Zweck in der Sinnenwelt wirklich [zu, R. B.] machen“ 4. Die Möglichkeit einer dafür notwendigen Überbrückung sieht Kant in der reflektierenden Urteilskraft, mit welcher sich dementsprechend die III. Kritik in erster Linie befasst.
1
Kant (AA V / KdU), S. 170.
2
Ebd., S. 175.
3
Kant (AA IV / Grundlegung zur Metaphysik der Sitten), S. 391. Inwiefern Kant diese transzendentale Einheitsfunktion in dem gemeinschaftlichen Prinzip der Zweckmäßigkeit gelungen ist bzw. ob dieser Übergang in der dritten Kritik anhand des Schönen, des Erhabenen oder der Teleologie vollzogen werden sollte, ist in der Kantforschung umstritten.
4
Kant (AA V / KdU), S. 176.
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Mit der ihr gewidmeten Kritik wird diese als drittes „obere[s] Erkenntnißvermögen“5 den beiden anderen, Verstand und Vernunft, zur Seite gestellt, wobei Kant ihr als eigenes „Herrschaftsgebiet“6 das Gefühl der Lust bzw. Unlust zuspricht. Diese Gefühle ,informieren‘ in Urteilen der reflektierenden Urteilskraft das Gemüt über seinen Zustand, sie fungieren als „innere[r] Widerhall“7 eines jeden Denkakts, als seine ,Reflexion‘. Fällt der logischen, d.h. bestimmenden Urteilskraft die Aufgabe zu, einzelne Gegenstände unter „objectiven Verstandesbegriffen bloß zu subsumiren“8, so wird dieselbe als „bloß reflectirend“ bezeichnet, wenn „nur das Besondere gegeben [ist, R. B.], wozu sie das Allgemeine finden soll“9. Dies kann nur insofern gelingen, als die reflektierende Urteilskraft über ein eigenes Prinzip a priori verfügt, welches es ermöglicht, Natur und Freiheit zusammenzudenken. Ohne dieses Prinzip könnte in der unendlichen Mannigfaltigkeit der Natur kein System gedacht werden. Als dieses gesuchte Prinzip a priori definiert Kant die Zweckmäßigkeit der Natur für das Erkenntnis- bzw. für das Begehrungsvermögen des Subjekts. Dem Vermittlungsversuch zwischen den ersten beiden Kritiken zur Folge stelle jenes „transkategoriale Kategoriensupplement“10 der Zweckmäßigkeit den systematischen Ort der Verbindung von theoretischer und praktischer Vernunft dar. Das Prinzip der Zweckmäßigkeit als solches ist zwar nur regulativ, d.h. bloß für die reflektierende Urteilskraft selbst bestimmend, es erlaubt jedoch gleichwohl die für eine Erkenntnis notwendige Annahme einer Generalität in der Besonderheit des mannigfaltigen Seins. Die Natur wird folglich dergestalt beurteilt, als ob sie zweckmäßig angelegt wäre, ohne dies jedoch dadurch objektiv tatsächlich zu sein. So resümiert Lyotard mit Blick auf Kant: Die reflektierende Urteilskraft „erfindet ihr Prinzip, die Zweckmäßigkeit, und lässt sich von ihm leiten, um die empirischen Gesetze der Natur zu entziffern.“11 Mit Blick auf das Erhabene wird in der folgenden Darlegung lediglich in
5
Kant (AA III), S. 540.
6
Ebd., S. 540.
7
Lyotard (1994), S. 20.
8
Kant (AA V / KdU), S. 288.
9
Ebd., S. 179.
10
Sollbach (1996), S. 35. Pries beschreibt die ,Brückenfunktion‘ des Prinzips der Zweckmäßigkeit wie folgt: „Der Übergang vollzieht sich […], indem im ästhetischen Urteil zur Sinnlichkeit eine Idee der Natur hinzugedacht wird, die wiederum ohne Bezug auf ein übersinnliches Substrat, das die Vernunft beisteuert, nicht verständlich ist.“ (Pries [1995], S. 81).
11
Lyotard (1994), S. 13.
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die Analytik der ästhetischen Urteilskraft, also den ersten Teil der III. Kritik, eingeführt werden. Dass auch diese Einführung lediglich rudimentär erfolgen kann, gebietet der Fokus der Studie. Kants erstem Teil der Kritik der Urteilskraft, der sich mit der Möglichkeit ästhetischer Urteile befasst, also solchen über das Schöne bzw. das Erhabene, liegt das Vorhaben zugrunde, deren Anspruch auf Allgemeingültigkeit mittels kritischer Analyse zu verteidigen. Auf diese Weise sollen Geschmacksurteile in den Kontext der transzendentalphilosophischen Schriften eingegliedert und so zugleich aus dem Bereich der empirischen Psychologie à la Burke und Hume gelöst werden. Einer solchen Annahme scheint jedoch zu widersprechen, dass es sich bei Geschmacksurteilen, so Kant, um keine Erkenntnisleistung handelt12, wodurch allein der Anspruch auf Allgemeingültigkeit gerechtfertigt wäre. Stattdessen basieren Urteile über das Schöne bzw. das Erhabene lediglich auf der Beurteilung des Wohlgefallens bzw. des Missfallens, welche durch einen Gegenstand im Subjekt hervorgerufen werden, wodurch sie jedoch nichts zur Kenntnis über diesen Gegenstand beitragen können.13 Solche Urteile haben im Vergleich zu jenen der logisch-bestimmenden Urteilskraft stets nur einen subjektiven, d.h. das Subjekt selbst betreffenden Aussagewert, da sich dieses im Gefühl immer nur selbst fühlen kann und dabei ohne begrifflichen Objektbezug operiert.14 Um
12
In den intellektualistischen Ästhetiken von Baumgarten und Leibniz, welche die Identität von Schönheit und Vollkommenheit annahmen, wurden ästhetische Urteile noch als „verworrene“ Erkenntnisurteile erachtet.
13
Mit ihrer Rückbindung des ästhetischen Urteils auf das Feld der Gefühle verweist Kants Kritik der Urteilskraft auf die im 17. Jahrhundert von England und Frankreich ausgehenden Emotionalisierungs- sowie Subjektivierungsansprüche des Lebens und zugleich der Kunsttheorie. Ziel künstlerischer Darstellung wurde in der Tradition Thomas Hobbes’ (1588-1679), John Dennis’ (1657-1734), Jean Baptiste Dubos’ (1670-1742) u.a. in erster Linie das größtmögliche Einwirken auf die Gemütskräfte der Rezipierenden. Das theoretische Fundament dieses emotionalistischen Neuansatzes bildete vor allem die cartesianische Affektenlehre, nach welcher das Vergnügen an schrecklichen Gegenständen auf einem positiven Selbstgefühl der Empfindungsfähigkeit und Erregbarkeit des Körpers basierte. Descartes’ psychophysisches Gedankengut, insbesondere dargelegt in dem 1649 verfassten Traktat Les Passions de L’Ame, erlebte alsbald im England und Frankreich des späten 17. und frühen 18. Jahrhunderts regen Anklang.
14
Lyotard weist darauf hin, dass die solchermaßen verstandenen Gefühle der Lust und Unlust einen tautegorischen Charakter aufweisen, da sie das, worüber sie informieren, zugleich sind. So Lyotard: „Die Empfindung (oder das Gefühl) ist gleichzeitig
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eine Allgemeingültigkeit solcher Urteile dennoch zu gewährleisten, müssten diese trotz ihrer subjektiven Beschaffenheit auf einen a priori Bestimmungsgrund zurückzuführen sein, der lediglich – so wie die Kategorien beim Erkenntnisvermögen und das Sittengesetz beim Begehrungsvermögen – in einem eigenständigen a priori Prinzip der Urteilskraft zu finden wäre. Im Zuge der Analyse des Schönen präsentiert Kant als jenes gesuchte apriorische Prinzip, wie einleitend erwähnt, die subjektive respektive ästhetische Zweckmäßigkeit. So definiert Kant: „Die ästhetische Zweckmäßigkeit ist die Gesetzmäßigkeit der Urtheilskraft in ihrer Freiheit“ 15, d.h. in ihrer Selbstständigkeit von Gesetzen des Verstandes, der Vernunft oder von sinnlichen Neigungen. Die subjektive Zweckmäßigkeit schöner Gegenständige ist bloß formal, folglich eine Zweckmäßigkeit ohne Zweck: Das Subjekt findet Gefallen an gewissen Formen der Natur, ohne dass diesen ein etwaiger objektiver Zweck zugrunde läge. Es tut dies, da jene Formen die beiden Erkenntniskräfte Einbildungskraft und Verstand in eine zweckmäßige Einstimmung zueinander bringen, nämlich in die passende Proportion für eine Erkenntnis überhaupt. Denn einer jeden Erkenntnis liegt das stimmige Zusammenwirken von Einbildungskraft und Verstand als Bedingung zugrunde. In der Rezeption von Gegenständen, die als schön beurteilt werden, ist diese Übereinstimmung formal in exemplarischer Weise gegeben, ohne dass jedoch inhaltlich eine konkrete Erkenntnis stattfinden würde. Dieses formal ,harmonische‘ Verhältnis der beiden Erkenntniskräfte, in welchem sie gegenseitig ihre Fähigkeiten herausfordern, belebt sie zu immer neuen Anstrengungen.16 Denn „in ihrem freien Spiele“17 produziert die Einbildungskraft, angeregt von Natur und Kunst, immer wieder neue Formen, ohne dass diese vom Verstand unter einen konkreten Begriff gebracht werden
der Zustand des Denkens und der Fingerzeig, der das Denken durch diesen Zustand über seinen Zustand unterrichtet.“ (Lyotard [1994], S. 21). 15
Kant (AA V / KdU), S. 270.
16
Im § 23 der Analytik des Erhabenen ist in Bezug auf die „Einstimmung“ der Erkenntniskräfte als Bestimmungsgrund des ästhetischen Urteils lediglich noch von der „Beförderung“ (Kant [AA V / KdU], S. 244) des Verstandes bzw. der Vernunft, nicht aber der Einbildungskraft die Rede. Zugleich definiert Kant in demselben Paragraphen das Wohlgefallen am Schönen als direktes „Gefühl der Beförderung des Lebens“, was das Schöne mit dem Reiz und Spiel vereinbar macht. (ebd., S. 245) Das Erhabene als ,indirekte Lust‘ korreliere hingegen mit Rührung und Ernst. Vgl. Schmerzliche Rührung – interesselose Lust S. 65.
17
Ebd., S. 343.
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könnten. Diese „Affinität von darstellendem und begreifendem Denken“18, folglich eine „Affinität des Denkens zu sich selbst“19, ist Ursache des Lustgefühls und daher zugleich Bestimmungsgrund für das Geschmacksurteil über das Schöne. Da das auf diese Weise evozierte Lustgefühl auf allgemein voraussetzbaren Bedingungen a priori beruht, nämlich der prinzipiellen Erkenntnisfähigkeit des Vernunftsubjekts, hat es den Anspruch, allgemein mitteilbar zu sein.20 Auf diese Weise gelingt es Kant zugleich, das Wohlgefallen am Schönen so weit vom konkreten Gegenstand zu lösen, dass er dessen Interesselosigkeit behaupten kann. Für das Wohlgefallen am Schönen ist die Existenz, d.h. die Materie des affizierenden Objekts, gleichgültig. Das Schöne gefällt lediglich für sich selbst, was es von dem Wohlgefallen am Angenehmen, das Kant als eine Befriedigung einer vorausgehenden Neigung definiert, unterscheidet. Indem das Schöne auf diese Weise von der Materie eines Gegenstandes unabhängig gedacht wird und stattdessen auf dem interesselosen Lustgefühl des Subjekts selbst basiert, findet eine Verlagerung des Ästhetischen von der äußeren Natur ins Innere des Menschen statt. Schönheit ist nicht mehr Eigenschaft eines Gegenstandes, sondern dieser dient lediglich noch als ,Auslöser‘ eines zweckmäßigen Verhältnisses der Erkenntniskräfte zueinander, welches im eigentlichen Sinne das Schöne ausmacht. Diese Subjektivierung ästhetischer Urteile wird hinsichtlich des Erhabenen noch verstärkt werden. Kommt es durch Kants Ästhetik auch zu einer deutlichen Subjektivierung von ästhetischen Urteilen, so spielt dennoch sowohl beim Schönen als auch in Bezug auf das Erhabene das Verhältnis von Natur und Mensch eine elementare Rolle. Vermittelt durch das Prinzip der Zweckmäßigkeit kann dieses Verhältnis als harmonisch empfunden werden, was die Beurteilung des affizierenden Gegenstandes als schön zur Folge hat.21 Diese Harmonie wird mittels der
18
Lyotard (1994), S. 116.
19
Ebd., S. 105.
20
In der Dialektik der ästhetischen Urteilskraft (§ 55-60) versucht Kant über die subjektive Zweckmäßigkeit des Schönen für unsere Erkenntnisvermögen hinaus auch eine Brücke zum Sittlichguten respektive der Freiheit herzustellen. Dabei kommt er zu dem Schluss, dass das Schöne aufgrund formaler Analogien zum Guten als Symbol für dieses, welches selbst als Idee nicht direkt darstellbar sei, fungiere und dadurch auf das Intelligible hinausweisen könne.
21
Dementsprechend hält Kaulbach in seiner Interpretation der III. Kritik fest, dass sie sowohl hinsichtlich der ästhetischen Urteilskraft als auch der teleologischen die Stellung des Subjekts zur Welt „in der Perspektive der ,Zweckmäßigkeit‘“ behandle. (Kaulbach [1984], S. 7).
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reflektierenden Urteilskraft in einem solchen Fall so weit gedacht, dass die Natur von einer anderen Vernunft quasi wie für unser Erkenntnisvermögen „vorherbestimmt zu sein scheint“22. So führt Kant aus: „die Natur wird durch diesen Begriff so vorgestellt, als ob ein Verstand den Grund der Einheit des Mannigfaltigen ihrer empirischen Gesetze enthalte.“23 Im Gegensatz dazu kann das Verhältnis von Natur und Mensch auch, wie dies in Hinsicht auf das Erhabene stattfindet, als Konflikt imaginiert werden, der das Subjekt potenziell bedroht, ihm dadurch aber zugleich die Möglichkeit gibt, sich über die nun als zweckwidrig gedachte Natur zu erheben. Diese für ästhetische Urteile zentrale Auseinandersetzung von Mensch und Natur findet sich auch innerhalb des Subjekts selbst wieder, nämlich in dem Verhältnis von Einbildungskraft und Verstand respektive Vernunft. Die Einbildungskraft, als Vermittlerin zwischen sinnlicher Anschauung und reinem Verstand, vertritt, wie es im Folgenden insbesondere in Bezug auf das Erhabene herauszuarbeiten gilt, innerhalb des Erkenntnisvermögens den sinnlichen Part des animal rationale und damit die Natur in uns selbst. Insofern schlägt sich in ihrer Freiheit, wie sie für das Schöne charakteristisch ist, die Harmonie von Geist und Sinnlichkeit respektive von Mensch und Natur nieder. Im Gegensatz dazu verweist die Gewalt, welche die Einbildungskraft im Erhabenen notwendig erfahren muss, auf die zugleich stets unüberbrückbare Kluft innerhalb des Doppelwesens Mensch.
22
Kant (AA V / KdU), S. 245.
23
Ebd., S. 180f.
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4.1 D IE Ä STHETIK
DES
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E RHABENEN 1 „Erhaben ist das, was durch seinen Widerstand gegen das Interesse der Sinne unmittelbar gefällt.“
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Kants Analytik des Erhabenen gliedert sich in drei Abschnitte mit insgesamt 7 Paragrafen sowie einer Allgemeinen Anmerkung zur Exposition. Der erste Teil, §§ 23 und 24, stellt das Erhabene dem Schönen zwecks Darlegung von Gemeinsamkeiten und Unterschieden gegenüber bzw. erörtert die Einteilung der anschließenden Untersuchung. Danach folgt eine Aufteilung in mathematisch- und dynamisch-Erhabenes, wobei dem Ersten drei und dem Zweiten zwei Paragrafen gewidmet sind. Dabei behält Kant auch hier die bekannte Vierteilung aus der Kritik der reinen Vernunft bei: Das Gefühl des Erhabenen wird im § 26 der Quantität, im § 27 der Qualität, im § 28 der Relation und im § 29 der Modalität nach untersucht. Die Allgemeine Anmerkung schließlich befasst sich mit dem Verhältnis von Erhabenem und Moral. Kant übernimmt vor allem in drei wesentlichen Punkten die von seinen Vorgängern – insbesondere von Edmund Burke3, auf welchen er wiederholt Bezug nimmt – herausgearbeitete Grundstruktur des Erhabenen. Zum einen stellt er es ebenso wie der englische Empiriker programmatisch dem Gefühl des Schönen gegenüber, indem er die Analytik des Erhabenen dem ersten Teil seiner Kritik der Urteilskraft als zweiten Abschnitt beifügt. Die wesentlich kürzere Auseinan-
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Die vorliegende Studie setzt sich primär mit Kants Konzeption des Erhabenen aus der Kritik der Urteilskraft auseinander, da in dieser die Relationen zu seinem Freiheitsbegriff und dem darüber definierten Subjekt besonders virulent und darüber hinaus systemisch ausgearbeitet sind. Vorkritische Schriften, wie vor allem die anthropologisch angelegten Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen (1764), werden daher lediglich peripher berücksichtigt.
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Kant (AA V / KdU), S. 267.
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Burkes 1757 erstmals publizierte Schrift A Philosophical Enquiry into the Origin of our Ideas of the Sublime and the Beautiful, welche auch als „Ästhetik des Schreckens und des Schmerzes“ (Monk [1960], S. 235) charakterisiert wurde, gilt als Paradebeispiel einer empirisch-sensualistischen Ästhetik. In seiner Schrift setzt Burke das Erhabene dem Schönen anhand der reinen Empfindungen von pain und pleasure programmatisch entgegen. Kant liest die Enquiry erst in der 1773 erschienen Übersetzung von Garve.
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dersetzung mag dabei einerseits auf deren Anhangcharakter4 zurückzuführen sein, andererseits basiert sie auf den strukturellen Gemeinsamkeiten der beiden ästhetischen Gefühle, auf welche Kant zu Beginn der Analytik des Erhabenen verweist und somit bereits Dargelegtes voraussetzen kann. Da das Erhabene als Urteil ebenso von der ästhetisch reflektierenden Urteilskraft gefällt wird, ist auch das in ihm enthaltene Wohlgefallen der Quantität nach allgemeingültig, der Qualität nach ohne Interesse, der Relation nach subjektiv zweckmäßig und der Modalität nach notwendig, d.h. einem apriorischen Gesetz notwendig folgend. Insbesondere die Begründung der Apriorität und damit der Allgemeingültigkeit sowie Notwendigkeit des Urteils über das Erhabene unterscheidet sich jedoch wesentlich von jener in Bezug auf das Schöne. Basiert sie beim Schönen auf der Erkenntnisfähigkeit eines jeden vernunftbegabten Wesens, so resultiert sie beim Erhabenen aus der Empfänglichkeit für praktische Ideen, d.h. aus der moralischen Veranlagung des Menschen, welche Kant jedem Subjekt aufgrund seiner Vernunftbegabung zuschreibt. Hierin liegt auch die Ursache, weshalb Kant eine Deduktion des Urteils über das Erhabene unterlässt: Sein Hervorgehen aus der Selbstevidenz moralischer Veranlagung macht eine solche obsolet. Neben dieser fortgeführten doppelten Ästhetik ist es vor allem die Bipolarität bzw. Paradoxie des Erhabenen, welche Kant beibehält. Auch er beschreibt es wie vor ihm Burke u.a. im Gegensatz zum Schönen, welches durch ein reines Wohlgefallen gekennzeichnet ist, als ein Konglomerat aus Lust und Unlust, „indem das Gemüt von dem Gegenstande nicht bloß angezogen, sondern wechselweise auch immer wieder abgestoßen wird“5. Die Grundlegung dieser wechselnden Gefühle weist zwar Ähnlichkeiten zu seinen Vorgängern auf, durch die Eingliederung in seine Transzendentalphilosophie jedoch zugleich auch wesentliche Abweichungen, auf welche es in den Folgekapiteln einzugehen gilt. Als dritten bedeutenden Punkt übernimmt Kant die Aufteilung in extensivund intensiv-Erhabenes6, wobei er diese Zweiteilung mit mathematisch und
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Kant begründet den Anhangcharakter des Erhabenen mit dessen Bezug zu zweckwidrigen Naturereignissen, wodurch dieses der Idee einer subjektiv zweckmäßigen Natur entgegenstünde. Die Analytik des Erhabenen sei deshalb „bei weitem nicht so wichtig und an Folgerungen reichhaltig“ (Kant [AA V / KdU], S. 246). Dieser Schlussfolgerung widerspricht jedoch die größere Nähe des Erhabenen zum Moralischen, wodurch die Wertung der beiden ästhetischen Gefühle in der Allgemeinen Anmerkung schließlich doch zugunsten des „Geistesgefühls“ auszufallen scheint.
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Ebd., S. 245.
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In der deutschsprachigen Poetikgeschichte setzt erstmals Johannes Jacob Bodmer die Begriffe des Großen und Ungestümen, in Anlehnung an Miltons Paradise Lost
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dynamisch7 neu benennt, die wesentlichen Zuordnungen diverser Naturereignisse, wie beispielsweise den Sternenhimmel oder den aufgebrachten Ozean, jedoch beibehält.8 Die Zweiteilung des Erhabenen begründet Kant mit dem jeweils divergierenden Bezug der Einbildungskraft: Im mathematisch-Erhabenen wird diese auf das Erkenntnisvermögen, im dynamisch-Erhabenen auf das Begehrungsvermögen, in beiden jedoch auf die Vernunft, und zwar jeweils auf die Idee der Unbegrenztheit, sei es der Größe oder der Macht, bezogen. War Kant in der Analytik des Schönen zu dem Schluss gekommen, die Lust an ,schönen‘ Gegenständen resultiere aus deren formaler Zweckmäßigkeit für
(1667) personifiziert durch Gott und Satan, dem Schönen entgegen und deutet so Kants Einteilung in mathematisch- und dynamisch-Erhabenes an. Das Große gilt ihm dabei in seiner 1741 verfassten Abhandlung Critische Betrachtungen über die poetischen Gemählde der Dichter als ungeheuer an Maß bzw. unendlich an Zahl, so dass die Sinne unfähig seien, es zu erfassen. Vielmehr werden sie, überwältigt von dessen Erscheinung, „gleichsam davon verschlungen“. Die Folgen sind „Erstaunung [...], angenehme Bestürzung und Stille“ (Bodmer [1971], S. 153f.). Das Ungestüme beschreibt er hingegen als jene „gewaltthätige Bewegung, welche durch den Zusammenstoß der Dinge in dem materialischen Reiche entstehet, insbesondere ihren Anfall auf den Menschen, der sich in ihrem Bezircke oder Würbel befindet, wodurch in unsrem Zustand vielerley Veränderungen erfolgen, welche gewaltige und widrige Eindrücke machen, und das Gemüthe etwann gäntzlich daniederschlagen“ (ebd., S. 154). 7
Jan Assmann vertritt die These, dass Kant seine Unterteilung in mathematisch- und dynamisch-Erhabenes aus den griechischen Begriffen mathein und pathein, lernen und leiden, als den zentralen Aspekten der Mysterienerfahrung, ableitet. Dabei nimmt er v.a. auf jene Fußnote der Kritik der Urteilskraft Bezug, wo Kant die zu seiner Zeit populäre Inschrift eines Isis-Tempels, „Ich bin alles was da ist, was da war und was da sein wird, und meinen Schleier hat kein Sterblicher aufgedeckt“ (Kant [AA V / KdU], S. 316), zitiert. (vgl. hierzu Assmann [2007], S. 171f.).
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Die Erscheinungen und Gegenstände, die Kant dem Erhabenen zurechnet, decken sich im Wesentlichen mit jenen, die bereits die frühen Theoretiker des Erhabenen, wie beispielsweise John Dennis, anführten. Es sind dies in erster Linie Naturerscheinungen wie Stürme, Erdbeben, Vulkane und Gewitter, aber auch der Krieg bis hin zu der jeden sonstigen Schrecken übersteigenden Vorstellung von der „Wrath and Vengeance of an angry God“ (Dennis [1964], S. 361). Gerade Letztere findet sich in Kants Kritik der Urteilskraft nicht mehr, da ein freier, d.h. dem moralischen Sittengesetz folgender Mensch die Rache Gottes nicht zu fürchten brauche. An die Stelle demütiger Furcht rückt daher bei Kant selbstbewusste Ehrfurcht.
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unser Erkenntnisvermögen, wodurch dessen Kräfte, Einbildungskraft und Verstand, in eine zweckmäßige Übereinstimmung gebracht würden, so beschäftigt sich die Analytik des Erhabenen mit der für den Menschen zweckwidrigen Natur. Damit schlägt die Analytik, so Lyotard, wie „ein Meteor [...] in das Werk ein“9. Sie zerbricht, als „Ästhetik der Denaturierung“, die „schickliche Ordnung der natürlichen Ästhetik und setzt die Funktion, die sie im Vereinigungsprojekt übernommen hat, außer Kraft“10 und damit zugleich der auf Einheitlichkeit beruhenden Harmonie der Erkenntniskräfte ein Ende. Solchermaßen bringe das Erhabene den unüberbrückbaren Konflikt zwischen Natur und Mensch ästhetisch zum Ausdruck. Scheint durch das Erhabene auch die Harmonie von Natur und Subjekt unwiederbringlich verloren, so gilt es im Folgenden aufzuzeigen, dass dieses ästhetische Gefühl gerade durch den ihm inhärenten Konflikt zugleich ein ,Versprechen‘ von ungleich größerem ,Wert‘ bereit hält. Denn die schmerzliche Trennung von der Natur impliziert zugleich die Idee, frei von dieser sein zu können. Kants Konzeption des Erhabenen gelingt es damit, zwei große Themen des 18. Jahrhunderts zu verbinden, indem er sie in seiner Konzeption ästhetischer Urteile mithilfe des Entwurfs der subjektiven Zweckmäßigkeit zusammenzuführen sucht: Die wesentlich von ihm mitgetragene Affirmation menschlicher Freiheit und die analytische Introspektion in die Affektivität des Menschen. Für die vorliegende, in erster Linie werkimmanente Auseinandersetzung ist der für das Erhabene charakteristische Konflikt von Natur und Freiheit von besonderem Belang. Dem Forschungsschwerpunkt entsprechend, wird dabei Kants Erörterung des dynamisch-Erhabenen im Mittelpunkt stehen, da hier die Konfrontation des Subjekts mit seiner eigenen Endlichkeit und damit die existenzielle Hinterfragung seiner Autonomie zentral sind. Auf sein mathematisches Pendant wird daher nur dort eingegangen werden, wo es aufgrund einer gegenüberstellenden Abgrenzung sinnvoll erscheint. Wie einleitend dargelegt wird die sowohl Kants dynamisch-Erhabenem als auch künstlerischer Selbstverletzung zugrunde liegende radikale Distanzierung von der eigenen Körperlichkeit im Folgenden als Bewältigungsstrategie verstanden, die den als defizitär wahrgenommenen Körper zu überwinden sucht, um trotz dessen Instabilität den Menschen als freies, selbstbestimmtes Wesen denken zu können. Das letztlich zumindest in der Drohung des Todes immer präsente Leiden des genuin verletzlichen Körpers avanciert somit zur Grundlage einer dualistischen Aufspaltung, welche jedoch die Möglichkeit einer subjektiv
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Lyotard (1994), S. 179.
10
Ebd., S. 66.
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empfundenen Selbsterhebung impliziert. Gemäß der als grundlegend angenommenen Dynamik von Gefährdung, Aufopferung und Erhebung wird auch die Aufteilung der Kapitel in drei Hauptabschnitte ausfallen. Der erste Abschnitt wird sich mit der Qualität sowie Kausalität der Unlust auseinandersetzen. Darauf aufbauend soll der Frage nachgegangen werden, wie das Subjekt in Kants Konzeption des Erhabenen mit der dieser Unlust zugrunde liegenden Gefährdung operiert, was abschließend zu einer Erörterung der Möglichkeit und Qualität lustvoller Selbsterhebung führt.
5. Die Struktur des dynamisch-Erhabenen
5.1 G EFÄHRDUNG „It is the persistence of fear in the sublime that 1
calls forth a further violence.“
5.1.1 Die Qualität der Unlust im dynamisch-Erhabenen „Das Erhabene braucht […] dein Leiden. Es 2
muß Unlust bereiten.“
In der für das Erhabene charakteristischen Gefühlsdichotomie von Lust und Unlust spiegelt sich die einleitend dargelegte dualistische Anthropologie des kantschen Subjekts wider. Das ist insbesondere deshalb der Fall, als diese entgegengesetzten Gefühle, wie es aufzuzeigen gilt, unmittelbar auf die dualen Vermögen des Subjekts, Vernunft, d.h. Intelligibilität, und Sinnlichkeit, rekurrieren. Um dieses Verhältnis näher zu beleuchten, wird daher insbesondere die spezifische Qualität jener Gefühle zu untersuchen sein. Dabei soll zunächst der gefühlten Gefährdung des Subjekts, welche sich in Form von Unlust äußert, nachgegangen werden. Hierbei gilt es zu klären, welcher Art diese Gefährdung ist und vor allem in welcher Weise sie das erlebende Individuum bedroht. In der Sekundärliteratur, so sie sich überhaupt mit dem dynamischErhabenen befasst, wird dessen spezifische Unlust entweder auf das Scheitern der Einbildungskraft bei einem Prozess der Größenschätzung zurückgeführt, und
1
Huhn (1995), S. 271.
2
Lyotard (1994), S. 202.
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damit jener im mathematisch-Erhabenen gleichgesetzt3, oder aber als eine Art Angst verstanden, welche aus dem „gefühlten ohnmächtigen Unterworfensein[s] unter die Macht der Natur“4 resultiert. Beiden Lesarten ist gemein, dass auffallend häufig eine Argumentation und Darlegung des jeweiligen Standpunktes unterlassen wird. So werden weder das spezifische Scheitern der Einbildungskraft und die darauf aufbauende Unlust dem mathematisch-Erhabenen entsprechend erörtert noch findet im Zuge der ,Vereindeutigung‘ der Unlust als Angst eine Abgleichung mit der für ästhetische Urteile charakteristischen Rolle der Einbildungskraft statt. Dieses Defizit mag darauf zurückzuführen sein, dass Kant selbst die Rolle der Einbildungskraft im dynamisch-Erhabenen relativ unpräzise
3
So etwa in Lyotards Kant-Lektionen, welche die Auseinandersetzung mit dem Erhabenen – insbesondere jene im deutschsprachigen Raum – nachhaltig prägten. (vgl. Pries [1995], Welsch [1991]) Dabei sieht Lyotard im mathematisch- und dynamisch-Erhabenen nicht zwei unterschiedliche Formen, sondern bloß zwei Betrachtungsweisen derselben Gegenstände. Die „mathematische Synthese“ berücksichtige hierbei die Unlustkomponente, die „dynamische Synthese“ jedoch die Lustkomponente, in der das nur ansatzweise apprehendierte Formlose auf Ideen der Vernunft bezogen werde. (Lyotard [1994], S. 114) Dementsprechend liege auch dem dynamisch-Erhabenen dasselbe Scheitern der Einbildungskraft – also die Überforderung der Synthesisleistung aufgrund einer extensiven Größe – zugrunde. So schreibt Lyotard: „Daß die Einbildungskraft im Duell mit der Vernunft unterliegt, wird in einem ,Zustand‘ und als ein ,Zustand‘ des Denkens signalisiert. Es wird gefühlt. Es schmerzt.“ (ebd., S. 34) Eine solche Interpretation übersieht jedoch Kants bezüglich der beiden Ausformungen des Erhabenen getroffene Unterscheidung zwischen Erkenntnis- und Begehrungsvermögen. Zudem lässt sich anhand Kants Analytik nachweisen, dass hier beide Formen in ihrer Unterschiedlichkeit, sowohl das jeweilige Scheitern der Einbildungskraft und die daraus erfolgende Unlust als auch die gefühlte Bewusstwerdung absoluter Ideen und die daraus resultierende Lust betreffend, gezielt voneinander getrennt erörtert werden.
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Denckmann (1947), S. 91. So benennt Kaulbach einen Zustand der „Niedergeschlagenheit und Angst“ angesichts des Gefühls unserer eigenen Nichtigkeit. (Kaulbach [1984], S. 170) Pries beschreibt die Unlust als „das spontane Gefühl, als Naturwesen unterlegen zu sein“, welches weniger auf das „Versagen der Darstellungsfunktion der Einbildungskraft“ als vielmehr auf deren Vorstellung schrecklicher Gegenstände zurückzuführen sei. (Pries [1995], S. 57, S. 66) Peña Aguado führt die Unlust auf jene „schreckliche[n] Vorstellung, die Gewalt der Natur könnte uns erreichen“ zurück (Peña Aguado [1994], S. 56) und auch Kap Hyan Park wertet sie als Resultat der „Erniedrigung der körperlichen Natur“ (Park [2009], S. 23).
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hält, wodurch sich für beide Deutungen Hinweise in der Analytik finden lassen, welche aber in ihrer Einseitigkeit unvollständig – wenn nicht gar widersprüchlich – bleiben müssen. Damit werden beide Zugänge, insbesondere jedoch die Reduktion der Unlust auf eine Darstellungsproblematik, der Komplexität des ästhetischen Gefühls des dynamisch-Erhabenen nicht gerecht. Die folgende textnahe Auseinandersetzung mit Kants Analytik soll hingegen aufzeigen, dass sich dessen Konzeption des dynamisch-Erhabenen nur dann umfassend erschließt, wenn das Scheitern des Subjekts auf zwei unterschiedlichen Ebenen erfasst wird. Da die Frage nach der Art der Gefährdung im dynamisch-Erhabenen lediglich über eine Klärung der Qualität der Unlust zu beantworten ist, wird deutlich, dass es sich hierbei um wesentlich mehr als um eine hermeneutische Spitzfindigkeit handelt. Insbesondere die dem Erhabenen eigene Dynamik wird entscheidend dadurch bestimmt, ob die Unlust im dynamisch-Erhabenen auf dem bloßen Scheitern der Einbildungskraft, und damit letztlich auf dem Scheitern eines Erkenntnisprozesses, oder aber auf der Bedrohung des sinnlichen Menschen durch die Begrenztheit seiner Sinnlichkeit basiert, was eine signifikante Modifikation des Scheiterns darstellen würde. Um die beiden Varianten zu verdeutlichen, wird zunächst das spezifische Scheitern der Einbildungskraft bei der Größenschätzung von Macht erörtert werden. Dabei gilt es aufzuzeigen, dass das Scheitern an einer solchen Größenschätzung immer analog zum Scheitern des ganzen Organismus bei dem Versuch, äußerer Gewalt zu widerstehen, gelesen werden muss. Mithilfe dieser Herangehensweise wird ersichtlich, dass die beiden scheinbar entgegengesetzten Deutungen der Unlust sich nicht ausschließen, sondern – ganz im Gegenteil – nicht unabhängig voneinander gedacht werden können. Trotz dieser ,Plausibilisierung‘ beider Lesarten des Scheiterns wird in einem zweiten Schritt deutlich gemacht werden, dass als charakterisierende Spezifität des dynamisch-Erhabenen, d.h. als dasjeniges, wodurch es sich wesentlich von seinem mathematischen Pendant unterscheidet, die Aktualisierung physischer Ohnmacht bewertet werden muss. Diese ,Priorität‘ der physischen Krisis im dynamisch-Erhabenen erlaubt von der Funktion der Einbildungskraft, als dem „oberste[n] Vermögen der Sinnlichkeit“5, auf jene der Sinnlichkeit an sich und folglich auf den Körper zu schließen, auch wenn dieser in Kants Schriften explizit lediglich peripher behandelt wird. Diese Analogiesetzung von Einbildungskraft und Sinnlichkeit bekommt zentrales Gewicht, wenn es im zweiten Teil der Arbeit gilt, eine Parallele zwischen Kants Erhabenheitskonzeption und künstlerischer Selbstverletzung zu ziehen. Denn lediglich indem der Konflikt des dynamisch-Erhabenen als ein solcher aus Freiheitsstreben und
5
Homann (1977), S. 55.
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physischer Limitiertheit begriffen wird, eröffnet sich ein wechselseitiger Bezug zwischen Kants Ästhetik und dieser Form zeitgenössischer Performance Art. Zudem ermöglicht die Analogiesetzung ein vertieftes Bewusstsein für die pejorative Trennung von Körper und Geist, wie sie Kants Ästhetik des Erhabenen hintergründig kennzeichnet; deren konsequentes Fortdenken mündet in der gewaltsamen Überwindung des Körpers, wie dies bereits in Schillers Schriften zum Erhabenen und explizit schließlich in dem Akt künstlerischer Selbstverletzung zu Tage tritt. 5.1.2 Die Spezifität der Größenschätzung im dynamisch-Erhabenen „Die Natur, im ästhetischen Urtheile als Macht, die über uns keine Gewalt hat, betrachtet, ist dynamisch-erhaben.“
6
Folgt man Kants spärlichen Indizien, so ereignet sich auch im dynamischErhabenen das Scheitern einer Größendarstellung. Dieser Prozess der Größenschätzung unterscheidet sich jedoch grundsätzlich, insbesondere was die Rolle der Einbildungskraft betrifft, von seinem mathematischen Komplementär. Im mathematisch-Erhabenen vollzog sich das Scheitern der Einbildungskraft in der Konfrontation mit Gegenständen, welche absolute Größe vorstellig machten: „ungestalte Gebirgsmassen, […] Eispyramiden“7, der Sternenhimmel u.Ä.. Dementsprechend folgerte Kant: „Erhaben ist das, mit welchem im Vergleich alles andere klein ist“8. Während die Einbildungskraft bei der Bestimmung objektiver Größe, geleitet durch Zahlenbegriffe des Verstandes, bis ins Unendliche fortschreiten kann, gibt es bei ästhetischen Größenurteilen, also quasi der optischen Größenschätzung, ein Größtes der Anschauung, über welches hinaus diese zwangsläufig scheitern muss. Denn die von ihr hierzu geforderte Zusammenfassung der „Vielheit des Gleichartigen“9 in einem Augenblick kann ein bestimmtes Maximum der gleichzeitig aufgefassten Teile, d.h. das „ästhetisch-größte[n] Grundmaß[e]“10, nicht übersteigen. Die Unlust im mathematisch-Erhabenen resultiert demnach aus dem Unvermögen, „einen der
6
Kant (AA V / KdU), S. 260.
7
Ebd., S. 256.
8
Ebd., S. 250.
9
Ebd., S. 248.
10
Ebd., S. 252.
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ästhetischen Größenschätzung ihres Gebiets proportionierten Maßstab zu nehmen“11. Statt somit wie die ,schöne‘ Natur zweckmäßig für unser Erkenntnisvermögen zu sein, ist das, was „in der Auffassung das Gefühl des Erhabenen erregt, der Form nach […] zweckwidrig für unsere Urtheilskraft, unangemessen unserem Darstellungsvermögen und gleichsam gewaltthätig für die Einbildungskraft“12. Während schöne, d.h. in einer gewissen Weise formal begrenzte Gegenstände die Erkenntnisvermögen Einbildungskraft und Verstand in eine zweckmäßige Übereinstimmung zueinander bringen, muss hinsichtlich des dynamischErhabenen angenommen werden, dass die formlose Natur die ,Kluft‘ zwischen den beiden Erkenntnisstämmen bewusst macht und auf diese Weise auf die Instabilität von Erkenntnis überhaupt verweist.13 Da die Größe von Macht nicht wie beim mathematisch-Erhabenen durch das räumliche Zusammenfassen der Einbildungskraft eruierbar ist, stellt sich die Frage nach der diesbezüglichen Eigenart der ästhetischen Größenschätzung. Kant vermerkt hierzu, dass eine solche nur nach der Größe des (vergeblichen) Widerstandes gegen diese erfolgen kann. Es handelt sich also wie beim mathematisch-Erhabenen auch hier um eine relative Vergleichsgröße, welche in einem Erkenntnisurteil – also mittels Zahlbegriffen – ins Unendliche erschlossen werden könnte. Als gefühlte Vergleichsgröße zieht er abermals das beurteilende Subjekt selbst in seiner Begrenztheit heran, jedoch nicht dessen Fähigkeit, ein adäquates Augenmaß zu nehmen, sondern seine Widerstandspotenz, welche mit äußerer Gewalt in ein dynamisches Gegenverhältnis gesetzt wird.14 Hierzu ist
11
Ebd., S. 261.
12
Ebd., S. 245.
13
Auch wenn Kant betont, dass es sich beim mathematisch-Erhabenen nicht um eine Erkenntnis, sondern lediglich um einen Reflexionsprozess handelt und somit die Unzulänglichkeit der Einbildungskraft unabhängig von einem bestimmenden Urteil betrachtet werden muss, lässt sich in Analogie zum Schönen argumentieren, dass durch das Scheitern der Einbildungskraft zwar keine konkrete Erkenntnis, wohl aber die Erkenntnisfähigkeit überhaupt in Frage gestellt wird. Damit fände auch beim mathematisch-Erhabenen eine Hinterfragung von Autonomie – im Sinne der Selbstgesetzgebung des menschlichen Erkenntnisvermögens – statt.
14
Peter König benennt das eigene Vermögen, physischen Widerstand zu leisten, als das „Maximum dessen […], was man an Größe durch das ästhetische Vermögen der Größenschätzung bestimmen kann“ (König [1994], S. 218). Dem lässt sich jedoch entgegenhalten, dass bei der ästhetischen Größenschätzung von Macht ein vom jeweiligen Individuum unabhängiges Kräfteverhältnis imaginiert werden könnte, dessen beide Komponenten die Macht des Menschen überstiegen. Dass Kant in der
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eine andere Kompetenz der Einbildungskraft gefordert als jene synthetischer Anschauung: Die bereits in ihrem Namen zum Ausdruck kommende Fähigkeit zur Imagination. Die ästhetische Größenschätzung im dynamisch-Erhabenen wäre demnach ein imaginiertes Kräftemessen, bei welchem sich die Einbildungskraft eine potenzielle Konfrontation mit einem sehr mächtigen Naturgegenstand in einer als-ob-Situation vorstellt. Dementsprechend schreibt Kant vom „Versuch, uns mit der Einbildungskraft darauf [auf die Gefahr, R. B.] einzulassen“15. Wir denken „uns bloß den Fall […], da wir ihm [dem Naturgegenstand, R. B.] Widerstand thun wollten“16. Denn im Falle einer tatsächlichen Konfrontation und der daraus zwangsläufig resultierenden Furcht bzw. Gefährdung könne kein ästhetisches Urteil mehr gefällt werden.17 Angesichts sehr starker Kräfte muss es der Einbildungskraft zunehmend schwer fallen, potenziellen Widerstand vorstellig zu machen, bis sie schließlich trotz ihrer „größten Bestrebung“18 endgültig scheitert: Die scheinbare „Allgewalt der Natur“19 macht das menschliche Vermögen zu widerstehen „zur unbedeutenden Kleinigkeit“20. Als Resultat wird die Natur als übermächtig beurteilt, was sie jedoch erst für das Gefühl des dynamisch-Erhabenen tauglich macht.
Beschreibung des dynamisch-Erhabenen explizit die eigene Widerstandsfähigkeit als Vergleichsgröße anführt, scheint vielmehr aus der Möglichkeit zu resultieren, sich Macht auf diese Weise unmittelbar fühlbar zu machen. Es liegt nahe, dass dieser Selbstbezug notwendig aus dem Konzept der subjektiven Zweckmäßigkeit erwächst. Da die daraus resultierende Lust, um interesselos zu sein, ohne Objektbezug und folglich auch ohne Begriffe auskommen muss, kann sie auch nicht auf anderen Vergleichsobjekten als auf dem gefühlten Selbst basieren. Wenn also Macht bzw. Kraft lediglich durch von ihnen beseitigte Hindernisse schätzbar sind, so muss bei einer bloß gefühlten Schätzung der Körper selbst als jenes Hindernis herangezogen werden. 15
Kant (AA V / KdU), S. 269.
16
Ebd., S. 260.
17
Vgl. Distanz – Distanziertheit, S. 86.
18
Kant (AA V / KdU), S. 255.
19
Ebd., S. 261.
20
Ebd., S. 261. Dementsprechend ist auch Paul Crowthers Feststellung, im dynamischErhabenen sei „nothing in either of these features that would stretch the imagination to its limits. It is the easiest thing in the world to imagine our fear in the face of impending destruction by an avalanche“ zu widersprechen. (Crowther [1989], S. 117) Seine Lesart scheint zu übersehen, dass die Einbildungskraft nicht am Standhalten oder Ausmalen einer Furcht scheitert, sondern an der ästhetischen Größen-
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Basiert die Grenzerfahrung des Subjekts im mathematisch-Erhabenen auf dem gefühlten Bewusstwerden der kognitiven Unzulänglichkeit, so machen Kants Beispiele dynamisch-erhabener Gegenstände – „Vulkane in ihrer ganzen zerstörenden Gewalt, Orkane mit ihrer zurückgelassenen Verwüstung“21, der grenzenlose Ozean in Empörung u.Ä. – deutlich, welche Art der Gefährdung respektive Ohnmacht das Subjekt im dynamisch-Erhabenen erfahren muss. Es ist in erster Linie das Streben nach physischer Selbsterhaltung, jene Kraft also, die danach trachtet, „unsere Existenz fortzusetzen“22, welche die Natur in ihrem „Chaos oder in ihrer wildesten, regellosesten Unordnung und Verwüstung“23 fundamental in Frage stellt. Das Scheitern der Einbildungskraft, eine gewisse Größe bzw. Intensität der Macht ästhetisch zu schätzen, ginge folglich zwangsläufig mit dem
schätzung von Macht, für welche ihr ab einer bestimmten Intensität die gefühlte Relationsgröße abhanden kommt. Demgemäß ist vielmehr Park zuzustimmen, wenn er resümiert: „Die Einbildungskraft versucht die Größe der Macht eines Gegenstandes in eine anschauliche Einheit zu bringen. Der Versuch gelingt ihr aber nicht, weil die Grenze der Größe des physischen Widerstandes des Menschen gegen die Macht der Natur eben die Grenze der Einbildungskraft in der Schätzung der Größe der physischen Macht des Gegenstandes ist.“ (Park [2009], S. 142f.) Crowthers Schlussfolgerung, „This means that here [im dynamisch-Erhabenen, R. B.] imagination is in a harmonious and relatively free relation to reason“ (Crowther [1989], S. 118), ist daher, wie im Folgenden aufzuzeigen sein wird, unzutreffend. 21
Kant (AA V / KdU), S. 261. Kant spart die prekäre Frage nach der Involvierung fremden Leides und dessen mögliche lustvolle Rezeption, wie sie etwa bei Hobbes, Dubos oder auch Burke auf unterschiedliche Weise erörtert wird, in seiner Analytik des Erhabenen aus. Aus seinen Beispielen zerstörerischer Naturereignisse lassen sich zwar implizit schädigende Auswirkungen auf den Menschen erschließen, doch bleiben jene unerwähnt und finden nicht die hypothetische Konkretheit wie etwa in Burkes Gedankenbild des zerstörten Londons. Auch ist auffallend, dass Kant den Vulkanausbrüchen und Orkanen Erdbeben nicht zur Seite stellt, wodurch er, angesichts des nicht weit zurückliegenden Bebens von Lissabon, jeden Bezug zu realen Katastrophen absichtlich zu vermeiden scheint. Briese weist zudem darauf hin, dass die von Kant gewählten Beispiele allesamt für den mitteleuropäischen Durchschnittsbürger äußerst seltene Extremsituationen darstellen, wodurch der Text alltägliche Konfigurationen des Spannungsfeldes Mensch-Natur denaturalisiere und zugleich abschwäche. Vgl. Briese (1996), S. 333.
22
Schiller (1966), S. 55.
23
Kant (AA V / KdU), S. 246.
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Scheitern des „physischen Wesens[s]“24 einher, gegenüber dieser Macht einen Widerstand erbringen zu können. Anhand dieser Grundkonstellation wird deutlich, wie zwei unterschiedliche Interpretationen der Unlust Anspruch auf Gültigkeit erheben konnten, da sich jene jeweils lediglich auf eine der beiden Ebenen des Scheiterns bezogen. Kants Analytik legt jedoch nahe, dass diese beiden Formen des Scheiterns keineswegs alternativ gedacht werden dürfen, da sie lediglich in Bezug aufeinander das dynamisch-Erhabene umfassend erklären. Denn die Einbildungskraft scheitert bei dem Vorhaben, die Macht der Natur mittels der physischen Widerstandspotenz des Subjekts zu erschließen, nur deshalb, weil der imaginierte Körper zuvor im Versuch, seine Macht zu behaupten, an seine Grenzen gelangt war.25 Analog zu diesen ineinander greifenden Ebenen des Scheiterns darf daher auch die Unlust nicht monokausal verstanden werden: Denn so wie das Scheitern der Einbildungskraft notwendig mit dem Scheitern des ganzen Organismus korreliert, verweist auch die Unlust sowohl auf die Einbildungskraft, als „Sklave ihrer Endlichkeit“26, als auch auf die Endlichkeit des Körpers selbst. Dass, wie einleitend erwähnt, gerade Letztere für eine Präzisierung der Unlust dennoch als ungleich ausschlaggebender erachtet werden muss, soll im Folgenden dargelegt werden. Kant trifft diesbezüglich in seiner Analytik weder eine eindeutige Unterscheidung noch Entscheidung, diverse Textstellen deuten jedoch darauf hin, dass die in ihrer Messungsfunktion selbst sinnliche Einbildungskraft stellvertretend für die Sinnlichkeit an sich gedacht werden kann. Demgemäß definieren auch Gernot und Hartmut Böhme die Einbildungskraft als dasjenige Vermögen, welches „im Bewusstsein den Körper wieder und wieder repräsentiert“27. Die Ohnmacht des Menschen in seiner Naturhaftigkeit lässt sich somit in dem Versagen sowie in der noch zu erörternden ,Aufopferung‘ der Einbildungskraft
24
Pries (1995), S. 56.
25
Hinzu kommt eine dritte Ebene des Scheiterns, nämlich jene der Darstellung von Ideen, hier der Idee absoluter Macht, welche anhand einer konkreten Partikularmacht versinnlicht werden sollen. Die daraus resultierende Unlust wird jedoch von Kant wie bereits im mathematisch-Erhabenen nicht präzise von jener Unlust abgegrenzt, welche ausschließlich durch bestimmte Naturphänomene evoziert wird. Vgl. Die Aufopferung der Physis durch die Aufopferung der Einbildungskraft, S. 69.
26
Lyotard (1994), S. 90.
27
Böhme/Böhme (1985), S. 387.
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ablesen. Damit werden Körper und Einbildungskraft im dynamisch-Erhabenen gewissermaßen kongruent. 28 5.1.3 Das Scheitern der Einbildungskraft als Scheitern der Physis „Da das Todesbewußtsein den Menschen tief in das Leben hineinzieht und zugleich weit über es hinaushebt, kann es als zentrale Bedingung für die Erfahrung des Erhabenen betrachtet werden.“
29
Ein Hinweis auf die Priorität der Unlust als Resultat der gefährdeten Physis und somit auf die ,physische‘ Deutung der Einbildungskraft findet sich bereits in der Zweiteilung des ,Geistesgefühls‘ in mathematisch- und dynamisch-Erhabenes. Kant begründet diese durch die unterschiedlichen Bezugsvermögen, mit welchen die Einbildungskraft jeweils zu kooperieren hat. Handelt es sich auch bei beiden Formen des Erhabenen um ein Zusammenspiel von Einbildungskraft und Vernunft, so ist es im mathematisch-Erhabenen die reine Vernunft des Erkenntnisvermögens, im dynamisch-Erhabenen jedoch die praktische des Begehrungsvermögens, d.h. der reine praktische Wille, welche mit der Einbildungskraft in Konflikt gerät.30 Mit dieser Differenzierung erläutert Kant den jeweiligen Kontext, in welchem die Spezifität der Erhabenheitsform angesiedelt ist: Jenen der Erkenntnis und jenen des Wollens. Wenn also, wie aufgezeigt, auch beim dynamisch-Erhabenen ein letztlich dem Erkenntnisvermögen zuzuordnender
28
Eine solche Lesart zielt nicht darauf ab, die ,Eigenständigkeit‘ der Einbildungskraft bzw. deren spezifische Rolle innerhalb des Erkenntnisvermögens sowie die daraus erfolgende Begründung der Unlust zu widerlegen, als diese vielmehr um den Aspekt der Physis zu ergänzen.
29
Villwock (1989), S. 48.
30
Dieser Zweiteilung gemäß sind auch die jeweiligen Ideen des Absoluten different: Das Absolute der extensiven Größe wird durch jenes der intensiven Macht ergänzt. Dahingehend stellt Kant der Unermesslichkeit der Natur im mathematischErhabenen die „Unwiderstehlichkeit ihrer Macht“ im dynamisch-Erhabenen gegenüber. (Kant [AA V / KdU], S. 261) Die beiden unterschiedlichen Vernunftideen entsprechen zudem der ersten bzw. der dritten Antinomie in der Dialektik der Kritik der reinen Vernunft. Letztere, die so genannte Freiheitsantinomie, wurde in der kulturgeschichtlichen Einleitung skizziert. Vgl. Freiheit und Dualismus, S. 27.
62 | S UBJEKTERMÄCHTIGUNG UND N ATURUNTERWERFUNG
Messungsvorgang fehlschlagen muss, so räumt Kant dem Feld des Begehrens doch eine ungleich größere Bedeutung ein. Deutet man im dynamisch-Erhabenen die Zweckwidrigkeit der Natur und die daraus resultierende Unlust in erster Linie über das Begehrungsvermögen, so scheint sie in der massiven Infragestellung des ,Endzwecks‘ des Organismus, dessen „Selbsterhaltung“31, zu bestehen. Hierzu ist Kants Unterscheidung zwischen unterem und oberem Begehrungsvermögen, die er in der Kritik der praktischen Vernunft vornimmt, elementar. Während Letzteres als der reine Wille des Subjekts und damit als Grundlage von moralischem Handeln begriffen wird, definiert Kant den ,sinnlichen‘ bzw. empirischen Willen, der sich in erster Linie auf das ,Selbst‘ richtet, als Konglomerat aus Neigungen und Trieben, als Streben nach Glückseligkeit, als Selbsterhaltungsprinzip bzw. als Vitalsinn sowie als Äußerung der Lebenskraft.32 Folgt man den angeführten Beispielen dynamisch-erhabener Naturgegenstände, die tobende See, Vulkane, Orkane etc., so wird deutlich, dass die Unlust hier zuvorderst aus der Infragestellung dieses Selbsterhaltungsprinzips resultiert. Denn indem das Scheitern der Einbildungskraft auf das Scheitern des ganzen Organismus aufgrund dessen Begrenztheit verweist, rekurriert es zugleich auf die Begrenztheit des sinnlichen Wollens, die es als gefühlte Unlust aktualisiert. Für eine solche Lesart finden sich zahlreiche Hinweise bei Kant selbst, so etwa seine Beschreibung der Unlust als „augenblickliche Hemmung der Lebenskräfte“33. Sie wird ebenso durch den Umstand bestärkt, dass im gesamten § 28
31 32
Kant (AA V / KdU), S. 261. Vgl. Kant (AA V / KpV), S. 22f. Lyotard nennt jenes untere Begehrungsvermögen auch das „vom Ich vereinnahmte[n] Interesse[s]“ (Lyotard [1994], S. 196) und Homann führt das empirische Wollen auf das „physische[n] Widerstandsvermögen“ des Subjekts zurück, welches sie im dynamisch-Erhabenen im Konflikt mit der Moralität wähnt. (Homann [1977], S. 34).
33
Kant (AA V / KdU), S. 245. Bereits zu Beginn der Analytik ästhetischer Urteile bringt Kant die Gefühle der Lust und Unlust mit dem „Lebensgefühl“ (ebd., S. 204) des Menschen in Verbindung, wobei die Lust eine Förderung der Lebenskräfte bedeute, die Unlust jedoch deren Schwächung. Diese Beschreibung der Unlust als „augenblickliche Hemmung der Lebenskräfte“ (ebd., S. 245) erinnert an Burkes Definition des Erhabenen, als einen „Zustand der Seele, in dem alle ihre Bewegungen gehemmt sind“ (Burke [1989], S. 91). Basierend auf seinem triebpsychologischen Erklärungsmodell wird das Erhabene bereits in Burkes Untersuchung auf eine schmerzliche Infragestellung des Selbsterhaltungstriebs zurückgeführt. Das Erhabene basiere dabei stets auf der Vorstellung von Gefahr, Schmerz, Krankheit bzw.
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Von der Natur als Macht das spezifische Scheitern der Einbildungskraft in der Größenschätzung dieser Macht keine Erwähnung findet, an mehreren Stellen jedoch auf die „physische Ohnmacht“ des Menschen, „als Naturwesen betrachtet“34, verwiesen wird. Explizit benennt Kant als dasjeniges, was in der Imagination zu unterliegen droht, „Gesundheit und Leben“35, wodurch das Erhabene „für die bloße Sinnlichkeit [Hervorhebung R. B.] abstoßend“36 sei. Ein weiteres Indiz für eine aus dem Selbsterhaltungsinteresse resultierende Unlust findet sich in Kants diesbezüglich getätigter Feststellung, dass nämlich „die Einbildungskraft nach dem Assoziationsgesetze […] unseren Zustand der Zufriedenheit physisch abhängig“37 mache. Der reproduktiven Einbildungskraft entsprechend, die Vorstellungen assoziativ nach empirischen Regeln der Gewohnheit verbinde, basiere die Unlust im Erhabenen demnach auf der aktuellen Bewusstwerdung physischer Anfechtbarkeit, welche – allgemeiner gefasst – als gefühltes Gewahrwerden der Endlichkeit menschlichen Seins verstanden werden kann. Die Erfahrung des dynamisch-Erhabenen basiert somit in letzter Konsequenz stets auf der Konfrontation mit unserer Sterblichkeit, die in einem imaginierten Kräftemessen mit der scheinbaren Allgewalt der Natur eine unmittelbare und
Tod, kulminierend im beherrschenden Prinzip des Schreckens: „Alles, was auf irgendeine Weise geeignet ist, die Ideen von Schmerz und Gefahr zu erregen, das heißt alles, was irgendwie schrecklich ist oder mit schrecklichen Objekten in Beziehung steht oder in einer dem Schrecken ähnlichen Weise wirkt, ist eine Quelle des Erhabenen.“ (ebd., S. 72) Allen Vorstellungen gemein ist der Aspekt der drohenden Gewalt, mag sie von anderen Menschen, der Natur oder aber dem so genannten Schicksal ausgehen. Dabei nennt Burke als die eindrucksvollste der möglichen Gefahren, welche proportional hierzu mit der größtmöglichen Furcht einhergehe, die Idee des Todes selbst. Dahingehend notiert er: „in der Tat sind die Ideen des Schmerzes und vor allem des Todes so eindrucksvoll, dass wir niemals völlig frei von Schrecken sein können, solange uns etwas gegenwärtig ist, in dem wir die Macht vermuten, uns eines von beiden zuzufügen“ (ebd., S. 100). Auch wenn die Kritik der Urteilskraft sich aufgrund der empirischen und damit im kantschen Sinne nicht allgemeingültigen Begründung der Geschmacksurteile explizit von Burke abzugrenzen versucht, so scheint diese Abgrenzung insbesondere hinsichtlich der Unlust im dynamisch-Erhabenen durchlässig. Vgl. Schmerzliche Rührung – interesselose Lust, S. 65. 34
Kant (AA V / KdU), S. 261.
35
Ebd., S. 262.
36
Ebd., S. 258.
37
Ebd., S. 269.
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nahezu schockartige Aktualisierung erfährt; ein Umstand, der sich auch hinsichtlich künstlerischer Selbstverletzung finden wird. In dieser charakteristischen Verquickung kann Kants Analytik des dynamisch-Erhabenen insgesamt als eine Auseinandersetzung mit dem Tod gelesen werden. Diesem Ansatz folgt auch Olaf Briese, der in seinem Aufsatz Ethik und Endlichkeit die These vertritt, dass das Faktum menschlicher Sterblichkeit Kants Erhabenen-Diskurs implizit in „nicht unerheblichem Maß leitet“38, ja, dass Kant „in seiner ganzen philosophischen Entwicklung […] vor dem Hintergrund von Todesfurcht um die Frage menschlicher Unsterblichkeit und Sterblichkeit“ 39 ringe. Sterblichkeit stelle damit, so Briese, ein zentrales Hintergrundproblem der Analytik des Erhabenen dar, in welchem sich die existenzielle Verunsicherung des 18. Jahrhunderts spiegle, bliebe aber vordergründig durch den Verweis auf die Intelligibilität des Subjekts bewusst ausgeklammert. Denn, so Briese: „Der Tod ist [...] ein Ereignis, das mit dem abgezwungenen Verweis auf hypothetische Unsterblichkeit übergangen wird.“40 Dem lässt sich jedoch entgegenhalten, dass aufgrund der konstitutiven Funktion der Unlust, da die Lust, wie noch aufzuzeigen sein wird, im Erhabenen „[…] nur vermittelst einer Unlust möglich ist“41, die Auseinandersetzung mit Sterblichkeit keineswegs übergangen wird, sondern dass diese vielmehr selbst im Gefühl der Selbsterhebung als „dunkle[n] Seite“42 präsent bleiben muss; ein Umstand, für den Lyotard prägnante Worte findet, wenn er schreibt: „Die Lichtung wird durch einen Dunkelschlag freigelegt“43. Durch die zentrale Position der Unlust innerhalb Kants Erhabenheitskonzeption kann diese als ,Ästhetik der Endlichkeit‘ begriffen werden44; eine Charakterisierung, welche Schiller explizit machen wird.
38
Briese (1996), S. 327.
39
Ebd., S. 335.
40
Ebd., S. 341. Demgemäß setzt Briese fort: „Nicht die mentale Verdrängung per se ist das Anliegen Kants, sondern eine Art von Lebensführung, die den Tod praktisch besiegt, indem sie alle materiell-leiblichen und geistigen Beeinträchtigungen verdrängt. Nicht allein nur das Leben zu denken, kann das Leben sichern, sondern bereits die gewollt-passive Unterlassung, den Tod zu denken, sichert es aktiv.“ (ebd., S. 344).
41
Kant (AA V / KdU), S. 260.
42
Lyotard (1994), S. 208. Vgl. Die Qualität der Lust Qualität der Lust: Die Selbster-
43
Ebd., S. 209.
hebung des Subjekts, S. 77. 44
Auch für Georg-Michael Schulz ist der Tod „derjenige Regent […], der insgeheim oder offen im Reich des Erhabenen herrscht“ (Schulz [1988], S. 310).
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5.1.4 Schmerzliche Rührung – interesselose Lust Legen die zitierten Textpassagen auch einen überwiegend sinnlichen Anteil der Unlust nahe, so scheint eine solche ,physische‘ Deutung derselben der bereits zu Beginn der Analytik postulierten ,Reinheit‘ des ästhetischen Gefühls des Erhabenen zu widersprechen, da bei einer ,Beteiligung‘ des Begehrungsvermögens nicht mehr von einer Interesselosigkeit des Urteils ausgegangen werden kann.45 Bei genauer Untersuchung zeigt sich jedoch, dass gerade diese Interesselosigkeit vor allem in Bezug auf das sinnliche Begehrungsvermögen von Beginn an unhaltbar ist. Denn die „mit der Beurtheilung des Gegenstandes verbundene Bewegung des Gemüths“46, welche der ruhigen, d.h. reinen „Contemplation“ 47 beim Schönen entgegensteht und dafür sorgt, dass das Erhabene „kein Spiel, sondern ernst in der Beschäftigung der Einbildungskraft“48 ist, ist als „Rührung“49 bereits per definitionem zum Feld der Sinnlichkeit zu zählen.50 So schreibt Kant: „Rührung, eine Empfindung, wo Annehmlichkeit nur vermittelst augenblicklicher Hemmung und darauf erfolgender stärkerer Ergießung der Lebenskraft gewirkt wird, gehört gar nicht zur Schönheit. Erhabenheit (mit welcher das Gefühl der Rührung verbunden ist) aber erfordert einen andern Maßstab der Beurtheilung, als der Geschmack sich zum Grunde legt; und so hat ein reines Geschmacksurtheil weder Reiz noch Rührung, mit einem Worte keine Empfindung, als Materie des ästhetischen Urtheils, zum Bestim51
mungsgrunde.“
45
Konsequenterweise, um auch die Unlust im Erhabenen interesselos zu halten, müsste diese auf einem gegenteiligen a priori Prinzip als die Lust am Schönen, also auf der bloß formalen Zweckwidrigkeit der Natur in Bezug auf das Subjekt, basieren. Dem entspricht auch, dass Kant Unlust als eine eigenständige Empfindung versteht, insofern sie nicht das Ausbleiben von Lust, sondern eine dieser entgegengesetzte Kraft darstellt.
46
Kant (AA V / KdU), S. 247.
47
Ebd., S. 258.
48
Ebd., S. 245.
49
Ebd., S. 245.
50
An anderer Stelle beschreibt Kant die Bewegung des Gemüts als „Erschütterung“, die auf dem „schnellwechselnden Abstoßen und Anziehen“ (ebd., S. 258) durch das affizierende Objekt basiert.
51
Ebd., S. 226.
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Wenn Kant hier feststellt, dass bei einer Rührung stets die Materie eines Gegenstandes zu dessen Beurteilung beiträgt und nicht nur dessen Form wie beim Schönen, so spricht er dem Erhabenen vorausgreifend bereits in der Analytik des Schönen den Status eines reinen Geschmacksurteils ab. Denn: „Ein Geschmacksurteil ist also nur sofern rein, als kein bloß empirisches Wohlgefallen dem Bestimmungsgrunde desselben beigemischt wird. Dieses aber geschieht allemal, wenn Reiz oder Rührung einen Antheil an dem Urtheile haben.“52 Zu Beginn der Analytik des Erhabenen scheint Kant jedoch diesbezüglich seine Einschätzung geändert zu haben, wenn er jenem „Geistesgefühl“53 dieselbe Interesselosigkeit wie dem Schönen und folglich die strikte Differenz zur empirisch-psychologischen Ästhetik Burkes bescheinigt. Diese Widersprüchlichkeit ließe sich bezüglich der Unlust nur dann auflösen, wenn sie als Konglomerat aus reinen und ,unreinen‘ Anteilen verstanden werden würde. Eine solche Annahme entspräche auch der Einsicht, dass die Unlust nicht monokausal gedacht werden könne. Denn würde die Unlust aus dem bloßen Scheitern der Einbildungskraft resultieren, so könnte man auch dieser eine Interesselosigkeit gegenüber dem Gegenstand zugestehen. Da jedoch, wie aufgezeigt, das Scheitern der Einbildungskraft nicht unabhängig von dem Scheitern des ganzen Organismus betrachtet werden kann, sondern – ganz im Gegenteil – Letzterem in Kants Analytik ein eindeutig größerer Einfluss zugeschrieben wird, scheint die Unlust im dynamisch-Erhabenen überwiegend ,interessebehaftet‘ zu sein. Dieser Deutung entspricht auch Kants Definition: „Erhaben ist das, was durch seinen Widerstand gegen das Interesse der Sinne unmittelbar gefällt“54, welche die Unlust des Erhabenen auf die (absichtliche) Zuwiderhandlung gegen das sinnliche Wollen zurückführt. Dementsprechend stellt auch Lyotard fest: „Das Erhabene ignoriert das sinnliche Interesse nicht [wie das Schöne, R. B.]; es widersetzt sich ihm.“55 Wenn Kant hier das missachtete Interesse der Sinne, welches, wie dargelegt, stets die Glückseligkeit bzw. Selbstliebe des Individuums ist, ausdrücklich als Ursache des Unlustgefühls nennt, so scheint die strikte Abgrenzung von der empirischen Psychologie Burkes, zumindest von dessen als Schmerz definiertem Unlustgefühl, problematisch.56 Denn in letzter Konsequenz handelt es sich bei beiden Theoretikern um
52
Ebd., S. 224.
53
Ebd., S. 192.
54
Ebd., S. 267.
55
Lyotard (1994), S. 169.
56
Burke erläutert sowohl den Schrecken als auch das Frohsein, die beiden bipolaren Gefühle im Erhabenen, in letzter Konsequenz sogar mechanisch-physiologisch. So
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eine Zuwiderhandlung gegen das Selbsterhaltungsinteresse. Damit weicht jedoch das Unbehagen angesichts einer imaginierten Bedrohung von der Furcht aufgrund einer realen Gefahr lediglich noch graduell, nicht aber strukturell ab. Furcht und Unlust trennt hier folglich bloß der Grad der Intensität.57 Impliziert somit Kants Ästhetik des dynamisch-Erhabenen eine fundamentale Hinterfragung sinnlicher Selbsterhaltung, so stellt sich die Frage, wie aus dieser eine lustvolle Erhebung des Subjekts, welche als zweites charakteristisches Gefühl das Erhabene kennzeichnet, hervorgehen kann. Für eine solche ist in Kants Konzeption die Rolle der Vernunft respektive des reinen Willens elementar. Im Folgenden soll daher dargelegt werden, wie sich jenes intelligibele Gegengewicht zur bloßen Sinnlichkeit gerade deren Ohnmacht in einem Akt der Unterwerfung ,nutzbar‘ machen kann, um ihre Unabhängigkeit von dieser zu demonstrieren. Dem Gefühl der Lust geht folglich, als zweiter Teil der dreigliedrigen Dynamik, die gewaltsame Aufopferung der Einbildungskraft respektive der Sinnlichkeit voraus, welche für die Zusammenführung mit dem Phänomen künstlerische Selbstverletzung von elementarer Bedeutung sein wird. Denn in beiden Kontexten werden weder Einbildungskraft noch Körper vor der Konfron-
geht er von körperlich-instinktiven Reaktionen aus, welche unmittelbar von den Eigenschaften der affizierenden Dinge ausgelöst würden. Der Anblick schroffer Gegenstände etwa fördere demnach eine übermäßige Kontraktion der Muskulatur. Diese physische Rezeption betreffe ebenso die im tatsächlichen Wortsinn ,sympathetisch‘ mitempfundenen Schmerzen anderer, wobei Burke gerade in diesem rezeptiven Mitempfinden des Schmerzes eine zentrale Quelle des Erhabenen sieht. Auch diese Fähigkeit zur Sympathie wird von Burke, indem er sie auf den Gesellschaftstrieb zurückführt, triebpsychologisch verstanden. Die Ausgrenzung aller kognitiven Vorgänge, welche der englische Empiriker hinsichtlich des Erhabenen anstrebt, erscheint jedoch mitunter widersprüchlich, wenn er von der Identifikation mit der inneren Größe des Leidenden oder einer bloßen Idee des Schmerzes spricht. Er scheint hierbei ein Körperwissen anzunehmen, dessen genaue Darlegung er aber schuldig bleibt. 57
Dies lässt sich auch an Kants Beschreibungen der Unlust, als „Verwunderung, die an Schreck grenzt“, als „Grausen“ und heiliger „Schauer“ (Kant [AA V / KdU], S. 269) sowie als „augenblickliche Hemmung der Lebenskräfte“ (ebd., S. 245), ablesen. Hierin liegt wohl auch der Grund dafür, dass die Unlust in der Literatur zum Erhabenen trotz Kants ,Warnung‘ vor echter Furcht häufig als (Todes-)Angst interpretiert wurde. So schreibt etwa Kaulbach: „Angst ergreift das Gemüt, wenn es sich auf Gnade und Verderb der Gewalt der Natur, die auch als ,Schicksal‘ auszulegen ist, ausgeliefert fühlt.“ (Kaulbach [1984], S. 183).
68 | S UBJEKTERMÄCHTIGUNG UND N ATURUNTERWERFUNG
tation mit ihrer Endlichkeit ,bewahrt‘, sondern erfahren – ganz im Gegenteil – eine forcierte ,Preisgabe‘.
D IE S TRUKTUR DES DYNAMISCH -E RHABENEN
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5.2 A UFOPFERUNG : D IE F UNKTIONALISIERUNG DES L EIDENS 5.2.1 Die Aufopferung der Physis durch die Aufopferung der Einbildungskraft „[…] die Erfahrung der Schwäche und Dezentrierung des sinnlich-leiblichen Ichs wird zum Anlasser eines Prozesses der Selbsbewußtwerdung als intelligibles Vernunft-Subjekt.“1
Indem Kant das dynamisch-Erhabene in den Kontext von Macht, Gewalt und Tod ansiedelt, stellt er zugleich die Frage nach der Möglichkeit von Freiheit angesichts einer fundamentalen Fremdbestimmung des Körpers. Wie auch schon in seiner Subjektphilosophie findet er die Antwort hierfür in einem radikalen Dualismus, welcher das sinnliche Wollen mit dem reinen Willen kontrastiert, um über diese Trennung den Freiheitsanspruch des Subjekts retten zu können. Denn so Lehmann: „ist einmal das Register realen Widerstands gänzlich ausgeschöpft“, muss zwingend die „Besinnung auf das unbezwingbare sittliche Wesen erfolgen“2. Im Prozess des Erhabenen ereignet sich somit eine Wechselwirkung von Überwältigung und Freiheit, der das Subjekt, wie der folgende Abschnitt verdeutlichen wird, nicht deeskalierend, sondern, indem die Bedrohung der Sinnlichkeit als ,Chance‘ begriffen wird, die Unabhängigkeit von dieser zu demonstrieren, mittels Forcierung begegnet. Denn hat auch die Konfrontation mit der eigenen Limitiertheit ein Gefühl der Unlust zur Folge, so ist es paradoxerweise zugleich erst diese affirmierte Begrenztheit, anhand derer sich das Subjekt seiner eigenen Grenzenlosigkeit versichern kann. Erst diese Grenzerfahrung führt somit zum Bewusstsein der eigenen Potenzen, der Anspruch des
1
Böhme H. (1989), S. 120.
2
Lehmann (1989), S. 753. In diesem gewissermaßen ,rettenden‘ Bezug auf das Übersinnliche sieht Lehmann den Versuch, die Angst vor einem drohenden „Zusammenbruchs der Ich-Grenzen“ (ebd., S. 759) zu kompensieren. Aufgrund dieser Kompensationsfunktion, welche die Ohnmachtserfahrung in Selbstaffirmation umkehre, versteht er das Erhabene als „Neutralisierungsfigur“ (ebd., S. 758) des Unheimlichen, das sich als elementare Bedrohung vernünftiger Sprache ereignet. Auch Park beschreibt den Prozess des dynamisch-Erhabenen als einen „Wechsel des Blickes von der physischen zur intellektuellen Widerstandskraft“ (Park [2009], S. 130).
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Subjekts auf Selbstbestimmung findet in der Bereitschaft zum Opfer Legitimation. Wie im vorangegangen Abschnitt aufgezeigt, scheitern Einbildungskraft und damit Physis in der (imaginierten) Konfrontation mit sehr mächtigen Naturphänomenen, wodurch sich das Subjekt seiner Ohnmacht schmerzlich bewusst wird. Scheint damit zunächst im Erhabenen angesichts der Verletzlichkeit und Endlichkeit des Menschen dessen Macht nichtig und dessen Freiheit verloren, so tritt nun die Vernunft auf den Plan, um dieses vernichtende Urteil abzuwenden. Sie tut dies nicht, indem sie die Sinnlichkeit vor einer drohenden Unterwerfung zu bewahren sucht, was letzten Endes angesichts deren Endlichkeit auch vergeblich bleiben müsste, sondern vielmehr indem sie sich die Gewalt der Natur nutzbar macht, um mittels dieser auf das Noumenale, d.h. auf ihre eigene Unabhängigkeit von jeglicher sinnlicher Bedingtheit, zu blicken. Die in ihrer Gewalt für den Menschen zweckwidrige Natur ermöglicht somit innerhalb Kants dualistischer Anthropologie die Besinnung auf die Transzendentalität des Subjekts, d.h. auf die übersinnlichen Ideen der Vernunft.3 Dieser ,Perspektivenwechsel‘ auf die eigene Intelligibilität, und damit Unangreifbarkeit, kann jedoch nur insofern gelingen, als das Denken vermag, „die Natur als ein Schema“4 für Ideen des Absoluten, insbesondere für die Idee der Freiheit, zu behandeln. Das Konzept des Schemas aus der Kritik der reinen Vernunft darf in diesem Fall jedoch nicht als eine Versinnlichung eines Begriffes durch die Einbildungskraft missverstanden werden, denn „die Unerforschlichkeit der Idee der Freiheit schneidet aller positiven Darstellung gänzlich den Weg ab“5. Der kantsche Text legt vielmehr nahe, dass die übermächtige Natur im Erhabenen als eine Analogie bzw. ein Symbol6 für die Macht der Vernunft
3
So auch Begeman: „Der Blick in das den physischen Menschen erniedrigende und quasi vernichtende Unermessliche […] wird mit Sinn besetzt, da er zur Voraussetzung einer Selbsterfahrung angeblich viel essentiellerer Art wird, durch die sich der Mensch der Erniedrigung entzieht.“ (Begemann [1987], S. 149).
4
Kant (AA V / KdU), S. 265.
5
Ebd., S. 275.
6
Kant greift im § 59 der Kritik der Urteilskraft auf den Analogie- bzw. Symbolbegriff zurück, um eine Möglichkeit aufzuzeigen, reine Vernunftbegriffe, d.h. Ideen, trotz ihrer Undarstellbarkeit zumindest indirekt erfahrbar zu machen. Denn diese, so Kant, können nur mittels Analogien symbolisch veranschaulicht werden. Um ein geeignetes Symbol für einen an sich undarstellbaren Begriff zu finden, entlehnt die Urteilskraft das formale Verfahren des Schematisierens, d.h. die bloße Regel der Reflexion über einen Gegenstand. Sofern diese Reflexion zu einem bestimmten
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gedacht werden kann, und zwar insofern als beide auf analogen und daher aufeinander beziehbaren, formalen Gesetzmäßigkeiten von Ursache und Wirkung beruhen. Dahingehend ist auch Kants Definition zu verstehen: „Erhaben ist also die Natur in derjenigen ihrer Erscheinungen, deren Anschauung die Idee ihrer Unendlichkeit bei sich führt.“7 Durch diese strukturelle Ähnlichkeit kann sich die Vernunft gerade der übermächtigen Natur, anstatt sich dieser gänzlich unterworfen denken zu müssen, ,bedienen‘, um ihre Ideen zumindest indirekt, d.h. ohne Erkenntnisanspruch, zu ,veranschaulichen‘. Bei der Präzisierung der hierfür notwendigen Analogien zwischen den formalen Gesetzmäßigkeiten übermächtiger Naturerscheinungen und jenen menschlicher Vernunft sind insbesondere zwei Aspekte von Belang: Unbegrenztheit und Macht. Nur indem gewisse Naturphänomene in ihrer Macht unbegrenzt erscheinen, lassen sie sich als symbolische Veranschaulichung der intelligibelen Vernunft, deren Ideen nach Kant tatsächlich unbegrenzt sind und die darüber hinaus eine gesetzgebende Macht für die Sinnlichkeit darstellt, behandeln. 8 Wie im vorangegangenen Abschnitt aufgezeigt, evoziert die Natur jedoch nur dadurch diesen Eindruck der Allgewalt, indem Einbildungskraft und Physis in der Konfrontation mit dieser scheitern, wobei das Scheitern der Einbildungskraft Unbegrenztheit vorstellig macht, jenes der Physis hingegen Überlegenheit und Macht. Gegenstände, die das „absolute[s] Maß“9 ästhetischer Größenschätzung sowie physischer Widerstandskraft überfordern, sind demnach gerade durch diese Überforderung transparent für Ideen der Vernunft. Die Idee transzendenter Freiheit, welche das Vernunftsubjekt für sich in Anspruch nimmt, kann somit
Gegenstand nach dessen Verhältnis von Ursache und Wirkung analog zu der eines Vernunftbegriffes ist, eignet sich dieser Gegenstand als Symbol des Letzteren. Als Beispiel führt Kant die Analogie zwischen einer mechanischen Handmühle und einem totalitären Staat an, bei welcher die Herrschaft eines absoluten Willens ihrer Wirkung nach mit den unabänderlichen Gesetzen der Mechanik korreliere. Zur Analogie von Erhabenem und Freiheit vgl.: Guyer (1993), S. 263; Zammito (1992), S. 279; Park (2009), S. 191-200. 7
Kant (AA V / KdU), S. 255.
8
Auch Schiller weist in seiner Abhandlung Über das Erhabene (1801) darauf hin, dass die Unabhängigkeit des Menschen in der „wilden Ungebundenheit“ der chaotischen, zerstörerischen und damit scheinbar zweckwidrigen Natur eine indirekte Darstellung fände: „Denn wenn man einer Reihe von Dingen alle Verbindung unter sich nimmt, so hat man den Begriff der Independenz, der mit dem reinen Vernunftbegriff der Freiheit überraschend zusammenstimmt.“ (Schiller [1995], S. 94).
9
Kant (AA V / KdU), S. 251.
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paradoxerweise erst dem gewaltsamen Überwinden der eigenen Sinnlichkeit ,abgelesen‘ werden. Dadurch gewinnen jedoch das Scheitern der Sinnlichkeit und damit auch die Unlust eine konstitutive Funktion, ohne diese kann sich das Subjekt seine Überlegenheit über die Natur nicht ästhetisch fühlbar machen. Anstatt sich der Unterwerfung der Sinnlichkeit entgegenzusetzen, wählt die Vernunft folglich, um nicht den ganzen Mensch unterworfen denken zu müssen, diese Unterwerfung im Gegenteil noch voranzutreiben. Denn indem die Natur in ihrer scheinbaren Unbegrenztheit auf die nach Kant tatsächlich unbegrenzte Vernunft zu verweisen vermag, der hierzu notwendige Eindruck ihrer Unermesslichkeit jedoch lediglich durch die relationale Nichtigkeit der Sinnlichkeit evoziert werden kann, ist der Vernunft daran gelegen, diesen ‚Messungsvorgang‘ bis zum totalen Scheitern der Einbildungskraft respektive der Sinnlichkeit fortzusetzen. Als das Vermögen, das sinnlich Bedingte gedanklich zu übersteigen, ,akzeptiert‘ sie in ihrem „Begehren nach Grenzenlosigkeit“10 dementsprechend keine Schranke der ästhetischen Größenschätzung, sondern verlangt, indem sie „selbst das Unendliche […] von dieser Forderung“11 nicht ausnimmt, von der Einbildungskraft eine Fortsetzung bis zu ihrer totalen „Aufopferung“12. Bei dem Bemühen, dem Vernunftgesetz gerecht zu werden, erfährt die Einbildungskraft zwar zunächst eine „Erweiterung“13, gelangt aber schließlich zwangsläufig an ihre Grenzen und sinkt „in sich selbst zurück“14. Die Sinnlichkeit des Menschen wird „von jenem anderen Denken, das das Gesetz [das Vernunftgesetz, R. B.] verlangt, ausradiert“15. Indem die Vernunft die Aufopferung der Sinnlichkeit ,benötigt‘, um ihre Übersinnlichkeit zu demonstrieren, kommt es zu einer „Opferökonomie der
10
Lyotard (1994), S. 68. Mit Hinsicht auf das zweifache Scheitern von Einbildungskraft und Physis im dynamisch-Erhabenen können das von Lyotard konstatierte „Begehren nach Grenzenlosigkeit“ sowie die damit einhergehende „Herausforderung der Endlichkeit“ auch als Begehren nach Unsterblichkeit und ungebrochener Selbsterhaltung gelesen werden. Somit kommen hierin, bezieht man Lyotards Kommentar nicht ausschließlich auf die Denkleistung des Subjekts, exemplarisch die beiden ersten Phasen der Dynamik des Erhabenen, das hinterfragte Begehren nach Freiheit und die daraus resultierende Herausforderung der unfreien Sinnlichkeit, zum Ausdruck.
11
Kant (AA V / KdU), S. 254.
12
Ebd., S. 269.
13
Ebd., S. 269.
14
Ebd., S. 252.
15
Lyotard (1994), S. 206.
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Machtverhältnisse innerhalb der Vermögen“16. Der ,Nutzen‘, den die Vernunft aus dieser Aufopferung zieht, ist entsprechend der zweifachen Analogie von Unbegrenztheit und Macht ein doppelter: Einerseits lässt erst das Scheitern der Einbildungskraft, als unser „größte[s] Vermögen der Sinnlichkeit“17, auf etwas schließen, was selbst nicht sinnlich ist. So wie die Lust im Erhabenen „nur vermittelst einer Unlust möglich ist“18, so sind folglich auch die ihr zugrunde liegenden Vernunftideen in ihrer Veranschaulichung auf das absolute Scheitern der Sinnlichkeit ,angewiesen‘. Denn, so Žižek, lediglich durch den „Misserfolg erahnt man die Dimension des Dinges [an sich, R. B.]“19. Andererseits veranschaulicht zugleich die ,Ergebenheit‘ der Einbildungskraft, der Vernunftforderung nach Darstellung ungeachtet der Gewalt, die sie dadurch selbst erfährt, Folge zu leisten, die Macht des Vernunftgesetzes über alles Interesse der Sinnlichkeit. Zudem evozieren darüber hinaus erst die Unerbittlichkeit und Gewaltbereitschaft der Vernunft gegenüber der Sinnlichkeit ihre Unabhängigkeit von dieser. Die Möglichkeit, die Natur als Symbol ihrer selbst zu ,gebrauchen‘, dient folglich erst als ,Beweisführung‘ ihrer Macht über die Sinnlichkeit und zugleich ihrer Differenz von dieser: Der reine Wille wird durch das Überwinden des sinnlichen Wollens fühlbar gemacht. Das Selbstgefühl der Macht durch Freiheit, wie es als dritte Phase des dynamisch-Erhabenen vorgestellt werden wird, etabliert sich folglich nur über die Unterwerfung der Sinnlichkeit, d.h., es wird lediglich „durch Aufopferungen ästhetisch kenntlich“20; eine Dynamik, wie sie bei den für den zweiten Teil der Studie ausgewählten Beispielen aus der performativen Kunst an radikaler Konkretheit gewinnen wird. Erst dieses „gleichsam gewaltthätig[e]“21 Hinwegsetzen der Vernunft sowohl über die ,natürlichen‘
16
Ebd., S. 210.
17
Kant (AA V / KdU), S. 257.
18
Ebd., S. 260.
19
Žižek (2008), S. 144. Die Forderung nach der Darstellung von Vernunftideen zielt folglich keineswegs auf das Gelingen einer solchen ab, sondern operiert innerhalb Kants dualistischem Dispositionsschemas von Anfang an mit dem Scheitern der Sinnlichkeit. Dementsprechend ist auch Lyotards Feststellung, die Vernunft agiere im Erhabenen irrational, ja, „fast wahnsinnig[en]“ (Lyotard [1994], S. 74), da sie etwas Undurchführbares von der Einbildungskraft verlange, zu widersprechen, und zwar insofern als nach dem Prinzip der Zweckmäßigkeit gerade die Undurchführbarkeit des Vernunftgebotes konstitutiv ist, das Gebot selbst dadurch jedoch letztlich zweckrational.
20
Kant (AA V / KdU), S. 271.
21
Ebd., S. 245.
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Einschränkungen der Einbildungskraft als auch über das sinnliche Wollen nach Selbsterhaltung ermöglicht das gefühlte Bewusstsein von Freiheit. Denn nur dadurch der Mensch sich in der Lage zeigt, seine sinnliche Unversehrtheit aufzugeben und die Vitalität seines Körpers auch gegen den empirischen Willen zu brechen, führt er sich vor Augen, dass er selbst als „inkarnierte Freiheit schließlich über sich als inkarnierte verfügen und die Gefügigkeit des Leibes erzwingen kann“22. Somit dient dieses Moment der Selbstüberwindung als ,Beweis‘ bzw. als ,Garantieleistung‘ der Selbstbestimmung und der Unabhängigkeit von der Natur, denn so Effertz: „Die ästhetische Freiheit ist vertieft, weil um die Negation ergänzt“23. Erst durch die (imaginierte) Überwindung des Selbsterhaltungstriebes kann der Wille zur intelligibelen Freiheit – als zu sich selbst – kommen. Dementsprechend ist insbesondere für das dynamisch-Erhabene die Kategorie der Relation kennzeichnend: Das Sinnliche wird für den „übersinnlichen Gebrauch“24 nutzbar gemacht. Die aggressive Note dieses Gebrauchs hervorhebend, beschreibt Lyotard diesen als „Mißbrauch“ bzw. als „Gewalttat“25 und resümiert plakativ: Das Vernunftgesetz „verlangt gebieterisch nach einer vergewaltigten, überwältigten, erschöpften Einbildungskraft. Sie stirbt bei der Geburt des Erhabenen. […] Die Einbildungskraft muß vergewaltigt werden, weil die Freude, das Gesetz zu sehen, oder beinahe zu sehen, nur durch ihren Schmerz, vermittelst ihrer Vergewaltigung erlangt wird.“26 In dieser gesetzmäßig durch die Vernunft geforderten und dennoch unmöglichen Darstellung ihrer Ideen lässt sich somit eine dritte Ebene des Scheiterns erkennen, welche in ihrer Absolutheit die beiden ersten Formen potenziert. Denn angesichts der Idee „absolute[r] Totalität“27, d.h. angesichts des selbst Relationslosen, sind auch die in Relation gesetzte Ohnmacht bzw. Begrenztheit des sinnlichen Subjekts ebenso wie die Unzulänglichkeit der Einbildungskraft absolut.28 Alle drei Ebenen gehen ineinander über, da eben gerade die „Uner-
22
Ebeling (1967), S. 25.
23
Effertz (1994), S. 183.
24
Kant (AA V / KdU), S. 267.
25
Lyotard (1994), S. 65.
26
Ebd., S. 201.
27
Kant (AA V / KdU), S. 250.
28
Dementsprechend vermerkt Lyotard einen „Frontalzusammenstoß“ zweier Absoluta, dem Absolut-Ganzen der Vernunftbegriffe und dem Absolut-Bemessenen der Darstellung: „Die Einbildungskraft versinkt im Nullpunkt der Darstellung, der das Korrelat des absoluten Unendlichen ist.“ (Lyotard [1994], S. 141, S. 131f.).
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reichbarkeit der Natur als Darstellung von Ideen“29 gedacht werden kann. Äußere Natur und Vernunft verbindet im Gefühl des Erhabenen somit ihre Überlegenheit über die „Natur in uns selbst“30, demonstriert als Gewalt über den Körper. Durch die ,Beteiligung‘ der Vernunft kommt es folglich zu einem ,Herrschaftswechsel‘: Statt der äußeren Natur unterworfen zu sein, unterwirft nun der freie Wille.31 Mittels dieser ,Imitation‘ bzw. ,Überbietung‘ von Gewalt avanciert Ohnmacht angesichts äußerer Übermacht zur gefühlten Überlegenheit über diese: „Natürliche Macht wird zum Sinnbild menschlicher Macht.“32 Indem die Vernunft die für das (sinnliche) Begehrungsvermögen unzweckmäßige Natur als symbolische Darstellung ihrer transzendenten Ideen denkt, kann folglich der dem Menschen begegnenden Gewalt und Vernichtung zumindest eine formale Zweckmäßigkeit zugesprochen werden.33 Zugleich dient der Verweis auf das Absolute dazu, die Macht der Natur zu relativieren, denn angesichts des selbst Übersinnlichen und folglich Unbegrenzten ist auch die größte sinnliche Macht in ihrer Begrenztheit machtlos. Auf diese Weise kompensieren Vernunftideen zwar einerseits die Bedrohung durch die Natur, sie konstituieren damit aber zugleich die gegen die Einbildungskraft bzw. gegen den
29
Kant (AA V / KdU), S. 268.
30
Ebd., S. 264.
31
Auf dieses Herrschaftsverhältnis von Vernunft und Natur verweist auch Grimminger, wenn er feststellt: Das vernünftige Subjekt „herrscht mit der unumschränkten Gewalt des absoluten Souveräns über die Natur. Mit der ,Kausalität der Freiheit‘ erzwingt er [der kategorische Imperativ, R. B.] die Kausalität der Knechtschaft.“ (Grimminger [1986], S. 193) Auch Wolfgang Welsch vermerkt dahingehend: „Die Ermächtigung zur Herrschaft über Natur hat Selbstunterwerfung zur Kehrseite, zunächst als Unterwerfung der eigenen inneren Natur und schließlich als Unterwerfung des individuellen Subjekts insgesamt unter die Herrschaft des Allgemeinen.“ (Welsch [1993], S. 172).
32
Briese (1996), S. 331.
33
Die Zweckmäßigkeit des Erhabenen dient, indem noch das „Heterogenste als im Grunde vernunftaffin vorgestellt wird“, dem durchschlagenden Interesse der Vernunft nach „Subsistenz, Selbsterhaltung und Selbststeigerung“ (Sollbach [1996], S. 37). Derselbe Vorgang ereignet sich im mathematisch-Erhabenen hinsichtlich des Erkenntnisvermögens. So hält Denckmann diesbezüglich fest: „das Gefühl des Erhabenen entspringt einer im Objekt angetroffenen, subjektiven Unzweckmäßigkeit der Natur in der unendlichen Fülle ihrer Erscheinungen für unser Erkenntnisvermögen, von der wiederum unsere Vernunft einen zweckmäßigen Gebrauch macht“ (Denckmann [1947], S. 116).
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Körper gerichtete Gewalt, da eben jene Zweckmäßigkeit im Erhabenen lediglich aufgrund der Zweckwidrigkeit gegen die Sinnlichkeit ermöglicht wird. Die Fähigkeit, sich selbst das die Sinnlichkeit Bedrohende als vernunftaffin vorzustellen, fordert damit den Preis der (Selbst-)Aufopferung des sinnlichen Vermögens: „The capacity to become something more than all that exists, the ability to remain the supremely dominant power, requires an incessant giving up of power, an incessant presentation of nature as that which necessitates the effacement of the self for the sake of an all-powerful self.“34 Dadurch weist Kants Konzeption des dynamisch-Erhabenen nicht nur dualistische Tendenzen auf, sondern basiert vielmehr auf einer programmatischen, „unhintergehbaren Ausdifferenzierung von empirischen und intelligiblen Vermögen des Subjekts“35. Es darf jedoch nicht übersehen werden, dass im dynamisch-Erhabenen die existenzielle Gefährdung des Subjekts dessen partikularer Selbstaufopferung vorausgeht. Letztere ist damit in erster Linie als Versuch zu verstehen, den Menschen vor völliger Vernichtung und Fremdbestimmung zu bewahren. Denn erst dieser Versuch, Gewalt mittels Gewalt zu bewältigen, ermöglicht das zweite das Erhabene charakterisierende Gefühl, die Lust, welche jedoch aufgrund ihrer konstitutiven Verquickung mit dem Scheitern des sinnlichen Vermögens eine negative Lust oder, so Lyotard, eine tragische Empfindung36 bleiben muss. Dennoch zeugt sie von dem Gefühl der Selbsterhebung, welches sich auch als lustvolle Selbstüberwindung beschreiben lässt.
34
Huhn (1995), S. 273.
35
Briese (1996), S. 347. Um diese dualistischen Konsequenzen gedanklich zu vermeiden, finden sich in einigen Kant-Auslegungen Modelle, die trotz postulierter Überwindung der Natur die hierarchische Abwertung des Sinnlichen zu ,verbergen‘ versuchten. So etwa bei Kaulbach, der das ästhetische Bewusstsein im Erhabenen als eine harmonische Durchdringung von Sinnlichkeit und Intelligibilität definierte. Da jedoch auch er, insbesondere in seiner Auseinandersetzung mit dem dynamischErhabenen, die notwendige Distanzierung von der Natur nicht außer Acht lassen konnte, entwarf er das Konzept einer transformierten, freien und vernünftigen Sinnlichkeit, welche, mittels des Erhabenen erst gewonnen, die befangene, natürliche Sinnlichkeit ablösen sollte. (vgl. Kaulbach [1984], S. 189ff., 197ff.) Dass dieses Konzept einer ,freien Natürlichkeit‘ nach dem kantschen Freiheitsbegriff bereits in sich aporetisch ist, lässt Kaulbach hierbei unthematisiert. Auch die der Annahme, die Sinnlichkeit bedürfe einer Veredelung, implizite Abwertung der ,natürlichen‘ Sinnlichkeit bleibt unhinterfragt.
36
Vgl. Lyotard (1994), S. 141.
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5.3 E RHEBUNG 5.3.1 Die Qualität der Lust: Die Selbsterhebung des Subjekts „Also ist die Erhabenheit in keinem Dinge der Natur, sondern nur in unserem Gemüthe enthalten, sofern wir der Natur in uns, und dadurch auch der Natur […] außer uns überlegen zu sein uns bewußt werden können.“
1
Die Frage nach der Qualität der Lust steht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem ,Nutzen‘, den das Individuum aus der (imaginären) Aufopferung seiner Sinnlichkeit zieht. Wie im vorangegangenen Abschnitt aufgezeigt, kann mittels dieser Selbstüberwindung nicht nur die „physisch-unberührbare Andersartigkeit der Vernunft“2, welche vermögens ihrer unbegrenzten Ideen die Grenzen von Raum und Zeit zu überwinden vermag, sondern darüber hinaus auch ihre Macht über das sinnliche Wollen durch dessen Negation fühlbar werden. Die Unzulänglichkeit der Physis respektive die Unmöglichkeit der Einbildungskraft, die äußere Macht in Relation zu setzen, vermögen folglich die Vorzüglichkeit des Intelligiblen, als dem tatsächlich ,Relationslosen‘ und folglich Untangierbaren, ,anschaulich‘ zu machen. Die Lust am Erhabenen basiert somit in erster Linie auf der Begeisterung des Subjekts angesichts seiner „Überlegenheit über die Natur“3, d.h. seiner gefühlten Unabhängigkeit von dieser. Sie ist also eine „Lust an unserem Vermögen des Sicherhebens“4, welche auch als gefühltes Freiheitsbewusstsein beschrieben werden kann. Entsprechend der Unlust im dynamisch-Erhabenen, lässt sich auch bezüglich der Lust ein Konglomerat zweier Komponenten denken. Demnach wäre ein Anteil derselben auf die Macht der Vernunft über die Einbildungskraft, mit welcher sie letztlich eine Übereinstimmung erzwingt, sowie auf ihre Fähigkeit, über deren Begrenzung zu ,blicken‘, zurückzuführen. Der für die Spezifität des dynamisch-Erhabenen gewichtigere Anteil würde jedoch auf das Verhältnis der Vernunft zur Sinnlichkeit als solcher respektive zum Selbsterhaltungswillen rekurrieren. Damit bestünde in beiden Fällen das Wohlgefallen in der Unabhängigkeit gegenüber sinnlichen Einschränkungen, seien es die der Einbildungskraft
1
Kant (AA V / KdU), S. 264.
2
Pöpperl (2007), S. 130.
3
Kant (AA V / KdU), S. 261.
4
Kaulbach (1984), S. 170.
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oder jene der Physis, welche in deren gewaltsamer Überwindung zum Ausdruck kommt. Wenn das Überwinden der Eigengesetzlichkeit der Einbildungskraft das Denken über die Gesetzmäßigkeiten der Natur zu erheben vermag, so erhebt es das obere Begehrungsvermögen im Überwinden des Selbsterhaltungswillen über dessen Naturhaftigkeit und verdeutlicht so den Anspruch des Menschen, mehr als bloß Natur zu sein. Denn erst diese dem dynamisch-Erhabenen inhärente Negation der sinnlichen Selbsterhaltung vermag uns eine „Selbsterhaltung von ganz andrer Art“5 zu entdecken, „weil sie unsere Kraft (die nicht Natur ist) in uns aufruft, um das, wofür wir besorgt sind (Güter, Gesundheit und Leben), als klein, und daher ihre Macht (der wir in Ansehung dieser Stücke allerdings unterworfen sind) für uns und unsere Persönlichkeit demungeachtet doch für keine solche Gewalt anzusehen, unter die wir uns zu beugen hätten“6.
5
Kant (AA V / KdU), S. 261.
6
Ebd., S. 262. Wenn Kant feststellt, dass durch diese Selbsterhaltung „von ganz anderer Art […] die Menschheit in unserer Person unerniedrigt bleibt, obgleich der Mensch jener Gewalt unterliegen müsste“ (ebd., S. 262), wird deutlich, dass im Erhabenen nicht das empirische Subjekt im Vordergrund steht. Um diese Differenz zu verstehen, ist Kants Unterscheidung zwischen der empirischen Person und der intelligibelen Persönlichkeit elementar. Letztere definiert er als „die Freiheit und Unabhängigkeit von dem Mechanism der ganzen Natur, doch zugleich als ein Vermögen eines Wesens betrachtet, welches eigenthümlichen, nämlich von seiner eigenen Vernunft gegebenen, reinen praktischen Gesetzen, die Person also, als zur Sinnenwelt gehörig, ihrer eigenen Persönlichkeit unterworfen ist, sofern sie zugleich zur intelligiblen Welt gehört“ (Kant [AA V / KpV], S. 87). Der Preis der ,Unsterblichkeit‘ ist somit die Überführung des Individuums in eine allgemeine generische Bestimmung, in die Abstraktheit einer bloßen „Idee der Menschheit“ (Kant [AA V / KdU], S. 257). Autonomie und Unabhängigkeit von der eigenen Sinnlichkeit lassen sich folglich nur dann positiv denken, wenn von der Person auf die Persönlichkeit abstrahiert wird. Damit löst sich Kant in seiner Transzendentalphilosophie, indem er den Menschen allgemein in seiner Apriorität denkt, weitgehend vom empirischen Subjekt. Es findet somit ein Perspektivenwechsel von der zerstörbaren Sinnlichkeit auf die unzerstörbare, übersinnliche Bestimmung des Menschseins statt. So konstatiert Pöpperl: „Das Erhabene vollzieht einen Ebenenwechsel von der sinnlichen Ohnmacht zur intelligiblen Macht, die sich in der Bestimmung des Menschen zur Menschlichkeit ausdrückt.“ (Pöpperl [2007], S. 129) Walter Hirsch schreibt diesbezüglich von der „List der Vernunft, die Endlichkeit des Menschen zu hintergehen“, welche jedoch das Individuum vor das Problem stellt, „sich seiner Eigentlichkeit erst versichern zu müssen“ (Hirsch [1992], S. 24). Dieser
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Indem Kant die Lust am Erhabenen auf das gefühlte Bewusstwerden transzendenter Freiheit zurückführt, vollzieht er eine Neudefinition desselben, die prägend für nachfolgende Interpretationen geworden ist. Denn trotz einer gewissen Abhängigkeit von den Eigenschaften affizierender Gegenstände, wie etwa deren Überdimensionalität, ist nach Kant aufgrund ihrer Zweckwidrigkeit für unser sinnliches Erkenntnis- bzw. Begehrungsvermögen nichts an diesen selbst, was erhaben zu nennen wäre.7 So zieht er den folgenreichen Schluss: „das eigentliche Erhabene kann in keiner sinnlichen Form enthalten sein, sondern trifft nur Ideen der Vernunft“8. Denn eine Größe bzw. Macht schlechthin ist „nicht in den Dingen der Natur, sondern allein in unseren Ideen zu suchen“9. Das Erhabene wird folglich in der Kritik der Urteilskraft entgegenständlicht und stattdessen als „Geistesstimmung“10 bzw. als Bewusstwerdungsprozess in das Subjekt selbst verlegt: Der vormals erhabene Gegenstand ist für die Vernunft
,anthropologische‘ Umgang mit Sterblichkeit, der sich tendenziell bereits in der Kritik der Urteilskraft findet, wird in Kants Opus postumum noch verstärkt, wenn er schreibt: „Es ist ein Leben der Menschen nach dem Tode. Denn die Natur hat organisirt ein Gesetz der Beharrlichkeit der menschlichen Species so daß diese bleibt obgleich die Individuen durch Zeugungen wechseln, so daß sie sich einander auch ihre Geschichte mittheilen zum Theil in Vollkommenheit weiter fortrücken (der Species nach) und so auch nach jedes seinem Tode dennoch das Bewußtseyn der Species übrig bleibt“ (Kant [AA XXI], S. 346). 7
Konsequenterweise gilt auch Schönheit für Kant nicht als Charaktereigenschaft eines Objektes, sondern vielmehr als subjektives Gefühl, weshalb auch kein allgemeingültiger Kriterienkatalog derselben gefunden werden kann. Gleichwohl stellt Kant in der Abgrenzung zum Erhabenen fest, dass sehr vielen Gegenständen der Natur das Adjektiv schön zukomme, kein Gegenstand jedoch zu Recht erhaben genannt werden könne. (vgl. Kant [AA V / KdU], S. 245).
8
Ebd., S. 245.
9
Ebd., S. 250. Da nämlich jegliche empirische Größe auf relativen Maßstäben beruht, „[…] so sehen wir, dass alle Größenbestimmung der Erscheinungen schlechterdings keinen absoluten Begriff von einer Größe, sondern allemal nur einen Vergleichsbegriff liefern können“ (ebd., S. 248). Das Unendliche existiert nur als Idee der Vernunft, als ein ,An-sich‘, kann aber als solche nicht erfahren werden. Die potenzielle Messbarkeit des Unendlichen ist daher stets nur eine unendlich fortsetzbare, prozessorale Annäherung an diese Idee, das Absolute als ,Erfahrungsbegriff‘ bloß der unendlich fortschreitende bzw. rückschreitende Prozess.
10
Ebd., S. 250.
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fortan „Zeichen und Initial ihrer Selbstbehauptung“11. Die konkrete Vorstellung von dem affizierenden Gegenstand wird in Kants Konzeption nun lediglich noch gebraucht, „um eine von der Natur ganz unabhängige Zweckmäßigkeit in uns selbst fühlbar zu machen“12. ,Trösten‘ auch scheinbar der Bezug auf das Übersinnliche und die eigene Teilhabe daran über den Verlust der Einheit von Sinnlichkeit und Vernunft hinweg, so kann die Unlust bzw. das Leiden der Sinnlichkeit angesichts der endlichen Physis dennoch nicht in jener Lust der Erhebung aufgehoben werden. Die kantsche Konzeption des Erhabenen basiert vielmehr auf einer unauflösbaren Dialektik aus „Schrecken und Trost, von sinnlichem Ausgesetztsein und vernünftiger Selbstbesinnung“, da sie lediglich „in diesem Oszillieren zwischen den Extremen von Sinnlichkeit und Vernunft besteht [Herv. i. O.]“13. Lust und Unlust dürfen somit bei Kant nicht als aufeinander folgende, vertikale Phasen gedacht werden, sondern vielmehr als horizontale Bewegung eines „schnellwechselnden Abstoßen[s] und Anziehen[s]“14. Denn obwohl im Erhabenen die Macht der Vernunft über den Körper und damit deren scheinbare Andersartigkeit fühlbar werden können, bleibt auch die bedrohte, geopferte Sinnlichkeit des Menschen in der konstitutiven Funktion der Unlust präsent, wodurch die Distinktion von sinnlichem und reinem Willen keine Stabilität gewinnen kann. Dementsprechend fielen auch jene Lesarten, welche in der zeitlichen Nachfolge Kants insbesondere im dynamisch-Erhabenen die metaphysische Überwindung der Unlust und mit ihr der Sinnlichkeit zelebrierten, hinter ihre vermeintliche Referenz zurück.15 Denn im Gegensatz zu der Vorstellung eines entkörperten,
11
Feger (1996), S. 45. Menninghaus weist darauf hin, dass durch diese Verinnerlichung des Erhabenen nun der Widerstand gegen diejenigen Phänomene als erhaben anzusehen wäre, welche zuvor selbst das Erhabene darstellten. (vgl. Menninghaus [1991]).
12
Kant (AA V / KdU), S. 246.
13
Recki (1992), S. 181.
14
Kant (AA V / KdU), S. 258.
15
Theoretiker/-innen, die dieses Wechselverhältnis von Unlust und Lust zugunsten eines chronologischen Phasenmodells aufzuheben suchten und damit die Aporie der Erhebung über die eigene Sinnlichkeit außer Acht ließen, fanden sich jedoch nicht nur in der direkten Nachfolge Kants, sondern auch unter den prominentesten KantAuslegungen des 20. Jahrhunderts. So beschreibt etwa Kaulbach die ästhetische Erhebung des Subjekts in Anlehnung an das aristotelische Katharsismodell wie folgt: „Das ihm auferlegte Leiden hat es durch den Übergang zu einem erhobenen Stand der wiedergewonnenen Freiheit, Tätigkeit und Autarkie überwunden. Durch
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omnipotenten Ichs leugnet Kants Konzeption weder die Leibhaftigkeit des Menschen noch deren unhintergehbare Konsequenzen, sondern baut gerade, indem das Subjekt sich zuerst „einer unüberholbaren Vernichtung seines sinnlichen Vermögens ästhetisch ausgesetzt sehen [muss, R. B.], um den abschließenden Schritt zurück in das Selbstbewußtsein der eigenen Bestimmung zu tun“16, auf der ,Präsenz‘ derselben auf. Dementsprechend kann das Wohlgefallen im Erhabenen stets bloß eine „negative Lust“17 bleiben. 5.3.2 Das Erhabene und die Moral „Daher ist das Erhabene nichts anderes als die opferbringende Ankündigung der Ethik auf 18
ästhetischem Gebiet.“
Zeigte die nähere Untersuchung von Kants Analytik des Erhabenen, dass die Unlust insbesondere in Bezug auf den Bereich des sinnlichen Wollens nicht gänzlich interesselos gedacht werden kann, so stellt sich dieselbe Frage ebenso hinsichtlich des Lustgefühls. Bereits die Definition des gemischten Gefühls als Rührung impliziert wie auch bei der Unlust eine zumindest partielle Unreinheit der Lust. Fällt nämlich die Hemmung der Lebenskräfte in den Bereich des Sinnlichen, so gilt dasselbe auch für die „desto stärkere[n] Ergießung derselben“19, wie sie bei einer Rührung erfolgt. Kants dahingehend gewählte Beschreibung der Lust als „begeisternde[s] Wohlgefallen“20 macht somit deutlich, dass diese nicht als völlig unabhängig vom sinnlichen Interesse der Selbsterhaltung gedacht werden kann. Ein ,Zugeständnis‘ dieser Art findet sich, wie bereits erwähnt, in der Allgemeinen Anmerkung zur Exposition, wo das Postulat absoluter Interesselosigkeit durch Kants Feststellung, dass das Wohlgefallen bei ästhetischen Urteilen nicht „ganz und gar“ 21 durch das Vergnügen aus Reiz und
diesen Übergang vermag es die ästhetische Urteilskraft, die Würde und Überlegenheit des Vernunftwesens Mensch über die Natur trotz, ja gerade wegen der Erfahrung welche sie von der maßlosen Macht und Größe der Natur gemacht hat, auf ihre ästhetische Weise zu retten.“ (Kaulbach [1984], S. 172). 16
Effertz (1994), S. 201.
17
Kant (AA V / KdU), S. 245.
18
Lyotard (2006a), S. 159.
19
Kant (AA V / KdU), S. 245.
20
Ebd., S. 262.
21
Ebd., S. 278.
82 | S UBJEKTERMÄCHTIGUNG UND N ATURUNTERWERFUNG
Rührung erklärt werden darf, weit abgeschwächter als zu Beginn der Analytik erscheint. Wenngleich dadurch die Abgrenzung von der Sinnlichkeit durch Kant selbst eine Einschränkung erfährt, so scheint der Anteil der Interesselosigkeit hinsichtlich der Lust dennoch gewichtiger als bei ihrem Komplementär.22 Dies wird ersichtlich, wenn in der Kritik der Urteilskraft als Bedingung des Wohlgefallens des Erhabenen eine „Stimmung zur ruhigen Contemplation“23 vorausgesetzt wird. Gerade hierin läge mitunter die Möglichkeit des Subjekts, sich die Macht der Vernunft fühlbar zu machen, dass diese nämlich in der Lage sei, die „erregte Bewegung des Gemüths mit dem Ruhestande desselben zu verbinden und so der Natur in uns selbst, mithin auch der außer uns […] überlegen zu sein“24. Die Vermischung mit dem Angenehmen ist jedoch nicht die einzige ,Verunreinigung‘, welche ästhetischen Urteilen droht. So besteht darüber hinaus insbesondere beim dynamisch-Erhabenen durch dessen Bezug zur Idee der Freiheit eine Nähe zum Feld des Sittlichguten, d.h. zu jenem der Moral. Da Freiheit bei Kant letztlich immer als eine Freiheit zum Sittengesetz verstanden werden muss, ist das Gefühl des dynamisch-Erhabenen mehr noch als jenes des Schönen25 mit dem moralischen Gefühl, d.h. der Achtung26, verwandt. So
22
In einer solchen Aufspaltung von sinnlicher Unlust und (nahezu) reiner Lust zeichnet sich auch Kants dualistische Konzeption von Sinnlichem und Intelligiblem, von bedürftigem und sittlichem Wesen ab, welche seine gesamte kritische Theorie durchzieht.
23
Kant (AA V / KdU), S. 263.
24
Ebd., S. 269.
25
In § 59 der Analytik des Schönen war Kant zu dem Schluss gekommen, dass das Schöne aufgrund diverser Analogien zum Sittlichguten als Symbol für dieses gelten könne und dadurch auf das Intelligible hinauszuweisen vermöge. Dank dieser Symbolfunktion gelinge der Übergang, welchen die III. Kritik zwischen der empirischen Welt und den Ideen der Vernunft gewährleisten sollte. Kaulbach zur Folge entspräche das Erhabene durch seinen Bezug zur Freiheit jedoch eher diesem gesuchten Übergang zwischen Erkenntnistheorie und praktischer Philosophie. So Kaulbach: „In der Perspektive des Erhabenen wird die Zweckmäßigkeit der Natur auf einer höheren Reflexionsstufe als auf derjenigen des Schönen ästhetisch erkannt“ (Kaulbach [1984], S. 170f.). Vgl. hierzu auch Kap Hyun Parks These, dass das Erhabene der Natur als Symbol des moralischen Gesetzes gedacht werden könne. (Park [2009]).
26
Das moralische Gefühl kann als subjektiv gefühlte Präsenz des Sittengesetzes verstanden werden, d.h. als Signal der Veranlagung, das Gute zu wollen. Es ist „die
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schreibt Kant: „Hieraus folgt, dass das intellektuelle, an sich selbst zweckmäßige (das Moralisch-)Gute, ästhetisch beurteilt, nicht sowohl schön als vielmehr erhaben vorgestellt werden müsse“27. Diese Verwandtschaft zeigt sich in erster Linie daran, dass die apriorische Bedingung des Erhabenen sogar in eben jenem moralischen Gefühl, welches Kant jedem vernunftbegabten Wesen der Veranlagung nach zuspricht, zu finden sei: „In der Tat lässt sich ein Gefühl für das Erhabene der Natur nicht wohl denken, ohne eine Stimmung des Gemüths, die der zum Moralischen ähnlich ist, damit zu verbinden“ 28. Es lässt sich präzisieren, dass sowohl das moralische Gefühl als auch das ästhetische Gefühl des Erhabenen auf eine gemeinsame Bedingung, nämlich die Fähigkeit, sich die übersinnliche und daher autonome Vernunft fühlbar zu machen, zurückzuführen sind. Somit folgert Kant, dass erst das moralische Gefühl – genauer die Fähigkeit zu diesem – es erlaube, Furcht erregende Gegenstände der Natur als NegativSchemata bzw. als Symbole von Ideen zu behandeln und die damit einhergehende Gewalt gegen die Sinnlichkeit zugleich als zweckmäßig zu erfahren. Erst durch die Anlage zum Moralischen kann die Vorstellung eines an sich
Sittlichkeit selbst, subjectiv als Triebfeder betrachtet“ (Kant [AA V / KpV], S. 76). Kaulbach definiert Achtung als den „Zustand der Vernunftherrschaft im Subjekt“ und setzt fort: „Als Kehrseite der Achtung zeigt sich Verachtung der natürlichen Antriebe, die dadurch zugleich entmachtet werden.“ (Kaulbach [1976], S. 404f.) Diese Vernunftherrschaft ist, wenn auch in jedem Menschen angelegt, nach Kant dennoch kein ,Naturzustand‘, sondern muss vielmehr erst gegen das Interesse des sinnlichen Willens erkämpft werden, da es „an der Sinnlichkeit Hindernisse“ erfahre. (Kant [AA V / KdU], S. 267) Dadurch erlebt jedoch das „sinnlich affizierte Subjekt [...] einen ,Zwang‘, sofern es seine natürliche Freiheit der Vernunft und damit der intelligiblen Freiheit zu opfern und sich ihrem Gesetz zu unterwerfen hat [Herv. i. O.]“ (Kaulbach [1976], S. 406). Die Realisierung des kategorischen Imperativs ist folglich durch das notwendige Absehen vom Interesse der Sinne meist mit Schmerz verbunden. (vgl. Kant [AA V / KpV]). Weist diese Dynamik auch große Ähnlichkeiten zum dynamisch-Erhabenen auf, insbesondere da in beiden Fällen der Konflikt von Freiheit und Unterwerfung in das Subjekt selbst verlagert wird, so gilt es dennoch die Lust im Erhabenen von der Achtung zu differenzieren. Dementsprechend betont Kant, dass seine Bezugsetzung derselben lediglich auf eine Verwandtschaft der Gefühle zurückzuführen sei, nicht jedoch auf deren Synonymität basiere. 27
Kant (AA V / KdU), S. 271.
28
Ebd., S. 268.
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„grässlich[en]“29 Gegenstandes als subjektiv-zweckmäßig beurteilt werden. Die Gemütsstimmung des Erhabenen wäre demnach jener, „die der Einfluß bestimmter Ideen (praktischer) auf das Gefühl bewirken würde“30, d.h. dem moralischen Gefühl, gemäß, nur dass Erstere auf dem Gefühl unbestimmter Ideen basiere und somit im Vergleich zum moralischen Gefühl interesselos sei31 oder allgemeiner formuliert: „Im Erlebnis des Erhabenen wird die Spaltung in Erscheinung und Ding an sich im Gefühl“32 bewusst und dadurch ebenso das Vorhandensein von etwas Unbedingtem in uns, ohne dass dieses zum Sittengesetz ,weitergedacht‘ werden würde. Denn indem Kant die Lust im Erhabenen ausdrücklich vom moralischen Gefühl differenziert und nur deren Ähnlichkeit hervorhebt, lässt sich diese auch nicht als gefühlte Pflicht zum moralischen Handeln verstehen, sondern lediglich als Begeisterung, als gefühltes Bewusstsein der eigenen Autonomie.33 Das Subjekt erhascht folglich nur einen Blick auf das Noumenale, die apriorische Bedingung von Moral, ohne dass sich diese zum kategorischen Imperativ ,ausformulieren‘ würde. Denn diese apriorische Bedingung ist, wie Kant in seiner III. Antinomie aufzeigt34, die transzendente Freiheit als solche, basierend auf der programmatischen Trennung von Erscheinung und Ding an sich. In dieser ,Ungefülltheit‘ des Freiheitsbewusstseins liegt die Differenz zwischen der negativen Lust des Erhabenen und dem moralischen Gefühl der Achtung.35 Dementsprechend darf die ästhetisch gefühlte Freiheit nicht positiv als Freiheit durch etwas – nämlich den kategorischen Imperativ – verstanden werden, sondern ist als negative Freiheit lediglich die Unabhängigkeit von sinnlicher Bedingtheit, denn Freiheit positiv zu denken, würde ein begriffliches
29
Ebd., S. 245.
30
Ebd., S. 256.
31
Ein lediglich formales Wohlgefallen am Erhabenen muss daher bloß auf die Idee des Unbedingten an sich, „als dem gemeinschaftlichen Titel aller Vernunftbegriffe“ (Kant [AA III], S. 205), bezogen sein.
32
Denckmann (1947), S. 134.
33
Vgl. Lyotard (1994), S. 157f.
34
Vgl. Freiheit und Dualismus, S. 27.
35
Darüber hinaus hebt Lyotard hervor, um das ästhetische Gefühl des Erhabenen zu präzisieren, dass die Unlust bei der Achtung nur eine Begleiterscheinung sei, wohingegen sie im Erhabenen das Lustgefühl konstitutiv bedinge. (vgl. Lyotard [1994], S. 200ff.; Pries [1995], S. 66ff.) Insbesondere aufgrund dieses Unterschiedes sieht auch er lediglich eine Analogie zwischen dem begeisterten Wohlgefallen im Erhabenen und dem moralischen Gefühl. (Lyotard [1994], S. 145).
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Urteil verlangen. Die Unabhängigkeit des Subjekts wird im Erhabenen jedoch nicht begriffen, d.h. erkannt, sondern der reflektierenden Urteilskraft gemäß lediglich gefühlt. Folglich wird im ästhetischen Urteil dasjenige als absolute Macht beurteilt, angesichts dessen das beurteilende Subjekt in sich eine absolute Macht fühlt. Auch wenn Kant durch die Benennung des Erhabenen als „Geistesgefühl“36 eine Nähe zur Achtung herstellt, darf die ästhetische Perspektive der Freiheit daher keineswegs mit dem Sittengesetz gleichgesetzt werden. Bevor Kants Ansatz durch Schillers Konzeption des Erhabenen Ergänzung findet, soll vorweg noch auf drei Momente eingegangen werden, welche im zweiten Teil der Studie, d.h. in der Auseinandersetzung mit künstlerischer Selbstverletzung, an Relevanz gewinnen: Jenes der inneren Distanziertheit, jenes der Freiwilligkeit und jenes der erhabenen Handlung.
36
Kant (AA V / KdU), S. 192.
86 | S UBJEKTERMÄCHTIGUNG UND N ATURUNTERWERFUNG
5.4 D ISTANZ – D ISTANZIERTHEIT „Dem Fürchterlichen wird durch die bildliche Vergegenwärtigung
ein
Ermöglichungsraum
geboten, in dem es zerstörerisch überwältigend gegenüber dem Subjekt erscheinen kann.“
1
Als konstitutives Moment für die Lust am Schrecklichen hebt Kant die Notwendigkeit der Distanz zum potenziell bedrohlichen Gegenstand hervor, und zwar nicht nur bezüglich physischer Sicherheit, sondern auch hinsichtlich des gefühlten Bewusstseins dieser Sicherheit.2 Demnach thematisiert das dynamischErhabene die Konfrontation mit einem potenziellen Gegenstand der Furcht, ohne dass wir uns tatsächlich vor diesem fürchten dürfen.3 Das Subjekt stellt sich
1 2
Pöpperl (2007), S. 130. Distanz als notwendige Bedingung, um Schreckliches lustvoll erfahren zu können, nimmt bereits vor Kant bei Theoretikern wie Thomas Hobbes, Joseph Addison oder Edmund Burke eine konstitutive Funktion ein. Insbesondere Hobbes bezieht sich dabei auf Lukrez’ De Rerum Natura (1. Jh. v. Chr.), wo die vom sicheren Ufer aus erfolgte Beobachtung eines Schiffsunglückes geschildert wird. Diese Schrift erfreut sich im Erhabenheitsdiskurs des ausgehenden 17. und 18. Jahrhunderts einer solchen Beliebtheit, dass sie als zweiter antiker Gewährstext Pseudo-Longins Peri hypsos (1. Jh. nach Chr.) zur Seite gestellt wird. In der Tradition Lukrez’ hebt Hobbes vor allem das Vergnügen an der eigenen Sicherheit im Kontrast zu der Gefährlichkeit des Betrachteten hervor, wenn er schreibt: „Fremdes Unglück zu sehen, ist etwas Angenehmes; denn es gefällt, nicht sofern es ein Unglück ist, sondern sofern es ein fremdes Unglück ist. Daher kommt es, dass Menschen zusammenlaufen, um sich Tod und Gefahren anderer anzusehen.“ (Hobbes [1954], S. 26) Auch nach Burke würden Gefahren als „schlechthin schrecklich“ (Burke [1989], S. 73), d.h. ohne jegliches Frohsein, wahrgenommen, drängten sie zu nahe auf den Menschen ein. Erst die Gefahr, die nicht unmittelbar das Selbst zu vernichten droht, kann als angenehmes Grauen, als „eine Art von innerem Gehobensein und von Triumphgefühl“ rezipiert werden (ebd., S. 85). Denn sie erschüttert zwar das Gemüt, zerrüttet es aber nicht.
3
Briese weist darauf hin, dass diese Prämisse von äußerer Sicherheit Kants ursprüngliches
transzendentalphilosophisches
Anliegen
der
Subjekt-Objekt-
Ausdifferenzierung unterläuft. Diese Präsumption von Sicherheit, welche die Tatsache menschlicher Endlichkeit weitgehend ausblende, überginge gerade die Möglichkeit innerer Autonomie und nehme dadurch dem transzendentalphilosophischen
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mittels der Einbildungskraft lediglich eine Bedrohung vor, der es keinen Widerstand entgegensetzen könnte, ohne jedoch unmittelbar von dieser betroffen zu sein. Mit der vermeintlichen Gefahr ist es folglich nicht ernst, ebenso wenig mit der Angst. Statt einem sinnlichen Affekt ausgeliefert zu sein, wie dies etwa in der burkeschen Schockästhetik angedacht wurde, fühlt das Gemüt nur eine schauerliche Rührung, welche Lyotard als die bloße „Empfindung […], dass Anlaß zur Furcht besteht“, beschreibt.4 Dies hält Kant für nötig, um überhaupt
Anspruch auf Selbsterhaltung seine Prägnanz. (vgl. Briese [1996], S. 333) Dem lässt sich entgegenhalten, dass Kants Hervorhebung der Notwendigkeit ,innerer‘ Sicherheit die Möglichkeit einer realen äußeren Bedrohung zumindest tendenziell andenkt. 4
Lyotard (1994), S. 157f. Insbesondere in seiner so genannten Renaissance in den 1980er Jahren wird das Erhabene entgegen Kants Intention wesentlich als ein Schockereignis definiert. (vgl. Bohrer [1981]) Dabei wird dieser Schock häufig, dem Fokus auf das mathematisch-Erhabene entsprechend, nicht als Gefährdung des Selbsterhaltungstriebes im Sinne Burkes, sondern vielmehr als Suspension der sprachlichen Symbolisierungsleistung und repräsentativen Darstellungsfunktion verstanden. (vgl. de Man [1993]) So definiert H.-T. Lehmann die Bedrohung im Erhabenen als (temporäres) „Aussetzen der Sprachzeichen“, was ein „Spiel um die Stabilität des rationalen Diskurses selbst“ mit sich führt. (Lehmann [1989], S. 756f.) In ähnlicher Weise stellt auch Lyotard fest: „[…] im Erhabenen geht die ganze Natur als Formen»schrift« verloren, und alles, wodurch das Denken mit dieser Schrift verbunden und auf sie abgezweckt ist: sein Formvermögen selbst“ (Lyotard [1994], S. 148). Auch Albrecht Wellmer vermerkt hinsichtlich der Krise im Erhabenen: „Der Gegensatz, die Polarität, die unauflösbare Spannung, an der das Gefühl des Erhabenen sich entzünden kann, wäre eine im intelligiblen Subjekt selbst; nämlich die Spannung zwischen einem Abgrund von Sinnferne oder Widersinn, der das intelligible Subjekt der Sprache als nichtig sich erfahren läßt, und dessen Standhalten gegenüber der Übermacht der Negativität, durch welches es noch die Erfahrung seiner Nichtigkeit in die Welt kommunikativ geteilten Sinns aufhebt und hierin über die eigene Nichtigkeit sich erhebt.“ (Wellmer [1991], S. 63) Dagegen lässt sich jedoch einwenden, dass Kant mehrfach das Scheitern der Einbildungskraft auf den ästhetischen Charakter des Urteils zurückführt, welches in seiner ästhetischen Funktion ohnehin ohne bestimmte Begriffe operiert, wohingegen ein (sprachliches) Erkenntnisurteil anhand derselben Gegenstände ungeachtet ihrer Größe oder Macht weiterhin möglich wäre. (vgl. Kant [AA V / KdU], S. 255) Darüber hinaus ist es die Vernunft, als Darstellung forderndes Vermögen, welche letztlich das Scheitern der Einbildungskraft ,provoziere‘, um ihre Macht zu demonstrie-
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angesichts des Schrecklichen eine lustvolle Erhebung erleben zu können, denn „[…] es ist unmöglich, an einem Schrecken, der ernstlich gemeint wäre, Wohlgefallen zu finden“5. Das Vorhandensein von Furcht bzw. das Fliehen der Gefahr mit dem Vorsatz, „sich derselben nie mehr auszusetzen“6, stünden dem ästhetischen Urteil im Wege. Es stellt sich jedoch die Frage, ob die von Kant geforderte Distanz nicht auch als eine innere Distanziertheit denkbar wäre, wodurch das Erhabene als ästhetisches Gefühl unabhängig von dem Realitätsgehalt der physischen Bedrohung stattfinden könnte. Da die Möglichkeit zur Selbsterhebung ohnehin die Fähigkeit voraussetzt, die Sinnlichkeit bis zu einem gewissen Grad „zu verlassen“7, ließe sich der von Kant geforderte Scheincharakter der Gefahr dementsprechend auch, je nach Fähigkeit zur inneren Distanziertheit, variabel denken.8 Eine so verstandene Distanziertheit würde weniger auf physischer Unversehrtheit basieren als vielmehr auf einer entsprechenden inneren Haltung. Dieser Deutung kommt Kants Beschreibung des Kriegers entgegen, welcher Dank seiner erhabenen Gesinnung „nicht erschrickt, […] sich nicht fürchtet, also der Gefahr nicht weicht“9. Die beschriebene Tapferkeit angesichts der hier wohl tatsächlichen Gefahr bestünde, so lässt sich folgern, in der Fähigkeit, sich zu seinen Neigungen in Distanz zu setzen. In diesem Sinne könnte nicht nur eine reale Bedrohung als ,Auslöser‘ des Erhabenen angenommen werden, vielmehr würde auch der Phase der Aufopferung durch die Bereitschaft, sich tatsächlicher Gefahr zu stellen, Realität verliehen. Dass diese Haltung Kant letztlich als anstrebenswert gilt, lässt sich an seinem Versuch ablesen, selbst den Krieg positiv als ,Charakterschule‘ zu werten, um die „Denkungsart des Volks […] nur um desto erhabener [zu machen, R. B], je mehreren Gefahren es ausgesetzt war
ren. Die scheinbare Unzweckmäßigkeit der Natur dient dieser hierzu lediglich als Anlass. 5
Ebd., S. 261. So Kant weiter: „Wer sich fürchtet, kann über das Erhabene der Natur gar nicht urtheilen, so wenig als der, welcher durch Neigung und Appetit eingenommen ist, über das Schöne.“ (ebd., S. 261).
6
Ebd., S. 261.
7
Ebd., S. 246.
8
Dieser Annahme kommt der Umstand entgegen, dass, wie aufgezeigt, Unlust und Angst nicht strukturell voneinander abweichen, sondern lediglich in der Intensität variieren. Das in der Rührung enthaltene „Grausen“ (ebd., S. 269) respektive die ,Hemmung der Lebenskräfte‘ können demnach quasi als Vorstufen realer Furcht verstanden werden.
9
Ebd., S. 262.
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und sich mutig darunter hat behaupten können“10. In diesem Sinne ergänzt er bekräftigend: „dagegen ein langer Frieden den bloßen Handlungsgeist, mit ihm aber den niedrigen Eigennutz, Feigheit und Weichlichkeit herrschend zu machen und die Denkungsart des Volks zu erniedrigen pflegt“11. Kants Annahme, dass eine erhabene Denkungsart durch überstandene Gefahren bzw. durch wiederholte Bereitschaft, sich diesen Gefahren zu stellen, potenzierbar sei, basiert auf der Zurückführung des Erhabenen auf die Veranlagung zu praktischen Ideen. Denn findet sich diese Anlage auch in jedem vernunftbegabten Wesen, so betont Kant zugleich die Notwendigkeit zu deren „Entwickelung und Übung“12, um die Empfänglichkeit für Ideen zu erhöhen; eine Notwendigkeit, die den Anspruch des Erhabenen auf Allgemeingültigkeit im Vergleich zum Schönen erschwert. Um nämlich ein Urteil über das Erhabene fällen zu können, bedarf es einer „größere[n] Cultur“13 des Denkens als sie gemeinhin vorhanden ist, denn dem „rohen Menschen“ erscheinen Furcht einflößende Naturgegenstände, selbst wenn sie ihn nicht real bedrohen, „bloß abschreckend“14. Die Fähigkeit, das Erhabene zu empfinden, setzt somit die ,richtige‘ Geisteshaltung hierzu voraus, welche das wiederholte Erleben erhabener Momente zugleich fördert. Durch diesen Aspekt der Charakterschulung kann die Konfrontation mit dem Erhabenen als eine Art ,Vorbereitungstraining‘ auf wirkliche Gefahr und – indem sich der Mensch darin übt, den Wert seiner Sinnlichkeit gering zu erachten – letztlich auf den Tod gedeutet werden.15 Durch
10
Ebd., S. 263.
11
Ebd., S. 263.
12
Ebd., S. 262.
13
Ebd., S. 264.
14
Ebd., S. 265. Im Gegensatz dazu entwirft Mendelssohn eine Geschmackssoziologie, im Rahmen derer er die Lust am Schrecklichen gerade ,verrohten‘ Menschen zuschreibt. Lediglich diese seien in der Lage, das Schreckliche so weit von sich zu distanzieren, dass sie bei dessen Anblick Lust empfinden könnten. Denn: „Empfindsamern und wohlerzogenen Gemüthern sind die grausen Gegenstände der Natur, die den rohen Menschen ergötzen zu heftig.“ (Mendelssohn [1971], S. 389) Während Mendelssohn jedoch in erster Linie die Rezeption des Unglücks anderer Menschen behandelt, thematisiert Kant die Imagination eigenen Unglücks. Dieser perspektivische Unterschied kann als eine mögliche Erklärung der gegensätzlichen Positionen dienen.
15
Diesem ,Abhärtungspotenzial‘ des Erhabenen, welches Kant lediglich indirekt thematisiert, kommt bei Schiller ein elementarer Stellenwert zu. Vgl. Das Erhabene bei Friedrich Schiller, S. 99ff.
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wiederholte imaginierte Konfrontationen mit seiner eigenen Endlichkeit soll der Mensch dahin gebracht werden, dass er „auch im Ernstfall das Interesse der Sinnlichkeit aufzugeben und so seine Freiheit zu bewahren in der Lage ist“16. Dementsprechend beschreibt Begemann das Erhabene als „Immunisierung gegen alle körperliche Unzulänglichkeit“17. Es trage dazu bei, dieser „wirklichen Ohnmacht“18 schon beizeiten entgegenzuwirken, indem es unsere „Seelenstärke über ihr gewöhnliches Mittelmaß“19 erhöhe. Es rufe eine übersinnliche Kraft in uns auf, welche alle materiellen Güter und selbst „Gesundheit und Leben“20 klein und unbedeutend erscheinen lässt und verleihe uns dadurch Mut, „uns mit der scheinbaren Allgewalt der Natur messen zu können“21. Diese übersinnliche Kraft kann auch als Fähigkeit, eine innere Distanz gegenüber der Sphäre des Materiellen einzunehmen, verstanden werden. Angesichts der fundamentalen Bedrohung menschlicher Freiheit durch die Vergänglichkeit des Körpers auf der einen und der vermeintlichen Realisierung dieser Unabhängigkeit mittels des moralischen Gesetzes auf der anderen Seite lässt sich annehmen, dass die Fähigkeit zur inneren Distanziertheit jener Notwendigkeit einer äußeren Distanz vorzuziehen wäre. Denn eine tatsächliche ,Sicherheit‘ des Subjekts sieht Kant angesichts der unvermeidlichen Determiniertheit zum Tod erst in der Erfüllung des moralischen Gesetzes und somit in der vollständigen Herrschaft des Intelligiblen über die Sinnlichkeit gegeben, auch wenn dadurch Leid und Tod nicht realiter überwunden werden können. Demzufolge bestünde die äußerste Potenzierbarkeit dieser Distanziertheit in der völligen Affektlosigkeit22, mithilfe derer
16 17
Begemann (1987), S. 156. Ebd., S. 158. Begemann hält in Bezug auf das Erhabene fest, hier „lebt der Schrecken fort, ist aber [...] zugleich dementiert, ja überwunden“ (ebd., S. 118). Indem er die Möglichkeit hervorhebt, mittels künstlerischer Auseinandersetzung die Angst vor realer Bedrohung zu kompensieren, verweist er zugleich auf den Mythos, wo ebenso das Schreckliche zwecks ,Zähmung‘ in Bilder verwandelt wird. (vgl. hierzu auch Blumenberg [1979]; [1971]).
18
Kant (AA V / KdU), S. 262.
19
Ebd., S. 261.
20
Ebd., S. 262.
21
Ebd., S. 261.
22
Die stoische Apatheia hebt Kant auch an anderer Stelle als erhabene Gemütsart im ästhetischen Sinne hervor. (vgl. ebd., S. 272) Ob jedoch ein affektloser Mensch überhaupt die für das Erhabene charakteristische Rührung, welche Kant auch als Vorstufe des Affekts definiert, fühlen kann, scheint fraglich. Am Wege zu dieser Apatheia, welche nach Kant selbst das Wohlgefallen der reinen Vernunft gewinnen
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der Krieger „die Unbezwinglichkeit seines Gemüths durch Gefahr“23 bis hin zum stoisch ertragenen Selbstopfer unter Beweis zu stellen vermag. Da bei einer imaginierten Bedrohung bzw. Aufopferung lediglich die Möglichkeit von Freiheit fühlbar wird, ist anzunehmen, dass erst durch die konkrete Opferbereitschaft angesichts einer wirklichen Gefahr die ,Realität‘ dieser Freiheit empfunden werden könne. Dahingehend stellt Villwock fest: „Das Erhabene entspricht der Konstitution des Individuums, das nur dann, wenn es sich ganz seiner Vergänglichkeit zu exponieren vermag und zu vergehen riskiert, eine Vergangenheit und damit zugleich die eigentliche und höchste Präsenz gewinnt.“24 Erst die reale Überwindung der bloßen Sinnlichkeit ermögliche schließlich den Blick auf das Noumenale; ein Umstand, der hinsichtlich künstlerischer Selbstverletzung, wo der Körper tatsächlich Schädigungen erfährt, an Bedeutung gewinnen wird.
könne, gelten diesem auch einige Affekte als ästhetisch erhaben, und zwar jene, welche das Gemüt darin bestärken, „sich über gewisse Hindernisse der Sinnlichkeit durch moralische Grundsätze zu schwingen“ (ebd., S. 271). Zu diesen Affekten „der wackern Art“ (ebd., S. 272) zählt er beispielsweise den Enthusiasmus, die entrüstete Verzweiflung, den Mut und den Zorn. 23
Ebd., S. 262.
24
Villwock (1989), S. 36.
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5.5 F REIWILLIGKEIT
STATT I MAGINATION „Indem sie sich opfert, opfert die Einbildungskraft die ästhetisch geheiligte Natur, um das 1
heilige Gesetz zu preisen.“
Neben der Möglichkeit innerer Distanziertheit lässt sich Kants Forderung nach bloßer Imagination noch eine weitere Alternative entgegenhalten, welche insbesondere die Phase der Aufopferung betrifft: Jene der Freiwilligkeit in der Konfrontation mit potenzieller Zerstörung. Unabhängig von der Möglichkeit tatsächlichen Handelns, welche abschließend angedacht wird, findet sich hierzu in der Kritik der Urteilskraft bereits auf innersubjektiver Ebene ein Hinweis, und zwar in der Funktion der Einbildungskraft. Wie aufgezeigt thematisieren zahlreiche Stellen der Analytik des Erhabenen die Gewalt, welche die Einbildungskraft nicht nur durch die für ihre Funktionen zweckwidrige Natur, sondern insbesondere auch durch die Vernunft erfährt, welche „Gewalt […] auf jene ausübt, nur um sie ihrem eigentlichen Gebiete (dem praktischen) angemessen zu erweitern“2. Neben Formulierungen dieser Art
1
Lyotard (1994), S. 211.
2
Kant (AA V / KdU), S. 265. Die Grenze, an welche die Einbildungskraft im dynamisch-Erhabenen gelangt, scheint sich jedoch von jener angesichts einer ästhetisch-mathematischen Größenschätzung eklatant zu unterscheiden. Handelt es sich im mathematisch-Erhabenen um die Grenze der Erweiterung synthetischer Zusammenfassung, so definiert Kant im dynamisch-Erhabenen diese als Grenze „ihrer [der Einbildungskraft, R. B.] Macht über das Gemüth“ (ebd., S. 267). Auch wenn er eine nähere Ausführung dessen, was konkret unter dieser Macht zu verstehen sei, unterlässt, so kann diese angesichts des stattfindenden Imaginationsprozesses als eine solche der Phantasietätigkeit verstanden werden, welche Kant an andere Stelle als Gefahr für das vernünftige Subjekt benennt, da sie dieses unfähig mache, „die Sinnenvorstellung nach Erfahrungsgesetzen zu ordnen“ (Kant [AA VII / Anthropologie in pragmatischer Hinsicht], S. 170). Insbesondere Gernot und Hartmut Böhme verweisen in ihrer psychoanalytisch ausgerichteten Kant-Studie Das Andere der Vernunft auf dessen „Furcht vor der Einbildungskraft“ als einer „Furcht vor der überflutenden Bilderwelt, vor der Natürlichkeit, vor der Bestialität im Menschen“ (Böhme/Böhme [1985], S. 387). Diesbezüglich stellt auch Sollbach fest: „Der vernünftigen Subjektivität […] winkt die Zerrüttung durch die imaginative Potenz der unwillkürlich bildproduzierenden Einbildungskraft“ (Sollbach [1996], S. 37) und auch Gamm vermerkt: „Die Produktivität der Einbildungskraft überschreitet den
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finden sich jedoch vor allem in der Allgemeinen Anmerkung zur Exposition wiederholt auch Textstellen, welche Bezug nehmend auf das Scheitern der Einbildungskraft die Freiwilligkeit derselben, d.h. deren Bereitschaft zum Selbstopfer, hervorheben. So schreibt Kant von der „Beraubung der Freiheit der Einbildungskraft durch sie selbst“3, wodurch sich das Erhabene auch von dem moralischen Gefühl unterscheide, wo es einzig die Vernunft sei, welche die Sinnlichkeit überwinden müsse. Die „Nötigung“4 der Vernunft wäre demnach nur ,indirekt‘, da sich die Einbildungskraft in ihrer Überschwänglichkeit selbst „Gewalt“5 antut, um dem Gesetz der Vernunft Folge zu leisten. Dementsprechend folgert auch Pöpperl, die „Einbildungskraft negiert sich selbst, und zwar, indem sie sich aus Freiheit selbst der Freiheit beraubt“6, und Lyotard stellt fest: „Sie entgrenzt, entfesselt sich, entzieht sich dabei aber ihrer eigenen Zweckmäßigkeit und vernichtet sich so gegenüber dieser Zweckmäßigkeit.“7 Für dieses ,Handeln‘ gegen das eigene Interesse, d.h. für eine in sie selbst verlagerte Dualitätserfahrung, ist die Einbildungskraft insofern besonders prädestiniert, da sie innerhalb des Erkenntnisapparates eine Vermittlungsposition zwischen den heterogenen Erkenntnisstämmen Sinnlichkeit und Verstand respektive Vernunft innehat. In ihren verschiedenen Synthesistätigkeiten ist sie dasjenige Vermögen, welches sinnliche Anschauung überhaupt ermöglicht, und somit selbst sinnlich. Zugleich gestattet erst ihre Schemafunktion, die reinen Kategorien des Verstandes auf Erscheinungen anzuwenden, wodurch sie transzendentale Bedeutung gewinnt. So schreibt Kant in der Kritik der reinen Vernunft: „Da nun alle unsere Anschauung sinnlich ist, so gehört die Einbildungskraft, der subjectiven Bedingung wegen, unter der sie allein den Verstandesbegriffen eine correspondirende Anschauung geben kann, zur Sinnlichkeit; sofern aber doch ihre Synthesis eine Ausübung der Spontaneität ist, welche bestimmend und nicht, wie der Sinn, bloß bestimmbar ist, mithin a priori den Sinn seiner Form nach der Einheit der Apperception gemäß bestimmen kann, so ist die Einbildungskraft so fern ein Vermögen, die Sinnlichkeit a priori zu bestimmen, und ihre Synthesis der Anschauungen, den Kategorien gemäß, muß
Erfahrung konstituierenden Verstand kraft Definition: Vorstellungen auch ohne Gegenwart des Objekts zu haben (zu halluzinieren.)“ (Gamm [1986], S. 41). 3
Kant (AA V / KdU), S. 269.
4
Effertz (1994), S. 206.
5
Kant (AA V / KdU), S. 269.
6
Pöpperl (2007), S. 136.
7
Lyotard (1994), S. 172.
94 | S UBJEKTERMÄCHTIGUNG UND N ATURUNTERWERFUNG die transscendentale Synthesis der Einbildungskraft sein, welches eine Wirkung des Verstandes auf die Sinnlichkeit und die erste Anwendung desselben [...] auf Gegenstände der uns möglichen Anschauung ist. [Herv. i. O.]"
8
Scheint eine solche ,Zwitterstellung‘ der Einbildungskraft auch lediglich auf deren Rolle im mathematisch-Erhabenen zuzutreffen, da lediglich hier eine Synthesistätigkeit stattfindet, so findet sich bei eingehender Untersuchung auch im dynamisch-Erhabenen eine diesbezügliche Entsprechung. Denn auch hier ist die Einbildungskraft quasi ,Dienerin zweier Herren‘, nicht jedoch der beiden Erkenntnisvermögen, sondern entsprechend der Charakteristik des dynamischErhabenen der beiden Begehrungsvermögen, dem sinnlichen sowie dem reinen Wollen. So stellt Kant bezüglich dieser Aufspaltung des Imaginationsvermögens fest: „die Einbildungskraft nach dem Assoziationsgesetze macht unseren Zustand der Zufriedenheit physisch abhängig; aber eben dieselbe nach Prinzipien des Schematismus der Urtheilskraft […] ist Werkzeug der Vernunft und ihrer Ideen“9. Hinsichtlich der Imaginationstätigkeit lassen sich somit einerseits Vorstellungen denken, welche mit dem sinnlichen Wollen übereinstimmen, d.h., dieses ,bestätigen‘ und so eine Zufriedenheit auslösen, wohingegen andererseits der Versuch, absolute Macht zu veranschaulichen, der Einbildungskraft selbst und in zweiter Instanz der ganzen Sinnlichkeit Gewalt antun muss. Solche Vorstellungen, welche Leid und Tod assoziieren und damit Unlust hervorrufen, werden jedoch von der Einbildungskraft selbst in Kauf genommen, um ihrer zweiten Funktion, jener des Schematisierens, gerecht zu werden, wodurch erst die äußere Macht als Symbol für die Macht der Vernunft ,verwendet‘ werden kann. Die doppelten ,Verpflichtungen‘ der Einbildungskraft werden im Erhabenen folglich von dieser selbst zugunsten ihrer transzendentalen Bestimmung in ein relationales Machtverhältnis gesetzt. Die Einbildungskraft funktionalisiert somit ihr eigenes Scheitern sowie jenes der Physis, um dadurch die Freiheit des Subjekts symbolisieren zu können. Kants wiederholte Hervorhebung der Freiwilligkeit des ,Selbstopfers‘ der Einbildungskraft legt den Schluss nahe, dass diese Freiwilligkeit das Lustgefühl im Erhabenen wesentlich mitbestimmt. So kommt die freiwillige Selbstaufgabe nicht nur Kants Annahme einer prinzipiellen Selbstbestimmung des Subjekts entgegen, sondern diese birgt auch für die Einbildungskraft selbst trotz ihres vordergründigen Scheiterns die Möglichkeit der Erhebung. Denn wenn die Einbildungskraft die Imagination von Macht so weit vorangetrieben hat, dass
8
Kant (AA III), S. 120.
9
Kant (AA V / KdU), S. 269.
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sich aus Ermangelung möglicher Widerstandspotenz nichts mehr imaginieren lässt, so werden die Beraubung ihrer Freiheit und die Ohnmacht des Körpers zwar als Unlust fühlbar, die Einbildungskraft gewinnt durch diese „Heroismusdemonstrationen“10 jedoch eine „Erweiterung und Macht, welche größer ist als die, welche sie aufopfert“11. Der Aspekt der Freiwilligkeit wird in Bezug auf künstlerische Selbstverletzung zusätzlich an Relevanz gewinnen.
10
Lyotard (1994), S. 211.
11
Kant (AA V / KdU), S. 269.
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5.6 V ON
W AHRNEHMUNGSÄSTHETIK ERHABENEN H ANDLUNG DER
ZUR
Wird das freiwillige Opfer als Handlungsoption des Subjekts von Kant auch als solches nicht explizit angedacht, wofür wohl nicht zuletzt die Unterlassungspflichten1 zu verantworten sind, welche dem Menschen die Selbstentleibung oder auch partiale Selbstverstümmelung untersagen, so finden sich in seiner Analytik dennoch Indizien, welche über die Beschreibung eines Wahrnehmungserlebnisses hinaus die Möglichkeit erhabenen Handelns nahelegen. Insbesondere sein Entwurf einer erhabenen Haltung2, wie er sie dem Krieger zuspricht, öffnet hierzu den Erhabenheitsbegriff über eine bloße Wirkungsästhetik hinaus. Denn die Handlungen des Kriegers wären, von ihm selbst und anderen ästhetisch beurteilt, als Veranschaulichung dessen zu verstehen, was sich im dynamischErhabenen ansonsten nur im Gemüt ereignet: Das Vorhandensein einer äußeren Gefährdung, die Bereitschaft, sich dieser auch auf Kosten der eigenen Sinnlich-
1
Diese erläuternd stellt Kant in der Metaphysik der Sitten fest: „Das Subject der Sittlichkeit in seiner eigenen Person zernichten, ist eben so viel, als die Sittlichkeit selbst ihrer Existenz nach, so viel an ihm ist, aus der Welt vertilgen, welche doch Zweck an sich selbst ist; mithin über sich als bloßes Mittel zu ihm beliebigen Zweck zu disponiren, heißt die Menschheit in seiner Person (homo noumenon) abwürdigen, der doch der Mensch (homo phaenomenon) zur Erhaltung anvertrauet war.“ (Kant [AA VI / Metaphysik der Sitten], S. 423) Scheint der Vollzug dualistischer Selbsterhebung Kants Postulat, den Menschen nie als Mittel, sondern stets nur als Zweck anzusehen, auch zu widersprechen, so vollzieht er diesen Widerspruch in seiner Analytik des Erhabenen selbst, wenn er die Funktionalisierung der Einbildungskraft für einen höheren „Gebrauch“ (Kant [AA V / KdU], S. 267) – ein Begriff, der bei Kant „den Sinn eines Missbrauchs, eines Delikts, fast einer Sünde“ (Lyotard [1994], S. 84) trägt – als konstitutives Element benennt. Durch diese „Knechtung eines Vermögens [Einbildungskraft, R. B.] durch ein anderes [Vernunft, R. B.]“ (ebd., S. 212) wird deutlich, dass in der kantschen Philosophie „die Menschheit in unserer Person“ (Kant [AA V / KdU], S. 262) letztlich nicht nur unabhängig von dem sinnlichen Menschsein verstanden wird, sondern auch dass in deren Namen im ,Zweifelsfall‘ auch gegen das Interesse der Sinnlichkeit gehandelt werden kann.
2
Im Sinne einer solchen erhabenen Haltung sieht auch Kaulbach in der „Stimmung des Erhobenseins“ die Potenzialität eines Habitus, in dem die „Überlegenheit über Befangenheit in Furcht und Angst zur zweiten Natur geworden ist“ (Kaulbach [1984], S. 200).
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keit zu stellen, sowie schließlich die daraus folgende (negative) Lust an der gefühlten Unabhängigkeit des Willens vom sinnlichen Wollen. Dementsprechend ist Pries’ Annahme, dass nicht einmal der Gedanke einer realen Handlung das Gefühl des Erhabenen kennzeichne und dass die im Erhabenen bewusst werdende Überlegenheit über die Natur „alles andere als ein Handlungsaufruf – z.B. zur Beherrschung der Natur“3 – sei, zu widersprechen. Die Voreiligkeit ihrer Behauptung, welche auf den von ihr benannten Versuch rückführbar scheint, Kants Erhabenheitsbegriff von der ,Anrüchigkeit‘ herrschaftlichen Dualismusdenkens zu ,säubern‘, tendiert dort zu verkürzen, wo Kants Text mehrdeutig bleibt. Darüber hinaus gilt es hier insbesondere zwischen einem Handlungsaufruf, wie ihn das moralische Gesetz impliziert, indem es ein Interesse am Guten weckt, und dem Verbot einer solchen, welches Pries hier geradezu im Sinn zu haben scheint, zu unterscheiden. So ist ihr prinzipiell zuzustimmen, dass das Erhabene, als lediglich ästhetisches Gefühl, kein Handlungsgebot impliziert. Dass dieses ästhetische Gefühl jedoch nicht aus einer Handlung resultieren oder eine solche zur Folge haben kann, lässt sich aus Kants Schrift keineswegs schließen. Im Gegenteil, die von Kant erwähnten erhabenen Affekte, nämlich solche der „wackern Art“, welche in uns „das Bewußtsein unserer Kräfte, jeden Widerstand zu überwinden“4, rege machen, scheinen eindeutig auf den „Handlungsgeist“5 des Subjekts und dessen „rüstige[n] Entschlossenheit“6 ausgerichtet.7 Pries’ strikte Dichotomisierung von ästhetischem Erleben und aktivem Handlungsvollzug scheint zudem zu vergessen, dass im Prozess des Erhabenen im Moment des Opfers – sowohl der Aufopferung der Einbildungskraft durch die Vernunft als auch das Selbstopfer derselben – bereits ein gewisses Maß an ,Aktivität‘ stattfindet. Dahingehend verweist auch Begemanns Feststellung, zumindest die Lust im Erhabenen basiere auf der Fähigkeit zur Reflexion und damit auf einer aktiven Vernunft: „Die Erhebung ist dann als bewusste Leistung des Subjekts anzusehen, das durch bestimmte
3
Pries (1995), S. 68.
4
Kant (AA V / KdU), S. 273.
5
Ebd., S. 263.
6
Ebd., S. 273.
7
Diesen erhabenen Affekten setzt Kant jene „der schmelzenden Art [Herv. i. O.]“ (ebd., S. 272) pejorativ entgegen. Als ein solcher gilt ihm beispielsweise Empfindelei, die das „Herz welk und für die strenge Vorschrift der Pflicht unempfindlich“ macht. (ebd., S. 273).
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Überlegungen den Schock seiner Nichtigkeit zu überwinden und sich neben dem Unermesslichen und Bedrohlichen der Natur zu bewahren in der Lage ist.“ 8 Darüber hinaus lässt sich annehmen, dass die Wirklichkeit praktischer Freiheit letzten Endes lediglich durch einen Handlungsvollzug hergestellt werden kann. Denn erst „im Vollzuge unbedingten Handelns werde ich direkt meiner Freiheit, d.h. des Übersinnlichen in mir, bewußt“.9 Dass ein solcher Vollzug erhabenen Handelns bis hin zur realen Verletzung des Körpers gedacht werden kann, wird die im Anschluss erfolgende Interpretation künstlerischer Selbstverletzung zeigen. Mit dem durch Kant eingeführten Selbstbezug des Erhabenen, im Rahmen dessen sowohl die Aufopferung der Einbildungskraft als auch die damit einhergehende Selbsterhebung der Vernunft als aktive Handlungsmomente verstanden werden können, kommt es in der Kritik der Urteilskraft zu einer Angleichung von handelndem und erlebendem Subjekt: Rezeption, Haltung und Handlung werden in der Erlebnisstruktur von Gefährdung, Aufopferung und Erhebung untrennbar miteinander verwoben, was eine Erweiterung der bis dato dominierenden Wahrnehmungs- bzw. Wirkungsästhetiken zur Folge hat. Denn in letzter Konsequenz ist das Subjekt im Erlebnis des Erhabenen immer Beobachter seiner selbst, d.h. zugleich seines Handlungsspielraums, weshalb dieses ,Geistesgefühl‘ auch als die „höchste Stufe der Subjektivität“10 interpretiert werden kann. Erst diese durch Kant vollzogene Subjektivierung ermöglicht es, hinsichtlich des Erhabenen eine produktionsästhetische Perspektive, wie sie dem zweiten Teil der Studie zugrunde liegt, zu wählen. Gerade hier setzt Schillers an Kant angelehnte Auseinandersetzung mit dem Erhabenen an, welche durch die gezielte Hinwendung zu einer Handlungsästhetik sowie die explizite Kontextualisierung des Erhabenen mit der Endlichkeit des Menschen rasch an Eigenständigkeit gewinnt. Dementsprechend gilt es abschließend Kants Analytik des Erhabenen um Schillers Perspektive zu ergänzen.
8
Begemann (1987), S. 139.
9
Denckmann (1947), S. 137.
10
Peña Aguado (1994), S. 52.
6. Das Erhabene bei Friedrich Schiller „Fälle können eintreten, wo das Schicksal alle Außenwerke ersteigt, auf die er [der Mensch, R. B.] seine Sicherheit gründete, und ihm nichts weiter übrigbleibt, als sich in die heilige Freiheit der Geister zu flüchten – wo es kein anderes Mittel gibt, den Lebenstrieb zu beruhigen, als es zu wollen – und kein anderes Mittel, der Macht der Natur zu widerstehen, als ihr zuvorzukommen und durch eine freie Aufhebung alles sinnlichen Interesse [!], ehe noch eine physische Macht es tut, sich moralisch zu entleiben.“
1
Die folgende Auseinandersetzung mit Schillers Schriften zum Erhabenen fokussiert einzelne Momente, welche Kants Analytik einerseits aufgegriffen, aber zugleich auch über diese hinaus gedacht haben, ohne dabei den Anspruch zu verfolgen, Schillers Ästhetik in ihrer Vielschichtigkeit umfassend darzulegen. Dem Ansatz dieser Studie gemäß werden hierbei die dem Erhabenen zugrunde liegende dualistische Anthropologie sowie die darauf aufbauende Dichotomisierung von sinnlichem und reinem Wollen, um das autonome Subjekt zu legitimieren, im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen. Darüber hinaus gilt es insbesondere Schillers Inanspruchnahme des Erhabenheitsbegriffs für seine Kunsttheorie darzulegen, welche ihm nicht nur erlaubt, eine nunmehr ästhetisch gefasste Freiheit zur Gänze vom Bereich der Moral zu emanzipieren, sondern zugleich auch die Kategorie des Erhabenen mithilfe des Konzepts ästhetischer Erziehung aus der Kunst in die Realität zu überführen.2 Zwar impliziert auch Schillers 1
Schiller (1995), S. 97.
2
Mit Hinblick auf sein Modell der ästhetischen Erziehung impliziert Schillers Ästhetik im Gegensatz zu jener Kants eine geschichtsphilosophische Theorie im Sinne einer „Geschichte des Geschmacks“ (Petrus [1993], S. 32). Während das
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Theorie eine notwendige Distanz zu den Schrecken der Natur, indem er jedoch explizit zwischen einer bloß physischen und einer moralischen Sicherheit unterscheidet, gelingt es ihm, Tendenzen, welche sich bereits in Kants Idee des erhabenen Kriegers fanden, konsequent weiterzudenken. Dabei wird deutlich werden, dass diese ,Erneuerungen‘ bzw. Radikalisierungen als eine Art ,Bindeglied‘ zwischen Kants Analytik und künstlerischer Selbstverletzung betrachtet werden können. Schiller setzt sich im Rahmen seiner Ästhetischen Schriften, welche sich in erster Linie mit Dramentheorie befassen, explizit in drei Aufsätzen mit dem Erhabenen auseinander3: Vom Erhabenen (1793)4, Über das Pathetische (1793)5 und Über das Erhabene (1801)6. In dieser wiederkehrenden Beschäftigung bezieht er sich wiederholt auf Kants eben erst publizierte Kritik der Urteilskraft, was nicht nur anhand der häufigen Zitation derselben, sondern auch in der
Schöne als erste Stufe der Entwicklung die Aufgabe habe, „den Geschmack von der Roheit zur Verfeinerung der Sitten zu führen“, hebe das Erhabene als „Darstellung der Bestimmung zur Freiheit den Geschmack von der sinnlich-empirischen Ebene auf eine idealische“ empor. Durch das Idealschöne gelange schließlich die Freiheit „zur vollen Ausbildung und Realisation“ (ebd., S. 32). 3
Um das Erhabene möglichst präzise zu erläutern, werden im Folgenden insbesondere diejenigen Abhandlungen in den Vordergrund gestellt, die dessen Eigenständigkeit begrifflich zu fassen versuchen, und weniger jene, welche die Zusammenführung des Erhabenen mit dem Schönen hin zu einem Idealschönen erörtern. Neben dieser expliziten Auseinandersetzung befasst sich Schiller auch in anderen Schriften, wie beispielsweise den Aufsätzen Über den Grund des Vergnügens an tragischen Gegenständen (1792) oder Über Anmut und Würde (1793), mit dem Begriff des Erhabenen. Diese Texte werden jedoch aufgrund der konkreten Fragestellung der vorliegenden Untersuchung lediglich peripher berücksichtigt.
4
Schiller (1966).
5
Schiller (1966a). Diese Abhandlung erschien ursprünglich 1793 als zweiter Teil des Textes Vom Erhabenen im 4. Stück der Neuen Thalia. Beim Wiederabdruck in den Kleinen prosaischen Schriften (1801) strich Schiller den ersten Teil und nahm lediglich den ursprünglich zweiten Teil, nun unter dem Titel Über das Pathetische, auf.
6
Schiller (1995). Diese Spätschrift Schillers, welche er vermutlich als letzte theoretische Abhandlung zwischen 1796 und 1801 verfasste, stellt seine reifste und zugleich eigenständigste Auseinandersetzung mit dem Erhabenen dar. In ihr beschreibt er das Erhabene als ein vom Schönen unabhängiges ästhetisches Moment, welches gerade auf die Unversöhnlichkeit von Natur und Freiheit insistiert.
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ausgewiesenen Einreihung in deren Denktradition zum Ausdruck kommt.7 Im Zuge dessen übernimmt Schillers Auseinandersetzung mit dem Erhabenen zunächst in weiten Teilen das kantsche Modell, insbesondere den diesem zugrunde liegenden Subjektentwurf. Im Gegensatz zu Kant jedoch, welcher sich in erster Linie mit Naturphänomenen befasst und Hervorbringungen des Menschen für ein erhabenes Empfinden sogar weitgehend ausschließt8, nimmt Schiller das Erhabene von Anfang an auch und insbesondere als Kategorie der Kunst in Anspruch. Dabei spielt dieses vor allem in seiner Auseinandersetzung mit der Tragödie eine elementare Rolle, welche ebenso wie das Erhabene die Gegensätzlichkeit von Determinismus und Freiheit als Kampf des Menschen respektive des tragischen Helden mit seinem Schicksal thematisiert.9 Den Vorzug der Kunst gegenüber der kantschen Naturästhetik argumentiert Schiller dahingehend, dass die Kunst aufgrund ihrer Eigengesetzlichkeit „völlig frei […] von ihrem Gegenstand alle zufällige [!] Schranken absondert“10, wohingegen in der durch mechanische Gesetze bestimmten Natur das Schöne bzw. das Erhabene lediglich zufällig zum Vorschein kämen. Somit sei das Erhabene der Kunst jenem der Natur um „der Freiheit willen […] überlegen“, denn jenes der Natur „kann nie
7
So untertitelt er beispielsweise den Text Vom Erhabenen mit dem Zusatz: „Zur weiteren Ausführung einiger Kantischen Ideen“ (Schiller [1966], S. 54).
8
Dahingehend stellt Kant fest: „daß, wenn das ästhetische Urtheil rein (mit keinem teleologischen als Vernunfturtheile vermischt) und daran ein der Kritik der ästhetischen Urtheilskraft völlig anpassendes Beispiel gegeben werden soll, man nicht das Erhabene an Kunstproducten […], wo ein menschlicher Zweck die Form sowohl als die Größe bestimmt, noch an Naturdingen, deren Begriff schon einen bestimmten Zweck bei sich führt (z.B. Thieren von bekannter Naturbestimmung), sondern an der rohen Natur […], bloß sofern sie Größe enthält, aufzeigen müsse“ (Kant [AA V / KdU], S. 252f.).
9
Renate Homann weist darauf hin, dass sowohl die tragische Kunst als auch die Reflexion über dieselbe den tragischen Helden immer schon mit Bezug auf den Dualismus von Sinnlichkeit und Sittlichkeit definierten. Dabei sei insbesondere „der Kontrast zwischen der Erschütterung seiner Existenz und einer in dieser Erschütterung sich durchhaltenden oder sich herstellenden sittlichen Integrität bzw. Läuterung“ elementar. (Homann [1977], S. 63f.) Michael Hofmann ergänzt mit Hinweis auf Schillers Spätwerk die schicksalhafte Determination des Menschen um den Aspekt der politisch-geschichtlichen Unfreiheit. (vgl. Hofmann [2002]).
10
Schiller (1995), S. 100.
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ganz rein sein, weil die Last des Stofflichen die befreiende Wirkung beeinträchtigt“11. An diesem Ansatz Schillers wird ersichtlich, wie sehr sein Werk von der Idee der Freiheit bestimmt ist. Dies lässt sich auch daran ablesen, dass seiner Überzeugung nach der Kultur zuvorderst die Aufgabe zukäme, „den Menschen in Freiheit [zu, R. B.] setzen und ihm dazu behilflich [zu, R. B.] sein, seinen ganzen Begriff zu erfüllen“12. Denn: „Der letzte Zweck der Kunst ist Darstellung des Übersinnlichen, und die tragische Kunst insbesondere bewerkstelligt dieses dadurch, daß sie uns die moralische Independenz von Naturgesetzen im Zustand des Affekts versinnlicht.“13 Wie aus dem Zitat ablesbar verfolgt Schiller dabei ebenso wie Kant ein streng dualistisches Menschenbild, im Rahmen dessen der „physische Mensch und der moralische Mensch [...] aufs schärfste voneinander geschieden“14 werden, und macht an dieser grundsätzlichen Trennung von Sinnlichkeit und Vernunft die Freiheit des Subjekts fest. Dementsprechend stellt er fest: „Nur als Sinnenwesen sind wir abhängig, als Vernunftwesen sind wir frei“, insofern selbst die „Allmacht unsre Autonomie nicht aufheben […] kann“15. Gilt dem emphatischen Verteidiger der Freiheit somit auch wie Kant der freie Wille als „Geschlechtscharakter“16 eines jeden vernunftbegabten
11
Düsing (1967), S. 174.
12
Schiller (1995), S. 84.
13
Schiller (1966a), S. 76.
14
Schiller (1995), S. 89. Auch wenn Schiller in anderen Texten zur Ästhetik, insbesondere in seiner Auseinandersetzung mit dem Schönen (vgl. v.a. Kallias-Briefe [1792-93], Über die ästhetische Erziehung des Menschen [1995]), die Harmonie von Sinnlichkeit und Intelligiblen propagiert, im Rahmen derer weder Neigungen noch Empfindungen Gewalt erfahren sollten, so lassen seine Schriften zum Erhabenen keinen Zweifel an der prinzipiellen Hierarchisierung von Körper und Geist. Diese scheinbare Diskrepanz, wie sie auch streckenweise bei Kant zu finden ist, ergibt sich großteils aus den wechselnden Perspektiven, aus welchen der Mensch bzw. seine Situation betrachtet werden. Während das Schöne die harmonische Übereinstimmung von Mensch und Natur und folglich auch innerer Natur beschreibt, thematisiert das Erhabene Gewaltsituationen, in denen diese Harmonie zerstört wird, wodurch die Abhängigkeit der Sinnlichkeit schmerzliche Aktualisierung erfährt. Angesichts solcher existenziellen Krisen rekurrieren sowohl Kant als auch Schiller auf die (gewaltsame) Herrschaft des Geistes, um von der Idee der Freiheit nicht gänzlich absehen zu müssen.
15
Schiller (1966), S. 54, S. 65.
16
Schiller (1995), S. 83.
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Wesens, so expliziert er zugleich in seiner Ästhetik des Erhabenen mehr als sein Vorgänger den Widerspruch, der sich hierfür durch die unhintergehbare sinnliche Abhängigkeit des Menschen ergibt. Letztere konkretisierend, unterscheidet Schiller zwei Arten der Abhängigkeit, auf welche er die beiden unterschiedlichen Formen des Erhabenen zurückführt: Jene des Erkenntnistriebes, da Gegenstände unserem Erkenntnisvermögen angemessen, d.h. vernunftaffin, sein müssen, und jene der Selbsterhaltung, denn die „Natur hat [...] die Bedingungen in ihrer Gewalt, unter denen wir existieren“17. Dieser Zweiteilung gemäß übernimmt Schiller Kants Unterscheidung zwischen mathematisch- und dynamisch-Erhabenem, wobei er diese beiden Formen nach der jeweiligen Funktion der Vernunft in theoretisch- und praktischErhabenes umbenennt. Letzteres ist nicht nur entsprechend Kants dynamischErhabenem für die Fragestellungen der vorliegenden Arbeit von größerem Interesse, sondern erfährt auch in Schillers Abhandlungen einen eindeutigen Vorzug. Er begründet diesen in erster Linie mit dem stärkeren Bezug des praktisch-Erhabenen zur Idee der Freiheit, welchen er über die intensivere Gefühlsdynamik desselben herleitet, da wir hier „für das Dasein selbst [...] zu fürchten haben“18 und nicht lediglich für das Gelingen eines kognitiven Prozesses. Dadurch werde nämlich auch der „Abstand zwischen dem sinnlichen und übersinnlichen Vermögen […] um so lebhafter gefühlt“19, wodurch die Freiheit des Gemüts desto mehr zu Bewusstsein käme. So Schiller: „Unsre wahre und vollkommene Unabhängigkeit von der Natur erfahren wir eigentlich nur durch das letztere [das praktisch-Erhabene, R. B.]“20. Neben der an Kant angelehnten Unterteilung der beiden Erhabenheitsformen nimmt Schiller noch eine weitere vor, indem er bezüglich des praktischErhabenen das Kontemplativerhabene vom Pathetischerhabenen unterscheidet. Im Gegensatz zum Kontemplativerhabenen, wo die Unlust auf bloß subjektiven Gründen beruht21, betrifft das Pathetischerhabene von Anfang an Gegenstände,
17
Schiller (1966), S. 56.
18
Ebd., S. 58.
19
Ebd., S. 58.
20
Ebd., S. 58.
21
Das Kontemplativerhabene beschreibt eine Dynamik, in der es zu einer Konfrontation mit Gegenständen der Natur kommt, welche zwar mächtig, aber nicht unmittelbar bedrohlich sind. Um diese für das Erhabene dennoch tauglich zu machen, muss „die Phantasie erst das Furchtbare“ (Schiller [1966], S. 69) hinzudenken. Dem Bezug zur Kontemplation gemäß bleibt das erlebende Ich dabei in einem Zustand ruhiger Betrachtung, wodurch der daraus resultierende „Genuß“ zwar geringer, aber auch
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die „objektiv“ als eine „dem Menschen verderbliche Macht […] gegeben“22 sind. Diese Objektivität der Gewalt kommt am deutlichsten dann zum Ausdruck, wenn die von ihr verursachten Auswirkungen unmittelbar beobachtbar sind, d.h., wenn wir die leidende Kreatur Mensch vor Augen geführt bekommen. Um das Pathetischerhabene trotzdem lustvoll erleben zu können, führt Schiller mehrere ,Sicherheitsstufen‘ ein. Zum einen vollzieht er eine Trennung zwischen dem erlebenden und dem betrachtenden Subjekt23, Ersteres leidet quasi stellvertretend für etwaige Betrachter/-innen, welche dessen Leiden sowie auch dessen Independenz lediglich sympathetisch in Form eines auf sich selbst bezogenen Imaginationsprozesses nachvollziehen.24 Zum anderen erlaubt Schillers Anwendung des Erhabenheitsbegriffes auf seine Dramentheorie eine weitere ,Abschwächung‘ der Realität, indem auch das erlebende Subjekt sein Leiden bloß inszeniert. Die Betrachter/-innen wohnen folglich einer Situation bei, in welcher eine andere Person durch äußere Umstände Leid erfährt, wodurch sie selbst trotz des Wissens, dass das Betrachtete fiktiv ist, zum Mitleiden angeregt
entsprechend weniger mit „Wehsein“ (Schiller [1995], S. 87) vermischt ist. Diese Form des Erhabenen, als deren Beispiele Schiller Abgründe, Gewitter, Vulkane etc. anführt, scheint großteils dem zu entsprechen, was Kant als dynamisch-Erhabenes, wozu er ebenso eine Stimmung der ruhigen Kontemplation (Kant [AA V / KdU], S. 258) forderte, zu fassen suchte. 22
Schiller (1966), S. 73.
23
Eine solche Aufteilung hält Schiller für notwendig, da das eigene Leiden von der Mehrzahl der Menschen als „nur furchtbar“ wahrgenommen werden würde. (ebd., S. 61) Daher sei die ,Sicherheit‘ der Betrachter/-innen Bedingung, um den Widerstand des Selbsterhaltungstriebes begrenzt zu halten. Diese dürfe aber gleichwohl nicht wie bei Lukrez oder Hobbes als Ursache der Lust gewertet werden, da das Erhabene auch bei den Betrachter/-innen lediglich auf dem nichtphysischen Selbst basiere und sich daher gerade durch die Unabhängigkeit vom physischen Wohlbefinden auszeichne. Denn findet die tödliche Auseinandersetzung mit Gefahren auch lediglich in Form sympathetischen Mitleidens statt, so müsse diese dennoch „Ernst sein“ (ebd., S. 62), damit die daraus resultierenden Gefühle analog zur Wirklichkeit, wenngleich auch weniger intensiv, empfunden werden können.
24
Hierbei steht dem betrachtenden Subjekt nicht frei, ob es solcherart Gegenstände bzw. Situationen auf seinen eigenen Selbsterhaltungstrieb beziehen will, sondern dieser Bezug findet unmittelbar und notwendig statt: „Das Gemüt verliert also einen Teil seiner Freiheit, weil es von außen empfängt, was es vorher [im Kontemplativerhabenen, R. B.] durch seine Selbsttätigkeit erzeugte.“ (Schiller [1966a], S. 88).
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werden.25 Denn das wirkliche Leid eines anderen Menschen könne nach Schiller keinerlei Lust bereiten: „Wirkliches Leiden […] gestattet kein ästhetisches Urteil, weil es die Freiheit des Geistes aufhebt.“26 So ist bloß die „Vorstellung eines fremden Leidens, verbunden mit Affekt und mit dem Bewusstsein unsrer innern moralischen Freiheit, […] pathetischerhaben [Herv. i. O.]“27. Scheint somit auch die Konzeption des Pathetischerhabenen in diesen beiden Punkten künstlerischer Selbstverletzung entgegen zu stehen, so wird im Folgenden aufgezeigt, dass Schiller zugleich, diesen Einschränkungen der Stellvertretung und Fiktion ungeachtet, Möglichkeiten andenkt, wo auch selbst erlebtes, reales Leiden ästhetisch empfunden werden kann. In Schillers expliziter Hinwendung zum menschlichen Leiden zeigt sich bereits der Ansatz seiner späteren ,Ästhetik der Endlichkeit‘, welche er vor allem in der von Kant deutlich ,emanzipierten‘ Schrift Über das Erhabene elaboriert. Im Anschluss soll insbesondere diesem Konflikt aus existenzieller Determiniertheit und dem Anspruch auf Selbstbestimmung weiter nachgegangen werden. Dabei gilt es aufzuzeigen, dass Schiller als möglichen und gewissermaßen sogar favorisierten Weg aus dieser Krise der Heteronomie gerade die aktive Selbstüberwindung andenkt. Insbesondere das Selbstopfer, welches bei Kant lediglich subtil thematisiert wurde, gewinnt in Schillers ,Anthropologie der Freiheit‘ eine systematische Rolle, da es als gänzliche Negation der Natur am radikalsten von ihrem dichotomen ,Anderen‘ Zeugnis abzulegen vermag. So Riedel: „Im Extremfall der Aufopferung tritt das disjunktive Schema – die Positivität des Willens als Negativität der Natur – sozusagen rein hervor: Im Freitod kommt die Freiheit gleichsam zu sich selbst; das Maximum der Selbstbestimmung wird erreicht in der Selbstvernichtung.“28
25
Indem es Schiller gelingt, seine Konzeption des Pathetischerhabenen mit dem dramentheoretisch elementaren Begriff des Mitleids zu verbinden, kann er zwei wesentliche rezeptionsästhetische Diskurse des 18. Jahrhunderts zusammenführen. Vgl. hierzu auch die Katharsisdebatte der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, insbesondere jene Schriften des Berliner Kreises um Lessing.
26
Schiller (1966), S. 73. Schiller wendet sich hier explizit gegen Theoretiker wie Dubos oder auch Diderot, welche die Möglichkeit, das Leid und den Tod anderer ästhetisch zu erleben, sofern man selbst unbetroffen sei, sehr wohl in Betracht gezogen hatten.
27
Ebd., S. 73f.
28
Riedel (2007), S. 65.
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6.1 Ä STHETIK
DER
E NDLICHKEIT „Nichts liegt dem Menschen als Sinnenwesen näher an als die Sorge für seine Existenz, und keine Abhängigkeit ist ihm drückender als diese, die Natur als diejenige Macht zu betrachten, die über sein Dasein zu gebieten hat. Und von dieser Abhängigkeit fühlt er sich frei bei Betrachtung des Praktischerhabenen.“
1
Lässt sich die Rolle der Physis in Kants Analytik zum Teil nur indirekt über die Einbildungskraft erschließen, so zeichnet sich Schillers Auseinandersetzung mit dem Erhabenen insbesondere dadurch aus, dass sie die faktische Existenz des leidenden Körpers in den Mittelpunkt stellt. Dementsprechend führt er aus: „Praktischerhaben ist ein Gegenstand, insofern er die Vorstellung einer Gefahr mit sich führt, welche zu besiegen sich unsre physische Kraft nicht vermögend fühlt“2 und an anderer Stelle: „Der Gegenstand des Praktischerhabenen muß für die Sinnlichkeit furchtbar sein; unserm physischen Zustand muß ein Übel drohen, und die Vorstellung der Gefahr muß den Selbsterhaltungstrieb in Bewegung setzen.“3 Die Ohnmacht und vor allem die daraus hervorgehende Aufopferung der sinnlichen Natur, wie sie bei Kant, wenn auch wie aufgezeigt nicht ausschließlich, als Scheitern der Einbildungskraft gelesen werden können, bezieht Schiller somit eindeutig auf eine existenzielle Krise des Körpers als Inbegriff der Sinnlichkeit.4 Diese Krise basiert gemäß der dreiteiligen Dynamik
1
Schiller (1966), S. 58.
2
Ebd., S. 57.
3
Ebd., S. 66.
4
Indem Schiller die Unlust des Erhabenen monokausal auf die Bedrohung des Selbsterhaltungstriebes zurückführt, verliert die Einbildungskraft im Praktischerhabenen zwar ihre Schlüsselrolle als Schätzungsvermögen, zugleich räumt ihr Schiller jedoch eine weitaus größere Bedeutung ein, wenn er mit ihrem Interesse und nicht mit jenem der Vernunft das Gefühl der Lust begründet. So befinde sich im Prozess des Erhabenen in erster Linie das ,Interesse‘ der Einbildungskraft, „sich frei von Gesetzen im Spiele zu erhalten [Herv. i. O.]“, mit der Freiheitsfähigkeit des Menschen im Einklang und erwecke dadurch Lust. (Schiller [1966a], S. 93) Denn so Schiller: „Die ästhetische Kraft, womit uns das Erhabene der Gesinnung und Handlung ergreift, beruht also keineswegs auf dem Interesse der Vernunft, daß recht gehandelt werde, sondern auf dem Interesse der Einbildungskraft, daß recht handeln
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aus Bedrohung, Aufopferung und Erhebung auf der Konfrontation des Sinnenwesens mit Schmerz, Leid und schicksalhafter Not, denn: „[…] Groß kann man sich im Glück, erhaben nur im Unglück zeigen [Herv. i. O.]“5. Um sicher zu gehen, dass die hierfür notwendige Distanzfähigkeit gegenüber diesem Leid nicht letztlich doch auf sinnlichen Bedingungen6 basiere, muss der Körper in der Konfrontation – sowohl in der inszenierten als auch in der imaginierten –
möglich sei, d.h. daß keine Empfindung, wie mächtig sie auch sei, die Freiheit des Gemüts zu unterdrücken vermöge. [Herv. i. O.]“ (ebd., S. 97) An anderer Stelle setzt er fort: „In ästhetischen Urteilen sind wir also nicht für die Sittlichkeit an sich selbst, sondern bloß für die Freiheit interessiert, und jene kann nur insofern unsrer Einbildungskraft gefallen, als sie die letztere sichtbar macht.“ (ebd., S. 98) Dementsprechend kann Wolfgang Düsing feststellen: „Die Freiheit der Einbildungskraft und die Freiheit des natürlichen Willens entsprechen sich. Die Phantasie erfaßt bei der Betrachtung großer dramatischer Gestalten die ästhetische Seite der sittlichen Freiheit.“ (Düsing [1967], S. 163) Die Funktion der Einbildungskraft in Schillers Konzeption des Erhabenen unterscheidet sich damit jedoch rudimentär von deren „Beraubung durch sich selbst“ wie sie Kant argumentiert hatte. Dies dürfte nicht zuletzt darauf zurückzuführen sein, dass für Schillers Kunsttheorie die Vorstellung einer freien und produktiven Einbildungskraft der gewaltsamen Unterwerfung derselben vorzuziehen sei. Diese ,Befreiung‘ der Einbildungskraft weist jedoch keineswegs auf eine Harmonisierung von Sinnlichkeit und Intelligibilität hin, sondern kann lediglich dadurch gelingen, dass Schiller als das zu unterwerfende ,Andere der Vernunft‘ explizit und ausschließlich die Physis bzw. sinnliche Affekte und Neigungen begreift. Analog zur größeren Freiheit der Einbildungskraft spielt darüber hinaus auch deren Phantasietätigkeit bei Schillers Konzeption des Kontemplativerhabenen eine „ganz und gar unkantisch[e]“ (Petrus [1993], S. 27) Rolle, indem er hierbei auch ,Gefahren‘ thematisiert, welche ausschließlich auf der Einbildungskraft basieren. Wenn Schiller folglich die Angst bei Dunkelheit, bei plötzlichem Stillschweigen oder bei außerordentlichen Begebenheiten anführt, so zeigt sich in diesen Punkten eine größere Nähe zu Burkes Enquiry als zu Kants Kritik der Urteilskraft. 5
Schiller (1966), S. 67. Mit diesem Bezug der Unlust zu Schmerz und Todesangst wird jeder Anspruch, die Unlust auch nur partiell als interesselos zu denken, fallen gelassen, was auch die Begriffswahl „Wehsein“ nahelegt. (Schiller [1995], S. 87) Dies gilt auch für das theoretisch-Erhabene, wo Schiller die Unlust ebenso an der Zuwiderhandlung gegen einen Trieb, nämlich jenen der Erkenntnis bzw. Vorstellung, festzumachen sucht.
6
Als solche nennt Schiller die Beherrschung der Natur durch „körperliche[n] Kräfte“ oder unseren „erfinderischen“ Verstand. (Schiller [1966], S. 59f.).
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gänzlich erliegen: Das (potenzielle) Sterben des Subjekts wird zur Voraussetzung, sich auf sein nichtphysisches Selbst besinnen zu können. So Schiller: „Zum Gefühl des Erhabenen wird also schlechterdings erfordert, daß wir uns jedem physischen Widerstehungsmittel völlig verlassen sehen und in unserm nichtphysischen Selbst dagegen Hülfe suchen. [Herv. i. O.]“7 An andere Stelle betont er noch expliziter: „Soll sich also die Intelligenz im Menschen als eine von der Natur unabhängige Kraft offenbaren, so muß die Natur ihre ganze Macht erst vor unsern Augen bewiesen haben. Das Sinnenwesen muß tief und heftig leiden [Herv. i. O.]“8. Je größer folglich der Schmerz ist, welchem es durch Willensstärke zu widerstehen gilt, desto „glorreicher offenbart sich die moralische Selbstständigkeit des Menschen, […] desto erhabener das Pathos“9. Indem Schiller das sinnliche Wollen, welches auch Kant im dynamischErhabenen mit dem reinen Willen in Konflikt setzt, allein als Willen zur Selbsterhaltung versteht, schränkt er zwar einerseits die Mehrdeutigkeit des kantschen Modells ein, konkretisiert aber dadurch zugleich dort, wo Kant vage bleibt. Dies ermöglicht ihm die Auseinandersetzung mit der menschlichen Endlichkeit, welche in der Kritik der Urteilskraft weitgehend implizit bleibt, ins Zentrum seiner Ästhetik des Erhabenen zu rücken: Der Tod selbst, als das gänzlich Unbezwingbare und damit schlechthin Furchtbare, wird zum ultimativen ,Antagonisten‘ des selbstbestimmten Subjekts und dessen Freiheit. Die Unlust im Erhabenen resultiert demnach aus dem unmittelbaren Gewahrwerden der eigenen unabwendbaren Endlichkeit, gegenüber welcher stets nur eine relative, d.h. temporäre Sicherheit bestehen kann. Denn „worauf wollte man seine Sicherheit vor dem Schicksal […], vor schmerzhaften Krankheiten, vor empfindlichen Verlusten, vor dem Tode gründen? […] wenn wir uns das Schicksal in seiner Furchtbarkeit denken, so müssen wir uns zugleich sagen, daß wir derselben nichts weniger als entzogen sind“10. Gerade diese schonungs- und aussichtslose Konfrontation mit dem Unvermeidlichen, auf welcher das Pathetischerhabene gründet, zwinge uns jedoch auf dasjenige in uns zurück, was selbst nicht sinnlich ist, und eigne sich demnach in besonderem Maße als ,Prüfstein‘ unserer Autonomie. Denn wenn der Mensch gegenüber dem Faktum der Sterblichkeit auch gänzlich ohnmächtig erscheint, so gebe es gleichwohl auch eine Sicherheit vor dem Tod, welche jedoch ausschließlich eine „innre oder morali-
7
Ebd., S. 60.
8
Schiller (1966a), S. 76.
9
Ebd., S. 84.
10
Schiller (1966), S. 62.
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sche Sicherheit“11 sein könne. Gegen das Leiden selbst hat der Mensch keine „andre Waffen als Ideen der Vernunft“12. Indem die lustvolle Selbstwahrnehmung der eigenen Unabhängigkeit folglich das Bewusstsein physischer Abhängigkeit voraussetzt, um sich von diesem abgrenzen zu können, ist die Ohnmacht des Körpers auch in Schillers Konzeption konstitutiv. Erst die Einschränkung des Selbsterhaltungstriebes – wenn sich die äußeren Verhältnisse „mit unsern im Widerspruch befinden“13 – eröffnet uns das wahre Ausmaß unserer Abhängigkeit, ermöglicht uns dadurch jedoch zugleich die Chance, dass wir „durch unsern Willen unserer Begierde widersprechen können [Herv. i. O.]“14. So decke das Erhabene eine „innere Gemütsfreiheit“15 in uns auf, welche trotz sinnlicher Bedrohung „für ihre Unabhängigkeit nichts fürchtet und in ihren Äußerungen keine Gewalt erleidet, wenn auch ihr sinnlicher Gefährte unter der furchtbaren Naturmacht erliegen sollte“16. Aber eben darum, „weil es zu diesem physischen Bedrängnis gekommen sein muß, ehe wir bei unsrer moralischen Natur Hülfe suchen, […] können wir dieses Freiheitsgefühl nicht anders als mit Leiden erkaufen“17. Damit wird zugleich auch deutlich, dass eine solchermaßen erlangte Freiheit, wie auch bereits in Kants Analytik, aufgrund der unhintergehbaren Leibgebundenheit des Menschen notwendig dialektisch bleiben muss, da in ihr immer auch „der Tod, also die
11
Ebd., S. 63. An anderer Stelle spricht Schiller von einer idealischen Sicherheit, welche er der materialen gegenüberstellt. (ebd., S. 67) Dabei gilt es bei Ersterer das „Verhältnis, welches ihm [dem Menschen, R. B.] so nachteilig ist, ganz und gar aufzuheben und eine Gewalt, die er der Tat nach erleiden muss, dem Begriff nach zu vernichten [Herv. i. O.]“ (Schiller [1995], S. 84). Das idealische Subjekt überwindet somit nicht lediglich eine Gefahr, sondern vielmehr die Bedingungen, unter denen eine Gefahr überhaupt wirksam werden kann. Keineswegs als idealische Sicherheit wertet Schiller die religiöse Hoffnung auf Unsterblichkeit, denn auch diese moralische Sicherheit stelle letztlich lediglich einen „Beruhigungsgrund für unsern Trieb nach Fortdauer“ dar und könne demnach nicht die Ursache eines erhabenen Lustgefühls sein. (Schiller [1966], S. 64).
12
Schiller (1966a), S. 82.
13
Schiller (1966), S. 55.
14
Ebd., S. 55.
15
Ebd., S. 61.
16
Ebd., S. 57.
17
Schiller (1966a), S. 88.
110 | S UBJEKTERMÄCHTIGUNG UND N ATURUNTERWERFUNG
Heteronomie triumphiert“18. Ihr zwangsläufig negativer Charakter verweist somit auf den aporetischen Konflikt zwischen der Endlichkeit des Menschen und dessen Vernunftanspruch. Indem Schiller die Unlust einzig über die bedrängte Physis interpretiert, zugleich jedoch annimmt, dass die als Lust gefühlte Freiheit lediglich aus dieser Bedrängnis hervorgehen kann, gewinnt das zweite Moment der Dynamik, jenes der Aufopferung, in seiner Lesart maßgeblich an Bedeutung. Dies ist insbesondere in seinem Entwurf erhabenen Handelns ablesbar. Im Anschluss soll aufgezeigt werden, dass Schillers Modell erhabenen Handelns ungeachtet seiner Forderung nach Stellvertretung und Fiktion nicht nur die mögliche Einheit von leidender und lustvoll erlebender Perspektive innerhalb einer Person erlaubt, sondern darüber hinaus auch mögliche Übergänge zwischen Bühne und wirklichem Leben respektive Leiden schafft.
18
Riedel (2007), S. 67. Hofmann und Edelmann orten gerade in dieser negativen Dialektik die Modernität der schillerschen Erhabenheitstheorie. So die beiden Autoren: „Schillers Modernität liegt darin, dass er in seiner Poetik des Erhabenen und in seiner späten Dramenpraxis jeder Harmonieästhetik entsagt, dass er darauf verzichtet, im Kunstwerk die Möglichkeit der Versöhnung von Natur und Freiheit, Trieb und Vernunft darzustellen, und statt dessen für ein Aushalten der Dissonanzen und des Widerstreits plädiert.“ (Hofmann/Edelmann [1998], S. 38).
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6.2 D AS E RHABENE
DER
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H ANDLUNG „Gern unterwerfen wir der physischen Notwendigkeit unser Wohlsein und Dasein, denn das erinnert uns eben, daß sie über unsre Grundsätze nicht zu gebieten hat. Der Mensch ist in ihrer Hand, aber des Menschen Wille ist in der seinigen.“
1
Neben wahrnehmungsästhetischen Interessen, d.h. der Frage, was das Leid anderer bei Betrachter/-innen auslösen kann, widmet sich Schiller in weiten Teilen seiner Auseinandersetzung auch produktionsästhetischen Fragestellungen, folglich der Erarbeitung jener Komponenten, welche einen erhabenen Helden kennzeichnen. Dabei gilt ihm, entsprechend seiner dualistischen Anthropologie, die Fähigkeit, sich zu seiner Sinnlichkeit in Distanz zu setzen, als wesentlichste Eigenschaft eines Heros. Um diese Fähigkeit graduell zu differenzieren, unterscheidet Schiller zwischen einer erhabenen Fassung und einer erhabenen Handlung. Während bei Ersterer die Selbstständigkeit des Geistes in Form einer stoischen Haltung2 lediglich negativ zu Tage tritt, d.h. als bloße Unabhängigkeit von der Sinnlichkeit, lässt sich eine erhabene Handlung positiv als freier Entschluss, sich aktiv über seine Sinnlichkeit hinwegzusetzen, und damit letztlich als Entschluss zum Leiden denken. Mit diesem Fokus auf die Freiheit, sein Leiden selbst zu wählen, löst Schiller das Erhabene aus dem Bereich des passiven Widerfahrens. Freiheit avanciert hier ästhetisch begriffen zur Willensfreiheit, d.h. zur aktiven Durchsetzungsfähigkeit gegenüber dem sinnlichen Selbsterhaltungstrieb. Hierfür zieht Schiller zwei Möglichkeiten in Betracht: Der Mensch kann aus Achtung für eine Pflicht das Leiden erwählen, in diesem Fall bestimmt ihn die „Vorstellung der Pflicht […] als Motiv, und sein Leiden ist eine Willenshandlung [Herv. i. O.]“, oder aber er muss nach dem Gesetz der Notwendigkeit eine übertretene Pflicht moralisch büßen: „Die Vorstellung der Pflicht bestimmt ihn in diesem Fall als Macht, und sein Leiden ist bloß eine Wirkung. [Herv. i. O.]“3 Als Beispiele für die erste Möglichkeit, die im Sinne des Erhabenen höher einzustufen ist, dienen Schiller das freiwillige Selbstopfer, der Suizid4,
1
Schiller (1995), S. 88.
2
Vgl. hierzu auch Schillers Begriff der Würde, welche er als „Ausdruck einer
3
Schiller (1966a), S. 90f.
4
Gerade im Freitod oder zumindest in der freiwilligen Selbstschädigung kann sich, so
erhabenen Gesinnung“ definiert. (Schiller [1966], S. 38).
Schiller, die Unabhängigkeit des Willens am deutlichsten äußern, da dieser in
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die Bereitschaft, einem Martyrium standzuhalten, u.Ä.; allesamt Situationen, in denen die Herrschaft des Willens über den Körper auf erhabene Weise zum Ausdruck kommen kann. Denn stellt das unfreiwillige Leidenmüssen die Autonomie des menschlichen Willens in Frage, so lässt sich konsequenterweise denken, dass umgekehrt die freiwillige Aufopferung des Selbsterhaltungsinteresses dieser drohenden Heteronomie entgegenwirken könne. Darüber hinaus ermögliche diese „Freiheit im Leiden“5, entsprechend der für das Erhabene charakteristischen Dreiteilung aus Gefährdung, Aufopferung und Erhebung, jener Polarität aus körperlicher Ohnmacht und geistiger Überlegenheit eine Art ,angenehmes Grauen‘ abzugewinnen: „Wir werden begeistert von dem Furchtbaren, weil wir wollen können, was die Triebe verabscheuen, und verwerfen, was sie begehren.“6 Um sich solchermaßen von der physischen Zerstörbarkeit distanzieren zu können, muss der Körper konsequent als etwas „Auswärtiges und Fremdes“ betrachtet werden, das wir „gar nicht zu unserm Selbst rechnen“ und demgegenüber wir „völlig gleichgültig“ sind, da es auf „unsre moralische Person keinen Einfluß hat“7. Die hierfür notwendige aktive Aufopferung unterstreichend, stellt Schiller fest, dass allein der „Kampf mit der Sinnlichkeit“8, im Zuge dessen der freie Wille die „Brechung der Naturnotwendigkeit in sich“9 zu vollziehen trachtet, dazu tauglich sei, die nichtsinnliche Handlungsfähigkeit des Subjekts unter ,Beweis‘ zu stellen. Eine erhabene Handlung basiere somit allererst auf der „Wegräumung der letzten Bedingung, unter der es allein Gefahr für uns geben kann“10. Erst diese Indifferenz gegenüber der physischen Integrität vermag dem Menschen seine Freiheit ästhetisch fühlbar zu machen, da er sich „von allem, was sie [die Natur, R. B.] erreichen kann, freitätig scheidet“11. Indifferenz darf hierbei jedoch nicht als Gefühllosigkeit im Sinne einer Ataraxie missverstanden
solchen Fällen sogar die Selbsterhaltung, als den mächtigsten Instinkt des Sinnenwesens, zu überwinden vermag. Die Selbstermächtigung über die eigene Endlichkeit gerät damit zur letzten „Entfesselung der Subjektivität“ (Ebeling [1967], S. 40). 5
Homann (1977), S. 70.
6
Schiller (1995), S. 88.
7
Schiller (1966), S. 66.
8
Schiller (1966a), S. 82.
9
Schiller (1966b), S. 39.
10
Schiller (1966), S. 67.
11
Schiller (1995), S. 85.
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werden, da nur das lebhafte Leiden, das Pathos12, welches das Subjekt aber dennoch nicht zu überwältigen vermag, von dessen Opferbereitschaft und damit zugleich von dessen Unabhängigkeit zeugt.13 Denn gerade das simultane Vorhandensein zweier widersprüchlicher Gefühle, das lustvolle Bewusstsein unserer Freiheit und die schmerzliche Ohnmacht als Sinnenwesen, lässt nach Schiller die Folgerung zu, „daß wir selbst in zwei verschiedenen Verhältnissen zu dem Gegenstand stehen, daß folglich zwei entgegengesetzte Naturen in uns vereiniget sein müssen, welche bei Vorstellung desselben auf ganz entgegengesetzte Art interessiert sind“14. Somit dient gerade diese Disharmonie zwischen der leidenden Sinnlichkeit und dem dennoch möglichst unbeugsamen Willen dazu, die Idee des Übersinnlichen indirekt zur Darstellung zu bringen: „denn man kann die Stärke des Widerstandes oder die moralische Macht in dem Menschen nur nach der Stärke des Angriffs beurteilen“15.
12
Pathos in seiner zweifachen Bedeutung von Leiden und Leidenschaft ist damit zwar notwendige Voraussetzung des Erhabenen, jedoch lediglich insofern als der freie Wille sich in der Abgrenzung von diesem fühlbar machen kann. So führt Schiller weiter aus: „Eine leidende Person, klagend und weinend vorgestellt, wird daher nur schwach rühren, denn Klagen und Tränen lösen den Schmerz schon im Gebiet der Tierheit auf. Weit stärker ergreift uns der verbissene und stumme Schmerz, wo wir bei der Natur keine Hülfe finden, sondern zu etwas, das über alle Natur hinausliegt, unsre Zuflucht nehmen müssen [Herv. i. O.]“ (Schiller [1966a], S. 84). Vgl. zur Verwendung des Pathosbegriffs im 18. Jahrhundert auch Schulz (1988).
13
In diesem Sinne stellt er der von ,Dezenz‘ geleiteten französischen Klassik das Vorbild der griechischen Kunst, wo die „leidende Natur […] wahr, aufrichtig und tiefeindringend zu unserm Herzen“ spricht, kritisch gegenüber. (Schiller [1966a], S. 78) Dabei darf das Leiden weder letzter Zweck der Darstellung, noch unmittelbare Quelle des Vergnügens sein, „denn alles Erhabene stammt nur aus der Vernunft [Herv. i. O.]“ (ebd., S. 80). Dahingehend stellt Schiller fest: „nichts, was bloß die sinnliche Natur angeht, ist der Darstellung würdig“ (ebd., S. 79). Insbesondere die Laokoon-Gruppe gilt ihm hierbei als gelungenes Exempel.
14
Schiller (1995), S. 87.
15
Schiller (1966a), S. 84. Auch wenn uns das Erhabene „einen Ausgang aus der sinnlichen Welt“ zu verschaffen vermag, indem es „plötzlich und durch Erschütterung [...] den selbständigen Geist aus dem Netze los[reißt, R. B.], womit die verfeinerte Sinnlichkeit ihn umstrickte“, so ist Schiller Kantianer genug, um die Freiheit der Intelligibilität nicht für positiv darstellbar zu erachten. (Schiller [1995], S. 90f.) Das Übersinnliche ist folglich auch bei Schiller lediglich als gefühltes Freiheitsbewusstsein präsent.
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Trotz dieses forcierten Moments der Aufopferung macht Schiller zugleich deutlich, dass dieser Akt der destruktiven Selbstbestimmung nicht als bloße Willkür, sondern lediglich als Respondenz auf die fundamentale Hinterfragung von Freiheit durch die unhintergehbare Todesverfallenheit des Menschen verstanden werden darf. So fragt er angesichts dessen, dass kein Mensch frei sei, „dem Tode zu entgehen und dem Ausgang ins Nichts“16, was denn der ganze Wille des Menschen sei, wenn es diesen gravierenden Fall gäbe, wo er muss, wenn auch nicht will, und kommt zu dem Schluss: „seine gerühmte Freiheit ist absolut nichts, wenn er auch nur in einem einzigen Punkt gebunden ist“17. Wolle man daher an der Selbstdefinition des Menschen als autonomes Wesen trotz seiner Determiniertheit zum Tode festhalten, bliebe letztlich nichts anderes übrig, als sich der überlegenen Gewalt in scheinbarer Einstimmigkeit „freiwillig [zu, R. B.] unterwerfen“18 und sie dadurch zumindest dem Begriff nach zu vernichten. Denn in der freiwilligen und selbstbewussten Annahme des Leidens, erst wenn sich der Wille des Menschen über dessen bedrohte Leib- und Sinnlichkeit hinwegzusetzen vermag, erlangt dieser eine erhabene Unbezwingbarkeit und ist darüber hinaus in der Lage, der scheinbar sinnlosen Vernichtung Sinn zu verleihen. Einer solchen Fassung nach ist nichts, was der Mensch erleiden könnte, als Gewalt zu betrachten, denn „eh’ es bis zu ihm kommt, ist es schon seine eigene Handlung geworden [Herv. i. O.]“19. In der Fortführung dieses Gedankengutes wandelt sich konsequenterweise selbst der Tod zu einer Willenshandlung.20 Anhand dieser Erörterungen Schillers wird der fließende Übergang von erhabener Fassung und erhabener Handlung, deren Unterscheidung letztlich nur noch eine perspektivische Frage ist, deutlich. Denn sofern jedes von außen kommende Leid durch die entsprechende Fassung als Handlungsakt verstanden
16
Ebeling (1967), S. 8.
17
Schiller (1995), S. 84.
18
Ebd., S. 84.
19
Ebd., S. 84.
20
Barone verweist in seiner Schillerstudie auf die Nähe dessen Freiheitskonzeption zu dem Gedankengut der Stoa. (Barone [2004], S. 119ff.) Die Vorstellung, durch ein freiwilliges Folgeleisten den Zwang des Schicksals in einen Willensakt umwandeln zu können, findet sich etwa in Senecas Schrift De providentia (1. Jh. nach Chr.), wo dieser feststellt: „Menschen von Wert mühen sich ab, bringen Opfer, lassen sich opfern, und aus eigenem Willen! Nicht brauchen sie vom Schicksal gezogen zu werden, sie folgen ihm, und sie halten Schritt. Hätten sie gewußt, wären sie ihm vorausgegangen.“ (Seneca [1999], S. 31).
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werden kann21 und umgekehrt jede selbst verletzende Handlung lediglich die freiwillige Vorwegnahme von etwas ist, was spätestens durch den Tod ohnehin virulent geworden wäre, ist in beiden Fällen das Moment der freiwilligen Aufopferung elementar. Diese ,aktive Resignation‘, welche sich hinsichtlich Haltung und Handlung lediglich in ihrer Gradualität unterscheidet, kann somit als Inbegriff des dualistischen Selbstopfers betrachtet werden. So resümiert Schiller: „wohl ihm also, wenn er gelernt hat, zu ertragen, was er nicht ändern kann, und preiszugeben mit Würde, was er nicht retten kann!“ 22 Dass Fähigkeiten dieser Art nicht nur Helden und Heldinnen der Tragödie auszeichnen, sondern Schillers Idee nach auch im wirklichen Leben zum Tragen kommen sollten, ergibt sich konsequenterweise aus seinem Konzept der ästhetischen Erziehung, im Rahmen derer das Erhabene als eine Art moralisches „Katastrophentraining“23 fungiert. In diesem Wechselverhältnis von Kunst und Realität zeigt sich am deutlichsten die Schnittstelle zwischen Schillers Wahrnehmungsästhetik und seinem Konzept einer erhabenen Fassung bzw. Handlung. Denn indem die tragische Kunst das „böse Verhängnis“ der Kreatur Mensch, dessen Leiden und Todesverfallenheit, nicht in Form einer „falsch verstandenen Schonung“ verdrängt, sondern diese gerade „Stirne gegen Stirn“24 offenlegt, soll den Betrachter/-innen eine ästhetische Fassung gegenüber ihrer eigenen Sterblichkeit angedeihen, welche, so lässt sich weiterdenken, letztlich in erhabenen Handlungen zum Ausdruck kommen kann. Ungeachtet seiner Forderung nach Fiktion thematisiert Schiller somit vermittelt über sein Konzept der moralischen Erziehung auch die Möglichkeit, reales Leiden und sogar Sterben ästhetisch erleben zu können, sofern es die eigene Person betrifft. Denn der „höchste Schwung der Menschennatur“ bestünde darin, „das wirkliche Leiden in eine erhabene Rührung aufzulösen“25. Setzt dies auch eine „Erhebung der menschlichen Natur“ voraus, „die kaum in einem Subjekt als möglich gedacht werden kann“26, so lassen Schillers Ausführungen keinen Zweifel daran, dass eine
21
Schiller (1966a), S. 89.
22
Schiller (1995), S. 97.
23
Begemann (1987), 156.
24
Schiller (1995), S. 98.
25
Ebd., S. 97.
26
Schiller (1966), S. 61. Wenn Schiller auch nur wenigen Menschen die Fähigkeit zuspricht, reales Leid in eine erhabene Rührung auflösen zu können, so geht er mit Kant in der Annahme d’accord, dass jeder Mensch über die grundsätzlichen Voraussetzungen für das Erhabene verfüge. Dementsprechend elaboriert er in der Nachfolge Kants die Idee einer so genannten ,moralischen Kultur‘, welche mitunter auf
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solche idealische Sicherheit ungleich höher zu werten wäre, da sie zur Gänze auf der „Unzerstörbarkeit unseres Wesens“27 beruhe. Um eine solche Furchtlosigkeit aufzubringen, muss der Mensch jedoch erst eine ästhetische Distanz zu seiner eigenen Faktizität gewinnen, denn nur so kann „unser Geist frei bleiben, indem unsere Sinnlichkeit überwältigt wird“28. Gerade hier setzt sein Programm der ästhetischen Erziehung an, denn das rezeptive Erleben des Pathetischerhabenen birgt die Möglichkeit, die Sorge um die eigene Existenz temporär zu überwinden und auf diese Weise zugleich eine Unabhängigkeit von ganz anderer Art zu erlangen. So Schiller: „Das Pathetische, kann man daher sagen, ist eine Inokulation des unvermeidlichen Schicksals, wodurch es seiner Bösartigkeit beraubt und der Angriff desselben auf die starke Seite des Menschen hingeleitet wird.“29 Gerade durch die Artifizialität des Pathos gewinne „das selbständige Prinzipium in unserm Gemüte Raum“, sich bei Zeiten zu entwickeln, denn je „öfter nun der Geist diesen Akt von Selbsttätigkeit erneuert, desto mehr wird ihm derselbe zur Fertigkeit, einen desto größern Vorsprung gewinnt er vor dem sinnlichen Trieb, daß er endlich auch dann, wenn aus dem eingebildeten und künstlichen Unglück ein ernsthaftes wird, imstande ist, es als ein künstliches zu behandeln“30. Durch gezielt wiederholte Konfrontationen mit seiner eigenen Endlichkeit soll der Mensch folglich dahin gebracht werden, dass er „auch im Ernstfall das Interesse der Sinnlichkeit aufzugeben und so seine Freiheit zu bewahren in der Lage ist“31. Mündet Schillers Entwurf einer ,Furchtbewältigungsstrategie‘ idealer Weise in der Fähigkeit, auch das wirkliche Leiden erhaben zu ertragen, so lässt sich konsequenterweise auch die reale Selbstverletzung ästhetisch betrachtet als erhabene Handlung begreifen. Dies ist bei künstlerischer Selbstverletzung umso mehr der Fall, als es hierbei zwar zur realen Verletzung des Körpers kommt, diese aber dennoch als künstlerische Handlung intendiert und rezipiert wird.
der Erziehung zur erhabenen Gelassenheit basiere. Denn der ,natürliche‘„Keim dazu [entwickle sich, R. B.] ungleich [...] und durch die Kunst muß ihm nachgeholfen werden“ (Schiller [1995], S. 91). 27
Schiller (1966), S. 63.
28
Ebd., S. 61.
29
Schiller (1995), S. 97. Dahingehend stellt auch Düsing fest: „Die Verwandlung furchtbarer Wirklichkeit in das Erhabene schafft eine Distanz zu den andrängenden Erscheinungen und erweitert so den Spielraum der menschlichen Freiheit.“ (Düsing [1967], S. 170).
30
Schiller (1995), S. 97.
31
Begemann (1987), 156.
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6.3 Ä STHETISCHER W ILLE – MORALISCHER W ILLE Schillers favorisierte Bereitschaft zum Selbstopfer scheint einem Freiheitsbegriff zu widersprechen, der sich im kantschen Sinne über seine Nähe zum Sittengesetz definiert. Steht auch außer Frage, dass der Kantianer Schiller Willensfreiheit als Übereinstimmung mit dem reinen Vernunftgesetz dachte, so lassen sich dem ungeachtet Textstellen finden, welche Freiheit ästhetisch, d.h. als bloße Unabhängigkeit von der Sinnlichkeit, verstehen. Diese „ästhetische Freude an der Energie des Willens, unabhängig von jedem sittlichen Gehalt“1, zeigt sich, wenn Schiller als Beispiele einer erhabenen Fassung bzw. Handlung Miltons Lucifer oder Medeas Kindsmord anführt.2 Dies ist ihm insofern möglich, als er explizit zwischen dem bloßen Vermögen zur Freiheit und dessen ,Umsetzung‘ in Form moralischen Handelns unterscheidet. Auf dieser Unterscheidung beruht auch seine Trennung zwischen einem ästhetisch großen Gegenstand und einer moralisch großen Person. Denn allein durch ihre Übereinstimmung mit dem Sittengesetz wird eine Handlung, so Schiller, gerade nicht „ästhetisch brauchbar“3. Vielmehr kann der „nämliche Gegenstand […] uns in der moralischen Schätzung missfallen und in der ästhetischen sehr anziehend für uns sein“4. So sei etwa der Freitod als Verstoß gegen die Pflicht der Selbsterhaltung moralisch nicht zu billigen, ästhetisch beurteilt gefalle dieser aber, da er von „einem Vermögen des Willens zeugt, selbst dem mächtigsten aller Instinkte, dem Triebe der Selbsterhaltung, zu widerstehen [Herv. i. O.]“5. An ihm wird deutlich, dass der Mensch
1
Düsing (1967), S. 150.
2
Schiller (1966a), S. 90. Vgl. zur Trennung von ästhetischer und moralischer Perspektive auch die Vorrede Schillers zu den Räubern (1781) bzw. die Abhandlung Gedanken über den Gebrauch des Gemeinen und Niedrigen in der Kunst (1802), wo er sich mit der Idee des erhabenen, da willensmächtigen Verbrechers auseinandersetzt. Eine vertiefte Abgrenzung von Ethik und Ästhetik findet sich auch in dem Aufsatz Zerstreute Betrachtungen über verschiedene ästhetische Gegenstände (1794). Dass Schillers Verbindung des moralisch Fragwürdigen mit dem Erhabenen keine gänzliche Innovation darstellt, macht Düsings Hinweis deutlich, Miltons Satan und Corneilles Medea seien in der Ästhetik des 18. Jahrhunderts – so etwa in Sulzers Allgemeinen Theorie der schönen Künste (1771-1774) – geradezu „Standardbeispiele für das Erhabene“ (Düsing [1967], S. 155).
3
Schiller (1966a), S. 91.
4
Ebd., S. 91.
5
Ebd., S. 94.
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„noch ein Bedürfnis mehr, als zu leben und sich wohl sein zu lassen“6, in sich trägt. Dabei zählen weniger die individuellen Gründe des Freitodes bzw. der Selbstverletzung als vielmehr die davon abstrahierte Fähigkeit, sich überhaupt gegen die eigene Sinnlichkeit stellen und durchsetzen zu können, „weil schon durch die bloße Möglichkeit, uns vom Zwange der Natur loszusagen, unserm Freiheitsbedürfnis geschmeichelt wird“7. An diesen Beispielen wird ersichtlich, dass Schiller weit konsequenter als Kant dazu bereit ist, das Erhabene als ästhetisches Prinzip von den Vorgaben der Moral zu lösen, indem er auf die apriorische Bedingung der Moral, nämlich die Fähigkeit, sich der Natur grundsätzlich widersetzen zu können, Bezug nimmt und nicht auf die Moral selbst.8 Nicht der sittlich bestimmte Wille, sondern das Willensvermögen überhaupt dient ihm als Inbegriff des Erhabenen. Dementsprechend konstatiert Schiller in der Abhandlung Über Anmut und Würde: „Der Wille des Menschen ist ein erhabener Begriff, auch dann, wenn man auf seinen moralischen Gebrauch nicht achtet. Schon der bloße Wille erhebt den Menschen über die Thierheit; der moralische erhebt ihn zur Gottheit. [Herv. i. O.]“9 Eine Sichtweise, welche ihm erlaubt, die dem Erhabenen inhärente Dynamik der Gewalt radikaler zu fassen. Indem der Wille des Menschen, nunmehr ästhetisch gefasst, gänzlich von den rigiden Pflichten des Sittengesetzes abgegrenzt wird, gewinnt er erst die Ungebundenheit, wie sie charakteristisch für einen alltagssprachlichen Begriff von Freiheit geworden ist. So ist nicht nur das autonome ,Gestalten‘ des eigenen Körpers längst fixer Bestandteil moderner Gesellschaften geworden, auch der paternalistische ,Schutz‘ des Lebens wird zunehmend von dem umfassenden Anspruch auf Selbstverfügung relativiert.10 Es liegt jedoch auf der Hand, dass
6
Schiller (1995), S. 93.
7
Schiller (1966a), S. 94.
8
Diese Emanzipation der Kunst von dem engen Korsett der Moral, wie sie für Schillers gesamte Ästhetik charakteristisch ist, wird nicht zuletzt durch seine Rollenumverteilung von Vernunft und Einbildungskraft ermöglicht, bei welcher Letztere als freie, d.h. als produktive Einbildungskraft an die Stelle des reinen Begehrungsvermögens zu rücken scheint. Vgl. hierzu FN 4, S. 106f.
9
Schiller (1966b), S. 39.
10
So plädieren beispielsweise zeitgenössische Freiheitstheoretiker/-innen meist für das Recht des Einzelnen, seinem Leben in einem Akt der freien Selbstbestimmung ein Ende zu setzen. Vgl. etwa Jean Améry, Hans Ebeling, Héctor Wittwer u.a. Dass darüber hinaus auch auf gesellschaftlicher Ebene Individuen verstärkt die Autonomie zugestanden wird, über ihr eigenes Leben verfügen zu können, zeigt sich etwa in der zunehmenden Legalisierung von Sterbehilfe.
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durch die gänzliche Unabhängigkeit des Willens von jeglicher gesetzgebenden Instanz, wie bereits Schillers wiederholte Thematisierung des erhabenen Verbrechers zeigt, auch dessen destruktives Potenzial im vollen Maße zum Ausdruck kommen kann. In diesem Sinne impliziert die Forcierung eigenständigen Wollens gegen alle (sinnliche) Begrenztheit auch immer die Radikalität dualistischer Abgrenzung, wie sie exemplarisch bei künstlerischer Selbstverletzung zu Tage tritt.11
11
Die völlige Loslösung des Willens von jeglichem Reglement impliziert immer auch Szenarien de sadescher Natur, dessen Texte nicht von ungefähr etwa zur selben Zeit wie Schillers Schriften entstanden.
7. Zusammenfassung: Kant und Schiller „Das erhabene Gefühl beweist – nicht etwa den brüchigen und fragmentierten Charakter der Seele, sondern ihre über Sinnenzwänge erhabene unbezwingliche Freiheit und Ganzheit.“
1
Betrifft im dynamisch-Erhabenen die Gefährdung der Sinnlichkeit auch mitunter die Einbildungskraft als sinnliches Darstellungsvermögen, so ließ sich zugleich verdeutlichen, dass hier die Unlust in erster Linie auf der Bedrohung der Physis basiert. Gemäß Begemanns Feststellung, dass die Furcht der Aufklärung „primär auf die physische, den Körper des Menschen betreffende Macht der Natur“2 zurückzuführen sei, thematisiert das dynamisch-Erhabene somit das dem Menschen widrige ,Andere‘ als ihm überlegene Gewalt, damit zugleich aber auch die Widrigkeit der Natur an sich, an welcher der Mensch durch seinen Körper teilhat. Denn es ist die Vulnerabilität der eigenen Sinnlichkeit und folglich deren Vergänglichkeit, auf welche das Subjekt im Prozess des Erhabenen unausweichlich zurückgeworfen wird. Der „Inbegriff der Gewalten, denen das menschliche Leben ausgesetzt ist“3, impliziert somit in letzter Konsequenz stets die Auseinandersetzung mit der eigenen Endlichkeit, welche dementsprechend in erheblichem Maße Kants Konzeption des dynamisch-Erhabenen charakterisiert und bei Schiller zum „theoretische[n] Brennpunkt“4 avanciert. Resultiert die Unlust im Erhabenen folglich primär aus einem Angriff auf den sinnlichen Willen zur Selbsterhaltung, so ließ sich zugleich aufzeigen, dass diese drohende Heteronomie über das sinnliche Wollen hinaus die Autonomie
1
Lehmann (1989), S. 755.
2
Begemann (1987), S. 125.
3
Kaulbach (1984), S. 195.
4
Riedel (2007), S. 59.
122 | S UBJEKTERMÄCHTIGUNG UND N ATURUNTERWERFUNG
des Subjekts insgesamt in Frage zu stellen vermag. Es ist gerade diese fundamentale Hinterfragung des seiner Selbstdefinition nach souveränen Subjekts durch seine leibliche Faktizität, welche, um nicht den ganzen Menschen unterworfen denken zu müssen, sowohl auf philosophischer als auch auf ästhetischer Ebene eine gleichsam gewaltsame Abgrenzung von der eigenen Sinnlichkeit bedingt. Das durch seine Kreatürlichkeit gefährdete Individuum sucht somit Zuflucht in einem Machtentwurf „von ganz anderer Art“5: Der abendländischen Konzeption des ,starken Subjekts‘, welche es erlaubt, den Menschen nebst seiner unterworfenen Animalität auch als rationales und damit freies Wesen zu denken. Eine so verstandene Freiheit definiert und erprobt sich folglich – zumindest in Momenten ihrer Bedrohung – über die Verneinung respektive Preisgabe der eigenen Natur. Im dynamisch-Erhabenen konkretisiert sich diese dualistische Aufopferung als Bereitschaft der Vernunft, zwecks Demonstration ihrer Unabhängigkeit sowohl die Einbildungskraft als auch damit zugleich die gesamte Sinnlichkeit ihren Begrenzungen forciert auszusetzen, um dem Individuum auf diese Weise die Trennung von Erscheinung und Ding an sich, d.h. die auf das Selbst bezogene Idee des Unbedingten, ästhetisch fühlbar zu machen. Dieses Begehren der Vernunft kann nach Kant und Schiller nur insofern gelingen, als sich der Mensch angesichts seiner sinnlichen Begrenztheit bewusst zu werden vermag, dass er dank seiner Vernunft nicht nur sinnlich ist und auf seiner ,übersinnlichen‘ Ebene von der Natur auch nicht bedrohbar. Das introspektive Zurückgeworfensein auf sich selbst lässt den Menschen folglich gerade im Moment sinnlicher Bedrohung seine übersinnlichen Kräfte ,schauen‘. Gerade das absolute Scheitern von Einbildungskraft und Physis dient damit der Selbstaffirmation des Subjekts und dessen Freiheitsanspruch, wodurch jedoch die gewaltsame Unterwerfung der Sinnlichkeit zu einem konstitutiven Element der erhabenen Lust gerät. In Kants Analytik des dynamisch-Erhabenen sowie in Schillers Weiterführung derselben spiegelt sich somit deren Freiheitsbegriff, der den Menschen dank seines reinen Willens unabhängig von der Natur wissen will, elementar wider. Zugleich aber verweisen beide Ästhetiker auch auf den ,Preis‘ dieser Art von Selbsterhebung, nämlich die Aufopferung der eigenen Natur. Durch dieses konstitutive Moment des Selbstopfers verharrt jedoch eine solche Freiheit, so galt es zu verdeutlichen, immer in einer Dialektik, da sie den Menschen als Subjectum stets zu einer dualistischen Aufspaltung und damit letztlich zu einer unauflöslichen Simultaneität von Autonomie und Heteronomie zwingt.
5
Kant (AA V / KdU), S. 261.
Z USAMMENFASSUNG : K ANT UND S CHILLER
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Trotz dieser Dialektik sind die deutlich zerstörerischen bzw. autoaggressiven Züge des dynamisch-Erhabenen nicht von der Hand zu weisen. Es darf dabei jedoch nicht übersehen werden, dass sich dieses zerstörerische Potenzial erst als Resultat einer vorausgehenden existenziellen Gefährdung des Subjekts – exemplarisch zu fassen anhand dessen Endlichkeit – ereignet. Die freiwillige Aufopferung des sinnlichen Interesses ist somit nicht ein „schlechthin spontaner, sondern von dem andrängenden Schicksal provozierter Akt der Freiheit“6. In solch existenziell bedrohlichen Handlungssituationen, wie sie Kant und Schiller für das Erhabene anführen, scheint die Befriedigung sinnlicher Bedürfnisse bzw. selbst die Rücksichtnahme auf diese nicht mehr möglich. Die damit einhergehende aktive Aufopferung des sinnlichen Wollens ist daher nicht per se als sinnenfeindlich zu verstehen, sondern scheint den beiden Philosophen vielmehr der ,letzte Ausweg‘, um an der Idee der Selbstbestimmung trotz deren Prekarität festhalten zu können. Darüber hinaus sei darauf verwiesen, dass sich die Unterwerfung im Erhabenen in erster Linie gegen das Subjekt selbst richtet. Der gewalttätige Umgang mit der Natur, welchen etwa Pries dem dynamisch-Erhabenen bescheinigt,7 ereignet sich zuvorderst am eigenen Körper, der zugunsten der Demonstration des freien Willens in seiner Verletzlichkeit funktionalisiert wird. Überlegenheit über die Natur geht in dieser Gedankenkonzeption folglich unabdingbar mit der Überlegenheit über die eigene Natur einher. Das dynamisch-Erhabene ist somit dem von Kant an anderer Stelle apostrophierten „Stoicism“8, wo Freiheit ebenso als Independenz von körperlichen Bedürfnissen verstanden wird, näher als einer nach außen getragenen Gewalt, wie sie vor allem den historischen Faschismus, in dessen Kontext die ästhetische Kategorie des dynamisch-Erhabenen häufig allzu voreilig gerückt wurde, kennzeichnet.9 Ein Umstand, der sich, wie es im Anschluss aufzuzeigen gilt, insbesondere an künstlerischer Selbstverletzung ablesen lässt.
6
Schulz (1988), S. 312.
7
Vgl. Pries (1995), S. 60.
8
Kant (AA VII / Der Streit der Fakultäten), S. 100.
9
Dass Faschismus und Stoizismus insbesondere in der programmatischen ,Abrichtung‘ und Beherrschung des Körpers zum Teil analoge Grundmuster aufweisen und darüber hinaus Übergänge zwischen den gedanklichen Systemen möglich sind, ist unbestritten. (vgl. hierzu Theweleit [2005]) Diese ,Nähe‘ rechtfertigt jedoch dennoch nicht die Gleichsetzung der beiden Konzepte.
8. Künstlerische Selbstverletzung
8.1 Z UR E NTWICKLUNG
DER
B ODY A RT
„Im phänomenologischen Horizont des Leibes und der Welt angesiedelt, ist das künstlerisches [!] Medium der Körper. […] Der menschliche Körper selbst ist das Kunstwerk, das Material.“
1
Im Zuge der 1960er Jahre kommt es insbesondere in Japan, Europa und den USA vermehrt zur Fokussierung auf den Künstler/-innenkörper, welcher nun als plastisches Gestaltungsmaterial sowie als zentrales Ausdrucksmittel gehandhabt wird. Dieser ,Einbruch des Körpers‘, den man um 1970 durch den Begriff Body Art2 zu fassen sucht, betrifft in erster Linie die Performancekunst, welche sich als „hybride Gattung“3 aus der Entgrenzung anderer Künste, so etwa dem Übertreten der Leinwand in der Malerei, zu formen begonnen hatte.4 Dabei
1 2
Weibel (1973), S. 42. Thomas Dreher unterscheidet zwischen Body Art im engeren und jener im weiteren Sinne. Während er zu Letzterer generell selbst konzipierte Soloperformances zählt, welche den Einsatz des Körpers implizieren, versteht er unter Body Art im engeren Sinne lediglich solche Arbeiten, in denen der Körper als Aktionsmaterial Eingriffe, beispielsweise in Form von Bemalung bis hin zur Verletzung, erfährt. Als Body Art im engsten Sinne definiert Dreher körperbezogene Studio-Soloperformances zwecks Foto- bzw. Filmdokumentationen. Vgl. Dreher (2001), S. 299.
3
Kolesch (2009), S. 92.
4
Als früheste Vorläuferin dieser Entwicklung gilt die japanische Gutai-Gruppe, im Rahmen derer Künstler/-innen wie Jiro Yoshihara oder Atsuko Tanaka bereits Anfang der 1950er begonnen hatten, den Körper in das Zentrum ihrer aktionistischen
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kommen zum Teil Praktiken zum Einsatz, wie beispielsweise die Aktion als künstlerisches Ausdrucksmittel, die Annäherung von Kunst und Leben, Momente der Selbstinszenierung bzw. Selbsttransformation oder die Gleichsetzung von Künstler/-in und Werk, welche schon in der historischen Avantgarde des ersten Drittels des 20. Jahrhunderts, insbesondere im italienischen Futurismus und im Dadaismus, entwickelt worden waren. War bereits in jenen Bewegungen der Körper verstärkt einbezogen worden, so beginnt dieser in den 1960er Jahren bei zahlreichen Künstler/-innen sukzessive die Leinwand bzw. die Plastik zur Gänze zu ersetzen. An deren Stelle wird er beispielsweise in Arbeiten von Yves Klein, Carolee Schneemann, Friederike Petzold, Vito Acconci oder auch den Wiener Aktionisten bemalt, skulptural arrangiert bzw. als ,Körpermaterial‘ mit anderen Gegenständen, wie etwa Lebensmitteln (Mühl) oder Tierkadavern (Nitsch), gleichwertig in Bezug gesetzt. Dahingehend stellt RoseLee Goldberg fest: „The sheer physicality of painting and the connection of the artist’s body to canvas, led to numerous performances in which the body was viewed as an integral material of painting and vice versa.“5 Über diesen Einbezug der Physis in den Kontext der Bildenden Kunst hinaus wird der Körper in so genannten Körperanalysen (Brus) gezielt auf seinen ,Rohzustand‘ hin untersucht, d.h. auf seine spezifische Beschaffenheit und ,Sprache‘ sowie auf seine Funktionsweisen, was auch den Einbezug diverser Körperausscheidungen respektive -flüssigkeiten, wie Sperma, Fäkalien oder Blut, zur Folge hat.6 Im Rahmen der konsequenten Fokussierung auf den Körper rückt zugleich mit diesem die individuelle Künstler/-innenperson in den Vordergrund bzw. avanciert durch einen Akt der Selbstdarstellung überhaupt zum eigentlichen ,Kunstwerk‘. Diese Konzentration auf das Künstler/-innensubjekt führt Ende der 1960er Jahre zu einem Anstieg von Solo-Performances sowie zu einer Reduktion der für die Anfänge der Performance Art noch charakteristischen aktiven Publikumspartizipation. Dementsprechend findet die auf den eigenen Körper konzentrierte Body Art, im Gegensatz etwa zu der in den öffentlichen Raum drängenden Happeningskunst, häufig in privaten Ateliers oder Wohnungen, vor
Arbeit zu setzen. Vgl. zur Entstehung und Charakterisierung von Performance Art Goldberg (1979); Jappe (1993). 5
Goldberg (2004), S. 17.
6
So beispielsweise in Piero Manzonis Kunstprojekt Merda d’artista (1961), Otto
Mühls
Aktion
Scheißkerl
(1969),
VALIE
EXPORTS
Aktionsfilm
Mann&Frau&Animal (1972) oder Vito Acconcis Performance Seedbed (1972).
K ÜNSTLERISCHE S ELBSTVERLETZUNG
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ausgewählten Personen oder unter völligem Ausschluss der Öffentlichkeit lediglich zur fotografischen und filmischen Dokumentation statt.7 Durch die Reduktion auf die konkrete Realität des Körpers avanciert dieser in der Selbstwahrnehmung vieler Künstler/-innen zum Garanten vorsymbolischer und dadurch intensivierter sowie subjektiver Erfahrungen, welche man der kunstgeschichtlichen Tradition der Repräsentation kritisch entgegenstellt. Damit einhergehend wird der ephemere Prozess ins Zentrum des Interesses gerückt. Denn anstatt auf etwas außerhalb ihrer selbst bloß repräsentativ zu verweisen, würden insbesondere körperorientierte Arbeiten aufgrund ihrer scheinbaren Authentizität, Präsenz und Unmittelbarkeit ,Wirklichkeit‘ performativ herstellen, weshalb für diese sowohl von Seiten vieler Künstler/-innen als auch vor allem der wissenschaftlichen Auseinandersetzung in besonderem Maße der Begriff des Ereignisses8 sowie der Kontext des Rituals in Anspruch genommen werden. Auf diese Weise lassen sich in den unterschiedlichen Performances zugleich auch verschiedene Rollen innerhalb der Gesellschaft verhandeln, wie etwa jene des Schamanen, des Künstlermärtyrers oder des anarchistischen Provokateurs. Diese gezielte Suche nach unmittelbaren künstlerischen Erfahrungen bzw. nach einer Durchlässigkeit der Grenze von Kunst und Leben führt ab Ende der 60er Jahre auch zum Einbezug selbst verletzender Elemente in die Body Art.9 Denn, so Zell: „Schmerz bringt Wirklichkeit in besonderer Weise in die Kunst
7
Dies ist etwa bei Arbeiten von Rudolf Schwarzkogler, Carolee Schneemann (z.B. Eye Body, 1963), Bruce Nauman, Nan Hoover, Hannah Wilkes, Gina Pane (z.B. L’Escalade, 1971) oder Günter Brus (z.B. Selbstverstümmelungen 1-3, 1965) der Fall, welche gezielt unter Ausschluss der Öffentlichkeit durchgeführt wurden.
8
Lischka/Weibel (2004).
9
Als frühestes Beispiel künstlerischer Selbstverletzung wird in der Sekundärliteratur häufig Yves Kleins Fotografie Der Sprung ins Leere aus dem Jahr 1960 angeführt. Auf dem Foto ist der Künstler zu sehen, wie er aus einem zweistöckigen Haus kopfüber auf die Straße springt. Zwar kann diese ,Aktion‘, welche sich als Fotomontage herausstellt, nicht im engeren Sinne als Selbstverletzung definiert werden, doch zeigen sich bereits hier Elemente, welche für viele spätere ,reale‘ Arbeiten charakteristisch sein werden. So etwa die Selbstinszenierung als Künstler-Heros, das (spielerische) Streben nach übermenschlicher Transzendenz, die Negation von Angst oder Schmerz sowie der Einsatz von Fotografie – und später auch Film – zwecks Dokumentation des Ephemeren. Zudem weist Andrea Zell zu Recht darauf hin, dass durch Kleins ,Aktion‘ erst die Vorstellung möglich oder zumindest gefördert wurde, selbst verletzendes Handeln könne als künstlerischer Akt gewertet werden. Vgl. Zell (2000), S. 42.
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ein und wirkt an der Grenzauflösung mit.“10 Diese explizit als künstlerische Handlungen verstandenen Verletzungen werden dabei großteils selbst, mithilfe diverser Verletzungswerkzeuge vorgenommen, wie vor allem Rasierklingen, aber auch Glasscherben, Messer, stromdurchflossene Drähte, Nägel und Nadeln. Mit derlei Gegenständen fügen sich Künstler/-innen wie Marina Abramović, VALIE EXPORT, Dennis Oppenheim, Chris Burden, Günter Brus, Vito Acconci, Gina Pane und zahlreiche andere im Rahmen teils riskanter Aktionen Schnitt-, Stich-, Brand- und sogar Schussverletzungen zu, wiederholen Bewegungsabläufe bis zur Erschöpfung, fasten, schlagen ihre Körper gegen räumliche Widerstände und lassen sich auf engstem Raum über längere Zeit einsperren. Künstlerische Selbstverletzung, welche bald zu einem zentralen Bereich der Body Art avanciert, greift dabei den Gestus der Destruktion, wie er kunstgeschichtlich bereits in der Zerstörung des Tafelbildes bzw. von Musikinstrumenten zum Ausdruck gekommen war, auf und richtet ihn nun konsequent gegen den eigenen Körper. In dieser frühen Phase selbst verletzender Body Art, d.h. etwa von 19681975, wird diese meist von den Künstler/-innen selbst – wohl nicht zuletzt aufgrund eines gewissen Erklärungsbedarfs – explizit kommunizierten Zielen, wie etwa der Bewusstseinserweiterung (Abramović), dem Austesten körperlicher Grenzen (Burden) oder dem Aufzeigen gesellschaftlicher Missstände (Brus, EXPORT), untergeordnet. Damit einhergehend werden häufig wirkungsästhetische Ansprüche, sowohl in Bezug auf das anwesende Publikum als auch in zweiter Linie auf die gesamte Gesellschaft, verfolgt.11 Zugleich werden jedoch auch, vor allem wenn Arbeiten den nackten, verletzten Körper implizieren, das Vorhandensein von Voyeurismus bzw. die sich daraus möglicherweise ergebende Mitverantwortung der Zuschauer/-innen für das Leiden anderer thematisiert.12
10
Ebd., S. 163.
11
Vgl. z.B. Kershaw (1992).
12
Besonders virulent ist diese Frage nach der Mitverantwortung bei solchen Aktionen, wo das Publikum von den Performer/-innen zu deren Verletzung angeregt wurde, wie dies etwa bei Arbeiten von Flatz, Chris Burden, Marina Abramović oder Kira O’Reilly der Fall war. Eine der frühesten Performances dieser Art ist Yoko Onos Arbeit Cut Pieces (1964), wenn es auch hier nicht zu realen Verletzungen kam. Während die Performerin regungslos auf der Bühne kniete, wurde das Publikum dazu eingeladen, ihr Kleidungsstücke vom Körper zu schneiden. Ein Vorgang, den die Künstlerin retrospektiv als eine Form des Übergriffs und des Ausgeliefertseins beschreibt.
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Insbesondere in ihrer gesellschaftskritischen Funktion ist künstlerische Selbstverletzung häufig durch einen Verweisungscharakter gekennzeichnet, d.h., die Wunde verweist auf die ,Beschneidungen‘, denen sich das Individuum in der Gesellschaft ausgesetzt sieht. Der verletzte Körper kann demgemäß als eine Metapher für den gesellschaftlichen bzw. kollektiven Körper begriffen werden. Er wird „zu einem Symbol“13, das der Bewusstmachung verletzender gesellschaftlicher Normierungen und Determinierungen sowie zugleich dem Aufzeigen der Kontingenz und Performativität von Normen und Bedeutungen dient. Durch das Verweisen auf gesellschaftliche Missstände bzw. durch die über die Wunde ermöglichte Erweiterung von Bewusstsein und Erfahrung kann künstlerische Selbstverletzung, insbesondere in jener frühen Phase, häufig auch als stellvertretende Handlung verstanden werden.14 Gerät künstlerische Selbstverletzung nach ihrer Hochphase um 197515, wie auch die körperfokussierte Body Art generell, zu einem Randphänomen der immer stärker konzeptuell sowie mit neuen Medien arbeitenden Performance Art, so findet Anfang der 90er Jahre erneut eine Hinwendung zum Körper statt. Im Gegensatz jedoch zur früheren Auseinandersetzung, wo dieser meist als Garant für Authentizität und Selbstreferenzialität fungierte, avanciert er nun häufig zu einem gestalt- und wandelbaren Zeichenträger einer in der Postmoderne instabil gewordenen Identität. Im Zuge dessen wird die Vorstellung eines authentischen Selbst nun zunehmend ironisiert bzw. in Frage gestellt. Stattdessen gewinnen nun in Arbeiten von Matthew Barney, Mariko Mori oder Yasumasa Morimura Aspekte des Identitäts-Transfers, des Posens, der „strategische[n] Selbstfetischisierung“16 sowie der Hybridisierung, wie sie zum Teil bereits einzelne Künstler/-innen wie Cindy Sherman und Urs Lüthi vorweggenommen hatten, allgemein an Bedeutung. Dieser Gestus der Selbstgestaltung findet auch in den Bereich der künstlerischen Selbstverletzung Eingang, wo insbesondere die neuen Möglichkeiten plastisch-chirurgischer Verfahren eine Erweiterung der bis dato praktizierten
13
Warr (2005), S. 114.
14
Vgl. hierzu Brucher (2008).
15
Elisabeth Jappe setzt den Höhepunkt der europäischen Performance Art – sowohl die Aktivität der Künstler/-innen als auch das Echo in der Öffentlichkeit betreffend – im Jahr 1977, wo auf drei Großveranstaltungen, dem Kunstmarkt in Bologna, der documenta 6 in Kassel und dem internationalen Kunstmarkt in Köln, umfassend und mit internationalem Anspruch performative Arbeiten gezeigt wurden. Vgl. Jappe (1993).
16
Jones (2005a), S. 39.
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Formen um den Aspekt der Bodymodification zur Folge haben. In Arbeiten von Stelarc, Genesis P-Orridge, John Duncan oder Yang Zhichao wird der bisher als weitgehend naturförmig aufgefasste Körper nun sukzessive der freien Wahl der Künstler/-innen unterworfen. Einen Höhepunkt hierzu stellen die chirurgischen Arbeiten der französischen Künstlerin Orlan dar, in deren Carnal Art sich der Fokus auf die physische Materialität, wie er charakteristisch für die Body Art der 1970er Jahre war, mit dem Modifikations- sowie Medieninteresse der 1980er Jahre vermengt. Mit dieser Konzeption des Körpers als gestaltbarem Zeichenträger und der Künstler/-innen als Kreator/-innen ihrer selbst tritt der Aspekt des kreatürlichen Leidens, des Schmerzes – Künstler/-innen lassen sich nun meist anästhetisieren – und damit auch des stellvertretenden Opfers sukzessive in den Hintergrund. Zugleich kommt es zu einer Verlagerung der verletzenden Handlungen auf medizinisches Personal, dessen Expertise sich das Individuum überantworten muss. Parallel zu diese Entwicklung der Bodymodification setzt sich jedoch auch die ,klassische‘ Variante der konkret in der Aktion vollzogenen Selbstverletzung fort, welche in den 1990er Jahren durch Vertreter/-innen wie Ron Athey, Franco B, Elke Krystufek, Bob Flanagan, Flatz oder Kira O’Reilly ebenfalls eine Renaissance erfährt. Als jüngste Entwicklung innerhalb der selbst verletzenden Körperkunst kann die künstlerisch-technische ,Hervorbringung‘ eines posthumanen Körpers verstanden werden. Fortschritte auf dem Gebiet der Biotechnologie sowie der Robotik erlauben sukzessive ein Verwischen der Grenze zwischen Körper und Technik bzw. zwischen Mensch und Maschine, welchem immer auch das Streben nach Transgression der eigenen Natürlichkeit inhärent ist. Rudimentär bereits Anfang der 1980er Jahre einsetzend, erweitern sich die Möglichkeiten einer solchen künstlerisch-technischen Synergie im Laufe der Zeit beträchtlich, was sich exemplarisch in den Arbeiten des australischen Künstlers Stelarc oder auch in jenen des Brasilianers Eduardo Kac, welcher sich 1997 im Rahmen seiner Kunst einen Mikrochip implantieren lässt, niederschlägt. Im Konzept des posthumanen Körpers erfährt nicht nur der Begriff der künstlerischen Selbstverletzung eine Erweiterung, auch jener des Körpers selbst bzw. der Natürlichkeit generell offenbaren sich in radikaler Weise als historischen Kontingenzen unterworfen, was auch die Analogien zu Kants Ästhetik des Erhabenen, so gilt es aufzuzeigen, nicht unbeeinflusst lässt.
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8.2 Z UR R EZEPTION KÜNSTLERISCHER S ELBSTVERLETZUNG Künstlerische Selbstverletzung wird in der Forschungsliteratur zur Body Art bzw. zur Performancekunst allgemein in der Regel in einzelnen Kapiteln ,mitbedacht‘ (Schilling [1978]; Jappe [1993]; Noever [1998]; Jones [1998]; Warr/Jones [2000]; Engelbach [2001]; Dreher [2001] u.a.) oder aber anhand ausgewählter Künstler/-innen ausführlicher, jedoch zugleich auch auf diese eingeschränkt behandelt (Künkler [1997], von Braun [1997]; Zell [2000]; O’Bryan [2005] u.a.). Darüber hinaus erfährt dieses künstlerische Phänomen selten in seiner Gesamtheit und Vielfältigkeit Beachtung. Dort wo eine solche umfassende Auseinandersetzung erfolgte, wurden bislang, vor allem in der theaterwissenschaftlichen respektive performancetheoretischen Auseinandersetzung, in erster Linie wahrnehmungsästhetische Fragen sowie jene der Intersubjektivität von Künstler/-in und Rezipient/-in thematisiert (O’Dell [1997]; Fischer-Lichte [2004]; Meyer [2008]; Kolesch [2009] u.a.). Im Zuge dessen stand insbesondere die Frage nach der Vermittlung bzw. Übertragung von Schmerzerfahrungen, d.h. gewissermaßen jene nach einer ,Sprache des Schmerzes‘, im Mittelpunkt.1 Dabei wurde die mögliche ,Einflussnahme‘ performativer Kunst auf das anwesende Publikum unter Rekurs auf Momente des Schocks 2 (Jahraus [2000]) sowie auf die intersubjektive energetische „Ko-Präsenz“3 von Akteur/-in und Zuschauer/-in (Fischer-Lichte [2004]) ungleich höher eingeschätzt als im traditionellen Theater oder den anderen Künsten. Denn, so die Theaterwissenschafterin Erika Fischer-Lichte, im Gegensatz zum traditionellen Theater, wo der Körper bzw. Gesten, Objekte etc. in Zeichen transformiert werden, wäre selbst verletzende Body Art durch bloße Selbstreferenzialität gekennzeichnet, was einen „Einbruch des Realen“4, d.h. eine Aufhebung der symbolischen Distanz zwischen Subjekt und Objekt, damit aber zugleich auch der rationalen Distanz zwischen den anwesenden ,Ko-Subjekten‘, zur Folge hätte. Dadurch avanciere der Zuschauer, so auch Kolesch, zum „Teilhaber, zum
1
Die gängigen Bezugstexte hierfür sind meist Morris (1994) und Scarry (1992), die bevorzugte Theorie jene der Schmerzübertragung durch Spiegelneuronen. Vgl. hierzu z.B. Meyer (2008).
2
Jahraus prägt hierfür den Begriff der „Dispositionierung“ des Bewusstseins. Vgl.
3
Fischer-Lichte (2004), S. 47.
4
Ebd., S. 102.
Jahraus (2000).
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konstitutiven Bestandteil der Performance“5. Dahingehend charakterisiert auch Vergine Body Art als „aestheticizing nostalgia for real relationships“ 6. In diese Deutungsrichtung der durch den Verletzungsakt gesteigerten Präsenz des phänomenologischen Körpers geht auch der oftmalige Rekurs der wissenschaftlichen Literatur auf phänomenologische Modelle, insbesondere auf die Leibphilosophie Maurice Merleau-Pontys bzw. Erving Goffmans (z.B. Jones [1998], Vergine [2000/1976]). Darüber hinaus wird über diese sinnliche Präsenz und die dadurch freigesetzten ,Energien‘ zwischen Akteur/-in und Publikum häufig eine Analogie zum Feld der Ritualität und dessen Transformationspotenzial hergestellt, worauf noch einzugehen sein wird. Diese Interpretation von Body Art als Möglichkeit, durch den scheinbar authentischen Einsatz des Körpers, wovon die reale Wunde am deutlichsten Zeugnis abzulegen vermag, das Cluster der Repräsentation zu durchbrechen und so zu einem vorsymbolisierten, ,ganzen‘ Sein zu gelangen, findet sich bereits in den frühesten wissenschaftlichen Beiträgen Anfang der 70er Jahre (vgl. Licht [1975]; Mayer [1973]; Nemser [1971]). Insbesondere Performances von Künstler/-innen wurden in diesem Sinne positiv als ein Prozess der (Wieder-)Aneignung des Körpers sowie einer damit einhergehenden Befreiung des weiblichen Selbst aus Repräsentationszwang und patriarchaler Unterdrückung verstanden (vgl. Lippard [1976]).7 Doch blieb dieser von vielen Künstler/-innen selbst postulierte Fokus auf die Präsenz des Körpers in der Forschung gleichzeitig auch nicht unhinterfragt. Vor allem die angloamerikanisch-feministische Auseinandersetzung mit Body Art äußerte bald Kritik an dem (scheinbar) essentialistischen Begriff von Körperlichkeit und Geschlecht (vgl. z.B. Kelly [1984]). Insbesondere Künstler/-innen wurde dabei vorgeworfen, durch die Fokussierung auf den eigenen Körper und dessen Materialität gerade den gesellschaftlichen Repräsentationszwang sowie die Objektivierung bzw. Fetischisierung der Frau fortzusetzen. Amelia Jones (1998) versucht einen Mittelweg zwischen diesen beiden Positionen, indem sie Body Art gezielt gegen etwaige essentialistische Tendenzen liest, um an dem Phänomen als solchem auch – oder gerade – aus einer poststrukturalistisch-feministischen Perspektive affirmativ
5
Kolesch (2009), S. 94.
6
Vergine (2000), S. 12.
7
So Lippard: „Wenn Frauen ihre Körper verwenden, verwenden sie ihr Selbst. Ein bezeichnender psychologischer Faktor verwandelt diese Körper oder Gesichter von Objekten in Subjekte. [Herv. i. O.]“ (Lippard [1976], S. 124; zit. nach Eiblmayr [1989], S. 344f.).
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festhalten zu können. So führe, ihrer Ansicht nach, gerade Body Art vor Augen, dass der Körper nie „as a totalizeable, fleshy whole that rests outside the arena of the symbolic“8 erfahren werden könne. Vielmehr verweise diese stets auf den Supplement-Charakter sowie auf die Fragmentiertheit des Körpers und sei dadurch radikal antiessentialistisch und antiidealistisch. Über den Fokus auf Intersubjektivität hinaus wurden selbst verletzende bzw. modifizierende Performances insbesondere in der kunsthistorisch ausgerichteten Forschungsliteratur in der Tradition der großen Avantgarden des 20. Jahrhunderts als erweiterte Zerstörung des Tafelbildes bzw. als radikale Kritik am abendländischen Kunstbegriff gedeutet (Hoffmann [1995]; Nochlin [1994]; O’Reilly [2009]). Eine Entwicklungslinie, auf welche auch viele Künstler/-innen selbst in Begleittexten, Manifesten oder Interviews verwiesen.9 Im Kontext der in den 60er Jahren an Popularität gewinnenden Destruction Art nimmt die Verletzung des eigenen Körpers einen Teilbereich der auf Zerstörung – etwa von Repräsentationsformen, Statussymbolen, patriarchalen Strukturen etc. – ausgerichteten ,neuen‘ Kunst ein. In diesem Angriff auf Macht- und Repräsentationsstrukturen wurde künstlerischer Selbstverletzung häufig in besonderem Maße ein gesellschaftskritisches Potenzial zugeschrieben (vgl. Brunner [2008, 2009]; O’Dell [1997]; Jahraus [2000]). Entgegen den bisherigen Forschungstendenzen widmet sich die vorliegende Studie in erster Linie dem Künsler/-innensubjekt. Statt folglich wahrnehmungstheoretische Fragen in das Zentrum der Analyse zu stellen, und damit auf das Publikum bzw. auf die Intersubjektivität zwischen diesem und den Akteur/-innen zu fokussieren, wird ein produktionsästhetischer Zugang gewählt, dessen Aufmerksamkeit in erster Linie auf die Intentionalität gerichtet wird, die hinter dem Akt der Selbstverletzung auszumachen ist. Dabei steht jedoch weniger das einzelne Individuum und dessen Motivation im Vordergrund als eine über die hier exemplarisch analysierten Künstler/-innen hinaus weisende Dynamik in der Auseinandersetzung mit menschlicher Begrenztheit und subjektivem Freiheits-
8
O’Dell (1997), S. 43f.
9
So stellt etwa Günter Brus das destruktive Potenzial seiner Aktionen explizit in einen kunstgeschichtlichen Zusammenhang, wenn er schreibt: „Diese Begriffe ‚Zerstörung‘ und ‚Selbstzerstörung‘ sind in der Kunst des Aktionismus deshalb derart negativ belastet, weil die Aktionen eben von und an lebenden Menschen vollzogen wurden. Im Grunde aber handelte es sich um dieselben positiven Errungenschaften für die Kunst, wie beispielsweise die Zerstörung des Antlitzes bei Picasso oder Soutine oder die Deformation der Leiber bei Schiele oder De Kooning.“ (Brus [1984], S. 18).
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streben. Auf diese gilt es im Folgenden den Fokus zu richten, auch wenn dadurch nicht suggeriert werden soll, dass nicht auch andere Handlungsmotivationen auszumachen wären. Durch eine solche Ausrichtung unterscheidet sich die Interpretation künstlerischer Selbstverletzung als erhabene Handlung auch von deren Inbezugsetzung zur Ritualität, welche in der Auseinandersetzung mit performativer Kunst, aufbauend auf den Theorien Arnold Van Genneps und Victor Turners, wiederholt elaboriert wurde (z.B. Fischer-Lichte [2003, 2004]; Evert [2003]). Denn liegen auch auf struktureller Ebene durch die Gemeinsamkeit eines 3-PhasenModells10 Parallelen vor, welche ebenso gewisse inhaltliche Überschneidungen mit sich führen, wie beispielsweise den Fokus auf Subjektivierungsprozesse bzw. auf die Funktionalisierung von Schmerz und Verwundung, so sind die jeweils gewählten Forschungsperspektiven doch in wesentlichen Aspekten different. Während die ritualitätsorientierte Performativitätstheorie ihren Schwerpunkt tendenziell auf den Schwellenzustand bzw. den Transformationsprozess der Aktion setzt, d.h. auf das ,Was‘ des Handlungsgeschehens, und dabei insbesondere das Verhältnis von Individuum und Gemeinschaft respektive Künstler/-in und Publikum in den Mittelpunkt stellt sowie zuletzt das mögliche Ergebnis eines solchen gemeinsamen Prozesses untersucht, konzentriert sich die vorliegende Analyse statt auf die Handlung in erster Linie auf die dahinterliegende Haltung, statt auf die Gemeinschaft auf das Subjekt und statt auf das Ergebnis eines Prozesses auf die Dialektik desselben. Das Forschungsinteresse ist folglich, trotz einer gewissen Nähe der beiden Ansätze, ein anderes bzw. es gelingt durch den Vergleich mit Kants Ästhetik des Erhabenen, Fragestellungen, denen sich am Rande auch die ritualitätsorientierte Performativitätstheorie widmet, zu präzisieren und damit bisher wenig beachtete Aspekte in den Vordergrund zu rücken. So wird etwa den Fragen nachgegangen, welche Subjektmodelle im Rahmen künstlerischer Selbstverletzung aktualisiert werden, welche
10
Van Gennep hatte Initiations- und Übergangsrituale mit einem 3-Phasen-Modell aus Trennungs-, Schwellen- bzw. Umwandlungs- und Inkorporationsriten beschrieben. Während der Initiant in der ersten Phase von der Gemeinschaft exkludiert werde, was ein Heraustreten aus den gewohnten sozialen Positionen mit sich führe, beinhalte die dritte Phase dessen Wiedereingliederung, einhergehend mit seiner Neupositionierung. Die zweite Phase der Schwelle bzw. der Liminität (Turner) gewann dabei in der Auseinandersetzung mit Performance Art besonders an Gewicht, denn hier ereigne sich ein performativer Transformationsprozess, der durch bestimmte (Körper-) Techniken, wie beispielsweise Fasten, Einnahme bewusstseinsverändernder Substanzen oder auch gezielte Verletzungen, gefördert werde. Vgl. Van Gennep (1999).
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Subjektivierungs- bzw. Selbstvergewisserungsstrategien hierbei zum Tragen kommen und welche kausale Dynamik hinter dieser Aktualisierung steht. Hierfür findet eine ausschließliche Konzentration auf das Künstler/-innensubjekt und dessen Intentionalität statt, wodurch sowohl die Intersubjektivität mit dem Publikum als auch die soziologische Dimension künstlerischer Selbstverletzung lediglich peripher thematisiert werden. Dadurch eröffnet die vorliegende Studie einen innovativen Zugang in der bisherigen Debatte zum Forschungsfeld und versucht zugleich mithilfe abendländischer Freiheitsphilosophie künstlerische Selbstverletzung in einen größeren kultur- bzw. subjekttheoretischen Zusammenhang zu stellen. Denn liegen auch Kataloge, Artikel sowie Monografien zu einzelnen Künstler/-innen vor, welche sich mit Handlungsmotivationen, wie beispielsweise jener des politischen Widerstandes (z.B. EXPORT), befassen, so wurde bislang den Subjektstrukturen, wie sie etwa einem solchen Widerstandsbzw. Bewusstseinskonzept zugrunde liegen, kaum Aufmerksamkeit zu Teil. Auch der existenzielle Konflikt aus physischer Unterworfenheit und individuellem Freiheitsanspruch, wie er künstlerische Selbstverletzung zentral kennzeichnet, stellt bislang weitgehend ein Forschungsdesiderat dar. Dort wo man in der bisherigen Forschung explizit über Subjektstrukturen reflektiert hat, wurde künstlerischer Selbstverletzung meist allzu voreilig generalisierend ein subjektkritischer Charakter zugeschrieben. So versucht etwa Amelia Jones in ihrer Abhandlung Body Art. Performing The Subject (1998) die Dislokation des cartesianischen Subjekts, welches sie auch als das moderne Subjekt versteht, als geradezu Wesensmerkmal dieser Art von Kunst auszumachen. In diesem Sinne entwirft sie ihre zentrale These, dass nämlich Body Art insgesamt das abendländische Subjektmodell unterlaufe und stattdessen postmoderner Subjektkritik künstlerischen Ausdruck verleihe. Diese Dislokation des ,starken‘, einheitlichen Ichs, so Jones, werde in erster Linie durch die Präsenz des Körpers ermöglicht, wodurch die für das cartesianische cogito charakteristische Verdrängung des individuellen, körperlichen und verlangenden Selbst sowie darauf aufbauende Künstler/-innenkonzepte in Frage gestellt würden. Indem nämlich Body Art gerade den Körper als zentrales Ausdrucksmittel wähle, untergrabe sie die Idee eines transzendenten, körperlosen Subjekts. Dementsprechend stellt Jones fest: „The self is inexorably embodied, body art tells us.“11 Dass Jones’ Annahme, Body Art könne als künstlerischer Ausdruck postmoderner Subjektkritik verstanden werden, hinsichtlich künstlerischer Selbstverletzung klar zu widerlegen ist, zeigen nicht nur die nachfolgenden exemplarischen Künstler/-innenanalysen. Bereits die Grundlage ihrer Interpretation ist in sich
11
Jones (1998), S. 34.
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aus zwei Gründen kritisch in Frage zu stellen: Zum einen ist Jones’ Subjektbegriff letztlich zu undifferenziert, um ihn als gedankliche Opposition zu den von ihr interpretierten Performances heranziehen zu können, da sie von einem simplifizierten cartesianischen Modell ausgeht, welches sie mit abendländischer Subjektivität insgesamt gleichsetzt. In diesem Sinne rekurriert sie auf ein Konzept, in Rahmen dessen der Körper als bloßes ,Gefäß‘ für den metaphysischen Geist gedacht wird; eine Art substanziell verstandene Metaphysik, welcher jedoch bereits Kant kritisch entgegentrat. Diese Gleichsetzung jeglicher dualistischer Tendenzen mit einem simplifizierten Cartesianismus übersieht jedoch, dass ein hierarchisch gedachtes Verhältnis von Körper und Geist, als Grundlage des so genannten starken Subjekts, nicht notwendig auf einer Zwei-SubstanzenLehre basieren muss, wie sie Descartes exemplarisch vertrat. Vielmehr kann ein solches Subjektmodell ebenso, so wird die Analyse im Anschluss zeigen, aus der Distinktion von ,bloßem‘ Körper und Intelligenz respektive Bewusstsein, wenn diese auch nicht mehr tatsächlich metaphysisch gedacht werden, resultieren. Der Dualismus, wie er EXPORTS bzw. Stelarcs Arbeiten inhärent ist, findet nämlich gerade innerhalb des empirischen Subjekts in der Aufspaltung von aktivem Handlungsträger und passiv-erleidender Körperlichkeit statt, ohne damit an Transzendenz festhalten zu müssen. Zum anderen erweist sich Jones’ Schlussfolgerung, die Präsenz des Körpers in all seiner Bedingtheit impliziere notwendig eine Untergrabung des abendländischen Subjekts, bei genauer Analyse als unhaltbar. Dies ist insbesondere bezüglich künstlerischer Selbstverletzung der Fall, welche Jones in ihre allgemeine Auseinandersetzung mit Body Art integriert, ohne jedoch diese Gruppe der „S/M artists“12 gesondert zu erörtern. Doch kann gerade anhand dieser speziellen Kunstform aufgezeigt werden, dass die konsequente Materialisierung und Demonstration des verwundeten Körpers häufig mit einem Freiheitsanspruch einhergehen, welcher von einem dualistischen Sehnen nach der Möglichkeit autonomen Selbstverfügens gekennzeichnet ist. Der gegen die eigene Physis gerichtete Gewaltakt muss somit analog zu Kants Erhabenheitskonzeption als Versuch gewertet werden, die Autonomie des Subjekts bzw. dessen Anspruch auf Selbstbestimmung zu ,bewahren‘, um nicht zusammen mit dem als fundamental unfrei wahrgenommenen Körper die menschliche Freiheit als Ganzes verloren denken zu müssen. Das Festhalten an der Konzeption eines ,starken‘, von der bloßen Sinnlichkeit distinktiert gedachten Subjekts findet somit gerade
12
Jones (1998), S. 125. Als solche benennt sie nicht nur Flanagan und Athey, auf welche diese problematische Bezeichnung noch am ehesten zutreffen würde, sondern etwa auch Künstler wie Burden oder Schwarzkogler.
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im Bewusstsein der eigenen unüberwindbaren Verkörperung statt. Denn es ist erst dieses gefühlte Bewusstsein der Leibgebundenheit, welchem das Bedürfnis entspringt, sich dieser zu entziehen, um die Idee der Freiheit aufrechterhalten zu können. In diesem Sinne ließ sich ebenso anhand des kantschen dynamischErhabenen verdeutlichen, dass die Faktizität des Körpers auch innerhalb dessen aufklärerischer Subjektkonzeption keineswegs ,weggedacht‘ wurde, sondern – ganz im Gegenteil – sogar eine konstitutive Rolle spielen muss; dies jedoch gerade in ihrer Begrenztheit und Vulnerabilität. Diese sinnliche Begrenztheit forcierend, bleibt der Körper paradoxerweise im Moment seiner Aufopferung in Form von Unlust präsent. Selbst verletzende Performancekunst impliziert somit zwei Aspekte des Menschseins: Die pure Faktizität, welche auf teils drastische Weise präsent gehalten wird, und zugleich die Fähigkeit, sich zu dieser in Distanz zu setzen. Diese Fähigkeit der Distanznahme zur (eigenen) Natur kennzeichnet den Menschen innerhalb des abendländischen Subjektmodells als seinem eigenen Streben nach autonomes Wesen. Der verletzte Körper wird damit zum Zeichen des ,Nicht-(nur)-Sinnlichen‘ im Sinnlichen, indem die Wunde über sich hinaus auf den Freiheitsanspruch des Subjekts zu weisen vermag. Zugleich legt diese jedoch auch Zeugnis vom Leiden der Sinnlichkeit angesichts jenes Festhaltens an der Idee absoluter Freiheit ab.
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8.3 K ÜNSTLERISCHE S ELBSTVERLETZUNG DIE Ä STHETIK DES E RHABENEN
UND
Liest man künstlerische Selbstverletzung mit Kants Ästhetik des Erhabenen, so scheint einer solchen Deutung der Umstand entgegen zu stehen, dass Kant in erster Linie eine Wahrnehmungsästhetik beschreibt, welche nicht nur eine Distanz zu dem Erlebten voraussetzt, sondern im Rahmen derer das ,Erlebte‘ überhaupt lediglich als innerer Prozess ästhetischer Empfindungen stattfindet. Demgegenüber erscheint der vollzogene Akt der Selbstverletzung nicht nur bar jeglicher Distanz, sondern dieser hat sich auch von der Wahrnehmungs- respektive inneren Erlebnisebene auf jene des konkreten Handelns verschoben. Die genaue Analyse des kantschen Erhabenen hatte jedoch gezeigt, dass die eingeforderte Distanz zum einen auch als innere Distanziertheit verstanden werden kann, und zwar insofern als das Subjekt es vermag, sich innerhalb einer dualistischen Operationslogik von seinem Körper emotional zu scheiden; eine Fähigkeit, welche vor dem Hintergrund moralischer Erziehung letztlich sogar höher zu bewerten wäre als eine bloß physische Sicherheit. Die anschließende Auseinandersetzung mit künstlerischer Selbstverletzung wird verdeutlichen, dass analog zu Kants dualistischer Anthropologie auch Künstler/-innen dieses Feldes häufig auf ein Subjektmodell rekurrieren, im Rahmen dessen das Selbst disjunktiv zu seiner Natur gesetzt wird, wodurch sich zumindest eine gewisse innere Distanziertheit zum eigenen Körper annehmen lässt. Zum anderen kommt hinsichtlich künstlerischer Selbstverletzung ein weiteres Moment zum Tragen, welches die Forderung von Distanz zusätzlich zu relativieren vermag, jenes der Freiwilligkeit. Auch diesbezüglich hatte die Auseinandersetzung mit Kant und insbesondere mit der Rolle der Einbildungskraft im Erhabenen gezeigt, dass es gerade das freiwillige Selbstopfer der Einbildungskraft zwecks Erhöhung der Vernunft ist, welches es ermöglicht, den Vorgang der Aufopferung als mitunter lustvoll zu erleben. Dieses Moment der Freiwilligkeit ist hinsichtlich künstlerischer Selbstverletzung von elementarem Belang. Denn indem die jeweiligen Künstler/-innen den Ereignisablauf im Normalfall selbst bestimmen, d.h., die Verletzung selbst vornehmen bzw. den Aktionsverlauf häufig bereits im Vorfeld präzise konzipieren, können sie sich mit Vulnerabilität und Ohnmacht in einem ,geschützten‘ Rahmen auseinandersetzen, ohne dass sie dadurch in den meisten Fällen tatsächlicher Gefahr ausgesetzt wären. In der künstlerischen Auseinandersetzung mit dem Bedrohlichen wird eine Konfrontation folglich nicht vermieden, sondern quasi dosiert vollzogen, um jene Bedrohung damit zugleich mittels ihrer Negation zu überwinden. Darüber hinaus gilt es zu bedenken, dass, liest man künstlerische Selbstverlet-
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zung mit Kants Ästhetik des Erhabenen, nicht die erste Phase der Gefährdung an Realität gewinnt, sondern erst jene zweite der Aufopferung, welche sich anhand der realen Verletzung konkretisiert. Die Krise, welche dieser Aufopferung vorausgeht, aktualisiert sich zwar wie auch im Erhabenen in der konkreten Verletzungssituation, die Künstler/-innen sind dieser jedoch nicht unmittelbar ausgesetzt. Nicht zuletzt erlaubt die Angleichung von Erlebnis- und Handlungsebene, wie sie bereits Kant mit der Verlagerung des Erhabenen ins Innere des Subjekts vorbereitet und Schiller mit seinem Konzept des tragischen Helden fortgesetzt hatte, den Akt der Verletzung zwecks Freiheit als erhabene Handlung zu begreifen und damit künstlerische Selbstverletzung als zeitgenössische Variante einer Ästhetik des dynamisch-Erhabenen zu fassen. Dies soll im Folgenden exemplarisch anhand der österreichischen Künstlerin VALIE EXPORT und dem Australier Stelarc aufgezeigt werden. Die Auswahl der Künstler/-innen erfolgte hierbei nach den Kriterien der Exemplarizität bei gleichzeitig möglichst großer Differenz zwischen den Analysebeispielen, um die breite ,Anwendbarkeit‘ der Ästhetik des Erhabenen auf dieses Feld zu verdeutlichen. So sind die Arbeiten von VALIE EXPORT sowohl in ihrer chronologischen Einortbarkeit – sie ist international eine der ersten Künstler/-innen überhaupt, welche Selbstverletzung praktiziert – als auch in ihrem gesellschaftspolitisch-feministischen Ansatz und nicht zuletzt in der Spezifität der meist in Form von Schnitten und Verbrennungen vollzogenen Verletzungen charakteristisch für die frühe Phase der Body Art. Dahingegen stehen Stelarcs körpermodifizierende und -transgredierende Performances der 80er und 90er Jahre nicht nur für die spätere und jüngste Entwicklung innerhalb der selbst verletzenden Kunst, auch der Anspruch seiner Aktionen, die er als zukunftsweisende Experimente versteht, unterscheidet sich grundlegend von dem seiner Kollegin, da hier gesellschaftskritische Aspekte völlig an Bedeutung verlieren. Hinzu kommt, dass entgegen EXPORTS feministischem Ansatz Stelarcs Arbeiten häufig in den Kontext hypermaskuliner Selbsterprobung gerückt werden; die Zurschaustellung des scheinbar abgehärteten, empfindungslosen Männerkörpers steht, zumindest vordergründig, geradezu im Kontrast zu EXPORTS Präsentation der verwundeten und zum Objekt reduzierten Frau. Trotz dieser größtmöglichen Differenzen, so gilt es im Anschluss aufzuzeigen, ist den Arbeiten beider Künstler/-innen eine dem kantschen Erhabenen analoge Dynamik inhärent, im Rahmen derer die Autonomie des wollenden Subjekts nur zu Lasten des Körpers eingelöst werden kann. In dem Versuch, die Freiheit des Subjekts mittels einer Geste der aufopfernden Distinktion auch in der Konfrontation mit Ohnmacht und Fremdbestimmung zu erhalten, nähern sich nicht nur
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VALIE EXPORT und Stelarc einander an, sondern die kantsche Dynamik aus Gefährdung, Aufopferung und Erhebung ist auch charakteristisch für zahlreiche andere Arbeiten dieses Bereichs. Die Bezugsetzung zur Ästhetik des Erhabenen bereichert somit über die erweiterte Explikation einzelner Künstler/-innen hinaus das Phänomen der künstlerischen Selbstverletzung als Ganzes.
9.
VALIE EXPORT: Künstlerische Selbstverletzung als Akt der Subjektwerdung „[…] durch die Überwindung des Körpers, auf dem die Gesellschaft ihre Gewalt errichtet, werden die Grenzen durchbrochen.“
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Als Waltraud Höllinger (geb. Lehner), welche später unter dem Künstlernamen VALIE EXPORT internationale Bekanntheit und Anerkennung erlangen wird, 1960 nach Wien kommt, ist die gebürtige Linzerin 20 Jahre alt. In Linz hatte sie die Abteilung Textil einer Kunstgewerbeschule besucht, eine Ausbildung, die sie in Wien an der Höheren Bundeslehranstalt für Textilindustrie nun mit dem Schwerpunkt Design fortsetzt und 1964 mit Diplom abschließt. Bereits während ihrer Ausbildungszeit in Linz entstehen erste Porträtfotografien sowie mit gezielter Destabilisierung festgelegter Geschlechtercodes arbeitende Identitätstransfer-Fotos, Ansätze, auf welche sie auch in späteren Arbeiten, so etwa in dem gleichnamigen Fotozyklus (1972), zurückgreifen wird. Schon bald nach ihrer Ankunft in Wien kommt Höllinger in Kontakt mit den Künstlern der Wiener Gruppe H. C. Artmann, Konrad Bayer, Gerhard Rühm, Oswald Wiener und Friedrich Achleitner und später auch mit den Wiener Aktionisten Günter Brus, Otto Mühl, Hermann Nitsch und Rudolf Schwarzkogler sowie der Wiener Filmavantgarde Marc Adrian, Kurt Kren, Hans Scheugl und Ernst Schmidt. Nach dem Abschluss ihrer Ausbildung wendet sich Höllinger zunächst dem Film zu, arbeitet als Komparsin, Script Girl und Cutterin und beginnt schließlich
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EXPORT (1980b), S. 48.
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eigene Drehbücher zu schreiben sowie ihr Konzept des Expanded Cinemas2 zu entwerfen, welches sich mit strukturellen Fragen des Mediums Film bzw. ästhetischer Prozesse überhaupt auseinandersetzt. Es entstehen erste Arbeiten wie Cutting (1967) und abstract film nr.1 (1967).3 Ebenfalls 1967 wählt Höllinger ihren Künstlernamen VALIE EXPORT, unter welchen sie fortan – als „künstlerisches Konzept und Logo“4 – ihre Arbeit stellt. Ihre Entscheidung kommentiert sie wie folgt: „Export, das ist immer und überall. Das bedeutet, mich zu exportieren. Ich wollte weder den Namen meines Vaters tragen noch den meines Mannes, ich wollte meinen eigenen Namen suchen. Export ist ein Name, da exportiere ich das, was in mir drinnen ist, aus mir heraus.“5 1968 gründet EXPORT zusammen mit Gottfried Schlemmer, Kurt Kren, Hans Scheugl, Ernst Schmidt und Peter Weibel die Austrian Filmmakers Cooperative. Die Künstlerin realisiert nun vermehrt konzeptuelle Fotografien sowie erste Video-/Filminstallationen und führt Expanded Cinema-Arbeiten durch, bei denen der menschliche Körper wiederholt als primäres ,Filmmaterial‘ dient. So etwa in ihrer bis heute wohl bekanntesten Aktion Tapp- und Tastkino (1968), bei welcher sie mit einem vor ihrem nackten Busen geschnallten Kasten das Publikum bzw. Passanten und Passantinnen dazu auffordert, das ,Tastkino‘ mit den Händen zu ,betreten‘, um eine taktiles Filmereignis zu erleben.6
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Unter Expanded Cinema, ein Ausdruck, den EXPORT in erster Linie im Sinne einer Gattungsbezeichnung verwendet, versteht sie „die Erweiterung der gewohnten Filmform auf offener Bühne oder im Raum, bei der die kommerziell-konventionelle Reihenfolge des Filmemachens, das ist Aufnahme, Montage, Projektion, durchbrochen wird“ (EXPORT [1991], S. 7; zit. nach Zell [2000], S. 30f.). Dabei stehen die Fragen nach den Grenzen des Bildes sowie dessen Materialität bzw. die Manipulation der Realität durch das Medium Film im Vordergrund, weshalb diese Arbeitsweise durch eine programmatische Zeichen- sowie Wirklichkeitskritik gekennzeichnet ist. Darüber hinaus impliziert Expanded Cinema häufig die aktive Partizipation des Publikums, wie etwa in dem Film Ping Pong (1968), wo das Publikum versuchen sollte, mit Tischtennisbällen aufleuchtende Punkte auf dem Bildschirm zu treffen.
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Während Cutting das filmtechnische Verfahren des Schneidens mit Papier, Textil sowie der ,Körperleinwand‘ thematisiert, behandelt abstract film nr. 1 die Herstellung eines Films ohne Zelluloid.
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http://www.valieexport.at/de/biografie/
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Jurschek (1996), S. 11; zit. nach Zell (2000), S. 16.
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Die ,Premiere‘ dieses „ersten echten frauenfilm[s]“ (EXPORT [1973a], S. 57), welcher in der Folge u.a. im Wiener Cafe Savoy, im Münchner Zirkus Krone sowie
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Wie bereits anhand dieser frühen Expanded Cinema-Arbeiten ersichtlich, bilden insbesondere die Stellung der Frau innerhalb der Gesellschaft sowie die Formung und Festschreibung des ,Bildes Frau‘ durch die Gesellschaft von Beginn ihrer künstlerischen Tätigkeit an einen zentralen Schwerpunkt. Durch diese gesellschaftspolitische Ausrichtung korrelieren EXPORTS Arbeiten weitgehend mit den Ideen und Zielen der zweiten Frauenbewegung, die sich in den 1960er Jahren aus den USA kommend auch in Europa zu manifestieren beginnt, in Österreich jedoch verzögert einsetzt.7 Über ihre eigene künstlerische Tätigkeit hinaus widmet sich EXPORT diesen feministischen Fragen wiederholt in Interviews, Zeitungsartikeln, Begleittexten ihrer Kunst sowie auch Manifesten. Neben sozio-kulturellen Fragestellungen beschäftigt sich die Künstlerin im internationalen Vergleich dabei schon sehr früh mit der tradierten Position der Frau in der Kunst und Kunstgeschichte sowie der Möglichkeit einer ,weiblichen Ästhetik‘, um aus der männlich geprägten Formen- und Zeichensprache bzw. Kunsttradition ausbrechen zu können.8 Dabei ist es immer wieder der Körper, der im Zuge EXPORTS feministischer Ausei-
der Münchner Innenstadt wiederholt wurde, fand 1968 im Rahmen des Festivals 2. Maraisiade Junger Film in Wien statt, bei welchem EXPORTS Film Ping Pong. Ein Film zum Spielen – Ein Spielfilm (1968) zum politischsten Film des Festivals gekürt worden war. 7
Insgesamt ist für den Bereich der Performance Art signifikant, dass im Vergleich zu anderen Kunstarten von Anfang an auffallend viele Künstlerinnen diese Form des Ausdrucks wählten, was häufig – so etwa bei Ulrike Rosenbach, Yoko Ono, Yvonne Rainer, Friederike Petzold oder Carolee Schneemann – explizit mit einem feministischen Anspruch einherging. Dabei soll jedoch nicht übersehen werden, dass sich Frauen, gerade in den Anfängen der Performance Art, ihre Partizipation häufig erst gegen Widerstände ihrer männlichen Kollegen sowie der überwiegend männlich dominierten Kunstkritik respektive Kunsttheorie erkämpfen mussten. So weist etwa Carolee Schneemann darauf hin, dass gerade der Einbezug ihres teils nackten Körpers auf weit weniger Akzeptanz traf als bei mänlichen Kollegen wie Acconci oder Oppenheim.
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So organisierte und kuratierte sie beispielsweise 1975 in der Wiener Galerie nächst St. Stephan die Ausstellung MAGNA. Feminismus: Kunst und Kreativität, welche einen Überblick feministischer Kunst bieten sollte. Auf der Suche nach einer so genannten weiblichen Ästhetik blieben jedoch auch die Gefahren, die sich aus einem tendenziell gynozentrisch ausgerichteten Feminismus ergeben, nämlich jene des geschlechtspolitischen Essentialismus, nicht unreflektiert.
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nandersetzung als „Vermittler von gesellschaftlichen Codes“9 entlarvt wird. Ihre künstlerisch-kritische Hinterfragung gilt folglich in erster Linie dem Repräsentationssystem selbst sowie der dadurch vermittelten Wirklichkeit.10 Ab den 70er Jahren wendet sich EXPORT verstärkt Körperperformances zu, in welche das Konzept des Expanded Cinemas sukzessive mündet. Am 2. Juli 1970 lässt sich die Künstlerin in Frankfurt als erste Aktion, welche ,verletzend‘ auf den Körper einwirkt, ein Strumpfband – als „Zeichen einer vergangenen Versklavung“11 sowie als „Erinnerung, um das Problem der Selbstbestimmung bzw. Fremdbestimmung der Weiblichkeit wachzuhalten“12 – auf ihren linken Oberschenkel tätowieren und benennt die Arbeit Body Sign Action. Ab 1971 beginnt sie schließlich gezielt selbst verletzende Elemente in ihre Aktionen einzubauen.13 In ihrer ersten Performance dieser Art, der „Körper-Material-
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Warr (2005), S. 114.
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Indem die Künstlerin jedoch diese gesellschaftlichen Codes an ihrem performativ eingesetzten Körper parodistisch überhöht, verkehrt und dadurch ad absurdum führt, werden deren Kontingenz und Konstruiertheit sowie historische Bedingtheit deutlich gemacht. So hinterfragt sie in ihren Arbeiten häufig karikativ zwischengeschlechtliche Machtrelationen und damit einhergehende Stereotypien. Dies beispielsweise in der 1968 durchgeführten Aktion Mappe der Hundigkeit, im Rahmen derer sie ihren damaligen Lebenspartner und Künstlerkollegen Peter Weibel auf allen Vieren mit einer Leine um den Hals durch die Wiener Innenstadt führt.
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EXPORT (1980c), S. 46.
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Ebd., S. 46.
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In der Fokussierung auf den Körper, welche in der Folge auch den offensiven Einbezug von Sexualität mit sich führt, weisen EXPORTS aktionistische Arbeiten Parallelen zum Wiener Aktionismus auf. So beispielsweise in dem Film Mann & Frau & Animal (1973), wo nicht nur Masturbation in Großaufnahme gezeigt wird, sondern auch der Vorgang der Menstruation plastische Thematisierung findet. Trotz dieser Nähe grenzt sich die Künstlerin dezidiert von ihren männlichen Kollegen ab. So EXPORT: „Die männlichen Gegner des Feministischen Aktionismus, seien es Kritiker, Künstler oder Museumsdirektoren, übersehen, daß der Feministische Aktionismus kein bloßes Remake des Aktionismus der sechziger Jahre ist, sondern durch Einbeziehung neuer Quellen wie Surrealismus und Kinetik, neuer Medien wie Video und Film nicht nur eine selbständige Weiterentwicklung, sondern auch eine objektive geschichtliche Kraft in einem allgemeineren künstlerischen Kontext, in einer allgemeineren Strömung ist.“ (EXPORT [1980], S. 144) Kunstgeschichtlich ordnet EXPORT dem Feministischen Aktionismus im Grunde dieselben Quellen wie dem Wiener Aktionismus zu, d.h. den Abstrakten Expressionismus, das Informel, das
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Interaktion“ Eros/ion (1971)14, rollt sich EXPORT nackt über drei verschiedene am Boden nebeneinander arrangierte Flächen: Eine Glasplatte, eine Fläche aus Glasscherben sowie eine Papierbahn. Der Kontakt mit den Scherben verursacht oberflächliche Schnitte der Haut.15 Das austretende Blut hinterlässt anschließend Spuren auf dem weißen Papier. Auf diese erste Selbstverletzung implizierende Aktion folgen im Jahr 1973 vier weitere Arbeiten: Die Performances Kausalgie, Hyperbulie und Asemie sowie der Film Remote…Remote. Ingesamt kommt es folglich im Zeitraum von 1970-73 in sechs Arbeiten, rechnet man die Tätowierung in Body Sign Action als Körpermodifikation hinzu, zum Einbezug selbst verletzenden Verhaltens. 16 Die Formen der Verletzung, die sich die Künstlerin bis auf das Tattoo ausschließlich selbst zufügt, sind in erster Linie Verbrennungen, oberflächliche Schnitte der Haut und Stromschläge, welche ihrem Schweregrad nach, im Vergleich etwa zu den Aktionen Marina Abramovićs oder Chris Burdens, als eher leicht einzustufen sind. So ,manikürt‘ sich EXPORT beispielsweise in Remote…Remote mit einem Stanleymesser ihre Fingernägel, bis diese zu bluten beginnen, übergießt in Asemie ihre Hände und Füße mit heißem Wachs oder bringt in Kausalgie und Hyperbulie ihren Körper in Kontakt mit Strom.
Action Painting sowie das Happening, ergänzt diese jedoch um den auf das Verdrängte und Unbewusste abzielenden Surrealismus, insbesondere um dessen weibliche Vertreterinnen Meret Oppenheim, Kay Sages oder Dorothea Tanning. 14
Eros/ion (1971) wird von EXPORT erstmals in ihrem Studio in Wien durchgeführt und noch im selben Jahr in unterschiedlichen Kontexten, so beispielsweise auf der Experimenta 4 in Frankfurt, im Arts Lap London sowie im Electric Cinema in Amsterdam, wiederholt. Der Ablauf der Aktion ist wie bei den anderen Arbeiten der Künstlerin im Vorfeld festgelegt und bleibt auch bei allen Aufführungen weitgehend ident.
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Die Künstlerin verwendet hierzu dünnes Fensterglas, welches lediglich geringe Verletzungen zur Folge hat. Für eine eingehende Aktionsbeschreibung siehe Zell (2000), S. 60f.
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Neben den selbst verletzenden Performances thematisieren insbesondere EXPORTS Zeichnungen der frühen 1970er Jahre, wie beispielsweise Der linke und der rechte Schmerz, Identität oder Zwang, die Beschädigungen und Einschränkungen, die der Mensch durch die Gesellschaft erfährt. Diese „Studien des Schmerzes“ (Prammer [1988], S. 76) bilden in erster Linie Hände ab, welche durch eingeschlagene Nägel in starre Formationen gezwungen, beschädigt oder aber durch Gestänge fremdgeführt werden.
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Auch nach Beendigung der selbst verletzenden Elemente setzt EXPORT ihre performative Arbeit, wenn auch nur noch vereinzelt, fort.17 Es folgen Aktionen, wie I am beaten (1973), Delta. Ein Stück (1976) oder die Körper-VideoPerformance Bewegungsimaginationen (1974/75), welche zwar zum Teil mit der Assoziation von Schmerz und Verletzung arbeiten, etwa wenn sich EXPORT in der letztgenannten Arbeit in Liegestützposition über Glasscherben, die sich unter ihrem Gesicht befinden, hält, ohne diese assoziierten Verletzungen jedoch tatsächlich zu realisieren. Über ihre aktionistische Arbeit hinaus wendet sich EXPORT verstärkt der konzeptuellen Fotografie sowie Film-Installationen zu. Zunehmend an Bedeutung erlangt auch ihre filmische Arbeit, so entstehen noch in den 70er Jahren ihre beiden ersten Spielfilme Unsichtbare Gegner (1976, Regie und Drehbuch: EXPORT/Weibel) und Menschenfrauen (1979, Regie: EXPORT; Drehbuch: Weibel/EXPORT). Der Avantgarde-Film Syntagma (1983, Regie und Drehbuch: EXPORT) sowie ihr dritter Spielfilm Die Praxis der Liebe (1986, Regie und Drehbuch: EXPORT), der für den Goldenen Bären der Internationalen Filmfestspiele Berlin nominiert wird, folgen nach. Zu dieser Zeit ist EXPORT, deren Arbeiten insbesondere in Österreich über Jahre hinweg als bloße Provokation abgetan wurden, bereits international präsent. So vertritt sie etwa 1980 gemeinsam mit Maria Lassnig Österreich auf der Biennale di Venezia, erhält in den 80er Jahren interdisziplinäre Gastprofessuren an verschiedenen deutschen (1979 in Braunschweig, 1983/84 in München) sowie amerikanischen Universitäten (1983-1991 University of Wisconsin-Milwaukee, 1987 und 1988 San Francisco Art Institute) und wird mit diversen Preisen ausgezeichnet (u.a. 1985 Internationaler Jurypreis der 31. Westdeutschen Kurzfilmtage in Oberhausen, 1990 Kunstpreis der Stadt Wien). Mittlerweile gilt VALIE EXPORT als eine der bedeutendsten österreichischen Künstler/-innen der Gegenwart, deren vielseitige Arbeit, aber gerade auch ihre frühen Körperperformances in zahlreichen Retrospektiven internationale Anerkennung finden. Im Folgenden sollen zwei von EXPORTS selbst verletzenden Arbeiten, Hyperbulie und Kausalgie, aufgrund ihrer expliziten Thematisierung von indivi-
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Die sukzessive Abkehr von ihrer performativen Tätigkeit erklärt EXPORT wie folgt: „Mit den Performances hörte ich auf, weil mir schien, dass durch Wiederholung die ,Wahrheit‘ verloren geht.“ (EXPORT [1997], S. 215) Dominierten auch vor allem Video Environments, Installationen und Fotografien in den letzten Jahren die Arbeit der Künstlerin, so führte sie 2007 auf der Biennale di Venezia nach langem wieder eine Körperperformance durch, bei welcher simultan zu einem von ihr gehaltenen Vortrag ihre mit einem Laryngoskop aufgenommene Stimmritze auf 4 Monitoren gezeigt wurde. (siehe the voice as performance, act and body, 2007).
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duellem Freiheitsanspruch und Subjektivierungsstreben zur näheren Analyse herangezogen werden. Dabei gilt es anhand knapper Aktionsskizzen die gewaltsame Oppositionssetzung des Körpers zum selbstbestimmten Willen mit Kants Ästhetik des Erhabenen zu lesen. Hierüber soll aufgezeigt werden, dass auch EXPORTS Selbstverletzung eine über die Sinnlichkeit erfahrene Gefährdung des Subjekts, aus welcher zuerst die aufopfernde Distinktion von der Physis und schließlich die gefühlte Erhebung des solchermaßen ,befreiten‘ Subjekts resultieren, zugrunde liegt. Demgemäß werden auch die folgenden Kapitel die in Bezug auf Kants Analytik des Erhabenen herausgearbeitete Dreiteilung aus Gefährdung, Aufopferung und Erhebung übernehmen. Es liegt auf der Hand, dass eine Analogiesetzung von Kants dynamisch-Erhabenem mit künstlerischer Selbstverletzung in erster Linie auf gemeinsamen strukturellen Elementen sowie parallelen Bezugsmodellen basieren muss, wohingegen einzelne Details der jeweiligen Bereiche deutlich divergieren können. Daher kann es nicht Ziel der nachfolgenden Analysen sein, eine Übereinstimmung mit dem kantschen bzw. dem schillerschen Konzept in allen Einzelheiten zu suchen, sondern es wird vielmehr mittels eines Abstraktionsschrittes auf die analoge Dynamik subjektiver Selbstvergewisserung fokussiert. Eben diese Korrelation von Selbstverletzung und Subjektivierungsstreben wurde in der bisher publizierten Sekundärliteratur zu VALIE EXPORT weitgehend ausgespart. Stattdessen setzte man sich vorwiegend mit ihrer Medien- und Wirklichkeitskritik18, ihrem Konzept des Expanded Cinemas, ihrer Filmarbeit sowie ihrem feministischen Kunstansatz19 auseinander bzw. bot einen allgemein gehaltenen Überblick.20 Dort wo ihre Selbstverletzungsperformances im Zentrum standen, wurde deren dualistisches Potenzial zwar zum Teil erkannt, doch zugleich weder dessen Ursachen konsequent herausgearbeitet noch diese in den Kontext abendländischer Subjekttheorie und deren Nähe zur Freiheitsphilosophie bzw. zur Ästhetik des Erhabenen gestellt.21 Dadurch wurde jedoch übersehen, wie elementar das Festhalten an dem Konzept eines ,starken Subjekts‘ EXPORTS Arbeiten – und darüber hinaus das gesamte Feld künstlerischer Selbstverletzung – kennzeichnet und wie sehr dieses Modell wiederum aus der Krisenhaftigkeit der Physis gespeist wird. Diesem Umstand und dem Interessensschwerpunkt der Studie geschuldet, werden in der folgenden Auseinandersetzung jene bisher vernachlässigten Aspekte im Zentrum stehen. Darüber
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Fraueneder (1988).
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Prammer (1988).
20
Mueller (2002).
21
Zell (2000).
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hinausgehende Themenfelder werden lediglich insofern Beachtung finden, als sie für die Fragestellung der Studie relevant erscheinen.
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9.1 G EFÄHRDUNG : D ER ( WEIBLICHE ) K ÖRPER DER F REMDBESTIMMUNG
ALS
O RT
„Die das Selbstverständnis der abendländischen Hochkultur prägende dichotomische Sicht von Körper und Geist realisiert und manifestiert sich primär als eine dichotomische Sicht des Weiblichen und Männlichen.“
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Zieht man eine Analogie zwischen selbst verletzender Aktionskunst und Kants Ästhetik des Erhabenen, welche in erster Linie auf der analogen strukturellen Dynamik aus Gefährdung, Aufopferung und Erhebung basiert, so stellt sich zunächst die Frage, welche Art von Gefährdung EXPORTS Selbstverletzung vorausgeht und inwiefern diese sich gerade am Körper der Künstlerin aktualisiert. Hierfür ist EXPORTS politischer Ansatz elementar, der im Geiste der 1960er und 70er Jahre den Körper als primären Bereich gesellschaftlicher Fremdbestimmung versteht. Denn es sei in erster Linie der Körper, so auch die frühen Machtanalysen Michel Foucaults, über welchen sich in Form von Normierung, Regulierung und Tabuisierung die soziale Ordnung und mit ihr Mechanismen der Repression und des Ausschlusses konstituieren. Diesem „Netz von somatischer Macht“2 wurde in den politischen Bewegungen der 1960er Jahre, insbesondere in der zweiten Frauenbewegung, ein forciertes Streben nach individueller Freiheit sowie die Forderung politischer und kultureller Mitgestaltung entgegengesetzt. Dabei spielte vor allem das selbstbestimmte Verfügen über die eigene Leiblichkeit, wie beispielhaft am feministischen Kampf gegen das Abtreibungsverbot ablesbar, eine entscheidende Rolle. Der Körper wurde dementsprechend als primärer Ort der Vergesellschaftung und folglich der Unterdrückung, zugleich aber auch einer möglichen Befreiung wahrgenommen. Durch ihn erfahre das Individuum zwar einerseits Submission und Gefährdung des „Dressursystem[s]“3 Staat in Form von Verboten, Biopolitik, Ausschließungsmechanismen oder Maßregelungen, durch dessen selbstbestimmte ,Inbesitznahme‘ jedoch zugleich die Möglichkeit gefühlter Freiheit und Autonomie. Auf dieses Potenzial eines über den Körper geführten Widerstandes
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List (1996), S. 23.
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Foucault (1978), S. 109.
3
Foucault (1976b), S. 125.
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nimmt auch Foucault Bezug, wenn er feststellt: „Die Macht ist in den Körper vorgedrungen, sie sieht sich im Körper selbst Angriffen ausgesetzt.“4 Diese in erster Linie über den Körper erlebte Ambivalenz aus Fremd- und Selbsttechnologien (Foucault) korrelierte mit der in den 1960er und 70er Jahren erfolgten Fokussierung der Kunst auf den Körper. So vermerkte VALIE EXPORT hinsichtlich des künstlerischen ,Protestmediums‘ Körper: Jener sei „das Hauptzeichen, das es möglich macht, die Macht der Geschichte und die Geschichte als Konstruktion zu erfahren und sichtbar und daher auch veränderbar zu machen“5. Diesem Potenzial der Veränderung entsprechend, verstanden Künstler/-innen jener Zeit ihre Körper häufig als „Werkzeug“6 des politischen Widerstandes bzw. auch als „Schlachtfeld, auf dem der Kampf um Selbstbestimmung stattfindet“7. Ziel jenes künstlerischen Kampfes war es, durch vehementen Selbstanspruch den Staat als Institution der Macht bzw. patriarchalische Strukturen anzugreifen und zu subvertieren, um dem Individuum damit einen größeren Handlungs- und Gestaltungsspielraum zu schaffen. Auch für VALIE EXPORT stand das Interesse an sozialen Strukturen sowie Unterdrückungsmechanismen im Vordergrund ihrer Arbeit. Ebenso wie Foucault sah sie dabei in besonderem Maße den Körper, „der mit den Stigmata der sozialen Matrix bedeckt ist“8, gesellschaftlichen Einschreibungen ausgesetzt. Denn, so EXPORT: „Die Gesellschaft in all ihren Verästelungen findet ihren Ausdruck durch den Körper.“9 Hatte insbesondere Foucault auf die „Einschnürung der Individuen“ durch die mittels Biopolitik immer besser organisierte „Parzellierung der Körper und Verhaltensweisen“10 aufmerksam gemacht, so thematisierten auch EXPORTS frühe Aktionen in auffallend ähnlicher Wortwahl den „geschlossen strukturierten Raum der Gesellschaft, die alle Energie des Menschen durch schmerzhafte Barrieren parzelliert und reglementiert, so dass
4
Foucault (1976a), S. 106.
5
EXPORT (2002a), S. 214.
6
EXPORT (1997), S. 207. Auch Kant hatte in der Analytik des dynamisch-Erhabenen die Einbildungskraft als ,Werkzeug‘ der Vernunft definiert, um über deren Funktionalisierung die Freiheit des Subjekts zu realisieren. (vgl. Kant [AA V / KdU], S. 269).
7
Mueller (2002), S. 51.
8
EXPORT (1992a), S. 212.
9
EXPORT (2002a), S. 214.
10
Foucault (1976b), S. 125f.
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der Mensch […] ein gezähmtes Tier wird, das den Erfordernissen eines Planes gehorcht, unter dem es (das Tier) zusammenbricht und den es nicht kennt“ 11. Über diese allgemeine Bezugsetzung von Körper und Gesellschaft hinaus, wie sie beispielsweise auch bereits für den Wiener Aktionismus charakteristisch war, beschäftigte sich EXPORT gemäß dem feministischen Ansatz ihrer Arbeit insbesondere mit der historischen Benachteiligung der Frau innerhalb einer durch männliche Suprematie gekennzeichneten Gesellschaft. In dieser Auseinandersetzung spielte vor allem die biologische Geschlechtszuschreibung, welche über die einleitend erörterte Vergesellschaftung des Körpers hinaus diesen zur Quelle von Unterdrückung und asymmetrischen Machtverhältnissen werden ließ, eine zentrale Rolle. Dementsprechend stellt EXPORT fest: „Der Körper der Frau ist der Ort, wo die ,Kultur‘ eine Blockade gegen die Frau errichtet“12 und an anderer Stelle: „Der weibliche Körper ist ein Gestaltungsmittel für den Ausdruck männlicher Macht und Gewalt, der Macht und Gewalt über den weiblichen Körper.“13 Denn sowohl die biopolitische Vereinnahmung desselben als Reproduktionsapparat14 als auch die über diesen argumentierte
11
EXPORT (1992a), S. 212. Diese Selbstwahrnehmung als restringiert wurde bei österreichischen Künstler/-innen der 1960er und 70er Jahre durch den Umstand verstärkt, dass ihre Arbeiten wiederholt regulierenden Eingriffen des Ordnungssystems sowie Hetzkampagnen der Presse ausgesetzt waren, was nicht zuletzt aus deren radikalem Körpereinsatz resultierte. So wurde etwa Günter Brus nach seiner Teilnahme an der so genannten Uni-Aktion Kunst und Revolution (1968) wegen Herabwürdigung der Staatssymbole, der Ehe und des Eigentums zu sechs Monaten verschärftem Arrest verurteilt. Während der Gemeinschaftsaktion hatte der Künstler eine Körperanalyse durchgeführt, im Rahmen derer er sich entkleidete, Schnitte in Brust und Oberschenkel zufügte und in ein Glas urinierte, dessen Inhalt er anschließend austrank. Danach defäkierte er, beschmierte sich mit seinem Kot und erbrach, um schließlich zu onanieren und dabei die österreichische Bundeshymne zu singen. Lediglich eine Flucht nach Berlin konnte Brus vor dem Vollzug der Strafe schützen. Auch VALIE EXPORT fand sich 1970 aufgrund ihrer Mitwirkung an dem Überblicksband Wien. Ein Bildkompendium des Wiener Aktionismus und Film dem Vorwurf der Herstellung einer ,unzüchtigen Schrift‘ und daher strafrechtlicher Verfolgung ausgesetzt. Darüber hinaus hatten beide Künstler/-innen mit Drohanrufen, Beschimpfungen und Sorgerechtsdebatten für ihre Kinder zu kämpfen.
12
EXPORT (1995), S. 20.
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EXPORT (2002), S. 328.
14
Auf den Zusammenhang zwischen der historischen Benachteiligung von Frauen und deren Festlegung auf Fortpflanzung nahmen auch andere Aktionen der Künstlerin
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Definition der Frau als natürlich, ursprünglich, rein, sinnlich etc. haben, so EXPORT, den systematischen Ausschluss aus allen gesellschaftlich-produktiven Tätigkeiten, d.h. „von der Konstruktion des Sozialkörpers“15, und damit die fortschreitende Konstituierung männlicher Herrschaft zur Folge gehabt. Die „vom Männlichen abgeleiteten Negativformen“16 – männlich-weiblich, geistigkörperlich, rational-emotional, produktiv-reproduktiv, aktiv-passiv –, welche die Frauen auf ihre Leiblichkeit reduzieren und in dieser angeblichen Naturnähe eher dem Kind als dem Mann gleichstellen, hätten das Übrige dazu beigetragen, diesen Ausschluss als ,natürlich‘, und damit ahistorisch determiniert, erscheinen zu lassen. Die Konsequenzen, welche die Kulturentwicklung aus dieser Binarität zog, wie beispielsweise die rechtliche sowie ökonomische Abhängigkeit des ,schwachen‘ Geschlechts von Vätern, Ehemännern oder sonstigen männlichen Verwandten, schienen über lange Zeit biologisch gerechtfertigt.17 Damit wird deutlich, „daß in einer phallokratischen Gesellschaft die Definition der Frau durch die Sexualfunktion des Körpers die Frau nicht nur aus der Kultur exkludiert, sondern sogar ihre Selbstwerdung obstruiert wird“ 18. Anstatt über die Möglichkeit zur Selbstentwicklung zu verfügen, wird diese entsprechend der
Bezug, wie beispielsweise Homo Meter (1973) oder Homo Meter II (1976), wo EXPORT Passanten und Passantinnen in der Wiener Innenstadt dazu aufforderte, mit einem Messer Stücke aus einem um ihren Bauch gebundenen Brotlaib zu schneiden. 15
EXPORT (1991a), S. 211. In diesem Sinne argumentiert EXPORT: „wenn die wirklichkeit eine gesellschaftliche konstruktion ist und deren ingenieure die männer sind, liegt eine männliche wirklichkeit vor“ und folgert weiter: „die frauen sind bisher nicht zu sich gekommen, weil sie nicht zu wort gekommen sind, in dem sinne, daß man ihnen jene medien verweigert hat.“ (EXPORT [1973b], S. 47) Insbesondere Kunst erscheint ihr als geeignetes Ausdrucksmittel, „um das bewußtsein aller zu beeinflussen, um unsere vorstellungen in die gesellschaftliche konstruktion der wirklichkeit einfließen zu lassen, um eine menschliche wirklichkeit zu schaffen“ (ebd., S. 47).
16
EXPORT (1990), S. 33.
17
So definiert beispielsweise Kant in seinen anthropologischen Schriften das ,natürliche‘ Verhältnis zwischen Mann und Frau als Herrschaftsverhältnis, welches lediglich durch die Gabe der Frau, sich die Neigung des Mannes „durch Thränen der Erbitterung“ zu bemeistern, ausgeglichen werden könne. (Kant [AA VII / Anthropologie in pragmatischer Hinsicht], S. 304).
18
EXPORT (1987), S. 23.
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biologistischen Klassifizierung „zum Gefangenen ihres Körpers gemacht“19. Dies ist in erster Linie deshalb der Fall, als die tradierte Gleichsetzung mit dem Körper Frauen die Möglichkeit verwehrte, sich von dem ihnen zugewiesenen Objektstatus zu distanzieren, um sich als selbstbestimmtes, kulturschaffendes, rationales Subjekt allererst setzen zu können. Indem nämlich dem ,Weiblichen‘ als Inbegriff des Naturhaften Vernunft und Rationalität, die Wesensmerkmale des abendländischen Subjekts, konsequent abgesprochen bzw. als dem vermeintlich ,Anderen der Vernunft‘ sogar disjunktiv entgegengestellt wurden, blieben Frauen lange Zeit nicht nur gesellschaftliche Mitbestimmung, sondern darüber hinaus auch die ,Attribute‘ jener verwehrten Subjektkonstruktion – wie Absolutheit, Würde, Souveränität, Selbstbestimmung und vor allem Freiheit – vorenthalten. Denn es ist gerade die Vernunft, welche, wie einleitend aufgezeigt, den abendländischen Freiheitsanspruch des Menschen respektive des Mannes begründet hatte. Als dasjenige Vermögen, welches es ermöglicht, über die Sinnlichkeit hinaus zu denken, erhebt sie das Subjekt über seine bloße Natürlichkeit.20 Erst diese, als Garant eines reinen Wollens, ermöglicht es, das sinnliche Wollen zu überwinden; eine Dynamik, wie sie für die im Erhabenen vollzogene Selbstversicherung der eigenen Souveränität grundlegend ist. Indem jedoch Frauen dieses Recht auf Souveränität mitunter gewaltsam abgesprochen wurde, blieb ihnen auch jene Möglichkeit erhabener Selbstvergewisserung verwehrt. Die ,Unlust‘, welche hier entsprechend der Gefühlsdynamik im Erhabenen auszumachen ist, kann folglich als schmerzliches Bewusstsein äußerer Blockaden bzw. der eigenen Unterworfenheit unter diese verstanden werden. Das für die Gefährdung im Erhabenen charakteristische Moment des Scheiterns ist bezüglich EXPORT damit ein solches an dem Versuch, eine eigenständige Subjektposition zu erlangen. Es sind daher weniger der Körper in seiner Aus-
19
EXPORT (2002), S. 331.
20
Zwar musste Kant, wollte er seine a priori Bestimmung des Menschen als freies Wesen nicht bereits selbst relativieren, diese grundsätzliche Fähigkeit spontanen Erkennens allen Menschen gleichermaßen zusprechen, ging es jedoch um die Freiheit des empirischen Subjekts, so maß er den Geschlechtern deutliche Unterschiede zu. Während es Aufgabe und Wesen des Mannes sei, durch Kulturbildung eine Differenz zwischen Natur und Kultur aufzubauen, würde gerade eine solche Differenz „die Vorzüge“, die dem weiblichen „Geschlechte eigenthümlich sind“, tilgen. Denn der Frauen: „Weltweisheit ist nicht Vernünfteln, sondern Empfinden. Bei der Gelegenheit, die man ihnen geben will ihre schöne Natur auszubilden, muß man dieses Verhältniß jederzeit vor Augen haben.“ (Kant [AA II / Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen], S. 229f.).
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gesetztheit und Bedrohung bzw. das sinnliche Wollen, welche in der Konfrontation mit scheinbarer Omnipotenz unterliegen müssen, als vielmehr das weibliche Individuum selbst, das durch die Definitionsmacht des Körpers in dem Vorhaben, sich von seiner Natur in einem Akt der Kulturentwicklung zu distanzieren, vorerst scheitern muss. Diesem historischen Scheitern einer weiblichen Subjektposition wurde ab den 1960er Jahren, ausgehend von Simone de Beauvoirs folgenreicher feministischer Schrift Le Deuxième Sexe (1949), ein verstärktes „Begehren der Frau nach Subjektwerdung“21 entgegengesetzt, welches insbesondere in der feministischen Körperkunst, so auch in den Arbeiten VALIE EXPORTS, Ausdruck fand. Dahingehend thematisierten vor allem ihre frühen Aktionen in erster Linie den oftmals schmerzvollen Weg der Frau vom fremdbestimmten „Objekt der männlichen Naturgeschichte zum Subjekt seiner eigenen Geschichte“22. In diesem Sinne forderte EXPORT kämpferisch: „das vom Schöpfervater Mann gekne(ch)tete Material ,Weib‘ [soll, R. B.] endlich zum selbstständigen Akteur und Kreator, das getane und zu bloßem Tun endlich zur Inbesitznahme der Welt durch erkennen werden. Denn ohne Wirken und Wirkungsmöglichkeit gibt es keine menschliche Würde.“23 Ihren explizit feministisch ausgerichteten Aktionismus definiert sie demzufolge als einen solchen, der dem „Takt des Schwanzes“24 entkommen ist und sich stattdessen auf die „Suche [macht, R. B.] nach der neuen und autonomen Identität der Frau, frei von den sogenannten ,natürlichen‘ Charaktermerkmalen, die der Mann der Frau als ihre ,innere Natur‘ oktroyiert hat“25. Voraussetzung und zugleich Ziel einer solchen Suche ist es, die „soziale Identität von Körper und Frau aufzubrechen, das weibliche Selbst vom weiblichen Körper und seinen weiblich-biologischen Körperfunktionen zu lösen, mit einem Wort, die soziale Konstruktion des Weiblichen durch das Patriarchat aufzuheben“26.
21
Weigel (1990), S. 22.
22
EXPORT (1980), S. 141.
23
Ebd., S. 141.
24
Ebd., S. 152.
25
Ebd., S. 156.
26
EXPORT (1987), S. 16. Entsprechend dieser Forderung warnt EXPORT auch vor feministischen Tendenzen, welche die Frau als Gebärerin, als Urmutter, als Naturprinzip etc. zelebrieren, da solche Gedanken die patriarchale Reduktion der Frau auf den Körper lediglich unter anderen Vorzeichen fortsetzten: „Wer also seine Selbstbestimmung auf den weiblichen Körpermerkmalen und Geschlechtsfunktionen begründen zu können vermeint,
VALIE EXPORT: KÜNSTLERISCHE SELBSTVERLETZUNG ALS AKT DER SUBJEKTWERDUNG | 155
Auf diesem Weg der schöpferischen Selbstsetzung und „Inbesitznahme der Welt“ avanciert die eigene determinierte sowie determinierende Naturhaftigkeit damit jedoch sukzessive zum antagonistischen Prinzip. Als primärer Ort geschlechtsspezifischer Zuweisungen und Einschreibungsfläche des herrschenden Geschlechterdualismus wird der (weibliche) Körper folglich nicht nur als gefährdet und äußeren Zwängen unterworfen, sondern explizit auch als Gefahr wahrgenommen. Dahingehend resümiert EXPORT: „Der Körper erscheint als Komplize des Realen und der Macht.“27 Denn als Inbegriff des Bedingten ist er seinem Wesen nach immer auch ,Spielball‘ äußerer Kräfte. An ihm entzündet sich folglich die auch für das kantsche Erhabene zentrale Frage, ob sich nämlich der Mensch einer Macht außerhalb seiner selbst, sei es die der Natur oder jene der Gesellschaft, unterworfen denken muss. Eine Frage, die das Subjekt hier wie dort, so wird der anschließende Abschnitt zeigen, mit der freiwilligen Unterwerfung des Körpers zu verneinen sucht. Anhand EXPORTS Definition des Körpers als „Komplize der Macht“ und Gefahr eines autonomen Selbst wird erneut die Problematik jener Lektüreansätze deutlich, welche in künstlerischer Selbstverletzung eine vermeintliche ,Versöhnung‘ von Körper und Geist bzw. in der ,Rückkehr‘ des Körpers eine ,Aufwertung‘ desselben auszumachen vermeinten. Denn solche Deutungen übersehen, dass allein das Faktum der Körperpräsenz keineswegs eine Überwindung des abendländischen Dualismus mit sich führt, sondern – ganz im Gegenteil –, indem der Körper zugleich als fundamentale Bedrohung individueller Freiheit entlarvt wird, eine forcierte Trennung des autonomen Ichs von seiner Naturhaftigkeit bedingt. Wie im dynamisch-Erhabenen geht somit auch den selbst verletzenden Arbeiten von VALIE EXPORT eine gefühlte Bedrohung, welche sich in erster Linie auf den Körper bezieht, voraus. Dabei steht jedoch weniger die existenzielle Ohnmacht des Naturwesens Mensch im Zentrum ihrer Überlegungen als vielmehr die Ohnmacht des ,Sozialwesens Frau‘ in Folge ihrer tradierten Gleichsetzung mit der Natur. Trotz dieses Unterschiedes betont auch EXPORT die existenzielle Dimension jener verhängnisvollen Gleichsetzung, welche insbesondere in den wiederholten Konnotationen zu Krankheit, Schmerz und Tod zum
vertieft nur die männliche Bestimmung.“ (ebd., S. 17) Anstatt somit eine biologistische Aufteilung geschlechtlicher Attribute lediglich unter anderen Bewertungsmustern fortuzuschreiben, gelte es vielmehr, die Konstruiertheit der Geschlechtszuschreibungen sowie deren Relation zu Vorherrschaft und Macht aufzuzeigen. 27
EXPORT (1987), S. 37.
156 | S UBJEKTERMÄCHTIGUNG UND N ATURUNTERWERFUNG
Ausdruck kommt. So benennt die Künstlerin die „schmerzhafte[n] Barrieren“28 der Gesellschaft, die den Menschen einschränken, ihn schwächen und letztlich das Leben kosten. Sie beschreibt die Situation der Frau als „Krankheit, mit der sie der Mann angesteckt hat“29, und stellt einen Vergleich zur „kontagiöse[n] Gefahr der Pest“30 her. An anderer Stelle deklariert sie den Körper in seiner Definitionsmacht des ,Weiblichen‘ als „Haus der Krankheiten“ bzw. „Ort des Todes“31; Metaphern, die an Schillers ,Ästhetik der Endlichkeit‘ denken lassen. Über diese gemeinsame Dimension des Existenziellen hinaus besteht die grundlegende Ähnlichkeit zwischen Kants Erhabenem und EXPORTS Aktionskunst jedoch in demjenigen, was letzten Endes Bedrohung erfährt. In beiden Fällen nämlich basieren die ,Unlust‘ bzw. der Leidensdruck auf der Infragestellung menschlicher Freiheit und subjektiver Autonomie, denn auch das Gewahrwerden der realen Endlichkeit des Seins, so hatte die Auseinandersetzung mit Kant und insbesondere mit Schiller gezeigt, kollidiert in erster Linie mit der Selbstdefinition des Menschen als ,Wesen, welches will‘. Die erste Phase der Gefährdung lässt sich folglich in beiden Kontexten als eine Aktualisierung des Wissens um die eigene Begrenztheit fassen; ein Wissen, über welches das Subjekt fortwährend verfügt, das jedoch in seiner gefühlten Präsenz, und damit seiner Intensität, variiert. Diese Präsenz mag durch äußere Anlässe momentartig gefördert werden, wie dies Kant vorstellig machte, oder aber aus einer länger anhaltenden Ohnmacht, als welche EXPORT die Situation der Frau zu fassen suchte, resultieren – in beiden Fällen aktualisiert sie ein grundsätzliches Leiden ob der Gebundenheit des sinnlichen Wesens Mensch. Unabhängig von der jeweiligen Ausformung wird der Körper somit letztendlich hier wie dort als Ort fundamentaler Fremdbestimmung identifiziert, welcher den Geist mit seiner Begrenztheit zu ,kontaminieren‘ droht. Der für das dynamisch-Erhabene charakteristische Grundkonflikt ist somit auch in EXPORTS Arbeiten und darüber hinaus in politisch motivierter Selbstverletzung allgemein wiederzufinden. Ein wesentlicher Unterschied zu Kants Erhabenem liegt jedoch darin, dass sich die Künstlerin als Frau durch die tradierte Einschreibung geschlechtlicher Codes weniger punktuell bedroht als vielmehr grundlegend unfrei, da in der Herausbildung einer eigenen Subjektposition unterdrückt, wahrnimmt. Es gilt in ihren Arbeiten folglich weniger einen gefährdeten Autonomieanspruch durch eine forcierte Oppositionssetzung von Körper und Geist zu verteidigen, als
28
EXPORT (1992a), S. 212.
29
EXPORT (1980), S. 144.
30
Ebd., S. 144.
31
EXPORT (2002), S. 331f.
VALIE EXPORT: KÜNSTLERISCHE SELBSTVERLETZUNG ALS AKT DER SUBJEKTWERDUNG | 157
vielmehr sich diese Autonomie durch das gewaltsame Aufbrechen der Gleichsetzung von Frau und Natur allererst anzueignen. Zielte die Distinktion von der eigenen Natur bei Kant darauf ab, die Freiheit des Subjekts zu ,schützen‘, so muss die Frau folglich erst Subjekt werden, um diesen Freiheitsanspruch überhaupt stellen zu können. Die Mittel, welche die Künstlerin hierfür wählt, sind jedoch weitgehend zu jenen im dynamisch-Erhabenen analog. Denn EXPORTS Fazit, dass sich die Frau einerseits vom Körper erst lösen und andererseits diesen in ein Besitzverhältnis zwingen müsse, um selbstbestimmtes Subjekt werden zu können, zieht, ebenso wie in der Ästhetik des Erhabenen, einen forcierten Dualismus nach sich, welcher im Akt der Selbstverletzung exemplarisch zum Ausdruck kommt.
158 | S UBJEKTERMÄCHTIGUNG UND N ATURUNTERWERFUNG
9.2 A UFOPFERUNG : D IE Ü BERWINDUNG ALS A KT DER B EFREIUNG
DES
K ÖRPERS
„Daher ist die Trennung vom Körper, die Verweigerung des Körpers Teil eines großen Kampfes für die Befreiung von der patriachalischen Staat.“
Familie
und
vom
patriachalischen
1
Wertet EXPORT, wie aufgezeigt, den (weiblichen) Körper auch im hohen Maße als fremdbestimmt und daher als Hindernis am Weg zur Subjektwerdung, so versucht sie zugleich sowohl in ihrer theoretischen Auseinandersetzung als auch in ihrer künstlerischen Tätigkeit mögliche Wege zu erproben, um diese „geschichte der verstümmelung“2 nichts desto trotz zu überwinden. Eine zentrale ,Strategie‘ hierfür ist die gezielte Selbstverletzung, welche in ihren Körperaktionen von 1970-73 zum Einsatz kommt. Gilt dabei auch stets die Subjektwerdung und Autonomisierung des Individuums als letztendliches Ziel, so lassen sich an der jeweiligen Kontextualisierung der Selbstverletzung zugleich drei unterschiedliche Einsatzmöglichkeiten derselben darlegen. Zum einen besitzt die selbst zugefügte Wunde Verweisungscharakter, d.h., die Selbstverletzung weist über sich auf eine als verletzend erfahrene Außenwelt hinaus, und dient damit allererst der Bewusstmachung gesellschaftlicher Machtverhältnisse. So Barbara Prammer: „Das in Eigenregie genommene Material Körper vermag in seinen nonverbalen Präsentationsformen die Struktur von Macht und Unterdrückung zu verdeutlichen.“3 Über diese Verweisungsfunktion hinaus soll mittels der Verletzung bzw. Überwindung des vergesellschafteten Körpers der Gesellschaft selbst Widerstand entgegengebracht werden. Diese ist somit auf ihrem genuinen ,Wirkungsbereich Körper‘ einem Akt der Gegengewalt ausgesetzt, der damit auch als Befreiungsakt im Sinne einer ,territorialen Rückgewinnung‘ verstanden werden kann. Schließlich fungiert Selbstverletzung immer auch als Demonstration eines bereits vorhandenen Freiheitsanspruchs, welcher sich elementar über die Oppositionssetzung von Körper und Geist legitimiert. Die selbst gewählte Verletzung des Körpers dient in diesem Fall nicht nur der Setzung des freien Willens,
1
EXPORT (1990), S. 32.
2
EXPORT (1975), S. 11.
3
Prammer (1988), S. 55.
VALIE EXPORT: KÜNSTLERISCHE SELBSTVERLETZUNG ALS AKT DER SUBJEKTWERDUNG | 159
sondern zugleich auch als Gestus der Distinktion von der eigenen Naturhaftigkeit.4 Bei der Unterscheidung dieser drei Funktionen darf nicht übersehen werden, dass bei den meisten Arbeiten EXPORTS eine Überschneidung derselben vorlag. Da alle selbst verletzenden Aktionen der Künstlerin in ihrer Durchführung einer im Vorfeld gefassten Dramaturgie5 folgten und darüber hinaus durch konzeptuelle Begleittexte ergänzt wurden, soll im Folgenden die Gewichtung der jeweiligen Funktionsart unter Einbezug jener theoretischen Kommentare erschlossen werden. Die begleitenden Textzeugnisse der Künstlerin sind auch insofern für den Zugang dieser Auseinandersetzung zentral, als in der nachfolgenden Analyse neben der Aktionshandlung auf die dahinterliegende Motivation fokussiert werden wird. Insofern werden auch jene Texte von besonderem Interesse sein, welche etwa zeitgleich zu den selbst verletzenden Performances entstanden sind, da diese EXPORTS dualistische Ausrichtung am deutlichsten illustrieren. Spätere Interviews der Künstlerin tendieren hingegen dazu, die Affirmation des abendländischen Subjektmodells und dessen hierarchische Binarität von Körper und Geist retrospektiv abzuschwächen. Der Aktionsanalyse selbst steht bei der Performance Hyperbulie eine Videoaufzeichnung zur Verfügung, für welche die Aktion eigens, d.h. ohne Publikum, wiederholt wurde. Dabei wurde jedoch nicht die ganze Arbeit filmisch festgehalten, sondern diese vielmehr zu einzelnen Abschnitten zusammengeschnitten. Darüber hinaus sind alle selbst verletzenden Arbeiten der Künstlerin durch Aktionsfotos sowie von ihr verfasste Handlungsbeschreibungen dokumentiert.6
4
Der Versuch, durch aktives Leiden einen Zugang zu erweiterten Erfahrungen und zugleich zu einer reinigenden Katharsis zu erwirken, welcher für viele Künstler/innen dieses Bereichs, so etwa Gina Pane, kennzeichnend ist, fehlt bei EXPORT weitgehend.
5
Dieses Element der Dramaturgie, welches ein aus Kontingenz resultierendes Risiko weitgehend ausschließt, findet sich auch in den meisten selbst verletzenden Arbeiten anderer Künstler/-innen und ist insgesamt ein Zeichen für die Kontrolliertheit und damit letztlich auch Rationalisierung der Verletzungssituation. Dort wo die Kontrolle über das Geschehen zugunsten der Kontingenz des Ereignisses aufgegeben wird, was insbesondere in solchen Aktionen der Fall ist, wo sich Künstler/-innen dem Publikum ausliefern, ist auch jene Aufgabe programmatisch reflektiert.
6
Sowohl Aktionsvideos als auch -fotos sind in der Wiener Generali Foundation, welche die gesamte Arbeit der Künstlerin dokumentiert, einsehbar.
160 | S UBJEKTERMÄCHTIGUNG UND N ATURUNTERWERFUNG
9.2.1 Selbstverletzung zwecks Bewusstseinsbildung „Wenn sich aber der weibliche Körper selbst ans Messer liefert, dann nicht nur, um die Macht der symbolischen Ordnung und ihrer Zeichen vorzuführen, sondern auch in einer blutigen, doch eigenmächtigen
Rekonstruktion
gesellschaft-
licher Gewaltverhältnisse. Wenn er sich selbst zum Material erwählt, arbeitet er die unsichtbaren Zurichtungsmaßnahmen durch, die ihn 7
entmachten und stillstellen.“
In einem Interview zu dem Wesen der Macht befragt, stellt Foucault fest: „Der Grund dafür, daß die Macht herrscht, daß man sie akzeptiert, liegt ganz einfach darin, daß sie nicht nur als neinsagende Gewalt auf uns lastet, sondern in Wirklichkeit die Körper durchdringt“8. Aus dem Zitat geht hervor, dass ein wesentlicher Aspekt gesellschaftlicher Macht darin besteht, dass sich diese in die Körper ihrer Staatsbürger/-innen weitgehend unbemerkt einschreibt und auf diese Weise Strukturen konstituiert, deren verletzende Auswirkungen häufig nicht eindeutig als solche identifiziert werden, wodurch sie unhinterfragt bleiben. Dahingehend muss der erste Schritt einer Subvertierung dieser Macht in der Bewusstseinsbildung, d.h. im konsequenten Aufzeigen jener verletzenden Fremdbestimmung, bestehen. Dass dieses Aufzeigen häufig über den gezielt selbst schädigenden Einsatz des Körpers stattfindet, zeigen nicht nur radikale politische ,Statements‘, wie beispielsweise Hungerstreiks oder Selbstinbrandsetzungen, sondern diese politische Funktionalisierung des Körpers ist auch zentrales Movens vieler Arbeiten selbst verletzender Body Art. Entsprechend der Tendenz, „im Leiden den intensivsten Realitätsbezug zu erkennen“9, vermag dieses, so die Ansicht vieler Künstler/-innen, ein Bewusstsein für die verletzende und freiheitsberaubende Realität zu schaffen. Darüber hinaus ,garantiere‘ die reale Wunde die Ernsthaftigkeit der Situation und demonstriere damit die Dringlichkeit des künstlerischen Anliegens. So ist insbesondere die erste Phase künstlerischer Selbstverletzung, d.h. die späten 60er und frühen 70er Jahre, von der politischen Überzeugung gekennzeichnet, durch das Aufzeigen und öffentliche Ausagieren von Missständen diese auch verändern zu können.
7
Vogel (2000), S. 111.
8
Foucault (1978a), S. 35.
9
Heusinger von Waldegg (1989), S. 31.
VALIE EXPORT: KÜNSTLERISCHE SELBSTVERLETZUNG ALS AKT DER SUBJEKTWERDUNG | 161
In diesem Sinne stellt auch VALIE EXPORT Bezug nehmend auf eine solche Strategie des Zeigens fest: „Durch dieses Eingeständnis, diese Confession publique, befreit die Frau sich von dieser Krankheit, mit der sie der Mann angesteckt hat. Die kontagiöse Gefahr der Pest wurde allein durch Wissen immunisiert“10 und an anderer Stelle: „Die Krümmung des Schmerzes war für lange Zeit jenes Schild, hinter dem die Frau ihre beschädigte Identität gerettet und bewahrt hat, versiegelt. Damit die Submission nicht das ewige Schicksal der Frau sei, darf auch nicht davor zurückgeschreckt werden, die Wunden dieser tatsächlichen historischen Submission unter den Mann zu offenbaren.“11 Gleich einer Krankheit, deren Genese ihre genaue Diagnose voraussetzt, soll folglich auch der krank gemachte bzw. krankmachende Gesellschaftskörper durch das Wissen um seine verletzenden Auswirkungen überwunden werden. Unter der eingeforderten Offenbarung jener Wunden und Beschädigungen versteht die Künstlerin explizit die Verletzung bzw. die gezielte Konfrontation mit Schmerz, welche sie sich während ihrer Aktionen selbst zufügt respektive der sie sich aussetzt. Der in der Kunstaktion vorgeführte verwundete Körper fungiert somit als Symbol für die Einschneidungen, welche die Frau aufgrund geschlechtlicher Codierungen bzw. biologischer Determiniertheit erfahren muss. Dementsprechend definiert EXPORT ihre zugefügten Verletzungen als „Male der Geschichte, als Spur der Begriffe am Körper, als Körpermale, die in Aktionen mit dem Körper aufgedeckt werden“12. Erst durch diese Entlarvung weiblicher Körper „als durch das Patriarchat kolonialisierte Territorien“ würde, so auch Katharina Sykora, eine „Deterritorialisierung“ derselben ermöglicht.13 Als eine solche Strategie der Entlarvung findet künstlerische Selbstverletzung vor allem in der Körper-Material-Aktion Hyperbulie Einsatz. In der 1973 in ihrem Atelier in Wien durchgeführten Arbeit bewegt sich die Künstlerin nackt14 durch einen etwa vier Meter langen, schmalen Korridor aus stromdurchflossenen Drähten, mit welchen sie wiederholt in Berührung kommt.
10
EXPORT (1980), S. 144.
11
Ebd., S. 144.
12
Ebd., S. 143.
13
Sykora (1989), S. 364.
14
Indem die Künstlerin in den meisten ihrer selbst verletzenden Aktionen nackt agiert, zugleich jedoch die tradierten Bilder der Frau als passives Objekt der Betrachtung und des Begehrens durch aktives Handeln gewissermaßen zu verfremden sucht, intendiert sie eine Irritation von Sehgewohnheiten. So EXPORT: „Es ging mir auch um den männlichen Blick: Wenn ich nackt war, aber doch eine künstlerische Aktion machte, würde sich die Art und Weise verändern, wie das (meist männliche) Publi-
162 | S UBJEKTERMÄCHTIGUNG UND N ATURUNTERWERFUNG
Abbildung 1: Hyperbulie
Steht EXPORT anfangs noch aufrecht, so geht sie im Laufe der Vorwärtsbewegung sukzessive zu Boden, wobei sie sich zunächst noch gebückt, schließlich jedoch lediglich auf allen Vieren fortbewegt. Den gesamten Zeitraum über stößt sie durch eine beinahe ununterbrochene Hin-und-Her-Bewegung des Kopfes vornehmlich mit Wange und Schulter, an die hierfür auf jeder Seite des Korridors in drei verschiedenen Höhen (Kopf, Schulter, Knie) gespannten Drähte. Als EXPORT schließlich am Ende des Korridors angelangt, entfernt sie sich zögerlich tastend aus diesem, wobei sie wieder zu stehen kommt und letzten Endes aufrecht das Setting verlässt.
kum mich ansah und codierte. [Herv. i. O.]“ (EXPORT [1997], S. 208) Insbesondere der Akt der Selbstverletzung, hier immer auch als ein Moment der Selbstaneignung verstanden, sei, so EXPORT, in der Lage, den männlichen Blick nachhaltig zu ändern, indem der gemeinhin erotisch-sexuell besetzte Körper nun Schrecken und Verstörung auslöse. (ebd., S. 211).
VALIE EXPORT: KÜNSTLERISCHE SELBSTVERLETZUNG ALS AKT DER SUBJEKTWERDUNG | 163
Abbildung 2: Hyperbulie
EXPORTS Begleittext beschreibt die etwa 15minütige Aktion wie folgt: „Ein Korridor aus Drähten, durch die (von einer Batterie gespeist) elektrischer Strom fließt. Der Mensch tritt hinein und bewegt sich durch den Korridor hindurch, wobei er ständig in schmerzhafte Berührung mit dem elektrischen Draht kommt und so langsam zu Boden sinkt. Er nimmt die Herausforderung jedoch an, und in einer etwas krankhaften Willenssteigerung drückt er seinen Kopf immer wieder an die Drähte. Im geschlossen strukturierten Raum der Gesellschaft, die alle Energie des Menschen durch schmerzhafte Barrieren parzelliert und reglementiert, so dass der Mensch – dessen Körper mit den Stigmata der sozialen Matrix bedeckt ist – ein gezähmtes Tier wird, das den Erfordernissen eines Planes gehorcht, unter dem es (das Tier) zusammenbricht und den es nicht kennt, vermag nur mehr eine den Schmerz, das Zentrum unserer Gesellschaft, sinnlos (weil es ein Sinn jenseits unserer Gesellschaft sein muss) überwindende Willenskraft den Zustand freier Lebensäußerung (frei strömender Energien) zu intendieren.“
15
Wie aus dem Text hervorgeht, dient der Korridor aus elektrischem Draht dazu, eine Gesellschaft zu versinnbildlichen, welche den Menschen – und insbesondere die Frau – sobald er den ihm zugemessenen Bewegungsspielraum aus Normen, Tabus und Rollenzuschreibungen zu übertreten versucht, mittels schmerzhafter Regulierungen ,zurechtzurücken‘ trachtet. Er gerät damit zu einem
15
EXPORT (1992a), S. 212.
164 | S UBJEKTERMÄCHTIGUNG UND N ATURUNTERWERFUNG
„Parcours menschlicher Dressur“16; der Strom, der durch ihn fließt, gilt EXPORT demnach als „Metapher für gesellschaftliche Reglementierung“17, der über diesen verursachte Schmerz verweist auf jenen, welchen das Individuum durch die gesellschaftliche Zurichtung erfährt.18 Es sind diese „schmerzhaften Barrieren und Zwänge gesellschaftlicher Zustände […], die den Menschen zu animalischer Existenz zwingen“19. Das Tier, als Inbegriff eines durch restriktive Fremdbestimmung gebrochenen Willens, avanciert damit zum Negativ des selbstbestimmten Handlungssubjekts. Was folglich durch die Reglementierungen der Gesellschaft auf dem Spiel steht, sind Freiheit und Würde des Menschen, d.h. sein Wesensanspruch selbst, den er durch äußere Zurichtungen, welche zunehmend eine „verstümmelte und erniedrigte Kreatur“20 hervorbringen, zu verlieren droht. Anhand dieser Gegenüberstellung von freiem Menschen und gezähmtem Tier wird zugleich ersichtlich, dass Freiheit auch hier ebenso wie bei Kant und Schiller lediglich oppositionell zur bloßen Natürlichkeit und folglich auch zur eigenen Natur gedacht werden kann.
16
Prammer (1988), S. 71.
17
EXPORT: Diskussion bei der Eröffnung ihrer Ausstellung Fragmente der Bilder einer Berührung Magazin 4, Vorarlberger Kunstverein, Bregenz am 11. 11. 1994; zit. nach Zell (2000), S.116f.
18
Denn sind es auch die Bewegungen der Künstlerin, welche die Stromschläge letztendlich verursachen, so respondiert diese ,Bewegung hin zum Schmerz‘ lediglich auf die bereits zuvor existierende massive Einschränkung des Handlungsspielraums, welche durch den schmalen Korridor aus Drähten symbolisiert wird. Diese räumliche Enge des Korridors wird bereits vor der Berührung mit dem Draht durch die Körperhaltung der Künstlerin – sie hält ihre Schultern und Arme unnatürlich nach vorne gestreckt – signalisiert. Auch die Art und Weise der Fortbewegung, die in minimalen Schritten, teilweise nur auf den Fußballen erfolgt, evoziert den Eindruck von äußeren Blockaden, welche lediglich mittels großer Anstrengungen überwunden werden können.
19
Fuchs (1996), S. 124f. Bereits in der ersten selbst verletzenden Aktion Body Sign Action war das „Zeichen der weiblichen Versklavung“ gleich einer Besitzmarkierung von Vieh in den Körper der Künstlerin eingebrannt worden. So auch Prammer: „Der Akt der Tätowierung brennt der Frau den Stempel ihrer Rolle und Funktion im gesellschaftlichen Leben nicht nur ins Fleisch des Körpers, sondern nimmt sie als Ganzes, ihr Denken, ihr Bewusstsein, in Besitz.“ (Prammer [1988], S. 66).
20
Ebd., S. 71.
VALIE EXPORT: KÜNSTLERISCHE SELBSTVERLETZUNG ALS AKT DER SUBJEKTWERDUNG | 165
Findet in Kants und Schillers Erhabenheitstheorie auch keine gezielte Bewusstmachung der Ausgesetztheit des Körpers statt, da diese Bewusstheit, wie dargelegt, vielmehr bereits Anlass bzw. ,Auslöser‘ des dynamisch-Erhabenen ist, so zeigen sich dennoch auch hier Parallelen dieser beiden Felder, und zwar in der Funktionalisierung des Körpers. Denn indem derselbe als Demonstrationsfläche genutzt wird, um Machtverhältnisse zu veranschaulichen, gerät er ebenso zum ,Werkzeug‘ eines kognitiven Prozesses wie Einbildungskraft und Sinnlichkeit bei dem Versuch, die übersinnlichen Ideen der Vernunft zu symbolisieren. Über diese bloße Funktionalisierung hinaus ist es auch hier das Scheitern der Physis, d.h. in Bezug auf EXPORT das Unvermögen, sich der verletzenden Außenwelt zu entziehen, welches für den Zweck der Freiheit instrumentalisiert wird, indem wie im Erhabenen gerade daran das Ausmaß der Krise und folglich die Notwendigkeit der Veränderung ablesbar werden. Erst das Vermögen, den Körper in seiner ganzen Unterworfenheit zu denken, vermag diese schließlich in einem notwendigen Akt der Distinktion aufzuheben. Somit ist auch das Ziel dieses Bewusstmachungsprozesses mit jenem im dynamisch-Erhabenen ident, denn hier wie dort sollen die Natur respektive der gesellschaftliche Körper, wie die nachfolgenden Kapitel verdeutlichen, letzten Endes überwunden werden; ein Umstand, der das auch von EXPORT aufrechterhaltene Herrschaftsverhältnis von Vernunftsubjekt und Sinnlichkeit umso deutlicher zu Tage treten lässt. Die Kritik an der patriarchalen Gesellschaft ist somit immer auch eine Kritik an der Materialität des Körpers, über welche sich diese Gesellschaft etabliert; ein Zusammenhang, der hinsichtlich der zweiten Funktion künstlerischer Selbstverletzung noch an Bedeutung gewinnt. 9.2.2 Die Überwindung der fremdbestimmten Natur als Überwindung der Gesellschaft „Ihr Kampf gegen den Körper ist ein Kampf gegen das Reale, das die Macht des Mannes 21
repräsentiert.“
Dass künstlerische Selbstverletzung nicht nur Bewusstseinsbildung intendiert, sondern zugleich bereits einen Akt des Widerstands darstellen soll, lässt sich ebenfalls an Hyperbulie darlegen. Bereits der Titel der Aktion, welcher als Fachterminus aus dem Bereich der Psychopathologie entlehnt ist und einen
21
EXPORT (1987), S. 38.
166 | S UBJEKTERMÄCHTIGUNG UND N ATURUNTERWERFUNG
Zustand „krankhafter Willenssteigerung“22 benennt, macht deutlich, worin dieses befreiende Potenzial bestehen kann. Es ist die Möglichkeit, die Macht des eigenen Willens jener Macht der Außenwelt entgegenzustellen, und zwar solcherart, dass sich dessen Überlegenheit anhand der selbstbestimmten Unterwerfung des Körpers demonstriert. So Prammer hinsichtlich der Aktion Eros/ion: „Sie [EXPORT, R. B.] hintertreibt durch den Beweis der ,geistigen‘ Unverletzbarkeit das errichtete System und steht für ein Existierenkönnen außerhalb der Normen ein.“23 Damit ist auch bei EXPORT die für das Erhabene charakteristische Kategorie der Relation zentral, nach welcher Macht nur in einem relationalen Verhältnis von Gewalt und Gegengewalt fühlbar werden kann. Denn auch im Rahmen künstlerischer Selbstverletzung resultiert das Gefühl der eigenen Freiheit und Unbezwingbarkeit erst aus der Bezwingung des Körpers und damit der Gesellschaft, deren Macht sich ebenfalls über die Sinnlichkeit konstituiert. Auf dieses relationale Machtverhältnis von Geist und Körper und damit von Subjekt und Gesellschaft Bezug nehmend fragt die Künstlerin: „Ein unerbittlicher Prozeß mit sich selbst, den man gewinnt, ist das nicht die beste Anklage, der wirklich sieghafte Prozeß gegen die anderen?“24 Innerhalb dieser Logik des Kampfes demonstriert die Verletzung des eigenen Körpers folglich die notwendige ,Aufopferung‘, welche das Individuum nach Auffassung der Künstlerin vollziehen muss, wenn es sich aus den Fängen der Gesellschaft durch einen Prozess der Selbstermächtigung lösen möchte. Denn ein solches Loslösen korreliert notwendig mit der schmerzlichen Überwindung der vergesellschafteten und folglich unfreien Physis. So EXPORT: „Die Desertion des Körpers als Double des Realen gehört zur inneren Logik der Subversion“25. Erst durch das bedingungslose Verfügen über die eigene Natur – was, folgt man Schiller, am radikalsten an der autodestruktiven Handlung abzulesen
22
Neben dieser Definition, die EXPORT wörtlich übernimmt, finden sich weitere Erläuterungen wie „pathologischer Betätigungsdrang“ oder auch „Starrsinnigkeit“. (http://www.enzyklo.de/lokal/42134, zuletzt aufgerufen am 30. 9. 2012). Das Krankheitsbild wird vor allem bei Manie und Schizophrenie geortet. EXPORT schwächt an anderer Stelle die pathologische Dimension jener Haltung ab, wenn sie lediglich noch von einer „übersteigerten Willensleistung“ spricht. (EXPORT [1980c], S. 22).
23
Prammer (1988), S. 122.
24
EXPORT (1980), S. 144.
25
EXPORT (1987), S. 39.
VALIE EXPORT: KÜNSTLERISCHE SELBSTVERLETZUNG ALS AKT DER SUBJEKTWERDUNG | 167
ist – „kann die moralität der staatlichen vorschriften (staat, familie, eigentum) durchbrochen“26 werden. Wenn die Künstlerin folglich in dem bereits zitierten Begleittext zu Hyperbulie feststellt, dass lediglich noch eine „den Schmerz […] überwindende Willenskraft den Zustand freier Lebensäußerung […] zu intendieren“27 vermag, so legt dies nahe, dass die wiederholten Berührungen mit dem Strom dazu dienen, dem gesellschaftlich verursachten Schmerz paradoxerweise durch aktive Schmerzzufügung entgegenzuwirken. Denn gerade der Versuch, äußere Macht in ihren eigenen Mitteln – nämlich der Disziplinierung und Restriktion des Körpers – zu überbieten, vermag diese zu relativieren, indem das Individuum im schillerschen Sinne von demjenigen freiwillig scheidet, worüber es zuvorderst Unterwerfung erfährt. Der sich selbst verletzende Mensch durchbricht auf diese Weise das Monopol der Gewalt, welches so genannte Mächtige über ihn hatten, und erlangt dadurch selbst Macht. Dies jedoch nur, so zeigt EXPORTS Aktion eindrücklich, indem er dazu bereit ist, selbst seine physische Integrität dieser Kompetition zu opfern. Wie in Kants Ästhetik des Erhabenen wird der Körper folglich auch hier nicht vor Gewaltzufügung bewahrt, sondern die Künstlerin bedient sich – ganz im Gegenteil – dieser ursprünglich von außen kommenden Strategie der Unterwerfung, um darüber ihre eigene Macht und vor allem Souveränität zu konstituieren. Die ständige Kontaktsuche mit dem Draht stellt demnach einen „Ausbruchsversuch aus der sozialen Korsettierung durch radikale Selbstüberwindung“28 dar. Dieser befreiende Aspekt künstlerischer Selbstverletzung wird in der Aktion Kausalgie, welche Hyperbulie vorausgeht, nicht nur zentral gesetzt, sondern auch explizit als solcher deklariert.29 Die Arbeit besteht aus vier Teilen, wobei sich jeweils Diaprojektionen und aktionistische Abschnitte ablösen. Im ersten Abschnitt wird eine Fotografie des amerikanischen Anthropologen Gregory Bateson, welche ein Verletzungen beinhaltendes Initiationsritual aus Neuguinea
26
EXPORT (1973a), S. 57.
27
EXPORT (1992a), S. 212.
28
Fuchs (1996), S. 124f.
29
EXPORT führt die Performance Kausalgie zum ersten Mal am 24. 1. 1973 in der Linzer Galerie MAERZ im Rahmen der Performancereihe Körpersprache Bodylanguage durch und wiederholt sie mit einigen Abweichungen ein zweites Mal beim steirischen herbst desselben Jahres in Graz.
168 | S UBJEKTERMÄCHTIGUNG UND N ATURUNTERWERFUNG
darstellt, auf die Galeriewand projiziert.30 Parallel zur Bildprojektion lässt EXPORT einen von ihr gesprochenen Text über Tonband abspielen: „,Cutting‘ zeigt den Körper als Ort der Zivilisierung. Wie der Tierkörper im Zuge der Vergesellschaftung der Natur als Eigentum gebrandmarkt wird, wird der Mensch durch den Körper in die soziale Gemeinschaft eingebettet, der Körper wird mit sozialen Signalen, mit Zugehörigkeitszeichen zu Geschlechtern zu Stämmen und Territorien mit ,Schutz‘formeln, ,Persona‘formeln versehen. Das Initiationsritual zeigt konkret, wie der Mensch durch den Körper in die soziale Mythologie und Struktur eingepasst wird.“
31
Dieser erste Abschnitt der Aktion thematisiert folglich erneut sowohl auf visueller als auch auf diskursiver Ebene den Körper als Ort gesellschaftlicher Einschreibungen. Durch das Zusammenspiel von Visualität und Diskursivität kommt es dabei zu einer Verdoppelung und zugleich zu einer Explikation des künstlerischen Anliegens bei gleichzeitiger Nutzung zweier verschiedener Medien und deren jeweils eigenen Zeichensystemen. Eine Vorgehensweise, die auch bei den drei anderen Abschnitten der Aktion beibehalten wird.32 Der zweite Teil der Performance beginnt damit, dass EXPORT mit Hammer und Meißel ein Quadrat aus der Projektionswand schlägt. Anschließend schneidet sie ihrer Co-Performerin Eva Fritsch deren Kleidungsstücke vom Körper, bis diese nackt ist. Das hierzu eingespielte Tonband schließt an jenes aus dem ersten Teil an:
30
Die Aufnahme zeigt einen nackten männlichen Initianten, welchem mithilfe eines Bambusmessers blutende Schnitte auf Oberschenkel und Rücken zugefügt werden. Sie stammt aus einem 1936 erstmals publizierten Buch des amerikanischen Anthropologen Gregory Bateson, welches sich mit einer Ethnie in Neuguinea auseinandersetzt. (Bateson [1936], Abbildung 11 b).
31
EXPORT: Kausalgie o. J. (Archiv EXPORT); zit. nach Zell (2000), S. 140f.
32
Der Tonbandtext ,lenkt‘ gewissermaßen die Rezeption des Bildes, indem er dieses in den Kontext EXPORTS gesellschaftskritischen Ansatzes stellt. Dieses Zusammenspiel von Bild- und Tonebene kommentiert die Künstlerin in Bezug auf die Arbeit Homometer (1973) folgendermaßen: „Die Sprache der Bilder ist eine andere als die Sprache der Wörter. Der Text spricht, weil die Fotos nicht sprechen [...]. Er spricht nicht für die Bilder, die Bilder sprechen für sich, so wie Bilder sprechen. Daß ich diese beiden Sprachen einander konfrontiere, ist meine künstlerische Absicht, die darin besteht, das Noch-Nicht-Bewußte bewußt zu machen.“ (EXPORT [1980d], S. 66).
VALIE EXPORT: KÜNSTLERISCHE SELBSTVERLETZUNG ALS AKT DER SUBJEKTWERDUNG | 169
„In der Zivilisation geschieht dasselbe, nur verhüllt. Sie deckt den Körper mit Kleidung und dann mit Häusern zu, die Kleidung als zweite und die Architektur als dritte Haut des Menschen. Die Einbettung geschieht abstrakt, auf der Ebene der sozialen Institutionen und der sozialen Kommunikation. Doch jeweils auf der Grundlage des menschlichen Körpers. Je mehr diese konkreten und abstrakten Institutionen durchbrochen werden, je mehr wir die Architektur zertrümmern, unsere Kleidung aufschneiden, desto näher kommen wir dem menschlichen Körper als Ort des Geistes, dem Träger interpersoneller Kommunikation. Durch die Überwindung der hierarchischen Zuordnung des Körpers, durch Verweigerung des sozial und institutionell zugeordneten Körperbildes kommen wir zu einem selbstbestimmten Selbst. Es ist ein Eintritt in die Befreiung der Person, ein Austritt aus den sozialen Ritualen, eine Absage an Zeichen, ihre Bedeutung und ihr Abbild. Soziale Institutionen als Tätowierung des Geistes, die das Bewusstsein deformieren und einzwängen in ein steinernes Gerüst.“
33
Visualisierte der erste Abschnitt die rituelle Eingliederung in die Stammesgesellschaft, so dient diese nun als Analogie, um auf die ,abstrakte Einbettung‘ des Körpers in die sozialen Strukturen der so genannten zivilisierten Welt zu verweisen. Zugleich zeigt die Künstlerin Strategien des Widerstands bzw. der Selbstwerdung auf, welche wie auch bei Hyperbulie als Akte der Gegengewalt verstanden werden müssen. Durch das Zertrümmern der dritten und Durchschneiden der zweiten Haut des Menschen dringt EXPORT auf der Handlungsebene immer dichter zum Körper vor und macht auch schließlich vor dessen erster Haut, so veranschaulichen der dritte und vierte Abschnitt der Aktion, nicht Halt. Der dritte Teil der Arbeit zeigt erneut eine Diaprojektion, und zwar eine farbige Aufnahme des 1970 am linken Oberschenkel der Künstlerin als Body Sign Action tätowierten Strumpfbandes.34 Das hierzu abgespielte Tonband lautet wie folgt: „Dieses Dia zeigt ein tätowiertes Strumpfband auf meinem Oberschenkel. Das Strumpfband erscheint als Zeichen der Versklavung, als Symbol verdrängter Sexualität, als Attribut einer nicht selbst bestimmten Weiblichkeit. Das Strumpfband als Zeichen der Zugehörigkeit einer Klasse, die ein bedingtes Verhalten fordert, wird zur Erinnerung. Der weibliche Körper streift ab, wirft weg den Stempel der Welt, die bis jetzt von ihm nicht erlebt und gestaltet war, um zu einer menschlichen Welt zu kommen, in der der Körper
33
EXPORT: Kausalgie o. J. (Archiv EXPORT); zit. nach Zell (2000), S. 140f.
34
Bei der Grazer Aufführung stellt sich EXPORT nackt, mit Rücken zum Publikum zwischen dieses und die Projektion.
170 | S UBJEKTERMÄCHTIGUNG UND N ATURUNTERWERFUNG seine weibliche Existenz selbst bestimmen kann, um eine Wirklichkeit zu erreichen, die auf gleichberechtigter personeller Darstellung im sozialen Prozess beruht. Die Frau wird durch Schmuck, Gesichtsbemalung, Persona-Darstellung und als Trägerin fixierter Sexualsymbole als Zeichen der phallokratischen Gesellschaft zu einer Darstellung gezwungen, die nicht ihren persönlichen Bedürfnissen entspricht. Auf das System biologischer Unterschiede wurde ein soziologisches System der Repression errichtet, aus dem die Frau nur durch Absage des so weiblich definierten Körpers entkommen kann.“
35
War in den ersten beiden Abschnitten der Körper per se als Ort der Einschreibung entlarvt worden, so fokussiert EXPORT nun explizit auf den weiblichen Körper als Quelle der Repression innerhalb einer ,phallokratischen Gesellschaft‘. Auch hier dienen das projizierte Bild respektive die darauf dargestellte Aktion in erster Linie einem Vorgang des Zeigens; der metaphorisch gesprochene „Stempel der Welt“ wird als Hautbild, als permanentes Zeichen der Repression sichtbar gemacht. Indem jedoch dadurch der Körper selbst zum realen Bildträger, zum konkreten ,Abbild‘ sozialer Prozesse wird, sollen die tradierte Referenzialität von Zeichen sowie die historische Gleichsetzung von Frau und Objekt destabilisiert werden. Abbildung 3: Kausalgie
35
EXPORT: Kausalgie o. J. (Archiv EXPORT); zit. nach Zell (2000), S. 141.
VALIE EXPORT: KÜNSTLERISCHE SELBSTVERLETZUNG ALS AKT DER SUBJEKTWERDUNG | 171
Im letzten und gewissermaßen Hauptabschnitt der Aktion stellt sich EXPORTS Co-Akteur Hermann Hendrich vor eine am Boden liegende Wachsplatte36, auf die sein Schatten überdimensional fällt.37 In der Folge brennt die Künstlerin mithilfe einer Lötlampe diesen Schattenumriss des Mannes in die Wachstafel, entkleidet sich und legt sich in den eingebrannten Umriss. Hendrich umspannt sie daraufhin mit Nägeln und Draht; anschließend wird der Draht mithilfe einer Autobatterie unter Strom gesetzt, bis er sukzessive zu rauchen und glühen anfängt. Zugleich nimmt das Wachs langsam die Konturen des Körpers an. Nachdem EXPORT in dieser Form einige Zeit verharrt, beginnt sie, wie später auch in Hyperbulie, mit ihrem Körper wiederholt gegen die Stromumdrahtung zu rollen, wobei sie den Versuch, diese vollständig zu überwinden, immer wieder unterbricht. Schließlich gelingt jedoch der ,Ausbruchsversuch‘. Die Künstlerin rollt sich über den Draht hinweg auf eine neben der Wachsplatte ausgebreitete Papierbahn, wo sie für einige Zeit bewegungslos liegen bleibt. Abbildung 4: Kausalgie
36
Das Wachs, von EXPORT auch als Leichenwachs konnotiert, stellt „in seiner Eigenschaft der Formbarkeit und Weichheit [...] den Wunsch des Mannes dar, nach seinem Bilde formen zu können“ (EXPORT [1980b], S. 49).
37
Auf den Boden vor der Platte hat EXPORT zu Beginn der Aktion mit Kreide ein Hakenkreuz gemalt und „Der Mensch ist ein Medium der Kommunikation, ein Symbol- und Informationsträger“ geschrieben. Links neben der Wachsplatte stehen in kreuzförmiger Anordnung die Worte Unfreiheit/Ordnung und Freiheit/Chaos, dazwischen findet sich das Wort Mensch.
172 | S UBJEKTERMÄCHTIGUNG UND N ATURUNTERWERFUNG
Sowohl auf der Wachsplatte als auch auf dem Papier bleiben „Körperspuren“38. Zuletzt ,verschließt‘ EXPORT die im Wachs hinterlassenen Konturen ihres Körpers mit flüssigem Blei. Auch dieser abschließende Abschnitt wird durch ein Tonband ergänzt: „Der Weg zur Befreiung des Geistes, der Weg vom benutzten Objekt zum selbstbestimmten Subjekt ist ein schmerzhafter Prozess. Die ritualähnliche Aktion Kausalgie zeigt das Bewusstsein, das sich von den Zeichen der Zivilisation und ihren Bedeutungen befreit. Zeigt das Bewusstsein, welches die zugeordneten Grenzen überwinden will. Das Reich des Schattens des Mannes ist das Reich der Begriffe der Gesellschaft, und durch die Überwindung des Körpers, auf dem die Gesellschaft ihre Gewalt ja errichtet, werden deren Grenzen durchbrochen. Mein Körper ist nicht mehr Träger institutioneller Kommunikation, ist nicht mehr gebrandmarkt durch soziale Rituale. Was ihr an meinem Körper seht, sind Körperzeichen und Spuren der Befreiung.“
39
Wählte die Künstlerin bereits auf der Handlungsebene eine weitgehend eindeutige Symbolsprache, so scheint auch hier das Tonband die ,richtige‘ Auslegung der Aktion garantieren zu wollen: Die Frau, die in der patriarchalen Gesellschaft ein Schattendasein führt bzw. in der Überdimensionalität männlicher Selbstsetzung, welche jedoch lediglich auf einer Konstruktion, d.h. einem Schein, basiert, gefangen gehalten wird. Das tendenziell faschistische Gesetz des Mannes, welches das (weibliche) Individuum potenziell verletzend umgrenzt. Der schmerzhafte Ausbruch aus dieser Normierung sowie die Auslöschung der weiblichen Körperkonturen40, durch die das ,Selbst‘ der Frau historisch determiniert wurde, und schließlich das weiße Papier als tabula rasa, auf welche die nunmehr subjektgewordene Frau erste Spuren der Selbstbestimmung setzen kann. Dabei ist es wie bei Kant, so zeigen EXPORTS Kommentare deutlich, das Bewusstsein des Menschen, d.h. die Fähigkeit zur Reflexion, zur Rationalität, ergo zum Denken generell, über welches subjektive Freiheit einzig zu erreichen wäre. Lediglich in dieser Rückbesinnung auf dasjenige, was nicht durch äußere
38
Eine Bezeichnung, die EXPORT ebenfalls vor Beginn der Aktion auf den Boden vor die beiden Flächen geschrieben hatte.
39
EXPORT: Kausalgie o. J. (Archiv EXPORT); zit. nach Zell (2000), S. 142f.
40
Wie bei der Tätowierung in Body Sign Action geht auch hier, durch den Einsatz von Blei, die Auslöschung der Körperzeichen mit deren ,Stabilisierung‘ in der Zeit einher, wodurch sie als mahnende Erinnerungen bestehen bleiben. Doch gerade indem diese Zeichen künstlich ,festgehalten‘ und exponiert werden, erfahren sie zugleich eine Destabilisierung.
VALIE EXPORT: KÜNSTLERISCHE SELBSTVERLETZUNG ALS AKT DER SUBJEKTWERDUNG | 173
Macht beeinflussbar scheint, kann sich das Individuum seiner Unterwerfung entziehen. Einer der frühesten Begleittexte zu Eros/ion verdeutlicht dieses Primat des Geistigen sowie die daraus resultierende Abwertung des Körpers noch expliziter: „hat die gesellschaft durch soziale zeichen die herrschaft über den körper demonstriert, so zeigt erosion mittel und wege, wie der mensch sich dieser gewalt entziehen kann. die biologische ordnung, die in unserer gesellschaft mit gewalt noch herrscht, indem körpereigenschaften lebensformen bestimmen, kann nur aufgehoben werden, wenn die gewalt, die der körper über den geist hat, überwunden wird. der mensch wälzt sich in ein glas, ohne daran zu verbluten. er erweist sich stärker als das ihn umgebende system, indem er dessen austragungsort, den körper, überwindet. […] die bedeutung des materials, die uns die gesellschaft vorgeschrieben hat, wird hier überwunden am körper durch den geist […].“
41
Anhand der beiden Aktionen Hyperbulie und Kausalgie sowie deren Begleittexten tritt EXPORTS dualistische Anthropologie, welche Körper und Geist nicht nur voneinander scheidet, sondern in dem Streben nach Autonomie und Macht einander auch oppositionell entgegensetzt, eindeutig hervor. Auf diese Weise setzt die Künstlerin, wie im Feminismus der 1960er und frühen 70er Jahre insgesamt üblich42, binäre Denkstrukturen und damit zugleich deren problemati-
41
EXPORT (1973a), S. 58. Dieser frühe Text ist darüber hinaus insofern von besonderem Interesse, als er zeitlich in unmittelbarer Nähe zur Aktion steht. Damit scheint er weniger retrospektiv ,angereichert‘ bzw. ,beschönigt‘ als spätere Erläuterungen, in welchen die gewaltgeprägte Konstellation von Geist und Körper meist zugunsten materialästhetischer Aspekte in den Hintergrund gerückt wird. So beschreibt EXPORT dieselbe Aktion 1997: „Das Thema der Performance war das Thema der Kontextvariation: Ich benutze das gleiche Material in verschiedenen Zuständen, Zusammenhängen. Zuerst war es normales Glas, dann Glassplitter. Und ich setzte meinen Körper für diese semantische ,Untersuchung‘ ein.“ (EXPORT [1997], S. 211).
42
So lassen sich feministische Leitsprüche wie „Mein Körper gehört mir“ oder die Parole „Your Body is a battleground“ neben ihrem kritischen Potenzial auch als Weiterführung der klassischen Subjekt-Objekt-Dichotomie, im Rahmen derer der Körper zum ,Werkzeug‘ von Autonomie bzw. zum ,Besitz‘ des autonomen Handlungs-Ichs funktionalisiert wird, lesen. Dahingehend postulierte etwa auch Erika Mis bei einer Aktion gegen das Abtreibungsverbot demonstrativ in Versalien: „DIE SELBSTVERWIRKLICHUNG DER FRAU BEGINNT MIT DER SELBSTBESTIMMUNG ÜBER IHREN EIGENEN KÖRPER.“ (Mis [2006], S. 70).
174 | S UBJEKTERMÄCHTIGUNG UND N ATURUNTERWERFUNG
sches Potenzial fort, wie beispielsweise die Absolutsetzung des Geistes, die Unterwerfung der Natur oder das Festhalten an logozentrischem Herrschaftsdenken. Denn ist der weibliche Körper in Folge der selbst verletzenden Aktion auch dem Ideal nach nicht mehr „Eigentum des Mannes“43, so wird dessen Eigentumsstatus selbst letztlich nicht hinterfragt. Stattdessen wird, indem das demonstrativ in Versalien postulierte „ICH“44 seine Freiheit an das autonome Verfügen über seine Leiblichkeit bindet, lediglich der bzw. die Eigentümer/-in gewechselt. Auch hier ist die Nähe zu dem kantschen Erhabenheitsmodell offenkundig. Dabei ist es weder der Körper selbst, noch ein wie auch immer zu definierendes ,Weibliches‘ als solches, welche EXPORT zu überwinden sucht, sondern die Bilder der Frau, die sich über den weiblichen Körper und dessen Zuordnungen – wie in erster Linie Mutterschaft – etablieren, d.h. die konstitutive Vermengung der beiden Bereiche Weiblichkeit und Körper. So EXPORT: „Es ist [...] die soziale Doktrin des Körpers als Definition der Frau, die Identifizierung des Wesens der Frau mit ihren körperlichen Geschlechtsmerkmalen und -funktionen, die den Körper zum Haus der Krankheiten macht, zum Ort des Todes.“45 Diese Unterscheidung imaginiert einen Zustand, in welchem Körper und Geist nicht mehr oppositionell gedacht werden müssten, da deren konstitutives Wechselverhältnis, d.h. die Definition des Weiblichen über den Körper und damit wohl auch die Definition des ,Weiblichen‘ bzw. des ,Männlichen‘ überhaupt, außer Kraft gesetzt worden ist. Erst wenn dies errungen sei, so lässt sich EXPORTS Kommentar lesen, könne auch der Körper aus seiner Unterwerfung befreit werden. Dass die vorläufig jedoch noch als notwendig erachtete Aufopferung der Natur theoretisch sogar bis zur Konsequenz des Freitodes gedacht werden kann, zeigt sich an EXPORTS wiederholter ,Identifikation‘ mit Künstlerinnen, wie beispielsweise den Schriftstellerinnen Unica Zürn oder Danielle Sarréra, welche im Kampf gegen das körperbezogene Konstrukt Weiblichkeit, so EXPORTS Lesart, die konsequente Vernichtung des Körpers der geistigen Fremdbestimmung vorgezogen hatten. So kommentiert sie den Suizid der erst 17 jährigen Sarréra im Jahr 1949 wie folgt: „Sie will ihr Selbst nicht zerstören müssen, um
Eine feministisch ausgerichtete Kritik an diesen hierarchischen und logozentrischen Denkstrukturen, wie sie die Ansätze der Philosophinnen Helene Cixous, Julia Kristeva, Lucy Irigaray oder Judith Butler charakterisiert, findet sich bei EXPORT vorwiegend erst retrospektiv. 43
EXPORT (1973a), S. 57.
44
EXPORT (1997), S. 207.
45
EXPORT (2002), S. 331f.
VALIE EXPORT: KÜNSTLERISCHE SELBSTVERLETZUNG ALS AKT DER SUBJEKTWERDUNG | 175
weiblicher Körper sein zu können. Sie zerstört lieber ihren Körper (im Freitod)“46 und stellt hinsichtlich Zürns Ableben fest: „die Konstruktion des Selbst auf den weiblichen Geschlechtsmerkmalen des Körpers in unserer patriarchalischen Gesellschaft haben ihr Qualen verursacht und keinen Ausweg gelassen. Ihr Denken, ihre Sensibilität, ihr Selbst wurden durch den sozial definierten weiblichen Körper entstellt, verstellt“47. Dabei gilt EXPORT nicht nur die gezielte Autodestruktion als Mittel des Widerstandes, sondern auch psychische Störungen, welche über den Körper ausagiert werden, wie etwa die „großen weiblichen Rebellionsformen“ 48 Hysterie und vor allem Anorexie. Denn diese, „als Dekonstruktion dieses weiblichen Körpers, als Auflösung des sozial bestimmten weiblichen Körpers“, so die Künstlerin, „gehören ja seit langem zu den Strategien femininer Insurrektionen“49. Dahingehend ist auch EXPORTS Bezug zu psychiatrisch-neurologischen Erkrankungen zu verstehen, von welchem die Titelwahl der Aktionen Hyperbulie, Kausalgie – med. brennende Schmerzen, die in Folge neurologischer Verletzungen auftreten – und Asemie – der Verlust der Zeichenbildung und des Zeichenverständnisses – zeugen. Dabei wird insbesondere an Kausalgie die Paradoxie von Krankheit und Schmerz deutlich, welche einerseits als Folgen der Gesellschaft, zugleich aber auch als Momente des Widerstands gegen diese verstanden werden müssen. Dementsprechend stellt EXPORT Bezug nehmend auf die Aktion fest: „Das Leben der Frau in der Begriffswelt, im Schattenreich des Mannes ist die Kausalgie“50 und präzisiert diese als „dunklen Schmerz der Unterdrückung“. Jener „schwarze[n] Kausalgie“ hält sie jedoch, versinnbildlicht am Akt der Selbstverletzung, die „weiße Kausalgie“ als den „hellen Schmerz der Befreiung“51 entgegen. Sowohl in EXPORTS Aktionen als auch in dem zum Vergleich herangezogenen Feld psychischer Erkrankungen sowie im Freitod werden folglich der Körper, als dasjenige, was in erster Linie von der „Krankheit“ der Submission betroffen ist, und das Selbst disjunktiv gesetzt, wodurch die Bereitschaft zur Selbstvernichtung bzw. zumindest zur Selbstverletzung zur Bedingung von Freiheit avanciert. So EXPORT: „Daß die Magersucht letztendlich zum Tod, zur Auslöschung des Körpers führt, indiziert nur, daß die magersüchtige Frau die Entleibung des Körpers einer Entleibung/Enteignung des Geistes und der Sprache vorzieht.
46
EXPORT (1987), S. 10f.
47
Ebd., S. 14.
48
Ebd., S. 35.
49
Ebd., S. 14.
50
EXPORT: Begleittext zu Kausalgie; zit. nach Zell (2000), S. 159.
51
Ebd., S. 159.
176 | S UBJEKTERMÄCHTIGUNG UND N ATURUNTERWERFUNG
Bevor im Körper ihr Selbst entleibt wird, entleibt sie sich lieber selbst.“52 Der Freitod als letzter Ausweg, um die Freiheit des Subjekts zu ,retten‘, war bereits von Schiller als erhabene Handlung definiert worden. Wie in dessen Ästhetik, wo die Fähigkeit zum Suizid von „einem Vermögen des Willens zeugt, selbst dem mächtigsten aller Instinkte, dem Triebe der Selbsterhaltung, zu widerstehen [Herv. i. O.]“53, gilt auch EXPORT diese Fähigkeit als Signum von Freiheit und Selbstbestimmung. Durch sie verdeutlicht sich, dass der Mensch „noch ein Bedürfnis mehr, als zu leben“54, in sich trägt. An dieser Analogie zu Schillers Erhabenheitstheorie wird ersichtlich, dass EXPORTS Freiheitsbegriff jenem Schillers deutlich näher ist als dem stark am Sittengesetz orientierten Freiheitsmodell Kants. In diesem Sinne ließe sich ihr Akt künstlerischer Selbstverletzung als radikale Umsetzung dessen verstehen, was der Dichter und Philosoph in seiner Tragödientheorie für den Kontext des Theaters entworfen, über sein Konzept der ästhetischen Erziehung aber auch bereits für das reale Leben angedacht hatte. Zugleich wird anhand selbst verletzender Body Art deutlich, dass die Freiwilligkeit des Handlungssubjekts, wie hinsichtlich des kantschen Konzepts mit Blick auf die Rolle der Einbildungskraft erörtert wurde, es erlaubt, das destruktive Potenzial des Erhabenen radikaler zu denken, ohne dadurch solchen Situation die Möglichkeit, sie ästhetisch zu erleben, generell absprechen zu müssen. Im Moment künstlerischer Selbstverletzung kulminieren Rezeption, Haltung und Handlung des Erhabenen innerhalb eines Individuums: Die sich selbst verletzende Künstlerin ist zugleich Beobachterin sowie Vollstreckerin einer erhabenen Handlung, welche wiederum auf eine erhabene Haltung schließen lässt, die sie zugleich konstituiert. Damit avanciert das Erhabene zu einem ausschließlich auf das Ich bezogenen Erlebnisprozess der Selbstvergewisserung, im Rahmen dessen die Außenperspektive, und damit die Rolle des Publikums, sekundär werden. Diesem ästhetischen Erleben der eigenen Aufopferung sowie der damit intendierten Subjektwerdung geht jedoch die Möglichkeit, sich zu seiner eigenen Natur in Distanz setzen zu können, voraus, denn erst durch diese grundlegend als Freiheit verstandene Distinktionsfähigkeit erweist sich der abendländische Anspruch auf Selbstsetzung als legitim.55 Der Akt der Selbstver-
52
EXPORT (1987), S. 36.
53
Schiller (1966a), S. 94.
54
Schiller (1995), S. 93.
55
Vgl. hierzu auch Performances, wo versucht wurde, diese Trennung vom Körper durch Hunger-Trancen, Drogen oder ritualähnliche Meditationen, wie dies beispielsweise bei Arbeiten von Marina Abramović der Fall war, zu beschleunigen.
VALIE EXPORT: KÜNSTLERISCHE SELBSTVERLETZUNG ALS AKT DER SUBJEKTWERDUNG | 177
letzung, so gilt es abschließend aufzuzeigen, demonstriert somit immer bereits dasjenige, was er erreichen will, nämlich die Freiheit des Vernunftwesens Mensch von seiner Natürlichkeit, und ist auf diese Weise, zumindest im Selbstgefühl der Künstler/-innen, immer auch selbstevident. 9.2.2.1 Exkurs: Künstlerische Selbstverletzung und Ritualtheorie Einige Aktionen EXPORTS, darunter Hyperbulie und Kausalgie, stellen explizit einen Bezug zu den Themenkomplexen Initiation und Ritualität her, wobei hierbei meist das Schmerzerlebnis bzw. die Grenzerfahrung im Zentrum stehen. So beginnt beispielsweise Kausalgie mit der Abbildung eines Initiationsrituals, welches im nachfolgenden Aktionsverlauf als Analogie zu gesellschaftlichen Einschreibungen herangezogen wird. In diesem Bezug steht folglich die soziale Funktion von Initiation im Vordergrund, nämlich das Einfügen des Individuums in die Normen der jeweiligen Gesellschaft, wodurch Initiation ihrem Prinzip nach auch gesellschaftsstabilisierend wirkt.56 Im Tonband des vierten Abschnitts beschreibt die Künstlerin schließlich ihre Aktion selbst als „ritualähnlich“ und deutet damit zugleich einen Transformationsprozess an, den sie emphatisch als einen solchen der Befreiung versteht. In diese Richtung scheint auch der zweite Teil des Begleittextes zur Aktion Hyperbulie zu weisen, welcher aus einem Zitat des Religionswissenschafters Mircea Eliade besteht: „Der ,enge‘ und ,gefährliche‘ Durchgang ist ein gängiges Motiv in Toten- wie Initiationsmythologien. […] Wenn er ,leicht‘ ist, kommt er hindurch, doch wenn er ,schwer‘ ist, fällt er zu Boden und ist die Beute der Dämonen. ,Leichtigkeit‘ und ,Geschwindigkeit‘ ist – wie in den Mythen, wo es ,sehr schnell‘ zwischen den Kiefern eines Ungetiers hindurchzukommen gilt – immer eine symbolische Formel für ,Erkenntnis‘, ,Weisheit‘, ,Transzendenz‘, letzten Endes für Initiation. ,Schlecht kommt man über die dünne Klinge eines Rasiermessers, sagen die Dichter, um die Schwierigkeiten des Weges auszudrücken (der zur höchsten Erkenntnis führt)‘, sagt die Karpa Upanisad. Diese Formel rückt den Initiationscharakter der metaphysischen Erkenntnis ins Licht. ,Eng ist die Pforte und schmal der Weg, der zum Leben hinführt…‘ (Matthäus 7,14).“
57
56
Dahingehend stellt auch Elisabeth Jappe fest: „Das Individuum erkennt im schmerz-
57
EXPORT (1992a), S. 212.
lichen Ritual die übergeordneten Gesetze der Gruppe an.“ (Jappe [1993], S. 119).
178 | S UBJEKTERMÄCHTIGUNG UND N ATURUNTERWERFUNG
Auch hier werden Ritual und Initiation als Möglichkeiten des Übergangs beschrieben. Dabei erscheinen dieser und die damit einhergehende Gefährdung der Physis als Weg zu Weisheit, Transzendenz und Individuation nun weitgehend positiv konnotiert.58 Dass EXPORT am Ende der Aktion Hyperbulie den Korridor aufrecht verlässt, illustriert somit die Hoffnung, die schmerzhafte Korsettierung zu überwinden und zu einem Zustand der Freiheit und Selbstbestimmung zu gelangen. Insofern ist auch Prammers Annahme, Hyperbulie entwerfe kein positives Bild eines ,Danach‘ und präsentiere daher keine Lösungsvorschläge, zu widersprechen.59 Legt auch die Künstlerin selbst die Interpretation ihrer Performances als rituelle Übergangsprozesse nahe, so soll doch in Bezug auf die dialektische Lust im Erhabenen auf die Problematik einer solchermaßen ,vertikalen‘ Lesart verwiesen werden. In Van Genneps Theorie, auf welche sich Ritualtheorie in erster Linie bezieht, geht das Individuum gestärkt, gereinigt und gewissermaßen transformiert aus den überstandenen Prüfungen hervor. Diese Transformation ist Ergebnis einer linearen, im Normalfall auch irreversiblen Entwicklung. Im Gegensatz dazu können der Körper und die durch diesen erfahrene Gebundenheit weder in Kants Erhabenheitsentwurf noch durch EXPORTS Selbstverletzung realiter überwunden werden. Der Körper bleibt als Teil der Natur respektive der Gesellschaft „Ort der Unfreiheit“, ebenso wie das Subjekt trotz des verletzenden Aktes der Distinktion an diesen gebunden. Eine Freiheit von der Sinnlichkeit kann folglich nur negativ gedacht werden, und zwar als eine solche, die sich im Moment der Selbstverletzung aus dem Gestus der Negation konstituiert, daher aber instabil und temporär bleiben muss. Denn die Dialektik aus Lust und Unlust, Freiheit und Unterworfenheit, Geist und Natur, Subjekt und Gesellschaft, wie sie das Erhabene kennzeichnet, ist durch den fehlenden Bezug auf eine positiv gedachte Metaphysik nicht mehr aufzulösen, ein Übergang scheint als solcher daher nicht möglich. Die Allgewalt der Natur, mit welcher sich das Subjekt im Erhabenen konfrontiert sieht, lässt sich demnach analog zur Allgewalt der Gesellschaft denken, vor welcher es letztlich ebenso kein ,Entrinnen‘ in einen gesellschaftsfreien Ort geben kann. Denn der Körper ist von den „Stigmata der sozialen Matrix“ nicht
58
Auf den Widerspruch, der sich aus der Anwendung des gemeinhin traditionserhaltenden Initiationsbegriffs auf EXPORTS gesellschaftskritische Körperaktionen ergibt, verweist auch Zell. Um daher den Ansatz der Künstlerin von dem klassischen Initiationsschema abzugrenzen, definiert sie diesen als „rebellisch paradoxe Initiation“ (Zell [2000], S. 147).
59
Vgl. Prammer (1988), S. 71f.
VALIE EXPORT: KÜNSTLERISCHE SELBSTVERLETZUNG ALS AKT DER SUBJEKTWERDUNG | 179
nur bedeckt, sondern wird als sozialer Körper überhaupt erst durch die Gesellschaft ,hervorgebracht‘ und ist dementsprechend auch nicht gänzlich frei von dieser und deren Fremdtechnologien (Foucault) zu denken. Daher bleibt das Subjekt unhintergehbar in der Sinnlichkeit und folglich auch in der Gesellschaft verhaftet bzw. – mehr noch –, so haben Theoretiker/-innen wie Foucault und Butler deutlich gemacht, dieses ist letzten Endes selbst ,Produkt‘ gesellschaftlicher Machtverhältnisse und kann daher das Freiheitsversprechen, das es birgt, bereits seinem eigenen ,Wesen‘ nach nie vollständig einlösen. Ein positiv gedachter Transformationsprozess muss daher notwendig scheitern. 9.2.3 Die Distinktion von der Natur als Legitimation des subjektiven Freiheitsanspruches „Die Akteurin zeigt sich in ihrer geistigen und psychischen Stärke, die als Freiheit oder besser gesagt als Zeichen der Selbstbestimmung zu verstehen ist, nicht mehr beherrscht von ihrem Körper […], sondern als Metapher der Überwindung.
“60
Muss bei politisch motivierter Körperkunst die Verletzung der Physis immer auch als widerständiger Gegenangriff auf eine als schädigend und folglich als feindlich empfundene Gesellschaft verstanden werden, so findet sich neben dieser soziologischen Dimension noch eine dritte Funktion künstlerischer Selbstverletzung, welche man als anthropologisch bezeichnen könnte. Hier gilt die Gewalt, welcher der Körper ausgesetzt wird, weniger der Gesellschaft als vielmehr diesem selbst, als Inbegriff von Natur, d.h. als dasjenige, wodurch der Mensch an der Sinnlichkeit teilhat. Denn auch auf dieser Ebene, als Teil einer in sich determinierten Natur, wird der Körper als Quelle von Heteronomie wahrgenommen. Sowohl in der Ästhetik des Erhabenen als auch in EXPORTS Aktionen ist somit die intendierte „Befreiung von der Last des Leibes“61 zentral. In diesem Sinne kann ihr aktionistischer Ansatz analog zum dynamisch-Erhabenen als ein in die konkrete Handlung getragener Konflikt zwischen der physischen Verfasstheit des Menschen und dessen Willensvermögen beschrieben werden. Denn, so EXPORT: „Die Erprobung des Körpers ist eine Demonstration des menschlichen Willens.“62 Die gewaltsame Unterwerfung des Körpers soll das
60
Prammer (1988), S. 122.
61
EXPORT (1987), S. 38.
62
EXPORT (1980e), S. 76.
180 | S UBJEKTERMÄCHTIGUNG UND N ATURUNTERWERFUNG
Individuum daher nicht nur äußeren Zugriffen entziehen, sondern muss zugleich immer schon als Strategie der Selbstversicherung gelesen werden, wodurch die eigenen Subjekt- und Machtansprüche Bestätigung erfahren mögen. Denn indem der Mensch dazu in der Lage ist, sich Schmerz und Verletzung gezielt auszusetzen, erweist er sich als bis zu einem gewissen Grad unabhängig von seinen sinnlichen Interessen und damit als im kantschen Sinne frei. Die „physischunberührbare Andersartigkeit der Vernunft“63, wie sie Pöpperl hinsichtlich des Erhabenen benennt, kann folglich auch im Kontext künstlerischer Selbstverletzung lediglich in der Negation des Körpers fühlbar werden. Hier wie dort dient diese Negation dazu, um über die Sinnlichkeit hinaus auf das Intelligible zu blicken. Die Verletzung der Sinnlichkeit wird folglich, in Kants Worten, für einen „übersinnlichen Gebrauch“64 nutzbar gemacht. So zeichnet sich EXPORTS Freiheitsbegriff, wie anhand zahlreicher Zitate aufgezeigt, gerade dadurch aus, dass der Mensch zur Distanznahme gegenüber seiner Faktizität fähig ist. Denn nur dadurch, so auch Schiller, könne „unser Geist frei bleiben, indem unsere Sinnlichkeit überwältigt wird“65. Auf diese Weise gewinnen jedoch wie im Erhabenen gerade das Scheitern der Sinnlichkeit und folglich auch der im Zuge dessen erlittene Schmerz eine konstitutive Funktion. Denn, so auch Schiller: „das Gemüt erweitert sich nur desto mehr nach innen, indem es nach außen Grenzen findet [Herv. i. O.]“66. Erst die Selbstnegation führt zum Bewusstsein der eigenen Potenzen, der Anspruch des Subjekts auf Selbstbestimmung findet lediglich in der Bereitschaft zum Opfer Legitimation. Dahingehend vermerkt auch Prammer in Bezug auf Eros/Ion: „Indem sie die Schmerzen und Verletzungen nicht mehr berühren/anrühren, gewinnt sie an geistiger Freiheit.“67 Das Überwinden der stromdurchflossenen Umdrahtung in Hyperbulie und Kausalgie kann somit sowohl als Demonstration der Willensstärke als auch als Geste der Distinktion verstanden werden. Indem EXPORT den Korridor in Hyperbulie schließlich wieder aufrechten Ganges verlässt, erweist sie sich zumindest temporär nicht nur gegenüber der Gesellschaft, sondern auch – und gerade – gegenüber ihrer eigenen Naturhaftigkeit als ,siegreich‘. Auf diese Möglichkeit, durch die Fähigkeit zur Selbstverletzung sich selbst sowie der ,Zeugenschaft‘ Publikum die Freiheit des Geistes respektive die Stärke
63
Pöpperl (2007), S. 130.
64
Kant (AA V / KdU), S. 267.
65
Schiller (1966), S. 61.
66
Schiller (1966a), S. 88.
67
Prammer (1988), S. 122.
VALIE EXPORT: KÜNSTLERISCHE SELBSTVERLETZUNG ALS AKT DER SUBJEKTWERDUNG | 181
des Willens zu demonstrieren und diese dadurch zugleich auch auszubauen, verweist EXPORT, wie aufgezeigt, wiederholt selbst. Ob als Wille, als Bewusstsein, als Person oder eben als Geist verstanden, immer wieder sind es jene ,geistigen‘ Vermögen des im schillerschen Sinne „nichtphysischen Selbst“68, welche als apriorische Bedingung von Freiheit und Subjektwerdung den Körper überwinden, beherrschen, aufgeben, ,eine Absage erteilen‘, ja, sogar auslöschen sollen. Denn erst der dadurch vollbrachte ,Beweis‘, nicht nur Körper zu sein, gewährleistet das Selbstverständnis eines freien Willenssubjekts und damit überhaupt erst den Anspruch, sich gesellschaftlichen Machtrelationen entziehen zu können. Die Wunde signalisiert damit einen trennenden Schnitt, über welchen sich das Subjekt von seiner Sinnlichkeit abzugrenzen und in dieser Abgrenzung zugleich seiner selbst zu versichern sucht. Diese Distinktion des Geistes von der Naturhaftigkeit des Menschen gewinnt in EXPORTS Arbeiten insofern besondere Relevanz, als sie programmatisch der historischen Gleichsetzung von Frau und Natur entgegengesetzt wird. Gerade vor dem Hintergrund dieser traditionellen Gleichsetzung, im Rahmen derer die Frau „geradezu ekstatisch als Körper gefeiert“69 wurde, soll die aggressiv gegen die eigene Natur gesetzte Negation dem Aufbrechen dieser folgenreichen Identifikation und der Befreiung der Frau aus ihrem Objektstatus dienen. So die Künstlerin: „In freier Verfügung über ihren Körper versucht die Frau, ihre Identität selbständig zu bestimmen: der erste Schritt vom Objekt zum Subjekt.“70 Der Verwehrung einer weiblichen Subjektivität wird folglich durch den Akt der Selbstverletzung der ,Beweis‘ entgegengestellt, dass auch EXPORT als Frau Subjekt sein kann. Die selbstbestimmte Negation der Natur vermag somit, wie auch insbesondere anhand Schillers Freiheitsphilosophie dargelegt, am radikalsten von dem dichotomen ,Anderen der Natur‘ Zeugnis abzulegen. Insofern appelliert die Künstlerin an „den Willen und Geist der Frau […], über ihre körperliche Fixierung zu steigen, den Ort der Unterdrückung hinter sich zu lassen“71. Denn „das Ich (seine Autonomie) [geht, R. B.] nur dann unter, wenn es sich mit dem Körper identifiziert hat, weil sich dann scheinbar das Ich mit Objekten vermischt“72. Das „Begehren der Frau nach Subjektwerdung“73 ist in der frühen aktionistischen Arbeit EXPORTS folglich unmittelbar an den Akt der
68
Schiller (1966), S. 60.
69
EXPORT (1991a), S. 211.
70
EXPORT (1980), S. 166.
71
Prammer (1988), S. 121.
72
EXPORT (1987), S. 41.
73
Weigel (1990), S. 22.
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Selbstverletzung, als die Fähigkeit, „über die körperliche Fixierung zu steigen“74, gebunden. Sowohl im Erhabenen als auch in EXPORTS Aktionskunst wird die Dominanz des Subjekts dadurch jedoch lediglich von einem „Standpunkt der Gewalt, der Macht und der Beherrschung aus artikuliert“75. 9.2.3.1 Exkurs: Künstlerische Selbstverletzung und die christliche Leidenstradition „Krank, verwundet und gefoltert sucht das moderne Genie in der Kasteiung seine neue Würde.“
76
Indem sowohl die kantsche respektive schillersche Ästhetik des Erhabenen als auch künstlerische Selbstverletzung das Leiden des Körpers funktionalisieren, um hierüber das ,Andere der Natur‘ in seiner Andersartigkeit zu erfahren und zu demonstrieren, weisen sie eine signifikante Nähe zu christlichen Konzepten und der auf diesen Konzepten basierenden Leidenstradition auf.77 Insbesondere die Ästhetisierung von Leid, wie sie sowohl Schillers Pathosidee inhärent ist als auch selbst verletzende Body Art zentral kennzeichnet, die oftmals stellvertretende Funktion des Opfers sowie dessen Freiwilligkeit und vor allem die dualistische Distinktion von der als unfrei wahrgenommenen eigenen Natur können, allen inhaltlichen Abweichungen zum Trotz, in den Kontext christlicher Traditionen gestellt werden. Denn gerade durch die christliche Aufspaltung in Seele und Leib wird die im Selbstopfer stattfindende Einheit von Verlust und Gewinn – versinnbildlicht in der Einheit von hostia und sacerdos, Gabe und Geber – in einer Person ermöglicht. Mehr noch, der Gewinn individueller Freiheit erscheint in der Nachfolge des Kreuzestodes Christi konstitutiv an den Verlust physischer Integrität gebunden; eine Dynamik, wie sie sowohl für die Ästhetik des Erhabenen als auch für künstlerische Selbstverletzung charakteristisch ist. Die Kontextualisierung mit christlicher Leidenstradition wird häufig von Künstler/-innen selbst hergestellt, indem sie sich in der Rolle des Märtyrers für die Kunst, des Schmerzensmannes, des aus der Gesellschaft Ausgestoßenen, des verkannten Sündenbocks oder auch des durch sein stellvertretendes Leiden Heilbringenden inszenieren, was sie entweder in Begleittexten explizit benennen oder aber wofür sie entsprechende Bild- bzw. Handlungstraditionen aufgreifen.
74
Prammer (1988), S. 121.
75
Peña Aguado (1994), S. 70.
76
Junod (1985), S. 72.
77
Vgl. hierzu Brucher (2008).
VALIE EXPORT: KÜNSTLERISCHE SELBSTVERLETZUNG ALS AKT DER SUBJEKTWERDUNG | 183
So lässt sich beispielsweise Chris Burden in der Aktion Trans-Fixed (1974) in Kreuzeshaltung auf die Motorhaube eines Volkswagens nageln, Ron Athey trägt eine Dornenkrone aus Injektionsnadeln (Four Scenes in a Harsh Life, 1994), Günter Brus posiert ebenfalls in Kreuzeshaltung und gruppiert um sich Verletzungsgegenstände, die an „moderne arma christi“78 gemahnen (Selbstverstümmelung 2, 1965), und Gina Pane gibt an, durch ihre Verletzungen kathartisch auf ihr Publikum einwirken zu wollen.79 Stellen auch weder EXPORT noch der im Anschluss behandelte Performancekünstler Stelarc ihre Arbeiten explizit in diese christliche Tradition, so lässt gerade die verweisende Funktion EXPORTS selbst verletzender Aktionen, wodurch sie den Anspruch erhebt, ,Aufklärung‘ und in einem zweiten Schritt eine Veränderung der Gesellschaft zu ermöglichen, diese im erweiterten Sinne als stellvertretende Opfer verstehen. Sowohl Christus als auch die sich selbst verletzende Künstlerin leiden folglich stellvertretend und repräsentativ zum Wohle anderer und letztlich, so der universale Anspruch, der gesamten Gesellschaft. Indem die Künstlerin gesellschaftliche Missstände ihrer Zeit benennt, trägt sie den visionären Schmerz der Heiligen, gerät aber zugleich unversehens in die Rolle des Sündenbocks, wie dies anhand juristischer Verfolgung, gezielter Verunglimpfungen in den Medien, wiederholter Drohanrufe u.Ä. zu Tage tritt. Doch auch diese gesellschaftlich schlechte Stellung sowie die daraus häufig hervorgehende finanzielle Not fügen sich nahtlos in den Mythos der Märtyrerin für die Kunst. So wie im Martyrium erst am geschundenen Leib die innere Haltung des Gläubigen nach außen sichtbar wird, kann darüber hinaus die künstlerische Unterwerfung des Körpers unter den eigenen Willen, wie aufgezeigt, ebenso als Strategie der Selbstversicherung gelesen werden. Sowohl im Aktionismus als auch in der religiösen Selbstgeißelung avanciert der Körper der Agierenden damit zum materialisierten Objekt, an welchem sich der Wille, der Subjekt ist, durch einen Akt der Distinktion erprobt. Dabei wandelt sich zugleich die passive Haltung des Erleidens mit dem Ertragen bzw. mit dem Überstehen schmerzhafter Proben in eine aktiv heroische der Selbstüberwindung. Liegen somit auch zentrale Analogien zwischen der Ästhetik des Erhabenen, der christlichen Leidenstradition und künstlerischer Selbstverletzung vor, so zeigen sich gerade in dem das Erhabene kennzeichnenden Fokus auf das menschliche Willensvermögen zugleich zwei wesentliche Differenzen, wie sie für die Neuzeit insgesamt charakteristisch geworden sind. Zum einen erkennt die
78
Loers (1988), S. 20.
79
Vgl. hierzu Künkler (1997).
184 | S UBJEKTERMÄCHTIGUNG UND N ATURUNTERWERFUNG
Absolutsetzung subjektiver Freiheit, welche Kants Erhabenheitsbegriff kennzeichnet, keine höhere Macht mehr an, derer sich der Mensch zu unterwerfen hätte. An die Stelle Gottes rückt folglich das hypostasierte Vernunftsubjekt; eine Entwicklung, wie sie sich auch innerhalb der Geschichte des Erhabenen zeigt. So kommt es im Zuge des von Kant initiierten Selbstbezuges des Ästhetischen sukzessive zur Verlagerung der vormals physikotheologisch gesetzten Erhabenheitsattribute Gottes auf das nunmehr selbst erhabene Subjekt80. Dementsprechend spielen die klassischen Formen des Erhabenen – das Heilige oder die Majestät Gottes – bei Kant nicht nur eine sehr periphere Rolle, sondern werden von ihm geradezu als ,vormoderne‘ Offenbarung menschlicher Schwäche gegenüber externen Kräften abgelehnt: „Mit dem bürgerlichen Stolz, der jenseits des vernünftigen sittlichen Selbstbewußtseins keine Instanz anerkennt, vor der es sich zu verneigen gelte, wird die religiöse Demut ausdrücklich als Beispiel einer falschen Erniedrigung des Menschen vor einem Erhabenen gedeutet, das erst durch Begriffsverwirrung und Projektion seinen grandiosen Schein erhalte.“81 Diese Subjektivierung des Erhabenen setzt jedoch die Fähigkeit voraus, sich dualistisch denken respektive wahrnehmen zu können. Dementsprechend stellt Hartmut Böhme fest: „Auf dieser Linie kann es Erhabenes nur als säkularisiertes Erbe geben: das Göttliche wird zum Attribut des Vernunft-Subjekts, das Dämonische zum Attribut des sinnlichen Ichs.“82 Die ,Erhebung‘ des Subjekts findet folglich über eine Annäherung an das Bewunderung auslösende Objekt bzw. an die dahinter gedachte Macht Gottes statt, die damit letztlich eine Ablösung erfährt. Im Rahmen dieser Identifikation, bei welcher sich die Seele „am erhabenen Objekt gleichsam in die Höhe zieht“83, schwelgt das Subjekt in einem „selbstverliebten Rausch“84.
80
Die physikotheologische Erhabenheitstheorie, wie sie sich etwa bei Shaftesbury oder Barthold Heinrich Brockes findet, vollzieht die Verknüpfung physikalischer Entdeckungen mit der Annahme eines göttlichen, über Sinn und Nutzen verfügenden Prinzips. Besonders als überdimensional aufgefasste Erscheinungen werden in der Folge mit der Größe und Allmacht Gottes gleichgesetzt und erfahren somit neben ihrem erschreckenden Gehalt auch eine positive Besetzung im Sinne einer religiöserhabenen Ordnung, wodurch der „kosmische Schrecken“ der Neuzeit ausgeglichen werden soll. (Begemann [1987], S. 141).
81
Böhme H. (1989), S. 121. Vgl. hierzu Kant (AA V / KdU), S. 263.
82
Böhme H. (1989), S. 121.
83
Begemann (1987), S. 147.
84
Ebd., S. 147.
VALIE EXPORT: KÜNSTLERISCHE SELBSTVERLETZUNG ALS AKT DER SUBJEKTWERDUNG | 185
Zum anderen geht mit diesem Bezug auf eine göttliche Instanz auch der Glaube an ein Leben nach dem Tod und damit an eine ,Erfahrbarkeit‘ von Transzendenz sukzessive verloren. Im Gegensatz zur christlichen Lehre, wo die Überwindung des Leibes in einer Teilhabe am Göttlichen münden soll, bleibt der neuzeitliche Mensch folglich im Moment der Selbstverletzung einzig auf sich zurückgeworfen. Denn wo Märtyrer/-innen noch auf eine Befreiung vom irdischen Fleische im Sinne einer Transzendierung desselben hoffen konnten, muss die auf der „Selbstkasteiung ohne Rechtfertigung durch ein jenseitiges Glücksversprechen“85 gründende Freiheit notwendig in einer Dialektik aus Selbstermächtigung und Selbstverlust verharren.
85
Schmidt (1986), o. S.
186 | S UBJEKTERMÄCHTIGUNG UND N ATURUNTERWERFUNG
9.3
Erhebung: Die Künstlerin als Souverän – „Ichfindung, Selbstwerdung“ 1 „[...] nur wenn die weibliche Identität sich vom Körper trennt und aufhört, sich auf den Attributen und Funktionen des weiblichen Körpers zu begründen [...], dann bricht die Blockade zusammen und die Frau (als Souverän) beginnt zu existieren.“2
Als letztliches Ziel ihrer frühen aktionistischen Arbeit definiert EXPORT wiederholt, wie aufgezeigt, die Subjektwerdung der Frau und damit die Möglichkeit zur freien Handlung. Bei der Frage, welcher Art dieses angestrebte Subjektmodell sei, soll abschließend entgegen der gängigen Lesart selbst verletzender Body Art, die insbesondere bei Künstler/-innen häufig eine Kritik abendländischer Subjektstrukturen annimmt3, noch einmal verdeutlicht werden, dass durch das unbedingte Festhalten an Freiheit gerade jene Strukturen aufrechterhalten bleiben, welche vordergründig Ablehnung erfahren mögen. Denn wenn EXPORT ihre Arbeit in erster Linie als „direkte prozesse zur befreiung der person, zur veränderung des menschen“4 begreift, so wird deutlich, dass der aufklärerische Freiheits- und Fortschrittsglaube, welcher vor allem das abendländische Subjekt kennzeichnet, ihrem aktionistischen Ansatz als zentrale Grundlage dient. Sowohl die Analyse der selbst verletzenden Aktionen als auch insbesondere jene der schriftlichen Stellungnahmen hatten gezeigt, dass für EXPORT weniger die Kritik am abendländischen Subjekt selbst als vielmehr an der Subjektivierungsverweigerung der Frau im Vordergrund steht. Anstatt folglich jenes Subjektmodell zu dekonstruieren bzw. dessen Problematik offenzulegen, ist sowohl
1
EXPORT (1987), S. 40.
2
Ebd., S. 41f.
3
So schreibt etwa Jones Künstlerinnen allgemein einen kritischeren Umgang mit Subjektkonstruktionen zu als ihren männlichen Kollegen, denn, so Jones: „women are continually forced to take account of their socially inscribed ,lack‘, their contingency on intersubjective relations with others, their subjection to the ,gaze‘, they have both a greater stake in challenging the myth of (male) subjective transcendence and a greater capacity to negotiate openly the inevitable incoherence of subjectivity.“ (Jones [1998], S. 171).
4
EXPORT (1973a), S. 57.
VALIE EXPORT: KÜNSTLERISCHE SELBSTVERLETZUNG ALS AKT DER SUBJEKTWERDUNG | 187
ihre künstlerische als auch theoretische Auseinandersetzung der frühen 70er Jahre durch einen Gestus der Aneignung dessen, was auf gesellschaftlicher Ebene sowie im theoretischen Diskurs gemeinhin Männern vorbehalten blieb, gekennzeichnet.5 Dieser Aneignungsprozess betrifft insbesondere den Anspruch, sich durch die Fähigkeit zur freien Willensäußerung und -entscheidung selbst zu definieren und als „Souverän“ setzen zu können. EXPORTS Ziel der Subjektwerdung als Frau strebt daher letztlich nach der Übernahme so genannter männlicher Tugenden, wie Eigenwille, Stärke und Selbstbehauptung, anstatt diese zu überwinden; Tugenden, welche in elementarer Weise die Fähigkeit, sich von der eigenen Naturhaftigkeit abgrenzen zu können, voraussetzen. Gerade dieses binäre Verständnis von Körper und Geist, wie es Kant und Schiller in Bezug auf das dynamisch-Erhabene elaborierten, wird bei EXPORT dementsprechend nicht nur aufgegriffen, sondern, indem es auf die Handlungsebene der Aktion übertragen wird, in radikaler Weise umgesetzt. Indem die Künstlerin folglich den Körper ihrem ,Selbst‘ konsequent als etwas „Auswärtiges und Fremdes“6 entgegengesetzt denkt und dieser Vorstellung durch den Akt der Selbstverletzung Realität verleiht, hält sie zugleich an der Idee fest, der Mensch sei mehr als bloße Natur und könne sich demgemäß von seiner Natürlichkeit durch eine Willenshandlung befreien. Damit wird wie bereits in Kants Ästhetik des Erhabenen gerade die Überwindung des Körpers für das Selbstgefühl, frei und willensfähig zu sein, konstitutiv. Die Freiheit des Subjekts ist somit wie auch in Kants und Schillers Ästhetiken sowohl Ziel als auch Voraussetzung gewaltsamer Selbstüberwindung. Erst in der Indifferenz gegenüber der physischen Integrität lässt sich die Selbstbestimmung des Individuums ablesen. Das aus dieser Selbstbestimmung resultierende Lustgefühl lässt sich in EXPORTS gesellschaftskritischen Aktionen als „Freude am eigenen Wider-
5
Dass dieser Aneignungsprozess in elementarer Weise auch die Ästhetik des Erhabenen selbst betrifft, welche historisch dem männlichen Prinzip zugerechnet wurde, während die Frau, als das ,schöne Geschlecht‘, Gleichsetzung mit dem Schönen erfuhr, liegt in Anbetracht der klassischen Attribute des Erhabenen – Verstand, Mut, ein edler Charakter etc. – auf der Hand. Die Exklusion der Frau aus der Sphäre des produktiven Geistes rechtfertigend, charakterisiert Kant diese vornehmlich durch Einfalt, Naivität, Schamhaftigkeit, Eitelkeit, Empfindsamkeit usw. und spricht ihr darüber hinaus die Voraussetzung für das Erhabene, nämlich die Empfänglichkeit für praktische Ideen, insofern ab, als er lakonisch bemerkt: „Ich glaube schwerlich, daß das schöne Geschlecht der Grundsätze fähig sei“ (Kant [AA II / Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen], S. 232).
6
Schiller (1966), S. 66.
188 | S UBJEKTERMÄCHTIGUNG UND N ATURUNTERWERFUNG
stand“ verstehen, als „Freude, Schmerz zu ertragen und zu überwinden, die Freude, den fremden Widerstand zu überwinden, den Verlust zu sehen und zu spüren und darüber lächeln“7. Diese Freude korreliert mit der für das Erhabene charakteristischen Begeisterung, als gefühlte Überlegenheit über die Natur. So beschreibt Kant in nahezu identischen Worten die aus einer erhabenen Haltung hervorgehende Lust als „Bewußtsein unserer Kräfte, jeden Widerstand zu überwinden“8. Wenn auch EXPORTS „Freude“ um die Dimension des Politischen erweitert ist, so rekurrieren folglich beide (ästhetischen) Empfindungen auf das Freiheitsbewusstsein des Menschen, als widerständiges Subjekt. Zudem scheint die von EXPORT zelebrierte „Souveränität eines ausgetragenen Schmerzes“9 Schillers Begriff der Würde, als „Ruhe im Leiden“10, verwandt. Findet durch diese in Gestalt der Verletzung vollzogene Selbstbestimmung über den Körper folglich, zumindest in EXPORTS Wahrnehmung, auch eine gewisse Relativierung von Fremdmacht statt, so kommt es dadurch zugleich zu einer Verschiebung der Aggressorrolle, indem nun die Künstlerin diejenige ist, welche die Natur dem eigenen Willen unterwirft. Ähnlich dem dynamischErhabenen, wo das Subjekt die übermächtige Natur nur solchermaßen zu relativieren vermag, als es deren Attribute scheinbarer Absolutheit und Allgewalt für sich selbst in Anspruch nimmt, kommt es folglich auch hier zu einer Identifikation mit der als Aggressor verstandenen Gesellschaft – präziser – mit dem jene Gesellschaft strukturierenden männlichen Subjekt, um sich dessen Macht anzueignen.11 Es findet daher letztendlich weniger die in den 1960er und 70er Jahren häufig proklamierte Befreiung des Körpers als vielmehr der Versuch einer Befreiung des Willenssubjekts anhand der selbstbestimmten Unterwerfung seiner eigenen Materialität statt. Bleibt auch die Ambivalenz dieser Dynamik nicht gänzlich unreflektiert, EXPORT verweist etwa selbst durch die Titelwahl
7
EXPORT (1980), S. 159.
8
Kant (AA V / KdU), S. 273.
9
EXPORT (1980), S. 144.
10
Schiller (1966b), S. 44.
11
EXPORT selbst räumt diesbezüglich ein: „Wenn schon pathologische Momente wie Selbsthaß, minderes Selbstbewußtsein, Identifikation mit Leid, Unterwerfung oder gar mit dem Unterdrücker aus solchen Aktionen interpretatorisch rezipiert werden, dann sind dies Momente der Wahrheit der Geschichte der Frau, so wahr, daß nicht einmal viele Frauen den Lack so gründlich abkratzen lassen wollen. Der Schein des belanglosen Glamours ist vielen lieber als die Souveränität eines ausgetragenen Schmerzes, als die schmerzliche Energie des Widerstandes. [Herv. i. O.]“ (EXPORT [1980], S. 143f.).
VALIE EXPORT: KÜNSTLERISCHE SELBSTVERLETZUNG ALS AKT DER SUBJEKTWERDUNG | 189
Hyperbulie auf den problematischen Aspekt einer solchen Willenssteigerung, so scheint der Künstlerin angesichts der vorherrschenden Ausgangslage diese gewaltsame Abgrenzung vom Körper alternativlos. Doch ebenso wie in Kants Erhabenem bleiben die Unlust respektive das physische Leiden auch im Moment der Selbsterhebung erhalten, ablesbar an der Präsenz des verwundeten Körpers. Damit illustriert künstlerische Selbstverletzung in radikal-konsequenter Weise die Paradoxie, welche dem Erhabenen innewohnt: Die Überwindung des Körpers und die Omnipräsenz desselben sind dialektisch miteinander verstrickt. Die für das dynamisch-Erhabene charakteristische Koinzidenz von Selbstaufhebung und Selbsterhebung findet folglich in VALIE EXPORTS Körperkunst radikale Aktualität. Die dem Erhabenen zugrunde liegende Paradoxie aus Freiheit und Unterwerfung kommt im Falle EXPORTS somit zweifach zum Tragen. Neben jener bereits bekannten Dialektik einer Freiheitskonzeption, die aufgrund der Unfreiheit des Körpers dessen gewaltsame Überwindung impliziert, wodurch das Individuum erhoben und unterworfen zugleich wird, findet sich in EXPORTS Arbeit auch ein Widerspruch zwischen der Kritik an dem männlich-erhabenen Vernunftsubjekt bei gleichzeitiger Affirmation des an diese Subjektkonstruktion gebundenen Freiheitsanspruchs. Diese radikale Affirmation von Freiheit, welche sich auch gegen den eigenen Körper richtet und diesen damit als bestimmbares Objekt festschreibt, setzt folglich dasjenige fort, was sie implizit ablehnt. Denn das eingangs zitierte Modell der „Frau als Souverän“, welche unabhängig vom Willen anderer über sich selbst verfügt und erst durch diese Freiheit ihre Würde erlangen kann, impliziert, dass Tendenzen jenes verfemten männlichhegemonialen Subjekts auf der Suche nach einer autonomen Identität übernommen werden. In dem Festhalten an selbstbestimmter Handlungspotenz erweist sich folglich die Widerständigkeit der abendländischen Freiheitskonzeption, welche insbesondere dann deutlich wird, wenn sich das Individuum eben dieser Freiheit und somit seines Subjektstatus’ enthoben wähnt. In diesem Sinne lässt sich künstlerische Selbstverletzung nicht nur im Zeichen Kants Ästhetik des Erhabenen, sondern auch als Reaktualisierung der dieser zugrunde liegenden Subjektstrukturen begreifen. Eine Dynamik, welche sich auch bei dem im Anschluss erörterten Künstler Stelarc, wenn auch hier in unterschiedlicher Ausformung, finden wird.
10. Stelarc: Der posthumane Körper „Aber wenn’s uns doch gelänge, abzuwerfen unsre Last, und wir stünden, als Gestänge in Gestänge eingepaßt, als Prothesen mit Prothesen in vertrautestem Verband, und der Makel wär gewesen, und die Scham schon unbekannt – würde dies uns noch beschieden, diese Gunst uns doch gewährt, ach, kein Opfer hiezunieden hieß uns ,Opfer unerhört‘.“1
Der australische Performancekünstler Stelios Arcadiou, bekannt unter dem 1972 gewählten Namen Stelarc, wurde 1946 in Limassol, Zypern, geboren. Bereits während seines Kunststudiums an der Monash University sowie an der Melbourne University for Art and Crafts wiesen seine Arbeiten eine große Affinität zu technologischen Experimenten sowie der Bezugsetzung von Körper
1
An die Zahnräder. Aus den Molussischen Industriehymnen; zit. nach Anders (2010), S. 36. Günther Anders erfindet Molussien und folglich dessen Hymnen in seinem Roman Die molussische Katakombe, der sich unter dem Deckmantel eines exotischen Südseelandes mit den psychologischen Mechanismen befasst, die zum Nationalsozialismus geführt hatten. Der in den 1930er Jahren entstandene Text wurde erst 1992 publiziert.
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und Technik bzw. medizinischen Instrumenten auf, was in frühen MultimediaEvents seinen Ausdruck fand. Mit ersten Performances beginnt der Künstler, wie auch VALIE EXPORT, Ende der 1960er Jahre, wobei auch er von Beginn seiner künstlerischen Tätigkeit an den eigenen Körper ins Zentrum seiner Arbeiten stellt. Anders jedoch als die österreichische Künstlerin interessieren ihn weniger dessen soziale bzw. machtkonstitutive Dimensionen, von welchen er sich – ganz im Gegenteil – wiederholt mit Behuf auf einen lediglich poetischen respektive wissenschaftlichen Möglichkeitsraum abzugrenzen sucht. Stattdessen intendieren seine Arbeiten die performative Erkundung sowie Hinterfragung der biologischen Beschaffenheit und damit zugleich Begrenztheit des Körpers.2 Der Versuch, diese Grenzen des Humanen sichtbar zu machen, um sie dann in einem zweiten Schritt zu überschreiten, zeichnet seine künstlerische Tätigkeit von Beginn an aus.3 Hierzu setzt er ab Anfang der 70er Jahre medizinische Messgeräte wie EEG, EKG oder auch EMG in seinen Performances ein, wobei die gemessenen Körperwerte visualisiert sowie in Soundsignale umgewandelt werden; Aktionselemente, die der Künstler bis in die Gegenwart beibehalten wird. Diese Amplified body events, welche ab Mitte der 70er Jahre auch mit anderen Projekten, wie etwa The Third Hand, kombiniert werden, kommen über Australien hinaus auch in Japan, wohin Stelarc seine künstlerische Tätigkeit in den folgenden Jahren weitgehend verlagern wird, bzw. den USA zur Durchführung. 1973 überschreitet der Künstler im Zuge seiner programmatischen Erforschung physischer Vorgänge erstmals die Grenze zum Körperinneren, als er beginnt, in etwa 15-minütigen 16 mm Filmen Magen, Lunge und Dickdarm mittels medizinischer Geräte4 sowohl visuell als auch akustisch zu erkunden. Dabei gilt es auch hier in einer Strategie der Sichtbarmachung und Enttabuisierung jene gemeinhin verborgenen Bereiche des Körpers von ihrem Nimbus des Unbekannten zu befreien. Anders jedoch als
2
So der Künstler: „[…] there was a general interest in evolution, and how the forms and functions of the body evolved to this point of complexity, and how we might be predisposed to behave or think in particular ways“ (Farnell [2000], S. 131).
3
Dies etwa indem er beispielsweise versucht, die herkömmlichen Sinneswahrnehmungen mittels technischer Komponenten zu erweitern. Auf diese frühen Arbeiten Bezug nehmend, stellt Stelarc fest: „The first things I made in art school were helmets and goggles that altered your binocular perception which stylistically has this connection with virtual reality head-mounted displays and compartments which were whole body pods that you sort of plugged you whole body into, and that was assaulted by electronic sounds and lights.“ (Atzori/Woolford [1995], o. S.).
4
Filming the inside of the body (1973-75), Tokyo.
S TELARC : D ER POSTHUMANE K ÖRPER
| 193
beispielsweise der Wiener Aktionist Günter Brus, welcher der Unkenntnis über den eigenen Leib sein radikales Konzept der Körperanalyse entgegenstellte und dafür nicht nur mittels Schnitten das Körperinnere freilegte, sondern auch diverse Körperausscheidungen in seine Aktionen einbezog, inszeniert Stelarc seine Arbeiten stets als klinisch ,saubere‘, wissenschaftliche Untersuchungen bzw. Experimente. Beinahe zeitgleich zu dieser künstlerisch-medizinischen Invasion, welche unter dem Aspekt des gewaltsamen Vordringens in den Körper bereits als tendenziell verletzend angesehen werden kann, kommt es in Stelarcs Arbeiten auch zu ersten Momenten der gezielten Selbstverletzung. In Performances, welche von 1972-1979 als sensory-deprivation events stattfinden, spielen insbesondere so genannte Endurance-Phasen eine wesentliche Rolle, wobei über den bloßen Verzicht hinaus auch schon erste konkrete Körperverletzungen, wie beispielsweise das Vernähen der Lippen, erprobt werden. Bereits diese frühen Eingriffe in den Körper werden nicht vom Künstler selbst durchgeführt, sondern an medizinisches Personal ausgelagert, was den Eindruck eines klinischen Versuchs verstärkt. Auch andere Aktionen dieser Zeit, wie etwa das 1976 in Mexico City durchgeführte Event for Penetration/Extrapolation, wo der Künstler eine 5 mm dicke und 1,75 m x 1,75 m große Glasplatte mit seinem Körper durchbricht und sich dabei wohl die eine oder andere Schnittverletzung zuzieht, werden gezielt als Experimente inszeniert. So werden im Zuge der Aktion Messdaten – das Körpergewicht, die Geschwindigkeit des Körpers sowie das Gewicht im Moment des Aufpralls – erhoben und in der Aktionsbeschreibung festgehalten. Mit dieser ,Selbstdefinition‘ seiner Arbeiten versucht Stelarc nicht nur deren Rezeption zu beeinflussen, so lehnt er beispielsweise die immer wieder an ihn herangetragenen Bezugsetzungen zu dem Bereich des Masochismus oder auch zu Schmerz5 ritualen kategorisch ab , sondern auch sich von der Tradition der selbst verletzenden Body Art zu distanzieren. Stelarc versteht sich explizit nicht als so genannter Künstlermärtyrer, der durch sein stellvertretendes Leiden eine wie auch immer geartete Katharsis für sich und sein Publikum bewirken will; überhaupt rückt die für die Body Art generell wesentliche Frage der Wirkungsästhetik in seinen Arbeiten weitgehend in den Hintergrund. Viele Performances finden ohne oder lediglich mit zufälligem Publikum, allein mithilfe eines
5
So Stelarc: „Although the suspensions deal with the physical difficulty of the body strung up they have neither religious intent (transcending the body) nor the yearning for shamanistic empowering. They are realised with neither the intention of initiation rites nor the S&M exploration of pain and pleasure.“ (Stelarc [2005], o. S.).
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Assistent/-innenteams, welches die ,Versuchsanordnung‘ quasi überwacht, statt. Der Umstand, dass Stelarc bereits früh beginnt, seine Performancearbeit durch über den kunstuniversitären Bereich hinausgehende Vortragstätigkeit zu ergänzen, zeugt darüber hinaus von seinem Bemühen, seine künstlerische Tätigkeit in den Kontext von Wissenschaft und Forschung zu stellen.6 Internationales Aufsehen erregt Stelarc schließlich mit seinen bis heute wohl bekanntesten Arbeiten, den so genannten Body Suspensions, Aktionen, in denen er sich in Galerien, auf Straßen, in der Natur sowie in sonstigen Settings, wie beispielsweise einem Fahrstuhlschacht, aufhängen lässt. Verwendete er hierfür zunächst noch Seile und Gurte, so geht er ab 1976 dazu über, diese Aufhängungen mittels durch seine Haut gestochene Fleischerhaken vorzunehmen.7 Zu den spektakulärsten dieser Events for stretched skin zählen die Arbeiten Street Suspension (1984), bei welcher der Künstler in zwölf Metern Höhe über der New Yorker East 11th Street zwischen zwei Häuserblocks aufgehängt wird8, sowie City Suspension, die er 1985 in Kopenhagen durchführt. Hier lässt sich Stelarc von einem Kran für 30 Minuten in 56 Meter Höhe heben, wo er, Wind und Wetter ausgesetzt, über dem Royal Theatre 4-mal in 180 Grad-Drehungen kreist. Das auch diesen Arbeiten zugrunde liegende Wechselspiel aus Begrenztheit und gleichzeitiger Grenzüberschreitung wird in der Folge zur elementaren Basis von Stelarcs performativen Arbeiten. Zwecks dieser Transgression biologischer Begrenztheit beginnt der Künstler bereits zeitgleich zu den Suspensions seine Vision des Posthumanen zu entwi-
6
Als Zeichen dieser angestrebten Schnittstelle ist auch Stelarcs 1997 erfolgte Ernennung zum Professor of Arts and Robotics an der Carnegie Mellon University, Pittsburg zu sehen.
7
Diesen Schritt begründet der Künstler wie folgt: „[…] all the ropes and harnesses were seen more to support the body than to suspend it, so when I first came across the notion of piercing the skin, I thought, if you could suspend the body using techniques like these, then you would have a minimum of support, you’d have just the insertion and single cable“ (Atzori/Woolford [1995], o. S.).
8
Stelarc fasst die von der New Yorker Mo David Gallery gesponserte Arbeit wie folgt zusammen: „Street Suspension was done without city or police permission. This necessitated doing the preparations in a 4th floor room in private. A cable had been stretched to the building on the opposite side of the street. When the body had been hooked up it was attached to a pulley structure which allowed it to emerge through the window and roll along the cable stopping about half-way across the street. An event that was supposed to last for approximately 30 minutes was stopped by police after only 12 minutes.“ (Stelarc [2005], o. S.).
S TELARC : D ER POSTHUMANE K ÖRPER
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ckeln und hierzu seinen Körper mit Technologie in Verbindung zu setzen. Dabei ist ihm stets daran gelegen, seine Arbeiten, die er mehr als Kollaborationen, denn als individuelles Künstlertum versteht, mit den neuesten Entwicklungen der Robotik, der Computertechnologie oder auch der apparativen Medizin zu kombinieren. Hierfür arbeitet er nicht nur mit renommierten Forschungsinstituten zusammen, so etwa dem Tokyo Institute of Technology oder der Waseda University, sondern wird auch von diesen in seinen kostspieligen Arbeiten finanziert. Von Mitte der 1970er bis Ende der 1990er Jahre entstehen Projekte wie The Third Hand (1976-1981), The Third Arm (1991-1994) oder Exoskeleton (1998), wobei stets die Erweiterung des Körpers hin zu einer funktionalen Symbiose von Körper und Technik im Zentrum steht. Neben diesen technologischen Erweiterungen beginnt sich Stelarc mit den Möglichkeiten des Internets sowie virtueller Realität (VR) auseinanderzusetzen. In der Performance-Serie Fractal Flesh, Ping Body und Parasite Visions (19951998) lässt sich der Künstler von einem via Internetsignale betriebenen MuskelStimulations-System lenken. Mit VR arbeitet beispielsweise das Virtual Arm Project (1992-93), wo die Bewegungsabläufe des realen Arms auf einen über einen Datenhandschuh gesteuerten, virtuellen Arm in Echtzeit übertragen werden. In Movatar (2000) wird der Künstler, der via Computer mit einem intelligenten Avatar vernetzt ist, von diesem navigiert. Diese Hinwendung zur virtuellen Realität hat zur Folge, dass der reale Körper des Künstlers in den letzten Jahren zunehmend in den Hintergrund geraten bzw. gänzlich aus seinen Arbeiten verschwunden ist. Für Prosthetic Head (2002) diente er beispielsweise lediglich noch als Vorlage, nach welcher Stelarc einen virtuellen, dreidimensionalen Kopf seiner selbst entwerfen ließ, der, ausgestattet mit rudimentärer künstlicher Intelligenz, in der Lage war, mit dem Publikum zu interagieren. Seit 2008 dient ihm die 3D-Welt Second Life als Plattform seiner 9 Performances.
9
Eine ,Rückkehr‘ des Körpers findet in der zusammen mit der Künstlerin Nina Sellars 2005 durchgeführten Arbeit Blender statt, für welche sich beide Künstler/-innen im Vorfeld einer Liposuction unterzogen. Die daraus hervorgegangenen 4,6 Liter Flüssigkeit wurden in einem eigens dafür angefertigten 1,6 m hohen Blender, der in der Meat Market Gallery B in Melbourne ausgestellt war, alle fünf Minuten mit Luft durchsetzt und durchgemixt. Im März 2012 führt Stelarc erneut eine Suspension durch: In Ear On Arm Suspension lässt sich der Künstler in den SCOTT LIVESEY GALLERIES, Australien über einer mit Ohr ausgestatteten Armskulptur, die auf sein gleichnamiges Projekt aus dem Jahr 2003 rekurriert, aufhängen.
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Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Stelarc ist auffällig häufig durch persönliche Stellungnahmen gekennzeichnet, wodurch sich, verallgemeinernd gesprochen, zwei ,Lager‘ ergeben: Befürwortung seiner Kunst sowie Kritik an dieser. Während Erstere die Innovativität seiner Ansätze, insbesondere seines Körperbegriffs, die Konsequenz in der Vermittlung von Kunst und Technologie, die Öffnung des Körpers zur Schnittstelle sowie nicht zuletzt das Überwinden tradierter Binaritäten, wie Subjekt/Objekt oder Identiät/Alterität, positiv hervorheben (Goodall [2005], Gržinić [2002]), werden auf der anderen Seite gerade das Aufrechterhalten der transzendenten Trennung von Körper und Geist, die vermeintliche Nähe zu faschistischem Gedankengut, der unreflektierte Phallozentrismus sowie die Mißachtung und Preisgabe des humanen Körpers kritisiert (Dery [1996], Marsden [1996], Virilio [1996], Jones [2005]). Die jeweiligen Tendenzen betreffen meist Stelarcs Werk als Ganzes, was insofern nicht erstaunt, als der Künstler selbst die verschiedenen Aktionsformen unter sein Gesamtkonzept des Posthumanen stellt, auf welches, seiner Ansicht nach, sowohl seine frühen Suspensions als auch seine späteren Internet-Performances gleichermaßen hinausliefen. Für die konkreten Fragestellungen der vorliegenden Auseinandersetzung greifen jedoch beide Rezeptionsansätze in der Regel insofern zu kurz, als sie Fragen nach dem Subjekt, nach Freiheit und Sterblichkeit entweder unbehandelt lassen oder, aufgrund ihrer Einseitigkeit, den Unebenheiten in den Arbeiten und theoretischen Kommentaren des Künstlers nicht gerecht werden.10 So scheint die oben angeführte Kritik an Stelarcs Konzept eines über seine Natur herrschenden Subjekts zwar mitunter berechtigt, diese muss aber einseitig und letztlich oberflächlich bleiben, wenn sie Aspekte seiner Arbeit, welche gerade dieses Subjekt zu unterlaufen suchen, unberücksichtigt lässt. Umgekehrt folgen die Befürworter/-innen seiner Kunst bei Fragen nach der Subjektkonstitution bzw. dem Herrschaftsverhältnis von Körper und Geist oft allzu unkritisch der Selbsteinschätzung des Künstlers und gewähren dadurch weder berechtigter Kritik noch von dieser Selbsteinschätzung abweichenden Interpretationen Raum. Hinzu kommt, dass der Großteil der wissenschaftlichen Auseinandersetzung erst in den 1990er Jahren einsetzt, sodass Stelarcs frühe, auf gezielter Selbstverletzung basierende Aktionen sowie prothetische Performances
10
Ausnahmen hierzu stellen die Auseinandersetzungen von Kerstin Evert, Wolf-Dieter Ernst und Markus Brunner dar, welche sich in einzelnen Aufsätzen oder Abschnitten ihrer Dissertationen mit Stelarc befassen. Das Paradox aus Selbstaufgabe und Ichstärkung sowie dessen Zusammenhang mit Stelarcs Konzept des posthumanen Körpers spielen jedoch auch hier lediglich eine periphere Rolle. Vgl. Evert (2003); Ernst (2003); Brunner (2009).
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häufig ausschließlich aus der gegenwärtigen Perspektive der InternetPerformances analysiert werden, wodurch man sie jedoch ihrer Eigenständigkeit beraubt. Entgegen diesen Tendenzen soll im Folgenden dem Gesamtspektrum der stelarcschen Aktionsformen eigenständig Raum gegeben werden. Dabei gilt es nicht nur zu verdeutlichen, dass Stelarcs Subjektbegriff, vor allem aber die Strategien, dieses Subjekt zu konstituieren, im Laufe dessen künstlerischer Entwicklung unterschiedliche Formen angenommen hat, sondern die folgende Analyse versucht darüber hinaus, gerade den sich daraus ergebenden Widersprüchen zwischen Subjektkritik und Subjektaffirmation innerhalb der unterschiedlichen Aktionsformen auf den Grund zu gehen. Unter Bezugsetzung zu Kants Ästhetik des Erhabenen und dessen Struktur aus Gefährdung, Aufopferung und Erhebung soll dabei aufgezeigt werden, dass auch Stelarcs Arbeiten eine hierzu analoge Dynamik zugrunde liegt, im Rahmen derer sich das Individuum lediglich durch einen Gestus der gewaltsamen Distinktion der Unfreiheit und Ohnmacht seiner Physis zu entziehen hofft. Wie auch im kantschen Erhabenen ist dieses Moment der Aufopferung damit Folge einer als unmittelbare Gefährdung erlebten Krise, welche auch hier zuvorderst auf die leibliche Bedingtheit des Menschen zurückzuführen ist. Die daraus erwachsende dualistische Aufspaltung von Natur und Freiheit, welche Stelarcs Werk zentral durchzieht, mündet schließlich trotz intendierter Aufgabe des individuellen Subjekts in der Festigung abendländischer Subjektstrukturen, was abschließend dargelegt werden soll. Demgemäß wird ebenso in dieser zweiten exemplarischen Künstleranalyse hinsichtlich der Kapitelaufteilung der bei Kant vorgefundenen Dreiteilung aus Gefährdung, Aufopferung und Erhebung Folge geleistet.
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10.1 G EFÄHRDUNG : „THE BODY IS OBSOLETE“ 1 „As with all fantasies of transcending the body, the fear of death is the most powerful motivating factor.“
2
Der Körper in seiner Begrenztheit respektive die Auslotung und schließlich Erweiterung dieser Grenzen sind von Beginn an zentrale Schwerpunkte Stelarcs künstlerischer Tätigkeit. Hatte VALIE EXPORT in ihren Arbeiten die Physis als primären Bereich gesellschaftlicher Fremdbestimmung ausgemacht und sie aufgrund dessen als „Ort des Todes“ gewertet, zugleich jedoch ihre reale Todesverfallenheit weitgehend unthematisiert gelassen, so setzen sich die performativen Arbeiten Stelarcs elementar mit der Sterblichkeit des Menschen auseinander. Der Einsicht folgend, dass der Mensch erst dann wahrhaft frei sein könne, wenn er den Tod besiegt habe, dienen diese dabei stets auch der Erprobung von Lebensverlängerungstechnologien. Damit stehen sie der zentralen Thematik des kantschen und vor allem des schillerschen Erhabenen, nämlich dem letztlich unauflösbaren Konflikt aus Freiheit und Tod, näher, als dies bei EXPORT der Fall war. Nichtsdestotrotz finden bei Stelarc Fragen der Subjektivität und der menschlichen Freiheit im Vergleich zu den Schriften der österreichischen Künstlerin meist lediglich indirekt Erwähnung bzw. diese werden mit dem Verweis auf deren angebliche Überholtheit sogar gezielt übergangen. Diese Diskrepanz mag darauf zurückzuführen sein, dass Stelarc sowohl in seinen Performances als auch vor allem in seiner theoretischen Auseinandersetzung weniger das hier als Gefährdung gefasste Moment der Unfreiheit oder den als verletzend erfahrenen Status quo fokussiert, wie dies maßgeblich bei EXPORT der Fall war, sondern in einer scheinbar uneingeschränkten Fortschrittsgläubigkeit die aktuell noch vorhandenen ,Schwächen‘ des Körpers stets unter dem Blickwinkel ihrer Überwindung denkt. Durch diese zukunftsoptimistische Perspektive rückt nicht nur jene erste Phase der Gefährdung als explizites Thema im Vergleich zu EXPORT in den Hintergrund, auch jene zweite Phase der Aufopferung verliert dadurch an unmittelbarem Zerstörungspotenzial, worauf es später zurückzukommen gilt. Nichtsdestotrotz bleibt die gegenwärtig noch vorhandene „terrible weakness“3 des Humanen als quasi Negativum oder auch als ,Motor‘ des Fortschritts, d.h. als dasjenige, was Stelarcs Konzept des Post-
1
Stelarc (1991), S. 591.
2
Jones (2005), S. 116.
3
Stelarc (1999), o. S.
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humanen in erster Linie zu überwinden strebt, implizit und zum Teil auch explizit, wie der nachfolgende Abschnitt zeigen soll, in allen Arbeiten des Künstlers präsent. Ließ sich anhand der Analyse der Unlust im dynamisch-Erhabenen aufzeigen, dass diese primär auf der Selbstwahrnehmung als hinfällig und verletzlich basiert, d.h. auf der seit Anbeginn der Philosophie häufig beklagten Verdammnis der Zeitweiligkeit, so wertet hierzu analog auch Stelarc die menschliche Natur insofern als immanente Bedrohung, als sie organisch, folglich zellulär instabil und damit immer schon defizitär ist. Insbesondere die allem Lebendigen unhintergehbar anhaftende Todesverfallenheit, die den Menschen zunächst zu schmerzvollen Krankheiten, zum Altern und schließlich zur finalen Auslöschung zwingt, ist es, welche Stelarc dabei als zentrales Übel des Organischen hervorhebt. Diese begrenzte „durability“4 der menschlichen Natur bzw. der Natur generell, als ,Zentralproblem‘ der Neuzeit, bleibt hier jedoch nicht wie noch bei Kant und Schiller unausgeführtes Faktum und Fatum, sondern wird Stelarcs Wissenschaftsaffinität gemäß auf ihre zentralen Nenner gebracht: Mutationsanfälligkeit, Organabnutzung, Instabilität des Immunsystems, Abhängigkeit von Nahrungs- bzw. Sauerstoffzufuhr und vor allem die Unfähigkeit des Körpers zur modularen Substitution weisen diesen als mangelhaft aus. Dahingehend erläutert der Künstler: „The body is neither a very efficient nor a very durable structure. It malfunctions often and fatigues quickly; its performance is determined by its age. It is susceptible to disease and is doomed to a certain and early death. Its survival parameters are very slim – it can survive only weeks without food, days without water and minutes without oxygen. The body’s LACK OF MODULAR DESIGN and its overreactive immunological system make 5
it difficult to replace malfunctioning organs.“
Neben dieser mangelhaften evolutionären Grundausstattung erweisen sich die Natur und folglich auch der Körper als in hohem Maße unberechenbar und daher auch unkontrollierbar. Die aus dieser unzureichenden „internal surveillance“6 erwachsende Angst vor Kontingenz und Kontrollverlust manifestiert sich in Bildern von unregulierbarer Zellteilung, von „krebsartige[n] Wucherungen oder verstopfte[n] Gefäße[n]“7. Das existenzielle Grauen des selbstbestimmten
4
Stelarc (1991), S. 593.
5
Ebd., S. 591.
6
Zylinska (2002), S. 128.
7
Landwehr (1998), o. S.
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Subjekts vor dem „Schlund des zwecklosen Chaos der Materie“8 ist folglich auch in Stelarcs Texten präsent. Vitalität und Mortalität sowie sämtliche dieser ,großen Schwäche‘ untergeordneten Teilaspekte der Abnutzung scheinen unauflösbar miteinander verbunden. In Folge dieses organischen Defizits ist der biologische Körper darüber hinaus auch als funktionales Werkzeug weder „robust noch verlässlich“9. Er ist bereits im gesunden Zustand in seinen Funktionen beschränkt, ermüdet schnell und seine „genetischen Mängel“10 lassen nur sehr geringe Einsatzmöglichkeiten unter extremen Lebensbedingungen, wofür der menschliche Körper definitiv „biologically ill-equipped“11 ist, zu. Wie letztlich auch bei EXPORT, wenn auch unter einem anderen Gesichtspunkt, erscheint der Mensch damit als Gefangener seines Körpers bzw. dessen ,biologischen Programms‘, was seine Selbstdefinition als autonomes Subjekt unterläuft. Die Unlust, die daraus resultiert, verweist analog zum dynamisch-Erhabenen auf die Begrenztheit des Wollens. Unterscheidet sich somit der sowohl bei Kant und Schiller als auch bei Stelarc beschriebene „Schmerz eines unaufhebbaren Mangels“12 auch in der hierfür verwendeten Begrifflichkeit sowie in der Auswahl der entworfenen Todesszenarien, statt der tobenden See droht dem Menschen in Stelarcs Entwurf beispielsweise die Konfrontation mit kosmischer Strahlung, so ist das, was hier wie dort den Menschen existenziell bedrängt, letztlich doch identisch: Es ist das Bewusstsein sterben zu müssen, welches in der Gegenwart nicht nur nicht an Schrecken verloren zu haben scheint, sondern, folgt man Webers Zeitbefund, dass der säkularisierte Mensch dem Tod keinerlei tieferen Sinn mehr abgewinnen könne13, nun gänzlich auf einen sinnentleerten Vernichtungsakt blickt. Dahingehend klagt der Künstler: „It struck me recently in a very profound way that with our present genetic coding and cell structure, our body is truly a death machine/a programmed self-destruct mechanism/a super-deadly slow motion suicide system. To exist means sure death – unless we can reprogram our genetic structure.“14 Trotz dieser weitgehenden Analogie findet sich in Stelarcs Auseinandersetzung eine zentrale, das Selbstgefühl der Unzulänglichkeit zusätzlich verstärk-
8
Kant (AA V / KdU), S. 452.
9
Stelarc (1996), S. 78.
10
Ebd., S. 73.
11
Stelarc (1991), S. 591.
12
Lyotard (1994), S. 90.
13
Weber (1959), S. 17.
14
Stelarc in einem Brief an Ken Scarlett; zit. nach Paffrath (1984), S. 8.
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ende Dimension, welche nicht nur charaktergebend für sein künstlerisches Schaffen geworden ist, sondern darüber hinaus, liest man Stelarc mit Kant, dem Natur-Kultur-Konflikt des Erhabenen eine neue Facette hinzufügen kann. Es ist dies die Konfrontation des Mängelwesens Mensch (Gehlen)15 mit der scheinbaren Perfektion und Omnipotenz seiner Artefakte; hier, mit der von ihm kreierten Maschinenwelt, welche damit wie die scheinbar allgewaltige Natur bei Kant zum Sinnbild des Erhabenen avanciert. Denn es ist erst diese Konfrontation, die den technikaffinen Künstler seinen Leitspruch „THE BODY IS OBSOLETE“16 wählen lässt, welchen er in seiner über 40-jährigen performativen Tätigkeit nicht nur künstlerisch zu veranschaulichen, sondern auch in zahlreichen Vorträgen, Manifesten, Seminaren und Interviews unermüdlich zu erläutern sucht. Das Wechselverhältnis von Mensch und Maschine bzw. Gerätschaft im Allgemeinen, welches sich einerseits in der Nachfolge Rene Descartes’ in einer konsequenten Materialisierung und Mechanisierung der menschlichen Physis niederschlug17 und andererseits zu einer Anthropomorphisierung von maschinellen Vorgängen führte18, ist von Beginn an durch Momente des Leistungsvergleichs gekennzeichnet; ein Konflikt, der spätestens mit der industriellen Revolution in ein kompetitives Machtverhältnis mündete. Dies insbesondere als die Entwicklung technischer Werkzeuge, folgt man Kulturtheoretikern wie Freud, Gehlen oder auch McLuhan, als erste kulturelle Taten ab ovo der Ausdehnung, Vervollkommnung, ja, der Transgression des menschlichen Körpers19 dienten. Damit verweise jedoch ihre auf Erweiterung des Humanen ausgelegte Funktionalität immer schon auf die Begrenztheit des Menschen bzw. – mehr noch – indem die Technologie diese biologische Begrenztheit prothetisch erweitere, habe sie den realen Körper zugleich sukzessive verdrängt; ein Vorgang, für
15
Gehlen hatte in seiner Definition des Menschen als Mängelwesen darauf hingewiesen, dass dieser eben aufgrund seiner Defizite, da er keinen spezifischen Umweltbedingungen angepasst sei, Werkzeuge benötige, um diese biologischen Mängel auszugleichen. Vgl. Gehlen (1986).
16
Stelarc (1991), S. 591.
17
So beschrieb Descartes beispielsweise den menschlichen Wahrnehmungsapparat als eine Maschine, welche nach den Gesetzen der Geometrie, der Mechanik sowie der Optik funktioniere und durch dem Geist eingeborene Ideen (ideae innatae) gesteuert würde. Bereits Leonardo hatte zuvor den Körper als Maschine mit Hebeln und Scharnieren illustriert.
18
Vgl. Metken (1999).
19
Vgl. Freud (1994); McLuhan (1968).
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welchen McLuhan bezeichnenderweise den Terminus „Amputation“ wählte. 20 Durch dieses Wechselspiel aus Extension und Amputation habe jedoch die im Laufe der Kulturentwicklung immer weiter vorangetriebene Technologisierung, so auch Technikkritiker wie Günther Anders oder Paul Virilio, den Abstand zwischen den menschlichen Fähigkeiten und jenen der Gerätschaft sowie die damit einhergehende Verwiesenheit auf diese in einer Weise vergrößert, dass sich der Mensch nun permanent mit seiner Mangelhaftigkeit konfrontiert sehe; eine Wechselwirkung, die im ausklingenden 20. Jahrhundert notwendig an Brisanz gewinnen musste. Denn entsprechend der konstitutiven, da auf dem ökonomischen Wechselverhältnis von Leistungssteigerung und Inferiorität beruhenden Kompetition von Mensch und Maschine, musste das daraus hervorgehende Selbstgefühl als defizitär und ineffizient proportional zu der Komplexität und Leistungsfähigkeit der sich rapide weiterentwickelnden Technologie zunehmen. Angesichts des Tempos, der Kraft und der Präzision der Maschinen empfinde der Mensch eine, so Anders, „prometheische Scham“21. Diese „Scham vor der ,beschämend‘ hohen Qualität der selbstgemachten Dinge“22 sei, nach Ansicht des Philosophen, im 20. Jahrhundert angesichts der stetig wachsenden „A-synchronisiertheit des Menschen mit seiner Produktwelt“23 zu einem Leiden gesamtgesellschaftlichen Ausmaßes angewachsen. Über das prinzipielle Leiden an der Sterblichkeit hinaus ist es vor allem diese „Erfahrung seines eigenen Körpers als Störfaktor und mangelhaft angesichts technischer Perfektion, Effizienz und Haltbarkeit“24, die Stelarcs Werk zentral bestimmt. „[I]ntimidated by the precision, speed and power of technology“25,
20
So beschreibt der Medientheoretiker Marshall McLuhan, auf welchen sich Stelarc wiederholt explizit bezieht, in seinem Werk Understanding Media. The Extensions of Man (1964) Werkzeuge und technische Errungenschaften als Entäußerungen und folglich Erweiterungen des Körpers, mit welchen der Mensch den steigenden Anforderungen seiner Umwelt gerecht zu werden versuche. Durch solche Entäußerungen werden dem Körper jedoch zugleich diese Teile „amputiert“. Das Internet sowie der Computer überhaupt, als vorläufige Höhepunkte dieser Entwicklung, stellten demnach eine Veräußerung des Gehirns dar, da dieses im Informationszeitalter nicht mehr in der Lage sei, die Quantität sowie die Qualität der akkumulierten Daten adäquat zu verarbeiten.
21
Anders (2010), S. 21.
22
Ebd., S. 23.
23
Ebd., S. 16.
24
Preckel (2007), o. S.
25
Stelarc (1991), S. 591.
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wird sich der Mensch, der aufgrund seiner evolutionären Statik mehr und mehr hinter das ihn umgebende System aus Technik zurückfällt, zunehmend seiner Minderwertigkeit respektive seiner Obsoleszenz bewusst.26 Wird dabei in Stelarcs Auseinandersetzung vordergründig auch weniger die Vulnerabilität des Körpers fokussiert als vielmehr dessen Ineffizienz, seine Störanfälligkeit sowie seine fehlende Ausdauer, ergo sein ,mangelhaftes Design‘ hinsichtlich Leistungsfähigkeit und funktionaler Nutzbarkeit, so sind es doch insbesondere die Vergänglichkeit des Organischen bzw. umgekehrt auch dessen Gewordensein, welche im Vergleich mit der scheinbar endlos reproduzierbaren Maschine als Makel hervortreten. Die daraus entstandene Abhängigkeit des Menschen von seiner eigenen ,Schöpfung‘ ist Quelle der Unlust und Motor zur Veränderung. Wie in Kants dynamisch-Erhabenem, wo sich die prinzipiellen Schwächen der Physis erst in der relationalen Konfrontation mit einem ihr überlegenen Anderen – hier der scheinbar allgewaltigen Natur – aktualisieren, verleiht auch in Stelarcs Konzeption erst die Macht der Maschinen der „Machtlosigkeit des materiellen Körpers“27 ihre unmittelbare Virulenz.28 Die Bedrohung, der sich der Mensch ausgesetzt sieht, ist somit wie letztlich auch in der Ästhetik des
26
Dies scheint umso prekärer, als der Mensch nun nicht nur seine physische Kraft in Frage gestellt sieht, sondern zunehmend auch seine Denkleistung angefochten wird. So gewann die ,Entkrönung‘ des Menschen an bis dahin ungeahnter Drastizität, wie Stelarc mit implizitem Bezug auf McLuhan feststellt, als man dazu überging, informationsverarbeitende Technologien, d.h. Computer, zu kreieren, welche für die Verarbeitung der zunehmend unbewältigbaren Quantität akkumulierter Informationen sukzessive unerlässlich wurden. Denn hatte gerade die Fähigkeit des Menschen, Informationen zu sammeln und die Welt damit mehr und mehr zu verstehen, auch elementar dazu beigetragen, die menschliche Zivilisation voranzutreiben, so sei es im 20. Jahrhundert durch die schiere „Informationsexplosion“ (Stelarc [1996], S. 73) zu einem Wendepunkt gekommen. Denn weder die menschlichen Sinnesorgane noch das Gehirn seien mittlerweile noch dazu in der Lage, diese Informationen ohne Hilfe von Technologie aufzunehmen, geschweige denn kreativ zu verarbeiten. In diesem Sinne stellt Stelarc fest: „The most significant planetary pressure is not the gravitational pull but the information thrust.“ (Stelarc [2005], o. S.).
27
Stelarc (1996), S. 81.
28
Die Konfrontation des Menschen mit Technologie ließe sich auch in den Kontext des mathematisch-Erhabenen stellen. Denn das enorme Ausmaß von Industrieanlagen, die Imposanz von atomaren Reaktortürmen und nicht zuletzt die scheinbar unendliche Weite des Internets mögen analog zu Kants Naturbeispielen absolute Größe vorstellig machen.
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Erhabenen selbst zweifach. Auf der einen Seite bedroht ihn die scheinbare Überlegenheit seiner technologischen Artefakte, welche analog zur äußeren Natur im dynamisch-Erhabenen omnipotent erscheinen, da, so lässt sich denken, ein möglicher Widerstand gegen diese nicht vorstellbar wäre. Diese Bedrohung kann aber nur deswegen stattfinden bzw. sich aktualisieren, da der Körper selbst immer schon vulnerabel und damit grundsätzlich bedrohbar ist. Der Mensch erscheint sowohl aufgrund seiner determinierten Natürlichkeit als auch gegenüber dem realen ,Anderen der Natur‘, dem Artefakt, gleichermaßen ohnmächtig. Auch Evert verweist auf diese ,Verdoppelung‘ der Selbstwahrnehmung des Menschen als Mängelwesen, da sich dieser nun angesichts der Perfektion der Maschinen nicht nur in seiner urwüchsigen Natur als mangelhaft erlebe, sondern auch – und vor allem – gegenüber jener zweiten Natur, der Technik, welche damit den Menschen erneut und in gewisser Weise forciert als Mängelwesen produziere; eine Spirale, welche, nach Ansicht Stelarcs, lediglich die symbiotische Vermengung von Körper und Technik, d.h. das Zusammenfallen von erster und zweiter Natur, durchbrechen könne. Entwarf Kant folglich Szenarien, wo sich das Individuum gegenüber einer ihm widrigen, chaotischen Natur ohnmächtig und nichtig fühlte, so wird diese Natur bei Stelarc durch die Übermacht der Technologie, signifikanterweise als zweite Natur gefasst, ersetzt, welche als ein den Menschen vollständig umgebendes und auf diese Weise letztlich auch unentrinnbares System verstanden wird.29 Im Gegensatz zu Kants wilden und ungezügelten Naturgewalten wird dieses System von Stelarc jedoch nicht als unmittelbare Bedrohung oder gar als feindlich wahrgenommen, wie dies etwa in pessimistischen Zukunftsvisionen des Science-Fiction-Diskurses30 häufig inszeniert wird. Das für das Erhabene zentrale Moment der Gewalt geht folglich nicht direkt und punktuell von antagonistisch gedachten Maschinen aus, sondern entsteht vielmehr zwangsläufig durch das ,Mißverhältnis‘ von Humanem und Technologie, welches sich über den Wettbewerb konstituiert. Denn die von Stelarc immer wieder hervorgehobene Übermacht der Maschinen etabliert sich gerade als Macht über den Körper, d.h. als relationale Macht, welche die Inferiorität des ,Anderen‘ benötigt, um
29
Hierin findet sich auch eine Nähe zu VALIE EXPORT, da auch hier die Gefährdung als ein den Menschen umgebendes System geortet werden kann, nämlich jenes der patriarchalen Gesellschaft.
30
Vgl. beispielsweise Hollywoodfilme wie Blade Runner (1982, Regie: Ridley Scott), The Terminator (1984, Regie: James Cameron) oder The Matrix (1999, Regie: Wachowski-Geschwister), wo gezielt ein antagonistisches Verhältnis von Mensch und Maschine in Szene gesetzt wurde.
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sich als solche zu definieren, dadurch jedoch zugleich den humanen Körper zwangsläufig zu verdrängen beginnt. Wenn Stelarc folglich feststellt: „[…] we can’t continue designing technology for the body because that technology begins to usurp and outperform the body“31, so legt er nahe, dass es das dringlichste Ziel der Menschheit sein müsse, will sie nicht gänzlich von ihren „hochtalentierten Kindern“32 verdrängt werden, ihre eigene biologische Minderwertigkeit zu überwinden. Die für das Erhabene charakteristische Zweckwidrigkeit trifft im Falle Stelarcs folglich nicht mehr die äußere Natur und schon gar nicht die überlegenen Maschinen, welche dem Künstler – ganz im Gegenteil – eher als Inbegriff des Zweckdienlichen scheinen, sondern vielmehr das organische Sein selbst, als „Inkarnation des Mangels“33, das mit der technologischen ,Evolution‘ nicht mitzuhalten vermochte. Anstatt somit Technologie aufgrund ihrer scheinbaren Omnipotenz zu diabolisieren, fasst Stelarc folglich vielmehr den eigentlichen Grund menschlicher Unterlegenheit ins Auge, nämlich die Schwäche des humanen Körpers, um hier modifizierend anzusetzen.34 So findet er auf die Fragen „How can the body function within this landscape of machines?“35 bzw. „What do we do when confronted with the situation where we discover the body is obsolete?“36 – d.h., wie im kantschen Sinne mit diesem Mangel bzw. mit der daraus erwachsenden Unlust operiert werden soll – eine gleichermaßen lapidare wie provokante Antwort, wenn er konstatiert: „It is no longer of any advantage to either remain ,human‘ or to evolve as a species.“37 Was jedoch über das Humane hinauszuführen vermag, ist anders als bei Kants Hinwendung zum Intelligiblen eine Orientierung an der Maschine, die damit nicht mehr bloß Signum unserer Verwund-
31
Atzori/Woolford (1995), o. S. Die Annahme, dass der Computer eines Tages den Menschen als so genannten Herrn der Erde ablösen werde, findet sich bereits bei Alan Turing, der die mathematische Grundlage der Computertheorie gelegt hatte.
32
Anders (2010), S. 34.
33
Kuni (2004), S. 3.
34
In diesem Selbstbezug der Bedrohung ist auch die Ursache zu sehen, warum in Stelarcs Auseinandersetzung die Rolle einer unmittelbaren Gefährdung von außen weitgehend wegfällt. Diese findet lediglich noch dort Raum, wo der Künstler, wohl um die Prekarität der menschlichen Existenz hervorzustreichen, Zukunftsszenarien entwirft, in denen der Mensch darauf angewiesen sein könnte, unter extraterrestrischen Bedingungen zu überleben.
35
Atzori/Woolford (1995), o. S.
36
Ebd., o. S.
37
Stelarc (1991), S. 591.
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barkeit und unseres Ungenügens ist, sondern zugleich auch zu einem Ausweg weisenden ,role model‘ avanciert. So Stelarc: „The role of technology becomes one of an evolutionary energizer. The human species has created its complimentary aspect in technology and these are now coming together. It seems to be the only valid evolutionary strategy. The body may have been demystified and pasified, obsolete in form, but still capable of instigating an evolutionary dialectic – a synthesis of organic and synthetic to create a new hybrid human, one that can evolve with 38
Lamarkian speed.“
Stelarcs künstlerische Kampfansage „The body is obsolete“ ist damit letzten Endes weniger Drohung als Versprechen, denn erst aus dieser Obsoleszenz des Körpers erwächst die Möglichkeit, sich an der relationalen Andersartigkeit der auf Perfektion ausgerichteten Anorganik der Maschinen zu orientieren. Die Maschine wird damit Zeichen des Modernen und zukunftsgerichteter Wegweiser zugleich. Im Folgenden sollen Stelarcs Strategien, den Körper aus seiner biologischen Schicksalhaftigkeit zu befreien, d.h., sowohl dessen Verletzlichkeit und Endlichkeit als auch dessen Leistungsschwäche zu überwinden, dargelegt werden. Wie im dynamisch-Erhabenen ist es dabei paradoxerweise, so gilt es aufzuzeigen, gerade die Schwäche des Humanen, die sich das Subjekt nutzbar machen kann, um über das Humane hinauszublicken. Der Themenstellung der vorliegenden Arbeit entsprechend, wird dabei insbesondere den Fragen nach dem hierbei verhandelten Subjektbegriff, nach dem diesem zugrunde liegenden Verhältnis von Natur und Freiheit sowie den sich hieraus ergebenden Analogien zu Kants Konzept des dynamisch-Erhabenen nachgegangen.
38
Stelarc (1984c), S. 52.
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10.2 A UFOPFERUNG : D IE T RANSGRESSION DES HUMANEN K ÖRPERS „[…] als ,nackt‘ gilt heute nicht der unbekleidete Leib, sondern der unbearbeitete; derjenige, der keine Ding-Elemente, keine Verweisungen auf Verdinglichung, enthält.“1
Kommen folglich sowohl Kant und Schiller als auch Stelarc zu dem Schluss, dass das Humane seinem Wesen nach unrettbar verloren ist, da die Ohnmacht, welche es birgt und welche letztlich im Tod mündet, unabwendbar erscheint, so weichen die Konsequenzen, die sie aus dieser Determiniertheit ziehen, zumindest auf den ersten Blick, eklatant voneinander ab. Denn anders als die beiden Theoretiker, die sich angesichts dieser physischen Ohnmacht und Begrenzung in eine dualistische Anthropologie flüchteten, im Rahmen derer sie sich vom Körper weitest zu distanzieren suchten, setzt Stelarc, als konsequenter Materialist, gerade am humanen Körper an, um dessen Anfälligkeit zu überwinden. Dabei versucht er jedoch weder die grundsätzliche Bedrohbarkeit der Physis noch deren Aktualisierung durch die Überlegenheit der Maschinen in Form eines wie auch immer gearteten „zurück zur Natur“ abzuwenden – denn gerade diese stellt ja in ihrer Unkontrollierbarkeit die ,Wurzel allen Übels‘ dar –, sondern er macht sich gerade diese beiden Aspekte der Schwäche ,nutzbar‘, um das Menschsein selbst radikal neu, da unabhängig von seiner sinnlichen Bedingtheit zu definieren. Trotz dieser deutlichen Differenz zu Kants Erhabenem streben damit jedoch beide Konzepte nach der Independenz des Menschen von den Gesetzen der Natur, doch während eine solche bei Kant und Schiller lediglich „moralisch“ sein kann, da die Natur stets „die Bedingungen in ihrer Gewalt“2 behält, unter denen wir existieren, schwebt dem australischen Künstler mit der Orientierung an der Maschine eine reale Unabhängigkeit vor Augen. Die Voraussetzung hierfür, ob moralisch oder realiter, wähnen jedoch sowohl Kant und Schiller als auch Stelarc in der gewaltsamen Aufopferung der physischen Integrität respektive der eigenen Natürlichkeit, da auch Stelarcs Überwindung des anfälligen Körpers, wie es im Anschluss aufzuzeigen gilt, mit einem sukzessiven Überwinden des Organischen per se, als Inbegriff des Ungewissen, einhergeht.
1
Anders (2010), S. 31.
2
Schiller (1966), S. 56.
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Dieses Überwinden der Natur in einem selbst, welches das gesamte Spektrum der stelarcschen Performances kennzeichnet, lässt sich in fünf unterschiedliche Formen unterteilen. Die Verletzung des Körpers im engeren Sinne, wie sie vor allem im Durchstechen der Haut mit Haken oder Nadeln vollzogen wird, so genannte Endurance- bzw. Deprivation-Arbeiten, welche insbesondere die Entbehrung von Nahrung implizieren, die Prothetisierung des Körpers mittels Robotik, die Modifikation desselben durch chirurgische Eingriffe und zuletzt die Fremdsteuerung, und damit gewissermaßen ,Enteignung‘, bestimmter Gliedmaßen.3 Zusammengefasst ergeben sich daraus vier Übergruppen: Jene der Verletzung, jene der Erweiterung, jene der Modifikation und schließlich jene der Enteignung. Während sowohl erstere Form als auch die chirurgische Modifikation als Selbstverletzungen im engeren Sinn verstanden werden können, stellen vor allem die Prothetisierung des Körpers sowie dessen Fremdsteuerung auf den ersten Blick keine sichtbaren Verletzungen dar. Dass diese jedoch im Weiteren dennoch als solche aufgefasst werden, basiert auf Stelarcs Konzept des Posthumanen, welches allen Arbeiten des Künstlers, insbesondere aber jenen der Prothetisierung und Enteignung, zugrunde liegt. Denn dieses versteht sich, so macht vor allem Stelarcs theoretische Auseinandersetzung deutlich, als gewaltsamer Angriff auf den biologischen Körper als solchen und muss somit, denkt man es konsequent fort, als umfassende Verletzung des Organischen gelesen werden. Einer solchen Lektüre der stelarcschen Aktionen liegt folglich ein Abstraktionsschritt zugrunde, der von der konkreten Verletzung des Körpers absieht und stattdessen die dahinterliegende Aufopferung des Organischen an sich fokussiert. Selbstverletzung wird damit zu einer allgemeinen und umfassenden Überschreitung des humanen Körpers, welche die ,Natürlichkeit‘ des Menschen als Ganzes betrifft. So beinhaltet die Transgression des Organischen, welche der Künstler in seinen programmatischen Zukunftsvisionen explizit macht, nicht nur radikale, irreversible Verletzungen sowie eine umfassende genetische Reorganisation, sondern beschreibt darüber hinaus die weitgehende Aufopferung der gesamten Natur, als das bedrohlich ,Andere‘ von Ordnung, Kontrolle und Macht. Dadurch stellt sich nicht nur eine Analogie zu Kants Konzept des Erhabenen her, sondern möglicherweise scheint hierüber auch, so gilt es abschließend zu erörtern, ein ,Ausweg‘ aus dessen Dialektik der Subjektermächtigung und Naturunterwerfung
3
Als eine sechste Form der Selbstverletzung im erweiterten Sinne ließe sich, wie eingangs erwähnt, die Invasion des Körpers mittels medizinischer Geräte oder anderer Objekte denken. So etwa in Stomach Sculpture (1993), wo sich Stelarc eine Skulptur in den Magen einsetzen ließ.
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auf. Auch wenn die tatsächlich realisierten Arbeiten des Künstlers dieses radikale Gedankengut nicht einholen können, zumal bei diesen keine Ersetzung diverser Körperteile, sondern vielmehr lediglich deren prothetische Erweiterung umgesetzt wurde, so werden in der nachfolgenden Analyse dennoch auch diese Erweiterungen gerade vor dem Hintergrund jenes Transgressionsstrebens als Selbstverletzung im weiteren Sinne verstanden. Im Anschluss soll jenen unterschiedlichen Formen der Selbstverletzung nachgegangen werden. Dabei gilt es auf drei Momente respektive Funktionen besonderes Augenmerk zu legen: Jene des Verweisens, jene der Machterweiterung durch Kontrollgewinn und jene der Legitimation. Wie bei VALIE EXPORT besitzen auch die selbst verletzenden Arbeiten Stelarcs Verweisungscharakter, nicht jedoch indem sie auf eine verletzende Außenwelt hindeuten, sondern dadurch sie die Bewusstwerdung der physischen Schwächen ermöglichen und auf diese Weise zugleich die Notwendigkeit deren Überwindung vor Augen führen. Zum anderen dient die Selbstverletzung, indem sie diese Überwindung zumindest rudimentär immer auch zu vollziehen sucht, der Demonstration des Möglichen, welches sie dadurch zugleich legitimiert. Dabei gilt es aufzuzeigen, dass der Bedrohung des Organischen wie auch im dynamischErhabenen forcierend begegnet wird, um aus dem Erleben der eigenen Schwäche die Möglichkeit der Selbsterhebung zu gewinnen. Da Stelarc selbst stets darauf hinweist, dass seine Performances dazu dienen, seine theoretischen Ansätze zur „erlebbare[n] Realität“4 werden zu lassen, sollen diese den realisierten Arbeiten ergänzend zur Seite gestellt werden, wobei es zugleich gilt eventuelle Brüche dieses Bezuges aufzuzeigen. Neben diesem vielfältigen Textkonvolut aus Interviews, Aktionsbeschreibungen und Manifesten werden für die nachfolgende Analyse insbesondere Aktionsfotos und, so vorhanden, Aktionsvideos herangezogen (z.B. Remote Controlled Suspension [1986], Stomach Sculpture [1993], Exoskeleton [1998], Extended Arm [2000]). Da der Künstler, nach eigener Aussage, eine umfassende Dokumentation seiner performativen Arbeit nie anstrebte, handelt es sich dabei häufig um zusammengeschnittene Aufnahmen für Reportagen u.Ä. Zwar wurden viele Arbeiten auch zur Gänze mittels Video dokumentiert, doch wurde dieses Material bislang weder digitalisiert und geschnitten noch der Öffentlichkeit bzw. Forschung zugänglich gemacht. Insbesondere für die Analyse der frühen Suspensions sowie Deprivations und auch des Third Hand-Projekts kann daher ausschließlich auf fotografisches Material zurückgegriffen werden.
4
Landwehr (1998), o. S.
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10.2.1 Verletzung: Suspensions und Deprivations „Indem der Künstler an physische Belastbarkeitsgrenzen vordringt, führt er vor, wie die einschränkenden Bedingungen des ,Körpergefängnisses‘, der Sterblichkeit und biochemischer und psychischer Prozesse des physischen Seins durch technisches und willentliches Streben überwunden werden können, um die körperliche Gebundenheit zu transzendieren.“
5
Die Erfahrung der eigenen physischen Ohnmacht und Begrenztheit als zentrale Ausgangsbasis des dynamisch-Erhabenen geht nicht nur in Stelarcs theoretischer Auseinandersetzung seinem Konzept des Posthumanen voraus, sondern steht auch am Beginn seiner performativen Tätigkeit. Gerade in dieser frühen Phase seiner Aktionskunst, für welche insbesondere seine Suspension- und Deprivation-Performances charakteristisch sind, arbeitet der Künstler zentral mit der gezielten Verletzung des Körpers bzw. mit der programmatischen Einschränkung sensorischer Wahrnehmung sowie physischer Bedürfnisse. Abbildung 5: PULL OUT / PULL UP: EVENT FOR SELF-SUSPENSION
5
Evert (2003), S. 217.
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So führt Stelarc zwischen 1976-88 insgesamt etwa 28 Suspensions durch, bei welchen er sich jeweils an durch sein Fleisch getriebene Metallhaken, meist 18 an der Zahl, in unterschiedlichen Positionen und Environments aufhängen lässt.6 In den im Vergleich eher seltenen sowie unblutigen Deprivation-Arbeiten stehen insbesondere ,Ausdauerproben‘, wie meist Nahrungs- oder Bewegungsverzicht7, im Vordergrund. So hält sich Stelarc beispielsweise während einer dieser Arbeiten bis zu einer Woche ohne Nahrungsaufnahme in der jeweiligen Galerie auf oder lässt sich in Event for Support Structure (1979) über den Zeitraum von 72 Stunden zwischen zwei Brettern einklemmen, die Nächte verbringt er auf dem Galerieboden. Die Bewegungsunfähigkeit sowie die Entbehrungen des Körpers werden jedoch auch hier durch das konkret verletzende Einwirken auf denselben ergänzt. So beispielsweise wenn sich Stelarc in der letztgenannten Aktion Lippen und Augenlider mithilfe chirurgischen Fadens zunähen lässt, wodurch in ebenso konsequenter wie radikaler Weise die Grenzen sensorischer Deprivation erprobt werden sollen. Dahingehend kommentiert der Künstler seine ,Experimente‘: „Ich konnte in dieser Zeit nicht essen und trinken und auch nichts sehen. Ich habe so die physischen Grenzen meines Körpers erkundet.“8 Entsprechend Stelarcs Befund, dass der biologische Körper grundsätzlich mangelhaft sei und dass sich der an diesen gebundene Mensch dadurch fortwährend in einem latenten Zustand der Ohnmacht befände, müssen folglich gerade diese beiden Aktionsformen in erster Linie als Versuche gelesen werden, das abstrakte ,Wissen‘ um die eigene Limitierung und folglich Obsoleszenz auf eine unmittelbare Erfahrungsebene zu transportieren. Wie im dynamisch-Erhabenen aktualisiert sich somit das Todesbewusstsein des Individuums, indem es als Unlust ästhetisch fühlbar wird. Das Ergebnis dieses Prozesses beschreibt der Künstler als „physically traumatic series of experiences“9, in denen Schmerz, Angst, Ohnmachtsgefühle und Ungewissheit Hand in Hand gingen. So Stelarc hinsichtlich der Suspensions: „Suspended and in stress the anonymous body
6
Im Zuge der langen Geschichte der Suspensions variierte der Künstler nicht nur die Hängepositionen von aufrecht über horizontal, mit dem Gesicht nach unten bis hin zu kopfüber, sondern auch den Bewegungsablauf, indem er sich statisch verhielt, geschwungen, rotiert und hochgezogen wurde.
7
So Stelarc in Bezug auf eine dieser Arbeiten: „I was tethered to the gallery wall with a pair of cables which connected to two hooks in the back of my body.“ (Stelarc [1994], S. 383; zit. nach Zurbrugg [2000], S. 110).
8
Landwehr (1998), o. S.
9
Stelarc (2005), o. S.
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realises its obsolescence. The anxiety, the uncertainty that accompanies the feeling of being vulnerable.“10 Diese Erkundungen, welche Stelarc gewissermaßen als erlebte Experimente verstanden wissen will, dienen somit weniger der Schmerzerfahrung, um einen erweiterten Bewusstseinszustand zu erlangen11, als vielmehr einem am eigenen Leib empfundenen Erkenntnisprozess. Denn die Verletzungen, welche sich Stelarc im Rahmen seiner Performances zufügt, ermöglichen das Erkennen der
10
Ebd., o. S.
11
Evert versucht in ihrer Auseinandersetzung mit Stelarc seine Suspensions in den Zusammenhang von Übergangsriten zu stellen und dabei zugleich, mit Verweis auf Erika Fischer-Lichtes Performancetheorie, mit anderen selbst verletzenden Künstler/-innen, wie Marina Abramović oder Joseph Beuys, in Verbindung zu setzen. Dem lässt sich jedoch entgegenhalten, dass im Vergleich zu Abramović und Beuys, welche mit ihrer Kunst explizit Transformationsprozesse intendierten, Stelarc weder in seinen theoretischen Texten noch in seiner praktischen Arbeit Bewusstseinstransformationen irgendwelcher Art anzustreben scheint. Vielmehr wendet er sich explizit gegen solcherlei Lesarten, indem er ihnen die Selbstinterpretation seiner Performances als künstlerische Experimente entgegenstellt. Zwar räumt er ein, Aufhängungen solcher Art aus Hindu-Ritualen gekannt zu haben, doch ist er stets um eine Abgrenzung von derlei Praktiken bemüht, indem er seinen Arbeiten jeglichen spirituellen bzw. rituellen Kontext abspricht. So der Künstler: „I’ve never meditated before an event. I’ve never had any sort of out-of-body experience. I’ve never felt a sense of being a shaman […]. To me those notions are largely irrelevant […]. Previous awareness techniques were important in our development but I don’t think they’re significant anymore as human strategies.“ (Stelarc; zit. nach Dery [1996], S. 159) Auch wenn selbstverständlich der Selbstinterpretation des Künstlers nicht Folge geleistet werden muss, so stellt sich doch die Frage, welche Transformationsprozesse in den konkreten Arbeiten stattgefunden haben sollen, noch dazu, wo es gerade bei dieser Performanceform zu zahlreichen Wiederholungen mit teils nur geringen Abwandlungen kam. Diese Frage bleibt bei Evert letztlich unbeantwortet. Am ehesten ließen sich Stelarcs frühe Arbeiten in den Kontext ritualisierter Mutproben stellen, welche jedoch, befreit von jeglichen spirituellen Komponenten, lediglich als Demonstration von Schmerzresistenz gewertet werden können. Zuletzt sei darauf verwiesen, dass selbst dort, wo Stelarcs Arbeiten ein forciertes Subjektivierungsstreben zugrunde liegt, die Dialektik eines solchen Strebens gegenüber der Vertikalität eines Transformationsprozesses hervorgehoben werden muss. Vgl. hierzu auch Exkurs: Künstlerische Selbstverletzung und Ritualtheorie, S. 177.
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grundsätzlichen Schwächen des Organischen, weshalb ihnen immer auch eine Verweisungsfunktion inhärent ist. Indem Stelarc folglich seinen Körper bis über die Grenzen der Verletzung hinaus belastet, wie dies etwa in den Suspensions anhand der bis zum Zerreißen gespannten, blutenden Haut sichtbar wird, führt er dessen Verletzbarkeit per se und zugleich seine begrenzte Funktionalität plastisch vor Augen. Die Fragilität und Ausgesetztheit des Menschen, als eine Seite des Erhabenen, findet in dem nackten, geschundenen Künstlerleib exemplarischen Ausdruck, wodurch dieser ein Bewusstsein für die leidvolle und freiheitsberaubende Faktizität schafft. Zugleich erfährt und illustriert das Individuum durch den verwundeten Körper die Diskrepanz zwischen seinem Wollen und den beschränkten Möglichkeiten seiner Physis. Es scheint nicht von ungefähr, dass Stelarc zwecks Illustration dieser Diskrepanz gerade den Menschheitstraum zu fliegen wählt, auf welchen er als wesentlichen Hintergrund seiner Suspensions wiederholt verweist. Doch gerade diese am eigenen Leib erfahrene Limitierung dient Stelarc als erster Schritt, um sie zugleich auch zu überschreiten. Denn ebenso wie in den Arbeiten VALIE EXPORTS setzt die Veränderung des als negativ empfundenen Status quo dessen Kenntnis und somit einen Prozess der Bewusstmachung voraus, welcher sowohl das erlebende Subjekt selbst als auch das Aktionspublikum mit einschließt.12 Es ist folglich erst dieser die Mangelhaftigkeit bloßstellende Akt der Selbstverletzung, welcher die Transgression jener Limitierung hin zum posthumanen Körper ermöglicht. Denn, so Schiller: „Nicht in der Unwissenheit der uns umlagernden Gefahren […] nur in der Bekanntschaft mit denselben ist Heil für uns.“13 Entsprechend dieser Bewusstmachungsfunktion, kann die freiwillige Hinnahme von Schmerz und Entbehrungen somit gewissermaßen als Vorstufe der intendierten Überwindung von ,Natürlichkeit‘ verstanden werden. Denn nur durch das immer wieder neu justierende Ausloten der eigenen Grenzen lässt sich feststellen, wo eine solche Überwindung des Körpers ansetzen müsse. Zugleich gewinnt diese angesichts der illustrierten Mangelhaftigkeit des Organischen an
12
Indem Stelarc jedoch im Gegensatz zu VALIE EXPORT keinerlei gesellschaftspolitischen Anspruch verfolgt, spielt auch die Anwesenheit des Aktionspublikums weder in der Dramaturgie der Performances noch in seiner theoretischen Auseinandersetzung eine wesentliche Rolle.
13
Schiller (1995), S. 98.
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Legitimation.14 In diesem Sinne weist auch Stelarc wiederholt selbst darauf hin, dass die als Strategie des Zeigens aufgefasste Ohnmachtserfahrung und die prothetische Erweiterung des Körpers als simultane, aufeinander Bezug nehmende Prozesse betrachtet werden müssen. So der Künstler in einem Interview: „These things were happening simultaneously. On the one hand you were discovering the psychological and physical limitations of the body. On the other you were developing strategies for extending and enhancing it through technology.“15 Erst die schmerzvolle Erfahrung der eigenen Begrenztheit ermöglicht es somit, sich über die Grenzen der Natur hinwegzusetzen. Die konkrete Verletzung des Körpers innerhalb der Performances wird folglich wie auch bei EXPORT bzw. in Kants Ästhetik des Erhabenen funktionalisiert, um auf ein dahinterliegendes, eventuell verdrängtes Prinzip – hier der Vergänglichkeit selbst – hinauszuweisen. Die Möglichkeit, die Begrenztheit des Körpers zu überwinden, ist jedoch nicht lediglich auf das erkennende Erleben der eigenen Vulnerabilität beschränkt, sondern basiert zugleich auch auf der Distinktion von der Natur, wie sie dem Akt der Selbstverletzung stets innewohnt. Die Überwindung des Körpers bzw. körperlicher Bedürfnisse muss damit immer auch als intendierte Kontrolle über die Natur verstanden werden. Insbesondere anhand dieses Gestus der kontrollierenden Distinktion zeigt sich, dass auch den Arbeiten Stelarcs, entgegen der Selbstinterpretation des Künstlers, ein dualistisches Subjektmodell zugrunde liegt, nach welchem sich der freie Wille gerade durch die gewaltsame Unterwerfung der Natur konstituiert. Denn wenn Stelarc auch in Bezug auf seine Suspensions feststellt, „[w]hat can be admitted though is that a painful experience does collapse the convenient distinction between the mind and body. When overwhelmed with pain you perceive yourself as a physical body that experiences, rather than a self that thinks and objectively evaluates in some kind of
14
Damit ist auch Stelarcs illustrative Selbstverletzung immer auch indirekt als politischer Akt zu verstehen, da sie letztlich dazu dient, biopolitische Eingriffe in den Körper zu legitimieren.
15
Atzori/Woolford (1995), o. S. Die Parallelität dieser beiden Schwerpunkte zeigt sich am deutlichsten in Aktionen, die beide Aspekte miteinander zu verbinden suchen. So etwa in Event for Stretched Skin/ Third Hand (1988), Ofuner Monorail Anlage. Zugleich weisen auch bereits die Suspensions selbst über die Limitierung des biologischen Körpers hinaus, indem dessen scheinbare Schwerelosigkeit den Eindruck außer Kraft gesetzter physikalischer Gesetze evoziert.
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disconnected way“16, so evozieren Aktionsvideos und -fotos doch eine andere Haltung. Es ist dies vielmehr jene „eines tapferen, asketischen Kriegers“17, d.h. eine solche der Selbsterprobung und damit Ichstärkung, welche in der abendländischen Tradition gerade im stoischen Ertragen von physischem Leid gründet.18 Auf diesen heroischen Aspekt verweist auch Stelarc implizit, wenn er vermerkt: „My events are involved with transcending normal human parameters, including pain – to manifest an all-important concept.“19 Während er also einerseits von überwältigenden Schmerzerfahrungen berichtet, welche jegliche Distinktion von Geist und Körper außer Kraft setzen, nimmt er folglich auf der anderen Seite für sich die Fähigkeit in Anspruch, auch solche Schmerzen ,überschreiten‘ zu können. Diese Diskrepanz in den Selbsteinschätzungen mag darauf zurückzuführen sein, dass Erstere mit einem relativ großen zeitlichen Abstand retrospektiv getätigt wurde. Damit fällt sie in eine Zeit, wo Stelarc, wohl nicht zuletzt, um sich gegen die häufig an ihn herangetragene Kritik des Dualismus zu verteidigen, das Modell eines ,starken Subjekts‘ bereits weitgehend ablehnt. Die zweite Aussage hingegen, in welcher Stelarc gerade das stoische Ertragen von Schmerz als zentrales Streben seiner Arbeit hervorhebt, stammt aus dem Jahr 1975, d.h. aus der Zeit der frühen Suspensions, und scheint Aktionsfotos und -beschreibungen zur Folge Stelarcs damalige Intention treffender zu erfassen. Denn anstatt vom Schmerz überwältigt zu werden, präsentiert sich der Künstler in seinen Aktionen ganz im Sinne dieses ,Überschreitungsprogramms‘ stets in disziplinierter Gelassenheit bzw. zur Schau getragener Emotionslosigkeit20. Damit kontrastieren die offensichtlich schmerzhaften Prozeduren, deren Spuren am Körper unübersehbar sind, mit der Haltung weitgehender Indifferenz, die der Künstler nach außen präsentiert, wodurch er den Eindruck totaler Kontrolle über sich selbst evoziert. Über diese Selbstbeherrschung hinaus kontrolliert er den Aktionsverlauf nicht nur durch im Vorfeld gefasste Konzeptionen, welche präzise festlegen, wie weit er in seinen Verletzungen gehen kann, ohne ernsthafte gesundheitliche Folgen befürchten zu müssen. Auch während der Performances selbst, bei denen
16
Stelarc (2005), o. S.
17
Ernst (2003), S. 171.
18
Evert (2003), S. 217. Dahingehend beschreibt auch Evert die Suspensions als eine „physisch realisierte Metapher für den Zwiespalt des Menschen, der zwischen leiblicher Gebundenheit und Transzendierungsbestrebungen ,hängt‘“ (ebd., S. 218).
19
Stelarc in einem Brief an Ken Scarlett im Oktober 1975; zit. nach Paffrath (1984),
20
Goodall (2005), S. 12.
S. 8.
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ihn meistens ein Assistent/-innenteam unterstützt, behält er sichtlich die Kontrolle über das Geschehen. Das Rasieren des Körpers, das Desinfizieren der Haut sowie schließlich das Einführen der Haken und die Anhebung werden von Stelarc genau überwacht und gegebenenfalls korrigiert. Auch während der Hängung selbst erteilt er immer wieder Anweisungen die Höhe, Ausrichtung sowie eventuelle Bewegung seines Körpers betreffend. Im Anschluss der Aktionen beantwortet der Künstler bereitwillig Fragen und trinkt auch gerne, demonstrativ entspannt, gemeinsam mit seinem Publikum Tee.21 Distanz, Macht und Kontrolle sind folglich die Attribute, unter deren Schirmherrschaft Stelarc seine selbst verletzenden Arbeiten stellt. Der Wille des Subjekts kontrastiert mit dem an seine Grenzen geführten Körper, was ihn auf der einen Seite relativiert, zugleich jedoch von den Fesseln der Sinnlichkeit paradoxerweise befreit. Denn trotz der sichtlichen Einschränkung menschlichen Wollens, da dieses eben nicht den Körper zum Fliegen befähigen vermag, erweist sich zugleich der Wille des Künstlers in dem Moment der gewaltsamen Aufhängung als schrankenlos, da er seine ,Realität‘ von den Interessen und Schranken der Natur unbeirrt setzt. Die Macht des eigenen Willens, der das sinnliche Wollen sichtlich zu überwinden vermag, wird dabei demonstriert, zugleich aber auch in diesem Akt der Demonstration als solche überhaupt erst gesetzt. Das Subjekt erfährt sich somit im Moment der Machtausübung seiner selbst mächtig, worin die Analogie zur Dynamik des Erhabenen liegt. In diesem Sinne stellt auch David Morris fest: „Der stoische Willenssieg über den Schmerz bedeutet den absoluten Sieg des Geistes und Willens über den Körper.“22 Die Wunden des Künstlers respektive das demonstrative Ertragen von Schmerz signalisieren damit über den konkreten Akt des Widerstands hinaus vor allem die Widerstandsfähigkeit bzw. Willensstärke des Subjekts an sich. Das Selbstgefühl als autonom resultiert folglich erst aus der Bezwingung des Körpers, welcher sowohl bei Stelarc als auch bei Kant als Signum von Knechtschaft dient.23 Wie im kantschen Erhabenen ist damit dasjenige, was den Menschen allererst seiner Freiheit beraubt, nämlich die Vulnerabilität des Organischen, sofern es vom
21
Vgl. Evert (2003), S. 215.
22
Morris (1994), S. 225.
23
Diese Forcierung der autonomen Selbstverletzung je nach Intensität der gefühlten Verletzlichkeit des Körpers findet sich auch bei anderen Künstler/-innen wieder. So lassen sich etwa die radikalen Performances des amerikanischen Künstlers Bob Flanagan in einem relationalen Verhältnis zu den körperlichen Leiden lesen, welchen er aufgrund der unheilbaren genetischen Erkrankung Mukoviszidose ausgesetzt war.
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Subjekt selbst forciert wird, Mittel und Weg, sich seiner Souveränität zu versichern. Die Bereitschaft und vor allem die Fähigkeit, solchen physischen Extremsituationen standzuhalten, kennzeichnen Stelarc darüber hinaus als erhabenen Helden im schillerschen Sinne. Denn so Düsing: „Das Zentrum der erhabenen Haltung des dramatischen Helden ist die Energie seines Willens.“24 Der Entschluss, sich aktiv über die Sinnlichkeit hinwegzusetzen, kann demnach als erhabene Handlung gefasst werden, denn hier wie dort erweist sich das Individuum als frei, indem es freiwillig seine Unterwerfung wählt. Doch im Gegensatz zu Schillers Konzeption des Erhabenen ist dieses Moment der Selbstaufopferung bei Stelarc nicht als ein das Schicksal vorwegnehmender Akt der Resignation zu verstehen, sondern letztlich immer als Versuch, gerade diese Schicksalhaftigkeit in Frage zu stellen. Anstatt folglich heroisch zu „ertragen, was er nicht ändern kann“25, setzen Stelarcs Visionen, wie im Folgenden aufzuzeigen sein wird, an den Gesetzmäßigkeiten der Natur selbst an, um die physische Gebundenheit realiter zu überwinden. An Stelarcs demonstrierter Gelassenheit erweist sich auch die hinsichtlich des Erhabenen erbrachte These als berechtigt, dass nämlich die hierfür geforderte Distanz auch als innere Distanziertheit gefasst werden könne. Dies jedoch lediglich innerhalb einer dualistischen Anthropologie, im Rahmen derer der Körper als etwas Auswärtiges und Fremdes empfunden wird. Dahingehend ist es bezeichnend – und wurde in der Sekundärliteratur auch wiederholt hervorgehoben –, dass Stelarc in Bezug auf seinen Körper nie Possessivpronomen bzw. die Gleichsetzung von ,Ich‘ und Körper verwendet, sondern stets von dem Körper spricht. Um die real verletzende Distinktion quasi auf theoretischer Ebene ,vorzubereiten‘, wird dieser folglich konsequent als eine „impersonal, evolutionary, objective structure“26 bzw. als bloßes „piece of equipment“27 begriffen, das erst optimiert werden muss, um nicht gänzlich überholt zu sein.28 So der
24
Düsing (1967), S. 163.
25
Schiller (1995), S. 97.
26
Atzori/Woolford (1995), o. S.
27
Stelarc (1999), o. S.
28
Die Materialisierung des Körpers, wodurch dieser, jeglicher Sonderstellung beraubt, als beliebiges Objekt wahrgenommen werden kann, ist über Stelarcs Ansatz hinaus charakteristisch für die Entwicklung der Body Art generell. Vor allem bei jenen ursprünglich aus der Bildenden Kunst kommenden Künstler/-innen, wie beispielsweise Günter Brus oder Carolee Schneemann, erweitert der materialisierte Körper das herkömmliche Tafelbild bzw. löst dieses schließlich zur Gänze ab.
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Künstler: „It is no longer meaningful to see the body as a site for the psycho or the social but rather as a structure to be monitored and modified. The body not as a subject but as an object – NOT AS AN OBJECT OF DESIRE BUT AS AN OBJECT FOR DESIGNING.“29 In diesem Sinne gerät der Leib des Künstlers in den Suspensions zu einer lebenden Skulptur, die ästhetisch in verschiedene Settings ,eingefügt‘ wird. Diese Programmatik des entindividualisierten Körpers, der nunmehr als pures Fleisch vorgeführt wird, korreliert mit Stelarcs bewusst zur Schau getragener Emotionslosigkeit. Denn Emotionen wie Schmerz, Angst, Nervosität oder auch Lust würden nicht nur die eigene Distinktionsfähigkeit relativieren, sondern auch die Aufmerksamkeit der Betrachter/-innen von dem Kunstwerk weg auf den Künstler respektive auf das empirische Individuum lenken. Die konsequente Materialisierung des Körpers ist auch konzeptuelle Voraussetzung für die angestrebte Transformation hin zu einem bearbeitbaren Maschinenkörper. Denn ist dieser lediglich ein beliebiges Objekt wie alle übrigen Gegenstände und fällt im direkten Vergleich als verbesserungsbedürftig auf, d.h., in Stelarcs Worten, als „inadequately built“30, so ist es bloß logische Konsequenz, wenn der Mensch danach trachtet, diesen ,besser‘ zu bauen bzw. zu überarbeiten. Eine solche Überarbeitung voranzutreiben oder zumindest emphatisch zu unterstützen, ist nicht nur oberstes Ziel Stelarcs theoretischer Texte, sondern auch Grundlage seiner späteren bzw. gegenwärtigen künstlerischen Tätigkeit. Die Fähigkeit, sich zu seiner Natur in Distanz zu setzen, endet hier folglich nicht wie noch bei EXPORT in der bloß selbst verletzenden Handlung, sondern nimmt sich im Namen von Wissenschaft und Fortschritt, so gilt es im Anschluss aufzuzeigen, zunächst die prothetische Erweiterung und schließlich die fundamentale Reorganisation der Natur zum Ziel.
29
Stelarc (1991), S. 591.
30
Stelarc (1999), o. S.
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10.2.2 „Aesthetic of prosthetics“ 31: The Third Hand „Das Mythologem eines blutigen, dunklen UrKörpers beantwortet der Homo technicus mit dem hellen, unblutigen und durchschaubaren Gegenleib der Maschine. Er ist ein aktiver Zauberspiegel, der uns nicht nur von schweißtreibender Arbeit, sondern auch vom chaotischen Fleisch entlastet […].“
32
Wenn die Selbstverletzung in erster Linie dazu dient, sich der eigenen Ohnmacht und Limitierung bewusst zu werden, so geht mit dieser Bewusstwerdung aus Stelarcs Sicht, wie aufgezeigt, immer auch jene der Obsoleszenz des biologischen Körpers und damit zugleich die Hoffnung auf alternative anatomische Strukturen einher. Denn die existenzielle Krise birgt zugleich die Möglichkeit, über die Begrenztheit der Natur hinauszublicken. Das Eingeständnis der „evolutionären Sackgasse“33, in die der Mensch sukzessive geraten ist, ermöglicht nun eine radikal neue Richtung der Evolution einzuschlagen, welche der Künstler auch als „postevolutionäre Entwicklung“34 versteht. So Stelarc: „It might be the height of technological folly to consider the body obsolete in form and function, yet it might be the highest of human realizations. For it is only when the body becomes aware of its present predicament that it can map its postevolutionary strategies.“35 Ausweg aus dem biologischen Dilemma und damit zugleich vorderstes Ziel dieser postevolutionären Strategien ist die Orientierung an demjenigen, was in Relation zum Körper nicht nur übermächtig erscheint, sondern, wie einleitend dargelegt, durch diese Übermacht auch dessen Obsoleszenz überhaupt erst setzt bzw. bewusst macht: Die auf Haltbarkeit und Perfektion ausgerichtete Gemachtheit der Maschinen.36
31
Dery (1996), S. 154.
32
Ivanceanu (1997), S. 184.
33
Stelarc (1996), S. 73.
34
Ebd., S. 74.
35
Stelarc (1991), S. 591.
36
Dahingehend stellen Ivanceanu und Schweikhardt polemisch fest: „Der Mensch, immer schon durch Krankheit, Tod, Alter, Verfall und den Fluch evolutionären und historischen Verschwindens in seiner Eitelkeit schwer angeschlagen, lässt sich, angewidert von seinem hinfälligen Erstkörper im Schnellverfahren scheiden und verliebt sich augenblicklich in einen anderen, viel besseren und schöneren Zweitkörper,
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Hatte die Konfrontation des Menschen mit technischem Fortschritt auf der einen Seite eine gezielte Abgrenzung von der Maschine zur Folge, da man in dieser immer auch eine Bedrohung des genuin Humanen fürchtete37, so führte sie andererseits gerade zur affirmativen Anpassung des mangelhaften organischen Körpers an die Maschinenwelt, um eben diese Mangelhaftigkeit zu überwinden; eine Tendenz, wie sie beispielsweise am Beginn des 20. Jahrhunderts in der Technikeuphorie des italienischen Futurismus zu Tage trat.38 Das hierfür charakteristische Streben, „den Körper im Gleichklang mit Maschinen vibrieren zu lassen“39, ist auch Stelarcs zentrales Ziel, was sich in Kommentaren wie: „In fact, it is now time to REDESIGN HUMANS, TO MAKE THEM MORE COMPATIBLE TO THEIR MACHINES“40 niederschlägt. Anhand der gezielten Orientierung an der Maschine soll die emanzipatorische Transgression des biologischen Gewordenseins ermöglicht werden; ein Vorhaben, welches bis zur symbiotischen Vermengung mit Technologie reicht. Denn gerade diese Implantierung von Technik in den Körper sei es nämlich, welche in erster Linie die
den er eigenhändig aus seiner Eisenrippe schafft: in den Roboter.“ (Ivanceanu [1997], S. 184) In eine ähnliche Richtung denkt auch die amerikanische Künstlerin Natasha Vita More, welche seit den 1980er Jahren die technologische Aufrüstung des als Kunstwerk verstandenen Körpers propagiert, ohne diese Ideen jedoch wie Stelarc auch umzusetzen. 37
Die Thematisierung der Bedrohung des ,Menschlichen an sich‘ durch die Maschine findet schon in den naturphilosophischen Schriften der Romantik ihren ersten Höhepunkt, wo diese als Inbegriff des Toten und folglich des Unfreien der Freiheit des Organischen entgegengesetzt wurde. Vgl. Müller-Funk (1996).
38
So lautet eines der Manifeste Marinettis wie folgt: „Es gilt daher, die unmittelbar bevorstehende Identifikation des Menschen mit der Maschine vorzubereiten […] so wird man sicher anerkennen, daß wir die Schaffung eines a-humanen Typus anstreben. Gewissenspein, Güte, Gefühl und Liebe stellen nichts als zerfressende Gifte der unerschöpflichen vitalen Energie dar, bloße Barrieren für den Fluß unserer mächtigen physiologischen Elektrizität. […] Wir glauben an die Möglichkeit einer unabsehbaren Zahl menschlicher Verwandlungen und erklären in vollem Ernst, daß im Fleisch des Menschen Flügel schlafen. […] Er wird mit überraschenden Organen ausgestattet sein, angepaßt an die Erfordernisse einer Umwelt unablässiger Erschütterungen. […] Der multiplizierte Mensch, den wir erträumen, wird die Tragödie des Alters nicht kennen!“ (Marinetti [1993], S.106f.).
39
Virilio (1996), S. 109, S. 113.
40
Stelarc (1991), S. 593.
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bisherige Entwicklung des Menschen revolutionieren könne. So Stelarc: „EVOLUTION ENDS WHEN TECHNOLOGY INVADES THE BODY.“41 Was Stelarc folglich vorschwebt, ist die Überwindung des biologischen Körpers hin zu einem maschinenähnlichen System. Dahingehend erläutert er: „Technology, symbiotically attached and implanted into the body, creates a new evolutionary synthesis, creates a new hybrid – the organic and synthetic coming together to create a sort of new evolutionary energy.“42 Das auf den Menschen angewandte Ergebnis eines solchen Prozesses definiert der Künstler in der Tradition der Science-Fiction-Literatur als Cyborg43, d.h. als einen Hybrid aus Maschine und lebendem Organismus, bei welchem „zahllose KÖRPERSCHRITTMACHER“44 für ein fehlerfreies Funktionieren bürgen sollen. Hinsichtlich der Einsatzmöglichkeit dieser Körperschrittmacher lässt Stelarc seine Gedanken schweifen: „Implanted components can energize and amplify developments; exoskeletons can power the body; robotic structures can become hosts for a body insert. And with micro-miniaturized robots we will now be able to colonize the surface and internal tracts to augment the bacterial populations – to probe, monitor and protect the body. [Herv. i. O.]“45 Was Technikkritiker wie Paul Virilio oder Günther Anders kritisch als unerhörte „Selbsterniedrigung vor Selbstgemachten“46, als „Klimax der Dehumanisierung“47 werteten und darüber hinaus als uneinholbaren Wunschtraum einstuf-
41
Stelarc (1991), S. 591.
42
Stelarc (1984a), S. 17.
43
Der Begriff des Cyborgs, Kurzform für cybernetic organism, wurde im Kontext der Raumfahrt von den Wissenschaftern Manfred Clynes und Nathan S. Kline Anfang der 1960er Jahre erstmals verwendet. Dabei galt es den beiden Autoren, gedanklich ein Wesen zu entwerfen, welches in der Lage wäre, sich den Lebensbedingungen im Weltraum physiologisch anzupassen, ohne hierfür auf körperexterne Technologie angewiesen zu sein. Der Begriff Cyborg wurde in der Folge sowohl in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung als auch vor allem in der Science-Fiction-Literatur rasch aufgegriffen. (vgl. etwa Donna Haraways feministisches Manifest A Manifesto for Cyborgs. Science, Technology and Socialist Feminism in the 1980s. [1990]) Die Idee eines Mischwesens aus organischem Körper und technologischen Komponenten findet sich jedoch bereits vor der Begriffsprägung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
44
Stelarc (1996), S. 74.
45
Stelarc (1991), S. 594.
46
Anders (2010), S. 30.
47
Ebd., S. 42.
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ten, ist aus Stelarcs Sicht nicht nur in greifbare Nähe gerückt, sondern zugleich auch konsequente Folge des immer schon durch seine Fähigkeit zum Prothetischen definierten Menschseins. So der Künstler: „Technology is what defines being human.“48 In dieser bindenden Korrelation von Körper und Technik wird zugleich wie letztlich auch bei EXPORT, wenn auch vor einem anderen Hintergrund, die Kategorie des ,Natürlichen‘ vehement in Frage gestellt, indem Stelarc sie als soziale und zugleich ideologische Konstruktion zu entlarven sucht. Versteht der australische Künstler auch sein gesamtes ,Schaffen‘ als einen Versuch, „coupling the expression of an idea with the direct experience of it“ 49, so legt die Radikalität seiner Körperstrategien nahe, dass seine realisierten Arbeiten bisher notwendig hinter seine Zukunftsvisionen zurückfallen mussten. Angesichts dieser vorläufigen Diskrepanz setzt der Künstler performativ dort an, wo die intendierte biotechnische Verschmelzung von Körper und Technologie in greifbare Nähe gerückt ist: In der Prothetik. Mit dem Ziel einer biotechnischen Synthese von Mensch und Maschine vor Augen beginnt Stelarc bereits in den 70er Jahren seinen Körper mit technologischen Prothesen in Verbindung zu setzen. Dabei steht weniger der Ersatz eines Körperteils, wie in der medizinischen Prothetik üblich, als vielmehr die Erweiterung des Körpers durch das Hinzufügen von Technik im Zentrum. Die wohl bekannteste Arbeit dieser Art ist The Third Hand, ein Projekt, das zwischen 1976 und 1998 in mehrfach modifizierter Weise auf verschiedenen Kontinenten realisiert wird. Wie der Titel bereits zum Ausdruck bringt, lässt sich der Künstler hierfür eine dritte, der Dimension seiner eigenen Hände entsprechende, mechanische Hand50 anfertigen und an seinem rechten Unterarm anbringen. Wie bereits bei den verletzenden Aktionen im engeren Sinn liegt auch Stelarcs prothetischen Arbeiten die Simultaneität von Ohnmachtserfahrung und Selbstkontrolle zugrunde. Dabei gilt es Stelarc hierbei weniger, wie noch bei den Suspensions bzw. Deprivations, sich und seinem Publikum die Verletzlichkeit und damit zeitliche Begrenztheit des Körpers erfahrbar zu machen, als vielmehr auf dessen Limitierung hinsichtlich Präzision, Ausdauer, Geschwindigkeit und
48
Atzori/Woolford (1995), o. S. Wie in technologieaffinen Kreisen üblich argumentiert auch Stelarc bezüglich seiner Cyborgisierungsstrategien, dass der menschliche Körper ohnehin schon längst in Form von Herzschrittmachern, künstlichen Hüften und Kontaktlinsen die Grenze hin zum Cyborg überschritten hätte.
49
Ebd., o. S.
50
1980 in Yokohama, basierend auf einem an der Waseda Universität entwickelten Prototyp fertiggestellt, wurde diese in der Folge in zahlreichen Performances in Japan, Australien, den USA und Europa zum Einsatz gebracht.
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Kraft, ergo auf dessen beschränkte Funktionalität und ökonomische Leistungsfähigkeit zu verweisen. Hierzu dient vor allem die Relation von Humanem und Posthumanem, denn es sind die vielfältigen Fertigkeiten der Handprothese, welche jenen der realen Hände dramaturgisch gezielt gegenübergestellt werden. Erst diese unmittelbare Konfrontation mit der scheinbaren Überlegenheit der Maschine, die mit einem rudimentären taktilen Feedbacksystem, mit Greif-, Handgelenks- und 270˚ Rotationsfunktionen ausgestattetet ist, vermag, so der Künstler, das volle Ausmaß der Obsoleszenz des Humanen bewusst zu machen. Um dies zu verdeutlichen, entwirft Stelarc etwa 20minütige, choreografieartige Abläufe, in denen Bewegungen der realen Hände mit jenen der dritten Hand kombiniert werden.51 Dabei demonstriert Stelarc nicht nur die Fähigkeiten der Prothese, beispielsweise indem er mit ihr schreibt, Bälle wirft oder tanzartige Choreografien vollführt, sondern lässt sie in dieser ,Übernahme‘ alltäglicher Aufgaben immer auch gezielt mit seinen realen Händen in Konkurrenz treten. So kommentiert der Künstler einen der ersten Auftritte mit der Prothesenhand wie folgt: „In trying to mimick the motions of the artificial hand, the right hand appeared clumsy and jerky. The wrist rotation of the third hand was smoother and in that sense more real. The right hand could not cope with de 270˚ wrist rotation of the artificial hand.“52 Insbesondere solche Kommentare, welche die defizitäre Plumpheit des Fleisches angesichts der ,Eleganz‘ der Technik hervorheben, verdeutlichen erneut den Verweisungscharakter der stelarcschen Aktionen. Auf diesen Bezug nehmend, stellt auch Gržinić fest: „the third hand
51
In solchen Events wird meistens nicht nur die dritte Hand vorgeführt, sondern auch Stelarcs ,Laser-eyes‘, d.h. an seinem Visier befestigte kleine Laserkanonen. Hinzu kommt eine Soundkulisse aus in Töne umgewandelten Körpersignalen, auf welche der Künstler unmittelbar ,dirigierend‘ Einfluss nehmen kann, sowie eine Lichtinstallation, „that flickers and flares responding and reaching to the electrical discharges of the body – sometimes synchronizing, sometimes counterpointing.“ (Stelarc [1991], S. 592) Insgesamt tritt der Künstler dementsprechend inmitten eines gewaltigen Technik- und Medienspektakels auf. Dieses wird häufig noch durch Bildwände, welche in Echtzeit das Bühnengeschehen aus verschiedenen Perspektiven doppeln, ergänzt.
52
Stelarc (1984b), S. 62. Das Ergebnis eines solchen ,Wettstreits‘ muss insofern als in hohem Maße subjektiv angesehen werden, da hierbei lediglich Aspekte der Kraft, der Beweglichkeit sowie der Geschwindigkeit Bewertung finden, der Bereich der Feinmotorik hingegen von Stelarc wohlweislich ausgespart wird.
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provides us the chance to recognize what is missing from the story of natural ,evolution‘“53. Auch wenn sowohl Stelarc selbst als auch vor allem wissenschaftliche Auseinandersetzungen mit seiner Arbeit immer wieder die Harmonie zwischen den organischen und den technologischen Komponenten hervorheben54, so machen obige Kommentare deutlich, dass diese Harmonie letztlich nur auf der freiwilligen Unterwerfung des Körpers unter die Macht und Fähigkeiten der Maschinen basieren kann. Es ist schließlich die reale Hand, welche sich der Maschine anzupassen sucht. Letztere ist es, die den Maßstab, den Takt vorgibt, hinter welchen Erstere, aufgrund ihrer zu demonstrierenden Obsoleszenz, notwendig zurückfallen muss. Dieses vermeintliche Defizit des Biologischen gewinnt durch die kultur- sowie evolutionsgeschichtliche Sonderstellung der menschlichen Hand, welche aufgrund ihrer Fähigkeit zur Feinmotorik zum Sinnbild der Herrschaft des Humanen über die Natur geworden ist, besonders an Brisanz. Die Technologie überbietet den Menschen folglich darin, worin er sich zentral als Mensch definiert und sich von den übrigen Lebewesen unterscheidet, wodurch insbesondere die dritte Hand zugleich Stelarcs programmatische Transgression legitimiert. Exemplarisch hierfür erscheint die Aktion Handswriting (1982), bei welcher der Künstler mit seinen drei Händen gemeinsam in gleichmäßiger Schrift das Wort ,Evolution‘ auf eine Glasfläche schreibt.55 Indem sich hierfür Feinmotorik und Sprach- respektive Denkfähigkeit, die zwei Konstitutionsmerkmale des Menschen, in signifikanter Weise verbinden, avanciert die Aktion, als Signum des Zukünftigen, zu einer symbolischen Geste. Die dritte Hand ist damit ein „pure surplus“56, das parallel zu seinem Verweis auf die Veraltetheit des biologischen Körpers, d.h., aus Stelarcs Sicht, seines Verweises in die Vergangenheit, zugleich zukunftsweisend fungiert.
53
Gržinić (2002a), S. 104.
54
Vgl. z.B. Goodall (2005); Ernst (2003).
55
Stelarc beschreibt die Aktion wie folgt: „The performance entailed writing one word simoultaneously with three hands. Because of the spacing of the hands, every third letter was written before the arms moved rightwards to write the next three. That is, the word was produced by the groupings E-L-I, V-U-O and O-T-N, respectively. The challenge for the artist was to remember what letter was being written by each hand at any given time and to keep his two eyes on what his three hands were doing.“ (Stelarc [1991], S. 594).
56
Gržinić (2002a), S. 103.
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Abbildung 6: Handswriting
Beide Ebenen finden in diesem „anthropologischen Zwischenzustand des Menschen“57 nicht nur simultan statt, sondern bedingen einander auch relational, indem die Inferiorität des Körpers immer zugleich die Überlegenheit der Maschine illustriert und umgekehrt. Denn die Überlegenheit des technologisch verbesserten Körpers ist auf die Ohnmacht der Natur angewiesen, nur dadurch legitimiert sich das Vorhaben, in diese verbessernd eingreifen zu können.58
57
Evert (2003), S. 214.
58
Amelia Jones entwirft anlässlich der Rezeption von Extended Arm (Pennsylvania State University, 2000) die These, dass entgegen Stelarcs Proklamation der Optimierung und Aufhebung des biologischen Körpers gerade dessen feuchte, verletzliche Fleischlichkeit vor Augen trete. Diese wiederum lasse in ihrer Präsenz und in ihrer Fähigkeit, Empathie auszulösen, Stelarcs Strategie, die Obsoleszenz des Körpers aufzuzeigen, fehlschlagen. So Jones: „I found myself responding in a deeply empathetic way to the drone of the Virtual Arms’s Technology and to this small, compact, masculine body partly sheathed in metal and speaking to the audiance passionately about his work. Tears came into my eyes in the most emotional fashion, as I imagined […] my own body trapped, controlled, directed by this technological apparatus. Far from experiencing Stelarc’s (or my own) body as ,obsolete‘ or otherwise irrelevant or transcended, I felt more aware of my bodily attachment to his artistic practice – more and not less cathected to his technologized form.“ (Jones [2005], S. 87) Abgesehen davon, dass Jones’ wirkungsästhetische Verallgemeinerung ihrer eigenen subjektiven Rezeptionserfahrung per se bereits problematisch ist, übersieht sie
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Wenn die Maschinen analog zur äußeren Natur in Kants Erhabenem dasjenige sind, was den humanen Körper zuvorderst bedroht bzw. verdrängt, so müssen sowohl die von Stelarc angestrebte Maschinisierung des Körpers als auch die in den Performances inszenierte Kompetition mit den technischen Prothesen als selbst verletzende Akte aufgefasst werden. Denn diese forcieren, indem sie das, was den Körper zu unterwerfen vermag, zusätzlich stärken, dessen Unterwerfung respektive Verdrängung, wodurch sie wie im Erhabenen der Vernichtung des Organischen gewissermaßen ,zuvorkommen‘. Indem jedoch gerade die für den biologischen Körper zweckwidrigen Maschinen es ermöglichen, über diesen hinaus zu denken, vermag zugleich dasjenige, was den Menschen zu vernichten droht, ihn auch nachhaltig dieser Vernichtung zu entziehen. Dies jedoch nur innerhalb einer dualistischen Anthropologie, im Rahmen derer die biologische Ausformung des Menschen von dessen subjektivem Seinspotenzial, nach welchem er auch ,Maschine‘ werden kann, geschieden wird. Indem sich das Subjekt folglich mit seinen Artefakten mehr identifiziert als mit seinem biologischen Körper, kann es sich der Übermacht der Maschinen im kantschen Sinne ,bedienen‘, um sich quasi in einem ,Schulterschluss‘ mit diesen auch deren Attribute der Kraft, der Härte, der Potenz und vor allem der Macht anzueignen. Die „pure power“59 der Maschinen wird innerhalb dieser Identifikationslogik zum Sinnbild menschlicher Macht, wodurch das Individuum seine gefühlte Ohnmacht zu überwinden strebt. Dieser Symbolisierungsvorgang wird durch den Umstand unterstützt, dass entgegen den Naturgewalten im kantschen Erhabenen die Maschinen tatsächlich Hervorbringungen des Menschen sind, wohingegen man zu seinem Körper evolutionsgeschichtlich ,verurteilt‘ wurde. In der Identifikation mit seinen Artefakten gleicht sich der Mensch folglich als Schöpfer seiner Schöpfung an, um den Makel seines biologischen Gewordenseins zu
darüber hinaus, dass der explizite Verweis auf die Vulnerabilität des Körpers Teil der stelarcschen Strategie ist, die vulnerable Natur letztlich zu überwinden. Dies setzt jedoch sowohl auf Seiten des Akteurs als auch seines Publikums eine rationale sowie emotionale Distanzfähigkeit zu der eigenen Leiblichkeit voraus. Nichtsdestotrotz muss eingeräumt werden, dass Zuschauer/-innen von Stelarcs Arbeiten häufig zu dem Schluss kommen, die vorgestellten Körpererweiterungsstrategien seien weit weniger anstrebenswert, als dies der Künstler selbst vermeinen möchte. So stellt etwa Evert fest, Stelarcs Aktionen entlarven den „Cyborg als motorisch behindertes Wesen“ (Evert [2003], S. 243). Da sich die vorliegende Arbeit jedoch nur peripher mit der Zuschauer/-innenposition befasst, kann auf diesen Umstand hier nur verwiesen werden. 59
Stelarc (1991), S. 593.
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überwinden. Diese Identifikation, in welcher im adornoschen Sinne das Ichprinzip sich zu ermächtigen sucht, indem es sein Negat imitiert60, operiert jedoch – und auch hier zeigt sich die Analogie zum Erhabenen – lediglich über die Aufopferung des unterlegenen Körpers. Denn wie bereits in Kants Analyse des Erhabenen ersichtlich, können die äußere Natur respektive die Maschinen nur deshalb Omnipotenz ästhetisch vorstellig machen, weil sie sich als eine uns überlegene Gewalt präsentieren, d.h., indem der Körper in einer (imaginierten) Konfrontation mit diesen vollständig unterliegt. In der intendierten Identifikation mit der scheinbaren Allgewalt der Maschinen gewinnt dieses Scheitern der Physis damit jedoch analog zu Kant eine konstitutive Funktion, da es zur Bedingung der eigenen Selbstermächtigung wird. Anstatt sich folglich der Gewalt, welche die Sinnlichkeit verdrängt, entgegenzusetzen, wählt Stelarc, um nicht den ganzen Menschen unterworfen denken zu müssen, diese im Gegenteil noch zu
60
Vgl. Adorno (1998), S. 181. Insbesondere in der 1947 gemeinsam mit Horkheimer veröffentlichten Dialektik der Aufklärung galt es Adorno aufzuzeigen, dass das abendländische Subjekt von Grund auf mit Herrschaft und Gewalt verbunden ist, welche sich in letzter Konsequenz notwendig gegen dieses selbst richten. Vor allem die neuzeitliche Selbsteinschätzung als autonomes Vernunftsubjekt, wie sie insbesondere Kant und in seiner Nachfolge der deutsche Idealismus prägten, berge demnach unweigerlich ein destruktives Potenzial. Zwar geht Adorno mit der Annahme der Aufklärungsbewegung d’accord, dass erst die Abgrenzung des Menschen von der übermächtigen Natur den Begriff von Identität hervorbringen bzw. stabilisieren konnte, doch hatte der damit einhergehende elementare Wunsch nach Selbsterhaltung die gewaltsame Unterwerfung alles Äußeren zur Folge. So folgern Adorno und Horkheimer: „Aufklärung ist die radikal gewordene, mythische Angst. […] Es darf überhaupt nichts mehr draußen sein, weil die bloße Vorstellung des Draußen die eigentliche Quelle der Angst ist.“ (Adorno/Horkheimer [2008], S. 22) Der Prozess der Rationalisierung impliziert damit die Exklusion alles Nicht-Identischen, des Ungleichen, Mannigfaltigen und Unberechenbaren mittels der historisch zunehmend totalitär werdenden subjektiven Vernunft. Die scheinbare Notwendigkeit, einer bedrohenden Macht zwangsläufig mit ,Übermächtigung‘ zu begegnen – und sei es wie in Kants Konzeption des Erhabenen eine Übermächtigung, die nur mittels der Selbstaufopferung der eigenen Sinnlichkeit als solche empfunden werden kann –, müsse jedoch, so Adorno, überwunden werden, soll Aufklärung tatsächlich gelingen. Denn: „Jeder Versuch, den Naturzwang zu durchbrechen, indem Natur gebrochen wird, gerät nur um so tiefer in den Naturzwang hinein.“ (ebd., S. 19) Im vollends rationalisierten Subjekt entpuppt sich schließlich bloß „das entfesselte Tier“ (Alker [2007], S. 147).
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forcieren, worin die für das Erhabene charakteristische ,Opferökonomie‘ zu Tage tritt. Den Willen des Subjekts zur Selbstüberschreitung und die Maschinenwelt verbinden im Gefühl des Erhabenen somit ihre Überlegenheit über und Gewalt gegen den bloßen Körper. Neben dem Erleben bzw. dem programmatischen Aufzeigen körperlicher Schwäche dienen Stelarcs prothetische Arbeiten somit vor allem der demonstrativen Selbstversicherung von Macht in Form von überlegener Stärke und erweiterter Kontrolle. Sie können folglich als gezielte ,Vorführung‘ jener transhumanen Fertigkeiten verstanden werden, wobei einerseits die vielfältigen Möglichkeiten der Maschinen selbst, dadurch zugleich aber immer auch die Fähigkeit des Künstlers, diese zu steuern und damit gewissermaßen zu ,beherrschen‘, aufgezeigt werden. Stelarcs Performances sind somit immer auch Demonstrationen gesteigerter Potenzen, jene der Maschinen und zugleich jene des ,neuen‘ und ,zeitgemäßen‘ Maschinenmenschen, dessen Macht sich entsprechend der Überlegenheit seiner technischen Komponenten potenziert. Dahingehend stellt auch Goodall fest: „The silent and frighteningly vulnerable body of flesh was transformed into a technoalien figure – the generative center of a noisy 61 and visually spectacular force field.“ Dieser Potenzierungsstrategie entsprechend, erfahren die entwickelten Prothesen im Laufe der Zeit hinsichtlich ihrer Größe und Macht eine sukzessive Steigerung. War es zuerst die dritte Hand, welche dem Körper hinzugefügt wurde, so wird es in der Folge ein ganzer Arm (The Third Arm, 1991-94) und schließlich in Exoskeleton (1998) eine sechsbeinige, spinnenartige Gehmaschine. Proportional zu dieser steigenden Größe und Macht der Maschinen reduziert sich jedoch der Bewegungsspielraum des biologischen Körpers, welcher selbst zunehmend zu einem bloßen „Appendix“62 gerät. Zwar ist es nach wie vor der Künstler, welcher mittels Armgesten die „powerful 600kgm machine“63 beherrscht, doch ist sein Oberkörper hierfür von einem Exoskeleton, d.h. einer wirbelsäulenähnlichen Metallvorrichtung, umgeben sowie von magnetischen Sensoren bestückt und dadurch selbst nahezu bewegungsunfähig. Das Handlungspotenzial des biologischen Körpers, das in The Third Hand mit jenem der Prothesen in Konkurrenz gesetzt wurde, ist nun überwiegend an diese abgegeben. Die Freiheit desselben wird folglich der
61
Goodall (2005), S. 11.
62
Anders (2010), S. 43. Auch Evert kommt in ihrer Auseinandersetzung mit Stelarc zu dem Schluss, dass der um Technik erweiterte Körper in Stelarcs Aktionen stets eine Immobilisierung erfahre, da sein räumlicher Bewegungsspielraum an die Maschinen abgegeben werde. Vgl. Evert (2003), S. 236.
63
http://stelarc.org/?catID=20218
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steigenden operationalen Freiheit respektive der Macht des Handlungssubjekts geopfert. Abbildung 7: Exoskeleton
In diesem Konglomerat aus Freiheitsberaubung und Potenzerweiterung zeigt sich am deutlichsten das dem kantschen Erhabenen inhärente Wechselspiel aus Aufopferung und Erhebung, zugleich jedoch auch die Dialektik einer solchen Erhebung, denn diese geht in Stelarcs Konzeption schließlich mit der völligen Überantwortung des Einzelnen an die Macht der Maschinen einher; ein Umstand, der exemplarisch in seinem Modell invasorischer ,Gesundheitsvorsorge‘ zu Tage tritt. So visioniert der Künstler: „Es ist an der Zeit, den Körper mit MINIATURISIERTEN ROBOTERN ZU BE– VÖLKERN, um unsere Bakterienpopulation zu vermehren, unser Immunsystem zu unterstützen und die Kapillaren und inneren Bereiche des Körpers zu beobachten. Es besteht die Notwendigkeit, dass der Körper ein INTERNES ÜBERWACHUNGS– SYSTEM besitzt: Symptome tauchen zu spät auf! […] Im nanotechnologischen Bereich werden Maschinen zelluläre Räume bewohnen und mit molekularen Strukturen arbeiten. Das Trauma, beschädigte Körper zu reparieren oder sogar wieder herzurichten, würde
230 | S UBJEKTERMÄCHTIGUNG UND N ATURUNTERWERFUNG durch eine Kolonie von Robotern in Nanogröße eliminiert, die geschickt die Körperarchitektur von innen nach außen und von den Atomen ausgehend verändern.“
64
Die Begrifflichkeit, mit welcher der Künstler operiert, die imperative Rede sowie nicht zuletzt die Bilder, die er hierzu evoziert – Trauma, Tod, Beschädigung und immer wieder die Vorstellung des ,zu spät Seins‘ und des daraus erwachsenden Versäumnisses –, machen den Kontext der Krise deutlich, in welchem Stelarcs Arbeiten und Konzepte anzusiedeln sind. Vor dem Hintergrund dieser Krise setzt er der Natur, als dem letztlich unbekannten ,Anderen‘, exemplifiziert als das verborgene und damit immer schon potenziell bedrohliche Körperinnere, ein System totaler Überwachung entgegen. 10.2.3 Die Reorganisation des Humanen: Ear on Arm „Die Strategie sollte es sein, den Körper AUSZUHÖHLEN, ihn zu VERHÄRTEN und zu ENTWÄSSERN, um ihn dauerhafter und weniger verletzlich zu machen. Die gegenwärtige Organ-isierung des Körpers ist nicht notwendig. 65
[Herv. i. O.]“
Dass die intendierte Transgression hin zum Posthumanen über die bloße Supplementierung hinausgeht, zeigt sich insbesondere in Stelarcs manifestartigem
64
Stelarc (1996), S. 80. In dieser Weise können bereits Stelarcs Performances verstanden werden, in denen er mit wahrnehmungsverändernder Apparatur arbeitete bzw. somatische Vorgänge mittels medizinischer Geräte visualisierte oder in akustische Signale umwandelte. Vor dem Hintergrund Stelarcs Zukunftsvisionen muss dieser Einsatz medizinischer Apparatur, wenn auch hier zu einem Geräusch- und Lichtspektakel umfunktioniert, als rudimentäre Vorstufe seines nanotechnologischen Überwachungssystems gelesen werden. So geht es auch hier letztlich um die Sichtbarmachung innerer Vorgänge, welche dadurch ihren Status des Unbekannten verlieren sollen. Noch deutlicher in diese Richtung weisen die von 1973-75 entstandenen Filme des Körperinneren, welche ebenso mithilfe medizinischer Geräte durchgeführt wurden. Über die bloße Ästhetisierung des Körpers hinaus soll dabei immer in einem Gestus der Auf- bzw. Abklärung unbekanntes Terrain ,erobert‘ werden, um dieses damit zugleich kontrollierbar sowie weniger bedrohlich zu machen.
65
Ebd., S. 77.
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Text Prosthetics, Robotics and Remote Existence: Postevolutionary Strategies, der 1991 erscheint. Hier präsentieren sich in zehn Unterkapiteln die stelarcschen Visionen des Posthumanen. Diese zielen auf eine radikale Reorganisation bzw. Manipulation der „Körperstruktur“66 und reichen, wie im Eingangszitat ersichtlich, von der Aushöhlung, Verhärtung und Entwässerung des Körpers bis zur Ausstattung desselben mit einer photosynthetisch arbeitenden Haut, welche sowohl Nahrungsaufnahme als auch Sauerstoffzufuhr überflüssig machen soll. Auf diese Weise ließe sich schließlich das verletzliche Innere, d.h. die „überflüssigen, schlecht funktionierenden Organe [, R. B.] eliminieren“67, um den Menschen zu einem „better host for technological components“68 zu machen. Auch eine sukzessive Häutung des Körpers, um diesen anschließend mit Membranen, in welche Sensoren und Eingabe-/Ausgabegeräte eingebettet sind, zu umgeben, wird von Stelarc angedacht. Ziel all dieser Maßnahmen ist erneut, den Menschen seiner biologischen ,Schwachstellen‘ zu entledigen, wodurch dieser „more durable and less vulnerable“69 werden soll. Das von Stelarc intendierte Ergebnis eines solchen Prozesses wäre ein abgehärteter, ausgehöhlter, zu einem „Wirtsraum“70 umfunktionierter und letztlich auf seine Leistungsfähigkeit reduzierter Körper. Es liegt auf der Hand, dass eben dieser Bereich der irreversiblen Modifikation derjenige sein muss, wo die Differenz zwischen lediglich angedachter Möglichkeit und realisierbarer Wirklichkeit am größten ausfällt; ein Umstand, der nicht nur Stelarcs Arbeit, sondern das Gesamtfeld künstlerischer Bodymodification betrifft. Während die verletzenden Suspensions zwar Narben hinterließen, ihrem Prinzip nach aber nie auf eine Veränderung des Körpers ausgerichtet waren, durchdrangen die prothetischen Arbeiten nicht einmal mehr die Haut und waren darüber hinaus auch nicht für eine dauerhafte Transgression des Menschen konzipiert.71 So blieben entgegen Stelarcs ,Cyborgisierungsstrategien‘
66
Stelarc (1996), S. 74.
67
Ebd., S. 77.
68
Stelarc (1991), S. 592.
69
Ebd., S. 592.
70
Stelarc (1996), S. 77.
71
Hatte Stelarc auch seine dritte Hand zunächst als permanente Prothese geplant, so war dies aufgrund von Hautirritationen nicht durchführbar: „Originally it was designed as a semi-permanent attachment to the body, but because of skin irritation from electrode gel and the weight of the hand, support structure and the battery pack (approx. 2 kgms), it could not be worn continuously and thus it became a special performance device.“ (http://stelarc.org/?catID=20265)
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letztlich doch alle prothetischen Eingriffe lediglich temporär und veränderten die Körperstruktur nicht. Dies ändert sich mit dem Projekt The Third Ear, welches als „soft prosthesis“72 auf die rechte Gesichtshälfte des Künstlers transplantiert hätte werden sollen. Dieses aus eigenem Knorpelmaterial geformte Ohr sollte mit einem Soundchip ausgestattet und mit dem Internet verbunden sein, wodurch es in der Lage gewesen wäre, gleichermaßen als Sender und Empfänger zu fungieren. Von 1997 an sucht Stelarc für die Durchführung seines Konzeptes ein Chirurgenteam, doch über mehrere Jahre erfolglos.73 Den Grund hierin sieht er in der Radikalität des Eingriffs: „The problem is that it goes beyond mere Cosmetic Surgery. It is not simply about the modifying or the adjusting of existing anatomical features (now sanctioned in our society), but rather what's perceived as the more monstrous pursuit of constructing an additional feature that conjures up either some congenital defect, an extreme body modification or even perhaps a radical genetic intervention....“74 Zu dieser gesellschaftlichen Dimension kommen gesundheitliche Gefahren, wie insbesondere Lähmungserscheinungen in Folge einer möglichen Verletzung der Gesichtsnerven. Beide Aspekte veranlassen den Künstler dazu, sein Ohrprojekt schließlich vom Gesicht auf seinen linken Unterarm zu verlegen. Dieser Schritt ermöglicht die Realisierung seines Konzepts, 2003 beginnt das Projekt EAR ON ARM. Hierfür wurde zunächst in einem ersten Operationsschritt die Haut mittels eines SilikonImplantats gedehnt, um schließlich in einer zweiten Operation drei Jahre später ein formbares, zweidimensionales Ohrreplikat aus biokompatiblem Polyethylen einzupflanzen. Verlief der Prozess auch weitgehend nach Wunsch, so hatte die von drei amerikanischen Chirurgen vorgenommene Körpermodifikation zugleich „several serious problems“75 zur Folge, wie beispielsweise eine Nekrose im Zuge der Aufdehnung der Haut sowie eine schwere Entzündung aufgrund des eingesetzten Mikrofons, welche ein Jahr Genesungszeit beanspruchte und schließlich auch die Entfernung desselben notwendig machte.
72 73
http://stelarc.org/?catID=20229 Ähnlich erging es Stelarcs französischer Künstlerkollegin Orlan, welche sich in den 1990er Jahren im Zuge mehrerer Operationen ihr Gesicht nach ausgewählten Schönheitsidealen aus der Kunstgeschichte modifizieren ließ. Auch für die Durchführung dieses Projekts fanden sich zunächst keine Chirurgen bzw. Chirurginnen.
74
http://stelarc.org/?catID=20229
75
http://stelarc.org/?catID=20242
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Abbildung 8: EAR ON ARM
Nichtsdestotrotz plant Stelarc für die Zukunft noch weitere Operationsschritte. So will er beispielsweise durch das Einsetzen eigener Stammzellen das dreidimensionale Wachstum des Ohres ermöglichen, auch soll erneut ein Mikrofon implantiert werden. Dahingehend vermerkt der Künstler: „The final procedure will re-implant a miniature microphone to enable a wireless connection to the Internet, making the ear a remote listening device for people in other places. For example, someone in Venice could listen to what my ear is hearing in Melbourne.“76 Auch im Rahmen dieser Körpermodifikation, der insgesamt wohl radikalsten Form künstlerischer Selbstverletzung, demonstriert sich Stelarc analog zu seinen frühen Arbeiten in heroischer Selbstüberwindung. So nimmt er nicht nur freiwillig postoperative Schmerzen – während der Operationen selbst ist er anästhetisiert – und nekrotische Entzündungen in Kauf, sondern ist auch bereit, im Namen von Kunst und Fortschritt die Risiken, welche operative Eingriffe immer mit sich bringen, zu tragen. Von dieser Leidensbereitschaft für die Kunst zeugen
76
http://stelarc.org/?catID=20242
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detaillierte Operationsaufnahmen, die im Rahmen von Ausstellungen77 bzw. auf der Homepage des Künstlers zu sehen sind. Hinzu kommen Aktionsbeschreibungen, welche die schmerzhaften Folgeerscheinungen nicht unerwähnt lassen. Auch die immer wieder hervorgehobene Risikobereitschaft, noch relativ unerprobte Verfahren, wie etwa den medizinischen Einsatz von Stammzellen, am eigenen Körper austesten zu wollen, inszeniert Stelarc als wagemutigen Avantgardisten, der die eigene Gesundheit riskiert, um Fortschritt zu ermöglichen bzw. zumindest den Handlungsspielraum des Menschen zu erweitern. Er stilisiert sich und darüber hinaus Künstler/-innen allgemein auf diese Weise als Vorreiter/innen einer neuen Zukunft, welche man Seite an Seite mit Wissenschafter/-innen und Ingenieur/-innen entwirft und vor allem zugleich erprobt. So Stelarc: „The Artist can become an evolutionary guide, extrapolating new trajectories; a genetic sculptor, restructuring and hypersensitizing the human body; an architect of internal body spaces; a primal surgeon, implanting dreams, transplanting desires“78. Das hierzu notwendige Wagnis hervorstreichend, stellt Stelarc fest: „It's still somewhat experimental with no guarantee that the stem cells will grow evenly and smoothly – but it does provide the opportunity of sculpturally growing more parts of the ear- and possibly resulting in a cauliflower ear!“79 Neben diesem bereits bekannten Moment der Selbsterprobung durch Risiko und Schmerz enthält die chirurgische Körpermodifikation eine weitere, bis dato unerwähnte Funktion, nämlich jene der Selbstsetzung als schöpferisches Subjekt. Stelarc inszeniert sich durch den Eingriff in die eigene Körperstruktur in radikalisierter Weise als autonomer Künstlergenius, der den Stoff – hier den zum Kunstwerk avancierten Körper – seinem kreativen Willen unterwirft. Er wird folglich zum Kreator seiner selbst, der sich in einem Akt autonomer Gestaltung der Autorenschaft über seine Natur versichern kann. Anstatt sich in der ,naturgegebenen‘ Körperlichkeit determiniert denken zu müssen, gerät diese folglich zum modellierbaren Zeichenträger, auf welchen das Subjekt ob seiner unbegrenzten Phantasietätigkeit sowie seiner Handlungssouveränität willkürlich einzuwirken vermag. Denn es sind die Ideen des Künstlers, wie er immer wieder betont, bzw. die Möglichkeiten der Wissenschaft, welche seine Körpermodifikationen vorgeben; ein Umstand, der sich gerade darin offenbart, dass Stelarcs Eingriff weder notwendig noch im engeren Sinne des Wortes sinnvoll ist, denn
77
So etwa im Rahmen der Ausstellung OBLIQUE: IMAGES FROM STELARC'S EXTRA EAR SURGERY, welche 2008 in der Guildford Lane Gallery, Melbourne zu sehen war.
78
Stelarc (1984d), S. 76.
79
http://stelarc.org/?catID=20242
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nicht die ohnehin eingeschränkte Funktionalität des dritten Ohres rechtfertigt das Verfahren, sondern allein das schöpferische Potenzial des Menschen, welches man keinem Zwang unterworfen denken muss. Dahingehend stellt Stelarc fest: „[…] these functional possibilities are not what justifies or authenticates the project. It would be interesting even without any utilitarian use.“80 Der modifizierte Körper wird damit zum Ausdruck des menschlichen Seins, indem er zum Sinnbild des schöpferisch-autonomen Willens avanciert. Die selbstbestimmte Gestaltung der eigenen Natur demonstriert in exemplarischer Weise die Freiheit, nicht an deren Materialhaftigkeit gebunden zu sein, und setzt damit in radikalisierter Weise die Tendenz der Suspensions sowie der prothetischen Arbeiten fort. Denn stand bereits dort die „Befreiung von der Last des Leibes“ im Zentrum, so kann diese willkürliche Körpermodifikation als nächster Schritt hin zur angestrebten Independenz verstanden werden. Wie im kantschen Erhabenen geht jedoch auch dieser Freiheitsdemonstration das verletzende Einwirken auf den Körper bzw. die schillersche „Brechung der Naturnotwendigkeit“81 voraus. Der hierfür notwendige „Kampf mit der Sinnlichkeit“82 – exemplarisch in Nekrosen und anderen Abwehrmechanismen, wie beispielsweise Allergien, zu Tage tretend –, welcher auf ein Ende der Evolution zielt, trägt alle Kennzeichen des Erhabenen. Modifizierende Selbstverletzung birgt in diesem ,Einlösen‘ menschlicher Freiheit noch eine weitere ,Funktion‘, nämlich jene der Legitimation. Legitimierte auf der einen Seite die Vulnerabilität des Körpers scheinbar jeglichen Versuch, auf diesen verändernd einzuwirken83, so trägt das weitgehende Gelingen dieses Versuches das Übrige dazu bei, in einer Umkehrung der kantschen Prämisse ,man kann, was man soll‘ jene Transgression des Humanen zusätzlich zu rechtfertigen. Denn allein die Fähigkeit, die Natur ,verbessern‘ bzw. zumindest erweitern zu können und auf diese Weise „über die körperliche Fixierung zu steigen“84, legitimiert das Subjekt dazu, sich in einem Akt der Selbstkreation neu und besser zu gestalten. In diesem Sinne wird der modifizierte Körper zu einem
80
http://stelarc.org/?catID=20229
81
Schiller (1966c), S. 39.
82
Schiller (1966b), S. 82.
83
So stellt Stelarc in einem Interview fest: „[…] any form of life, whether it be carbon chemistry or silicon-chip circuitry – any form of life that can perpetuate these values in a more pervasive form – should be allowed to develop.“ (Stelarc [1995], S. 49; zit. nach Zurbrugg [2000], S. 112).
84
Prammer (1988), S. 121.
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zukunftsweisenden „catalyst for change“85. Denn die „moralischen Imperative“86 der Technik, nämlich dass das Gekonnte auch das Gesollte zu sein hat, rekurrieren auf einen Möglichkeitsraum, welcher seinem Wesen nach fortwährend nach Erweiterung strebt. Nicht zuletzt legitimiert der tatsächliche Vollzug einer dauerhaften Körpermodifikation die ,Ernsthaftigkeit‘ von Stelarcs künstlerischem Anliegen bzw. seiner Zukunftsvisionen. So betont er wiederholt, dass er im Gegensatz zu reinen Theoretiker/-innen, wie etwa Donna Haraway, die Durchführbarkeit und damit Plausibilität seiner Ideen durch den (schmerzvollen) Einsatz des eigenen Körpers unter Beweis stelle. Die freiwillige Inkaufnahme der hierbei auftretenden Komplikationen führt das notwendige Opfer vor Augen, welches auf dem Weg zu einer posthumanen, von Schmerz und Leid befreiten Zukunft gebracht werden muss. Dieses ist der ,Tribut‘, welcher durch Leid das Leiden überwinden soll, denn die Aussicht auf den posthumanen Körper setzt die Reorganisation des Humanen voraus. Wiesen sowohl Stelarcs frühe Performances als auch seine prothetischen sowie körpermodifizierenden Arbeiten auch deutlich dualistische Tendenzen auf, im Zuge derer sich die Souveränität des Handlungssubjekts gerade über die Unterwerfung des Körpers konstituierte, so gewinnt diese ,klassische‘ Binarität mit seinen so genannten Internet-Performances, welche abschließend vorgestellt werden sollen, eine neue Dimension. Denn es ist gerade die Handlungsautonomie des souveränen Subjekts selbst, ja, sogar die Vorstellung von Individualität überhaupt, welche der Künstler hier zunehmend in Frage zu stellen beginnt. Die „obsessions of individuality and free agency“87 gelten nun ebenso als obsolet wie der biologische Körper selbst. Scheinen damit seine späten Arbeiten auch über das Erhabene, als Ästhetik des ,starken‘ Subjekts, hinauszuweisen, so doch nur, so gilt es im Anschluss aufzuzeigen, indem sie die Strukturen, die diesem Subjektbegriff zugrunde liegen, auf systemische Ebene ausweiten und auf diese Weise zugleich verabsolutieren.
85
Kiki Smith (1994), S. 128.
86
Anders (2002), S. 17.
87
Stelarc (2000), S. 122.
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10.2.4 Enteignung: Involuntary Body „Mit dem Muskel-Stimulations-System, das ich geschaffen habe, oder mit der Installation Fractal Flesh, welche das Internet als eine Art externes Nervensystem benutzt, habe ich die Cyborg-Idee verändert. Der Cyborg ist nun nicht mehr ein Körper, sondern ein System aus einer Vielzahl von Körpern, die via Internet verbun88
den sind.“
Ab Mitte der 90er entwickelt Stelarc eine neue Arbeitsform, so genannte Internet-Performances, bei welcher der Körper zur Schnittstelle verschiedener Agenten avanciert. War es bisher der Künstler selbst, der seinen materialisierten, um Technologie erweiterten Körper mittels Muskelansteuerung kontrollierte, so versteht er diesen nun konsequent als Wirt, „not only for technology, but also for remote agents“89. In diesem Sinne lässt er in Aktionen wie Fractal Flesh (1995), Ping Body (1996) oder Parasite: Event for Invaded and Involuntary Body (1997) mithilfe eines computergesteuerten Muskelstimulationssystems (Stimbod) Teile seines Körpers unwillentlich in Bewegung setzen. Die hierfür notwendigen elektronischen Impulse (bis zu 60 Volt) werden entweder wie in Fractal Flesh von Zuschauer/-innen via Touchscreen90, wie in Movatar (2000) durch einen auf logarithmischen Zufälligkeiten basierenden Avatar, d.h. einen computergenerierten grafischen ,Stellvertreter‘, oder aber wie in Ping-Body vom Ping-Protokoll des Internets selbst, welches die Antwortzeiten von Datenübertragungen misst,
88
Landwehr (1998), o. S.
89
Stelarc (2002), S. 13.
90
Hierzu erinnert sich Stelarc: „Ich habe zum Beispiel für die Ausstellung Telepolis in Luxemburg eine Installation gemacht: via Internet waren wir mit dem Centre Pompidou in Paris, mit dem Media Lab in Helsinki und mit der Konferenz „Doors of Perception“ in Amsterdam verbunden. Über einen Touch-Screen konnten die Menschen meinen Körper steuern. Ich selber hatte nur die Kontrolle über meine „Dritte Hand“, die ich mit meinen Beinmuskel [!] steuerte. Die Performance war für mich wieder eine extreme Erfahrung. Man sieht die Bewegungen des eigenen Körpers, ohne daß man sie selber veranlaßt hätte, ohne daß man sie kontrollieren könnte. Ich konnte das Gesicht der Personen sehen, die meine Bewegungen steuerten. Das erzeugt eine intime Beziehung. Es entsteht eine Bewegung ohne Erinnerung und Wunsch.“ (Landwehr [1998], o. S.).
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ausgelöst. Indem schließlich zufällige Internetaktivitäten die Navigation übernehmen, werden diese dabei „zu einer Art externem Nervensystem, das den Körper steuert“91. Allen Arbeiten ist gemein, dass die Bewegungen des biologischen Körpers aufgesplittet werden. So sind es entweder nur einzelne Körperglieder oder eine der beiden Körperhälften, welche Fremdsteuerung erfahren, während der restliche Körper bzw. zusätzliche Prothesen weiterhin der Kontrolle des Künstlers unterliegen. Dieser erlebt und inszeniert sich damit gezielt physisch aufgespalten und partial entfremdet. Indem Stelarc somit die Aktionen des Körpers programmatisch dem eigenen Willen entzieht und so Teile seines Selbst als fremdbestimmt erlebt, stellt er zugleich das abendländische Ideal des autonom über sich verfügenden Subjekts in Frage. Dass dies auch dem Anliegen des Künstlers entspricht, zeigen ab den 90er Jahren verfasste Texte, welche parallel zur Obsoleszenz des Körpers nun auch jene des ,starken‘ Subjekts proklamieren, indem sie die Vorstellung autonomer Subjektivität als historisch-gesellschaftliches Konstrukt zu entlarven suchen. In diesem Sinne reflektiert Stelarc: „The more I’ve done these performances, the less and less I feel that this body is the repository of a psyche or even a mind. […] It’s necessary for individual bodies to survive in a competitive biological and social world but the more I do and the more I think, I realise that words like ,I‘ are just a convenient shorthand for a complex interplay of social entities and situations. It’s not meaningful to talk about an individual any more.“
92
Diese Subjektkritik sowie der Versuch, „to adopt a more fluid form of identity“93, finden sich entsprechend der Krise des Subjekts, die ab den 1960er Jahren Philosophie und Kunst gleichermaßen dominiert, auch bei anderen Vertreter/innen der Body Art. Stelarc geht hierin jedoch noch einen Schritt weiter, indem er auch den Freiheitsanspruch des Individuums bzw. individuelles Bewusstsein überhaupt, an welchen Künstler/-innen wie VALIE EXPORT unbeirrt festgehalten hatten, als überholt erklärt. So seien, seiner Ansicht nach, in Zukunft Handlungssteuerung und -regelung nicht mehr einem individuellen Subjekt zuzurechnen, sondern stattdessen systemisch, intersubjektiv und zirkulierend zu denken, wodurch sich die Grenzen zwischen dem Einzelnen und dem ihn umgebenden
91
Ebd., o. S.
92
Stelarc (1994), S. 388f.
93
Kiki Smith (1994), S. 128.
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System, „that dims and intensifies as agents are connected and disconnected“94, sukzessive aufzulösen begännen. Dadurch gerate das ,Ich‘ parallel zum Körper zur bloßen Schnittstelle; individuelles Bewusstsein werde Teil eines „global vernetzten Gesamtkörpers“95. In dieser „operationale[n] Funktionsgemeinschaft“96 sollen folglich virtuelle Existenzen, Maschinen und organische ,Reststrukturen‘ zu einem „Meta-Körper“97 verbunden werden, innerhalb dessen sich Intelligenz respektive Bewusstsein fließend zwischen Einzelkörpern bewegt, im Grunde aber lediglich dem System selbst zugehört. So Stelarc: „Awareness and agency would be shifted and shared between bodies. Agency could be shared in the one body or in a multiplicity of bodies in an electronic space of distributed intelligence.“98 Auf den radikalen Bruch verweisend, den ein solches Konzept mit dem abendländischen Identitätsbegriff vollzieht, stellt Goodall fest: „Self and agency are thus unhoused, sent wandering in a nebulous space between bodies. There could be no more conceptually potent threat to the concept of individuality.“99 Dass dieses Ideengut mehr als bloße Utopie ist, zeichne sich in seinen Internet-Performances insofern bereits rudimentär ab, so Stelarc, als hierbei Feedbackschleifen konstruiert werden, welche, über die bloße Binarität von steuerndem und ausführendem Organ hinausgehend, ein System aus sich wechselseitig in Bewegung setzenden Körpern herstellen. Ohne auf diesen speziellen Aktionstyp und dessen Einflüsse, wie beispielsweise unterschiedliche Ansätze der Systemtheorie sowie der Kybernetik, an dieser Stelle ausführlich eingehen zu können, sollen im Folgenden diejenigen Aspekte herausgegriffen werden, welche für den Fokus der vorliegenden Arbeit relevant sind. Es sind dies in erster Linie Fragen nach der Autonomie des Subjekts, nach dem über den Körper ausgetragenen Konflikt zwischen Ohnmacht respektive Kontrolle und schließlich nach der Dualität von Natur und Kultur. Indem Stelarcs Internet-Performances, vor allem jedoch seine theoretischen Kommentare hierzu, einen Bruch zu seinen ansonsten meist auf Ichstärkung und Machtzuwachs ausgerichteten Arbeiten aufweisen, stehen sie gleichzeitig im Widerspruch zu Kants Ästhetik des Erhabenen. Denn angesichts
94
Stelarc (2002), S. 20.
95
Evert (2003), S. 193. Vgl. hierzu auch den von McLuhan geprägten Begriff des „globalen Dorfs“, der unser Zeitalter, wo mittels eines elektronischen Netzes die ganze Menschheit verflicht sei, sinnbildlich erfasse.
96
Ebd., S. 207.
97
Ebd., S. 207.
98
Stelarc (2002), S. 20.
99
Goodall (2000), S. 164.
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der programmatischen Entäußerung subjektiver Handlungsmacht gilt es hierbei, zumindest auf den ersten Blick, weder Freiheit noch Willensmacht des autonom über seinen Körper verfügenden Subjekts zu behaupten. Anhand einer eingehenden Analyse, welche gerade diesen Widerspruch zwischen Ichstärkung und Entindividualisierung fokussiert, soll jedoch aufgezeigt werden, dass der scheinbare Bruch mit dem kantschen Konzept letztlich nicht so trennend ist, wie es zunächst der Fall zu sein scheint. Um dies zu verdeutlichen, bedarf es wie bereits bei der Frage nach dem Charakter von Stelarcs künstlerischer Selbstverletzung eines Abstraktionsschrittes. Denn so wie bei Stelarcs prothetischen Arbeiten, wo von der konkreten Verletzung des empirischen Körpers auf die Überwindung der Natur als solche abstrahiert wurde, gilt es auch hier vom empirischen Individuum abzusehen und stattdessen die dahinterliegenden Strukturen dieses universellen, systemischen Bewusstseins zu fokussieren. Begreift man nämlich das Subjekt ausschließlich als Individuum, so wird in Stelarcs Visionen die vollständige Überwindung desselben angedacht und eine Analogiesetzung mit dem Erhabenen wäre folglich für diese Aktionsform hinlänglich. Versteht man aber Subjektivität auch als eine Zuschreibung bestimmter Attribute, wie beispielsweise Herrschaft, Kontrolle, Souveränität, Disziplin, Rationalität und vor allem Naturferne, so lässt sich aufzeigen, dass Stelarcs Entwurf eines systemischen Bewusstseins von eben diesen Attributen zentral bestimmt ist. Die Erfahrung, seinen Körper nicht selbst kontrollieren zu können, sondern Steuerung von außen unterworfen zu sein, konfrontiert das Individuum in fundamentaler Weise mit dessen Ohnmacht. Auch wenn hierbei weniger der Handlungswille selbst als vielmehr lediglich dessen Einfluss auf den Körper in Frage gestellt wird, so demonstrieren diese „experiences of extreme absence“100 doch die Machtlosigkeit des Menschen bzw. zumindest die Begrenztheit seiner Macht, indem sie den seit der Antike beklagten menschlichen Makel, nicht Herr über die eigene Natur sein zu können, anschaulich vor Augen führen.101 Der
100 Stelarc (2002), S. 17. 101 Trotz dieser in den Internet-Performances zum Tragen kommenden Einschränkung, erweist sich durch die wechselseitige Steuerbarkeit diverser Körperstrukturen die Handlungsautonomie des Einzelnen zugleich auch erweitert. Denn so wie von außen ein Zugriff auf die eigene Physis möglich wird, verfügt er umgekehrt auch über andere humane Körper, posthumane Maschinenkörper oder auch Avatare, auf welche er sein Bewusstsein und sein Handeln veräußern kann. Die ,Öffnung‘ für andere Agenten birgt, indem der Körper vom individuellen Gut zum allgemein verfügbaren Handlungsorgan avanciert, somit auch die Möglichkeit der Extension sowie der Machtsteigerung. Nicht zuletzt erweist sich dadurch in exemplarischer
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Wille des Individuums erfährt folglich in den unkontrollierten Zuckungen des „involuntary body“ eine sichtliche, wenn auch – wie nicht außer Acht gelassen werden darf – freiwillige Einschränkung.102 In dieser freiwilligen Enteignung physischer Vorgänge lässt sich, wie eingangs dargelegt, auch eine Form der Selbstverletzung ausmachen. Ähnliche Ansätze finden sich beispielsweise bei Marina Abramović, Chris Burden oder Flatz, wo das Publikum ebenso dazu aufgefordert wurde, mit den ,willenlosen‘ Künstler/-innen nach eigenem Ermessen zu verfahren. Tendenziell in diese Richtung geht auch EXPORTS Aktion Tapp- und Tastkino (1968), welche die Berührung ihrer nackten Brüste implizierte. Allen Beispielen gemein ist die Auslieferung des Körpers an andere Personen bzw. Instanzen, die das traditionelle Verhältnis von aktiven Künstler/innen und passivem Publikum umzukehren strebt. Zugleich birgt paradoxerweise wie im dynamisch-Erhabenen gerade dieser freiwillige Kontrollverlust über den Körper die Möglichkeit, die Natur zu überschreiten und damit das ,Andere der Natur‘, ob als singuläres oder aber als systemisches Bewusstsein gefasst, in seiner Macht zu festigen. Um dies zu verdeutlichen, gilt es zunächst der Qualität dieser Ohnmachtserfahrung auf den Grund zu gehen. Dabei zeigt sich, dass der von Stelarc inszenierte Kontrollverlust nicht ,primärer‘ Natur ist, d.h., das Subjekt verliert die Kontrolle nicht an den Körper, wie dies unter dem Abschnitt Gefährdung etwa hinsichtlich der Krankheitsanfälligkeit des Organischen beschrieben wurde. Denn es ist nicht der Körper selbst, welcher entgegen Stelarcs früheren Aktionen nun an ,Terrain‘
Weise die Unabhängigkeit von der Natur, denn wenn der Mensch in der Lage ist, seine Kontrolle auf einen beliebig anderen Körper auszudehnen, so ist er nicht länger auf sein eigenes mangelhaftes biologisches Equipment angewiesen. Der abendländische Traum der Freiheit von der Natur scheint damit in greifbare Nähe gerückt. Liest man Stelarcs Internet-Performances in diesem Sinne, so ließe sich, geradezu konträr zu jener Haltung, wie sie der Künstler in seinen Manifesten vertritt, annehmen, dass durch die Kontrollerweiterung und die damit einhergehende Austauschbarkeit von Körpern die Vorstellung von einem körperunabhängigen Bewusstsein weniger überwunden als vielmehr noch forciert wird. 102 Auch der Kontrollverlust in Stelarcs Aktionen ist insofern kontrolliert, als nur ein gewisses im Vorfeld festgelegtes Spektrum an Bewegungen überhaupt möglich ist. Dahingehend vermerkt der Künstler selbst: „It [the body, R. B.] structures the performance initially through its hardwiring, and of course, it’s aware of what’s going on during the performance, and it’s able to make small adjustments within the flow of activity and images that’s occuring.“ (Stelarc [1998], S. 193f.; zit nach Zurbrugg [2000], S. 112).
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gewinnen würde und seine potenzielle Unkontrollierbarkeit demonstrieren könnte; eine Möglichkeit, wie sie bei anderen Künstler/-innen dieses Bereichs sehr wohl ästhetische Umsetzung fand. Sei es, dass wie bei Hannah Wilke oder Bob Flanagan tatsächlich unkontrollierbare Krankheitsprozesse künstlerisch verarbeitet wurden, im Rahmen von Aktionen gezielt körperliche Exzesse stattfanden, wie charakteristisch für den Wiener Aktionismus, oder eine Aufhebung jeglicher Kontrollinstanz angestrebt wurde, so etwa bei Marina Abramović durch die Einnahme von Medikamenten. Entgegen diesen Beispielen gerät der Körper bei Stelarc vielmehr, nun von Kopf bis Fuß verkabelt und der Kontrolle eines oder mehrerer ,Agenten‘ ausgeliefert, gänzlich zur bloßen Marionette einer fremden Steuerungsmacht. Es findet in diesen Arbeiten des Künstlers folglich zwar ein Kontrollverlust statt, der über die konkrete Situation hinaus auf die grundsätzliche Ausgeliefertheit des Subjekts gegenüber der Natur verweist, dieser muss jedoch bereits als eine selbstbestimmte Forcierung jener ,ursprünglichen‘ Ohnmacht des Organischen verstanden werden. Mit Kant gelesen ist jene Forcierung als die für das dynamisch-Erhabene charakteristische Aufopferung der eigenen Handlungsmacht, d.h. als dessen zweite Phase, zu denken, welche bereits in sich das Potenzial zur Umkehr jener Machtlosigkeit in das Erleben eigener Macht birgt. Denn durch die konsequente Fremdsteuerung des Körpers erlebt Stelarc diesen als prinzipiell steuerbar sowie in seinen Funktionen regulierbar. Dahingehend stellt auch Jones fest, dass gerade Stelarcs Internet-Performances trotz vordergründiger Kontrollabgabe dessen „fantasies of control and domination“103 widerspiegeln. Hält man sich nämlich Stelarcs Ziel eines vollständig durchstrukturierten Cyborgs vor Augen, bei welchem jedes Moment des Unkontrollierbaren eliminiert wurde, so weist bereits die rudimentäre Steuerbarkeit der Internet-Performances, auch wenn diese vorerst lediglich motorische Fertigkeiten betrifft, auf einen Zustand völliger Kontrolle hinaus. Der auf elektronische Impulse ,willenlos‘ reagierende Körper ist damit nicht mehr Inbegriff des chaotischen ,Anderen‘, sondern wird zum Sinnbild und zugleich Vorboten einer steuerbaren, posthumanen Körpermaschine, die als „leeres Behältnis“ bzw. signifikanterweise als „Wirt“ für technologische Komponenten und entfernte Agenten ihre organische Naturhaftigkeit endgültig überwunden hat. Der organische Rest, der sich nicht hinreichend modifizieren, prothetisieren oder in ein maschinelles System eingliedern ließ, wird in Stelarcs Gesamtkörperutopie „befriedet“, d.h. durchgehend medizinisch „anästhetisiert“104, um
103 Jones (2005), S. 111. 104 Stelarc (1996), S. 78.
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unvorhergesehene Stressreaktionen oder störendes Schmerzempfinden zu unterbinden. Denn erst wenn eine solche vollständige Entnaturalisierung des Körpers stattgefunden hat, ist die Krisenhaftigkeit des Organischen realiter überwunden und der verbliebene Körperrest, seiner Funktionen bzw. seiner Sensibilität beraubt, einer umfassenden Kontrolle zugänglich. Trotz der vordergründigen Aufkündigung menschlicher Freiheit ist damit gerade diesem Konzept eines vollständig entnaturalisierten und folglich kontrollierbaren Maschinenkörpers ein Freiheitsversprechen inhärent, welches durchaus mit Kants Definition von Freiheit, als „Unabhängigkeit der Willkür von der Nöthigung durch Antriebe der Sinnlichkeit“105, korreliert. Denn wenn all das, was in Kants Theorie das Wirken der Vernunft ständig beeinträchtigt – das sinnliche Wollen, Emotionalität, physische Bedürfnisse, kurzum die Natur des Menschseins –, wegfallen bzw. vollständig kontrolliert werden könnte, so würde die kantsche Definition von Freiheit Realität und der Konflikt zwischen empirischem Sein und reinem Wollen löste sich auf. Das „final achievement of human control over human life“106 überwindet damit, indem der Körper nicht mehr ,natürlich‘ ist, auch den Widerstreit von Natur und Kultur. Was bleibt ist ein von Trieben, Emotionen, Bedürfnissen und allen übrigen naturhaften Gebundenheiten gereinigter Körperbehälter, der sich wie sein Vorbild die Maschine allein über Operationalität und Funktionalität definiert. Solchermaßen von dem fehlerhaften Organischen befreit und in ein kybernetisches System aus lückenloser Steuerung überführt107, ist es letzten Endes nebensächlich, ob dieser Maschinenkörper von einem einzelnen Subjekt, von multiplen Agenten, von anderen Maschinen oder im Endeffekt von einem systemischen Metabewusstsein gelenkt wird, denn er bleibt in jedem Fall steuerbare res extensa, über welche uneingeschränkt verfügt werden kann. Unterscheidet sich Kants Erhabenes in seinem Fokus auf individuelle Macht somit auch von Stelarcs Idee einer systemischen Macht aus Körpernetzwerken und fluktuierendem Bewusstsein, so stimmen beide Konzepte in einem wesentlichen Aspekt doch überein: In beiden Fällen konstituieren sich Souveränität und
105 Kant (AA III), S. 363. 106 Goodall (2000), S. 149. 107 Der Eindruck vollständiger Kontrolle wird dadurch verstärkt, dass Stelarcs Körper zusätzlich zu den verschiedenen Steuerungselektroden mit diversen Sensoren und Messwertwandlern versehen ist, die sowohl die genauen Positionen verschiedener Körperteile als auch EEG-Werte, Muskelsignale, den Blutfluss, den Fingerpuls usw. messen und in Tonsignale bzw. in live ins Internet übermittelte Videobilder transformieren.
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Freiheit lediglich über den Ausschluss bzw. die Aufopferung der Natur als das potenziell Unkontrollierbare. Der traditionelle Dualismus von Körper und Geist verlagert sich dabei auf systemischer Ebene hin zu einem solchen von organischer Natur und Artefakten. Als Letztere gelten hier jedoch nicht nur sämtliche technologische Hervorbringungen und durch den Menschen modifizierte Körperstrukturen, sondern auch das veränderte Bewusstsein selbst, als Resultat jener Modifikationen und Systemisierung. Diese Dualität aus Natur und Kultur, als Überbegriff all dessen, was Stelarc mit Bezug auf Wissenschaft und technologischen Fortschritt anstrebt, setzt somit trotz vordergründiger Absage an dualistische Anthropologien auf systemischer Ebene gerade die Binarität von Körper, als Inbegriff des Natürlichen, und rational operierendem Bewusstsein, als Grundlage kulturellen Schaffens, fort. Hierin erweist sich die zentrale Analogie zum dynamisch-Erhabenen, denn hier wie dort ist es das ,Andere der Natur‘ – ob als Einzelsubjekt oder aber als eine Art kollektive Intelligenz respektive als rational-schöpferisches Prinzip gedacht –, welches sich erst in der Überwindung des Biologischen seiner Macht versichern kann. Auch wenn Stelarc dabei dem menschlichen Geist an sich keine exklusive Rolle zuspricht und sich im Gegenteil gegenüber dem so genannten Vernunftsubjekt eher kritisch äußert, so zeugt sein unbedingtes Festhalten an Fortschritt, an technischen Errungenschaften, an Wissenschaft und Naturbeherrschung von einer unleugbaren Nähe zu aufklärerisch-abendländischem Gedankengut. Mehr noch, indem die Natur als tatsächlich überwindbar gedacht wird, scheint sich nun das bis dahin stets dialektisch bleibende Sehnen nach Naturüberschreitung zu erfüllen. Wird somit auch das einzelne Subjekt aufgrund seiner Schwäche freiwillig aufgegeben, so nur um das diesem zugrunde liegende rationale Prinzip als „höhere Intelligenz und […] umfassenderes Bewusstsein“108 wiederherzustellen. So verweist Stelarcs Ankündigung eines veränderten „Bewusstsein[s] […], das POSTHISTORISCH, transhuman und sogar EXTRATERRESTRISCH“109 , zwar ohne individuelle Ausprägung, dafür jedoch auch unbegrenzt und ohne belastende Erinnerungen, bedrängendes Unbewusstes110, determinierendes Verlangen
108 Brunner (2009), S. 193. 109 Stelarc (1996), S. 76. 110 Hält man sich vor Augen, dass Freud gerade die ,Entdeckung‘ des Unbewussten neben der kopernikanischen Wende und Darwins Evolutionslehre als dritte historisch-narzisstische Kränkung des Menschen erachtete, da sie diesen in seinem (Selbst-)Herrschaftsanspruch grundlegend hinterfrage, so lässt sich Stelarcs ,Abschaffung‘ desselben auch als Rekonstituierung von Kontrolle und damit indirekt als Reaffirmation neuzeitlicher Machtphantasien verstehen.
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sowie Emotionen sein soll trotz vordergründiger Ablehnung auf ein Festhalten an transzendenten Ideen. Auch die Versprechen, welche dieses zukünftige Sein birgt – unbegrenzte Macht über die Natur respektive die Freiheit von dieser, enormer technischer Fortschritt, „fundamentally new philosophies“111, die Überwindung physischen sowie psychischen Leidens aller Art, da weder Krankheit, noch Schmerz, noch Emotionen existieren, und vor allem die Aufhebung des Todes selbst –, stellen Stelarcs Visionen in den Kontext abendländischer Naturbeherrschung. Die dahinterliegende Machtphantasie ist unübersehbar und trägt alle Attribute des Erhabenen. Denn unter dem Gesichtspunkt der Machtvermehrung birgt die freiwillige Selbstaufgabe des Individuums die uneingeschränkte Operationalität des Ganzen, zu dessen Teil der vormalig Einzelne geworden und mit dem er somit nun identisch ist. Mit der Entäußerung individueller Handlungsautonomie geht folglich ein Kontrollzuwachs einher, der letztlich auf Omnipotenzphantasien gründet. Auf dieses Sehnen nach uneingeschränkter Entgrenzung, wie es dem stelarcschen Werk inhärent ist, nimmt auch Evert Bezug: „Der Einzelkörper breitet sich im Gesamtkörper über die Erde aus, seine Kinesphäre ist maximal ausgedehnt. Der durch die ihm eigene Technologie perfektionierte Mensch kann so seine Umwelt weltumspannend kontrollieren.“112 Was Stelarc damit jedoch zugleich auch entwirft, ist die Vision einer absolut gesetzten instrumentellen Vernunft. Diese definiert sich entsprechend der Begriffsauffassung Adornos und Horkheimers zentral über Zweckrationalität und Naturbeherrschung, wobei auch der Mensch selbst subjektiven Zwecken und
111 Atzori/Woolford (1995), o. S. 112 Evert (2003), S. 207. Indem in Stelarcs Visionen die größtmögliche Konnektivität den Wert der Individualität ablöst, gemahnen diese, so stellt Evert zu Recht fest, an die Gemeinschaftsutopien des 20. Jahrhunderts, wo das Individuum ebenso in der Masse, der individuelle Körper im Volkskörper aufgehen sollte. (vgl. ebd., S. 208f.) Neben diesen gesellschaftspolitischen Konnotationen weist Stelarcs Utopie eines homogenen Ganzen auch eine Nähe zu mythologisch-religiösen Paradiesvorstellungen auf. Die freiwillige Aufgabe der sich im Sündenfall demonstrierenden Emanzipation und Individuation des Menschen scheint die Sehnsucht nach der Rückkehr in jene paradiesische Ganzheit zu implizieren. Dahingehend stellt auch Doreet LeVitte-Harten die These auf, dass solcherart „Maschinenträume“ einem Verlangen entspringen, das „in illo tempora, in der mythischen Vollkommenheit der Vergangenheit [Herv. i. O.]“ gründet. (LeVitte-Harten [1996], S. 384).
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Interessen unterworfen wird.113 Am Leben zu sein bedeutet in diesem Zusammenhang lediglich noch „to be operational“114, d.h. betriebsbereit zu sein, worin Stelarcs zentrale Werte der Effektivität und Effizienz zum Ausdruck kommen. Dieses Zusammenspiel von Technologie und Macht sowie der damit einhergehende Imperativ zur Rationalisierung und Effektivierung werden von Stelarc bewusst nicht kritisch hinterfragt.115 Im Gegenteil, die Paranoia „in our Foucauldian present“116 vor Machteinschreibungen wird angesichts der Cyberkomplexität als inadäquates Festhalten am biologischen Körper und an einem individuellen Ich-Akteur kritisiert bzw. aufgrund der proklamierten Aufgabe dieser beiden ,Instanzen‘ überhaupt als gegenstandslos erachtet.117 Im Gegenzug
113 Brunner weist mit Bezug auf Adorno/Horkheimer zu Recht darauf hin, dass Stelarcs Angriff auf das Subjekt letztlich mit der Dialektik der bürgerlichen Subjektwerdung korreliere. Denn auch da hätte sich die instrumentelle Vernunft, welche zunächst den Menschen durch Technologieentwicklung und Naturbeherrschung überhaupt erst zu einem handlungsfähigen Subjekt gemacht hatte, schließlich in Form von Kontrolle und Unterwerfung gegen das Subjekt selbst gerichtet. So Brunner: „In seinem absurden Bestreben, zur ,Rettung‘ des Menschen in der technisierten Welt den Menschen als leibliches Subjekt zu überwinden, ihn zu einem Teil eines gigantischen mechanischen Netzwerks zu machen und damit den Anforderungen der Technik vollkommen zu unterwerfen, kann Stelarcs Cyberkörper-Diskurs als Kulminationspunkt – wenn nicht gar Karikatur – der von Horkheimer und Adorno beschriebenen Dialektik verstanden werden.“ (Brunner [2009], S. 199). 114 Farnell (2000), S. 132. 115 In einer E-mail, die Stelarc Mark Dery am 1. 12. 1991 schickt, betont er: „The artist refrains from the politics of power not through a naivety of the implications and issues, but because the focus is on the imaginative postevolutionary possibilities.“ (zit. nach Dery [1996], S. 165). 116 Stelarc (2002), S. 17. 117 Fragen nach individueller Freiheit damit zu quittieren, dass es, seiner Ansicht nach, ontologisch kein Subjekt als substanziell vom Körper geschiedenes geistiges Prinzip gäbe, fällt in der geradezu naiven Gegenüberstellung von Rationalismus und Materialismus nicht nur bereits hinter Kant zurück, sondern weicht den virulenten Fragen nach Verantwortung, nach Entscheidungsträgern, kurzum nach jenen „control agents“, welche die Fäden des zur Marionette gewordenen Körpers ziehen, aus. Darüber hinaus weisen Stelarcs Interviews und Manifeste in der Frage individueller Freiheit zahlreiche Widersprüche bzw. Unklarheiten auf. So beispielsweise wenn er einerseits so etwas wie ein individuelles Bewusstsein als überholte Illusion verabschiedet, zugleich jedoch betont, wohl um sich vor dem Vorwurf der Eugenik zu
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dazu bleiben jedoch auch die möglichen negativen Folgewirkungen einer absolut gesetzten instrumentellen Vernunft, wie sie Adorno und Horkheimer aufzeigten, unerwähnt.118 Auch die Möglichkeit eines neoliberal geprägten gesellschaftlichen Zwangs zur Selbstgestaltung, der die Leistungsoptimierung des Einzelnen als Ziel ökonomischer Interessen instrumentalisieren könnte, wird von Stelarc, wie jeglicher Herrschaftsbezug überhaupt, konsequent ignoriert. In dieser ,Ignoranz‘ ist auch der Grund zu sehen, weshalb ihn Paul Virilio mitunter zu Recht als „williges Opfer“119 einer Entwicklung der Unterjochung, die in der Tradition von Domestizierung, Abrichtung und Entfremdung steht, begreift.120 Indem in Stelarcs Visionen der ganze Mensch zum Artefakt gerät, bewahrheitet sich Günther Anders’ Zeitbefund, dass nämlich die Scham, selbst kein Ding zu sein, eine „,imitatio instrumentorum‘“121 und folglich eine Dehumanisierung zur Folge hätte. Der Mensch „desertiert“122 ins Lager der Maschinen, um dadurch die Oppositionssetzung von Gewordenem und Gemachtem, von Natur und Kultur aufzulösen. Dahingehend ist auch Stelarcs Intention, mit der Obsoleszenz des Körpers auch den herkömmlichen Vorgang der Geburt respektive der ,natürlichen‘ Zeugung als überholt anzusehen, zu verstehen.123 Denn der Versuch, dem ,Gerätesystem‘ „ganz und gar, gewissermaßen ko-substanziell zuzugehören“124, soll die „Erbsünde“125 des Kreatürlichen aufheben; Ideen, die
schützen, dass es in seinem ,Utopia‘ jedem gänzlich frei gestellt sein werde, welche Transgressionen bzw. Modifikationen seines Körpers er vornehme. 118 Auf die Problematik dieses Fehlens einer machtkritischen, gesellschaftspolitischen Auseinandersetzung verweist auch Mark Dery, wenn er Fragen wie „Who builds these machines, anyway?“ oder „Who controls the remote controllers?“ aufwirft und schließlich einfordert: „What is needed here is a politics of posthumanism. […] His science fiction dream of a body that is no longer ,a site for…the social‘ is hemmed in on all sides by feminist body criticism, the ongoing debate over the ethics of human biotechnology, and green critiques of capitalism’s litanies of technological progress and unchecked expansion.“ (Dery [1996], S. 165). 119 Virilio (1996), S. 124. 120 Vgl. hierzu auch Brucher (2011). 121 Anders (2010), S. 36. 122 Ebd., S. 30. 123 So Stelarc: „With fertilization now occurring outside the womb and the possibility of nurturing the fetus in an artificial support system THERE WILL TECHNICALLY BE NO BIRTH.“ (Stelarc [1991], S. 593). 124 Anders (2010), S. 36. 125 Ebd., S. 37.
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in der völligen Loslösung des Bewusstseins vom humanen Körper münden. Auf diese Tendenzen Stelarcs Bezug nehmend, resümiert auch Evert: „Die vermeintlich neue Körperlichkeit ist eine Verkörperung von Entkörperungs- und Unsterblichkeitswünschen, die in der angestrebten realen Implementierung der sprachlichen, kulturellen und gesellschaftlichen Netzmetapher einer ,elektrisierten‘ Menschheit resultiert.“126 Es würde jedoch zu kurz greifen, wollte man Stelarcs Konzept des Posthumanen mit metaphysischem Gedankengut, wie es häufig bezüglich virtueller Realität angedacht wird, gänzlich gleichsetzen. Denn es ist in erster Linie die Schnittstelle zwischen virtueller Realität und realen Körpern, der Stelarcs Interesse gilt, und nicht Körperlosigkeit als solche. Gegen eine häufige Interpretation in diese Richtung wendet er daher ein: „Virtual reality is not this hyped-up out-of-body experience, that’s just simply a Cartesian extension, or a Platonic desire, or a new age pseudo-spiritual pursuit, which I think is pathological more than meaningful.“127 Wenn folglich Amelia Jones Stelarcs Leitspruch „The body is obsolete“ als Affirmation eines metaphysischen Bewusstseins versteht, so verkürzt sie insofern seine Intentionen, als er lediglich eine Überwindung des biologischen Körpers anstrebt, nicht jedoch des Vorhandenseins eines Körpers überhaupt, was er in zahlreichen Interviews und mitunter in Kommentaren wie „DER KÖRPER MUSS AUS SEINEM BIOLOGISCHEN [...] BEHÄLTER AUSBRECHEN“128 deutlich macht. Es ist folglich nicht der Körper als solcher, sondern als Inbegriff der Natur respektive des Organischen, den Stelarc als obsolet ansieht. Hält Stelarc in seinen systemischen Visionen folglich auch an Körperlichkeit an sich fest, so muss doch zugleich betont werden, dass er hierbei letztlich lediglich auf ihre Funktionalität reduzierte und konsequent entnaturalisierte Maschinenkörper vor Augen hat, von deren Seite keinerlei Einschränkungen und Gefahren drohen. So lässt seine Idee einer „multiplicity of bodies and parts of bodies prompting and remotely guiding each other“129 keinen Raum für widerspenstige, chaotische oder unkontrollierbare bzw. unbekannte Elemente, denn diese wurden bereits im Vorfeld eliminiert. Die Dualität von Geist und Körper bzw. jene damit einhergehende von Herrschaft und Beherrschung hebt sich auf, wo die Physis zu einer von instrumenteller Vernunft völlig durchdrungenen, operationalen Struktur gerät, d.h., wo der Dualismus von Natur und Kultur sich
126 Evert (2003), S. 211. 127 Farnell (2000), S. 140. 128 Stelarc (1996), S. 74. 129 Stelarc (2002), S. 15.
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zugunsten Letzterer verabsolutiert hat. Damit bedarf das von Stelarc angedachte System keiner master/slave-Binaritäten mehr, nicht jedoch, weil es das Prinzip von Herrschaft überwunden hätte, sondern da es als Ganzes lückenlos den Mechanismen der wechselseitigen Kontrolle, Beobachtung und Steuerung verpflichtet ist; ein Umstand, den sowohl die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Stelarcs Internet-Performances als auch der Künstler selbst häufig übersehen.130
130 Denn, so der Künstler: „I’m reconciled to the fact that in a complex technological terrain where there’s multiplicity of feedback loops, it’s no longer meaningful to ask who’s in control.“ (Stelarc, Interview mit Jane Goodall, Sydney, 23. August 2000; zit. nach Goodall [2005], S. 22) Dahingehend stellt auch Goodall fest: „[…] Stelarc confuses the traditional master/slave terminologies that are attached to the human/machine relationship by increasing the feedback loops to a point where the body and the robot are effectively one operational system.“ (Goodall [2005], S. 13).
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10.3 E RHEBUNG : D ER K ÜNSTLER
ALS
P ROTHESENGOTT
„Es handelt sich […] darum, das Menschliche dem Göttlichen anzunähern […], aber diesmal sind es reale, greifbare menschliche Kollektive, die gemeinsam ihre Himmel konstruieren, die ihr Licht aus Gedanken und Schöpfung beziehen, welche hier unten entstehen. Was theologisch war, wird technologisch.“
1
Indem Stelarc sein gesamtes Werk der Transgression des als deterministisch und darüber hinaus als mangelhaft empfundenen Organischen widmet, stellt sich hinsichtlich der dritten Phase des Erhabenen, der lustvollen Selbsterhebung, erneut die Frage, welcher Art dieser neue, bessere Mensch sein soll, d.h., welcher ,Nutzen‘ aus der Aufopferung des humanen Körpers gezogen werden kann, und inwieweit Stelarcs Performances dieses Potenzial bereits einzulösen vermögen. Hierfür gilt es zunächst, auf die klassischen Attribute des Erhabenen, jene der erweiterten Ausdauer, Größe und Kraft, zu fokussieren. Der technologisch optimierte Mensch ist, zumindest Stelarcs Selbstempfinden nach, leistungsfähiger, sensorisch weitreichender, ausdauernder und zudem robuster gegenüber äußeren Einflüssen. Kurzum, er ist nun ausgestattet, um eine Ewigkeit funktionieren zu können. Diese Art unmittelbare körperliche Potenz inszeniert Stelarc über die Performances hinaus in zahlreichen Fotografien, wo er in archaisch anmutenden Posen seinen mit Technik kombinierten Körper in Szene setzt. Indem er dabei wie bereits bei den Suspensions und Deprivations meist nackt agiert, ruft er im kulturellen Bildergedächtnis Satuen griechischer Athleten sowie die avantgardistische, zugleich aber auch faschistische Idee des ,neuen Menschen‘, der nackt, gleich einer tabula rasa, am Beginn eines hereinbrechenden Zeitalters steht, gleichermaßen auf. In beiden Fällen ist die Prothese, als Zeichen der Macht, immer auch ein phallisches Symbol, welches mit dem nackten Männerkörper gleichsam verschmilzt.2
1
Lévy (1997), S. 100.
2
In dieser Inkorporation des Erhabenen geraten Stelarcs Arbeiten schnell in den Kontext machistischer Selbsterprobung, patriarchaler Selbstverherrlichung und phallozentrischen Machtstrebens, worauf insbesondere feministische Kritiker/-innen wiederholt verwiesen. So wertet beispielsweise Marsden die Idee des Cyborgs als „apotheosis of phallocentrism, commodification and technological domination, a
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Abbildung 9: The Third Hand
phantasmic identification of the most traditional kind“ (Marsden [1996], S. 6; zit. nach Angerer [1999], S. 53). Amelia Jones wiederum stellt einen schlüssigen Bezug zwischen Stelarcs Abhärtungsstrategien und Klaus Theweleits Körperpanzertheorie her. In dieser hatte Theweleit das Phänomen des Faschismus mitunter aus der über Generationen hinweg forcierten Anti-Leiblichkeitserziehung hergeleitet, durch welche sich der männlich gestählte Körper bereitwillig in das „soldatische Erlebnis“ kanalisieren hätte lassen. (vgl. Theweleit [2005]) Die Versuche des Künstlers, sich solcher Kritik zu entziehen, bleiben meist oberflächlich und lassen vor allem, indem sie in erster Linie auf seine subjektive Selbsteinschätzung rekurrieren, historischgesellschaftliche Implikationen sowie tradierte geschlechtliche Rollenzuschreibungen gänzlich außer Acht. Wohl auch aus diesem Grund werden Stelarcs Arbeiten häufig als unreflektiert, naiv, machtkonform und sogar faschismusnahe gewertet. Trotz dieser zum Teil berechtigten Einschätzungen muss betont werden, dass auch EXPORTS Performances sowie die zahlreicher anderer Body Art-Künstler/-innen letztlich ähnlichen Vorwürfen ausgesetzt werden könnten, denn das Streben nach Souveränität und Freiheit, so hatten die Arbeiten der österreichischen Künstlerin gezeigt, setzt auch hier den abendländischen Dualismus und dessen problematische Komponenten fort.
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Nicht zuletzt demonstriert Stelarc in der virtuosen Handhabung seiner attribuierten Technik die Fähigkeit, sich selbst die scheinbare Allgewalt seines maschinellen „equipment[s]“3 ,gefügig‘ zu machen. Als Maschinenmensch, als welcher er sich stilisiert, hat er nicht nur an der erhabenen Omnipotenz der Technologie teil, sondern, indem er diese noch beherrscht, avanciert er selbst zum Inbegriff des Erhabenen. Die in Form eines Lustgefühls zu Tage tretende Erhebung lässt sich im Falle Stelarcs somit zunächst als Machtempfinden aufgrund gesteigerter physischer sowie operationaler Potenzen denken. Neben dieser unmittelbaren Machtsteigerung ist insbesondere das sich daraus konstituierende Gefühl der Freiheit elementar. Denn diese definiert sich, wie aufgezeigt, analog zum dynamisch-Erhabenen als Macht über die Natur, was sowohl in dem aggressiv-distinktierenden Akt gegen den Körper als auch in der Fähigkeit, modifizierend auf diesen einzuwirken, und schließlich in der Möglichkeit, die entindividualisierten Körperstruktur bis zu einem gewissen Grad zu ,verlassen‘ und diese damit austauschbar zu machen, zu Tage tritt. Die Freiheit des Maschinenmenschen liegt folglich wie letztlich auch bei Kant und Schiller in erster Linie in der Unabhängigkeit von der Natur, deren gefühlte Bewusstwerdung sowie Demonstration das vorderste Ziel seiner Performances darstellt. Allen vorgestellten Formen von Stelarcs Selbstverletzung ist somit die Idee inhärent, der Mensch könne sich von seinem biologischen Körper ,trennen‘ und wäre dadurch ,berechtigt‘, sich letztlich unabhängig von dessen materieller Ausformung zu wähnen. Als wesentlicher Bestandteil dieser Independenz muss dabei die Fähigkeit gewertet werden, sich in einem Akt der schöpferischen Selbstsetzung gegen den evolutionären ,Plan‘ der Natur zu stellen und stattdessen Evolutionsgeschichte neu und ,besser‘ zu schreiben bzw. das Prinzip biologischer Evolution gänzlich zu überwinden; eine Selbstermächtigung, die in exemplarischer Weise den am Beginn der Neuzeit stattfindenden Wandel des Menschen vom Geschöpf zum selbstbestimmten Subjekt widerspiegelt und zugleich einlöst. Dahingehend proklamiert der Künstler: „the fundamental freedom is to determine your own DNA destiny“4; ein Kommentar, worin die dualistische Konnexion von Autonomieanspruch und Naturbeherrschung offenkundig zu Tage tritt. Sind es somit sowohl bei Stelarc als auch im kantschen Erhabenen der Wille und folglich die Freiheit des Subjekts, welche den Fesseln der Sinnlichkeit entgegengesetzt werden, so geschieht dies bei dem australischen Künstler in Form eines konkreten Eingriffes in den Körper, der über das bloße Postulat von
3
Stelarc (1999), o. S.
4
Stelarc (1984d), S. 76.
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Freiheit hinaus diese bereits gestalterisch zu konstituieren sucht. Die von ihm postulierte „freedom of form“5 muss daher als Handlungsautonomie verstanden werden – nicht jedoch wie bei EXPORT als souveränes Handeln innerhalb einer hegemonialen Gesellschaft, sondern vielmehr als ,Selbsttechnologie‘, „den Körper zu modifizieren und zu verändern“6. Der Künstler wird damit zu einem „evolutionary alchemist […] triggering mutations, transforming the human landscape“7. Dank der Errungenschaften auf dem Feld der Wissenschaft bzw. des Bioengeneering wird er realiter zum ,homo creator‘, der sich selbstbewusst an die einstige Stelle des ,Schöpfervaters‘ setzt und sich, entsprechend seiner Vorzugsstelle innerhalb der Natur – oder präziser – außerhalb dieser, mit unbegrenzter Kraft und Ausdauer auszustatten vermag; eine Omnipotenzphantasie, welche vielleicht am pointiertesten in der simultanen dreihändigen Niederschrift des Wortes ,Evolution‘ mithilfe der hochkomplexen Handprothese zu Tage tritt. Die Überwindung des biologischen Körpers erscheint dabei als Akt der Emanzipation, frei nach der neuzeitlichen Devise: „Nur wenn ich Schöpfer meiner selbst bin, bin ich frei!“8 Wenn Stelarc optimistisch feststellt: „Biologischer Wandel ist kein Zufall mehr, sondern die Folge einer Wahl“9, entgrenzt er jedoch nicht nur den Willen jener entscheidungstreffenden Instanz, sondern hält zugleich dem blinden, chaotischen Walten der Natur die Möglichkeit eines durchkontrollierten Seins entgegen. Was folglich mit den Vorstellungen von Macht und Unbegrenztheit einhergeht bzw. worauf diese aufbauen, ist das Konstrukt eines in sich geschlossenen, vollständig regulierten Systems, dem ein mechanistischer und folglich prinzipiell rational nachvollziehbarer Bauplan zugrunde liegt. Indem dabei jedoch nicht, wie beispielsweise noch bei Newton oder Descartes, die Natur selbst als ein solches System angedacht wird, sondern ein letzten Endes vom Menschen kreiertes und so Gesetzen der Vernunft unterworfenes, weltumspannendes Konglomerat aus biologisch veränderten Körpern, Technologien und Informationen, verbirgt sich hinter diesem mechanistischen Weltbild zugleich die Sehnsucht nach teleologischer Sinnstiftung. So soll Kants Diktum, man müsse die Welt so denken, als habe sie ein vernunftbegabter Geist nach Zwecken geschaffen, um deren Mannigfaltigkeit mit den Gesetzmäßigkeiten des Verstandes in Einklang bringen zu können, in Stelarcs Systemphantasien zur
5
Ebd., S. 76.
6
Stelarc (1996), S. 74.
7
Stelarc (1984d), S. 76.
8
Negel (2005), S. 554.
9
Stelarc (1996), S. 74.
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erfahrbaren Realität werden. Der Mensch bzw. das systemische Metabewusstsein dienten dabei als zwecksetzende Instanz, welche zwar selbst stets nur immanent gedacht werden kann, in deren Heraustreten aus den Gesetzen der Natur jedoch zugleich das Streben nach Transzendenz ruht. Die Independenz von der Sinnlichkeit birgt jedoch neben unmittelbarer Handlungsautonomie und -macht noch ein Versprechen viel größerer Art, nämlich jenes, durch die Überwindung des biologischen Körpers letzten Endes auch den Tod selbst überwinden zu können. Ließ sich im ersten Abschnitt Gefährdung aufzeigen, dass Stelarcs Streben, den Körper zu modifizieren, d.h. die Unlust des Erhabenen, maßgeblich auf dessen Todesverfallenheit zurückzuführen ist, so scheint es nur folgerichtig, wenn die ,Aussicht‘ auf Unsterblichkeit als zentrale Grundlage jener lustvollen Selbsterhebung ausgemacht wird. Dahingehend stellt auch Jones fest: „all of these proclamations are really, then, about escaping death itself“10. Diese Vermutung bestätigend, präsentiert der Künstler die Einlösung des menschlichen Strebens nach Unsterblichkeit als greifbares Resultat seiner Cyborgisierungsstrategien. Denn wenn der Körper „auf modulare Art neu gestaltet werden kann, […] dann GIBT ES TECHNISCH KEINEN GRUND FÜR DEN TOD“11 und weiter: „Death does not authenticate existence. It is an outmoded evolutionary strategy. The body need no longer be repaired but simply have parts replaced. Extending life no longer means ,existing‘ but rather being ,operational‘. Bodies need not age or deteriorate; they would not run down or even fatigue; they would stall the start – possessing both the potential for renewal and reactivation. In the extended space-time of extraterrestrial environments, THE BODY MUST BECOME IMMORTAL TO ADAPT. Utopian dreams become postevolutionary imperatives. [Herv. i. O.]“12
Die Symbiose mit der Maschine avanciert damit in Stelarcs Vorstellungswelt zu einer Art Jungbrunnen der unbegrenzten Substituierung, anhand dessen der menschliche Traum vom ewigen Leben Wirklichkeit werden soll. Die Potenz hierzu wird in der Lust des Erhabenen gefühlte Wirklichkeit, welche das Menschliche mit dem Ausblick auf Unsterblichkeit dem Göttlichen anzunähern vermag. Diese Aussicht auf den homo immortalis scheint aus Stelarcs Sicht jegliche Strategie der Körpertransgression zu legitimieren.
10
Jones (2005), S. 116.
11
Stelarc (1996), S. 78.
12
Stelarc (1991), S. 593.
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In diesen Visionen des Künstlers kommt folglich ein Freiheitsbegriff zum Ausdruck, der sich zwar wie auch bei Kant durch den Gegensatz der Willkür zur bloßen Mechanik der Natur konstituiert, dies jedoch paradoxerweise, indem er jene Mechanisierung zugleich verabsolutiert. Ähnlich wie im Erhabenen, wo die als übermächtig und bedrohlich empfundene Natur zum Leitbild des Subjekts wird, um auf diese Weise dessen eigene Ohnmacht zu relativieren, orientiert sich auch Stelarc an jener „pure power“13 der identitätslosen Maschinen, um die Schwächen des humanen Körpers auszugleichen. Wird im Zuge dieses Prozesses auch die Vorstellung individueller Souveränität aufgegeben, so jedoch nur, wie im vorangegangenen Abschnitt verdeutlicht, um die dahinterliegenden Subjektstrukturen – die Disjunktion zur Natur, die Zielsetzung von Funktionalität, Leistung und Fortschritt, der totalitäre Geltungsanspruch, die rationale Ausrichtung sowie das Streben nach unbegrenzter Macht durch vollständige Kontrolle – auf einer Metaebene desto nachhaltiger zu etablieren. Die „transition from psycho-body to cybersystem“14 beschreibt letztlich die gänzliche ,Auslieferung‘ des Individuums an ein systemisches Bewusstsein bzw. die vollständige Überwindung des biologisch-humanen hin zu einem posthumanen Sein mit der Hoffnung, dadurch Unbegrenztheit, Kontinuität, serielle Ersetzbarkeit und auf diese Weise letztlich Unsterblichkeit zu erlangen. 10.3.1 Die Überwindung der Natur als Überwindung der Dialektik des Erhabenen Zuletzt zeigt sich in der Überwindung des biologischen Körpers auch ein möglicher ,Ausweg‘ aus der Dialektik des Erhabenen, wo Selbsterhebung und gewaltsame Selbstaufopferung konstitutiv aneinander gebunden waren. Denn wenn der Körper, anstatt determiniert und zugleich determinierend zu sein, als unbegrenzt designbares Objekt ohne hierfür hinderliches ,Eigenleben‘ gedacht wird, entfällt die Notwendigkeit, sich von diesem mittels eines Aktes der gewaltsamen Distinktion zu befreien. Indem er seinen Status des Unfreien verliert, da er nicht mehr mechanischen Gesetzen der Natur, sondern nunmehr einem allumfassenden systemischen Willen unterworfen gedacht wird, muss sich das Freiheitsstreben des Menschen nicht mehr demonstrativ durch einen aggressiven Akt der Abgrenzung etablieren. Dahingehend scheint auch der Umstand zu deuten, dass im zeitlichen Verlauf der stelarcschen Arbeiten die konkrete Verletzung des Körpers proportional zu der wachsenden Kontrolle über diesen an Bedeutung
13
Ebd., S. 593.
14
Stelarc (2002), S. 17.
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verliert. Analysiert man diese Entwicklung vor dem Hintergrund des Erhabenen, so scheint es, dass die gewaltsame Aufopferung des Körpers und damit letztlich auch die Konstituierung eines ,starken‘ Subjekts dort überwunden werden können, wo der Mensch von dem Makel der Endlichkeit befreit wird.15 Denn mit der Aufhebung der Gefährdung, welche durch seine Todesverfallenheit vom biologischen Körper ausgeht, wird auch die Forcierung des ,Anderen der Natur‘ obsolet. Indem der Mensch folglich in Stelarcs Visionen nicht mehr durch seinen Körper an der Natur teilhat, hebt sich auch die dem Erhabenen inhärente Dialektik aus Naturgebundenheit und Subjektermächtigung auf. Dies jedoch nur, so machte die Analyse deutlich, zum Preis eines posthumanen, entindividualisierten Körpers – denn erst die vollständige Auslöschung der Natur vermag, nach Ansicht des Künstlers, tatsächlich von dieser zu befreien. Die „überholte metaphysische Unterscheidung zwischen Seele und Körper oder zwischen Geist und Gehirn“16 verflüchtigt sich in der Perspektive auf den Cyborg. Mit dessen Möglichkeiten und Versprechen vor Augen stellt Stelarc gelassen fest: „Perhaps what it means to be human is about not retaining our humanity…“17
15
Analog zu der eingangs ausgeführten These, dass erst die existenzielle Verunsicherung des Menschen zu Beginn der Neuzeit die Herausbildung eines ,starken‘ Subjekts zur Folge hatte, lässt sich die in Stelarcs Arbeit sukzessiv erfolgte Desubjektivierung folglich als eine Art Umkehrungsprozess dieser neuzeitlichen Entwicklung deuten. War nämlich die Hinwendung auf das Subjektive notwendige oder zumindest konsequente Folge körperlicher Begrenzung, so befreie die Entwicklung der Technologie den Menschen von dieser kompensatorischen Innenschau.
16
Stelarc (1996), S. 73.
17
Stelarc (2002), S. 20.
11. Ausblick
EXPORTS kritischer Zeitbefund, dass Schmerz und Verletzung das Zentrum einer patriarchal strukturierten Gesellschaft seien, sowie Stelarcs Wahrnehmung des Körpers als defizitär, anfällig und limitiert verweisen einmal mehr auf den Umstand, dass künstlerische Selbstverletzung ebenso wie das von Kant und Schiller beschriebene Moment erhabener Selbstaufopferung als reaktive Handlung verstanden werden muss. Hier wie dort gerät folglich das Zurückgeworfensein auf die eigene Naturhaftigkeit, das Gewahrwerden der eigenen Begrenztheit zur Quelle einer schmerzlich empfundenen Unlust, welche wiederum den Wunsch nach Entgrenzung, Selbsterhöhung und dualistischer Selbstbeherrschung zur Folge hat. Der Schmerz bzw. die Verletzungen, die sich Künstler/innen zufügen, sind folglich nicht willkürlich gesetzt, sondern respondieren immer schon auf einen als verletzend empfundenen Status quo. Damit weisen sie eine analoge Dynamik zu Kants Ästhetik des Erhabenen auf, als deren mögliche ,Aktualisierung‘ sie demnach begriffen werden können. Hier wie dort wird der „,Ausgang des Menschen aus seiner Unmündigkeit‘ […] als ,Ausgang aus der Sinnlichkeit‘ ästhetisch nachvollzogen“1. Erst durch die Oppositionssetzung des ,Geistes‘ zu der in welcher Weise auch immer fremdbeherrschten Natur gelingt es folglich sowohl Kant und Schiller als auch VALIE EXPORT und Stelarc, den Menschen nicht gänzlich unfrei denken zu müssen. Der daraus erwachsende Versuch der ,Selbstgewinnung‘ durch ein autonomes Verfügen über den Körper hält jedoch stets auch die Instabilität des Subjekts sowie die Gefährdung seiner Freiheit und Selbstbestimmung präsent. Wie in der Einleitung dargelegt, erfolgte die Auswahl der analysierten Künstler/-innen nach dem Prinzip der Exemplarizität bei gleichzeitig möglichst großer Differenz der jeweiligen Zugänge. Dies ermöglicht nun, sich über die in der Auseinandersetzung mit Kant und Schiller sowie EXPORT und Stelarc
1
Wehrli (1996), S. 489.
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herausgearbeitete Dynamik aus Gefährdung, Aufopferung und Erhebung auch anderen Künstler/-innen dieses Feldes anzunähern. Die vorliegende Studie vermag somit über die Ästhetik des Erhabenen ein Interpretationsschema anzubieten, welches einen viel versprechenden Zugang für dieses künstlerische Phänomen als Ganzes eröffnet. Auch lassen sich über den hier gewählten Fokus auf das Handlungssubjekt mögliche Parallelen bzw. auch Divergenzen innerhalb unterschiedlicher Kulturräume – wie beispielsweise dem asiatischen Raum, wo selbst verletzende Kunst relativ häufig praktiziert wird – und deren jeweiligen Subjektkonzepten erschließen. Eine weiterführende Arbeit kann folglich darin bestehen, sich anderen Vertreter/-innen selbst verletzender Body Art unter der hier angebotenen Perspektive zu nähern, um damit sowohl einen neuen sowie differenzierten Blick auf jene Künstler/-innen zu werfen, welche in der Forschung bereits relativ ausführlich, jedoch unter anderen Fragestellungen behandelt wurden (Gina Pane, Marina Abramović, Chris Burden, Orlan u.a.), als auch auf solche, deren Arbeiten bislang noch kaum Eingang in die Wissenschaft gefunden haben (Elke Krystufek, Ron Athey, Roberta Lima, Franko B., Kira O’Reilly u.a.). Denn so wie VALIE EXPORT in dem vergesellschafteten und dadurch Heteronomie und patriarchaler Macht unterworfenen Körper eine fundamentale Gefährdung des weiblichen Autonomieanspruches ausmachte, welcher sie mittels Selbstverletzung einen Akt autonomer Selbstaneignung entgegenzusetzen suchte, so lässt sich auch bei anderen gesellschaftspolitisch bzw. feministisch motivierten Künstler/-innen, wie beispielsweise Günter Brus2, Yoko Ono, Petr Stembera oder Roberta Lima, eine ähnliche Dynamik feststellen. Auch hier werden die postulierte Souveränität und Freiheit des Individuums der Einschreibung von Macht- und Herrschaftsstrukturen durch eine Geste der Distinktion, welche sich über den Körper vollzieht, entgegengesetzt. Auch die Auseinandersetzung mit physischer Begrenztheit und Endlichkeit findet sich nicht nur bei Stelarc, sondern kennzeichnet die Arbeit vieler anderer Künstler/-innen dieses Feldes. Sei es, dass tatsächliche Krankheiten auf diesem Weg künstlerisch ,ausagiert‘ werden (z.B. Bob Flanagan, Ron Athey), wobei meist das Leiden am Körper fokussiert wird, oder aber dass man die im Gestus der Selbstverletzung konstituierte Stärke und Independenz des Willens der Vulnerabilität der Natur gezielt entgegenhält (z.B. Chris Burden, Marina Abramović).3 In beiden Fällen stehen Momente des Kontrollgewinns bzw. der Kontrollerweiterung, damit aber zugleich auch der Distanznahme von der
2
Vgl. hierzu Brucher (2009), (2011).
3
Vgl. hierzu Brucher (2010).
A USBLICK
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begrenzten Sinnlichkeit im Zentrum der selbst verletzenden Handlung. So nennen wiederholt Performer/-innen das gezielte Überwinden körperlicher Grenzen als primäre Intention ihrer Arbeiten, wodurch sie sich der Macht und zugleich Andersartigkeit ihres Willens versichern wollen. Dahingehend resümiert beispielsweise Chris Burden, dessen Performances häufig wie jene Stelarcs in den Kontext männlicher Selbsterprobung und Heroismusstreben gestellt werden, eine seiner Aktionen wie folgt: „I wanted to see if I could force my body to do something that logically it couldn’t do, by setting up a mind state.“4 Den Geist durch das Austesten physikalischer sowie mentaler Grenzen „zu erweitern“5 und dadurch die Angst vor Schmerz und Sterblichkeit zu überwinden, ist auch explizites Ziel in den Performancearbeiten der Künstlerin Marina Abramović. Durch das gezielte Erleben von Schmerz während der Performances lerne man, so die Künstlerin, diesen zu verstehen und schließlich auch zu kontrollieren. Ziel dieses Prozesses sei die Erweiterung des Bewusstseins – „the mental leap to enter different dimensions of existence“6 – und auch Günter Brus kommentiert lakonisch: „Mir ging es immer um den Knochenbau Seele, daran sich das Fleisch wie ein lascher Fetzen hängt.“7 Auch der modifizierende Zugriff auf den Körper als Akt kreativer Selbstgestaltung findet sich über Stelarc hinaus ebenso bei anderen Künstler/-innen, wie beispielsweise bei Orlan und Genesis P-Orridge, die auch plastische Chirurgie in ihre Arbeiten integrierten. Ebenso wie bei Stelarc kann der autonome Eingriff in den Körper auch hier als Gestus der Selbstermächtigung verstanden werden, indem man schöpferisch die mangelhafte Natur rekonzipiert. Dahingehend stellt Orlan fest: „My work is a struggle against: the innate, the inexorable, the programmed, Nature, DNA (which is our direct rival as…artists of representation), and God! My work is blasphemous.“8 Analogien wie diese lassen sich fortsetzen und versprechen interessante Forschungsergebnisse.
4
Moisan (1979), S. 10.
5
Sachse (2007), S. 1.
6
Denegri (1998), S. 18.
7
Aus einem noch unveröffentlichten Arbeitsheft von Günter Brus, 1985; zit. nach Meifert (1990), S. 12.
8
Orlan (1996), S. 92. Vor dem Hintergrund des immer stärker werdenden Einbezugs medizinischer sowie technologischer Erneuerungen wird für die zukünftige Entwicklung der Body Art die Eroberung der Gentechnologie zunehmend vorstellbar; Ansätze, welche Stelarc und Orlan bereits anzudenken begonnen haben.
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In all diesen Beispielen erfahren Künstler/-innen ihre Souveränität darüber, sich und anderen zu demonstrieren, einen Körper zu haben, über welchen sie selbstbestimmt verfügen können, und setzen damit dem merleau-pontyschen Diktum, ein Leib zu sein, den distinktierenden Akt der Selbstverletzung entgegen. Denn nur über die temporäre Verneinung des ,Leib-Seins‘ kann sich das Subjekt innerhalb der dualistischen Operationslogik des Erhabenen seine Freiheit fühlbar machen. Die selbst zugefügte Wunde der Body Art-Künstler/-innen bürgt somit für die ,Realität‘ der Aufspaltung von freiem Willen und bloßer Sinnlichkeit, indem sie die Realität dieses Wollens ist. Parallel dazu denunziert der verwundete Körper jedoch auch die Krise, aus der dieses Wollen allererst erwächst. Indem die Wunde als Zeichen der Distinktion immer auch die unüberwindbare Kreatürlichkeit des Menschen vor Augen führt, legt sie zuletzt stets Zeugnis davon ab, dass die aus einer solchen dualistischen Aufspaltung resultierende Freiheit dialektisch bleiben muss. Und doch, so zeigen zeitgenössische Arbeiten künstlerischer Selbstverletzung, wird trotz dieser Dialektik auch am Beginn des 21. Jahrhunderts scheinbar notwendig an der Idee subjektiver Autonomie festgehalten.
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Theater Nina Birkner, Andrea Geier, Urte Helduser (Hg.) Spielräume des Anderen Geschlecht und Alterität im postdramatischen Theater Februar 2013, ca. 300 Seiten, kart., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1839-6
Friedemann Kreuder, Michael Bachmann, Julia Pfahl, Dorothea Volz (Hg.) Theater und Subjektkonstitution Theatrale Praktiken zwischen Affirmation und Subversion Oktober 2012, 752 Seiten, kart., zahlr. Abb., 34,80 €, ISBN 978-3-8376-1809-9
Eckhard Mittelstädt, Alexander Pinto (Hg.) Die Freien Darstellenden Künste in Deutschland Diskurse – Entwicklungen – Perspektiven März 2013, ca. 280 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1853-2
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de
Theater Ulf Otto Internetauftritte Eine Theatergeschichte der neuen Medien Januar 2013, 322 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-2013-9
Patrick Primavesi, Jan Deck (Hg.) Stop Teaching! Neue Theaterformen mit Kindern und Jugendlichen Februar 2013, ca. 300 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1408-4
Wolfgang Schneider (Hg.) Theater und Migration Herausforderungen für Kulturpolitik und Theaterpraxis 2011, 236 Seiten, kart., 24,80 €, ISBN 978-3-8376-1844-0
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de
Theater Martin Bieri Neues Landschaftstheater Landschaft und Kunst in den Produktionen von »Schauplatz International« August 2012, 430 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 39,80 €, ISBN 978-3-8376-2094-8
Adam Czirak Partizipation der Blicke Szenerien des Sehens und Gesehenwerdens in Theater und Performance Februar 2012, 326 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1956-0
Jan Deck, Angelika Sieburg (Hg.) Politisch Theater machen Neue Artikulationsformen des Politischen in den darstellenden Künsten 2011, 186 Seiten, kart., 24,80 €, ISBN 978-3-8376-1409-1
Andreas Englhart, Artur Pelka (Hg.) Junge Stücke Theatertexte junger Autorinnen und Autoren im Gegenwartstheater Februar 2013, ca. 300 Seiten, kart., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1734-4
Susanne Valerie Granzer Schauspieler außer sich Exponiertheit und performative Kunst. Eine feminine Recherche 2011, 162 Seiten, kart., 19,80 €, ISBN 978-3-8376-1676-7
Katharina Pewny Das Drama des Prekären Über die Wiederkehr der Ethik in Theater und Performance 2011, 336 Seiten, kart., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-1651-4
Jens Roselt, Ulf Otto (Hg.) Theater als Zeitmaschine Zur performativen Praxis des Reenactments. Theater- und kulturwissenschaftliche Perspektiven August 2012, 264 Seiten, kart., zahlr. Abb., 27,80 €, ISBN 978-3-8376-1976-8
Jens Roselt, Christel Weiler (Hg.) Schauspielen heute Die Bildung des Menschen in den performativen Künsten 2011, 268 Seiten, kart., zahlr. Abb., 25,80 €, ISBN 978-3-8376-1289-9
Jenny Schrödl Vokale Intensitäten Zur Ästhetik der Stimme im postdramatischen Theater Mai 2012, 318 Seiten, kart., mit CD-ROM, 35,80 €, ISBN 978-3-8376-1851-8
André Studt, Claudia Schweneker (Hg.) SchattenOrt: Theater auf dem Nürnberger Reichsparteitagsgelände Ein Monument des NS-Größenwahns als Lernort und Bildungsmedium Dezember 2012, 256 Seiten, kart., mit DVD, 29,80 €, ISBN 978-3-8376-2234-8
Annemarie Matzke Arbeit am Theater Eine Diskursgeschichte der Probe Juni 2012, 314 Seiten, kart., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-2045-0
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de
Zeitschrif t für Kultur wissenschaf ten Dorothee Kimmich, Schamma Schahadat (Hg.)
Essen Zeitschrift für Kulturwissenschaften, Heft 1/2012
Mai 2012, 202 Seiten, kart., 8,50 €, ISBN 978-3-8376-2023-8 Der Befund zu aktuellen Konzepten kulturwissenschaftlicher Analyse und Synthese ist ambivalent. Die Zeitschrift für Kulturwissenschaften bietet eine Plattform für Diskussion und Kontroverse über »Kultur« und die Kulturwissenschaften – die Gegenwart braucht mehr denn je reflektierte Kultur sowie historisch situiertes und sozial verantwortetes Wissen. Aus den Einzelwissenschaften heraus wird mit interdisziplinären Forschungsansätzen diskutiert. Insbesondere jüngere Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen kommen dabei zu Wort. Lust auf mehr? Die Zeitschrift für Kulturwissenschaften erscheint zweimal jährlich in Themenheften. Bisher liegen 11 Ausgaben vor. Die Zeitschrift für Kulturwissenschaften kann auch im Abonnement für den Preis von 8,50 € je Ausgabe bezogen werden. Bestellung per E-Mail unter: [email protected]
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