138 97 50MB
German Pages 359 Year 1993
UWE VOLKMANN
Politische Parteien und öffentliche Leistungen
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 640
Politische Parteien und öffentliche Leistungen
Von
Uwe Volkmann
Duncker & Humblot · Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Volkmann, Uwe: Politische Parteien und öffentliche Leistungen / von Uwe Volkmann. - Berlin : Duncker und Humblot, 1993 (Schriften zum öffentlichen Recht ; Bd. 640) Zugl.: Marburg, Univ., Diss., 1992 ISBN 3-428-07762-8 NE: GT
Alle Rechte vorbehalten © 1993 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 3-428-07762-8
Vorwort Eine wissenschaftliche Arbeit, die sich mit den öffentlichen Leistungen an die politischen Parteien beschäftigt, kann offenbar stets nur Momentaufnahme sein. Zu häufig wechseln die jeweils zu beachtenden Vorgaben, zu rasch lösen richterliche Grundsatzentscheidungen, Gesetze und Gesetzesänderungen einander ab. Alles scheint zu fließen. Erneut steht in einem der Bereiche, von denen diese Arbeit handelt, ein Umbruch an. Nachdem das BVerfG sich im Urteil vom 9.4.1992 (NJW 1992, 2524) von seiner früheren Judikatur mehr oder weniger übergangslos verabschiedet hat, kann und muß das System staatlicher Parteienfinanzierung in seinen Grundzügen neu geordnet werden. Der Gesetzgeber hat den Chancenausgleich nach § 22a PartG ersatzlos zu streichen und die steuerliche Begünstigung von Parteispenden zurechtzustutzen; neue Schranken in Form exakt definierter "Obergrenzen" sind ihm gesetzt, von vormals bestehenden ist er frei geworden. All dies deckt sich zum Teil mit den Ergebnissen dieser Arbeit, zum Teil widerspricht es ihnen. Es in dem Umfang zu berücksichtigen, der ihm zukäme, hätte ein neues Forschungsvorhaben erfordert, das die geforderte Aktualität indes wegen der anstehenden Umgestaltungen ebenfalls nicht hätte wahren können. Angesichts dessen habe ich mich dazu entschließen müssen, die Arbeit auf dem Stand zu belassen, auf dem sie sich im Zeitpunkt ihrer Einreichung befand. An ihren zentralen Thesen - der Annahme eines allgemeinen und nur beschränkt justitiablen Zurückhaltungsgebots bei der Vergabe öffentlicher Leistungen, der Forderung nach strikter staatlicher Neutralität gegenüber den politischen Parteien, dem Ruf nach einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage für die Leistungsvergabe - halte ich auch vor der veränderten Ausgangslage fest. Wie die neue Entscheidung des BVerfG vor dem Hintergrund dieser Thesen zu kommentieren ist, habe ich in meiner Urteilsbesprechung "Verfassungsrecht und Parteienfinanzierung" in ZRP 1992, 325 dargelegt. Auf die dort gemachten Ausführungen darf ich verweisen. Die Arbeit wurde im Januar 1992 abgeschlossen und dem Fachbereich Rechtswissenschaften der Philipps-Universität Marburg als Dissertation vorgelegt. Das Rigorosum fand am 16.12.1992 statt. Mein besonder Dank gilt in diesem Zusammenhang dem Erstgutachter Herrn Prof. Dr. Werner Frotscher, der die Arbeit von der Auswahl des Themas bis zur Veröffentlichung betreut und die Entstehung mit manch kritischen Anmerkungen gefördert hat. Eben-
6
Vorwort
falls zu danken habe ich Herrn Prof. Dr. Reinhard Hendler, der die Mühen der Zweitkorrektur auf sich nahm, sowie Herrn Dr. Bernd Klößner fur die Erstellung der Druckvorlage. Vor allem bedanke ich mich bei Gaby fur liebevolle Unterstützung und Anteilnahme durch Höhen und Tiefen. Abschließend, aber gewiß nicht zuletzt, ist es mir auch ein besonderes Anliegen, meinen Eltern zu danken, die mir mein Studium erst ermöglicht haben und ohne deren Hilfe diese Arbeit letztlich nicht geschrieben worden wäre.
Inhaltsverzeichnis
§ 1 Der Untersuchungsgegenstand - Die öffentlichen Leistungen an die politischen Parteien
21
A. Zweck der Untersuchung
21
B. Begriff der öffentlichen Leistungen
22
C. Die öffentlichen Leistungen im einzelnen
24
I.
Die Wahlkampfkostenerstattung
24
II.
Zuwendungen fur Jugendarbeit
29
III.
Steuerprivilegien und die steuerliche Begünstigung von Zuwendungen an die politischen Parteien
29
IV.
Der Chancenausgleich nach § 22a PartG
34
V.
Zuschüsse an die Fraktionen als öffentliche Leistungen an die Parteien?
35
Globalzuschüsse an die parteinahen Stiftungen als öffentliche Leistung an die Parteien?
38
VII. Sonderabgaben von Mandatsträgern als öffentliche Leistungen?
44
VIII. Der Einsatz amtlicher Öffentlichkeitsarbeit zu Parteizwecken
46
IX.
Überlassung öffentlicher Einrichtungen
51
X.
Öffentliche Leistungen bei der Wahlwerbung auf öffentlichen Straßen
53
Einräumung von Sendezeit in Hörfunk und Fernsehen..
60
1. Die Wahlspots im öffentlich-rechtlichen Rundfunk...
60
2. Redaktionelle Sendungen als öffentliche Leistungen an die Parteien?
63
VI.
XI.
8
nsverzeichnis
3. Das Drittsendungsrecht in privaten Rundfunkanstalten
67
4. Die Zulassung von Parteien als Rundfunkveranstalter
69
XII. Übermittlung von Wählerlisten aus dem Melderegister .
70
§ 2 Die Funktion der Parteien im politischen Prozeß - Regulativ öffentlicher Leistungen?
72
A. Die Staats- und Parteientheorie des BVerfG und ihre Auswirkungen in der Praxis
73
B. Die "Bedeutung" der Parteien als Begründung für einen Leistungsanspruch?
81
C. Kritische Analyse und Folgerungen: Die Parteifunktion als normative Basis eines Zurückhaltungsgebots
86
I.
Zum Verhältnis von Staat und Gesellschaft und zur Struktur des politischen Prozesses
88
II.
Zur Funktion der politischen Parteien
93
III.
Zur Verortung der politischen Parteien und ihren Konsequenzen für die Vergabe öffentlicher Leistungen
100
Parteifunktion und öffentliche Leistungen
106
1. Folgenanalyse
108
2. Schwierigkeiten der Folgenabwägung
114
3. Präventionsgedanke und Vorsorgeprinzip: Das Zurückhaltungsgebot
120
4. Konkretisierung und praktische Konsequenzen des Zurückhaltungsgebots
127
5. Die notwendige Einschränkung
138
IV.
§ 3 Chancengleichheit der Parteien und staatliche Neutralitatspflichten
148
A. Vorbemerkung
148
B. Die Herleitung des Prinzips der Chancengleichheit
150
I. II.
Untaugliche Ansätze - Art. 3 I GG und Art. 38 GG Chancengleichheit als Komplement der Parteifunktion..
150 151
III.
Erste Folgerungen
159
nsverzeichnis
IV.
Friktionen und Grenzen
C. Die Polyvalenz von Chancengleichheit und staatlicher Neutralitat bei der Vergabe öffentlicher Leistungen - unmittelbares Leistungsverbot, Leistungsanspruch, Zurückhaltungsgebot I.
II. III.
165
Unmittelbare Leistungsverbote
166
1,. Neutralitat und amtliche Öffentlichkeitsarbeit
167
2. Die Zuschüsse an die Fraktionen
173
3. Leistungsverbot bei redaktioneller Berichterstattung in Hörfunk und Fernsehen?
176
4. Neutralität und die Zulassung von Parteien als Rundfunkveranstalter
182
Neutralität und Chancengleichheit als Leistungsanspruch
184
Die Aporie wettbewerbsneutraler Leistungsverteilung und ihre Konsequenz : Chancengleichheit als Zurückhaltungsgebot
D. Wettbewerbsneutralität und Differenzierungen zwischen den Leistungsempfängern I.
160
189
196
Unmittelbare oder finale Differenzierungen
201
1. Differenzierungen nach den Zielen und Programmen der Parteien
201
2. Differenzierungen nach der "Bedeutung" einer Partei und dem zuletzt erzielten Wahlergebnis - schematische oder proportionale Gleichbehandlung?
208
a) Die Abkehr von der formalen Gleichbehandlung durch Rechtsprechung, Gesetzgeber und politische Praxis
208
b) Die beschränkte Abkehr von der Abkehr
213
c) Zur Zulässigkeit der Differenzierung
216
aa) Die formale Gleichbehandlung als Grundsatz. aaa) Die Feststellung der Bedeutung und die Differenzierung nach dem Wahlergebnis als Wertung
217
218
10
nsverzeichnis
bbb) Die Zukunftsgerichtetheit der Wettbewerbsneutralität bb) Durchbrechungen des Grundsatzes?
II.
224
aaa) Durchbrechungen durch verfassungsimmanente Schranken?
224
bbb) Wettbewerbsverzerrungen bei paritätischer Leistungsverteilung?
226
ccc) Durchbrechungen bei einzelnen Leistungsarten aufgrund deren individueller Merkmale?
231
d) Folgerungen
II.
220
235
3. Differenzierungen nach von individuellen Merkmalen unabhängigen Kriterien
239
4. Differenzierungen nach dem Grad der Beteiligung an der politischen Willensbildung
242
Mittelbare und faktische Differenzierungen
247
1. Mittelbare Ungleichbehandlung als Verstoß gegen die Wettbewerbsneutralität
247
a) Die Rechtsprechung des BVerfG vor der Neuregelung der Parteienfinanzierung im Jahre 1983....
247
b) Die Mittelbarkeit der Differenzierung
251
c) Zur Zulässigkeit dieser mittelbaren Differenzierung
253
d) Ausgleich mittelbarer Ungleichbehandlung durch kompensatorische Maßnahmen?
257
aa) Progressionsunabhängige Steuervergünstigungen als Fall einer zulässigen mittelbaren Differenzierung?
258
bb) Zur Kompensation mittelbarer Ungleichbehandlungen durch unmittelbare Zuwendungen aus der Staatskasse
260
e) Der Bürgerbeitrag als zulässige Form einer mittelbaren Differenzierung
267
Faktische Differenzierungen
268
nsverzeichnis
III.
Differenzierungen auf dem Umweg über den Parteibegriff
273
§ 4 Die Rechte Dritter als zusatzliche Schranke einer Leistungsvergabe
282
A. Die Steuerbegünstigung von Parteispenden und Mitgliedsbeiträgen und das Grundrecht des Bürgers auf gleiche Teilhabe an der politischen Willensbildung
284
B. Die Einräumung von Sendezeiten im Lichte der Rundfunkfreiheit
293
C. Die Weitergabe von Wählerlisten aus dem Melderegister und das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung D. Sonderabgaben und Art. 48 III GG § 5 Die Kontrolle der Leistungsvergabe durch die Öffentlichkeit A. Öffentliche Leistungen an die politischen Parteien und der Vorbehalt des Gesetzes I.
II.
300 303 305 306
Der Streit um die Reichweite des Vorbehaltsprinzips....
307
1. Der Vorrang und der Vorbehalt des Gesetzes nach klassischer Auffassung
307
2. Die Lehren vom Totalvorbehalt
308
3. Die Wesentlichkeitstheorie des BVerfG
310
Konsequenzen für die öffentlichen Leistungen an die politischen Parteien
312
1. Zur Verwertbarkeit der wissenschaftlichen Diskussion
312
2. Die Bestimmung der Reichweite des Gesetzesvorbehalts als Kompetenz- und Zuordnungsproblem
313
a) Zuordnung der Kompetenzen zur Leistungsvergabe durch das Grundgesetz selbst
317
b) Zuordnung der Kompetenzen aufgrund eines Vergleichs von Legitimation und Verantwortlichkeit..
318
c) Zuordnung aufgrund eines Vergleichs von Effizienz und Richtigkeitsgewähr
319
d) Zuordnung aufgrund eines Vergleichs von Organisation und Verfahren
321
12
nsverzeichnis
3. Fazit
325
III.
Praktische Auswirkungen und Regelungsdefizite
326
IV.
Regelungszustandigkeit
333
B. Die Rechenschaftspflicht des Art. 21 I 4 GG
333
§ 6 Zusammenfassung
339
Literaturverzeichnis
344
Abkürzungsverzeichnis a. Α.
anderer Ansicht
a.a.O.
am angegebenen Ort
a.E.
am Ende
AbgEG BW
Gesetz über die Entschädigung der Abgeordneten vom 6.10.1970 (Baden-Württemberg)
AbgG
Abgeordnetengesetz
Abs.
Absatz
AfP
Archiv für Presserecht
Alt.
Alternative
Amtsbl.
Amtsblatt
Ani.
Anlage
Anm.
Anmerkung
AöR
Archiv fur öffentliches Recht
ARD
Arbeitsgemeinschaft der Rundfunkanstalten Deutschlands
Art.
Artikel
AS
Amtliche Sammlung von Entscheidungen der Oberwaltungsgerichte Rheinland-Pfalz und Saarland
Aufl.
Auflage
B90/Grüne
Bündnis 90/Grüne
BadWürtt, BW
Baden-Württemberg, gisch
Bay
Bayern, Bayerisch
Baden-württember-
14
Abkürzungsverzeichnis
BayMEG
Gesetz über die Erprobung und Entwicklung neuer Rundfunkangebote und anderer Mediendienste in Bayern (Medienerprobungs- und Entwicklungsgesetz)
BayStrWG
Bayerisches Straßen- und Wegegesetz
BayVBl.
Bayerische Verwaltungsblätter
Bd.; Bde
Band; Bände
BFernstrG
Bundesfernstraßengesetz
BFH
Bundesfinanzhof
BGB
Bürgerliches Gesetzbuch
BGBl.
Bundesgesetzblatt
BGH
Bundesgerichtshof
BGHZ
Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen
Bl.
Blatt
BPA
Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
Brem, Brem.
Bremen, Bremisch
BT-Drucks.
Verhandlungen des Deutschen Bundestages, Drucksachen
Buchholz
Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
BVerfG
Bundesverfassungsgericht
BVerfGE
Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts
BVerwG
Bundesverwaltungsgericht
BVenvGE
Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts
CDU
Christlich Demokratische Union Deutschlands
CSU
Christlich-Soziale Union in Bayern e.V.
DAR
Deutsches Autorecht
Abkürzungsverzeichnis
DB
Der Betrieb
ders.
derselbe
DGO
Deutsche Gemeindeordnung
DJT
Deutscher Juristentag
DÖV
Die öffentliche Verwaltung
DRZ
Deutsche Rechtszeitschrift
DSU
Deutsche Soziale Union
DVB1.
Deutsches Verwaltungsblatt
DVU
Deutsche Volksunion
ebda.
ebenda
Einl.
Einleitung
ErbStG
Erbschaftssteuer- und Schenkungssteuergesetz
EStG
Einkommenssteuergesetz
EStDV
Einkommenssteuer-Durchfuhrungsverordnung
ESVGH
Entscheidungen des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs und Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg mit Entscheidungen der Staatsgerichtshöfe beider Länder
EuWG
Gesetz über die Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments (Europawahlgesetz)
f.; ff.
folgende; fortfolgende
FDP
Freie Demokratische Partei
FG
Finanzgericht
Fn.
Fußnote
FS
Festschrift
GAL
Grün-Alternative Liste Hamburg
GG
Grundgesetz
16
Abkürzungsverzeichnis
GO, GemO
Gemeindeordnung
GewStG
Gewerbesteuergesetz
HaushaltsG
Haushaltsgesetz
Hess, Hess.
Hessen, Hessisch
HGO
Hessische Gemeindeordnung
h.L.
herrschende Lehre
Hmb, Hmb.
Hamburg, Hamburgisch
HPRG
Gesetz über den privaten Rundfunk in Hessen (Hessisches Privatrundfunkgesetz)
HR
Hessischer Rundfunk
HR-Gesetz
Gesetz über den Hessischen Rundfunk
Hrsg.; hrsgg.
Herausgeber; herausgegeben
HSGZ
Hessische Städte und Gemeindezeitung
i.d.F.
in der Fassung
i.e.
id est
JIR
Jahrbuch des internationalen Rechts
JöR
Jahrbuch des öffentlichen Rechts
Jura
Jura/Juristische Ausbildung
JuS
Juristische Schulung
JZ
Juristenzeitung
Kap.
Kapitel
KBW
Kommunistischer Bund Westdeutschland
KJ
Kritische Justiz
KPD
Kommunistische Partei Deutschlands
KPD/ML
Kommunistische Partei Marxisten-Leninisten
KPPG
Kabelpilotprojekt- und Versuchsgesetz für drahtlosen Rundfunk im Land Berlin (Kabelpilotproj ektgesetz)
Deutschlands/
Abkürzungsverzeichnis
KStDV
Körperschaftssteuer-Durchführungsverordnung
KStG
Körperschaftssteuergesetz
KZfSS
Kölner Zeitschrift fur Soziologie und Sozialpsychologie
LAbgG
Landesabgeordnetengesetz
LandesrundfunkG, LRG
Landesrundfunkgesetz
LG
Landgericht
lit.
litera, Buchstabe
LM
Das Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen, herausgegeben von Lindenmaier und Möhring
LMedienG, LMG
Landesmediengesetz
LPG, LPrG
Landespressegesetz
Ls.
Leitsatz
LVG
Landesverwaltungsgericht
LWahlG
Landeswahlgesetz
m.E.
meines Erachtens
m.w.N.
mit weiteren Nachweisen
M ABl.
Ministerialamtsblatt der bayerischen inneren Verwaltung
MedienG
Mediengesetz
MeldeG, M G
Meldegesetz
MinBl., MB1.
Ministerialblatt
MRRG
Melderechtsrahmengesetz
MW
Ministerium fur Wirtschaft
NDR
Norddeutscher Rundfunk
NDR-Staatsvertrag
Staatsvertrag Rundfunk
Nds, Nds. 2 Volkmann
über
den
Norddeutschen
Niedersachsen, Niedersächsisch
18
Abkürzungsverzeichnis
NJW
Neue Juristische Wochenschrift
NPD
Nationaldemokratische Partei Deutschlands
Nr.
Nummer
NVwZ
Neue Zeitschrift fur Verwaltungsrecht
NW, NRW
Nordrhein-Westfalen, lisch
NWVBL
Nordrhein-Westfälische Verwaltungsblätter
OLG
Oberlandesgericht
OVG
Oberwaltungsgericht
OVGE
Entscheidungen der Obervenvaltungsgerichte fur das Land Nordrhein-Westfalen in Münster sowie für die Länder SchleswigHolstein und Niedersachsen in Lüneburg mit Entscheidungen des Staatsgerichtshofs Nordrhein-Westfalen und des niedersächsischen Staatsgerichtshofs
ÖDP
Ökologisch-Demokratische Partei
PartG
Gesetz über die politischen Parteien (Parteiengesetz)
PVS
Politische Vierteljahresschrift
RdErl.
Runderlaß
RdfkG, RundfunkG, RuFuG
Rundfunkgesetz
REP
Die Republikaner
RhldPf, RhldPf.
Rheinland-Pfalz, Rheinland-Pfälzisch
Rn.
Randnummer
RuF
Rundfunk und Fernsehen
S.
Seite
Saarl., Saarl
Saarland, Saarländisch
sc.
scilicet
SDR
Süddeutscher Rundfunk
Nordrhein-Westfä-
Abkürzungsverzeichnis
19
SDR-Gesetz
Gesetz Nr. 1096 Rundfunkgesetz vom 21.11.1950 (Anm. : über den Süddeutschen Rundfunk)
SDR-Satzung
Satzung für den "Süddeutschen Rundfunk" in Stuttgart
SFB
Sender Freies Berlin
SKV
Staats- und Kommunalverwaltung
SPD
Sozialdemokratische Partei Deutschlands
st.Rspr.
standige Rechtsprechung
StAnz
Staatsanzeiger
StGB
Strafgesetzbuch
StGH
Staatsgerichtshof
str.
streitig
StrG
Straßengesetz
stvo
Straßenverkehrsordnung
SWF
Südwestfunk
SWF-Staatsvertrag
Staatsvertrag über den Südwestfunk
UWG
Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb
v.H.
vom Hundert
VB1BW
Verwaltungsblätter für Baden-Württemberg
VerfGH
Verfassungsgerichtshof
VG
Verwaltungsgericht
VGH
Verwaltungsgerichtshof
vgl.
vergleiche
Vorbem.
Vorbemerkung
VStG
Vermögenssteuergesetz
VVDStRL
Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer
WahlkamfkostenerstattungsG
2*
Wahlkampfkostenerstattungsgesetz
20
Abkürzungsverzeichnis
WahlkampfkostenG
Wahlkampfkostengesetz
WDR
Westdeutscher Rundfunk
WuV
Wirtschaft und Verwaltung
z.B.
zum Beispiel
ZDF
Zweites Deutsches Fernsehen
ZDF-Staatsvertrag
Staatsvertrag über die Errichtung der Anstalt des öffentlichen Rechts "Zweites Deutsches Fernsehen"
Ziff.
Ziffer
ZParl
Zeitschrift für Parlamentsfragen
ZRP
Zeitschrift für Rechtspolitik
§ 1 Der Untersuchungsgegenstand - Die öffentlichen Leistungen an die politischen Parteien A. Zweck der Untersuchung Wahlkampfkostenerstattung, Steuerbegünstigung von Parteispenden, Globalzuschüsse an die politischen Stiftungen - Stichworte, die längst zu Reizworten geworden sind. Die Parteienfinanzierung ist seit vielen Jahren ein Dauerbrenner im öffentlichen Diskurs. Was mit dem Versuch begonnen hatte, den Parteien auf legalem Wege ein "Leben auf Staatskosten" zu ermöglichen, eskalierte schließlich in der Parteispendenaffare zu einem der großen Politskandale der Nachkriegszeit. Politiker, Journalisten und nicht zuletzt Juristen haben sich denn auch mit der Parteienfinanzierung immer aufs neue beschäftigt oder beschäftigen müssen. Die Parteienfinanzierung durch die öffentliche Hand war Gegenstand gewichtiger Entscheidungen des BVerfG, und auch die StraQustiz durfte - mit insgesamt bescheidenem Erfolg - Hand anlegen. Die Rechtswissenschaft hat sich des Themas ebenfalls angenommen - frühzeitig und mit beachtlichem Aufwand. Zur Parteienfinanzierung ist eine Flut von Monographien, Dissertationen, Habilitationsschriften und Aufsätzen erschienen, die sich in ihrer Gesamtheit kaum mehr übersehen läßt. Ein einheitliches Meinungsbild hat sich dabei freilich noch nicht entwickelt. Während Skeptiker wie Hans Herbert von Arnim nicht müde werden, die staatliche Parteienfinanzierung und das Ausmaß, das sie mittlerweile angenommen hat, zu geißeln 1 , plädierte etwa der Staatsrechtslehrer und ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete Hans-Hugo Klein, später immerhin zum Verfassungsrichter aufgerückt, öffentlich fur ihre Ausweitung - unter der programmatischen Überschrift "Parteien sind gemeinnützig"2. Ein Titel, der verrät, daß es um Prinzipielles geht: um die Rolle der Parteien in der parlamentarischen Demokratie, ihr Verhältnis zur Gesellschaft und ihr Verhältnis zum Staat. Nicht anders liegt es bei den nichtfinanziellen Leistungen. Die Frage, welche Parteien von der Überlassung öffentlicher Einrichtungen ausgeschlossen werden dürfen, wie eine chancengleiche Berücksichtigung aller Parteien bei der Vergabe von Sendezeit durch die Rundfunkanstalten auszusehen hat, nach welchen Kriterien die Stellplätze für die Aufstellung von Wahlplakaten vergeders.y
1
Zuletzt
2
NJW 1982, 735.
Die Partei, S. 3 ff.
22
§ 1 Der Untersuchungsgegenstand
ben werden, ob der Staat als solcher im Gewand amtlicher Öffentlichkeitsarbeit Werbung fur Parteien betreiben darf, rührt an die Tiefen des modernen Parteienstaats. Gleichwohl fehlt bislang eine zusammenfassende Darstellung des gesamten Komplexes der öffentlichen Leistungen, die sowohl die finanziellen als auch die sonstigen öffentlichen Leistungen an die politischen Parteien in ihrer Gesamtheit und ihrer Wechselbezüglichkeit erfaßt. Während die eigentliche Parteienfinanzierung häufiger im Zusammenhang erörtert wird, rangieren die nichtfinanziellen Leistungen nur unter "ferner liefen" oder bleiben ganz außen vor. Das Sporadische dominiert. Die vorliegende Arbeit versucht, diese Lücke zu schließen. Sie soll zeigen, daß sich alle öffentlichen Leistungen auf einen einheitlichen Kern zurückfuhren lassen, und will die Querverbindungen zwischen den einzelnen Leistungen herausarbeiten. Unternommen wird der Versuch einer Gesamtschau, der es ermöglicht, Wertungswidersprüche in Rechtsprechung und Lehre aufzudecken, die bei isolierter Betrachtung einzelner Leistungen verborgen bleiben müssen. Das vorrangige Ziel der Arbeit liegt indes darin, die rechtlichen - und das heißt vor allem: die verfassungsrechtlichen - Vorgaben für die Gewährung öffentlicher Leistungen in ihrem Zusammenspiel zu entwickeln und zu vereinheitlichen. Dabei wird sich zeigen, daß sich alle Anforderungen, die das Grundgesetz an die Vergabe öffentlicher Leistungen - seien sie finanzieller, sächlicher oder immaterieller Natur - stellt, zurückfuhren lassen auf ein einheitliches rechtliches Prinzip: auf das verfassungsrechtliche Gebot, die Funktion der Parteien im politischen Prozeß, wie sie durch die Verfassung konstituiert wird, zu sichern und zu erhalten. Es ist dies eines der Hauptanliegen der Untersuchung: Nachzuweisen, daß es letztlich die Rolle der Parteien im Demokratiemodell des Grundgesetzes ist, die bestimmt, in welchem Umfang öffentliche Leistungen gewährt werden dürfen, nach welchen Maßstaben sie zu verteilen sind oder ob bei ihrer Vergabe ein bestimmtes Verfahren eingehalten werden muß. Das macht zunächst einige begriffliche Klärungen erforderlich.
B. Begriff der öffentlichen Leistungen Von "öffentlichen Leistungen" ist im Zusammenhang mit den politischen Parteien lediglich in § S PartG die Rede. Dort wird der Begriff weit ausgelegt3 und herkömmlicherweise nur als Vorteilsgewährung durch die öffentliche Hand definiert 4. In ähnlicher Weise soll er, dem Zweck der Untersuchung entsprechend, hier verstanden werden. Öffentliche Leistung ist danach 3
Siehe nur BVerwGE 47, 280 (286ff.).
Β. Begriff der öffentlichen Leistungen
23
jede Zuwendung der öffentlichen Hand an eine oder mehrere politische Parteien, unabhängig davon, - ob es sich um eine finanzielle oder nichtfinanzielle, materielle oder immaterielle Zuwendung handelt, - ob sie den Parteien mittelbar oder unmittelbar zugutekommt, - ob sie entgeltlich oder unentgeltlich erfolgt, - durch welche Untergliederung des Staates sie gewährt wird, - ob sie in einem geregelten Verfahren vergeben wird oder nicht. Zwei Elemente scheinen allerdings zur Einengung des Leistungsbegriffs unverzichtbar. Zum einen muß die Leistung einen gewissen Vermögenswert haben oder doch in einem gewissen Ausmaß kommerzialisierbar sein5. Nicht jedes flüchtige Lob, das ein in Amt und Würden befindlicher Politiker einer bestimmten Partei - zumeist der, der er selbst angehört - ausspricht, ist schon öffentliche Leistung, auch wenn es sich in einem allgemeinen Sinne noch als "Vorteil" begreifen läßt. Der Begriff der Leistung hat - hier wie sonst auch6 vermögensrechtlichen Einschlag. Damit ist freilich nicht gesagt, daß immaterielle Vorteile aus dem Leistungsbegriff herausfallen. Auch ein Werbeeffekt kann durchaus einen Vermögenswert haben, wenn er nicht nur von völlig untergeordneter Bedeutung ist 7 . Ein Indiz fur eine öffentliche Leistung liegt in diesen Fällen insbesondere dann vor, wenn die Zuwendung unter Einsatz öffentlicher Mittel erfolgt 8. Ebenso kann von Bedeutung sein, ob die Parteien infolge der Zuwendung eigene Aufwendungen ersparen 9. Und noch ein weiteres Element tritt zur Eingrenzung des Leistungsbegriffs hinzu: das Element der Finalität. Leistung kann immer nur die Vorteilsgewährung sein, die bewußt und zweckgerichtet erfolgt. Wer lediglich von einer Handlung, die in ganz anderer Absicht als der der Begünstigung vorgenom4
Seifert y Die politischen Parteien, S. 152.
5
So fur den Leistungsbegriff des § 5 PaitG grundsatzlich auch Bulla, ZRP 1979, 37; a.A. Seifert y Die politischen Parteien, S. 152. 6 Zum Leistungsbegriff des BGB BGH L M § 812 BGB Nr. 6 B1.369; Pakmdt-Heinnchs, § 812 BGB Rn.4; im Bereicherungsrecht setzt eine Leistung allgemein die Mehrung fremden Vermögens voraus, vgl. BGHZ 58, 184 (188) m.w.N.. Der Begriff der öffenUichen Leistung deckt sich insoweit auch mit dem öffentlich-rechtlichen Subventionsbegriff, der ebenfalls nur Vermögenswerte Zuwendungen erfaßt, vgl. Stober, s. 1224f. m.w.N., sowie mit der Legaldefinition der Subvention in § 264 V I StGB. Zugleich wird über das Kriterium des Vermögenswerts auch die Verbindung zum Begriff der "Einnahme" in § 26 PartG hergestellt. 7 Siehe nur BGH NJW 1979, 2205 (2206), der den aus der Photographie eines Fußballspielers gezogenen Werbeeffekt als "tatsächlichen geldwerte(n) Vorteil" begreift. 8 Das ermöglicht es etwa, die als amtliche Öffentlichkeitsarbeit getarnte Parteiwerbung durch Informationsbroschüren, Zeitungsanzeigen etc. als öffentliche Leistung zu erfassen, siehe unten Abschnitt V m . 9
Vgl. dazu BGHZ 55, 128 (130ff.).
24
§ 1 Der Untersuchungsgegenstand
men wurde, profitiert, an den ist im eigentlichen Wortsinn nicht "geleistet" worden 10 . Der Vorteil erscheint in einem solchen Falle als bloße Begleiterscheinung eines fur sich genommen neutralen Aktes, die der Handelnde möglicherweise überhaupt nicht vermeiden konnte. Was gemeint ist, illustriert etwa das Beispiel der Fernsehberichterstattung über die politischen Parteien: Auch eine objektiv richtige Kurzmeldung über eine bestimmte Partei in den Nachrichtensendungen kann durchaus einen gewissen Werbeeffekt für diese Partei als Objekt der Berichterstattung entfalten. Zur Leistung wird dieser Werbeeffekt allerdings erst dann, wenn er bewußt und zweckgerichtet eingesetzt wird. Erforderlich ist damit stets ein bestimmter Leistungswille auf Seiten des Leistenden. Der Leistungsbegriff weist demnach nicht nur eine objektive, sondern auch eine subjektive Komponente auf. Diese spielt freilich zumeist nur eine untergeordnete Rolle, weil sie durch das Vorliegen der objektiven Voraussetzungen in aller Regel indiziert wird 1 1 . Das gilt insbesondere fur die Leistungen, die auf gesetzlicher, die Parteien ausdrücklich bezeichnender Grundlage oder in einem bestimmten Verfahren vergeben werden. Wendet etwa die öffentliche Hand den Parteien durch eine formalisierte Entscheidung - beispielsweise durch einen an eine oder mehrere Parteien adressierten Verwaltungsakt - finanzielle oder sachliche Mittel zu, läßt sich der entsprechende Leistungswille ohne weiteres vermuten. Lediglich dort, wo eine Handlung nach der Verkehrsauffassung anderen Zwecken dient als der Begünstigung der Parteien, müssen zusätzliche Anhaltspunkte vorliegen, die auf das subjektive Element des Leistungsbegriffs schließen lassen.
C. Die öffentlichen Leistungen im einzelnen /. Die Wahlkampfkostenerstattung "Die notwendigen Kosten eines angemessenen Wahlkampfes sind Parteien, die sich an der Bundestagswahl mit eigenen Wahlvorschlägen beteiligt haben, zu erstatten" - dieser Satz, der erste des Absatzes 1 des § 18 PartG, markiert eine Schwellenüberschreitung. Hatten sich die Parteien in der Weimarer Republik und nach dem Inkrafttreten des Grundgesetzes - einige halblegale oder vom BVerfG mißbilligte Praktiken außer acht gelassen - notgedrungen noch
1 0 Zur Parallele im Zivilrecht siehe nur BGHZ 40, 272 (277); 58, 184 (188); Palandt-Heinrichs, § 812 BGB Rn. 3 m.w.N.. 1 1 Der Schluß von der objektiven auf die subjektive Seite einer Handlung wird auch in anderen Rechtsgebieten gezogen. So wird etwa im Wettbewerbsrecht bei Vorliegen einer Wettbewerbshandlung eine Wettbewerbsabsicht regelmäßig vermutet, siehe Baumbach/Hefe rmehl, Einl. UWG Rn.235f..
C. Die öffentlichen Leistungen im einzelnen
25
aus eigenen Mitteln unterhalten müssen12, so steht die Einfuhrung der Wahlkampfkostenerstattung durch das Parteiengesetz vom 24.7.1967 1 3 für den gesetzlich festgeschriebenen Ubergang von der ausschließlichen Selbst- zur teilweisen Staatsfinanzierung der Parteien. Was bei Bundestagswahlen erfolgreich erprobt wurde, wurde von den Landern, die von der Ermächtigung des § 22 PartG weidlich Gebrauch machten, für die Landtagswahlen alsbald übernommen; und als schließlich auch Europa sein Parlament zu wählen begann, wurde der Steuerzahler für den Bedarf der Parteien in gleicher Weise zur Kasse gebeten. Mehrfach - auf Bundesebene zuletzt durch das Gesetz zur Neuregelung der Parteienfinanzierung vom 22.12.1988 1 4 - geändert, hat die Regelung der Wahlkampfkostenerstattung damit den Muster- und zugleich den Präzedenzfall einer öffentlichen Leistung geschaffen, in der sich die meisten der rechtlichen Probleme widerspiegeln, die für öffentliche Leistungen im allgemeinen typisch sind. Die Berechnungs- und Auszahlungsmodalitäten sind in den §§ 18ff. PartG, 28 EuWG und den aufgrund der Ermächtigung des § 22 PartG erlassenen Landesgesetzen im einzelnen und weitgehend übereinstimmend geregelt 15 . Danach erhalten die Parteien für ihre Teilnahme an Wahlen eine Wahlkampfkostenerstattung, die mit einem bestimmten Betrag je Wahlberechtigten - in der Regel 5 D M 1 6 , in einigen Ländern aber bereits 6,25 D M 1 7 - pauschaliert wird. Da die Pauschalierung nicht an der Zahl der Wähler, sondern an der der Wahlberechtigten orientiert ist 1 8 , wird die Wahlkampfkostenerstattung für die Parteien in ihrer Gesamtheit zu einem schier unerschöpflichen Einnahmequell. Für die Bundestagswahl 1987 konnten auf diese Weise rund 227 Mio. D M ausgeschüttet werden 19 , und für die Bundestagswahl 1990 fielen - aufgrund der unverhofften Vermehrung der Zahl der ΙΛ
Zur Entwicklung der Parteienfinanzierung bis zur Einfuhrung der Wahlkampfkostenerstattung vgl. Menzel, DÖV 1966, 585ff., sowie zusammenfassend Lösche, S. 27ff., 136ff.. 1 3 BGBl. I S . 773. 1 4
BGBl. I S . 2615.
1 5
Zur Regelung in den Ländern siehe die Synopse bei Titzck,
S. 173ff..
1 6
§§ 18 I 2 PartG; 28 Ziff.l EuWG. Soweit die Länder ebenfalls einen Betrag von 5 D M vorsehen, ergibt sich dieser zumeist aus einer lapidaren Verweisung auf die im Bund geltende Regelung, vgl. §§ 1 I, I V Saarl. WahlkampfkostenerstattungsG; 1 I 2 WahlkampfkostenG BW, 1 Π Hess. WahlkampfkostenerstattungsG; Art. 59 Π Bay. LandeswahlG. Lediglich in § 1 I 2 Nds. WahlkampfkostenerstattungsG wird der Betrag von 5 D M ausdrücklich genannt. 1 7 So §§ 1 I 2 WahlkampfkostenerstattungsG RhldPf, 1 I 2 WahlkampfkostenG N W . Von der Ermächtigung des § 22 PartG ist das nicht mehr gedeckt, von Arnim, Die Partei, S. 75f.. 1 8 Kritisch dazu von Arnim, Die neue Parteienfinanzierung, S. lOOf.; DER SPIEGEL, 26/1989, S. 31; a.A. Titzck, S. 126ff.. 1 9 Wahlberechtigt waren bei dieser Wahl 45 327 982 Personen, Quelle: Bevölkerung und Erwerbstätigkeit, Wahl zum 12. Deutschen Bundestag, Heft 1, S. 15, hrsgg. vom Statistischen Bundesamt, Wiesbaden 1990.
26
§ 1 Der Untersuchungsgegenstand
Wahlberechtigten - bereits rund 302 Mio. D M an 2 0 . Ändern kann sich jeweils nur die Verteilung der Wahlkampfkostenerstattung auf die einzelnen Parteien, die grundsätzlich nach der bei der Wahl erzielten Stimmenzahl erfolgt. Bei Bundestagswahlen nehmen an der Wahlkampfkostenerstattung dabei nur solche Parteien teil, die entweder im gesamten Wahlgebiet auf mindestens 0,5 v.H. der abgegebenen Zweitstimmen kamen21 oder in einem oder mehreren Wahlkreisen mehr als 10 v.H. der Erststimmen auf sich vereinigen konnten (§ 18 I I PartG). Bei Parteien, die in einem oder mehreren Wahlkreisen mehr als 10 v.H. der Erststimmen auf sich vereinigen konnten, bemißt sich der Anteil an der Pauschale nach der Zahl der Erststimmen in den betreffenden Wahlkreisen 22; bei den anderen nach dem Verhältnis der erzielten Zweitstimmen (§§ 18 III i.V.m. I I PartG). Die Wahlkampfkostenerstattung wird freilich nicht auf einmal ausgezahlt. Nach Maßgabe des § 20 PartG können Parteien auf Antrag jährliche Abschlagszahlungen bis zur Höhe von 20 v.H. der Gesamtsumme des nach dem Ergebnis der vorausgegangenen Wahl zu erstattenden Betrages erhalten - eine Regelung, von der die Parteien üblicherweise auch Gebrauch machen. Da fur die Wahlen zum Europaparlament und zu den Landtagen entsprechende Regelungen bestehen23, haben sich die als Wahlkampfkostenerstattung geleisteten Zahlungen des Staates an die Parteien verstetigt. Die Wahlkampfkostenerstattung hat sich auf diese Weise fur die Parteien nicht nur zu einer nie versiegenden, sondern auch zu einer hinreichend regelmäßigen und kontinuierlich sprudelnden Einnahmequelle entwickelt. Das belegt folgende Statistik, Wahlberechtigt waren hier 60 436 560 Personen; Quelle: Bevölkerung und Erwerbstätigkeit, Wahl zum 12. Deutschen Bundestag, Heft 3, S. 171 f., hrsgg. vom Statistischen Bundesamt, Wiesbaden 1990. In der oben genannten Summe noch nicht enthalten ist der Sockelbetrag des § 18 V I PartG; dazu sogleich im Text. 2 1
Das Quorum liegt in den Bundesländern zumeist hoher, vgl. § 1 Π Saarl. WahlkampfkostenG (1,5%), § 1 Π Hmb. WahlkampfkostenG (1,5%), Ait.59 I 2 BayLandeswahlG (1,25%), § 1 Π Nds. WahlkampfkostenG (1,25%). Bei den Wahlen zum Europäischen Parlament, bei denen jeder Wähler nur eine Stimme hat ( § 2 1 EuWG), gilt wieder ein einheitliches Quorum von 0,5 v.H.. Für die Bundestagswahl 1990 beachte das "Zehnte Gesetz zur Änderung des Bundeswahlgesetzes sowie zur Änderung des Parteiengesetzes" vom 8.10.1990, BGBl. I S. 2141. Nach dessen Art.2 Ziflf.l reichte es aus, wenn die 0,5%-Marge entweder im alten Bundesgebiet oder auf dem Gebiet der ehemaligen DDR erreicht wurde. Damit hat der Gesetzgeber der Forderung von BVerfGE 82, 322 nach einer regionalisierten Sperrklausel auch auf dem Gebiet der Parteienfinanzierung Rechnung getragen. 2 2 Wobei diese Parteien bei der Berechnung der Gesamtverteilung zuerst zu berücksichtigen sind, §§ 18 V PartG. 2 3
Siehe für Europawahlen § 28 Ziff.4 EuWG; dem Umstand, daß die Wahlperiode des Europäischen Parlamente um ein Jahr länger ist, ist durch eine entsprechende Herabsetzung der jährlichen Abschlagszahlung auf 15 v.H. des zuvor ausgezahlten Erstattungsbetrages Rechnung getragen. Zur Regelung in den Ländern siehe nur Art.61 BayLandeswahlG, §§ 3 WahlkampfkostenG BW, 3 Hess. WahlkampfkostenerstattungsG, 3 WahlkampfkostenerstattungsG N W , 3 Hmb. WahlkampfkostenerstattungsG.
27
C. Die öffentlichen Leistungen im einzelnen
die ungeachtet gewisser Schwankungen fur jede Partei ein regelmäßiges jährliches "Grundeinkommen" ausweist: Einnahmen der Parteien aus der Wahlkampfkostenerstattung (in Mio. DMp·*
1984 1985 1986 1987 1988 1989
CDU 71,8 54,2 47,9 59,9 48,2 49,5
CSU 13,7 12,3 21,8 15,9 12,1 18,2
GRÜNE 24,2 9,1 10,5 18,8 9,7 16,1
FDP 10,1 9,1 8,3 17,4 8,7 14,4
SPD 71,1 61,1 55,3 69,8 53,0 72,4
Zusätzlich wird fur Parteien, die mindestens 2 v.H. der Zweitstimmen erreicht haben, neuerdings ein einheitlicher Sockelbetrag in Höhe von 6 v.H. des Gesamtbetrages der Wahlkampfkostenerstattung im Sinne des § 18 I PartG ausgezahlt (§ 18 V I 1 PartG) 25 - freilich nur bei Bundestagswahlen26 und begrenzt auf 80 v.H. des Anteils der betreffenden Partei an der Wahlkampfkostenpauschale (§18 V I 2 PartG). Unter dem Strich bleibt gleichwohl eine nicht unerhebliche Erhöhung der Erstattungssumme bestehen - bei der Bundestagswahl 1990, bei der infolge der Ubergangsvorschrift des § 39 I I PartG zunächst nur der halbe Sockel gewährt wird 2 7 , immerhin von rund 302,3 Mio. D M , die ohne den Sockelbetrag zur Auszahlung gekommen wären, auf 352,6 Mio. D M mit dem Sockelbetrag 28, was einer 2 4
Quelle: Bericht der Bundestagspräsidentin gem. § 23 V PartG vom 30.3.1990, BT-Drucks. U/6885; Rechenschaftsberichte 1989, BT-Drucks. 11/8130. Überblick über die Zahlen von
1968 bis 1987 bei Landfried,
S. 319.
2 5
Der Verweis auf Abs.l scheint freilich zunächst in ein juristisches Karussell zu fuhren, weil nach Abs. 1 Satz 2 die Wahlkampfkosten die Wahlkampfkostenpauschale von 5 D M je Wahlberechtigten und den Sockelbetrag nach Abs. 6 umfassen. Bezug genommen werden sollte aber offensichtlich nur auf die Wahlkampfkostenpauschale. Es durfte sich um ein auf die uberstürzte Verabschiedung der PartG-Novelle zurückzuführendes Redaktionsversehen handeln, so auch von Arnim, Die neue Parteienfinanziening, S. 59f. (Fn.94). 2 6 Fur Europawahlen wird kein Sockelbetrag gezahlt (§ 28 Ziff.5 EuWG). Die Länder haben - mit Ausnahme von Nordrhein-Westfalen (§ 1 III WahlkampfkostenG) - von der Ermächtigung zur Einfuhrung des Sockelbetrages bislang noch keinen Gebrauch gemacht.
η Der volle Sockel wird danach erst fur die Bundestagswahl 1994 wirksam. Der Grund fur die Halbierung lag darin, daß bei Einfuhrung des Sockelbetrages im Zuge der Neuregelung der Parteienfinanzierung 1988 bereits die halbe Legislaturperiode verstrichen war. Dabei wurde allerdings versäumt, die Obergrenze des § 18 V I 2 PartG mitzuhalbieren, wovon vor allem kleinere Parteien profitierten. Zu den Folgen im einzelnen siehe von Arnim y Die neue Parteienfinanzierung, S. 6Iff.. 2 8 Der nach § 39 Π PartG halbierte Sockelbetrag belief sich auf 9,07 Mio. D M und steht in dieser Höhe C D U , CSU, SPD, FDP und GRÜNEN zu; bei den anderen Parteien wurde die Obergrenze des § 18 V I PartG wirksam (PDS 5,9 M i o . D M , REP 5,2 M i o . D M , Bünd-
28
§ 1 Der Untersuchungsgegenstand
Steigerungsrate von 16,6 % entspricht. Insgesamt ergibt sich fur diese Wahl folgende Verteilung: Zu erstattende Wahlkampfkosten für die Bundestagswahl 1990 (in Mio. DM) 29 CDU 120,7
SPD 110,8
FDP 42,6
CSU 30,7
Grüne 21,1
PDS 13,3
REP 11,6
B90/G 6,6
Sollten bei der Bundestagswahl 1994 erneut fünf Parteien in den Genuß des vollen und drei Parteien in den Genuß des aufgrund der Obergrenze des § 18 V I 2 PartG gekappten Sockelbetrages kommen, dürfte sich der insgesamt als Wahlkampfkostenerstattung auszuschüttende Betrag gegenüber der Ausschüttung ohne den Sockelbetrag um rund ein Drittel erhöhen 30. "Erhöhung" ist überhaupt das Stichwort, das die Entwicklung der Wahlkampfkostenerstattung einigermaßen realitatsnah beschreibt. Erhöht hat sich - von ursprünglich 2,50 D M im Jahre 1967 über 3,50 D M im Jahre 1974 bis zu 5 D M bei der Neuregelung der Parteienfinanzierung vom 22.12.1983 31 - der Pauschbetrag pro Wahlberechtigten, erhöht hat sich die Zahl der Wahlberechtigten 32, und ernis90/Grüne 2,9 Mio.DM). Den Sockelbetrag erhielten bei dieser Wahl alle Parteien, die das Quorum von 2 v.H. entweder im alten Bundesgebiet oder im Gebiet der ehemaligen D D R erreichten (Art.2 Ziff. 1 des "Zehnten Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes sowie zur Änderung des Parteiengesetzes" i.V.m. § 18 V I PartG). Davon profitierte das B0ndnis90/Grüne, das bundesweit nur auf 1,2 v.H. der Zweitstimmen kam. Eigene Berechnung auf der Grundlage des amüichen Endergebnisses der Bundestagswahl, Quelle: Bevölkerung und Erwerbstätigkeit, Wahl zum 12. Deutschen Bundestag, Heft 3, hrsgg. vom Statistischen Bundesamt, Wiesbaden 1990. Nicht in der Tabelle enthalten sind die Zahlen für DSU, ÖDP und D I E GRAUEN, die das Quonim von 0,5 v.H. in einem der beiden Wahlgebiete ebenfalls erreicht haben und damit Anspruch auf Wahlkampfkostenerstattung haben. 3 0 Bei dieser Wahl entfallt allerdings die für die Feststellung der Anspruchsberechtigung vorgenommene Aufspaltung des Wahlgebiets durch Art.2 Ziff.l des "Zehnten Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes sowie zur Änderung des Parteiengesetzes" i.V.m. § 18 V I PartG. Selbst wenn man aber angesichts dessen davon ausgehen wollte, daß bei der Wahl 1994 lediglich vier Parteien den vollen und zwei Parteien einen reduzierten Sockel erhielten, bliebe unter dem Strich noch eine Erhöhung von annähernd 30 % durch den Sockelbetrag bestehen.
BGBl. I, S. 1577. Da sich in den meisten Ländern die Höhe des Pauschbetrages aus der globalen Verweisung auf § 18 PartG ergibt, werden Erhöhungen im Bund automatisch auch dort wirksam - freilich ohne lästige parlamentarische Debatten und eine möglicherweise unangenehme öffentliche Kontrolle. Zur Problematik derartiger dynamischer Verweisungsklauseln unten § 5 Α ΠΙ. Selbst in Rheinland-Pfalz, wo die Wahlkampfkostenpauschale auf 6,25 D M erhöht wurde, wurde die Ankoppelung an die Steigerungsraten im Bund beibehalten ( § 1 1 3 Wahlkampfkostenerstattungsgesetz). m * Auch ohne die Wiedervereinigung war hier zwischen 1969 und 1987 bereits ein Zuwachs von ca. 6,7 Mio. zu verzeichnen. Zum Vergleich: Die Zahl der Wähler erhöhte sich im Ver-
C. Die öffentlichen Leistungen im einzelnen
29
höht hat sich, durch das Hinzukommen der Europawahlen, schließlich auch die Zahl der Wahlen. Ließen sich diese Erhöhungen noch mit der Notwendigkeit des Teuerungsausgleichs und der Erweiterung des Aufgabenkreises rechtfertigen, so fehlt eine entsprechende Rechtfertigung fur die Einfuhrung des Sockelbetrags 33.
//. Zuwendungen für Jugendarbeit Unmittelbare Staatszuschüsse erhalten darüber hinaus die Jugendorganisationen der Parteien, denen über den "Ring politischer Jugend" aus dem Bundesjugendplan und den Landeshaushalten regelmäßig zweckgebundene Mittel fur die Jugendarbeit zugewendet werden. Diese werden freilich als öffentliche Leistungen an die Parteien nur selten registriert 34. Da die Jugendorganisationen aber organisatorischer Bestandteil ihrer Mutterpartei sind und diese auch häufig - etwa im Wahlkampf - unterstützen 35, besteht kein Anlaß, diese Zuschüsse hier außen vor zu lassen. Auch in den Rechenschaftsberichten der Parteien werden sie gelegentlich aufgeführt - wenngleich eher verschämt in den Fußnoten 36 .
III. Steuerprivilegien und die steuerliche Begünstigung von Zuwendungen an die politischen Parteien Leistungen an die Parteien erbringt der Staat darüber hinaus auf dem Weg über das Steuerrecht. Steuerlich sind die Parteien zunächst dadurch privilegleichszeitraum lediglich um 4,7 Mio. Quelle: Bevölkerung und Erwerbstätigkeit, Wahl zum 12. Deutschen Bundestag, Heft 1, S. 15, hrsgg. vom Statistischen Bundesamt, Wiesbaden 1990. Durch die Anknüpfung an die Zahl der Wahlberechtigten wurde dann die deutsche Einheit zum warmen Regen fur die Parteien. Allgemein zu deren Auswirkungen von Arnim, Die Partei, S. 294ff.. 3 3
Kritisch daher von Arnim, Die neue Parteienfinanzierung, S. 65ff.
3 4
Typisch dürfte etwa die Auffassung von Diibber, Parteifinanzierung, S. 78, sein, der meinte, diese Zuschüsse seien richtiger in die Kategorie der staatlichen Subventionen fur Jugendarbeit allgemein einzuordnen; a.A. wohl Plate, S. 86ff., Menzel, DÖV 1966, 589 (Fn.28).
Unklar Titzck, S. 9. Zum Verhältnis von Jugendorganisation und Mutterpartei siehe U.Schmidt, in: Stöss, Parteienhandbuch Bd.I, S. 607ff. (zur Jungen Union und CDU); Mintzel, ebda., S. 700 (Junge Union und CSU); Dittberner t ebda. Bd.H, S. 1368ff. (Jungdemokraten bzw. Junge Liberale und FDP); Heimann, ebda., S. 216Iff. (Jungsozialisten und SPD). 3 6 Vgl. Rechenschaftsbericht 1989 der C D U , BT-Drucks. 11/8130, S.18: 1.098.200 D M aus dem Landesjugendplan Niedersachsen, 86.275 D M aus Mitteln des Rings politischer Jugend; Rechenschaftsbericht 1989 der SPD, a.a.O., S. 100.
30
§ 1 Der Untersuchungsgegenstand
giert, daß sie gemäß §§ 5 I Nr.7 KStG, 3 I Nr. 10 VStG, 13 I Nr. 18 ErbStG von der Verpflichtung zur Zahlung der Körperschaft-, Vermögen- und Erbschaftsteuer freigestellt sind 37 . Bereits darin liegt die Gewährung eines Vorteils, die alle Merkmale des Leistungsbegriffs erfüllt - freilich mit der Besonderheit, daß der Vorteil nicht in der positiven Zuwendung eines Vermögenswertes, sondern in der Befreiung von der fur rechtsfähige und nichtrechtsfähige Vereine generell fortbestehenden Steuerpflicht besteht und er sich zudem in dem gesetzgeberischen Akt der Befreiung erschöpft. Die Einordnung der Steuerbefreiung als öffentliche Leistung hindert das jedoch nicht, mag sie als solche auch nur selten thematisiert werden 38 . Steuerlich privilegiert sind aber nicht nur die Parteien selbst in ihrer Eigenschaft als abstrakt steuerpflichtige Organisationen, sondern auch die Zuwendungen, die die Parteien von Dritten erhalten. Nach § 34g EStG ermässigt sich bei Mitgliedsbeiträgen und Spenden an politische Parteien und Wählervereinigungen die tarifliche Einkommensteuer um jeweils 50 v.H. der Ausgaben - und zwar bis zu einer Obergrenze von 600 D M bzw. 1200 D M im Falle der Zusammenveranlagung von Eheleuten. Beträge, die diesen Rahmen übersteigen, können dann nach nach § 10b I I EStG bis zur Höhe von 60.000 D M bzw. 120.000 D M bei zusammenveranlagten Eheleuten Sonderausgaben das zu versteuernden Einkommen mindern. Ahnliches gilt fur die Parteispenden juristischer Personen, die nach § 9 Nr.3 KStG bis zu einem Betrag von 60.000 D M von der Bemessungsgrundlage der Körperschaftssteuer abgezogen werden können. Als Betriebsausgaben oder Werbungskosten können Zuwendungen an politische Parteien hingegen nicht geltend gemacht werden, wie § 4 V I EStG nunmehr klarstellt 39 . Ob es sich auch bei der steuerlichen Begünstigung dieser Zuwendungen um eine öffentliche Leistung - nämlich eine Leistung des Staates an die Parteien handelt, erscheint zunächst fraglich. Von der Abzugsfähigkeit der Mitgliedsbeiträge und Spenden profitieren unmittelbar nur der Spender bzw. das Parteimitglied, nicht die Parteien; der den Parteien zugewendete Vermögenswert
3 7 Der Einkommensteuerpflicht unterliegen die Parteien als rechtsfähige bzw. nichtrechtsfähige Vereine ohnehin nicht, vgl. § 1 EStG. 3 8
Immerhin zur Kenntnis genommen wird sie von
Dübber,
Parteifinanzierung, S. 15;
Wein-
mann, S. 4f.; Upphardt, S. 245ff.. 3 9 So fur die Rechtslage vor Inkrafttreten dieser Bestimmung auch BFH DB 1986, 996 (zum Erwerb eines Gutachtens als verdeckter Zuwendung an eine Partei); Külitz, Unternehmerspenden, S. 120ff.; Birk, NJW 1985, 1939ff.; Offczors, in: de Boor/Pfeiffer/Schünenmann, 157ff.; a.A. fur den Einzelfall FG Köln, NJW 1985, 1977; list, , in: de Boor/Pfeiffer/Schünenmann, S.132ff.; Jakob/Jüptner, S 61ff. m.w.N.. Weitere Nachweise zum StreitsUnd und fur die Rechtslage vor 1983 bei Schmidt-Heinicke, § 4 EStG Rn.99.
S.
C. Die öffentlichen Leistungen im einzelnen
31
stammt zunächst aus deren privatem Vermögen 40. Dennoch läßt sich auch hier von einer öffentlichen Leistung sprechen - in einem doppelten Sinne: (1) Wirtschaftlich wie rechtlich macht es keinen Unterschied, ob der Staat auf derartige Ausgaben von vornherein keine Steuern erhebt, ob er gezahlte Steuern zurückgewährt oder ob er selber den Steueranteil nach Weisung des Spenders oder Mitglieds an eine politische Partei weiterleitet 41. In all diesen Fällen verzichtet die öffentliche Hand in Höhe der fur die Parteispenden und Mitgliedsbeiträge gewährten Steuervergünstigung zugunsten der Parteien auf Einnahmen42. Insofern liegt hier auch eine öffentliche Leistung vor. Die Leistung besteht in der - wenn auch indirekten - Zuwendung eines Vermögenswertes, der im Ergebnis aus öffentlichen Mitteln stammt. Unterteilt man die Spende in den vom Spender stammenden Anteil und die - im folgenden so genannte - HStaatsquote", liegt das "Öffentliche" der Leistung insoweit ausschließlich in der Staatsquote oder, anders formuliert, im Gegenwert des staatlichen Steuerverzichts. (2) Darüber hinaus enthält die Einfuhrung der Steuervergünstigung auch eine Intervention in den Parteienwettbewerb zugunsten der oder zumindest was hier aber zunächst offenbleiben kann - zugunsten einiger Parteien. Sie bewirkt, wie zahlreiche andere Steuervergünstigungen oder -erhöhungen auch43,eine Lenkung der Einkommensverwendung Privater, indem sie einen Anreiz zum Spenden schafft 44 und nach dem Willen ihrer Erfinder auch schaf-
4 0 Dementsprechend wurde gelegentlich bestritten, daß es sich bei der steuerlichen Subventionierung privater Zuwendungen um staatliche Parteienfinanzierung handelt; siehe das Vorbringen der Bundesregierung in BVerfGE 8, 51 (59); Scheuner, DÖV 1958, 645 (Fn.34). 4 1 So Adolf Arndt in der unveröffentlichten Schrift "Kein Staatsgeld fur die Parteien" (1958), zitiert nach Lipphardt, S. 260f.. 4 2 BVerfGE 8, 51 (65); 24, 300 (359); 52, 63 (84); 73, 40 (86); Weinmann, S. 51f.; von Arnim, Aktuelle Probleme, S. 19; AK-Preuß, Art. 21 Abs. 1, 3 Rn. 76. 4 3 Daß Steuern in vielfaltiger Weise als Steuerungsinstrument eingesetzt werden, ist in der Steuerrechtswissenschaft eine Binsenweisheit. Höhere Verbrauchssteuern - etwa für Kraftstoff oder Alkohol - sollen den Verbrauch senken, Steuervergünstigungen Unternehmer zu Investitionen verlocken, Erleichterungen oder Erschwerungen von Abschreibungen die Kapitalanlage in bestimmten Bereichen fordern etc. Zum Ganzen Stober, S. 661; T\pke/Lang> S. 644ff. m.w.N.. 4 4 Zu den psychologischen und faktischen Auswirkungen dieses Anreizes Weinmann, S. 23f., 51 f.; Külitz, Unternehmerspenden, S. 133ff.; Ipsen, in: Mühleisen, S. 19. Bei der Einbeziehung der Mitgliedsbeitrage ist diese Anreizfunktion ebenfalls von Bedeutung. Zwar wird niemand einer Partei allein deshalb beitreten, weil er die Beitrage steuerlich absetzen kann. Da aber die Höhe des Mitgliedsbeitrags überwiegend von der Selbsteinschätzung des betreffenden Mitglieds abhängt - vgl. etwa § 1 der Finanzordnung der SPD vom 1.1.1987; Ziff. 2 und 3 der Beitragsregelung der C D U vom 23.6.1975 i.d.F. vom 9.5.1984 - und die Mitglieder ihre Entscheidung in der Regel nach Maßgabe dessen, was sie selbst der Partei, der sie angehören, aus ihrem eigenen Vermögen zuwenden können oder wollen, treffen werden, kann sich der Anreiz auch hier auswirken. Davon abgesehen erlaubt die Steuervergünstigung den Parteien eine komplikationslosere Anhebung der Mitgliedsbeiträge.
32
§ 1 Der Untersuchungsgegenstand
fen soll 45 . Die Spenden wiederum mehren das Vermögen der Parteien. Auch in der Schaffung des entsprechenden Anreizes durch eine Intervention der öffentlichen Hand liegt also ein den Parteien gewährter Vorteil, der sich als Leistung begreifen läßt 46 . Das "Öffentliche" der Leistung ist hier primär immaterieller Art. Dennoch hat sie - aber eben nur mittelbar - einen Vermögenswert zum Gegenstand: den Gesamtbetrag der Spende, also die Summe aus Privatanteil und Staatsquote. Die Eigenart dieser öffentlichen Leistung liegt dementsprechend darin, daß sie den Parteien nicht unmittelbar zugute kommt, sondern auf dem Umweg über das Vermögen eines Dritten. Es handelt sich um den Sonderfall einer indirekten - oder besser: mittelbaren - öffentlichen Leistung47. In deren Natur wiederum liegt es, daß sich ihr Gegenwert fur die Parteien nur überschlägig ermitteln läßt. Wie sich der durch die Einfuhrung der Steuervergünstigung geschaffene Anreiz - öffentliche Leistung im Sinne der Ausführungen unter (2) - auswirkt, ist überhaupt nicht bezifferbar; und auch die Höhe des staatlichen Steuerverzichts, der fur sich schon - siehe die Ausführungen unter (1) 4 5 BVerfGE 73, 40 (73); Hettich, S. 55ff.. Vgl. auch Bericht 1983, S. 198: "Vergünstigungen ..., die das Steuerrecht fur jeden anderen forderungswürdigen Zweck vorsieht" (Heivoiiiebung nur hier). 4 6 Ähnlich wohl Meyer-Arndt, DÖV 1958, 885, und - allerdings nicht ganz eindeutig - Lipphardt, S. 29Iff., der sich auf den "Subventionsgedanken" stützt. 4 7 Als mittelbare Parteienfinanzierung wird die Steuervergünstigung auch vom BVerfG eingestuft, siehe BVerfGE 52, 63 (84); 73, 40 (86,90ff.). Ebenso die ganz h.L., siehe nur Weinmann, S. 51f.; H.H.Klein , NJW 1982, 736; von Arnim, Aktuelle Probleme, S. 19; Ipsen, JZ 1984, 1062ff.; BK-Henke, Art. 21 Rn. 40; AK-Preuß, Art. 21 Abs. 1, 3 Rn. 76; Naßmacher, Aus Politik und Zeitgeschichte, Β 11/1989, S. 30f. Dabei wird allerdings zumeist nur auf den staatlichen Steuerverzicht abgestellt; daß auch in der Schaffung eines Anreizes zum Spenden oder zur Zahlung höherer Mitgliedsbeitrage schon eine öffentliche Leistung liegt, wird in der Regel nicht gesehen. Ob nach diesen Maßstaben auch die durch illegale oder halblegale Umwegfinanzierungen erzielten Steuervergünstigungen in der Parteispendenaffare zu den öffentlichen Leistungen gerechnet werden können, ist dagegen generell zweifelhaft. Die Formen solcher Umwegfinanzierungen waren mannigfaltig; sie reichten vom Kauf wertloser Gutachten und der Absetzung des Kaufpreises als Betriebsausgaben (vgl. BFH, DB 1986, 996) bis hin zur Weiterleitung von Spenden über Berufsverbände, Fördergesellschaften, gemeinnützige Vereinigungen und andere Geldwaschanlagen um der Steuervorteile willen (zu den hier wirksam werden steuerrechtlichen Mechanismen List, in: de Boor/Pfeiffer/Schünemann, S. 146ff.; eine Übersicht über die verschiedenen Praktiken liefern Külitz, Unternehmerspenden, S. 76ff.; 131ff.; 135ff.; H/H/R Heuer/Clausen, § 10b EStG Anm. 116f.; Blümich - Müller-Gatermann/Dankmeyer, § 4 EStG Rn. 318ff.). Zwar liegt auch in diesen Fallen ein staatlicher Steuerverzicht vor. Soweit Steuervorteile aber unter Mißachtung rechtlicher Schranken erschlichen wurden, dürfte es sich kaum um einen bewußten Steuerverzicht des Staates zugunsten der Parteien handeln bzw. sich ein solcher nur schwer nachweisen lassen. Problematisch erscheint von daher das für die Annahme einer Leistung erforderliche Vorliegen des Leistungswillens. Ebenso fehlt aber der vom Staat geschaffene Anreiz zum Spenden, so daß sich eine Leistung auch unter diesem Gesichtspunkt nicht bejahen läßt. Nunmehr hat der Gesetzgeber zahlreiche Schranken gegen die - mit der Legalisierung der Steuervergünstigung durch die §§ 10b Π, 34g EStG, 9 Nr.3 KStG ohnehin an Bedeutung verlierenden - Umwegfinanzierungen errichtet (§§ 4 V I , 10b Π 3 EStG, 9 Nr.3 S.2 KStG, 25 I Nr.2-5, Π PartG).
C. Die öffentlichen Leistungen im einzelnen
33
den Leistungscharakter begründet, kann nur näherungsweise geschätzt werden 48 . Eine Rolle spielt dabei vor allem, - ob und in welchem Umfang die Zuwender überhaupt Steuern zahlen, - ob sie von der Steuerermäßigung überhaupt Gebrauch machen49, - welcher Einkommensgruppe sie angehören bzw. mit welchem Steuersatz sie veranlagt sind, - in welcher Höhe die Zuwendungen erfolgen 50. Der Gesetzgeber selbst ging offensichtlich, wie die Regelung des § 22 a PartG, über die noch mehrfach zu reden sein wird, deutlich macht, davon aus, daß die Staatsquote auf Spenden und Mitgliedsbeiträge bei im Schnitt 40 % liege; eine Schätzung, die auch das BVerfG für vertretbar hielt 51 . Berechnet man auf dieser Basis nur den Gegenwert des staatlichen Steuerverzichts, ergibt sich fur die einzelnen Parteien in den Jahren 1984 bis 1989 folgendes Bild: Geschätzter Anteil des Staates an den Spenden und Mitgliedsbeiträgen (in Mio. DA/) 52
1984 1985 1986 1987 1988 1989
CDU 42,9 42,7 50,3 47,3 43,9 50,9
CSU 10,8 9,2 13,0 11,5 10,8 13,2
GRÜNE 3,7 5,0 6,2 7,0 7,0 7,1
FDP 6,6 7,4 9,0 8,7 7,8 9,7
SPD 45,7 46,6 52,1 52,6 53,3 58,8
Die Steuervergünstigung kommt den Staat damit im Ergebnis nur unwesentlich billiger als die Wahlkampfkostenerstattung 53; und auch bei der Ver4 8 BVerfGE 73, 40 (9Iff.). Noch weitergehend Naßmacher, Aus Politik und Zeitgeschichte, Β 11/1989, S. 30f., der den Wert der Steuervergünstigung fur gänzlich unkalkulierbar hält; so fur Parteispenden auch Landfned, S. 112. 4 9 Was etwa bei Lohnsteuerpflichtigen, die nur dann in den Genuß der Steuervergünstigung kommen, wenn sie einen Lohnsteueijahresausgleich beantragen, keineswegs sicher ist, BVerfGE 73, 40 (92f.). 5 0
Davon hängt ab, ob sie nach § 34g EStG oder nach §§ 10b EStG, 9 Nr.3 KStG oder überhaupt nicht steuerlich absetzbar sind. 5 1
BVerfGE 73, 40 (90ff.).
5 2
Berechnungsgrundlage: Bericht der Bundestagspräsidentin gem. § 23 V PartG vom 30.3.1990, BT-Dnicks. 11/6885; Rechenschaftsberichte 1989, BT-Drucks. U/8130. 53 Für alle Parteien zusammen kostete die Steuerbegünstigung den Staat allein im Jahre 1989 rund 151 Mio. D M , errechnet auf der Grundlage der in den Rechenschaftsberichten der Parteien ausgewiesenen Mitgliedsbeiträge und Spenden, BT-Drucks. 11/8130 u. 12/72. Die Zahlen fur 3 Volkmann
34
§ 1 Der Untersuchungsgegenstand
teilung des sich als Kehrseite des staatlichen Einnahmeverlustes ergebenden Vorteils zeigen sich deutliche Parallelen. Die in der Steuerbegünstigung liegende öffentliche Leistung wird auf diese Weise zum zweiten Standbein der staatlichen Parteienfinanzierung.
IV. Der Chancenausgleich nach § 22a PartG Mit der steuerlichen Absetzbarkeit von Parteispenden und Mitgliedsbeiträgen eng zusammen hängt die Regelung des § 22a PartG, nach der Parteien, die bei der letzten Bundestagswahl mindestens 0,5 % der Stimmen erreicht haben, jährlich einen bestimmten Betrag als Chancenausgleich erhalten. Es wäre an dieser Stelle verfrüht, Sinn und Zweck sowie die Funktionsweise dieser Bestimmung, deren Wesen sich ohne Kenntnis der rechtlichen Hintergründe und der Parteispendenjudikatur des BVerfG nicht erschließt, en détail abzuhandeln. § 22 a PartG will, kurz gefaßt, einen Ausgleich dafür schaffen, daß die einzelnen Parteien von der Einfuhrung der Steuervergünstigung fur Spenden und Beiträge in unterschiedlichem Maße profitieren, und soll im Ergebnis alle Parteien so stellen, als wenn sie im Verhältnis zu ihrer politischen Stärke etwa gleich hohe Steuervorteile erlangt hätten 54 . Erreicht werden soll dieser Ausgleich durch eine Berechnungsformel, die unverständlicher kaum sein könnte und an anderer Stelle erläutert werden wird 5 5 . Im Zuge der Reform der Parteienfinanzierung mit Wirkung zum 1.1.1984 eingeführt, mußte § 22a PartG bereits kurze Zeit später wieder umgestaltet werden, weil sich die ursprüngliche Regelung ganz anders ausgewirkt hatte als erhofft. Die Neuregelung, fur deren Verständnis auch ausgewiesene Experten Stunden brauchen 56 und die nicht nur zu einer Umverteilung der Mittel, sondern auch zu einer kräftigen Erhöhung führte, trat dann zum 1.1.1989 in Kraft. Eine Übergangsvorschrift, § 39 I PartG, sah fur die Rechnungssjahre 1987 und 1988 (Auszahlungsjahre 1989 und 1990) eine alternative Berechnung auf der Grundlage der alten und der neuen Berechnungsformel vor, wobei jeweils der höhere der ermittelten Beträge zur Auszahlung gelangen sollte 57 . All dies
das Wahljahr 1990 lagen bei Abschluß des Manuskripts noch nicht vor. Da die Spenden in Wahljahren jedoch erfahrungsgemäß ansteigen, von Arnim, Parteienfinanzierung, S. 16f., durfte der genannte Betrag um einiges überschritten werden. An Wahlkampfkostenerstattung wurden demgegenüber 1989 ca. 193 Mio. D M ausgezahlt. 5 4
So die Formulierung in Bericht 1983, 204; ähnlich Ipsen, JZ 1984, 1061.
5 5
Unten § 3 D Π 1 d bb.
5 6
Von Arnim, Die neue Parteienfinanzierung, S. 41.
5 7
Jedoch nur bis zur Obergrenze des § 22a Π 4 PartG.
C. Die öffentlichen Leistungen im einzelnen
35
führte dazu, daß die Parteien fur den Berechnungszeitraum von 1984 bis 1988 folgende Beträge als Chancenausgleich erhielten: Einnahmen der Parteien aus dem Chancenausgleich filr die Rechnungsjahre 1984 -1988 (in Mio. DM; Angaben in Klammern: Auszahlungsjahre) 5*
1984(86) 1985(87) 1986(88) 1987(89) 1988(90)
CDU 2,8 3,9 -
6,4 6,9
CSU 1,9 3,7 1,4 2,4 2,9
GRÜNE 3,0 1,7 5,9 2,6 2,6
FDP 1,7 1,1 4,3 2,7 2,8
V. Zuschüsse an die Fraktionen als öffentliche an die Parteien?
SPD -
1,9 9,1 9,1
Leistungen
Subventioniert werden aber nicht nur die Parteien selbst, sondern auch die Fraktionen, die zur Deckung der ihnen im Rahmen ihrer parlamentarischen Arbeit entstehenden Aufwendungen regelmäßige Zuschüsse aus den Bundesoder Landeshaushalten erhalten 59. Rechtsgrundlage der Zuwendungen ist in der Regel kein Gesetz im materiellen Sinne, sondern allein die Ausweisung eines entsprechenden Titels im Haushaltsplan60. Von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt, konnten sich die Fraktionen auf diesem Wege in den letzten Jahren ein ums andere Mal kräftige Aufschläge bewilligen. Wie bei der Wahlkampfkostenerstattung ist kontinuierliches Wachstum die dominierende Tendenz - freilich in noch ungleich frappierenderem Ausmaß. Wurden im Jahre 1968 an alle Fraktionen im Bundestag zusammen lediglich 4,8 Mio D M
5 8 Quelle: Bericht der Bundestagspräsidentin gem. § 23 V PartG vom 30.3.1990, BT-Drucks. 11/6885. Mit jeweils 0,1 Mio. D M nahm am Chancenausgleich 1986 - 1989 noch die NPD teil, die in der Tabelle nicht berücksichtigt ist.
Zur Geschichte der Fraktionsfinanzierung M ardirti, S. 32ff.. Neben den staatlichen Zahlungen finanzieren sich die Fraktionen darüber hinaus aus den Beitragen ihrer Mitglieder, dazu dies. y S. 23ff. 6 0
Lediglich in den Bundesländern - mit Ausnahme von Hessen - bestehen gewisse gesetzliche Regelungen, die aber zumeist weder konkrete Betrage noch ein bestimmtes Berechnungsverfahren festlegen, vgl. §§ 19 AbgEG i.V.m. 46 IV 3 AbgG BW; 29 Saarl. AbgG; 47 AbgG SH; 37 Brem.AbgG; 35 LAbgG Berlin, 26 Nds.AbgG, 30 AbgG NW; 36a AbgG RhldPf; 8 Hamburger Gesetz über die Aufwandsentschädigung von Abgeordneten der Bürgerschaft und über die Gewährung von Zuschüssen an die Fraktionen; Art. 8 IX BayHaushaltsG 1981/1982 (GVbl. 1981, S. 301) i.V.m. Art. 8 I BayHaushaltsG 1991/1992 (GVB1. 1991, S. 231). Eine - freilich
3*
36
§ 1 Der Untersuchungsgegenstand
ausgezahlt61, so waren es im Bundeshaltsplan 1990 bereits 80,0 Mio. D M 6 2 . Innerhalb von zweiundzwanzig Jahren haben sich also die Zuwendungen an die Fraktionen um annähernd das Siebzehnfache erhöht, obwohl sich die allgemeinen Lebenshaltungskosten in diesem Zeitraum lediglich etwas mehr als verdoppelten 63. Allein in der letzten Legislaturperiode 1987-1990 wurden fur die im Bundestag vertretenen Fraktionen folgende Beträge angesetzt: Zuschüsse an die Bundestagsfraktionen (in Mio. DM) 64 1987 62,7
1988 74,0
1989 77,7
1987 -1990
1990
80,0
Für die gesamte Legislaturperiode ergibt das einen Kostenaufwand von annähernd 300 Mio. D M 6 5 . Die Finanzierung der Fraktionen kam den Steuerzahler damit noch um einiges teurer als die Wahlkampfkostenerstattung, die sich für die Bundestagswahl vom 25.1.1987 auf "nur" 227 Mio. D M belief. Indes: Ob die Zuwendungen an die Fraktionen mit denen an die Parteien ohne weiteres in einen Topf geworfen werden können, ist durchaus zweifelhaft. Fraktionen sind, so zutreffend das BVerfG, als "ständige Gliederungen" der Parlamente der organisierten Staatlichkeit eingefügt; sie sind "Teile" eines Staatsorgans - des Bundestages, der Landtage, der Gemeindevertretungen -,
nicht mehr ganz aktuelle - Zusammenstellung der Bestimmungen findet sich bei von Arnim, Staatliche Fraktionsfinanziening, S. 68ff., und Mardini, S. 119ff.. ^
Quelle: Jahreshaushaltsrechnung 1968.
^ Noch nicht eingerechnet ist hier die Aufstockung um 5,4 Mio. D M fur deutsch-deutsche Kooperation im Jahre 1990, die zur Unterstützung der Arbeit der Fraktionen in den Volksvertretungen der DDR verwendet werden sollte.(1 .Nachtrag zum Bundeshaushaltsplan 1990). Ebenfalls mit den Zahlen der Voijahre nicht vergleichbar ist der Ansatz im Haushaltsplan fur 1991 (104,2 Mio. D M ) , weil die Zahl der Bundestagsabgeordneten auf 662 anstieg. Zur Entwicklung der Fraktionsfinanzierungsfinanzierung siehe auch die Übersichten bei Naßmacher, Aus Politik und Zeitgeschichte, Β U/1989, S. 31; Landfried, S. 325. Der Preisindex für die Lebenshaltung stieg von 47,8 auf 107,0. Quelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie 17, Eilbericht Juni 1991, S.4. ^ Quelle: Haushaltspläne des Bundes 1987 - 1990. Verteilt werden die Zuschüsse nach den Haushaltsplänen wie folgt: Alle Fraktionen erhalten einen gleichen Gnindbetrag (1990: 426.315 D M monatlich je Fraktion), einen Sondergmndbetrag und einen nach der Fraktionsstärke bemessenen Zuschlag(1990: 7.726 D M monatlich tur jeden Abgeordneten); die Oppositionsfraktionen erhalten einen besonderen Zuschlag auf den Grundbetrag (1990: 15%) und den Zuschlag je Abgeordneter (1990: 10 %). Hinzu kommen Beträge fur internationale Zusammenarbeit und Aus- und Fortbildungszuschüsse fur Fraktionsangestellte. ^ Rechnet man den Sonderzuschuß von 5,4 Mio. D M zur Unterstützung der Arbeit der Volksvertretungen in der DDR noch hinzu, wird dieser Betrag glatt erreicht.
C. Die öffentlichen Leistungen im einzelnen
37
nicht Teile einer Partei 66 . In der Finanzierung der Fraktionen steckt demnach nicht automatisch eine öffentliche Leistung an die politischen Parteien. Anders, wenn die Fraktionen als Teil der organisierten Staatlichkeit die ihnen ûberlassenen Gelder ganz oder zum Teil an die politischen Parteien weiterleiten oder fur Parteizwecke verwenden: In diesem Fall liefe die Fraktionsfinanzierung auf eine verschleierte Parteienfinanzierung hinaus67. Leistender wäre dabei - mittelbar der Fiskus bzw. der den Haushaltsplan verabschiedende Gesetzgeber, - unmittelbar die betreffende Fraktion selbst als integrierter Bestandteil der Staatsorganisation. Die Verwendung von Fraktionsmitteln fur Parteizwecke ließe sich also unter zwei verschiedenen Blickwinkeln als öffentliche Leistung begreifen, wobei den unterschiedlichen Blickwinkeln auch unterschiedliche Rechtsfolgen entsprechen 68. Verschieden wäre auch der Gegenstand der jeweiligen Leistung: Soweit der Fiskus als Leistender in Betracht kommt, liegt die Zuwendung fur die Parteien in jenem Betrag des Staatszuschusses, der den realen Bedarf der Fraktionen übersteigt 69. Soweit eine Leistung unmittelbar durch die Fraktion vorliegt, ist Leistungsgegenstand schlicht der der jeweiligen Partei zugewendete Vorteil, der folglich auch aus den Eigenmitteln der Fraktionen - also den Mitteln, die sie aus den Beiträgen ihrer Mitglieder, der Abgeordneten, erhalten - stammen kann 70 . Jedoch: Ob hier tatsächlich - unter welchem Blickwinkel auch immer - eine öffentliche Leistung an die Parteien vorliegt, läßt sich nicht einmal ansatzweise feststellen, weil die Verwendung der Fraktionszuschüsse und der Eigenmittel der Fraktionen von keiner Kontrollinstanz überwacht wird und die Fraktionen selbst über ihre Einnahmen und Ausgaben nicht öffentlich Rechen6 6 BVerfGE 20, 56 (104) m.w.N.; 70, 324 (350f.); allg. Meinung, siehe nur Jekewitz, ZParl. 1982, 315f.; BK - Henke, Art. 21 Rn.5 jeweils m.w.N.. Diese Auffassung hatte sich bereits in der Weimarer Republik durchgesetzt, vgl. Radbruch, in: Anschütz/Thoma Bd.I, S. 292. Das BVerfG spricht in seinen letzten Entscheidungen nur noch von den Fraktionen als dem "politischen Gliederungsprinzip" fur die Arbeit des Bundestages, vgl. BVerfGE 80, 188 (219f.); NJW 1991, 2474 (2476), womit indes keine Änderung in der Sache verbunden sein dürfte. 6 7
So richtig BVerfGE 20, 56 (105).
6 8
Dazu unten § 3 C I 2 einerseits und § 3 D Π 2 andererseits.
6 9
Vgl. Seifert, Die politischen Parteien, S. 314; Jekewitz, ZParl. 1982, 337f.. Definitionsgemäß bedarf es fur eine öffentliche Leistung auch eines entsprechenden Leistungswillens; siehe zum vergleichbaren Problem bei den Sonderabgaben und den Globalzuschüssen bei den Stiftungen die Abschnitte V I und VD. An dieser Stelle genügt ein kurzer Hinweis, weil sich die zweckwidrige Verwendung von Fraktionsgeldern ja noch von einer anderen, freilich nur selten gesehenen Warte als öffentliche Leistung erfassen läßt. 7 0
Vgl. von Arnim, DÖV 1983, 155.
38
§ 1 Der Untersuchungsgegenstand
schaft ablegen müssen71. E)ie personelle, intellektuelle und sachliche Verflechtung zwischen Partei und Fraktion legt einen Transfer von Knowhow und organisatorischer Kapazität immerhin nahe 72 , und auch der unmittelbare Cashflow erscheint nicht ausgeschlossen73. Beispiele fur eine zweckwidrige Verwendung von Fraktionsmitteln sind durchaus zahlreich 74. Gelegentlich wird gar geschätzt, daß der überwiegende Anteil der staatlichen Zahlungen an die Fraktionen zur Deckung der laufenden Organisationskosten der Parteien verwendet wird 7 5 . Einen gewichtigen Anhaltspunkt liefert insofern auch die Höhe der staatlichen Zuschüsse, die sich allein mit dem realen Bedarf der Fraktionen kaum erklären läßt 76 . Freilich: Solange Transparenz im Bereich der Fraktionsfinanzierung nicht nur etymologisch, sondern auch politisch ein Fremdwort bleibt, lassen sich über Ressourcentransfers oder Kapitalflüsse zwischen Parteien und Fraktionen nur Spekulationen anstellen. Ob demnach hier eine öffentliche Leistung an die Parteien vorliegt oder nicht, bleibt einstweilen im Dunkeln 77 .
V7. Globalzuschüsse an die parteinahen Stiftungen öffentliche Leistung an die Parteien?
als
Neben den Fraktionen werden auch die parteinahen Stiftungen vom Staat großzügig bedacht. Es sind dies die Friedrich-Ebert-Stiftung, die KonradAdenauer-Stiftung, die Friedrich-Naumann-Stiftung, die Hanns-Seidel-Stiftung und schließlich der Stiftungsverband "Regenbogen", Einrichtungen, bei denen jeweils schon der Name verrät oder wenigstens andeutet, welchen Parteien sie jeweils politisch nahestehen: in der Reihenfolge der Aufzählung der SPD, der CDU, der FDP, der CSU und den GRÜNEN. Zu ihren satzungsgemäßen Aufgaben gehören insbesondere die politische Bildungsarbeit, Studi-
7 1
Landfried,
S. 101.
7 2
Die SPD hat über die vielfältigen wechselseitigen Dienstleistungen unter dem 24.10.1983 einen "Generalvertrag" zwischen Partei und Fraktion abgeschlossen, Jekewitz, ZParl 1984, 22. ' J Vor allem auf kommunaler Ebene sollen die Grenzen zwischen Partei- und Fraktionskassen fließend sein. Dazu Kaufher, in: Wewer, Parteienfinanzierung, S. 358ff.; Meyer, S. 384. "Mißstande" sieht hier auch Bich, NWVB1. 1987, 58f. 7 4 Siehe etwa den Fall von BVerfG, DÖV 1983, 153 sowie Jekewitz, ders. t Recht und Politik 1985, 34.
ZParl 1984, 22f.;
7 5 Klatty in: Sontheimer/Röhring, S. 464; Schleth y ZParl 1971, 139; Kaujher, in: Wewer, Parteienfinanzierung, S. 115; Landfried, S. 101 f., mit aufschlußreicher Stellungnahme des früheren SPD-Schatzmeisters Halstenberg; von Arnim, Die Partei, S. 85 7 6
Vgl. dazu fur die kommunale Ebene VG Gelsenkirchen, NWVB1. 1987, 53 (55ff.).
7 7
Auch aus diesem Befund ergeben sich freilich rechtliche Konsequenzen, s. u. § 5 Α ΠΙ.
C. Die öffentlichen Leistungen im einzelnen
39
enforderung, Forschung, Publikationswesen sowie internationale Arbeit 78 . Die öffentliche Hand unterstützt das Wirken der Stiftungen zum einen durch projektgebundene, freilich seit 1987 in den Haushaltsplänen nicht mehr gesondert ausgewiesene79 Zuwendungen, zum anderen durch "Globalzuschüsse zur gesellschaftspolitischen und demokratischen Bildungsarbeit" "Globalzuschüsse" deshalb, weil ihre Verwendung weder vorgeschrieben noch kontrolliert wird. Vor allem sie sind in der Vergangenheit immer häufiger in den Blickpunkt des öffentlichen Interesses gerückt. Mit der Fraktionsfinanzierung weisen sie, aller Unterschiede in Empfängerkreis und Verwendungszweck ungeachtet, in mancherlei Hinsicht Verwandtschaft auf. Vergeben nicht nach Maßgabe eines materiellen Gesetzes, sondern jeweils auf der Grundlage des Einzelplans 06 Kapitel 0602 Titel 68405 des Bundeshaushaltsplans80, haben sie ebenso wie die Fraktionszuschüsse im Laufe der Jahre eine exorbitante Steigerung erfahren. 1968 flössen 9,0 Mio. D M an die Stiftungen, annähernd das Zwanzigfache, nämlich 176,7 Mio. D M , im Jahre 1990 81 . Die Steigerungsraten entsprechen einander - in gleicher Weise die vollständige Abkoppelung von allen gesamtwirtschaftlichen Vergleichsindikatoren 82. Einen Überblick über die Verteilung der Mittel auf die einzelnen Stiftungen in den Jahren 1985-1990 vermittelt folgende Tabelle:
7 8 Von Vieregge, in: Wewer, Parteienfinanzierung, S. 164f. Den nach wie vor ausfuhrlichsten Überblick liefert ders. y S. 29ff. 7 9
Übersicht fur die Zeit davor bei Landfried,
8 0
Haushalt des Bundesministeriums des Inneren.
S. 326.
Allein fur das Jahr 1991 weist der Haushaltsplan einen weiteren Sprung auf 207, 5 Mio D M - also eine Erhöhung um 17% innerhalb eines Jahres - aus. 8 2 Zum Anstieg der Lebenshaltungskosten siehe oben Fn. 63. Das monatliche Bruttoeinkommen aus unselbständiger Arbeit erhöhte sich im Vergleichszeitraum 1968 - 1990 von 1064 D M auf 4292 D M , was etwa einer Vervierfachung entspricht; das Bruttosozialprodukt stieg um 454%. Quelle: Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen, Revidierte Ergebnisse 1950 bis 1990, hrsgg. vom Statistischen Bundesamt, Fachserie 18, Reihe S.15, 1990.
40
§ 1 Der Untersuchungsgegenstand
Globalzuschüsse an die parteinahen Stiftungen (Angaben in Mio. DM)*·*
1985 1986 1987 1988 1989 1990
KAS 34,0 36,3 45,0 48,8 46,5 51,5
HSS 15,3 15,6 19,3 22,8 23,5 24,3
SVR84 -
4,2 9,5
FNS 14,0 15,6 18,2 20,1 24,3 25,1
FES 8 5 36,1 36,3 41,7 51,7 52,9 66,3
Umstritten wie bei der Fraktionsfinanzierung ist auch die Frage, ob die Globalzuschüsse fur die parteinahen Stiftungen als verkappte Parteienfinanzierung und damit als öffentliche Leistungen gewertet werden können. Rechtlich sind die Stiftungen wie die Fraktionen von den Parteien geschieden - freilich nicht wie jene als Bestandteil der Staatsorganisation, sondern als von den Parteien formell unabhängige juristische Personen des Privatrechts 86. Für das Vorliegen einer Leistung an die Parteien scheint damit schon das Kriterium der Vermögensmehrung zu fehlen. Die Zuwendungen fließen an die Stiftungen, nicht an die Parteien; Kapitalabflüsse dringen nur selten ans Tageslicht 87 . Indes: Eine öffentliche Leistung an die Parteien setzt - siehe das Kapitel zur Steuerbegünstigung von Parteispenden - nicht voraus, daß der Staat das Vermögen der Parteien unmittelbar mehrt. Ausreichend ist vielmehr, daß die betreffende Zuwendung fur die Parteien einen eigenen Vermögenswert hat. Das aber ist immer schon dann der Fall, wenn die Parteien im Gefolge dieser Zuwendung eigene Aufwendungen ersparen 88.
Quelle: Auskunft des Bundesministeriums des Innern vom 2.8.1991. Erläuterung der Abkürzungen: KAS = Konrad-Adenauer-Stiftung, HSS = Hanns-Seidel-Stiftung, SVR = Stiftungsverband "Regenbogen", FNS = Friedrich-Naumann-Stiftung, FES = Friedrich-EbertStiftung. Der Stiftungsverband "Regenbogen" wurde von den GRÜNEN nach langen parteiinternen Querelen erst 1988 ins Leben gerufen. Der nur geringfügige Sprung von 1985 bis 1986 erklärt sich möglicherweise durch das seinerzeit vor dem BVerfG anhängige Verfahren zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Globalzuschüsse. Nachdem das BVerfG, E 73, 1, die Vergabe gebilligt hatte, schnellten die Zuwendungen in den Folgejahren wieder nach oben. Die Friedrich-Naumann-Stiftung ist als rechtsfähige Stiftung, die anderen Stiftungen sind als eingetragene Vereine organisiert. 8 7 Eine Ausnahme gilt etwa für die Affäre um die Friedrich-Ebert-Stiftung, die über die der israelischen Arbeiterpartei nahestehende Fritz-Naphtali-Stiftung Gelder an die SPD weitergeleitet und sich als Spendenwaschanlage betätigt haben soll, siehe DER SPIEGEL 28/1986, S. 17ff. Zu weiteren Fällen DER SPIEGEL 27/1986, S.29f.. Neuerdings ist den Parteien jedenfalls die Annahme von Spenden der Stiftungen untersagt (§ 25 I Ziff. 1 PartG). 8 8
Siehe oben Abschnitt B.
C. Die öffentlichen Leistungen im einzelnen
41
Anzeichen fur das Vorliegen einer öffentlichen Leistung wäre es dementsprechend, wenn die Stiftungen Aufgaben erledigten, die eigentlich den Parteien zugewiesen wären oder von ihnen in der Vergangenheit erfüllt worden sind. Für eine solche Aufgabenverlagerung steht immerhin das Faktum, daß die "Zuschüsse zur Förderung der politischen Bildungsarbeit" bis zum Jahre 1966 unmittelbar an die Parteien ausgezahlt wurden. Erst nachdem das BVerfG dieser Praxis mit Urteil vom 19.7.1966 einen Riegel vorgeschoben hatte 89 , wurden fur das Haushaltsjahr 1967 die "Globalzuschüsse" fur die parteinahen Stiftungen eingeführt 90; die der CSU nahestehende Hanns-SeidelStiftung wurde gar in Reaktion auf die Rechtsprechung erst gegründet 91. Die politische Bildungsarbeit obliegt seitdem weitgehend den Stiftungen, obwohl sie nach § 1 I I PartG auch zu den ureigenen Aufgaben der Parteien gehört. Wollte man das eine gewisse Arbeitsteilung nennen, hätte man sich wohl kaum im Ausdruck vergriffen 92. Dessen ungeachtet hat das BVerfG die Globalzuschüsse an die parteinahen Stiftungen nicht als verschleierte Parteienfinanzierung gewertet. Zur Begründung führte es aus, die Stiftungen seien - wie es die Verfassung auch erfordere - von den ihnen nahestehenden politischen Parteien personell und organisatorisch unabhängig und ihre Aktivitäten ließen sich durchaus von der allgemeinen Parteiarbeit abgrenzen. Was die politische Bildungsarbeit angehe, so sei dies eine Aufgabe, der sich die Parteien lediglich annehmen könnten, aber nicht müßten 93 . Zumindest auf letzteres jedoch kommt es überhaupt nicht an 9 4 . Bejahen läßt sich eine öffentliche Leistung schon dann, wenn die Globalzuschüsse es den Parteien ermöglichen, eigene Aufwendungen zu ersparen. Und das hängt nicht davon ab, ob die politische Bildungsarbeit fur die Parteien eine Pflichtige oder fakultative Aufgabe ist, sondern allein davon, ob sich die Parteien ihrer vor Einfuhrung der Globalzuschüsse tatsächlich angenommen haben - wofür immerhin die soeben beschriebene Entstehungsgeschichte der Globalzuschüsse spricht. Aber auch ansonsten gab und gibt es durchaus Anzeichen dafür, daß die Stiftungen den Parteien kräftig unter die Arme greifen und auf diesem Wege deren Vermögen mehren. So hatte bereits der Bundesrechnungshof das 8 9
BVerfGE 20, 56; dazu noch ausfuhrlich unten § 2.
90
Vgl. zu dem Zusammenhang zwischen der Einfuhrung der Globalzuschüsse und dem Parteienfinanzierungsurteil von Arnim, Parteienfinanzierung, S. 26 ("kein Zufall"); Lösche, S. 76; DER SPIEGEL 28/1986, S.24; Landfried, S. 103. 9 1 Lösche, S. 76. 9 2
So auch von Arnim, Paiteienfinanziemng, S. 113f.
9 3
BVerfGE 73, 1 (3Iff.).
Q4
Dagegen im übrigen zutreffend schon Scheuner, DOV 1968, 90: "Politische Bildung ... ist ein wesentliches Element parteilicher Funktionen."
42
§ 1 Der Untersuchungsgegenstand
BVerfG im damaligen Verfahren darauf hingewiesen, daß die Stiftungen in der Vergangenheit die gebotene Unabhängigkeit von den Parteien nicht immer gewahrt hatten und ihre Einnahmen gelegentlich zweckwidrig - etwa in Form unentgeltlicher Wahlkampfhilfe - zum Nutzen der Parteien, denen sie nahestehen, verwendet hatten95. Das BVerfG wertete diese Vorkommnisse, soweit es sie überhaupt erwähnte, zwar als Abweichungen vom "verfassungsrechtlichen Leitbild" der Stiftungen, insgesamt aber als nicht repräsentative "Einzelfalle" 96 - eine Einschätzung, die jedoch schon deshalb auf schwankendem Boden steht, weil sich der Bundesrechnungshof zu einer abschließenden Prüfung der tatsächlichen Verhältnisse außerstande gesehen und dies dem BVerfG auch mitgeteilt hatte 97 . Für den Stiftungsverband "Regenbogen" schließlich kam ein von der Bundesregierung 1989 eingeholtes Gutachten noch zu dem Ergebnis, daß die Distanz zu den GRÜNEN möglicherweise nicht eingehalten sei 9 8 . Und von diesen mehr oder weniger offenkundigen Grenzüberschreitungen ganz abgesehen: Es wäre eine unzulässige Verkürzung der Sichtweise, bei der Prüfung, ob die Globalzuschüsse in Wahrheit eine verkappte Parteienfinanzierung darstellen, allein auf eine bewußte Zweckentfremdung von Stiftungsgeldern oder ihren unmittelbaren Einsatz für Parteiinteressen abzustellen. Für das Vorliegen einer öffentlichen Leistung reicht es aus, wenn die Parteien von der Tätigkeit der Stiftungen mittelbar einen Vorteil ziehen, mag sich dessen
95
J Nach Landfried, S. 104ff., hatte der Bundesrechnungshof dem BVerfG im damaligen Verfahren u.a. mitgeteilt, - daß die Friedrich-Naumann-Stiftung der FDP zinslose Kredite gewährt hatte, deren Mitgliederzeitschrift "Die neue Bonner Depesche" angekauft und verteilt hatte und 1975/76 eine Anzeigenkampagne zugunsten der FDP unter dem Titel "Ein Liberaler" organisiert hatte, - daß die Hanns-Seidel-Stiftung im bayrischen Landtagswahlkampf 1982 eine Broschüre als Wahlkampfhilfe fur die CSU herausgegeben hatte, - daß die einzelnen Stiftungen zahlreiche wahlkampfbezogene Meinungsumfragen durchgeführt hatten, - daß an einer Reihe von Bildungsveranstaltungen der Stiftungen überwiegend Parteimitglieder teilgenommen hatten. Die Behauptung, daß die Stiftungen mit den ihnen überlassenen Globalzuschüssen überwiegend Parteimitglieder, Funktionare und hauptamtliche Mitarbeiter der Parteien schulen, findet sich auch, freilich ohne Beleg, bei Lösche, S. 76. 9 6 BVerfGE 73, 1 (36f.). 9 7 Landfried, S. 104, 109f.. Mangelnde Transparenz rügt auch von Vieregge, Parteienfinanzierung, S. 182f..
in: Wewer,
9 8 DER SPIEGEL Nr.5/1989, S.29. Dessenungeachtet wurde der Bewilligungsbescheid für die Globalzuschüsse später erteilt, wobei eine Rolle gespielt haben mag, daß andernfalls auch die Tätigkeit der anderen Stiftungen genauer unter die Lupe zu nehmen gewesen wäre, vgl. DER SPIEGEL a.a.O..
C. Die öffentlichen Leistungen im einzelnen
43
Vermögenswert auch nicht exakt beziffern lassen". Daß dies aber auch bei einer Verwendung von Stiftungsgeldern, die sich vollständig im Rahmen der satzungsgemäßen Zwecke hält, der Fall ist, mochte selbst das BVerfG nicht auschließen, als es ganz gegen Ende seiner Entscheidung ausführte, es sei "unbeschadet der Abgrenzbarkeit der Tätigkeit der Stiftungen von deijenigen der politischen Parteien ... nicht zu verkennen, daß ihre Arbeit insbesondere auf den Gebieten der Forschung, der Materialsammlung und - aufbereitung, der Publikation, der Pflege internationaler Beziehungen, aber auch der politischen Bildung im engeren Sinne der ihnen jeweils nahestehenden Partei in einem gewissen Maße zugutekommt " 1 0 0 . Damit aber ist eine öffentliche Leistung an die Parteien via Globalzuschüsse bereits dargetan - wenn auch eben nur in einem "gewissen", kaum näher zu präzisierenden Maße. Fragezeichen bleiben. Willkürlich wäre es etwa, einen bestimmen Prozentsatz festzulegen, mit dem die Globalzuschüsse zur staatlichen Parteienfinanzierung zu rechnen seien 101 - dies schon deshalb, weil die parteinahen Stiftungen neben der "Parteipflege" und manches Mal zugleich mit ihr unbestreitbar auch solche Aufgaben erfüllen, die im allgemeinen oder öffentlichen Interesse liegen. Rechtliche Schlußfolgerungen werden durch diese Ungewißheit indes keineswegs ausgeschlossen102.
99
In diesem Fall läßt sich auch der erforderliche Leistungswille ohne weiteres bejahen. Dieser entfiele lediglich dann, wenn dem leistungsverteilenden Staat die Arbeitsteilung von Parteien und Stiftungen nicht bekannt ware. Eine solche Annahme aber wäre wohl lebensfremd, vgl. Lösche, S. 78: "Die Verquickung von Partei- und Stiftungsarbeit ist selbst fur den politisch Blinden zu spüren." 1 0 0 BVerfGE 73, 1 (37). Deutlicher Wildenmann, in: Mühleisen, S. 93: "Die Parteien verschaffen sich (sc. durch die Arbeit der Stiftungen) die Informationen, die für ihre Herrschaft notwendig sind." 1 0 1 Landfried, Parteifinanzen und politische Macht, S. 110. Die Eingrenzung kann im Rahmen dieser Arbeit nicht geleistet werden; sie würde intensive tatsächliche Recherchen, regelmässige Auswertungen der Geschäftsberichte über einen längeren Zeitraum, Untersuchungen personeller und politischer Verflechtungen, kurz: ein eigenes, auf Jahre angelegtes Forschungsvorhaben erfordern. Im Prinzip richtig daher die Feststellung von Landfried, a.a.O., es bleibe nur die Möglichkeit, die ständig steigenden Globalzuschüsse bei der Ermittlung des gesamten Umfanges der Staatsfinanzierung der Parteien zunächst außen vor zu lassen und statt dessen das Bewußtsein dafür zu schärfen, daß die errechnete Summe noch knapp bemessen ist. Die Globalzuschüsse in vollem Umfang zur staatlichen Parteienfinanzierung rechnen wollen von Arnim, Parteienfinanzierung, S. 26ff., 114ff.; ders., Aktuelle Probleme, S. 20; Stern, Staatsrecht I, S. 454; Lösche, S. 76f.; Naßmacher, Aus Politik und Zeitgeschichte, Β U/1989, S. 31.; differenzierend aber ders., in: Wildenmann, Volksparteien, S. 136. 1 0 2
Siehe unten § 5 ADD.
44
§ 1 Der Untersuchungsgegenstand
VIL Sonderabgaben von Mandatsträgern Leistungen?
als öffentliche
Kaum geringere Schwierigkeiten als die Fraktionsfinanzierung und die Globalzuschüsse bereitet auch die Einordnung der sogenannten Sonderabgaben der Mandatsträger. Dabei handelt es sich um Zuwendungen, die Parlamentsabgeordnete oder Träger öffentlicher Ämter über die normalen Mitgliedsbeiträge hinaus und zumeist auf der Grundlage einer entsprechenden Satzungsbestimmung an ihre Partei leisten 103 . In den Rechenschaftsberichten der Parteien werden diese Sonderabgaben seit der Neuregelung der Parteienfinanzierung vom 22.12.1983 nicht mehr gesondert ausgewiesen (vgl. § 24 I I PartG). Als die Zahlen zuletzt veröffentlicht wurden, hatten auch sie eine beträchtliche Höhe erreicht, wie folgende Tabelle zeigt: Einnahmen der Parteien aus Beiträgen der Fraktionsmitglieder und ähnliche regelmäßige Beiträge (in Mio. DM) m
1983
CDU 16,8
CSU 3,7
FDP 2,0
SPD 16,4
An alle Parteien zusammen flössen aus dieser Quelle im Jahre 1983 38,9 Mio. D M 1 0 5 . Ob hier eine öffentliche Leistung vorliegt, ist allerdings umstritten 106 . Das "Öffentliche" der Zuwendungen läßt sich jedenfalls noch nicht daraus ableiten, daß die Parlamentarier, der Bundeskanzler, die Ministerpräsidenten, die Minister und die Kommunalpolitiker, die jeweils Sonder1 0 3
So bestimmen etwa § 2 I, m der Finanzordnung der SPD i.d.F. vom 30.8.1988, daß Mitglieder von Fraktionen neben ihren Mitgliedsbeitragen Sonderbeitrage zu leisten haben, deren Hohe durch den Parteivorstand bzw. die Landesverbände festgelegt wird; Bundestagsabgeordnete der CSU fuhren nach § 6 des Finanzstatuts monatlich 750 D M an ihre Partei ab, Mitglieder der Bundes- bzw. bayrischen Staatsregierung monatlich ein Drittel ihrer steuerfreien Aufwandsentschädigung. Bei der C D U obliegt die nähere Regelung der Sonderabgaben dem jeweiligen Landesverband (§ 5 der Finanz- und Beitragsordnung i.d.F. vom 9.5.1984), dazu Wewer, in: ders., Parteienfinanzierung, S. 432 (Fn.37). Welche Zahlungen tatsächlich geleistet wurden, geht aus einer von Landfiied im Jahre 1988 durchgeführten Umfrage hervor, S. 97f.. Zur Lage bei den GRÜNEN Landfiied a.a.O., Lösche, S. 98f. 1 0 4 10
Quelle: Rechenschaftsberichte 1983, BT-Drucks. 10, 2172.
^ Darin eingeschlossen sind auch die nicht im Bundestag vertretenen Parteien, die hier freilich naturgemäß nur geringe und bei den gerundeten Zahlen nicht ins Gewicht fallende Einnahmen verbuchen konnten. Vgl. dazu im einzelnen die Rechenschaftsberichte 1983, BT-Drucks. 10, 2172. 1Ω6 Eine verschleierte staatliche Parteienfinanzierung nehmen an Bericht 1983, S. 188; Schleth, Parteifinanzen, S. 154; von Arnim, Parteienfinanzierung, S. 21, 120ff.; ders.; Aktuelle Probleme, S. 20; Wewer, in: ders., Parteienfinanzierung, S. 420ff.; Landfiied, Parteifinanzen und politische Macht, S. 97ff.. A.A. insbesondere BVerfGE 73, 1 (31ff.), 40 (100).
C. Die öffentlichen Leistungen im einzelnen
45
beitrage an ihre Parteien abfuhren, dem inneren Bereich der Staatsorganisation zugehören und als solche auch hoheitlich tatig werden können 107 . Das wäre um einiges zu kurz gedacht. Denn die Sonderbeiträge leisten Abgeordneten oder andere Organwalter nicht in ihrer Eigenschaft als Inhaber eines wie auch immer gearteten öffentlichen Amtes, sondern als Privatpersonen und Parteimitglieder. Ihr Dazwischentreten begründet also die Leistungskette vom Staat zu den Parteien nicht, sondern unterbricht sie zunächst 108 . Die Verbindung wird auch nicht wiederhergestellt durch das Argument, daß die Abgeordnetendiäten und die Tantiemen oder Gehälter der Amtsträger von der öffentlichen Hand aufgebracht werden. Zwar stammen damit auch die Sonderabgaben im Ergebnis aus öffentlichen Mitteln. Aber da sowohl die Diäten der Abgeordneten als auch die Gehälter der Amtsträger diesen zu freier Verfügung zugewandt werden 109 , handelt es sich bei den Sonderbeiträgen zunächst um Zuwendungen eben dieser Abgeordneten bzw. eben dieser Amtsträger 110 . Daran ändert auch der Umstand nichts, daß der einzelne Abgeordnete sich ohne Gefahr fur seine politische Karriere kaum weigern kann, Sonderbeiträge abzuführen, und von Freiwilligkeit daher nur selten die Rede sein kann 1 1 1 . Ob die Zahlungen freiwillig erfolgen oder nicht, spielt ebenfalls nur im Innenverhältnis zwischen Abgeordnetem und Partei eine Rolle, sagt aber noch nichts darüber aus, ob die Sonderabgaben auch als Leistung des Staates an die Parteien begriffen werden können 112 . Es ist vor allem das subjektive Element des Leistungsbegriffs, das hier fehlt. Solange die Weiterleitung der Diäten oder sonstiger Tantiemen nicht mit Wissen und - zumindest bedingtem - Wollen des Staates, aus dessen Mitteln sie stammen, erfolgt, liegt auch keine öffentliche Leistung v o r 1 1 3 . Eine solche ließe sich folgerichtig nur dann bejahen, wenn die Sonderbeiträge als Berechnungsfaktor bei der Gestaltung von Diäten, Aufwandsentschädigungen
1 0 7
Vgl. für den Abgeordneten AK - Schneider, Ait. 38 Rn. 20.
1 0 8
Hier liegt auch der Unterschied zur Verwendung von Fraktionsmitteln fur Parteizwecke. Während es fur Fraktionen außerhalb ihrer Organtätigkeit keine Handlungsfelder gibt und sie gewissermaßen stets "als solche" tätig werden, kann der einzelne Parlamentarier oder Träger eines sonstigen Amtes auch als Privatperson handeln. 1 0 9
Zu den Diäten BVerfGE 40, 296 (316«); Jekewitz,
1 1 0
Insoweit zutreffend BVerfGE 73, 40 (100); ähnlich Henkel, DÖV 1977, 354f..
ZParl 1984, 23.
1 1 1
Bericht 1983, 188, spricht von einem "kaum ausweichbaren Druck"; ebenso Klatt, ZParl. 1976, 64; von Arnim, Parteienfinanzierung, S. 122; ders,, Aktuelle Probleme, S. l l f . j Wewer, in: ders., Parteienfinanzierung, S. 432ff. mit plastischen Beispielen; a.A. Henkel, DÖV 1977, 354f.. 1 1 2 So aber von Arnim, Parteienfinanzierung, S. 122, mit der Erwägung, auf dem Abgeordnetenstatus ruhe de facto eine "finanzielle Hypothek" zugunsten der Parteien. 1 1 3 Insofern gilt nichts anderes als fur den Mitgliedsbeitrag oder die Parteispende eines normalen Laufbahnbeamten. Obwohl auch dieser aus der Staatskasse bezahlt wird, kann hier von
46
§ 1 Der Untersuchungsgegenstand
oder Kostenpauschalen von vornherein eine Rolle spielten und diese so bemessen wären, daß sie nicht nur der Abdeckung des privaten Lebensbedarfs des Mandatsträgers und des mandatsbedingten Mehraufwandes, sondern auch der Abfuhrung an die Parteien dienten 114 . Erlaubt wäre eine derartige Berücksichtigung der Sonderabgaben zumindest bei den Diäten zwar nicht 1 1 5 . Aber das Bestehen eines Verbotes sagt noch nichts aus über seine Respektierung, und die Höhe der Abgeordnetenentschädigung einschließlich der Aufwandsentschädigung liefert immerhin ein Indiz fur eine gewollte Überzahlung zugunsten der Parteien 116 . Auch entscheiden über die Bemessung ihrer Diäten letztlich die Abgeordneten selbst, was, vorsichtig formuliert, nicht gerade gegen die stillschweigende Einrechnung der Sonderabgaben und einen entsprechenden Aufschlag auf Grunddiät oder Aufwandsentschädigung spricht 117 . Argumente fur eine öffentliche Leistung sind also durchaus vorhanden 118 . Aber ganz nachweisen lassen wird sie sich wohl nie: Die Sonderabgaben bleiben ein Grenzfall.
VIII.
Der Einsatz amtlicher Öffentlichkeitsarbeit
zu Parteizwecken
Den Globalzuschüssen, Fraktionsalimentierungen und Sonderabgaben vergleichbare Probleme ergeben sich bei der Einordnung der amtlichen Öffentlichkeitsarbeit. Was sich dahinter verbirgt, hatte bereits das BVerfG in einem seiner Parteienfinanzierungsurteile angedeutet, als es die "sogenannte Öffentlichkeitsarbeit" von Regierung und gesetzgebenden Körperschaften fur zulässig erklärte, "soweit sie - bezogen auf ihre Organtätigkeit - der Öffentlichkeit einer öffentlichen Leistung an die Parteien natürlich keine Rede sein, so zutreffend von Arnim, Parteienfinanzierung, S. 124. 1 1 4
In diesem Sinne auch Seifert,
1 1 5
BVerfGE 40, 296 (316ff.). Dazu noch unten § 4 D.
Die politischen Parteien, S. 314; wohl auch Lösche, S. 72.
1 1 6 Wewer, in: ders., Parteienfinanzierung, S. 433ff.. Die Kritik an der Höhe der Abgeordnetendiäten ist weit verbreitet, siehe beispielhaft von Arnim, ZRP 1989, 258ff.; Wewer a.a.O. m.w.N.. Mit Stand vom 1.1.1991 liegt die Grundentschädigung fur die Abgeordneten im Bund bei 9664 D M ( § 1 1 1 AbgG); hinzu kommt eine steuerfreie Aufwandsentschädigung von 5443 D M (§ 12 I AbgG). Bei der Bemessung der Abgeordnetenentschädigung erfolgt eine ausdrückliche Berücksichtigung der Sonderbeiträge allerdings nicht, Henkel, DOV 1977, 354f.; von Arnim,, Parteienfinanzierung, S. 121. 1 1 7 Deutlich schon Schleth, Parteifinanzen, S. 154: "Es hieße wohl den Realitätssinn von Politikern arg unterschätzen, wollte man annehmen, daß sie lediglich das an Bezügen fordern, worauf sie ihrer Ansicht nach als persönliches Einkommen Anspruch haben, um dann anschließend erschreckt eine erhebliche Schmälerung dieser Einkünfte durch Parteiabgaben festzustellen:" Auch Bericht 1983, 188, sieht hier eine "naheliegende Gefahr". 1 1 8 Hier sollte man allerdings genau sein: Die öffentliche Leistung läge in diesem Falle nicht in den Sonderabgaben, sondern in der bewußt in Kauf genommenen Oberzahlung der Mandatsträger zugunsten der Parteien. Zu den Folgen unten § 3 D Π 2, § 4 D .
C. Die öffentlichen Leistungen im einzelnen
47
ihre Politik, ihre Maßnahmen und Vorhaben sowie die künftig zu lösenden Fragen darlegen und erläutern" 119 . Eine Definition ist das freilich noch nicht, allenfalls eine vage Umschreibung 120. Der Mangel an begrifflicher Schärfe kommt indes nicht von ungefähr: Der Gegenstand, um den es geht, entzieht sich jeder systematisierenden Eingrenzung. Amtliche Öffentlichkeitsarbeit kommt in einer Unzahl von Erscheinungsformen vor und wird von den verschiedensten Organen und Körperschaften praktiziert - zum Teil in eigener Regie, zum Teil durch eigens zu diesem Zweck errichtete Pressestellen 121. Zur Öffentlichkeitsarbeit gehören etwa 1 2 2 : - amtliche Verlautbarungen 123, - ausschließlich für Journalisten bestimmte Publikationen124 oder regelmäßige schriftliche Informationen, - Regierungserklärungen, Reden und Interviews von Organwaltera 125 , - regelmäßige Pressekonferenzen, organisiert von den amtlichen Pressestellen, - Informationsgespräche mit ausgewählten Journalisten, - Annoncen und Anzeigenreihen in Zeitungen und Illustrierten, - Photoserien in Plakatform zum Aushang in öffentlichen Gebäuden, - Verteilung von Kalendern mit Leistungsberichten, Veröffentlichung von Bildbänden oder Dokumentationen126, - Herausgabe illustrierter Broschüren und deren Überlassung an Dritte (Privatpersonen, Journalisten, Parteien),
1 1 BVerfGE 20, 56 (100). Die rechtlichen Grundlagen und die Zulässigkeit einer solchen PR-Tätigkeit des Staates erörtern - allerdings mit unterschiedlichen Ergebnissen - Krüger, S. 214ff.; Leisner, S. 41ff.; Kempen, Amtliche Öffentlichkeitsarbeit, S. 95ff.. 1 2 0
Zwcfc, ZRP 1977, 145f..
1 2 1
Auf Bundesebene obliegt die Öffentlichkeitsarbeit in erster Linie dem 1949 gegründeten "Presse- und Informationsamt der Bundesregierung" (BPA), dem der Regierungssprecher vorsteht; zu den Rechtsgrundlagen Leisner, Öffentlichkeitsarbeit, S. 64ff.; Kempen, Amtliche^ Öffentlichkeitsarbeit, S. 49ff.. Daneben verfugen die Ministerien über eigene Pressestellen. Ähnlich sieht es auf Landesebene sowie bei den Kreisen und Gemeinden aus; zu letzteren Kempen, a.a.O., S. 38f.. 1 2 2
Übersicht zusammengestellt nach Kempen, Amtliche Öffentlichkeitsarbeit, S. 38ff., 48ff..
1 2 3
Z.B. durch Bundesanzeiger, Landesanzeiger, Amtsblätter etc.. Verlautbarungen können auch über die Rundfunkanstalten erfolgen, siehe etwa §§5 ZDF-Staatsvertrag, 11 NDR-Staatsvertrag, 8 I WDR-Gesetz. 1 2 4 Wie etwa der von den Staatskanzleien herausgegebene "Hessenreport" oder der "Niedersachsendienst". 17S l £ } ' " Auf Bundesebene etwa veröffentlicht im "Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung". 1 2 6 Gelegentlich auch in eigener Sache, wie das Beispiel der 654 Seiten umfassenden und vom BPA herausgegebenen Dokumentation über das Urteil des BVerfG zu Umfang und Grenzen amtlicher Öffentlichkeitsarbeit zeigt.
§ 1 Der Untersuchungsgegenstand
48
- Betreuung und Erstellung von Rundfunksendungen 127 oder kommunaler "Filmspiegel" - Verteilung von Flugblättern. Die Übersicht erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Sie macht indes bereits deutlich, daß der Begriff "Öffentlichkeitsarbeit" eine Fülle höchst unterschiedlicher Aktivitätäten mit höchst unterschiedlichen Auswirkungen in sich vereint. Mit den Formen wechseln häufig auch die Zwecke. Öffentlichkeitsarbeit kann der Information, sie kann aber auch der Werbung dienen und nach dem Selbstverständnis ihrer Macher liegt darin sogar ihre eigentliche Bestimmung128. Werbewirkung kann Öffentlichkeitsarbeit auch fur die politischen Parteien entfalten. Zwar hat amtliche Öffentlichkeitsarbeit schon ihrem Begriff nach nicht die politischen Parteien, sondern eben eine amtliche oder staatsorganschaftliche Tätigkeit zum Gegenstand: den Erlaß eines Gesetzes, ein bestimmtes Verwaltungshandeln oder allgemein die von einer Regierung oder Gemeinde verfolgte Politik. Aber landläufig gelten Regierungen oder Gemeindeoberhäupter nicht als neutrale, überparteiliche Institutionen, sondern werden mit einer oder mehreren Parteien identifiziert: Von staatlichen Organen errungene Erfolge werden im Parteienstaat denjenigen Parteien zugeschrieben, deren Vertreter die Ämter im Staate besetzen und als Kanzler, Ministerpräsident, Minister oder Bürgermeister agieren, Mißerfolge diesen angekreidet 129 . Handeln von Staatsorganen ist im Parteienstaat häufig Umsetzung von Parteiprogrammen in politische Praxis, "Staatspflege" von daher tendenziell auch "Parteipflege" 130. Insofern können von amtlicher Öffentlichkeitsarbeit mittelbar auch politische Parteien - in erster Linie die jeweiligen Regierungsparteien - profitieren. Die Frage ist dann, ob das ausreicht, um die amtliche Öffentlichkeitsarbeit als öffentliche Leistung an die politischen Parteien abzustempeln. Die Antwort ergibt sich unmittelbar aus dem Leistungsbegriff. Leistung an die Parteien kann amtliche Öffentlichkeitsarbeit zum einen nur sein, wenn sie einen gewissen Vermögenswert hat - womit sich der Kreis der in Betracht kommen-
1 2 7
Dazu schon Leisner, S. 32f.
1 2 8
Bezeichnend etwa eine Aussage des ehemaligen Regierungssprechers Conrad Ahlers: Wer - wie die Regierung - Öffentlichkeitsarbeit betreibe, der betreibe auch Werbung; zitiert bei Kempen, Amtliche Öffentlichkeitsarbeit, S. 77. 1 2 9
Vgl. BVerfGE 44, 125 (149,153); Sondervotum Rottmann, a.a.O. (182ff.); Ridder, in: FS fur E.Stein, S. 68f.; Häberle, JZ 1977, 367; von Weizsäcker, Aus Politik und Zeitgeschichte, Β 42/1982, S.5. 1 3 0
Krüger, S. 217f..
C. Die öffentlichen Leistungen im einzelnen
49
den Aktivitäten bereits deutlich verengt 131 . Zum anderen muß auch die subjektive Komponente des Leistungsbegriffs vorliegen: der Leistungszweck. Weil der Werbeeffekt für die politischen Parteien und vor allem fur die jeweiligen Regierungsparteien zunächst in der Natur der Sache liegt, macht allein sein Vorhandensein die amtliche Öffentlichkeitsarbeit noch nicht zur öffentlichen Leistung. Öffentlichkeitsarbeit als ein Bündel von Aktivitäten, die primär anderen Zwecken dienen als der "Parteipflege", läßt sich nur dann als Leistung an die Parteien qualifizieren, wenn sie von ihren Betreibern bewußt und zweckgerichtet zum Nutzen einzelner oder einiger Parteien eingesetzt wird. Und da sich ein entsprechender Leistungswille als innere Tatsache objektiv kaum feststellen läßt, müssen bestimmte Indizien auf sein Vorliegen hindeuten. Für eine öffentliche Leistung an eine oder mehrere Parteien und insbesondere an die jeweiligen Regierungsparteien sprechen etwa 1 3 2 : - die offene oder versteckte Gleichsetzung von Amt und Partei 133 , - die herabsetzende Würdigung anderer Parteien 134 , - die Verdeutlichung der Absicht wiederzuwählender Amts- oder Organwalter, im Amt bleiben zu wollen, - die Häufung von Druckschriften, die der Steigerung des Bekanntheitsgrades von Parteipolitikern, die zugleich Inhaber eines Amtes sind, oder personenbezogener Sympathiewerbung dienen 135 , - die zeitliche Nähe zu einer Wahl, insbesondere ein Anwachsen der Öffentlichkeitsarbeit in Wahlkampfhähe, - die massive Häufung von Leistungs- und Erfolgsberichten, - das Handeln von Organen außerhalb ihrer sachlichen Zuständigkeit und der ihnen zugewiesenen Funktionen 136 , 1-Î1 l J l
Herausfallen dürften etwa Regierungserklärungen, informelle Stellungnahmen von Regierungsmitgliedern, Informationsgespräche etc., denen nach der Verkehrsanschauung ein wirtschaftlicher Wert nicht zukommmt. Die Auflistung orientiert sich weitgehend am Urteil des BVerfG zur Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung vor der Bundestagswahl am 3.10.1976, BVerfGE 44, 125 (150ff.), sowie an Zuck, ZRP 1983, 146ff.. Zwar hat das BVerfG nicht ausdrücklich davon gesprochen, daß werbende Öffentlichkeitsarbeit eine öffentliche Leistung an die Parteien sei, wenn die im folgenden genannten Indizien vorlägen. Im Gesamtzusammenhang des Urteils dürfte das aber kaum zweifelhaft sein. So stellt das Gericht die parteiergreifende Öffentlichkeitsarbeit in eine Reihe mit der steuerlichen Abzugsfähigkeit von Parteispenden, der Wahlkampfkostenerstattung und der Einräumung von Sendezeiten im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, also mit Begünstigungen, die unzweifelhaft öffentliche Leistungen darstellen, a.a.O. (144). Zur indirekten Parteienfinanzierung rechnen die amtliche Öffentlichkeitsarbeit auch Eschenburg, S. 37; Schleth, Parteifinanzen, S. 170ff.; Titzcky S. 8. 133 1 3 4
Etwa dadurch, daß sich eine Regierung als von bestimmten Parteien getragen darstellt. So schon Eschenburg, S. 37.
135
Dazu Eschenburg, a.a.O.. Siehe auch die Beispiele bei Schleth, Parteifinanzen, S. 177f. Beispiel wäre etwa ein parteiergreifendes Hineinwirken der Länder in einen Bundestagswahlkampf oder der umgekehrte Vorgang. 1 3 6
4 Volkmann
50
§ 1 Der Untersuchungsgegenstand
- der Einsatz kommerzieller. Werbemethoden und ein Zurücktreten des informativen Gehalts hinter reklamehafter Aufmachung, - der gesteigerte Einsatz öffentlicher Mittel, - das Fehlen eines aktuellen Anlasses (der Verabschiedung eines Gesetzes, der Abschluß eines Vertrages etc.), - die Überlassung der Materialien von Öffentlichkeitsarbeit an einzelne oder mehrere Parteien fur den Einsatz zu Wahlkampfzwecken, - Zusammenarbeit zwischen Partei- und Regierungsstellen bei der Planung von Werbemaßnahmen 137 - die Anpassung amtlicher Öffentlichkeitsarbeit an die Wahlkampagne einer Partei 138 . Der Leistungswille ergibt sich aus einer Gesamtschau dieser Indizien, wobei das Fehlen einzelner nicht schadet und durch das Vorliegen anderer kompensiert werden kann. Handelt es sich gar um eine eine ins "Gewicht fallende Häufung und Massivität offenkundiger Grenzüberschreitungen" 139 zwischen Amt und Partei, sind die Merkmale des Leistungsbegriffs ohne weiteres erfüllt. Zu verzeichnen war eine solche Häufung vor allem in den Jahren vor 1976, in denen die Indienststellung des regierungsamtlichen PR-Apparates zu Parteizwecken auf Bundes- und Landesebene kontinuierlich gesteigert wurde 1 4 0 . Ihren vorläufig letzten Höhepunkt erreichte die Entwicklung dann im Wahlkampf zur Bundestagswahl vom 3.10.1976, in dem die von der sozialliberalen Koalition getragene Bundesregierung mit enormem Publicityaufwand und unter dem forcierten Einsatz des Bundespresseamtes unverhüllt um ihre Wiederwahl warb 1 4 1 . Als das BVerfG in seiner Entscheidung vom 2.3.1977 1 4 2 , auf die noch einzugehen sein w i r d 1 4 3 , diese Form der Parteiwerbung mit einem Paukenschlag fur unzulässig erklärte, nahm die Zweckentfremdung amtlicher Öffentlichkeitsarbeit zu einem Instrument der
1 3 7
Vgl. Schleth y Parteifinanzen, S. 177.
1 3 8
Siehe dazu aber BVerfGE 63, 230 (246). Danach soll es fur eine als amtliche Öffentlichkeitsarbeit getarnte Parteiwerbung unerheblich sein, daß einzelne Formulierungen in Druckschriften oder Anzeigen der politischen Parteien aufgegriffen werden. 1 3 9 BVerfGE 44, 125 (156). Konstitutiv ist eine solche Häufung und Massivität offenkundiger Grenzüberschreitungen für das Vorliegen einer öffentlichen Leistung jedoch nicht, BremStGH, DVB1. 1984, 221 (224). 1 4 0
Beispiele bei Schleth, Parteifinanzen, S. 174.
1 4 1
Einen Eindruck vermittelt insoweit die bereits erwähnte Dokumentation des BPA, siehe oben Fn.126. 1 4 2
BVerfGE 44, 125.
1 4 3
Unten § 3 C I 1 .
C. Die öffentlichen Leistungen im einzelnen
51
"Parteipflege" rapide a b 1 4 4 . Gleichwohl haben sich die Gerichte auch danach noch mit dieser öffentlichen Leistung befassen müssen 145 .
IX. Überlassung öffentlicher
Einrichtungen
Seit jeher stellen die Kommunen den politischen Parteien zur Durchführung von Wahlkampfveranstaltungen oder Abhaltung von Parteitagen ihre öffentlichen Einrichtungen - vor allem Stadthallen, Festhallen, Theatersäle, Bürgerhäuser oder Festwiesen - zur Verfugung 146 . Die Konditionen sind unterschiedlich. Häufig erheben die Kommunen von den Parteien das Entgelt, das auch private Nutzer zu entrichten haben und das allein von der jeweiligen öffentlichen Einrichtung sowie von Art und Ausmaß ihrer Benutzung abhängt 1 4 7 . Gelegentlich werden den Parteien aber auch Vorzugsbedingungen oder ermäßigte Tarife eingeräumt 148, und bisweilen brauchen sie im Gegensatz zu privaten Nutzern überhaupt nicht zu zahlen 149 . Eine öffentliche Leistung an eine politische Partei liegt in allen drei Fällen vor. Denn unter den Begriff der öffentlichen Leistung fällt, wie bereits dargelegt 150 , jede Vorteilsgewährung - unabhängig davon, ob sie entgeltlich oder unentgeltlich erfolgt und ob sie die Parteien gegenüber anderen Gruppen oder Organisationen oder sonstigen privaten Nutzern privilegiert 151 . Eine andere Frage ist es freilich, inwieweit und in welchem Umfang derartige Privilegierungen, die der Sache 1 4 4 Siehe nur die Anweisung des BPA an die hessische Wahlleitung unmittelbar im Anschluß an das Urteil, zu den im März 1977 anstehenden hessischen Kommunalwahlen keine Werbemittel der Regierung mehr zu verteilen, DER SPIEGEL 11/1977, S. 16. 1 4 5 Siehe BVerfGE 63, 230; VerfGH Saar, NJW 1980, 2181; StGH Bad.-Württ., ESVGH 31, 81; BremStGH, DVB1. 1984, 221; VerfG N W , DVB1. 1985, 691. 1 4 6 Wobei die Überlassung selbst nach ständiger Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte regelmäßig in einem "zweistufigen" Verfahren erfolgt, siehe nur BVerwG Buchholz 150 zu § 5 PartG Nr. 2; OVG Münster, DVB1. 1968, 842 (843f.); zusammenfassend Frotscher, in: Püttner, S. 149ff. m.w.N.. Kritisch zur "Zweistufentheorie" bei der Überlassung öffentlicher Einrichtungen etwa Pappermann, JZ 1969, 487; Ossenbühl, DVB1. 1973, 291ff.. 1 4 7 So nach einer Anfrage vom Mai 1990 z.B. in Hannover; vgl. auch den Beschluß des Wahlprüfungsausschusses, BT-Drucksache 10/557, Ani. 21, S.47 1 4 8
Etwa in Gießen (§ 3 der stadtischen Mietordnung) oder Nürnberg (Ziffer 1.2.2. der Tarife fur das Gemeinschaftshaus Langwasser). In Kassel wurden ortsansässigen Verbänden, Organisationen und Parteien bei der Anmietung von städtischen Räumen unmittelbare Zuschüsse gewährt, vgl. HessVGH, NJW 1979, 997. 149 So etwa die Praxis in Marburg, wo neben den gemeinnützigen Organisationen auch die Parteien die Bürgerhäuser einmal im Jahr unentgeltlich nutzen können; Quelle: Auskunft vom 30.5.1990. In Recklinghausen ist die kostenlose Nutzung nur den im Rat der Stadt vertretenen Parteien fur zwei Termine pro Jahr vorbehalten; Quelle: Auskunft vom 1.6.1990. 1 5 0 Siehe oben Kap. B. 1 5 1
Den Leistungscharakter bejahen beiläufig OVG Münster, JZ 1969, 512 (513); Jülich, DVB1. 1968, 847 4*
§ 1 Der Untersuchungsgegenstand
52
nach eine mittelbare Parteienfinanzierung darstellen, rechtlich zulässig sind. Ihr wird im Verlaufe der Untersuchung noch nachzugehen sein. Daß den politischen Parteien ungeachtet dessen ein einfachgesetzlicher originärer Anspruch auf Überlassung öffentlicher Einrichtungen zusteht, ist unbestritten. Er ergibt sich aus den § 17 DGO nachgebildeten Vorschriften der Gemeindeordnungen der Länder, die den Anspruch der Einwohner auf Benutzung dieser Einrichtungen begründen und fur juristische Personen und Personenvereinigungen - also auch fur politische Parteien - entsprechend gelten 152 . Sie sind im wesentlichen deckungsgleich, begründen ein uneingeschränktes subjektives öffentliches Recht und schließen jegliches Verwaltungsermessen grundsätzlich aus 1 5 3 . Eine Einrichtung ist "öffentlich" im Sinne dieser Vorschriften, wenn sie - im öffentlichen Interesse errichtet wurde bzw. unterhalten w i r d 1 5 4 , - der Verfügungsgewalt der Gemeinde unterliegt 155 und - dem öffentlichen Gebrauch gewidmet wurde 1 5 6 . Die Parteien freilich können sich auf den kommunalrechtlichen Anspruch auf Benutzung dieser Einrichtungen nur dann berufen, wenn die von ihnen beabsichtigte Nutzung von der durch die Widmung festgelegten Zweckbestimmung der Einrichtung gedeckt i s t 1 5 7 - woran etwa der Versuch einer Par1 5 2 Vgl. § 20 I, ΠΙ HGO; § 10 II 2, IV BadWürttGO; Art. 21 I, III BayGO; § 22 I, III NdsGO; § 18 Π GemO NW; BVerwGE 31, 368 (370); 32, 333 (337); BVeiwG, Buchholz 150 Nr.2 zu § 5 PartG; OVG Münster, DVB1. 1968, 842; BayVGH, BayVBl. 1969, 102; V G H Baden-Württemberg, NJW 1987, 2697; Ossenbühl, DVB1. 1973, 295; Walther , S. 150. 1 5 3
OVG Münster, DVB1. 1968, 842 (843f.); Ossenbühl, DVB1. 1973, 295.
1 5 4
Vgl. BayVGH, BayVBl. 1969, 102. Uberwiegend wird dabei auf die Daseinsvorsorge abgestellt, siehe etwa OVG Münster, DVB1. 1968, 842; Niemöhlmann, SKV 1969, 73; Frotscher, in: Püttner S. 136. 1 5 5 Unerheblich ist insoweit, ob die Einrichtung von der Gemeinde in eigener Verantwortung als Regie-, Eigenbetrieb oder Anstalt betrieben wird oder ob sie von einer rechtlich verselbständigten AG oder GmbH oder einem rechtsfähigen Verein getragen wird, Ossenbühl, DVB1. 1973, 289; Frotscher, in: Püttner, S. 137, 142ff.. Im letzteren Falle liegt aber nur dann eine öffentliche Einrichtung vor, wenn die Gemeinde entweder Mehrheitseigner der Privatgesellschaft ist oder sich in bezug auf mögliche Nutzungsinteressenten ein Zustimmungs- oder Untersagungsrecht vorbehalten hat, Pappermann, JZ 1969, 489. 1 5 6 BayVGH, BayVBl. 1969, 102; OVG Münster, NJW 1976, 821; V G H Baden-Württemberg, NJW 1987, 2697; Ossenbühl, DVB1. 1973, 289f. Die Widmung ist auch konkludent möglich; BayVGH, BayVBl. 1988, 497 (498); Niemöhlmann, SKV 1969, 74; Ossenbühl a.a.O.. Unzutreffend OVG Lüneburg, NJW 1985, 2347, das bei einer langandauernden Übung eine Widmung fur entbehrlich halt, ohne auf die Möglichkeit einer konkludenten Widmung einzugehen. Für das Vorliegen einer entsprechenden Widmung kann im Einzelfall auch eine Vermutung sprechen; OVG Münster a.a.O. 1 5 7
OVG Münster, NJW 1980, 901; BayVGH 1988, 497 (498). Nach Eingang eines Zulassungsantrags läßt sich freilich wegen des dann naheliegenden Manipulationsverdachts die Zweckbestimmung einer Einrichtung nicht mehr ändern, BVerwGE 31, 368 (370). Daß eine öffentliche Einrichtung in der Vergangenheit noch nicht für politische Veranstaltungen zur Verfu-
C. Die öffentlichen Leistungen im einzelnen
53
tei scheiterte, auf einem Schulhof ein Kinderfest zum "Jahr des Kindes" zu organisieren 158. Auch steht der Anspruch, seiner kommunalrechtlichen Natur und der Anknüpfung an den Einwohnerstatus entsprechend, in der Regel nur solchen Parteiorganisationen zu, die am Ort der Einrichtung auch vertreten sind 1 5 9 . Seine natürliche Schranke findet der Zulassungsanspruch in der jeweiligen Kapazität der Einrichtung 160 . Daß eine Stadt- oder Sporthalle innerhalb eines bestimmten Zeitraumes nur fur eine begrenzte Anzahl von Veranstaltungen zur Verfugung gestellt werden kann 1 6 1 , versteht sich im wesentlichen von selbst.
X. Öffentliche Leistungen bei der Wahlwerbung auf öffentlichen Straßen Wahlkampf findet indes nicht nur in öffentlichen Einrichtungen, sondern auch auf der Straße statt. Die Plakate, die vor jeder Wahl auf Straßen und Gehwegen aufgestellt, an Bäumen oder Laternenmasten aufgehängt oder auf eigens dafür hergerichtete Stellflächen 162 geklebt werden und die für jedermann sichtbar anzeigen, daß Wahlzeit ist, sind denn auch, wie ein Wahlkampfmanager vor einigen Jahren mit unverhohlenem Triumph festgestellt h a t 1 6 3 , mittlerweile zu einem Bestandteil unserer politischen Kultur geworden. Um ihren individuellen Beitrag zu dieser Kultur zu leisten, wendeten nach einer Schätzung desselben Wahlkampfmanagers aus dem Jahre 1980 allein die großen Parteien je 3-5 Millionen D M fur eine Wahlkampagne auf 1 6 4 .
gung gestellt wurde, rechtfertigt allerdings die Annahme von Widmungsbeschränkungen nicht; OVG Münster, NJW 1976, 820 (821). 1 5 8
OVG Münster, NJW 1980, 901.
1 5 9
In diesem Fall ist auch der Bundes-, Landes- oder ein sonstigen Regionalverband anspruchsberechtigt, vgl. BayVGH, BayVBl. 1987, 403; offengelassen von V G H Baden-Württemberg, NJW 1987, 2697. Der Benutzungsanspruch entfällt allerdings, wenn eine Partei keinen Ortsverband in der betreffenden Gemeinde hat, vgl. V G H Baden-Württemberg, a.a.O.; Knies, BayVbl. 1968, 230; unzutreffend Niemöhlmann, SKV 1969, 73. 1 6 0
Allg. Meinung, vgl. nur Ossenbühl, DVB1. 1973, 296.
1 6 1
Die Kommunen sind insofern auch befugt, die Zahl der Veranstaltungen im voraus zu begrenzen, OVG Münster, NJW 1976, 820 (823). 1 6 2 Hervorzuheben, weil besonders auffällig, sind die speziell für den Wahlkampf aufgebauten Großflächen von maximal 3,6 m X 2,6 m, von denen etwa im Wahlkampf fiir die Hamburger Bürgerschaft im November 1986 für SPD und C D U jeweils 200, fur die FDP und GAL jeweils 80 zur Verfugung standen; Walther, S. 127. 1 6 3 m
Radunski, S. 111.
Radunski,S.
111.
54
§ 1 Der Untersuchungsgegenstand
Mit der Aufstellung und Verteilung der Plakate werden in der Regel kommerzielle Unternehmen, mit deren Entwurf professionelle Werbeagenturen beauftragt. Plakate setzen dabei, wie ihre Befürworter wissen, allein auf den werblichen Effekt 1 6 5 , auf das kurze, auch bei flüchtigem Vorübergehen oder Vorbeifahren noch erkennbare Signal, sie machen Stimmung und unterstreichen politische Kampagnen durch die immer wiederkehrende Verwendung von Symbolen und Parolen 166 . Anders ausgedrückt: Ihr sachlicher Aussagegehalt ist gleich N u l l 1 6 7 . Wie es angesichts dessen um eine politische Kultur, in der die Wahlplakate, wie der bereits mehrfach zitierte Wahlkampfmanager konstatiert 168 , fur das Publikum zum Wahlkampfmedium schlechthin geworden sind, bestellt ist, hat unlängst Ernst-Wolfgang Böckenförde angedeutet, als er im Minderheitsvotum zum jüngsten Parteienfinanzierungsurteil des BVerfG meinte, es könne mit Grund bezweifelt werden, ob die Materialschlachten unserer Wahlkämpfe fur eine lebendige, von den Bürgern zum Staat sich aufbauende Demokratie förderlich seien 169 . Immerhin stellt die Wahlwerbung durch Plakate fur kleinere Parteien, die in den Medien nur selten zu Wort kommen, eines der wenigen Mittel dar, um überhaupt auf sich aufmerksam zu machen 1 7 0 . Wenn der Wahlbürger schon von programmatischen Aussagen dieser Parteien keine Notiz nimmt, so soll er doch wenigstens merken, daß es sie gibt. Die Kommunen erweisen sich den Parteien bei deren Wahlkampagne häufig schon dadurch behilflich, daß sie ihnen gemeindeeigene Anschlagtafeln zur Anbringung von Wahlplakaten zur Verfugung stellen 171 - in der Regel kostenlos. Daß es sich dabei um eine unentgeltliche Wahlkampfhilfe 172 und also um eine öffentliche Leistung handelt, leuchtet unmittelbar ein. Schwerer zu entscheiden ist die Frage, ob eine öffentliche Leistung auch dann vorliegt, wenn die öffentliche Hand fur die Aufstellung von Plakaten eine Genehmi-
1 6 5
Walther,
S. 127.
1 6 6
Radunski, S. 111. Gescheitelt sind die gelegentlich unternommenen Bemühungen, auf Plakaten ganze Programmtexte unterzubringen oder Sachthemen abzuhandeln, Radunski, a.a.O.. 1 6 7 m
Zutreffend Narr, in: von Krockow/Lösche, S. 72f. Radunski, S. 111.
1 6 9
BVerfGE 73, 40 (97).
1 7 0
So schon BVerwGE 47, 280 (290).
1 7 1 Siehe z.B. die Fälle BVerwGE 47, 280; 47, 294; BayVGH, BayVBl. 1968, 67; OVG Lüneburg, OVGE 29, 444; V G H Baden-Württemberg, VB1BW. 1987, 310. Die Rechtsprechung begreift diese Anschlagtafeln als öffentliche Einrichtungen, vgl. BayVGH, BayVbl. 1968, 67; V G H Baden-Württemberg, ESVGH 23, 26 (27f.). Dazu noch unten § 5 A ffl a.E.. 1 7 2
So ausdrücklich BayVGH, BayVbl. 1968, 67 (68).
C. Die öffentlichen Leistungen im einzelnen
55
gung oder Erlaubnis erteilt. Genehmigungsbedürftig ist die Aufstellung von Wahlplakaten in zweierlei Hinsicht - straßenverkehrsrechtlich und straßenrechtlich: - Nach Straßenverkehrsrecht ist Werbung nach § 32 I StVO verboten, wenn dabei Gegenstande auf die Straße gebracht werden, durch die der Verkehr gefährdet oder erschwert werden kann. Da dieses Verbot bereits dann eingreift, wenn eine Beeinträchtigung des Verkehrs nur möglich erscheint und nicht ganz unwahrscheinlich i s t 1 7 3 , ist fur die Plakatierung in aller Regel eine Ausnahmegenehmigung nach §46 I Nr. 8 bzw. I I StVO erforderlich 174 . Einer Ausnahmegenehmigung bedarf ferner die außerörtliche Werbung (§ 33 I Nr. 3 i.V.m. § 46 I I StVO) sowie die Werbung an Leuchtsäulen (§ 33 I I 2 i.V.m. § 46 I Nr. 10 bzw. I I S t V O ) 1 7 5 . - Nach Straßen- und Wegerecht unterfällt die Aufstellung von Plakaten zum Zwecke der Wahlwerbung nicht mehr dem Gemeingebrauch, sondern stellt eine erlaubnispflichtige Sondernutzung dar. Gemeingebrauch läge nur bei einer Inanspruchnahme der Straße zum Verkehr vor; und die Aufstellung sperriger Gegenstände läßt sich weder den herkömmlichen Verkehrsvorgängen, die die Absicht der Ortsveränderung voraussetzen 176, noch einem Verkehrsbegriff zurechnen, der unter der Einwirkung der Grundrechte aus Art. 5 I, 2 I GG um kommunikative Zwecke erweitert worden ist und dem etwa das Verteilen von politischen Flugblättern unterfallt 177 . So jedenfalls der Standpunkt der herrschenden Meinung, die, gelegentlichem Einspruch zum Trotz, an der Qualifikation des Plakatierens als Sondernutzung bisher festgehalten hat und dementsprechend die Einholung einer Sondernutzungserlaubnis nach den einschlägigen Vorschriften der Straßengesetze178 fur erforderlich hält 1 7 9 .
1 7 3
Einhellige Meinung, vgl. nur BVerwG, DAR 1974, 55 (56); OVG Münster, DÖV 1975, 204 (205); Jagusch/Hentschel, § 32 StVO Rn.9. 1 7 4
OVG Münster, DÖV 1975, 204 (205); Feldmeier,
S. 201f..
1 7 5
Ausnahmen vom Verbot der Werbung an Verkehrszeichen gemäß § 33 I I 2 StVO werden dagegen nicht genehmigt. 1 7 6
BVerwGE 35, 326 (329); Würkner,
NJW 1987, 1796.
1 7 7
Vgl. BVerwGE 56, 24 (26ff.); OVG Berlin, NJW 1973, 2044; OLG Stuttgart, NJW 1976, 201; OVG Lünebuig, DÖV 1985, 688; Henke, DVBl. 1979, 376. 1 7 8 Etwa §§ 8 BFernStiG, 16 HStrG, 41 LStrG Rhld-Pf., § 18 Saarl.StrG, § 18 NdsStiG, § 16 StrG BW; 18 StrG NW; Art. 18 BayStrWG. 1 7 9 BVerwGE 47, 280 (282); 47, 294 (295); 56, 56 (57f.); 56, 63 (65ff.); OVG Münster, DÖV 1975, 205; OLG Frankfurt, NJW 1977, 1699; V G H Baden-Württemberg, VB1BW 1987, 310; Pappermann, NJW 1976, 1342; Steinberg, NJW 1978, 1901; Henke, DVBl. 1979, 376. Die Auffassung des OLG Hamburg, NJW 1977, 1704, nach der bei der Aufstellung von Plaka-
§ 1 Der Untersuchungsgegenstand
56
Daß es sich bei der Erteilung dieser Erlaubnisse oder Genehmigungen um öffentliche Leistungen an die Parteien handelt, ist in Schrifttum und Rechtsprechung gelegentlich bezweifelt worden. So meinte etwa das OVG Münster, die Erteilung einer Genehmigung oder Erlaubnis sei der Gewährung einer Sach- oder Geldleistung nicht gleichzustellen180; mit der Versagung dieser Genehmigung halte die Verwaltung lediglich an einem fur alle geltenden Verbot fest 1 8 1 . Wegen dieses Verbots, heißt es denn auch in der Literatur, sei der Bezug zur Einschränkung vorhandener Chancen wesentlich größer als der Leistungscharakter 182. Damit wird nicht ganz zu Unrecht auf ein gewisses Paradoxon hingewiesen: Wäre das Plakatieren nicht durch Erlaubnis- oder Genehmigungspflichtigkeit beschränkt, sondern wie das Verteilen politischer Flugblätter freigegeben, wäre fur öffentliche Leistungen durch Erteilung von Genehmigungen oder Erlaubnissen von vornherein kein Raum. Der Wegfall von Leistungen wäre in diesem Sinne fur die Parteien günstiger als deren fortdauernde Vergabe - was in der Tat seltsam anmutet, wenn man Leistung als Gewährung eines Vorteils definiert. Indes läßt sich daraus gegen den Leistungscharakter der Erteilung einer Erlaubnis oder Genehmigung nichts entnehmen. Insoweit könnte man zunächst wie folgt argumentieren: Die Freiheitsbeschränkung, die in der Erlaubnispflichtigkeit des Plakatierens liegt, ist - legislativ, administrativ oder, ganz wie man will, durch eine ständige Rechtsprechung - vorgegeben 183. Die Leistung könnte dementsprechend bereits in der partiellen und auf einen be-
ten nach der Intensität der Beeinträchtigung des Gemeingebrauchs zu differenzieren sei, hat sich nicht durchgesetzt. Kritisch auch Wärkner, NJW 1987, 1796; Walther, S. 127ff. Eine Sondernutzungserlaubnis ist allerdings im Anwendungsbereich des Bundesfernstraßengesetzes und nach den einschlägigen Vorschriften der meisten Bundesländer entbehrlich, soweit das Aufstellen von Plakaten bereits nach Straßenverkehrsrecht genehmigungspflichtig ist oder eine straßenverkehrsrechtliche Genehmigung bereits erteilt wurde, siehe etwa §§ 8 V I BFernStrG; 18 I StrG BW;; § 41 V U LStrG Rhld.-Pf.; 18 I 2, V I I Saarl.StrG; Art. 21 BayStrWG. Die wegerechtlichen Belange fallen dadurch jedoch nicht unter den Tisch, sondern sind bei der Erteilung der straßenverkehrsrechtlichen Genehmigung mitzuberücksichtigen, vgl. etwa §§ 8 V I 2,3 BFernStrG, 41 V U LStrG Rhld-Pf.; Messer, S. 13f.. Entsprechend sehen Kodal/Krämer, S. 616ff., den Zweck der Regelung vorallem in der Verfahrensvereinfachung. 1 8 0
Bei Pappermarm, Gerichtsentscheidungen, S. 144f.. Ebenso Bulla, ZRP 1979, 39.
1 8 1
DÖV 1975, 204 (206). Dem OVG durfte es dabei freilich weniger um die Klärung des Begriffs der öffentlichen Leistung als um die Ausschaltung der Abstufung nach § 5 I 2 PartG gegangen sein, die das Gericht in beiden Fällen nicht fur zulässig hielt. 1 8 2
Feldmeier,
1 8 3
Vgl. W.Schmidt,
S. 199. N V w Z 1985, 169.
C. Die öffentlichen Leistungen im einzelnen
57
stimmten Adressaten oder eine Gruppe von Adressaten bezogenen Aufhebung der generell fortbestehenden Freiheitsbeschränkung liegen. Darf - wie etwa beim Verbot mit Erlaubnisvorbehalt, um das es sich auch bei der Erlaubnispflichtigkeit der Sondernutzung handelt 184 - mit einer Tätigkeit oder der Ausübung eines Rechts erst begonnen werden, wenn zuvor ein Erlaubnisverfahren durchgeführt wurde, bildet die Erlaubnis die notwendige Voraussetzung fur die Ausübung des Rechts. Sie verschafft dem Begünstigten einen Vorteil, den er vor ihrer Erteilung nicht hatte, und erweitert so seinen Rechtskreis. Schon in diesem Sinne könnte sie Leistung sein 1 8 5 . Allerdings: Ob die bloße Aufhebung einer Grundrechtsbeschränkung für sich gesehen einen Vermögenswert hat, wie er für die Annahme einer Leistung erforderlich ist, ist durchaus zweifelhaft 186 . Die Erteilung einer Erlaubnis zur Straßenbenutzung hat aber, was häufig übersehen wird, darüber hinaus auch noch die Qualität einer echten Sachleistung. Denn eine Sache ist auch die Straße. Deren Aufhahmekapazität ist zudem nicht unbegrenzt 187. Vor diesem Hintergrund kommt, wie auch das BVerwG anerkennt, der Sondernutzungserlaubnis Ausgleichs- und Verteilungsfunktion zu, weil sie nicht zuletzt die Koordination gegenläufiger Straßenbenutzungsinteressen verschiedener Straßenbenutzer ermöglichen soll 1 8 8 . Hinzu kommt, daß die Straße regelmäßig im Eigentum der öffentlichen Hand steht 189 . Von daher ist die Erteilung einer Erlaubnis zur Straßenbenutzung auch Sachleistung - als Einräumung einer Nutzungsmöglichkeit oder Überlassung einer abgrenzbaren Teil fläche des prinzipiell knappen und der öffentlichen Hand gehörenden Gutes "Straße" 190 . Dem entspricht es, daß fur die Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis re-
1 8 4 OVG Lüneburg, DÖV 1985, 688 (689); Stern, W D S t R L 21, 220f.; Steinberg, 1978, 1901.
NJW
1 8 5 So für die Sondernutzungserlaubnis auch BVerwGE 47, 280 (286ff.); fur die straßenverkehrsrechtlichen Genehmigungen läßt sich dasselbe sagen. 1 8 6 Eine Parallele könnte insoweit die Baugenehmigung liefern, die nach traditioneller Auffassung ebenfalls nur eine grundrechtlich gewährleistete Freiheit wiederherstellt und in diesem Sinne nur feststellenden Charakter hat, vgl. BVerwGE 16, 116 (120); 22, 129 (133). Die Baugenehmigung hat praktisch immer einen Vermögenswert. Indes ergibt sich dieser genau besehen erst aus der beabsichtigten Nutzung, nicht aus der abstrakten Beseitigung einer Rechtsbeschränkung. Zur Bejahung einer Leistung sind deshalb weitere Annahmen erforderlich, dazu sogleich im Text. 1 8 7
Steinberg, NJW 1978, 1902.
1 8 8
BVerwG, DÖV 1981, 226.
1 8 9
Kodal/Krämer, S. 137ff.; Salzwedel, in: Erichsen/Maitens, S. 539; Schneider, in: Festschrift fur Ipsen, S. 359. Privates Eigentum an öffentlichen Straßen, das theoretisch ebenfalls möglich ist (vgl. nur § 2 Π BFernstrG), bildet heute die seltene Ausnahme.
§ 1 Der Untersuchungsgegenstand
58
gelmäßig eine Gebuhr erhoben wird. Bei dieser handelt es sich nach überwiegender Auffassung um eine echte Benutzungsgebühr, die die Gegenleistung dafür bildet, daß die Benutzung der Straße über den Gemeingebrauch hinaus mit dessen dadurch in Kauf genommener Beeinträchtigung geduldet w i r d 1 9 1 . Sie soll, anders formuliert, den in der Sondernutzung liegenden wirtschaftlichen Vorteil ganz oder zum Teil abschöpfen 192. Die Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis hat so gesehen durchaus einen Vermögenswert. Es handelt sich bei ihr um eine Leistung mit Doppelcharakter: einerseits Aufhebung eines bestehenden Verbots, andererseits echte positive Zuwendung 193 . Gelegentlich werden diese Leistungen den Parteien nicht individuell, sondern generell gewährt. So stellen einige Bundesländer die Parteien nach § 46 I I StVO vor den Wahlen von gewissen straßenverkehrsrechtlichen Beschränkungen frei 1 9 4 . Gemeinden wiederum machen gelegentlich von der in § 8 I I V BFernStrG und den meisten Landesstrassengesetzen195 eingeräumten Möglichkeit Gebrauch, durch Satzung bestimmte Sondernutzungen von der Erlaubnis zu befreien und erklären die Plakatierung im Wahlkampf in einem bestimmten Rahmen fur erlaubnisfrei 196. Auch dabei handelt es sich um - gewissermaßen im Bündel vergebene - öffentliche Leistungen. Von einer öffent-
1 9 0
So wohl auch Messer, S. 192ff.; Steinberg, NJW 1978, 1902.
1 9 1
BVerwGE 56, 63 (70); BayVGH, DVB1. 1979, 80 (81); Kirchhof, ger/Blümel/Schroeter, S. 234; a.A. wohl Stern, VVDStRL 21, 216ff.. 1 9 2
in: Bartlsper-
Salzwedel, in: von Münch, BesVwR, S. 720.
193 l
J
Für die Annahme eines solchen Doppelcharakters ist die Rechtsnatur der jeweiligen Erlaubnis unerheblich, weil die Frage, worin der durch die Erlaubnis gewährte Vorteil liegt, allein nach tatsächlichen Kriterien zu entscheiden ist. Streitig ist namentlich die Rechtsnatur der Sondernutzungserlaubnis. Dazu grundlegend Stern, W D S t R L 21, 221: "Die Erlaubnis darf nicht mehr freiheitsgewährend, sondern muß freiheitsbestätigend wirken."; ebenso OVG Lüneburg, NJW 1986, 864. Nach a.A. wird dem Sondernutzer, anders als etwa bei der Baugenehmigung, durch die Erlaubnis ein Recht eingeräumt, das er vordem nicht besaß, BVerwGE 56, 63 (70f.); Schneider, Festschrift fur Ipsen, S. 362. Zu den Auswirkungen des hier angenommenen Doppelcharakters noch unten § 2 C IV 4 a.E.. 194 Siehe etwa fur Nordrhein-Westfalen den Gemeinsamen Runderlaß des Ministers fur Wirtschaft, Mittelstand und Verkehr vom 29.6.1979, MinBl. NRW S. 1368, geändert durch GemRdErl. vom 9.4.1985, MinBl. NRW S.539, durch den die Parteien vom Verbot außerörtlicher Werbung nach § 33 I Nr.3 StVO freigestellt werden. In Bayern ist nach Ziffer 2.2.2 der Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministerium des Innern vom 30.6.1980, M ABl. S.367f., die Beschränkung des § 32 I StVO teilweise aufgehoben. In Hamburg wird das Plakatieren in der Regel gänzlich freigegeben, siehe das bei Walther, S. 220ff., abgedruckte Schreiben des Senatsamtes fur Bezirksangelegenheiten. Andere Bundesländer geben lediglich Empfehlungen, siehe etwa fur Niedersachsen den Runderlaß des Ministers fur Verkehr und Wirtschaft vom 29.6.1976, Nds.MBl. S. 1212f.. 1 9 5 Siehe nur Art. 22a BayStrWG, § 37 HStrG, § 18 Vffl BadWürttStrG, § 51 NdsStrG. 1 9 6 Siehe etwa § 3 I Ziff.l der Satzung über Sondernutzungen an öffentlichen Strassen der Stadt Darmstadt vom 4.10.1974, nach der Sondernutzungen, die der Meinungsverbreitung dienen wie die Wahlwerbung der politischen Parteien und das Aufstellen von Plakatgerüsten, keiner
C. Die öffentlichen Leistungen im einzelnen
59
liehen Leistung läßt sich schließlich auch bei der Genehmigung zum Aufstellen eines Informationsstandes sprechen 197. Es bleibt die Frage, wie es um die Gebührenerhebung bestellt ist, die den Städten und Gemeinden nach den einschlägigen Regelungen der Straßengesetze gestattet ist 1 9 8 . Der Wahlkampf könnte sich, würden sie von dieser Ermächtigung Gebrauch machen, fur die unter ihrer Schuldenlast ächzenden Kommunen zu einer beträchtlichen Einnahmequelle entwickeln. Geht man von den generell geltenden Gebührensätzen aus, ergäbe sich etwa fur eine Großstadt wie Frankfurt folgende Rechnung: Nach Ziffer 3.7 des Gebührenverzeichnisses der Sondernutzungssatzung vom 14.9.1989 1 " müssen pro Werbeschild 50 bis 100 D M jährlich oder 10 bis 100 D M pro Woche als Sondernutzungsgebühr entrichtet werden. Nimmt man an, daß die Parteien - vorsichtig geschätzt - in jedem Wahlkampf etwa 10000 Plakate für durchschnittlich einen Monat aufstellen, fielen dafür allein in der Stadt Frankfurt Gebühren von rund einer halben Million Mark an. In anderen Großstädten dürften die Zahlen in gleicher Höhe oder noch darüber liegen 200 . Um sie auf Bundes- oder Landesebene hochzurechnen, bedarf es keiner allzu großen Phantasie. Wer allerdings meint, die Parteien würden wegen dieser Summen von den Kommunen auch zur Kasse gebeten, der irrt. In aller Regel verzichten die selbst chronisch finanzschwachen Städte und Gemeinden darauf, den ebenfalls chronisch finanzschwachen Parteien in die Tasche zu greifen, und sehen von der Erhebung von Sondernutzungsgebühren gänzlich a b 2 0 1 . Das geschieht auf unterschiedlichen Wegen. So entfallt etwa in der Stadt Frankfurt nach Ziffer 3 des Gebührenverzeichnissen und § 4 der Sondernutzungssatzung die Gebührenpflicht fur das Aufstellen von Plakaten, wenn - was regelmäßig geschieht hierfür bereits eine straßenverkehrsrechtliche Erlaubnis erteilt worden ist. Wo Erlaubnis bedürfen. Eine solche Regelung wird auch fur Bayern empfohlen, Ziffer 2.2.3 der Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums des Innern vom 30.6.1980, M ABl. S. 368. 1 9 7 Dazu BVerwG 56, 63. Ob auch die Erteilung einer Genehmigung fur die Lautsprecherwerbung, bei der ein Vermögenswert zweifelhaft ist, eine öffentliche Leistung darstellt, soll hier nicht problematisiert werden; siehe zu den hier auftauchenden Problemen OVG Rheinland-Pfalz, DÖV 1969, 573; Henke, DVBl. 1979, 376. 1 9 8 §§ 8 m BFernStrG; 18 HStrG; 19a StrG NW; 21 Nds.StrG, 47 V LStrG, Art. 18 III BayStrWG. Als Beispiel einer Gebührenverordnung siehe die hessische Verordnung über Sondernutzungsgebühren vom 1.12.1964, GVB1. S.204f.. 1 9 9
Amtsbl. vom 5.12.89, S. 955.
2 0 0
In einer Stadt wie Hamburg belauft sich allein die Zahl der kleineren Stellschilder von SPD, C D U , FDP und GAL bei einem Bürgerschaftswahlkampf auf über 20.000, Walther, S. 127 (Fn. 163f.). Gelegentlich sind die Auflagen strenger; so darf etwa in einer mittelgroßen Stadt wie Nürnberg gem. Ziff. 1.2 eines Beschlusses des Rechts- und Wirtschaftsausschusses vom 23.6.1980 keine Partei mehr als 500 Plakatstander aufstellen. 2 0 1
Messer, S. 231.
60
§ 1 Der Untersuchungsgegenstand
das Plakatieren generell erlaubnisfrei gestellt w i r d 2 0 2 , werden auch keine Gebühren erhoben - obwohl diese Folge keineswegs zwingend sein müßte 2 0 3 . Andernorts werden die Parteien ausdrücklich von der Gebührenpflicht befreit 2 0 4 . Wo das nicht der Fall ist, gelten zumeist ermaßigte Gebührensätze 205 .
XI. Einräumung von Sendezeiten in Hörfunk und Fernsehen 1. Die Wahlspots im öffentlich-rechtlichen Rundfunk Wahlwerbung oder sonstige Werbung für die politischen Parteien findet darüber hinaus auch über das Medium Rundfunk statt - wiederum unter hilfreicher Unterstützung durch die öffentliche Hand. So stellen vor jeder Bundestags-, Landtags- oder Europawahl die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten den Parteien Sendezeiten zur Verfugung, die diese mit von ihnen selbst gestalteten Werbespots von in der Regel 2 1/2 Minuten Länge ausfüllen 2 0 6 . Daß es sich dabei um eine öffentliche Leistung - vergeben durch die Rundfunkanstalten, die hier hoheitlich tätig werden 207 - handelt, ist so gut wie unbestritten 208. Die Rechtsgrundlagen für diese Leistung finden sich in den einschlägigen Vorschriften der Landesrundfunkgesetze und Staatsverträge, die zumeist ein subjektives öffentliches Recht der Parteien begründen 2 0 9 ; Verteilung und Verfahren richten sich nach "Grundsätzen", die die 2 0 2 Wie etwa in Darmstadt oder in Hamburg, siehe dazu das Merkblatt zur Werbung der politischen Parteien fur die Wahl des Senatsamtes fur Bezirksangelegenheiten vom 12.11.1986, abgedruckt bei Walther, S. 220ff. 2 0 3
Schneider, Festschrift fur Ipsen, S. 356.
2 0 4
Siehe etwa § 6 I Ziff.3 der Sondernutzungssatzung der Stadt Offenbach vom 13.6.1978. In einigen Bundesländern wird eine solche Freistellung generell empfohlen, siehe fur Niedersachsen RdErl. d. M W vom 29.6.1976, Nds.MBl. S. 1212, sowie Ziffer 2.2.4 der Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums des Innern vom 30.6.1980, MAB1. S.368. Dem tragen z.B. § 9 der Sondernutzungssatzung der Stadt München und Ziff. 2.1 des Beschlusses des Rechts- und Wirtschaftsausschusses der Stadt Nürnberg vom 23.6.1980 i.V.m. § 4 V der Sondernutzungsgebührensatzung Rechnung. 2 0 5
Messer, S. 231.
2 0 6
Man spricht hier von sogenannten Drittsendungen, vgl. BVerwGE 75, 67 (73); A.Hesse, S. 112ff.. 2 0 7 2 0 8
So das BVerfG in st. Rspr., siehe BVerfGE 7, 99 (104); 14, 121 (130); 47, 198 (225).
Siehe nur BVerwGE 75 , 67 (75); Konow, DÖV 1968, 75; Seifert, teien, S. 356f.; Köper, NJW 1987, 2984.
Die politischen Par-
2 0 9 So etwa § 6 I ZDF-Staatsveitrag, § 27 I des Gesetzes über die Errichtung von Rundfunkanstalten des Bundesrechts (Deutsche Welle und Deutschlandfunk), § 8 Π WDR-Gesetz, § 15 I NDR-Staatsveftrag, § 9 Π SaarlRdfkG, § 3 Nr.6 HR-Gesetz. Ob auch Ait. 4 I I Nr.2 des BayRuFuG einen Rechtsanspruch der Parteien auf Ausstrahlung eigenverantworteter Wahlspots einräumt, ist dagegen nach dem Wortlaut der Bestimmung, die nur davon spricht, daß den Parteien
C. Die öffentlichen Leistungen im einzelnen
61
Rundfunkanstalten in Absprache mit den großen Parteien selbst formuliert haben 2 1 0 . Ein Entgelt fur die Überlassung des Mediums Rundfunk zur Wahlwerbung haben die Parteien nicht zu entrichten 211. Andernfalls wäre die Ausstrahlung der Wahlwerbesendungen auch eine teure Angelegenheit. So strahlten ARD und ZDF in ihren Fernsehprogrammen vor der Bundestagswahl 1983 insgesamt 88 Werbespots der Parteien aus, was nach den damaligen Preisen fur kommerzielle Werbung einem Gegenwert von 20,24 Mio. D M entsprach 212; fur die Bundestagswahl vom 2.12.1990 belief sich dieser Wert bei insgesamt 134 ausgestrahlten Wahlspots bereits auf ca. 46,4 Mio. D M 2 1 3 - eine Summe, in der die Sendezeiten im Hörfunk nicht einmal enthalten sind und die allein die jährlichen Zahlungen aus dem umstrittenen Chancenausgleich um mehr als das Doppelte übersteigt 214. Der innere Grund fur die Freistellung von den Kosten dürfte in der Einschätzung liegen, politische Werbung oder Werbung fur eine beliebige Partei sei prinzipiell höherwertiger als kommerzielle Werbung. Dagegen ist an sich auch nichts einzuwenden. Was freilich allabendlich vor den Wahlen über die Bildschirme der Republik flimmert, unterscheidet sich häufig nur durch seine vor Wahlen "Gelegenheit zur Äußerung" - was grundsätzlich auch im redaktionellen Programm geschehen könnte - einzuräumen sei, zweifelhaft. Nicht ganz eindeutig ist auch die Rechtslage beim Süddeutschen Rundfunk, fur den § 2 IV der Satzung - die gemäß § 3 I SDR-Gesetz als Bestandteil des Rundfunkgesetzes gilt - die Verpflichtung zur Überlassung von Sendezeit an die Parteien lediglich als "Richtlinie" formuliert. Dies und der Umstand, daß es sich bei einer Satzung - mag sie auch formell Bestandteil eines Gesetzes sein - in materieller Hinsicht um das bloße Innenrecht einer juristischen Person handelt, würde an sich gegen die Annahme eines subjektiv-öffentlichen Rechts sprechen. Für einen Anspruch in beiden Fällen aber Franke, Wahlwerbung, S. 68f.; für Art. 4 Π BayRuFuG a.F. Hantke, BayVbl. 1971, 330f.. Keine Rechtsgrundlage fur die Überlassung von Sendezeit enthält das bremische Rundfunkrecht, vgl. BVerwG, NJW 1991, 938; OVG Bremen, NJW 1987, 3024. 2 1 0 Siehe die "Grundsätze der ARD-Rundfunkanstalten und des Z D F fur die Zuteilung von Sendezeiten an politische Parteien oder sonstige Vereinigungen anläßlich der Bundestagswahl am 2.1.1990". Die Zuteilung selbst ist Verwaltungsakt, so schon LVG Hamburg, JIR 8 (1957/58), 326 (328f).; Herrmann, AöR 90, 315. Gelegentlich schlossen die Rundfunkanstalten mit den Parteien auch öffentlich-rechtliche Verträge ab; siehe die bei Franke, S. 246ff. abgedruckte Vereinbarung zwischen ARD, SPD, CDU/CSU und FDP für den Bundestagswahlkampf 1972. 2 1 1 Anders z.B. in den USA, wo ein Kandidat fur den Senat oder das Repräsentantenhaus 1984 für eine TV-Sendeminute 174.000 Dollar aufwenden mußte, Feistfliepelt, in: Klingemann/Kaase, S. 153). 2 1 2
Feist/Liepelty
in: Klingemann/Kaase, S. 153f..
2 1 3
Zur Erläuterung: ARD und Z D F vergaben nach Auskunft beider Rundfunkanstalten an die politischen Parteien je 67 Wahlspots à 2 1/2 Minuten. Für 30 Sekunden kommerzieller Werbung berechnete die ARD Ende 1990/Anfang 1991 im Durchschnitt 76.600 D M , Frankfurter Rundschau vom 24.4.1991, S. 10; beim Z D F hätte ein 2 1/2 Minuten-Spot nach der damals gültigen Preisliste Nr. 18 vom 1.1.1990 327.000 D M gekostet. Hätten die Parteien in gleicher Weise fur die ihnen eingeräumte Sendezeit bezahlen müssen, wären beim Z D F 20,9 Mio. D M , bei der ARD 25,5 Mio. D M angefallen. 2 1 4
Vgl. oben Kap. IV.
§ 1 Der Untersuchungsgegenstand
62
einfaltigere Machart von der Reklame fur ein beliebiges Industrieprodukt 215. Neben das Wort treten gleichberechtigt andere Elemente - die musikalische Untermalung, die Farbe des Bildhintergrundes, Trick- und Spezialeffekte 216. Argumentative Überzeugung wird ersetzt durch suggestive Überredungstechniken, und der gesprochene Text zeichnet sich mehr durch griffige Rhetorik als durch geistige Tiefe aus. Politik, optisch und akustisch Naufgepeppt N, in ansprechender Verpackung, reduziert auf Parolen und Begriffshülsen - die Wahl spots setzen auf Vereinfachung und die Aktivierung diffuser Loyalitätsmotive 2 1 7 . Wo der Idee nach Argumente rational überprüft und gegeneinander abgewogen werden sollten, findet eine affektive und pauschale Identifikation mit Symbolen statt, die die Kommunikation zwischen Politikern und Wählern erleichtern, weil sie das Denken ersparen 218. Freilich: der Nutzen der Überlassung von Sendezeit an die Parteien hält sich aller Wahrscheinlichkeit nach in Grenzen. Zwar vertrat die Allensbacher Demoskopin Elisabeth NoelleNeumann anläßlich der Bundestagswahl 1976 die Auffassung, diese sei im Ergebnis durch die Rundfunkanstalten und namentlich durch das Fernsehen zugunsten der sozialliberalen Koalition entschieden worden 219 . Aber die eigenverantworteten Wahlwerbesendungen der Parteien dürfte sie dabei kaum im Blick gehabt haben. Zum einen wird den kurzen Spots schon von den Wahlkampfmanagern selbst nur eine unterstützende oder ergänzende Wirkung beigemessen220, zum anderen fällt deren Volumen im Vergleich mit der Gesamtberichterstattung der Rundfunkanstalten über die Parteien vor einer Wahl kaum ins Gewicht 221 . Vermutet werden kann schließlich auch, daß der durchschnittliche Wähler bewußt oder unbewußt die Mechanismen durchschaut, mit denen er durch die Wahlwerbung der Parteien geködert und hinters Licht geführt werden soll. Und daß er sich gelegentlich, ganz im stillen, noch darüber
2 1 5 Siehe zur Qualität der Wahlspots nur die Glosse von M. Schirner, selbst Leiter einer Werbeagentur, in DER SPIEGEL 4/1987, S. 34f.. 2 1 6
Wolfi
2 1 7
Sarcinelliy
S. 60. in: Klingemann/Kaase, S. 198.
2 1 8
Zur Funktion von Symbolen in diesem Zusammenhang lesenswert Sarcinelli, in: Klingemann/Kaase, S. 189ff.. Symbole, allgemein begriffen als "etwas, das fur etwas anderes steht" (189), bildeten, meint Sarcinelli, die vorfindliche politische Realität nicht ab, sondern transformierten und verschleierten sie (191). Wahlkampfkommunikation suggeriere auf diese Weise eine eigens zu diesem Zweck geschaffene Ersatzrealität (197f.). 2 1 9
NoeUe-Neumann, PVS 1977, 408ff..
2 2 0
Vgl. Raäunski, S. 45.
2 2 1 Feist/Uepelt, in: Klingemann/Kaase, Wahlen und politischer Prozeß, S. 153, ermittelten etwa, daß bei ARD und Z D F im Bundestagswahlkampf 1983 3 Std. 40 min Wahlwerbung insgesamt 17 Std. 15 min Wahlkampfsondersendungen, Podiumsdiskussionen etc. im redaktionellen Programm gegenüberstanden. Gegen eine Überschätzung der Werbeeffekts von Wahlspots bereits Wildenmann, in: Fernsehen in Deutschland, S. 139.
C. Die öffentlichen Leistungen im einzelnen
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zu amüsieren vermag, fur wie dumm man ihn, den Souverän, doch zu halten scheint 222 .
2. Redaktionelle Sendungen als öffentliche Leistungen an die Parteien? Gemünzt war die These Noelle-Neumanns von der wahlentscheidenden Wirkung des Fernsehens ersichtlich auf das redaktionelle Programm der Rundfunkanstalten 223. Hier kommen die Parteien denn auch ungleich häufiger zu Wort als in den von ihnen selbst erstellten Wahlspots: Die Parteien, namentlich die etablierten und in den Parlamenten vertretenen, sind regelmäßiger Gegenstand der Berichterstattung, und vor allem im Wahlkampf widmen ihnen die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten breiten Raum - durch Sondersendungen, Hearings, Features, Reportagen, Porträts von Spitzenpolitikern, Diskussionsrunden oder die Übertragung von Wahlkampfveranstaltungen. Angesichts des mit solchen Sendungen unweigerlich verbundenen Werbeeffekts, der um einiges höher ausfallen kann als der der Wahlspots 224 , stellt sich die Frage, ob auch sie als öffentliche Leistung an die politischen Parteien begriffen werden können. Die bei weitem herrschende Meinung sagt: Nein. Redaktionelle Berichterstattung über die Parteien, so etwa das BVerwG, diene nicht dem Wettbewerb der Parteien, sondern der Unterrichtung der Öffentlichkeit über die Ansichten maßgebender öffentlicher Kreise zu bestimmten Fragen; eine öffentliche Leistung im Sinne des § S I 1 PartG liege daher nicht vor225. 2 2 2
Nicht zu Unrecht ist die Kritik an dieser Form der Wahlwerbung weit verbreitet, vgl. nur Neumann/Wesener, DVBl. 1984, 915; Wolf, S. 60; Ellwein (5.Aufl. 1983), S. 226f.; Weigelt, 152. In Bremen hatten die Parteien nicht zuletzt aufgrund dieser Kritik vor der Bürgerschaftswahl im September 1987 vereinbart, auf die Wahlwerbesendungen zu verzichten - bislang allerdings ein einmaliger Fall. Eine eher positive Einschätzung der Wahlspots bei Wildenmann, in: Fernsehen in Deutschland, S. 139. 2 2 3 Verantwortlich für den Wahlsieg der sozialliberalen Koalition war für Noelle-Neumann vor allem das durch die Rundfunkanstalten erzeugte "Meinungsklima", das einen Stimmungsumschwung zu Lasten der in Meinungsumfragen ursprünglich in Führung liegenden CDU/CSU bewirkt haben sollte, PVS 1977, 416ff.. Diese Auffassung war freilich wissenschaftlich von Anfang an umstritten. Empirische Untersuchungen zur Bundestagswahl 1980 - etwa von Buß/Ehlers, MediaPerspektiven 1982, 237ff. und Merten, MediaPerspektiven 1983, 454ff. konnten Belege fur den behaupteten Zusammenhang zwischen Medienwirkung und Parteipräferenz nicht finden. Skeptisch auch Ellwein/J.J.Hesse, S. 224f. 2 2 4 2 2 5
OVG Hamburg, NJW 1988, 928; BayVGH, AfP 1991, 457 (458).
BVerwG, Buchholz 150 Nr.4 zu § 5 PartG; ebenso HessV G H , Afp 1983, 487 (488); BayVGH, Afp 1991, 457; V G Stuttgart, NJW 1983, 467; Grupp, ZRP 1983, 29 (m.w.N. auch auf unveröffentlichte Rechtsprechung); Röper, NJW 1987, 2984f.; Bolwin, AfP 1990, 165f., der das Vorliegen einer öffentlichen Leistung im Sinne des § 5 PartG allerdings mit der Begründung verneint, die Rundfunkanstalten würden bei redaktioneller Berichterstattung nicht hoheitlich tä-
S.
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§ 1 Der Untersuchungsgegenstand
Dem ist, wenigstens fur den Regelfall, zuzustimmen. Es ist das subjektive Element des Leistungsbegriffs, das hier zumeist fehlen wird. Der Zweck redaktioneller Sendungen liegt der Idee nach nicht in der Zuwendung eines Vorteils an die politischen Parteien, sondern in der Erfüllung des Programmauftrags der Rundfunkanstalten 226. Dieser aber besteht nicht gegenüber den Parteien, sondern gegenüber den Rezipienten: den Radiohörern und Fernsehzuschauern 227. Daß mit jeder redaktionellen Berichterstattung über die Parteien unweigerlich ein gewisser Werbeffekt verbunden ist, ändert daran zunächst nichts. Solange die Rundfunkanstalten mit ihren Sendungen lediglich die Information der Öffentlichkeit und die Gewährleistung freier individueller und öffentlicher Meinungsbildung bezwecken, kann auch von einer öffentlichen Leistung an die Parteien keine Rede sein. Daraus ergibt sich indes im Umkehrschluß ganz zwanglos, daß redaktionelle Berichterstattung im Einzelfall durchaus anders beurteilt werden kann eben dann, wenn der ihr innewohnende Werbeeffekt von den Programmverantwortlichen bewußt und zweckgerichtet zugunsten der Parteien oder bestimmter Parteien eingesetzt wird. Das Vorliegen einer Leistung ist also nicht zwingend ausgeschlossen. Jede andere Auffassung vermengt Anspruch und Wirklichkeit. Wenn etwa das BVerwG - siehe oben - erklärt, Sendungen über die politischen Parteien dienten nicht dem Parteienwettbewerb, sondern der Unterrichtung der Öffentlichkeit, so formuliert es als Tatsache, was offensichtlich nur die Qualität einer Verhaltenserwartung hat. Der Programmauftrag, den die Rundfunkanstalten zu erfüllen gesonnen sind, ist ja zunächst einmal nicht mehr und nicht weniger als eine an die Rundfunkanstalten gerichtete Aufforderung, ein bestimmtes Interesse, nämlich das der Öffentlichkeit, zu befriedigen: kein "Sein" also, sondern ein "Sollen". Und ebensowenig wie sich im allgemeinen von einem Sollen auf ein Sein schließen läßt 2 2 8 , kann aus dem Bestehen des Programmauftrages geschlossen werden, dieser werde von den Programmverantwortlichen stets erfüllt. Insofern gilt fur die redaktionelle Berichterstattung nichts anderes als fur die amtliche Öffentlichkeitsarbeit, die von ihrer eigentlichen Bestimmung her auch nicht der Parteiwerbung, sondern der Information der Öffentlichkeit und der Erläuterung staatsorganschaftlichen Handelns dient. Hier wie dort ist eine Verfehlung des ursprünglichen Handlungszwecks nicht ausgeschlossen. Und tig, sondern fungierten selbst als Grundrechtstrager, weshalb fur die Anwendung des § 5 PartG kein Raum sei. Nicht ganz eindeutig OVG Hamburg, NJW 1988, 928, das immerhin auf redaktionelle Sendungen § 5 I 2 u. 3 PartG - unmittelbar oder entsprechend? - anwendet. 2 2 6
Vgl. dazu BVerfGE 12, 205 (259f.); 57, 295 ( 319f.); 73, 118 (152).
2 2 7
Vgl. Löffler,
2 2 8
§ 25 LPG Rn. 72f.
Grundlegend Kelsen, S. 4ff., 11 Off.. Wie die Parteispendenaffaire gezeigt hat, besteht vorsichtig ausgedruckt - wenig Anlaß, dieses Axiom gerade fur den Bereich der öffentlichen Leistungen an die Parteien außer Kraft zu setzen.
C. Die öffentlichen Leistungen im einzelnen
65
hier wie dort ergibt sich der fur die Annahme einer öffentlichen Leistung konstitutive Leistungswille nicht aus dem objektiven Vorhandensein eines positiven Werbeeffekts, sondern aus bestimmten Indizien, die den Schluß darauf rechtfertigen, daß es den Programmverantwortlichen gerade auf ihn ankommt. Ein solches Indiz liegt insbesondere dann vor, wenn den politischen Parteien ein bloßes Forum zur Selbstdarstellung gegeben wird und eine redaktionelle Gestaltung nicht mehr ersichtlich ist. Auf diese Weise nähert sich die betreffende Sendung weitgehend der Überlassung von Sendezeit zur Ausstrahlung der von den Parteien selbst erstellten Wahlspots an - mit der Folge, daß sie wie jene auch als öffentliche Leistung qualifiziert werden kann 2 2 9 . In diesem Sinne kommen als Indizien für den Leistungscharakter einer Sendung in Betracht 230 : - geringer Anteil journalistischer Eigenleistung, - unsachgemäße Themen- oder Personenauswahl, - Beschränkung der Moderation auf die Vorstellung der Teilnehmer einer Diskussionsrunde, - bloße Stichwortvergabe durch die Journalisten, - Verzicht auf kritisches Nachhaken, - längere und von keiner Kommentierung unterbrochene Übertragung von Parteiveranstaltungen 231, - Übernahme von den Parteien erstellter Werbematerialien. Aber auch eine hinreichende redaktionelle Gestaltung schließt die Annahme einer öffentlichen Leistung an die Parteien nicht zwingend aus. Für eine Leistung kann insbesondere die Bevorzugung einzelner Parteien im Gesamtprogramm eines Rundfunkveranstalters und mangelnde Ausgewogenheit des Gesamtprogramms sprechen - etwa im Sinne eines "Regierungs-" oder "Oppositionsrundfunks" 232. Daneben kann auch die Einseitigkeit einer ein-
2 2 9 So auch Bolwin, AfP 1990, 166; ähnlich wohl Grupp, ZRP 1983, 29. Zu weitgehend Klapp, S. 98ff., der jede Unterscheidung zwischen Parteiwerbung und redaktionellem Programm ablehnt. 2 3 0 Die Übersicht orientiert sich z.T. an den von Grupp, ZRP 1983, 29ff., herausgearbeiteten Kriterien fur redaktionell gestaltete Rundfunksendungen vor Wahlen. 2 3 1 Musterfall war etwa eine Sendung "Deutschland heute abend: Der Wahlkampf vom 11.1.1987, die im wesentliche aus Live-Schaltungen zu den Hauptwahlkampfveranstaltungen von C D U , CSU, SPD, FDP und GRÜNEN bestand. Die Rolle der Moderatoren beschränkte sich dabei im wesentlichen auf die Ansage des jeweils nächsten Redners und eine kurze Zusammenfassung dessen, was dieser unter dem Jubel des Parteivolks schon zum Besten gegeben hatte. Hier liegt die Parallele zu den Wahlspots auf der Hand. 2 3 2 Verletzungen des Ausgewogenheitsgebotes, das in den meisten Staatsverträgen oder Landesrundfunkgesetzen verankert ist - siehe nur Art. 4 Π Nr.l BayRuFuG, §§ 5 IV WDR-Gesetz,
S Volkmann
66
§ 1 Der Untersuchungsgegenstand
zelnen Sendung ein taugliches Indiz liefern. Zwar darf nach überwiegender Auffassung die einzelne Sendung durchaus einseitig sein, weil sich das Ausgewogenheitsgebot nur auf das Gesamtprogramm bezieht 233 . Indes schließt das die Annahme einer öffentlichen Leistung nicht zwingend aus, und zwischen Einseitigkeit und Einseitigkeit besteht im Einzelfall durchaus ein Unterschied. Die unkritische Verbreitung von Erfolgsberichten, die herabsetzende Würdigung anderer Parteien, personenbezogene Sympathiewerbung, der Einsatz von PR-Methoden, das Fehlen eines aktuellen Anlasses fur eine Sendung, ein Zurücktreten des informativen Gehalts hinter der reklamehaften Aufmachung 234 , die offenkundige Bevorzugung eines bestimmten Teilnehmers in einer Diskussionsrunde 235, die Parteigebundenheit des für die Sendung verantwortlichen Journalisten oder Redakteurs 236, die Eingliederung einer Sendung in die laufende Wahlkampagne einer Partei - all das kann von Fall zu Fall durchaus den Schluß auf eine Leistung rechtfertigen. Erforderlich ist damit, ebenso wie bei der amtlichen Öffentlichkeitsarbeit, stets eine Gesamtschau der Indizien. Insoweit kann auf das zur Öffentlichkeitsarbeit Ausgeführte verwiesen werden. Ein Unterschied besteht allerdings: Der Grat zwischen Leistung und Nichtleistung dürfte noch um einiges schmaler sein.
5 Π SWF-Staatsvertrag -, lassen sich allerdings in bezug auf das Gesamtprogramm nur schwer feststellen, Löffler, § 25 LPG Rn. 76, und werden namentlich von Politikern häufiger behauptet, als sie tatsächlich vorliegen, vgl. Schneider, in: Aufermann/Scharf/Schlie, S. 121. Von daher kommen als Indiz fur das Vorliegen einer Leistung nur grobe und offenkundige Verletzungen des Ausgewogenheitsgebots in Betracht. Gegen Überbetonungen und Fehlinterpretationen auch AK - Hoffmann- Riem, Art. 5 Abs. 1,2 Rn. 176. 2 3 3 BVerfGE 12, 205 (262f.); 31, 314 (326); 57, 295 (322); Herrmann , Fernsehen und Hörfunk, S. 323ff.; BK - Degenhart, Ait. 5 Abs.l u.2 Rn 569 m.w.N.; enger Ossenbühl, DÖV 1977, 387; Löffler, § 25 LPG Rn.76: Ausgewogenheit auch fur Einzelsendungen mit erhöhter publizistischer Wirksamkeit. 2 3 4 Beachte jeweils die Parallele zur amtlichen Öffentlichkeitsarbeit, BVerfGE 44, 125 (150ff.), sowie oben Kap. V I I I . 2 3 5 Dazu Grupp, ZRP 1983, 29, mit dem Hinweis, in einem solchen Falle liege eine verdeckte Wahlwerbesendung vor. x Zwar dürfen sich auch die Mitarbeiter des öffentlich-rechtlichen Rundfunks durchaus parteipolitisch engagieren, Müller/Pieroth, Politische Freiheitsrechte, S. 37f, 51 f.. Das gilt jedoch nur, soweit die Parteigebundenheit nicht in die dienstliche Tätigkeit hineinwirkt (vgl. nur § 4 I I Nr.7 BayRuFuG), Müller/Pieroth, a.a.O., S.48f, 51f., und ändert nichts daran, daß die Parteigebundenheit eines Journalisten - freilich nur im Verein mit anderen Indizien - im Einzelfall durchaus ein Indiz fur eine Leistung darstellen kann.
C. Die öffentlichen Leistungen im einzelnen
67
3. Das Drittsendungsrecht in privaten Rundfunkanstalten Zu Wort kommen die Parteien aber auch andernorts: Die meisten der neueren Landesmediengesetze sowie der "Staatsvertrag zur Neuordnung des Rundfunkwesens" vom 1./3.4.1987 2 3 7 übertrugen die fur die Wahlwerbung im System der öffentlich-rechtlichen Anstalten geltenden Regelungen ohne viel Federlesen auf den privaten Rundfunk. So bestimmt etwa Art. 9 V 2, V I des Rundfunkstaatsvertrags, daß die politischen Parteien in bundesweit verbreiteten privaten Rundfunkprogrammen zur Vorbereitung von Wahlen zum Bundestag und zum europäischen Parlament angemessene Sendezeiten unter entsprechender Anwendung von § 5 PartG erhalten - woraus sich für die Parteien ein originärer und einklagbarer Anspruch gegen den Veranstalter des Programms ergibt: das sogenannte Drittsendungsrecht 238. Ähnliche Regelungen zumeist noch unter Einschluß der Landtagswahlen - bestehen in Bayern 239 , Bremen 240 , Hamburg 241 , Hessen 242 , Niedersachsen 243, Nordrhein-Westfal e n 2 4 4 , Rheinland-Pfalz 245, Schleswig-Holstein246 und im Saarland 247 . Der Veranstalter hat sich in der Regel mit der Erstattung seiner Selbstkosten zu bescheiden248; ein Entgelt wird ihm nur selten zugebilligt. Was die Wahlspots der Parteien anbelangt, sind also öffentlich-rechtlicher und privater Rundfunk schon weitgehend "harmonisiert". Der Parallelität der Regelungen enspricht, nicht weiter verblüffend, die Gleichartigkeit der vor den Gerichten ausgetragenen Konflikte: Schon wehren sich - nicht anders als im öffentlichen Rundfunk - radikalere Parteien gegen die Zensierung oder den 2 3 7 Mit Ratifizierungsnachweisen abgedruckt in der Sammlung Medienrecht I, Kap. C-0.1, hrsgg. von Wolf-Dieter Ring, Stand Juli 1991. 2 3 8
Zum Begriff Dehnen, DVBl. 1986, 18.
2 3 9
§ 25 I 4 MEG; siehe dazu die Wahlwerbesatzung vom 26.6.1990, StAnz. Nr. 31 vom 3.8.1990. 2 4 0
§ 20 I I BremLMG.
2 4 1
§ 25 I HmbMedienG.
2 4 2
§ 24 Π HPRG.
2 4 3
§ 21 I LandesrundfunkG.
2 4 4
§ 19 I I LRG NW.
2 4 5
§ 15 I 3 LandesrundfunkG.
2 4 6
§ 25 I LRG.
2 4 7
§ 9 II, IV 2 LandesrundfunkG.
2 4 8
So nach §§ 20 IV BremLRG, 25 IV HmbMedienG, 25 ffl LRG SH, 24 I I I HPRG, § 19 V LRG N W , § 9 IV Saarl. LandesrundfunkG; nicht ganz eindeutig § 9 V 2 2.Hs. Rundfunkstaatsvertrag und § 15 I 2 LandesrundfunkG Rhld.-Pf.. Einen Anspruch auf ein "angemessenes Entgelt" begründet - allerdings ohne diesen Begriff zu definieren - lediglich § 21 I 4 LRG SH. § 56 II LMedienG BW schweigt zu der Frage, was der Veranstalter für die Gewährung von Sendezeit verlangen kann. Für eine Beschränkung auf die Erstattung der Selbstkosten ist daher kein Raum. 5*
68
§ 1 Der Untersuchungsgegenstand
völligen Ausschluß ihrer Wahl Werbesendungen249, und die ersten Verteilungskämpfe um Anzahl und Sendezeit der Spots sind gleichfalls abzusehen. Es bleibt die Frage, ob das Drittsendungsrecht im Privatfunk ebenso wie sein öffentlich-rechtliches Spiegelbild als Zuwendung der öffentlichen Hand an die politischen Parteien begriffen werden kann. Sofern die Medien- und Rundfunkgesetze der Länder oder der Rundfunkstaatsvertrag einen Anspruch politischer Parteien und Wählervereinigungen gegen private Rundfunkanstalter auf Überlassung von Sendezeit zwecks Wahlwerbung begründen, ordnen sie, wie erwähnt, zugleich die entsprechende Anwendung von § 5 PartG a n 2 5 0 - was die Vermutung nahelegt, daß der Gesetzgeber selbst diese Überlassung nicht fur eine öffentliche Leistung hielt. Wäre sie es, wäre § 5 PartG als Grundnorm der Vergabe öffentlicher Leistungen nicht lediglich entsprechend, sondern unmittelbar anwendbar, ohne daß es einer ausdrücklichen diesbezüglichen Anordnung bedurft hätte. Indes ist zu differenzieren. Auf der einen Seite stammt der Vorteil, der den Parteien durch die Überlassung von Sendezeit im privaten Rundfunk zufließt, nicht aus öffentlichen Mitteln, sondern aus dem Vermögen der privaten Rundfunkveranstalter. Insoweit liegt auch keine öffentliche Leistung an die politischen Parteien v o r 2 5 1 . Der Rundfunkveranstalter, der den politischen Parteien Sendezeit überläßt, erfüllt damit einen durch die Landesrundfunkgesetze bzw. den Rundfunkstaatsvertrag begründeten Anspruch der Parteien und erbringt diesen gegenüber eine eigene und notwendig private Leistung 252 . Auf der anderen Seite geschieht das nicht freiwillig, sondern nur aufgrund einer bestehenden gesetzlichen Verpflichtung. Daß den Parteien ein Vorteil aus privatem Vermögen zufließt, beruht mit anderen Worten allein auf einer Entscheidung des Gesetzgebers. Diese gesetzgeberische Entscheidung wirkt, indem sie fur die Parteien einen Anspruch auf einen solchen Vorteil begründet, selbst vorteilsbegründend. Insoweit ist sie qua definitione auch Leistung, und zwar öffentliche Leistung - freilich der
2 4 9
Vgl. LG Mainz, NJW 1990, 2257, das unter Heranziehung der Rechtsprechung für die Wahlwerbesendungenden im öffentlich-rechtlichen Rundfunk die Verpflichtung des Privatsenders "SAT 1" zur Ausstrahlung eines Wahlspots der Republikaner feststellte. Siehe dazu die Besprechung von Gounalakis, NJW 1990, 2532. 2 5 0 Siehe etwa §§ 9 V 2 Rundftinkstaatsvertrag, 25 I HmbMedienG, 19 Π 2 LRG N W , 25 I 3 LRG SH, Art. 25 I 4 BayMEG. In § 55 Π LMedienG BW wird auf § 5 PartG verwiesen, wenn ein Veranstalter politischen Parteien Sendezeit gewährt, ohne daß ein originärer Anspruch der Parteien auf Sendezeitvergabe begründet wird. Ein solcher Verweis fehlt gänzlich im Saarl. Rundfunkgesetz. 2 5 1
Vgl. Ricker
y
Privatrundfiinkgesetze, S. 57.
Folgerichtig sind etwa Rechtsstreitigkeiten vor den Zivilgerichten auszutragen, vgl. LG Mainz, NJW 1990, 2557.
C. Die öffentlichen Leistungen im einzelnen
69
Sonderfall einer nur mittelbaren Leistung, bei der der endgültige Vorteil aus dem Vermögen eines Dritten stammt 253 . Damit liegt eine gleichsam doppelte Leistungsbeziehung v o r 2 5 4 . Ihr entspricht es, daß § 5 PartG in den aufgeführten Vorschriften lediglich für entsprechend anwendbar erklärt wird. Da einerseits in der konkreten Überlassung von Sendezeit allein eine private Leistung der Rundfunkveranstalter an die Parteien liegt, gilt § 5 PartG nicht von sich aus 2 5 5 . Da aber andererseits der Gesetzgeber durch die Begründung einer Verpflichtung zur Überlassung von Sendezeit eine öffentliche Leistung an die Parteien erbracht hat, war er auch an die Schranken gebunden, die bei der Vergabe öffentlicher Leistungen gemeinhin bestehen. Zu respektieren war, als A und Ο jeder Leistungsvergabe, vor allem die Chancengleichheit der Parteien - der der Gesetzgeber durch die Übertragung des § 5 PartG meinte Rechnung tragen zu müssen.
4. Die Zulassung von Parteien als Rundfiinkveranstalter Einige der neueren Mediengesetze räumen darüber hinaus den Parteien stillschweigend das Recht ein, selbst Rundfunk zu veranstalten 256. Auch dabei handelt es sich um eine öffentliche Leistung. Hier wird man freilich - anders als im Falle des soeben erörterten Drittsendungsrechts - nicht unbedingt auf die gesetzgeberische Grundentscheidung rekurrieren müssen, um den Leistungscharakter zu begründen; auch der individuelle Akt der administrativen 2 5 3
Vergleichbar wäre etwa eine gesetzlich statuierte Verpflichtung des einzelnen, jährlich einen bestimmten Geldbetrag fur die politischen Parteien zu spenden - eine Idee, auf die schon Eschenburg, S. 40, verfallen ist. Zur Frage, ob die Begründung des Drittsendungsrechts fur die Kirchen eine öffentliche Leistung an diese darstellt, vgl. Lorenz, S. 43 einerseits, Dehnen, DVBl. 1986, 22 andererseits. 2 5 4 Von einer solchen doppelten Leistungsbeziehung wird man im Grunde bei jeder öffentlichen Leistung ausgehen müssen. So kann man etwa auch bei der Wahlkampfkostenerstattung unterscheiden zwischen der Vorteilsgewährung, die in der Begründung eines Rechtsanspruchs auf diese Erstattung durch Gesetz liegt, und deijenigen, die in der endgültigen Auszahlung der nach dem Gesetz zu erstattenden Beträge liegt. In einer solchen Differenzierung setzte sich lediglich die allgemeine Unterscheidung zwischen Gesetzgebung als Anordnung einer Maßnahme und Verwaltung als deren Vollzug fort. Die Annahme einer doppelten Leistungsbeziehung macht in diesen Fällen jedoch wenig Sinn, weil das Handeln von Gesetzgebung und Verwaltung derselben Körperschaft zugerechnet wird und deren Vermögen eine Einheit bildet. Anders liegt es hier, wo - untechnisch gesprochen - einem Dritten die Rolle aufgebürdet wird, die ansonsten der Verwaltung zukommt. 2 5 5 2 5 6
Ricker y Verfassungsrechtliche Aspekte, S. 158.
Vgl. § 23 I Nr.4 LMedienG BW; § 2 IV KPPG; § 5 LandesnindfunkG Rhld.-Pf.. Wären die Parteien hier von der Veranstaltung von Rundfunk ausgeschlossen, hätte dies im Gesetz seinen Niederschlag finden müssen. Ein solcher Ausschluß ist vorgesehen in § § 6 IV Nr.4 BremLMG, 17 I 2 HmbMedienG, 5 Π Nr.4 HPRG, 5 Π Nr. 3 LRG N W , 7 ΠΙ LRG SH, 40 II Nr.3 Saarl. LandesnindfunkG, Art. 25 I 5 BayMEG.
70
§ 1 Der Untersuchungsgegenstand
Zulassung einer Partei zum Rundfunk durch die dafür zustandige Landesmedienanstalt oder eine Behörde stellt eine öffentliche Leistung dar. Insofern gilt nichts anderes als etwa fur die Erteilung der Sondernutzungserlaubnis, die die Benutzung des öffentlichen Straßenraums zum Zwecke der Plakatwerbung gestattet. Die Zuteilung von Frequenzen fur die Ausstrahlung von Rundfunk ist - schon angesichts der lockenden Gewinne - Gewährung eines Vermögenswerten Vorteils, der sich als öffentliche Leistung begreifen läßt. In Anspruch genommen worden ist diese Leistung von den Parteien freilich noch nicht was, wie noch zu zeigen sein wird, auch durchaus zu begrüßen i s t 2 5 7 .
XII. Übermittlung
von Wählerlisten
aus dem Melderegister
Eine als solche nahezu unbemerkte öffentliche Leistung liegt schließlich in einem Sonderservice, den die Kommunalverwaltungen Parteien und Wählergruppen vor den Wahlen auf der Grundlage von § 22 MRRG und den entsprechenden Regelungen der Meldegesetze der Länder 258 offerieren: der Erteilung einer sogenannten Gruppenauskunft aus dem Melderegister über Vorund Familiennamen, Anschriften und akademische Grade der Wahlberechtigten. Machen die Meldebehörden, bisweilen unter Protest der betroffenen Bürg e r 2 5 9 , von der ihnen durch diese Vorschriften eingeräumten Befugnis Gebrauch und erteilen die erbetene Auskunft, ermöglichen sie es den Parteien, einzelne Wähler gezielt anzusprechen bzw. anzuschreiben oder ihnen Postwurfsendungen durch die Bundespost zustellen zu lassen - was, am Rande bemerkt, fur die Parteien den angenehmen Nebeneffekt hat, auf diese Weise die der Verteilung von bunten Broschüren, Prospekten oder Flugblättern hinderlichen Aufkleber mit der kategorischen Aufforderung "Keine Werbung!" an so manchen Briefkästen, die prinzipiell auch fur politische Werbung gelt e n 2 6 0 , auszuschalten261. Eine Hilfestellung dieser Art läßt sich durchaus als öffentliche Leistung qualifizieren. Die Übermittlung der Wählerliste selbst ist 2 5 7
Dazu § 3 C ΠΙ 4 und D i l .
2 5 8
Siehe etwa Art. 35 BayMeldeG, § 35 HessMeldeG, § 34 Nds. MeldeG, § 35 M G Saarland, § 35 M G RhldPf., § 35 HmbMG, § 35 MeldeG NW. In den neuen Bundesländern gilt das MRRG bis zum Inkrafttreten neuer Meldegesetze nach Maßgabe von Anl.I, Kap.D, Sachgeb. C Ab sehn. ΠΙ Nr.4 des Einigungsvertrages unmittelbar. 2 5 9
Vgl. OVG Berlin, DVBl. Fuchs/Simanski, NJW 1990, 2984.
1985,
534; V G
2 6 0 OLG Bremen, NJW 1990, 2140; Fuchs/Simanski, NJW 1990, 437f..
Gelsenkirchen,
NJW
1990,
1807;
NJW 1990, 2983f.,; a.M. Löwisch,
2 6 1 Nach V G H Baden-Württemberg, NJW 1990, 2145, ist nämlich die Post zur Aussonderung von Weibesendungen und zur Beachtung entsprechender Aufkleber nicht verpflichtet. Ein entgegenstehender Aufkleber wird dadurch praktisch wirkungslos, Fuchs/Simanski, NJW 1990, 2984.
C. Die öffentlichen Leistungen im einzelnen
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der Vorteil, der den Parteien zufließt. Dieser hat auch, wie es fur die Annahme einer Leistung erforderlich ist, einen eigenen Vermögenswert, weil er den Parteien anderweitige und kostenintensivere eigene Ermittlungen erspart.
§ 2 Die Funktion der Parteien im politischen Prozeß - Regulativ öffentlicher Leistungen? Was die Verfassung der Bundesrepublik zu dem Problem der Gewährung öffentlicher Leistungen an die politischen Parteien zu sagen hat, ist auf den ersten Blick nur schemenhaft erkennbar. Zwar sind die Parteien - im Gegensatz zur Weimarer Reichsverfassung, die ihre Existenz nur am Rande und mit der Formel "Die Beamten sind Diener der Gesamtheit, nicht einer Partei" (Art. 130 I) eher geringschätzig zur Kenntnis nahm1 - im Grundgesetz immerhin mit einem eigenen Artikel, dem Art. 21 GG, präsent. Aber aus sich heraus verständliche Direktiven zur Vergabe von öffentlichen Leistungen und zum Umgang mit ihnen gibt es nicht. Art. 21 I 4 bestimmt insofern lediglich, daß die Parteien über die Herkunft ihrer Mittel und die Verwendung ihrer Einnahmen öffentlich Rechenschaft ablegen sollen, und wenn Art. 21 I 1 GG den Parteien vieldeutig die Aufgabe zuweist, bei der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken, trägt das auch nicht unbedingt zur Präzisierung bei. Die Aussagen der Verfassung über das Ob und Wie öffentlicher Leistungen sind reichlich sibyllinischer Natur. "Das Nähere", heißt es folgerichtig in Abs. 3, "regelt ein Bundesgesetz". Wo aber findet sich - in bezug auf die öffentlichen Leistungen - "das Nähere"? Im Grundgesetz offenbar nicht, wenn man dieses beim Wort nimmt. Vor allem: Was ist "das Nähere"? Welches sind die Vorgaben der Verfassung, an die sich eine Regelung, die nur "das Nähere" sein darf, zu halten hat, und wo enden sie? Wo, mit anderen Worten, beginnt die unbeschränkte Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers oder der Verwaltung? Die Antworten auf diese Fragen füllen ganze Bibliotheken. Der Undeutlichkeit der Vorgaben entspricht es, daß sie höchst unterschiedlich ausfallen 2. Nicht einmal die obersten Gerichte der Bundesrepublik haben hier bislang für Klarheit sorgen können. Die Judikatur des BVerfG zum Komplex der öffentlichen Leistungen zeichnet sich schon fur sich genommen nicht gerade durch Kontinuität oder Stringenz aus3, und gelegentlich treten in der Rechtsprechung deutlich gegenläufige Tendenzen zutage. So scheint etwa das BVerfG bei allem Hin und Her auf dem Standpunkt zu stehen, aus dem 1 Diese geflissentliche Ignorierung entsprach freilich schon damals nicht der soziologischen Realität, vgl. nur Radbruch, in: Anschätz/Thoma Bd.I, S. 285ff., 288ff. 2 3
Grimm, in: Bendai Maihof er! Vogel, S. 349f.
Siehe einstweilen nur die Kritik von Günther, KJ 1988, 420f., AK - Preuß, Art.21 Abs.1,3 Rn. 78f.
Α. Die Staats- und Parteientheorie des BVerfG
73
Grundgesetz ergebe sich ein partielles - auf bestimmte Leistungen oder allgemein auf den Umfang einer Leistungsgewährung beschränktes - Leistungsverbot, während das BVerwG ein ums andere Mal dazu neigt, aus der Rolle der Parteien im System der politischen Willensbildung Ansprüche auf einzelne Leistungen abzuleiten. Angesichts des unklaren Normenbestandes verwundern derlei Divergenzen nicht.
A. Die Staats- und Parteientheorie des BVerfG und ihre Auswirkungen in der Praxis Die Frage, ob und in welchem Umfang öffentliche Leistungen an die politischen Parteien statthaft sind, schien zunächst geprägt von der Rechtsprechung des BVerfG. Hatte dieses noch im ersten Parteienfinanzierungsurteil vom 24.6.1958 auf eine Normenkontrollklage der hessischen Landesregierung gegen die Gewährung von Steuervergünstigungen fur Parteispenden - wenngleich eher beiläufig - erklärt, eine staatliche Parteienfinanzierung sei wegen der Unentbehrlichkeit der Parteien bei der Durchführung von Wahlen grundsätzlich zulässig4, so vollzog es, nachdem die Parteien das Urteil zum Anlaß genommen hatten, sich aus Haushaltsmitteln direkte staatliche Zuschüsse "zur Förderung der politischen Bildungsarbeit" zu bewilligen, im sogenannten Hessenurteil vom 19.7.1966 auf eine wiederum von der hessischen Landesregierung angestrengte Normenkontrollklage eine radikale Kehrtwendung5. Mit dem "freien und offenen Prozeß der Meinungs- und Willensbildung des Volkes", für den sich das Grundgesetz entschieden habe, sei , so meinte das BVerfG, "eine Finanzierung der gesamten politischen Tätigkeit der Parteien von Staats wegen" nicht zu vereinbaren 6. Wie die Karlsruher Richter zu diesem nach dem vorausgegangenen Urteil und der zuvor durchaus parteienfreundlichen Judikatur7 nicht unbedingt zu erwartenden Ergebnis kamen, ist Gegenstand unzähliger wissenschaftlicher Erörterungen geworden. Die Argumentation des BVerfG läßt sich etwa in Form der folgenden fünf Thesen wiedergeben:
4
BVerfGE 8, 51 (Ls.l, 63); ebenso 12, 276 (280).
5
BVerfGE 20, 56.
6
BVerfGE 20, 56 (97).
7 Vgl. BVerfGE 1, 208 (225flf.); 4, 27 (28ff.). Geprägt wurde die Rechtsprechung des BVerfG in den Anfangsjahren vor allem durch Gerhard Leibholz und dessen Paiteienstaatstheorie; dazu unten Kap. D ΙΠ.Bezeichnenderweise wurde Leibholz im Verfahren über die Verfassungsmaßigkeit der Zuschüsse zur Förderung der politischen Bildungsarbeit wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt, BVerfGE 20, 1 , 9 und 26.
74
§ 2 Die Funktion der Parteien als Regulativ öffentlicher Leistungen
(1) Staat und Volk sind - dies die unausgesprochene Prämisse des BVerfG zwei grundsätzlich voneinander geschiedene Sphären. Enstprechend müssen, trotz vielfältiger Verschränkungen 8, auch die staatliche Willensbildung durch die verfaßten Organe und die Willensbildung des Volkes auseinandergehalten werden; beide fallen nur dann zusammen, wenn das Volk in Wahlen und Abstimmungen die Staatsgewalt ausübt9. (2) Diese Willensbildung hat sich, dem Demokratieprinzip Rechnung tragend, vom Volk zu den Staatsorganen hin, nicht umgekehrt zu vollziehen; der - grundrechtlich durch die Art. 5, 8, 9, 17 GG, darüber hinaus durch die Art. 21, 18, 38 GG abgesicherte10 - Prozeß der Meinungs- und Willensbildung des Volkes muß grundsätzlich "staatsfrei" bleiben 11 . (3) Die Parteien wirken an der politischen Willensbildung des Volkes mit; sie stehen - als "Mittler", "Zwischenglieder", "Sprachrohr" - zwischen Volk und Staat, ermöglichen die "Vorformung" des politischen Willens und beeinflussen die Bildung des Staatswillens12. (4) Mit diesen Prinzipien ist die "Einfügung der Parteien in den Bereich der organisierten Staatlichkeit" oder eine Verschränkung mit diesem Bereich nicht vereinbar 13. (5) Eine staatliche Parteienfinanzierung müßte, weil sie die Parteien der staatlichen Vorsorge überantwortet, eben diese Verschränkung zur Folge haben 1 4 . Damit schien ein unumstößliches Prinzip errichtet worden zu sein - das Prinzip der Unzulässigkeit der staatlichen Parteienfinanzierung. Zu seiner Absicherung hatte das BVerfG noch mit einer zweiten Begründungslinie operiert und sich ergänzend auf das "Leitbild der Partei" nach Art. 21 GG berufen. Art. 21 GG habe, so das Gericht, an der überkommenen, schon in der Weimarer Republik anerkannten "Struktur der Parteien als frei konkurrierender und aus eigener Kraft wirkender Gruppen nichts ändern wollen" und verwehre 8
BVerfGE 20, 56 (99).
9
BVerfGE 20, 56 (98).
1 0
BVerfGE 20, 56 (98).
11
BVerfGE 20, 56(99).
1 2
BVerfGE 20, 56 (99).
1 3
BVerfGE 20, 56 (lOlf.).
1 4
BVerfGE 20, 56 (102). In späteren Entscheidungen leitete das BVerfG dieses Ergebnis noch aus der Parteienfreiheit ab, vgl. BVerfGE 24, 300 (359f.); 73, 40 (66); ebenso Zweigert, in: Festschrift für Arndt, S. 507f.. Der Begriff "Parteienfreiheit" steht dabei freilich weniger fur einen eigenständigen und aus sich heraus interpretierbaren Rechtssatz als vielmehr fur die zusammenfassende Umschreibung des verfassungsrechtlichen Status der Parteien, wie ihn das BVerfG zuvor formuliert hat. In wieder anderer Bedeutung taucht die Formel von der "Staatsfreiheit" jetzt in BVerfG NJW 1991, 2472 (2473) auf.
Α. Die Staats- und Parteientheorie des BVerfG
75
es, "ihre finanzielle Sicherung zu einer Staatsaufgabe zu machen"15 - erneut eine der Formulierungen, die, versehen mit dem Anspruch auf Allgemeingültigkeit, den Anschein erwecken, als habe es das BVerfG auf ein generelles und unbeschränktes Verbot öffentlicher Leistungen an die politischen Parteien abgesehen. Doch der Schein trügt. Eine Ausnahme vom soeben erst etablierten Grundsatz der Unzulässigkeit einer allgemeinen staatlichen Parteienfinanzierung ließ das Gericht im Hessenurteil selbst zu, als es, ohne danach gefragt worden zu sein, die den Parteien entstehenden notwendigen Kosten eines angemessenen Wahlkampfes fur prinzipiell erstattungsfahig erklärte 16 . Rechtfertigung dieser Ausnahme: Die Parlamentswahlen, jener fur die Willensbildung im demokratischen Staat entscheidende Akt, deren Abhaltung eine öffentliche Aufgabe sei und fur deren Durchführung der Staat die erforderlichen Mittel bereitzustellen habe, könnnten ohne die politischen Parteien nicht durchgeführt werden. Und weil die auf die Wahlen bezogene Tätigkeit der Parteien von ihrer sonstigen Tätigkeit hinreichend abgrenzbar sei, erscheine die Erstattung der Wahlkampfkosten als verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden17. Damit war eine Spielart direkter finanzieller Zuwendungen an die Parteien vom Verdikt des BVerfG von vornherein ausgenommen. Augenscheinlich war es der Leistungszweck, der exkulpierend wirkte: Die Finanzierung der allgemeinen politischen Tätigkeit hielt der Senat fur verfassungswidrig, die Finanzierung des Wahlkampfes hingegen nicht 18 . Aber auch sonst ist durch das Hessenurteil nicht jede Zuwendung von Staatsmitteln an die politischen Parteien untersagt worden. Sachleistungen der öffentlichen Hand etwa - wie die Gewährung kostenloser Sendezeiten durch die Rundfunkanstalten oder die Überlassung von Freiflächen zur Plakatwerbung - scheinen von dem höchstrichterlichen Spruch von vornherein nicht erfaßt, weil die Ausführungen in den Leitsätzen und Entscheidungsgründen offenbar nur auf die "Finanzierung" im eigentlichen Sinne, also auf die Vergabe von Geldern, abzielen 19 . Freilich: Auch Sachleistungen lassen sich fallweise quantifizieren; auch ihnen kommt regelmäßig ein zahlenmäßig bestimmbarer finanzieller Wert zu, der sich - um nur ein bereits erwähntes Beispiel aufzugreifen - etwa
1 5
BVerfGE 20, 56 (107ff.).
1 6
BVerfGE 20, 56 (113ff.).
1 7
A.a.O.
1 8
Daß darin ein kaum zu behebender innerer Widerspruch des Urteils liegt, ist vielfach kritisiert worden; siehe nur Zwirner, AöR 93, 1 lOf. (Fn.72). 1 9 BVerfGE 20, 56 (Ls.4 u.5; 96ff.). In den voraufgegangenen Entscheidungen hatte das Gericht die Zulässigkeit derartiger Leistungen ohne weiteres unterstellt, vgl. BVerfGE 7, 99; 14,
121.
76
§ 2 Die Funktion der Parteien als Regulativ öffentlicher Leistungen
fur die von ARD und ZDF anläßlich der Bundestagswahl vom 2.12.1990 ausgestrahlten Wahlspots der Parteien auf ca. 46,4 Mio. D M belief 20 . Schon in dieser Quantifizierbarkeit von Sachleistungen liegt ein erster Fingerzeig dafür, daß sich die praktische Tragweite des Hessenurteils nicht ganz einfach bestimmen läßt. Nichts anderes gilt fur die Parteienfinanzierung im eigentlichen Sinne. Einzelne Passagen aus der Begründung der Entscheidung ließen sich bei unbefangener Betrachtung noch als restriktiv zu handhabendes Verbot jeder zweckfreien Subventionierung der politischen Parteien interpretieren - etwa der Obersatz, es sei mit Art. 21 und 20 I I GG nicht zu vereinbaren, "den Parteien Zuschüsse aus Haushaltsmitteln fur ihre gesamte politische Tätigkeit zu gewähren" 21, oder jene Stelle, an der es heißt, eine "teilweise Staatsfinanzierung der politischen Parteien durch jährliche oder monatliche Zahlungen fur ihre gesamte politische Tätigkeit" stelle eine unzulässige, weil durch keinen verfassungsrechtlichen Grund legitimierte Einwirkung auf den Prozeß der Meinungs- und Willensbildung dar 2 2 . Passagen wie diese konnten den Schluß nahelegen, künftig sei nur die Vergabe streng zweckgebundener Zuschüsse statthaft 23; der einzig zulässige Leistungszweck, der auch den Umfang der Gewährung begrenze und determiniere 24, liege dabei in der Erstattung der Kosten eines Wahlkampfes. Das BVerfG selbst allerdings hat eine solch drastische Konsequenz später nicht gezogen. Im Parteiengesetzurteil vom 3.12.1968 erklärte es die die durch § 18 I PartG vorgenommene Pauschalierung der Wahlkampfkosten auf einen bestimmten Erstattungsbetrag pro Wahlberechtigten fur verfassungsgemäß, und dies unter ausdrücklicher Einbeziehung des Falles, daß der Erstattungsbetrag die real entstandenen Wahlkampfkosten übersteigt 25. Wenn das BVerfG diesen Fall auch fur "außerordentlich unwahrscheinlich" hielt, so löste es auf diese Weise doch den tatsächlichen Zusammmenhang zwischen dem Grund der Kostenerstattung - dem Wahlkampf - und der Kostenerstattung selbst erstmals auf und erlaubte in Höhe des überschießenden Betrages eine Finanzierung der allgemeinen politischen Tätigkeit der Parteien 26. Denn wofür sonst soll dieser Betrag auch verwendet werden? Die Parteien jedenfalls machten von der ihnen erteilten Erlaubnis weidlich Gebrauch. Die Wahl-
2 0 Siehe oben § 1 C X I 1. Folgerichtig rechnet Bericht 1983, S. 89, geldwerte Dienstleistungen wie diese zu den "Einnahmearten". 2 1
BVerfGE 20, 56 (97).
2 2
BVerfGE 20, 56 (102).
2 3
So wohl auch H.H.Klein , NJW 1982, 736.
2 4
Siehe BVerfGE 20, 56 (115): "Erstattungsfahig sind nur die tatsachlichen Ausgaben, die im unmittelbaren sachlichen Zusammenhang mit dem Wahlkampf stehen." 2 5
BVerfGE 24, 300 (335f.)
Α. Die Staats- und Parteientheorie des BVerfG
77
kampfkostenpauschale wurde von ursprünglich 2,50 D M im Jahre 1967 auf mittlerweile 5 D M im Jahre 1983 erhöht und liegt in einzelnen Bundesländern gar bei 6,25 D M 2 7 . Zwar scheint nach den zuletzt veröffentlichten Rechenschaftsberichten der Parteien die Konnexität von Leistungszweck und Leistungsumfang noch gewahrt, weil die "wahlkampfbezogenen Kosten", von denen in den Rechenschaftsberichten der Parteien die Rede ist, zumeist um einiges unter dem Erstattungsbetrag liegen 28 . Dabei ist freilich ungewiß, was sich hinter dem Begriff der "wahlkampfbezogenen Kosten" verbirgt 29 . Da dessen Inhalt von jeder Partei selbst und nach eigenem Gutdünken bestimmt werden kann, gibt es keinerlei Möglichkeiten der Kontrolle. Der ursprünglich geforderte tatsächliche Zusammenhang zwischen dem Grund der Kostenerstattung, dem Wahlkampf, und der Kostenerstattung selbst kann demnach bestehen, er kann aber auch nicht bestehen - was nur eine Umschreibung fur den in der Natur jeder Pauschalierung liegenden Umstand ist, daß es auf diesen tatsächlichen Zusammenhang weiter nicht mehr ankommt 30 . Angesichts der definitorischen Freiheiten der Parteien wird das Auseinanderfallen von tatsächlichen Wahlkampfkosten und dem ausgezahlten Erstattungsbetrag allerdings nur selten so offenbar wie im Falle der GRÜNEN, deren Rechenschaftsbericht fur die Europawahl 1984 eine Erstattung von rund 19 Mio. D M gegenüber "wahlkampfbezogenen Kosten" von rund 9,6 Mio D M auswies31. Auf vereinzelte "Ausreißer" wie diese muß man indes gar nicht erst zurückgreifen, weil schon die Pauschalierung als Prinzip den tatsächlichen Zusammenhang zwischen Leistungszweck und Leistung nur noch nominell wahrt, während sie ihn in Wahrheit doch auflöst 32. Gleiches gilt im Ergebnis fur die Zulassung von Abschlagszahlungen auf künftige Wahlkämpfe durch § 20
2 6 Vgl. Randelzhofer, JZ 1969, 536; Grimm, in: Bendai Maihof er! Vogel, S. 352; Naßmacher, Aus Politik und Zeitgeschichte, Beil. zur Wochenzeitung Das Parlament, Β U/1989, S. 28. 2 7
Siehe oben § 1 C I.
2 8
Vgl. die Rechenschaftsberichte 1989, BT-Drocks. 11/8130, S. 16f., 34f., 54f., 70f., 99f..
2 9 Von Arnim, Die neue Parteienfinanzierung, S. 98ff.; Kaufher, rung, S. 124ff., der auch auf Manipulationsmöglichkeiten eingeht.
in: Wewer,
Parteienfinanzie-
30
J Eine - freilich ihrerseits nur beschrankt wirksame - Ausnahme macht insoweit lediglich Art. 60 ΠΙ, I V BayLWahlG. Danach müssen die Parteien glaubhaft machen, daß der auszuzahlende Erstattungsbetrag die tatsachlich entstandenen Kosten nicht übersteigt; andernfalls ist der Erstattungsbetrag neu festzusetzen. 3 1 BT-Dmcks. 10/4104, S. 46. Noch weiter klaffte die Lücke zwischen den tatsachlichen entstandenen und den erstatteten Kosten zwischenzeitlich bei den Republikanern. Hier standen etwa im Rechenschaftsbericht 1989 Einnahmen aus der Wahlkampfkostenerstattung in Höhe von 17,4 Mio. D M wahlkampfbezogenen Aufwendungen in Höhe von 2,9 Mio. D M gegenüber, BTDrucks. 12/72, S. 27, 29; das entspricht einem Verhältnis von sechs zu eins. Kritisch zum Verhältnis von Einnahmen und Ausgaben vor allem bei Europawahlen DER SPIEGEL Nr.26/1989, S. 31. 3 2
Richtig Randelzhofer,
JZ 1969, 535f.; genau entgegengesetzt BVerfGE 24, 300 (336).
78
§ 2 Die Funktion der Parteien als Regulativ öffentlicher Leistungen
PartG, die das BVerfG im Parteiengesetzurteil absegnete33 und die im Ergebnis einer dauernden Alimentierung der Parteien gleichkommt34. Das Gericht blieb dabei aber nicht stehen. In der steuerlichen Begünstigung von Spenden und Beiträgen an politische Parteien gemäß §§ 10b, 34g EStG, 9 Nr. 3 KStG und dem " Chancenausgleich " des § 22a PartG konnte es ausweislich der Entscheidung vom 14.7.1986 einen Verstoß gegen den im Hessenurteil postulierten Grundsatz der "Staatsfreiheit" der politischen Parteien ebenfalls nicht entdecken35. Damit war nicht nur einer Variante der mittelbaren Parteienfinanzierung, wie sie in der Gewährung von Steuervorteilen fur Zuwendungen Privater an die politischen Parteien liegt, die höchstrichterliche Absolution erteilt worden. Zum ersten Mal nach der Zulassung der Wahlkampfkostenerstattung waren auch direkte und unverschleierte Zuschüsse aus dem Staatshaushalt, wie sie durch den Chancenausgleich erfolgen 36, als verfassungsgemäß bestätigt worden. Die auf diese Weise erschlossenen Geldquellen dienen den Parteien zu nichts anderem als zur Finanzierung ihrer allgemeinen politischen Tätigkeit: Die Zahlungen erfolgen - ebenso wie bei den "Zuschüsse zur Förderung der politischen Bildungsarbeit der Parteien", um die es im Hessenurteil ging - in jährlichen Abständen; die Parteien unterliegen in der Verwendung der Beträge weder rechtlichen noch faktischen Bindungen; einen Bezug zu den Kosten der Wahlkampffuhrung gibt es nicht 37 . Warum also fielen die Zuwendungen aus dem Chancenausgleich nicht unter das vom BVerfG im Hessenurteil aufgestellte Verdikt? Das Gericht selbst bemühte sich um eine Erklärung und stellte auf den Sachzusammenhang zwischen steuerlicher Begünstigung von Spenden einerseits und der Regelung des Chancenausgleichs andererseits ab. Beide seien wechselseitig aufeinander bezogen, der Chancenausgleich diene der Neutralisierung des einer Partei aus dem staatlichen Steuerverzicht entstehenden Vorteils, alle in die Berechnung einfließenden Faktoren seien am Bürgerwillen 3 3
BVerfGE 24, 300 (347ff.).
3 4
Groß, DÖV 1968, 83; AK - Preuß, Art. 21 Abs. 1, 2 GG Rn. 79. Wie sehr der Bezug zu den tatsächlichen Kosten eines Wahlkampfes mittlerweile abhanden gekommen ist, zeigt auch der Versuch des Gesetzgebers, die Wahlkampfkostenerstattung der Höhe nach zu begrenzen. Wenn § 18 V D PartG die Gesamteinnahmen der Parteien als Obergrenze der Wahlkampfkostenerstattung festsetzt, so ist damit zwar möglicherweiserweise den Anforderungen des Hessenurteils Rechnung getragen, zugleich aber ein Kriterium gewählt, das mit den Wahlkampfkosten selbst überhaupt nichts mehr zu tun hat. 3 5 3 6
BVerfGE 73, 40.
Daß es sich hierbei um eine direkte staatliche Parteienfinanzierung handelt, wird man schon zugeben müssen, vgl. Meyer, S. 362f.. Selbst Friauf, Aus Politik und Zeitgeschichte, Β 8/1984, S. 6, muß insoweit einräumen, "rein formar bzw. "formell" treffe diese Behauptung zu. Da es indes hier zunächst um eine ausschließlich formale Kategorie geht, ist mehr auch nicht erforderlich. 37 Ein solcher wird auch durch § 22 Π 4 PartG nicht hergestellt, der lediglich eine willkürlich gesetzte Nennziffer fur die Höhe der Chancenausgleichszahlungen enthält.
Α. Die Staats- und Parteientheorie des BVerfG
79
orientiert 38. Ob und inwieweit diese Begründung zutrifft, kann hier einstweilen dahinstehen39. Festzuhalten ist an dieser Stelle allein, daß mit der höchstrichterlichen Billigung des § 22a PartG die Differenzierung bei der Zulässigkeit staatlicher Zuwendungen nach deren Verwendungszweck - Finanzierung der allgemeinen politischen Tätigkeit nein, Finanzierung eines Wahlkampfes ja - offensichtlich aufgegeben worden ist. Folgerichtig wird der Verwendungszweck, anders als im Hessenurteil, in der Entscheidung vom 14.7.1986 nicht einmal mehr erwähnt. Statt dessen rekurriert das BVerfG auf die Funktion der Chancenausgleichsregelung, die Wahrung der Chancengleichheit zwischen den Parteien, sowie auf den Sachzusammenhang, in den sie gestellt worden ist - was indessen nichts zu tun hat mit der Fixierung eines Verwendungszwecks fur die aufgrund dieser Regelung den Parteien zufließenden Mittel, wie sie im Hessenurteil vorgenommen und im Parteiengesetzurteil vom 3.12.1968 zumindest nominell noch aufrechterhalten wurde. Entsprechend allgemein formulierte das Gericht, der Staat sei an "finanzieller Förderung" der Parteien "nicht gehindert, sofern hierdurch die politischen Parteien nicht der staatlichen Vorsorge überantwortet" würden "und die vom Grundgesetz gewährleistete Offenheit des Prozesses der politischen Willensbildung nicht beeinträchtigt" werde 40 . Darin lag der vorerst letzte Karlsruher Schritt zur Ermöglichung einer allgemeinen Basisfinanzierung der politischen Parteien. Die Umgestaltung des Chancenausgleichs im Jahre 1988, auf die noch zurückzukommen sein wird 4 1 , hat diese Tendenz weiter verstärkt 42. Die praktischen Auswirkungen der Staats- und Parteientheorie des BVerfG und seiner "Staatsfreiheits"-Doktrin hielten sich nach alldem in Grenzen 43 . Man wird zwar, weil das BVerfG verbal nach wie vor an ihr festhält 44, wohl davon ausgehen können, daß es auch künftig die Bewilligung solcher Geldmittel für verfassungswidrig erklären wird, die weder als Wahlkampfkostenerstattung deklariert noch nach Wirkungszusammenhang oder Funktion als aliud zum Streitgegenstand im Hessenurteil, den "Zuschüssen zur Förderung der politischen Bildungsarbeit der Parteien", ausgewiesen sind. Aber damit hat es sich im wesentlichen auch schon. Ob eine Staatsfinanzierung der
3 8
BVerfGE 73, 40 (86ff.).
3 9
Dazu unten Kap. C I V 4 Mitte. Zustimmend etwa Hettich, S. 166f.
4 0
BVerfGE 73, 40 (86).
4 1
Unten § 3 D Π 1 d bb.
4 2
Naßmacher, Aus Politik und Zeitgeschichte, Β 11/1989, S. 36f..
4 3 So schon Zwirner, AöR 93, 110, der treffend bemerkte, der Hauptteil der Entscheidung sei "angesichts der Zulassung der Wahlkampfkostenerstattung nur noch von theoretischem Interesse. 4 4
BVerfGE 52, 63 (82ff.); 73, 40 (84ff.).
80
§ 2 Die Funktion der Parteien als Regulativ öffentlicher Leistungen
Parteien zulässig ist oder nicht, dürfte künftig allein vom gestalterischen Geschick des Gesetzgebers - man mag auch sagen: von der von ihm jeweils gewählten Sprachregelung - abhängen. Das Hessenurteil hat also, entgegen so mancher Interpretation 45, die Finanzierung der allgemeinen Tätigkeit der politischen Parteien nicht verhindert. Es hat dem Anteil der Staatsfinanzierung an den Gesamteinnahmen einer Partei nicht einmal eine Beschränkung in der Höhe auferlegt. Auch hier konnte freilich ein unbefangener Leser, der gewohnt ist, Geschriebenes ab und an auch beim Wort zu nehmen, zunächst noch anderer Meinung sein. Denn das BVerfG hat im Hessenurteil immerhin ausgesprochen, eine "völlige oder auch nur überwiegende Deckung des Geldbedarfs der Parteien aus öffentlichen Mitteln" sei "nach allgemeiner Ansicht mit dem Grundgesetz nicht zu vereinbaren" 46 . Dieser Satz ließ sich - auch ohne exegetische Turnübungen - durchaus so verstehen, als begrenze das BVerfG den Staatsanteil der Parteieinnahmen auf exakt SO v.H.. Er enthielte dann in der Tat jene "goldene Regel der Parteienfinanzierung", die von Arnim, einer der profiliertesten Kritiker ungehemmter Subventionierung der politischen Parteien, in ihm erblicken zu können glaubte47. Von Arnim selbst mußte allerdings einräumen, daß diese goldene Regel in ihrer Bedeutung außer von ihm selbst noch kaum erkannt worden ist 4 8 . Das BVerfG hat sie als solche noch gar nicht zur Kenntnis genommen. Die Formulierung, eine völlige oder auch nur überwiegende Deckung des Finanzbedarfs der politischen Parteien sei mit dem Grundgesetz nicht vereinbar, taucht zwar wortgleich auch in der Entscheidung vom 14.7.1986 auf 4 9 . Konkrete Folgerungen zieht das Gericht aus ihr aber nicht, obwohl es von der Antragstellerin - der Partei DIE GRÜNEN - ausdrücklich auf die Möglichkeit der Erhöhung des Staatsanteils an den Parteieinnahmen auf über 50 % hingewiesen worden war 5 0 . Auf Berechnungen irgendwelcher Art ließ sich das Gericht gar nicht erst ein. Die "goldene Regel der Parteienfinanzierung" wird zwar wörtlich zitiert, aber der Sache nach ignoriert 51. Daraus läßt sich nur der Schluß ziehen, daß sie fur die politische Praxis bedeutungslos
4 5 Siehe z.B. Menzel, DÖV 1966, 585ff., 607f.; Henke, Recht der politischen Parteien, S. 223: "Durch das Urteil war die Grundfrage der staatlichen Finanzierung der Parteien geklärt." 4 6
BVerfGE 20, 56 (102); ebenso 52, 63 (85).
4 7
Von Arnim, ZRP 1982, 301; ders., Parteienfinanzierung 131; ders., Aktuelle Probleme, S. 18. Von der Geltung der 50%-Grenze gingen auch Bericht 1983, 208f., 223, sowie Ipsen, JZ 1984, 1064, aus. 4 8
A.a.O.
4 9
BVerfGE 73, 40 (85f.).
5 0
Vgl. BVerfGE 73, 40 (50f.).
5 1
Ipsen, in: Wewer,
Parteienfinanzierung, S. 86f..
Β. Leistungsanspruch kraft "Bedeutung"?
81
ist 5 2 . Dies schon deshalb, weil nicht erkennbar ist, welche öffentlichen Leistungen überhaupt in die Ermittlung der "Staatsquote" einbezogen werden sollen. Wo mfißten etwa die Wahlkampfkostenerstattung und die Zuflüsse aus dem Chancenausgleich verbucht werden - bei den staatlichen Geldern, die nur 50% der Gesamteinnahmen ausmachen dürfen, wie von Arnim und Ipsen dies vorschlagen53? Oder in einer beliebigen anderen Sparte, wie der Umstand nahelegt, daß das BVerfG beiden Einnahmequellen bescheinigt hat, sie seien mit dem Prinzip der "staatsfreien" politischen Willensbildung, aus dem das Verbot einer überwiegenden Finanzierung aus öffentlichen Mitteln ja erst abgeleitet worden ist, per se vereinbar 54? Und wie soll die mittelbare staatliche Förderung von Parteien durch die steuerliche Begünstigimg von Parteispenden berücksichtigt werden 55 - die sich nicht einmal exakt beziffern, sondern allenfalls schätzen läßt? Sind Sachleistungen der öffentlichen Hand in Geld umzurechnen - auch wenn sie womöglich vom Hessenurteil gar nicht erfaßt sind? Was gilt fur die Globalzuschüsse an die politischen Stiftungen, die Zuwendungen an die Parlamentsfraktionen, die Sonderbeiträge von Abgeordneten? Fragen über Fragen. Das BVerfG hat sie - jedenfalls bislang - nicht beantwortet.
B. Die "Bedeutung" der Parteien als Begründung für einen Leistungsanspruch? Immerhin läßt die Rechtsprechung des BVerfG zur "Staatsfreiheit" der politischen Willensbildung - allen Schwankungen zum Trotz - eine nicht geringe Skepsis gegenüber der Vergabe öffentlicher Leistungen an die politischen Parteien erkennen. Dessen ungeachtet hat es nie an Versuchen gefehlt, unter Berufung auf die grundgesetzlich festgeschriebene "Bedeutung" der Parteien oder ihre Rolle im politischen Prozeß einen verfassungsrechtlichen Anspruch auf einzelne Leistungen oder gar auf eine generelle staatliche Parteienfinanzierung zu konstruieren. Einen tastenden und nahezu von allen Parteien unterstützten Vorstoß dieser Art unternahm im Jahre 1979 die niedersächsische 5 2 Eine Ausnahme macht neuerdings allein die Wahlkampfkostenerstattung, die gemäß § 18 V U PartG gegenüber den Gesamteinnahmen einer Partei nicht überwiegen darf. 5 3
Von Arnim, ZRP 1982, 301; Aktuelle Probleme, S. 18ff.; Ipsen, JZ 1984, 1064f.;
5 4
Tatsachlich bezweifelt neuerdings Hettich, S. 232, daß die Wahlkampfkostenerstattung bei der Ermittlung der 50%-Marge den staatlichen Zahlungen zuzurechnen sei. Gegen die Einbeziehung des Chancenausgleichs schon Bericht 1983, S. 223; Friauf, Aus Politik und Zeitgeschichte, Β 8/1984, S. 6f. 5 5 Für die Gleichbehandlung mit den sonstigen Formen der Staatsfinanzierung von Arnim, ZRP 1982, 301; ders., Aktuelle Probleme, S. 19; Ipsen, JZ 1984, 1065; Landfried, S. 112f.. Bericht 1983, S. 194ff., 208f., 223 zieht demgegenüber eine solche Gleichbehandlung nicht einmal in Erwägung.
6 Volkmann
§ 2 Die Funktion der Parteien als Regulativ öffentlicher Leistungen
82
Landesregierung, die vor dem BVerfG auf Ausweitung der steuerlichen Begünstigung von Parteispenden und Mitgliedsbeiträgen klagte 56 . Die Abzugsfähigkeit war im Anschluß an das erste Parteispendenurteil 57 seinerzeit auf 600/1200 D M begrenzt worden, was ein deutliches Absinken der Spenden zur Folge hatte. Angesichts der hohen Schuldenlast aller Parteien, so meinte die niedersächsische Landesregierung, gefährde diese Begrenzung die "Funktionsfähigkeit der politischen Parteien"; sie trage im übrigen der "Bedeutung" der Parteien "für das Staatsganze" nicht hinreichend Rechnung58. Das BVerfG folgte dem nicht und stellte unter Berufung auf seine bisherige Rechtsprechung fest, der Gesetzgeber sei von Verfassungs wegen nicht gehalten, die steuerlichen Freigrenzen zu erhöhen, daran freilich auch - "in engen Grenzen" - nicht gehindert 59. Verfassungsrechtlichen Ansprüchen auf die Vergabe öffentlicher Leistungen war damit eine dezidierte Absage erteilt. Gleichwohl hat die 1982 vom Bundespräsidenten eingesetzte Sachverständigenkommission zur Neuordnung der Parteienfinanzierung eine bedingte Verpflichtung des Staates zur Subventionierung der Parteien bejaht 60 . Einen ähnlichen Standpunkt scheint auch das Bundesverwaltungsgericht einzunehmen freilich nicht fur die Parteienfinanzierung im eigentlichen Sinne, sondern für bestimmte und individualisierte Sachleistungen der öffentlichen Hand. So geht es in ständiger Rechtsprechung davon aus, den Parteien stehe kraft Verfassungsrechts ein originärer Anspruch auf Ermöglichung einer angemessenen Wahlsichtwerbung - bei der, wie dargelegt, eine öffentliche Leistung in der Erteilung von straßenrechtlichen oder straßenverkehrsrechtlichen Erlaubnissen sowie in der Überlassung gemeindeeigener Anschlagflächen liegen kann zu 6 1 . Zur Begründung des von ihm behaupteten Anspruchs knüpfte das BVerwG zunächst bei der generellen Erlaubnispflichtigkeit des Plakatierens an. Zwar bestünden, meinte das Gericht ohne nähere Begründung, bundesrechtlich keine Bedenken dagegen, die Aufstellung von Wahlplakaten von der vorherigen Einholung einer Sondernutzungserlaubnis abhängig zu machen62. Bundesrecht begrenze aber das Ermessen, das den jeweiligen Behörden bei der Entscheidung über Anträge auf Erteilung von Sondernutzungserlaubnissen
5 6
BVerfGE 52, 63.
5 7
BVerfGE 8, 51; dazu ausfuhrlich unten § 3 D II 1.
5 8
BVerfGE 52, 63 (67).
5 9
BVerfGE 52, 63 (82).
6 0
Bericht 1983, S.55f., 61, 170; ebenso Friaitf.
€i
Aus Politik und Zeitgeschichte, Β 8/1984,
S. 5. 6 1 BVerwGE 47, 280 (283ff.); 47, 293 (295ff.); 56, 56 (59). Das Schrifttum stimmt nahezu allgemein zu, siehe nur Schneider, in: Festschrift fur Ipsen, S.362f.; Steinberg; NJW 1979, 1902; KodaUKrämer, S. 623; Messer, S. 230ff.. 6 2
BVerwGE 47, 280 (282).
Β. Leistungsanspruch kraft "Bedeutung"?
83
zustehe. Denn Bundesverfassungsrecht gebe, jedenfalls fur den Regelfall, einen Anspruch, der darauf gerichtet sei, eine Wahlsichtwerbung auf öffentlichen Straßen zu ermöglichen 63. Als Grundlagen eines solchen Anspruchs führte das Gericht an: - die Bedeutung von Wahlen fur einen demokratischen Staat (Art. 28 I 2, 38 I GG), - die Bedeutung der Parteien fur solche Wahlen (Art.21 GG, §§ Iff. PartG) - sowie die Rolle der Wahlsichtwerbung als gewissermaßen selbstverständliches Wahlkampfmittel 64. Dieser Anspruch auf Wahlsichtwerbung sei auf den Umfang beschränkt, der zur Selbstdarstellung einer Partei notwendig und angemessen sei 65 . In welcher Weise die Gemeinden diesen Anspruch erfüllten, sei ihre Sache; sie könnten die Straßen zum Zwecke des Plakatierens generell freigeben, den Parteien eine bestimmte Anzahl von Stellplätzen zuteilen oder ihnen gemeindeeigene Plakatflächen zur Verfugung stellen. Im Ergebnis müsse lediglich eine jeweils angemessene Wahl Werbemöglichkeit sichergestellt sein 66 . Selbst ein Verzicht einzelner Parteien auf Ausnutzung der diesen zustehenden Wahlsichtwerbemöglichkeiten berühre nicht das Recht der anderen, das ihnen Angemessene zu verlangen 67. Später stellte das BVerwG dann klar, daß der Anspruch einer Partei auf Wahlsichtwerbung außerhalb der Zeiten unmittelbarer Wahlvorbereitung nicht bestehe68. Unter Berufung auf das Hessenurteil des Bundesverfassungsgerichts trennte das BVerwG den Wahlkampf als "Gipfel" und "Kernstück" parteipolitischer Tätigkeit von der sonstigen Mitwirkung der Parteien an der politischen Meinungs- und Willensbildung und erklärte letztere fur "weniger gewichtig". Die Versagung der Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis fur die Aufstellung politischer Plakate außerhalb der Wahlkampfzeiten rechtfertige sich, so das BVerwG, aus der "abgestuften Bedeutung beider Tätigkeitsbereiche"69. Damit hatte zum ersten Mal ein hochrangiges deutsches Gericht aus der Rolle der Parteien im Demokratiemodell des Grundgesetzes und namentlich ihrer "Bedeutung" fur die Durchführung von Wahlen - also aus einem klassischen Topos 70 - einen Rechtsanspruch auf die Vergabe einer bestimmten
6*
6 3
BVerwGE 47, 280 (283).
6 4
BVerwGE 47, 280 (283f.).
6 5
BVerwGE 47, 280 (284f.).
6 6
BVerwGE 47, 280 (285).
6 7
BVerwGE 47, 293 (298).
6 8
BVerwGE 56, 56. Weitergehend BayVGH, BayVBl. 1978, 467 (468).
6 9
BVerwGE 56, 56 (59f.).
7 0
Siehe allgemein zum Wesen von Topoi Lorenz, S. 145f.
84
§ 2 Die Funktion der Parteien als Regulativ öffentlicher Leistungen
staatlichen Leistung hergeleitet. Hatte dieser Topos im Hessenurteil des Bundesverfassungsgerichts mit der Zulassung der Wahlkampfkostenerstattung lediglich eine Ausnahme von dem aus der "Staatsfreiheit" des politischen Prozesses abgeleiteten Leistungsverbot rechtfertigen können, so wirkt er nunmehr, in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, unmittelbar anspruchsbegründend. Dem BVerwG ging es dabei offenbar auch nicht nur um die bloße Wiederherstellung jener grundrechtlichen Freiheit auf kommunikative Nutzung der Straße, die durch das Bestehen der Erlaubnispflicht eingeschränkt war 7 1 . Vielmehr stellte das Gericht den Gemeinden ausdrücklich frei, auf welche Weise sie den von ihm behaupteten verfassungsrechtlichen Anspruch der Parteien auf Ermöglichung angemessener Wahlsichtwerbung erfüllen, ob durch die Erteilung von Sondernutzungserlaubnissen oder durch die Bereitstellung gemeindeeigener Anschlagtafeln 72 - wobei manches darauf hindeutet, daß es der Bereitstellung gemeindeeigener Anschlagtafeln einen gewissen Vorrang einräumen w i l l 7 3 . Die Bereitstellung gemeindeeigener Anschlagtafeln geht aber über die bloße Aufhebung eines bestehenden Verbotes erkennbar hinaus und räumt den Parteien zusätzliche Werbemöglichkeiten ein, die sie auch bei Wegfall des Verbotes nicht hätten. Dem höchsten deutschen Veiwaltungsgericht schien es damit im Ergebnis gerade auf einen Anspruch auf eine positive Zuwendung anzukommen - was rein äußerlich schon daraus hervorgeht, daß es im selben Urteil, in dem es diesen Anspruch erstmals bejahte, lang und breit erläuterte, warum die hoheitliche Zuteilung von Stellplätzen eine öffentliche Leistung im Sinne des § 5 PartG darstelle 74. Auch die unmittelbare Bezugnahme auf andere Sachleistungen der öffentlichen Hand läßt sich mit der Begründung eines reinen Abwehrrechts nicht erklären und spricht fur sich. So lehnte das BVerwG zwar einen Anspruch der Parteien auf Überlassimg öffentlicher Einrichtungen ab, stellte aber immerhin diese Überlassung, die mit der Wiederherstellung eines vorstaatlichen Freiheitsraums nicht einmal bei oberflächlichem Hinsehen verwechselt werden kann, in eine Reihe mit der Ermöglichung der Plakatwerbung auf Straßen und Plätzen 75 . Und noch deutlicher fiel die Parallele zwischen der Wahlsichtwerbung im Straßenraum und der Wahlpropaganda im Rundfunk aus. Das BVerwG setzte das eine dem anderen ausdrücklich gleich und begründete 7 1
Siehe dazu bereits oben § 1 C X .
7 2
BVerwGE 47, 280 (285).
7 3
Siehe BVerwGE 47, 293 (299), wo die Frage, ob eine Gemeinde "neben der Bereitstellung gemeindeeigener Werbeflächen" andere Möglichkeiten der Wahlsichtwerbung eröffnen muß, offengeblieben ist. 7 4 7 5
BVerwGE 47, 280 (286ff.).
BVerwGE 47, 280 (283). Einen Ansprach auf Überlassung gemeindlicher Einrichtungen hatte bereits BVerwGE 32, 333 (336f.), verneint. In der Literatur wird ein solcher Anspruch unter Berufung auf die Aufgaben der Parteien gelegentlich bejaht, vgl. Meyer, S. 80f.
Β. Leistungsanspruch kraft "Bedeutung"?
85
seine These vom verfassungsrechtlichen Anspruch auf Wahlsichtwerbung im wesentlichen mit dem Rekurs auf die Rechtsprechung des BVerfG, das zu den Wahlspots einst ausgeführt hatte, sie gehörten "heute zu den Mitteln im Wahlkampf der politischen Parteien" und seien "zu einem wichtigen Bestandteil der Wahlvorbereitung in der heutigen Demokratie geworden" 76. Dies, so meinte das BVerwG sinngemäß, gelte auch fur die Plakatwerbung 77. Die darin enthaltene Analogie konnte durchaus so verstanden werden, als hätte das Gericht einen originären Anspruch der Parteien auf Überlassung von Sendezeit im Rundfunk gleich mit bejaht oder setze die Existenz eines solchen zumindest voraus 78. Man wird daher um die Feststellung nicht herumkommen, daß das BVerwG - im Gegensatz zum BVerfG - zumindest fallweise eine Verpflichtung der öffentlichen Hand zur tatkräftigen Förderung der politischen Parteien anerkennt. Diesem Befund scheint allerdings die jüngste Entscheidung der Berliner Verwaltungsrichter zu widersprechen. Für die Wahlwerbung im Rundfunk stellte das BVerwG zuletzt fest, aus dem Grundgesetz ergebe sich kein Recht auf Zuteilung von Sendezeiten; die Mitwirkungsbefugnis bei der politischen Willensbildung verschaffe den Parteien noch keinen Zugriff auf öffentliche Leistungen79. Das klingt indes eindeutiger, als es in Wirklichkeit ist. Denn wie gehabt geht das Gericht davon aus, die Wahlpropaganda in Hörfunk und Fernsehen gehöre "zu den wichtigsten Werbemitteln im Kampf der politischen Parteien". Eine Rundfunkanstalt habe daher im Rahmen der bei der Zuteilung von Sendezeiten zu treffenden Ermessensentscheidung das "Gewicht des Interesses" jeder einzelnen Partei an einer solchen Wahlwerbung gebührend zu berücksichtigen. Verkenne sie dieses, werde sie "der Bedeutung, die den politischen Parteien im demokratischen Staat nach Verfassung und Gesetz zukomme, nicht gerecht" 80. Das über diesen hinlänglich bekannten Topos be7 6
BVerfGE 14, 121 (131 f.).
7 7
BVerwGE 47, 280 (283f.). Das Gericht ging dabei womöglich davon aus, daß das BVerfG einen Anspruch der Parteien auf Gewährung von Sendezeit anerkenne. Darauf deutet jedenfalls die Art und Weise der Zitierung hin (284). 78 So auch die Interpretation von Franke, S. 24f.. Für einen originären verfassungsrechtlichen Anspruch auf Wahlwerbung im Rundfunk zuvor schon Konow, DÖV 1968, 74; Hantke y BayVBl. 1971, 331; Henke, Recht der politischen Parteien, S. 246; dagegen Tettinger, RuF 1977, 200; Neumann/ Wesener, DVBl. 1984, 915f.. Ob und inwieweit ein solcher Anspruch mit der im Hessenurteil postulierten "Staatsfreiheit" des politischen Prozesses kollidieren könnte, scheint einer Diskussion offenbar gar nicht erst wert. 7 9 BVerwG NJW 1991, 938. Schon zuvor hatte das BVerwG ein "unbeschranktes Zugangsrecht der Parteien zu den Rundfunkanstalten und deren Sendungen" verneint, BVerwGE 75, 67 (70). Das war freilich doppeldeutig, weil auch ein - möglicherweise existierendes - beschränktes Zugangsrecht durchaus noch einen Anspruch auf die Zuteilung von Wahlspots vermitteln könnte. 8 0 BVerwG NJW 1991, 938 (939). Die OVG Bremen als Vorinstanz hatte, nachdem es einen verfassungsrechtlichen Anspruch auf Wahlwerbung im Rundfunk einmal verneint hatte, dieses
86
§ 2 Die Funktion der Parteien als Regulativ öffentlicher Leistungen
gründete rechtliche Interesse unterscheidet sich von dem zuvor behaupteten Recht oder Anspruch nur graduell - was sich vor allem dann zeigt, wenn Belange, die innerhalb der Ermessensabwägung mit dem "gewichtigen Interesse"81 der Parteien konkurrieren können, nicht ersichtlich sind. Das Ermessen der Rundfunkanstalt reduzierte sich in diesem Falle auf Null, so daß sie einem Antrag auf Zuweisung von Sendezeit nur entsprechen könnte. Jede andere Entscheidung wäre rechtswidrig 82. Damit aber wäre der soeben noch verworfene Leistungsanspruch - von leichten Blessuren abgesehen - im wesentlichen wiederhergestellt. Daß das postulierte "gewichtige Interesse" an der Wahlpropaganda im Rundfunk von einem unmittelbaren verfassungsrechtlichen Leistungsanspruch nicht weit entfernt ist, zeigt übrigens gerade der vom BVerwG entschiedene Fall. Streitgegenstand war eine Entscheidung von Radio Bremen bei der Bürgerschaftswahl vom September 1987. Der Sender hatte sich geweigert, der Splitterpartei MLPD Sendezeit zur Wahlwerbung zur Verfugung zu stellen. Rechtsfehlerhaft, meinte das BVerwG - obwohl alle anderen Parteien auf breiter Basis auf die Ausstrahlung von Wahlspots verzichtet hatten und das bremische Rundfunkrecht einen einfachgesetzlichen Anspruch auf Wahlwerbung unstreitig nicht kannte. Nicht einmal die Neutralitätspflicht der Rundfunkanstalten ließ sich gegen das "Gewicht des Interesses" der MLPD an angemessener Wahlwerbung ins Feld führen 83. Von der Skepsis, die die Rechtsprechung des BVerfG zur Vergabe öffentlicher Leistungen einmal prägte und die im Schlagwort von der "Staatsfreiheit" des politischen Prozesses ihren exemplarischen Ausdruck fand, sind hier nur noch schwache Spuren zu erkennen.
C. Kritische Analyse und Folgerungen: Die Parteifunktion als normative Basis eines Zurückhaltungsgebots Die Rolle der Parteien im politischen Prozeß erweist sich auf diese Weise als ein rechter Januskopf. Leistungshindernis im Hessenurteil, Leistungsanspruch in der Rechtsprechung des BVerwG und andernorts - gemeinsam ist Interesse überhaupt nicht zur Kenntnis genommen, vgl. die Entscheidung im Eilverfahren, OVG Bremen, NJW 1987, 3024. 8 1
BVerwG a.a.O.
ΟΛ
Siehe allgemein zu einer Ermessensreduzierung auf Null Erichsen, in: Erichs en!Martens, S. 191f. 8 3 BVerwG a.a.O.. Auch insofern anders noch die Vorinstanz, vgl. OVG Bremen, NJW 1987, 3024. Der Fall verdeutlicht zugleich die Grenzen derivativer Leistungsansprüche, dazu unten § 3 C Π.
C. Kritische Analyse und Folgerungen: Das Zurückhaltungsgebot
87
beiden Begründungslinien nur das Bemühen, aus der Festschreibung dieser Rolle im Grundgesetz konkrete Folgerungen fur das Ob und den Umfang einer Leistungsvergabe zu ziehen. Dabei dürfte es freilich schon in methodischer Hinsicht nicht ausreichen, sich - wie es namentlich das BVerwG getan hat - für die Begründung oder Ablehnung von Leistungsansprüchen gleich welcher Art und welchen Umfanges lediglich auf die "Bedeutung von Wahlen für einen demokratischen Staat" und auf die "Bedeutung der Parteien für solche Wahlen" zu berufen 84. Topoi wie diese liefern zwar ein beliebtes Argumentationsmuster, taugen aber im allgemeinen wenig für konkrete und schlüssige rechtliche Deduktionen. Zwar handelt es sich bei Topoi um Begriffe oder Gesichtspunkte, die allgemein anerkannt sind und darum nicht mehr hinterfragt werden müssen85 - was ihre außerordentliche Beliebtheit erklärt. Aber Topoi erkaufen diese ihre allgemeine Anerkennung durch den weitgehenden Verlust ihrer Aussagekraft - weshalb die mit ihrer Hilfe gewonnenen Ergebnisse in hohem Maße beliebig sind 86 . Deutlich wird dies gerade an dem Versuch des BVerwG, aus der "Bedeutung von Wahlen für einen demokratischen Staat" und der "Bedeutung der Parteien für solche Wahlen" rechtliche Schlüsse zu ziehen. Denn daß Wahlen für einen demokratischen Staat eine "Bedeutung" und die politischen Parteien "Bedeutung" wiederum fur diese Wahlen haben, wird vernünftigerweise niemand bezweifeln können; und fur solche Zweifel ist selbst dann kein Anlaß, wenn man der zitierten "Bedeutung" noch das Attribut "hohe" hinzufügt. Aber das läßt noch nicht erkennen, warum sich aus dieser "Bedeutung" ein konkretes und in Umfang und Grenzen definierbares Leistungsgebot etwa das Gebot, eine notwendige und angemessene Wahlsichtwerbung zu ermöglichen oder den Parteien Sendezeit zur Verfugung zu stellen - ergeben soll, das in dem eigentlichen Begriff "Bedeutung" nicht enthalten ist. Mit gleicher Berechtigung ließe sich aus der "Bedeutung der Wahlen für einen demokratischen Staat" und der "Bedeutung der Parteien für solche Wahlen" auch ein unmittelbarer verfassungsrechtlicher Anspruch der Parteien auf Erstattung der Wahlkampfkosten oder aus der allgemeinen Bedeutung der Parteien für den demokratischen Staat ein Anspruch auf deren umfassende finanzielle Alimentierung ableiten - wie es die niedersächsische Landesregierung mit ihrem oben geschilderten Vorstoß aus dem Jahre 1979 versucht hat. Dem BVerfG reichte die "besondere Bedeutung der Parteien für die Wahlen" indes gerade zur Durchbrechung eines zuvor von ihm selbst formulierten Leistungs-
8 4
BVerwGE 47, 280 (283).
8 5
Vgl. Larenz, S. 145f.
ο σ So schon zur Topik als Methode der Verfassungsinterpretation Böckenförde, 209 Iff.
NJW 1976,
88
§ 2 Die Funktion der Parteien als Regulativ öffentlicher Leistungen
Verbots, als es die Wahlkampfkostenerstattung fur zulässig, aber noch lange nicht für verfassungsrechtlich geboten erklärte 87. Der Topos von der "Bedeutung" hilft demnach offensichtlich nicht weiter, weil er keinen Inhalt hat. Um festzustellen, wie sich das Grundgesetz zu den öffentlichen Leistungen an die politischen Parteien verhält, wird man tiefer schürfen müssen. Das BVerfG hat sich im Hessenurteil bereits auf die Suche begeben und die Rolle der Parteien im durch die Verfassung konstituierten politischen Prozeß näherungsweise ausgelotet. Die Frage bleibt, ob es dabei zu den richtigen Erkenntnissen gelangt ist. Dabei wird vorrangig zu klären sein, in welchem Verhältnis Staat und Gesellschaft unter dem Grundgesetz überhaupt zueinander stehen und wie sich die politische Willensbildung unter dem Grundgesetz vollzieht (dazu unter I.). Sodann wird zu fragen sein, welche Funktion den politischen Parteien in diesem Prozeß zukommen kann (dazu unter II.) und wo die politischen Parteien darin ihren Standort haben (dazu unter III). Abschließend ist dann zu erörtern, welche Konsequenzen sich aus dieser Funktionsbeschreibung und der Verortung der Parteien im politischen Prozeß für den Komplex der öffentlichen Leistungen ergeben (unter IV).
/. Zum Verhältnis von Staat und Gesellschaft und zur Struktur des politischen Prozesses Die alte Frage, was sich hinter den Begriffen "Staat" und "Gesellschaft" verbirgt und wie das eine zum andern steht, hat die deutsche Staatsrechtslehre über Jahre hinweg gespalten. Das BVerfG hatte dazu, wie erinnerlich, die Auffassung vertreten, Volk und Staat sowie entsprechend staatliche Willensbildung durch die verfaßten Organe auf der einen Seite und Meinungs- und Willensbildung des Volkes auf der anderen seien prinzipiell voneinander zu unterscheiden; die Willensbildung müsse sich vom Volk zu den Staatsorganen hin vollziehen; die Meinungs- und Willensbildung des Volkes selbst müsse grundsätzlich "staatsfrei" bleiben88. Hiergegen richtete sich einer der Hauptangriffe der Kritik 8 9 . Der strikten Trennung von Staat und Gesellschaft und entsprechend von staatlicher und gesellschaftlicher Willensbildung, wie das BVerfG sie vorgenommen und zur Grundlage seiner weiteren Feststellungen gemacht hat, ist namentlich vorgeworfen worden, sie beruhe auf dem Weltbild des konstitutionellen Spätliberalismus und habe im parlamentarisch-de8 7
BVerfGE 20, 56 (114f.).
8 8
Siehe oben Kap. A, Thesen (1) und (2).
89 Siehe die weiteren Nachweise unten im Text. Rauschning, JZ 1967, 346ff.
Allgemein kritisch zur Methode des BVerfG
C. Kritische Analyse und Folgerungen: Das Zurückhaltungsgebot
89
mokratischen Gemeinwesen der Gegenwart keinen Platz mehr 90 ; die dualistische Entgegensetzung beider Sphären sei nur eine in die Verfassung hineininterpretierte Fiktion, ein "Erbübel der deutschen Staats- und Verfassungstheorie"91. Das sind gewiß harte Worte. Es fragt sich indes, ob sie auch berechtigt sind. Die Antwort lautet: zum Teil - aber eben auch nur zum Teil. In der Tat ist das vielfach auf Hegel zurückgeführte 92 Konzept der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft überholt, soweit es das Verhältnis beider unter mythischer Überhöhung des Staates als dualistisches Gegeneinander begriff. Das Konzept war die angemessene Beschreibung der Realität des frühen Absolutismus, in dem nach dem Grundsatz "L'État c'est moi" der Staat als Gewalthaber, verkörpert durch den Monarchen, und die Gewaltunterworfenen, das Volk, schon personell voneinander geschieden waren 93 ; es taugte, wenngleich in inhaltlich gewandelter Form, auch noch zur Erfassung der konstitutionellen Monarchie wilhelminischer Prägung, in der eine tendenziell nach Autonomie strebende und sich weitgehend selbst regulierende Gesellschaft ihre Freiheit von obrigkeitlichem Zwang zu behaupten suchte94. Aber die Voraussetzungen des Dualismuskonzepts sind entfallen. Der rational und über die Lehre vom "contrat social"95 begründete Staat der Gegenwart hat seine "beinahe metaphysische Weihe" verloren 96. Staat und Gesellschaft eignet heute, da es sich bei beiden um denselben menschlichen Verband handelt, dasselbe personale Substrat 97, und vielerlei politische Interaktionen lassen sich nicht mehr apodiktisch dem Bereich des Staatlichen oder dem des Gesellschaftlichen zuschlagen. Schon gar nicht läßt sich staatliches Handeln, wovon auch das Grundgesetz, das das Prinzip der Volkssouveränität in Art. 20 I I 1 GG verankert, ausgeht, von gesellschaftlichen Einflüssen abschotten98. Staatliches Handeln ist nur und ausschließlich als Handeln des Volkes legitimiert 99 . Willensbildung des Volkes und Bildung des Staatswillens werden also nicht nur, wie das 9 0 Leibholz, Strukturprobleme, S. VHIf.; ders., in: Leibholz/Rinck, Art. 21 GG Rn. 10 (S. 452); Zwirner, AoR 93, 96; Häberle, JuS 1967, 66f.; Laufer, S. 524; Randelzhofer, JZ 1969, 534. 9 1
Lipphardt, S. 525, 530, im Anschluß an Ehmke, in: Festgabe fur Smend, S. 23ff..
9 2
Etwa von F rots eher, Regierung, S. 197; Zippe Ii us, S. 243.
9 3
Böckenförde, in: Festgabe fur Hefermehl, S. 12f.; F rotscher, Regierung, S. 197. In diesem Sinne geht es fur die deutsche Staatslehre auf Pufendorf zurück, Ehmke, in: Festgabe für Smend, S. 28ff.. 9 4 Tsatsos/Morlok, S. 198.
S. 26; Grimm, in: Benda! Maihoferl Vogel, S. 329; Frotscher,
Regierung,
Q< 9 6
Grundlegend u.a. die Theorien von Rousseau, Livre I, Chapitre V I (S. 360ff.) und passim. Tsatsos/Morlok, S. 26.
9 7
Insoweit zutreffend Ehmke, Festgabe fur Smend, S. 24f., 44f.; Lipphardt, S. 523.
9 8
Kempen, Amtliche Öffentlichkeitsarbeit, S. 161.
90
§ 2 Die Funktion der Parteien als Regulativ öffentlicher Leistungen
BVerfG in seiner Begründung zum Hessenurteil anzudeuten scheint 100 , im Augenblick der Wahl miteinander verzahnt. Zwischen beiden bestehen, wie der Blick auf die Tätigkeit der Verbände, auf Demonstrationen, auf die freie Presse, auf die öffentliche Meinung und nicht zuletzt auf die politischen Parteien zeigt, vielfältige Wechselwirkungen, finden Zuordnungen, gegenseitige Annäherungen, Beeinflussungen und Durchdringungen statt 101 . Von "Staatsfreiheit" keine Spur. Der Einheit des politischen Gemeinwesens, wie sie vor allem von den verschiedensten Ausprägungen der Integrationslehren betont w i r d 1 0 2 , läßt sich mit antagonistischen Kategorien samt des geistesgeschichtlichen Kontexts, dem sie angehören, nicht mehr beikommen 103 . Mit der auf dieser Ebene überholten Entgegensetzung von Volk und Staat, von Volkswillensbildung und Staatswillensbildung aber gerät auch die aus ihr abgeleitete Forderung nach der "Staatsfreiheit" der politischen Willensbildung ins Wanken. Insofern hat die Kritik des Hessenurteils durchaus ihre Berechtigung. Aber sie schießt zugleich über ihr Ziel hinaus. Vorgeworfen werden kann dem BVerfG zweierlei: die in der Verwendung des Begriffs "staatsfrei" kulminierende Terminologie, die Erinnerungen an vordemokratisches Gedankengut wachruft, und der Duktus der Entscheidungsgründe, der nicht erkennen läßt, ob und in welchem Umfang sich das Gericht vom überkommenen Dualismuskonzept und den historischen Implikationen, von denen es nicht zu trennen ist, gelöst hat. Indes ist damit noch nichts gegen die Aufspaltung von Staat und Gesellschaft an sich gesagt 104 . Sie muß nur auf eine andere, rein funktionale Ebene transponiert und auf diese Weise ihrer ideologischen Vorbelastung entkleidet werden 105 . Dann lassen sich Staat und Gesellschaft durchaus noch voneinander unterscheiden - und zwar als verschiedene Rollen im Prozeß demokratischer Interaktion 106 . In diesem Prozeß kann der Staat Handlungsträger
9 9
Häberie, JuS 1967, 67.
1 0 0
BVerfGE 20, 56 (98).
1 0 1
BVerfGE 44, 125 (139f.); Häberie, JuS 1967, 66f.; Böckenförde, fermehl, S. 18; K.Hesse, Grundzuge, R n . U .
in: Festgabe für He-
1 0 2 Grundlegend Smend, Verfassung, S. 127ff., 136ff.; daran anknüpfend Häberie, JuS 1967, 73f.; Hesse, Gmndzüge, Rn.5ff.. 1 0 3 In Deutschland wurde der Gegensatz Staat - Gesellschaft genaugenommen bereits mit der Errichtung der Weimarer Republik gegenstandslos, Frotscher, Regierung, S. 199f.. 1 0 4
A.A. Lipphardt, S. 523ff.; nicht ganz eindeutig Häberie, JuS 1967, 66ff..
1 0 5
K.Hesse, Gmndzüge, R n . l l .
1 0 6 Vgl. Luhmann, Soziologische Aufklaning, S. 155; ders., Grundrechte, S. 26ff; Tsatsos/Morlok, S. 160f.; Grimm, in: Benda/ Maihofer/Vogel, S. 329; Zippelius, S. 244ff.; Rupp, in: Isensee/Kirchhof Bd.I, S. 1203ff.; ähnlich wohl Böckenförde, in: Festgabe für Hefermehl, S. 16f., der den Staat als "organisierte Wirkeinheit" begreift, wobei allerdings gelegentlich noch die Vorstellung eines dualistischen "Gegenüber" aufschimmert, vgl. Frotscher, Regierung,
C. Kritische Analyse und Folgerungen: Das Zurückhaltungsgebot
91
sein, etwa durch den Erlaß von Gesetzen und Rechtsvorschriften, durch Rechtsprechung und Verwaltungstätigkeit. Umgekehrt kann aber auch die Gesellschaft Handlungsträger sein, etwa durch öffentliche Meinungsäußerungen, durch die Presse, durch politische Versammlungen. Die formale Unterscheidung der Handlungsträger nach ihren Rollen sagt über die Legitimation des staatlichen Handelns (Art. 20 I I GG) ebensowenig aus wie über das Ausmaß des Einflusses der Gesellschaft auf die Staatstätigkeit; sie ist in diesem Sinne zunächst wertfrei. Daß die staatlichen Organwalter zugleich als Personen Mitglieder der Gesellschaft sind, ist fur die Unterscheidung unerheblich. Luhmann weist insofern zutreffend darauf hin, daß das politische System ein hinreichend ausdifferenziertes, d.h. von seiner Umwelt unterscheidbares und in seinen Grenzen erkennbares (Unter-)System darstellt 107 . Entsprechend ist die Rolle, die ein Mensch als Organ- oder Amtswalter in diesem System übernimmt, unabhängig von seinen sonstigen Rollen, etwa als Ehegatte, Familienmitglied, Freund, Nachbar, Schuldner etc.. Nur auf diese Weise kann die Gesellschaft zum Objekt von Verwaltung und Politik werden 108 . Werden Staat und Gesellschaft in dieser Weise nicht personen-, sondern rollenbezogen definiert, werden Anklänge an "spätliberales Trennungsdenken" 109 - der Staat hier, die "staatsfreie" Gesellschaft dort - vermieden und die vielfaltigen Wechselwirkungen, Beeinflussungen, Zuordnungen und gegenseitigen Durchdringungen zwischen beiden Sphären von vornherein in Kauf genommen 110 . Eine lediglich funktionale und in diesem Sinne wertfreie Unterscheidung, die nicht den Eindruck erweckt, als käme es ihr vor allem auf eine gegenseitige Abschottung von Staat und Gesellschaft an, ist schließlich noch aus anderen Gründen unverzichtbar 111. Ohne sie läßt sich etwa das klassische Verständnis der Grundrechte nicht aufrechterhalten: Diese als Abwehrrechte des einzelnen gegen den Staat zu begreifen, macht nur dann Sinn, wenn der einzelne und der Staat einander funktionell unterscheidbar gegenüberstehen112. Gleiches gilt für die Parteien. Auch diesen sind kraft Verfassung bestimmte S. 209. Die Vorstellung vom Staat als "Wirkeinheit" geht zurück auf Heller, Staatslehre, S. 228ff. 1 0 7
Luhmann, Gnindrechte, S. 30; ders., KZfSS 20, 706ff.
1 0 8
Luhmann, KZfSS 20, 707; ders., Soziologische Aufklärung, S. 155.
1 0 9
Häberie, JuS 1967, 67.
1 1 0
Vgl. Rupp, in: Isensee/Kirchhof Bd. I, S. 1204f., 1215ff.. Entsprechend bedeutet auch das Festhalten an dem Begriff "Staat" nicht unbedingt einen Rückfall in den Dualismus, Frotscher, Regierung, S. 206. 1 1 1
Richtig deshalb die Feststellung von Abendroth, S. 81, der in bezug auf Volkswillensbildung und Staatswillensbildung von einer nur funktionalen Differenzierung, aber inneren Einheit spricht. 1 1 2 Ähnlich Böckenförde y in: Festgabe fur Hefermehl, S. 17, 20f., der auf den Zusammenhang zwischen der Unterschiedung von Staat und Gesellschaft und individueller Freiheit hinweist.
§ 2 Die Funktion der Parteien als Regulativ öffentlicher Leistungen
92
Rechte - Gründungsfreiheit, Betätigungsfreiheit - zugewiesen. Der daraus resultierende Status kann in der politischen Realität bisweilen beeinträchtigt werden; die Eingriffsmöglichkeiten reichen von Untersagung der Errichtung eines Informationsstandes im geringsten bis zum Parteiverbot (Art. 21 I I GG) im schwersten Fall. Eingriffe aber sind denkgesetzlich nur möglich, wenn sie einem vom Betroffenen unterscheidbaren Eingreifenden zugeordnet werden können; Rechte bestehen nur gegen über einem potentiellen Verletzer. Nicht anders läßt sich die Verpflichtung des Staates zur Neutralität gegenüber dem Parteienwettbewerb erklären 113 . Wird auch die Unterscheidung nach Rollen und Handlungsträgern aufgegeben, sind Staat, Gesellschaft und Parteien auf eine Weise identisch, daß es der Konstituierung gegenseitiger Rechte und Pflichten nicht mehr bedarf, ja mehr noch: daß diese Konstituierung begrifflich nicht mehr denkbar i s t 1 1 4 . Damit erweist sich auch der Versuch Lipphardts, den Parteien im Anschluß an Konrad Hesse 115 und Häberie 116 einen "Status des Öffentlichen" zuzuordnen und die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft auf diese Weise gänzlich aufzuheben 117, als gescheitert. Lipphardt zeigt zunächst auf, daß auch vermeintlich entschiedene Gegner des Dualismuskonzepts wie etwa Leibholz und selbst sein eigener Gewährsmann Hesse implicite nach wie vor von dieser Unterscheidung ausgehen. Folgerichtig lehnt er die Verwendung von Begriffen wie "Zwischenglieder" und "Vorformung der politischen Willensbildung" zur Charakterisierung der Parteifunktionen für sich ab, um auch nur den Anschein einer Konservierung dualistischen Gedankenguts zu vermeiden 118 . An Stelle dieser Begriffe tritt unter Berufung auf Ehmke eine vom politischen Gemeinwesen denkende Staats- und Verfassungstheorie 119 und ein "ganzheitlicher" Begriff des Öffentlichen 120. Wie dieser Status des Öffentlichen aussieht, vermag freilich auch Lipphardt nicht zu präzisieren 121 . Abge1 1 3
Dazu unten § 2 Β I V .
1 1 4
Zutreffend Böckenförde, Benda! Maihoferl Vogel, S. 329. 1 1 5
W D S t R L 17, 39ff..
1 1 6
JuS 1967, 73f..
1 1 7
Lipphardt, S. 551 ff..
1 1 8
Lipphardt, S. 568f..
1 1 9
Upphardt, S. 555.
in:
Festgabe
fur
Hefermehl,
S.
17;
Grimm,
in:
1 2 0
Lipphardt, S. 561, 565ff; wie vor ihm schon K.Hesse y W D S t R L 17, 41, orientiert auch Lipphardt, S. 556, diesen Begriff an Smend, in: Gedächtnisschrift fur W. Jellinek, S. 11 ff. 1 2 1 Lipphardt gelingt es immerhin, zu verdeutlichen, daß das Verhältnis seines Öffentlichkeitsbegriffs zu verwandten Begriffen wie öffentliche Aufgabe, öffentlicher Dienst, öffentliche Verwaltung etc. gänzlich ungeklärt ist, a.a.O., S. 556fif.. K.Hesse, W D S t R L 17, 41f., weist ähnlich wie vor ihm schon Smend, in: Gedächtnisschrift fur W. Jellinek, S. 12, 14ff. - auf "Bedeutungsschichten" des Begriffs wie das Moment des Offenbarseins, der Zugänglichkeit zu den Bereichen von allgemeinem Interesse, das Moment der Öffentlichkeit als Wesen heutiger
C. Kritische Analyse und Folgerungen: Das Zurückhaltungsgebot
93
sehen von der nicht einmal ansatzweise geleisteten Definition dieses Öffentlichkeitsstatus ' gerät Lipphardt aber mit seiner radikalen Absage an jede Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, einer Absage, die nicht einmal mehr die Differenzierung nach Rollen und Handlungsträgern zuläßt, auch in einen grundlegenden Widerspruch zur eigenen Konzeption. Wer, wie Lipphardt ausweislich des Titels seiner Studie, eine Untersuchung zur "Gleichheit der Parteien vor der öffentlichen Gewalt" vorlegt und darin immer wieder die Forderung nach strenger schematischer Gleichbehandlung erhebt, setzt logisch eine zumindest rollenmäßige Unterscheidbarkeit von öffentlicher Gewalt - und was soll sich dahinter anderes verbergen als der Staat? - von den Objekten der Gleichbehandlung, den Parteien, voraus. Wird auch diese begriffliche Trennung von Handlungsträgern zugunsten des konturlosen Breis einer "ganzheitlichen" Verschmelzung von Staat, Parteien und Gesellschaft fallengelassen, erübrigt sich Lipphardts gesamte umfangreiche Studie 122 . In der allumfassenden Einheit des so gedachten politischen Gemeinwesens ist fur Interessenkonflikte zwischen öffentlicher Gewalt und Parteien, die durch das Prinzip der Parteiengleichheit reguliert werden sollen, von vornherein kein Platz mehr 1 2 3 . Um die Differenzierung zwischen Staat und Gesellschaft als Handlungsträger und Handlungsobjekte eines komplexen demokratischen Interaktionsprozesses wird man demnach auch künftig nicht herumkommen.
//. Zur Funktion der politischen Parteien Ist damit an der Unterscheidung zwischen Staat und Gesellschaft grundsätzlich festzuhalten, ergibt sich nahezu zwangsläufig, wie der lapidare Satz "Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung mit" (Art. 21 I 1 GG) in seinem demokratischen Bezugsrahmen verstanden werden muß und welche Funktion die Parteien im Spannungsfeld der komplexen Wechselbeziehung zwischen Staat und Gesellschaft übernehmen sollen. Ihnen kommt, wenn auch nicht exklusiv 124 , die Aufgabe der Vermittlung zwischen beiden Bereichen zu. In diesem Befund sind sich das BVerfG und die staatsrechtliche Literatur, Staatlichkeit etc. hin, Bedeutungsschichten, die aber, bezogen auf die Rolle der Parteien, vergleichsweise wenig aussagen. Kennzeichnend fur die Unsicherheit ist die Verwirrung darüber, ob den Parteien ein rechtlicher Öffentlichkeitsstatus und damit auch ein öffentlich-rechtlicher Status zukommt, so Hesse, a.a.O., 44 Siehe oben Unterabschnitt aa.
5 2 7
Günther, KJ 1988, 417; von Arnim, Die neue Parteienfinanzierung, S. 18ff., 33f., 50ff..
5 2 8
Günther, KJ 1988, 417; von Arnim, Die neue Parteienfinanzierung, S. 56f..
D. Wettbewerbsneutralität und Differenzierungen
265
Chancenausgleichs, der gerade darin liegen soll, die mit der Wiedereinführung der steuerlichen Begünstigung verbundenen Benachteiligungen bestimmter - aber eben nicht aller -Parteien zu kompensieren. Der Chancenausgleich hat demnach seinen Ausgleichscharakter offenkundig verloren 529 . Gleiches ergibt sich aus der Festlegung einer Obergrenze durch § 22a II 4 PartG n.F.. Soll der Chancenausgleich schon dem Ausgleich von Nachteilen dienen, die durch eine andere öffentliche Leistung erst geschaffen werden, wäre jede Begrenzung seiner Höhe, die nicht mit einer umfänglichen Begrenzung jener anderen Leistung einhergeht, willkürlich - zumal dann, wenn sie nach einem Kriterium erfolgt, das mit dem Chancenausgleich selbst offensichtlich in keinerlei Zusammenhang mehr steht 530 . Es erweist sich daran das Grundübel der gesamten Konstruktion. Die kaum mehr zu steigernde Kompliziertheit des Berechnungsschlüssels, die schon aus der Namensgebung ersichtliche Unterordnung der Leistung M Chancenausgleich" unter einen bestimmten Zweck, die Umgestaltung des § 22a PartG unter dem Vorwand, die alte Regelung habe diesen Zweck nicht erfüllt - all das täuscht nur notdürftig darüber hinweg, daß die Verteilung von Leistungen durch den Chancenausgleich nach einem System erfolgt, das in Wahrheit keines ist. Mit der Wiederherstellung der Chancengleichheit hat der Chancenausgleich nur wenig zu tun. Die extremen Divergenzen zwischen den Ergebnissen der Verteilung nach altem und denen der Verteilung nach neuem Recht sowie die offensichtliche Inkonsistenz der jetzigen Regelung bilden insofern nur die Symptome der umfassenden Herrschaft eines ganz anderen Prinzips: des Zufalls 531 . Für die ursprüngliche Fassung des § 22a PartG gilt das ebenso wie für die neue. Willkürlich gesetzt sind die einzelnen Berechnungsfaktoren, willkürlich ist der Zusammenhang, in den sie gestellt wurden 532 . Hier rächt sich, daß niemand den Versuch unternommen hat, zu definieren, worin denn das genuin "Öffentliche" der Leistung Steuerbegünstigung liegt, wodurch sich eine lediglich mittelbare Differenzierung zwischen den Leistungsempfängern auszeichnet und was durch den Chancenausgleich eigentlich ausgeglichen werden soll. Wer genauer hingesehen hätte, hätte festgestellt, daß ein solcher Ausgleich schon aus der Natur der Sache heraus auf unüberwindbare Schwierigkeiten stößt, weil er mit dem Wesen einer Differenzierung, die als eine nur mittelbare angelegt war, nicht vereinbar ist. Die Mittel5 2 9
Von Arnim, a.a.O.; ähnlich auch Naßmacher, Aus Politik und Zeitgeschichte, Β 11/1989,
S. 36f.. 5 3 0 Wie die Höhe der Wahlkampfkostenerstattung, von Arnim, Die neue Parteienfinanzierung, S. 53ff., 56f.. 5 3 1 Treffend spricht Naßmacher, Aus Politik und Zeitgeschichte, Β 11/1989, S. 36, im Zusammenhang mit der Altregelung von "unkalkulierbaren Lottogewinnen" einiger Parteien. 5 3 2
Vgl. Günther, KJ 1988, 417f..
266
§ 3 Chancengleichheit und staatliche Neutralittspflichten
barkeit der Differenzierung zwischen den Leistungsempfangern besteht ja gerade darin, daß die Verteilung der Leistung unter die verschiedenen Leistungsempfänger nach einem Schlüssel erfolgt, den nicht mehr der Staat bestimmt. Ihr Kennzeichen ist, wie dargelegt 533 , die Delegation der Entscheidung über die Aufteilung einer öffentlichen Leistung an beliebige Dritte. Auf seiten des Staates handelt es sich um eine Differenzierung ohne Differenzierungskriterium, deren Folgen - nämlich: welcher Steuersatz auf die einzelne Spende gewährt wird, wieviele Spenden an die Parteien fließen und auf welche Parteien sie jeweils entfallen - zwangsläufig weder vorhersehbar noch kontrollierbar sind. Für eine Differenzierung ohne Kriterium aber ist es illusorisch, fur die je und je Benachteiligten einen nach einem bestimmten Schlüssel a priori festgesetzten Ausgleichsbetrag verteilen zu wollen; da die Auswirkungen der Differenzierung weder vorhersehbar noch kontrollierbar sind, kann auch kein willkürfreier Ausgleich erfolgen - eben weil schon der Differenzierung jedes Kriterium fehlt. Angesichts dessen mutet die Einfuhrung des Chancenausgleichs wie der untaugliche Versuch an, den soeben aus der Hand gegebenen Verteilungsschlüssel zurückzuerlangen und ihn zugleich in der Hand dessen zu belassen, dem er übergeben wurde. Erschwerend kommt hinzu, daß dieser Versuch nicht einmal ernsthaft unternommen wurde. Denn das "Öffentliche" der Leistung "Steuervergünstigung" besteht eben nicht nur in der mittelbaren Zuwendung eines Vermögenswertes in Höhe des staatlichen Steuerverzichtes (der Staatsquote), sondern auch in der Schaffung eines Anreizes zum Spenden. Der Chancenausgleich aber diente erklärtermaßen von vornherein nur der Kompensation der Staatsquote, die von Partei zu Partei je nach deren Spenden· und Beitragsaufkommen unterschiedlich ausfällt. Der Anreiz zum Spenden als öffentliche Leistung an die politischen Parteien wird durch den Chancenausgleich nicht ausgeglichen534 und ist auch überhaupt nicht ausgleichsfähig. Seine Auswirkungen entziehen sich jeder Feststellung und damit jeder Steuerung. Aus diesem Grund ist auch die Auffassung des BVerfG, der Chancenausgleich verfalsche "die vorgefundene Wettbewerbslage nicht, da er das unterschiedlich hohe Beitrags- und Spendenaufkommen nicht" antaste 535 , nicht zu halten. Er tastet es an - eben weil er sich auf den durch die Einfuhrung der Steuervergünstigung geschaffenen Anreiz zum Spenden und dessen unbeherrschbare Auswirkungen überhaupt nicht bezieht. Ausgeglichen werden könnte dieser nur durch die Schaffung eines neuen Anreizes, der aber nicht viel anders aussehen könnte als der jetzige. Ein den Anforderungen der 5 3 3
Oben Unterabschnitt b.
5 3 4
Von Arnim, Aktuelle Probleme, S. 15; BK - Henke, Art. 21 Rn. 40 (S. 30e); Lösche, S. 113; ders., in: Krockow/Lösche, S. 89. 5 3 5
BVerfGE 73, 40 (90).
D. Wettbewerbsneutralität und Differenzierungen
267
Wettbewerbsneutralität genügender Ausgleich des Anreizes zum Spenden läge nur in seiner vollständigen Beseitigung.
e) Der Bürgerbeitrag als zulässige Form einer mittelbaren Differenzierung Die hier gegen die steuerliche Begünstigung von Spenden und Mitgliedsbeiträgen geltend gemachten Bedenken könnten sich auch gegen den Vorschlag richten, das Problem der Parteienfinanzierung aus öffentlichen Kassen durch die Einführung des sogenannten Bürgerbeitrags 536 zu lösen. Auch dieser liefe auf eine mittelbare Differenzierung zwischen den einzelnen Parteien hinaus, weil der Staat die Verteilung der Leistung unter die verschiedenen Parteien nicht selbst vornimmt, sondern Dritten - eben den Bürgern - überläßt. Von Seiten des Staates handelt es sich also ebenfalls um eine Differenzierung ohne Differenzierungskriterium, wie sie an sich nicht statthaft ist. Indes wird man für den Bürgerbeitrag eine Ausnahme machen müssen. Dieser hat, was der Steuerbegünstigung von Parteispenden fehlt: eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung. Sie liegt in Art. 20 II GG. Ebenso wie der Wahlbürger über die künftige "Bedeutung" und den Einfluß der Parteien im politischen Gemeinwesen entscheidet - und zwar allein entscheidet -, darf er auch über die Finanzausstattung der Parteien entscheiden537. Eine mittelbare Differenzierung, wie sie in der steuerlichen Begünstigung von Parteispenden und Mitgliedsbeiträgen liegt, ist dagegen von Art. 20 II GG nicht mehr gedeckt. Bei dieser Art von Parteienfinanzierung bestimmt über die Finanzausstattung der Parteien nicht das "Volk", von dem in Art. 20 II GG die Rede ist, sondern nur, wer Einkommens- oder Körperschaftssteuer entrichtet 538 . Die Steuerzahler aber sind in einem politischen System, in dem das Zensuswahlrecht aus guten Gründen abgeschafft ist, als solche keine Entscheidungsträger; die Körperschaften, deren Spenden nach der aktuell geltenden Regelung ebenfalls begünstigt werden ( § 9 Nr.3 KStG), sind es schon überhaupt nicht. Aus dieser Überlegung erhellt zugleich, wie eine künftige Regelung des Bürgerbeitrags beschaffen sein müßte. Die gelegentlich vorgeschlagene Einführung einer 5- oder 10-DM-Spende, die jeder Steuerpflichtige einer von
5 3 6
Dazu schon oben § 2 C IV 2 (Nachweise in Fn. 265ff.).
5 3 7
Das verkennt Upphardt, S. 281f.. Wie hier Günther, ZRP 1989, 269.
5 3 8
Diskutabel wäre unter dem Blickwinkel einer Rechtfertigung der Neutralitätsverletzung durch Art. 20 U GG noch der Vorschlag von Stolleis, W D S t R L 44, 39, zu jeder per Beitrag oder per Kleinspende eingezahlten Mark eine Mark aus öffentlichen Mitteln hinzuzuzahlen. Lösche, in: von Krockow/Lösche, S. 91, regt an, eine solche Regelung zusätzlich zur jetzigen Kleinbetragsregelung einzuführen, was aber den dargelegten Bedenken begegnet.
268
§ 3 Chancengleichheit und staatliche Neutralitatspflichten
ihm zu bestimmenden Partei aus seiner Steuerzahlung zuwenden kann 5 3 9 , begünstigte ebenfalls nur den steuerzahlenden Teil der Bevölkerung und wäre ebenso wie die steuerliche Begünstigung der Spenden durch Art. 20 I I GG nicht mehr gerechtfertigt 540. Von daher verdiente der Vorschlag der Parteienfinanzierungskommission, jedem Burger zusätzlich zu seiner Wählerstimme eine gesonderte Finanzstimme zu geben 541 , den Vorzug 5 4 2 .
2. Faktische Differenzierungen Eng verwandt mit der mittelbaren Differenzierung, die bei der Steuerbegünstigung von Parteispenden, dem Chancenausgleich und dem sogenannten Bürgerbonus festgestellt werden konnte, ist die faktische Ungleichbehandlung, die vor allem dann eintritt, wenn den Parteien staatliche Zuwendungen auf dem Umweg über das Vermögen eines rechtlich und organisatorisch selbständigen, aber mit ihnen in sonstiger Weise eng verbundenen Dritten zufließen. In diesem Falle erfolgt keine bewußte Abstufung zwischen den Parteien, sondern nur eine solche zwischen den jeweiligen Dritten als den eigentlichen Zuwendungsempfängern. Zwar liegt hier im Ergebnis, wenn es sich denn schon um eine öffentliche Leistung an die Parteien handelt, auch eine Differenzierung in bezug auf die Parteien vor. Diese ist aber lediglich die - nicht einmal notwendig finale - Folge ihrer Verbundenheit mit dem Dritten; sie tritt ausschließlich aufgrund der Existenz dieses Dritten und als solche eben nur faktisch ein. Was gemeint ist, wird deutlich, wenn man sich die in Frage kommenden Zuwendungen vor Augen fuhrt: die Diäten der Mandatsträger, die diese in die Lage versetzen, die durch Satzung festgelegten Sonderabgaben an die Partei, der sie jeweils angehören, abzuführen, die staatlichen Zahlungen an die Fraktionen oder die Globalzuschüsse fur die parteinahen Stiftungen. Von diesen Zuwendungen profitieren zunächst einmal die Fraktionen, die Stiftungen und 5 3 9 So - unter Anlehnung an die amerikanische Regelung des 26 USC § 6096 (International Revenue Code) - der Vorschlag von Külitz, DÖV 1982, 309f.; ders., Unternehmerspenden, S. 145 ff.. 5 4 0
Ähnlich mit Blick auf die Steuerprogression bereits Eschenburg, Probleme, S. 41 f..
5 4
* Bericht 1983, 217f.. Weitere Nachweise - auch zur Problematik einer solchen Regelung oben § 2 C I V 2. 5 4 2 Gleichwohl ist auch die Finanzierung durch den Bürgerbeitrag nicht unbeschrankt zulässig. Es wirkt insoweit noch das Zurückhaltungsgebot, das - als Komplement der Paiteifunktion, das seinerseits den Prozeß demokratischer Willensbildung absichern soll - durch Art. 20 Π GG nicht gänzlich außer Kraft gesetzt wird. Auch der Büigeibeitrag räumt die Gefahr einer Dysfunktionalisierung der Parteien nicht vollständig aus; siehe dazu bereits oben § 2 C I V 2 (Fn.268). Insoweit grundsätzlich zutreffend, wenn auch aus anderer Perspektive BK - Henke, Ait. 21 Rn.40 (B1.30f); a.A. Günther, ZRP 1989, 269.
D. Wettbewerbsneutralität und Differenzierungen
269
die Mandatsträger. Lassen sie sich aber, was keineswegs in allen Fällen sicher ist, als öffentliche Leistungen an die jeweiligen Mutterparteien qualifizieren sei es, indem sie mit augenzwinkender Billigung des Staates ganz oder zum Teil an diese weitergeleitet werden, sei es, indem sie mit Wissen und zumindest bedingtem Wollen des Staates ihrer eigentlichen Bestimmung zuwider für Parteizwecke verwendet werden 543 -, erlangen auch die Parteien aus ihnen mittelbar einen Vorteil, die über Fraktionen, Stiftungen oder Abgeordnete verfugen 544 . Nur insoweit tritt auch eine Differenzierung oder Abstufung zwischen den Parteien e i n 5 4 5 . Sie ist die schlichte Folge des Umstands, daß nicht alle Parteien einen Teil ihrer Aufgaben auf die parteinahen Stiftungen verlagert haben, nicht alle Parteien in den Parlamenten vertreten sind und der tatsächliche Umfang ihrer parlamentarischen Repräsentation unterschiedlich ist. Die damit gekennzeichnete faktische Ungleichbehandlung bildet ein Mittelding zwischen unmittelbarer und mittelbarer Differenzierung. Von der unmittelbaren oder finalen Ungleichbehandlung unterscheidet sie sich dadurch, daß sie nicht wie jene an ein bewußt gesetztes Differenzierungskriterium anknüpft. Von der mittelbaren - deren Wesen in der vollständigen Delegation der Entscheidung über die Leistungsverteilung und damit im Ergebnis in einem Verzicht auf jede Anknüpfung an tatsächliche Unterscheidungsmerkmale l a g 5 4 6 - hebt sie sich immerhin noch dadurch ab, daß der Staat die Entscheidung über die Leistungsverteilung nicht vollständig aus der Hand gegeben hat, sondern diese nach Maßgabe der von ihm zu verantwortenden Begünstigimg eines Dritten erfolgt. Ein Differenzierungskriterium ist hier wenigstens im Ansatz vorhanden - wenngleich eben nur faktisch: Es ergibt sich aus der Existenz dieses Dritten. Mit der abgrenzenden Beschreibung faktischer Differenzierungen ist allerdings die Frage nach deren Rechtmäßigkeit noch nicht beantwortet. Ginge es nicht um indirekte, sondern um unmittelbare öffentliche Leistungen an die politischen Parteien und wäre die Ungleichbehandlung offen mit dem Vorhandensein von Abgeordneten, Fraktionen oder Stiftungen begründet worden, wäre sie jedenfalls unzulässig. So rechtfertigt etwa der Umstand, daß eine 5 4 3
Siehe oben § 1 C V , V I und VU.
5 4 4
Was die Verwendung von Fraktionsmitteln für Parteizwecke anbelangt, ist klarzustellen, daß diese Erwägungen natuigemäß nur fur die staatlichen Zuschüsse und eine eventuelle Überzahlung zugunsten der Parteien gelten. Soweit diese Verwendung noch unter einem weiteren Blickwinkel - mit der Fraktion selbst als eigentlichem Leistungsgeber, dazu oben § 1 V - als öffentliche Leistung erscheint, liegt keine faktische, sondern eine finale Differenzierung durch die Fraktion als Bestandteil der staatlichen Organisation vor. Hierzu gelten die Ausführungen in diesem Abschnitt, Kap. C 1 2. 5 4 5
Vgl. für die Fraktionsfinanzierung VG Gelsenkirchen, NWVB1. 1987, 53 (58).
5 4 6
Dazu oben Unterabschnitt 1 b.
270
§ 3 Chancengleichheit und staatliche Neutralitatspflichten
Partei nicht oder nicht in Fraktionsstärke in einem Parlament vertreten ist, nach allgemeiner Auffassung nicht, sie von der Vergabe einer Leistung gänzlich auszuschließen547. Auch die nicht im Parlament vertretenen Parteien haben - eine entsprechende Leistungsvergabe an die anderen Parteien vorausgesetzt - Anspruch auf Wahlkampfkostenerstattung 548, auf die Einräumung von Sendezeit zur Wahl Werbung 549 , auf eine angemessene Wahlsichtwerbung 550 oder auf die Überlassung öffentlicher Einrichtungen 551, und Spenden an solche Parteien müssen in gleichem Umfang steuerbegünstigt möglich sein wie bei anderen Parteien 552 . Ebensowenig dürfte eine Partei prämiert werden, weil sie eine ihr nahestehende Stiftung unterhält, auf die sie eine der zuvor von ihr selbst wahrgenommenen Aufgaben, die politische Bildungsarbeit, verlagert hat 5 5 3 . Es bleibt die Frage, ob etwas anderes gelten kann, wenn die Differenzierung nach diesen Kriterien nicht offen und nach außen erkennbar vorgenommen oder im Verteilungsschlüssel ausgewiesen wird, sondern nur nebenher stattfindet und als Akzidens einer vom Staat billigend in Kauf genommenen zweckwidrigen Verwendung von Haushaltsmitteln gleichsam mit unter läuft. Die Frage so zu stellen, heißt sie zu verneinen, wobei sie freilich anders gar nicht gestellt werden kann. Es gilt für die faktischen Differenzierungen der Grundsatz der Akzessorietät zu den unmittelbaren Differenzierungen - und zwar in Anbetracht des hinter der indirekten Leistungsvergabe auszumachenden Differenzierungskriteriums. Wo die finale Anknüpfung an ein bestimmtes Unterscheidungsmerkmal unzulässig ist, ist es auch die hier in Rede stehende. Trägt das Vorhandensein einer Fraktion, von Abgeordneten oder einer Stiftung nicht einmal eine bewußte Ungleichbehandlung zwischen den Parteien, kann es - argumentum a maiore ad minus - auch die faktische Differenzierung, die eintritt, wenn unmittelbar nicht die Parteien selbst, sondern die Stiftungen, Fraktionen oder Abgeordneten über ihre Bedürfnisse hinaus zum Vorteil der hinter ihnen stehende Parteien alimentiert werden, nicht rechtfertigen. Es macht eben keinen Unterschied, ob der Staat den Parteien, die über Fraktionen und Abgeordnete verfugen oder denen eine Stiftung zur Seite
5 4 7
Siehe als eine frühe Stellungnahme schon Ridder,
5 4 8
BVerfGE 20, 56 (117); 24, 300 (339ff.).
5 4 9
BVerfGE 7, 99 (107).
5 5 0
Incidenter BVerwGE 47, 280 (290ff.).
5 5 1
BVerwG, Buchholz Ziff. 150 Nr.3 zu § 5 PartG; V G H Baden-Württemberg, NJW 1979,
in: FS für Böhm, S. 34.
1844. 5 5 2 5 5 3
Siehe BVerfGE 6, 273 (279ff.).
Daß ein solches Differenzierungskriterium sachfremd wäre, liegt auf der Hand. Davon streng zu unterscheiden ist allerdings die Frage, ob und in welchem Umfang die Stiftungen untereinander bei unterstellter Wahrung der gebotenen Distanz zu den Parteien gleichbehandelt
D. Wettbewerbsneutralitt und Differenzierungen
271
steht, unter Ausschluß anderer unmittelbar einen Vorteil gewährt oder ob er zunächst die Abgeordneten, Fraktionen und Stiftungen als die eigentlichen Zuwendungsempfänger begünstigt und diese den über ihren eigenen Bedarf hinausgehenden Anteil dieser Zuwendungen dann mit stillschweigendem Einverständnis des Staates an die hinter ihnen stehenden Parteien weiterleiten 554 . Das eine ist mit einer aus der Funktion der Parteien im politischen Prozeß abgeleiteten Neutralität des Staates gegenüber dem Parteienwettbewerb ebensowenig vereinbar wie das andere 555 . Die Wahrnehmung der den Parteien obliegenden Funktionen wird in beiden Fällen erschwert - einmal dadurch, daß den jeweils zu kurz gekommenen Parteien die Mittel fehlen, deren sie zur Erhaltung ihrer Konkurrenzfähigkeit bedürfen, zum anderen durch den Beitrag zur Verfestigung des Parteiensystems, der in der privilegierenden Förderung bestimmter und der Benachteiligung anderer Parteien liegt. Wohlgemerkt: Das verwehrt dem Staat nicht, die Stiftungen, Fraktionen oder Abgeordneten überhaupt zu alimentieren 556. Aber in dem Moment, in dem die diesen überlassenen Mittel unter stiller Duldung der öffentlichen Hand zu Leistungen an die politischen Parteien umgewidmet werden, schlägt diese Alimentierung um in eine faktische Prämierung der Parteien, denen die politischen Stiftungen einen Teil ihrer Arbeit abnehmen oder die in den Parlamenten vertreten sind. Lediglich eine solche ist unzulässig. Verboten ist also nicht die Finanzierung von Fraktionen, Mandatsträgern oder Stiftungen an sich, sondern lediglich eine Überzahlung zugunsten der hinter diesen stehenden Parteien 557 . In der Konsequenz dieser Auffassung liegt demnach vor allem eine strenge Zweckbindung der jeweils vergebenen Haushaltsmittel und eine Verpflichtung des Staates, die Einhaltung dieses Zweckes in bestimmtem Umfang zu überwachen 558. Die Neutralität des Staates gegenüber dem Parteiwerden müssen und welche Stiftungen in den Genuß staatlicher Zuschüsse kommen. Das BVerfG rekurriert hier auf den allgemeinen Gleichheitssatz, E 73, 1 (38f.). 5 5 4 Insoweit hat das Plädoyer Wewers, in: ders., Parteienfinanzierung, S. 420ff., fur eine "integrierende Sichtweise" von Parteifinanzen, Fraktions- und Abgeordnetenalimentierung durchaus seine Berechtigung. 5 5 5 Für die Globalzuschüsse an die parteinahen Stiftungen im Ergebnis ebenso von Arnim, Parteienfinanzierung, S. 115; ders., Aktuelle Probleme, S. 23f.. Zur Kritik an den Fraktionszuschüssen unter dem Gesichtspunkt der Chancengleichheit der Parteien Bericht 1983, 186f. ; Meyer, S. 382; zu den Sonderabgaben Wewer, in: ders., Parteienfinanzierung, S. 430fif.; Meyer, S. 375. 55
^ Die Abgeordneten haben hierauf bekanntlich aus Art. 48 m GG einen Rechtsanspruch. Zur Zulässigkeit der Finanzierung der Fraktionen siehe BVerfGE 20, 56 (104); Jekewitz, ZParl. 1982, 336ff.. Folgerichtig liegt in der Uberzahlung der Fraktionen zugunsten der hinter ihnen stehenden Parteien auch eine Verletzung der Chancengleichheit allein in bezug auf die Parteien, nicht dagegen in bezug auf die Fraktionen vor, VG Gelsenkirchen, NWVBl. 1987, 53 (57f.). 5 5 8 Gewisse Anfange sind hier bereits gemacht, siehe §§ 11 II 3, 25 I N r . l PartG. Ob die mit diesen Bestimmungen intendierte Grenzziehung erreicht wird, ist freilich eine andere Frage. Namentlich die personelle Verflechtung zwischen Parteien und Stiftungen, die schon von
272
§ 3 Chancengleichheit und staatliche Neutralittspflichten
enwettbewerb verdichtet sich auf diese Weise zu einer Kontrollpflicht, die manche Berührungspunkte zu dem ebenfalls in der Funktion der Parteien im politischen Prozeß wurzelnden Zurückhaltungsgebot erkennen läßt 5 5 9 . Von faktischer Ungleichbehandlung läßt sich darüber hinaus noch in anderem Zusammenhang sprechen - etwa bei einer als amtliche Öffentlichkeitsarbeit getarnten öffentlichen Leistung, die in erster Linie den Regierungsparteien zugutekommt. Auch hier tritt die Begünstigung fur diese Parteien nicht offen und unmittelbar ein, sondern erst aufgrund des Rückschlusses von der jeweiligen Regierung auf die sie tragenden Parteien, der sich im Kopf des Adressaten von Öffentlichkeitsarbeit vollzieht. Diese heimliche Privilegierung ist, was sich im Grunde von selbst versteht, ebenso unzulässig, wie es eine unverhohlene wäre 5 6 0 . Es gilt eben auch insofern der Grundsatz der Akzessorietät zwischen faktischer und unmittelbarer Differenzierung. Wie dieser andererseits eine durchaus noch als faktisch zu bezeichnende Ungleichbehandlung rechtfertigen kann, zeigt etwa das Beispiel der Zulassung von Parteien als Rundfunkveranstalter, die sich ebenfalls als öffentliche Leistung an die Parteien begreifen läßt 5 6 1 . Da die Veranstaltung von Rundfunk auch nach dem teilweisen Wegfall der vom BVerfG angenommen "Sondersituation" einen erheblichen finanziellen Aufwand erfordert 562 , werden nicht alle Parteien sie sich leisten können. Die formal alle Parteien gleich behandelnde Regelung kann sich von daher in der politischen Realität ungleich auswirken. Ein Verstoß gegen das Prinzip der Wettbewerbsneutralität des Staates gegenüber dem Parteienwettbewerb liegt darin jedoch nicht, weil Neutralität die von vornherein je unterschiedlichen Potentiale oder Entwicklungsmdg/icA/œ/ten von Parteien als gegeben voraussetzt und gerade deren Nivellierung - etwa durch die Vergabe von Zuschüssen für die weniger betuchten Parteien, um diesen die Veranstaltung von Rundfunk zu ermöglichen - entgegensteht563. Die individuellen Fähigkeiten von Parteien, eine Leistung in Anspruch zu nehmen oder sie zu nutzen, hindert also deren Vergabe nicht, mag sie auch eine faktische Privilegierung zur Folge haben.
BVerfGE 73, 1 (32), mißbilligt wurde, besteht fort; von Arnim, Die Partei, S. 113. Notwendig wäre ferner allgemein eine gesetzliche Grundlage fur die Mittelvergabe, dazu unten § 4 Α Π und m. 5 5 9
Dazu oben § 2 C IV 3 und 4.
5 6 0
Neutralität wird hier in ihrer Bedeutung als Verteilungsgerechtigkeit aktiviert, vgl. dazu BVerfGE 44, 125 (144ff.). Darüber hinaus statuiert sie fur die amtliche Öffentlichkeitsarbeit als Gebot der Ausdifferenzierung von Rollen auch ein generelles Leistungsverbot, siehe oben Kap. CI1. 5 6 1
Dazu oben § 1 C X I 4.
5 6 2
BVerfGE 73, 118 (121fif., 154f.).
5 6 3
Siehe zum Problem oben Kap. Β III.
D. Wettbewerbsneutralität und Differenzierungen
III. Differenzierungen
273
auf dem Umweg über den Parteibegriff
Die Neutralitat des Staates gegenüber dem Parteienwettbewerb kann bei einer Leistungsvergabe indes nicht nur durch eine - unmittelbare oder mittelbare, finale oder faktische - Ungleichbehandlung zwischen den als solchen definierten und anerkannten Parteien beeinträchtigt werden, sondern auch durch eine zu enge Definition des Parteibegriffs. Dabei handelt es sich um eine Ausgrenzung, die sich von den in den Vorabschnitten erörterten weigentlichenH Differenzierungen dadurch - aber eben auch nur dadurch - unterscheidet, daß sie gewissermaßen ins Vorfeld verlagert wurde und bereits bei der Bestimmung dessen, was überhaupt eine Partei ist, stattfindet 564. Der Unterschied zwischen den beiden Formen der Ungleichbehandlung wird deutlich, wenn man sich einmal vorstellt, das Kriterium der "Bedeutung", das nach ständiger Rechtsprechung und § 5 I 2 PartG eine Abstufung der Leistungsgewährung zwischen den Parteien rechtfertigt, sei bereits Merkmal des Parteibegriffs - dergestalt, daß nur eine Vereinigung, die bereits eine gewisse "Bedeutung" erlangt hätte, sich auch Partei nennen dürfte. In diesem Falle gehörte eine "unbedeutende" politische Gruppierung von vornherein nicht zum Empfängerkreis einer allein den Parteien vorbehaltenen Leistung, während sie anderenfalls - nämlich bei grundsätzlicher Anerkennung ihrer Parteieigenschaft - zwar abstrakt in den Empfängerkreis einbezogen wäre, aber nachträglich aus diesem wieder herausfiele bzw. nur in geringerem Umfang als ihre Konkurrenten bedacht würde: als Opfer einer Differenzierung zwischen den Parteien y die an deren vorhandene oder fehlende "Bedeutung" anknüpft. Das Beispiel erhellt freilich zugleich, daß die Unterscheidung nur vordergründig ist. Stehen das Prinzip der Neutralität des Staates gegenüber dem Parteienwettbewerb und ihre Kehrseite, die Chancengleichheit, einer Abstufung zwischen den Parteien nach ihrer "Bedeutung" entgegen, wie es der hier vertretenen Auffassung entspricht, verhindern sie auch eine Ausgrenzung "unbedeutender" Parteien, die auf dem Umweg über den Parteibegriff - aber dadurch womöglich um so effektiver und dauerhafter - erfolgt. Ebensowenig wäre es mit der Wettbewerbsneutralität vereinbar, die Parteieigenschaft an die Verfolgung bestimmter Ziele oder die Respektierung der verfassungsmäßigen Ordnung zu knüpfen. Selbst eine Gruppierung, die die freiheitlich-demokratische Grundordnung beeinträchtigen oder beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik gefährden wollte, ist, was sich schon als argumentum e 564 Ygj m T Einschränkung des Gleichheitssatzes bei der Anwendung auf bestimmte Gruppen durch eine einschränkende Gruppenbildung bereits Ipsen, in: Neumann! Nipperdey/Scheuner, S. 189; Lipphardt, S. 646f.. Den Zusammenhang zwischen Parteibegriff und Chancengleichheit sehen auch Bericht 1957, 118, 125f., Jülich, Chancengleichheit, S. 80; Tsatsos/Morlok, S. 99ff.. 18 Volkmann
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§ 3 Chancengleichheit und staatliche Neutralittspflichten
contrario aus Art. 21 II GG ergibt, bei Erfüllung aller sonstigen Voraussetzungen Partei 565 . Dabei handelt es sich um nichts anderes als um eine Auswirkung von Neutralitat. Verbietet diese eine bestimmte Differenzierung, hindert sie auch eine Einengung des Parteibegriffs, die unter Anknüpfung an das unzulässige Differenzierungskriterium erfolgt. Neutralität und Chancengleichheit bestimmen auf diese Weise den Inhalt des Parteibegriffs und verlangen, diesen grundsätzlich weit zu fassen 566. Das Problem wird, was die Vergabe öffentlicher Leistungen anbelangt, nach wie vor akut bei den kommunalen Wählergemeinschaften, den "Rathausparteien". Diese sind nach der ausdrücklichen Regelung des § 2 1 PartG, der als Parteien nur solche Vereinigungen definiert, die dauernd oder für längere Zeit "für den Bereich des Bundes oder eines Landes" bei der politischen Willensbildung mitwirken, keine Parteien im Sinne des Parteiengesetzes, weil sie sich in ihrer Tätigkeit auf die kommunale Ebene beschränken 567. Aus demselben Grund - sofern sich überhaupt von einem Grund im Sinne einer ratio oder causa sprechen läßt - hatte ihnen zuvor bereits das BVerfG die Parteieigenschaft nach Art. 21 GG abgesprochen568. Gleichwohl wurden die "Rathausparteien" von der höchstrichterlichen Rechtsprechung in bestimmten Bereichen mit den politischen Parteien gleichgestellt. So gestand das BVerfG den kommunalen Wählervereinigungen zunächst - mit einer umständlichen, auf Art. 28 II GG gestützten Begründung - das Wahlvorschlagsrecht zu und forderte für deren Kandidaten eine chancengleiche Teilnahme an den Kommunal wählen 569 . Später sprach das Gericht dann allgemein davon, daß das Gebot der grundsätzlich strengen, formalen Gleichbehandlung im Bereich der politischen Willensbildung nicht nur gegenüber politischen Parteien im Sinne des § 2 PartG, sondern auch gegenüber anderen Gruppen und Bewerbern gelte, die mit den politischen Parteien in 5 6 5 So auch BVerfGE 47, 198 (223); Bericht 1957, 124f.; GGK - von Münch, Art. 21 Rn.15. Folgerichtig muß eine Gruppe, um Partei zu sein, auch nicht auf das Gemeinwohl verpflichtet sein, GGK - von Münch a.a.O.; ebenso von der Heydte!Sacherl, S. 6; Bericht 1957, S. 131 f.; M D - Maunz, Art. 21 GG Rn. 11;. A.A. Grewe, in: Festgabe fur Kaufmann, S. 78ff.; Krüger, S. 375f.; Henke, Recht der politischen Parteien, S. 40. 5 6 6 So grundsätzlich auch Bericht 1957, 125f.; Lipphardt, S. 646ff., insbesondere 653f.. Zur notwendigen Formalitat des Parteibegriffs und den jüngsten Angriffen gegen diese Frotscher, DVBl. 1985 , 922f.. 5 6 7 Das in § 2 I PartG ebenfalls enthaltene Merkmal der Dauer grenzt demgegenüber Wählervereinigungen aus, die sich lediglich vorübergehend, etwa fur eine ganz bestimmte Wahl, zusammengeschlossen haben, BK - Henke, Art.21 Rn.4; K.Hesse, Grundzüge, Rn.168. 5 6 8 BVerfGE 6, 367 (373f.). Zustimmend BVerwGE 6, 96 (99ff.) und die h.L., siehe Henke, Recht der politischen Parteien, S. 34f.; Im/z, S. 152ff.; M D - Maunz, Art.21 Rn.20; Seifert, Die politischen Parteien, S. 164f.; Meyer, S. 45ff. m.w.N. (Fn.92). 5 6 9 BVerfGE 11, 266 (273ff.); 11, 351 ((365ff.); 12, 10 (25); 13, 1 (16). Ebenso - aber ohne den Rückgriff auf Art.28 Π GG - BVerwGE 35, 344 (348).
D. Wettbewerbsneutralität und Differenzierungen
275
Wettbewerb um Wählerstimmen treten 570 . Zwar leitete es dieses Gebot, um die Unterschiede zu den politischen Parteien ein weiteres Mal hervorzuheben, in bezug auf die kommunalen Wählergemeinschaften nicht aus Art. 21 GG ab, sondern aus Art. 3 I GG "in seiner vom Demokratieprinzip gebotenen strengen, formalen Auslegung" 571 . Es bediente sich dabei aber derselben Begründungsmuster, die es zuletzt fur die Bestimmung der Chancengleichheit der Parteien untereinander verwendet hatte 572 . Darin kommt genau jene Unsicherheit zum Ausdruck, die den Umgang des BVerfG mit den Rathausparteien im allgemeinen kennzeichnet: Der statusrechtlichen Diskrimierung dieser Gruppen auf der einen Seite, wie sie in deren Ausschluß von der Parteieigenschaft liegt, steht auf der anderen das Bemühen gegenüber, die Diskriminierung teilweise wieder aufzuheben oder zumindest deren Folgen zu lindern. Unentschiedenheit prägt folgerichtig auch das Bild bei der Vergabe öffentlicher Leistungen. Einige öffentliche Leistungen - beispielsweise die Überlassung öffentlicher Einrichtungen 573, die Ermöglichung der Wahlsichtwerbung 5 7 4 , die Übermittlung von Wählerlisten aus dem Melderegister 575 - werden den kommunalen Wählervereinigungen ebenso wie den politischen Parteien im Sinne des Parteiengesetzes gewährt, andere ihnen vorenthalten. Nicht teil nehmen die Rathausparteien etwa an der Wahlkampfkostenerstattung, die es auf kommunaler Ebene nicht gibt 5 7 6 , und auch von der Überlassung von Sendezeit fur die Ausstrahlung von Wahlspots in überregionalen Programmen sind sie weitgehend ausgeschlossen577. Unklar ist vor allem die verfassungs5 7 0 BVerfGE 69, 92 (107); 78, 350 (358). Zum Anspruch einzelner Wahlbewerber auf Chancengleichheit BVerfGE 41, 399 (413ff.). 5 7 1 BVerfGE 69, 92 (105); 78, 350 (357). Nicht ganz deutlich ist, wo das BVerfG den Anspruch einzelner Wahlbewerber auf chancengleiche Teilnahme an einer Wahl ansiedelt. Rechtsgrundlage soll hier vermutlich Art. 38 I GG sein, vgl. BVerfGE 41, 399 (413ff.). 5 7 2 Vgl. vor allem BVerfGE 69, 92 (105ff.) mit umfangreichen Nachweisen aus der früheren, vor allem auf die Parteien zugeschnittenen Rechtsprechung. Zum Anspruch einzelner Wahlbewerber auf Chancengleichheit mit den Parteien BVerfGE 41, 399 (413flf.). JS i73 Der Anspruch nach den § 17 DGO nachgebildeten Vorschriften der Gemeindeordnungen steht nicht den Parteien als solchen zu, sondern nur in ihrer Eigenschaft als ortsansässigen Vereinigungen. Auf ihn können sich also auch kommunale Wählergemeinschaften berufen.
KT A
Siehe nur § 6 I Zifif.3 der Sondernutzungssatzung der Stadt Offenbach, der die Gebührenfreiheit auf "Parteien und Wählervereinigungen" erstreckt. 5 7 5 Auskünfte dürfen in der Regel "Parteien und Wählelgruppen" erteilt werden (§ 22 MRRG). 5 7 6 Eine Benachteiligung gegenüber den anerkannten Parteien konnte hier angesichts der naheliegenden Gefahr, daß diese die bei der Wahlkampfkostenerstattung auf Bundes-, Landesoder Europaebene erhaltenen Mittel auch bei Kommunalwahlen einsetzen, vorliegen, von Arnim, Parteienfinanzierung, S. 93. 5 7 7 Vgl. §§ 6 Π ZDF-Staatsvertrag, 27 I, IV Gesetz über die Errichtung von Rundfunkanstalten des Bundesrechts, 6 I SWF-Staatsvertrag, 2 IV Nr.4 SDR-Satzung. Nach anderen Bestimmungen - etwa Art. 4 Π Nr.2 BayRuFuG, §§ 15 I NDR-Staatsvertrag, 9 Π Saarl. RundfunkG, 8 II WDR-Gesetz - steht der Anspruch auf Ausstrahlung von Wahlspots auch
IS*
276
§ 3 Chancengleichheit und staatliche Neutralittspflichten
rechtliche Ausgangslage bei der Steuerbegünstigung von Parteispenden und Mitgliedsbeiträgen. Ursprünglich konnten Zuwendungen an kommunale Wählergemeinschaften überhaupt nicht einkommensmindernd geltend gemacht werden. Das BVerfG hatte dies hingenommen, solange die Abzugsfähigkeit noch auf 600 bzw. 1200 D M begrenzt war, und dazu ausgeführt, der Gesetzgeber sei nicht gehalten, die Unterschiede zwischen den - überregional tätigen - politischen Parteien und den auf den örtlichen Bereich beschränkten kommunalen Wählergruppen außer Betracht zu lassen 578 . Nachdem die absetzbaren Beträge dann im Zuge der Neuregelung der Parteienfinanzierung vom 22.12.1983 erheblich erhöht wurden 579 , meinte das Gericht, nunmehr sei der völlige Ausschluß der kommunalen Wählervereinigungen von der Steuervergünstigung nicht mehr zu rechtfertigen 580. Allerdings dürfe der Gesetzgeber bei der steuermindernden Anerkennung von Beiträgen und Spenden nach wie vor "das im Vergleich zu den kommunalen Wählervereinigungen sehr viel weiter gesteckte Tätigkeitsfeld der politischen Parteien, die ihnen vom Grundgesetz und vom Parteiengesetz (§1) zugedachte Rolle und die daraus folgende Notwendigkeit einer auf Dauer angelegten und festgefugten, hohe Kosten verursachenden überregionalen Organisation berücksichtigen" 581. Ein teilweiser Ausschluß von der Steuervergünstigung ist danach nach wie vor zulässig - wobei freilich ungewiß blieb, wie ein solcher denn aussehen könnte. Hierzu begnügt sich das Gericht mit vagen Andeutungen582. Der Gesetzgeber jedenfalls entschied sich im Anschluß an den Beschluß des BVerfG für eine Regelung, nach der den kommunalen Wählergemeinschaften lediglich bis zu 1200 D M jährlich steuerbegünstigt zugewendet werden können 583 . Zum Vergleich: Spenden an politische Parteien im Sinne des Parteiengesetzes sind bis zu einem Betrag von 60.000/120.000 D M vom zu versteuernden Einkommen abziehbar 584 . Die Stücke vom großen Kuchen sind nach wie vor für die Alteingesessenen reserviert. Vom Chancenausgleich des § 22a PartG profitieren die kommunalen Wählervereinigungen ohnehin nicht. Ebenso bleibt "Vereinigungen" oder "Wählergruppen" zu. Werden anläßlich einer landesweit stattfindenden Kommunalwahl Sendezeiten gewährt, dürfen nach BVerwGE 35, 344 (350) jedenfalls überörtliche Wählergemeinschaften nicht gänzlich von der Verteilung ausgeschlossen werden. 5 7 8 BVerfGE 69, 92 (llOf.). Zu der Begründung des BVerfG, angesichts der geringen Höhe des staatlichen Steuerverzichts führe der Ausschluß dieser Gruppen nicht zu einer ernsthaft ins Gewicht fallenden Wettbewerbsverzerrung, siehe oben Kap. D I I 1 c. 5 7 9
Dazu oben Kap. D II 1 d sowie § 1 C UI.
5 8 0
BVerfGE 78, 350 (357ff.); offengelassen von E 69, 92 (112).
5 8 1
BVerfGE 78, 350 (358f.).
5 8 2
BVerfGE 78, 350 (363f.).
5 8 3 Gesetz zur steuerlichen Begünstigung von Zuwendungen an unabhängige Wählervereinigungen vom 25.7.1988, BGBl. I S. 1185. Geändert wurden dadurch die §§ 34g EStG, 9 Ziff.3 KStG. 5 8 4
Siehe § 1 C ffl.
D. Wettbewerbsneutralitt und Differenzierungen
277
ihnen die Befreiung von der Körperschafts- und Vermögenssteuer gänzlich vorenthalten 585. Dieses Hin und Her hätte sich vermeiden lassen, wenn auch die kommunalen Wählergemeinschaften von Anfang als politische Partei begriffen worden wären. Es fragt sich indes, ob nicht Neutralität und Chancengleichheit eine solche Zuerkennung des Parteistatus' verlangen. Leitet man die Neutralität des Staates gegenüber den Parteien aus der Funktion ab, die den Parteien im politischen Prozeß zukommt, läßt sich aus ihr ganz zwanglos die Forderung entnehmen, alle Gruppen, die diese Funktion erfüllen, gleichzubehandeln zwar nur im Hinblick auf diese Funktionserfullung, dort aber in allen Belangen. Rücksicht zu nehmen ist demnach auf sie schon bei der Definition des Parteibegriffs. Erfüllt eine Gruppe die spezifische Funktion einer Partei, ist sie auch Partei 586 , wobei sich lediglich über die Erforderlichkeit eines gewissen Ernsthaftigkeits- oder Beständigkeitsnachweises diskutieren läßt 5 8 7 . Konstitutiv fur den Parteibegriff ist insofern allein die Beteiligung einer Gruppe an der politischen Willensbildung durch Aggregation, Reduktion und Transmission 588 . Gerade diese Aufgaben aber übernehmen auch die kommunalen Wählervereinigungen: Sie bündeln Personen zu politisch handlungsfähigen Einheiten (Aggregation), reduzieren komplexe gesellschaftliche Vorstellungen auf entscheidbare Alternativen (Reduktion) und beabsichtigen, wie es in ihrer Beteiligung an Kommunalwahlen zum Ausdruck kommt, die Umsetzung des Willens ihrer Wähler und Mitglieder in staatliches Handeln (Transmission). Kommunale Wählervereinigungen nehmen damit all die Funktionen wahr, die die Parteien auch wahrnehmen - nur eben nicht auf Bundes- oder Landesebene, sondern im kommunalen Bereich. Auch dort findet indes, was heute kaum mehr bezweifelt wird, "politische Willensbildung" in dem von Art. 21 GG gemeinten Sinne statt 589 . Selbst das BVerfG, das im SRP-Urteil noch be-
5 8 5 Vgl. §§ 5 I Nr.7 KStG, 3 I Nr.10 VStG. Die Steuerbefreiung gilt jeweils nur fur "Parteien im Sinne des Parteiengesetzes". 5 8 6 Entsprechend hielt auch Bericht 1957 Differenzierungen im Parteibegriff fur unzulässig, die auf die Funktion der Parteien zurückwirken können. A.A. von der Heydte, in: Neumann!Nipperdey!Scheuner, S. 463. 5 8 7
eoo
Dazu GGK - von Münch, Art. 21 Rn. 13ff..
J O
Hinsichtlich letzterer wird man dabei die bloße Absicht, wie sie vor allem in einer Beteiligung an Wahlen zum Ausdruck kommt, ausreichen lassen müssen, vgl. M D - Maunz, Art. 21 Rn.l3ff.; BK - Henke, Art. 21 Rn.9. Eine erfolgreiche Transmission setzt demgegenüber das Wirken der Parteien in den Staatsorganen voraus, das nur wenigen Parteien vorbehalten ist. Noch weitergehend Hug , S. 46f.; Lipphardt, S. 679, die bereits den Willen zur Beteiligung an einer Wahl fur den Parteibegriff genügen lassen. 5 8 9 Siehe aus der Literatur statt vieler nur Lintz, S. 48ff.; Seifert, Die politischen Parteien, S. 165 (Fn.26); Kimig, in: Isensee/Kirchhof Bd.II, S. 125f.; AK - Preufi, Art. 21 Abs.1,2 Rn. 27; Jarassi Pieroth, Art. 21 Rn.6; Meyer, S. 47ff. m.w.N.; fur Großstädte auch M D - Maunz, Art. 21 Rn. 20 (Fn.l). Die Erkenntnis, daß auch auf kommunaler Ebene Politik - einschließlich der
278
§ 3 Chancengleichheit und staatliche Neutralitatspflichten
hauptet hatte, auf der Ebene der Gebietskörperschaften, die in erster Linie Träger von Verwaltungsaufgaben seien, fielen "nicht eigentlich politische Entscheidungen"590, ist von dieser Auffassung nur kurze Zeit später wieder abgerückt - bezeichnenderweise in derselben Entscheidung, in der es den kommunalen Wählervereinigungen erstmals die Parteieigenschaft absprach. Dort wies es darauf hin, daß auch die "Kommunalpolitik" heutzutage maßgeblich von den politischen Parteien gesteuert werde und diese mit ihrem Engagement in der Kommunalpolitik nur ihr im Grundgesetz verbrieftes "Recht auf Teilhabe am Verfassungsleben" verwirklichten 591 . Folgerichtig können die Parteien dieses Recht selbst bei einer Beteiligung an Kommunalwahlen im Organstreit geltend machen 592 . Ist damit aber anerkannt, daß auch im örtlichen Bereich politische - und eben auch parteipolitische - Willensbildung stattfindet, ist kein Grund mehr ersichtlich, der es rechtfertigen könnte, Kommunalparteien von der Geltung des Art. 21 GG auszunehmen593. Es ist dies, wie dargelegt, nur ein Ausfluß staatlicher Neutralität gegenüber dem Parteienwettbewerb. Diese erweist sich damit als das wirksamste Gegenmittel gegen eine zu weitgehende Einengung des Parteibegriffs: Gruppen, die die Funktion einer politischen Partei erfüllen - und dazu gehören eben auch die kommunalen Wählervereinigungen -, sind nicht nur wie, sondern als politische Partei zu behandeln. Der Ausschluß kommunaler Wählervereinigungen aus dem Parteibegriff ließe sich daher allenfalls dann noch aufrechterhalten, wenn die Verfassung selbst an anderer Stelle einen Anhalt dafür böte, daß im Rahmen des Art. 21 GG politische Aktivitäten im örtlichen Bereich anders zu beurteilen wären als im überörtlichen. Einen solchen Anhalt gibt es nicht; Art. 28 I 2 und I I GG legen im Gegenteil die Vermutung nahe, daß die Willensbildung auf kommunaler Ebene deijenigen auf Bundes- oder Landesebene grundsätzlich gleichsteht, diese ebenso zur Verwirklichung der vom Grundgesetz intendierten Demokratie beiträgt wie jene und es sich bei der wechselseitigen Abgrenzung der Kompetenzen nicht um ein qualitatives, sondern um ein reines Zuordnungsproblem handelt 594 . Und schon gar nicht läßt sich der Verfassung entParteipolitik - stattfindet, findet sich bereits bei Peters, in: ders., HkWP, S. 5f., 12f., und Köngen, ebda., S. 194ff.. 5 9 0
BVerfGE 2, 1 (76).
5 9 1
BVerfGE 6, 367 (373).
5 9 2
BVerfG a.a.O.
5 9 3 K. Hesse, Grundzüge, Rn.168. Fur die Anerkennung der Parteieigenschaft von Rathausparteien weiter Upphardt, S. 647ff.; GGK - von Münch, Art. 21 Rn. 10f.; Tsatsos/Morlok, S. 100; Kunig, in: Isensee/Kirchhof Bd. Π, S. 127; Jarassi Pie roth, Ait. 21 Rn.6; AK - Preuß, Art. 21 Abs. 1,2 Rn.27; wohl auch Frotscher, DVBl. 1985, 923 (Fn.63). 5 9 4 In diesem Sinne hat zuletzt auch BVerfGE 83, 37 (53ff.) die Äquivalenz von gemeindlicher und der überregionaler politischer Willensbildung betont. Demgegenüber versucht Meyer, S. 49ff., aus Art. 28 Π GG eine "Begrenzung des Wirkungskreises der politischen Parteien" ab-
D. Wettbewerbsneutralität und Differenzierungen
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nehmen, daß politische Parteien, wie es in Entscheidungen des BVerfG gelegentlich anklang, in erster Linie am "Staatsganzen" orientiert sein müßten 595 . Damit aber entfallt fur die begriffliche Entgegensetzung von "richtigen" und "Kommunal"parteien jede Grundlage. Sind die Rathausparteien damit politische Parteien im Sinne des Art. 21 GG, haben sie auch Anspruch auf öffentliche Leistungen, wo immer sie sich an der politischen Willensbildung beteiligen. Darin kommt freilich zugleich die systemimmanente Begrenzung dieses Anspruchs zum Ausdruck, die sich wiederum aus der Verpflichtung des Staates zur Wettbewerbsneutralitat ergibt. Denn diese enthält - wie an anderer Stelle gezeigt 596 - das zwingende Gebot, bei der Vergabe öffentlicher Leistungen an die politischen Parteien nach dem jeweiligen Grad der Beteiligung an der politischen Willensbildung zu differenzieren. Solange also etwa Wahlkampfkosten nur bei Bundestagsoder Landtagswahlen erstattet werden, gehen die kommunalen Wählervereinigungen schon deshalb leer aus, weil sie an diesen nicht teilnehmen. Umgekehrt sind ihnen bei einer Kommunalwahl sämtliche öffentliche Leistungen zu gewähren, die ihren Konkurrenten auch gewährt werden. Zu lösen bleibt lediglich das Problem ihrer Einbeziehung in die Steuervergünstigung von Spenden und Beiträgen, die ihnen BVerfG und Gesetzgeber nur halbherzig und nicht im selben Umfang wie den anderen Parteien zugestanden. Unterstellt man mit dem BVerfG einmal, daß sich die darin liegende öffentliche Leistung vor der Verfassung überhaupt rechtfertigen läßt, wäre indes nicht nur der völlige, sondern bereits der teilweise Ausschluß kommunaler Wählergemeinschaften von der Steuervergünstigung unzulässig - als zwingende Folge ihrer Anerkennung als Partei. Rechtfertigen läßt sich ein teilweiser Ausschluß kommunaler Wählergemeinschaften aus der Steuervergünstigung auch nicht mit dem Hinweis auf das im Vergleich zu den übrigen Parteien geringere Ausmaß an der Beteiligung an der politischen Willensbildung. Dem könnte man schon mit dem Argument begegnen, daß sie deshalb voraus-
zuleiten. Gerade aus der auch von ihm betonten "politisch-demokratischen Funktion der kommunalen Selbstverwaltung"(S.50) ergibt sich indes die Notwendigkeit, auch den Parteien das Betätigungsfeld "Gemeinde" zu öffnen und umgekehrt auch die Aktivitäten kommunaler Wählergemeinschaften als jene Mitwirkung an der politischen Willensbildung zu begreifen, von der in Ait. 21 GG die Rede ist. Soweit Meyer den Ausschluß kommunaler Wählervereinigungen aus dem Paiteibegriff darüber hinaus mit der Begründung zu retten versucht, bei den Gemeindevertretungen handele es sich nicht um "kleine Parlamente, sondern um kollegiale Beschlußorgane"(S.50) und "eine den spezifischen Bedürfnissen der kommunalen Selbstverwaltung Rechnung" tragende politische Organisation ziele "von ihrem Anspruch her nicht auf staatliche Machtausübung"(S.51), liegt darin lediglich der Versuch, die überkommene und von Meyer selbst, S.47ff., zu Recht abgelehnte Auffassung, im kommunalen Bereich fielen "nicht eigentlich politische Entscheidungen"[BVerfGE 2, 1 (76)], in neuem Gewand zu restaurieren. 5 9 5 9 5 6 Vgl. BVerfGE 11, 266 (276). Dagegen zutreffend GGK - von Münch, Ait. 21 Rn.lOa: Oben Kap. D I 4. "in dieser Allgemeinheit kaum justitiabel".
280
§ 3 Chancengleichheit und staatliche Neutralitatspflichten
sichtlich auch weniger Spenden erhalten werde 5 9 7 . Aber darin liegt gar nicht der eigentliche Grund. Entscheidend ist vielmehr folgendes: Bei einer Leistung, bei der zwischen den Empfangern lediglich mittelbar differenziert wird und deren wahres Differenzierungskriterium der Zufall in Gestalt der weder vorhersehbaren noch steuerbaren Spendenbereitschaft privater Geldgeber ist, wäre jede weitere Differenzierung systemfremd und schon als solche gleichheitswidrig 598 . Die als solche anerkannten Parteien werden, wie grundsätzlich auch das BVerfG sieht, "der Vorteile des in Rede stehenden staatlichen Steuerverzichts unabhängig von Größe und Wahlerfolg teilhaftig 1,599 - und eben auch unabhängig von dem Ausmaß ihrer Beteiligung an der politischen Willensbildung600. Ein teilweiser Ausschluß der Rathausparteien von der Steuervergünstigung oder eine Begrenzung der Höhe der Abzugsfähigkeit liefe demgegenüber darauf hinaus, den unterschiedlichen Grad der Beteiligung an der politischen Willensbildung bei einigen Gruppen zu berücksichtigen, bei anderen dagegen nicht. Daß darin eine unzulässige Privilegierung all jener Gruppen läge, die sich keine Kürzung ihrer Bezüge auf der Grundlage dieses Kriteriums gefallen lassen müßten, liegt auf der Hand. Ebensowenig verfängt der Hinweis des BVerfG auf die bei den überregional tätigen Parteien vorhandene Notwendigkeit einer auf Dauer angelegten und festgefugten, hohe Kosten verursachenden Organisation 601. Weil die Kosten für die Parteiorganisation bei der Bemessung des steuerlichen Abzugsfähigkeit generell nicht berücksichtigt werden, dürfen sie auch bei den Rathausparteien nicht in Ansatz gebracht werden. Mit der Neutralität des Staates gegenüber dem Parteienwettbewerb ist das jedenfalls nicht zu machen 602 . Dasselbe gilt übrigens fur die Beschränkung der Körperschafts- und Vermögenssteuerbefreiung auf die Parteien im Sinne des Parteiengesetzes603. Da auch sie allen Parteien unabhängig von dem Grad ihrer Beteiligung an der politischen Willensbildung zugutekommt, ist sie auch den kommunalen Wähler5 9 7
So von Arnim, Parteienfinanzierung, S.92.
5 9 8
Ähnlich Weinmann, S. 69.
5 9 9
BVerfGE 78, 350 (362).
6 0 0
Eine kleine Landespartei kann demnach vom staatlichen Steuerverzicht stärker profitieren als eine bundesweit operierende Großpartei, wenn sie über zahlreiche potente Hintermänner verfugt. 6 0 1 6 0 2
BVerfGE 78, 350 (358f.).
Auch die Neuregelung der steuerlichen Absetzbarkeit von Zuwendungen an kommunale Wählervereinigungen durch das Steuerreformgesetz 1990 ist demnach verfassungsrechtlich nicht haltbar; die Diskriminierung der Rathausparteien besteht unverändert fort. Angesichts des Ausmaßes der Diskriminierung läßt sich sogar mit guten Gründen die Auffassung vertreten, der Gesetzgeber habe nicht einmal die Vorgaben des BVerfG umgesetzt, so von Arnim, Die neue Parteienfinanzierung, S. 89ff.; Meyer, S. 371; zweifelnd auch H/H/R - Clausen, § 34g EStG Anm.2 a.E.. Für verfassungsgemäß halten die Neuregelung dagegen H/H/R - Heuerl Clausen, § 10b EStG Anm.123; wohl auch Blümich - Stäuber, § 10b EStG Rn.2
D. Wettbewerbsneutralitt und Differenzierungen
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Vereinigungen in vollem Umfang einzuräumen. Begreift man diese Gruppen wie es das Prinzip der Neutralität des Staates gegenüber dem Parteienwettbewerb gebietet - ohne Wenn und Aber als politische Parteien, versteht sich das ohnehin von selbst.
6 0 3
So auch von Arnim, Aktuelle Probleme, S. 23.
§ 4 Die Rechte Dritter als zusätzliche Schranke einer Leistungsvergabe Gelegentlich berührt die Vergabe öffentlicher Leistungen nicht nur das Verhältnis des Staates zu den Parteien, sondern hat auch Folgen fur von der Verfassung gewährleistete Rechte Dritter: Die Steuerbegünstigung von Parteispenden wirkt, worauf sogleich zurückzukommen sein wird, in den Schutzbereich der Gleichheitsrechte der Aktivbürger hinein, das Drittsendungsrecht in den der Rundfunkfreiheit privater Rundfunkveranstalter, die Erteilung von Auskünften aus dem Melderegister in denjenigen des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung, die Sonderabgaben der Mandatsträger in den Abgeordnetenstatus. In all diesen Fällen stellt sich die Frage, ob diese Eingriffe 1 durch Art. 21 GG, die herausragende "Bedeutung" der Parteien fur den politischen Prozeß oder gar ein besonderes Parteienprivileg gerechtfertigt werden können. Indes sollte man die Frage schon ein wenig genauer formulieren. Verletzt die Vergabe öffentlicher Leistungen die Rechte Dritter, hilft die bloße Berufung auf die "Bedeutung" der Parteien nicht weiter, weil dieser Topos zum konkreten Problem überhaupt nichts aussagt2. Gleiches gilt fur die verfassungsrechtliche Institutionalisierung der Parteien an sich. Rechtfertigend wirken könnte demnach allenfalls das Interesse der Parteien gerade an öffentlichen Leistungen3. Dies freilich nur dann, wenn diesem Interesse ein eigenständiger, also über die bloße Anerkennung der Parteien und ihrer Funktion durch Art. 21 GG hinausweisender Verfassungsrang zukäme. Gegen eine solche Annahme bestehen jedoch Bedenken. Das Grundgesetz bringt der Vergabe öffentlicher Leistungen an die politischen Parteien - wie dargelegt - nur mä1 Ob es sich in all diesen Fällen tatsächlich um ein Eingriffe im rechtlichen Sinne handelt, bedarf an dieser Stelle keiner Erörterung. Hier genügt der Hinweis, daß der Begriff des Eingriffs in den letzten Jahren und Jahrzehnten grundlegend erweitert worden ist. Als Eingriff gilt nunmehr jede gnindrechtsrelevante hoheitliche Maßnahme, gleich ob das jeweilige Grundrecht unmittelbar oder mittelbar, final oder faktisch betroffen wird. Siehe dazu die Darstellung bei Bleckmann, S. 336ff..
y * Vgl. 3
schon oben § 2 C (Vorbemerkung).
Im Prinzip deshalb zutreffend OVG Berlin, DVB1. J985, 534 (534f.), und V G Gelsenkirchen, NJW 1990, 1807, die fur die Rechtfertigung der Übermittlung von Wählerlisten aus dem Melderegister nicht nur verschwommen auf die verfassungsrechtliche Stellung der Parteien als solche abstellen, sondern gerade auf das "Informationsbedürfnis" der Parteien; ebenso die Begründung des Regierungsentwurfs zu § 22 MRRG, BT-Drucks. 8/3825, S. 25. Daß diese Begründung im konkreten Fall den Eingriff nicht trägt - dazu unten C -, ist ein Problem für sich.
§ 4 Leistungsvergabe und Rechte Dritter
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ßige Sympathie entgegen. Verfassungsrechtliche Leistungsanspruche jedweder Art existieren nicht4, und weder aus der allgemeinen Funktion der Parteien im politischen Prozeß noch aus der - ihrerseits wieder aus der Parteifunktion abgeleiteten - Neutralität des Staates gegenüber dem Parteienwettbewerb läßt sich für die öffentlichen Leistungen mehr als ein im Kern identisches und lediglich nach Stoßrichtung und Verdichtungsgrad variierendes Zurückhaltungsgebot herauslesen5. Allenfalls könnte man sagen, daß sich die Verfassung zur Gewährung von Vorteilen an die politischen Parteien indifferent verhält 6. Unter diesen Umständen aber fehlt der Vergabe öffentlicher Leistungen genau jener rechtliche "Bonus", der allein gegen eine mit ihr verbundene Beeinträchtigung von Verfassungsgütern in die Waagschale geworfen werden könnte, damit die Waage sich schließlich auf einer Ebene "praktischer Konkordanz"7 sacht einpendeln könnte. Staatliches Handeln, das eine Grundrechtsbeeinträchtigung zur Folge hat, kann demnach nicht ohne weiteres dadurch sal viert werden, daß es sich zugleich als bewußte und zweckgerichtete Zuwendung an die politischen Parteien darstellt. Die Grundrechte müssen insoweit nicht hinter dem Interesse der Parteien an öffentlichen Leistungen zurückstehen8. Und was für die Grundrechte gilt, gilt auch für andere Verfassungsprinzipien. Für die "Herstellung praktischer Konkordanz" bleibt in der Regel kein Raum.
4
Dazu oben § 2 C IV 5 a.E..
5
Dazu oben § 2 C I V .
6
Richtig Neumann/ Wesener, DVBl. 1984, 915: "Die Mitwirkungsbefugnis der Parteien bei der politischen Willensbildung garantiert ihnen grundsatzlich keine Privilegien beim Zugriff auf öffentliche Leistungen." 7
Dazu allgemein K.Hesse, Grundzüge, Rn.72, 317ff.. ο ° Auch außerhalb des Bereiches öffentlicher Leistungen können sich übrigens die Grundrechte gegen die Belange der Parteien durchsetzen. So müssen die Parteien auch in Wahlkampfzeiten das allgemeine Persönlichkeitsrecht und den Wunsch des einzelnen, "in Ruhe gelassen" zu werden, respektieren, Fuchs/Simanski, NJW 1990, 2984; allgemein zu dieser Komponente des Persönlichkeitsrechts Schmitt Glaeser, in: IsenseeIKirchhof Bd.VI, S. 61. Grundsätzlich untersagt ist ihnen deshalb etwa der Einwurf von Wahlwerbung in Hausbriefkästen bei erkennbar entgegenstehendem Willen des Empfangers, OLG Bremen, NJW 1990, 2140; LG Bremen, NJW 1990, 456; Fuchs/Simanski, a.a.O.; a.A Löwisch, NJW 1990, 437f.. Gleiches gilt fur unerbetene Telefonannife, OLG Stuttgart, NJW 1988, 2615.
284
§ 4 Leistungsvergabe und Rechte Dritter
A. Die Steuerbegünstigung von Parteispenden und Mitgliedsbeiträgen und das Grundrecht des Bürgers auf gleiche Teilhabe an der politischen Willensbildung Ein erstes Anwendungsfeld findet der soeben versuchsweise aufgestellte Satz, daß öffentliche Leistungen an die politischen Parteien regelmäßig keine Einschränkung von Individualgrundrechten rechtfertigen, möglicherweise bei der steuerlichen Begünstigung von Parteispenden. Schon im ersten Parteispendenurteil, das sich mit der Einbeziehung von Parteispenden in den Kreis der steuerlich absetzbaren Sonderausgaben durch §§ 10b EStG, 11 Ziff. 5 KStG i.d.F. vom 21.12.1954 i.V.m. den entsprechenden Durchfuhrungsbestimmungen befaßte und das an anderer Stelle bereits ausfuhrlich gewürdigt worden ist 9 , hatte das BVerfG eine Verletzung des Grundrechts des Bürgers auf gleiche Teilhabe an der politischen Willensbildung durch eine an den Steuersatz des Spenders gekoppelte Abzugsregelung konstatiert. Was das Gericht zuvor bereits fur die Chancengleichheit der Parteien festgestellt hatte, übertrug es in knappen Worten auf das Individualrecht des Bürgers: Im Vorfeld der politischen Willensbildung sei, so das BVerfG, der Gleichheitssatz streng formal zu verstehen und vertrage keinerlei Differenzierungen - insbesondere nicht solche nach den Einkommensverhältnissen. Der das Steuerrecht beherrschende - und von der Gerechtigkeit gebotene - Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit könne daher fur die steuerliche Begünstigung von Parteispenden, mit denen der Bürger sich zu den Zielen der jeweiligen Partei bekenne, nicht übernommen werden. Die Steuerprogression führe vielmehr dazu, daß diejenigen Bürger, die durch Parteispenden von ihrem demokratischen Recht auf Teilhabe an der staatlichen Willensbildung Gebrauch machten, als Steuerzahler einen unterschiedlichen materiellen Vorteil erlangten. Wegen der Bedeutung des Geldes fur die Wahlpropaganda könne ein Spender mit hohem Einkommen seiner politischen Meinung zu einer größeren Werbekraft verhelfen als der Bezieher eines niedrigeren Einkommens. Infolge der - absolut wie relativ - unterschiedlich hohen Steuerersparnis werde die politische Meinung des ersteren "sozusagen prämiert". Mit formaler Gleichheit sei das nicht zu vereinbaren 10. Dem ist nicht viel hinzuzufügen. Daß auch auf individualrechtlicher Ebene im Bereich der politischen Willensbildung ein formalisierter Gleicheitssatz gilt, folgt bereits aus Art. 38 I GG und dem darin verankerten Prinzip der gleichen Wahl. Das Wahlrecht ist danach ausschließlich an den formalen Status eines Wahlberechtigten nach §§12 ff. BWahlG geknüpft; jede Stimme hat, 9
Siehe oben mit den entsprechenden Nachweisen § 2 D I I 1 a.
1 0
BVerfGE 8, 51 (68f.).
Α. Steuerbegünstigung von Paiteispenden und Bürgelgleichheit
285
getreu dem klassischen Prinzip "one man, one vote", grundsätzlich denselben Zähl- und Erfolgswert, unabhängig von der sozialen Stellung des Wählers, seiner Herkunft oder Bildung, von Familienstand, Religion, Geschlecht oder Steueraufkommen 11. In der Stimmabgabe aber erschöpft sich der - durch die Grundrechte der Art. 5, 8, 9 GG abgesicherte - umfassende und permanente Prozeß der politischen Meinungs- und Willensbildung bei weitem nicht 12 , und folgerichtig gilt auch fur die gesamte Beteiligung des einzelnen an ihm, was fur seine Kulmination, den Wahlakt, gilt: Ungleichbehandlungen von Staats wegen sind prinzipiell nicht statthaft 13. Damit verträgt sich eine progressionsabhängige steuerliche Begünstigung von Spenden an eine politische Partei grundsätzlich nicht - schon wegen der unterschiedlich hoch ausfallenden Steuerersparnis 14. Und eine Rechtfertigung dieses Grundrechtseingriffs durch die Finanzbedürfhisse der Parteien? Zu Recht hat sie das BVerfG nicht einmal in Erwägung gezogen. Das Parteispendenurteil hat insofern Zustimmung redlich verdient. Um so bedauerlicher ist es, daß das BVerfG sich stillschweigend von den darin nie-
1 1 Allgemeine Meinung, siehe nur BVerfGE 1, 208 (241ff.); 6, 84 (91); 41, 399 (413); 57, 43 (56); 82, 322 (337); von Arnim, DÖV 1984, 85f.; Becht, S. 58; Schreiber, Erl. zu § 1 BWahlG Rn.18 m.w.N.. Die Gleichheit des Erfolgswerts soll dagegen im Rahmen des Verhältniswahlsystems nur in der Regel gelten, vgl. Becht, a.a.O.; Schreiber, Erl. zu § 1 BWahlG, Rn.23a. Sie wird vor allem durch die Sperrklauseln durchbrochen, vgl. BVerfGE 1, 208 (247ff.); 4, 31 (39f.); 6, 84 (90ff.); zuletzt 82, 322 (337ff.). Zu diesen bereits oben § 3 D I 2 bb aaa. 1 2
Vgl. BVerfGE 20, 56 (97ff.)...
1 3
Von daher sollte das Grundrecht des Bürgers auf gleiche Teilhabe an der politischen Willensbildung generell aus Art. 38 I GG abgeleitet werden; der Rekurs auf den - Differenzierungen in weitem Umfang zugänglichen - materialen Gleichheitssatz des Art. 3 I GG empfiehlt sich nicht; anders jetzt aber BVerfGE 73, 40 (70f.); Hettich, S. 175ff.. Das BVerfG knöpft damit an die traditionelle Auffassung an, die Wahlrechtsgleichheit sei ein Anwendungsfall des allgemeinen Gleichheitssatzes, vgl. BVerfGE 1, 208 (242, 247); 4, 31 (39); 6, 84 (91); 57, 43 (56); Schreiber, Erl. zu § 1 BWahlG, Rn.19 m.w.N.. Dagegen zutreffend GGK - von Münch, Art.38 Rn.40; von Mangoldt!Klein - Starck, Art.3 Rn.12; Becht, S. 58ff.. In BVerfGE 82, 322 taucht dieser Standardsatz allerdings nicht mehr auf. 1 4 Von Arnim, Parteienfinanzierung, S. 34f.; Ipsen, JZ 1984, 1062f.; a.A. H.H.Klein , NJW 1982, 737; für die "Vielpaiteienspende" auch Jakob/Jüptner, S. 52f.. Neuerdings vertritt Hettich, S. 218ff., die Auffassung, soweit lediglich die.beim Spender verbleibende unterschiedliche steuerliche Entlastung zu beurteilen sei, sei Beurteilungsmaßstab nicht der formale, sondern lediglich der allgemeine Gleichheitssatz. Die formale Gleichheit soll dagegen, wenn ich es richtig verstanden habe, nur dann einschlägig sein, wenn die jeweiligen Zuwender ihrer Partei bei gleichbleibendem individuellen Opfer einen absolut höheren Betrag zuwenden wollen, vgl. Hettich, S. 197ff., 208ff.. Damit wird indes nicht nur das einheitliche Motiv fur die Vergabe von Spenden in einer in der Realität kaum nachvollziehbaren Weise aufgespalten, sondern auch das Wesen des Rechts auf gleiche Teilhabe an der politischen Willensbildung verkannt. Ist nämlich, wie grundsätzlich auch Hettich, S. 194f., anerkennt, die Vergabe von Spenden Beteiligung an dieser Willensbildung, ist dem Staat keineswegs nur untersagt, diese in unterschiedlicher Weise zu fordern, sondern auch, sie im nachhinein in unterschiedlichem Umfang zu honorieren. Auf Motive der Spender oder deren Bewußtheit kommt es demgegenüber nicht an. Eine Gleichheits-
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§ 4 Leistungsvergabe und Rechte Dritter
dergelegten Grundsätzen verabschiedet hat. Auch sie fielen der allgemeinen Kapitulation der dritten Gewalt vor den finanziellen Begierden der politischen Parteien zum Opfer. Die Erosion setzte bereits im PartG-Urteil vom 3.12.1968 15 ein, als das BVerfG die Wiedereinführung der Steuervergünstigung fur Parteispenden bis 600 D M - bzw. 1200 D M bei Zusammenveranlagung von Ehegatten - durch §§ 34, 35 PartG i.d.F. vom 24.7.1967 16 auch unter dem Gesichtspunkt der Bürgergleichheit billigte. Das BVerfG interpretierte den Anspruch des einzelnen auf Teilhabe an der politischen Willensbildung nunmehr wie folgt: "Der Gesetzgeber darf dieses Recht ... grundsätzlich nicht in der Weise beeinträchtigen, daß er bestimmten Bürgern eine größere Einflußnahme auf den politischen Willensbildungsprozeß ermöglicht als anderen Bürgern, daß er insbesondere die finanziell leistungsfähigeren Bürger privilegiert." 17 Damit war das Gericht dem diskreten Charme der Kleinbetragsregelung bereits erlegen: Hatte es im ersten Parteispendenurteil den Gleichheitsverstoß einer progressionsabhängigen Steuervergünstigung noch in der befürchteten Zunahme des politischen Einflusses der Bezieher hoher Einkommen und in der Prämierung von deren politischer Meinung durch eine absolut wie relativ höhere Steuerersparnis erblickt 18 , setzte es jetzt die gleichheitswidrige Privilegierung mit der Verstärkung der Einflußnahme einzelner Bürger gleich 19 . Die zweite Komponente des Gleichheitsverstoßes, die unterschiedliche Steuerersparnis, war auf diese Weise und ganz nebenbei unter den Tisch gefallen. Ebenso wie ihre kollektivrechtliche Schwester, die Chancengleichheit der Parteien, interpretierte das BVerfG nun auch die individuelle Gleichheit der Bürger bei der Beteiligung an der politischen Willensbildung ausschließlich folgen- oder ergebnisoùtnùeà 20. Für den Gleichheitsverstoß maßgeblich soll danach allein die - freilich kaum je nachweisbare - Verschiebung der "Gewichte", die "Veränderung der Wettbewerbslage" sein 21 , während es auf die bereits in der staatlichen Handlung liegende Ungleichbehandlung nicht Verletzung setzt - ebenso wie eine sonstige Rechtsverletzung - nicht voraus, daß der Verletzte sie als solche empfindet. 1 5
BVerfGE 24, 300.
1 6
BGBl. IS.773.
1 7
BVerfGE 24, 300 (360).
1 8
BVerfGE 8, 51 (69).
1 9
Auch unter diesem Gesichtspunkt hätte sich allerdings möglicherweise ein Gleichheitsverstoß begründen lassen, vgl. Hug y S. 174. 2 0 Dies erkennt auch Hettich, S. 187, 192. Zur Parallele bei der Chancengleichheit der Parteien oben § 3 D Π 1 c a.E.. 2 1 So die Formulierungen zur parallel gelagerten Chancengleichheit der Parteien in BVerfGE 24, 300 ((358f.); 52, 63 (90f.).
Α. Steuerbegünstigung von Pateispenden und Bürgegleichheit
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mehr ankommt. Folgerichtig verneinte das BVerfG eine gleichheitswidrige Privilegierung einzelner durch die Steuerermäßigung fur Spenden an politische Parteien nach §§ 34 und 35 PartG a.F., weil eine Vergrößerung des Einflusses bestimmter Bürger nicht zu befürchten sei. Denn eine Partei orientiere ihre politischen Entscheidungen nicht deshalb an dem Willen bestimmter Personen, weil diese ihr 600 D M im Jahr zur Verfügung stellten22. Haltbar ist das nicht. Die allmähliche Reduktion formaler rechtlicher Gleichheit auf ein Verbot der Einwirkung auf "Gewichte", "Kräfteverhältnisse", "Einflußmöglichkeiten" - eine Reduktion, in deren Folge "eine gewisse Veränderung" dann hingenommen werden kann, solange sie nicht "ernsthaft ins Gewicht" fällt 23 - ist auf der individualrechtlichen Ebene ebenso verfehlt wie im Bereich der Chancengleichheit der Parteien. Formale Gleichheit liefert nicht nur einen Maßstab für die Beurteilung der Ergebnisse und Folgen staatlichen Handelns, sondern auch für das Handeln selbst24. Folgerichtig verletzte die Kleinbetragsregelung der §§ 34, 35 PartG a.F. das Recht auf gleiche Teilhabe an der politischen Willensbildung in gleicher Weise wie ihre im Parteispendenurteil abgehandelten Vorläufer - ein Ergebnis, zu dem selbst das BVerfG hätte kommen müssen, wäre es nur bei der von ihm einmal eingeschlagenen Linie geblieben. Denn nach wie vor führte die Steuerprogression dazu, daß die Bürger mit hohem Einkommen einen größeren Staatszuschuß zu ihrer Spende erhielten als Bürger mit geringerem Einkommen, nach wie vor gingen Spender ohne steuerpflichtiges Einkommen gänzlich leer aus. An der in der Steuerbegünstigung angelegten "Prämierung" der politischen Meinung der Begüterten, von der im ersten Parteispendenurteil noch mahnend die Rede war, hatte sich also nichts geändert 25. Die Begrenzung der Abzugsfähigkeit auf D M 600/1200 erweist sich da nur als Kosmetik. Mittlerweile hat das BVerfG das Grundrecht auf gleiche Teilhabe an der politischen Willensbildung noch ein gutes Stück weiter entwertet - und zwar 2 2
BVerfGE 24, 300 (360f.).
2 3
BVerfGE 52, 63 (90f.).
2 4
Dazu bereits oben § 3 D (Einleitung). Dem BVerfG folgend aber Hettich, S. 208ff., der meint, die Notwendigkeit einer solchen ergebnisorientierten Anwendung des Gleichheitspostulats ergebe sich aus dessen "Bezugspunkt", dem Prozeß der staatlichen Willensbildung (211 f.). Das reicht indes zur Begründung nicht aus. Warum fur die Bejahung eines Gleichheitsverstoßes das Augenmerk nicht nur auf das Ergebnis, sondern bereits auf die Handlung als solche zu lenken ist, illustriert folgendes Beispiel: Verfiele eine Parlamentsmehrheit nach einer Wahl auf die Idee, ihren Wählern - und nur diesen - zum Dank je 50 D M zu schenken, wäre damit niemandes politischer Einfluß vergrößert. Ungeachtet dessen wäre der Gleichheitsverstoß evident. Auf die Vergrößerung von "Einflüssen", "Gewichten" oder die Verschiebung von "Kräfteverhältnissen" kann es demnach fur dessen Feststellung nicht ankommen. Schon die "Prämierung" als solche verletzt, wie BVerfGE 8, 51 (69) zutreffend festgestellt hat, den formalen Gleichheitssatz. 2 5 So auch Konow, DÖV 1968, 79f.; Hug, S. 172ff.; Upphardt, S. 361f.; a.A. Scheuner, DÖV 1968, 93f.; Randelzhofer, JZ 1969, 541.
§ 4 Leistungsvergabe und Rechte Dritter
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auf eine Weise, wie sie in der ausschließlich ergebnis- und folgenorientierten Interpretation des Gleichheitssatzes, in seiner Verkürzung auf ein Verbot "ernsthaft ins Gewicht fallender" Verzerrungen vorgefundener "Gewichts"verhältnisse bereits angelegt war. Im Urteil vom 14.7.1986 26 vollzog das Gericht unter dem Anschein der Wahrung der Kontinuität, wie er sich unter anderem in der wörtlichen Wiedergabe der entscheidenden Passage des ersten Parteispendenurteils äußerte 27, den endgültigen Bruch mit seiner früheren Rechtsprechung. Zur Entscheidung gestellt war, wie bereits an anderer Stelle dargelegt 28, die Neuregelung der Parteienfinanzierung durch das Gesetz zur Änderung des Parteiengesetzes und anderer Gesetze vom 22.12.1983, die unter anderem die Einbeziehung von Parteispenden und Mitgliedsbeiträgen in den Kreis der steuerlich absetzbaren Sonderausgaben (§§ 10b EStG, 9 Nr.3 KStG), die Einführung einer progressionsunabhängigen Steuervergünstigung für kleinere Zuwendungen bis 1200/2400 D M (§34g EStG) und den Chancenausgleich (§ 22a PartG) vorsah. Die durch §§ 10b EStG, 9 Nr.3 KStG geschaffene Steuerbegünstigung entsprach dabei bis auf einige Details deijenigen, die im ersten Parteispendenurteil noch apodiktisch verworfen worden war. Nunmehr erhielt sie aus Karlsruhe den verfassungsrechtlichen Segen. Zwar rügte das BVerfG, gestützt auf Berechnungsbeispiele, nach wie vor einen Verstoß der angegriffenen Regelungen gegen das Recht auf gleiche Beteiligung an der politischen Willensbildung - aber nur noch insoweit, als diese die steuerliche Abzugsfähigkeit von Parteispenden und Mitgliedsbeiträgen "nicht auf einen für alle Steuerpflichtigen gleichen Höchstbetrag begrenzen, der 100.000 D M nicht überschreiten darf" 29 . Eine Summe in dieser Größenordnung sollte nach Ansicht des BVerfG jede natürliche und juristische Person den Parteien künftig steuerbegünstigt zukommen lassen können. Grund für diese nicht unbedingt zu erwartende Großherzigkeit des Gerichts: der neue, aus progressionsunabhängiger Steuervergünstigung (§ 34g EStG), Chancenausgleich (§ 22a PartG) und verschärften Publizitätsanforderungen (§§ 23ff. PartG) bestehende "Regelungszusammenhang", in den der Gesetzgeber die steuerrechtlichen Vorschriften der §§ 10b EStG, 9 Nr.3 KStG gestellt habe 30 . Wie sich dieser "neue normative Zusammenhang" im einzelnen auswirkt, bleibt allerdings im Dunkeln. Das BVerfG faßt die einen Gleichheitsverstoß
2 6
BVerfGE 73, 40.
2 7
BVerfGE 73, 40 (72f.).
2 8
Oben § 3 D Π 1 d.
2 9
BVerfGE 73, 40 (70f.).
3 0
BVerfGE 73, 40 (73ff.).
Α. Steuerbegünstigung von Pateispenden und Bürgegleichheit
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begründenden und wiederaufhebenden Argumente ohne jegliche Trennung in einem einheitlichen Abschnitt zusammen31 und leitet das Judiz mit Worten ein: "Zieht man all dies in Betracht . . . " 3 2 . Unpräziser geht es kaum. Unternimmt man den Versuch einer Abschichtung, so scheint fur eine erhebliche Ausweitung der progressionsabhängigen Steuerbegünstigungen fur Parteispenden und Beiträge zunächst die Überlegung des BVerfG zu sprechen, die Regelung des § 34g EStG, die einen Großteil der Mitgliedsbeiträge erfasse, begünstige alle Einkommenssteuerpflichtigen in gleichem Maße; der Höchstbetrag von 1200 bzw. 2400 D M gestatte es "der weit überwiegenden Mehrzahl der Bürger mit niedrigem oder mittlerem Einkommen, im Rahmen ihrer finanziellen Möglichkeiten an der Steuerermäßigung teilzuhaben"33. Deutlicher auf die Rechtfertigung der §§ 10b EStG, 9 Nr.3 KStG zielen demgegenüber die Ausführungen des Gerichts zum Chancenausgleich nach § 22a PartG. Durch diesen werde der Gleichheitsverstoß "gemildert, aber nicht aufgehoben". Der Chancenausgleich habe zur Folge, daß der Spender oder Beitragszahler mit seiner Zuwendung auch andere Parteien finanziere, an deren Förderung er möglicherweise gerade nicht interessiert sei. Insofern werde die politische Meinung des Beziehers eines großen Einkommens durch den unmittelbar ihm zufließenden Steuervorteil nicht mehr "prämiert" 34. All dies zusammengenommen, habe der Gesetzgeber die Abzugsfahigkeit fur Zuwendungen an politische Parteien erheblich ausweiten dürfen - aber eben nicht über den Höchstbetrag von 100.000 D M hinaus35. Diese Begründung signalisiert den endültigen Absturz des BVerfG von den lichten Höhen methodisch nachvollziehbarer Argumentation in die unergründlichen Tiefen eines juristischen Dezisionismus, der im Bereich der Parteienfinanzierung Dämme, die er gestern selbst noch errichtet hat, nach eigenem Gutdünken anderntags wieder einreißt 36. Das Urteil hat sich, vor allem aus den eigenen Reihen, denn auch harsche Kritik gefallen lassen müssen37. Sie ist nur zu berechtigt. Von einer "Milderung" des Gleichheitsverstoßes durch den "neuen normativen Zusammenhang" der §§ 10b EStG, 9 3 1
C II, BVerfGE 73, 40 (75ff.).
3 2
BVerfGE 73, 40 (83).
3 3
BVerfGE 73, 40 (75f.).
3 4
BVerfGE 73, 40 (8Iff.). Ebenso zuvor Friauf,
Aus Politik und Zeitgeschichte, Β 8/1984,
S. 8. 3 5
BVerfGE 73, 40 (83f.).
3 6
Den Dezisionismusvorwurf ertieben auch Günther, KJ 1988, 420f.; ders., ZRP 1989, 267; Ipsen, in: Wewer, Parteienfinanzierung, S. 78. Von einer "gewissen Kapitulation" vor den Finanzansprüchen der Parteien spricht Weigelt, S. 74. 3 7
Siehe das Minderheitsvotum Böckenßrde, BVerfGE 73 , 40 (103ff.); ebenso Mahrenholz, a.a.O. (117). Aus der Literatur siehe Höfling, ZRP 1988, 397; Günther, KJ 1988, 420f.; ders., ZRP 1989, 267; Weigelt, S. 178; Meyer, S. 366. Dem BVerfG zustimmend wohl H/H/R Heuerl Clausen, § 10b EStG Anm. 123. 19 Volkmann
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§ 4 Leistungsvergabe und Rechte Dritter
Nr. 3 KStG, von dem das BVerfG spricht, und der endgültigen Heilung dieses Verstoßes durch die Festlegung einer absoluten Grenze von 100.000 D M kann in Wahrheit keine Rede sein. Der "Prämierungseffekt" der progressionsabhängigen Steuervergünstigung für die Bezieher hoher Einkommen besteht fort und wird durch den Chancenausgleich, der ersichtlich nur ein Ausgleich zwischen den Parteien ist, nicht einmal berührt 38 . Die Prämierung ergibt sich - und ergab sich nach der bisherigen Rechtsprechung des BVerfG - allein daraus, daß der Spender mit hohem Einkommen auf seine Zuwendung eine absolut wie relativ höhere Steuerersparnis verzeichnen kann als der Bezieher eines niedrigeren Einkommens. Das ist bei den Regelungen der §§ 10b EStG, 9 Nr.3 KStG nach wie vor der Fall. Ob der auf die Spende entfallende Staatszuschuß ausschließlich der vom Spender bevorzugten Partei zukommt, hat demgegenüber mit der Bevorzugung oder Benachteiligung der Spender untereinander auf die es für die Beurteilung nach dem Maßstab der Bürgergleichheit allein ankommt - nichts zu tun 3 9 . Angesichts dessen liegt die Festsetzung einer Obergrenze von 100.000 D M , von der an eine Prämierung offensichtlich nicht mehr vorliegen soll, für den Verfassungsrichter Böckenförde "außerhalb jeder Rechtfertigungsmöglichkeit" 4 0 , und das dürfte noch zurückhaltend ausgedrückt sein. Ein solcher Betrag liegt weit über dem jährlichen Durchschnittseinkommen der Bevölkerung; Spenden in dieser Höhe dürften nur einem verschwindend kleinen Kreis von Spitzenverdienern möglich sein, wobei noch hinzukommt, daß die Einbeziehung juristischer Personen in die Steuervergünstigung vielfältige Umgehungsmöglichkeiten eröffnet 41. Die progressionsunabhängige Kleinbetragsregelung des § 34g EStG kann die Verletzung des Rechts auf gleiche Beteiligung an der politischen Willensbildung durch die §§ 10b EStG, 9 Nr.3 KStG 3 8 Böckenförde, BVerfGE 73, 40 (109ff.); Ipsen, in: Wewer, Parteienfinanzierung, S. 82; Meyer, S. 362; so zuvor bereits von Arnim, Aktuelle Probleme, S. 15f.. 3 9 Vgl. Böckenförde, BVerfGE 73 , 40 (111): Es bedürfe "der Begründung, warum und inwieweit eine Chancenausgleichsregelung zwischen den Parteien auch die unterschiedliche (steuerliche) Begünstigung der Einflußnahme der Bürger auf die politische Willensbildung aufhebt oder relativiert. Eine solche Begründung gibt das Urteil mit der bloßen Zusammenschau eigentlich in andere Richtung zielender Darlegungen ... nicht. " 4 0 Böckenförde, BVerfGE 73, 40 (113); ebenso Höfling, ZRP 1988, 397; Weigelt, S. 178. Nach der Entscheidung des BVerfG könnte ein Spitzenverdiener einer Partei jährlich 101.200 D M (100.000 D M plus 1200 D M gem. § 34g EStG) spenden; der Anteil des Staates läge bei knapp 56 %, Ipsen, in: Wewer, Parteienfinanzierung, S. 78. Bei der Spende eines ledigen Steuerpflichtigen mit einem Jahreseinkommen von 18.000 D M in Höhe von 2.100 D M beliefe sich die Staatsquote lediglich auf 731 D M , BVerfGE 73, 40 (77). Dieser mußte also rund zwei Drittel seiner Spende, mit der einen nennenswerten "Einfluß" ohnehin nicht ausüben könnte, selbst tragen. Kritisch angesichts dessen selbst Hettich, S. 213, der dem BVerfG in seiner ergebnisorientierten Interpretation der Bürgergleichheit ansonsten durchaus Sympathie entgegenbringt, vgl. S. 203ff. 4 1
Böckenförde,
BVerfGE 73, 40 (114).
Α. Steuerbegünstigung von Parteispenden und Büfgeigleichheit
291
allenfalls in ihrem - begrenzten - Anwendungsbereich, im übrigen aber schon deshalb nicht ausräumen, weil von ihr lediglich die Steuerzahler profitieren. Sie verstößt damit ihrerseits gegen den im Bereich der politischen Willensbildung streng formalisierten Gleichheitssatz. Unter dessen Schutz fallen eben nicht nur eine Vielzahl oder, wie das BVerfG offensichtlich meint, eine H weit überwiegende Mehrzahl" von Bürgern, sondern schlechthin alle 4 2 . Stellt die Vergabe von Spenden, wie das BVerfG festgestellt hat, ein Element der Teilhabe des einzelnen an der politischen Willensbildung dar 4 3 , dürfen Rentner, Sozialhilfeempfänger oder Arbeitslose von ihrer Bezuschussung ebensowenig ausgeschlossen werden wie ihnen das Wahlrecht vorenthalten werden kann 44 . Umgekehrt liegt ein weiterer Gleichheitsverstoß in der Gewährung der Steuervergünstigung für Zuwendungen juristischer Personen an die Parteien. Da sich diese auf das Grundrecht der gleichen Teilhabe an der politischen Willensbildung nicht berufen können, darf der Staat sie mit natürlichen Personen, die dieses Recht ausüben, auch nicht gleichstellen45. Von den in Rede stehenden Bestimmungen profitieren damit einerseits mehr, als von ihnen profitieren dürften, andererseits nicht alle, die von ihnen - gleichmäßig - profitieren müßten. Der Gleichheitsverstoß ist evident 46 . Indem das BVerfG ihn ohne nennenswerten Widerstand hinnahm, erteilte es, um noch einmal Ernst Wolfgang Böckenförde zu Wort kommen zu lassen, "kapitalkräftigen Interessenträgern nahezu einen Freifahrschein zur steuerbegünstigten Einflußnahme auf die politische Willensbildung"47 Die Erteilung dieses Freifahrscheines liegt freilich in der Konsequenz der auschließlich ergebnis- und folgenorientierten Auslegung des Gleichheitssatzes, die schon die Entscheidung des BVerfG zur Überprüfung einzelner Bestimmungen des Parteiengesetzes prägte und die für die Beurteilung einer Handlung lediglich deren Erfolg, nicht aber sie selbst unter die Lupe nimmt. Wird der Gleichheitsverstoß nicht mehr in der je unterschiedlichen Steuerersparnis, sondern ausschließlich darin gesehen, daß der Staat durch die Steuer4 2 Ausnahmen können sich nach BVerfGE 8, 51 (69) lediglich aus "zwingenden Gründen" ergeben. Zu diesen dürfte aber die Steuerpflichtigkeit spätestens seit der Abschaffung des preussischen Dreiklassenwahlrechts nicht gehören. Im Ergebnis wie hier Günther, ZRP 1989, 269. 4 3
BVerfGE 8, 51 (68).
4 4
Dem läßt sich auch nicht entgegenhalten, ein Ausschluß dieser Gruppen sei gerechtfertigt, weil sie schließlich auch keine Steuern zahlten. Die Eigenschaft eines Bürgers, Steuerzahler zu sein, rechtfertigt im Bereich der politischen Willensbildung generell keinerlei Privilegierungen. Sie ist als vorgegeben hinzunehmen; unterschiedliche Rechtsfolgen dürfen an sie nicht geknüpft werden. Hier gilt eben der Gleichheitssatz streng egalitär. 4 5 Böckenförde, BVerfGE 73, 40 (104ff.). Das BVerfG hingegen hatte die Einbeziehung der Spenden von Körperschaften in den Kreis der abzugsfahigen Sonderausgaben im Grundsatz schon im PaitG-Urteil hingenommen, BVerfGE 24, 300 (360).
19*
4 6
Ebenso Höfling,
4 7
BVerfGE 7 3 , 4 0 ( 1 1 4 ) .
ZRP 1988, 397; Weigelt
y
S. 74.
292
§ 4 Leistungsvergabe und Rechte Dritter
Vergünstigung bestimmten Bürgern "eine größere Einflußnahme auf den Willensbildungsprozeß ermöglicht als anderen" 48, ist es nur noch ein Schritt zu der Feststellung, der Gleichheitssatz verbiete lediglich, "daß einzelne Bürger kraft staatlicher Förderung einen bestimmenden Einfluß auf die von ihnen unterstützte Partei erlangen" 49. Beides, die "größere Einflußnahme" wie auch der "bestimmende Einfluß", lassen sich nur spekulativ feststellen, und da ist die Bestimmung einer Grenze von 100.000 D M - oberhalb derer der "Einfluß" beginnt, unterhalb derer er nicht zu erkennen sein soll - ebenso willkürlich und aus der Luft gegriffen, wie es jede andere auch wäre 50 . Zutreffend ist zwar, daß das Recht auf gleiche Teilhabe an der politischen Willensbildung auch die durch staatliches Handeln geforderte Vergrößerung des Einflusses bestimmter Bürger verbietet 51. Aber darin liegt eben nur eine seiner Komponenten. Die andere hat das BVerfG zusehends ignoriert. Der Gesetzgeber hat im Anschluß an dessen Entscheidung den Höchstbetrag zwar auf 60.000 D M gesenkt52. Die Verletzung der Bürgergleichheit hebt das aber ebensowenig auf wie die im gleichen Atemzug erfolgte Umgestaltung des Chancenausgleichs53.
4 8 BVerfGE 73, 40 (71). Anklänge an eine auch handlungsorientieite Interpretation des formalen Gleichheitssatzes, wie sie sich vor allem in den Berechnungsbeispielen finden - in denen der Prämierungseffekt offensichtlich auch aus der unterschiedlichen Höhe der Steuervergünstigung hergeleitet wird - (76ff.), muten demgegenüber wie bloße Lippenbekenntnisse an. Auf das Eigebnis der Entscheidung haben sie sich jedenfalls nicht ausgewirkt. Gleiches gilt fur den Satz, der Grundsatz der Büigergleichheit verlange, "daß allen Bürgern in gleicher Weise die Möglichkeit" offenstehe, "die steuerliche Begünstigung der von ihnen erbrachten Zuwendungen und den damit fur sie verbundenen Steuervorteil in Anspruch zu nehmen"(79). 4 9
BVerfGE 73, 40 (84, Hervorhebung nur hier).
5 0
Schon bei einer Spende von 10.000 D M , 20.000 oder 40.000 D M wird man indes einen Einfluß nicht ausschließen können, jedenfalls dann nicht, wenn diese lokalen Parteiorganisationen gewährt wird, Ipsen y in: Wewer, Parteienfinanzierung, S. 79f; ähnlich Hettich, S. 214f.. Zum Zusammenhang von Spenden und Einfluß Külitz, Unternehmerspenden, S. 53f., 124f.; zahlreiche Einzelfalle aus früheren Tagen bei Dübber, Geld, S. 52ff.. 5 1 Deshalb begegnet selbst eine Regelung, durch die der Staat allen Bürgern einen unbegrenzten, aber gleichbleibenden prozentualen Anteil der von ihnen hingegebenen Parteispenden erstattete, Bedenken, weil eine solche Erstattung in der Tat - man denke etwa an Spenden in der Größenordnung von mehreren Millionen D M - zu einer staatlichen Förderung des politischen Einflusses einiger weniger fuhren könnte. Insofern könnte man auch hier von einem Zurückhaltungsgebot sprechen; zur Parallele bei der Chancengleichheit der Parteien siehe § 3 C I D . 5 2 Art. 4, 5 des Fünften Gesetzes zur Änderung des Parteiengesetzes und anderer Gesetze vom 22.12.1988, BGBl. I S. 2615ff.. 5 3
Dazu oben § 3 D I I 1 d bb.
Β. Einräumung von Sendezeiten und Rundfunkfreiheit
293
B. Die Einräumung von Sendezeiten im Lichte der Rundfunkfreiheit Einen Grundrechtseingriff enthält möglicherweise auch die Eröffnung von "Programmfenstern" fur die politischen Parteien im Rundfunk, die diese zur Ausstrahlung selbstgestalteter Wahlspots nutzen. Damit ist hier nicht der administrative Vorgang der Sendezeitgewährung - die, falls sie durch die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten erfolgt, eine eigenständige öffentliche Leistung darstellt - gemeint, sondern die gesetzgeberische Grundentscheidung, mit der den Parteien das sogenannte Drittsendungsrecht eingeräumt wurde und die sich sowohl in bezug auf den öffentlich-rechtlichen als auch auf den privaten Rundfunk schon fur sich als öffentliche Leistung begreifen läßt 54 . Diese berührt, als Inpflichtnahme des Rundfunks fur Parteizwecke, namentlich das Grundrecht der Rundfunkfreiheit. Denn insofern gilt folgendes: Welche Sendungen ein Rundfunkveranstalter ausstrahlt, auf welche Sendungen er verzichtet, obliegt allein seiner individuellen Entscheidung. Darin äußert sich seine Programmfreiheit, die ihrerseits einen Ausschnitt der Rundfunkfreiheit des Art. 5 1 2 GG darstellt 55. Und diese steht grundsätzlich sowohl den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten als auch privaten Rundfunkveranstaltern zu. Für die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ist das seit langem anerkannt. Obwohl von ihrer Organisationsform her selbst Teil staatlicher Verwaltung, können sie sich auf die Rundfunkfreiheit berufen, weil sie, wie es das BVerfG formuliert, dem Lebensbereich dieses Grundrechts unmittelbar zugeordnet sind 56 . Aber auch für die Veranstalter von Privatfunk gilt im Ergebnis nichts anderes. Zwar ist die Frage, in welchem Umfang jene Träger des Rechtes aus Art. 5 1 2 GG sind, weder wissenschaftlich abschließend geklärt 57 noch durch das BVerfG autoritativ entschieden58. Umstritten ist aber lediglich, ob die Rundfunkfreiheit nach partiellem Wegfall der durch die Knappheit der Sendefrequenzen bedingten Sondersituation des Rundfunks 59 - auch eine Freiheit zur Veranstaltung von Rundfunkprogrammen ist und privaten Anbietern ein subjektives öf-
5 4
Siehe oben § 1 C X I 3.
5 5
BVerfGE 59, 231 (258). Zur Programmfreiheit BK - Degenhart, Art.5 Abs.l u. 2 Rn.
690ff.. 5 6 BVerfGE 31, 314 (322); 59, 231 (254); von Mangoldt!Klein Rn.77; A.Hesse, S. 104ff.
- Starck, Art.5 Abs. 1,2
5 7
Umfassende Nachweise zum Streitstand bei BK - Degenhart, Art.5 Abs.l u.2 Rn.656.
5 8
Offengelassen auch von BVerfGE 73, 118.
5 9
Dazu BVerfGE 12, 205 (261); 57, 295 (322); 73, 118 (154f.); H.H.Klein , Rundfunkfreiheit, S. 62ff..
294
§ 4 Leistungsvergabe und Rechte Dritter
fentliches Recht auf Zulassung zum Rundfunk gewährt 60. Sind solche Anbieter aber erst einmal zugelassen, sind sie aus Art. 5 12 GG auch berechtigt 61. Insbesondere genießen sie eine - ihrem Schutzbereich nach nicht beschränkte Programmfreiheit 62. In diese aber wird durch die Begründung eines Drittsendungsrechts, das den jeweiligen Rundfunkveranstalter zur Ausstrahlung der von einem anderen erstellten und gelieferten Sendungen verpflichtet, eingegriffen 63 . Für die Beantwortung der Frage, ob ein solcher Eingriff verfassungsrechtlich zulässig ist, scheint sich zunächst ein Vergleich mit den Verhältnissen im Bereich der Presse anzubieten. Auch hier entscheiden - als Ausfluß der Pressefreiheit - allein die jeweiligen Herausgeber, welche Artikel in ihren Publikationsorganen erscheinen und welche nicht. Verpflichtungen zum Abdruck bestimmter Beiträge gibt es nach geltendem Recht nicht 64 , ebensowenig einen Zwang zur Veröffentlichung von Wahlanzeigen politischer Parteien 65. Richtiger Ansicht nach läßt sich eine solche Verpflichtung auch durch Gesetz nicht begründen 66. Für den Rundfunk gilt freilich Besonderes. Die Rundfunkfreiheit ist, in weit stärkerem Maße als die Pressefreiheit, instrumentalisiert und organisiert. Sie ist, wie das BVerfG formuliert, "dienende Freiheit" 67 . Ihre Aufgabe liegt in der Gewährleistung freier individueller und öffentlicher Meinungsbildung68. Zur Sicherung dieser Aufgabe bedarf die Rundfunkfreiheit der gesetzlichen Ausgestaltung. Der Gesetzgeber hat dabei insbesondere - wie an anderer Stelle bereits erörtert 69 - sicherzustellen, daß die Vielfalt der beste6 0 Vgl. H.H.Klein , Rundfunkfreiheit, S. 41f.; Bullinger, in: Isensee ! Kirchhof S. 712f..
Bd. V I ,
6 1 BK - Degenhart, Art. 5 Abs. 1 u. 2 Rn. 661, mit dem Hinweis, mit Rundfunkfreiheit sei dann die grundrechtliche Zuordnung der einmal erteilten Veranstaltererlaubnis gemeint. 6 2
Vgl. BVerfGE 73, 118 (164ff., 182f.).
6 3
So auch Scheuerle, S. 182, gegen Unk/Pahlke, S. 58. Jarass, Freiheit des Rundfunks, S. 71, spricht von "Intervention". Den Eingriffscharakter bejaht incidenter auch Hantke, BayVbl. 1971, 332. Da die Grundrechtsbeeinträchtigung unmittelbar und final erfolgt, dürfte es sich sogar um einen Eingriff im klassischen Sinne handeln. Darauf kommt es indes nicht einmal an, weil als Eingriff nunmehr jede grundrechtsrelevante hoheitliche Maßnahme gilt, siehe schon oben Fn.l in diesem Kapitel. 6 4 Zum Gegendarstellungsanspruch als begrenzter Ausnahme von diesem Grundsatz von Münch y Öffnungsklauseln, S. 17f.. 6 5 BVerfGE 42, 53 (62); Henke, DVB1. 1979, 376; BK - Degenhart Ait.5 Abs.l u.2 Rn.349 m.w.N.. Gelegentlich wird ein Kontrahierungszwang bei Monopolstellung eines Presseunternehmens bejaht, siehe etwa Henke, Recht der politischen Parteien, S. 251. 6 6 Von Münch, Öffnungsklauseln, S. 35ff., 103. A . M . angesichts fortschreitender Medienkonzentration AK - Hoffmann-Riem, Art.5 Abs. 1,2 Rn.145. 6 7
BVerfGE 57, 295 (320). Ossenbühl, DÖV 1977, 383ff., spricht insofern von einer "Leistung in treuhänderischer Freiheit". 6 8
BVerfGE 57, 295 (320); 73, 118 (152).
6 9
Oben § 3 C I 3.
295
Β. Einräumung von Sendezeiten und Rundfunkfreiheit
henden Meinungen im Rundfunk in möglichster Breite und Vollständigkeit Ausdruck findet und die gesellschaftlich relevanten Kräfte im Gesamtprogramm angemessen zu Wort kommen 70 . Die Statuierung des Drittsendungsrechts könnte von daher als Erfüllung dieses Ausgestaltungsauftrags erscheinen 7 1 . Wäre sie es, könnte von einem Verstoß gegen Art. 5 1 2 GG keine Rede sein. Davon wird man jedoch allenfalls im Bereich des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ausgehen können, dem im dualen Rundfunksystem die unerläßliche "Grundversorgung" der Bevölkerung obliegt und bei dem die Inpflichtnahme fur öffentliche Zwecke oder die Interessen gesellschaftlicher Gruppen weit stärker ausgeprägt ist als im privaten Rundfunk 72. Ob die "dienende" Funktion des Grundrechts aus Art. 5 1 2 GG und der Ausgestaltungsauftrag demgegenüber auch eine Einschränkung der Programmfreiheit privater Veranstalter rechtfertigen, ist zumindest dann zweifelhaft, wenn das Rundfunkwesen nach dem "außenpluralen" Ordnungsmodell, in dem die Vielfalt der Meinungen durch das Gesamtangebot aller inländischen Veranstalter erreicht werden soll 7 3 , organisiert ist. Zwar hat der Gesetzgeber zwischen verschiedenen Ordnungsmodellen grundsätzlich die Wahl 7 4 . Hat er jedoch von seiner Wahlfreiheit Gebrauch gemacht, ist er an die getroffene Entscheidung auch gebunden, weil seine Verpflichtung zur institutionellen Sicherung der Meinungsvielfalt im Rundfunk nur mehr im Rahmen des einmal gewählten Modells besteht 75 . Das wesentliche Merkmal eines außenpluralen Systems aber liegt 7 0
BVerfGE 12, 205 (262f.); 57, 295 (320); 73, 118 (152f.).
7 1
So für das Drittsendungsrecht der Kirchen Lorenz, S. 57; Link/Pahlke,
S. 32.
7 2
Entsprechend hält BK - Degenhart, Art. 5 Abs.l u. 2 Rn. 685, die Verpflichtung zur Ausstrahlung fur eine zulässige, weil vom Programmauftrag der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten umfaßte Ausgestaltung der Rundfunkfreiheit. Ganz zweifelsfrei ist das jedoch nicht. Da die Parteien - gerade vor Wahlen - bereits im redaktionellen Programm der Rundfunkanstalten ausreichend zu Wort kommen, könnte es fur eine weitere Beschränkung der Programmfreiheit an der im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsabwägung immer zu beachtenden Erforderlichkeit fehlen. Eine andere Rechtfertigung gibt Jarass, Freiheit des Rundfunks, S. 74, der unter anderem meint, die Ausstrahlung von Wahlwerbesendung betreffe nicht die "Vermittlung" und damit nicht "den Kern der Rundfunkfreiheit", wogegen sich aber ebenfalls Bedenken anmelden lassen. Trotz der zutreffenden Einschätzung, es handele sich um einen "Fremdkörper" im Integrationsrundfunk, halten auch Neumann/Wesener, DVBl. 1984, 916, die Einräumung des Drittsendungsrechts "in begrenztem Umfang" fur statthaft. In jedem Falle bedarf das Drittsendungsrecht einer gesetzliche Grundlage, dazu unten § 5 Α ΠΙ. 7 3
Zum Begriff A.Hesse, S. 190ff. m.w.N.; siehe auch § 12 Π HPRG.
7 4
BVerfGE 73, 118 (153). Eine völlige Deregulierung des Rundfunkwesens im Sinne der Einfuhrung eines reinen Marktmodells hält das BVerfG aber - jedenfalls unter den gegenwärtigen Bedingungen - zu Recht fur unzulässig (158). Dem entspricht das gegenwärtig überwiegend praktizierte System eines staatlich geordneten Außenpluralismus, in dem die Sicherung der Meinungsvielfalt öffentlichen Kontrollinstanzen obliegt. 7 5 Vgl. BVerfGE 73, 118 (153). Anders jetzt aber BVerfG NJW 1991, 899 (904f.), das einen Zwang zur "Modellkonsistenz" verneint. Ob sich indes die Ausführungen des BVerfG, die sich auf die Frage bezogen, ob und in welchem Umfang private Rundfunkveranstalter auf allgemeine
296
§ 4 Leistungsvergabe und Rechte Dritter
darin, daß den einzelnen Anbietern weder eine Pflicht zur Ausgewogenheit noch zur umfassenden Repräsentation aller gesellschaftlich relevanten Gruppen obliegt 76 . Da der Standard "gleichgewichtiger Vielfalt" 77 lediglich durch die Gesamtheit aller Programme gewährleistet sein muß, kann jeder Anbieter die politische oder weltanschauliche Ausrichtung des von ihm veranstalten Rundfunkprogramms - jedenfalls grundsätzlich78 - selbst bestimmen. Außenpluralismus hat insofern notwendig eine Erweiterung der Programmfreiheit zur Folge - im Sinne einer "Tendenzfreiheit" 79. Daß diese Tendenzfreiheit verletzt wird, wenn der einzelne Rundfunkveranstalter unter dem Deckmantel der Chancengleichheit zur Ausstrahlung auch solcher Wahlspots verpflichtet wird, die der Tendenz seines Programms widersprechen, liegt auf der Hand 80 . Aber die Begründung von Drittsendungsrechten ist im außenpluralen Ordnungsmodell generell problematisch. Beschränkungen der Programmfreiheit sind in diesem Modell von der "dienenden" Funktion der Rundfunkfreiheit nur dann gedeckt, wenn die gesellschaftlich relevanten Gruppen im Gesamtprogramm aller inländischen Anbieter nicht angemessen zu Wort kommen und die angestrebte Meinungsvielfalt nicht erreicht wird 8 1 . Das dürfte aber zum einen gerade in bezug auf die Parteien kaum zu befurchten sein. In welchem Umfang die Parteien vor Wahlen allein im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, dem im dualen Rundfunksystem immer noch die "Grundversorgung" obliegt 82 , zu Wort kommen, ist bereits an anderer Stelle dargelegt. Zum anderen ist mehr als fraglich, ob gerade die Ausstrahlung eigener Wahlspots der Parteien - deren Informationsgehalt dürftig und deren Resonanz gering ist 83 - sich zur Korrektur von PluraProgrammgrundsätze verpflichtet werden dürfen, auf das hier zu entscheidende Problem übertragen lassen, ist zweifelhaft. Darüber hinaus dürfte der Gesichtspunkt der "Modellkonsistenz* schon über die Überprüfung der Eignung und Erforderlichkeit einer Grundrechtsbeschränkung rechtliche Relevanz erlangen, vgl. AK - Hoffmann-Riem, Art.5 Abs. 1,2 Rn.156. 7 6
Siehe schon BVerfGE 57, 295 (326).
7 7
BVerfGE 73, 118 (156).
7 8
Einschrankend etwa AK - Hoffmann-Riem,
Art.5 Abs. 1,2 Rn.169.
7 9
BK - Degenhart y Art.5 Abs.l u.2 Rn.684f..; allgemein zur Tendenzfreiheit AK - Hoffmann-Riem, Ait.5 Abs. 1,2 Rn.160. ΟΛ " Vgl. Ricker y Verfassungsrechtliche Aspekte, S. 158f., der allerdings im Gegenzug fordert, den Parteien das Recht einzuräumen, selbst ein Rundfunkprogramm zu veranstalten, a.a.O., S. 48ff.; ders. y Privatnindrundfunkgesetze, S. 53ff.; BK - Degenhart, Ait.5 Abs.l u.2 Rn.685; wohl auch Gnmm, in: Benda/Maihofer/Vogely S. 348. Nicht gesehen wird die Problematik von GounalakiSy NJW 1990, 2532. Vollends offenkundig wird die Verletzung der Tendenzfreiheit übrigens dann, wenn eines Tages die ersten Parteien selbst Rundfunk veranstalten sollten und dann auch zur Verbreitung der Parolen ihrer jeweiligen Widersacher gezwungen wären. 8 1 Ebenso Dehnen, DVB1. 1986, 22f., der sich aus diesem Grund gegen das Drittsendungsrecht der Kirchen ausspricht. 8 2
BVerGE 73, 118 (157).
8 3
Zur Würdigung der Wahlspots schon oben § 1 C X I 1.
Β. Einräumung von Sendezeiten und Rundfunkfreiheit
297
litätsdefiziten eignet, die sich ohnehin kaum je verbindlich feststellen lassen 84 . Im Ergebnis stehen daher private Rundfunkveranstalter im außenpluralistischen Modell weitgehend der freien Presse gleich. Die Etablierung eines Drittsendungsrechts fur politische Parteien verstoßt in einem solchen System gegen Art. 5 I 2 GG. Der Eingriff in die Programmfreiheit der Rundfunkveranstalter wird hier auch nicht durch das gelegentlich behauptete Zugangsrecht der Parteien zum Rundfunk 85 gerechtfertigt. Soweit damit ein Recht der Parteien gemeint sein sollte, selbst Rundfunk zu betreiben 86, gestattete es noch keine Einschränkung der Rechte derer, die ein Rundfunkprogramm bereits privat veranstalten. Ein Zugangsrecht im Sinne eines originären verfassungsrechtlichen Anspruchs auf Ausstrahlung von Wahlsendungen in dem von einem Dritten veranstalteten Rundfunkprogramm hingegen gibt es nicht 87 . Davon abgesehen bildet die Vergabe öffentlicher Leistungen an die politischen Parteien - und daß es eher um eine solche als um die Erfüllung des gesetzgeberischen Ausgestaltungsauftrags geht, wird nicht zuletzt dadurch belegt, daß von allen "gesellschaftlich relevanten Gruppen", deren Zu-Wort-Kommen durch den Gesetzgeber an sich sichergestellt werden müßte, neben den Parteien lediglich die Kirchen privilegiert werden, womit sich indes der Kreis der "gesellschaftlich relevanten Gruppen" keineswegs erschöpft 88 - von vornherein keinen verfassungsrechtlichen Wert, der die Grundrechte Dritter schmälern könnte. Es bleibt dabei: Das Drittsendungsrecht der Parteien verstößt in einem außenpluralistisch organisierten Rundfunkwesen gegen Art. 5 1 2 GG. Mit dieser Feststellung scheint allerdings zunächst wenig erreicht. Einem ebenfalls nicht völlig reinen - außenpluralen Modell folgt im wesentlichen nur das Berliner Kabelpilotprojektgesetz89, in dem ein Drittsendungsrecht fur politische Parteien ohnehin nicht verankert ist. Dem Rundfunkstaatsvertrag und der Mehrzahl der Landesmediengesetze liegt dagegen ein Übergangs- und Mischmodell zugrunde, das fur eine erste Phase, die Anlaufiphase, eine 8 4 Vgl. BVerfGE 73, 118 (159): "Gleichgewichtige Meinungsvielfalt läßt sich ... nicht als meßbare, exakt zu bestimmende Größe verstehen: Sie ... unterliegt ... unvermeidlichen Schwankungen und Störungen." 8 5 Vgl. etwa Ricker y Verfassungsrechtliche Aspekte, 'S. 48 ff.; ders., Privatrundfunkgesetze, S. 53ff., jeweils m.w.N.; dagegen Schmidt, Rundfunkvielfalt, S. 80f..
So wohl Ricker y Verfassungsrechtliche Aspekte eines Landesmediengesetzes, S. 48ff.; ders., Privatrundfunkgesetze, S. 53ff., jeweils m.w.N.; dagegen Schmidt, Rundfunkvielfalt, S. 80f. 8 7
So jetzt auch BVerwG, NJW 1991, 938, für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Weitere Nachweise siehe oben § 2 C IV 5 a.E.. 8 8 Zu nennen wären etwa Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände, Bürgerinitiativen, Interessengemeinschaften, Berufsverbände etc.. Zum Begriff der "gesellschaftlich relevanten Gruppen" BK - Degenhart, Ait.5 Abs.l u.2 Rn.546ff. 8 9
Vgl. § 25 KPPG.
298
§ 4 Leistungsvegabe und Rechte Dritter
"binnenplurale" Struktur vorschreibt, in der die Vielfalt der Meinungen im Vollprogramm jedes einzelnen Veranstalters zum Ausdruck kommen muß 9 0 , und erst fur die zweite Phase die Entwicklung zu einem Zustand externer Vielfalt, zu einem staatlich geregelten Außenpluralismus gestattet91. In einem binnenplural organisierten Rundfunkwesen aber ist der einzelne Veranstalter ohnehin zur Ausgewogenheit und zur gleichgewichtigen Repräsentation aller gesellschaftlich relevanten Gruppen gehalten92. Von daher erscheint die Eröffnung von "Programmfenstern" fur die "gesellschaftlich relevanten Gruppen" zunächst ebenso systemkonform wie die Verpflichtung der Rundfunkveranstalter auf die Wahrung der Chancengleichheit der Parteien. Freilich: Sofern die Gesetze zur Neuordnung des Rundfunkwesens das skizzierte Übergangsmodell vom Binnen- zum Außenpluralismus vorsehen, begründen sie den Anspruch der politischen Parteien auf Überlassung von Sendezeit unterschiedslos sowohl für das Stadium des Binnen- als auch für das des Außenpluralismus. Eine Differenzierung ist weder ersichtlich noch dürfte sie dem Willen des Gesetzgebers entsprechen. Folgerichtig sind die das Drittsendungsrecht begründenden Regelungen nicht allein an dem je aktuellen Entwicklungsstand des Rundfunkwesens zu messen, sondern auch an dem hypothetischen, aber avisierten Ideal externer Vielfalt, für das sie ebenfalls Geltung beanspruchen. Und dieser Prüfung hält das Drittsendungsrecht der Parteien, wie gezeigt, nicht stand. Aber ganz unabhängig davon: Bedenken gegen die Inpflichtnahme kommerzieller Anbieter von Rundfunkprogrammen zu Parteizwecken bestehen nicht nur dort, wo die Vielfalt der Meinungen "extern" lediglich im Gesamtprogramm zum Ausdruck kommen muß. Denn Programmfreiheit genießen die privaten Veranstalter auch in einem binnenplural organisierten Rundfunkwesen, und die Begründung eines Drittsendungsrechts bedarf als Eingriff in diese Freiheit nach wie vor der Rechtfertigung - einer Rechtfertigung, wie sie sich allein aus Art. 21 GG mit seiner allenfalls zwiespältigen Haltung zur Vergabe öffentlicher Leistungen nicht ergeben kann. Zwar hat Programmfreiheit in einem binnenplural organisierten Rundfunkwesen nicht die Bedeutung, die ihr - als prinzipielle Tendenzfreiheit - im außenpluralen Modell zukommt. Die grundsätzliche Eigenverantwortlichkeit des Veranstalters für das von ihm erstellte Programm besteht aber auch bei binnenpluraler Struktur 93. Ihm bleibt zugleich ein Rest an Tendenzfreiheit. Das mag mit Blick auf das Ausgewogenheitspostulat zunächst überraschend klingen. Doch das Ausgewogenheitspostulat steht lediglich einer ein9 0
Siehe § 12 I I HPRG; A.Hesse, S. 192.
9 1
Vgl. Art. 8 U Rundfunkstaatsvertrag, §§ 12 m LandesrundfunkG RhldPf., 15 Π LRG SH, 12, 13 HPRG, § 15 Nds.LRG; zu letzterem BVerfGE 73, 118 (160fT.). Eine ausschließlich binnenplurale Struktur sehen §§ 6 HmbMedienG, 14 m Brem.LMG, 12 m LRG N W vor. 9 2
BK - Degenhart, Art. 5 Abs. 1 u. 2 Rn. 544.
9 3
Ricker, Privatrundfunkgesetze, S. 113f..
Β. Einräumung von Sendezeiten und Rundfunkfreiheit
299
seitigen parteipolitischen Ausrichtung von Programmen entgegen, verbietet aber nicht die Ausstrahlung eines gänzlich unpolitischen Programms. Tendenzfreiheit besteht also zumindest im negativen Sinn - als Freiheit zum Verzicht auf jegliche Art von Tendenz 94 . Diese kann durch die Begründung des Drittsendungsrechts ebenso verletzt werden wie die umfassendere Tendenzfreiheit privater Veranstalter im außenpluralen System. Zudem dürfen auch im binnenpluralen System die Beschränkungen der Programmautonomie privater Veranstalter nicht weiter reichen, als es die "dienende" Funktion der Rundfunkfreiheit und der Ausgestaltungsauftrag des Gesetzgebers jeweils erfordern. Des unmittelbaren Zugriffs der Parteien auf die Sendefrequenzen eines privaten Rundfunkveranstalters bedarf es von daher dann nicht, wenn die Parteien schon in dessen redaktionellem Programm in einer Weise zu Wort kommen, die ihrer gesellschaftlichen Relevanz in etwa entspricht. Und ob sich ausgerechnet die Wahlspots zur Kompensation etwa vorhandener Vielfaltsdefizite eignen, ist im binnenpluralen Modell ebenso zweifelhaft wie in jedem anderen. Das Drittsendungsrecht der Parteien entpuppt sich damit generell als höchst bedenkliche Angelegenheit95. Daß die Eröffnung eines eigenen Zugangs zum Rundfunk und die Zulassung von Parteien als Rundfunkveranstalter, wie sie angesichts dieses Befundes gelegentlich vorgeschlagen wird 9 6 , keinen Ausweg liefert, ist bereits dargelegt worden. Auch hier gerät die Vergabe öffentlicher Leistungen mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben der Rundfunkfreiheit in einen unauflöslichen Konflikt - mit dem Prinzip der Staatsfreiheit des Rundfunks auf der einen 97 , mit
9 4 Deshalb dürfte etwa die Einrichtung reiner Sport- oder Musikkanäle, wie sie heute schon vielfach anzutreffen sind, verfassungsrechtlich unbedenklich sein. Entsprechend gehört zur Bekenntnisfreiheit des Art. 4 GG etwa die Freiheit, kein Bekenntnis zu haben, vgl. GGK - von Münch, Art.4 Rn.39 m.w.N.. Parallelen zur "negativen" Tendenzfreiheit finden sich auch in der negativen Koalitionsfreiheit, die in Art. 9 ffl GG verortet wird, siehe GGK - von Münch, Art.9 Rn.45 m.w.N. 9 5 Ebenso im Ergebnis Ricker, Verfassungsrechtliche Aspekte, S. 158f.; Scheuerle, S. 184ff.. Problematisch ist es auch, wenn den privaten Rundfunkanstalter bei der Übernahme von Wahlspots der Parteien kein Entgelt, sondern eine bloße Unkostenerstattung zugebilligt wird, vgl. § 1 C X I 3. Das BVerfG etwa steht auf dem Standpunkt, der Staat müsse grundsatzlich eine geldwerte Gegenleistung erbringen, wenn er privates Eigentum fur öffentliche Zwecke in Anspruch nehme, und hat aus diesem Grund die in § 9 HessLPrG begründete Verpflichtung der Verleger, von jedem hergestellten Druckwerk ein Belegexemplar ausnahmslos ohne Kostenerstattung an bestimmte Bibliotheken zu liefern, fur mit Art. 14 I 1 GG unvereinbar gehalten, BVerfGE 58, 137 (147ff.). 9 6 So Ricker, Verfassungsrechtliche Aspekte, S. 48ff., 159; ders., Privatrundfunkgesetze, S. 53ff., der dies sogar fur verfassungsrechtlich geboten hält. Siehe dagegen BVerfGE 73, 118 (190). 9 7
Dazu oben § 3 C I 4.
§ 4 Leistungsvergabe und Rechte Dritter
300
der Verpflichtung des Staates, bestimmte Programmbindungen zu statuieren und deren Einhaltung zu überwachen, auf der anderen Seite 98 .
C. Die Weitergabe von Wählerlisten aus dem Melderegister und das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 I i.V.m. Art. 1 I GG, das die Befugnis des einzelnen gewährleistet, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen99, ist von einer anderen öffentlichen Leistung nachteilig betroffen: der Übermittlung von Wählerlisten aus dem Melderegister an die politischen Parteien, die im Wege der Gruppenauskunft nach § 22 MRRG und den entsprechenden Regelungen der Meldegesetze der Länder erfolgt 100 . Die wachsende Empfindlichkeit in puncto Datenschutz ließ manchen auch auf diesen Grundrechtseingriff 1 0 1 allergisch reagieren. Bei der Europawahl 1989 protestierten etwa in Nordrhein-Westfalen zahlreiche Bürger vor allem gegen die Weitergabe ihrer persönlichen Daten an rechtsradikale Parteien 102 - mit dem Erfolg, daß einige Kommunen die Melderegisterauskunft gänzlich einstellten. Ermessensfehlerhaft war diese Entscheidung jedenfalls nicht 1 0 3 . Wo sich freilich die Betroffenen auf den Rechtsweg verwiesen fanden, zogen sie meist den kürzeren. Die Gerichte stuften das " Informationsbedürfhis" der politischen Parteien und Wählergruppen im Vorfeld von Wahlen und deren Interesse an effektiver Wahlwerbung höher ein als das Recht des einzelnen auf informationelle Selbstbestimmung und hielten die Bestimmungen, die die Gruppenauskunft gestatteten, für eine verfassungsmäßige gesetzliche Beschränkung dieses Rechts 104 .
9 8
Dazu oben § 3 D I 1.
9 9
BVerfGE 65, 1 (41ff.).
1 0 0
Nachweise siehe in § 1 C ΧΠ.
1 0 1
Die Bejahung des Eingriffscharakters ist auch hier unproblematisch. Es handelt sich jedenfalls um eine Maßnahme mit Grundrechtsrelevanz, so daß schon aus diesem Grunde ein Eingriff vorliegt, vgl. Bleckmann, S. 336ff.. Die Gerichte sprechen von "Beschränkung" oder "Einschränkung", vgl. OVG Berlin, DVBl. 1985, 534; V G Gelsenkirchen, NJW 1990, 1807. Ein sachlicher Unterschied besteht nicht. 1 0 2
Vgl. Fuchs/Simanski,
1 0 3
O V G Münster, N V w Z 1989, 1177.
NJW 1990, 2984.
1 0 4 OVG Berlin, DVBl. 1985, 534 (anders noch die Vorinstanz); V G Gelsenkirchen, NJW 1990, 1807.
C. Melderegisterauskunft und informationelle Selbstbestimmung
301
Das dürfte indes so nicht zutreffend sein. Liegt in der Übermittlung von Wählerlisten an die politischen Parteien - wie gezeigt 105 - nicht mehr und nicht weniger als eine öffentliche Leistung, wird diese durch das Grundgesetz nicht anders privilegiert als sonstige öffentliche Leistungen auch: nämlich überhaupt nicht. Beschränkungen von Grundrechten, namentlich wenn diese einen so hohen Rang genießen wie das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung 106 , sind dann nicht zulässig. Da sich das Grundgesetz zur Vergabe öffentlicher Leistungen bestenfalls indifferent verhält und fur originäre Leistungsansprüche jedweder Art nichts hergibt 107 , fehlt eben das Pendant, das den Grundrechtseingriff verfassungsrechtlich aufwiegen oder den Verfassungsverstoß heilen könnte. Nichts anderes ergibt sich, wenn man mit dem BVerfG dafürhält, der einzelne müsse angesichts der Gemeinschaftsgebundenheit und Gemeinschaftsbezogenheit der Person eine Einschränkung seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung "im überwiegenden Allgemeininteresse" hinnehmen 108 . Ein solches ist im vorliegenden Fall weit und breit nicht zu sehen. Als relevantes "Allgemeininteresse" käme allenfalls die Abhaltung und Durchführung von Wahlen in Betracht. Doch zum einen erweist sich die Übermittlung von Wählerlisten aus dem Melderegister an die politischen Parteien als zur Durchführung von Wahlen nicht erforderlich 109, zum anderen rechtfertigt die Wahl als solche noch nicht die Vergabe öffentlicher Leistungen an die politischen Parteien 110 . Auf deren "Informationsbedürfhis" wiederum läßt sich der Eingriff ebenfalls nicht stützen. Die Parteien vertreten in der pluralistischen Demokratie nicht, auch nicht in ihrer Gesamtheit, das "Allgemeininteresse" oder gar das "Gemeinwohl" 111 . Sie sind notwendig Vertreter partikularer Interessen - mögen sie selbst diese auch gelegentlich, wovon gerade der Bereich der öffentlichen Leistungen beredtes Zeugnis ablegt, mit dem Allgemeininteresse verwechseln oder gleichsetzen. Das je und je neu zu bestimmende Gemeinwohl kann, woran auch Art. 21 GG nichts geändert hat, im politischen Sy-
1 0 5
Oben § 1 C ΧΠ.
106 Vgl dazu BVerfGE 65, 1 (42f.), wo die individuelle Selbstbestimmung - von der die informationelle Selbstbestimmung nur einen Ausschnitt darstellt - als "eine elementare Funktionsbedingung eines auf Handlungs- und Mitwirkungsfahigkeit seiner Büiger gerichteten freiheitlichen demokratischen Gemeinwesens" bezeichnet wird (43). 1 0 7
So im vorliegenden Zusammenhang auch OVG Münster, N V w Z 1989, 1177.
1 0 8
BVerfGE 65, 1 (44).
1AQ 1
Insoweit wäre der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt. Zur Erforderlichkeit als Bestandteil dieses Grundsatzes siehe nur K.Hesse, Grundzüge, Rn. 318. 1 1 0 Siehe dazu schon oben § 2 C Vorbemerkung, Fn. 136 und IV 4. 1 1 1
Vgl. BVerfGE 44, 125 (143f.).
§ 4 Leistungsvergabe und Rechte Dritter
stem des Grundgesetzes allein durch den Staat, der einzig legitimen Verkörperung der Gesamtheit, repräsentiert werden 112 . Das "Infonnationsbedürfhis" der Parteien, mit dem die Gerichte - siehe oben - die Übermittlung von Wählerlisten rechtfertigen wollten, begründet demnach noch nicht das Informationsbedürfhis der "Allgemeinheit", auf das es für die Beeinträchtigung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung allein ankommen kann. Im übrigen ist für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Eingriffs ohnehin nicht auf das Parteiwesen als Ganzes, sondern auf das individuelle Interesse jeder einzelnen Partei abzustellen. Denn der Akt der Leistungsgewährung, die Übermittlung der Wählerlisten, ist selbst individueller Natur. Er kommt - anders als etwa ein öffentlicher Aushang - nicht den Parteien in ihrer Gesamtheit zugute, sondern immer nur einer einzelnen Partei nach vorherigem Antrag. Entsprechend enthält jede daraufhin erfolgende Datenübermittlung für sich bereits den Grundrechtseingriff. Zu dessen Rechtfertigung kann daher allenfalls das Interesse deijenigen Partei, die die Wählerlisten erhalten hat und zu ihrer - notwendig gegen die anderen Parteien gerichteten - Wahlwerbung benutzen will, ins Feld geführt werden. Dieses aber kann, als unbestreitbares Partikularinteresse, den Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gerade nicht rechtfertigen. Die Erteilung der Melderegisterauskunft an die politischen Parteien ist damit unzulässig. Zwar mag man noch einwenden, sie stelle nur zusammen, was aus den öffentlich auszulegenden Wählerlisten ohnehin für jedermann einsehbar sei 1 1 3 . An der Tatsache des Eingriffs an sich, der darin liegt, daß nicht der einzelne selbst, sondern die Meldebehörde über die Weitergabe von dessen persönlichen Daten entscheidet, ändert das jedoch nichts. Die relative Geringfügigkeit der Beeinträchtigung führt lediglich dazu, daß die einschlägigen Regelungen der Meldegesetze nicht stets verfassungswidrig sind, sondern lediglich dort, wo sie kein Widerspruchsrecht gegen die Übermittlung von persönlichen Daten an die Parteien vorsehen. Kann der einzelne der Weitergabe von Vor- und Familiennamen, Anschriften und eventuellen akademischen Graden an die Parteien im Vorfeld von Wahlen problemlos widersprechen und wird er auf diese Möglichkeit bei der Anmeldung gar hingewiesen, darf der Gesetzgeber beim Ausbleiben des Widerspruchs zunächst ohne weiteres von einem stillschweigenden Einverständnis ausgehen: Qui tacet, consentire videtur. Ein Verstoß gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung scheidet dann aus. Zahlreiche Meldegesetze sehen ein solches Widerspruchsrecht denn auch bereits ausdrücklich v o r 1 1 4 . Wo das hingegen nicht der Fall 1 1 2
Vgl. dazu BVerfGE 44, 125 (141f.).
1 1 3
Siehe OVG Berlin, DVBl. 1985, 534 (535).
1 1 4
So § 35 V HessMeldeG, § 34 I V Nds.MeldeG; § 29 I 4 MeldeG Berlin; nach den Ereignissen bei der Europawahl 1989 hat auch NRW ein unbeschranktes Widerspruchsrecht einge-
D. Sonderabgaben und Art. 48 ΠΙ GG
303
i s t 1 1 5 , ist die Melderegisterauskunft von einer verfassungsgemäßen Ermächtigungsgrundlage zur Zeit nicht gedeckt 116 . Nicht ausreichen dürfte es auch, einen Widerspruch nur bei "berechtigtem Interesse" zu beachten 117 .
D. Sonderabgaben und Art. 48 I I I GG Öffentliche Leistungen an die politischen Parteien kollidieren aber gelegentlich nicht nur mit den Grundrechten im eigentlichen Sinne, sondern auch mit sonstigen Rechten Dritter und damit zusammenhängenden Verfassungsprinzipien. Ein Beispiel liefern die sogenannten Sonderabgaben - jene Zuwendungen von Parlamentsabgeordneten oder Trägern öffentlicher Ämter, die diese über die normalen Mitgliedsbeiträge hinaus und zumeist auf der Grundlage einer entsprechenden Satzungsbestimmung an ihre Partei leisten. Ob diese eine öffentliche Leistung darstellen oder nicht, war, wie erinnerlich, offen geblieben 118 - was indes nicht weiter schadet. Ließe sich nämlich im Zusammenhang mit den Sonderabgaben von einer öffentlichen Leistung sprechen, wäre deren Vergabe schlicht unzulässig. Das "Öffentliche" dieser Leistung läge ja - wie dargelegt 119 - nicht schon in der Abführung der Sonderabgaben durch die jeweiligen Mandatsträger, sondern in der bewußten Überzahlung dieser Mandatsträger durch die öffentliche Hand zugunsten der politischen Parteien. Was jedoch von einer solchen Überzahlung zumindest bei den Parlamentsabgeordneten, die das Gros der Sonderbeiträge abfuhren, zu halten ist, hat das BVerfG bereits im "Diätenurteil " entschieden: Nichts. Die Abgeordnetenentschädigung diene, so das Gericht, der Alimentation der Abgeordneten und ihrer Familien sowie zur Deckung des mandatsbedingten Mehraufwandes; die Zahlungen der Abgeordneten an ihre Parteien seien bei ihrer Bemessung nicht zu berücksichtigen 120. Gerade der Umstand, der es rechtfertigt, hier über-
fuhrt, § 35 I V MeldeG NW. Häufig werden die Bürger auf das Bestehen des Widerspruchsrechts vor den Wahlen noch einmal ausdrücklich hingewiesen, siehe etwa Amtsblatt der Stadt Frankfurt am Main v. 28.8.1990, S. 650. 1 1 5
Z.B. bei § 35 Saarl.MG, § 35 RhldPf.MG, § 35 HmbMG.
1 1 6
Das dürfte auch dort gelten, wo - wie etwa im Falle von §§ 34 IV i.V.m. 33 MeldeG BW - die Betroffenen lediglich auf die Möglichkeit verwiesen werden, eine allgemeine Auskunftssperre zu beantragen. 1 1 7
Art. 35 IV i.V.m. 34 V BayMeldeG.
1 1 8
Siehe oben § 1 C VD.
1 1 9
Oben § 1 C VD.
1 2 0
BVerfGE 40, 296 (316). Insoweit zustimmend Henkel, DÖV 1977, 354.
304
§ 4 Leistungsvergabe und Rechte Dritter
haupt von einer öffentlichen Leistung zu sprechen, löst also sogleich das Verdikt "rechtswidrig" aus. Andersherum liegt es nicht besser. Scheidet eine systematische Überzahlung der Parlamentarier zugunsten der hinter ihnen stehenden Parteien aus oder kann sie nicht nachgewiesen werden, wird der einzelne Abgeordnete durch Abführung der - ja nicht eben knapp bemessenen - Sonderbeiträge unter das Niveau dessen gedrückt, was ihm nach dem Sinn des Art. 48 I I I GG zur Dekkung seines privaten Lebensbedarfs und des mandatsbedingten Mehraufwandes verbleiben soll 1 2 1 . Da die Zahlungen zudem unter einem "kaum ausweichbaren Druck" erfolgen, gefährden sie die persönliche Unabhängigkeit des Abgeordneten 122. Mit Art. 48 I I I GG, der diese auch im Verhältnis zu den Parteien gewährleistet 123, ist das nicht vereinbar. Wie man es also auch dreht und wendet: Die Sonderabgaben bleiben fur die politischen Parteien eine verfassungsrechtlich unzulässige Einnahmequelle124.
1 2 1 Klatt, ZParl. 1976, 64; von Arnim, Parteienfinanzierung, S. 122; Meyer, S. 373ff.. Auf andere Amtsträger als Abgeordnete ist diese Argumentation wegen der verfassungsrechtlichen Sonderstellung von Parlamentsmitgliedern freilich nicht übertragbar, so im Kern zutreffend fur Gemeindevertreter Meyer, S. 376ff.. Hier bleibt lediglich der Verstoß gegen die Chancengleichheit bestehen, dazu oben § 3 D Π 2. 1 2 2 Bericht 1983, S. 188; ebenso Klatt, ZParl. 1976, 64. A.A. Henkel, DÖV 1977, 354f; Jekewitz, ZParl. 1984, 23 unter Berufung auf BVerfG, DÖV 1983, 153. 1 2 3
Art.48 m GG steht insoweit in engem Zusammenhang mit Ait.38 I 2 GG, AK - Schneider, Art.48 Rn.10; die Diäten sollen die Entscheidungsfreiheit des Abgeordneten auch gegenüber seiner Partei sichern, BVerfGE 20, 56 (103); Klatt, ZParl. 1976, 64. 1 2 4 Auch die vom Bundespräsidenten zwecks Neuregelung der Parteienfinanzierung eingesetzte Sachverständigenkommission hielt die Sonderbeiträge fur verfassungswidrig, Bericht 1983, S. 188. Der Vorschlag zur Eindämmung dieser Praxis erwies sich allerdings als untauglich, vgl. oben § 5 B. Effektiver wäre demgegenüber ein Verbot solcher Abgaben gewesen, wie es § 27 Π Nds.AbgG enthält. Praktische Vorschläge für eine Reform bei Wewer, in: ders., Parteienfinanzierung, S. 454ff..
§ 5 Die Kontrolle der Leistungsvergabe durch die Öffentlichkeit Führt man sich die Ergebnisse der vorangegangenen Abschnitte, die sich mit den materiellen Schranken einer Leistungsvergabe beschäftigten, noch einmal vor Augen, so sind es keineswegs nur die Parteien im Verein mit der öffentlichen Hand, die alles andere als eine gute Figur abgeben. Auch für die Rechtsprechung erweist sich der Komplex der öffentlichen Leistungen nicht gerade als ein Ruhmesblatt. An sich zur Kontrolle des "Ob" und "Wie" der Leistungsvergabe von Verfassungs wegen berufen, resignierten die Gerichte Schritt fur Schritt vor den Finanzbedürfhissen der etablierten Parteien und traten alsbald den nur verbal verbrämten Rückzug an. Anspruch und Wirklichkeit, die sich nicht decken, Überwachung, die diesen Namen nur selten verdient, Kontinuität, die nur behauptet, aber nicht praktiziert wird, Sanktionierung und Entwicklung von Verteilungsmaßstäben, von denen vornehmlich die etablierten Parteien profitieren, prägen das Bild. Angesichts der Formschwäche der Justiz rückt folgerichtig die Suche nach angemessenem Ersatz in den Vordergrund. Weit und breit ist nur eine Instanz in Sicht, die diese Aufgabe wenigstens versuchsweise übernehmen könnte und zu ihr - siehe die Ausführungen zum Zurückhaltungsgebot1 - auch berufen ist: die Öffentlichkeit. Soll diese eine effektive Kontrolle ausüben, benötigt sie indes vor allem Informationen. Erforderlich ist namentlich eine verläßliche Tatsachengrundlage, anhand derer sich beurteilen läßt, ob bei der Vergabe von Leistungen verfassungsrechtliche Vorgaben beachtet und die Grenzen politischer Ermessensspielräume gewahrt werden. Zudem bedarf es eines Forums bzw. eines Verfahrens, auf dem bzw. in dem sich Kritik artikulieren und Gehör verschaffen kann. Zwei Prinzipien sind es, die in diesem Sinne die Ausübung von Kontrolle erleichtern und ermöglichen könnten: der Gesetzesvorbehalt und die Rechenschaftspflicht des Art. 21 I 4 GG. Dies freilich nur, wenn beide sich in ausreichendem Umfang auf die Vergabe öffentlicher Leistungen an die politischen Parteien erstreckten. Dem ist im folgenden nachzugehen.
1
Oben § 2 I V 5.
20 Volkmann
306
§ 5 Kontrolle der Leistungsvergabe durch die Öffentlichkeit
A. Öffentliche Leistungen an die politischen Parteien und der Vorbehalt des Gesetzes Der Streit, ob im Bereich der Leistungsverwaltung, namentlich bei der Vergabe von Subventionen, der Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes gilt und demgemäß jede einzelne Zuwendung der öffentlichen Hand an Private einer gesetzlichen Grundlage bedarf, beschäftigt die deutsche Staats- und Verwaltungsrechtswissenschaft bekanntlich seit mehreren Jahrzehnten. Die öffentlichen Leistungen an die politischen Parteien blieben indes von der Diskussion lange Zeit unberührt 2. Das mag damit zusammenhängen, daß die eigentliche Parteienfinanzierung in ihrem Kernbereich inzwischen eine gesetzliche Regelung erfahren hat, die in manchen Verästelungen - man denke nur an den Chancenausgleich des § 22a PartG - so detailliert und undurchschaubar ausgefallen ist, daß jeder Ruf nach weiterer Verrechtlichung oder, exakter formuliert, nach Vergesetzlichung im Halse steckenbleibt. Gleichwohl bestehen vereinzelt noch Lücken. Finanzielle Zuschüsse fur die Bundestagsfraktionen und die politischen Stiftungen etwa werden lediglich in den Bundeshaushaltsplan der nur formelles, nicht aber materielles Gesetz ist3 - eingestellt4, und fur manche bei der Vergabe nichtfinanzieller Leistungen gewährte Sondervergünstigung für die Parteien existiert überhaupt keine gesetzliche Grundlage5. Angesichts dessen hat die Frage, ob eine solche von Verfassungs wegen erforderlich ist und, falls ja, wie sie beschaffen sein müßte, durchaus praktische Relevanz. Um sie zu beantworten, scheint es ratsam, zunächst die allgemeine Debatte um die Reichweite des Vorbehalts des Gesetzes kurz zu skizzieren (dazu unter I.). In einem zweiten Schritt bleibt dann zu klären, ob sich die im Rahmen dieser Debatte ausgetauschten Argumente auch für die Vergabe öffentlicher Leistungen an die politischen Parteien fruchtbar machen lassen und/oder ob sich die Notwendigkeit einer gesetzlichen Grundlage für eine solche Leistungsvergabe schon aus der besonderen Rolle der Parteien und ihrer Funktion im politischen Prozeß, wie sie durch Art. 21 GG konstituiert wird, ergibt (dazu unter II.).
2
Im Hessenurteil etwa, BVerfGE 20, 56, wird das Problem nicht einmal gestreift.
Zur Unterscheidung Stern, StaatsR II, S. 564ff.; Ossenbühl, in: Erichs en/Martens, S. 116ff.. 4
Von Arnim, DVBl. 1987, 1246f.. Siehe oben § 1 C V und V I .
5
Vgl. etwa § 1 C X sowie noch unten Kap. ΙΠ.
Α. Öffentliche Leistungen und Gesetzesvorbehalt
307
/. Der Streit um die Reichweite des Vorbehaltsprinzips 1. Der Vorrang und der Vorbehalt des Gesetzes nach klassischer Auffassung Auf Otto Mayer geht die mittlerweile zum Gemeingut gewordene Unterscheidung zwischen den Grundsätzen des Vorrangs und des Vorbehalts des Gesetzes zurück 6. Der Grundsatz des Vorrangs des Gesetzes verwehrt der Verwaltung - negativ - lediglich, Maßnahmen zu treffen, die gegen ein Gesetz verstoßen7, verbietet ihr also nicht, im gesetzesfreien Raum von sich aus tätig zu werden. Der Grundsatz des Vorbehalts hingegen verlangt - positiv - fur alles Handeln der Verwaltung eine ausdruckliche gesetzliche Ermächtigung8, kennzeichnet also den Bereich, der der Entscheidung des Gesetzgebers vorbehalten ist und in dem die Exekutive nicht aus eigener Kompetenz agieren darf 9 . Wie sich diese beiden Prinzipien unter dem Grundgesetz zueinander verhalten, ist im einzelnen umstritten. Zwei Leitsätze allerdings stehen unverrückbar fest: (1) Der Vorrang des Gesetzes gilt fur den gesamten Bereich der Verwaltung. (2) Die Eingriffsverwaltung steht darüber hinaus unter dem Vorbehalt des Gesetzes. Satz 1 ergibt sich ohne weiteres aus dem Grundgesetz - aus Art. 20 III G G 1 0 . Auch Satz 2 zählt mittlerweile zum "eisernen Bestand der Staatsrechtsdogmatik"11 - wobei Einigkeit allerdings lediglich über seine Geltung, nicht aber über seinen Geltungsgrund besteht. Zu seiner Begründung dienen: das Rechtsstaatsprinzip12, das Demokratieprinzip 13, die Grundrechte mit ihren
6
Mayer, S. 68ff..
7
Vgl. die im Kern übereinstimmenden Definitionen bei Mayer, S.68; Pietzcker, 710; Stern, StaatsR I, S. 802; Maurer, AllgVwR, § 6 Rn.2.
JuS 1979,
8 Vgl. nur Mayer, S. 69f.; Kisker, NJW 1977, 312; Krebs, Jura 1979, 304; Pietzcker, 1979, 710; Achterberg, S. 329; Maurer, AllgVwR, § 6 Rn.3; MaunzIZippelius, S. 92. 9
Ossenbühl, in: Götz/Klein/Starck,
JuS
S.14.
1 0
Daruber hinaus konnte man die Frage stellen, ob das Prinzip nicht bereits eine Selbstverständlichkeit artikuliert, die sich aus der normlogisch vorgegebenen Rangordnung der Rechtsquellen ergibt, vgl. dazu Kelsen, S. 196ff., 228ff.. 11 Starcky Gesetzesbegriff, S. 288 (Fn.4); Stern, StaatsR I, S. 805. Siehe aber auch Vogel, W D S t R L 24, 149ff., fur den der allgemeine Gesetzesvorbehalt in den grundrechtlichen Gesetzesvorbehalten aufgegangen ist. 1 2 Böckenförde, Organisationsgewalt, S. 89ff., Starck, in: Götz/Klein/Starck, S. 19; Achterberg, S. 329. 1 3
20»
Kisker,
NJW 1977, 1314f; Pietzcker,
JuS 1979, 712f..
Gesetzesbegriff, S. 281; Ossenbühl,
308
§ 5 Kontrolle der Leistungsvergabe durch die Öffentlichkeit
speziellen Gesetzesvorbehalten14, Rechtsstaats-, Demokratieprinzip und Grundrechte zusammmen15, die Gewaltenteilung16, Art. 20 III G G 1 7 sowie das Verfassungsgewohnheitsrecht 18. Noch umstrittener als seine Herleitung ist die Frage, ob Satz 2 die Reichweite des Vorbehaltsgrundsatzes abschließend festlegt. Die klassische Lehre bejahte das. Nach ihr beschränkt sich der Vorbehalt des Gesetzes auf "Eingriffe in Freiheit und Eigentum", während staatliche Leistungen von der Verwaltung auch ohne gesetzliche Grundlage vergeben werden können 19 . Entsprechend formulierte das Bundesverfassungsgericht noch in einer Entscheidung aus dem Jahre 1958, nach wie vor gelte "kein Gesetzesvorbehalt fur die Zuständigkeiten und das Verfahren der leistungsgewährenden Verwaltung" 20. Ahnlich genügt dem Bundesverwaltungsgericht als Grundlage für die Vergabe von Subventionen bis heute jede parlamentarische Willensäußerung, insbesondere die etatmäßige Bereitstellung der erforderlichen Mittel im Haushaltsplan. Eines materiellen Gesetzes bedürfe es hingegen nicht 21 .
2. Die Lehren vom Totalvorbehalt Demgegenüber propagiert die Rechtslehre überwiegend die mehr oder weniger vollständige Erstreckung des Vorbehaltsprinzips auf den Bereich der Leistungsverwaltung. Die Begründungen variieren. Gelegentlich wird eine solche Erstreckung, in Anknüpfung an das Axiom von der Geltung des Gesetzesvorbehalts in der Eingriffsverwaltung, auf eine Erweiterung des Merkmals des Eingriffs gestützt. Eingriff, wird argumentiert, sei auch die Verteilung staatlicher Leistungen - schon deshalb, weil sie das Sozialgefüge aktiv steuere und dieses zunächst frei von jeglicher Steuerung zu denken sei 22 . Zudem könne etwa eine Subvention im Einzelfall durchaus belastend wirken: Ihre Versagung beschwere denjenigen, der sie beantragt habe 23 , ihre Bewilligung
1 4
Vogel, W D S t R L 24, 151.
1 5
Maurer, AllgVwR, § 6 Rn.4ff..
1 6
Vgl. Imboden, S. 7f.
1 7
BVerfGE 40, 237 (248); 49, 89 (126).
1 8
M D - Herzog, Art. 20 V I Rn. 79.
1 9 Vgl. schon Mayer, S. 70; referierend Imboden, S. 18ff., Krebs, Vorbehalt, S. 17ff.; ders., Jura 1979, 304f.; Pietzcker, JuS 1979, 71 lf.; Maurer, AllgVwR, § 6 Rn.9f.. 2 0
BVerfGE 8, 155 (167).
2 1
St. Rspr., BVerwGE 8, 282 (287); 58, 45 (48). Ebenso etwa OVG Münster, N V w Z 1982,
381. 2 2
Schaumann, JZ 1966, 726.
2 3
Maurer, AllgVwR, § 6 Rn.14.
Α. Öffentliche Leistungen und Gesetzesvorbehalt
309
dessen Konkurrenten 24. Aus der solcherart erfolgten Auflösung der Dichotomie von Leistung und Eingriff folgt dann, als zweiter Schritt und nur logische Konsequenz, die Unterstellung beider Handlungsformen unter dasselbe rechtliche Prinzip - unter das Prinzip des Gesetzesvorbehalts25. Eine andere Gruppe von Autoren stützt die These vom Totalvorbehalt auf die Strukturmerkmale der Verfassung, die schon zur Begründung der Geltung des Gesetzesvorbehalts in der Eingriffsverwaltung herhalten mußten. So meint etwa Jesch unter Berufung auf das Demokratieprinzip, die Exekutive habe im Zuge der Verwandlung des liberalen Rechtsstaats des 19. Jahrhunderts in den modernen Verteilungsstaat ihre frühere " Führungsrolle H verloren und an das Parlament, dem als gewähltem und höchstem Staatsorgan nunmehr eine umfassende Entscheidungskompetenz in allen staatlichen Angelegenheiten zufalle, abgegeben. Leistungen und Begünstigungen dürften von der Verwaltung daher nur noch der Grundlage einer parlamentarischen Ermächtigung gewährt werden 26 - ein Ergebnis, das mit ähnlicher Begründung vereinzelt auch dem Grundsatz der Gewaltenteilung entnommen wird 2 7 . Andere wie etwa Rupp hingegen bemühen, teilweise unter energischer Verwerfung der vorgenannten Lösungsversuche28, die moderne Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips. Im Staat der Gegenwart, in dem individuelle Freiheit keine autonome, gesetzesfreie Eigensphäre mehr sei, sondern selbst erst durch die Gesetze konstituiert werde, dürfe, behauptet Rupp, die Vergabe von Leistungen schon deshalb nur auf gesetzlicher Grundlage erfolgen, um das Individuum vor der in sozialer Abhängigkeit liegenden Unfreiheit zu schützen29. Ebenso fordere das Rechtsstaatsprinzip nicht nur für belastende, sondern auch für begünstigende Maßnahmen gegenüber dem Bürger eine bindende Regelung, die subjektive Rechte begründe und das Handeln der Verwaltung vorhersehbar mache 30 . Fruchtbar machen manche auch die Grundrechte: Werden diese, wie das auch in den Numerus-Clausus-Urteilen des BVerfG 31 anklang, als Teilhaberechte oder Sozialaufträge an den Gesetzgeber interpretiert, unterfällt die Gewährung staatlicher Leistungen auch ihren speziellen Gesetzesvorbehalten32. Ein Ende 2 4 Vogel, W D S t R L 24, 15Iff.; ähnlich schon Imboden, S. 42. Zusammenfassend zum Problem von Wirtschaftssubventionen und Wettbewerbseingriffen schon Götz, Recht der Wirtschaftssubventionen, S. 289ff.. 2 5
Zusammenfassend Kloepfer,
2 6
Jesch, S. 204f..
2 7
Imboden, S. 20, 41f..
2 8
Rupp, S. 126, 129ff..
JZ 1984, 687.
Rupp, S. 113ff., 140ff., u.a. mit dem pointierten Hinweis, nur die gesetzliche Normierung von Leistungsansprüchen nehme dem Bürger die "freiheitswidrige Bettlergesinnung" (142). 3 0
Vgl. Maurer, AllgVwR, § 6 Rn.14.
3 1
BVerfGE 33, 302 (329ff.); 43, 291 (313ff.); dazu Bleckmann, S. 205fif..
3 2
Krebs, VoAehalt, S. 47ff., 69ff., llOff., 119fif.; ders., Jura 1979, 309ff..
310
§ 5 Kontrolle der Leistungsvergabe durch die Öffentlichkeit
hat die lange Reihe der fur den Totalvorbehalt vorgetragenen Argumente damit aber keineswegs. Ins Feld gefuhrt werden ferner: der Gleichheitssatz, weil eine diesem genügende Leistungsverteilung nur durch Gesetz bewerkstelligt werden könne 33 , Art. 20 III GG, der als Verankerung des Vorbehaltsprinzips ausgelegt wird 3 4 , das Sozialstaatsprinzip35 und zu guter Letzt noch die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 I V G G 3 6 . Kaum eines dieser Argumente ist unwidersprochen geblieben. Der Ableitung des Totalvorbehalts aus dem Demokratieprinzip ist etwa entgegengehalten worden, im System des Grundgesetzes sei auch die Exekutive demokratisch legitimiert 37 , der Ableitung aus dem Gewaltenteilungsgrundsatz, die Exekutive sei "kein stumpfer Befehlsempfanger" der Legislative38. Und das Rechtsstaatsprinzip eigne sich fur konkrete rechtliche Deduktionen überhaupt nicht 39 . Zu den prinzipiellen gesellen sich praktische Bedenken: Der Totalvorbehalt, heißt es, lähme die Verwaltung, nehme ihr die nötige Flexibilität 40 und führe zu einem weiteren Anwachsen der vielfach beklagten Gesetzesflut 4 1 . Angesichts solcher Einwände fordern vermittelnde Ansichten eine Beschränkung des Gesetzesvorbehalts auf besonders weitreichende oder politisch bedeutsame Subventionen42.
3. Die Wesentlichkeitstheorie des BVerfG Das BVerfG hat sich um die wissenschaftliche Diskussion um die Reichweite des Vorbehaltsprinzips vergleichsweise wenig geschert. In der Erkenntnis, daß staatliches Handeln, durch das dem Einzelnen Leistungen und Chancen gewährt und angeboten werden, für eine Existenz in Freiheit oft nicht weniger bedeutungsvoll ist als das Unterbleiben eines Eingriffs 43 , hat es aus dem Rechtsstaats- und vor allem aus dem Demokratieprinzip mit zumeist nur 3 3
Vgl. Schaumarm, JZ 1966, 722ff., 726.
3 4
Siehe die Nachweise in Fn. 17. Eine solche Auslegung müßte zwangsläufig zur Annahme eines Totalvorbehalts fuhren, Kunig, Rechtsstaatsprinzip, S. 318. 3 5
Götz, Recht der Wirtschaftssubventionen, S. 283f..
3 6
Achterberg, S. 337f..
37 Böckenförde, Organisationsgewalt, S. 78ff.; für die prinzipielle Gleichwertigkeit unter dem Gesichtspunkt der Gewaltenteilung auch Peters, Verwaltung, S. 12f., 29. 3 8 Bullinger, Vertrag, S. 94. 3 9 So schon Jesch, S. 189f.; aus neuerer Zeit vor allem Kunig, Rechtsstaatsprinzip, S. 316ff., bes. 325ff.. 4 0
Ossenbühl, in: Erichsen/Martens,
4 1
Kisker, NJW 1977, 1316; Ossenbühl, in: Götz/Klein/Starck,
4 2
Starck, Gesetzesbegriff, S. 285ff..
S. 107. S. 9ff. m.w.N. (Fn.l)
Α. Öffentliche Leistungen und Gesetzesvorbehalt
311
knapper Begründung die Verpflichtung des parlamentarischen Gesetzgebers abgeleitet, alle "grundlegenden" oder "wesentlichen" Entscheidungen selbst zu treffen 44 . Mit dieser Wesentlichkeitstheorie betrat das BVerfG in zweifacher Hinsicht dogmatisches Neuland: Zum einen löste es das Vorbehaltsproblem aus seiner historischen Beschrankung auf die Kategorien "Leistung" und "Eingriff" 45 . Zum anderen formte es den traditionellen Gesetzesvorbehalt mit einem Schlag zum sogenannten Parlamentsvorbehalt um 4 6 . Genügte fur den traditionellen Gesetzesvorbehalt auch ein materielles Gesetz - eine Rechtsverordnung etwa oder eine Satzung, sofern sie sich nur auf eine ausreichende formellgesetzliche Ermächtigung zurückfuhren ließen - als Grundlage fur das Verwaltungshandeln, so kennzeichnet der Parlamentsvorbehalt jenen Bereich, in dem der parlamentarische Gesetzgeber selbst tätig werden muß und sich seiner Rechtssetzungsbefugnis nicht durch Delegation entäußern darf 47 . Doch nicht nur wegen dieses Bruches mit überkommenen Strukturen 48 sind gegen die Wesentlichkeitstheorie Einwände erhoben worden. Kritik entzündete sich sowohl an ihrer Herleitung, die Parallelen an den Ansatz von Jesch durchschimmern läßt, 4 9 als auch an der Unbestimmtheit ihres einzigen Kriteriums50 - eben der Wesentlichkeit, die sich nach dem Bundesverfassungsgericht allgemein aus dem Grundgesetz und seinen tragenden Prinzipien, vor allem aber aus der Grundrechtsrelevanz einer Maßnahme ergeben soll 51 . Um Präzisierung hat sich gelegentlich die Literatur bemüht. So identifiziert etwa Kisker das Wesentliche mit dem je politisch Kontroversen 52, und andere Autoren erarbeiten umfangreiche Indizienkataloge53.
4 3
BVerfGE 40, 237 (249).
4 4
BVerfGE 33, 125 (158ff.); 34, 165 (192f.); 40, 237 (249f.); 47, 46 (78ff.); 49, 89 (126f.); 57, 295 (320f.); 58, 257 (268f.). 4 5 Krebs, Jura 1979, S. 309. Siehe auch BVerfGE 47, 46 (78f.), wo das Gericht gerade darin den "entscheidenden Fortschritt" der Wesentlichkeitstheorie erblickt. 4 6 Für Kloepfer, JZ 1984, 690f., liegt hier die "fast schon sensationelle Innovation" der Wesentlichkeitsrechtsp rechung. 4 7
Krebs, Jura 1979, 31 lf.; Ossenbühl, in: Götz!Klein!Starck,
4 8
Kritisch dazu ßöpfer,
4 9
Krebs, Jura 1979, 308; Papier, in: Götz!Klein!Starck,
S. 18.
JZ 1984, 689: "Theorieumsturz". S. 43.
5 0
Kisker, NJW 1977, 1317; Kloepfer, JZ 1984, 692: "Wesentlich ist, was das BVerfG dafür halt."; Papier, in: Götz/Klein/Starck, S. 41ff.. 5 1
BVerfGE 40, 237 (249); 41, 251 (259f.); 47, 46 (79); 49, 89 (127).
5 2
Kisker,
5 3
Siehe etwa Clement, S. 149AF..
NJW 1977, 1318.
312
§ 5 Kontrolle der Leistungsvergabe durch die Öffentlichkeit
//.
Konsequenzen für die öffentlichen an die politischen Parteien
Leistungen
1. Zur Verwertbarkeit der wissenschaftlichen Diskussion Durchforstet man die Debatte um die Reichweite des Gesetzesvorbehalts nach Begründungshilfen fur oder gegen dessen Erstreckung auf die öffentlichen Leistungen an die politischen Parteien, fallt der Ertrag auf den ersten Blick nur mager aus. Einige der im Streit um die Ausdehnung des Gesetzesvorbehalts mit dem Anspruch auf Allgemeingültigkeit vorgetragenen Argumente scheiden fur eine Verwertung im hier zu erörternden Rahmen schon deshalb aus, weil sie ersichtlich unzutreffend sind - was etwa fur die Verortung des Vorbehalts des Gesetzes in Art. 20 III GG gilt, die logisch zwingend zum Totalvorbehalt fuhren müßte. Art. 20 III GG statuiert lediglich die Bindung der Verwaltung an Recht und Gesetz, sagt aber nicht, was gelten soll, wenn solche Gesetze nicht existieren 54. Nicht zu halten ist auch die Ableitung des Total Vorbehalts aus der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 IV G G 5 5 . Zwar enthält Art. 19 IV GG das Gebot effektiven Rechtsschutzes. Aber Rechtsschutz ist um seiner Effektivität willen nicht auf eine umfassende gesetzliche Normierung jedes denkbaren Regelungsbereichs angewiesen56; und daß effektiver Rechtsschutz nicht dazu zwingt, der Verwaltung jeglichen Handlungsspielraum zu nehmen, zeigt sich schon an der - mit Art. 19 IV GG sicherlich vereinbaren - beschränkten gerichtlichen Überprüfbarkeit von Ermessensentscheidungen (§§ 40 VwVfG, 114 VwGO). Art. 19 IV GG rechtfertigt die These vom Totalvorbehalt daher ebensowenig wie Art. 20 I I I GG. Aber mit diesen relativ eindeutigen Abschichtungen sind nicht alle Probleme gelöst. Vor allem scheint ein Großteil der im Streit um die Reichweite des Gesetzesvorbehalts im Subventionsrecht vorgetragenen Argumente auf das besondere Verhältnis des Staates zu seinen Parteien nicht recht zu passen. So haben für die politischen Parteien bislang weder die Grundrechte noch das Rechtsstaatsprinzip aktuelle Bedeutung erlangt. Zwar gelten die Grundrechte auch fur die Parteien, wenn sie dem Staat in einer "grundrechtsfähigen Situation" gegenüberstehen57; und das Rechtsstaatsprinzip hat als Strukturprinzip der Verfassung nahezu universale Geltung. Aber wer mit den Grundrechten oder dem Rechtsstaatsprinzip operiert, um seine These vom Totalvorbehalt zu 5 4 Jesch, S. 190; Krebs, Vorbehalt, S. l l f . ; Kunig, Rechtsstaatsprinzip, S. 316; Maurer, AllgVwR, § 6 Rn.4. 5 5
Siehe Fn.36.
5 6
So dürfte etwa der Rechtsschutz im - von Art. 19 IV GG nicht einmal erfaßten - Bereich des Arbeitsrechts, der nur am Rande gesetzlich geregelt ist, nicht weniger effektiv sein als in dem öffentlichen Rechts. 5 7
Kimig, in: Isensee ! Kirchhof,
S. 132; BK-Henke, Art. 21 GG 31ff..
Α. Öffentliche Leistungen und Gesetzesvorbehalt
313
begründen, hat in erster Linie die Sicherung und Gewährleistung individueller bürgerlicher Freiheit vor exekutivischer Willkür im Auge - auf die es aber im Verhältnis des Staates zu den Parteien gerade nicht oder wenigstens nicht in erster Linie ankommt. Die "grundrechtsfähige Situation" ist für die Parteien nicht unbedingt charakteristisch, und für sie geht es bei der Vergabe von Leistungen weniger um Schaffung eines Raumes zur Verwirklichung privater Freiheit als um die davon grundverschiedene Erfüllung ihres Verfassungsauftrages von der Mitwirkung an der politischen Willensbildung und um Teilhabe an staatlicher Macht. Aber ist damit auch schon eine sinngemäße Übertragung dieser Versuche, das Vorbehaltsprinzip im allgemeinen auszudehnen, auf das spezielle Feld der Leistungsvergabe an die politischen Parteien ausgeschlossen? Einen unmittelbaren Ansatz für die Erstreckung des Gesetzesvorbehalts könnte wiederum die "Wesentlichkeitstheorie" mit ihrem - jedenfalls der Formulierung nach - umfassenden Geltungsanspruch58 liefern. Nach dieser könnte man, möglicherweise in Anlehnung an Kiskers Gleichsetzung des Wesentlichen mit dem politisch Umstrittenen, etwa den Kernbereich der öffentlichen Leistungen an die politischen Parteien, die Parteienfinanzierung im engeren Sinne, für regelungsbedürftig halten, den weiten Bereich der Sachleistungen hingegen nicht. Aber was gilt etwa für die nicht unumstrittenen Wahlspots in Rundfunk und Fernsehen, die die Gerichte häufig und die Öffentlichkeit schon deshalb beschäftigen, weil diese sich ihnen nicht entziehen kann? Oder für die Überlassung öffentlicher Einrichtungen an rechtsextreme Parteien, die regelmäßig umfangreiche Gegendemonstrationen heraufbeschwört? Man sieht: Mehr als einen ersten und zaghaften Ansatz zur Lösung des Problems liefert auch die Wesentlichkeitstheorie nicht - wobei noch offen ist, ob und inwieweit ihr überhaupt gefolgt werden kann.
2. Die Bestimmung der Reichweite des Gesetzesvorbehalts als Kompetenz- und Zuordnungsproblem Sowohl die Wesentlichkeitstheorie als auch die Lehren vom Totalvorbehalt artikulieren allerdings eine Einsicht, die, weil sie allgemeiner Natur ist, auch für den Bereich der öffentlichen Leistungen an die politischen Parteien Bedeutung hat: die Einsicht, daß die überkommene Beschränkung des Vorbehalts des Gesetzes auf die Eingriffsverwaltung den Realitäten des modernen Staates nicht mehr gerecht wird. Die historischen und verfassungsrechtlichen 5 8 Ob die Wesentlichkeitstheorie den Streit um den Gesetzesvorbehalt in der Leistungsverwaltung entscheiden hilft, ist allerdings umstritten. Dafür Bauer, DÖV 1983, 55ff.; dagegen etwa Jarassy N V w Z 1984, 475.
314
§ 5 Kontrolle der Leistungsvergabe durch die Öffentlichkeit
Rahmenbedingungen, denen das Prinzip des Gesetzesvorbehalts seine Existenz verdankt und die seine Reichweite determinierten, sind entfallen. Mit ihrem Wegfall bedarf auch das Prinzip selbst der Neubegründung und seine Grenze der Neubestimmung. Der Gesetzesvorbehalt in seiner überlieferten Gestalt ist das Kind der konstitutionellen Monarchie des ausgehenden 19. Jahrhunderts, deren Staat, soweit es hier interessiert, durch zwei strukturelle Merkmale geprägt war: zum einen durch den realpolitischen Gegensatz zwischen Parlament und monarchischer Exekutive, in dem der Dualismus von Volk, repräsentiert durch das Parlament, und Staat, verkörpert durch den Monarchen, seine Entsprechung fand 59 ; zum anderen durch eine Beschränkung des staatlichen Wirkungsbereichs. Dem Staat des konstitutionellen Liberalismus fiel lediglich die Aufgabe zu, die äußere Sicherheit und Ordnung einer tendenziell nach Autonomie strebenden Gesellschaft zu gewährleisten 60. Seine Tätigkeit beschränkte sich dementsprechend auf Eingriffe zum Zwecke der Gefahrenabwehr; er war in diesem Sinne ein reiner Eingriffsstaat 61. Unter solchen Bedingungen hatte die Forderung nach einer gesetzlichen Grundlage für staatliches Handeln sowohl eine rechtsstaatliche als auch eine demokratische Komponente - eine rechtsstaatliche, weil sie auf rechtliche Kontrolle der vom Landesherrn ausgeübten Staatsgewalt und rechtliche Sicherung der Individualsphäre abzielte, eine demokratische, weil sich in ihr der Mitgestaltungsanspruch des aufstrebenden Bürgertums verkörperte 62. Der Beschränkung der Staatsaufgaben auf Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung entsprach dabei die Beschränkung des Gesetzesvorbehalts auf die Eingriffsverwaltung. Das Gesetz war begrifflich nichts anderes als ein Eingriff in Freiheit und Eigentum 63 . Die beiden Säulen, auf denen der Vorbehalt des Gesetzes ursprünglich ruhte und aus denen sich zugleich seine Grenzen ergaben - der Dualismus zwischen Parlament und Exekutive, die Beschränkung des staatlichen Aufgabenbereichs -, stehen längst nicht mehr. Sowohl der Umfang der Staatstätigkeit als auch das Verhältnis der Staatsgewalten zueinander haben sich in einer Weise geändert, die auch Auswirkungen fur die Grundlagen des Gesetzesvorbehalts haben mußte. Zum einen: Der Wirkungsbereich des Staates ist in ungeahnter Weise ausgedehnt worden. Der Staat des Grundgesetzes ist kein reiner Eingriffsstaat mehr, sondern nimmt umfassende Aufgaben der Sozialgestaltung, der Wirtschaftslenkung und Kulturpolitik wahr, die in ihrer Wirkung gravie-
5 9
Vgl. Böckenförde y Organisationsgewalt, S. 78.
6 0
Dazu schon oben § 2 C I.
6 1
Kloepfer,
6 2
Ossenbühl, in: Götz/Klein/Starck,
6 3
Starck, Gesetzesbegriflf, S. 83if..
JZ 1984, 686f.; Ossenbühl, in: Götz/Klein/Starck,
S. 17.
Öffentliche Verwaltung, S. 19ff..
Α. Öffentliche Leistungen und Gesetzesvorbehalt
315
render sein können als mancher Eingriff im herkömmlichen Sinne 64 . Von dieser Erweiterung des staatlichen Aufgabenfeldes kann der Gesetzesvorbehalt nicht unberührt bleiben. Zum anderen: Der Dualismus von demokratisch gewähltem Parlament und monarchischer Exekutive existiert nicht mehr. An seine Stelle tritt der Gegensatz zwischen Regierung und Opposition, der im Ergebnis ein Gegensatz zwischen rivalisierenden politischen Parteien ist. Die Regierung wird vom Parlament eingesetzt, vom Parlament kontrolliert und ist mit der Parlamentsmehrheit parteipolitisch verklammert 65. Die auf diese Weise erfolgte Ablösung des Dualismus zweier Staatsgewalten durch einen "gewaltenvereinigenden Monismus"66, in dem auch die Exekutive ihren demokratisch legitimierten Platz hat, hat fur das Verständnis des Gesetzesvorbehalts gewichtige Konsequenzen. Die Frage, welche Sachbereiche durch Gesetz geregelt werden müssen, betrifft nicht länger die Machtverteilung im Staat, sondern hat, ungleich nüchterner, die Abgrenzung und gegenseitige Zuordnung von Kompetenzen und Funktionen zum Gegenstand67. Die folgenschwere "séparation des pouvoirs" wandelt sich zur prinzipiell schwächer ausgeprägten "séparation des fonctions" 68. Wird das Problem der Reichweite des Gesetzesvorbehalts auf diese Weise zum bloßen Zuordnungs- und Kompetenzproblem, wird der Blick frei fur eine differenzierende, sachorientierte Betrachtung, die den Besonderheiten des jeweiligen Regelungsbereichs Rechnung trägt. Gegenüber Radikallösungen jeglicher Art ist daher Vorsicht geboten. Das gilt namentlich für die Versuche, aus so allgemeinen und unbestimmten Prinzipien wie dem Demokratie-, Rechtsstaats- und Sozialstaatsprinzip oder der Gewaltenteilung, die ihrerseits der Konkretisierung durch einzelne Normen des Grundgesetzes bedürfen, einen umfassenden Totalvorbehalt für alles Verwaltungshandeln abzuleiten. Wieviel sich aus solchen Prinzipien gewinnen läßt, zeigt schon der Umstand, daß sich einige von ihnen bei näherem Hinsehen als durchaus ambivalent erweisen 69 . Das Demokratieprinzip etwa reklamieren sowohl die Befürworter als auch die Gegner des Totalvorbehalts für sich: Die Befürworter berufen sich auf die mit dem Ende der konstitutionellen Monarchie entstandene Führungsrolle des Parlaments, die Gegner auf die nunmehr vorhandene demokratische Legitimation auch der Exekutive 70 . Ahnlich sieht es beim Grundsatz 6 4 Zu diesem Wandel des Staatsverstandnisses K.Hesse, Grundzüge, Rn.9, 21 Off.; Zippelius, S. 336ff.. 6 5
Kisker,
6 6
Thoma, in: Anschütz!Thoma Bd.D, S. 117.
6 7
NJW 1977, 1314; Ossenbühl, in: Götz/Klein/Starck,
Frotscher, S. 16f..
Regierung, S. 221f.; Kloepfer,
S. 16f..
JZ 1984, 686; Ossenbühl, in: Götz/Klein!Starck,
6 8
Böckenförde,
6 9
Starck, Gesetzesbegriff, S. 281 f..
7 0
Vgl. dazu bereits die Ausführungen in Unterabschnitt 2.
Organisationsgewalt, S. 79.
316
§ 5 Kontrolle der Leistungsvergabe durch die Öffentlichkeit
der Gewaltenteilung aus 71 . Die Strukturprinzipien der Verfassung ersetzen, wie das Beispiel zeigt, die differienzierende, an den Besonderheiten des jeweils zu regelnden Sachbereichs orientierte Analyse nicht. Sie lassen sich zwar ergänzend, nicht aber streitentscheidend heranziehen. Wo der Gesetzesvorbehalt nicht mehr die Machtfrage lösen, sondern die Kompetenzen institutionell gleichgeordneter staatlicher Organe voneinander abgrenzen soll, rükken andere Kriterien in den Vordergrund. In erster Linie ist danach regelmäßig zu klären, in welcher Weise und an welchen Stellen das Grundgesetz selbst die Befugnisse von Parlament und Exekutive einander zuordnet 72. Sowohl der Grundrechtsteil als auch der organisatorische Teil der Verfassung enthalten eine Vielzahl spezieller Gesetzesvorbehalte, die mehr oder weniger differenziert festlegen, in welchen Fällen der Gesetzgeber selbst tätig zu werden hat 7 3 . Daneben aber kann auch die pragmatische Frage gestellt werden, welche Materien einer Entscheidung durch Gesetz allein deshalb bedürfen, weil eine solche Entscheidung aufgrund der ihr eigenen Qualität sachgerecht und angemessen erscheint. Denn eine der Verfassung gerecht werdende Zuordnung von Kompetenzen erfordert auch, daß staatliche Entscheidungen von den Organen getroffen werden, die fur die jeweilige Entscheidung am besten gerüstet und legitimiert sind 74 . Kompetenz als Zuständigkeit fur einen bestimmten Sachbereich korreliert in diesem Sinne mit Kompetenz als Eignung zu dessen Bewältigung; die Struktur des Verfahrens und seine Leistungsfähigkeit determinieren seinen Gegenstand. Dementsprechend bleibt zu untersuchen, durch welche besonderen Qualitäten - in puncto Organisation und Verfahren, Legitimation und Verantwortung, Effizienz und Richtigkeitsgewähr - sich eine Entscheidung des Gesetzgebers auszeichnet, worin demgegenüber die besonderen Qualitäten einer Entscheidung der Exekutive bestehen und welche Materien angesichts dessen gesetzlich geregelt werden müssen. Was sich aus alldem fur die öffentlichen Leistungen an die politischen Parteien ergibt, ist im folgenden zu untersuchen.
71 Starck, Gesetzesbegriff, S. 281 f.. Vgl. insoweit nur die Folgerungen von Peters, Verwaltung, S. 12f., 29; Bullinger, Vertrag, S. 94f.. 7 2 So auch Jarass, N V w Z 1984, 475ff.; Papier, in: Götz/Klein/Starck, S.46ff.. Ähnlich schon BVerfGE 49, 89 (125). Noch pointierter Vogel, W D S t R L 24, 149ff.. 7 3 7 4
Siehe die Nachweise bei Jarass, N V w Z 1984, 475flf..
BVerfGE 68, 1 (86). Das BVerfG greift damit das in der Rechtslehre entwickelte Kriterium der "funktionsgerechten Organstruktur" auf, dazu Ossenbühl, DÖV 1980, 548f. m.w.N.. Treffender spricht Hill, Diskussionsbeitrag in: Götz!Klein!Starck, S. 238 von einer "organ- bzw. funktionsgerechten Funktionenzuordnung".
Α. Öffentliche Leistungen und Gesetzesvorbehalt
317
a) Zuordnung der Kompetenzen zur Leistungsvergabe durch das Grundgesetz selbst Für einzelne öffentliche Leistungen dürfte sich die Geltung des Gesetzesvorbehalts bereits unmittelbar aus dem Grundrechtskatalog ableiten lassen. So wird man etwa für die Steuerbegünstigung von Parteispenden, die Einräumung des Drittsendungsrechts im Rundfunk oder die Weitergabe von Wählerlisten aus dem Meldeverzeichnis schon deshalb eine gesetzliche Grundlage verlangen können, weil all diese Leistungen den Schutzbereich eines Individualgrundrechts berühren - die Steuerbegünstigung das Recht auf gleiche Teilhabe an der politischen Willensbildung75, das Drittsendungsrecht die Rundfunkfreiheit 76, die Weitergabe von Wählerlisten das Recht auf informationelle Selbstbestimmung77. Darüber hinaus könnte das Grundgesetz auch einen ersten Hinweis zur generellen Abgrenzung der Kompetenzen von Exekutive und Legislative bei der Leistungsvergabe an Parteien liefern - in Art. 21 III GG. Freilich müßte sich diese Bestimmung dann nicht nur, wie man es von ihrem Wortlaut - "Das Nähere regeln Bundesgesetze" - her vermuten könnte, auf die Abgrenzung der Kompetenzen zwischen Bund und Ländern, sondern auch zwischen Exekutive und Legislative beziehen. Dafür spricht immerhin folgendes: Art. 21 III GG enthält allgemeiner Meinung nach nicht nur eine verfassungsrechtliche Ermächtigung für den Bundesgesetzgeber, sondern einen Regelungsauftrag 78. Der Bundesgesetzgeber ist nicht nur befugt, sondern verpflichtet, "das Nähere" zu regeln; in Erfüllung dieser Verpflichtung hat er unter anderem das Parteiengesetz erlassen. Nimmt man das Wort vom Regelungsauftrag ernst, ließe sich daraus die allgemeine, über das Bund-Länder-Verhältnis hinausreichende Forderung ableiten, das Parteienwesen auf eine gesetzliche Grundlage zu stellen. In dieser Auslegung hätte Art. 21 III GG Bedeutung auch für die Abgrenzung der Kompetenzen von Exekutive und Legislative. Zu klären bliebe dann allerdings noch, ob und in welchem Umfang der Regelungsauftrag, der für "das Nähere" gilt, auch die Vergabe öffentlicher Leistungen erfaßt. Nach grammatikalischer Auslegung kann sich die Formulierung "das Nähere" nur auf die in Absatz 1 und 2 niedergelegten Grundsätze beziehen. Aus diesen ließen sich immerhin das Gebot der Neutralität des Staates gegenüber dem Parteienwettbewerb sowie, damit zusammenhängend, 7 5
Dazu oben § 4 A.
7 6
Dazu oben § 4 B.
7 7
Dazu oben § 4 C. Zur Notwendigkeit einer gesetzlichen Grundlage bei derartigen Eingriffen BVerfGE 65, 1 (44). 7 8 Bericht 1957, S. 11 Iff.; M D - Maunz, Art. 21 Rn. 47; BK-Henke, Art. 21 GG Rn. 79; AK-Preuß, Art. 21 Abs. 1, 3 Rn. 80.
318
§ 5 Kontrolle der Leistungsvergabe durch die Öffentlichkeit
ein allgemeines Zurückhaltungsgebot ableiten79, Gebote, die durch eine Leistungsvergabe - und zwar durch jede Leistungsvergabe - ebenso berührt werden wie das gleichfalls in Art. 21 GG verankerte Recht der Parteien auf Chancengleichheit und die Parteienfreiheit 80. Dies alles könnte dafür sprechen, auch fur die Leistungsvergabe eine gesetzliche Grundlage zu verlangen. Ganz eindeutig ist das freilich nicht. Der Regelungsauftrag ist rechtlich nicht durchsetzbar 81, der Begriff des "Näheren" zu unbestimmt, um aus ihm eine umfassende Verpflichtung des Gesetzgebers zur Regelung sämtlicher die Parteien betreffenden Fragen abzuleiten82. Mit der Formulierung "Das Nähere" könnte schließlich auch nur der Bereich bezeichnet sein, der einer Regelung gerade durch Gesetz zwingend bedarf, und ob dazu die Vergabe öffentlicher Leistungen gehört, ist ja eben die Frage. Es droht eine Tautologie. Von daher wird die Suche nach dem inneren Grund der Erforderlichkeit einer gesetzlichen Grundlage fur die Leistungsvergabe, die Suche nach dem "Warum", auch durch Art. 21 III GG nicht wesentlich erleichtert. Um den Rückgriff auf die oben dargestellten allgemeinen Grundsätze, nach denen sich die Reichweite des Gesetzesvorbehalts aus einem Vergleich der je unterschiedlichen verfassungsrechtlichen Qualitäten der Entscheidungen von Exekutive und Legislative ergibt, wird man nicht herumkommen. Mehr als ein erster Hinweis auf die Notwendigkeit einer gesetzlichen Grundlage für die Leistungsvergabe läßt sich Art. 21 III GG also nicht entnehmen.
b) Zuordnung der Kompetenzen aufgrund eines Vergleichs von Legitimation und Verantwortlichkeit Vergleicht man die Leistungsfähigkeit von Exekutive und Legislative zunächst unter den Stichworten "Legitimation und Verantwortung", fuhrt kein Weg an der Erkenntnis vorbei, daß unter der Herrschaft des Grundgesetzes sowohl die Legislative als auch die Exekutive demokratisch legitimiert sind 83 . Unterschiede bestehen allerdings im Grad der Legitimation: Während das Parlament vom Volk gewählt wird, empfangen Regierung und Verwaltung ihre Legitimation erst aus der des Parlaments, das seinerseits die Regierung 7 9
Siehe oben § 1 C IV und § 2 Β Π.
8 0
Vgl. auch BVerfGE 20, 56 (115), wo das Gericht die Gesetzgebungskompetenz des Bundes zur Regelung der Wahlkampfkostenerstattung vornehmlich aus der Pflicht der Parteien zur Rechenschaftslegung (Art. 21 I 4 GG) herleitet; kritisch Randelzhofer, JZ 1969, 539. 8 1
M D - Maunz, Art. 21 GG Rn. 47.
8 2
Vgl. M D - Maunz y Art. 21 GG Rn. 50 sowie Rn. 48, wo der Regelungsauftrag nur auf Abs. I Satz 3 und 4 bezogen wird; siehe zum Problem Bericht 1957, S. 117ff.. 8 3
78ff.
So auch BVerGE 49, 89 (125). Insoweit richtig auch Böckenförde
y
Organisationsgewalt, S.
Α. Öffentliche Leistungen und Gesetzesvorbehalt
319
wählt und kontrolliert. Gleiches gilt fur die Verantwortlichkeit: Das Parlament ist dem Volk, die Regierung zunächst dem Parlament verantwortlich. Die Exekutive ist das dem Volk, dem nach Art. 20 I I 1 GG alleinigen Träger der Staatsgewalt, "ferner stehende" Staatsorgan84; sie ist lediglich mittelbar legitimiert 85 . Von daher ist man versucht, fur alle Entscheidungen, die einer unmittelbaren demokratischen Legitimation bedürfen, ein Handeln des Gesetzgebers zu fordern. Doch welche Entscheidungen sind das? Nahe liegt es, insofern auf das Gewicht und die Bedeutung einer Angelegenheit abzustellen - womit man indes wieder bei der "Wesentlichkeitstheorie" angelangt wäre. Zwar hat diese, wird auf den Grad der demokratischen Legitimation abgestellt, durchaus ihre Berechtigung; sie artikuliert gewissermaßen eine Binsenweisheit86. Aber sie ist dem bekannten Vorwurf mangelnder Aussagekraft ausgesetzt und bezeichnet die Problematik in vielen Bereichen eher, als daß sie sie löst. Das gilt namentlich fur die hier interessierende Frage, ob öffentliche Leistungen an die politischen Parteien einer gesetzlichen Grundlage bedürfen. Bedeutung - und keinesfalls geringe - hat gewiß auch das Verhältnis des Staates zu seinen Parteien, und dieses wird durch jede Leistungsvergabe berührt. Aber wer allein aus der solcherart unterstellten Wesentlichkeit der Materie ihre Normierungsbedürftigkeit herleiten wollte, setzte sich dem - auch gegenüber dem BVerfG erhobenen 87 - Vorwurf aus, er erkläre für wesentlich, was er selbst dafür halte. Die je unterschiedliche Legitimation und Verantwortlichkeit von Exekutive und Legislative beantwortet die Frage nach der Reichweite des Gesetzesvorbehalts im Parteienrecht daher gleichfalls nicht abschließend. Sie liefert zwar einen weiteren Anhaltspunkt - aber auch nicht mehr.
c) Zuordnung aufgrund des Vergleichs von Effizienz und Richtigkeitsgewähr Einer organgerechten Aufgabenverteilung entspricht es ferner, die Kompetenz fur eine Entscheidung dort anzusiedeln, wo das bestmögliche Ergebnis zu erwarten ist. Werden in diesem Sinne "Effizienz und Richtigkeitsgewähr" exekutivischer und legislativer Entscheidungen aneinander gemessen, ergibt 8 4
Achterberg, S. 335.
8 5
Dies muß keinesfalls im Sinne eines demokratischen "Vorrangs'' verstanden werden. Ob ein solcher existiert, mag man mit guten Gründen bezweifeln, vgl. Leibholz, Strukturprobleme, S. 104f., 156f.; Böckenförde, Organisationsgewalt, S. 80f.. Aber daß im Grad der Legitimation schon nach außen hin deutliche Unterschiede bestehen, wird man m.E. kaum bestreiten können. 8 6
dement, S. 118.
8 7
KUlpfer,
JZ 1984, 692.
320
§ 5 Kontrolle der Leistungsvergabe durch die Öffentlichkeit
sich ein im wesentlichen unstreitiger Befund. Das Handeln der Exekutive zeichnet sich vor allem durch Flexibilität, das des Parlaments dagegen durch eine umfassende Abwägung des Für und Wider aus 88 . Während die Exekutive in der Lage ist, sich verändernden Situationen relativ schnell anzupassen, brauchen parlamentarische Entscheidungen - als Resultat eines ungleich komplexeren Willensbildungsprozesses - ihre Zeit. Dem entspricht es, daß die Parlamente sich auf allgemeine und abstrakte Regelungen beschränken müssen und ihre Verarbeitungskapazität Grenzen hat. Die Verwaltung ist demgegenüber zur Regelung von Einzelfällen und Detailfragen besser gerüstet 89. Die Frage kann dann nur sein, worauf es bei der Vergabe öffentlicher Leistungen an die politischen Parteien ankommt. Erforderte eine solche Leistungsvergabe "Effizienz" im Sinne von Flexibilität, Fähigkeit zur zügigen Problembewältigung und Einzelfallgerechtigkeit, spräche einiges dafür, sie der alleinigen Kompentenz der Verwaltung zuzuweisen90. Nur: Bei der Vergabe öffentlicher Leistungen an die politischen Parteien gelten andere Grundsätze als etwa für Wirtschaftssubventionen. Wirtschaftssubventionen müssen der zyklisch, aber unregelmäßig schwankenden Konjunktur und der Leistungsfähigkeit von Unternehmen, die sich von Tag zu Tag ändern kann, Rechnung tragen. Die äußeren Bedingungen für die Vergabe von Leistungen an die politischen Parteien bleiben dagegen im wesentlichen gleich; Notlagen, die rasches Einschreiten auch ohne gesetzliche Grundlage erfordern 91, kommen praktisch nicht vor. Der Großteil der Leistungen wird regelmäßig und zu wiederkehrenden Anlässen - etwa den Wahlen - gewährt. Auf Flexibilität kommt es dementsprechend hier weniger an als auf die Konstanz der Vergabebedingungen. Konstanz aber läßt sich eher durch Gesetz gewährleisten als durch notwendig augenblicksbezogene Verwaltungsentscheidungen. Hinzu kommt folgendes: Die Vergabe öffentlicher Leistungen an die politischen Parteien darf, anders als Wirtschaftssubventionen, von Verfassungs wegen nicht der Begünstigung einzelner Leistungsempfänger dienen, sondern muß allen Parteien in gleicher Weise zugutekommen. Von daher steht nicht Einzelfall-, sondern Verteilungsgerechtigkeit im Vordergrund, die sich ebenfalls eher durch das generalisierende Gesetz als durch die individualisierende Verwaltungsentscheidung gewährleisten läßt 92 . Das Gesetz bietet in diesem Sinne die größere Richtigkeitsgewähr - Richtigkeit als bestmögliche Realisie8 8
Siehe nur Kisker, NJW 1977, 1315f.
8 9
Treffend schon Schmitt, Verfassungslehre, S. 315: "... die Exekutive soll nicht diskutieren, sie soll handeln, Gesetze vollziehen und Maßnahmen durchführen, die nach Lage der Sache erforderlich sind." 9 0 In ahnliche Richtung zielt ja auch einer der Haupteinwände gegen den Totalvorbehalt, siehe Unterabschnitt 2. 9 1
Siehe dazu nur Maurer, AllgVwR, § 6 Rn.91.
Α. Öffentliche Leistungen und Gesetzesvorbehalt
321
rung einer Vielzahl von Grundwerten 93. Bis zu welchem Grad die Vergabe öffentlicher Leistungen an die Parteien auch ohne gesetzliche Grundlage durch die Exekutive inhaltlich richtig - etwa unter Wahrung der Verteilungsgerechtigkeit - entschieden werden kann, ist zweifelhaft. Die Exekutive ist keine unpolitische und schon gar keine unparteiische Staatsgewalt mehr. Ihre Spitze - die Regierung - wird von Parteien gestellt, ihre Untergliederungen die Verwaltungsinstanzen - sind mit den Parteien auf allen Ebenen verflochten. Wozu das fuhren kann, belegt nachdrücklich das Urteil des BVerfG zur amtlichen Öffentlichkeitsarbeit, dessen Anlaß der massive Einsatz öffentlicher Mittel fur die Wahlwerbung der Regierungsparteien war 9 4 .
d) Zuordnung aufgrund des Vergleichs von Organisation und Verfahren Noch aufschlußreicher fallt der Qualitätsvergleich zwischen exekutivischen und legislativen Entscheidungen in den Kategorien "Organisation und Verfahren" aus. Hier unterscheiden sich beide beträchtlich voneinander, und auf diesem Feld liegt die besondere Güte einer Entscheidung durch Gesetz 95 . Das Gesetzgebungsverfahren zeichnet sich durch zwei grundlegende strukturelle Merkmale aus: durch Diskussion und durch Öffentlichkeit 96. Das Gesetz wird in mehreren Lesungen und in Ausschüssen beraten; es bedarf der Billigung pluralistisch besetzter Gremien; eine Vielzahl von Beteiligten, Regierung, Parlamentsmehrheit, Opposition, Bundesländer, Sachverständige, Betroffene, ist in den Prozeß der Willensbildung eingebunden - darin liegt das Moment der Diskussion97. All das geschieht nicht im Verborgenen, sondern der Struktur nach coram publico (vgl. Art. 42 I 1 GG, 52 III 3 GG); der Willensbildungsprozeß ist grundsätzlich transparent, sein Ergebnis, das Gesetz, allgemein zugänglich (Art. 82 I 1 GG) - darin liegt das Moment der Öffentlichkeit 9 8 .
9 2
Insoweit zutreffend Schaumann, JZ 1966, 722ff..
9 3
Der Begriff der Richtigkeit wird hier, dem allgemeinen Sprachgebrauch entsprechend, allein auf den Inhalt der betreffenden Entscheidung bezogen. Weitergehend von Arnim, DVB1. 1987, 1244, fur den Richtigkeit sich auch auf die Art des Zustandekommens der Entscheidung und die daran Beteiligten bezieht (insb. Fn. 36). 9 4
BVerfGE 44, 125.
9 5
So auch Kisker, NJW 1977, 1315; von Arnim, DVB1. 1987, 1243.
9 6
Starck, Gesetzesbegriff, S. 157ff.. Zur Öffentlichkeit als Merkmal parlamentarischer Gesetzgebung schon Schmitt y Verfassungslehre, S. 315f.. 9 7
Starck, Gesetzesbegriff, S. 158ff..
9 8
Starck, Gesetzesbegriff, S. 16Iff..
21 Volkmann
§ 5 Kontrolle der Leistungsvergabe durch die Öffentlichkeit
322
Diskussion und Öffentlichkeit bestimmen das Handeln der Exekutive nicht. Dieses ist weniger auf Beratung als auf Entscheidungskonzentration, weniger auf Transparenz als auf Effizienz angelegt. In der Konsequenz dieser Verfahrensstruktur liegt es, alle Materien, die in einer parlamentarischen Demokratie der Diskussion und Öffentlichkeit bedürfen, der Entscheidung durch Gesetz vorzubehalten". Freilich mag die Beurteilung dessen, was jeweils zu diesem Bereich gehört, infolge eines Wandels der politischen Anschauungen gewissen Schwankungen unterliegen: Was gestern noch für Konfliktstoff sorgte, kann heute schon konsensfähig sein, und wo allgemeiner Konsens herrscht, braucht man keine Diskussion. Insofern wird man die These Kiskers, der Diskussion und Öffentlichkeit bedürfe, was politisch umstritten sei 1 0 0 , nicht ganz von der Hand weisen können. Folgt man ihr, wird man zumindest den Bereich der Parteienfinanzierung im engeren Sinne für regelungsbedürftig erklären müssen; kaum ein Problem des Parteienrechts hat in den letzten Jahren soviel Staub aufgewirbelt und für soviel Unmut gesorgt. Die Vergabe öffentlicher Leistungen bedarf aber generell der Diskussion und der Öffentlichkeit: (1) Diskussion ist schon deshalb erforderlich, weil die Vergabe öffentlicher Leistungen umfangreichen verfassungsrechtlichen Anforderungen unterliegt. Angesichts der Funktion der Parteien im Demokratiesystem des Grundgesetzes, wie sie durch Art. 21 GG konstituiert wird, gilt für sämtliche öffentlichen Leistungen ein generelles Zurückhaltungsgebot101. Ob und in welchem Umfang die Zurückhaltung aufgegeben werden kann, bedarf für jeden Einzelfall - und das heißt: für jede einzelne Leistungsvergabe - der sorgfältigen Abwägung. Für eine umfassende Abwägung des Für und Wider eignet sich nichts so sehr wie eine Diskussion, in der eine Vielzahl von Beteiligten Gelegenheit zur Formulierung der jeweils eigenen Interessen erhält 102 . Das gilt in gleicher Weise für das Prinzip der Neutralität des Staates gegenüber dem Parteienwettbewerb und seine Kehrseite, das Recht der Parteien auf Chancengleichheit 103 . Da jede einzelne Vorteilsgewährung, gleich auf welcher Ebene sie stattfindet, die Konkurrenz der Parteien, die der Staat nicht steuern darf, tendenziell verfälschen kann 1 0 4 , muß für jede einzelne Vorteilsgewährung erörtert werden, inwieweit eine solche Wettbewerbsverzerrung hingenommen werden kann. Auch das geschieht durch Diskussion. Nur die Diskussion 9 9
Kisker,
NJW 1977, 1315; von Arnim, DVBl. 1987, 1243ff.
1 0 0
Kisker,
1 0 1
Siehe oben § 2 C IV.
ι rvy
NJW 1977, 1318.
Die Einbindung aller ist hier insbesondere deshalb erforderlich, weil das Zurückhaltungsgebot als Rechtsprinzip nur eingeschränkt justitiabel ist und seine Überwachung in erster Linie der Öffentlichkeit obliegt. Die öffentliche Diskussion wird auf diese Weise zur gelebten Verfassungsinterpretation. Siehe dazu oben § 2 C IV 5. 1 0 3 Dazu oben § 3. 1 0 4
Siehe oben § 3 C Einleitung sowie ΠΙ.
Α. Öffentliche Leistungen und Gesetzesvorbehalt
323
schließlich kann, neben der Kontrolle durch die dritte Gewalt, sicherstellen, daß bei der Leistungsvergabe die Interessen möglichst vieler Parteien gewahrt werden. (2) Der Öffentlichkeit bedarf die Leistungsvergabe an politische Parteien schon aus einem Grund, den das BVerfG im "Diätenurteil " 1 0 5 erstmals entwickelt hat und den namentlich von Arnim fur die Parteienfinanzierung fruchtbar gemacht hat 1 0 6 . Da das Parlament sich nahezu ausschließlich aus Parteimitgliedern zusammensetzt, die Regierung von der Parlamentsmehrheit gestellt wird und die Verwaltung parteipolitisch dominiert ist, entscheiden bei der Vergabe öffentlicher Leistungen die Parteien gewissermaßen in eigener Sache. Für den Parallelfall einer solchen Entscheidung, die Abgeordnetenentschädigung, hatte das BVerfG ausgeführt, das demokratische und rechtsstaatliche Prinzip verlange, daß der gesamte Willensbildungsprozeß für den Bürger durchschaubar sei und das Ergebnis vor den Augen der Öffentlichkeit beschlossen werde 1 0 7 . Für die Vergabe öffentlicher Leistungen kann nichts anderes gelten. Auch hier besteht eine Interessenkollision, die eine gesteigerte öffentliche Kontrolle erzwingt. Wo Vorteilsgeber und Vorteilsempfänger teilidentisch sind, liegt die Gefahr von Mißbräuchen auf der Hand; und daß gerade die Parteien bisweilen das Operieren im Dunkelfeld lieben, belegt nicht erst der Hinweis auf die unsägliche Parteispendenaffäre. Gegen die Neigung, sich einer unbequemen öffentlichen Diskussion über das Für und Wider jeder Leistungsvergabe zu entziehen, und den darin liegenden Versuch, den Staat zu einem Selbstbedienungsladen zu machen, an dessen Kasse man nicht einmal bezahlt 108 , hilft nur die Festlegung auf größtmögliche Transparenz. Welche Leistungen in welchem Umfang und nach welchen Kriterien vergeben werden, bedarf der überprüfbaren Festlegung, der individuellen Begründung und der umfassenden Erörterung, kurz: der Öffentlichkeit 109. (3) Generell setzt die Rolle der Parteien bei der politischen Willensbildung ihr Wirken in und vor der Öffentlichkeit voraus. Aggregation, Reduktion und Transmission sind in einer lebendigen Demokratie Aufgaben, die sich mit verborgenen Aktivitäten im stillen Kämmerlein nicht vertragen, sondern ihrer Natur nach darauf angelegt sind, nach außen zu dringen: Aggregation als 1 0 5
BVerfGE 40, 296.
1 0 6
Siehe von Arnim, Parteienfinanzierung, S. 46ff.; dersZRP Fraktionsfinanzierung, S. 26ff.; ders., ZRP 1989, 263f..
1982, 294; ders., Staatliche
1 0 7 BVerfGE 40, 296 (327). Ähnlich heißt es an anderer Stelle, auch jede Veränderung der Höhe der Entschädigung sei "vor den Augen der Öffenlichkeit als eine (...) selbständige (...) politische Frage zu entscheiden" (316f.). 1 0 8 1 0 9
So Frotscher,
DVBl. 1985, 920.
Zusammenfassend von Arnim, DVBl. 1987, 1245ff., der allerdings versucht, das Kriterium der "Entscheidung in eigener Sache" in die Wesentlichkeitstheorie des BVerfG einzubinden, was m.E. nicht ganz bruchlos gelingen kann. 21'
324
§ 5 Kontrolle der Leistungsvergabe durch die Öffentlichkeit
Sammlung und Bündelung von Interessen verlangt die auf Dritte gerichtete und von diesen Dritten wiederum kritisch zu hinterfragende Überzeugungsarbeit; Reduktion und Transmission erfordern die wechselseitige osmotische Durchdringung von Parteien, Gesellschaft und Staat und einen permanenten Informationsaustausch zwischen den Sphären, der störungsfrei nur in einem Klima freier individueller und öffentlicher Meinungsbildung stattfinden kann 1 1 0 . Die den Parteien zugewiesene Aufgabe der Vermittlung erfüllt sich demnach in einer umfassenden Interaktion zwischen einer Vielzahl von Handlungsträgern in ständig wechselnden Rollen, kurz: in einem genuin kommunikativen Prozeß, dessen Wesensmerkmal in der umfassenden Beteiligung aller liegt 1 1 1 . Das diesem politischen Diskurs adäqate Verfahren liegt in einem solchen, das Diskussion und Öffentlichkeit bietet. Nur dieses gewährleistet, daß die Bürger, die in der Wahl über den künftigen Einfluß der Parteien entscheiden sollen, ein unverfälschtes Bild von der Leistungsfähigkeit, der Ausrichtung und der Glaubwürdigkeit der verschiedenen Parteien gewinnen. Offenheit und Einsehbarkeit werden auf diese Weise zu unverzichtbaren Grundbedingungen des Parteiensystems. Verständlich machen müssen die Parteien auch ihren Finanzbedarf sowie den Bedarf an sonstigen Leistungen 1 1 2 . Hierfür liefert das Parlament immer noch die beste Arena. (4) Daß Öffentlichkeit für die Gewährung von Vorteilen an die Parteien generell erforderlich ist, geht mittelbar auch aus dem Grundgesetz selbst hervor. Art. 21 I 4 GG verpflichtet die Parteien, über die Herkunft ihrer Mittel sowie - seit der Grundgesetzänderung vom 21.12.1983 1 1 3 - über deren Verwendung und ihr Vermögen öffentlich Rechenschaft abzulegen. Zwar mag man über den Schutzzweck dieser Bestimmung ebenso streiten wie darüber, in welchem Umfang sie die Offenlegung verlangt und welche Mittel sie im einzelnen erfaßt 1 1 4 . Auch richtet sie sich in erster Linie an die Parteien selbst und ist der Staat nur insofern Verpflichtungsadressat, als er gemäß Art. 21 I I I GG das Nähere per Gesetz zu regeln hat. Aber aus Art. 21 I 4 GG läßt sich doch der allgemeine Grundsatz entnehmen, daß die Gewährung von Vorteilen an die Parteien - von welcher Seite auch immer - keinerlei Heimlichkeit verträgt, sondern im Gegenteil weitreichende Transparenz verlangt. Wenn schon die 1 1 0
Vgl. zu der Struktur des politischen Prozesses oben § 2 C I, Π und III, § Β Π.
1 1 1
Nur in diesem Sinne läßt sich deshalb der "Status des Öffentlichen" retten, der den Parteien gelegentlich zuerkannt wird; siehe zu den Fehldeutungen in diesem Zusammenhang bereits § 2 C I a.E.. 1 1 2
Darin liegt möglicherweise auch ein probates Mittel gegen jene unter anderem durch die Selbstbedienungsmentalität der Parteien heraufbeschworene Pafteienverdrossenheit, die ihrer Funktionserfullung abträglich ist, vgl. den Bericht der Bundestagspräsidentin gem. § 23 V PartG vom 5.4.1990, BT-Drucks. 11/6885, S. 18 113 11 Fünfunddreißigstes Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 21.12.1983, BGBl. I, S. 1481. 1 1 4 Siehe dazu unten Kap. B.
Α. Öffentliche Leistungen und Gesetzesvorbehalt
325
Parteien verfassungsrechtlich zur umfassenden Offenbarung ihrer im Grunde inneren Angelegenheiten gehalten sind, ist auch die öffentliche Hand zur Publizität verpflichtet. Die Vergabe öffentlicher Leistungen bedarf in diesem Sinne der öffentlichen Erörterung und der öffentlichen Kontrolle - wie sie durch das Gesetzgebungsverfahren am ehesten gewährleistet wird.
3. Fazit Einer funktions- und organgerechten Kompetenzverteilung entspricht es nach alldem, die Entscheidung über die Vergabe öffentlicher Leistungen allein dem Gesetzgeber zuzuweisen. Faßt man die dafür sprechenden Einzelargumente zusammen und führt sie auf ihren eigentlichen Kern zurück, so ist es wiederum die Funktion der Parteien im politischen Prozeß, die hier durchschlägt und eine ausreichende gesetzliche Grundlage für öffentliche Leistungen erforderlich macht. Die Risiken einer Leistungsvergabe, denen durch die Behandlung in einem entsprechenden Verfahren vorgebeugt werden soll, - fehlerhafte Leistungsverteilung, Mißbrauch politischer Gestaltungsmöglichkeiten, Interessenkollisionen, Entscheidungen in eigener Sache, Überschreitung der durch das Zurückhaltungsgebot gesetzten Grenzen, um nur einige zu nennen - erweisen sich im Ergebnis eben deshalb als Risiken, weil sie tendenziell funktionsauflösende Konsequenzen haben 115 ; und umgekehrt ist es gerade die Funktion der Parteien im demokratischen Diskurs, die ihr Wirken vor den Augen und unter der Kontrolle der Öffentlichkeit verlangt. An dieser Stelle schließt sich denn auch der Kreis zu den Ausführungen in den vorangegangen Abschnitten zum Zurückhaltungsgebot und zur Wettbewerbsneutralität des Staates, die ebenfalls nur die faßbaren Ausprägungen des umfassenden Dysfunktionalisierungsverbotes oder Funktionserhaltungsgebotes bilden, welches das Grundgesetz in bezug auf die politischen Parteien statuiert. Nimmt man nur etwa das vor allem von von Arnim hervorgehobene Kriterium der "Entscheidung in eigener Sache", so steht dieses in untrennbarem Zusammenhang zur ihrerseits aus der Funktion der Parteien im politischen Prozeß abgeleiteten Neutralität des Staates gegenüber den Parteien. Denn der erhöhte Kontrollbedarf bei Entscheidungen in eigener Sache rechtfertigt sich aus der naheliegenden Gefahr des Mißbrauchs politischer Gestaltungsmöglichkeiten. Ziel ist vor allem die Verhinderung der wechselseitigen Vereinnahmung von Staat und Partei: Der Staat soll nicht zur "Beute der Parteien" werden, wie umgekehrt auch die Parteien nicht zur Beute des Staates 115 Ygi 7 χ χ ΐ Funktion der politischen Parteien und ihren rechtlichen Konsequenzen oben § 2 C Π und I V .
326
§ 5 Kontrolle der Leistungsvergabe durch die Öffentlichkeit
werden dürfen 116 . Damit aber dient das Verlangen nach gesteigerter öffentlicher Kontrolle bei Entscheidungen in eigener Sache genau jener Ausdifferenzierung von Rollen im politischen Prozeß, deren Verteidigung eines der wichtigsten Anliegen staatlicher Neutralitat gegenüber den Parteien i s t 1 1 7 . Zugleich kommt in dem Kriterium der "Entscheidung in eigener Sache" nur nur eine von vielen Varianten des Zurückhaltungsgebotes zum Ausdruck, weil es die generell gebotene Vorsicht beim Umgang mit öffentlichen Leistungen artikuliert. Den vielfaltigen Interdependenzen zwischen den einzelnen Instrumenten der Funktionssicherung ist hier indes nicht weiter nachzugehen, weil sich die praktische Relevanz solcher Forschungen in Grenzen hält. Festzuhalten bleibt, daß das Verlangen nach einer gesetzlichen Grundlage für öffentliche Leistungen der Öffentlichkeit vor allem jene Überwachung des Zurückhaltungsgebots ermöglicht, zu der sie berufen ist.
///.
Praktische Auswirkungen und Regelungsdefizite
Nach alldem dürfte die Geltung des Vorbehalts des Gesetzes für die Vergabe öffentlicher Leistungen an die politischen Parteien nicht zweifelhaft sein. Auf diesen Standpunkt hat sich weitgehend auch die vom Bundespräsidenten 1982 einberufene Sachverständigenkommission zur Neuordnung der Parteienfinanzierung gestellt und für finanzielle Begünstigungen jeglicher Art ausnahmslos eine gesetzliche Grundlage verlangt 118 . Für eine Beschränkung dieser Forderung auf Geldleistungen119 besteht indes kein Anlaß. Was zur Begründung der Geltung des Gesetzesvorbehalts in diesem Bereich vorgetragen wurde - die ersten Hinweise, die sich aus Art. 21 III GG und der erhöhten demokratischen Legtimation einer gesetzgeberischen Entscheidung ergaben, die größere Richtigkeitsgewähr, die Notwendigkeit öffentlicher Diskussion, wie sie nur durch das Gesetzgebungsverfahren gewährleistet werden kann -, gilt für Geld- und Sachleistungen, für mittelbare wie unmittelbare, verdeckte wie offene Leistungen in gleicher Weise. Sie unterliegen rechtlichen Anforderungen, die prinzipiell identisch sind 1 2 0 . Und daß sich etwa zwischen finan1 1 6
Siehe dazu bereits § 2 C ID.
1 1 7
Dazu oben § 2 Β IV.
1 1 8
Bericht 1983, S. 175.
1 1 9
Ob die Sachverständigenkommission eine solche Beschränkung gewollt hat, ist durchaus offen. Bericht 1983, S. 88f., rechnet grundsätzlich auch quantifizierbare geldwerte Dienstleistungen wie die Bereitstellung kostenloser Sendezeiten durch die Rundfunkanstalten zu den Einnahmen der Parteien. Von daher könnte sich die Forderung der Sachverständigenkommission auch auf nichtfinanzielle Leistungen erstrecken. 1 2 0
Vgl. etwa zum Zurückhaltungsgebot § 2 C IV 3 - 5.
Α. Öffentliche Leistungen und Gesetzesvorbehalt
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ziellen und nichtfinanziellen Leistungen nicht nach deren Wert differenzieren läßt, zeigt schon der Umstand, daß auch nichtfinanzielle Leistungen da, wo sie sich quantifizieren lassen, einen erheblichen Wert haben können und die Parteien durch Sachleistungen in erheblichem Umfang eigene Aufwendungen ersparen. Die Größenordnungen sprechen für sich. Welche Dimensionen allein die kostenlose Überlassung von Sendezeit durch die Rundfunkanstalten erreicht, ist bereits dargelegt worden 121 , und bei den Vergünstigungen, die den Parteien etwa bei der Aufstellung von Plakaten im Wahlkampf eingeräumt werden, sieht es nicht viel anders aus 1 2 2 . Daß schließlich finanzielle und nichtfinanzielle Leistungen in ihrem Kern - dem Element der Vorteilsgewährung - ohnehin identisch und wechselseitig konvertierbar sind, muß an dieser Stelle nicht noch einmal aufgewärmt werden 123 . Erfaßt der Gesetzesvorbehalt demnach den gesamten Bereich der öffentlichen Leistungen an politische Parteien, ist noch nichts über die jeweils erforderliche Regelungsdichte und die Qualität der betreffenden Regelung gesagt. Nicht ausreichend ist jedenfalls die bloße Bewilligung der Mittel durch den Haushaltsplan, weil diesem hinsichtlich der Einstellung einzelner Posten die wesentlichen Kennzeichen des Gesetzgebungsverfahrens - Diskussion und Öffentlichkeit - fehlen 124 . Davon unabhängig gilt fur alle Leistungen, daß der Gesetzgeber über die prinzipielle Zulässigkeit (das "Ob)" der Leistungsvergabe und die Verteilungsfrage, die das "Wie" betrifft, selbst zu entscheiden hat. Die Vergabe nichtfinanzieller Leistungen ist also nicht bereits darum zulässig, weil diese unter § 5 PartG fallen 125 . § 5 PartG stellt schon deshalb keine ausreichende Ermächtigungsgrundlage dar, weil er das "Ob" überhaupt nicht regelt und voraussetzt, daß sich ein Anspruch aus anderen Vorschriften ergibt 1 2 6 . Auch die Verteilungsfrage wird durch § 5 PartG nur unzulänglich geklärt, weil der Gesetzgeber die entscheidende Frage, ob Leistungen nach dem Grundsatz der abgestuften oder der formalen Chancengleichheit zu verteilen sind, gerade offengelassen hat 1 2 7 . Aus diesem Befund sollte man indes keine falschen Schlüsse ziehen. Die Regelungsintensität kann bei den einzelnen öffentlichen Leistungen durchaus 1 2 1
Siehe oben § 1 C X I 1.
1 2 2
Siehe oben § 1 C X .
1 2 3
Dazu oben § 2 C IV 3.
1 2 4
So speziell fur die Globalzuschussen an die parteinahen Stiftungen und die Zahlungen an die Fraktionen von Arnim, Aktuelle Probleme, S. 10; ders., DVB1. 1987, 1246f.; ders., Staatliche Fraktionsfinanzierung, S. 30ff..; ders., ZRP 1989, 263f.; Landfiied, S. 101. 1 2 5
So richtig Konow, DÖV 1968, 75.
1 2 6
Vgl. BVerwGE 32, 333 (336).
1 2 7
Eine andere, hiervon zu unterscheidende Frage ist es, ob die in § 5 PartG getroffene Regelung den verfassungsrechtlichen Anfordemngen genügt, die sich aus der Chancengleichheit der Parteien ergeben. Dazu oben § 2 D 2.
328
§ 5 Kontrolle der Leistungsvergabe durch die Öffentlichkeit
unterschiedlich sein. Eine ins Detail gehende Durchnormierung wird man nur dort verlangen können, wo eine Leistung angesichts ihres Umfangs besonderes Gewicht hat oder politisch in besonderem Maße umstritten ist. So liegt es etwa im Kernbereich der eigentlichen Parteienfinanzierung, in dem Leistungsumfang und die Vergabekriterien so präzise wie eben möglich geregelt werden müssen. Die Regelungen zur Wahlkampfkostenerstattung (§§ 18ff. PartG), zum Chancenausgleich (§ 22a PartG) und zur steuerlichen Begünstigung von Parteispenden (§§ 34g, 10b I EStG; 9 Nr.3 KStG) tragen diesen Erfordernissen weitgehend Rechnung. Als problematisch erweisen sich freilich die sogenannten dynamischen Verweisungsklauseln in einigen Landeswahlgesetzen, die die Wahlkampfkostenpauschale an den in § 18 PartG fur Bundestagswahlen genannten Betrag koppeln 128 , was für die jeweiligen Landesparlamente den angenehmen Nebeneffekt hat, sich eine lästige Diskussion über allfällige Erhöhungen zu ersparen. Die Anpassung tritt vielmehr automatisch und deshalb meist unbemerkt ein. Mit der gebotenen Publizität bei der Vergabe öffentlicher Leistungen dürfte das kaum vereinbar sein 1 2 9 , zumal fur eine Verletzung des Zurückhaltungsgebotes durch die Wahlkampfkostenerstattung gewichtige Anhaltspunkte bestehen130. Weitere und gewichtige Regelungsdefizite zeigen sich darüber hinaus in einem hinlänglich bekannten Grenzbereich der Parteienfinanzierung - bei den Zuschüssen an die Bundestagsfraktionen und den Globalzuschüssen an die parteinahen Stiftungen, die beide lediglich auf der Grundlage eines entsprechenden Titels im Bundeshaltsplan vergeben werden. Ob es sich bei diesen Zuschüssen tatsächlich um eine öffentliche Leistung an die politischen Parteien handelt, ist, wie dargelegt 131 , keineswegs sicher. Zwar deuten manche Indizien - zu denen nicht zuletzt die sprunghaften, durch den realen Bedarf von Parteien und Stiftungen nicht mehr gedeckten Zuwachsraten gehören, deren sie sich über die Jahre hinweg erfreuten - auf eine verkappte Parteiensubventionierung hin. Aber ein Rest von Ungewißheit bleibt, was seinen Grund unter anderem in der mangelnden Transparenz des Vergabeverfahrens hat. Gerade dies wiederum rechtfertigt es, für die staatlichen Zahlungen an die Fraktionen und die Globalzuschüsse an die parteinahen Stiftungen eine gesetzliche Grundlage zu verlangen. Was im Vorkapitel zur Notwendigkeit von
1 2 8
Siehe die Nachweise in § 1 C I (Fn.16 und 31).
1 2 9
Von Arnim, DVBl. 1987, 1246. Zur Parallele bei den Diäten der Abgeordneten BVerfGE 40, 296 (316f.). 1 3 0
Siehe oben § 2 C IV 4.
1 3 1
Oben § 1 C V und V I .
Α. Öffentliche Leistungen und Gesetzesvorbehalt
329
Diskussion und Öffentlichkeit bei der Vergabe öffentlicher Leistungen gesagt wurde, gilt hier in besonderem Maße 1 3 2 . Da es sich um eine der Grauzonen von zulässiger Organisations- und unzulässiger Parteienfinanzierung handelt, steigen auch die Anforderungen an die Regelungsintensität. Erforderlich sind, gerade weil die Gefahren der Umgehung der fur öffentliche Leistungen an die Parteien geltenden Bindungen schwer wiegen, Regelungen, die Höhe und Verteilung der Gelder sowie den zulässigen Verwendungszweck detailliert festlegen und fur die Verwendung der Gelder ausreichende Kontrollmaßnahmen vorsehen 133. Bei den Globalzuschüssen fehlt eine solche Regelung völlig, ebenso bei den Zahlungen an die Bundestagsfraktionen. Die Fraktionszuschüsse haben zwar in allen Ländern bis auf Hessen eine gesetzliche Grundlage erhalten 134 , aber auch diese genügen den Anforderungen an die Regelungsdichte in der Regel nicht. So legen die meisten Gesetze die jeweils auszuzahlenden Beträge nicht ziffernmäßig fest, sondern überlassen diese Festlegung dem Haushaltsplan135 - ein nicht eben durchsichtiges Verfahren. Wo konkrete Beträge genannt werden, handelt es sich lediglich um Ausgangsbeträge mit dynamischen Erhöhungsklauseln 136 , was den verfassungsrechtlichen Vorgaben ebenfalls kaum gerecht werden dürfte. Nur selten wird auch der Verwendungszweck bestimmt 137 , Ι Für eine gesetzliche Grundlage plädieren auch Bericht 1983, S. 175, 187; von Arnim, Parteienfinanzierung, S. 109ff.; ders., Aktuelle Probleme, S. 10; ders., DVB1. 1987, 1246f.; für die Fraktionszuschüsse ders., Staatliche Fraktionsfinanzierung, S .23 ff..; M ardi ni , S. 119ff. ; Günther, ZRP 1989, 270; Landfried, S. lOOf. BVerfGE 73, 1 (39), hatte die Frage, ob fur die Globalzuschüsse an die parteinahen Stiftungen der Gesetzesvorbehalt gilt, aus verfahrensrechtlichen Gründen noch offenlassen können. 1 3 3 So von Arnim, Aktuelle Probleme, S. 10; fur die Fraktionszuschüsse ders., Staatliche Fraktionsfinanzierung, S. 29ff. Demgegenüber hielt es die Sachverständigenkommission zur Neuordnung der Parteienfinanzierung lediglich fur erforderlich, die Fraktionszuschüsse nach Empfangern, Vergabebedingungen und Verwendungszweck "dem Grunde nach" zu regeln, Bericht 1983, S. 187. 1 3 4 1 3 5
Siehe die Nachweise in § 1 C V (Fn.60).
So §§ 19 AbgEG i.V.m. § 46 IV 3 AbgG BW, 37 Brem.AbgG, 26 Nds.AbgG, 30 AbgG N W , 29 Saarl. AbgG, 47 AbgG SH, Art. 8 IX BayHaushaltsG 1981/1982 (GVB1. 1981, S. 301) i.V.m. Art. 8 I BayHaushaltsG 1991/1992 (GVB1. 1991, S. 231). Nach § 35 I 2 LAbgG Berlin bestimmt das Präsidium des Abgeordnetenhauses die Höhe der Zuschüsse. Ι 1 ^ So § 36a I AbgG RhldPf. und § 8 des Hamburger Gesetzes über die Aufwandsentschädigung an die Abgeordneten der Bürgerschaft und über die Gewährung von Zuschüssen an die Fraktionen, die eine Koppelung an die Entwicklung der Beamtengehälter bzw. die BAT-Tarife vorsehen. 1 3 7 Nach §§ 35 I 1 LAbgG Berlin, 37 Brem.AbgG werden die Zuschüssen den Fraktionen "zur Durchführung ihrer Aufgaben" zur Verfugung gestellt, nach §§ 19 EG BW, 36a AbgG RhldPf. "zur Bestreitung ihrer Unkosten" bzw. "zur Bestreitung ihrer Geschäftsunkosten". Weitergehend als diese nichtssagenden Formulierungen sprechen Art. 8 IX BayHaushaltsG 1981/1982 i.V.m. Art. 8 I BayHaushaltsG 1991/1992, §§ 30 AbgG NW, 8 Hamburger Gesetz über die Aufwandsentschädigung an die Abgeordneten der Bürgerschaft und über die Gewährung von Zuschüssen an die Fraktionen, 29 Saarl.AbgG immerhin von den "parlamentarischen Aufgaben"; gelegentlich wird auch noch die als besonderer Verwendungszweck noch Unterhai-
330
§ 5 Kontrolle der Leistungsvergabe durch die Öffentlichkeit
und eine Kontrolle der ordnungsgemäßen Verwendung ist so gut wie nirgends vorgesehen 138. Hier ist dringend Abhilfe zu schaffen. Einer nach Höhe und Verwendungszweck hinreichend bestimmten gesetzlichen Grundlage bedürfen last not least auch die seltener als öffentliche Leistungen problematisierten Zuschüsse an die Jugendorganisationen der Parteien 139 , bei denen die Gefahr, daß sie für allgemeine Parteizwecke verwendet werden, ebenfalls nahe liegt. In anderen Bereichen wird man sich dagegen mit geringeren Anforderungen begnügen können. Nicht immer ist es notwendig, der Verwaltung jeglichen Handlungsspielraum zu nehmen. Wo ein solcher - wie etwa bei der Verteilung von Leistungen bei der Wahlsichtwerbung - erforderlich sein mag, kann sich der Gesetzgeber auf die Regelung von Grundzügen beschränken. Daß er damit nicht überfordert ist, zeigt etwa der Umstand, daß die Bereitstellung von Sendezeiten zur kostenlosen Wahlwerbung in den meisten Landesrundfiinkgesetzen oder Staatsverträgen eine ausdrückliche Normierung erfahren hat 1 4 0 . Eine speziell auf die Parteien bezogene Regelung ist schließlich nur dort erforderlich, wo den Parteien besondere Begünstigungen eingeräumt werden, die ihnen nicht nur so wie der Allgemeinheit zugutekommen. Grundsätzlich liefert deshalb der in den Gemeindeordnungen in Anlehnung an § 17 DGO enthaltene Anspruch auf Überlassung öffentlicher Einrichtungen, der nicht auf die politischen Parteien zugeschnitten ist, sondern den Parteien nur so wie anderen Einwohnern der Gemeinde oder ortsansässigen Organisationen zusteht, eine ausreichende Grundlage dafür, die jeweilige Einrichtung auch den Parteien zur Verfügung zu stellen. Das gilt indes nur solange, wie den politischen Parteien bei der Vergabe öffentlicher Einrichtungen keine Sonderkonditionen eingeräumt und sie nach den gleichen Grundsätzen behandelt werden, die für private Nutzer gelten. In diesem Fall erübrigt sich auch eine besondere gesetzliche und auf die Parteien zugeschnittene Regelung. Anders liegt es aber dann, wenn die Parteien - in finanzieller oder sonstiger Hinsicht - gegenüber privaten Nutzern bevorzugt werden. Eine solche Bevorzugung ist durch § 17 DGO und die entsprechenden Vorschriften der Gemeindeordnungen der Länder nicht mehr gedeckt,
tung der Fraktionsbüros oder eines "Beratungsdienstes" genannt, so in Bayern, Rheinland-Pfalz und Hamburg. § 47 I 2 AbgG SH gestattet fur Teile der Zuschüsse die Festlegung von Zweckbindungen durch den Präsidenten des Landtags. 1 3 8 Eine eingeschränkte Überwachung sehen lediglich §§ 47 Π AbgG SH, 36a m AbgG RhldPf. vor. 1 3 9 1 4 0
Dazu oben § 1 C Π.
Nachweise siehe oben § 1 C X I 1. Eine entsprechende Regelung fehlt allerdings im bremischen Rundfunkrecht, wo die Vergabe von Sendezeit an die politischen Parteien deshalb unzulässig sein dürfte. Ebenso wohl Lerche, in: Bullinger/Kübler, S. 65, der noch andere Rundfunkgesetze als unvollständig rügt. A.A. BVeiwG, NJW 1991, 938 (938f.), das davon ausgeht, die Gewährung von Sendezeit stehe hier im Ermessen der Rundfunkanstalt.
Α. Öffentliche Leistungen und Gesetzesvorbehalt
331
weil diese kein Sonderrecht fur politische Parteien begründen. Anspruch auf die Überlassung öffentlicher Einrichtungen haben die Parteien eben nicht deshalb, weil sie Parteien sind, sondern allein deshalb, weil auch sie die Anspruchsvoraussetzungen erfüllen können, die fur jede beliebige ortsansässige Vereinigung oder jeden beliebigen Einwohner der Gemeinde gelten 141 . Für speziell an die Parteieigenschaft anknüpfende indirekte Zuwendungen liefert der allgemeine kommunalrechtliche Zulassungsanspruch daher keine Rechtsgrundlage - wobei eine Zuwendung in diesem Sinne auch dann vorliegt, wenn neben den Parteien noch andere andere ortsansässige Organisationen, Sportvereine etwa, in den Kreis der Begünstigten einbezogen sind 1 4 2 . Entscheidend ist dafür allein eine Vorteilsgewährung, die den Parteien als solchen zugutekommt. Und eine derartige Vorteilsgewährung liegt immer schon dann vor, wenn die Parteien als Begünstigte ausdrücklich genannt werden. Ahnlich liegt es bei den öffentlichen Leistungen im Zusammenhang mit der Wahlsichtwerbung. Grundsätzlich genügt auch hier die in den Straßengesetzen fur die Parteien nur so wie für andere Straßenbenutzer vorgesehene Erteilung von Sondernutzungserlaubnissen der Forderung nach einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage für öffentliche Leistungen an politische Parteien. Eine speziellere Regelung ist aber, ebenso wie bei der Überlassung öffentlicher Einrichtungen, dann erforderlich, wenn den Parteien Sonderrechte und Sonderkonditionen eingeräumt werden, die sie gegenüber sonstigen Nutzungen privilegieren 143 . Auf Bedenken stößt daher vor allem die nahezu umfassende Freistellung der Parteien von den ansonsten erhobenen Sondernutzungsgebühren, die im Ergebnis auf eine mittelbare Parteienfinanzierung hinausläuft 144 . Privilegierungen der Parteien in finanzieller Hinsicht sind von den einschlägigen Straßengesetzen bislang nicht gedeckt. Die meisten von ihnen regeln lediglich, daß die Sondernutzungsgebühr nach Art und Ausmaß der Einwirkung auf die Straße zu bemessen ist und daneben auch der wirtschaftliche Vorteil
1 4 1 Damit ist nicht gesagt, daß die Einräumung von Sondervergünstigungen unzulässig ist. Aber es reicht eben nicht aus, solche Sonderveigünstigungen auf der Grundlage von Verwaltungsvorschriften, Vergaberichtlinien, Benutzungsordnungen oder Beschlüssen von Gemeindevertretungen zu vergeben. 1 4 2 So etwa im Fall des HessV G H , NJW 1979, 997, in dem es allerdings um unmittelbare finanzielle Zuwendungen an die Parteien im Zusammenhang mit der Nutzung städtischer Räume ging. 1 4 3 Noch keine unzulässige Privilegierung dürfte, fur sich gesehen, vorliegen, wenn eine Gemeinde Sondernutzungen, die der Meinungsverbreitung dienen, generell von der Erlaubnispflicht ausnimmt und von einer solchen Regelung auch die Parteien profitieren, weil die Möglichkeit, bestimmte Sondernutzungen erlaubnisfrei zu stellen, in den Straßengesetzen ausdrücklich vorgesehen ist. Insofern gilt fur die generelle Befreiung von der Erlaubnispflicht dasselbe wie für die Erteilung der Sondernutzungserlaubnis selbst. 1 4 4
So auch Kirchhof
y
in: BartlspergerlBlümellSchroeter,
S. 237; Messer, S. 235.
332
§ 5 Kontrolle der Leistungsvergabe durch die Öffentlichkeit
des Gebührenschuldners berücksichtigt werden darf 1 4 5 . Das allein rechtfertigt die Freistellung der Parteien von den Sondernutzungsgebühren jedoch nicht: Zum einen haben auch die Parteien - nicht nur wegen der nach der Zahl der Wähler berechneten Wahlkampfkostenerstattung - an der Überlassung des Straßenraums ein wirtschaftliches Interesse 146, zum andern handelt es sich hier nicht um speziell auf die Parteien zugeschnittene und damit den Anforderungen an die Bestimmtheit der gesetzlichen Grundlage genügende Regelungen. Daß schließlich auch die besondere "Bedeutung" der Parteien aus sich heraus noch keinen Anspruch auf Gebührenfreiheit vermittelt, ist bereits dargelegt worden 147 . Die Freistellung von der Entgeltlichkeit der Straßennutzung bedarf daher in jedem Falle einer gesetzlichen Normierung. Als problematisch erweist sich in diesem Zusammenhang auch die Überlassung gemeindeeigener Anschlagtafeln für die Plakatwerbung, die sich ebenfalls als kostenlose Wahlkampfhilfe der Gemeinden für die Parteien entpuppt 148 . Ob der kommunalrechtliche Anspruch auf Benutzung öffentlicher Einrichtungen, den die Gerichte gelegentlich für einschlägig halten 149 , für diese Überlassung eine tragfähige und ausreichende Grundlage liefert, ist durchaus zweifelhaft. Um eine öffentliche Einrichtung im Sinne dieser Vorschriften dürfte es sich bei den Anschlagtafeln nur dann handeln, wenn diese Anschlagtafeln nicht nur den Parteien, sondern auch anderen Nutzungsinteressenten regelmäßig oder wenigstens zu gewissen Zeiten zur Verfügung stehen 1 5 0 . Der Regelfall ist das jedoch gerade nicht.
1 4 5 §§ 8 ΠΙ 4 BFernStrG, 8 III HStrG, 19a StrWG NW, 21 Nds.StrG 47 V LStrG RhldPf., Art. 18 ΙΠ BayStrWG. 1 4 6 Im übrigen dürfte die Anknüpfung an das wirtschaftliche Interesse eher zum Nachteil der Sondernutzungsinteressenten eingeführt worden sein, nicht aber zur Rechtfertigung einer Freistellung. 1 4 7 Oben § 2 C IV 5 a.E.; so auch BVerwGE 56, 63 (70f.). Die Befreiung von der Gebührenpflicht ist, was selbst das BVerwG a.a.O. anerkennt, auch nicht mit Blick auf die Wiederherstellung grundrechtlicher Freiheit geboten. Bei ihr steht vielmehr der reine Zuwendungscharakter im Vordergrund. 1 4 8
So auch BayVGH, BayVbl. 1968, 68.
1 4 9
BayVGH, BayVBl. 1968, 67; V G H Baden-Württemberg, ESVGH 23, 26 (27f.).
1 5 0
Anders V G H Baden-Württemberg, ESVGH 23, 26 (28) unter Hinweis auf den stets auf bestimmte Nutzungen begrenzten Widmungszweck öffentlicher Einrichtungen. Dieses Argument verfangt hier m.E. nicht. Stellen die Gemeinden die betreffenden Werbeflächen eigens fur den Wahlkampf auf und behalten sie dementsprechend der ausschließlichen Nutzung durch die politischen Parteien vor, läßt sich nicht mehr von einer "öffentlichen" Einrichtung sprechen. Darüberhinaus erfüllen die Anschlagtafeln auch kaum den Zweck, dem kommunale Einrichtungen an sich dienen sollen - nämlich der Daseinsfursorge und Daseinsvorsorge fur die Gemeindebevölkerung, vgl. dazu OVG Münster, DVBl. 1968, 842; Ossenbühl, DVBl. 1973, 289; SchmidtAßmann, in: von Münch, BesVwR, S. 169.
Β. Die Rechenschaftspflicht des Art. 21 I 4 GG
333
IV. Regelungszuständigkeit Bleibt zu klären, wo die Zuständigkeit fur die Schaffung der jeweils erforderlichen gesetzlichen Grundlagen liegt. Für Leistungen, die auf Bundesebene vergeben werden, ist nach der eindeutigen Regelung des Art. 21 III GG auch der Bund zuständig. Die Frage kann lediglich sein, was gilt, wenn Leistungen auf Landes- oder Kommunalebene gewährt werden. Art. 21 III GG weist die Zuständigkeit für alle die Parteien betreffenden Fragen dem Bund zu, begründet insoweit aber nur eine konkurrierende Zuständigkeit151. Von einer solchen wird man jedenfalls für die Lebensbereiche ausgehen müssen, die - wie etwa der Zugang zum Rundfunk - herkömmlicherweise in die Landeszuständigkeit fallen 152 . Die Länder können also in diesen Fällen Umfang und Voraussetzungen der Leistungsvergabe selbst regeln, solange der Bund noch nicht tatig geworden ist. Umgekehrt ist der Bund nicht gehindert, eine Regelung über das "Ob" und "Wie" auch für die Vergabe solcher Leistungen zu treffen, die in den Lebensbereich der Länder fallen 153 . Um eine Regelung des "Wie" hat sich der Bund ja bereits in § 5 PartG bemüht, wogegen jedenfalls unter Kompetenzgesichtspunkten keine Bedenken zu erheben sind 1 5 4 .
B. Die Rechenschaftspflicht des Art. 21 I 4 GG Der Funktionssicherung durch Gewährleistung von Öffentlichkeit dient, darin der Forderung nach einer gesetzlichen Grundlage für öffentliche Leistungen in mancherlei Hinsticht verwandt, zu guter Letzt auch die in Art. 211 4 GG statuierte Pflicht der Parteien, über die Herkunft und Verwendung ihrer Mittel und über ihr Vermögen Rechenschaft zu legen 155 . Stellt der Gesetzesvorbehalt sicher, daß öffentliche Leistungen nicht unkontrolliert und unbemerkt, sondern in einem Verfahren, das Diskussion und öffentliche Kontrolle gewährleistet, vergeben werden, so zielt die Publizierung der Einnahmen- und Ausgabenstruktur auf die Offenlegung von Abhängigkeiten, die den Parteien 1 5 1 Str., wie hier BK-Henke, Art. 21 Rn. 80, wohl auch M D - Maunz, Art. 21 Rn. 51; a.M. etwa Randelzhofer, JZ 1969, 539. GGK-von Münch, Art. 21 Rn. 81, macht die Gesetzgebungszuständigkeit davon abhängig, wo der Schwerpunkt der jeweiligen Regelung liegt. 1 5 2
1 SI
So auch AK-Preuß, Art. 21 Abs.l, 3 Rn. 80.
Die Kompetenzzuweisung reicht daher möglicherweise weiter als der Regelungsauftrag, vgl. M D - Maunz, Art. 21 Rn. 48. Zur Reichweite des Regelungsauftrags siehe bereits oben Kap. Π. 1 5 4 Scheuner, DÖV 1968, 91. 1 5 5 Siehe schon BVerfG 20, 56 (106): "Die Pflicht zur Rechenschaftslegung über die Herkunft ihrer Mittel ist den Parteien auferlegt zur Sicherung ihrer verfassungsrechtlichen Funktion, an der offenen und freien politischen Willensbildung mitzuwirken." Ebenso Tsatsos/Morlok, S. 156.
334
§ 5 Kontrolle der Leistungsvergabe durch die Öffentlichkeit
von staatlicher wie von privater Seite drohen. Sichtbar gemacht werden soll nach der erklärten Absicht des Verfassungsgebers, "wer hinter einer politischen Gruppe steht" 156 . Nur wenn der Wähler die innere Struktur der Parteien - und dazu gehört eben auch deren Finanzierung - durchschaut, kann er sich ein realistisches Bild davon machen, inwieweit diese der ihnen obliegenden Aufgabe noch nachzukommen vermögen. Offenheit schützt so die Unabhängigkeit der Parteien und die Parteienfreiheit, aber auch die innerparteiliche Demokratie, die Chancengleichheit, kurz: all das, was zur Erfüllung der den Parteien obliegenden Funktion unerläßlich ist 1 5 7 . Verlangt die Wahrnehmung der den Parteien durch Art. 21 zugewiesenen Mitwirkungsaufgabe ihr Wirken in und vor der Öffentlichkeit, hat diese auch einen Anspruch auf Kontrolle. Ihn verbrieft, was das Wirtschaften der Parteien anbelangt, Art. 2 1 1 4 GG. Publizität, eingesetzt als Hebel gegen eine Dysfunktionalisierung der Parteien und des Parteiensystems, erweist sich auf diese Weise als der Oberbegriff, der diesen Anspruch mit der Forderung nach einer gesetzlichen Grundlage fur öffentliche Leistungen verbindet. Was zur Notwendigkeit der Begründung von Öffentlichkeit in jenem Falle gesagt wurde, gilt in übertragenem Sinne auch hier. Und ähnlich wie der Gesetzesvorbehalt im Laufe einer langen Entwicklung auf immer weitere Felder übergriff und eben auch für die öffentlichen Leistungen an die politischen Parteien gilt, hat die Rechenschaftspflicht des Art. 21 I 4 GG mit der Zeit einen gewissen Bedeutungswandel erfahren. Ursprünglich hatte der Verfassungsgeber, dem die Parteienfinanzierung aus öffentlichen Kassen - weil ohne historische Vorläufer - noch unbekannt war, die Vorschrift als ein Bollwerk gegen den Einfluß wirtschaftlicher Macht auf die Politik gedacht. Ihre Stoßrichtung lag demnach zunächst allein auf den Zuwendungen Privater 158 . Mittlerweile sind indes die staatlichen Subventionen zumindest gleichberechtigt neben die Eigenfinanzierung der Parteien aus Mitgliedsbeiträgen und Spenden getreten, was fur die Auslegung der Rechenschaftspflicht nicht ohne Folgen bleiben kann. Da die Vergabe öffentlicher Leistungen die Erfüllung der den Parteien obliegenden Funktion, um deren Sicherung es in Art. 21 I 4 GG geht, in gleichem Maße - wenn auch auf andere Weise - beeinträchtigen kann wie die Spenden kapitalkräftiger Hintermänner aus der Wirtschaft, haben die Parteien auch darüber Auskunft zu erteilen. Folgerichtig hat der verfassungsändernde Gesetzgeber bei der Neuregelung der Parteienfinanzierung im Jahre 1983 auch 1 5 6 Von DoemminglFüßlein/ M atz, JöR 1 (1951), 207. Zur Entstehungsgeschichte zusammenfassend Dübber, Parteifinanzierung, S. Iff.. 1 5 7 Zum Zusammenhang zwischen Parteienfreiheit und Rechnungslegung BK - Henke, Art. 21 Rn.63; zu Chancengleichheit und Rechnungslegung BVerfGE 20, 56 (106); Bericht 1957, S. 181; Plate, S. 24; Kaufher, in: Wewer, Paiteienfinanzierung, S. 109, 130