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German Pages 456 Year 1985
Th. A. Szlezak · Platon und die Schriftlichkeit der Philosophie
Thomas Alexander Szlezak
Platon und die Schriftlichkeit der Philosophie Interpretationen zu den frühen und mittleren Dialogen
W DE
G 1985
Walter de Gruyter · Berlin · New York
ClP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Szlezak, Thomas Alexander: Platon und die Schriftlichkeit der Philosophie : Interpretation zu d. frühen u. mittleren Dialogen / Thomas Alexander Szlezak. — Berlin ; New York : de Gruyter, 1985. ISBN 3-11-010272-2
Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier (säurefrei - pH 7, neutral) © 1985 by Walter de Gruyter & Co., Berlin 30, Genthiner Straße 13. Printed in Germany Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege (Photokopie, Mikrokopie, Xerokopie) zu vervielfältigen. Satz und Druck: Arthur Collignon GmbH, Berlin 30 Einband: Lüderitz & Bauer, Berlin 61
Vorwort Ziel dieses Buches ist zu zeigen, daß Platons skeptische Gedanken über den Wert der Schrift in der sogenannten ,Schriftkritik' im Dialog „Phaidros" nicht erst die späte Reflexion eines erfahrenen und vielleicht resignierenden Autors sind, sondern sein schriftstellerisches Tun von Anfang an geleitet haben. Die jSchriftkritik' enthält nicht nur eine Darlegung der konstitutionellen Schwäche der Erkenntnisvermittlung durch die Schrift. Parallel dazu entwirft Platon auch ein differenziertes Bild von der Art und Weise, wie der Philosoph (der oder ) seine ,Reden' ( ), und zwar seine schriftlichen und mündlichen ,Reden', einsetzt zum Zweck einer wahrhaft philosophischen Erkenntnisvermittlung. Es läßt sich nun zeigen, daß die Dialogfigur ,Sokrates' von den frühesten Dialogen an so gezeichnet ist, daß sein Verhalten im Gespräch nur als Illustration und Konkretisation jenes Bildes vom philosophischen Umgang mit ,Reden' aus dem „Phaidros" verstanden werden kann. Die sachlichen Übereinstimmungen und thematischen Anklänge sind dabei so zahlreich und so spezifisch, daß Zufall ausgeschlossen werden kann. Der Nachweis der Beziehungen zwischen der ,Schriftkritik' und dem ,Bild des Dialektikers' ist ein Versuch, Platons einzige theoretische Äußerung über Mündlichkeit und Schriftlichkeit der Philosophie in den Dialogen für diese selbst in konkreter Weise, nämlich durch Erklärung ihrer Struktur, ihrer Handlungsführung und Charakterzeichnung aus einheitlichen Prinzipien, fruchtbar zu machen. Die geschilderte Zielsetzung könnte normalerweise mit dem wohlwollenden Interesse aller um Platon Bemühten rechnen, wird hier doch versucht, die innere Kohärenz des platonischen Werkes unter neuen Gesichtspunkten aufzuzeigen. Im vorliegenden Fall ist freilich zu vermuten, daß sich dieses Interesse bei einem Teil der Leserschaft sogleich in Ablehnung verwandelt, sobald nur ausgesprochen ist, daß die seit Friedrich Schleiermacher übliche Perhorreszierung platonischer Esoterik nicht zu den Prämissen dieser Arbeit gehört. Es hat durchaus den Anschein, als hätten manche Interpreten sich bis heute noch nicht zu einer unbefan-
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Vorwort
genen Haltung in der Frage der Wertung der Schriftlichkeit durch Platon durchringen können; die irrationale Berührungsangst, der die esoterische Platondeutung von Hans Joachim Krämer und Konrad Gaiser zu Beginn der sechziger Jahre begegnete, scheint noch mancherorts fortzuwirken. Gegenüber dieser Haltung muß jedoch, schon aus Gründen der philologischen Methode, festgehalten werden: was Platon meint, wenn er sagt, den Namen verdiene nur, wer über Besseres verfügt als das, was er geschrieben hat (Phaidros 278cd), sollte nicht auf dogmatische Weise im antiesoterischen Sinn vorentschieden werden, sondern durch geduldige Exegese des Primärtextes, seines weiteren Kontextes und seiner Beziehung zu den beobachtbaren Merkmalen des Dialogwerks insgesamt geklärt werden. Die hier angewandte Betrachtungsweise hat zwar Folgen für die Einschätzung dessen, was Aristoteles »Platons ungeschriebene Lehren' nannte. Doch ist die vorliegende Arbeit selbst kein Beitrag zur Erforschung von Platons mündlicher Prinzipientheorie. Sie handelt ausschließlich von den Dialogen und steht — abgesehen von Schleiermachers ungeprüfter antiesoterischer Prämisse — durchaus auf dem Boden der Schleiermacherschen Dialoghermeneutik: sie geht von der Schriftkritik aus, wie es Schleiermacher getan hatte, und sie betrachtet wie er die Form des Dialogs nicht als bloße poetische Einkleidung, sondern als wesentlich für den Inhalt. Wenn am Ende der Untersuchung dennoch ein Platonbild steht, das mit dem von Schleiermacher begründeten und bis heute fortwirkenden nicht mehr vereinbar ist, so nicht deshalb, weil ich seine leitenden Gesichtspunkte irgendwo verlassen hätte, sondern weil ich, wie ich glaube, die Schriftkritik konsequenter zum Maßstab der Analyse der Dialoge gemacht habe als es bisher geschehen ist. Dem Leser dieses Buches wird also eine Überprüfung des heute noch weit verbreiteten antiesoterischen Platonbildes zugemutet. Nicht ein positives Vorurteil zugunsten von ,Esoterik' wird von ihm verlangt, nur die zeitweilige Suspendierung der üblichen Vorurteile gegen sie. Wenn so der Textbefund selbst zu Wort gekommen sein wird, wird der alte Streit bald kein Streit mehr sein.
Die Untersuchung führt bis zu Platons Hauptwerk, in dem er deutlicher über Dialektik und über die Idee des Guten redet als jemals davor oder danach. An späteren Werken ist außer dem „Phaidros", der die
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Grundlage darstellt, nur das 10. Buch der Nomoi behandelt, das zur Klärung einer bislang umstrittenen Aussage der Schriftkritik mit exemplarischer Deutlichkeit beiträgt und das zugleich auch belegt, daß Platon die Leitgedanken der Schriftkritik bis zuletzt im eigenen Werk verwirklicht hat. Ob man den Siebten Brief als echt akzeptiert oder verwirft, ist für das Beweisziel dieser Untersuchung gleichgültig, daher wurden einzelne Aussagen des Briefes zwar als ergänzendes Belegmaterial gelegentlich mit angeführt, die zusammenhängende Auslegung jedoch in einen Anhang verwiesen. Von den frühen Dialogen wurden Ion und Menexenos übergangen, da sie für unsere Fragestellung wenig ergiebig sind; sie enthalten aber auch nichts, was unser Ergebnis in Frage stellen könnte. Alkibiades I, Theages und Kleitophon fehlen, weil ihre Unechtheit als erwiesen gelten kann. Die Analyse der späten Dialoge unter den gleichen Gesichtspunkten wäre gewiß reizvoll und lohnend. Der Leser, der unseren Überlegungen bis zum Ende gefolgt ist, wird freilich unschwer selbst erkennen können, wie sehr das Spätwerk unsere Ergebnisse bestätigt und verdeutlicht. Was hier zu zeigen war, mußte zuerst und gerade am frühen und mittleren Werk Platons gezeigt werden, weil hier die Erwartungen, mit denen wir nach langer Schulung in der entwicklungsgeschichtlichen Betrachtungsweise an den Text herantreten, zunächst gegen das Beweisziel zu sprechen schienen. Hier galt es zu erproben, ob moderne Denkgewohnheiten oder der Befund der Texte der zuverlässigere Führer zum Verständnis der Intentionen Platons ist.
Den Plan, die Untersuchung in der Form, in der sie nun vorliegt, durchzuführen, faßte ich während eines Studienaufenthaltes am Center for Hellenic Studies in Washington, D.C. im Jahr 1975/76. Dieser noblen amerikanischen Institution und ihrem liebenswürdigen und stets hilfsbereiten Direktor Prof. B. M. W. Knox sei auch an dieser Stelle für die Gastfreundschaft gedankt. Die Grundgedanken meines Vorhabens trug ich in meiner Zürcher Antrittsvorlesung im Dezember 1976 vor (abgedruckt im Museum Helveticum 35, 1978, 18-32), eine erste detaillierte Durchführung gab ich im Wintersemester 1978/79 als Vorlesung. Eine frühere Fassung des Euthydemos-Kapitels kam in Antike und Abendland, Bd. 26 (1980) zum Abdruck, eine Kurzfassung des Politeia-Kapitels in derselben Zeitschrift, Bd. 30 (1984). Überlegungen zum 7. Brief, die
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ich zuerst in ,Arktouros' (Festschrift Knox, Berlin —New York 1979) dargelegt hatte, sind in Anhang III aufgenommen worden. Die letzten Teile des Manuskripts wurden im Sommer 1983 niedergeschrieben. Danken möchte ich zwei Freunden, die kritisches Interesse an meiner Fragestellung bekundeten zu einer Zeit, als noch eine Mehrheit von Philologen und Philosophen glaubte, die Akten über Mündlichkeit und Schriftlichkeit bei Platon seien geschlossen: Heinz Schmitz in Winterthur und Christopher Rowe in Bristol. Ihre Bereitschaft, auf ungewohnte Überlegungen einzugehen, bedeutete mir eine große Hilfe. Danken möchte ich auch all denen, die bei der Fertigstellung des Buches geholfen haben: Frau D. Steigerwald schrieb verläßlich und schnell den größten Teil des Typoskripts; Herr K.-H. Stanzel, unterstützt von Frl. M. Kroll und Herrn G. Lang, las mit viel Sachkenntnis die Korrekturen und erstellte die Register. Nicht zuletzt gilt mein Dank auch dem freundlichen Entgegenkommen des Herrn Verlegers, Prof. Dr. H. Wenzel, und der vorzüglichen Betreuung des Buches im Verlag durch Frau G. Müller. Würzburg, 10. 10. 1984
Th. A. Szlezak
Inhalt Vorwort Einleitung Kapitel 1. Phaidros: Die Kritik der Schriftlichkeit a) Phaidros 274b-278e b) Die aus der Schriftkritik resultierenden Aufgaben der Platoninterpretation Kapitel 2. Phaidros: Der Gang des Dialogs 1) Die Handlung des Dialogs 2) Handlung und Thema 3) Das Verhältnis der Teile des Dialogs zueinander . . 4) Zusammenfassung Kapitel 3. Euthydemos. Sokrates' Spott über ,Geheimhaltung' . . Kapitel 4. Die ,Hilfe für den Logos' als Strukturprinzip des platonischen Dialogs Kapitel 5. Nomoi, Buch 10. Überschreiten als Wesen der ,Hilfe' Kapitel 6. Hippias minor. Wer betrügt wen? Kapitel 7. Hippias maior. Sokrates und sein Doppelgänger . . . . Kapitel 8. Euthyphron. Kehrtwendung kurz vor dem Ziel Kapitel 9. Lysis. Der Dialektiker und die Knaben Kapitel 10. Charmides. Der Jüngling und der ,schlechte Forscher' Kapitel 11. Laches. Der Lehrer entzieht sich den Schülern Kapitel 12. Protagoras. Ist der Sophist besser als sein Buch? . . . . Kapitel 13. Menon. Der Hang zum Fortgehen vor den Mysterien Kapitel 14. Gorgias. Der ideale Gesprächspartner und die Kleinen Mysterien Kapitel 15. Kratylos. Das geheime Wissen des Herakliteers . . . . Kapitel 16. Apologie — Kriton — Phaidon. Verteidigung auf drei Ebenen Kapitel 17. Symposion. Wer soll um wen werben? Kapitel 18. Politeia. Den Philosophen nicht loslassen Schlußbemerkungen
V l 7 7 19 24 24 27 30 47 49 66 72 79 91 107 117 127 151 160 179 191 208 221 253 271 327
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Anhang
Inhalt
I. Die moderne Theorie der Dialogform 331 Kritik der modernen Dialogtheorie 336 Zehn Thesen zur Kritik 337 Erl uterungen zu den Thesen 339 Anhang II. Die Bedeutung von σύγγραμμα 376 Anhang III. Zum Siebten Brief 386 Anhang IV. Zu einigen Platonstellen, die eine antiesoterische Auslegung nahezulegen scheinen 406 Literaturverzeichnis 411 Register 417 Stellen 417 Namen und Sachen 441 Moderne Autoren . 444
Einleitung Die Vorstellung, daß ein Wissenschaftler oder Denker seine Erkenntnisse, etwa gar die wichtigsten unter ihnen, absichtlich zurückhalten könnte, läuft dem Empfinden und der Praxis unserer Zeit zuwider. Wir beeilen uns, was immer wir entdeckt zu haben glauben, so bald als möglich und so weit als möglich bekannt zu machen. Die Gründe hierfür mögen vielfältig sein. Allgemein beherrscht uns der zu offener Konkurrenz treibende Zeitgeist des pluralistischen Liberalismus. Für gewöhnlich motiviert schon die Sorge um den Aufstieg und die Angst, von anderen überholt zu werden, den Drang zur allen erreichbaren Mitteilung des Geleisteten; bei denen, die solche Ängste hinter sich zu lassen imstande sind, führt die Überzeugung, daß die größtmögliche Verbreitung der endlich gefundenen Wahrheit ein unbestreitbares Gut für alle sei, in der Regel zum gleichen Verhalten. Nach unseren eigenen Erfahrungen und Überzeugungen beurteilen wir auch vergangene Zeiten: wir vermögen noch die erzwungene Zurückhaltung wissenschaftlicher und philosophischer Einsicht, so etwa in der Geistesgeschichte der beginnenden Neuzeit von Galilei bis Leibniz, zu registrieren und zu verstehen. Unverständlich bleibt die freiwillige Einschränkung der philosophischen Kommunikation; unvorstellbar, daß ein am geistigen Gespräch Beteiligter, gar einer von Rang, die Mitteilung dessen, womit ihm Ernst ist, an alle Menschen nicht für ein Gut halten könnte. Platon in seinen Dialogen rechnet hingegen ständig mit der Möglichkeit, daß ein am Gespräch Beteiligter nur einen Teil seines Wissens und seiner Einsicht zum Vorschein kommen lassen könnte. Nichts liegt für ihn näher als die Verdächtigung einer Dialogfigur, sie „verberge" das Wesentliche: so allgegenwärtig ist der Vorwurf, daß es fast keinen Unterschied zu machen scheint, gegen wen er erhoben wird: ein Mann von Rang wie Protagoras ist davon ebenso betroffen wie der unbedarfte Rhapsode Ion, ein zu den besten Hoffnungen berechtigender junger Aristokrat wie Kritias ebenso wie die zwielichtigen Eristiklehrer Dionysodoros und Euthydemos, die antiintellektuellen Spartaner ebenso wie die
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geistig beweglichen Rhetoriklehrer. Was diese Adressaten des Vorwurfs des ,Verbergens' eint, ist einzig, daß der Vorwurf stets von demselben Partner erhoben wird: von dem Ironiker Sokrates. Einzig Sokrates selbst ist sicher vor solcher Beschuldigung: als Nichtwissender kann er ja auch nichts im Hintergrund haben, was er verbergen könnte — das leuchtet doch wohl ein. Daß Platon die Vorstellung der Zurückhaltung von Wissen und Einsicht stets zur Hand hat, während wir sie von uns aus sozusagen nie in Erwägung ziehen würden, könnte man zunächst aus seinem geschichtlichen Ort zu erklären versuchen: die ,offene' Gesellschaft des demokratischen Athen, in der er lebte, war zeitlich noch nicht allzu weit entfernt von archaischeren Organisationsformen, wie sie in anderen griechischen Städten noch fortlebten und auch für viele in Athen noch das geheime gesellschaftliche Leitbild abgaben. Bei der strengen sozialen Gliederung archaisch-,geschlossener' Gesellschaften war jedes Können und Wissen, jede Einsicht, kurz jede im alten Sinn, stets zunächst an eine bestimmte Gruppe oder eine Berufsgilde gebunden, die über die Weitergabe solchen Wissens wachte. Auch wenn das universale anthropologische Phänomen des priesterlichen Geheim- und Herrschaftswissens bei den Griechen, deren Religion keine heiligen Bücher und keine Priesterherrschaft kannte, im Vergleich zu anderen antiken Gesellschaften stark zurücktritt, so gibt es doch auch bei ihnen deutliche Spuren einer kontrollierten und gruppengebundenen Wissensvermittlung. So rechnet die Literaturgeschichte der frühen Zeit mit der Existenz von Sängergilden, die ihre Bearbeitung epischer Stoffe als Gildeneigentum tradierten; der Philosophiegeschichte ist die ordensmäßige Organisation der Pythagoreer, die auch politische Macht erstrebten, bekannt, ebenso wie der Religionsgeschichte die wachsende Anziehungskraft der Mysterien, die dem Eingeweihten ein besseres Los im Jenseits versprachen und den Uneingeweihten von Kult und Jenseitshoffnungen ausschlössen; im Bereich der Medizin, die für das Aufkommen des wissenschaftlichen Denkens so wichtig wurde, begegnen wir der Forderung, das ärztliche Wissen nicht an Außenstehende weiterzugeben1. 1
So im Hippokratischen ,Eid', ähnlich im ,Nomos' (IV 630, 643 Littre); zur „sippenmäßigen Tradition griechischer Kunst" noch in der Generation des Aischylos vgl. A. Lesky, Die tragische Dichtung der Hellenen, Göttingen 31972, 69; zur Geheimhaltung bei den Pythagoreern s. E. Zeller, Die Philosophie der Griechen in ihrer geschichtlichen Entwicklung I, Leipzig 71923, 409 Anm. 2; W. Burkert, Lore and Science in Ancient Pythagoreanism, Cambridge (Mass.) 1972, 178f.; zur archaischen Organisation der
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Die Vorstellung des gruppengebundenen Sonderwissens war im ausgehenden 5. Jahrhundert — in der Zeit, in der Platons Dialoge spielen — in vielfacher Form gegenwärtig. Vor dem Hintergrund dieses Residuums archaischen Denkens scheint Platons fortwährender Spott über philosophische Geheimhaltung die neue Gesinnung der athenischen Demokratie zu repräsentieren. Der konservativ erzogene Pfarrerssohn Friedrich Nietzsche mochte immerhin versuchen, den auf der Straße offen mit jedermann philosophierenden Sokrates als ,Pöbelmann' abzutun — zeigt nicht vielmehr Platons selbstsichere Absetzung gegen die restriktive Handhabung von Wissen und Einsicht, daß hier die prinzipielle Offenheit und Liberalität der progressiven Demokratie Athens geistesgeschichtlich bedeutsam zu Wort kommt? Während also die Allgegenwart der Vorstellung des ,Verbergens' uns von Platon trennt (aber historisch verständlich gemacht werden kann), ist doch die Wertung dieser Vorstellung bei ihm, wie es scheint, ganz und gar diejenige unserer fortschrittlichen Zeit. Und dies ist doch irgendwie beruhigend — für die meisten wenigstens. Andere werden sich gerade bei dieser scheinbar so zwingenden Deutung von Platons Spott über Geheimhaltung beunruhigt fühlen und den Verdacht nicht loswerden, der Ironiker ,Sokrates' könnte uns gerade hier auf die falsche Spur gelockt haben. Kennen wir denn Platon sonst als Vertreter demokratischer Offenheit und progressiver Liberalität? Hat er für seinen Idealstaat oder für seinen Gesetzesstaat ein offenes Informations- und Erziehungssystem vorgesehen? In den Nomoi ist bekanntlich nicht nur der Inhalt der Ausbildung der zur Herrschaft Berufenen vor der Kenntnisnahme durch die Unberufenen geschützt, sondern schon die bloße Tatsache des Ausschlusses muß den Ausgeschlossenen verborgen bleiben: hier fordert Platon, die klassentrennenden Strukturen gegenüber seinem ersten Staatsentwurf noch verschärfend, Geheimhaltung auch noch der Geheimhaltung (Nomoi 961 b4 — 6 mit 952 a? und 968 de). Die von keiner Ironie getrübte Entscheidung für prinzipiell offene Diskussion legt Platon hingegen dem Demokraten und Relativisten Protagoras in den Mund (Prot. 317 bc). Wissensvermittlung im Gruppen verband bei Ärzten, Sängern, Handwerkern, Sehern, bei Pythagoreern und Orphikern s. W. Burkert, Neue Funde zur Orphik, in: Information zum altsprachlichen Unterricht II 2, Graz 1980, 41; ders., Craft versus Sect: The Problem of Orphics and Pythagoreans, in: B. F. Meyer - E. P. Sanders (Hrsg.): SelfDefinition in the Greco-Roman World, London 1982,18 ff.
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Es besteht doch wohl Anla , Platons Spott ber die angebliche Geheimhaltung der Gespr chspartner des Sokrates genauer zu befragen. Der Dialog Euthydemos r ckt das sonst nur als Begleitmotiv behandelte Thema des ,Verbergens' exemplarisch in den Vordergrund; an ihm m ssen wir uns orientieren, wenn wir den Sinn des platonischen Topos vom άποκρύπτεοθαι verstehen wollen. Es ist l ngst erkannt worden, da Sokrates' seltsame Gedankenf hrung, die auf das scheinbar absurde Ergebnis f hrt, da jeder alles wei und schon immer alles gewu t hat, nur verst ndlich ist auf dem Hintergrund der Anamnesis-Lehre. Was nicht erkannt worden ist, ist die Bedeutung dieses Befundes f r das Bild des Philosophen, das Platon im Phaidros entwirft: φΐλόοοφοο ist, wer seinen u erungen ,zu Hilfe zu kommen', sie zu verteidigen und durch τιμιώτερα, durch ,Dinge von h herem Wert', abzust tzen imstande ist. Eben diese f r den φιλόοοφοο konstitutive Differenz zwischen prim r mitgeteilter und potentiell bereitgehaltener Einsicht wird im Euthydemos in dramatische Handlung umgesetzt. Sokrates k nnte, wegen seiner Gespr chsf hrung n her befragt, die Theorie der Anamnesis und der Unsterblichkeit der Seele entwickeln; er k nnte auf gewichtigere Dinge zur ckgreifen, die f r den, der genauere Information ber Platons Philosophie besitzt, erkennbar im Hintergrund stehen, von denen der Leser des Euthydemos allein jedoch nichts ahnen kann, da sie im vorliegenden Gespr ch nicht benannt sind. Sokrates verf gt also ber eine weiterf hrende, begr ndende Theorie, die er hier mit voller Absicht — wegen der mangelnden Eignung der Gespr chspartner — nicht zum Tragen bringt. Wer ist dann der ,Geheimhaltende' im Euthydemos? F r den ironischen Spott des Sokrates sind es nat rlich die Br der Dionysodoros und Euthydemos, deren geistige Armut und Leere Schritt f r Schritt deutlich gemacht hat, da sie nichts haben, was sie geheimhalten k nnten. Und wer ist der φιλόοοφοο dieses Dialogs? F r ihn, der Bedeutenderes im Hintergrund hat, f r den der Zur ckhaltung unverd chtigen ,Nichtwisser' Sokrates, sind es wiederum die beiden Meister der Eristik. Die sarkastische Komik des Dialogs besteht darin, da der mit weiterreichendem Wissen ausger stete φιλόοοφοο, der dem an der Oberfl che sinnlosen Geschw tz dieses Gespr chs durch R ckgriff auf Besseres im Sinne des Phaidros ,zu Hilfe kommen' k nnte, dies nicht tut, vielmehr die Gegner darum bittet — die Gegner, die doch offensichtlich keinerlei τιμιώτερα im Hintergrund haben. Und als sie seiner Bitte nicht nachkommen, weil sie es nicht k nnen, werden sie sp ttisch der Geheimhaltung
Einleitung
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geziehen. Verspottet wird also nicht die absichtliche Zurückhaltung tieferer Einsicht, sondern gerade die Unfähigkeit dazu 2 . Dieser Befund verändert die Situation hinsichtlich des platonischen Themas des ,Verbergens' von Grund auf: wer bisher die Vorstellung einer absichtlichen Kommunikationsbeschränkung spöttisch beiseite schieben zu können glaubte, wird jetzt erkennen müssen, daß er die Ironie des Sokrates nicht ironisch genug zu lesen vermochte. Der vordergründige Spott gegen die armen Teufel Dionysodoros und Euthydemos wäre für sich genommen nicht eben bewegend, wäre recht eigentlich belanglos; vor dem richtigen Hintergrund gelesen, d. h. nicht nur mit Blick auf die Anamnesislehre, sondern auch und vor allem auf das Bild des Philosophen im Schlußteil des Phaidros, macht er die ganze Frage der platonischen ,Esoterik' erneut akut. Aber bedarf es dazu einer neuen Deutung des wenig gelesenen Dialogs Euthydemos? Sagen nicht die allen vertrauten Texte Phaidros und Siebter Brief mit aller Deutlichkeit, daß der Dialektiker seinen philosophischen Ernst nicht der Schrift anvertrauen wird und daß es keine Schrift ( ) von Platon gibt über das, womit ihm wirklich Ernst war? Sagen nicht gerade die wichtigsten Dialoge an zentralen Stellen, daß die jeweils entscheidende Frage ,jetzt' nicht weiterverfolgt werden soll? Gewiß, nur verfügt die heutige Platonphilologie — die in dieser Frage die Zustimmung der philosophischen Platoninterpretation hat — über ein ganzes Arsenal von Argumenten, um diese Selbstaussagen der platonischen Schriften zu umgehen und in ihr Gegenteil zu verkehren. Die einfache Feststellung Platons, es gebe keine Schrift von ihm über die für ihn entscheidenden Dinge, heißt für die herrschende Platonauslegung, es gebe keine systematische Lehrschrift von ihm darüber (wohl aber andere Schriften, eben die Dialoge). Die bestimmte Aussage, daß der Philosoph seinen ,Ernst' nicht der Schrift anvertrauen wird, da Geschriebenes wehrlos gegen Mißverständnis und Kritik ist, sich nicht zu ,helfen' weiß, heißt für heutige Leser, der Philosoph werde seinen ,Ernst' gewißlich nur einer bestimmten Art von Schrift anvertrauen, dem Dialog, da der geschriebene Dialog sich von sonstigem Geschriebenen dadurch unterscheide, daß er sich sehr wohl zu ,helfen' wisse. Die Versicherung des Sokrates, daß er vieles, was über das Gute zu sagen wäre, beiseite läßt, wird dem modernen Deuter zur tiefen Einsicht, daß sich über das Gute eben nicht mehr sagen lasse als dasteht, und das Insistieren Platons 1
Die genauere Begründung dieser Auslegung des Euthydemos wird in Kapitel 3 gegeben.
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auf dem im Vergleich zum Schriftwerk „längeren" und „göttlicheren" Weg, den der Dialektiker zu begehen hat, wird sogleich mit vermeintlicher Kongenialität als unverbindliche Vision des prinzipiell sich nicht festlegenden, existentiell ,offenen' Denkers Platon verbucht. Die Theorie des platonischen Dialogs, die all diese Argumente systematisch vereint und den Dialog als die nach Platon einzig legitime Form philosophischer Mitteilung erweisen möchte, gilt den meisten als das alte Wahre, gegen das die neuartige ,esoterische' Interpretation sich zu legitimieren habe. Wenige wissen, daß am Ursprung dieser Theorie bei Friedrich Schleiermacher das polemische Bedürfnis stand, einer Anerkennung der platonischen Esoterik, die er freilich in sehr vordergründiger Weise mißverstand3, zu entgehen. Daß Polemik für gewöhnlich den Blick trübt, weiß man. Wenn wir uns nicht von Schleiermachers Vorentscheidungen abhängig machen wollen, empfiehlt es sich, dort neu einzusetzen, wo er die Weichen stellte für seine nachmals so einflußreiche Art der Platonauslegung: bei Platons grundlegendem Text über schriftliches und mündliches Philosophieren, dem Schlußteil des Phaidros. Hierbei gilt es vor allem, die durch Schleiermachers polemische Tendenz bedingte Selektivität, die bis heute die Auslegung dieses Textes bestimmt, zu vermeiden. Nur eine ausgewogene Würdigung aller leitenden Gedanken des Grundtextes und die Beachtung des Zusammenhangs, in den sie von Platon gestellt sind, wird die Gesichtspunkte bereitstellen können, unter denen wir die Dialoge zu befragen haben. Der Schlußteil des Phaidros bietet nicht allein die Antwort Platons auf die Frage des Verhältnisses von mündlicher und schriftlicher Philosophie, sondern vor allem auch den Schlüssel zur Beantwortung dieser Frage aus dem Gesamtwerk.
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Siehe Anhang 1,8.364 ff.
Kapitel l Phaidros: Die Kritik der Schriftlichkeit a) Phaidros 274 b-278 e Die seit Schleiermacher übliche Isolierung des Schlußteils des Phaidros von den vorangehenden Teilen soll erst im nächsten Kapitel durch eine integrierende Interpretation ersetzt werden. Vorerst akzeptieren wir die fast schon kanonisch gewordene Verengung des Blickwinkels1 und betrachten allein die letzten Seiten des Dialogs. 1. Phdr. 274 a6-275 d3 Sokrates beginnt 274 a 6 aus den bisherigen Erörterungen die Folgerungen zu ziehen hinsichtlich der Ziemlichkeit oder Unziemlichkeit des Schreibens. Er orientiert sich dabei an der Gottgefälligkeit des menschlichen Umgangs mit ,Reden' ( ) (274 b9). Über das, was gottgefällig ist, behauptet er zwar, nur vom Hörensagen unterrichtet zu sein (cl), doch stellt er sogleich — ohne etwas zu versprechen — die Möglichkeit daneben, eigene Einsicht darüber zu gewinnen, was uns von menschlichen Meinungen unabhängig machen würde (c2 —3). Jenes ,Hörensagen' besteht in einer kleinen Geschichte von dem alten Gott Theuth, die in Ägypten erzählt wird, wie Sokrates sagt. Phaidros durchschaut, daß die Geschichte nicht authentisch ist (275 b3) — und wird für diese Kritik sogleich zurechtgewiesen: woher die Geschichte kommt und wer sie erzählt, ist gleichgültig; nur ob das Gesagte zutrifft, zählt (b5 —c2). Es geht eben doch nicht um ein Hörensagen, sondern um die eigene Einsicht. Die Darlegung dieser Einsicht unter fremder Maske stört nur den Unphilosophischen. Die ,ägyptische' Geschichte erzählt, wie der Gott Theuth seine 1
Zu den seltenen Ausnahmen s. unten Anhang I, 362 Anm. 45.
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Erfindungen dem K nig Thamus vorlegte, darunter auch die Schrift (γράμματα). Der kritische K nig beurteilte die neue Errungenschaft weniger g nstig als der stolze Erfinder: die Schrift wird die, die sie erlernen, durchaus nicht weiser und ged chtnisst rker machen, wie Theuth glaubt. Vielmehr wird sie die Verge lichkeit in den Seelen f rdern, da man auf die von au en kommende Hilfe der Schrift vertrauen werde, statt das von innen kommende Ged chtnis zu ben. Die Schrift ist ein Mittel des Erinnerns, nicht des Ged chtnisses. Und Weisheit wird die Schrift nicht erzeugen, da man durch sie vieles wird ,h ren' k nnen ohne begleitende Unterweisung (διδαχή), was die Menschen kenntnisreich, aber nicht einsichtsreich (πολυήκοοι - πολυγνώμονεο) macht, also nur die Einbildung von Weisheit in ihnen hervorruft und sie unangenehm im Umgang mit anderen macht (274 c 5 — 275 b 2). Heraklits Sentenz: πολυμαθίη νόον εχειν ου διδάοκει ist hier nicht nur fortgef hrt, sondern tiefer und zugleich konkreter gedeutet im Blick auf die Funktion der beiden wesentlichsten Kr fte, die jede geistige Formung bestimmen: B cher und Menschen. Das, was νόον εχειν διδάοκει, ist die pers nliche Unterweisung oder ,Lehre'. διδαχή kann im vorliegenden Zusammenhang, wo der Gegensatz die bernahme von Kenntnissen aus der Schrift (γραφή 275 a 3) ist, nur das m ndliche Gespr ch des Aufnehmenden mit einem kundigeren διδάοκων bedeuten, der an die Stelle des nur scheinbar Einsicht vermittelnden Buches treten mu , wenn wirkliche Weisheit und nicht deren Schein aufkommen soll. Nach der schon erw hnten Zurechtweisung des Phaidros h lt Sokrates als Ergebnis der Geschichte fest, da es sehr einf ltig w re zu meinen, man k nne eine ,Kunst' (τέχνη) in Schriftzeichen weitergeben oder aus Schriftzeichen etwas Klares und Verl liches empfangen. Alles, was geschriebene λόγοι k nnen, ist, den Wissenden zu erinnern an das, wovon das Geschriebene handelt (275 c5 —d2). Die Bedeutung von τέχνη mu hier, in der zusammenfassenden Formulierung dessen, was aus der Geschichte von Theuth zu lernen ist, die gleiche sein wie in der Geschichte selbst. Die ,K nste', die der Gott gefunden hatte, sind Brettspiel, W rfeln, Schrift, Arithmetik, Geometrie und Astronomie (274 c8 — d 2 ) . τέχνη bezeichnet zun chst die jeweilige Fertigkeit oder Wissenschaft selbst, nicht etwa ihre Darstellung. Eine Darstellung der Regeln des W rfelspiels wie auch der Beweise der Geometrie kann man sehr wohl in schriftlicher Form geben, mittels Zeichen, die der Seele ,fremd' sind (υπ' αλλότριων τύπων 275 a4) was jedoch fehlen wird, ist das der Sache wesensverwandte ,innere'
Die Kritik der Schriftlichkeit
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Verstehen, das nur durch pers nliche Belehrung, διδαχή, erzeugt werden kann, τέχνη meint dann also ein Gegenstandsgebiet und seine verstehende Beherrschung durch einen, der hierin nicht nur δοξόοοφοο ist, meint das Gegenstandsgebiet als verstandenes und beherrschtes. Dem Zusammenhang ganz fremd ist hingegen die Bedeutung ,Handbuch', f r die hier jede Vorbereitung fehlt1. Platon spricht von der Erkenntnisleistung der Schrift ganz allgemein (γράμματα 275 c5, γραφή 275 a 3), nicht von einer bestimmten Form von schriftlicher Darstellung. Die Leistung der Schrift besteht in der Erinnerung des Wissenden an die mitgeteilten Dinge (275 c8 — d 2 ) . Der ,Wissende' (ο είδώο) kann kein anderer sein als der cocpoc, von dem sich der δοξόοοφοο dadurch unterschied, da er άνευ διδαχής blieb. Die Geschichte von Theuth besagt, da das prim re Erwecken von wirklicher Einsicht an Unterweisung gebunden ist, w hrend die Schrift bestenfalls zur sekund ren Reaktivierung schon vorhandener Einsicht taugt — jedenfalls gilt dies, wenn wir von ,Einsicht' verlangen, da sie etwas Deutliches und Best ndiges (275 c6) sei. Da schriftlicher Erkenntniserwerb gerade diese Bedingung nie erf llen kann, zeigt der n chste Abschnitt. 2. Phdr. 275 d4-276 a9. Einen schlimmen Zug, sagt Sokrates, hat die Schrift an sich, den sie mit der Malerei teilt: wie gemalte Figuren aussehen als lebten sie, aber auf Fragen gar feierlich schweigen, so scheinen auch geschriebene Darlegungen (λόγοι) zu reden als h tten sie Einsicht, fragt man aber nach, um das Gesagte besser zu verstehen, so sagen sie stets nur dasselbe. Und einmal geschrieben, ist eine Darlegung berall im Umlauf, bei solchen, die etwas von der Sache verstehen und ebenso bei solchen, die sie nichts angeht. Sie versteht sich nicht darauf, zu den Leuten zu reden (oder nicht zu reden), zu denen sie reden soll (oder nicht soll). Wird sie 1
Unrichtig daher die bersetzung von R. Hackforth: „a written manual" (Plato's Phaedrus, Cambridge 1952), 158; ihm folgt z.B. auch W.K.C. Guthrie (A History of Greek Philosophy, IV: Plato. The Man and his Dialogues: Earlier Period, 1975) 57. Handb cher der Rhetorik sind im zweiten Hauptteil des Phaidros erw hnt; obschon der Zusammenhang dort eindeutig auf Rhetorik weist, gibt Platon dennoch stets eine zus tzliche Bestimmung zu τέχνη (τέχνη όητορική 271 a 5, τέχναο [περί] λόγων 261 b6-7, 271 c2, βιβλία περί λόγων τέχνης γεγραμμένα 266 d6): τέχνη allein hei t eben nicht ,Handbuch' schlechthin — schon gar nicht, wenn das Wort zuvor im blichen Sinn (,Kunst') gebraucht wurde. — Auch im Siebten Brief hei t τέχνη (341 b) nicht Handbuch, s. unten 393 f.
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angegriffen und zu unrecht geschm ht, so bedarf sie stets der Hilfe des Urhebers: sie selbst kann sich weder wehren noch sich helfen. Weit berlegen ist der schriftlichen Darlegung (dem λόγοο γεγραμμέvoc) die lebendige und beseelte Darlegung des Wissenden, deren Abbild die schriftliche ist: sie wird mit wahrem Wissen in der Seele des Lernenden geschrieben', ist f hig, sich zu verteidigen, und versteht sich darauf, zu reden und zu schweigen, zu wem sie reden oder schweigen soll (275 d4-276a9). Da der λόγοο, der in der Seele des Lernenden geschrieben' wird, kein λόγοο γεγραμμένοο sein kann, geht schon daraus hervor, da er dem geschriebenen λόγοο entgegengestellt wird wie das Urbild dem Abbild, und da er »lebendig und beseelt' hei t, w hrend zuvor alles Geschriebene als leblos wie eine gemalte Figur charakterisiert wurde. Der Gegensatz betrifft die gesprochene und die geschriebene ,Rede', nicht zwei Arten von geschriebener Rede, eine lebendigere und eine leblosere (etwa Dialog und Traktat). Gegenstand der Kritik ist weiterhin ,die Schrift (γραφή 275 d4)' schlechthin, nicht eine bestimmte Art ihrer Handhabung. Wehrlos dem Gegner ausgesetzt ist jedweder λόγοο, sobald er niedergeschrieben ist (δταν δε άπαξ γραφή, ... πάο λόγοο ... 275 d9 — el), nicht nur die nichtdialogische Darstellungsform. Den Mangel des Geschriebenen: starre Leblosigkeit und Unf higkeit, sich selbst zu Hilfe zu kommen gegen Herabsetzung, kann allein die gesprochene ,Rede' ausgleichen. Freilich nicht jede, sondern nur die des »Wissenden' (276 a 8). Der ,Wissende' ist der, der die διδαχή erteilt, ihm ist daher jetzt ein »Lernender' zugeordnet (276 a 5), in dessen Seele er ,schreibt'. Der Wissende ist f hig, seinem λόγοο zu Hilfe zu kommen, wenn er es f r angebracht h lt; es wird freilich auch Menschen geben, denen gegen ber er es f r richtig halten wird, zu schweigen (α,γαν πρόο o c δει, 276 a 7). Was schriftlich niedergelegt ist, hat diese Freiheit der Zur ckhaltung nicht mehr: es ,treibt sich berall herum', wie Sokrates ver chtlich sagt, bei Geeigneten wie bei Ungeeigneten, und wei nicht, zu wem es reden oder schweigen soll. Anders gesagt: jeder kann ein einmal ver ffentlichtes Buch erwerben und lesen, und berdies ungestraft f r wertlos erkl ren. Da das Buch, oder eine bestimmte Art von Buch, zu einer bestimmten Art von Lesern nicht ,sprechen' k nnte, l uft dem Sinn des Abschnitts und dem klaren Wortlaut in 275 e l — 3 zuwider. Ebenso unplatonisch ist die Vorstellung, da ein ,hintergr ndig' in der Schrift angelegter ,tieferer' Sinn, quasi als Selbst-,Hilfe' der Schrift gegen die Kritik der
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Unverständigen, vom verstehenden Leser ohne Zutun des Urhebers ganz automatisch, kraft seines,tieferen' Verstehens, abgerufen werden könnte - vielmehr entscheidet der ,Wissende' auf Grund seiner persönlichen Einschätzung des Gegenübers aus der Situation heraus, ob er sich verteidigend sprechen soll oder nicht. Die Fähigkeit des philosophischen , sich gegen Angriffe zu jhelfen', ist hier eingeführt als die Fähigkeit des mündlich philosophierenden ,Wissenden'. Die Entgegensetzung von Geschriebenem als bloßem Abbild und lebendiger beseelter Rede als dem Eigentlichen lenkt den Blick vorerst nicht auf die Möglichkeit, daß auch der ,Wissende' etwas schreiben könnte. Seine Fähigkeit zur ,Hilfe' ist jedenfalls ganz unabhängig von dieser Möglichkeit. Sie beruht offenbar auf einem inhaltlichen Überschuß der ,helfenden' Rede gegenüber der, der geholfen wird: denn wenn die geschriebene ,Rede' (Darlegung, ) sich nicht helfen kann, sondern stets dasselbe sagt, wird der zur Hilfe Fähige eben nicht stets dasselbe wiederholen dürfen, er wird anderes vorbringen müssen — nicht andere Thesen, wie G. Vlastos mißverstand3, sondern natürlich andere Argumente für dieselben Thesen. Die Fähigkeit zur Hilfe wird auch im folgenden Abschnitt noch ganz im Bereich der mündlichen Diskussion vorgestellt; erst im letzten Abschnitt wird diese nämliche Fähigkeit dazu verwendet, den als Autor von »Schreibern' und Dichtern abzuheben. Die geschriebene Darlegung ist ,Abbild' ( ) der gesprochenen. Hierbei ist nicht so sehr an,realistische' Wiedergabe wirklicher Gespräche zu denken, auch nicht an protokollarische Genauigkeit in der Aufzeichnung, sondern vor allem — in Übereinstimmung mit der Verächtlichmachung der Schrift im vorhergehenden Abschnitt wie im vorliegenden (275 d 5 — e 5) — an die starke Abwertung, die mit diesem Wort bei Platon stets gegeben ist: das ,Abbild' ist prinzipiell von geringerem Rang als das ,Urbild', hat nicht dieselbe ,Wirklichkeit' und ,Kraft'. Im vorliegenden Zusammenhang besagt das: die geschriebene Darlegung kann von vorneherein nicht das vollbringen, was die mündliche als ihr ,Urbild' vermag: ein ,Schreiben' in der ,Seele' oder wirkliche Erkenntnisvermittlung*. 3
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Gnomon 35, 1963, 653. Zu Vlastos' Fehldeutung der ,esoterischen' Interpretation vgl. meinen Beitrag „Dialogform und Esoterik. Zur Deutung des platonischen Dialogs ,Phaidros'", MH 35, 1978, 21-24 und unten 18f. Daß Platon mit der Kritik des geschriebenen an eine Diskussion in der zeitgenössischen Rhetorik (Alkidamas, Isokrates) anknüpft, ist bekannt (das Material z.B. bei L. Robin, Platon, Phedre, texte et. et trad., Paris *1950 ( 933), CLXIVff.; P. Friedländer, Platon I, Berlin 31964, 117 mit Literatur in Anm. 4). Es wird mitunter
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Die Bezeichnung ,Abbild' schlie t zweifellos den geschriebenen Dialog mit ein, kann aber nicht ausschlie lich auf ihn bezogen werden, da weder durch das Wort εϊδωλον festgelegt ist, wie weit die schriftliche Abbildung in der unvermeidlichen Beschr nkung des lebendigen Hin und Her des Gespr chs gehen darf5, noch durch den Gegenbegriff ,lebendige und beseelte Rede' ausgeschlossen ist, da der ,Wissende' sich auch der Form des Vertrags bedienen kann*. Was bis hierher vorliegt, ist eine sehr prinzipiell gehaltene Kritik der Schriftlichkeit, nicht eine Theorie des Dialogs als eines Mittels philosophischer Mitteilung. Eine solche wird auch im folgenden nicht gegeben, wohl aber kommt Sokrates mit dem Gleichnis vom Bauern auf das Schreiben des Philosophen zu sprechen. 3. Phdr. 276 b l-277 a5 Ein Bauer, der Vernunft hat, wird solchen Samen, an dem ihm gelegen ist und von dem er Ertrag erwartet, nicht im Ernst in ein Adonisg rtchen pflanzen, um sich zu freuen, wenn er in acht Tagen sch n aufgeht — dergleichen wird er nur im Spiel tun; vielmehr wird er Samen, mit dem ihm Ernst ist, nach den Regeln des Landbaus in geeigneten Boden s en
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bersehen, da diese Diskussion Platon nur einzelne Stichworte lieferte — am bekanntesten ist die Parallele Phdr. 276 a λόγοο ζών και Ιμψυχοο ~ Alkidamas, Περί cocpiCTCOV 28: έμψυχόο έοτι καί ζη (von der gesprochenen Rede) -, nicht aber seine Fragestellung determinierte, geschweige denn seine Antwort vorwegnahm. Robin 1. c. sprach aus, da die historischen Parallelen hierf r im Grunde nichts ergeben. Das undialogische 5. Buch der Nomoi ist gewi ebenso ein ,Abbild' lebendiger philosophischer Er rterung wie die brigen B cher, in denen Platon die dialogische Gestaltung ausgef hrt hat. Dies w rde selbst dann gelten, wenn auch die Zuweisung an eine Dialogfigur (den .Athener') und die fiktive kretische Dialogsituation wegfielen: auch wenn die Lebendigkeit der Abbildung nachl t oder schlie lich g nzlich verlorengeht, ein .Abbild' bleibt das Geschriebene doch. Im Timaios h lt der unteritalische Staatsmann, der als Dialogfigur zweifellos f r den Typ des ,Wissenden' steht, einen mehrst ndigen Vortrag. Da er vor ausgesuchten H rern spricht (vor .geeigneten', vgl. Phdr. 276 e6 λαβών ψυχήν προοήκουοαν Timaios hat f r seinen Vortrag zweifellos das richtige Publikum gew hlt), und da er auf ihre Fragen zweifellos zu antworten w te (was im Dialog zwar nicht ausgestaltet, wohl aber angedeutet ist: 28 c, 53 d weist Timaios auf die M glichkeit einer tiefergreifenden Begr ndung seiner Ausf hrungen hin), m ssen wir seine Rede innerhalb ihres fiktiven dramatischen Rahmens durchaus als ,lebendige', obschon undialogische Rede eines Wissenden auffassen, und die schriftliche Fixierung seines Monologs demnach als ,Abbild' im Sinne des Phaidros. (Es geh rt zur Abbildhaftigkeit des Geschriebenen, da es die tiefere Begr ndung, die der Wissende auf Befragung hin entfalten k nnte, nicht mitgibt.) Da auch im Phaidros selbst die gro e undialogische Rede des Sokrates als .lebendige' Rede des ,Wissenden' zu verstehen ist, wird unten gezeigt werden.
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und zufrieden sein, wenn er in acht Monaten zur Reife gelangt. Ebenso wird einer, der das Wissen von den gerechten, sch nen und guten Dingen besitzt, das, was er zu s en hat, nicht mit dem Schreibrohr s end in Wasser schreiben mit Darlegungen (λόγοι), die sich nicht helfen k nnen und unf hig sind, die Wahrheit hinreichend zu lehren. Vielmehr wird er die ,Schriftg rtchen' nur um des Spieles willen s en, und um f r sich und jeden, der dieselbe Spur verfolgt, Erinnerungshilfen anzulegen f r das Alter, und er wird sich freuen, wenn diese G rtchen h bsch gedeihen (276bl-d8). Dieses Spiel des schriftstellerisch Spielenden, der ber Gerechtigkeit und dergleichen in Geschichten redet (μυθολογοΰντα), findet die Bewunderung des Phaidros (276 e l — 3). Weit sch ner noch, erwidert Sokrates, ist der Ernst in diesen Dingen, wenn einer unter Anwendung der Kunst der Dialektik eine geeignete Seele hernimmt und mit wirklicher Einsicht ,Reden' pflanzt, die sich selbst und dem Pflanzer zu helfen imstande sind und nicht ertraglos bleiben, sondern Samen aufweisen, von dem in anderen Charakteren andere ,Reden' entstehen, die dem Betreffenden die einem Menschen m gliche Gl ckseligkeit verschaffen (276 b l — 277 a 5). Das Gleichnis ordnet mit gro er Klarheit die Elemente der verglichenen Bereiche einander zu: auf der Seite des Spiels entspricht dem Adonisg rtchen die schriftliche Darlegung des Gerechten, Sch nen und Guten, dem Bepflanzen eines Adonisg rtchens das μυΟολογειν δικαιοούνηο τε και των άλλων περί. Das sch ne Aufgehen der Saat im G rtchen steht f r die literarisch gelungene Gestaltung des Geschriebenen7. Der ertraglosen Saat entspricht die Unf higkeit der Schrift — wohlgemerkt der Schrift des Wissenden ber Gerechtigkeit (276 c 8, e2 gegen e7f.) — sich selbst zu Hilfe zu kommen8. — Auf der Seite des Ernstes entspricht der Wahl des geeigneten Bodens die Wahl der geeigneten Seele (οπείραο είο το προσήκον - λαβών ψυχή ν προσήκουοαν), der ,Kunst' der Landwirtschaft die ,Kunst' der Dialektik (γεωργική τέχνη - διαλεκNat rlich nicht f r das Verst ndnis des Lesers (so z. B. H. Mei ner, Der tiefere Logos Platons. Eine Auseinandersetzung mit dem Problem der Widerspr che in Platons Werken, Heidelberg 1978, 212 u. .; J. Klein, A Commentary on Plato's Meno, Chapel Hill 1965,21), denn ,Verst ndnis' w re bereits eine Entsprechung zum ,Ertrag' (καρπόο), den einer, der etwas vom Pflanzen versteht, von Wassertrieben, die in acht Tagen aufgehen, von vornherein nicht erwarten wird. Das Saatgut, von dem der Bauer Ertrag will (εγκαρπα βούλοιτο γενέοθαι 276 b2), kommt nicht in das Adonisg rtchen. Nur der m ndliche .Ernst' des Philosophen ist ούχν άκαρποο (277 a 1), mit schriftlichem ,Spiel' ist f r Platon kein philosophischer Ertrag zu erzielen. Dies entzieht den heute beliebten Spekulationen ber die wunderbaren F higkeiten des ,lebendigen' Dialogbuches den Boden; vgl. unten 341, 353 ff.
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τική τέχνη), dem Ertrag der Saat die F higkeit der neu gepflanzten λόγοι, sich selbst und dem Urheber zu Hilfe zu kommen und in anderen Seelen gleiche λόγοι zu ,pflanzen'. ,Spiel' ist das Verfassen von Schriften gerade f r den Dialektiker (276 c 3 - d 2). Da auch Rhetoriklehrer ihre epideiktischen Reden als παίγνια bezeichneten (so etwa Gorgias, Helena 21), interessiert Platon hier in keiner Weise9. Hingegen hat er einen Hinweis auf sein eigenes Hauptwerk eingeflochten: die Worte δικαιοούνηο ... περί μυθολογοΰντα (276 e2 —3) hat W. Luther10 berzeugend als Anspielung auf die Politeia gedeutet, die sich als ein μυθολογεΐν wertet (376 d, 501 e). Da es sich um einen pr zisen Verweis handelt, ergibt sich daraus, da Platon hier von der Schrift dessen redet, der im Besitz der Dialektik (der Wissenschaften vom Gerechten, Sch nen und Guten, 276 c 3) ist: damit sind andere Autoren, die gleichfalls ,Geschichten ber Gerechtigkeit und das brige' geschrieben haben m gen — etwa Prodikos, der die Geschichte von der Entscheidung des Herakles f r die Tugend und damit auch f r die Gerechtigkeit erz hlte — ausgeschieden. Das Gleichnis kennt keine T tigkeit, die zugleich Spiel und Ernst w re, so wenig es ein Pflanzen gibt, das zugleich im Adonisg rtchen und auf dem Feld vor sich geht. Spiel und Ernst, ,mythologisierendes' Schreiben und dialektisches Gespr ch sind klar geschieden. So gerne wir auch um der platonischen Dialoge willen Spiel und Ernst ineinander verwoben sehen w rden — das Gleichnis tut uns nicht den Gefallen, diese Vorstellung zu best tigen. Offenbar meint Platon mit diesen Begriffen etwas anderes als wir meinen, wenn wir manche seiner Dialoge als ernst und spielerisch zugleich bezeichnen. Die Bedeutung von ,Spiel* mu aus dem Verh ltnis zum Gegenbegriff ,Ernst' verstanden werden (wie sp ter die Bedeutung von φαΰλα aus dem Verh ltnis zu τιμιώτερα): man braucht nicht zu bef rchten, da der Inhalt der Schriften des Dialektikers unernst oder gar tr gerisch und irref hrend w re11. Die Freude des Schriftstellers an seiner Arbeit hat f r diese Benennung sicher eine Rolle gespielt (vgl. ήοθήοεται 276 d4), entscheidend ist aber, da der Lehrende erst im Gespr ch von der ' Abwegig ist der Versuch von Th. Ebert, Meinung und Wissen in der Philosophie Platons, Berlin 1974, 27, den Begriff παιδιά von den Dialogen fernzuhalten, weil er auch in der Rhetorik verwendet wurde. 10 W. Luther, Die Schw che des geschriebenen Logos, Gymnasium 68, 1961, 536 f. 11 So neuerdings D. Roioff, Platonische Ironie. Das Beispiel: Theaiteos, Heidelberg 1975, und Mei ner (oben Anm. 7), vgl. unten 18f., 351 f.
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dialektischen Kunst Gebrauch macht (276 e5 — so wie die Kunst des Landbaus erst bei der Feldbestellung zur Anwendung kommt, 276 b6). (Es mag auch eine Rolle gespielt haben, da das Schreiben als solit re T tigkeit nicht in gleichem Ma e den ganzen Menschen herausfordert wie der Versuch, die Seele eines anderen Menschen zu gewinnen; doch spricht Platon hier nicht von dieser ,existentiellen' Herausforderung f r den Lehrenden). Auch bei diesem Abschnitt ist es, wie beim vorhergehenden (oben S. 11), nicht berfl ssig festzuhalten, da die F higkeit zum βοηθεΐν (277 a 1) noch nicht aus dem Bereich der m ndlichen οπουδή heraustritt. Da sie auch f r die schriftliche παιδιά Bedeutung haben kann, ist f r die F higkeit als solche sekund r. Ob im Gleichnis mit zweierlei Samen — oder, auf die Philosophie bezogen: mit einem inhaltlichen Unterschied zwischen schriftlichen und m ndlichen λόγοι — zu rechnen ist, bleibt unklar: der Wortlaut legt dies zwar nahe (ων οπερμάτων κήδοιτο ... 276 b2, εφ olc δε (sc. οπέρμααν) έοπούδακεν b6) 12 , andererseits geht es im Ernst wie im Spiel um das Gerechte Sch ne Gute13. Klar ist hingegen wiederum, da der Pflanzer im einen Fall keinen Ertrag will und auch keinen erh lt, im anderen Fall das Pflanzen auf Ertrag anlegt und damit auch Erfolg hat. Da der ,Ertrag' mit dem ,Helfen' in Beziehung gebracht ist (277 al), wird erst die Deutung dieses Begriffs die Frage entscheiden, ob oder in welchem Sinne ein inhaltlicher Unterschied zwischen schriftlicher Darlegung und m ndlichem Gespr ch besteht14. Die Idee der διδαχή bestimmte seit der Geschichte von Theuth die 12
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Die Erg nzung von οπέρμαοιν z.B. auch bei G.J. de Vries (A commentary on the Phaedrus of Plato, Amsterdam 1969, 253) und bei F. Schleiermacher (Platon, S mtliche Werke, Berlin [MSIS] 31855) und Robin (I.e. oben Anm.4) in ihren bersetzungen. Mei ner 74 versucht vergeblich, die Beziehung von εφ olc δε έοπούδακεν auf οπέρματα b 2 zu vermeiden. Sein bersetzungsvorschlag („bei dem hingegen, was er ernsthaft betreibt") verkennt die Struktur des Satzes. Mei ner 73 Anm. l glaubt die Frage durch Hinweis auf Schol. Theocr. 15. 113 entscheiden zu k nnen: dort hei t es, da man in Adonisg rtchen Weizen und Gerste s te - also dasselbe Saatgut, das man im Ackerbau verwendet. Aber selbstverst ndlich kommt es nicht darauf an, was Theokrits Frauen am Adonisfest „wirklich" machten, sondern allein darauf, welche Z ge der „Wirklichkeit" Platon in seinem Gleichnis ben tzt und gedeutet - oder vielleicht auch umgedeutet hat. Ob eine Umdeutung um des Gemeinten willen vorliegt, mu der sorgf ltig formulierte Platontext entscheiden, nicht ein entlegenes hellenistisches Scholion. Eine Vorentscheidung hat Platon freilich bereits gegeben: wer sich m ndlich zu .helfen' wei , wird im Gegensatz zur Schrift nicht nur dasselbe wiederholen, s. oben 10 f. (mit Anm. 3) zu 275 d 9, 276 a 6.
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Schriftkritik und war im zweiten Abschnitt n her expliziert worden durch den Hinweis auf den ,Lernenden', in dessen Seele der , Wissende' seine lebendige Rede ,schreibt' (276 a5 —9); sie wird nun weiter verdeutlicht in den Worten λαβών ψυχήν προοήκουοαν (276 e6): der Wissende nimmt sich einen Lernenden vor, dessen Seele er f r ,(der Sache) nahestehend, zugeh rig', kurz f r ,geeignet' h lt. Ein Buch hingegen kann sich den geeigneten Leser nicht ausw hlen, sondern wird seinerseits von Geeigneten und Ungeeigneten ergriffen. Die ,Kunst der Dialektik' kommt erst zur Entfaltung im Gespr ch mit dem geeigneten Partner — so wie der Bauer die,Kunst der Landwirtschaft' erst auf einem geeigneten' St ck Land entfalten kann (276 b6-7, το προοήκον b7). 4. Phdr. 277 a6-278 e4 Sokrates geht nun weiter zu einer Zusammenfassung der Ergebnisse der ganzen zweiten H lfte des Dialogs. Die Bedingungen der kunstgerechten Behandlung von λόγοι sind das Erfassen des Wesens der behandelten Dinge im dihairetisch-definitorischen Verfahren, ebenso der Natur der Seele, sowie die F higkeit, jede Seele ihrer Natur gem mit einer ihr entsprechenden Art von λόγοι anzusprechen. Die Bedingung der Schicklichkeit des Gebrauchs von λόγοι ist, da der, der eine Schrift (ούγγραμμα 277 d7) verfa t, erkennt, da damit eine nennenswerte Verl lichkeit und Klarheit nicht zu erreichen ist; er mu wissen, da jede geschriebene Darlegung notwendig ,viel Spielerei' mit sich bringt und da kein λόγοο gro en Ernstes wert ist, weder ein schriftlicher in metrischer Sprache oder in Prosa, noch ein m ndlicher, wenn er keine Fragen zul t und nicht Belehrung, sondern berredung zum Ziel hat. Deutlich, vollkommen und des Ernstes wert ist allein diejenige gesprochene ,Rede' ber Gerechtes, Sch nes und Gutes, die der ,Lehre' und dem ,Lernen' dient und wahrhaft in die Seele geschrieben wird. Die Zusammenfassung gipfelt in einer Botschaft an alle, die schreiben: den Namen φιλόοοφοο — der nicht auf die Schriften eines Autors weist, sondern auf das, womit ihm Ernst ist — verdient nur ein Verfasser, der das, was er schrieb, in Kenntnis der Wahrheit ber seine Gegenst nde schrieb und im Besitz der F higkeit, seinen Werken zu ,helfen', d. h. auf eine fragende berpr fung (einen ελεγχοο) einzugehen und dabei in m ndlicher Darlegung (λέγων αύτόο) sein Geschriebenes als von geringerem Wert zu erweisen. Ein Verfasser hingegen, der nichts von h herem Wert besitzt als das, was er hin und her wendend, leimend und
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streichend schrieb, verdient nur Namen wie ,Dichter', Reden- oder Gesetzesschreiber. Nicht unerwartet m ndet die Kritik der Schriftlichkeit in eine Bestimmung des φιλόοοφοα Er ist der m ndlich Philosophierende. Dieses Bild des Philosophen stand schon hinter der διδαχή der TheuthGeschichte — er ist derjenige, der den Mangel der Schrift, die άνευ δίδαχήο Erkenntnis vermitteln will, auszugleichen vermag; der φιλόοο(poc zeigte sich dann als ,Wissender', der ,von der Kunst der Dialektik Gebrauch macht' im Gespr ch mit dem als geeignet befundenen ,Lernenden' und so ,in seine Seele schreibt'; er ist der, der die F higkeit, seiner Darlegung zu Hilfe zu kommen, zun chst als m ndlich Philosophierender besitzt (oben S. 11 u. 15) und sie anderen vermittelt und, wie wir jetzt erfahren, auch gegen ber seinen eigenen Schriften souver n aus bt, so da diese im Vergleich zu seinem Wort sich als minderwertig erweisen. Wenn das, womit dem φιλόοοφοο Ernst ist, φιλοοοφία hei en soll, so ist ,Philosophie' f r Platon das m ndliche Gespr ch, das der ,Wissende' zur ,Belehrung' eines ausgesuchten ,Lernenden' f hrt. Von allen λόγοι hat daher allein der διδαοκόμενοο και μαθήοεωο χάριν λεγόμενος (278 a 2) wirklichen Wert. Diese Art von λόγοο blieb allein brig aus einer umfassenden Einteilung aller λόγοι: die geschriebenen, ob metrisch oder unmetrisch, sind insgesamt gro en Ernstes nicht wert. Da es nichts Geschriebenes gibt, das weder metrisch noch unmetrisch w re15, ist die Frage m ig, ob die eigenen Dialoge Platons etwa von diesem Urteil ausgenommen seien16. Von den gesprochenen λόγοι sind die ohne die 15
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Bei Lukian, Aic κατηγορούμενος 33 beklagt sich der Dialogos, er sei neuerdings von Lukian so zugerichtet worden, da er nunmehr ούτε πεζόο είμι ουτ' έπΐ των μέτρων βέβηκα. J. Laborderie (Le dialogue platonicien de la maturite, Paris 1978) 53f. ignoriert den Zusammenhang, bersieht vor allem die deutlich antiplatonische Tendenz der Neuerungen des ,Syrers' und zitiert die Stelle so, als sei hier etwas Positives vom platonischen Dialog ausgesagt. - Auch der Umstand, da nach Aristoteles fr. 73 Rose = Diog. Laert. 3.37 die Gestaltungsart Platons zwischen Dichtung und πεζόο λόγοο steht, ndert nichts daran, da in Phdr. 277 e6-7 die Worte ούδένα πώποτε λόγον εν μετρώ οόδ" δνευ μέτρου eine logisch vollst ndige Disjunktion meinen, der nichts entgeht (A und Non-A, tertium non datur). Im brigen w rde Aristoteles' Ann herung des platonischen Werkes an die Dichtung noch keine Rettung vor der Schriftkritik des Phaidros bedeuten, die ja die Dichtung deutlich mit einschlie t. (Ferner w re zu fragen, ob nicht πεζόο λόγοο als Gegenbegriff zu ποίημα ein Mi verst ndnis des Diogenes Laertios oder seiner Quelle darstellt. Da Aristoteles Dichtung bekanntlich nicht mit metrischer Rede gleichsetzt (Poet. 1447 a 28 - b 20), wird auch sein Gegenbegriff dazu nicht ,Prosaschrift' gewesen sein: er sah die Dialoge wohl als Br cke zwischen philosophischer Fachschrift und dichterischer Mimesis; ουγγράμματα waren sie f r ihn wohl in jedem Fall — zu diesem Wort s. unten 35 f. und Anhang II.) Laborderie 113 glaubt, Platon verurteile nur Texte άνευ άνακρίοεοκ:, weswegen die
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M glichkeit zur Befragung (άνευ άνακρίοεωο17) gehaltenen und auf blo e berredung zielenden auszuscheiden; es bleiben diejenigen m ndlichen, die auf ,Belehrung' und ,Lernen' zielen. Der ελεγχοο, in dem sich die berlegenheit des Philosophen zeigt, ist die kritische Befragung seiner Schrift durch andere, sei es Gegner oder Freunde, nicht aber eine , Widerlegung' der Schrift durch den Verfasser selbst: die Situation, in der sich die F higkeit zum βοηθεΐν zeigen mu , setzte von Anfang an (275 d8) das Gegen ber einer Schrift und eines kritischen Lesers voraus — hier nun tritt der Autor an die Stelle seiner Schrift18. Da das Geschriebene sich durch die ,Hilfe' des Autors als φαΰλον erweist, hei t nicht, da es f r falsch erkl rt wird19, auch nicht,
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Dialoge nicht gemeint sein k nnten. In Wirklichkeit ist άνευ άνακρίοεωο eine Bestimmung der abzulehnenden m ndlichen Darlegungen: die schriftlichen sind zuvor schon wegen ihrer Schriftlichkeit ausgeschieden. Zudem w re die im Dialog Abgebildete' avaicpicic kein Ersatz f r die Befragung des Dialogs durch den Leser, bei der der Autor selbst nicht zugegen ist. Auch άνευ διδαχής ist von der abgelehnten Art der m ndlichen Rede gesagt: da die Schrift grunds tzlich zur διδαχή im Sinne Platons nicht f hig ist, wissen wir schon seit der Theuth-Geschichte. Trotzdem will man immer wieder die Dialoge wegen ihres erzieherischen Wertes vom negativen Urteil ber die Schrift ausnehmen (z.B. Guthrie IV 63, Laborderie 113, Mei ner 214 und passim). Selbstverst ndlich haben Platons Werke einen hohen p dagogischen Wert — wer m chte das bestreiten — , nur mu man sehen, da Platons Begriff der διδαχή nicht p dagogisches Wirken durch Schriften' meint. Da die avoKpicic in die Darstellung hineinverflochten sein mu , ist damit nicht gesagt. Platons Bedingung der Befragbarkeit ist auch dann erf llt, wenn der H rer nach einem fortlaufenden Vortrag die M glichkeit hat, den Sprecher zur Rede zu stellen (wie Phaidros die M glichkeit hat, Sokrates' Rede ber Seele und Eros zu befragen; zum Monolog des Timaios s. oben Anm. 6). Was Platon ausschlie en will, sind die die Seele des H rers ,zwingen' wollenden Redetypen, die von vorneherein nicht auf Befragung angelegt sind. Da z.B. Protagoras' Rede (Prot. 320 c-328 d) kein philosophischer Wert zukommt, liegt nicht daran, da die άνάκριαο erst anschlie end erfolgt - das gilt auch f r Sokrates' Rede 342 a-347 a -, sondern daran, da Protagoras kein ,Wissender' ist, d. h. nicht im Besitz der platonischen Dialektik. Er kann sich denn auch gegen Sokrates' Befragung nicht ,helfen', s. u. 168 f. Mei ner 110-112 fa t den έ"λεγχοο als ,Widerlegung' einer .vordergr ndigen' Dialogschicht durch eine ,tiefere'; hierbei ist nicht nur 275 d 8 bersehen (s. oben), sondern auch der Gegensatz von λέγων und γεγραμμένα vergessen (oder vielmehr umgedeutet: λέγων αύτόο 278 c 6 hei e „formulierend selbst" - als ob die .vordergr ndige' Schicht nicht auch vom Verfasser selbst formuliert w re). „Als unrichtig nachweisen" war J. Stenzels Wiedergabe von φαΰλα άποδεΐξαι (Literarische Form und philosophischer Gehalt des platonischen Dialogs [1916], in: Kleine Schriften zur griechischen Philosophie, Darmstadt 1956, 45). Neuerdings identifiziert Mei ner 112 das φαΰλα unserer Stelle grundlos und sinnwidrig mit den ψεύδη von Krat. 408 c. - G. Vlastos (Gnomon 35, 1963, 653) unterstellte auch der Interpretation von H. J. Kr mer, da sie den Inhalt der Dialoge f r ,false' erkl re, wof r er freilich keinen Beleg aus Kr mers Buch (Arete bei Platon und Aristoteles, Heidelberg 1959) beibringen konnte. Es ist wohl vor allem dieses Mi verst ndnis, das die weitverbreiteten
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da es ,schlecht' oder von geringem Wert ist; aus dem Komparativ τιμιώτερα ist ein relativer Sinn auch f r φαϋλον zu entnehmen: nur im Vergleich mit dem, was beim ,Helfen' zu Tage tritt, erweisen sich die Schriften des Philosophen als von geringerem Rang.
b) Die aus der Schriftkritik resultierenden Aufgaben der Platoninterpretation Was sind das aber f r τιμιώτερα, die das Geschriebene so weit hinter sich lassen? Man hat darunter die T tigkeit des Dialogf hrens, das lebendige Gespr ch verstehen wollen, das als pers nliche Begegnung f r Platon von h herem Wert gewesen sei als der geschriebene Dialog, auch wenn die verhandelten Inhalte sich nicht unterschieden. Diese Deutung w re einleuchtend, wenn Platon den Nichtphilosophen charakterisierte als τον μη έχοντα τιμιώτερόν τι του ουντιθέναι ή γράφειν. Nach dem berlieferten Text nennt er ihn jedoch τον μη έχοντα τιμιώτερα ων ουνέθηκεν ή εγραψεν (278 d8), was entschieden auf einen inhaltlichen Wertvergleich zwischen schriftlicher Darlegung und m ndlicher Hilfe irrationalen ngste wegen einer „Abwertung" der Dialoge durch die esoterische Platonauslegung sch rt. Kr mers Richtigstellung (Retraktationen zum Problem des esoterischen Platon, MH 21, 1964, 153 mit Anm. 39; Die grunds tzlichen Fragen der indirekten Platon berlieferung, in: H. G. Gadamer u. W. Schadewaldt (Hrsg.), Idee und Zahl. Studien zur platonischen Philosophie, Heidelberg 1968, 136, 150) wird von den Gegnern so weit ich sehe einfach nicht zur Kenntnis genommen (insbesondere geht Vlastos' Antwort auf Kr mer, in: Platonic Studies, Princeton 1973,399 - 403 mit keinem Wort darauf ein). — Im brigen ist es schwer verst ndlich, wie es zur Mi deutung von φαύλα kommen konnte; das Wort hei t ja im Griechischen fast nie so viel wie .falsch, verkehrt' (es sei denn ,verkehrt' im moralischen Sinn), vielmehr ist die bliche Bedeutung ,schlecht' mit der Bedeutungsnuance ,schlicht, einfach, unbedeutend, geringf gig'. Die Verwendung des Wortes bei Euripides kann den attischen Sprachgebrauch verdeutlichen: El. 760 ούτοι βαονλέα φαϋλον κτανεϊν („keine Kleinigkeit"); ΙΑ 734 ςύ δε φαϋλ' ήγτ) τάδε („h ltst es f r gering"), 850 άμελία 8oc αυτά και φαύλοκ; φέρε („nimm's leicht"); aufschlu reich auch fr. 473. l N2, wo φαϋλοο und άκομψου als Synonyma gebraucht sind: dem entspricht der h ufige Gegensatz φαΰλοο — cocpoc (Andr. 379, Ba. 430, Ion 834, Phoin. 496, vgl. auch fr. 635 u. 641 N1). Vergleichbar bei Platon etwa Hi. min. 369 d 3/6 cocpoc - φαϋλοο, oder Hi. mai. 286 e 8 φαϋλον και ίδιωτικόν (als Hendiadyoin f r .laienhaft'). So d rfte dieser Gegensatz auch in Platons Formulierung τα γεγραμμένα φαΰλα απόδειξαν mitzuh ren sein: die φαΰλα sind im Vergleich mit den τιμιώτερα ,unfachm nnisch, untechnisch, unkompliziert' (vgl. unten 46 Anm. 46); da sie gleichwohl .richtig' sind, sagt Platon Politeia 449 c (s. unten 285 f.). Den platonischen Sprachgebauch beobachtete brigens schon Diogenes Laertios: ό γοΰν ,φαΰλοο' λέγεται παρ' αύτφ και έπι του άπλοΰ (3.63). Zu Hi. min. 372 b s. unten 82 Anm. 8.
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weist20. Nun beini t sich der Wert des Schriftlichen nach der Einsicht in die Wahrheit, die in es eingegangen ist. Sollte der φιλόοοφοο in seinen τίμιώτερα ber eine tiefere und umfassendere Einsicht in die Wahrheit verf gen? Die τίμιώτερα, die die Dialoge Platons — wenn er denn selbst der φιλόοοφοο ist — als geringer erweisen w rden, k nnen ihrer Definition gem nicht selbst in den Dialogen enthalten sein. Wie k nnen wir etwas ber sie erfahren? Die τίμιώτερα sind das, was durch die ,Hilfe', zu der allein der φιλόαοφοο die F higkeit hat, zum Vorschein gebracht wird. Da die Hilfe als m ndliche Hilfe definiert ist, scheint sie sich dem Zugriff ebenso zu entziehen wie die τίμιώτερα selbst. Und doch sahen wir, da die Deutung des ganzen Schlu teils des Phaidros sich seit 275 e auf die Auslegung dieses einen Begriffs βοηθεΐν zuspitzt. Bleibt gerade er unfa bar? Hier ist es gut, sich daran zu erinnern, da der geschriebene λόγοο nach den Worten Platons ein Abbild der lebendigen Rede des Wissenden ist, und da die Dialoge ein Bild des wahren Philosophen bereithalten: Sokrates ist der m ndlich Philosophierende, dessen διδαχή auf die ευδαιμονία (277 a 3) der ,Lernenden' zielt21. Die Deutung der Schriftkritik des Phaidros kann also erst dann zum Ziel kommen, wenn wir die Dialoge selbst befragt haben, ob sie,Abbilder' des Vorgangs der philosophischen ,Hilfe' geben. Die entscheidende Frage mu lauten: was versteht Platon au erhalb des Schlu teils des Phaidros unter der ,Hilfe', die sich nur der Philosoph zu bringen vermag? Aber wie soll es zugehen, da wir aus dem Bild des m ndlich Philosophierenden, der nie etwas geschrieben hat, Aufschlu gewinnen ber das Verh ltnis des φιλόοοφοο zu seiner Schrift? Hier zeigt sich die methodische Bedeutung der Beobachtung22, da Platon die F higkeit, dem λόγοο zu Hilfe zu kommen, prim r als Eigenschaft des m ndlich Philosophierenden einf hrt, noch bevor er auf die M glichkeit eingeht, 20
F r Vlastos (Gnomon 35, 1963, 654) meint τιμιώτερα die »activity' des Diskutierens; hnlich Guthrie IV 64. Nach dieser Deutung w rde Platon eine T tigkeit, das Gespr chf hren, mit dem Ergebnis einer anderen T tigkeit (dem Buch als Produkt des Schreibens) vergleichen, so als wollte man sagen: die T tigkeit des Singens ist von h herem Wert als Lieder (die das Ergebnis der T tigkeit des Komponierens sind). So abwegig dachte Platon doch wohl nicht. 21 Da Sokrates nur in den Fr hdialogen der fragende Nichtwisser ist und sp testens ab Menon und Gorgias auch positive berzeugungen zu vertreten wei , ist allen bekannt - und wird nur allzu willig immer wieder vergessen. " Siehe oben S. 11, 15 und 17.
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da auch der ,Wissende' ein Buch schreiben k nnte. Zwar ist es eben diese F higkeit - nicht etwa eine andere23 -, die es dem Philosophen erm glicht, seine berlegenheit gegen ber blo en Schreibern und Dichtern anhand seines grunds tzlich anderen Veh ltnisses zu seinem Werk zu beweisen — aber es ist nicht wesentlich f r sie als F higkeit, da sie auf Geschriebenes angewandt wird: sie zeichnet den ,Wissenden' aus, ob er sich am Spiel mit den literarischen ,G rtchen' beteiligt oder nicht. Da es sich um dieselbe philosophische Grundf higkeit handelt, wenn der φιλόοοφοο einer m ndlichen oder einer schriftlichen Darlegung hilft, werden auch dieselben gedanklichen Strukturen zu Tage treten m ssen, dasselbe Verh ltnis zwischen dem λόγοο, der der Hilfe bedarf, und demjenigen, der sie bringt. Die Figur des m ndlich philosophierenden Sokrates w re demnach durchaus geeignet, Aufschlu ber den Sinn der F higkeit zu philosophischer Hilfe zu geben. Die soeben gestellte Frage wird sich daher — solange wir gewillt sind, unsere Auslegung des Phaidros an Platon selbst zu orientieren24 — in folgender Weise pr zisieren m ssen: enthalten die Dialoge als ,Abbilder' der ,lebendigen' Rede des Sokrates Situationen, in denen er seine F higkeit, sich und seinem Logos zu helfen, unter Beweis stellt? Es wird sich zeigen, da die Dialoge solche Situationen in F lle bieten, ja da die βοήθεια-Situation als dramatisches Grundmuster der Dialoge gehandhabt wird. Hieraus ergibt sich als die erste wesentliche Aufgabe, die gedankliche Struktur dieser F lle von ,Hilfe' und den mit ihnen implizit gegebenen Begriff der philosophischen τιμιώτερα zu analysieren und f r das Verst ndnis des platonischen Grundtextes ber Schriftlichkeit und M ndlichkeit, und damit f r das Verst ndnis des platonischen Philosophierens berhaupt, fruchtbar zu machen. Die dramatisch gestalteten ,Abbilder', in denen uns Platon die βοήθεια-Struktur vorf hrt, sind freilich selbst insgesamt λόγοι γεγραμμένοί und bed rfen somit einer ,Hilfe', die nicht in ihnen selbst enthalten sein kann. Hiermit kehren wir zu der Feststellung zur ck, von der die Suche nach einem Weg, den Sinn des βοηθεΐν und der τιμιώτερα des " Zu dem von de Vries erhobenen Postulat zweier verschiedener F higkeiten der ,Hilfe' (G.J. de Vries, Helping the Writings, ΜΗ 36, 1979, 60-62) s. unten 67 f. 14 An dieser Forderung entscheidet sich, ob eine Interpretation philologischen Anspr chen gen gt oder nicht. F r den Rekurs auf G. Vlastos' vorgefa te Ansichten ber die Bedeutung von βοηθεΐν statt auf die Dialoge selbst entscheidet sich wieder de Vries [oben Anm. 23] (vgl. meine Entgegnung ,What One Should Know When Reading „Helping the Writings". A Reply to G.J. de Vries', MH 36, 1979, 164- 165).
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Philosophen zu bestimmen, ausgegangen ist (oben S. 19f.). Nur daß wir jetzt darin über die anfängliche Feststellung hinausgekommen sind, daß wir wissen, daß die Dialoge durch ihre eigene -Struktur eine modellhafte Vorwegnahme der Hilfe enthalten, die sie selbst benötigen. Platons ,Hilfe' für sein Geschriebenes fehlt uns — muß uns fehlen — : die Verfahren und Strukturen, in denen sich diese Hilfe vollziehen müßte (und wohl auch in der Akademie vollzog), können uns die Dialoge analogisch vorführen. Doch es bleibt nicht bei der modellhaften Vorwegnahme der Verfahrensweise. Denn das, was nicht in die Schrift eingeht, kann gleichwohl inhaltlich kenntlich gemacht werden durch eine umrißhafte Beschreibung, durch Hinweise auf seine Natur und Bedeutung. Die zweite Frage an die Dialoge muß daher lauten: geben sie zu erkennen, ob und worin sie einer Ergänzung und Vertiefung (nach Analogie der von Sokrates vorgeführten Fälle von ergänzender und vertiefender ) fähig und bedürftig sind? Auch hier wird sich zeigen, daß die Dialoge voll sind von Aussagen, die die Notwendigkeit weiterer Begründung und Abstützung ihrer eigenen Ergebnisse klar aussprechen. Als zweite Aufgabe ergibt sich also, hierher gehörige Dialogstellen auszugrenzen, ihre Typik zu beschreiben, ihre dramatische Funktion zu erfassen und ihre bisweilen durchaus nicht rätselhaften Hinweise auf den Inhalt des im Dialog Fehlenden auszuwerten. Man wird sich vielleicht verwundert fragen, aus welchen Gründen die Platonforschung diesen zwei Aufgaben, die sich doch mit direkter Konsequenz aus der Lektüre des Schlußteils des Phaidros ergeben und somit den Kern aller aufs Prinzipielle zielenden Prolegomena zu Platon ausmachen müssen, aus dem Weg zu gehen verstand. Zum entscheidenden Hindernis für eine adäquate Deutung von Platons Wertung von schriftlicher und mündlicher Philosophie wurde, wie schon angedeutet, die von Friedrich Schleiermacher inaugurierte Theorie der Dialogform, die sich freilich schon in ihrem Ursprung gerade als Auslegung des Schlußteils des Phaidros verstand und bis heute weitgehend so versteht. Sie empfahl sich zum einen durch subtile, oft treffende Einzelbeobachtungen zur Bedeutung der dialogischen Form für den Inhalt der Dialoge, zum ändern aber durch ihre antiesoterische Tendenz. Beides zusammen sorgte für den Schein einer reflektierten Weise, sich mit Platon zu befassen. Über der Subtilität der Einzelbeobachtungen im Rahmen dieser Theorie vergaß man die Naivität ihrer Grundannahmen über die schrift-
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stellerischen Zielsetzungen Platons, die sie ungeprüft modernen Überzeugungen anpaßte, und über die Wirkungsweise des Dialogs als Werkzeugs lebendiger Erkenntnisvermittlung, von der sie ein verschwommenes und weitgehend irrationales Bild zeichnete. Die Aufdeckung und Korrektur der einseitigen Vorentscheidungen der Dialogformtheorie soll indes nicht in den Mittelpunkt dieser Untersuchung gestellt werden25: der Befund der platonischen Texte muß für sich sprechen. Der erste Schritt zur Befragung des platonischen Werks unter den vom Phaidros vorgegebenen Gesichtspunkten muß bei eben diesem Dialog selbst getan werden: bestätigt der Phaidros als Ganzes unsere vorläufige Deutung des Schlußteils, gibt er Antwort auf die von dort her zu stellenden Fragen?
Einzelnes wurde in der Einleitung (5 f.) sowie in den Erläuterungen zum Schlußteil des Phaidros (17ff.) angemerkt. Für Leser, die die explizite Auseinandersetzung für wünschenswert halten, ist in Anhang I eine ausführliche Kritik der modernen Dialogtheorie beigefügt.
Kapitel 2 Phaidros: Der Gang des Dialogs 1) Die Handlung des Dialogs Zunächst gilt es, den Dialog als Drama zu verstehen, und das heißt: nach seiner Handlung zu fragen. Das Ziel der Handlung ist klar benannt an einem Wendepunkt des Dialogs, in dem Gebet an Eros am Ende des ersten Teils (257 b): der junge Phaidros soll für das philosophische Leben gewonnen werden. Das Gebet an Pan am Ende des zweiten Teils (279 bc) zeigt, daß das Ziel der Handlung erreicht wurde: indem Phaidros sich dem Gebet des Sokrates anschließt, macht er sich dessen Streben nach innerer Schönheit, also die Unterordnung seiner Lebensziele unter die Philosophie, zu eigen. (Ob Phaidros auf diesem Weg bleiben wird, kann nicht Thema des Dialogs sein, der einen Zeitraum von wenigen Stunden umspannt; aber die in einem solchen Zeitraum mögliche Handlung kommt zu ihrem Ziel.) Soweit haben wir nur die Grundzüge der Handlung. Um ihre Bedeutung zu erfassen, müssen wir präziser1 fragen: was für ein Mensch soll hier von welchem anderen für was für eine Sache gewonnen werden? Phaidros ist der Typ des Literaten: die Beurteilung literarischer Produkte ist für ihn das Höchste im Leben, der eigentliche Lebenszweck (258 e l — 2). Zwar kann er auch selbst hervortreten (242 b2) 2 , vor allem aber liebt er es, anderen literarisch geformte ,Reden' zu entlocken (242 a8 —b5, 243 d8 — e 2 ) und neigt dazu, sich rezeptiv zu verhalten: er schließt sich als Bewunderer dem Lysias an, den er für den fähigsten modernen Autor hält (228 a l —2); er hört dessen Lesung einer neuen Die Feststellung, daß „auch hier wieder der Kampf ... um die Seele der Jugend geht" (Friedländer, Platon III [31976] 201), nützt in ihrer Allgemeinheit noch nichts für die Klärung der im Schlußteil aufgeworfenen Fragen. Vgl. Phaidros' Rede auf den Eros, Symp. 178 a-180 b.
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Rede, veranlaßt ihn sogar zu mehrfachem Lesen, liest dann die Rede selbst nach und lernt sie auswendig. Das auswendig gelernte Meisterwerk will er dann dem Sokrates vortragen, doch als dieser darauf nicht eingeht, begnügt er sich mit dem Vorlesen (228 ab, d, 230 e). Denn Phaidros trägt die Rolle mit dem Wortlaut bei sich (228 d); seine Begeisterung für die literarische Autorität Lysias läßt ihn den Text sehr ernst nehmen: Phaidros ist buchgläubig. Und wie er an den jetzt modernen Mann glaubt, so auch an die jetzt gängige Bildung: er ist an rationaler Mythenerklärung interessiert (229 c), kennt die zeitgenössische Redekunst und ihre Theorie, beruft sich auf die Bücher, die sie enthalten (266 d), wagt aber nicht, die Redekunst anders zu denken als sie gemeinhin definiert wird: sie richtet sich für ihn auf Gerichts- und Volksreden (261 b), nicht auf das menschliche Sprechen überhaupt, besteht in einer formalen Schulung (266 d ff.) und hat es nicht mit der Wahrheit zu tun, sondern nur mit dem Wahrscheinlichen (259 e —260 a, vgl. 273 a). Was Sokrates mit diesem aufgeregten jungen Literaten zu tun haben soll, wäre schwer zu sehen — wäre nicht gerade seine Aufgeregtheit und Begeisterungsfähigkeit der geeignete Ansatzpunkt für den Fachmann der Erotik (257 a 7): sie will Sokrates auf ein besseres Objekt ausrichten. Hierfür gibt er zunächst ironisch vor, an der gleichen Art von Reden interessiert zu sein wie Phaidros und Lysias (227 b9 —11, 228 b6, 236 e). Und in der Tat kennt er all das, wovon Phaidros begeistert ist, nicht weniger gründlich (Mythenerklärung 229 c d, erotische Dichtung 235 b c, Rhetorik 266 dff.). Trotzdem glaubt man ihm nicht die Versicherung, er werde auf solche literarische Bewirtung nimmermehr verzichten können (236 e). Denn nirgends versucht er, seine Geringschätzung für Lysias und das ganze Bildungsniveau, für das dieser Name steht, zu verbergen. Dadurch wird er nicht nur zum dramatischen Gegenpol des jungen Phaidros, sondern ebenso auch zum geistigen Gegenbild von dessen Idol Lysias. Zwar bekommt Phaidros auch von Sokrates Reden zu hören, doch nicht mühsam ausgefeilte Kunstprosa, wie bei Lysias (228 al), sondern lebendige Stegreifreden (so will es jedenfalls die dramatische Fiktion Platons, der wir zunächst folgen müssen). Vor allem aber bekommt Phaidros von Sokrates kein Buch mit, das er zu Hause auswendig lernen könnte: statt dessen wird er schon im Verlauf des Dialogs mehrfach darauf gelenkt, seine Buchbildung zu vergessen und den Blick auf Wichtigeres zu lenken (so 229 c ff. anläßlich der Mythenexegese; 259 e, 261 b anläßlich der Bestimmung der Kunst der Rede), bevor ihm
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schlie lich im Schlu teil die Wertlosigkeit des Buches generell erl utert wird. Das Wichtigere ist die Frage, wie es sich mit den Sachen wirklich verh lt (270 c, 275 c), die philosophische Frage nach der Wahrheit (sie beherrscht ab 259 e den Dialog und war schon vorangedeutet 234 e6, 237 c l-3, 242 e-243 a, 244 a, 246 a4-6). Entscheidend wichtig ist, da die Art von Bildung, die Phaidros hinter sich lassen soll, im Dialog als Buch gegenw rtig ist, w hrend die philosophische Bildung, f r die er gewonnen werden soll, sich in der Form des pers nlichen Gespr chs darstellt. Dieser Unterschied hat zweifellos symbolische Bedeutung f r die Aussage des Dialogs als Ganzen. Die Handlung des Dialogs besteht demnach, genauer erfa t, darin, da der autorit ts- und bildungsgl ubige Phaidros von der Buchbildung weg und hin zum eigenst ndigen Denken gef hrt werden soll. Diese Befreiung vom Buch kann aber nicht wieder durch ein Buch vollbracht werden, sondern allein durch das pers nliche Gespr ch3. Indem Phaidros f r die Philosophie gewonnen wird, wird er zugleich in betonter Weise f r das m ndliche Philosophieren im Gespr ch gewonnen4. Er wird schon vor dem Schlu teil, durch den Gang der Handlung selbst, aufgefordert, philosophischen Ernst von Geschriebenem gar nicht erst zu erwarten — so wenig wie der vern nftige Bauer auf Ertrag aus dem Adonisg rtchen hoffen wird. Oder, in Begriffen der Rhetorik: er wird aufgefordert, eine Rhetorik zu verlassen, bei der sich durch Berufung auf Autorit ten oder gar durch deren Auswendiglernen etwas erreichen l t, und bei der man ein beliebiges Gegen ber zum Zweck des Einstudierens w hlen kann (vgl. 228 e l — 2 ) . Er soll sie verlassen zugunsten der wahren ,Rhetorik' oder Dialektik, die erst zur Wirkung kommt, wenn der Redende die Seele seines individuellen Gegen bers erkennt (παραγιγνόμενον ... διαιοθανόμενοο 271 e4) und nunmehr in der Lage ist, der Situation entsprechend zu sprechen oder einzuhalten (προολαβόντι καιρούο του πότε λεκτέον και έπιοχετέον 272 a4). Das Buch kann allenfalls — wie der Phaidros selbst — mitteilen, da es eine Befreiung gibt, und Hinweise ber den Weg dorthin geben. Ob die Mitteilung verstanden wird und ob es zur Befreiung von der Buchgl ubigkeit kommt, das liegt notwendig au erhalb der Reichweite des Buches. Es ist klar, da diejenige Interpretation, die in der Schriftkritik des Schlu teils eine verkappte Empfehlung der indirekten Mitteilungsform des geschriebenen Dialogs sieht, neben anderem auch die Handlung des Dialogs verkennt. In die Sprache der dramatischen Handlung bersetzt, w rde diese Interpretation besagen, da Sokrates dem buchgl ubigen Phaidros das Buch des Lysias aus der Hand nimmt, nur um ihm neue Lekt re, diesmal von Platon, in die Hand zu dr cken — womit die ganze sorgsam aufgebaute Symbolik des Gegensatzes „Hie Buch - hie Gespr ch" verloren ginge.
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Aus diesem Grund ist Sokrates mit Phaidros in diesem Gespr ch allein: was er ihm zu sagen hat, hat er ihm pers nlich zu sagen; einem anderen w rde er es anders sagen — oder auch nicht sagen, je nach der Situation und der Natur des Partners. Die Frage nach der Bedeutung der Handlung ist damit freilich keineswegs schon ersch pfend beantwortet, sie wird uns daher im folgenden weiter begleiten, wenn wir nach dem Thema des Dialogs fragen.
2) Handlung und Thema Es ist ein altes Problem der Phaidrosinterpretation, was denn eigentlich das Thema des Dialogs sei. Die zwei Hauptteile (227 a — 257 b, 257 b — 279 c) sind nicht nur nach Stimmung und Stil, sondern gerade auch inhaltlich scharf gegeneinander abgesetzt. Die Einheit scheint gerade dem Dialog zu fehlen, der die Forderung ausspricht, ein literarisches Werk m sse eine organische Ordnung aufweisen wie der K rper eines Lebewesens (264 c)5. Die Themen der Hauptteile je f r sich betrachtet scheinen hingegen ganz unproblematisch: die drei Reden, die den ersten Teil fast ganz ausf llen, handeln von Eros und Psyche, im zweiten Teil geht es um die Rhetorik. Das einheitsstiftende Band des ganzen Dialogs suchte man daher in den sachlichen Gemeinsamkeiten, die Liebe, Seele und Rede verbinden. Aber diese Art, das Thema der Hauptabschnitte durch einen plakativen Begriff zu bestimmen, nimmt zu wenig R cksicht auf die Entfaltung des Gedankengangs und der Handlung — und schafft so selbst erst das „Problem" der Einheit des Phaidros. Sieht man genauer hin, so wird man im zweiten Teil nicht allein auf den Begriff Rhetorik gelenkt, sondern vor allem auf die Frage, welche Art von ,Kunst der Rede' die berlegene sei. Die Er rterung nimmt ihren Ausgang von der Feststellung, da gewisse Politiker dem Lysias das Redenschreiben zum Vorwurf machten (257 c). Sokrates weist sogleich nach, da auch sie als Urheber von Volksbeschl ssen Verfasser von schriftlich festgehaltenen ,Reden' (von λόγοι ουγγεγραμμένοι oder ουγγράμματα) sind; am Schreiben selbst 5
E. Norden, Die antike Kunstprosa I, Leipzig 1898, 112: „Der Phaidros ist darin - sc. ,ein gro es Ganzes gut zu komponieren' - verfehlt".
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ist nichts Unrechtes (258 d) - der Streit geht in Wirklichkeit schon f r Politiker und Logographen allein darum, was die richtige Art des Schreibens sei, und erst recht f r Sokrates selbst. So entwirft er eine ideale Rhetorik, die der blichen unendlich berlegen ist durch ihre Kenntnis der Wahrheit. Erst von dieser umfassenden Redekunst aus — die sachlich identisch ist mit der philosophischen Dialektik — l t sich auch bestimmen, unter welchen Bedingungen das Schreiben ein Schimpf sein kann: dann n mlich, wenn der Schreibende die Wahrheit nicht kennt, wenn er nicht ,Dinge von h herem Wert' (τιμιώτερα) f r die m ndliche Darlegung bereit hat, kurzum: wenn er kein φιλόοοφοο ist (278 c —e). So ist das anf ngliche absch tzige Urteil der Politiker ber die Logographen ersetzt durch eine berlegene, weil sachlich fundierte Abwertung des Schreibens. Dieselbe agonale Ausrichtung, wie man es nennen k nnte, bestimmte aber auch schon den ersten Teil: vor der Frage nach dem Wesen von Eros und Psyche stand die Frage, wie sich der Vorzug des Nichtverliebten, von dem Lysias' Rede handelte, in einer berlegenen Darstellung behaupten lie e. Erst die Aufgabe, Lysias zu berbieten, bringt Sokrates dazu, seinerseits zwei Reden zu halten. In der Art, wie diese Aufgabe gestellt und angenommen wird, ist bereits eine Vorentscheidung dar ber enthalten, welcher Art die τιμιώτερα des Philosophen sein m ssen. In seiner Begeisterung f r den Erotikos logos des Lysias behauptet Phaidros, niemand k nne ber dasselbe Thema anderes und mehr vorbringen, das zugleich bedeutender w re (ετέρα τούτων μείζω και πλείω περί του αύτοΟ πράγματοο 234 e3). Sokrates kann ihm hierin nicht beipflichten — und mit diesem Widerspruch ist er bereits in den Wettstreit mit Lysias eingetreten, dessen Bedingungen im folgenden noch mehrfach genannt werden: die berlegenheit der n chsten Rede ber den Eros wird auf zus tzlichen Argumenten beruhen m ssen, die die bisherigen nicht nur an Quantit t, sondern vor allem an Qualit t (Bedeutung, ,Wert') bertreffen: gefordert sind αλλά πλείω και πλείονοο άξια (235 b4) 6 . Abmildernd wird noch pr zisiert, da nicht alle Argumente neu sein m ssen — Grundlegendes mu bleiben, da es ja weiterhin um dieselbe Sache geht und auch Zus tzliche (andere) Argumente: έτερα τούτων 234 e3, άλλα 235 b4, παρά ταύτα ... έτερα c6, ετέρα d7, 236 b2, παρά την εκείνου οοφίαν έτερον τι b7; Quantit t der Argumente: πλείω 234 e3, 235 b4, 236 b2, μη έλάττω 235 d7; Bedeutung der Argumente: μείζω 234 e3, μη χείρω 235 c6, βελτίω 235 d 6, vor allem πλείονοο αξνα (.Wertvolleres') 235 b5, 236 b2.
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Lysias nicht schlechterdings alles verfehlen konnte; die Forderung nach Wertvollerem (πλείονοο αξία) wird jedoch ausdr cklich aufrecht erhalten (235 e —236 b). Die von Phaidros formulierte Forderung nach mehr und Besserem wird von Sokrates in aller Form akzeptiert (235 c5 —6) 7 ; durch diese bereinstimmung der Gespr chspartner sind die Weichen f r die kommenden Er rterungen gestellt: die berlegenheit einer Darlegung ber die andere ist von vorneherein unter das Kriterium der gr eren Vollst ndigkeit und vor allem der gr eren Bedeutung (des gr eren , Werts') des Inhaltes gestellt. Dieser leitende Gesichtspunkt wird unver ndert festgehalten bis hin zur berlegenheit der τιμίώτερα — das Wort bedeutet nichts anderes als πλείονοο αξία in 235 b5, 236 b2 - der m ndlichen Darlegung des Philosophen ber die φαύλα seiner eigenen schriftlichen. Am Schlu des Dialogs greift Platon in auff lliger Weise auf die Vorentscheidung ber die Natur der τιμίώτερα zur ck: nun wird auch Isokrates im Wettstreit mit Lysias gesehen, und Sokrates versichert, ein g ttlicherer Trieb' werde den jungen Redner dereinst ber den Bereich, in dem Lysias sich bewegt, hinausf hren ,auf Gr eres' (επί μείζω 279 a 8 ~ 234 e3), denn von Natur wohne dem Denken des Mannes so etwas wie Philosophie inne (278 e5 —279 b3). Da das Werk des Isokrates hier unter dem Gesichtspunkt des Inhaltes ber das lysianische hinausgehoben wird, ist unbestritten8. Die Erkl rung seiner ,gr eren Dinge' durch einen g ttlicheren' Trieb und ,eine Art Philosophie' (φιλοοοφία τιο) zeigt, da auch die unmittelbar zuvor er rterte berlegenheit der m ndlichen τιμιώτερα des gottnahen (278 d3-5) Philosophen auf dem Inhalt beruhen mu . Die im Kampf um die berlegenheit vorgef hrten Reden des ersten Nat rlich ziert sich Sokrates dann doch - wie vorher Phaidros: 228 ab - und versichert, er k nne Lysias inhaltlich nicht berbieten (236 b7). Die Forderung selbst, da ein berlegener Logos Besseres bieten m sse, ist durch diese sokratische είρωνεία selbstverst ndlich nicht aufgehoben. Die Wiederholung des Motivs des καλλωπίζεοθαι (236 d6, vgl. έθρύπτετο 228 c2) will zeigen, da Sokrates ebenso begierig ist, eine bessere Darlegung zu geben, wie Phaidros begierig war zu rezitieren. - G. J. de Vries sah weder, da Sokrates die Forderung des Phaidros ausdr cklich anerkennt, noch da er sie faktisch in seinen Reden erf llt, weswegen er in einem gegen meine Interpretation (Mus. Helv. 35, 1978, 28) gerichteten Beitrag die Ansicht vertreten konnte, der Ruf nach μείζω και πλείω diene lediglich zur Charakteristik des φιλόλογος Phaidros (Mus. Helv. 36,1979, 62). Aber selbstverst ndlich kommt alles darauf an, zu erkennen, wie Sokrates die naive Forderung in eine philosophisch bedeutsame Fragestellung umwandelt. Isokrates spricht seinerseits beim inhaltlichen Vergleich des Wertes verschiedener Mathemata von τα σπουδαιότερα και πλείονος αξία 15.265 (wohl nicht ohne Anspielung auf die Problematik des ,Phaidros').
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Teils behandeln ihrerseits einen Streit um den Vorrang. Ihr Thema ist: welchen Liebhaber soll ein sch ner Knabe als den besseren, den berlegenen anerkennen, den verliebten oder den nicht verliebten? Die Frage entwickelt sich zu einem Wettstreit zwischen zwei Arten von Liebe; es h ngt von der Natur der Seele des Liebhabers ab, mit welcher Art von Liebe er dem J ngeren begegnen wird; es k mpfen also letztlich verschieden gestaltete Seelen um den Vorrang. Als die beste erweist sich die Seele, die am meisten vom wahren Sein erblickt hat (248 d) — es ist die Seele des Philosophen; seine Wahl des Geliebten richtet sich nach der Wesensverwandtschaft der Seelen (252 de). Die berlegene Art von epcoc wendet sich nicht einem beliebigen Partner zu, sondern gilt dem Partner als Person — so wie auch der berlegene λόγοο nicht, wie das Buch, jederzeit zu jedermann spricht, sondern im rechten Kttipoc in pers nlichem Gespr ch zur ψυχή προοήκουοα9: philosophische Rhetorik' und philosophischer epooc sind eins in der Gestalt des m ndlich philosophierenden Dialektikers. Nunmehr ist es m glich, Thema und Handlung des Dialogs in ihrer Verbindung zu sehen: Thema ist die Frage, welche Art von λόγοο berlegen ist, wobei berlegenheit als inhaltliche verstanden wird. Die Antwort lautet: der geschriebene λόγοο des Philosophen ist den Schriften anderer berlegen, sein m ndlicher λόγοο aber seinen eigenen Schriften. Der dem Thema immanente Wertvergleich bestimmt auch die Handlung: Phaidros soll f r den berlegenen έραοτήο, f r den berlegenen Redelehrer, f r die berlegenen λόγοι gewonnen werden10. Seine Entscheidung: er optiert f r den m ndlich philosophierenden Sokrates und die von ihm skizzierte — nicht ausgef hrte — Rhetorik. Die inhaltlich verstandenen τίμιώτερα des m ndlichen Philosophierens sind der Zielpunkt sowohl der gedanklichen Entfaltung des Themas als auch der dramatischen Entfaltung der Handlung. 3) Das Verh ltnis der Teile des Dialogs zueinander a) Der Geltungsbereich der Kritik der λόγοι Die von Sokrates ihrem allgemeinen Charakter nach gekennzeichneten λόγοι des Dialektikers und die dazugeh rige Art des Umgangs mit ' 272 a 4 προολαβόντι καιρούο του πότε λεκτέον και έπιοχετέον, 276 e6 λαβών ψυχήν προοήκουοαν. 10 Vgl. Sokrates' Anrede an seine λόγοι zum Entwurf einer idealen Rhetorik: πάριτε δη, ... Φαϊδρον πείθετε 261 a3.
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,Reden' sind allen anderen λόγοι und jeder anderen Rhetorik berlegen. Ein solches Urteil setzt voraus, da Sokrates alle λόγοι berblickt. Es ist daher kein Zufall, da er immer wieder daf r sorgt, da die Er rterung nicht auf eine bestimmte Art von λόγοι eingeengt wird: die Ausrichtung des Blickes auf das Prinzipielle in allem Reden und Schreiben ist um des Zielpunktes willen unerl lich. Sokrates sieht in seiner philosophischen Rhetorik oder Dialektik nichts Geringeres als die Erforschung der Grundlagen des menschlichen Sprechens und Denkens schlechthin (266 b). Jede Interpretation, die dem Schlu teil des Phaidros die Ablehnung einer bestimmten Art von Schriften (etwa von „Lehrschriften")11 oder die implizite Empfehlung einer bestimmten anderen Art (etwa des Dialogs) unterlegen m chte, liest nicht nur Dinge in den Text hinein, die nun einmal nicht in ihm stehen, sondern setzt sich auch in Widerspruch zur Gedankenbewegung des Dialogs als Ganzen. Die Er rterung beginnt zwar mit einer bestimmten Rede, dem Erotikos des Lysias, und erh lt zu Beginn des zweiten Teils einen neuen Impuls durch den gleichfalls nur individuell gemeinten Vorwurf gewisser Politiker, Lysias sei ein ,Redenschreiber' (257 c). Eben deswegen weist Sokrates sogleich nach, da auch Politiker auf das Redenschreiben erpicht sind: ihre ουγγράμματα sind die in Stein gemei elten Volksbeschl sse (257 e —258 c)12. Doch die Gleichstellung von privaten Redenschreibern, Politikern und Gesetzgebern als Logographen (258 c2) ist selbst noch ein vergleichsweise partikul rer Schritt und dient nur der Vorbereitung der Ausweitung der Untersuchung auf alle, die je schrieben oder schreiben werden, gleichg ltig, welcher Art ihre Schrift war oder sein wird13. Und auf diese Ausweitung folgt sogleich eine weitere, noch prinzipiellere: es m ssen nicht nur die Bedingungen des richtigen Schreibens untersucht werden, sondern ebenso die des richtigen Redens14. Denn die Redekunst, auf die Sokrates hinaus will, regelt alles menschliche Sprechen, ffentli11 11
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„Der Lehrschrift gegen ber tritt der m ndliche Logos" Friedl nder III 220 (zu Phdr. 274 a ff.). Diese Stelle w rde schon gen gen, um zu zeigen, da σύγγραμμα f r Platon nicht „Lehrschrift" bedeutet: Volksbeschl sse sind keine Traktate. Zur Bedeutung von σύγγραμμα s. Anhang II. Λυσίαν ... και άλλον οστισ πώποτέ τι γέγραφεν ή γράψει, είτε πολιτικόν σύγγραμμα είτε Ιδιωτικόν, εν μέτρφ αχ ποιητήσ ή' δνευ μέτρου ώσ Ιδιώτησ 258 d8-ll. Diese Ausweitung vom zuf lligen Beispiel Lysias auf alle Autoren berhaupt kehrt noch zweimal in sprachlich sehr hnlichen Wendungen wieder: είτε Λυσίασ ή uc δλλοσ πώποτέ £γραψεν ή' γράψει Ιδία ή δημοσία 277 d6-7, Λυσία τε και ει τισ δλλοσ συντίθησιν λόγουσ 278 c 1. τον λόγον οπή καλώσ έ"χει λέγειν τε και γράφειν και δπη μη, σκεπτέον 259 el -2.
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ches und privates, ber kleine und gro e Dinge (261 a7 — b 2 ) , sie ist eine Kunst all dessen, was in der Sprache erscheint15. Ohne sie wird schlichtweg nichts kunstm ig (τέχνη) gesagt oder geschrieben werden k nnen (271 b7 — c l ) , denn ihre Grundlage ist die dihairetische Kunst selbst, die das richtige Denken lenkt (266 b4 —5). Es entspricht der vielfach hervorgehobenen Grunds tzlichkeit dieser Er rterungen ber die wahre Rhetorik, da sie ihre Fortsetzung in einer ebenso grunds tzlichen Kritik der Schrift schlechthin (der γραφή) finden (274 b ff.), und da bei der Auszeichnung jener einen Art von λόγοο, die ,gro en Ernstes wert' ist, alle geschriebenen und gesprochenen λόγοι in einer umfassenden Dihairesis ber cksichtigt sind (277 e —278 a). Die Schriftkritik mu im Zusammenhang des Entwurfs der wahren Redekunst verstanden werden, die sich nicht nur ber die mitzuteilenden Dinge und die sie aufnehmende Seele, sondern drittens auch ber die Natur der Medien der Mitteilung (Wort und Schrift) im Klaren ist. Es war daher von vornherein zu erwarten, da in diesem Abschnitt die M ngel der Schrift in voller Allgemeinheit zur Sprache k men; da dies der Fall ist, hat die Einzelinterpretation Punkt f r Punkt gezeigt16. Es kann keine Rede davon sein, da Platon seine eigenen Werke von der Schriftkritik ausnehmen wollte. Da er vielmehr bei der Erw hnung der schriftlichen παιδιά des Dialektikers einen deutlichen Hinweis auf sein Hauptwerk einflie en lie 17, k nnen wir mit Sicherheit annehmen, da er auch in der Beschreibung des m ndlichen ,Ernstes' des Philosophen nicht zuletzt sein eigenes Wirken vor Augen hatte: Platon sah sich als den Autor, der berlegene τιμιώτερα f r das m ndliche Philosophieren bereith lt. Eben dies machte ihm die Einbeziehung der eigenen Schriften in die Schriftkritik leicht.
b) βοηθεΐν und τιμιώτερα im ersten und zweiten Hauptteil Die Hilfe, die unserer Deutung des Schlu teils aus dem Verst ndnis der Handlung des ganzen Dialogs (oben 24 — 30) und der Gedankenbewegung des zweiten Hauptteils (30 — 32) erw chst, wird vielfach erg nzt und konkretisiert durch eine Analyse der einzelnen Stufen, in denen sich die berlegenheit der sokratischen Rhetorik entfaltet. περί πάντα τα λεγόμενα μία nc τέχνη 261 el-2. Vgl. oben 7 ff. Zu μυθολογεΐν 276 e3 vgl. oben 14.
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1. Welche Reden stehen in Konkurrenz zueinander? Die berlegenheit der m ndlichen Rede, von der der Schlu teil handelt, im Phaidros selbst nachzuweisen, ist gewi ein naheliegender Gedanke. So wollte man den zweiten Teil, der in gewohnter platonischer Manier die Er rterung in Frage und Antwort vorantreibt, insgesamt als Illustration des lebendig improvisierenden Gespr chs dem ersten Teil gegen berstellen, der mit seinen langen Reden zum Bereich der Schriftlichkeit, zumindest der fertigen literarischen Produkte geh re18. Diese Auffassung geht von der richtigen Beobachtung aus, da die Reden des Sokrates nicht minder ausgefeilt sind als die des Lysias. Sie aus diesem Grund mit der Lysias-Rede der Seite der Schriftlichkeit zuzuweisen, hei t freilich einen Standpunkt gleichsam au erhalb des Dialogs zu beziehen. Sokrates' perfekte Beherrschung der rhetorischen Mittel darf uns nicht hindern, die fiktive Situation des Gespr chs zun chst zu akzeptieren: diese Meisterreden sind improvisierte Reden (vgl. αύτοοχεδιάζων 236 d5), sie werden nicht verlesen — dieser Unterschied ist betont 243 e2 — , aus ihnen wird sp ter denn auch nicht w rtlich zitiert wie aus der LysiasRede (262 e, 263 e)19. berdies w re die berlegene m ndliche Darlegung, wenn wir die Z sur nach der gro en Eros-Rede des Sokrates legten, unter dem entscheidenden Aspekt, n mlich dem des Inhalts, nicht mehr kommensurabel mit der unterlegenen: ber den Eros wird im zweiten Teil nichts Neues gesagt, ber die Seele nur so viel, da sie unter diesen und diesen Gesichtspunkten zu behandeln w re. Die berlegene Rede mu jedoch von derselben Sache (περί του αυτού πράγματοο 234 e3) handeln wie die, die sie bertreffen will20. Der inhaltliche Wertvergleich, in dem Lysias und mit ihm die Bildung 18
Klein I.e. (oben 13 Anm.7] 14f.: im zweiten Teil setzen Sokrates und Phaidros die gesprochene Rede wieder in ihr Recht ein „instead of exchanging elaborate speeches, that is, written or dictated words" (15). Mit „dictated words" meint Klein den Umstand, da Sokrates seinen ungewohnten Redeflu fremden Kr ften zuschreibt. S. dazu die n chste Anmerkung. " Erst sp ter wird einsichtig, inwiefern Sokrates durch seine m ndlich improvisierende Beherrschung der rhetorischen Kunstmittel durchaus nicht in die N he des Lysias und seinesgleichen ger ckt wird, sondern gerade dadurch das Programm der idealen dialektischen Rhetorik illustriert: der dialektische Redner wird die προ tfjc τέχνης αναγκαία μαθήματα (269 b7-8), d. h. das Wissen und K nnen der blichen Rhetorik, nach Ma gabe seiner Einsicht in die Gesetze der wirklichen Redekunst souver n einsetzen, und zwar im pers nlichen, m ndlichen Gespr ch: 271 e2-272 a8. 10 Da man in anderem Sinne doch auch von einer berlegenheit des zweiten Teils sprechen kann, wird unten 40 ff. er rtert werden.
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aus B chern schlie lich unterliegt, hat in Wirklichkeit schon lange vor dem zweiten Hauptteil eingesetzt: dort n mlich, wo Sokrates die Vorz glichkeit der Rede des Lysias anzweifelt und sich bereit erkl rt, in den Wettstreit einzutreten (234 eff.). Ab hier hat Sokrates - sozusagen die Inkarnation des m ndlichen Philosophierens — das Wort, ab hier k nnen wir Aufschl sse ber das, worum es ihm bis zum Schlu zu tun ist, erwarten. Da wir wirklich hier einsetzen m ssen, sagt Platon selbst: die beiden Reden des Sokrates enthalten Dinge, die derjenige kennen mu , der eine Untersuchung ber Reden anstellen will (264 e7 —8) 21 . Gemeint ist die genaue Bestimmung des Eros durch eine dialektische Begriffsanalyse, deren Momente διαίρεαο und ουναγωγή die Grundlagen des richtigen Denkens und Sprechens (266 b4 —5) und damit auch der umfassenden, alles menschliche Reden (261 el —2) regelnden idealen Rhetorik sind. Im Vergleich mit diesem wahrhaft ,kunstm igen' Verfahren, das in Sokrates' Reden wie zuf llig (265 c 9) in Erscheinung tritt, erweisen sich die Regeln der herk mmlichen Rhetorik als ein prop deutisches Wissen (τα προ ifjc τέχνηο αναγκαία μαθήματα 269 b7-8). Die Reden des Sokrates enthalten also Beispiele von Dialektik, sie beruhen mithin auf der Kenntnis der Wahrheit ber die όντα. Damit ist die eine Bedingung wahrer Redekunst (262 b, 273 e, 277 b) erf llt22. 11
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Von der Rede des Lysias hingegen kann man nur im Negativen lernen, sie enth lt Beispiele f r das, was man meiden soll (264 e5 — 6). Diese Stelle macht es klar, da die ατεχνα und die δντεχνα, die Sokrates in den drei Reden aufzeigen will (262 c5 —7), sich nicht gleichm ig auf alle drei verteilen, sondern die οτεχνα allein dem Lysias geh ren, die έντεχνα allein dem Sokrates. Schon aus diesem Grund k nnen „die beiden Reden" (τω λόγω), die Beispiele daf r enthalten, wie „der, der die Wahrheit wei ", die H rer irref hren kann (262 d l -2), nur die beiden Reden des Sokrates sein, denn solche Irref hrung durch den ,Wissenden' ist Zeichen der ,Kunst', sie beruht ja auf Kenntnis des v (262 b5-8); Lysias ist gewi nicht der είδώο το άληθέο. berdies bezeichnet der Dual nicht einfach „zwei Reden", sondern „die beiden Reden", also die zusammengeh rigen. F r Sokrates geh ren aber seine eigenen Reden zusammen, da sie erst zusammen μανία und Iptoc dihairetisch erfassen (265 a2-266 bl). Daher steht der Dual im folgenden stets f r Sokrates' eigene Reden (265 a2, 266 a3 usw.). In 243 c 2 lag die zweite Rede des Sokrates noch nicht vor, daher konnten dort die zwei bislang gehaltenen mit dem Dual zusammengefa t werden (ihre Zusammengeh rigkeit lag dort in ihrer Unversch mtheit (άναιδώο), auf die jetzt nicht mehr angespielt wird). - Robin I.e. (oben 11 Anm.4) 66 versteht unter τω λόγω 262 dl die Rede des Lysias und die erste des Sokrates, Hackforth I.e. 125 A. l die Rede des Lysias und die beiden Reden des Sokrates, die zusammen als eine Rede zu rechnen w ren. Beide Erkl rungen machen Lysias zu einem είδακ: το άλη9έθ (das ist ungef hr so, als wollte man Kallikles im Gorgias zu einem Verfechter der Gerechtigkeit machen), die zweite ignoriert zudem, da die vermeintlich eine Doppelrede soeben im Plural (262 c 6) genannt worden ist. Freilich nur bis zu einem gewissen Grad; zu Platons Einschr nkungen s. unten 43 ff.
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Die andere Bedingung lautet, da der wissende Redner die Seele des Angeredeten kennen mu und im richtigen Augenblick durch Sprechen und Zur ckhalten der Rede auf ihn pers nlich (παραγιγνόμενον) einwirken mu (271 e2 —272 a 8, 277 bc). Da auch diese Bedingung erf llt ist, macht Platon mehrfach deutlich: w hrend Lysias seine Rede εν πολλω χρόνφ κατά οχολήν ουνέθηκε (228 a 1), und das hei t doch wohl: alleine und ohne R cksicht auf ein bestimmtes Gegen ber und eine bestimmte Gelegenheit des Vertrags schriftlich ausarbeitete, hat Sokrates die individuelle Veranlagung des Phaidros — seine Begeisterungsf higkeit — und seine augenblickliche Seelenlage — seine Benommenheit von der Kunst des Lysias und seine Begierde, vor Sokrates durch seinen Vortrag zu gl nzen — dazu ben tzt, ihn in Reden, die pers nlich an ihn gerichtet waren23, zu Besserem hinzuf hren, indem er ihm gewisse Dinge mitteilte, andere vorenthielt24. Da Sokrates in seinen Reden die Bedingungen wahrer Rhetorik erf llt, verwundert es nicht, da sie als Reden eines είδώο το άληθέο bezeichnet werden (262 dl) 2i . Vor diesem Hintergrund ist also die Auszeichnung der gebenden und beseelten Rede des Wissenden' als Urbild des sinnvollen Sprechens im Schlu teil zu verstehen (276 a 8). Die beiden Eros-Reden des Sokrates sind — innerhalb des fiktiven Rahmens, in den sie das Dialogdrama stellt — als gebende und beseelte Reden' aufzufassen. Damit gilt es Abschied zu nehmen von der Vorstellung, da Platon im Phaidros eine Theorie des Wechselgespr chs als einzig legitimer Form der Darstellung von Philosophie gibt und in den beiden Hauptteilen die berlegenheit des Frage-und-Antwort-Verfahrens und die Unterlegenheit der »systematischen' Entwicklung eines Themas illustrieren will: das zun chst ,abgebildete' Beispiel einer gebenden' Rede eines Wissenden unterscheidet sich von der konkurrierenden Darlegung des blo en ουγγραφεύο λόγων gerade durch die systematische', d. h. dem Zwang der Sachen folgende Ordnung der Gedankenentwicklung26 und nicht 13
Das ist w rtlich ausgesprochen 243 e4 —8, 257 b4 —7 und war schon angedeutet 238 d7. Die Kunst des wahren Redners kommt nur im M ndlichen zur Entfaltung, vor dem pers nlich .anwesenden' H rer: παραγιγνόμενον 271 e3, παροΰοα 272 a 2. So ist auch Phaidros f r Sokrates ,zugegen' (πάρεοτιν 243 e7). " Da Sokrates' Reden nicht nur das λεκτέον, sondern auch das έπιοχετέον (272 a 4) illustrieren, wird unten 44 f. gezeigt. " Zu τω λόγω vgl. oben Anm. 21. - Der Gegensatz zum blichen Nichtwissen des Sokrates (235 c 7 - 8, 262 d 5) wird gemildert durch die Versicherung, die Beispiele des wissenden Gebrauchs der Rede seien nur ,zuf llig' bei ihm zu finden. Vgl. 42 ff. " Die Wichtigkeit des systematisch richtigen Einsatzes f r die klare und widerspruchsfreie Entfaltung des Folgenden betont Sokrates 237 cd, 263 e, 265 d.
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zuletzt auch durch den mehr als dreifachen Umfang, der erst eine zusammenh ngende Entfaltung in Klarheit schaffender Ausf hrlichkeit erm glicht. Die berlegenheit solcher Rede beruht nicht auf einer anderen Mitteilungsweise (etwa der ,indirekten' Mitteilungsform gegen ber einer ,direkten' bei Lysias27), sondern darauf, da sie ,in der Seele des Lernenden — hier des jungen Phaidros — geschrieben wird' (276 a 5). Die berlegenheit der lebenden Rede mu sich konkret darin zeigen, da sie sich zu verteidigen imstande ist (δυνατόο άμΰναι έαυτφ 276 a6). Platons παράδειγμα (262 dl) w re schlecht gew hlt, wenn das geschriebene ,Abbild' lebender Rede nicht auch abgebildet h tte, wie dieses Kriterium zu erf llen ist. ,Sich verteidigen' setzt einen Angriff voraus (275 e3 —5), zumindest eine kritische Pr fung, einen ελεγχοο (278 c5). Ihre Funktion als παράδειγμα f r die wahre Rhetorik k nnen die Eros-Reden des Sokrates erst erf llen, wenn sie zusammengenommen werden mit dem, was anschlie end ber sie gesagt wird. So wie der zweite Hauptteil den ersten als »Beispiel' f r den Nutzen der Dialektik f r die Redekunst nimmt, so sind erster und zweiter Hauptteil zusammen als ,Beispiel' daf r zu nehmen, wie sich die berlegenheit der Dialektik in der Pr fung bew hrt. ,Lebende und beseelte Rede des Wissenden' sind die Ausf hrungen des Sokrates, wie wir sagten, im Rahmen des Dialoggeschehens. Wir, die Leser, sind nicht Teil der dramatischen Szene: f r uns existieren diese Reden nur in dem Buch „Phaidros" als λόγοι γεγραμμένοι, mithin als ,Abbild' lebendiger Rede. Damit w chst dem platonischen παράδειγμα eine weitere, der ersten scheinbar widersprechende Aufgabe zu: als schriftliche παιδιά mu es zugleich auch seine Unterlegenheit im Vergleich mit den m ndlichen τιμιώτερα, die den ,Ernst' des Philosophen ausmachen, veranschaulichen. Der Widerspruch ist freilich nur ein scheinbarer, Platon l st die beiden Aufgaben durch ein und dasselbe Mittel: indem er aufzeigt, da zur Festigung der Ergebnisse der Eros-Reden noch bestimmte andere Ergebnisse methodisch zu erarbeiten w ren, und indem er diese weiteren Schritte nur benennt, aber hier nicht vollzieht. Damit ist in einem gezeigt, da ,Sokrates' nicht ratlos vor der Aufgabe der tieferen Begr ndung des (von ,Platon') schriftlich Dargelegten steht, sondern sehr pr zise Vorstellungen dazu hat, und da das Vorliegende 17
Auch Lysias bedient sich, wenn man so will, der ,indirekten' Mitteilungsform, da er doch selbst ,anonym' bleibt hinter der Maske des nichtverliebten Liebhabers. Schon dies zeigt, da das in der Moderne aufgebl hte „Problem" der „Anonymit t" Platons f r Platon selbst kein entscheidendes Gewicht gehabt haben kann. Vgl. Anhang I, S. 348 f.
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ein Geringeres (φαυλον) ist im Vergleich zu einer m ndlichen Darlegung, die jene Begr ndung als seine τιμιώτερα enthielte.
2. Angriff und
berlegene Antwort: ein Aufstieg in Stufen
berlegenheit der philosophischen Darlegung im ελεγχοο bedeutet Unterlegenheit der unphilosophischen. Wenn Lysias den Namen φιλόοο(poc verdiente, so h tte er Phaidros im pers nlichen Gespr ch kraft seiner dialektischen Kunst λόγοι mitgegeben, die sich selbst und dem Urheber zu helfen imstande w ren (276 e5 —277 a 1). Das Dialoggeschehen zeigt, da das Buch, das Phaidros statt m ndlicher Dialektik von Lysias mitbekam, ihn nicht zur Hilfe f r den λόγοο und seinen Urheber bef higt hat. Phaidros kann der Kritik des Sokrates, die sich anf nglich auf das Formale zu richten schien (234 e —235 a), dann aber mehr und mehr den Inhalt (242 e — 243 d) und die Verankerung des Formalen im Inhaltlichen (262 e —264 e) in den Vordergrund r ckt, nichts entgegensetzen und bef rchtet, Lysias werde selbst den Wettstreit mit Sokrates aufgeben (257 c). Dieser Fortgang des Geschehens, in dem Phaidros allm hlich von einem Bewunderer des Buches des Lysias zu einem aufgeschlossenen H rer der Worte des Sokrates wird, bringt es freilich mit sich, da er seinerseits keine Kritik an dessen berlegener m ndlicher Darlegung vorbringt. Die Situation des βοηΟειν τω λόγω ist also f r Sokrates nicht voll ausgespielt — paradoxerweise beleuchtet gerade dies seinen erzieherischen Erfolg. Das bedeutet indes keineswegs, da Sokrates' Reden vor dem entscheidenden Test der F higkeit zur Hilfe f r sich selbst abgeschirmt werden. Da Sokrates seit dem Verlesen des lysianischen Erotikos in einem Wettstreit mit diesem steht (235 cff.), sind alle kritischen Fragen, die die Wertlosigkeit der gegnerischen Rede erweisen, zugleich auch Fragen an seine eigenen. Platon l t also Sokrates selbst — da es Phaidros an geistiger Klarheit und Entschiedenheit fehlt — die Rolle des Pr fers seiner Reden bernehmen. So betrachtet besagt der Nachweis, da das dialektische Verfahren der Dihairesis und Synagoge in seinen Reden zu finden ist, w hrend es bei Lysias fehlt (262 e —266 b), nichts anderes als da Sokrates seinen Reden die Hilfe bringen kann, zu der Phaidros als Vertreter des Lysias unf hig ist28. Zwar ist das Wort ,helfen' in diesem 28
Da das Buch selbst sich nicht helfen kann, versteht sich von selbst.
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Abschnitt nicht gebraucht; um so deutlicher entspricht die Situation dem Sinn dieses Wortes: die Er rterung versteht sich als Angriff" auf die bliche Rhetorik, der sich im konkreten Fall zu der Frage zuspitzt, wie Lysias seinen Begriff von ερωο rechtfertigen wolle (263 a —e); seine Rede und sein Sch ler bleiben die Antwort schuldig (263 e —264 a), Sokrates hingegen kann f r seine Reden auf die f r alle Reden g ltige Methode der Dihairesis verweisen (265 a —266 b). ,Sich helfen' hei t also das Partikul re auf ein Allgemeines gr nden, oder die tieferen Grundlagen des eigenen Tuns blo legen: in diesem Sinne bringt die ,Hilfe', da sie zum Grundlegenden zur ckf hrt, ,Wertvolleres' zu Tage30. Die Festlegung der Anforderungen f r eine kunstgem e Rhetorik (269 d —274 a) hat ebenfalls eine doppelte Funktion: einmal zu zeigen, da die lysianische und die gesamte herk mmliche Redekunst nicht wei , worauf es ankommt, da sie nicht auf Kenntnis der Seele und des Wesens der Seele und der Wahrheit ber die Dinge, von denen sie handelt, beruht, weswegen ihr die F higkeit zum βοηθεΐν grunds tzlich abgehen mu 31; zum anderen zu verdeutlichen, da Sokrates den Weg kennt, auf dem das hohe Ziel zu erreichen w re, und deshalb auch jedem ελεγχοο gewachsen w re. Im einzelnen wird der wahre Redner seine Kenntnis der Seele durch Beantwortung folgender Fragen gewinnen: ist die Seele einfach oder vielgestaltig (komplex)? Wenn vielgestaltig, wie viele Teile hat sie? Was kann sie oder was k nnen ihre Teile ihrer Natur nach bewirken und erleiden (270 d) ? Der kunstm ige Gebrauch der Reden wird dann darin bestehen, die Art der Rede der jeweiligen Beschaffenheit der Seele, auf die sie wirken soll, anzupassen: 271 ab, de. Bei der Entwicklung dieses Programms ist sich Sokrates seiner Sache 19
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260 e2 οί έπιόντεο αύτη (sc. τη των λόγων τέχνη 260 d4) λόγοι „die gegen sie anr ckenden Reden". Phaidros bittet Sokrates, diese .Reden' (das Wort umfa t hier auch die Bedeutung .Argumente') vorzuf hren und zu pr fen (εξέταζε 261 a 2); inhaltlich mu das zugleich eine Pr fung der Eros-Reden sein, gegen die diese neuen ,Reden' antreten. Dazu wird Phaidros von Sokrates noch einmal aufgefordert 272 c2 — 4 αλλ' ει τινά πη βοήθειαν έχειο έπακηκοάκ; Λυοίου ή τινοο αλλού, πειρώ λέγειν άναμιμντ)οκόμενοο. Hier braucht das Wort βοήθεια zwar nicht mehr zu bedeuten als ,Mittel und Wege' zu einer k rzeren Aneignung der Redekunst als der durch die Dialektik; da aber der Angriff des Sokrates soeben zu Ende gekommen ist, w re der Nachweis, da es einen solchen k rzeren Weg im Sinne der g ngigen Rhetorik gibt, doch auch eine ,Hilfe' f r diese im Sinne von 278 c5. Nat rlich wei Phaidros keine βοήθεια. Kenntnis der Wahrheit und F higkeit zur Hilfe geh ren zusammen: 278 c4-5, vgl. 276 a, e.
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so sicher, da er bereits zu offenem Sarkasmus neigt: Thrasymachos und die brigen Redelehrer werden doch gewi als erstes eine Seelenkunde gem diesem Verfahren geben — oder sie sind Schlauk pfe, die bestens ber die Seele Bescheid wissen, dies aber verbergen (271 cl —3). Diese Art von Spott macht es sicher, da die des ,Verbergens' Beschuldigten nichts zu verbergen haben, w hrend der, der die Beschuldigung erhebt, das angeblich von den anderen verborgene Wissen selbst im Hintergrund bereith lt32. Denn da das dialektische Wissen, das die rednerische berlegenheit verb rgt, als ein Hintergrundwissen fungiert, das die einzelne Er rterung im Sinne einer tieferen Begr ndung, die nicht Teil der Er rterung selbst ist, tr gt, ist kurz zuvor durch den Hinweis auf Perikles und Hippokrates angedeutet worden. Perikles, der vollkommenste Redner (269 el —2), wurde von Anaxagoras zur Erkenntnis der Natur des Nus — der in der platonischen Seelentheorie ein Teil der Seele ist — gef hrt und zog aus diesem tieferen Wissen Nutzen f r seine Kunst der Rede (270 a). So wie die Nus-Spekulation des Anaxagoras als μετεωρολογία φύοεωο περί etwas Umfassenderes und Grundlegenderes ist als die rhetorische Psychologie des Perikles, so mu auch die Seelenkenntnis des dialektischen Redners auf einer umfassenden dialektischen Kenntnis der Natur des Alls (της του δλου φύοεωο 270 c 2) beruhen - erhebt doch Hippokrates, wie Phaidros bemerkt (c3 — 5), diese Forderung bereits f r die Erkenntnis des K rpers. Es ist versucht worden, den Aussagewert dieser Stelle f r Platons Auffassung von Dialektik herunterzuspielen, indem man erkl rte, ή του όλου φύοιο meine nicht ,die Natur des Alls' sondern das ,Wesen' (qwcic) des (jeweiligen) Ganzen33. Diese Interpretation verkennt allerdings den gedanklichen Zusammenhang: ό αύτόο που τρόποο τέχνηο ίατρικήο και ρητορικήο sagt Sokrates 270 b l-2 - er sieht in beiden Bereichen dasselbe Verh ltnis zwischen der umfassenden und begr ndenden Gesamttheorie und der Erkenntnis des jeweiligen Teilbereichs. Anaxagoras' Spekulation richtete sich aber auf das All, ,die Natur' schlechthin {pcoc und φιλοοοφία fehlen im Euthydemos. Die zweite Frage lautet: was lernt man? Widerlegt wird, nach dem Muster des ersten Beweisgangs, die erste Antwort: was man nicht wei , und ebenso die zweite: was man wei (276 d 7 — 277 c 7). Die Unsinnigkeit dieses doppelten Beweises ist offenkundig. Doch wieder ist der Unsinn Teil eines sinnvollen Ganzen: Im Menon antwortet Sokrates auf eben diesen έριοτικόο λόγοο — da man weder lernen kann, was man wei , noch was man nicht wei — mit der Darlegung der Anamnesistheorie (80 d ff.). Hier im Euthydemos bringt er diese Entgegnung nicht, es bleibt bei der f r sich genommen unsinnigen negativistischen Vorstufe. Noch deutlicher sieht man durch den eristischen Nonsense hindurch auf die platonische Anamnesistheorie in einem sp ter folgenden Beweis2
H. Keulen, Untersuchungen zu Platons „Euthydem", Wiesbaden 1971, 25-40 und 49-56 (Hinweise auf ltere Literatur 26 Anm.56). S. auch Friedl nder II 171, 177f.
Sokrates' Spott über ,Geheimhaltung'
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gang. Es wird bewiesen, daß, wer etwas weiß, alles weiß (293 b —e), daß jeder alles weiß (294 a —e), daß jeder immer alles wußte (294 e —296 d). So wie diese Beweise dastehen, sind sie abwegig im sachlichen Gehalt und fehlerhaft in der logischen Form. Nimmt man den Menon hinzu, so wird alles klar und einfach: von einer einzigen ,Erinnerung' aus kann man alles suchen, da die gesamte Natur ,verwandt' ist (Men. 81 cd); da alle Menschen eine unsterbliche Seele besitzen, die auf ihren Wanderungen vor dem Eintritt in den Körper das wahrhaft Seiende gesehen hat, weiß (potentiell) wirklich jeder alles (Men. 81 c, vgl. Phdr. 249 b5); und die Vorführung der Geometriekenntnisse von Menons Diener beweisen, daß jeder schon immer alles (potentiell) gewußt hat (Men. 85 d9 —86 b4). Zu diesen bereits bekannten Beziehungen zwischen Menon und Euthydemos tritt eine weitere, nicht weniger deutliche und nicht weniger wichtige, die wohl wegen ihres burlesken Charakters den auf das Ernsthafte gerichteten Nachforschungen der Interpreten entging. Nicht lange nach dem Beweis der Allwissenheit eines jeden Menschen beweisen Euthydemos und Dionysodoros, daß ihr Vater identisch ist mit dem Vater ihres Gesprächspartners Ktesippos, ja daß er zugleich der Vater aller Menschen ist, und nicht nur der Menschen, sondern überhaupt aller Lebewesen, insbesondere aller Seeigel, Ferkel und Hunde. Ferner beweisen sie, daß der Hund des Ktesippos als Vater von jungen Hunden zugleich der Vater seines Besitzers Ktesippos ist (298 b6 — e5). "Was soll diese seltsame Verwandtschaft von Seeigeln, Menschen und Welpen? Vermutlich ist sie nichts anderes als eine burleske Variation auf das Fundament der Anamnesislehre, das im Menon so formuliert ist: rfjc cuyyevoöc oucnc (81 c9-dl). Aus der ontologischen Allverwandtschaft der Natur, die die Erkennbarkeit der Dinge garantiert, wird auf dem hier karikierten Niveau die Blutsverwandtschaft von Lebewesen aller Gattungen. Es kann also — mit oder ohne die zuletzt dargelegte sachliche Entsprechung — als gesichert gelten, daß eine Reihe von Trugschlüssen im Euthydemos die Anamnesislehre voraussetzt. Von Anamnesis steht jedoch in diesem Dialog kein Wort. Der einzige Hinweis, daß die platonische Seelenlehre der Hintergrund ist, vor dem sich der scheinbare Unsinn mit Sinn füllt, besteht darin, daß Sokrates mitten im eristischen Geplänkel das Wort einführt (295 b4). Doch ist dies ein Hinweis, den klarerweise nur verstehen kann, wer diese Seelenlehre schon aus anderen Quellen kennt. Da die Anamnesistheorie sachlich mit der Ideenlehre verknüpft ist,
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Euthydemos
verwundert es nicht, da auch auf sie angespielt ist. Die sch nen Dinge, sagt Sokrates, sind verschieden vom Sch nen selbst, sind jedoch sch n durch Gegenwart von Sch nheit (301 a 2 — 4). Die Betonung der Aporie, in die Sokrates ger t angesichts der Frage nach dem Verh ltnis der sch nen Dinge zum Sch nen selbst (a 2), die Entscheidung f r die Unterschiedenheit von Einzelding und Idee (a 3) und der Hinweis auf die Schwierigkeit des Parusiebegriffs (a 4 —7) zeigen, da Sokrates hier der ganze Problembestand der Ideenlehre gegenw rtig ist (man vergleiche etwa Politeia 476 d). Aber dieses h here Theorem wird sofort auf das Niveau der Eristik herabgezogen, wenn es hei t, so wie die sch nen Dinge durch die Gegenwart des Sch nen sch n w rden, so werde auch Sokrates durch die Gegenwart eines Rindes zum Rind und durch die Gegenwart des Dionysodoros zu einem Dionysodoros — letzteres wenigstens ist Sokrates denn doch zu viel: εύφήμει τοΰτό γε ist seine Antwort (301 a 7). Wie die Anamnesistheorie mit der Ideenlehre verkn pft ist, so diese mit einer Theorie der Wissenschaften. Konsequenterweise wird auch auf sie angespielt. Auf der Suche nach der obersten Kunst oder Wissenschaft, die die Gl ckseligkeit verb rgt, werden auch die K nste der Jagd durchmustert, darunter die Feldherrnkunst und die Mathematik. Sie kommen nicht in Frage, weil bei der gesuchten έπιοτήμη bzw. τέχνη Hervorbringung oder Erwerb mit dem Gebrauch zusammenfallen mu , w hrend die Feldherrnkunst ihre Beute, etwa eine eroberte Stadt, dem Politiker berl t, und die Mathematik ihre Beute der Dialektik (290 cd). Das unvermittelte Auftauchen dieses sehr spezifischen Bruchst cks aus der Wissenschaftstheorie der Politeia (vgl. 510 cff., 531 cff.), das im Zusammenhang des Euthydemos unverst ndlich bleiben mu , zeigt, da Platon auch hier weit mehr voraussetzt als er darlegt und erl utert. Diese auff llige Bezugnahme auf die Theorie der Dialektik, wie sie in der Politeia auftritt, wird erg nzt durch eine Anspielung auf die im Phaidros entfalteten Aspekte der Dialektik als idealer Redekunst, die — hnlich der Travestie des Gedankens der Allverwandtschaft der Natur - wegen ihrer Unauff lligkeit den Interpreten bislang entging3. Die gesuchte ,Kunst', deren Besitz die Eudaimonie bringt, k nnte nach Meinung des Sokrates vielleicht die Kunst sein, Reden zu machen (ή λογοποιική τέχνη 289 c7). Wie bei der Mathematik und der Strategik wird auch hier der Anspruch der gl ckseligmachenden τέχνη daran 3
Friedl nder II 320 Anm. 16 war nahe daran, die Beziehung zu sehen.
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gemessen, ob Hervorbringung und Gebrauch in ihr vereint sind oder nicht. Durch Verweis auf ,gewisse Redenschreiber' (τινάο λογοποιούο 289 d2) kann nun der junge Kleinias den Vorschlag des Sokrates zur Bestimmung der gesuchten Wissenschaft leicht widerlegen: diese Leute schreiben Reden, die sie selbst nicht vortragen k nnen, w hrend die, die von ihnen Gebrauch machen, solche Reden nicht verfassen k nnten (d2 —7). Sokrates akzeptiert das als hinreichende Begr ndung daf r, da es nicht diese Kunst der Redenschreiber ist, durch deren Besitz man gl cklich wird (ότι ούχ αυτή έοτιν ή των λογοποιών τέχνη, ην αν κτηοάμενόο τιο ευδαίμων εϊη d8 —10). Wie aber, wenn es zwar nicht diese, wohl aber eine andere ,Redekunst' w re4? Vergessen wir nicht, da die ,wahre' Redekunst des Dialektikers auch im Phaidros in steter Abhebung gegen die g ngige Redekunst der Rhetoriklehrer und Redenschreiber entwickelt wurde. Und die Dialektik als Kunst der philosophischen Gespr chsf hrung erf llt die Anforderungen, die an die hier gesuchte έπιοτήμη gestellt sind: bei ihr ist ein Auseinanderfallen von Hervorbringen und Gebrauch ausgeschlossen, denn Dialektik ist m ndliches Philosophieren, der Dialektiker macht auf Grund seiner Sachund Seelenkenntnisse den kunstgem en, den richtigen Gebrauch von seinen λόγοι, indem er sie im pers nlichen Gespr ch allererst hervorbringt5. Und die λόγοι der Dialektik verschaffen die h chste Eudaimonie, die dem Menschen m glich ist (Phdr. 277 a 3). Fassen wir zusammen: so wichtige platonische Theoreme wie die Anamnesis- und Ideenlehre und die Theorie der Dialektik sind als der philosophische Hintergrund der Gedankenf hrung im Euthydemos deutlich erkennbar. Sie werden jedoch nirgends klar benannt, geschweige denn dargestellt oder gar mit Gr nden entfaltet und sind durchwegs in einer Weise pr sent, da sie die Gedankenentwicklung nur aus dem Verborgenen lenken, nicht offen dominieren, und da sie weder von den drameninternen Adressaten erfa t werden noch vom Leser jemals erfa t werden k nnten, h tte er nicht explizite Belehrung ber die betreffenden Theoreme in anderen Dialogen zur Verf gung. Da Platon wirklich dergleichen andeuten will, zeigt au er der Formulierung (ούχ αυτή έοτΐν ή των λογοποιών τέχνη, statt ουκ £οτιν ή των λογ. τέχνη) vor allem die anschlie ende Versicherung, Sokrates habe geglaubt, die lange gesuchte επιστήμη werde sich hier zeigen (dlO — e l ) ; vgl. unten 55. Das Auseinanderfallen von Hervorbringen und Gebrauch ist hingegen mit der Schrift gegeben: Autor und Leser sind notwendig verschiedene Personen. Es ist diese wesensm ige Entfremdung, die die Schrift prinzipiell unf hig macht, den Anforderungen der wahren λόγων τέχνη zu gen gen.
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Die Tatsache, daß dieser Dialog ständig auf Dinge verweist, die nicht in ihm erarbeitet wurden, war der Platonforschung, wie erwähnt, nicht entgangen6. Was ihr entging, war die Bedeutung dieser Tatsache: sie zeigt sich erst, wenn man das auffällige Fehlen jener gewichtigeren Theoreme — jener , wie man sagen könnte — mit dem Motiv des absichtlichen Zurückhaltens in Beziehung setzt. Bevor wir der Rolle dieses Motivs im Aufbau des Dialogs nachgehen, wollen wir noch festhalten, daß nicht allein gewisse , die inhaltlich nicht aus dem vorliegenden Zusammenhang zu gewinnen sind, faktisch ergänzt werden müssen. Platon ist nicht lediglich selbst, als Autor, das Subjekt bei der Zurückhaltung des sachlich geforderten Hintergrundwissens, sondern zeichnet darüber hinaus auch die Dialogfigur Sokrates als den, der über das zu ergänzende Wissen verfügt. Den deutlichsten Hinweis in dieser Richtung gibt Platon im Anschluß an das unerwartet auftauchende Bruchstück aus seiner Wissenschaftstheorie, das das Verhältnis zwischen den mathematischen Wissenschaften und der Dialektik bestimmt (290 c, oben S. 52). Um die Bedeutung dieser Erkenntnis zu markieren, unterbricht Platon den erzählten Dialog und läßt Kriton, den Gesprächspartner des Rahmendialogs, fragen, ob wirklich der junge Kleinias, wie Sokrates berichtet, so Kluges gesagt habe7; wenn er es war, so bedürfe er keiner weiteren menschlichen Bildung mehr (290 e l — 6). Sokrates kann nicht verbürgen, daß es Kleinias war, es könne auch Ktesippos gewesen sein — was ihm Kriton gleichfalls nicht glaubt (291 al). Jedenfalls war es weder Euthydemos noch Dionysodoros, das weiß Sokrates genau (a2). Da damit alle übrigen Teilnehmer des erzählten Gesprächs ausgeschieden sind, könnte Kriton sich ausrechnen, wer die auf tiefere philosophische Zusammenhänge verweisende Erkenntnis ins Gespräch einführte. Doch so einfach wird das nicht mitgeteilt, vielmehr sagt Sokrates, dissimulierend und überhöhend zugleich, es könne einer von den Höheren, der gerade zugegen war, jene Mit Ausnahme der zwei neu aufgezeigten Verweisungen. Die Verwunderung des unphilosophischen Kriton richtet sich primär auf Kleinias' Bestimmung des Verhältnisses von Strategik und Politik (290 dl-8). Für ,Kleinias' ist dies aber aufs engste verknüpft mit der Bestimmung des Verhältnisses von Mathematik und Dialektik: beide Male wird eine ,erwerbende' Kunst einer .gebrauchenden' untergeordnet (290 b7-d8). Daß Platon die Stelle wegen ihrer Aussage über die Dialektik hervorhebt, ergibt sich schon daraus, daß die Unterordnung der Strategik unter die Politik im demokratischen Athen eine Selbstverständlichkeit war, während der Begriff der Dialektik und ihre Überordnung über die mathematischen Disziplinen auf spezifisch platonischen Voraussetzungen beruht.
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Worte ge u ert haben: μη TIC των κρειττόνων παρών αυτά έφθέγξατο (a 4). Wessen Stimme sich der unerkannte Gott bediente, brauchen wir nicht lange zu fragen; fest steht, da mit der Dialektik der Bereich des ,H heren', der ,g ttlichen' Philosophie ber hrt ist, die weitere ,menschliche' Bildung berfl ssig macht. Auch bei dem Hinweis darauf, da die Dialektik die Redekunst ist, die die entscheidenden, eudaimoniebringenden λόγοι hervorbringt (289 c6 — e l , oben S. 52 f.), wird nebenbei angedeutet, wenn auch mit geringerem Nachdruck, da Sokrates ber die kl rende Einsicht verf gt. Er ist es, der den Blick auf die λογοποιική τέχνη lenkt (c7). Das tut er freilich auch im Fall der οτρατηγική (290 bl), deren Anspruch zu Recht abgewiesen wird. Der Unterschied besteht jedoch darin, da die Zur ckweisung dort unangefochten bleibt8, w hrend hier Sokrates nach Kleinias' unzureichenden Gegengr nden, die nur auf die geringerwertige λογοποιική eines Lysias oder Isokrates, nicht aber auf die Redekunst des Dialektikers zutreffen, versichert: „und doch glaubte ich, da sich hier irgendwo die Wissenschaft zeigen werde, die wir schon lange suchen" (289 d l O - e l ) . Die Stellung von εγώ ist betont (καίτοι εγώ ωμην): Sokrates hoffte hier das Gesuchte zu finden; gewi nicht in der g ngigen λογοποιική9, vielmehr „hier irgendwo" (ενταύθα που), also im Bereich der (wahren) Kunst, Reden hervorzubringen. Und sogleich subsumiert Sokrates, der gerade noch „hier irgendwo" das Entscheidende vermutete, die Kunst der Redenmacher unter die Kunst der Beschw rung, mittels derer einerseits Schlangen, Spinnen und Skorpione beschworen und bes nftigt werden, andererseits Richterkollegien und Volksversammlungen (289 el —290 a6). Das Absch tzige dieser Zuordnung mildert sich, wenn man bedenkt, da auch f r den wahren Redner die λόγου δύναμιο in der ψυχαγωγία besteht (Phdr. 271 c 10), nur da er seine Seelenf hrung nicht auf ,Beschw rung', sondern auf fundiertes Wissen ber die Seele gr ndet. (Da die Erg nzung von Gedanken des Euthydemos gerade aus dem Phaidros nicht kombinatorische Willk r ist, wird sich aus den im folgenden nachzuweisenden Beziehungen ergeben.) In den Abschnitten, die auf die Anamnesislehre zu beziehen sind, verbirgt Sokrates mit mehr Konsequenz, da er im Besitz des sachlich geforderten zus tzlichen Wissens ist. Da aber im dritten und wichtigsten dieser Abschnitte (293 b ff.) erst sein gezieltes Fragen (bes. 294 a 5, e 6 — 7) Die Durchbrechung des erz hlten Dialogs durch den Rahmendialog zeigt ja, da die Zur ckweisung in Wirklichkeit von Sokrates selbst kam. Zu ούχ αυτή 289 d 8 vgl. oben 53 mit Anm. 4.
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auf die gewünschte Abfolge von Unsinnigkeiten führt, die auf der Folie des Menon Sinn erhalten, können wir auch hier nicht an der Absicht Platons zweifeln, Sokrates als den Wissenden zu zeichnen, der in der gegebenen Situation von seinem Wissen keinen offenen Gebrauch machen will. Im gleichen Sinn war oben (S. 51 f.) die Art auszulegen, in der die Anspielung auf die Ideenlehre (301 a) gestaltet ist. Daß in diesen beiden Fällen die Rolle des Sokrates als des Wissenden weniger handgreiflich zu fassen ist10, liegt zweifellos daran, daß sie in den eristischen Gesprächsabschnitten begegnen, die beiden Hinweise auf die Dialektik hingegen in den protreptischen: gegenüber den jungen Gesprächspartnern, die für die Philosophie aufgeschlossen sind, kann sich Sokrates deutlicher zeigen11. Dieser Sokrates also, der mit seinen zurückzuhalten weiß, verhöhnt die beiden Eristiker mit der Aufforderung, ihr Wissen künftig nur vor Geeigneten darzulegen. Daß in diesem vernichtenden Hohn die Handlungsführung des Dialogs zu ihrem Ziel kommt und daß wir folglich von hier aus die zentrale Aussage des Euthydemos verstehen müssen, zeigt ein Blick auf den Aufbau. Drei Gesprächsstränge heben sich gegeneinander ab, die zwar nach Charakter und Inhalt sehr verschieden sind, aber doch ein gemeinsames Thema aufweisen: den Rang der und die Art, wie sie betrieben werden soll. Auf einem mittleren Niveau wird dieses Thema im Rahmengespräch mit Kriton als Gesprächspartner erörtert. Sokrates will Kriton dafür gewinnen, mit ihm zusammen die Weisheit der neuerdings 10
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Daß in 301 a überhaupt ein Hinweis auf die Ideenlehre vorliegt, wird mitunter angezweifelt, z.B. von Guthrie IV 278f., der auch frühere Stimmen hierzu zitiert (279 n. 1). Desgleichen bin ich auf Ablehnung meines Vorschlags gefaßt, in der (wahren) einen Hinweis auf die Dialektik zu sehen. Für diejenigen, die hier skeptisch bleiben möchten, sei darauf hingewiesen, daß für das hier verfolgte Beweisziel die allgemein anerkannten Verweisungen auf weiterführende Theorien in 290 c (Dialektik) und 293 bff. (Anamnesis) genügen. Guthries Versuch (IV 282), auch noch Euthyd. 290 c von Politeia 510 cff. zu trennen, ist mehr als fragwürdig: mit seinem Schlußsatz „for the unhypothetical first principle is the Form of the Good" bemüht er doch wieder ein Theorem der Politeia, das angeblich „need not have been in his (Plato's) mind here". (Daß die freiwillige Zurückhaltung das strukturgebende Handlungsmotiv ist, ist Guthrie wie allen anderen Interpreten entgangen; hierzu s. unten 56 — 61.) Daß solche personenbezogene Zurückhaltung nichts mit Geheimhaltung zu tun hat, ergibt sich schon daraus, daß bei der Einführung der Dialektik durch Sokrates (oder ,einen der Götter'?) auch Euthydemos und Dionysodoros anwesend sind; aber das Gespräch gilt in diesem Abschnitt nicht ihnen. Zum Unterschied zwischen Geheimhaltung und Esoterik vgl. unten 400 — 403.
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zu Intellektuellen gewordenen fr heren Pankratiasten und Fechtmeister Euthydemos und Dionysodoros zu erlernen (272 d). Um Kriton einen Begriff von dem zu geben, was sie von den beiden lernen w rden, erz hlt Sokrates sein Gespr ch vom Vortag mit ihnen. Nach dem Bericht macht Kriton z gernd Sokrates darauf aufmerksam, da er in dieser Gesellschaft in Verruf geraten k nnte (304 cff.); er habe einen Beobachter getroffen, einen Mann von hoher Selbsteinsch tzung, der Reden f r Gerichtsverhandlungen schreibe; dieser habe nach Anh ren eben dieses Gespr chs zwischen Sokrates und den Tugendlehrern sich unwillig ge u ert ber den unangemessenen ,Ernst', der hier auf Wertloses verwendet werde, und gemeint, Kriton m sse sich f r seinen Freund Sokrates sch men; schlie lich habe er die Philosophie selbst und die Leute, die sie betreiben, f r wertlos und l cherlich (φαύλοι και καταγέλαστοι) erkl rt (304 c —305 b). Kriton h lt den Tadel an der Philosophie selbst nicht f r gerechtfertigt, wohl aber den Tadel an der Bereitschaft des Sokrates zu Gespr chen mit solchen Leuten. Sokrates ist von diesem ungenannten Kritiker, der zwischen Philosophie und Politik steht und sich deshalb beiden Bereichen berlegen d nkt (305 c —306 c), in keiner Weise beeindruckt; die Zweifel des Kriton an der Eignung derer, die sich als Erzieher anbieten, beantwortet er mit dem Hinweis auf die Tatsache, da in jeder Kunst die Guten und Wertvollen rar, die Schlechten und Wertlosen zahlreich sind; so auch in der Philosophie; berhaupt solle Kriton nicht auf die Leute achten, die Philosophie treiben, sondern die Sache selbst pr fen, und je nach dem Ergebnis der Pr fung entweder jedermann von der Philosophie abhalten oder sie mit seinem ganzen Anhang zuversichtlich betreiben (307 a —c). Auch in diesem Rahmengespr ch wird die selbstverkleinernde Verstellung des Sokrates, seine ειρωνεία, nicht aufgehoben: er will angeblich immer noch, wie er es zu Euthydemos und Dionysodoros gesagt hatte (274 b3), ihr Sch ler werden und dazu noch Kriton anwerben (272 d l —3, 304 b7 —c5). Die Beibehaltung der Ironie in einer Situation, in der sie nicht n tig w re, wirkt als Verst rkung, und so wird denn auch auf diesen Seiten zus tzliches Licht auf Thematik und Zielsetzung des durch und durch ironischen Hauptteils geworfen. Seltsam herausgehoben aus dem ironischen Schlu sind zwei ,objektive' Wahrheiten, die sich gleichsam als abl sbarer ,Ertrag' des Ganzen aufdr ngen: es kommt nur auf die Sache selbst an, die man Philosophie nennt, nicht auf ihre Vertreter, und: es gibt wie berall gute und schlechte Vertreter (φαύλοι — οπουδαΐοι). Da es auf die Vertreter so gar nicht ankommt, wird
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nicht nur durch das Verhalten von Kriton und Sokrates widerlegt - f r Kriton ist die Person des Sokrates die Gew hr daf r, da παιδεία das Wichtigste ist (306 d6 —e3), und Sokrates will sich unbek mmert um Kritik gerade diesen Weisheitslehrern anschlie en — sondern mehr noch durch den anderen objektiven Satz, den ber die guten und die schlechten Lehrer: wenn es so sicher ist, da dieser Unterschied berall statt hat, so ist es zwingend, sich nach dem wahren Lehrer der Philosophie umzusehen. Und so sollen wir offenbar den Hauptteil auch lesen: als die aufeinander bezogenen Portr ts zweier φαύλοι και ούδενός άξιοι und des einen οπουδαΐοο και παντοο άξιος. Indessen beh lt der Satz ber die Sache selbst als das einzig Entscheidende doch auch seine Richtigkeit: auch im Phaidon fordert ja Sokrates die Freunde auf, nicht auf ihn, sondern weit mehr auf die Wahrheit zu achten (91 c 1). Zwar erweist ihn auch dort eben dieser Rat als den einzigartigen Lehrer, auf den nicht zu achten verh ngnisvoll w re; der Anspruch des berlegenen Lehrers mu sich jedoch darauf gr nden, da er ber wesentlichere Einsichten verf gt, da er der έχων τιμιώτερα ist - das ist der platonisch verstandene Primat der Sache, der den Primat des διαλεκτικόο unter den Lehrern nach sich zieht12. Kriton freilich wei nichts von dieser Verbindung zwischen der Sache und dem Menschen, der sie vertritt. Seine Ansicht von der Wichtigkeit der Erziehung hat er von Sokrates, da dieser aber, obschon er nicht beansprucht, Lehrer der αρετή zu sein, dennoch der einzige Lehrer ist, das sieht er nicht. Er verteidigt die Philosophie gegen den ungenannten Kritiker ohne zwischen Eristik und wahrer Philosophie zu unterscheiden, und ist daher auch nicht f hig, den Anspruch des Kritikers auf berlegenheit zur ckzuweisen (305 e). Und Sokrates habe es wirklich falsch gemacht, da er „vor vielen Menschen" mit Euthydemos und Dionysodoros sprach (εναντίον πολλών ανθρώπων 305 b2). Wie es scheint, w rde Kriton private Gespr che — ,esoterische', wenn man so will — mit den Eristikern guthei en. Auch damit ist ein wichtiges Motiv des Hauptteils aufgenommen: die Frage, was man vor wem er rtern soll. Kriton ist weit entfernt von der Haltung des Sokrates, dessen im Hauptteil geschilderte 12
Nichts ist daher unplatonischer als die Auffassung, da sich „die Sophistik der beiden Fechtmeister ... von der sokratischen Dialektik ... einzig durch die Gesinnung und das Gerichtetsein" unterscheide (Friedl nder II 167). F r Platon liegt der Unterschied in Kenntnis oder Unkenntnis von Anamnesis, Ideen, Dialektik. (Die Bereitschaft des Sokrates, sich hier ber mitzuteilen, richtet sich allerdings nach „Gesinnung und Gerichtetsein" der Partner.)
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ffentliche Auseinandersetzung durchaus seiner sonstigen Art des Umgangs mit Sophisten entspricht, w hrend man sich schwer vorstellen kann, da f r ihn die Br der Euthydemos und Dionysodoros in ernsthaftem pers nlichem Gespr ch etwa an die Stelle der Br der Glaukon und Adeimantos treten k nnten. Noch weniger als Kriton, der Sokrates immerhin menschlich verbunden ist, versteht der anonyme Kritiker den orou cuoc και παντόο &ξιοο. F r ihn ist er einfach einer von den περί ούδενόο αξίων άναξίαν ςπουδήν ποιούμενων (304 e4 —5), f r den sich Kriton sch men m sse. In der Tat m te sich Kriton f r seinen Freund sch men — wenn Sokrates wirklich seinen Ernst (οπουδή) auf die wertlosen Dinge, die die Eristiker besch ftigen, richtete. Wieder ist der Dialog unter den Aspekt des Primats der Sache, der Bedeutung der behandelten Dinge, gestellt, diesmal in Verbindung mit dem Motiv des ,Ernstes'. Der Zusammenhang von οπουδή und inhaltlich verstandenen πολλοΰ άξια, wesentlich f r den Phaidros, ist wesentlich offenbar auch f r den Euthydemos13. Noch offenkundiger bestimmt diese Thematik jedoch den Hauptteil (272 e —304 b), der von zwei kontrastierenden Gespr chsstr ngen, einem eristischen und einem sokratischen, gebildet wird. Gegen ber dem mittleren Niveau des Rahmengespr chs zeigt die eristische Linie ,Philosophie' auf dem niedrigsten denkbaren Niveau, im Zerrbild eines Spieles ohne Wert (278 b), w hrend die sokratische Linie auf philosophischen Ernst hinf hrt, ohne ihn freilich inhaltlich zu entfalten. Sokrates setzt das Thema fest: die Br der sollen den jungen Kleinias in einem λόγοο προτρεπτικός vom Wert der Philosophie berzeugen; als sie nur Trug- und Fangschl sse vorbringen (1. eristischer Teil, 275 a —277 c), zeigt Sokrates selbst, wie er sich den verlangten Protreptikos vorstellen w rde (1. sokratischer Teil, 277 d —282 e) und bergibt sein Paradigma den Eristikern zur Fortsetzung, die freilich ganz so ausf llt, wie nach der ersten Vorf hrung ihrer Kunst zu erwarten war (2. eristischer Teil, 283 a —288 b), weswegen Sokrates seinen Protreptikos schlie lich selbst fortf hren mu (2. sokratischer Teil, 288 b —293 a); er l t ihn diesmal allerdings in der Aporie enden, womit er Gelegenheit hat, die Meister der Eristik um Rettung aus der Aporie zu bitten und so ein drittes Mal auftreten zu lassen (3. eristischer Teil, 293 b —304 b). 13
Aus ούδενόο αξίων ist ein ,πολλοϋ άξια' als Objekt des .Ernstes' des Sokrates zu gewinnen. Da damit die πλείονοο αξία, die τιμιώτερα, βελτίω und μείζω des Phaidros gemeint sind, wird man kaum bezweifeln wollen. Vgl. Anm. 16.
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Die Spannung bei diesem viermaligen Wechsel der Gespr chsebene wird nun stets dadurch aufrechterhalten, da Platon jeweils an den berg ngen zwischen den Teilen des Gespr chs das Motiv ,Spiel/Ernst' ausspielt. Der erste eristische Teil endet verwirrend und entt uschend, nicht nur f r den jungen Kleinias, sondern wohl auch f r den Leser. Doch Sokrates weckt in der berleitung zu seinem Protreptikos die Hoffnung auf Besseres: die Br der w rden gewi ihr ,Spiel' (παιδιά 278 c2) beenden und ihre οτουδαΐα vorf hren14; einstweilen will er selbst mit einem Beispiel vorangehen (277 d-278 e). Nat rlich wird diese Hoffnung im zweiten eristischen Teil dann nicht erf llt; damit wir sie aber nicht vergessen, erinnert Sokrates zu Beginn dieses Abschnitts (283 b 10 — c 2) noch einmal an seinen ,Ernst' und das ,Spiel' der Br der. Nach diesem Teil mu er freilich die Hoffnung auf eine ernsthafte Vorf hrung ihrer Weisheit noch einmal hinausschieben (288 b — d); sein Glaube an das Erscheinen dieses Ernstes ist jedoch ungebrochen. Und nachdem sein eigener ,Ernst' (288 d3) im zweiten protreptischen Teil in der Aporie gescheitert ist, ruft er die beiden Eristiker in seiner Not an wie die Dioskuren, sie sollten nun endlich auf jede Weise Ernst machen und ihn und seinen jugendlichen Gespr chspartner „retten", indem sie die gesuchte επιστήμη aufzeigen, auf die es allein ankommt (293 a l —6). Und in der Tat: Sokrates' unersch tterlicher Glaube wird nicht entt uscht, im dritten eristischen Teil — der die Albernheiten der Trugschl sse auf die Spitze treibt — zeigen Euthydemos und Dionysodoros zu seinem Entz cken wirklich ihren ,Ernst' (294 b l —3, 300 el). Und so kann er ihnen abschlie end den gut gemeinten Rat geben, ihre Weisheit k nftig nur ,esoterisch' weiterzugeben. Dieser knappe berblick d rfte deutlich gemacht haben, da wirklich das Motiv ,Spiel/Ernst' die architektonische Funktion hat, die Teile des Dialogs gegeneinander abzusetzen und die Erwartungen f r die noch ausstehenden Teile zu definieren. Indem wir das tats chlich Gebotene an den Erwartungen messen, erkennen wir den Sinn der Abfolge. Es ist ein Spiel um das Hervorlocken des ,Ernstes' aus den (angeblich) zur Zur ckhaltung neigenden eristischen ,Esoterikern'. Von entscheidender Wichtigkeit ist es, da das Motiv des ,Ernstes' wie im Phaidros (276 e) mit dem des βοηθεΐν τω λόγω verbunden wird. Denn der Ruf nach ,Rettung' durch die Br der hat keinen anderen Sinn als den einer Aufforderung an sie, dem λόγοο zu ,helfen' und so zu beweisen, da sie παιδιά - οπουδαΐα 278 c2-3, vgl. 277 d9, e2, 278 b2f., c6, dl.
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φιλόοοφοι im Sinne des Phaidros sind. Die Variation des Ausdrucks ergibt sich aus der Dialogsituation: das ma los bertriebene ironische Lob des Sokrates hat Euthydemos und Dionysodoros zuvor schon (273 e 6) in die N he der G tter gebracht, und auch hier werden sie „wie die Dioskuren" angefleht. Was bei Menschen ,Hilfe' w re, ist bei ihnen mehr als das, es ist g ttliche ,Rettung'. Rettung aus der Aporie des Protreptikos w re m glich durch ernsthaftes Philosophieren, das zum Aufweis der gesuchten έπιοτήμη f hren w rde (293 a4-6). Da diese έπιοτήμη das ist, was Platon Dialektik nennt, daran kann kein Zweifel bestehen. Nun sahen wir, da Sokrates wesentliche Merkmale der Dialektik kennt; er k nnte also die »Rettung' bringen, die er von den armen Sophisten verlangt. Doch er h lt damit zur ck, er zeigt seinen ,Ernst' nicht15. Nichtsdestoweniger bleibt er der έχων βοηθεΐν (der, der die F higkeit und M glichkeit zur ,Hilfe' hat), da er der έχων τιμιώτερα ist; nur zieht er es vor, ,zu schweigen, denen gegen ber man schweigen mu ' (ciy v πρόο o c δει). Nun zeigt sich auch der Sinn des Spottes ber Geheimhaltung: derjenige, der wirklich aus bisher zur ckgehaltenem Hintergrundwissen ,helfen' k nnte, fordert die Gegner auf, dies zu tun. Als sich zeigt, da sie es nicht k nnen, verspottet er sie ob ihres ,Ernstes' und r t ihnen h hnisch zur Zur ckhaltung von Wissen — also zu dem, wozu sie mangels zur ckzuhaltender τιμιώτερα prinzipiell unf hig sind. Verspottet wird im Euthydemos also nicht philosophische Esoterik, sondern gerade die Unf higkeit dazu. Die den Sinn des Ganzen entscheidende Beziehung zum Phaidros wird nun best tigt durch eine Reihe von weiteren Bestimmungen und Hinweisen, durch die sich die Eristiker in sehr pr ziser Weise als das Negativbild des φιλόοοφοο erweisen. Die selbsternannten Tugendlehrer f hren in Stufen zur Philosophie hin, wie bei einer Initiation (277 de). Bekanntlich wird die Schau der Ideen im Phaidros als Einweihung in Mysterien geschildert (250 b 8 — c4), Die Versicherung 288 d3, er betreibe seinen Protreptikos ernsthaft, steht nicht im Widerspruch dazu: im Vergleich mit den Possen der Eristiker ist dieser Protreptikos tiefer Ernst, im Vergleich mit dem, was die Aporie l sen w rde, ist er nur vorbereitendes ,Spiel' (- ein Spiel von anderer Art freilich als das der Br der). ,Spiel' und ,Ernst' sind relative Begriffe; Kritiker, die dies nicht verstanden haben, klagen gern ber die „Abwertung" der Dialoge durch diejenigen, die an der historischen und sachlichen Bedeutung von Platons Prinzipienlehre festhalten. Aber wenn einer die Dialoge „abwertet", so ist es Platon selbst als der έχων τιμιώτερα.
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und auch sonst ist die Parallelisierung von Philosophie und τελεταί bei Platon gel ufig. Die mit dieser Vorstellung schon gegebene F higkeit des kontrollierten Zur ckhaltens — die ja, wie wir sahen, die ganze ,Handlung' des Dialogs bestimmt — wird den Gegnern auch ausdr cklich und mit Anerkennung bescheinigt: οίοθα δτε δει άποκρίναοθαι και δτε μη (287 d 1) und τοΰτο μεν εκών παρήκαο (301 c2). Wir sollen sie also als die wahren Redner verstehen, die die καιρούο του πότε λεκτέον και έπιοχετέον kennen, die sich aufs ciy v πρόο o c δει verstehen (Phdr. 272 a 4, 276 a 6). Zur Beleuchtung dieses ironischen Lobes dient die Stelle, wo Dionysodoros seine Kunst blamiert, indem er zur Unzeit antwortet (297 a). Die ,Kunst' der Sophisten lobt Sokrates im brigen wegen ihrer ακρίβεια λόγων (288 a 6), womit er ihr gewi nicht zuf llig ein Merkmal der Sachkenntnis des Dialektikers zuschreibt (vgl. Phdr. 270 e-271 a, Politeia 435 d l, 504 b5). Denn da die Br der nicht aufs Geratewohl daherreden, sondern als Meister der τέχνη des διαλέγεοΟαι auftreten, steht f r ihn fest: κάλλιον έπίοταοαι διαλέγεσαι, sagt er zu Euthydemos (295 e2), und berhaupt sprechen die Br der τεχνικώς, er selbst nur ίδιωτικώο (303 e5, 278 d5). Sie werden also zu wahren τεχνικοί λόγων περί im Sinne des Phaidros hochgelobt, deren ,Kunst' als λόγων τέχνη oder als διαλεκτική τέχνη umschrieben werden kann (Phdr. 273 de, 276 e). Da die όμοίωοιο θεώ das Ziel des Dialektikers ist, verstehen wir nun auch die Erhebung der Eristiker zu ,G ttern' (293 a) nicht lediglich als berm tigen Scherz, sondern als gezielte berbietung der Gottn he des φιλόοοφοο (Phdr. 278 d). (Der Kontrast dieser Stelle zur Anwesenheit ,eines der H heren' in 291 a — hier k nnen die ,G tter' nicht helfen, dort wirft ein Gott den Begriff der Dialektik, mit dem die Hilfe zu bestreiten w re, in die Diskussion — best tigt die Absicht dieser Anspielung). Und damit wir auch keinen Augenblick vergessen, da die berlegenheit des wahren Dialektikers auf dem Inhalt beruht, den er behandelt, wird ber die C7tOD f|-nai ia-Thematik hinaus noch eigens betont, da die Br der sich mit ,Gro em' befassen (273 cd), w hrend der arme Sokrates nur Geringes (ομικρά 293 b 8) kennt; aus dem Phaidros ist uns gel ufig, da Platon das ,Gr ere', das ,Bessere' und das ,Wertvollere' synonym verwendet16: sein Besitz macht den φιλόοοφοο. Die einheitliche Wiedergabe des Idealbildes des Philosophen im Zerrbild der Antiphilosophen durchbricht Platon nur in zwei Punkten (ohne brigens die einheitliche ironische Anerkennung zu durchbreμείζω, βελτίω, τιμιώτερα 279 a 8, 234 e3, 235 d6, 278 d8.
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chen17): Euthydemos und Dionysodoros erwarben und vermitteln ihre Weisheit in k rzester Zeit — Platon wird im Phaidros und auch sonst nicht m de zu betonen, da Dialektik eine Sache jahrelanger Bem hung ist18; und die schnelle Lehre kann berdies von jedermann absolviert werden, keine (pucic ist ausgeschlossen (304 c2, vgl. 272 b4) — f r den wahren Dialektiker hingegen gibt es durchaus solche, die die Sache nichts angeht (oic ουδέν προοήκεΐ Phdr. 275 e2), daher ist die Wahl des geeigneten Gespr chspartners (der ψυχή προοήκουοα 276 e6) die erste Voraussetzung f r die Entfaltung seiner λόγων τέχνη und die Auswahl der geeigneten Naturen ein wesentliches Thema in Politeia, Nomoi und Siebtem Brief19. Diese bereinstimmungen legen es nahe, in der Bezogenheit des Negativbildes der Philosophie in Gestalt der beiden Eristiker auf das positive Portr t des φιλόοοφοο im Phaidros die wichtigste Aussage des Dialogs zu sehen. Der Euthydemos ist die als Farce gestaltete dramatische Umsetzung20 der Definition des Philosophen als des Mannes, der seinem Logos durch R ckgriff auf ,Bedeutenderes' zu Hilfe kommen kann und der als der wahre Redner im geeigneten Moment auch zu schweigen wei . Diese beiden F higkeiten des Philosophen werden hier als die handlungsbestimmenden Motive ben tzt, mit deren Hilfe Euthydemos und Dionysodoros schlie lich in berm tigster Verkehrung der Wirklichkeit zu ,Esoterikern' gemacht werden. Nur ein sehr plumpes Mi verst ndnis der sarkastischen Komik dieser Situation k nnte darin einen Hohn auf die Idee des esoterischen Philosophierens selbst — statt auf unw rdige Anw rter der Philosophie — sehen. 17
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Die Einheitlichkeit des ironischen Lobes wird dadurch erhalten, da den Eristikern teils faktisch positive Merkmale, die ihnen abgehen, zugeschrieben werden, teils faktisch negative Merkmale, die sie wirklich haben, als positive ausgegeben werden. Man halte Euthydemos 273 d 9, 304 a 2, a 4 (τάχιστα, ταχύ), 303 c5, e6, 272 b3 (εν (πάνυ) όλίγφ χρόνω) gegen Phdr. 272 b c, 274 a 2, 276 b, Epist. 7, 341 c, 344 b: πολλή COVODcia, μετά πολλού χρόνου. Die lange Ausbildung der Dialektiker in der Politeia steht in bereinstimmung mit solchen Stellen. Die Bedeutung der εκλογή (Politeia 535 a 6, vgl. εκλέγειν Nomoi 969 b8) f r die Staatsutopien Platons ist evident. Der Siebte Brief will die philosophische Mitteilung dem ουγγενήο του πράγματοο (344 a) vorbehalten; nur sehr wenige (ολίγοι τινέο 341 e2) zeichnen sich durch Wesensverwandtschaft zur Sache der Philosophie aus. Das bedeutet selbstverst ndlich nicht, da ich den Phaidros f r chronologisch fr her halte. hnlich kann aus dem Umstand, da die voll entwickelte Anamnesislehre vorausgesetzt ist, keineswegs geschlossen werden, da der Euthydemos sp ter geschrieben ist als der Menon. Bei ihrer ersten koh renten Darlegung kann die Anamnesislehre f r Platon bereits ein πολυθρύλητον gewesen sein, wie die Ideenlehre im Phaidon (100 b). Mit Sicherheit kann dies f r die Schriftkritik und den Begriff des βοηθεϊν im
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Euthydemos
Der Wert des Dialogs als kl rende Best tigung und Konkretisierung wichtiger Aussagen des Phaidros ist nicht gering zu veranschlagen. Die mit der Komik des Zerrbildes gegebene Drastik und Uberdeutlichkeit d rfte helfen, etwa noch vorhandene Bedenken auszur umen. Platon teilt uns hier in modellhafter, dramatisch breit ausgespielter Form mit, was »Zur ckhalten' im Bereich der Philosophie bedeutet, wer sie bt und warum, und welche Art von philosophischem Wissen der Zur ckhaltung unterliegt. Zur ckhaltung philosophischer έπιοτή μη ist dann angebracht, wenn die Aufnehmenden f r Philosophie entweder schlichtweg ungeeignet sind, wie Euthydemos und Dionysodoros, oder f r voraussetzungsreichere Erkenntnisse noch nicht gen gend vorbereitet, wie Kleinias und Ktesippos. Zur ckhaltung bedeutet die Wahrung der berlegenheit f r den Fall des Mi brauchs oder der Herabsetzung21 durch Ungeeignete: was Euthydemos und Dionysodoros mit der Unsterblichkeit der Seele und der Anamnesis machen w rden, kann man sich vorstellen; besser berl t man ihnen dergleichen gar nicht erst. Zur ckhaltung bedeutet, sich die M glichkeit des βοηΟεΐν τω λόγφ offen zu halten. Ob in einem gegebenen Fall von dieser M glichkeit Gebrauch zu machen ist oder nicht, entscheidet der Philosoph auf Grund seiner Einsch tzung der Partner: hier verzichtet Sokrates darauf22. Das Zur ckgehaltene mu dem Typ nach begr ndendes,,h heres' Wissen sein: nur mit inhaltlichen τιμιώτερα kann man helfen. Was die im Euthydemos gezeigten Verh ltnisse f r die Problematik der Schrift, die hier nicht entfaltet wird, bedeuten, braucht kaum eigens Phaidros angenommen werden: die N tzlichkeit dieses Begriffs f r die Interpretation der Fr hdialoge ist der sicherste Beweis. πλημμελούμενοο και ουκ εν δίκη λοιδορηΟείο, Phdr. 275 e3-4. Es w re ein schweres Mi verst ndnis zu meinen, da Sokrates hier zwar schweigt, aber doch durch sein Schweigen hindurch das h here Wissen ,andeutet' und somit die Schleiermachersche Theorie der indirekten Mitteilung best tigt - so als sei die spezifische Mitteilungsweise des Dialogs eben das οαγώντα λέγειν (die Formulierung begegnet gerade im Euthydemos im Rahmen eines Trugschlusses: 300 b). Entscheidend ist, da die τιμιώτερα, die im Euthydemos fehlen, aus diesem Dialog allein niemals herauszuholen w ren: in Schleiermachers Theorie mu aber die indirekte Mitteilung ihrem Sinngehalt nach autark und daher dem verst ndigen Leser ohne weitere direkte Belehrung entzifferbar sein. Hier dagegen k nnen wir die fehlenden Theoreme allein deswegen hinter dem Text sehen, weil wir in anderen Dialogen direkte Belehrung ber sie erhalten. Es w re sinnlos, von einer ,indirekten' Mitteilung der Anamnesislehre im Euthydemos zu reden: sie wird nicht mitgeteilt, sondern vorausgesetzt. Auch die entwicklungsgeschichtlich orientierte Auffassung von der Art des Fehlenden wird durch das Paradigma Euthydemos desavouiert: das hier Fehlende l t sich nicht als Plan f r die Zukunft deuten, sondern besteht ganz offenkundig aus ausformulierten Theorien.
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dargelegt zu werden. Da die τιμιώτερα, nach denen der Euthydemos verlangt, selbst in anderen Dialogen schriftlich vorliegen, wird niemanden verwundern: wir haben es mit einer modellhaften Darstellung zu tun; wenn das Modell f r den Leser verst ndlich sein soll, m ssen beide Arten von λόγοι, die helfenden und die, die der Hilfe bed rfen, geschrieben vorliegen. Die f r das ganze Schriftwerk g ltige Aussage, da der Philosoph auch seinen Schriften gegen ber stets die M glichkeit des βοηθεϊν und damit die berlegenheit des έχων τιμιώτερα bewahren wird, ist weiterhin dem Phaidros zu entnehmen, nicht dem Euthydemos; aber die erheiternde Lekt re dieser lebhaften Farce wird uns die gewichtigeren und abstrakteren Aussagen des anderen Dialogs besser verstehen lehren. Vom Euthydemos aus, der das Verbergen und Zur ckhalten von Einsicht als zentrales strukturierendes und sinngebendes Motiv verwendet und somit als der locus classicus zu betrachten ist, an dem sich der Sinn des platonischen Spottes ber ,Geheimhaltung' exemplarisch zeigt, sind auch diejenigen Stellen anderer Dialoge zu verstehen, an denen das ,Verbergen' als Begleitmotiv neben anderen Motiven fungiert. Es wird sich zeigen, da solcher Spott nirgends der Forderung des Phaidros nach bewu tem Zur ckhalten von Einsicht seitens des Philosophen widerspricht — wie es bei oberfl chlicher Betrachtung vielleicht scheinen k nnte — , sondern stets den Zweck hat, den Verspotteten dadurch als Nichtphilosophen zu erweisen, da ihm in ironischer Verkehrung der Wirklichkeit ein wesentliches Merkmal des Philosophen zugebilligt wird, auf das er ganz offensichtlich keinen Anspruch hat23.
" Das Motiv des ,Verbergens' (oft verbunden mit oder vertreten durch das Motiv des ,Betr gens' - betr gen kann ja nur, wer einen Wissensvorsprung vor dem anderen verbirgt) begegnet u. a. in Cha. 174 a, Prot. 342 be, Hi. min. 370 e, 373 b, Hi. mai. 293 e, 300 cd, Eu-phr. 3 d, 11 b, 14 c, 15 e, Lysis 215 c, 219 b, Ion 541 e, Gorg. 499 bc, Krat. 383 b-384 a, 427 de, Phdr. 271 cl-3.
Kapitel 4 Die ,Hilfe für den Logos' als Strukturprinzip des platonischen Dialogs Es hat sich gezeigt: der Satz, daß der Philosoph seine geschriebene Erörterung stets durch wird überbieten können, ist vom Inhalt seines Philosophierens zu verstehen: er muß im Vergleich zu seinem Buch weiterreichende und tiefer begründende Argumente und Theoreme bereithalten. Alles Geschriebene muß auf Ergänzung durch bessere Argumente angelegt sein. Platon konzipiert die philosophische Schrift von vornherein als die nicht-autarke Schrift, als die Schrift, die inhaltlich transzendiert werden muß, wenn sie voll verstanden werden soll. Das Buch des Philosophen muß die letzte Rechtfertigung seiner Argumente außerhalb seiner haben. Dies ergab die Interpretation des Schlußteils des Phaidros, der wichtigsten platonischen Äußerung über Schriftlichkeit und Mündlichkeit. Die Analyse des Hauptteils des Phaidros und des Euthydemos zeigten, daß dieses theoretische Konzept vom Verhältnis des Philosophen zu seinem und dessen Begründung auch im lebendigen Porträt des wahren Dialektikers und seines Gegenbildes wirksam ist. Insofern nun freilich alle Dialoge Teil eines großen Bildes vom wahren Philosophen sind, oder in der Schrift erstarrte Abbilder seines lebendigen Redens, und insofern sie alle den Anspruch erheben, den theoretischen Forderungen an philosophisches Schrifttum zu genügen, müssen sie alle von der gleichen Auffassung getragen sein. Es gilt daher zu sehen, in wie weit die einzelnen Dialoge diese Auffassung auch zum Ausdruck bringen. Unterschiede in der Deutlichkeit, mit der Platon sein Urteil über schriftliches und mündliches Philosophieren in Dialoghandlung umsetzt, wird man von vornherein voraussetzen dürfen — es ist nicht zu erwarten, daß die Reflexion über die Grenzen des Schreibens jedesmal in vollem Umfang aufgenommen wird. Da aber Platon den Namen an das Bewußtsein von der Hilfebedürftigkeit der Schrift knüpft, ist
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andererseits kaum zu erwarten, daß es eine platonische Schrift geben könnte, die nicht in irgendeiner Form an die Vorläufigkeit ihrer Darlegungen erinnerte. Von der formalen Variabilität solcher Erinnerungen können bereits die behandelten Dialoge einen Vorbegriff geben. Bei aller Variabilität müssen jedoch als wesentliche und daher unveränderliche Elemente erkennbar bleiben erstens, daß die Erörterung aus der Situation des heraus stufenweise ,helfend' auf ein höheres Niveau verlegt wird, und zweitens, daß gerade auf der höchsten im jeweiligen Dialog erreichten Stufe ein Hinweis darauf gegeben wird, daß die ,helfende' Höherverlegung des Begründungsniveaus ,hier' und ,jetzt' durchaus nicht zum Abschluß gekommen ist, daß also auf dem klar konzipierten Weg hinauf zu den ,noch höheren ' (Tim. 53 d) weitere Schritte nötig wären. Was man nicht erwarten wird bei Platon, ist das pedantische Einhalten einer bestimmten Terminologie für das ,Helfen', sei es für das dialoginterne, sei es für das dialogüberschreitende: entscheidend ist die identisch durchgehaltene Struktur und ihre klare Markierung im Dialoggeschehen. Gegen dieses Vorhaben, im Blick auf Platons Konzeption vom mündlichen Philosophieren die erwähnten Strukturen in den einzelnen Dialogen nachzuweisen, könnten freilich verschiedene Einwände erhoben werden1. Aus dem Nachweis, daß der Gedankengang des einen Dialogs (oder Dialogteils) zur ,Hilfe' und Fundierung der Gedanken eines anderen dient, ergebe sich noch nichts — so wird versichert — für eine mündliche Philosophie Platons: Geschriebenes verweist auf Geschriebenes, und wir haben keinen Anlaß, auf Ungeschriebenes von mehr als peripherer Bedeutung zu schließen2. Und ist es zweitens nicht ein bloßes Mißverständnis, von Fällen von ,Hilfe für den Logos', die in geschriebenen Dialogen begegnen, auf die mündliche ,Hilfe' für Geschriebenes zu schließen, von der Platon im Phaidros spricht? Das Geschriebene verlangt 1
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Es wird dem Leser nicht entgangen sein, daß diese Einwände im Verlauf der bisherigen Analysen teils implizit, teils explizit bereits beantwortet wurden; ich stelle sie hier gleichwohl noch einmal zusammen, damit der Leser sich zu Beginn der Einzelanalysen vor Augen halten kann, welche Alternativen für die Auslegung der -Stellen bestehen. Die Beantwortung der Einwände kann sich angesichts der Ergebnisse der früheren Kapitel auf die allgemeineren Gesichtspunkte beschränken. Brieflicher Einwand eines deutschen Kollegen gegen den Vorentwurf dieser Untersuchung, den ich im Mus. Helv. 35, 1978, 18-32 vorgelegt hatte.
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doch nach einer grunds tzlich anderen Art von Hilfe als die gesprochene Darlegung3. Drittens sei es doch absurd anzunehmen, da ein Philosoph, der in einen Elenchos eintritt ber das, was er geschrieben hat, nunmehr m ndlich wesentlich verschiedene Dinge zur Verteidigung seiner Schrift darlegen werde. Eine sinnvolle Verteidigung m sse sich doch an das zu Verteidigende halten: wenn die Schrift etwa ber Politik ging, w rde man erwarten, da der Verfasser in einen Elenchos ber Politik eintreten wird, da er also das Thema nicht wechseln wird. Andernfalls h tte man zwei verschiedene Arten von Themen, eine Art f r die geschriebene Philosophie, eine andere f r die m ndliche*. Der erste Einwand bersieht, da die im Schriftwerk enthaltenen F lle von ,Hilfe f r den Logos' die Funktion von Beispielen haben: an ihnen k nnen wir ablesen, was βοηθεϊν konkret bedeutet. Diese παραδείγματα selbst beweisen nat rlich noch nicht, da das Schriftwerk insgesamt weiterer ,Hilfe' bedarf, wohl aber sagt das der Phaidros in aller Allgemeinheit vom Buch des Philosophen, und die einzelnen Dialoge sagen jeweils von sich, und zwar meist auf dem H hepunkt der Diskussion, da sie inhaltlicher Erg nzung bed rfen. Die paradigmatischen F lle von ,Hilfe', die Ausf hrungen des Schlu teils des Phaidros und drittens die Aussparungsstellen der Dialoge m ssen in ihrem Zusammenhang erkannt werden: so wie der weiterf hrende schriftliche Logos seinem einfacheren Vorl ufer ,hilft', so verweist der Dialog insgesamt auf weitere ,Hilfe' — und dies gilt auch und gerade f r die inhaltlich am weitesten f hrenden Dialoge, deren Aussagen nirgends im Schriftwerk fortgef hrt werden. Die Verl ngerung des am βοήθειαModell der Dialoge ablesbaren Begr ndungszusammenhangs ber die Dialoge hinaus wird vom Schriftwerk selbst gefordert. Der zweite Einwand postuliert, um der Anwendung des βοήΦειαModells auf das Schriftwerk zu entgehen, zwei verschiedene Arten von ,Hilfe'. Man h tte freilich gerne gewu t, worauf im Platontext sich diese Unterscheidung st tzen m chte5. Der Phaidros jedenfalls zeigt deutlich, 3 4
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So die Polemik von de Vries, Mus. Helv 36, 1979, 60 — 62 gegen den in Anm.2 genannten Entwurf. So G. Vlastos, Gnomon 35, 1963, 653: „to change subjects" sei mit der Idee von βοηΟεΐν τω λόγω unvereinbar; „if he (sc. a man) had been writing about politics, he would be expected to go into an elenchus concerning politics", unm glich k nne er „now turn to a different, and more exalted, topic, like metaphysics". Im folgenden (654) k mpft Vlastos sehr engagiert gegen die Vorstellung von ,two sets of objects'. De Vries 1. c. 61 scheint seine Ansicht, da „the help which is asked for in the course of a conversation is not the same thing as the support which is needed by the written word" auf die Auffassung zu gr nden, da βοηθεϊν in Politeia 368 b c „bears on the
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daß es für Platon ein und dieselbe Fähigkeit des ist, die sich in der Verteidigung der mündlichen wie auch der schriftlichen Darlegung des Dialektikers zeigt6. Ob im schriftlichen ,Abbild' eines Gesprächs der mündlich philosophierende Sokrates seinen eigenen mündlichen Logos verteidigt, oder ob Platon einem Argument aus einem seiner Dialoge zu Hilfe kommt, sei es schriftlich als Autor oder mündlich als Lehrer in der Akademie, kann keinen prinzipiellen Unterschied begründen: schon die Abbildnatur der Schrift bürgt dafür, daß dieselben Strukturen vorliegen müssen. Man bedenke auch, daß Platon verschiedentlich den Dialog nur als schriftliche Fixierung eines bestimmten Gesprächs verstanden wissen will7; wenn der Gesprächsführer nun die Aufzeichnung sähe, könnte er zur mündlichen ,Hilfe' für diese Schrift schreiten — die Aufzeichnung wiederum dieser ,helfenden' Fortsetzung des Gesprächs wäre aber zugleich die schriftliche ,Hilfe' für den in Schrift gefaßten ersten Dialog. Diese Überlegung mag wie ein theoretisch ersonnener Fall klingen, gewinnt aber konkrete Bedeutung für Platons Hauptwerk: das erste Buch der Politeia hat, wie die Mehrheit der Interpreten seit K. F. Hermann annimmt, lange vor den Büchern II — X als fertige Schrift vom Typ der Frühdialoge vorgelegen8. Die Fortsetzung, die der mittleren Periode angehört, gibt sich aber ausdrücklich als ,Hilfe' für Sokrates' These in Buch I9. Wenn wir uns nun fragen, was Platon zu der Zeit, als er Politeia II — X schrieb, aber noch nicht abgeschlossen discussion as a whole, not on a specific theory proposed on its course". Aber der zuletzt zitierte Satz ist ein Irrtum von de Vries, nicht eine Aussage des Platontextes. Und selbst wenn er richtig wäre, könnte er den Schluß auf zwei prinzipiell verschiedene Arten der ,Hilfe' nicht begründen. « S. oben 10 ff., 20f. 7 So vor allem im Prooemium des Theaitetos, ähnlich im Phaidon und Symposion (vgl. unten 260). 8 K. F. Hermann, Geschichte und System der platonischen Philosophie, Heidelberg 1839, 538. Die Annahme einer separaten Publikation von Buch I unter dem Titel ,Thrasymachos' (F. Dümmler, Zur Composition des platonischen Staates, Kleine Schriften I, Leipzig 1901, 229ff.) ist nicht nötig. Die frühe Entstehung verteidigt jedoch mit Recht Friedländer I 45f.; wenig durchschlagend ist der ,positive' Nachweis von K. Vretska, Platonica III, WSt 71, 1958, 40-45, daß Buch I allein als Einleitung zum Gesamtwerk denkbar sei, noch weniger überzeugend der Gedanke von Guthrie IV 441, Platon habe dem Leser der Politeia in Buch I „the stages of his own pilgrimage" nicht vorenthalten wollen. Vgl. unten 277 ff., 283 mit Anm. 30 u. 32. — Für die im Text verfolgte Überlegung kommt es im übrigen wenig darauf an, ob zwischen der Abfassung von Buch I und Buch II-X viel oder wenig Zeit verstrich; entscheidend ist die morphologische Verschiedenheit, die Buch I als einen eigenen, in sich geschlossenen Logos vom Rest abhebt. ' Vgl. unten 279 f.
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hatte, als m ndliche ,Hilfe' f r das erste Buch h tte bieten k nnen, so ist evident, da es sich um nichts anderes h tte handeln k nnen als den Inhalt der jetzt vorliegenden schriftlichen ,Hilfe'10. Auch der dritte Einwand beruht auf einem einfachen Mi verst ndnis. Die thematische Beziehung zwischen dem ,helfenden' und dem hilfebed rftigen Logos ist mit der allzu schlichten Alternative ,one or two sets of objects' nicht zu verstehen. Platon sagt ja im Phaidros deutlich genug, was von einem berlegenen Logos zu erwarten ist: er mu ,anderes', ,mehr' und ,Bedeutenderes' bieten als der Logos, den er bertreffen soll, aber selbstverst ndlich anderes und Bedeutenderes περί του αυτού πράγματος (234 e3) n . Damit ist schon gegeben, da das einseitige Beharren auf der Unm glichkeit von ,two sets of objects' an Platon vorbeigeht. Der Phaidros zeigt auch, wie das eigentliche Erkenntnisziel im Wechsel der Argumente identisch erhalten bleibt; eben dies ist mit exemplarischer Klarheit, wie wir noch sehen werden, auch an der Politeia abzulesen, wo zur ,helfenden' Begr ndung der in Buch I gemachten Aussagen ber Gerechtigkeit ein Wechsel der unmittelbaren Gespr chsthemen stattfindet, freilich ohne da das Generalthema Gerechtigkeit jemals aus den Augen verloren w rde. F r Platon also ist die Identit t des Themas mit der quantitativen und qualitativen Verschiedenheit der Argumentationsreihen sehr wohl vereinbar. Es w re in der Tat absurd gewesen, wenn die m ndliche Philosophie Platons schlichtweg anderes geboten h tte als die Dialoge. Doch das βοήθεια-Modell der Dialoge lehrt, da diese Vorstellung eine selbstgefertigte Schwierigkeit' ist, geboren aus dem modernen Vorurteil gegen ,Esoterik' und der Unf higkeit, den Befund des Textes f r sich sprechen zu lassen. Im brigen wird die vermeintliche Notwendigkeit, den ,helfenden' Logos strikt im thematischen Bereich des hilfebed rftigen zu halten, nicht nur sachlich durch die Struktur der Dialoge widerlegt, sondern auch w rtlich durch eine Formulierung im 10. Buch der Nomoi ausgeschlossen: dort wird im Zusammenhang einer ,Hilfe' f r einen Logos ein έκτόο βαίνείν, ein Heraustreten aus dem urspr nglichen Argumentationsbereich, gefordert. Hier ist der Gegensatz zwischen der platonischen und der antiesoterischen Auffassung von βοηθείν so offenkundig, da 10
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Da auch diese ,Hilfe' ihrerseits erg nzungsbed rftig bleibt, ndert nichts daran, da die n chstliegende und zuerst zu gebende m ndliche Erg nzung und Begr ndung des Arguments von Buch I mit dem Inhalt der folgenden B cher zusammenfiele. Vgl. oben S. 28 f. mit Anm. 6 und 7.
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es keiner weiteren Klarstellungen, nur noch der Kenntnis von der Existenz des relevanten Textes bedarf12. Demnach wenden wir uns nunmehr den Einzelanalysen zu. Das soeben erw hnte 10. Buch der Nomoi mit seiner klaren Benennung der in ihm verwirklichten βοήθεια und ihres ,transzendierenden' Charakters ist geeignet, paradigmatisch an die Spitze der Untersuchung zu treten.
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Da Vlastos seine antiesoterische Erkl rung des Begriffs der ,Hilfe f r den Logos' in offenbarer Unkenntnis des reichen platonischen Belegmaterials zu diesem Begriff konzipiert hat, wird man schwerlich bestreiten k nnen. Neben Nom. 891 de entging ihm z.B. auch Phd. 88 d 6 - 7 (wozu s. unten 243 Anm.77).
Kapitel 5 Nomoi, Buch 10 berschreiten als Wesen der ,Hilfe' Das zehnte Buch der Nomoi hat das Ziel, das Gesetz ber die Behandlung der Gottlosen im kretischen Idealstaat zu erarbeiten. Der sehr streng gefa te νόμοο ace eiac περί wird auf den letzten Seiten formuliert (907 d —910 d), der weit umfangreichere vorangehende Teil versteht sich als ,Einleitung' (προοίμιον), die durch die Milde vern nftiger berredung die Strenge des Gesetzes ertr glich machen soll (890 c). Dieses Verh ltnis der beiden Teile zueinander ist ein sicherer Hinweis darauf, da die Er rterung unter den im Phaidros dargelegten Gesichtspunkten beurteilt werden mu . Dort sind Gesetzeswerke wiederholt1 aufgef hrt unter den geschriebenen λόγοι, bei deren Verteidigung sich zeigen mu , ob der Verfasser ber Besseres als das Geschriebene verf gt und somit ein Philosoph ist oder nicht. Auch Platons Hauptwerk und zugleich umfangreichstes Werk vor den Nomoi, die Politeia, bezeichnet sich als ,Gesetzgebung'2, will also seinerseits unter dem Aspekt der m glichen Vertiefung des Geschriebenen in der m ndlichen Begr ndung gelesen werden3. Im vorliegenden Text ist die Differenz zwischen Schrift und Wort in das dargestellte Gespr ch selbst hineinverlegt: das am Schlu formulierte Asebiegesetz ist innerhalb des fiktiven Handlungsrahmens als geschriebenes Gesetz zu betrachten, ist es doch Teil der Bestimmungen, die den B rgern des zu gr ndenden kretischen Staates bekannt gemacht werden sollen. Aber das Gespr ch ,Nomoi' begn gt sich nicht mit der Erarbeitung dieser νόμοι. Indem der ,Athener' als Gespr chsf hrer einwilligt, ber die starre Drohung des geschriebenen Gesetzes in einem argumentierenden προοίμιον hinauszugehen (vgl. 886 e —887 c, 890 bc), 1 1
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Phdr. 257 e-258 d, 277 d7, 278 c4 (vgl. e2). νόμοο, νομοθετεϊν und νομοθεοία erscheinen an ber 20 Stellen sowohl f r einzelne Bestimmungen im besten Staat als auch f r die ganze Utopie. N heres unten 271 ff.
berschreiten als Wesen der ,Hilfe'
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zeigt er, da er der φιλόοοφοο im Sinne von Phaidros 278 cd ist: λέγων αύτόο verteidigt der philosophische Gesetzgeber sein Gesetzeswerk. Auch wenn beide Teile im Dialog qua ,Abbild' lebendiger Rede geschrieben vorliegen, ist doch im Bezugsrahmen der erz hlten Situation ihr methodischer Gegensatz nicht zu bersehen: die sp ter niederzuschreibenden Gesetze werden der m ndlichen Verteidigung im ελεγχοο bed rfen, f r die der Urheber jetzt schon die weiterf hrenden Argumente bereith lt. Der m ndliche und pers nliche Charakter des argumentativen Teils wird noch dadurch unterstrichen, da die Begr ndungen weitgehend als Gespr ch im Gespr ch und im direkten Appell an die Gottesleugner vorgebracht werden. Eine w rtliche Erinnerung an die Problematik des Phaidros liegt sodann in der Bemerkung vor, da die Gesetzesbestimmungen als schriftlich niedergelegte unver nderlich feststehen und so f r alle Zeit werden Rechenschaft geben m ssen4. Die Situation des ελεγχοο steht jedoch nicht lediglich als abstrakte M glichkeit hinter dem Dialog, sondern wird in ihm voll ausgespielt. Da die Gottesleugner unter den Dialogteilnehmern nicht vertreten sind, werden sie als fiktive Partner gleich zu Beginn eingef hrt (885 c) und bestimmen mit ihrer Pr senz den Gang der Er rterung. Der Athener erkennt an, da er selbst im ελεγχοο steht5, und formuliert die Anklage der Gegner so: (bc δεινά έργαζόμεθα νομοθετούντες cia darin, geliebt zu werden? Boders ,immanent' gewonnene Antwort ist kaum besser als die Antworten des Euthyphron. Das Scheitern seines Interpretationsansatzes weist mit Nachdruck auf die Notwendigkeit, über den Dialog hinauszugehen, wenn man ihn verstehen will. 20 Der Sinn des Motivs vom ,Verbergen' im Euthyphron gewinnt durch den Vergleich mit der leichter analysierbaren Verwendung des Motivs im Euthydemos zweifellos an Klarheit; doch meine ich nicht, daß die Deutung des Euthydemos die Voraussetzung für das Erfassen von Platons Intention im Euthyphron ist. Es gibt kein verläßliches Kriterium zu entscheiden, ob die weniger explizite Verwendung auf die explizite ,vorausweist' oder umgekehrt auf sie ,zurückdeutet'. — Im übrigen sei nicht bestritten, daß unser Dialog auch in der sonstigen Topik des Bildes vom Dialektiker und seiner Art der Wissensvermittlung weniger deutlich ist als der Euthydemos und die Mehrzahl der übrigen Dialoge.
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Euthyphron
des Euthyphron liegen in dieser weiterf hrenden επιστήμη, also au erhalb des Dialogs. Eben dadurch erweist er sich als Schrift eines φΐλόcocpoc.
Kapitel 9 Lysis Der Dialektiker und die Knaben Zugegeben: die Frustration beim Lesen dieses Dialogs ist schlimm. Bekannte Interpreten sahen sich veranlaßt, ihr persönliches Gefühl der Frustration in das ,objektive' Urteil umzusetzen, der Lysis sei mißlungen1. Man könnte dem Urteil unbedenklich beistimmen, wenn feststünde, daß die Frustration des lernwilligen Lesers Platon gegen seinen Willen unterlaufen ist — so wie ja Sokrates, wenn wir ihm glauben dürfen, stets nur unfreiwillig Verwirrung stiftet (Hi.min. 373 b6) und daher eben nichts von Gesprächsführung versteht. Wenn der Dialog hingegen erkennen läßt, daß die Frustration beabsichtigt ist — und das geschieht, wie wir sehen werden, mit ungewöhnlicher Deutlichkeit — , so werden wir eher die Naivität, mit der über Platons nicht ganz ausreichendes Talent2 geurteilt wurde, zwar nicht frustrierend, aber doch deprimierend finden. Allgemein bekannt ist die große Nähe des Lysis zum Charmides, er wurde dessen „Zwillingsbruder" genannt3. Wie in anderen Frühdialogen 1
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Wilamowitz I 141 spricht von den „Klagen der Philosophen, die das Ganze fragmentarisch schelten". Ein Beispiel solcher philosophischer Abwertung bei Th. Gomperz, l c. (oben 107 Anm. 2) 308: der Lysis sei inhaltlich belanglos, ein „bescheidener Satellit" des Symposion. Wilamowitz selbst ist mit der Fähigkeit Platons, „eigene philosophische Gedanken vorzutragen" (was angeblich hier zum ersten Mal geschehe), auch nicht zufrieden (141), und „von theoretischem Gehalt", so glaubt er, „ist im Lysis nicht eben viel" (149); dennoch meint er, wer Form und Inhalt zusammennehme, werde ein negatives Urteil abweisen (141). Guthries Urteil „is simply that the Lysis is not a success" (IV 143); zur Unterstützung zitiert er Cornford: „an obscure and fumbling essay". Guthrie IV 146 meint, die Verfolgung zweier Ziele: der Satire auf sophistisches Argumentieren und der Darlegung des Eigenen, „overtaxed even Plato's genius". Vgl. IV 143: „Even Plato can nod". von Arnim, 1. c. (oben 107 Anm. 2) 69; ähnlich schon K. F. Hermann, 1. c. (oben 69 Anm. 8) 443; vgl. Wilamowitz I 143, Friedländer II 94.
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Lysis
auch, wird versucht, eine ,Tugend', hier die φιλία, einzugrenzen4. Mit dem Charmides (nicht aber mit Laches, Euthyphron und Politeia I) hat der Lysis gemeinsam, da sich die Diskussion ganz offen von der gesuchten Tugend entfernt und Fragen aufwirft, deren Beantwortung (modern gesprochen) nicht mehr ,Ethik', sondern ,Metaphysik' w re5. Diese nicht zu bersehende Gemeinsamkeit legt die Erwartung nahe, da wir in Lysis und Charmides auf die gleiche Konzeption der philosophischen Wissensvermittlung sto en werden. Weniger augenf llig, aber vielleicht nicht weniger wichtig, ist die Verwandtschaft mit einem Dialog ganz anderen Zuschnitts. Sokrates wird in einen Wettstreit hineingezogen hinsichtlich der Kunst, einem έρώμενοο in Worten richtig zu begegnen. Von eben dieser Situation ausgehend entwickelte Platon im Phaidros die allgemeinen Bedingungen der berlegenheit einer Darlegung ber die andere. Die Antwort lag im Begriff der Dialektik, die eine Kunst der Logoi und ihrer psychagogisch richtigen Verwendung und somit auch eine ,Kunst' der philosophischen Liebe ist. Mag der Lysis auch die Fragen des Phaidros nicht in theoretischer Allgemeinheit beantworten, so ist doch die Frage legitim, ob er nicht in der Art der Gespr chsf hrung die gleiche Vorstellung vom Verfahren des Dialektikers voraussetzt. L t sich beobachten, wie die situationsgerechte Handhabung von Wissen Sokrates zum berlegenen ,Erotiker' macht? Es d rfte klar sein, da die thematische bereinstimmung mit der dramatischen Situation des Phaidros und die strukturelle Verwandtschaft mit dem Charmides die Unterhaltung in dieselbe Richtung f hren6. 4
Auch die Freundschaft ist, nach griechischer Auffassung, αρετή TIC η μετ' άρετήο (Aristoteles ΕΝ 1155 a 4). Die Form der Frage ist allerdings nicht: „Was ist Freundschaft?", sondern: „Wie wird der eine des ndern Freund?" (212 a5). (Auf den Unterschied wies R. Robinson, Plato's Earlier Dialectic, Oxford 21953,49 hin: der Lysis ist nicht ein ,What is X?'-Dialog, vielmehr ein ,Is X Y?'-Dialog.) Die Kernfrage lautet: ist das Erste Liebenswerte (das πρώτον φίλον) das Gute? Dies f hrt freilich weiter auf die nicht ausgesprochenen Definitionsfragen: was ist das Gute? was ist das Erste Liebenswerte? 5 Gewi handelt es sich nicht um prinzipielle Unterschiede; die έπιοτήμη του άγαθοΰ im Charmides und das πρώτον φίλον als αρχή im Lysis geh ren jedoch offensichtlich zusammen, und haben andererseits keine eindeutigen Entsprechungen in den genannten Dialogen. Demgegen ber scheint es mir von geringerer Bedeutung, da - wie V. Schoplick, Der platonische Dialog Lysis, Diss. Freiburg 1968, 75 richtig ausf hrt — der Lysis weniger aporetisch ist und sich insofern von den brigen Tugenddialogen einschlie lich des Charmides abhebt. Schoplick h lt daf r, da der reichere platonische Gehalt des Lysis „verschl sselt" (77) gegeben ist; rechnet man mit dieser M glichkeit auch f r den Charmides, so wird man ihn kaum f r weniger .positiv' halten. * Zur inhaltlichen Ber hrung mit dem Symposion vgl. Friedl nder II 95, ferner Schoplick
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Um den Dialog als philosophische Musterrede im Wettstreit mit unphilosophischer Redeweise pr sentieren zu k nnen, hat Platon die Gestalt des Hippothales eingef hrt, der an der Diskussion selbst nicht teilnimmt. Die Einleitungsszene mit Hippothales sollte also nicht als poetische ,Einkleidung' mi verstanden werden7; sie dient zur Festlegung des Stellenwertes des Dialogs als Ganzes. Auf eine f rmliche έπίδειξιο eines unphilosophischen έρωτικόο λόγοο, wie sie im Phaidros durch Verlesung der Rede des Lysias gegeben wird, hat Platon hier verzichtet. Doch fordert Sokrates den verliebten Hippothales auf, seine Art, zu oder von seinem Liebling Lysis zu reden, ,vorzuf hren', damit er wisse, ob Hippothales sich darauf verstehe, was der Verehrer zu seinem Knaben sagen sollte8. Das Reden des Verliebten ist damit von vornherein eine Frage des ,Wissens' (der έπιοτήμη). Die επιδειξία durch Hippothales selbst kann unterbleiben, da sein Freund Ktesippos Sokrates eine lebhafte Schilderung seiner Art gibt, sich gespr chsweise oder schriftlich, in Gedichten wie in Prosa, ber Lysis auszulassen: er verherrlicht in altmodischer Weise nach Art pindarischer Siegeslieder die Familie seines Knaben (204 d, 205 cd). Bei diesem d rftigen Gehalt der erotischen Logoi ist es verst ndlich, da der Elenchos, der durch Sokrates' Frage nach dem Wissen des Hippothales angedeutet ist, kaum lohnen k nnte. So verwundert es nicht, da Sokrates die Lieder und Gedichte des Verliebten gleich beiseite setzt (205 a 9). Der Elenchos mu sich auf die διάνοια des Hippothales richten (205 b2), also auf das, was ,hinter' den Gedichten steht: der platonische Elenchos legt stets die Grundlagen tiefer, sucht die τιμιώτερα auf, die zweifellos dasselbe betreffen wie das prim r Vorgelegte, aber doch, wenn ausformuliert, ,anderes' sind. Sokrates fragt also den Liebesdichter Hippothales nach seiner Philosophie der Liebe. Ebenso wurde der Erotikos des Lysias unter die Frage gestellt, ob denn der Autor wisse, was Liebe ist (Phdr. 259 e ff.). Bei Hippothales ist freilich nicht viel an Reflexion ber sein Dichten 72f., der zudem das H hlengleichnis vergleicht, was im einzelnen nicht allzu ergiebig ist (treffend jedoch die Bemerkung, da „der gesamte Dialog ein St ck Abstieg in die H hle (ist), das Sokrates um der jugendlichen Gespr chspartner willen vornimmt" (73)). Mit Recht weist Friedl nder II295 Anm. 2 die Auffassung von Arnims (oben 107 Anm. 2) 69 zur ck, die „Einkleidung" habe mit dem philosophischen Inhalt keinen „inneren Zusammenhang". Die Identit t der Grundsituation mit der des Phaidros ist freilich auch Friedl nder entgangen. 204 e 10-205 a 2: καί μοι ΐθι έπίδειξαι δ και τοΐοδε έπιδείκνυοαι, ϊνα είδώ εί
έπίςταοαι, δ χρή έραοτήν περί παιδικών πρόο αυτόν ή πρόο δλλοιχ: λέγειν. Phdr. 236 e3 wird das Verlesen der Lysias-Rede als επιδειξία gewertet.
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zu erwarten, er wei nicht einmal, da man den Geliebten nicht eingebildet machen darf, bevor man seine Gunst gewonnen hat (206 ab). So wird auch der Elenchos der διάνοια des Hippothales nicht weitergef hrt; statt dessen bietet sich Sokrates an, selbst ,vorzuf hren' (έπιδεΐξαι 206 c5), wie man mit dem geliebten Knaben zu reden hat. (Die beiden Eros-Reden im Phaidros haben bekanntlich dieselbe Zielsetzung9.) Die Vorf hrung hier ist jedoch von vornherein als Korrektur dieses einen Mi griffs des Hippothales, da er seinen Liebling mit Lob bersch ttet, konzipiert. Sokrates wird also im Gegenteil den Knaben dem tigen; da dies die Zielsetzung ist, ergibt sich hier aus der Situation, sp ter wird es mit gr erer Deutlichkeit ausgesprochen (210 e, vgl. 222 b l —2). Dieses Ziel k nnte nicht erreicht werden, wenn Sokrates Lysis und Menexenos das Gef hl g be, wichtige Erkenntnisse gewonnen zu haben: er mu sie also zu den zentralen Einsichten zwar hinf hren, wenn er sie beeindrucken will, zugleich aber an ihnen vorbeif hren, wenn sie weiterhin davon berzeugt sein sollen, unverst ndig (αφρών 210 d7) zu sein. Das ,T uschende' seiner Argumente10, das beim Lesen das Gef hl der Frustration ausl st, ist mit der Bestimmung des Dialogs gegeben, eine erotische Musterunterhaltung zu sein, die den Fehler vermeidet, den Geliebten hoff rtig zu machen. Damit gewinnt der Lysis grunds tzliche Bedeutung f r die Beurteilung der aporetischen Dialoge: da die sokratischen Aporien nur taktischen Sinn haben, wurde zwar auch anhand anderer Dialoge durch Analyse des sachlichen Gehalts gefolgert11; im Text selbst ist es jedoch sonst nirgends mit vergleichbarer Klarheit ausgesprochen. Wegen der Ungleichheit der Kr fte wird Hippothales, obschon er in eine Gegenposition zu Sokrates ger ckt ist, nicht wirklich als Gegner behandelt12. Seltsamerweise wiederholt sich dieses Motiv, da einer, der kein vollwertiger Gegner ist, scherzhaft als Gegner aufgebaut wird. Menexenos, der gleichaltrige Freund des Lysis, soll diesen nach der ersten ' Lysis 206 c5-7: ... 'icooc αν δυναίμην coi έπιδεϊξαι α χρή αΰτω διαλέγεοθαι αντί τούτων ων οδτοι λέγειν τε και ςίδειν φαοί οε. Diese Formulierung der Konkurrenzsituation erotischer Reden k nnte (abgesehen vom ,Singen') unver ndert in den Phaidros bernommen werden. 10 Hierzu s. unten 124 f. 11 Vgl. besonders die Interpretation des Laches bei W. Schulz, Das Problem der Aporie in den Tugenddialogen Platos, in: Die Gegenwart der Griechen im neueren Denken (Festschrift H.G. Gadamer), T bingen 1960, 261-275. 11 206 c l erscheint er als Ratsuchender. Aus dem Schlu wort des Sokrates 223 b 7 geht freilich hervor, da er Hippothales in dem Bem hen, die Freundschaft des Lysis zu gewinnen, berholt hat: irgendwie waren sie doch Konkurrenten.
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Gespr chsrunde abl sen. Er wird als gef hrlicher Eristiker bezeichnet, der seine Ausbildung von Ktesippos, dem Altersgenossen des Hippothales, erhalten hat (211 bc). Die Bedeutung dieses Motivs scheint r tselhaft: Friedl nder glaubte, Menexenos verk rpere „eine h here Stufe geistiger Bewu theit" als Lysis, wogegen ihm Guthrie zutreffend vorrechnen konnte, da Menexenos' Beitrag ber ein simples Ja oder Nein selten hinausgeht13. Zun chst ist bemerkenswert, da berhaupt ein Hinweis auf die Gefahr der Eristik gegeben wird; vor wem gewarnt wird, ist nicht schwer zu sehen: „der einzige Eristiker in diesem Dialog ist Sokrates" (Guthrie I.e.). Aber die ironische Umkehrung der Warnung ist doch wohl nicht alles. Sokrates sieht sich, und sei es auch nur im Scherz, in der Rolle dessen, der einer Pr fung unterzogen wird. Wird er sich ,helfen' k nnen — so fragen wir unwillk rlich, Frageweise und Terminologie des Phaidros antizipierend. Aber Platon hat sie selbst schon antizipiert: άλλα δρα δπωο έπικουρήοειο14 μοι, εάν με έλέγχειν έπιχειρή ό Μενέξενοο, sagt Sokrates zu Lysis (211 b7). Auch das ist milde Ironie gegen den harmlosen Knaben und zugleich etwas mehr. Denn Lysis ist soeben ,Sch ler' des Sokrates geworden, und er wird demn chst, was er soeben gelernt, genau so gegen Menexenos anwenden (211 a 4 — b4). Die Konstellation Sokrates-Lysis-Menexenos gewinnt zus tzliches Profil, wenn wir sie als selbstironische Variation der im Phaidros vorausgesetzten Beziehungen betrachten: Sokrates der Dialektiker — er erweist sich als solcher im Elenchos, und dazu mu er auf den gef hrlichen' (δεινόο c4) Gegner Menexenos treffen; der Dialektiker ist aber auch der vollendete Lehrer, der in der Seele des geeigneten Sch lers lebendige Logoi pflanzen kann, die sich und dem Pflanzenden Hilfe zu bringen verm gen (Phdr. 276 e7) — so versichert sich Sokrates der ,Hilfe' des Lysis; dieser glaubt seinerseits, auch ohne den Lehrer mit Menexenos fertig werden zu k nnen — er hat also durch einmaliges Anh ren eines Elenchos die Dialektik ,erlernt'. Wie reizvoll die Kindlichkeit dieser Vorstellung ist, kann doch nur der voll ermessen, der Platons ,sp teres' Insistieren auf der L nge und der M hsal des Wegs der Dialektik hinzunimmt. 13 14
Guthrie IV 147 gegen Friedl nder II 88. έπίκουρον γίγνεο9αι synonym gebraucht mit βοηθεϊν Nom. 890 d/891 a. Im brigen betont Platon immer wieder, da es auf die Wortwahl nicht ankommt (Cha. 163 d, Men. 87 be, Politeia 533 e u. .). So wird man hoffentlich nicht Ansto daran nehmen, da ich trotz der Variation im Ausdruck die gleiche »Terminologie* wie im Phaidros wiederfinde.
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Aber sind wir wirklich berechtigt, Sokrates ,hier schon' als Dialektiker im platonischen Sinn zu werten? Nach eigenem Urteil ist er τα μεν αλλά φαϋλοα15, doch hat er von Gott her die Gabe, Liebende und Geliebte schnell zu erkennen (204 b8 —c2). Was genau beinhaltet seine g ttliche Gabe, und was liebt der Fachmann der Erotik selbst? Die einen wollen Pferde erwerben, die anderen Hunde oder Gold oder Ehren, Sokrates' Verlangen richtet sich hingegen auf den Erwerb eines guten Freundes (211 d8 —e8). Liegt hier eine , Vorform' der Stufenfolge der drei Lebensformen vor, in der der Platz der Weisheitsliebe ,noch' besetzt ist von der Freundesliebe16? Sokrates preist die Knaben Lysis und Menexenos gl cklich, da sie den Besitz der Freundschaft in so jungen Jahren „schnell und leicht" erlangt haben (212 a 2 —3) — das klingt nicht viel anders als sein Lob f r den schnellen und leichten Erwerb der cocpia durch Euthydemos und Dionysodoros (Eu-d. 273 d9, 303 c5, e6). Indes ist das nicht der einzige Hinweis darauf, da die φιλία, die er sucht, von anderer Art ist als die Freundschaft der Knaben. Im Zusammenhang der φιλία του αγαθού (217 e9) erkl rt Sokrates, da nur diejenigen ,die Weisheit lieben' (φίλο — οοφεϊν 218 a 3), die sie noch nicht besitzen. Zuvor schon hatte er ausgef hrt, da die Weisheitsliebenden wegen der Gegenseitigkeit der Liebe nicht φίλο — co(poi hei en k nnten, sofern sie nicht von der οοφία wiedergeliebt w rden (212 d 7 — 8). Wie verh lt sich also das, worauf sich Sokrates' ganzes Verlangen richtet, zu ihm selbst? Ist es ihm gewogen, φίλον? Das Wort bezeichnet auch das Eigene, Zugeh rige; ,unser' (ήμέτερον) ist nur, was wir geistig erfassen, ,fremd' (άλλότρίον) ist, was wir nicht verstehen (210 a 9 — c4). Das Eigene (οικεΐον) ist das ,Liebe', auf das sich alle Liebe, Freundschaft und Verlangen richtet (221 e3), und das πρώτον φίλον ist das Gute als die letzte αρχή, in der alle anderen Freundschaften ihr Ziel haben (219 cd, 220 b, de) 17 . Die von Sokrates gesuchte Freundschaft ist mithin " ου φαΰλοο ist der „Sophist" Mikkos 204 a 6. Was der Lysis wirklich zeigt, ist nicht ein Sokrates, der φαΰλοο ist, sondern einer, der f hig ist τα είρημένα φαΰλα άποδεϊξαι. " Da die Pferde- und Hundeliebe mit zur Lebensform des φιλοχρήματος bzw. zum ioc άπολαυοτικόο geh ren, wird man kaum bestreiten wollen. Die Erw hnung dieser neben χρυοίον berfl ssigen Ziele des Verlangens hat doch wohl den Zweck, die zugrunde liegende Dreiheit ,Geld — Ehre — φιλία (= φιλοοοφία)' weniger auff llig hervortreten zu lassen. Mit dieser Camouflage war Platon durchaus erfolgreich: die Erkl rer bergehen den Passus, als handle es sich um eine zuf llige Zusammenstellung (so etwa Schoplick 28, Friedl nder II 88; die Stelle fehlt auch bei A.-J. Festugiere, Contemplation et vie contemplative chez Platon, Paris 21950 und R. Joly, Le theme philosophique des genres de vie dans l'Antiquite Classique, Bruxelles 1956). 17 Guthrie IV 151 n. 3 h lt es f r „a bad slip on von Arnim's part", da dieser behauptete,
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φιλία του αγαθού. Er will sich das Gute zu ,eigen' machen, was seine φιλία zur φιλοοοφία macht, denn wirklich eigen ist der Seele18 nur das, was ihrem vo c zug nglich wird. Wir haben mithin guten Grund, den nach Freundschaft verlangenden Sokrates als Vertreter des ioc θεωρητικόο, als eigentlichen Dialektiker anzusprechen. Worauf er sich πάνυ έρωτικώο (211 e3) richtet, sind nicht menschliche Freunde, die ihn wiederlieben werden19, sondern das Gute als letzter Ursprung. Vom Gegenstand seiner Liebe her erkl rt sich auch seine F higkeit, Liebende zu erkennen: sie ist nichts anderes als die F higkeit des Dialektikers, die der Sache der Philosophie ,verwandte' Seele, die ψυχή προοήκουοα, aufzufinden 20 . das πρώτον φίλον werde 220 c als das Gute bezeichnet. Das in 220 b neu eingef hrte άγα9όν sei das f r einen anderen Zweck Gute, und in 220 d e sage Sokrates auch, da das πρώτον φίλον keine hnlichkeit mit ihm habe. Guthrie scheint also τούτοις 220 e 2 auf das in b 7 - d 7 behandelte Gute zu beziehen. Indes war das αγαθόν ausschlie lich im Singular erw hnt, der Plural τού/toic geht daher auf die brigen φίλα, die des ersten φίλον wegen φίλα hei en. Das geht nicht nur aus dem Satz d 8 - e 2 selbst hervor, sondern auch aus dem folgenden, mit γαρ angeschlossenen Satz ταΰτα μεν γαρ φίλου ένεκα φίλα κέκληται. Da sich das .wahrhaft Liebe' (το τφ δντι φίλον) als dasjenige gezeigt hat, das ,um eines Verha ten willen' lieb ist (e3 -4), weist zur ck auf d2, wo vom Guten gesagt war, da wir es ,wegen des blen' lieben. Der R ckverweis in άνεφάνη (e4) setzt also die Identit t von αγαθόν und πρώτον φίλον voraus - der , ble Schnitzer' liegt bei Guthrie. Nimmt man noch hinzu, da die Auffassung, das Gute werde ,wegen' bzw. ,um willen' des blen geliebt (δια το κακόν d2, έχθροΰ ένεκα e4 — der unerlaubte bergang geh rt zu den bewu ten .T uschungen* des Dialogs), ausdr cklich zur ckgenommen wird (220 e5-6, 221 dl), so ergibt sich die platonische Grundwahrheit mit aller w nschenswerter Klarheit: das πρώτον φίλον ist das Gute, es wird um seiner selbst willen geliebt und ist das einzige wahrhaft ,Liebe', Ursprung aller anderen φίλα. 18 Nicht zuf llig f llt gleich nach der Verwandtschaft zum Gegenstand der Liebe (οίκεΰκ τω έρωμένφ 222 a 2) und nach der Trennung von ihm (ου αν τι άφαιρήται 221 e2) das Wort ψυχή (222 a 3): es geht offenbar um die .Verwandtschaft' der Seele mit der g ttlichen Ideenwelt, um ihre verlorene ,alte Natur' (Politeia 611 e2 und d2). Was die Vorstellung von der ,Verwandtschaft' mit dem Objekt der Erkenntnis f r Platon impliziert, er rterte mit gro er Klarheit K. Glaser, Gang und Ergebnis des Platonischen Lysis, WSt 53, 1935, 60-63. Vgl. auch Schoplick 60-63 (weitgehend im Anschlu an Glaser). " Selbstverst ndlich gewinnt Sokrates auch die Menschen: am Ende des Dialogs z hlt er sich selbst zum Freundschaftsbund der Knaben (223 b7). Wie man aber Freunde gewinnt, sagt er in der protreptischen Rede an Lysis: indem man .weise' wird (210 d 1) - also nicht dadurch, da man die Freundschaft von Menschen sucht. Die Weisheit der Dichter, da der Gott selbst die Freundschaft stiftet (214 a3-4), hat auch einen pr zisen platonischen Sinn: die ,g ttliche' Ideenwelt verbindet die Menschen, die philosophierend die όμοίωαο θεφ anstreben. (Zum Verh ltnis von ,Freundschaft zur Sache' und .Freundschaft zu Personen' vgl. von Arnim 62, Glaser 60-63, Schoplick 62, 67f.) 10 Von hier aus kl rt sich auch die einst lebhaft diskutierte Frage, ob der Lysis zu den
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Worin zeigt sich nun die Gespr chskunst des Dialektikers? Der Zielsetzung gem 21 in der T uschung, denn nur so l t sich vermeiden, da die Knaben der Einbildung verfallen, tiefe Einsicht gewonnen zu haben. Die ,T uschung' mu sich um die wesentlichsten Dinge bewegen, denn nur so werden die Knaben berzeugt sein, da ihnen das Wichtigste zu ihrem Gl ck noch fehlt. Dennoch ist die Betonung der Bedeutung der Gegenst nde, auf die sich Sokrates' Denken richtet, in diesem Dialog nicht vordringlich, da ja der breit diskutierte Begriff eines πρώτον φίλον als Ursprung aller φιλία seine grundlegende Wichtigkeit f r das menschliche Gl cksstreben auch ohne weitere Erl uterung zu erkennen gibt. Hingegen wird die Tatsache, da die Suche nach dem φίλον immer wieder ihr Ziel verfehlt, mehrfach hervorgehoben: ,wir gingen in die Irre', hei t es einmal (213 e3), dann wird von ,Betrogen- und Get uschtwerden' durch die vorgebrachten Argumente gesprochen (215 c 3 — 4 , 219 b6 —9), schlie lich erscheint das ganze Gespr ch wie ein der Vernunft beraubender Wein: επειδή ώοπερ μεθύομεν υπό του λόγου (222 c2) 22 . Die Wahl dieser Ausdr cke verst rkt den schon durch die Warnung vor dem ,Eristiker' Menexenos vermittelten Eindruck, da in der T uschung Absicht liegt. Erg nzend ist denn auch das Moment der Absichtlichkeit der Gespr chsbeitr ge gleich zweimal thematisiert: dem jungen Lysis entf hrt unwillk rlich die Bemerkung, die ganze Untersuchung mit Menexenos, wer wem ,lieb' ist, sei unrichtig angestellt, w hrend Sokrates zwar auch drauf und dran ist, einen Fehler zu machen mit der Bemerkung, Hippothales k nne nun
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Eros-Dialogen z hle oder nicht. F r von Arnim, der vor allem gegen Pohlenz' ,erotische' Interpretation (1. c. [oben 108 Anm. 3] 365 ff.) ank mpfte, l t uns der Lysis „von der philosophischen Erotik des Symposion und des Phaidros nichts ahnen" (40). Das ist richtig allenfalls in dem Sinn, da man vom Lysis allein aus die Eros-Philosophie jener Dialoge nicht rekonstruieren k nnte. Aber von Arnim bersieht die Tatsache, da Sokrates zeigen will, wie man mit einem έρώμενοο reden soll, und dabei letztlich von der φιλοοοφία handelt. Friedl nder II 94 f. zeigt berzeugend, da platonischer Eros durchaus gegenw rtig ist im Lysis. Entscheidend ist schlie lich der Satz, da sich auf das ,Eigene' (das nichts anderes ist als das Gute) ερωο, φιλία und επιθυμία richten (221 e4). Da diese unterschiedlichen Formen des Verlangens ein gemeinsames Ziel haben sollen, l t sich nur vom Stufungsgedanken der eigentlichen Eros-Dialoge her verstehen. Vgl. oben 120. Gleich darauf wird der Satz widerlegt, da das Gute allen wesenseigen und somit ,lieb' ist (222 cd) - ein Satz also, der zum „philosophischen Reinertrag" (v. Arnim 62) des Lysis geh rt. - Wie Schoplick 74 Anm. 3 treffend bemerkt, nimmt Sokrates mit μεθύομεν selbst den Vorwurf auf, der etwa in ταράττει Hi. min. 373 b4 gegen ihn erhoben wird.
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sehen, wie man mit dem Geliebten reden mu , sich dann aber doch beherrscht und in der Rede inneh lt23. Zwar betrifft die Zur ckhaltung bzw. die Unf higkeit dazu beide Male nicht so sehr den Gegenstand der Sache als vielmehr eine gespr chstaktische Bemerkung. Dennoch ist es signifikant, da das Motiv zweimal ins Spiel gebracht wird, und zwar in gegens tzlichem Sinne, und selbstverst ndlich in der Rollenverteilung, die nach dem Phaidros zu erwarten w re. Wer die Seelenkenntnis besitzt, die f r eine psychagogische Gespr chstaktik n tig ist, erf llt eine der beiden grundlegenden Anforderungen an den Dialektiker. Da Sokrates auch die andere Anforderung, die der Sachkenntnis, erf llt, darauf weist — au er seinem Herumt uschen um das Entscheidende — wohl auch die Einf hrung eines anonymen Gew hrsmannes, der auch hier, wie im Hippias maior, als eine Maske des Sokrates selbst zu verstehen ist. Dieser spielt auf das nevia-Ttopoc-Philosophem an24, welches die Diskussion wesentlich f rdern k nnte, w rde es in der Form ausgef hrt, in der es im Symposion (203 bff.) erscheint. Doch wird der Ansatz gleich wieder abgew rgt, nicht ohne einen deutlichen Hinweis auf die Unzul nglichkeit des dabei verwendeten Argumentes (216 a7) 25 . Die Fortf hrung des Gespr chs w re also n tig, und zwar auf einem anderen Niveau. Damit dies nicht dem Gef hl des Lesers berlassen bleibt, l t Platon Sokrates mit der Bemerkung schlie en, er habe ,einen der lteren bem hen' wollen26. Ein neues Gespr ch ist damit gefordert, schwerlich ein k rzeres, mit Sicherheit aber ein anspruchsvolleres. Denn 23
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Man halte 213 d 3 έδόκει γαρ μοι ακοντ' αυτόν (sc. τον Λύαν) έκφεύγειν το λεχθέν gegen 210 e2-211 a 1 και ολίγου έξήμαρτον ... ανέλαβαν ούν έμαυτόν καΐ έπέςχον του λόγου. 215 d 5 πένητα τω πλουοίφ άναγκάζεοθαι φίλον είναι. Die allgemeine Formulierung als wechselseitige Liebe der Gegens tze erinnert an die Rede des Eryximachos Symp. 186bff. (Friedl nder II 95). Sokrates beruft sich auf die άντιλογικοί. Wie μεθύομεν 222 c2 (vgl. oben Anm.22) besagt das, da das Thema philosophisch entwicklungsf hig und bedeutsam ist. Falsch ist an der ,Widerlegung', da sie von der gegenseitigen Liebe zwischen Positivem und Negativem (216 b) ausgeht, w hrend zun chst nur von der Liebe des Armen zum Reichen und des Nichtwissenden zum Wissenden (215 d5 —7) die Rede war — wie ja auch im Symposion Penia Por s liebt, nicht aber auch umgekehrt. 223 a l εν νω είχον άλλον ήδη τινά των πρεοβυτέρων κινεΐν. Die bersetzung „einen anderen von den lteren" (Schleiermacher) ist irref hrend, da man demnach auch Lysis und Menexenos zu den lteren z hlen k nnte. Im Gymnasium sind an den Hermaia .sowohl J nglinge als auch Knaben vermischt' (206 d2); da die bisherigen Gespr chspartner eindeutig zu den παίδες z hlen - sie stehen noch unter der Aufsicht der P dagogen — , m te der n chste ein νεανίοκοο sein. Der Sinn der Stelle ist: „einen anderen, und zwar einen von den lteren". (Zum Gebrauch von άλλοο s. K hnerGerth II l, 18983, 275 Anm.l.)
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wenn die Bemerkung des Sokrates über den ,schnellen und leichten* Erwerb der Freundschaft in frühester Jugend einen ironischen Hinweis darauf geben wollte, daß Lysis und Menexenos für die hier gemeinte, nur auf der der Dialektik erreichbare philosophische 27 noch nicht reif sind , so ist der Ruf nach einem älteren Partner — statt einfach nach einem anderen — zugleich der Ruf nach einer höheren Stufe der Reflexion. Doch da kommen die ungehobelten Pädagogen und ziehen „wie Dämonen" die Knaben weg. Man löst die Zusammenkunft auf, ohne die weiterführende Gesprächsrunde begonnen zu haben. Doch der Leser, der gelernt hat, die ,poetische Einkleidung' als Teil der Aussage zu deuten, wird mit dem definitiven Bescheid entlassen, daß das entscheidende philosophische Wissen vom Ursprung als dem ersten Liebenswerten nur in Berauschtem' Zustand, mithin in getrübter Sehweise in den Blick genommen, seinem eigentlichen Gehalt nach aber mit voller Absicht aus dem Gespräch herausgehalten und einer anderen Gelegenheit vorbehalten wurde28.
" Zu 212 a vgl. oben 122 f. Wie stets bietet sich auch hier die ,ironische' Deutung als Alternative an: nur der, der nicht verstanden hat, daß zwischen den Zeilen ,indirekt' alles Wesentliche angedeutet ist, werde Weiteres erwarten. Wie stets bezieht auch hier die Erklärung mittels des ,indirekt' Mitgeteilten ihre ganze Plausibilität ausschließlich aus dem (uneingestandenen) Rückgriff auf Gedanken, die anderswo direkt mitgeteilt sind: ohne Kenntnis der Politeia, des Symposion und Phaidros wäre die Behauptung, daß im Lysis überhaupt etwas ,mitgeteilt' ist — und nicht vielmehr das Protokoll einer in der Lächerlichkeit endenden (223 b4) orientierungslosen Suche vorliegt - nicht mehr als ein Zeugnis idiosynkratischer Phantasien.
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Kapitel 10 Charmides Der J ngling und der ,schlechte Forscher' „Einen der lteren bem hen" wollte Sokrates am Ende des Lysis. Eben dies tut er im Charmides. Hatte das Gespr ch ber die Freundschaft damit geschlossen, die noch nicht erreichte Selbst ndigkeit der Gespr chspartner des Sokrates zu betonen, so beginnt das Gespr ch ber die Besonnenheit mit dem Hinweis, da die Titelfigur Charmides dem Knabenalter entwachsen, „bereits ein J ngling" (μειράκιον, veavicKOC, 154 b 5, d l ) ist. War die Unterhaltung mit den Knaben Lysis und Menexenos durch fremdes Eingreifen abgebrochen worden, wobei die harmlosen Paidagogoi ώοπερ δαίμονεο, und das hie dort: wie finstere feindselige δαίμονεο dazwischen fuhren, so endet der Diskurs mit dem J ngling Charmides' mit dessen freiem Entschlu , sich Sokrates auf Dauer anzuschlie en, um ,besonnen' und damit ευ — δαίμων zu werden1. Die antithetische Beziehung der beiden Gespr chssituationen ist offenkundig. Ist also der Charmides die im Lysis angedeutete Fortsetzung der philosophischen Suche mit einem reiferen Partner auf h herem Niveau 2 ? 1
1
Sokrates zu Charmides: ... δοφπερ ααφρονέοτεροο εΐ, τοςούτω είναι και εύδαιμονέοτερον 176 a 4 —5. Zuvor war im Gespr ch versucht worden, den Zusammenhang von jBesonnenheit' und »Gl ckseligkeit' zu zerrei en (173 a —e, wozu s. unten 140). Die Frage zielt nicht auf Chronologie. Wenn sich in beiden Dialogen das gleiche in sich konsistente Bild von Dialektik wirksam zeigen sollte, das auch im Phaidros und in der Politeia vorliegt, so d rfte es klar sein, da es f r Platon keine gro e Rolle gespielt haben kann, welchen Teil des gro en Gesamtbildes er zuerst schriftlich ausarbeitete. Die Datierung der beiden Dialoge im Verh ltnis zueinander wird sich kaum mit Sicherheit bestimmen lassen. Was die absolute Datierung des Charmides betrifft, so ist die ,sp te' Datierung in die 80er Jahre des 4. Jahrhunderts nicht lange vor den ,metaphysischen' mittleren Dialogen, die Kahn als ,haeretische' Neuigkeit vertritt (Kahn, Ch. H.: Did Plato Write Socratic Dialogues?, CQ N.S. 31, 1981, 305-320), schon von verschiedenen Interpreten mit unterschiedlichen Argumenten vorgeschlagen worden, siehe z. B. B.Witte, Die Wissenschaft vom Guten und B sen. Interpretationen zu Platons .Charmides', Berlin 1970, 42-46; G. M ller, Philosophische Dialogkunst Platons (am Beispiel des Charmides), MH 33, 1976, 129-161 (Charmides „mu kein Fr hdialog sein", 160).
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Charmides
Da wir unsere Erwartungen in dieser Hinsicht nicht zu hoch ansetzen, davor warnen nicht nur der Grundgedanke der Schriftkritik und nicht nur die Einsicht, da auch J nglinge' noch weit davon entfernt sind, reif zu sein f r platonische Dialektik, also nicht nur Phaidros und Politeia3, sondern das Rahmengespr ch des Charmides selbst. Es geht von vornherein um nicht mehr als ein Vorgespr ch, das feststellen soll, ob der J ngling Charmides ein geeigneter Empf nger f r das Heilmittel ist, das Sokrates bereitzuhalten vorgibt4. Er w re es, wenn er die Tugend der ,Besonnenheit'5 bereits bes e. Der Test erreicht sein Ziel nicht: da nicht klar wird, was die Besonnenheit ist, l t sich auch nicht sagen, ob Charmides sie besitzt (176 a 6 —8). Das hindert ihn nicht, sich Sokrates zum ,Besprechen' seiner Seele anzutragen, das doch nur diejenigen ben tigen, die der gesuchten Tugend entbehren. F r Charmides hat der Test also entgegen allem Anschein doch zu einem eindeutigen, n mlich eindeutig negativen Ergebnis gef hrt. Und dieses Ergebnis weist auch der vorangegangenen Unterhaltung ihren Platz an: sie war alles andere als die Erf llung hochgesteckter Ziele, vielmehr nur der erste Schritt zu einer auf lange Zeit angelegten Sch lerschaft. Dabei ist die Entscheidung des Charmides vom Gang der Untersuchung her gesehen reichlich paradox, und das Paradoxe daran ist mit starken Mitteln gezeichnet. Einerseits ist seine Hinwendung zu Sokrates nachgerade als Bekehrung dargestellt: Er will ihm „folgen", ihn „nicht verlassen", und er will ihm folgen „von diesem Tage an"; Sokrates soll seine Seele besprechen „alle Tage", so lange es ihm gut d nkt6 — die Unbedingtheit der Hingabe des Bekehrten an den einzigartigen Lehrer hat einen fast religi sen Zug. Andererseits hat sich Sokrates nach eigenem Urteil als „schlechter Forscher" erwiesen, unf hig, im Gespr ch irgendetwas zu untersuchen, und niemand kann ihm widersprechen, wenn er sagt, er rede Unsinn7. 3
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Nach dem Zeitplan Politeia 537 bff. beginnt die Auswahl der k nftigen Dialektiker unter den mehr als Drei igj hrigen; ab dem f nfzigsten Jahr treten sie in die entscheidende letzte Phase ein (540 a). 156 d —158 e. Die Bedeutung der Metaphorik von ,Heilmittel' und ,Zauberspruch' wird ausf hrlicher er rtert am Ende dieses Kapitels. Die Bedeutung von οωφροούνη wird von keinem deutschen Terminus genau wiedergegeben. Vorl ufig sei die traditionelle bersetzung »Besonnenheit1 beibehalten. Unsere Interpretation wird ergeben, da Selbstbeherrschung', wissende Kontrolle ber das eigene Tun die Nuance ist, die dem von Platon Gemeinten am n chsten kommt. (Guthrie IV 157 n. 2 gibt eine Liste von bersetzungsvorschl gen in drei Sprachen.) 176 b 9 cbc άκολουθήοοντοο, εφη, και μη άπολειψομένου, c 4 από ταυτηα τήο ήμέραο άρξάμενοο, b 4 έπφδεοθαι υπό co ccti ήμέραι, §coc αν (pfjc α> ίκανώς εχειν. 175 e 6 οϊομαι ... έμέ φαϋλον είναι ζητητήν, 176 a 3 αδύνατον λόγω ότνοΰν ζητεϊν,
Der J ngling und der ,schlechte Forscher'
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Charmides hat sich demnach mit tiefer Inbrunst einem schlechten Forscher, und das hei t dann wohl auch: dem falschen Lehrer, ausgeliefert. Platon l t uns hier eine starke Diskrepanz sp ren zwischen der Handlung des Dialogs, die zu einem unzweideutigen und offenbar von allen als positiv empfundenen Abschlu gelangt, und dem theoretischen Gehalt, der sich nicht zu einem klaren Ergebnis verdichten will und sich schlie lich selbst negiert, wodurch eigentlich auch der positive Handlungsverlauf entwertet sein m te. Diese Interferenz von ,Handlung' und theoretischer Suche stellt die Interpretation des Dialogs vor eine klare Alternative: Entweder liegt wirklich, wie Sokrates versichert (166 c 7 — e 2 ) , nur sachorientierte philosophische ,Suche' vor — dann haben wir angesichts ihrer Ergebnislosigkeit (und ihrer Fehlschl sse) keinen Rechtsgrund, Sokrates' negative Selbsteinsch tzung zur ckzuweisen, und Charmides' Bekehrung w re zumindest in ihrer emphatischen Unbedingtheit bedenklich; oder wir schenken Sokrates, wenn er sich ,Schw tzer' nennt, nicht mehr Glauben, als wenn er sich unter der Wirkung eines ,Anfalls' oder ,berauscht' glaubt (Hi. min. 372 e, Lys. 222 c) — dann werden wir die ,Suche' als eine nicht allein sachorientierte, sondern prim r partnerorientierte verstehen, und die Entscheidung des Charmides w re dann uneingeschr nkt richtig, auch wenn er selbst es noch nicht begr nden kann: denn dargestellt w re dann der Dialektiker auf der Suche nach einem geeigneten H rer, der ,Wissende' also, der so viel an Einsicht ins Gespr ch einf hrt, wie es der augenblickliche Zweck verlangt. Wenn die Handlung des Dialogs Z ge aufweist, die sich nur vom Bild des Dialektikers im Phaidros aus entschl sseln lassen, so lie e sich auch die Natur des Wissens bestimmen, das der ,schlechte Forscher' Sokrates, wie er behauptet, nicht hat. Aber haben Handlung und Personenzeichnung des Charmides berhaupt etwas zu tun mit dem Gedankenkreis der Schriftkritik? Sokrates trifft nicht sogleich auf Charmides, seine Bekanntschaft wird ihm vermittelt durch Kritias, den lteren Vetter und Vormund des J nglings. Kritias wird berdies im Verlauf des Gespr chs zum zweiten und wichtigeren Dialogpartner. Am Ende best rkt er Charmides kraft seiner Autorit t als Vormund in seinem Vorsatz, Sokrates zu folgen. Um das Gespr ch zu verstehen, m ssen wir nicht allein auf die Beziehung Charmides — Sokrates achten, sondern ebensosehr auf Kritias' Verh ltnis 173 a 3 οίμαι μεν, ... ληρεΐν με, 176 α 3 λήρον. 175 a 10 ουδέν χρηοτόν περί cco(ppocuvT|c αυθμου τε και άρμονίαο, ... 3. Isokrates, 2.7 καί των μετά μέτρου ποιημάτων καί των καταλογάδην ουγγραμμάτων, 2.42 τα ουμβουλεύοντα και των ποιημάτων και των ουγγραμμάτων χρηαμώτατα απαντεο νομίζουοιν. den ουγγραφαί, die Pythagoras nach Heraklit plagiiert hat, dachten Kirk-Raven an Hesiod (The Presocratic Philosophers, Cambridge 1957, 219); vermutlich sind auch orphische Dichtungen gemeint, s. W. Rathmann, Quaestiones Pythagoreae Orphicae Empedocleae, Diss. Halle 1933, 93; W. Burkert 1. c. (oben 2 Anm. 1) 131 n. 210. (Vgl. unten Anm. 6.) Nur ein Beleg dieses Inhalts k nnte die heutige communis opinio retten. E. Schmalzriedt, 1. c. (oben 345 Anm. 19) 358 Anm. 14, hat nicht verstanden, was hier bewiesen werden mu , sonst h tte er nicht den pseudoplatonischen Minos als vermeintlich entscheidenden Beleg bem ht; zu diesem Text s. unten S. 379.
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Anhang II
4. Galen 16.532 K hn το δ' „οίον και Θρασύνοντι" μάλλον ύπομνήματι πρέπον εστίν ή ουγγράμματι („commentarium magis quam opus id decet" K hn). 5. [Platon] Minos 316d9-e4 ούκουν και οί ιατροί ουγγράφουοι περί ύγιείαο άπερ και νομίζουαν είναι; - ναί. - ιατρικά άρα και Ιατρικοί νόμοι ταύτα τα ουγγράμματα έοτίν τα των ιατρών. - ιατρικά μέντοι. - άρ' οδν και τα γεωργικά ουγγράμματα γεωργικοί νόμοι είοίν; - ναί. 6. Platon, Nomoi 858 c 10 - d 3 πότερον οΰν τοΐο μεν των άλλων ουγγράμμαοιν, ποιητών και coi άνευ μέτρων και μετά μέτρων3 την αυτών εις μνήμην ουμβουλήν περί βίου κατέθεντο ουγγράψαντεο, προοέχωμεν τον νουν, τοΐο δε των νομοθετών μη προοέχωμεν; Die Belege 2, 3 und 6 zeigen, da man alles Schrifttum unter die Dichotomic ,metrisch — ohne Metrum* zu bringen pflegte; 1—3 zeigen, da jMetrisches' und ,ποιήματα' den gleichen Bereich abdecken, w hrend alles metrisch nicht Gebundene ούγγραμμα ist. Diese Begriffsbestimmung wird als die verbindliche best tigt durch die Definition von ουγγραφεύο (also des Verfassers einer ουγγραφή bzw. eines ούγγραμμα) als ,Verfasser von Prosa': ουγγραφεΐο ... πάντεο οί πεζή φράοει κεχρημένοι, τουτέστιν οί τα άμετρα γράψαντεο (Schol. in Dionys. Thracem p. 11.7 Hilgard). Die Galenstelle scheint demgegen ber den sonst vergeblich gesuchten Beleg f r ούγγραμμα = ,systematic work' — so LSJ s. v. — zu liefern; indes f gt das Lexikon gleich hinzu: ,ορρ. υπομνήματα', woraus hervorgeht, da wir es nicht mit der allgemeinen, sondern einer sehr spezifischen Bedeutung des Wortes zu tun haben, die nur dort anwendbar ist, wo wirklich der bezeichnete Gegensatz intendiert ist; berdies impliziert dieser Gegensatz keines der Merkmale systematischer Werke (Vollst ndigkeit und systematische' Anordnung), weswegen »systematic work' als berdeterminierende bersetzung besser durch selbst ndiges Werk' (,opus' in der bersetzung von K hn) zu ersetzen ist; das erkl rt auch υπόμνημα als Gegenbegriff: der Kommentar ist gegen ber dem kommentierten Werk unselbst ndig. Wenn wir es mit einem Kommentar zu einem Dialog Platons zu tun haben, so ist eben der Dialog das ούγγραμμα, der Kommentar das dazugeh rige υπόμνημα. 3
Zu erw gen w re die Athetese von και μετά μέτρων (oder vorher von ποιητών καί). Die Bedeutung von σύγγραμμα w re davon nicht betroffen.
Die Bedeutung von ούγγραμμα
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Der pseudoplatonische Minos gibt der Formulierung nach tats chlich so etwas wie eine Definition von ούγγραμμα als Aufzeichnung der ,Gesetze' oder Grundregeln eines Fachgebietes (genannt sind Medizin, Landbau, G rtnerei, Kochkunst, Politik, 316 d —317 c). Zum Gl ck l t sich noch erkennen, wie es zu dieser ,Definition' kam: aus der richtigen Feststellung, da die rzte in ihren Schriften aufzeichnen (ουγγράφουοιν), was sie meinen (νομίζουοιν), wird in fragw rdigem bergang der Satz, da medizinische ουγγράμματα medizinische νόμοι „sind" - offenbar ein Versuch des Autors, die notorischen logischen Fehlschl sse der platonischen Fr hdialoge nachzuahmen. Aber selbst wenn die ,Definition' auf korrekte Weise gewonnen w re, w re der Stelle nicht zu entnehmen, da ούγγραμμα f r sich genommen (d. h. ohne eine Bestimmung wie ίατρικόν, γεωργικόν) schon die Bedeutung »Darstellung von Grundregeln' hat, und erst recht nicht, da ein Dialog wie die Nomoi ungeeignet ist, die νόμοι oder Grundregeln des menschlichen Zusammenlebens festzuhalten; da gerade dies das Thema der Nomoi ist, ist dieser Dialog — zu dem ja der Minos in der antiken Tetralogienordnung als Einleitung dient - unzweifelhaft ein ούγγραμμα περί των δικαίων και αδίκων καί δλωο περί πόλεωο διακοομήοεώο τε και περί του ώο χρή πόλιν διοικειν (Min. 317 c 3 -5). W hrend also auch aus Beleg 4 und 5 eine generelle Einengung des Begriffsumfangs von ούγγραμμα nicht zu gewinnen ist, bringt Platon in Beleg 6 berraschenderweise eine Ausweitung auf alles Geschriebene unter Verzicht auf die sonst auch von ihm eingehaltene Gleichsetzung mit,Prosawerk' und mit einem erhellenden etymologisierenden Hinweis auf den Ursprung des Wortes aus einem ganz unspezifisch gemeinten jZusammenschreiben' (κατέθεντο ουγγράψαντεο fa t Dichter und Prosaautoren zusammen). b) Platons Dialoge als ουγγράμματα bezeichnet. 1. Isokrates 10.9-11 έμοί δε δοκεΐ πάντων είναι καταγελαοτότατον το δια τούτων των λόγων ζητεΐν πείθειν, ώο περί των πολιτικών έπιοτήμην εχουαν . . . (11) εοτι γαρ των μεν τοιούτων ουγγραμμάτων μία τιο όδόο, ην οϋθ' εύρεΐν ούτε μαθεΐν ούτε μιμήοαοθαι δύαοολόν έοτιν. 2. [Platon] Epist. 2, 314 c l-4 δια ταύτα ουδέν πώποτ' εγώ περί τούτων (sc. περί τήο του πρώτου φύοεωο, 312 d 7) γέγραφα, ούδ' εοτιν ςύγγραμμα Πλάτωνοο ουδέν ούδ' εοται, τα δε νυν λεγόμενα Σωκράτουο έοτίν καλού καί νέου γεγονότοο.
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Anhang II
3. Diogenes Laertios 3.37 Εαυτού τε Πλάτων ούδαμόθι των εαυτού ςυγγραμμάτων μνήμην πεποίηται ότι μη εν τω Περί ψυχής (Phd. 59 b) και Απολογία (34 a, 38 b). 4. Themistios, Oratio 23 p. 356 Dindorf ... των ξυγγραμμάτων α Πλάτωνι πεποίηται υπέρ πολιτείας. 5. Proklos, In Platonis Alicibiadem p. 308.24 und 33 Cousin (p. 8 Westerink): των Πλατωνικών διαλόγων synonym gebraucht mit των Πλατωνικών ςυγγραμμάτων. 6. Markellinos, Vita Thucydidis 41: τα Πλάτωνος ςυγγράμματα. 7. Philon von Alexandreia, De aeternitate mundi 15: δια παντός του συγγράμματος („in der ganzen Schrift", sc. dem Timaios). Isokrates polemisiert im Pro mium der ,Helena' gegen Antisthenes, gegen namentlich nicht bekannte Eristiker und gegen Platon, mit deutlicher Anspielung auf die These von der Identit t der Tugenden im ,Protagoras' (10.1). Nach einer Anspielung auf die gesellschaftsfeindlichen Tendenzen gewisser Sokratiker bezeichnet er in 10.9 mit den oben ausgeschriebenen Worten noch einmal den Standpunkt Platons4. Zusammenfassend stellt er dann 10.11 fest, da all dieses f r ihn absurde Schrifttum derselben simplen Methode folgt, τοιαύτα ςυγγράμματα meint hier eindeutig auch die Werke Platons, darunter den Meisterdialog Protagoras. (Vgl. auch unten c) 6.). Von den brigen Belegen ist 2 der wichtigste: f r sich genommen belegt er, da ,Platons Schriften' die bliche Bezeichnung f r die Dialoge war (sie sind gemeint mit τα νυν λεγόμενα sc. συγγράμματα Πλάτωνος „was jetzt ,Schriften Platons' genannt wird"); in Verbindung mit dem 7. Brief (341 c), auf den er deutlich anspielt, beweist er zudem, da die moderne Erkl rung, ein Dialog sei kein ςύγγραμμα, in der Antike unbekannt war (s. oben 344f.). c) ςύγγραμμα und Verwandtes von Heraklit bis in die Zeit Platons5. 1. Heraklit, DK 22 B 129 Πυθαγόρης Μνηςάρχου ίςτορίην ήςκηςεν ανθρώπων μάλιςτα πάντων και εκλέξαμενος ταύτας τάς ςυγγραφάς έποιήςατο εαυτού ςοφίην, πολυμαθίην, κακοτεχνίην. 4
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Nach W.Jaeger, Paideia III, 1947, 129 (= 1973«, 1005) meint 10.8 „den ethischen Individualismus und Kosmopolitismus des radikalen Fl gels der Sokratiker, des Antisthenes und Aristippos"; 10.9 „kann nur Platon gemeint sein, der die sittliche Botschaft des Sokrates als politische Wissenschaft, πολιτική τέχνη, verstand". Es k nnten freilich auch die Megariker mitgemeint sein, die nach Diog. Laert. 7.161 gleichfalls die Einheit der Tugenden vertraten. Vollst ndigkeit ist nur f r die cuyypc^a-Belege bis und mit Platon angestrebt.
Die Bedeutung von σύγγραμμα
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2. Herodot 1.47.1 - 48.1 acca δ' αν εκαςτα των χρηςτηρίων θεςπίςη, ςυγγραψαμένους άναφέρειν παρ' έωυτόν. . . . ως δε και ώλλοι οί περιπεμφθέντες παρήςαν φέροντες τους χρησμούς, ένθαϋτα ό Kpoicoc εκαςτα άναπτύςςων έπώρα των ςυγγραμμάτων. 1.93.1 θώματα δε γη Λυδίη ες ςυγγραφήν ου μάλα έχει. 3.103 το μεν δη είδος όκοϊόν τι έχει ή κάμηλος ... ου ςυγγράφω. 6.14.1 ουκ έχω άτρεκέως ςυγγράψαι οι τι νέο των Ιώνων έγένοντο άνδρες κακοί ή αγαθοί εν τη ναυμαχίη ταύτη. 7.142.1 und 8.135.3 ςυγγραψάμενοι (bzw. -voc) vom Aufschreiben eines Orakels wie 1.47.1 und 1.48.1. 3. Hippokrates Περί διαίτης οξέων 1: Oi ςυγγράψαντες τάς Κνιδίας καλεομένας γνώμας όποια μεν πάςχουςιν οί κάμνοντες εν έκάςτοιςι των νοςημάτων ορθώς έγραψαν ... όπόςα δε προςκαταμαθεΐν δει τον ίητρόν μη λέγοντος του κάμνοντος, τούτων πολλά παρεΐται. lusiurandum: ομνυμι Απόλλωνα ... έπιτελέα ποιήοειν ... δρκον τόνδε καί ουγγραφήν τήνδε και διδάξειν την τέχνη ν ταύτην ... άνευ μιοθοϋ καί ουγγραφήο. 4. Diogenes von Apollonia DK 64 B 4 bezeichnet sein eigenes Buch als ουγγραφή. Hippias von Elis DK 86 B 6 unterscheidet zwischen Dichtungen und ουγγραφαί. (Aristophanes Ach. 1150 τον ξυγγραφή ist vermutlich korrupt.)
5. Thukydides 1.1 Θουκυδίδης Άθηναΐοο ξυνέγραψε τον πόλεμον ... (vgl. 4. 135.2). 1.97.2 τούτων δε οοπερ καί ήψατο εν τη Αττική ξυγγραφή Έλλάνικοο, ... 5.35.3 χρόνουο τε προύθεντο άνευ ξυγγραφής εν olc χρήν τούο μη έοιόνταο πολεμίουο είναι. 6. Isokrates 2.7, 2.42: s. oben a) 3.; 10.11: s. oben b) 1.; 10.2: νυν δε τίο έοτιν ουτωο όψιμαθήο, CTIC ουκ οΐδε Πρωταγόραν καί τούο κατ' εκείνον τον χρόνον γενομένους coqnciac, ότι καί τοιαύτα καί πολύ τούτων πραγματωδέοτερα ουγγράμματα κατέλιπον ήμΐν; πώο γαρ αν τιο ύπερβάλοιτο Γοργίαν ... ή Ζήνωνα ... ή Μέλιοοον; 15.33: ούδείο ουθ' υπό τήο δεινότητας της έμής ουθ' υπό των ουγγραμμάτων βέβλαπται (vgl. των έμών ουγγραμμάτων 14). 15.35: ώοτ' ει ουγχωρήοαιμι τω κατηγορώ καί προοομολογήοαιμι πάντων ανθρώπων είναι δεινότατος καί ουγγραφεύο των λόγων των λυπούντων ύμάο τοιούτος,... Epist. 1.5: καί μη νόμιζε με προθύμως ούτω ςε παρακαλεΐν, ϊνα γένη ςυγγράμματος ακροατής (vgl. 17.52 ςυγγράψας έπιςτολήν). 7. Xenophon Cyr. 8.4.16: πολλά γέ μοι έςτί τοιαύτα ςυγγεγραμμένα („dergleichen": z. B. die Sentenz, da es leichter ist, das Ungl ck
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Anhang II
zu ertragen als das Gl ck), mit Beziehung hierauf 8.4.25: ίνα και τα ουγγράμματα λάβω. Mem. 2.1.21 Πρόδικοο ό ccxpoc εν τω ουγγράμματι τω περί Ήρακλέουο. Mem. 4.2.10 ιατρών συγγράμματα (in seiner Aufz hlung von Fachliteratur). Equ. 1.1 ουνέγραψε μεν ούν και Σίμων περί ίππικήο ... και oca δη παρέλιπεν πειραοόμεθα ήμεΐο δηλώοαι. Hist. Gr. 7.2.1 των μεν μεγάλων πόλεων, ε'ΐ τι καλόν έπραξαν, απαντεο οί ουγγραφεΐο μέμνηνται. 8. Platon, Lysis 204 d 5, 205 a 5: s. oben a) 1.; Lysis 214 b 2: τα των οοφωτάτων συγγράμματα. Gorg. 462 b: Polos schrieb ein σύγγραμμα ber Fragen der Redekunst. Tht. 166 c: Protagoras spricht (vertreten durch Sokrates) und bezeichnet seine Werke als ουγγράμματά μου. Tht. 179 e: mit den Herakliteern kann man nicht diskutieren, άτεχνώο γαρ κατά τα ουγγράμματα φέρονται, 180 a 4 ώοπερ εκ φαρέτραο φηματίααα αίνιγματώδη άναοπώντεο άποτοξεύουαν. Phdr. 257 e 2 - 258 a 9: λανθάνει οε δτι οί μέγιοτον φρονουντεσ των πολιτικών μάλιστα έρώσι λογογραcpiac τε και καταλείψεωσ συγγραμμάτων, ... Ου μανθάνεισ δτι εν αρχή άνδρόσ πολιτικού συγγράμματοσ (συγγράμματι codd.; secl. Burnet) πρώτοσ ό έπαινέτησ γέγραπται. ΦΑΙ. Πώο; ΣΩ. ,,'Έδοξέ" πού φηοιν „τη βουλή" ή „τω δήμω" ή άμφοτέροιο, και „ c εϊπεν" - τον αυτόν δη λέγων μάλα οεμνώο και έγκωμιάζων ό ουγγραφεύο - έπειτα λέγει ... ενίοτε πάνυ μακρόν ποιηοάμενοο ούγγραμμα· ή coi άλλο τι φαίνεται το τοιούτον ή λόγοο ουγγεγραμμένοο; Ferner Phdr. 257 d 7, 258 c 5. Phdr. 258 d 8 — 11: δεόμεθά τι, ώ Φαιδρέ, Λυοίαν τε περί τούτων έξετάοαι και άλλον cnc πώποτέ τι γέγραφεν ή γράψει, είτε πολιτικόν ούγγραμμα είτε ιδιωτικόν, εν μετρώ ώο ποιητήο ή άνευ μέτρου ώο ίδιώτηο; Phdr. 277 d 6-7 Ώο είτε Λυοίαο ή τιο άλλοο πώποτέ εγραψεν ή γράψει ιδία ή δημοοία νόμουο τιθείο, ούγγραμμα πολιτικόν γράφων Phdr. 278 c 3 ...Σόλωνι και cnc εν πολιτικοΐΰ λόγοιο νόμουΰ όνομάζων ΰυγγράμματα εγραψεν. Farm. 128 a 4 — 6: Zenon suche die Freundschaft des Parmenides auch durch sein ούγγραμμα. Politikos 297 d 6, 299 d 7, e 4, 300 a l f., b 6, c l, 301 e 3: α)γγράμματα als schriftliche Aufzeichnung der Regeln einer ,Kunst', einschlie lich der Staatskunst; h ufig synonym mit γράμματα gebraucht (z.B. 300 a l-4). 299 d l-e4: ει ... καί τίνα ίπποφορβίαν αΰ κατά ΰυγγράμματα θεαΰαίμεθα γιγνομένην ... ή παν ότι μέροϋ διακονική περιείλη-
Die Bedeutung von ούγγραμμα
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φεν ... τί ποτ' αν φανείη, κατά ςυγγράμματα γιγνόμενα και μη κατά τέχνη ν; 300 c 1 - 3: Δια ταύτα δη τοις περί ότουοΰν νόμους και ςυγγράμματα τιθεμένοις δεύτερος πλους το παρά ταύτα μήτε ένα μήτε πλήθος μηδέν μηδέποτε εάν δράν μηδ' ότιουν. Nomoi 810 b 6: oben a) 2.; Nomoi 858 c 10: oben a) 5.; Epist. 7, 341 c 5 ουκουν έμόν γε περί αυτών (sc. περί ων εγώ ςπουδάζω) εςτιν ςύγγραμμα ουδέ μήποτε γένηται. 344c3-7: ένί δη εκ τούτων δει γιγνώςκειν λόγω, όταν ϊδη τίς του ςυγγράμματα γεγραμμένα ε'ίτε εν νόμοις νομοθέτου ε'ίτε εν άλλοις τιςίν αττ' οδν, ως ουκ ην τούτω ταύτα ςπουδαιότατα, εϊπερ έςτ' αυτός ςπουδαΐος. [Platon] Epist. 2, 314 c 1 -4: oben b) 2.; [Platon] Minos 316 c 5 - 317 c 3: oben a) 5. 9. Aristoteles nennt Rhet. 1407 b 16 das Buch Heraklits ein ςύγγραμμα (so auch z. B. Diog. Laert. 9.1); EN 1181 b 2: man wird nicht Arzt εκ των ςυγγραμμάτων. ΕΕ 1214 a 2 ςυνέγραψεν vom Verfassen und Anbringen eines zweizeiligen Epigramms („composed an inscription" Rackham, „hat eine Inschrift eintragen lassen" Dirlmeier). Die ersten ςυγγράμματα, die in der erhaltenen Literatur erw hnt werden, sind also nicht systematische Lehrb cher, sondern Aufzeichnungen von Orakelspr chen, wovon Herodot ein Beispiel w rtlich mitteilt: es sind 5 Hexameter aus Delphi. Desgleichen kann ςυγγραφαί im fr hesten Beleg (1) gewi nicht nur Prosaschriften meinen, wie neuerdings erkl rt wurde6, da Pythagoras bei Beschr nkung auf die wenigen Prosaschriften seiner Zeit schwerlich „von allen Menschen am meisten Erkundung getrieben" haben k nnte. Und von ,Systematik' in den Quellen des Plagiators Pythagoras sagt Heraklit ohnehin nichts. ςύγγραμμα bzw. ςυγγραφή ist also das ,Aufgeschriebene', das Produkt der T tigkeit des ςυγγράφειν7. Das Verbum weist auf ein reihendes Aufz hlen hin, was indes nichts pr judiziert ber den m glichen Zusammenhang der aufzuz hlenden Punkte: die Beschreibung der Gestalt 6
7
Ch. H. Kahn, The Art and Thought of Heraclitus, Cambridge 1979, 113 f.; vorsichtiger M. Marcovich (ed.), Eraclito, Firenze 1978, 48: „probabilmente trattati in prosa". Vgl. oben Anm. 1. Wilamowitz schlo Dichtungen nicht aus: „Homer und Hesiod reichen nicht" zur Erkl rung von Pythagoras' Weisheit (Der Glaube der Hellenen II, Darmstadt 4 1973, 185 f.) - das hei t doch wohl, da sie mit zu seinen Quellen geh rten. ουγγραφή kann auch den Vorgang des Aufzeichnens meinen (Hdt. 1.93.1). Das Ergebnis des Vorgangs bezeichnet wieder αυγγραφή als (politisch-)juristische Aufzeichnung, .Vertrag' u. ., wie im Hippokratischen Eid, Thuk. 5.35.3 und sp ter als juristischer Terminus bei den attischen Rednern und auf Inschriften (s. LSJ s. v.).
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Anhang II
eines Tieres ist ebenso ein ουγγράφείν wie die Aufz hlung der Tapferen und der Feigen in einer Seeschlacht. Der Geschichtsschreiber (ουγγραφεύο, Xen.) sollte zwar bei seinem ,Niederschreiben' (ξυγγράφειν, Thuk.) bzw. seiner »Niederschrift' (ξυγγραφή, Thuk.) bestrebt sein, die Ereignisse vollst ndig darzustellen, doch Thukydides vermi te solche Vollst ndigkeit in den Werken seiner Vorg nger (1.97.2). hnlich weist Xenophon auf die Unvollst ndigkeit der Schrift Simons ber die Reitkunst hin, und die entsprechende Bemerkung des Hippokrates ber die Verfasser der Κνίδιαι γνώμαι kann nachgerade als Vorwurf mangelnder Systematik verstanden werden, ohne da das Verbum ουγγράφειν deswegen aufh rte, die passende Bezeichnung zu sein, ist doch auch das Verfassen eines Epigramms noch f r Aristoteles ein ουγγράφειν. ουγγράφειν und ουγγραφή f hren also keineswegs die Vorstellung von systematischer Vollst ndigkeit mit sich und lassen auch keineswegs prim r an Lehrschriften denken. Noch weniger ist das der Fall bei ούγγραμμα, wie ein Blick auf die verschiedenen Typen von ούγγραμμα und die namentlich bezeugten ουγγράμματα zeigt. Unter diesen Begriff fallen Orakelsammlungen, Gnomensammlungen, Briefe, politische Sendschreiben und epideiktische Reden, Schriften von Sophisten und Philosophen, inschriftliche Dekrete, Gesetzes werke und schlie lich auch Fachliteratur. Als Verfasser von ουγγράμματα sind namentlich bezeugt Heraklit, Protagoras, Prodikos, Zenon, Melissos, Gorgias, Polos und Isokrates. Hiervon waren zumindest das Buch des Heraklit, der Mythos des Prodikos von Herakles am Scheideweg und die Manifeste des Isokrates alles andere als systematische Lehrschriften'. ούγγραμμα scheint die ltere Form ουγγραφή abzul sen. Die Festlegung von ουγγραφή auf Prosaschriften ist ihrerseits wohl erst im Lauf des 5. Jh. erfolgt: Heraklit und Hippias (Nr. l und 4) meinen beide „Schriften aller Art", wof r Heraklit einfach ουγγραφάο sagt, Hippias hingegen „Dichtungen und ουγγραφαί". Plat. Nom. 858 c (s. oben 378 f.) lie e sich demnach verstehen als Verwendung der neueren Form bei R ckkehr zur ltesten Bedeutung. Platons sonstiger Gebrauch des Wortes ούγγραμμα entspricht ganz der weiten Bedeutung, die es im Griechisch seiner Zeit hatte. Nat rlich kann er es auch zur Bezeichnung von Fachschriften und Regelb chern verwenden, wie im Politikos; aber auch hier ist selbstverst ndlich nicht bestritten, da der wahre Politiker seine schriftlichen Festlegungen auch in Dialogform geben kann, wie denn die Nomoi das ,Gesetzeswerk' schon im Titel tragen und Sokrates in der Politeia sein gegenw rtiges
Die Bedeutung von ούγγραμμα
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Tun immer wieder als νομοθεοία bezeichnet. Die Gesamtheit der Belege aber erweist Platon als den wichtigsten Zeugen der umfassenden Bedeutung von ούγγραμμα. Und wenn er im 7. Brief ουγγράμματα des Philosophen ber die Gegenst nde, die f r ihn die bedeutendsten sind, ablehnt, so sagt er eigens noch dazu, da er das Wort im allgemeinsten Sinn verstanden wissen will: ςυγγράμματα γεγραμμένα είτε εν νόμοιο νομοθέτου ε'ίτε εν άλλοιο τιαν αττ' ούν - ber die οπουδαιότατα verfa t der οπουδαΐοο keine Schriften, ,welcher Art auch immer'.
Anhang III Zum Siebten Brief 1.
Im ganzen Corpus Platonicum gibt es wohl kaum einen zweiten Satz, der so viel Verwunderung und Verwirrung ausgel st h tte wie der aus dem 7. Brief, in dem Platon sagt, es gebe keine Schrift von ihm ber das, womit ihm Ernst ist, und es werde auch k nftig keine geben: οΰκουν έμόν γε περί αυτών (sc. περί ων εγώ οπουδάζω) εοτιν ούγγραμμα ουδέ μήποτε γένηται (341 c4-5). Steht das nicht in Widerspruch zur Existenz der Dialoge? Drei Deutungen dieses Satzes sind denkbar, je nachdem ob man die Negation auf die Person Platons, auf die Darstellungsform philosophischer Werke oder auf den dargestellten Inhalt bezieht:
οΰκουν έμόν γε περί αυτών εοτιν ούγγράμμα 1) ουκ έμόν: die Dialoge sind nicht von Platon: epist. 2, 314 c l-4
2) kein ούγγράμμα: die Dialoge sind nicht ουγγράμματα
3) ου περί αυτών: die Dialoge enthalten nicht die Dinge, περί ων Πλάτων οπουδάζει. Die erste ,L sung' ist ein Versuch des Autors des 2. Briefes, mit dem schwierigen Satz des 7. Briefes fertig zu werden. ,Platon' bekr ftigt fast mit den gleichen Worten1, da es keine Schrift von ihm gebe, vielmehr seien die jetzt so genannten ,Schriften Platons' dem in Sch nheit neu 1
Epist. 2, 314 c 2 - 3 ist ein lockeres Zitat von Epist. 7, 341 c 4 - 5.
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erstandenen Sokrates zuzuweisen. Was immer die Berufung auf Sokrates bedeuten mag — geistige Urheberschaft des Inhalts der Dialoge oder das Verschwinden Platons hinter der Dialogfigur ,Sokrates' — : das Faktum, da die ουγγράμματα Πλάτωνος genannten Dialoge in der Tat Platon geh ren, l t sich auf diese Weise nicht gut wegerkl ren. Die Verwirrung des Autors zeigt sich auch darin, da er sich nicht entscheiden kann zwischen dieser ,L sung' und der dritten, die er in der ersten H lfte des Satzes noch aufrechth lt: δια ταύτα ουδέν πώποτ' εγώ περί τούτων1 γέγραφα, um sie im folgenden fallenzulassen: ούδ' έοτιν ούγγραμμα Πλάτωνος ουδέν ούδ' εςται, was in dieser Allgemeinheit evident unrichtig ist und durch die Zuschreibung der Schriften Platons an ,Sokrates' zurechtgebogen wird: τα δε νυν λεγόμενα (sc. Πλάτωνος ςυγγράμματα) Σωκράτους έςτιν καλού και νέου γεγονότος. Wenn die Schriften des ,Sokrates' jene Inhalte, ber die Platon nicht schrieb und die nicht publik werden sollen (314 a l, c 1), enthalten, so m ten sie wohl auch verbrannt werden, wie der Brief selbst zu seiner Verbrennung auffordert (314c6); wenn nicht, so bestand kein Anla , sich hinter ,Sokrates' zu verstecken3. Die zweite L sung beruht auf der ad hoc erfundenen Annahme, das Wort ςύγγραμμα schlie e Prosadialoge nicht mit ein, sondern bezeichne nur »systematische Lehrschriften', ,Kompendien' und dergleichen. Platon wende sich also nicht gegen das Schreiben ber die Dinge περί ων ςπουδάζει, sondern nur gegen eine bestimmte Darstellungsform. Da diese Annahme durch das Belegmaterial zum Wort ςύγγραμμα widerlegt wird4, f llt auch die auf sie gest tzte L sung dahin. (Da auch der 1
περί τούτων weist zur ck auf περί τήο του πρώτου φύοεαχ; 312 d 7, womit derselbe Bereich von der Schrift ausgeschlossen wird wie im 7. Brief: τα περί φύοεοχ άκρα και πρώτα 344 d 4. 3 Der Versuch von Friedl nder (I 254 — 259), den 2. Brief durch Nachweis von ,Ironie' f r Platon zu retten, f hrt zu seltsamen Umdeutungen, die doch wohl unter dem Niveau platonischer Ironie liegen. Friedl nder erw hnt korrekterweise auch das Urteil Shoreys, der 2. Brief sei so unecht, da man mit jemandem, der seine Echtheit erw ge, nicht diskutieren kann. * S. Anhang II. Unter den Belegen ist der 2. Brief einer der klarsten: die Formulierung τα δε νυν λεγόμενα (sc. Πλάτωνοο ουγγράμματα) kann nur bedeuten, da die Dialoge generell Πλάτωνος ουγγράμματα, .Schriften Platons', genannt wurden. Vgl. oben Anhang I, S. 344 f. und Anhang II, S. 379 f. Vielleicht wird man erwidern, da der 2. Brief doch auch die dritte L sung desavouiere. Aber erstens versucht er doch, auch dieser Deutung durch den Wortlaut in 314 c 2 (s. oben Anm. 1) und durch seinen verkehrten Begriff von ,Esoterik' (312 d 7 — e l, 314 a l — c 1) gerecht zu werden. Und zweitens betrifft die Zuweisung an ,Sokrates' die Deutung von Platons schriftstellerischen Absichten; in einer so komplexen Frage wird man aber dem Urteil eines Autors von so geringem Niveau — „die sklavische Abh ngigkeit vom siebenten Briefe ist
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Anhang III
Kontext des ganzen Briefes diese Lösung nicht zuläßt, wird gleich zu zeigen sein.) Es bleibt also die dritte Lösung übrig: Platon sagt, die Dialoge handelten nicht von dem, womit ihm Ernst ist. Sagt das wirklich Platon? Oder ist der Brief nicht doch unecht? Eduard Zeller sah in der unzweideutig ,esoterischen' Haltung des Briefes einen sicheren Beweis seiner Unechtheit5. Einer so einfachen petitio principii will man sich heute nicht mehr schuldig machen, und so konzentrierten sich die Bemühungen derer, die den Brief verwerfen, zunehmend auf angebliche historische Widersprüche in der Darstellung der Ereignisse in Sizilien und auf vermeintlich unplatonische Aussagen des sogenannten philosophischen Exkurses. Die Zusammenfassung aller Arten von Argumenten in der Monographie von Ludwig Edelstein hat freilich nur gezeigt, daß trotz intensiver Bemühungen in eineinhalb Jahrhunderten keine überzeugenden Gründe für die Athetese gefunden werden konnten6. Da hier nicht der Ort ist, die langwierige Diskussion um die Echtheit zu resümieren und fortzuführen, möchte ich mich auf zwei Bemerkungen zur Methode beschränken. Die erste betrifft die Beurteilung des Briefes selbst. Es ist eine weit verbreitete Auffassung, der sich seltsamerweise auch Edelstein anschließt7, daß die Beweislast bei den Befürwortern der Echtheit liegt, da ja die Masse der aus der Antike überlieferten Briefe sicher unecht ist. Diese Auffassung ist methodologisch, historisch und literarisch gleichermaßen vernichtend" (Wilamowitz, Platon II280) - keine Bedeutung beimessen, während er als Zeuge für den griechischen Sprachgebrauch als ,native speaker of Greek' selbstverständlich voll zu berücksichtigen ist. s Zeller II l, 51922, 486 (Anm. von 485). ' L. Edelstein, Plato's Seventh Letter, Leiden 1966. — Die Rezension von F. Solmsen, Gnomon 41, 1969, 29 ff., geht mit den Argumenten Edelsteins im einzelnen eher zu nachsichtig um, kommt aber auch zu dem Ergebnis, daß der Beweis der Unechtheit nicht gelungen ist. Eine historisch-biographische Interpretation des als echt betrachteten Briefes gibt K. von Fritz, Platon in Sizilien und das Problem der Philosophenherrschaft, Berlin 196,8. Die beste Auswertung der Aussagen des Briefes über Schriftlichkeit und Mündlichkeit der Philosophie gab Krämer (MH 21, 1964, 143-148). Eine adäquate Auseinandersetzung mit Krämers präzisen Argumenten vermißt man bei seinen Kritikern, insbesondere auch bei von Fritz I.e. (oben 341 Anm. 11) 175-213; 215-227. Eine Zusammenstellung neuerer Arbeiten zur Frage der Echtheit gab K. Gaiser, Plato's Enigmatic Lecture On the Good, Phronesis 25,1980,32 n. 50. Den Exkurs (338 a - 345 c) möchte neuerdings als spätere Zutat aus mittelplatonischer Zeit abtrennen H. Tarrant, Middle Platonism and the Seventh Epistle, Phronesis 28, 1983, 75 -103. 7 „What are the reasons for assuming the genuineness of the Seventh Letter? For thus the problem must be put, as no one would deny." (1. c. 1). No one?
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fehlorientiert. Literarische Echtheit läßt sich grundsätzlich nicht beweisen, nur Unechtheit. Und wie in der Rechtsprechung die Verhaftung eines Mannes in Gesellschaft von Verbrechern ihn noch nicht als Verbrecher erweist, so ist selbstverständlich auch im epistolographischen Corpus der Antike jedes Stück gesondert zu prüfen. Zudem ist hier übersehen, daß gerade aus der Zeit um die Mitte des 4. Jahrhunderts und aus den folgenden Jahrzehnten politische Sendschreiben und Briefe erhalten sind, deren Echtheit nicht zu bezweifeln oder doch in hohem Maße wahrscheinlich ist8: in historischer Sicht stünde ein echter Brief Platons durchaus nicht vereinzelt. Schließlich ist der große literarische Abstand zwischen diesem Dokument und den anspruchslosen Produkten der Briefsammlungen nicht zu verkennen. All das macht es unmöglich, ein Präjudiz gegen den 7. Brief zu akzeptieren. Die Beweislast liegt bei den Gegnern der Echtheit. Die zweite Bemerkung betrifft den Gebrauch, der in diesem Buch von den Aussagen des 7. Briefes gemacht wurde. Obschon die Athetese alles andere als solide begründet ist, wurde doch so weit Rücksicht auf sie genommen, daß nichts als tragendes Beweismittel verwendet wurde, was sich allein aus dem 7. Brief belegen läßt. Gelegentlich wurden Formulierungen des Briefes zur Verdeutlichung herangezogen, einmal wurde die Übereinstimmung eines Dialogs mit dem Brief in einer Reihe von Punkten nachgewiesen (oben 143 — 150 mit Anm. 39); aber nirgends hängt ein Argument vom Zeugnis des Briefes ab. Die folgenden Erläuterungen haben daher ebenfalls nur ergänzende Funktion: es soll dargelegt werden, daß der Brief die gleiche Auffassung von Schriftlichkeit und Mündlichkeit der Philosophie zeigt wie der Phaidros und die Gesamtheit der Dialoge. Gegner der Echtheit können dieses Kapitel auch überspringen. Jedenfalls entfällt das Argument, das hier entwickelte Platonbild sei abzulehnen, weil es sich auf ein Dokument von zweifelhafter Echtheit stütze. Der 7. Brief ist für das hier verfolgte Beweisziel entbehrlich. Er steht ihm andererseits aber nirgends im Weg, und dies zu zeigen ist nicht 8
Unter den Sokratikerbriefen findet sich ein Schreiben des Speusippos an Philipp II., dessen Echtheit allgemein anerkannt ist seit der Untersuchung von E. Bickermann J. Sykutris, Speusipps Brief an König Philipp, Leipzig 1928. Isokrates' Briefe l -4 gelten den meisten Forschern als echt (Lit. bei A. Lesky, Geschichte der griechischen Literatur, Bern *1963, 633 f.; H. Bengtson, Griechische Geschichte, München 41969, 301). Der früher athetierte Brief Philipps an die Athener (= Dem. 12) wird heute als echt anerkannt (Bengtson 1. c.)· Bei den Demosthenes zugeschriebenen Briefen ist „die Frage der Echtheit für den 2. und 3. zu überlegen" (Lesky 1. c. 653); J. A. Goldstein, The Letters of Demosthenes, New York 1968, tritt für die Echtheit von Brief 1—4 ein.
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überflüssig, spielt der Brief doch in der antiesoterischen Argumentation vieler Interpreten, die seine Echtheit nicht anzweifeln, eine zentrale Rolle. 2.
Daß der 7. Brief ein Verdikt gegen die Schriftlichkeit der Philosophie enthält und daß er positiv zur Zurückhaltung im Schriftlichen rät, ist unumstritten. Der Streit geht um den Sinn des Verdikts oder die Art der geforderten Zurückhaltung. Die heute übliche Interpretation, die das Verdikt auf die direkte, lehrhaft-systematische Darstellung beschränken möchte, kann sich nur halten, solange man sich weigert, einige einfache und klar umrissene Fragen, die sich bei der Lektüre von selbst aufdrängen, an den Brief zu stellen und sie aus ihm selbst zu beantworten. Die entscheidenden Fragen sind folgende. 1. Unterscheidet Platon zwischen zwei Formen der literarischen Darstellung von Philosophie, einer zulässigen und einer unzulässigen? 2. Worin bestand der Fehler des Dionysios: sagt der Brief, daß er die falsche Form der schriftlichen Darstellung gewählt hat? 3. Betrachtet der Brief die Dialoge als eine Quelle für Platons ? 4. Betrifft die im Brief geforderte Zurückhaltung alle philosophischen Inhalte gleichermaßen? 5. Würde die Zurückhaltung im Schriftlichen, wenn sie auf das Inhaltliche bezogen wird, auf eine ^eheimlehre* führen? Als Antwort auf diese fünf Fragen müßte sich aus dem Brief, wenn die antiesoterische Interpretation richtig wäre, ein eindeutiges JA ergeben. Indes beantwortet der Brief alle fünf Fragen mit einem entschiedenen NEIN. 1. Das -Argument kann, wie bereits erwähnt9, die ihm heute vielfach zugemutete Beweislast nicht tragen. Vielleicht noch wichtiger ist jedoch die Tatsache, daß auch der Zusammenhang des Briefes eine Einschränkung des Verdikts auf eine bestimmte Darstellungsform ausschließt. Denn zur Begründung10 seiner Ablehnung schriftlicher Darstellung dessen, womit ihm Ernst ist, fügt Platon eine sehr grundsätzlich gehaltene ' Oben S. 387 mit Anm. 4 und Anhang II (vgl. auch Anhang I, S. 343 ff. mit Anm. 14-19). Platon betont selbst, daß dies die Funktion des Exkurses ist: 342 a l - 6.
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berlegung bei, die unter dem Namen philosophischer Exkurs' bekanntgeworden ist (342 a 7 — 344 d 2). Es handelt sich um eine allgemeine Kritik unserer Erkenntnismittel. Die ,Schw che der λόγοι' (343 a 1), wie Platon sie sieht, bringt es mit sich, da derjenige, der sich ber das wahrhaft Seiende in Wort oder Schrift auszudr cken versucht, scheinbar jederzeit leicht zu widerlegen sein wird (343 d 2 — e 1). Von Mi verst ndnis und oberfl chlicher ,Widerlegung' ist also auch die m ndliche, sokratisch ,antwortende' (εν άποκρίοεαν d 5) Darlegung des Ideenphilosophen betroffen — also schon das Urbild dessen, wovon der geschriebene Dialog ein ,Abbild' (Phdr. 276 a 9) ist. Wie im Phaidros wird die zus tzliche methodische Schw che des Abbildes in seiner starren Unver nderlichkeit gesehen (άμετακίνητον 343 a 3 ~ εν τι σημαίνει μόνον ταύτόν αεί Phdr. 275 d 9). Die Situation, in der sich die Schw che des λόγοο (und somit auch die gr ere Schw che des Geschriebenen) als besonders hinderlich erweist, ist wie im Phaidros die Situation des ελεγχοο (343 d 2, 8, Phdr. 278 c 5) — das ist aber zugleich die Situation, die die βοήθεια durch τιμιώτερα erfordert. Die Schw che der λόγοι, die hinter dem v zur ckbleiben, hat freilich die Folge, da bei ungeeigneten Naturen auch die richtigen λόγοι Einsicht nicht erzwingen k nnen (343 e 1—344 b 1). In der Sprache des Phaidros: auch die ,Hilfe' des Philosophen kann, obschon sachlich erfolgreich, in der Diskussion erfolglos scheinen. (Eben dies ist der Grund, warum der Philosoph die τιμιώτερα, die ihm zu Gebote stehen, nicht ohne weiteres bei jedem beliebigen ελεγχοο darlegen wird.) Aus der Nichterzwingbarkeit der Einsicht ergibt sich die Konsequenz, da der ernsthafte Denker ber das wahrhaft Ernste nicht schreiben wird (344 c l — 3). Angesichts dieser Einsch tzung der Schwierigkeiten philosophischer Verst ndigung mutet die Vorstellung, da gerade das unbewegliche ,Abbild' des lebendigen λόγοο von den Bedenken, die sich gegen den λόγοο schlechthin richten, nicht betroffen sein sollte, wenig realistisch an. Es ist schwer zu sehen, wie man sich zu einer solchen These bekennen konnte angesichts der umfassenden Formulierungen, die im Inneren des Exkurses die Unsicherheit der Erkenntnisvermittlung durch Wort und Schrift betonen11 und die zu Beginn und Ende des Exkurses das Beweisziel
343 d 4 τον έξηγούμενον εν λόγοιο ή γράμμοκπν ή άποκρίοεοιν, d 6 ων αν έπιχειρή γράφειν ή λέγειν. — Der Gedanke, da sich mitunter auch das gesprochene Wort des Philosophen in den Augen der Kritiker nicht wird durchsetzen k nnen, fehlt im Phaidros. Es liegt jedoch keine abweichende Betrachtungsweise vor: auch im Brief ist
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umrei en: Platon will die Gr nde nennen, die dagegen sprechen, ,auch nur irgend etwas von diesen Dingen niederzuschreiben'12, und schlie t aus, da der Denker seine οπουδαιότατα in Schriften, welcher Art auch immer13, niederlegen wird. Gegen diese explizite und wuchtige, aus ganz prinzipiellen Gr nden gewonnene Ablehnung des Schreibens , ber diese Dinge' erhebt sich nun die antiesoterische Interpretation und verlangt, die angeblich implizit gegebenen negativen Konnotationen des Wortes ούγγραμμα h her zu stellen als die klare Aussage zahlreicher Einzelstellen und die unverkennbare Intention des Ganzen. Aber selbst wenn das Wort solche Konnotationen h tte — wir wissen, da das nicht der Fall ist — , w ren wir dadurch statt mit einer platonischen L sung nur mit neuen Problemen konfrontiert. Denn die Stellen, die das ,Schreiben ber diese Dinge' ohne Zuhilfenahme des Wortes ούγγραμμα ausschlie en, blieben weiterhin im Text. Wir m ten also erstens den Vorwurf der Widerspr chlichkeit gegen Platon erheben. Zweitens w re er so auch noch dem Vorwurf mangelnder Aufrichtigkeit ausgesetzt: denn was anderes als Unaufrichtigkeit w re es, wenn er einerseits Dionysios und berdies alle bisherigen und k nftigen ,Schreiber ber diese Dinge' in harten Worten verurteilte (341 b 3 — c4, 344 c 4 — d 2), andererseits aber unerw hnt lie e, da er doch selbst , ber diese Dinge' in seinen Dialogen geschrieben hatte. Woher sollten die Empf nger des Briefes wissen, da die eine Art des Schreibens kompetent und legitim, die andere inkompetent und frevelhaft ist, wenn Platon auf all diesen Seiten sich nicht die M he gemacht hat, zwei Arten des Schreibens explizit gegeneinander abzuheben? Oder hat Platon erwartet, da die Freunde Dions die Theorie der hermeneutischen Vorz ge der indirekt-dialogischen Mitteilungsform im Sinne Schleiermachers allein aus dem nicht weiter erl uterten Wort ούγγραμμα ableiteten? Und dies
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ja vorausgesetzt, da die Antworten des Philosophen im Elenchos sachlich hinreichend sind und nur von Unkundigen verkannt werden: 343 d 4 —e 1. Die Stelle betrachtet es allerdings als gegeben, da gelegentlich auch Ungeeignete und Unvorbereitete h ren konnten, was nicht f r sie bestimmt war. Das theoretische Idealbild des Philosophen im Phaidros konnte von dieser M glichkeit absehen. Mit anderen Worten: das cvy v πρόο oOc δει konnte auch Platon selbst nicht stets verwirklichen. Der Fall des Dionysios ist ein deutliches Beispiel. (Ohne Bezugnahme auf Schriftlichkeit und M ndlichkeit, aber doch wohl unter prinzipiellem Einschlu der m ndlichen λόγον, handelt Parm. 133 b, 135 a von der Nichterzwingbarkeit der Ideenerkenntnis.) 342 a 4 γράφειν των τοιούτων και ότιοΰν. Es ist undenkbar, da hierbei eine bestimmte Behandlungsart »dieser Dinge' stillschweigend ausgenommen sein sollte. 344c4-6 ουγγράμματα γεγραμμένα ... δττ' ούν.
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in dem Brief, der die Unsicherheit philosophischer Kommunikation darlegt? Auch die willk rliche Zurechtbiegung des Wortsinns von coyγραμμα kann nichts daran ndern, da die antiesoterische Interpretation sich weit von den Intentionen Platons entfernt. Und was soll die Verurteilung aller k nftigen Schreiber , ber diese Dinge' (der γράψοντεο 341 c 1)? Wenn es legitim ist, , ber diese Dinge' dialogisch-indirekt zu schreiben — k nnte da nicht ein Denker der Zukunft Platon auf diesem Weg legitimerweise nachfolgen? Oder war Platon so eingenommen von seiner eigenen Meisterschaft der Darstellung, da er allen K nftigen die M glichkeit einer Ann herung an sein Vorbild kategorisch absprach? F r ein unvoreingenommenes Urteil zeigt die Verurteilung der γράψοντεο vielmehr, da es auf die Darstellungsweise nicht ankommen kann, sondern allein auf das γράφειν των τοιούτων και ότιουν. Doch im 20. Jahrhundert hat man lieber einen widerspr chlichen, unaufrichtigen und unendlich eitlen Platon als einen Platon, der bestimmte Inhalte der m ndlichen Er rterung vorbeh lt. 2. Die Mehrzahl der Interpreten glaubt zu wissen, da Dionysios eine systematische', handbuchartige Darstellung der platonischen Philosophie gab und da ihm Platon nur aus diesem Grunde z rnte14. Der entscheidende Satz lautet: υοτερον δε και ακούω γεγραφέναι αυτόν (sc. Διονύαον) περί ων τότε ήκουοε, ουνθέντα obc αύτοΰ τέχνην, ουδέν των αυτών ων άκούον οΐδα δε ουδέν τούτων (341 b 3 —5). Dionysios schrieb also nach seiner einzigen philosophischen Unterredung mit Platon ber das, was er von ihm geh rt hatte, gab es aber als seine eigene τέχνη aus. Der Gegensatz περί ων τότε ήκουοε - ουδέν των αυτών ων άκούοι zeigt deutlich, da es auch hier nicht auf die Darstellungsform ankommt, sondern darauf, da Dionysios Platonisches als Eigenes hinstellte. Da die Vollendung der platonischen παιδεία in der διαλεκτική τέχνη bestand, ist den Dialogen selbst zu entnehmen (vgl. vor allem Politeia 534 d e; Phdr. 276 e) und war gewi auch in der πείρα ausgesprochen, der Platon den jungen Tyrannen unterzog. Wenn das Buch des Dionysios nichts war als ein Plagiat des Inhalts der πείρα, so ist es verst ndlich, da es sich als Darstellung der διαλεκτική τέχνη gab. Gerade das Wort τέχνη geht also auf den Inhalt, Diese Auffassung von Dionysios' Vergehen vertreten insbesondere all jene Interpreten, die sich zum cuyypa^a-Argument bekennen (eine kleine Auswahlbibliographie hierzu oben Anhang I, S. 345 Anm. 19).
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nicht auf die Form der Darstellung. Es ist mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, da sich Dionysios f r seine Darstellung der dialogischen Form bediente15. Jedenfalls bietet der Text nicht den geringsten Anhaltspunkt daf r, da er eine ,Lehrschrift' verfa te. Und da sein Buch systematisch' gewesen sei, wird in h chstem Ma e unwahrscheinlich durch Platons Feststellung, Dionysios habe die πείρα nur zu einem Teil geh rt (341 a 8, vgl. 345 a 3 — 7 — es h tte also manches gefehlt am ,System'), und durch die Formulierung εϊτ' οδν Aiovuctoc εγραψέν τι των περί φύοεωο άκρων και πρώτων ... 344 d 4 - Platon rechnet also damit, da Dionysios „etwas von" den h chsten und ersten Erkl rungsgr nden niederschrieb. Im brigen hat Platon das Buch des Dionysios weder gesehen noch sich Genaueres davon berichten lassen: οίδα δε ουδέν τούτων. Nur die Anh nger der modernen Dialogformtheorie haben zuverl ssige Kunde von der systematischen' Anlage dieser ,Lehrschrift'. Aber auch ohne N heres ber das Buch zu wissen, kann Platon den Fehler des Dionysios benennen: er liegt nicht in der Wahl der falschen Darstellungsform oder der ungeschickten Handhabung der ,richtigen', dialogischen Form, sondern allein in der Tatsache des Schreibens , ber diese Dinge'. Dies allein erweist Dionysios und jeden anderen, der dasselbe t te, als inkompetent (341 c 3 -4, 344 c l -d 2, d 6, vgl. 345 b 6-7). Da die Schw che der λόγοι gerade die οπουδαιότατα des Denkers in h chstem Ma e Mi verst ndnissen ausgesetzt sein l t (343 d2ff.) und da die Menschen solche Dinge neidvoll aufnehmen und durch fragw rdige Elenktik als hilflos erscheinen lassen16, ist ihre Publikation ein Akt mangelnder ,Ehrfurcht', ein ,Hinauswerfen' des Wertvollsten ,in die Dissonanz und Unziemlichkeit' solcher Aufnahme. Platon selbst bewies die n tige Ehrfurcht und ,warf nichts ,hinaus'; der Mangel des Dionysios an solcher Ehrfurcht ist der einzige Grund seines Grolls: όμοίωο γαρ αν αυτά έοέβετο έμοί, και ουκ αν αυτά έτόλμηοεν eic άναρμοοτίαν και άπρέπειαν έκβάλλειν (344d7-9) 17 . Platon r gt nicht eine Darstel15
Vermutlich in literarischer Imitation der Gespr che des Sokrates ber Dialektik in Politeia VI/VII. Auch Platons eigenen m ndlichen berblick ber seine ,Kunst' der Dialektik hatte Dionysios doch wohl mehr in der Form eines Gespr chs als einer Privatvorlesung geh rt. Da er freilich seine ,eigene' Dialektik bieten wollte, wird er weder Sokrates noch Platon als Dialogfiguren gew hlt haben. " 344 c 2-4 μη γράψαο ποτέ εν άνθρώποιο etc φθόνον και άπορίαν καταβαλεΐ. Zum Zusammenhang vgl. Anm. 17. 17 Was H. und F. M ller als bersetzung geben: „es durch Mangel an Zusammenhang und unangemessener Darstellungsweise zu entstellen", ist eine sprachlich unhaltbare, tendenzi s interpretierende Paraphrase, die den sachlichen Zusammenhang verkennt:
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lungsform, sondern die innere Haltung zum Publizieren. F r ihn war die Haltung des Dionysios nichts als φιλοτιμία αίοχρά (344 e 2). 3. Platon sagt im 7. Brief mit keinem Wort, da man Kenntnis der οπουδαιότατα seiner Philosophie oder der Dinge, „περί ων εγώ οπουδάζω", aus den Dialogen erwerben k nne. Zun chst wird man versucht sein, zu erkl ren, da dieses Schweigen nichts zu bedeuten habe, da die Dialoge als Quelle seiner Philosophie nicht eigens erw hnt zu werden brauchten. Bei genauerem Zusehen zeigt sich jedoch, da der Brief eine Anzahl von Stellen enth lt, an denen ein Hinweis auf die Dialoge, wenn sie wirklich f r Platon und seine Zeitgenossen als Quelle f r die μέγιοτα seiner Philosophie in Frage kamen, unumg nglich gewesen w re18. Einige Jahre nach Platons zweiter Sizilienreise (366/5 v. Chr.) sp rte Dionysios ein neues Verlangen nach philosophischer Bildung (338 b 6). Es traf sich, da Leute in seiner Umgebung waren, die durch Vermittlung anderer von Dion her gewisse Dinge ber die Philosophie Platons geh rt hatten. Da sie annahmen, Dionysios habe bei Platons letztem Aufenthalt in Syrakus alles von ihm erfahren, traten sie an ihn heran in der Absicht, philosophische Gespr che mit ihm zu f hren (338dl —6). Dionysios sch mte sich indessen zuzugeben, da er von Platon selbst nichts erfahren hatte; zugleich stachelte die f r ihn schmeichelhafte Behandlung als Kenner der Philosophie Platons seinen Ehrgeiz an, so da er — und hier w rden wir erwarten: „so da er mit gro em Eifer meine Dialoge las, um aus ihnen alles zu erfahren"; doch der Brief f hrt fort: so da er sich um so mehr bem hte, Platon selbst abermals nach Syrakus zu holen und sogar eine Triere sandte, um ihm die Reise zu erleichtern (338 d 6-339 a 7). Offensichtlich dachten die Syrakusaner, die aus dem Kreis Dions gewisse Kenntnisse hatten und nun N heres ber Platons Denken erfahren wollten, nicht daran, die Dialoge zu befragen. H tte da nicht der ,Dissonanz und Unziemlichkeit' (άναρμοοτία και άπρέπεια 344 d 8) weist zur ck auf ,Neid und Hilflosigkeit' (φθόνοο και απορία c 3), dieses auf den scheinbaren Erfolg sophistischer Disputationskunst in der ffentlichen Auseinandersetzung mit echter Philosophie 343 d 3-el. Zu diesen Stellen geh rt auch die Ablehnung einer Schrift Platons ber diesen Bereich (und der davon ausgel ste erkenntnistheoretische Exkurs), die bereits in Abschnitt (1) behandelt wurde (vgl. bes. S. 386). - Die im Text folgenden berlegungen habe ich ausf hrlicher dargelegt in „The Acquiring of Philosophical Knowledge According to Plato's Seventh Letter", in: Arktouros, Hellenic Studies presented to B. M. W. Knox, Berlin 1979, 354-363.
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ehrgeizige Dionysios die Gelegenheit gehabt, insgeheim die Dialoge zu lesen und dann deren Inhalt als selbst Geh rtes weiterzugeben? Aber auch er dachte nicht daran, die Dialoge heranzuziehen. Bezeichnenderweise findet aber auch Platon selbst nichts Falsches daran, da sich jene anderen Interessenten wie auch Dionysios um authentische Unterrichtung sei es durch ihn selbst, sei es durch einen pers nlich Informierten bem hten. Er sagt weder, sie h tten besser daran getan, zun chst die Dialoge zu studieren, noch schreibt er ihr bergehen der Dialoge, wenn es um πάντα oca διενοούμην εγώ (338 d 5) geht19, ihrer geistigen Tr gheit zu: von Dionysios sagt er vielmehr gerade hier, da er durchaus nicht unbegabt war. Nein, Platon teilt ganz offensichtlich die Ansicht der von ihm erw hnten Personen, da f r ein genaueres Kennenlernen der μέγιοτα seiner Philosophie das pers nliche ,H ren' erforderlich ist. Von hier aus ist auch die Antwort zu verstehen, die Platon auf eine m gliche Herabsetzung dessen gibt, was er Dionysios m ndlich im Verlauf der πείρα dargelegt hatte. Wenn Dionysios sagen sollte, das damals von Platon Gesagte sei von geringem Wert (φαΰλα), so wird er in Widerspruch zu zahlreichen anderen20 geraten, die weitaus kompetentere Beurteiler sind als Dionysios (345 b 5 —7). Ist das eine brauchbare Antwort? Man sollte meinen, es h tte n her gelegen und w re wirkungsvoller gewesen, wenn Platon zum direkten Vergleich zwischen seinen Dialogen und dem gleichfalls publiziert vorliegenden Buch des Dionysios aufgefordert h tte: so k nnte man doch am ehesten sehen, wessen Denken von geringem Wert ist. Nur wenn das, was Dionysios und jene anderen m ndlich von Platon geh rt hatten, nicht identisch war mit dem Inhalt der Dialoge, ist es verst ndlich, da er seine Schriften hier unerw hnt l t und auf die namentlich nicht genannten kompetenteren H rer verweist. Wie im Phaidros wird der Kritiker f r den letzten Erweis, da die Darlegungen des Philosophen nicht φαύλα (Phdr. 278 c 7 ~ epist. 7, 345 b 2) sind, auf die m ndlichen τιμιώτερα bzw. οπουδαιότατα verwiesen, deren Sinn sich freilich beiden Texten zufolge nicht jedermann erschlie t. Selbstverst ndlich ist nicht die Rede davon, da jene Kompetenteren mehr Dialoge gelesen h tten als Dionysios oder da sie die Dialoge
Da Dionysios und die syrakusanischen Interessenten die Dialoge berhaupt nicht kannten, ist weder gesagt noch im geringsten wahrscheinlich. Da andere bei anderen Gelegenheiten dasselbe von Platon geh rt hatten wie Dionysios bei der πείρα, ist auch 344 d 5, 341 c 2 und 340 c 8 vorausgesetzt. Vgl. Anm. 22.
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besser verstanden h tten21. Hingegen ist wohl aus ihrer Entgegensetzung zu Dionysios, der die m ndliche Darlegung der platonischen άκρα και πρώτα nur einmal und berdies unvollst ndig h rte (341 a 7, 345 a 4), zu folgern, da sie diese Darlegung vollst ndig und zu wiederholten Malen h rten, berdachten und diskutierten22. Das Lesen von Dialogen spielt in der ganzen Auseinandersetzung um die Publikation von Platons ,Ernst' nicht die geringste Rolle: die ber die μέγισυα der platonischen Philosophie schreiben, tun dies εϊτ' εμού άκηκοότεο εϊτ' άλλων εϊθ' (be εύρόντεο αυτοί (341 c 2). Kompetente Beurteiler sind nur die, die Platon selbst h rten23: die anderen sind παρακουομάτων εμμεοτοι (338 d 3, 340 b 6)24. Des Plagiats an den Dialogen wird jedoch niemand verd chtigt, weder Dionysios noch die anderen, die hnliche Schriften verfa ten: Dialoge und m ndliche Philosophie hatten offenbar klar unterscheidbare Inhalte25. 4. Um der Anerkennung einer m ndlichen Philosophie zu entgehen, griff man zu der Erkl rung, das, womit Platon Ernst ist, sei nichts weiter als das ,noetische' Erfassen der Idee: dieses sei ου ρητόν und am besten mit dem berspringen eines Funkens zu vergleichen (341 c 5, 7). Dar ber habe Platon in der Tat nichts geschrieben, weil es prinzipiell in die Schrift nicht eingehe26. 11
Letzteres kann man zwar a fortiori annehmen, aber es ist bezeichnend, da Platon sich hierbei nicht aufh lt. 11 Die πεΐρα im engeren Sinne brauchte wohl nur einmal durchlaufen zu werden. Sie gab indes einen berblick ber das Ganze (340 b 8), und dieses mu te zweifellos in immer neuen Anl ufen erarbeitet werden, was 345 a 6 als selbstverst ndlich vorausgesetzt ist. 13 Guthries Versuch, das ,H ren', das im 7. Brief den einzigen authentischen Zugang zum Eigentlichen der platonischen Philosophie darstellt, als das H ren von Lesungen aus B chern zu deuten (V 411 mit Anm. 2), zeugt von sehr oberfl chlicher Lekt re des Briefes; oberfl chlich ist auch die Berufung auf Phd. 97 b, woraus zu entnehmen sei, da solche Lesungen der bliche Weg zum Kennenlernen eines Buches waren: Phd. 98 b zeigt vielmehr, da der ffentlichen Lesung die private Lekt re folgte. Aber weder Lesung noch Lekt re von Dialogen spielen im Brief eine Rolle. Vgl. meinen Beitrag 1. c. (oben Anm. 18). 24 Es liegt wohl nur an der polemischen Sehweise des Briefes, da Platon hier die Phdr. 276 e f. klar ausgesprochene M glichkeit nicht erw hnt, da man auch durch einen zur philosophischen Reife gelangten ,Sch ler' eine vollg ltige Einf hrung in die Dialektik erhalten kann. " Die Unterscheidbarkeit der Inhalte bedeutet selbstverst ndlich nicht, da sie nichts miteinander zu tun gehabt h tten; zu den Mi verst ndnissen von Vlastos s. oben 67 — 71 mit Anm. 4 u. 12. " Diese Auffassung von dem, was nicht in die Dialoge eingeht, ist eine der Schleiermacherschen Dialogformtheorie (zu ihr s. Anhang I) inhaerente M glichkeit und findet sich mit wechselnden Graden der Bestimmtheit und Deutlichkeit bei zahlreichen
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Da es f r Platon etwas gibt, das sich der ad quaten Wiedergabe im λόγοο prinzipiell entzieht, ist dem philosophischen Exkurs klar genug zu entnehmen. Da freilich sein Verdikt gegen ein ούγγραμμα περί αυτών gerade dies meint und sonst nichts, wird schon dadurch ausgeschlossen, da Platon an die Vernunft27 dessen appelliert, der Kenntnis seiner VTCOC οπουδαΐα hat, zugleich an seine ,Ehrfurcht' und seine Beherrschung falschen Ehrgeizes28. Vernunft und sittliche Entscheidung sind dort n tig, wo wir eine Wahl zu treffen haben. Beim prinzipiell nicht Aussagbaren haben wir nicht die Wahl, es doch auszusagen. Es hat keinen Sinn, einem, der ,dar ber' (oder ,darum herum'?) schreibt, Mangel an Ehrfurcht und ein ,Hinauswerfen' des Entscheidenden vorzuwerfen: das Unaussagbare ist eo ipso auch das Nichthinauswerfbare. Da Platon das Schreiben oder Nichtschreiben , ber diese Dinge' als eine Sache des Entschlusses29 des Einzelnen betrachtet, kann seine Ablehnung eines ούγγραμμα περί αυτών nicht lediglich ein anderer Ausdruck seiner berzeugung von der Nichterzwingbarkeit noetischer Einsicht sein. Die moderne Fehlinterpretation ist freilich vom Text selbst ausgel st: in dem wichtigen Passus 341 b c geht Platon von S tzen, die das Schreiben ber diese Dinge als eine unbezweifelbare M glichkeit verstehen, unvermittelt ber zum Hinweis auf den ,pl tzlich' berspringenden Funken, der als solcher freilich nicht der Inhalt einer Schrift sein kann. Unverst ndlich bleibt nur, wie man sich auf diese eine Aussage beschr nken konnte. Platon gibt sie im Verlauf seines Berichtes ber das Verhalten des Dionysios und f gt berdies, um die berraschende Aussage verst ndlich zu machen, den ausf hrlichen Exkurs in die Erz hlung ein. Aus diesen Partien des Briefes wird aber eindeutig klar, da sich das Verdikt gegen die Schrift keineswegs auf alle philosophische Mitteilung schlechthin erstreckt, wie das doch der Fall sein m te, wenn es einzig um das genuin philosophische Verst ndnis als solches ginge. ber das, was Platon von der Schrift ausgeschlossen wissen will, kann man sehr wohl schreiben: die Verurteilung des Dionysios und aller k nftigen Autoren ber dieses Gebiet setzt das ebenso voraus wie die Begr ndung der scheinbaren Widerlegbarkeit der echten Philosophie aus der Schw che der λόγοι. Die λόγοι handeln ganz eindeutig ,νοη diesen 17
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Autoren dieser Richtung. Von einem heideggerianischen Standpunkt aus versuchte diese Ansicht neu zu begr nden Thurnher 1. c. (oben 345 Anm. 19) 94 ff. Hier nur in negativer Form durch das abgewandelte Homerzitat vom Verlust der Vernunft durch menschliche (bei Homer: g ttliche) Einwirkung (344 d 1). In positiver Form liegt der gleiche Appell an die Vernunft vor: Phdr. 276 c 4. M Vgl. oben 391 f. ουκ αν αυτά έτόλμηοεν ... έκβάλλειν.
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Dingen', selbst bei Autoren, die Platon f r inkompetent h lt. Da die λόγοι aber auch beim kompetentesten Autor — und Platon macht kein Hehl daraus, da er selbst der kompetenteste w re: 341 d 2 — 3 — das berspringen des Funkens nicht erzwingen k nnen, ist es gerade ein Zeichen der Kompetenz, sich des Schreibens , ber diese Dinge' zu enthalten. Welche Dinge? Sie im Brief genau benennen hie e zuviel in schriftlicher Form ber sie sagen30. Aber Platon hat den gemeinten Bereich wenigstens mit einiger Deutlichkeit umschrieben, sowohl was den allgemeinen Status und die Wirkung auf den H rer, als auch was den Inhalt betrifft. Es handelt sich um das ,wahrhaft Ernsthafte', ja ,Ernsthafteste' und ,Bedeutendste' im Denken Platons, das den H rer bei unzureichendem Verst ndnis mit dem eitlen Gef hl der Erhabenheit erf llen konnte, das aber auch bei angemessenem Verst ndnis ,Ehrfurcht' verlangte31. Inhaltlich handelt es sich um ,die h chsten und ersten Erkl rungsgr nde der (pi>cic', um ,Falschheit und Wahrheit des ganzen Seins'31. Diese Bestimmungen ergeben zusammengenommen eine offensichtlich mit Absicht allgemein und , u erlich' gehaltene Charakterisierung einer philosophischen Theorie, die sich als Theorie der Prinzipien bezeichnen lie e. Es kann kein Zweifel daran bestehen, da dies der Bereich ist, den Platon im Phaidros als die τιμίώτερα des Philosophen bezeichnet. Da dieser Bereich eine inhaltliche Vielfalt umfa t — und nicht etwa nur das noetische, unaussprechbare Erfassen der Idee des Guten — , und da diese Vielfalt zugleich ein geordnetes Ganzes ist, mithin als zusammenh ngende Theorie gewertet werden mu , ergibt sich mit gro er Deutlichkeit aus dem Bericht ber Platons Gespr ch mit Dionysios. Im Verlauf des Tests (πείρα), den Platon mit philosophisch Interessierten anzustellen pflegte, um sich ein Bild von ihren F higkeiten zu machen, gab er einen vorwegnehmenden berblick ber das Ganze seiner Theorie (παν το πράγμα, το όλον 340 b 8, 341 a 2) und die Vielzahl der mit ihr verbundenen Lehrgegenst nde (μαθήματα 340 d 8). Von diesem όλον trug Platon diesmal freilich nur einen Teil (ου πάντα) vor, da Dionysios vorgab, ,Vieles und die bedeutendsten Dinge' (πολλά και τα μέγιστα) 30 31
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Den prop deutischen Charakter der philosophischen Ausf hrungen des Briefes betonte zu Recht Gadamer 1. c. (oben 97 Anm. 11) 226 f., und vor ihm schon Kr mer, APA 459. 344 c 2 των όντων ςπουδαίων περί, c 6 τα αιουδαιότατα, 341 c 1 περί ων εγώ ςπουδάζω, b 1 τα μέγιςτα. 341 e 5 τους δε έμπλήςειεν αν υψηλής και χούνης ελπίδος, ως ςέμν' οττα μεμαθηκότας, 344 d 7 ομοίως γαρ αν αυτά έςεβετο έμοί. 344 d 4 τα περί φύςεως άκρα και πρώτα, b 2 το ψευδός άμα και αληθές της δλης ούςίας.
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bereits zu kennen und hinreichend verstanden zu haben (341 a 8 — b 2). Es gab also vollst ndige und weniger vollst ndige Darstellungen der Theorie, und die Auswahl der im Einzelfall mitgeteilten Inhalte konnte Zentrales oder weniger Zentrales erfassen. Und selbstverst ndlich stellte sich Platon die schriftliche Darstellung, die er f r seine Person entschieden ablehnt, als etwas in geringerem oder h herem Ma e Vollst ndiges vor: man solle ber dergleichen „auch nicht das Geringste" (και ότιοΰν) schreiben, sagt er zu Beginn des Exkurses (342 a 4 - 5), und von Dionysios und anderen nimmt er an, sie h tten „etwas" davon publiziert (344 d 4)33. Diese Beobachtungen an der Sprache des Briefes zeigen, da es f r Platon au er dem , berspringenden Funken', der seiner Natur nach in der Schrift nicht direkt repr sentiert sein kann, noch anderes gibt, das von der Schrift ausgeschlossen bleibt, einen theoretischen Bereich, dessen Inhalte durchaus formulierbar sind und daher prinzipiell auch schriftlich bermittelt werden k nnten, wenn auch nicht (bc άλλα μαθήματα (341 c 6). Die Trennungslinie zwischen der risikoreichen Vermittlung der άκρα και πρώτα und der nicht in gleichem Ma e mi verst ndlichen Vermittlung von άλλα μαθήματα geht mitten durch die περί φιλοοοφίαν λόγοι: w hrend Platon vieles ber Seele und Erkenntnis, Staat und Gerechtigkeit in den eigenen Schriften publizieren konnte, blieb die Darstellung dessen, was den Geeigneten — aber eben nur ihn — zur Erkenntnis des ψευδοο άμα και άληθέο τήο δληο ouciac hinf hren w rde, von den Dialogen ausgeschlossen. 5. Selbstverst ndlich impliziert diese Haltung weder Geheimhaltung noch eine ,Geheimlehre'. F r das Verst ndnis Platons ist es vielmehr entscheidend, den Unterschied zwischen Geheimhaltung und Esoterik zu Aus πάντων γαρ εν βραχυτάτοιο κείται 344 e 2 glaubte Gadamer schlie en zu k nnen: „Offenbar ist es keine lange, weit ausgreifende Darlegung, um die es sich dabei handelt" (I.e. [oben 97 Anm. 11] 244). Doch zeigt der unvermittelte bergang vom sonst durchwegs gebrauchten Plural zum Singular (αυτό 344 e l, vgl. ρητόν, nicht ρητά 341 c 5), da es Platon in diesem Satz nicht um den Umfang der betreffenden Theoreme geht, sondern um das pl tzliche Aufgehen der Erkenntnis (εάν άπαξ τη ψυχή περιλάβτ) 344 e l, vgl. έξαίφνηο 341 c 7), die sich sehr wohl an einzelnen Kerns tzen ,entz nden' konnte. Da „das Ganze der άκρα και πρώτα" (Gadamer 247) eben doch eine „weit ausgreifende Darlegung" gewesen sein mu , ergibt sich aus Gadamers eigener Feststellung, man k nne „nicht zweifeln, da es die Lehre von der Eins und der unbestimmten Zwei ist, die Platon als die eigentliche Sache ansieht und deren schriftliche Darlegung er f r unm glich erkl rt. Es ist ja diese Lehre, die vor allem Aristoteles als die eigentliche platonische Philosophie darstellt und kritisiert" (244). Kann man vern nftigerweise bestreiten, da die von Aristoteles berichtete Prinzipien- und Zahlentheorie, die bis zur Konstitution der Weltseele und des Weltalls f hrte, eine „weit
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erfassen. Zur Verdeutlichung dieses Unterschiedes kann ein Vergleich zwischen dem 7. Brief und den pythagoreischen Legenden von der Profanierung der geheimen Lehren des Bundes dienen. Die Tendenz der frühen Pythagoreer zur Geheimhaltung ihres Wissens wird durch Aristoteles und Aristoxenos bezeugt34. Die spätere Tradition kennt die Geschichte von dem Frevler Hippasos (oder Hipparchos), der als erster eine mathematische Entdeckung des Pythagoras — es werden verschiedene genannt — öffentlich bekannt machte. Die Ordensbrüder reagierten mit dem Ausschluß aus ihrer Gemeinschaft und errichteten sogar ein Grab für ihn, um symbolisch auszudrücken, daß er für sie tot sei. Für den physischen Tod des Frevlers aber sorgte die Gottheit, die ihn zur Strafe für die Profanierung im Meer ertrinken ließ35. Die Geschichte zeigt deutlich, was Geheimhaltung beinhaltet (der mögliche historische Kern interessiert uns hier nicht). Daß die Götter sich des Falles annahmen, setzt voraus, daß die Mitglieder des Bundes durch ihren Eid zur Geheimhaltung gezwungen waren. Man braucht die symbolische Toterklärung durch die Gemeinschaft und den Vollzug der Strafe durch die Götter nicht unbedingt als einen verhüllenden Bericht von einem Fememord zu lesen; solange der Pythagoreerbund noch politische Macht hatte — in Tarent währte das bis ins 4. Jahrhundert — , muß schon die Ächtung selbst eine wirksame Sanktion dargestellt haben. Da der profanierte Inhalt ein mathematisches Theorem war, kann die Sorge um die richtige Aufnahme des Inhalts für die Geheimhaltungsbestimmung keine Rolle gespielt haben: mathematische Beweise geben bei genügender Intelligenz des Rezipienten am ehesten Gewähr für ein sachgerechtes Verständnis. Vielmehr ging es um ein Wissensprivileg einer einflußreichen Gruppe. Bezeichnenderweise knüpft sich die Geschichte an den Namen des Hippasos, von dem es auch heißt36, er habe mit der demokratischen Bewegung sympathisiert: wer das Wissen profaniert, zersetzt auch die Macht des Bundes. Platon hingegen wirft Dionysios nicht die Verbreitung privilegierenden Fachwissens vor, sondern von Einsichten, deren Formulierung in
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